NOVUM TESTAMENTUM ET ORBIS ANTIQUUS (NTOA) Im Auftrag des Biblischen Instituts
der Universität Freiburg Schweiz heraus...
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NOVUM TESTAMENTUM ET ORBIS ANTIQUUS (NTOA) Im Auftrag des Biblischen Instituts
der Universität Freiburg Schweiz herausgegeben von Max Küchler in Zusammenarbeit mit Gerd Thaissen
Zur .t\utorin:
Gudrun Guttenberger Ortwein, geboren 1962. studierte evangelische Theologie in Tübingen, Heidelberg und Mainz. Im Anschluss an das Vikariat und eine Assistenzzeit am Theologischen Seminar Herborn (bei Prof. G. Hartmann) war sie von 1990- 1994 als Ffarrerin im Westerwald tätig. 1998 Promotion an der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg (bei Prof. G. Theissen). Seit 1998 als Ffarrerin mit einem Lehrauftrag für Frauenforschung und feministische Theologie an der Universität Mainz tätig.
NOVUM TESTAMENTUM ET ORBIS ANTIQUUS
Gudrun Guttenberger Ortwein
Status und Statusverzicht im Neuen Testament und seiner Umwelt
UNNERSITÄ TSVERLAG FREillURG SCHWEIZ VANDENHOECK & RUPRECHT GÖTI'INGEN 1999
39
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Gutteabe11J8r Ortwein, Gudnm: Status und Statusverzicht im Neuen Testament und seiner Umwelt I Gudrun Guttenberger Ortwein.- Freiburg, Schweiz: Univ.-Verl.; Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Novum testamenturn et orbis antiquus; 39) ISBN 3-7278-1221-4 (Univ.-Verl.) ISBN 3-525-53939-8 (Vandenhoeck & Ruprecht)
Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates der Universität Freiburg Schweiz, des Rektorates der Universität Freiburg Schweiz und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Die Druckvorlagen wurden von der Verfasserin als reprofertige Dokumente zur Verfügung gestellt © 1999 by Universitätsverlag Freiburg Schweiz
Paulusdruckerei Freiburg Schweiz ISBN 3-7278-1221-4 (Universitätsverlag) ISBN 3-52 5-53939-8 (Vandenhoeck und Ruprecht)
Meinen Eltern
Vorwort Die wrtiegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1997/98 wn der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen wurde. Die Entscheidung, nach einigen Jahre praktischer Arbeit in der Kirchengemeinde erneut wissenschaftlich zu arbeiten, fiel aufgrund hermeneutischer Fragen. Daß die kirchliche Arbeit, auch und gerade da, wo die Bibel mit Hllfe "neuer Zugänge" wie Blbliodrama neu zur Geltung gebracht wird, nur selten auf die ~etischen Wissenschaften zurückgreift, hat mich nachdenklich gemacht. Einerseits scheinen in der kirchlichen Arbeit Bibeltexte mit den Texten aus anderen Epochen der Geschichte und uns heute gleichzeitig zu werden; ihre historische Besonderheit wird dabei nicht (hinreichend) wahrgenommen und gewürdigt. Wie schwierig andererseits der Weg wn der wissenschaftlichen Exegese eines Textes zu seiner Verkündigung und seiner sinnwllen Verwendung in der Seelsorge ist, habe ich im Vikariat sehen gelernt Diese "Kontaktsperre" zwischen wissenschaftlicher Exegese und kirchlicher Arbeit hat mich nach einem befriedigenderen hermeneutischen Modell suchen lassen. Herr Professor D. Dr. G. Theißen hat mich bei dieser Suche begleitet und behutsam angeleitet, mir dabei geholfen, meine Fragestellungen zu präzisieren sowie zu konkretisieren und hat mich mit dem Modell der "Impliziten Axiome", das wn D. Ritschl entwickelt und wn G. Theißen selbst fortgeführt worden ist, bekannt gemacht. Die Wahl des Themas .Status und Status\6zicht" hat sich dabei als glücklich erwiesen. Daß Menschen in der Beziehung zu Gott ihre eigene Würde und die der anderen neu verstehen und ihr Verhalten daran zu orientieren lernen, hat mein theologisches Denken und Deuten neu akzentuiert. Die Deutemodelle, die in der Untersuchung dargestellt werden, konnte ich auf eine ganzen Reihe wn eigenen und fremden Lebenserfahrungen anwenden und auf ihre lebensfördernde Kraft hin überprüfen. Natürlich hat mich während der Arbeit erneut die Leidenschaft für die historischen und exegetischen Wissenschaften gepackt. Daß ich die Gelegenheit hatte, ihr nachzugeben, war mir eine Freude. Mein besonderer Dank g~lt also Herrn Professor Theißen für die ausdauernde und ermutigende Begleitung sowie für die zahlreichen wichtigen Anregungen. Zu Beginn meiner praktischen Arbeit haben mich Prof. G. Hartmann und Prof. M. W~-Menkhoff in meinem theologischen Fragen unterstützt und geprägt. Sie haben mir durch ihr Denken und durch ihr Beispiel Mut gemacht, nach tragfiihigen Lösungen zu suchen. Daß Herr Prof. Küchler diese Arbeit in die Re·ihe "Novum Testamenturn et Orbis Antiquus" aufgenommen hat, macht mich froh und stolz. Ihm und Prof. K. Berger, der die Zweitkorrektur der Dissertation übernommen hat, g~lt ebenso mein Dank. Meinem Mann und meinen Eltern danke ich für ihre Begleitung und Ermutigung, meinen Geschwistern Edith Gottwald und Michael Guttenberger sowie meinem Schwager Volker Gottwald zudem für ihre Unterstützung bei der Arbeit mit dem PC und der Erstellung dieses Buches. Für die Unterstützung beim Korrekturlesen schulde ich Annette Weissenneder sowie Robert und Elisabeth Latz meinen Dank.
Inhaltsverzeichnis lnhaltsverzeichnis ....................................................................................... l
1. Kapitel: Einleitung .............................................................................. 10 1.1. Demut und Größe .............................................................................................................. 10 1.2. Begriffsbestimmungen ..................................................................................................... 12 1.3. Die Aufgabe ......................................................................................................................... 14 Die Forschung ......................................................................................................... 14 Einordnung in die Forschungsgeschichte ...................................................... 17 Zum Vorgehen ........................................................................................................ 19
Tei I I: Pagane Antike ............................................................................... 21 Die Aufgabe des Ersten Teils ................................................................ 21 2. Kapitel: Die Ordnung der Ehre ........................................................ 22 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Einleitung .............................................................................................................................. 22 Begriffsbestimmung .......................................................................................................... 23 Die antiken mediterranen Gesellschaften als Schamkulturen ............................. 25 Ehre - wichtiger als das Leben ....................................................................................... 26 Der Platz des Menschen im Oikos .................................................................... 26 Eltern und Kinder............................................................................................ 27 Mann und Frau ................................................................................................ 28 Der Platz des Menschen in der Polis................................................................ 29 Die Zugehörigkeit zu einer Familie ........................................................... 29 •... immer der Erste zu sein und vorzustreben vor andern .... " Challenge and Response ............................................................................... 29 Der Platz des Menschen im Kosmos ................................................................ 33 Das Verhältnis zu sich selbst .............................................................................. 33 2.5. Ehre als schichtübergreifender Wert ........................................................................... 35 Ehre als Oberschichtswert. .................................................................................. 35 Die Mentalität der Unterschichten .................................................................. 35 Ehre als Unterschichtswert .......................................................................... 35 Die Dominanz der Frage nach dem Überleben ...................................... 38 2.6. Relativierungen: Verinnerlichung und Umkehrung ................................................ 39 2.7. Zusammenfassung ............................................................................................................. 40
3. Kapitel: Erhöhung und Erniedrigung - Rollenangebote und Deutemodelle in der griechischen Kultur .................................... 41 3.1. Das zwischenmenschliche Verhalten ............................................................................ 41 Statusverzicht als Affektkontrolle zugunsten der Gemeinschaft .......... 42
2 Statusverzicht zugunsten der Gemeinschaft ......................................... 42 Affektkontrolle als Bedingung für Gemeinschaftsfähigkeit ............. 43 Ausdehnung auf .Gruppenfremde" .......................................................... 43 Der Entwicklungsfortschritt ........................................................................ 44 Statusverzicht als Bedingung für Erhöhung ................................................. 44 Selbsterniedrigung und Erhöhung des Fremden durch den Gastgeber .......................................................................................................... 44 Selbsterniedrigung als Bedingung für den Sieg ................................... 45 3.2. Das Handeln der Götter zur Begrenzung des menschlichen Machtstrebens .. 46 Zeus erniedrigt den Gewalttäter: das Recht als Kriterium für Erhöhung und Erniedrigung ................................................................................................... 46 Zeus erniedrigt die Hochmütigen: die maßvolle Selbsteinschätzung als Kriterium für Erhöhung und Erniedrigung .................................................... 47 Der Zeitenlauf erniedrigt bald diesen, bald jenen: die Grenzen des Menschen ................................................................................................................. 47 Die Götter erniedrigen die Glücklichen: Der Neid der Götter ................. 48 Religiöse Demut: die Forderung nach dem rechten Maß ......................... 49 3.3. Das Zwischenmenschliche Verhalten als Imitation und als Korrektur des göttlichen Handelns ........................................................................................................ 50 Die Imitation des göttlichen Handeln ............................................................. 50 Die Unbarmherzigkeit des Stärkeren ........................................................ 50 Die Wohltätigkeit der Herrscher ................................................................ 51 Mitleid als Korrektur des erhöhenden und erniedrigenden Handeins der Götter: Theseus und Neoptolemos ................................................................... 52 3.4. Die Entstehung der Vorstellung einer statusunabhängigen Würde des Menschen ........................................................................................................................... 54 Größe durch Vernunft: Sokrates....................................................................... 54 Größe durch Tugend und die Umwertung der Werte ................................ 56 3.5. Zusammenfassung ............................................................................................................. 58
4. Kapitel: Erhöhung und Erniedrigung - Rollenangebote und Deutemodelle in der römischen Kultur ........................................ 60 4.1. Erhöhung als Gabe und Erniedrigung als Fluch des .Römertums" ..................... 60 Aufstieg als kollektiver Erfolg ............................................................................ 60 Erniedrigung als Strafe für das Sakrileg des Brudermords ...................... 62 4.2. Erhöhung als Gabe der Götter und Herrschaft als Auftrag .................................. 62 Erhöhung als Gabe der Götter........................................................................... 62 Das Verhalten der Menschen: pietas ............................................................... 64 Erniedrigung als Scheitern an der Berufung zur Herrschaft ................... 65 4.3. Die Vorstellung von der statusunabhängigen Würde in der Stoa ...................... 66 Wahre Größe als claritas und securitas - die Deutung von Statusveränderungen bei Seneca ..................................................................... 66 Securitas als Ziel ............................................................................................. 67
3 Die Verachtung des Schicksals und die innere Größe ......................... 68 Erniedrigung als Erziehung .......................................................................... 68 Erniedrigung und Erhöhung als Phasen eines kosmischen Geschehens ....................................................................................................... 69 Statusverzicht bei Seneca ............................................................................ 70 Die Verachtung alles Irdischen - die Deutung von Größe und Nichtigkeit bei Mark Aurel ................................................................................. 71 Die Nachahmung der Gottheit ................................................................... 72 Die Verachtung alles Irdischen ................................................................... 72 Die Selbstentfremdung ................................................................................. 73 Statusverzicht .................................................................................................. 74 Die Zeuskindschaft der Selbstbestimmten - Hoheit bei Epiktet... .......... 74 Freiheit als Gabe des Zeus ............................................................................ 75 Hoheit durch Selbstbestimmung ............................................................... 75 Distanzierung vom gesellschaftlichen Status durch den Rollenbegriff .................................................................................................... 76 4.4. Zusammenfassung ............................................................................................................. 76
5. Kapitel: Demut in der paganen Antike ......................................... 77 5.1. Demut vor Gott. .................................................................................................................. 77 5.2. Demut vor den Menschen ............................................................................................... 80 Die Demut der Unterlegenen gegenüber den Überlegenen ..................... 80 Die Demut der Überlegenen gegenüber den Unterlegenen ..................... 81 Herrschaft als Knechtschaft ........................................................................ 81 .. Diener des Volkes" ........................................................................................ 83 5.3. Zusammenfassung ............................................................................................................. 84
6. Kapitel: Zusammenfassung des ersten Teils ................................ 85 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.
Ehre und ihre Steigerung ................................................................................................. 85 Die Deuteangebote der griechischen Kultur ............................................................. 85 Die Deuteangebote der römischen Kultur .................................................................. 86 Ansätze zur positiven Bewertung von Demut........................................................... 87 Die Rolle der Götter ........................................................................................................... 87
Teil II: Jüdische Antike ........................................................................... 89 Die Aufgabe des zweiten Teils ............................................................. 89 Die Relativierung des Statusbewußtseins ........................................................................... 89 Die Ordnung der Ehre in der jüdischen Gesellschaft ................................. 89 Die Niedrigkeit der Hohen .................................................................................. 90 Das Hoheitsbewußtsein der Niedrigen ............................................................ 91 Der Positionswechsel als Hoffnungsbild ............................................................................. 92 ln Palästina .............................................................................................................. 92 ln der Diaspora ....................................................................................................... 92
4 Zur Gliederung des II. Teils ...................................................................................................... 93
7. Kapitel: Die alttestamentliche Vorgeschichte ............................. 93 7.1. Die Erwählung durch Gott .............................................................................................. 93 Gott erwählt das kleinste Volk .......................................................................... 94 Gottes Handeln ................................................................................................ 94 Die Entwicklung: Demokratisierung und Individualisierung ............ 94 Die Haltung des Menschen .......................................................................... 95 Gott erwählt die Niedrigen im Volk................................................................. 96 Gottes Hande•n ................................................................................................ 96 Die Entwicklung: Entbindung von der sozialen Begrenzung ............ 96 Die Haltung des Menschen .......................................................................... 97 Zusammenfassung und Auswertung ............................................................... 98 Gott schützt das bedrohte Volk: Der JHWH-Krieg ...................................... 98 Gottes Handeln ................................................................................................ 98 Die Haltung der Menschen ........................................................................ 100 Gott läßt einen Rest: Die Niedrigen bergen sich auf dem Zion ............ 101 Gottes Handeln .............................................................................................. 101 Das Verhalten der Menschen .................................................................... 102 Zusammenfassung ............................................................................................... 104 7.2. Die demütigen Großen: Demut als soziale Tugend ............................................... 104
8. Kapitel: Status und Statusverzicht in den zwischentestamentliehen Schriften aus Palästina .................. 106 8.1. Status und Statusverzicht im Zentrum der Gesellschaft: Die Anschauungen im Sirachbuch und den ersten zwei Makkabäerbüchern .................................. 107 Gottes Handeln ..................................................................................................... 107 Das Verhalten der Menschen ........................................................................... 108 Demut vor Gott ............................................................................................. 108 Das zwischenmenschliche Verhalten ...................................................... 108 8.2. Status und Statusverzicht am Rand der Gesellschaft: ......................................... 109 Die Apokalyptischen Schriften ........................................................................ 109 Gottes Handeln: Gott handelt gegenwärtig nicht. ............................ 109 Gottes Handeln: Gott handelt am Ende der Zeiten ........................... 111 Die Haltung der Menschen: Die Haltung Gott gegenüber .............. 112 Die Haltung der Menschen: Das zwischenmenschliche Verhalten 113 Die essenischen Schriften ................................................................................. 114 Die Gründung der Gemeinschaft als Folge einer Erniedrigung ..... 114 Statusverzicht innerhalb der Gemeinschaft... ...................................... 116 8.3. Zusammenfassung und Auswertung .......................................................................... 119
9. Kapitel: Status und Statusveränderungen - Deutungen in den Schriften aus der jüdischen Diaspora in Ägypten ................... 120
5 Erhöhung und Erniedrigung in der Diasporasituation ............................. 120 9.1. Die Erhöhung des Gerechten ........................................................................................ 121 Das Handeln Gottes: Erniedrigung als Strafe und Erhöhung als Folge der Gottesfurcht. ................................................................................................. 121 Das Verhalten der Menschen: Die taktische Selbsterniedrigung .......... 121 9.2. Die Erniedrigung des Gerechten .................................................................................. 121 9.l. Erhöhung und Erniedrigung als Zufall ...................................................................... 122 9.4. Die Bewahrung der Hoheit in der Erniedrigung: Verhaltensmuster für den Umgang mit den Heiden als Unterdrückern .......................................................... 122 Der Sieg des Ohnmächtigen ............................................................................. 122 Die Überlegenheit der Standhaften ............................................................... 124 Die Weisheit begleitet in die Niedrigkeit. .................................................... 125 9.5. Die Erhöhung der demütigen Heiden: Verhaltensmuster für den Umgang mit den respektvollen Heiden ............................................................................................ 125 Die rituelle Selbsterniedrigung der Heidin vor Joseph und ihre Erhöhung durch ihn ............................................................................................ 125 9.6. Die diakonische Selbsterniedrigung des Gerechten: Selbsterniedrigung als Ausdruck von Hoheit. ................................................................................................... 127 9. 7". Zusammenfassung ........................................................................................................... 128
10. Kapitel: Status und Statusveränderungen bei Philo von Alexandrien ........................................................................................ 129 101.1. Gott und die Niedrigen ................................................................................................ 129 Gottes Handeln ..................................................................................................... 129 Gott achtet auf die Niedrigen und übersieht die Großen ............... 129 Gott wählt die Waisen der Welt .............................................................. 130 Gott siegt mit schwachen Waffen .......................................................... 131 Gott gibt den Schwachen den Sieg und läßt die Ohnmacht über die Macht triumphieren ..................................................................................... 132 Das Verhalten der Menschen ........................................................................... 132 Die Demut vor Gott als die innere Haltung der Niedrigen .............. 132 Der Fall als Aufstiegschance ...................................................................... 133 Die Achtung der Niedrigen ........................................................................ 134 Der freiwillige Statusverzicht ................................................................... 134 101.2. Die natürliche Ordnung ............................................................................................... 135 Die Gleichheit und die Begründung von Herrschaft... ............................. 135 Der 110Ü) als einziges statusrelevantes Kriterium ................................. 135 Die Demut vor Gott und die Herrschaft des Nous ............................. 136 Die Gleichheit ................................................................................................ 137 Ideale gesellschaftliche Ordnungen ........................................................ 139 Statusverzicht ................................................................................................ 142 Die Würde der Niedrigen ................................................................................... 142 Die Armen ....................................................................................................... 142
6
Die Fremden ................................................................................................... 144 Die Sklaven ..................................................................................................... 145 Die Kinder ........................................................................................................ 147 Die Frauen ....................................................................................................... 148 Tiere und Pflanzen ........................................................................................ 149 Zusammenfassung ........................................................................................ 151 10.3. Statusveränderungen ................................................................................................... 151 Die illegitime Statusveränderung ................................................................... 151 Die legitime Statusveränderung ..................................................................... 152 Aufstiege und Abstiege von Individuen (als Typen) .......................... 152 Der Positionswechsel zwischen Juden und Heiden ............................ 153 Ein Exemplum für den Positionswechel: Flaccus ................................ 154 Der Positionswechsel zwischen den Völkern als Ausdruck internationaler Demokratie ....................................................................... 155 10.4. Zusammenfassung ......................................................................................................... 155
11. Kapitel: Zusammenfassung des zweiten Teils ......................... 156
Teil II I: Urchristentum .......................................................................... 161 Die Aufgabe des dritten Teils •.......•.................................................... 161 Demut als soziale Tugend ...................................................................................................... 161 Überblick über das Vorkommen im Neuen Testament ................................................. 161 Zur Gliederung des dritten Teils........................................................................................... 162
12. Kapitel: Die Ersten und die Letzten -der Positionswechsel bei Jesus ............................................................................................. 163 12.1. Die Positionswechsellogien ....................................................................................... 163 12.2. Überlieferung .................................................................................................................. 163 12.3. Form und Aussage der drei Grundtypen ................................................................ 164 Der verbale Grundtyp ......................................................................................... 164 Der substantivisch-pluralische Grundtyp .................................................... 165 Der substantivisch-singularische Grundtyp ................................................ 166 12.4. Die jesuanische Herkunft der Positionswechsellogien ....................................... 167 Der verbale und der substantivisch-pluralische Grundtyp ..................... 167 Der substantivisch-singularische Grundtyp ................................................ 168
13. Kapitel: Das Positionswechselaxiom in den "kleinen
Einheiten .. .......................................................................................... 169 13.1. Jesus und die Vornehmen ........................................................................................... 170 Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin ............................................. 170 Der Positionswechsel in den anderen Wundererzählungen ................... 172 Die Begegnung Jesu mit einem reichen Mann, Mk 10,17-27 ............... 173
7 Zusammenfassung ............................................................................................... 175 11 3L2. Jesus und die Niedrigen ............................................................................................... 175 Jesus und die Kinder ........................................................................................... 175 Die Spende der armen Witwe, Mk 12,41-44............................................... 176 Zusammenfassung ............................................................................................... 177 n 31.3. Jesus und die gesellschaftliche Ordnung ............................................................... 178 Der arme König, Mk 11,1-11 ........................................................................... 178 Der König der Juden und der römische Staat, Mk 15,1-20 ................... 181 Die ßa,cnf..eia. und die römische Weltmacht, Mk 4,30-32 ........................ 182 Zusammenfassung ............................................................................................... 183
114. Kapitel: Die Bedeutung des Positionswechselaxioms in der Konzeption der drei synoptischen Evangelien .......................... 184 TI 41-.1. Dem alle Engel dienen .... -der Positionswechsel im Markusevangelium ... 184 Der symbolisch-topalogische Positionswechsel......................................... 185 Der christologische Positionswechsel.. .......................................................... 187 Jesu Kritik an den bestehenden hierarchischen Verhältnissen und Herrschaft als demütiger Dienst: eine Alternative zur Pietas ........ 187 Hoheit und Niedrigkeit des Gottessohnes: eine Alternative zur Vergöttlichung des Herrschers ................................................................. 192 Die ekklesiologische Positionswechselaxiom .............................................. 196 114!-.2. Ein Vergleich mit der matthäisehen und lukanischen Redaktion ................... 198 Das Matthäusevangelium ................................................................................. 198 Demut als Eigenschaft des Königs und Lehrers .................................. 198 Demut als Forderung an die Jünger ....................................................... 200 Der Positionswechsel als Gerichtsansage .............................................. 202 Das Lukasevangelium ......................................................................................... 205 Die Darstellung Jesu .................................................................................... 205 Die Forderungen an die Jünger ................................................................ 206 n4-.3. Zusammenfassung ......................................................................................................... 208
115. Kapitel: Das Positionswechselaxiom bei Paulus ..................... 208 1161.1. Status und Statusverzicht innerhalb der korinthischen Gemeinde ............... 209 Die Erhöhung der Gemeinde ............................................................................ 209 Aufforderungen zur Demut fehlen ......................................................... 209 Die Erhöhung der Gemeinde in der Anfangsverkündigung ............ 210 Modelle von Erhöhung in Karinth ................................................................. 213 Modell1: Das Bewußtsein königlicher Hoheit .................................... 213 Modell 2: Hoheit als Heiligkeit................................................................. 221 Zusammenfassung ........................................................................................ 230 Die Positionen des Paulus ................................................................................. 235 Die Stärkung von Hoheitsbewußtsein .................................................... 235 Die paulinische Konzeption von Hoheit.. .............................................. 240
8 Der Umgang mit der Konkurrenzsituation in der Gemeinde .......... 243 15.2. Die Bedeutung des Positionswechselaxioms für das apostolische Selbstverständnis des Paulus...................................................................................... 253 Einleitung: Die Konzeption des Paulus in ihren Grundzügen ............... 254 Die Deutung des Christusgeschehens durch das Positionswechselaxiom ............................................................................... 254 Die apostolische Selbsterniedrigung ...................................................... 255 Positionswechsel: Die Erhöhung der Gemeinde als Folge der apostolischen Selbsterniedrigung ........................................................... 257 Niedrigkeit als Autoritätsmerkmal: Ein Dissens zwischen Paulus und den Korinthern .............................................................................................. 259 Alternative Deutungen des Leitungsamtes ................................................. 264 Vorfragen ........................................................................................................ 264 Legitimierungsstrategien ............................................................................ 266 Zusammenfassung ........................................................................................ 274 Das Verhältnis Apostel - Gemeinde ............................................................... 27 4 Das Mittleramt: Mose .................................................................................. 276 Die Tiefenstruktur der Position des Paulus.................................................. 280 Die Niedrigkeit des Paulus ......................................................................... 280 Die Erhöhung der Gemeinde durch Paulus .......................................... 283
16. Kapitel: Die weitere Entwicklung bei Paulus und in den
paulinischen Briefen ....................................................................... 287 16.1.1m Römer-, Philipper-und Galaterbrief ................................................................. 287 16.2. ln der Paulusschule ....................................................................................................... 289
17. Kapitel: Statusverzicht im Johannesevangelium .................... 290 17.1. Die Hoheit Jesu im Johannesevangelium ............................................................... 291 17.2. Die Fußwaschung in der antiken mediterranen Welt.. ...................................... 293 17.3. Die Fußwaschung: der Statusverzicht Jesu und die Aufforderung an die Jünger ................................................................................................................................ 296 Zur Gliederung ...................................................................................................... 296 Zur Einheit der Erzählung von der Fußwaschung ..................................... 299 Zur Abgrenzung der Fußwaschungserzählung ........................................... 302 Zum Kontext ......................................................................................................... 303 Synoptische Traditionen in Joh 13,1-20 ...................................................... 308 17.4. Auswertung ..................................................................................................................... 310 Die Erzählung von der Fußwaschung und der urchristliche Wert des Statusverzichts ..................................................................................................... 310 Der Statusverzicht in der johanneischen Theologie ................................. 311
9
118. Kapitel: Die weitere Entwicklung der Forderung nach Statusverzicht im Neuen Testament und im Urchristentum: eine Skiue .......................................................................................... 314 118.. 1. Statusverzicht im Jakobusbrief, im Petrusbrief und in der Apokalypse ....... 314 118.. 2. Statusverzicht im ersten Clemensbrief und in den lgnatiusbriefen .............. 314
119. Kapitel: Zusammenfassung des dritten Teils .......................... 316
120. Kapitel: Zusammenfassung und Ertrag .................................... 318 2l01.1. Die pagane Antike ......................................................................................................... 318 2l0J.2. Das Judentum ................................................................................................................. 321 2l0!.3. Das Urchristentum .......................................................................................................... 323
Literaturverzeichnis .............................................................................. 326
1. Kapitel: Einleitung ..An den Kleinen aber, an den Frauen und den Fischern hat er [Jesus] offenbar seine größte Freude gehabt und unter dem Geschlecht der ..mJunftlosen Tiere sind ihm die entfemtestm Vettml des gescheitm Fuc:hses die liebstm, weshalb er es waog, auf einem Esel zu mtm, obwohl er, wenn er wollte auf einem Löwen hätte ungefährdet Platz nehmen dürkn_ . Auch der Heilige Geist schwebt in Gestalt einer Taube herob, nicht als Adler oder Geier,_ nicht zu \ot'f!1es5en, daß der Herr die Seinen, die er zum ewigen Leben bestimmt hat Schofe nennt; daß aber das Schaf das allerdümmste Tier ist sieht man schon aus dem sprichwörtlichen Ausdruclc bei Aristoteles "sich wie ein Schaf benehmen"_ . Und doch nennt sich Olristus den Hirten dieser Herde und freut sich, selbst Lamm zu heißen_ ." Erosmus ~ Rotterdam'
1.1. Demut und Größe Die Demut ist uns verdächtig und das mit guten Gründen. ln sozialer Hinsicht ist sie regelmäßig von den Unterlegenen gefordert worden mit dem Ziel, ihre Unterwerfung zu legitimieren und anerkennen zu lassen. Die Forderung ist von der kirchlichen Hierarchie gegenüber ihren Mönchen1, ihrem Kirchenvolk und den Frauen1 erhoben worden, um sie besser behenschen zu können. Demut fördert den Machtmißbrauch. Natürlich trauen die Henschenden ihrem Erfolg nicht, verdächtigen die Demütigen der Heuchelei und vermuten hinter der Demut der Unterworfenen die Rebellion. Demut fördert das Mißtrauen. Vom psychologischen Standpunkt aus kann sie als Ausdruck eines elementaren Minderwertigkeitsgefiihls4 und eines infantilen Abhängigkeitswunsches ~rbunden mit narzißtischem Erwählungsglauben und uneingestandenem Machtstreben~ gelten. Demut verhindert Reifung. Die Demut steht in dem Verdacht, die Menschen klein zu machen, klein zu halten und sie vom Ziel des Menschseins femzuhalten 6 • Die Demut ist ein lnstrument des Mißbrauchs und gleichzeitig selbst mißbraucht worden. 'Erasmus von Rotterdam, MOPIAl: ErKOMION, S. 195f. Pachomius, praec et reg J; Basilius, ascet. 1,3; vgl. Rehrl, Art. Demut IV, S. 467. Das wird im mittelalterlichen Mönchtum fortgesetzt. Vgl. zur Mühlen, Art. Demut V, S. 469. 1Maria kann mit Verweis auf Lk 1,48 als Urbild der Demut angesehen werden. Übersetzt man "n)11 TU.Trti~~WUrli nk cloU>.<JK tuiroli" mit "die Erniedrigung seiner Sklavin" wird bereits deutlich, daß Maria nicht als tugendhaft geschildert werden soll, sondern als gesellschaftlich niedrig und ausgegrenzt, wodurch sie zum Typos des erniedrigten Volkes wird. Gottes Eingreifen kennzeichnet dann die beginnende Befreiung und ist damit herrschaftskritisch zu verstehen. Vgl. Schottroff, Lydia, S. 291 f. Vgl. schon Luther, Magnificat, WA 7, 548,J2ff. Vgl. Gilen, Demut, S. 124f. ~Für den Jesuitenorden ist die Demut ein zentrales Element seines SelbsMrständnisses (vgl. zur Mühlen, Art. Demut Vl, S. 480). Einer der Wahlsprüche der Diakonissenmutterhäuser lautet: "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen" (vgl. z.B. die Inschrift am Mutterhaus im Diakoniewerk Kaiserswerth). Seide Gruppen sind nicht für ihren Verzicht auf Machtausübung bekannt geworden. Zum Verhältnis von Dienst und Herrschaft vgl. Hacker, Aggression, S. 276f. 'Folgerichtig spielt die Demut in den zeitgenössischen ethischen Entwürfen keine Rolle. Breit rezipiert wurde und wird dagegen die herrschaftskritische Tradition, weshalb zwar politische und gesellschaftliche Macht negativ bewertet und zurückzudrängen versucht wird (vgl. Kasch, Art. Macht, Sp. 856), die Demut, akzentuiert als Statusverzicht, aber als Mittel der Herrschaftskritik 1
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Die neutestamentliche Tradition dagegen verbindet mit der Demut geradezu das Gegenteil. Sie ~nüpft mit Demut Hoheitsbewußtsein, Mach~cht und die Förderung der sozialen Beziehungen. Im Neuen Testament macht Demut groß und ist Erkennungsmerkmal des Großen. Gregor wn N)5S3 bestimmte als den einzig möglichen Weg ffir den Menschen, Gott ähnlich zu werden, die Nachahmung der Demut Gottes'. Gottesnähe und menschliche Größe zeigen sich demnach in der Demut. Mit der Vorstellung wn der Mimesis Gottes nahm er ein Motiv auf, das in der Philosophie seit Platon das Ziel und die mögliche Größe des Menschseins umschrieb1 • Die Größe und Gottähnlichkeit des Menschen wurden in der paganen Tradition in seiner Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Tugend einmeits und in der Bereitschaft zur Bedürfnislosigkeit und Autarkie andermeits1 entdeckt. Die Nachahmung Gottes durch Demut und die Behauptung, daß Demut zu den Eigenschaften Gottes zähle, begegnen in der paganen Antike nicht und hatten in ihr keinen Platz4 • Demut galt als Kennzeichen einer sklavischen Gesinnung und schloß Größe und Hoheit gerade aus5 • Wer demütig, ..servil" war, entfernte sich wn dem, was in den Augen antiker paganer Menschen das Menschsein ausmacht und in die Nähe der Götter rückt. Celsos warf den Christen folgerichtig wr, Servilität, ein Merkmal des schlechten Charakters, als Tugend zu preisen (Orig, Cels 6,15; 3,61
r.
nicht in den Blick gerät. Kasch, Art. Macht, Sp. 859, weist zu Recht darauf hin, daß mit dem Statusverzicht Jesu, wie er in Phil 2,6-11 oder Mt 4,1-11 beschrieben wird, Hoheitsbewußtsein, also (Voll)macht ~rbunden wird, und somit der Mißbrauch von Macht in Gewalt oder Manipulation als ein Zeichen für ein Zuwenig an Macht und für Angst und nicht als ein wesensmäßiges Merkmal von Hoheit und Vollmacht zu gelten hat. Dabei allerdings würdigt er die herrschaftskritische Funktion des MachMrzichts nicht hinreichend. '"Da nun alle anderen Eigenschaften, die wir an Gott erkennen, das Maß der menschlichen Natur übersteigen, die Demut und die Erniedrigung aber uns gewissennaßen angeboren ist und innig mit uns ~rwachsen ist , ... so hast du, wenn du Gott in dem nachahmst, was deiner Natur entspricht, auch die selige Schönheit angezogen" (Beat 1 zu Mt 5,3). 2 Piat, Theait 176bf; Sen, lra 11,16,2; Ep 95,50; vgl. Michaelis, Art. IUI'iOfUIIKTA., S. 663f. ln der Ethik der frühen Kirchenväter wird .Jüngerschaft" als Mimesis Gottes und Anteilhabe an ihm ~rstanden, wobei die Vergöttlichung des Menschen als Lebensziel gilt. Die breite Aufnahme zeigt auch die weite Verbeitung des Gedankens in der paganen Philosophie an. Vgl. Osbome, Art. Ethik V, S. 472. 3 Diog Laert VI, 51 ; Epict, Ench 15. 4 Dihle, Art. Ethik, Sp. 687f. \lgl. Dihle, Art. Demut, Sp. 737-743; Grundmann, Art. Tll'll'fl~ KTA., S. 1-6; Rehrl, Demut, S. 713.24-78; Wengst, Demut, S. 15-34. 6 Celsos zitiert Plat Leg 716a, eine der wenigen Stellen, in denen im positiven Sinn von der Demut die Rede ist, und wirft den Christen vor, diese Stelle miß~rstanden zu haben; verbunden mit seiner Beobachtung, daß dem Christentum Menschen anhangen, deren Sozialstatus niedrig ist und die über keine Bildung ~rfügen, sowie daß der Gründer selber Handwerker war, ergibt sich daraus das Bild einer minderwertigen Religion der kleinen Leute.
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1.2. Begriffsbestimmungen Es wird zwischen Demut
\UT
Gott als religiöser Tugend' und Demut gegenüber
Menschen als sozialer Tugend unterschieden1 • Demut vor Gott bedeutet, die eigene Person
in der vertrauensvollen Gottesbeziehung als ohnmächtig und abhängig zu erfahren. Zur Demut vor Gott gehört einerseits eine Distanzerfahrung, in der die Gottheit Gottes und die Nichtigkeie des Menschen wahrgenommen wird. Andererseits unterscheidet sie sich von Resignation und Selbst\erachtung durch die Erfahrung von Nähe: Die Größe Gottes vernichtet den Menschen nicht, sondern scham seine Würde und weist ihm seinen Platz zu. Der Demut als reHgiöser Tugend folgt der Gehorsam den göttlichen Geboten gegenüber4 • Die Demut Menschen gegenüber erfordert im Hinblick auf die Gesellschaft die Wertschätzung deTjenigen, die nach gesellschaftlichen Maßstäben geringgeachtet werden\ und im Hinblick auf die eigene Person die Bereitschaft, auf sozialen Status zu verzichten. Dieser Sta~cht bedeutet, sich auf ideologischer Ebene von den Wertmaßstäben der Gesellschaft abzuwenden und im Hinblick auf die statusrelev.1nten Güter durch Besi~cht und den Verzicht auf gesellschaftliche Macht das leben der Niedrigen zu teilen. Soziale Demut muß freiwiiHg erbracht werden.
'Di~ W~rtschätzung d~r D~mut ist an di~ Üb~rz~ugung g~bund~n. daß ~s für d~n M~nsch~n auch COram d~O wichtig S~i, b~Stimmt~ W~rthaJtung~n und V~rhaJt~nsw~i~n dau~rhaft ZU üb~m~hm~n und ~inzuüb~n. Di~s~ Üb~rz~ugung ist g~m~int, w~nn das Wort Tug~nd verw~nd~t wird, das auß~rhalb d~s römisch-katholisch~n Mili~us d~r S~lbstg~rechtigk~it verdächtigt wird. Vgl. Radl~r. Art. D~mut VIII, S. 48Jf. lygJ. Dihl~. Art. ~mut, Sp. 736, d~r vom B~griff Augustins ausg~ht. Thi~m~. D~mut, S. 31 f; 231 f, unt~rsch~idd dan~b~n di~ ~ipsistisch~ D~mut~, die abwertende S~lbstb~urteilung. Dies~n Vorschlag macht sich di~e Untersuchung nicht zueigen, weil es zu ihren Ergebnissen gehört, daß Statusverzicht mit Hoh~itsbewußt~in ~inh~rgeht. 1 Unter Nichtigkeit wird di~ ~grenztheit menschlicher Möglichkeiten gefasst, wie sie sich in ~inen limiti~rten kö~rlich~n. geistigen und psychischen Kräften z~igt, nicht aber ~ine Sündhaftigkeit, wi~ das z.B. bei Thieme g~chieht. Zwar g~hört auch die Begrenztheit seiner Fähigkeit, gerecht zu hand~ln, zu ~iner Nichtigkeit, und vollends beschreibt s~ine Sündigkeit verstanden als Versklavung unter die Macht der Sünde ~ine Schwäche, dennoch bleiben Scham und Schuld zwei verschiedene Kategorien, wie es sich kulturanthropologisch und entwicklungspsychologisch begründen läßt. \tgl. Dihle, Art. ~mut, Sp. 736. Dihle w~ist darauf hin, daß schon bei Augustinus d~r r~ligiösen D~mut die B~reitschaft ~ntspricht, die Erlösung anzun~hm~n. ohn~ auf Verdi~nste zu verweis~n. Für Luther ist die ~mut deswegen als Grundhaltung d~ Christen eng mit der Rechtfertigung verknüpft. Er unt~rsch~id~t di~ D~mut, die nicht von sich w~iß und die er mit ~Nichtigkeit" üb~rsetzt, von d~r gemachten D~mut, die ein Ausdruck von sündiger ~lbstbehauptung ist: ~Rechte Demut weiß nimmer, daß sie demütig ist; denn wo sie es wüßte, so würde sie hochmütig von dem Ansth~n d~~lben schön~n Tugend~ (Magnificat, WA 7, 561,32). Luther richtete die Auslegung des U~d~s an d~n Neff~n und Nachfolger sein~ Land~fürsten, Johann Friedrich, und st~llt heraus, daß das Magnifikat b~sonders ge~ignet sei, bei den Regi~renden die Gott~furcht zu stärken. Luth~r richt~t die Aufforderung, Demut zu lernen, an den Träg~r einer Hoheitsrolle, an den zukünftig~n Fürst~n.
~Dihl~. Art. ~mut, Sp. 736, meint, daß zudem di~ Vorstellung, daß im Nächsten Gott ~lbst b~g~gnet,
vorli~gen
müss~.
Imitationsmotiv ~gründet Ni~drige Gott repräs~nti~rt.
Das ist m.E. eine Engführung. Demut kann auch mit dem wie in Mk 10,35-45, ohne daß vorausge~tzt wird, daß der
w~rd~n.
13 Die religiöse Demut beschre1bt die bereitwillige Anerkennung der eigenen unterlegenen Position Gott gegenüber, die soziale Demut hebt ebenfalls die Bereitschaft zur Unterordnung unter den Nächsten herwr, ohne daß dabei der Status des Demütigen von Bedeutung ist; Demut kann sowohl vom Unterlegenen erbrad'lt werden, insofern er sich bereitWillig unterordnet, wie auch vom Gleichrangigen und Überlegenen, wenn diese einen Sta~cht erbringen. Ein solcher Status\erZicht kann darin bestehen, (a) die Statusmerkmale, wie z.B. Reichtum, nicht hervorzukehren, (b) sie nicht als Machtmittel einzusetzen, also sich ihres Gebrauchs zu enthalten und schließlich (c) sie aufzugeben und auf ihren Besitz zu ~chten. Der Positionswechsel bezeichnet den Austausch der gesellschaftlichen Positionen von einem oder mehreren Hohen und Niedrigen als Folge menschlichen Handeins oder unabhängig davon. Unter Status wird die "mehr oder minder hohe Stellung, die eine Person im Vergleidl zu anderen Mitgliedern des jeweiligen Sozials}stems ... einnimmt"', verstanden. Rang beschre1bt die Position in einem hierardlischen S~ern2 • Der Begriff soziale Position bezeidlnet dasselbe, ohne die \mChiedene Wertschätzung, die der Statusbegriff beinhaltet, zu berücksidltigen1 • Der Begriff Prestige benennt hingegen nur die Wertschätzung, die einer Person, einer Gruppe oder einer soziale Position entgegengebradlt wird4 • Der Status wird nadl ~iedenen Kriterien zugeschrieben. Wenn sich nadl \mChiedenen Kriterien ein und derselbe Status ergibt, spridlt man von Statuskonsistenz oder -kristallisation, wenn das nidlt der Fall ist, bezeidlnet man dies als Statusinkonsistenz oder -diskrepant. .2JJ jedem Status gehört eine Roll~'. Unter Rolle wird ..das Bündel norrnaM Verhaltenserwartungen"7 \erStanden, das es erlaubt, das Verhalten anderer Menschen in der Vorstellung vorwegzunehmen und sidl darauf einzustellen'. Diese Arbeit nimmt die kulturanthropologische Unterscheidung von Sdlam- und Sdluldkulturen auf, die von Dodds und Uoyd Jones' ffir das Verständnis der griedlisdlen Antike und von Malina' 0 ffir die Interpretation des Neuen Testaments frudltbar gemadlt worden ist. Die antiken Gesellschaften gelten als Sdlamkulturen, in denen die Vermeidung von Sdlande, die Geringsdlätzung durdl die anderen und der Versudl, die Ehre, die Wertschätzung der (relevanten) anderen zu steigern, das Verhalten stärker bestimmen als
1 P~uck~rt.
Art. Status, S. 331. Status wird als .W~rtschätzung ~in~s M~nsch~n in j~d~r Art von sich um ~in~ zi~mlich konstant bl~ib~nd~ W~rtschätzung hand~Jt•, d~fini~rt. Vgl. Scho~ck, Wört~rbuch, S. 311. "gl. Brust~n. Art. Rang, S. 517. \tgl. Scho~ck, Wört~rbuch, S. 310. \amn~ck, Art. ~stig~. S. 503. \tgl. Peuck~rt. Art. Status, S. 332. 'scho~ck, Wört~rbuch, S. 311. 7 P~uck~rt. Art. Roll~. S. 252. 'vgl. ~bd., s. 255. 9 Dodds, Gri~ch~n; Uoyd Jon~s. Eh~. 10 Malina, w~Jt. Grupp~. sof~m ~s
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die von der gesellschaftlichen Bewertung unabhängige Überzeugung, gerecht zu handeln und Schuld zu vermeiden, wie es in unserer Kultur im Vordergrund steht.
1.3. Die Aufgabe Es ist die Aufgabe dieser Arbeit nachzuzeidmen, wie es im Urchristentum zur Entdeckung der Demut als sozialer Tugend kommen konnte, und aufzuzeigen, welche Bedeutung die Demut als soziale Tugend fiir die urchristlichen Gemeinden hatte'.
Die Forschung Die antike Diskussion um die Bewertung der christlichen Demut wurde durch Nietzsches Kritik, der die Demut als Bestandtell der .Sklavenmoral" bestimmte, wiederaufgenommen. Karl Thieme setzte sich in seiner 1906 veröffentlichten Untersuchung "Die christliche Demut" mit diesem Vorwurf auseinander und hob hervor, daß christliche Demut eben nicht ein selbstquälerisches und sich selbst schwächendes Verhalten meine, sondern aus innerer Souveränität erwachse. Demut Qllt als Folge von Hoheitsbewußtsein und wird als wichtiges Eement theologischer Ethik gewürdigt. Die paulinische Hochschätzung der Demut 91lt ihm als Nachahmung der jesuanischen Sanftmut und Niedrigkeit, die als Ausdruck seines Hoheitsbewußtsein anzusehen sei. A wn Hamack untersuchte in seinem 1920 \6'öffentlichten Aufsatz ,,'Sanftmut, Huld und Demut' in der alten Kirche" die Verwendung und Bedeutung von emft~, ~ und m.m-nO;. 'Ema~ bestimmt er als die Henschertugend, die Christus als den milden Henscher ausweist, und die Christen in die Position von Henschem \metze. ~ beschreibe den messianischen König in Sach 9 und Jesus. Es werde in den Tugendkatalogen zum Äquivalent wn 'T'rmEMi;. TamnO; trage schon im AT und Judentum einen posi~ Sinn. Erstmals werde im Nf die Demut Menschen gegenüber gefordert. Besonders wichtig ist es ihm, die hohe Bedeutung der sozialen Demut hervorzuheben: "Neben der spezifisch christlichen Trias "~' a,.,.a.7r17, fkrit;" steht also in der ältesten Kirche die ebenfalls spezifisch christliche Trias "~' hnErKia.. Trmfnlot/JPtxTwr(" 2 • Diese zweite Trias steht mit anderen christlichen Grundüberzeugungen in Verbindung: (1) Der Erniedrigung korrespondiert eschatologisch die Erhöhung. (2) Die Selbsterniedrigung ist imitatio Christi, ist Nachahmung Gottes. (3) Die Trias hat eine Funktion fiir das Zusammenleben der Menschheit, fUr das Funktionieren der Gemeinde und ffir die Wertschätzung des einzelnen. Demut und Eschatologie, Demut und Erlösung, Demut und Ethos erweisen sich also als zusammengehörig. Eduard Schweizer ist in seinem 1955 erschienenen Buch, "Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern" der Beobachtung nachgegangen, daß mit 'Dabei handelt es sich nicht um eine christliche Sonderentwicklung. Im rabbinischen Judentum findet sich vom späten ersten nachchristlichen Jahrhundert an ebenfalls die positi've Bewertung von sozialer Demut. Diese Entwicklung aufzuzeigen, ist jedoch nicht das Anliegen dieser Arbeit. 1 Hamack, Sanftmut, S. 123.
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der Vorstellung von der Erniedrigung und Erhöhung Jesu die Nachfolge und Nachahmung \el'bunden sind. Er sieht in der Vorstellung vom leidenden Gerechten den Ausgangspunkt fiir die Deutung des Lebens Jesu als Erniedrigung. Er habe seine Jünger berufen, ihm in diese Niedrigkeit nachzufolgen. Diese haben gehofft auch an der eschatologischen Erhöhung Anteil zu erhalten. Nach Ostern hätten sich aus der Vorstellung vom leidenden Gerechten zwei Stränge entwickelt: Zum einen sei die Idee von der sühnenden Kraft des Leidens aufgenommen und mit der Vmstellung vom ~ &oü \el'bunden worden, der den Glaubenden im Leiden vertrete. Aber auch die Vorstellung von der Nachfolge sei über Ostern hinaus bewahrt worden: Unter Nachfolge werde nun \eStanden, (1) sich den lrdischen als Vorbild zu nehmen, (2) sich unter den Schutz und die Leitung des Erhöhten zu stellen und (3) an seiner Erhöhung eschatologisch Anteil zu haben. Dihle und Grundmann haben in ihren Lexikonartikeln in RAC und ThWNT aufgezeigt, daß ~ und seine Derivate in der paganen Antike nicht im posi~ Sinne benutzt worden sind und daß dort auch die Vorstellung vom besonderen Wert der Niedrigen und Aufforderungen zum Sta~cht fehlen. Dihle beschreibt die Bedeutung der religiösen Demut fiir die alttestamentliche und jüdische Tradition und hält fest, daß Demut als soziale Tugend dort nur ausnahmsweise erscheine. Die Besonderheit der neutestamentlichen Vorstellung sei "die Übertragung der D. gegenüber Gott auch auf das Verhältnis zum Nächsten".. wobei soziale und religiöse Demut untrennbar \el'bunden seien2 • Grundmann hat mit der Behauptung, daß 'T'I"l.7re~ in der LXX positiv ..bescheiden, demütirf 1 bedeuten könne, den Wider.;pruch ~ads hervorgerufen, der nachweisen will, daß auch die LXX 'T'I"l.7re~ nicht im posi~n Sinne verwende, sondern zur Bezeichnung der positiv bewerteten Demut das Wort ~ benutze und auch im Neuen Testament nicht 'T'I"l.7re~, sondern 'T'I"l.7re~ der Terminus ffir Demut sei, mithin die Kontinuität zwischen paganer Antike und biblischer Tradition größer sei als von Grundmann angenommen4 • Rehrl hat in seiner breit angelegten Untersuchung zur Demut zu zeigen ~ucht, daß, wenn auch 'T'I"l.7re~ und alle Derivate im griechischen Sprachraum ganz überwiegend negativ konnotiert sind, die posi~ Bewertung der Demut bei den Griechen bekannt gewesen sei\. Er verweist auf die Vorstellungen, die mit ~. tT'Wt/JpWv, ~. ~ u.a. \el'bunden sind. Die Forderung nach Sta~cht hat er nicht nachweisen können. ln der LXX findet er viele Belege ffir die Hochschätzung religiöser Demut und verweist ffir die Demut gegenüber Menschen auf Am 5, 10ff und Sir 10,28f. 1 Dihl~.
Art. ~mut, Sp. 749. "Man si~ht, daß ~ nicht angängig ist, zwisch~n "~ligiös~r" und "~thisch~r" D. im NT zu sch~id~n. Das Einzigartig~ di~~r D~mutsl~h~ li~gt g~rad~ darin, daß di~ ~cht~ Haltung zu Gott als d~m Erlös~r ohn~ dazwisch~nli~g~nd~ b~grifflich~ ~duktion unmitt~lbar im V~rhältnis zum Nächst~n sichtbar wird". Dihl~. Art. ~mut, Sp. 751. 1 Grundmann, Art. '"'71'f'~ KTA., S. 6. Vgl. auch R~hrl, D~mut, S. 149f. 4 ltivtstad, TAnEINO:I. \R~hrl, D~mut, S. 145; 198. 2
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1986 hat Klaus Wengst damit begonnen, seine Studien zur Demut zu veröffenttichen. Ein eJSter AufSatz beschäftigt sich mit der Bedeutung wn Demut und Sta~cht fiir Paulus und die paulinischen Briefe. Wengst ~tt die Überzeugung, daß Paulus msprünglich einen gehobenen Sozialstatus innegehabt habe und, indem er sich seinen Lebensunterhalt ~ient, Statusvelzicht leistet und das Leben der Geringen teilt'. Für die Mitglieder der Gemeinden mache er die Orientierung an den Niedrigen und damit "das genaue Gegentell wn Aufsteigermentalität"1 \6bindlich. Indem diese Aufforderung sich nidtt an den einzelnen, sondern an aße richte, mache er die Demut zum Bestandteil eines Gruppenethos. das den Ausschluß einzelner Mitglieder nicht zulasse. 1987 hat er die Studie "Demut - Solidarität der Gedemütigten" folgen lassen. Er \omteht darin die "Moral" als Werkzeug im Kampf um Lebenschancen. ln der griechischen Welt habe man "wn oben" die Niedrigen als gering verachtet und so ihre Unterdrückung, durch die sie allererst niedrig geworden sind, gerechtfertigt. ln der alttestamentlichen und jüdischen Tradition hingegen habe sich das Ideal der egatitären Gesellschaft, der nSoHdargemeinschaft" entwickelt, die Bildung wn Klassen sei als gegen Gottes 'Willen geridttet erkennbar geworden. Als sich dennodt Klassen bildeten, seien die Annen und Gedemütigten mit den Frommen, die auf Gott und seine Gegenwelt hofften, identifiziert worden. Ihr Festhalten am Ideal einer egalitären und solidarischen Gesellschaft habe es ermöglicht, das selbstbehauptende Verhalten der Mächtigen nidtt zu kopieren und - statt zu resignieren auf Gottes Eingreifen zu warten, was den Mächtigen zu einer ständigen Erinnerung an ihre eigene Gottfeme geworden sei. Da, wo Oberschichtsmitglieder damit begonnen hätten, die Demut als Handlungsanforderung zu übernehmen, sei das als Beschwichtigungsversuch zu bewerten: Die Selbstbeschränkung der Mädttigen solle die Niedrigen wm Widerstand abhalten. ln der Urgemeinde sieht Wengst das Ideal der egalitären Gesellschaft bei Jesus wiederaufleben: Er lade die Gedemütigten in eine Gemeinschaft ein, in der es keine Henschaft mehr gäbe; dasselbe Ideal findet er außer bei Mt und lk auch bei Jak und, wie zuwr schon gezeigt, bei Paulus. Im I aem sdtließlidt begegne die Demut in der Bedeutung, die sie dann auch in der Geschichte der Kirche behalten hat: als Unterwerfung unter die neue kirchliche Hierarchie. Sie diene der Stabilisierung wn Henschaft, und das effektiver als im griechisch-römischen Bereich, weil sie jetzt wn den Gedemütigten und Unterdrückten in höherem Maße internalisiert sei. Für Wengst ist es das Ideal der egatitären Gesellschaft, das die Entdeckung und Hodtschätzung wn Demut erklärt und auch das Ouistusgeschehen, wie es in Phll 2,6- 11 formuliert ist, strukturiert. Demut entsteht nach seiner Überzeugung als Bestandteil des Ethos der Niedrigen und Unterdrückten. Olristian Wolff hat sich in seinem 1988 veröffenttichten AufSatz "Niedrigkeit und Verzicht in Wort und Weg Jesu und in der apostolischen Existenz des Paulus" I
.Er, der von Haus aus die ~rspekti~ eines .Hohen" hat, macht sich die ~rspekti~ der Geringen durch seine ~benspraxis zu eigen. Darin erweist sich seine .Demut"." Wengst, Demut bei Paulus, S. 431.
~d.,
s. 434.
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wrgenommen, die Lebensweise des Paulus unter dem Aspekt des "dienenden Verzichts"' mit der Jesu zu ~Ieichen; dabei stellt er in den drei Bereichen Entbehrungen (Wanderleben und Armut), sexuelle Askese (Eheverzicht), demütiger Dienst (Verzicht auf Her&haftsverhalten) und Verfolgungsleiden deutliche Analogien fest. Wolff greift zu deren Erklärung den Nachfolgebegriff auf und hebt die Erfahrung wn besonderer Nähe des Paulus zum Kyrios herw(. Philippa Carter ~cht in ihrer 1997 veröffentlichten Untersuchung "The SerwntEthic in the New Testament" aufzuzcigen, daß die Bereitschaft, die Interessen der anderen höher als die eigenen, auch als die eigenen vitalen Interessen zu bewerten, ein fundamentales Kennzeichen ffir die Zugehörigkeit zum Urdlristentum ist und sich in allen Teilen des Neuen Testaments nachweisen läßt. Die "Servant-Ethic" versteht sie dabei als eine extreme Ausprägung der Uebe zum Nächsten und unterscheidet sie wn ihr insofern, als die "Serv.mt-Ethic" in erster Unie mit dem Selbstverständnis des Glaubenden zu tun habe1 • Für die Entstehung der Demut als "Tugend" werden also zwei Erklärungsmuster herangezogen: das Ideal der egalitären Gesellschaft und die Vorstellung wm eschatologischen Handeln Gottes, insbesondere in Onistus. Im ersten Fall wird vermutet, daß Jesus und Paulus sich an diesem Ideal orientierten und deswegen auf Status ~chteten. Demut ist dann die Konkretion einer urdlristlichen Wertwrstellung. Im zweiten Fall wird angenommen, daß Jesus und Paulus eine religiös legitimierte Rolle übernommen haben, wobei die paulinische Rollenübernahme sich an Jesus orientierte. Demut gllt dann als wichtiges Merkmal der Gestalt des Christus, also der urchristlichen Vorstellung des Herrschers.
Einordnung in die Forschungsgeschichte Diese Arbeit ~cht beiden Erklärungsmodellen gerecht zu werden und sie als zusammengehörig zu erweisen, indem sie die Hermeneutik D. Ritschls aufnimmt und mit dem Rollenkonzept des Religionspsjd10logen H. Sundens verbindet•. Ritschl erkennt hinter den Stories der Bibel deren nStrukturgesetze" in den Axiomen. Diese Axiome sind es, die es schon innerhalb der Bibel ermöglicht haben, alte Traditionen zu aktualisieren und zu Vdriieren, ohne daß sie dabei ihre Identität verloren hätten. G. Theißen, der Ritschls Konzept aufgenommen und weitergeffihrt hat, zählt sechs Basisaxiome:
'wolff, Wrzicht, S. 183. Das geschieht nicht, ohne die Bedeutung der gemeinsamen jüdischen Tradition, besonders der des leidenden Gottesboten, zu würdigen. Vgl. Wolff, Verzicht, S. 192. 1 Carter, SeiVclnt-Ethic, S. 2f. 4 8eide Ansätze teilen die Voraussetzungen des Konstruktivismus, die Beizen, Narrative Psychology, S. 49, in drei Punkten zusammenfasst: (I) Die menschliche Wirklichkeit entsteht kulturell im Prozeß der Kommunikation. (2) Dieser Prozeß ist ein historischer; was menschliche Wirklichkeit ist, ist also abhängig von Ort und Zeit. (J) Die Kommunikation, als deren Ergebnis menschliche Wirklichkeit entsteht, ist sprachlicher Art. 2
18 Das charismatische Axiom: Die Beziehung zum Kyrios fordert und bedeutet die höchste Loyalität. Das eschatologische Axiom: Die Welt ist dabei, sich grundlegend zu ~ndern, und die Onisten sind die Avantgatde dieser Veränderung. Das Bekehrungsaxiom: Menschliches Verhalten ist radikal ~nderbar. Das Martyriumsaxiom: Das Leiden hat einen \erborgenen Sinn. Das lntegrationsaxiom: Die Grenze zwischen Dazugehörigen und Außenseitern ist gefallen. Das Positionswechselaxiom: Das Ende der Hierarchien ist gekommen: die einfachen Leute werden nicht mehr unterdrückt'.
Diese Axiome bilden die Pfeiler einer gedeuteten Welt und die Grundlagen ffir das Verhalten in ihr. Aus der Wahrnehmungsps)d1ologie wissen wir, daß Wahrnehmung nicht schon allein aufgrund der Sinnesdaten zustande kommt, sondern nur dann, wenn diese Daten durch "Muster" gedeutet und ergänzt werden. Axiome ähneln diesen Mustern, die Wahrnehmung erst ermöglichen und Bedingung ffir Erfahrung sind. Damit machen sie auch ein als sinnwll und angemessen empfundenes Verhalten möglich. Das Konzept von den Axiomen nimmt die Erklärung der Entstehung der Demut durch Ideale auf. Anders als Ideale aber sind Axiome nicht begründungsbedürftig, sondern haben selbst legitimierende Funktion; sie sind also tiefer als Ideale und Werte mit einer Kultur und ihrer Mentalität \erbunden. Sunden kombiniert die Erkenntnisse der Wahmehmungsps)d1ologie mit dem Konzept der ..RolleN aus der Sozialpsychologie und bestimmt die Rollen als wichtige Elemente des Referenzrahmens. Mit einer Rolle wird ffir den Agierenden ein Komplex von "Haltungen, Werten und Verhaltensweisen'" zusammengestellt. Zugleich wird ffir den Agierenden absehbar, wie sich andere Menschen dieser Rolle gegenüber verhalten werden. Rollen sind die Deutemuster ffir die peTSOnale Dimension der Wirklichkeit. Wer eine Rolle aufnimmt, tritt ein in ein Drama, dessen agierende PeTSonen und deren Verhaltensspektrum und dessen mutmaßlichen Ablauf er kennt. Wann immer ein Geschehen als von einer Person \efllrsacht gedeutet wird, also als durch Willen und Verstand, durch Geffihle und Normen bestimmt ~tanden wird, \metzt sich der Deutende in einer bestimmten Rolle und ~teckt" die anderen vermuteten Akteure in die jeweils zugehörigen Rollen. Sunden wendet dieses Modell nun auch auf den religiösen Bereich an; Rollenangebote finden sich in den jewe~ligen religiösen Traditionen einer Kultur. Übernimmt nun jemand eine solche Rolle. so nimmt er damit zugleich auch die Rolle Gottes auf; er kann nun auch antizipieren, wie Gott sich verhalten wird. So wird das religiöse Erlebnis als Wahrnehmung und Erfahrung ~ändlich. Je tiefer und ungebrochener jemand in der religiösen Überlieferung seiner Kultur ~TZelt ist, desto häufiger und kontinuierlicher wird er ihre
'Th~iß~n. Social R~ality, S. 259f. Roll~n. S. 7.
2 Sund~n.
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Rollen aufnehmen und die Wirklichkeit damit deuten•. Das Rollenmodell nimmt die Beobachtung auf, daß soziale Demut als Imitation Christi Omitationsmotiv) ~tanden oder durch die Identifikation der Niedrigen mit Christus (Repräsentationsmotiv) begründet wird. Belzen hat die Rollentheorie Sundens mit Hllfe der Erkenntnisse der nana~ Ps)Ulologie weitergeführfund darauf \mYiesen, daß Roßenerwartungen durch ..stories" festgelegt werden. Menschen spielen ihre Rolle - leben ihr Leben - nach den Anweisungen von ..stories", die in der kulturellen Überlieferung einer Gruppe tradiert werden; sie kopieren nicht einfach die Roßen dieser ..stories", sondern inszenieren sie auch neu, indem sie sich an deren ..plot" orientieren). Die impliziten Axiome als die Strukturgesetze der stories sind also mit der Rollentheorie ~unden. Wenn im Urchristentum die soziale Dernut als neues Verhalten entwickelt wird, geschieht das. indem die Christusrolle aufgenommen und die ..story" von Gottes eschatologischem Handeln neu inszeniert wird. Diese Arbeit legt deswegen den Schwerpunkt nicht auf eine begriffSgeschichtliche Ana~. Die griechischen und hebräischen Äquivalente für Niedrigkeit und Demut sind unteTSUcht; auf die Ergebnisse von Rehrl, Dihle und Grundmann wird zurückgegriffen. Die sozialen Verhältnisse in den antiken Gesellsc:haften und im Urchristentum, ohne deren Berücksichtigung die Rede von Demut und Status\erzicht belanglos bleibt, sind in den letzten Jahren ebenfalls zum Gegenstand zahlreicher Studien geworden, wenn sie auch bislang nicht zu einem Konsens geführt haben. Die Einsichten der sozialgeschichtlichen Forschung werden vorausgesetzt und- auch wegen des begrenzten Umfangs der Arbeitnur ausnahmsweise dargestellt und diskutiert. Als ihr methodisches Proprium ~teht dieses Vorhaben die Frage nach den ..stories", ihren MotMn und Rollen, die Statusgewinn und Status\erZicht im griechischen, römischen, jüdischen und urchristlichen Bereich thematisieren und regeln. Sie ~indet damit die Hoffnung, einen Beitrag zum Verständnis der Mentalität der mediterranen urchristlichen Kultur zu leisten.
Zum Vorgehen Die Arbeit gliedert sich in drei Tetle, in denen (1) die Überlieferungen der paganen Antike, (2) der alttestamentlichen und jüdischen Tradition und (3) die Vorstellungen im Urchristentum untersucht werden. Im ersten Tet1 werden nach einem einführenden Kapitel, das die griechisch-römische Kultur als Schamkultur zu ~ehen und zu beschreiben \erSUcht, wobei die Bedeutung des Themas ..Status" herausgestellt wird, die griechische und die römische Kultur getrennt nach ihren ..stories", ihren Axiomen und Rollen befragt, die Erhöhung und Erniedrigung zum Gegenstand haben. Abschließend werden die Konzepte besprochen, in denen zur Demut aufgefordert wird. Im zweiten Tet1 werden die 1 Kertnyi, der das Rollenmodell von Sundtn nicht aufnimmt, betont gleichwohl, daß es zum Wesen des antiken Menschen gehöre, daß er die Rollen seiner mythologischen Figuren aufnehme und sie in Wort und Tat "zitiere". Vgl. Kertnyi, Antike Religion, S.20 und 40f, jeweils mit Verweis auf Ortega y Gasset 2 8elzen, Narrati~ Psychologie. JBelzen, Narratr.ot Psychologie, S. 62.
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alttestamentlichen Traditionen dargestellt, die die Entwicklung wn Demut als sozialer Tugend ermöglichten und wrbereiteten. Anschließend werden die Sduift:en aus Palästina und aus der Diaspora untersucht, wobei Philo besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der dritte Ter1 befragt zuerst die synoptische Tradition, die Jesusüberreferung, die kleinen Einheiten der Evangelien und die Redaktionsarbeit der Ewngelisten auf die Bedeutung des Positionswechselaxioms hin und geht dann der Funktion und Gestalt des Positionswechselaxioms ffir das Selbstverständnis des Paulus und seinen Vorstellungen fiir das Leben der Korinther Gemeinde nach. Der dritte Teil schließt mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung des Positionswechselaxioms im Urdlristentum.
Teil 1: Pagane Antike Die Aufgabe des Ersten Teils Im eJSten Te11 dieser Arbeit wird dargestellt, (1) welche Bedeutung die Ehre. das Gegente11 der Demut in der griechischen und römischen Gesellschaft hatte, (2) welche Modelle zur Deutung wn Erhöhungs- und Erniedrigungserfahrungen bereitgestellt wurden - dabei werden die griechischen getrennt wn den römischen Vorstellungen untersucht - und (3) welche Ansätze zu einer positiven Bewertung wn Status\erzicht entwickelt wurden'. Die Klassifizierung der antiken mediterranen Gesellschaften als Schamkulturen erklärt die Hochschätzung der Ehre und des VeJSUchs. seinen Status zu steigern, sowie die Geringschätzung und Verachtung des Statusverzichts und einer zur Unterordnung bereiten Einstellung. Gleichwohl haben beide Kulturen Ansätze entwickelt, die den Status\erzicht und die freiwlllige Unterordnung forderten. Die Untersuchung unterscheidet (a) zwischen der Forderung nach Demut wr Gott und Demut wr den Menschen, (b) der religiösen Begründung durdl ein Imitations- oder ein Repräsentationsmotiv und der anthropologischen Begründung mit Klugheit oder Selbstbehenschung sowie (c) zwischen dem nel, eine Erhöhung der eigenen Person oder die der Gruppe zu erreichen, und der Absicht, zu der Erhöhung dessen beizutragen, dem man sich freiwillig unterordnet. Ihre wlle Bedeutung erhalten die Modelle fiir Erhöhung und Erniedrigung sowie die Ansätze zu einer positiven Bewertung des Status\erzichts erst wr dem Hintergrund der tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihren Aufstiegschancen und deren Verweigerung sowie ihren Abstiegsrisiken. Das gilt um so mehr, als im ersten nachchristlichen Jahrhundert durdl die Entstehung des Prinzipats und eines einheitlichen Imperiums unter der Pax Romana sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf Erhöhungs- und Erniedrigungsmöglichkeiten nachhaltig \eränderten; einerseits wurde aus einer ..Konkurrenzaristokratie" eine ..Dienstaristokratie"\ was einen Statusverlust der Oberschichtsmitglieder bedeutete, andererseits entstanden fiir die Oberschichtsmitglieder der Provinzen durch die Vereinheitlichung des lmperiums1, fiir die reichen Freigelassenen durch den Bedeutungsgewinn des Handels und fiir die städtischen Skla\en durch die
'Es war im Rahmen ~in~r n~ut~stamentlich~n Diss~rtation w~d~r möglich. di~ lit~rarisch~n Üb~rli~f~rung~n d~r gri~chisch~n und römisch~n Kultur in ihrem ganz~n Umfang zu unt~rsuch~n.
noch di~ nichtlit~rarisch~n Zeugniss~ zu b~rücksichtig~n. Ich hoff~. daß ich ~in~ sinnvoll~ und Auswahl g~troff~n hab~. \igl. V~yne, Ges~llschaft, S. 84. \tgl. Alfo~ldy, Sozialgeschicht~. S. 54; 92.
r~präs~ntativt
22 gängige Praxis der Freilassung neue Olancen aufzusteigen 1• Mit dem Sta~ust der Oberschichtsmitglieder ~nderte sich auch die "Moral" der männlichen Familienoberhäupter, wodun:h ihr Umgang mit ihren Hausgenossen, ihren Frauen, Kindern und Ski~ auf eine ..Humanisierung" hin umgeformt wurde. Die Frau wurde zunehmend als Partnerin wahrgenommen, deren lnteressen zu achten waren und die ihrem Gatten in einer Art "Schicksalsgemeinschaft", in ..Uebe", \erbunden wa(. Die Kinder wurden in ihren kindlichen Eigenheiten entdeckt und in ihrer Bildungsfcihigkeit geachtet und hochgeschätzf. Die Ski~ wurden als ..Freunde geringeren Rangs" • erkannt, und man wurde ihrer Menschenwürde inne. Diese Entwicklung wurde durch das zunehmende Eingreifen des Staates in die res priwta und den gesellschaftlichen Einfluß auf die Gestaltung der "häuslichen" Beziehungen ~ärkts. Die Seitenbegrenzung für Dissertationen erlaubt es nicht, die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Entwicklung nachzuzeichnen; sie sind aber leicht an anderer Stelle nachzulesen6 •
2. Kapitel: Die Ordnung der Ehre 2.1. Einleitung Für die Menschen der antiken Welt, für Griechen und Römer gleichermaßen, war es wichtig, ihre Ehre zu bewahren und möglichst zu steigern'. Das betraf den einzelnen und die Gruppe. der man sich zugehörig fiihlte. Für den Erhalt oder die Wiederherstellung der Ehre konnte es nötig werden, das eigene Leben zu opfern. Es war unter entehrenden Bedingungen nicht lebenswert Ehre war vor allem ein Obe&hichtswert. Aber auch Menschen aus der Unterschicht hatten zumindest als Bürger ihrer Städte, als Väter und 1 Vgl. Veyne, Gesellschaft, S. 20f.22-31; Thebert, Skla~. S. 177-182; Andreau, Freigelassener, S. 216-225. 2 Z.B. Plin, Ep 7,5. Vgl. Veyne, Gesellschaft, S. 101 f und Foucault, Sexualität 3, S. 102f. 1 Z.B. Quint, lnstit 1,1-3.22-24. Sen, De lra 11,21,3-11; Juv, Sat 14,1-52. Die Erziehung des Kindes wird zum Thema sorgfciltigen Nachdenkens; an seiner ~Unfertigkeit~ wird eher die Potentialität als das Defizitäre hervorgehoben. Die Erziehung von Kindem wird zur Aufforderung zur Selbsterziehung und löst die ~Selbstzufriedenheit der Erwachsenen~ ab; die Aidos als die die ~bensgestaltung motivierende Kraft wird mit dem Kind ~rbunden. Z.B. Sen, Ep 47,1. ~Augustus kritisierte öffentlich den als grausam bekannten Vedius Pollio; unter Claudius wurde die Aussetzung alter und kranker Skla~n ~rboten, die Lex Petronia untersagte den Einsatz von Skla~n bei Tierkämpfen ohne behördliche Zustimmung, unter Domitian wurde die Kastration, unter Hadrian die Einkerkerung und Tötung von Skla~n ~rboten. Vgl. Alfoeldy, Sozialgeschichte, S. 116; 199. Zum ~Öffentlicher-Werden~ der Ehe vgl. Foucault, Sexualität 3, S. 105. Zum Erziehungsauftrag: Seneca richtete eine Stiftung für die Erziehung von Kindem in seiner Heimatstadt Corno ein, Quintilian sprach sich für öffentliche Schulen aus. &yerwiesen sei besonders auf Veyne, Gesellschaft; Foucault, Sexualität; Giardina, Mensch und Müller, Mitte. 7 Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte IV, S. 59-159, besonders S. 84ff, hat erstmals die griechische Kultur als eine vom Agon, vom Wettstreit bestimmte. erkannt. Be~. Agonaler Geist, S. 1-20, hat das aufgenommen und gewürdigt.
23 Mütter, als Männer und Frauen ihre Ehre. Vennutlidl te1lte die ganze Gesellschaft die Überzeugung wn der grundlegenden Bedeutung der Ehre.
2.2. Begriffsbestimmung T'IIJ7i und zuwe~len audl ~· benennen die Ehre im griedlischen Sprndlraum, das direkte Pendant im lateinischen ist honestum; aber erst in der Verbindung mit dignitas wird es zur sachlichen Parallele2 • Ehre ist ein relationaler Begriff; man hat sie in den Augen wnjernanden, Ehre wird zuerkannt'. Ehre ist der ..Anspruch auf Wertschätzung und deren soziale Anerkennung bzw. Bestätigung"4 • Einerseits lebt derjenige ehrenhaft, der die Rolle aufnimmt, die die Gesellschaft ihm als angernessen anbietet und seinen Anspruch auf Wertschätzung daran ausrichtet. Andererseits wächst die Ehre mit steigendem Status. Ehrenhaft ist der hohe Sozialstatus~. Es Q1bt gesellschaftliche Positionen, die nidlt ehrenhaft sind: Ski~ und Sklavinnen haben keine Ehre; mit ihrer Position verbindet sich kein Ansprudl auf Wertschätzung. Es Q1bt auch soziale Rollen, die nicht ehrenhaft sind: Prostituierte gelten als "infam"'. Wer einen Platz anstrebt, der oberhalb dessen liegt, was als angemessen gilt, macht sich lächerlich. Wer seinen Platz nicht behaupten kann und absteigt, wird \63chtet. Selbstbewußtsein, das sich auf Ehre gründet, ist wn der öffentlichen Bestätigung abhängig. Ehre braucht Ansehen, sucht Anerkennung und fiirdltet Mißbilligung. Weil die Ehre gesteigert werden will, stehen die Menschen, deren Ehre vergleichbar ist, in Konkurrenz; ..challenge and response" 7 sind wichtige Formen der Kommunikation. Ehre wird in ästhetischen Kategorien bemessen•. Der ehrenwlle Mensch ist schön, die Symbole seiner Ehre schmücken und sind kostbar. Ehre wird besonders durdl das Gesidlt und das Haupt symbolisiert. Die Mißachtung des Hauptes ist ehMrletzend; das gilt auch kollektiv: Die Mißachtung des "Hauptes" einer Gruppe mindert die Ehre der ganzen Gruppe und fordert ihre Mitglieder heraus. Ehre ist also auch ein gruppenbildender Wert. Ehre ist an die Geschlechtsrolle gebunden': Die Ehre der Frau ist defensiv strukturiert. Sie besteht in ihrer Unversehrtheit. Die Ehre des Mannes ist offensiv strukturiert: Sie besteht in seiner Fähigkeit, sich Geltung zu ~affen und seinen Machtbereich auszudehnen. 1 Uddrll/ Srott, S. 1793f. 444. Vgl. Schnridrr, Doxa, S. II; 164. \tgl. Pöschl, Würdr, S. 9. 1 Thirlickr, Art. Ehrr, S. 363. 4 Malina, Wrlt, S. 43. ~ .Drr Adrl wurdr nicht als Suprriorität übrr dir andrrrn Mrnschrn rmpfundrn, sondrm im Grgenteil als dir vollständigr Wrwirklichung des Mrnschrnturns· (Veynr, Gesellschaft, S. 49). Mit drr Zurrkrnnung von Ehrr stand also immrr auch dir von Mrnschlichkrit auf drm Spirl. 6 Ais unrhrrnhaft galtrn auch drr Handrl und das Handwrrk. Vgl. Aristot Pol 1,1260b; Cic, Off 1,1 SO. Vgl. Vrynr, Gesrllschaft, S. 40; Bolkestrin, Wohltätigkrit, S. 181 ff; Rrhrl, Drmut, S. 112f, und Wrngst, Drmut, S. 17f. Dirsr Urtrilr sind aus drr ~rsprktM drr Obrrschicht fonnuliert. Handwrrkrr hirltrn sich für rhrrnhaft (vgl. Luc, Somn 7t), in drr Untrrschicht galtrn auch nicht ,llr Prostituirrtrn als unehrrnhaft; vgl. Kirchhoff, Sündr, S. 48-53. Malina, Wrlt, S. 45f. 'vgl. Dodds, Grirchrn, S. 176, Anm. 109, und Lloyd Jonrs, Ehrr, S. 4. 'Malina, Welt, S. 58f.
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Seinen Platz muß ein Mensch in den folgenden drei Lebensbereichen finden: 1. ln der Famrne: Welchen Platz man im Haus einnimmt, ist unmittelbare Folge des Geschlechts, der Stellung in der Generationenkette und der persönlichen Freiheit•. Zugehörig sind nicht nur die miteinander Blu~rwandten, sondern auch die Skl~n. Freigelassenen, Klienten und natürlich die adoptierten Kinder. 2. ln der Gesellschaft: ln diesem Bereich ist das Bürgerrecht die Bedingung dafür, einen achtenswerten Platz einzunehmen. Die folgenden Faktoren bestimmen den Platz eines Mannes in der Polis: Die Zugehörigkeit zu einer Famr7ie. Je älter und ranghöher die Herkunftsfamilie ist, einen desto höheren Rang kann der einzelne beanspruchen. Die Unabhängigkeit. Wer über die gesellschaftlich anerkannten Machtmittel ~gt und andere abhängig machen kann, kann hohe Wertschätzung erwarten. Wer von anderen abhängig ist, dessen Ehre ist gering'. Das Ideal ist die Autarkie4 • Nehmen und geben können, bitten und danken müssen sind die Kategorien, durch die Ehre gemessen wird. Die persönliche Tüchtigkeit. Die ererbte und besetzte Position will behauptet werden; dazu bedarf es persönlicher Tüchtigkeit. Sie kann in besonderer Bildung, militärischer Tapferkeit, Klugheit etc. bestehen. 3. Im Kosmos: Der Mensch muß zwischen Göttern und Tieren seinen Platz finden. Die Götter stehen einerseits für die Kultur, andermeits für die Natur. Deswegen sind es einerseits dieselben Eigenschaften, die in der Gesellschaft Ehre und einen hohen Rang ~eihen, die auch in die Nähe der Götter rücken, andermeits gelten eben die Eigenschaften als göttlich, die innerhalb der Gesellschaft für eine marginalisierte Position stehen. Einerseits repräsentiert deswegen der Herrscher als der, der den höchsten Rang in der Gesellschaft innehat, den Gott, andererseits kommt die Gottheit in marginalisierten Menschen wie Frauen, Kindem und Behinderten nahe. Eine marginalisierte Position übernahmen auch die .ßEoi ~(. deren Lebensstil Distanz zur Gesellschaft ausdrückt und die eben darin die Gottheit repräsentierten~. Im Kosmos seinen Platz zu finden, wurde als riskant erlebt. Gerade we1l die fortwährende Steigerung der eigenen Ehre angestrebt
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Die Sklaverei war eine gesellschaftliche Institution. Die marxistischen Analyse hat deswegen die antiken Gesellschaften als Sklavtnhaltergesellschaften betrachtet. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß für die Menschen der Antike Sklaven "Privatsache" waren. Sie gehörten ins Haus, zur res privata, der Gesellschaft wurde erst spät Zugriff auf sie gewährt. Im Verständnis des antiken Sklavenherren hatten seine Sklaven rein gar nichts mit der Gesellschaft, ihren Werten und Anforderungen zu tun. Eben das kennzeichnete das Leben der Sklaven. 2 Die Familie wird nicht durch das "BiuC sondern durch den "Namen" symbolisiert. Vgl. Veyne, Gesellschaft, S. 18. 1 Die Bedingung dafür, überhaupt "ehrfähig" zu sein, ist die persönliche Freiheit: Sklaven und Sklavinnen können nichts geben; sie selbst und alles. was sie tun und haben, gehören schon ~emanden.
Das spiegelt sich an der Hochschätzung des Grundbesitzes. Unter den Besitztümern verleiht nur Grundbesitz Adel. Vgl. Veyne, G~llschaft, S. 39, mit Verweis auf Cic, Off 1,42. Vgl. Betz, Art. Gottmensch II, Sp. 238-288.
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wurde, fürchtete man sich dawr, zu hoch zu steigen, der Hybris zu ~IIen und entehrt und beschämt zu werden. 4. Das Selbst\erhältnis: Die Wertschätzung, die jemand beansprucht, zeigt sich am Umgang mit sich selbst. Nach außen trägt der Körper die Kennzeichen des Status: An Kleidung, Aussehen, Gestus und Sprache zeigt und bewährt sich der eigene Statusanspruch. Nach innen spiegelt sich die Position, die einer in der Familie, in der Gesellschaft und im Kosmos einnimmt, am Umgang mit sich selbst, seinen Gefühlen und Trieben'. Diese vier Bereiche werden als verwandt erlebt. Der Körper ist eine häufig verwendete Metapher für die Polis und den Kosrnos2 • "Vate(' ist Bestandtell eines der ältesten Götternamen, lupiters1, "pater patriae" ist seit der Prinzipatszeit der höchste Ehrentitel des Herrschers. Die ~torbenen 8tem werden im römischen Kulturkreis als Götter \erehrt, die noch lebenden ~ienen Respekt wie die Götter. Die Verbindungen von Haus und Religion sowie von l..elb und Polis scheinen besonders eng und ursprünglich zu sein. Das hebt die Bedeutsamkeit des Vaters, den hohen Aneignungsgrad der Polis durch seine Bürger und die rela~ Öffentlichkeit des Körpers hervor.
2.3. Die antiken mediterranen Gesellschaften als Schamkulturen Die Hochschätzung der Ehre und die Vermeidung von Schande hat Ruth Benedict als die Kennzeichen von Schamkulturen bestimmt und sie von Schuldkulturen abgegrenzt: ..True shame cultures rely on extemal sanctions for good behaviour, not, as true guilt cultures do, on the conviction of sin. A man is shamed either by being openly ridiculed and rejected or by fantasying to hirnself that he has been made ridiculous. ln either case it is a potent sanction. But it requires an audience -· Gullt does not"4 • Dodds hat in seiner Untersuchung "Die Griechen und das Irrationale" ~ten, daß die homerischen Gesellschaften als Schamgesellschaften zu gelten hätten, von archaischer Zeit an aber eine Umwandlung in eine Schuldkultur stattgefunden habe~. Uoyd Jones hingegen zeigt, daß sich Elemente der Schamkultur in der gesamten paganen Antike finden lassen und von Bedeutung waren'. Er ist der Überzeugung, "daß die griechische Kultur bereits von ihrem 'Vgl. Brown, Body, S. 5-32, und Martin, Body, S. 3-86.139-162. Piat, Pol 5,462; lim 30-34; lso, Or 7,14; Aristot, Pol 1,2; 2,2; 6,3; Polyb 2,45,6; Cic, Off J; NatDeor I; Uv 2,32; Sen, lra 2,31; Ep 95,52; Clem 2,2,1; Plut, Galba 1.4; Solon 18; Mor 798A825F; Epict, Diatr 2,5; Curtius Rufus 10,9,1-6; Mark Aurtl2,1; 7,13. Vgl. Walter, Leib, S. 6-27. 1 Die Vaterbezeichnung für die Gottheit ist sehr alt. Sie findet sich im gesamten mediterranen und vorderasiatischen Raum. Vgl. Schrenk, Art. ncz'T'Ijp KTA. , S. 961. 4 8enedict, Chrysanthemum, S. 223 . ~Dodds, Griechen, S. 17-32.47, bes. 17 und 22. 6 Diese -vtrschiedenen Ergebnisse haben auch mit jeweils verschiedenen Zuordnungen von Vorstellungen zur Schuld- oder Schamkultur zu tun. Dodds ordnet z.B. die VorstellJung vom Neid der Götter der archaischen Zeit und der Entwicklung eines Gefühls von Ohnmacht und der Feindschaft der Götter zu, wohingegen sie Uoyd Jones zu Recht den Vorstellungen einer Schamkultur zuweist. 2
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Beginn an wichtige Elemente einer gw1t culture enthalten und auch noch nach dem 5. Jahrhundert weiterhin viele Elemente einer shame culture bewahrt habe"'. Das Nebeneinander der Kennzeichen und Werte beider Kulturtypen zeigt sich z.B. auch am Verhältnis der Begriffe wn TlllfiJ und &~ bzw. honor und iustitia. Aristoteles schätzt das "Gute" höher ein als die "rela~" Ehre (EthNic 1095b21ff; 1097b 1t), ist aber gleichwohl der Überzeugung, daß nur Menschen eines bestimmten Standes und einer bestimmten Kultur zur Tugend fcihig sind: die Freien und die Hellenen. Demosthenes sieht die Ehre Athens in seinem Kampf gegen Unrecht begründet: "Demosthenes daimed that in his own political career he had been primarily concerned with the honour of Athens..., as a power willing to sacrifice herself on behalf of the wronged and oppressedul. Gerechtigkeit ist identitätsstiftend, aber sie ist der Ehre nachgeordnet Für Cicero ist Gerechtigkeit der höchste Wert, zugleich fordert sie aber die Ehre und dient ihr: "Omni igitur ratione colenda et retinenda iustitia est, rum ipsa per sese - nam aliter iustitia non esset - turn propter amplificationem honoris et gloriae"1 • Bedenkt man nun noch, daß Gerechtigkeit nicht die Gleichheit und Gleichberechtigung der Menschen meinte, sondern das •.suum cuique"•, dann tritt die hohe Bedeutung wn Ehre noch deutlicher hervor. Dieses Kapitel soll zeigen, was die Ausrichtung des Verhaltens an der Ehre für die Menschen in der paganen griechisch-römischen Gesellschaft bedeutete; darüber hinaus soll wahrscheinlich gemacht werden, daß die Ehre auch in den Unterschichten ein grundlegender Wert war.
2.4. Ehre - wichtiger als das leben Der Platz des Menschen im Oikos Einerseits sind Familien Ehrgerneinschaften; ehrenwll ist es. seine Rolle in der Familie auszufüllen; alle ihre Mitglieder partizipieren an der Familienehre. Andererseits gibt es innerhalb der Familie ein deutliches Ehrgefcille. Der Status der Familie nach außen folgt dem Status des Vaters und der Ahnen. Innerhalb der Familie ist er das "Haupt" und ~ient die größte Ehre. ln seiner Vaterschaft und Zeugungsfcihigkeit gJ1t er als göttlichs. Ihm sind alle untergeordnet. Als diese Hierarchie begründungsbedürftig wurde. erklärte
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Uoyd Jonrs, Ehre, S. 2. Do~r. Morality, S. 228. 1 "ln jrdrr rrdrnklichrn Wrisr also ist Grrechtigkeit zu pflegen und zu wahren: zum einrn um ihrer selbst willen - drnn sonst wäre rs krinr Grrechtigkrit -, zum andrm brsondrrs wrgen drr Strigrrung von Ehre und Ruhm" Cic, Off 11,42 . Vgl. Thrardr, Art. Glrichhrit, Sp. 128f; Dihlr, Art. Grrechtigkrit, Sp. 260f. sDir üugungskraft drr Eltrm wurdr im römischrn Brreich im Genius drs Patrr und in drr Juno der Matrona ~rrhrt. Vgl. Classrn, Römer, S. 34. 2
man sie mit Hilfe derVirtus-Vorstellung. Frauen (Aristot, Poil 1254b10; 1260a'; Xenoph, Symp 2,9; Plat, Pol 454d-457b; Tim 90e; 42b), Kinder (Aristot, Pol I 1260a 1Jt1 und Ski~ (Aristot, Pol I 1254b21 f; 1260a 12t) haben nur unvollständigen bzw. gar keinen Anteil an der praktischen Vernunft, so daß sie nidlt in der Lage sind, sidl selbst zu beherrschen, und sidl besser befinden, wenn sie beherrscht werden.
Eltern und Kinder Der Ansprudl auf Wertschätzung wn Vätern und Müttern muß durch ihre Kinder anerkannt werden, wenn sie ehrenhaft leben sollen1 • Das zeigt sidl daran, daß die Kinder ihnen gehorchen, im Alter ffir sie sorgen und ihnen nadl ihrem Tod die Ehre einer angemessenen Bestattung und, im römischen Bereidl, einer "göttlidlen Verehrung" zukommen lassen1 • Daß Kinder dies tun, ist seinerseits Bestandtell der Ehre eines Sohnes und einer Todlter. Antigone folgt ihrem Vater ins Exil und sorgt für ihn, während ihre Brüder die Ehre des Vaters schänden und ihre eigene Ehre vertieren. Ae~ der römische Held, rettet seinen alten Vater aus dem brennenden Troia. Die Gründungslegende des Pietastempels in Rom beridltet wn einer Todlter, die dem gefangenen Vater (in einer anderen Version ist es die Mutter) das Leben rettete, indem sie ihn stillte.
'Er illustriert diese Überordnung mit der Erinnerung an das Fußwaschbecken des Amasis (Hdt, Hist II, 172): Amasis, ein ägyptischer Herrscher ist aus kleinen Verhältnissen aufgestiegen und fordert nun die Hochachtung ein, die er als Herrscher verdient zu haben meint, die ihm das Volk aber nicht entgegenbringt. Um sein Ziel zu erreichen, läßt er sein goldenes Fußwaschbecken, das außer zum Füssewaschen auch benutzt wurde, um hineinzuspeien, also niederste Dienste verrichtete, einschmelzen. Daraus wird ein Götterbild, das in der Stadt aufgestellt und prompt ve~hrt wird; mit diesem Fußbecken alias Götterbild vergleicht sich Amasis und fordert erneut eine angemessene Ehrung seiner ~rson. Aristoteles scheint nun zu meinen, daß sich Männer zu Frauen wie die Götterstatue zu dem Fußwaschbecken verhielte. Die .materiale Gleichheit• (immerhin Gold!) steht der .funktionalen Ungleichheit• gegenüber. So sehr beide aneinandergerückt werden - schließlich sind Fußbecken und Statue austauschbar, so wenig werden sie ausgetauscht, denn das schließt Anstoteies aus (Pol, 1259b 10), so daß die Frauen niede~ Dienste tun und die Männer verehrt werden sollen, obwohl sie aus dem gleichen .Materiar sind. So wird aus einem zufcilligen Unterschied ein .unwesentlicher·, aber immerwäh~nder gemacht. Die Verwendung dieser Erzählung eines Positionswechsels ist sonderbar. Im Kontext, in den Amasis die Geschichte plaziert, hat sie die Funktion, einen Aufstieg zu legitimie~n und die Wertschätzung für den Aufsteiger einzufordern; sie soll die Durchlässigkeit der Standesgrtnzen fördern und das Vorurteil wm .gebo~nen Herrscher· und der wesensmäßigen Verschiedenheit wn Herrschern und Beherrschten abbauen. Aristoteles verwendet sie gegen ih~n Sinn für die Sicherung und Zementierung wn .Standes~nzen· und die Bewahrung wn Privilegien. Das erscheint mir so gewalttätig, daß ich den Verdacht hege, daß die Amasisgeschichte in der Auseinandersetzung um die Unterordnung der Frauen wn denen benutzt wurde, die sie aufheben oder ~lativie~n wollten. 1 Sollten sich Kinder in den Augen der Väter als unwürdig erweisen, war die Enterbung - und damit ~ie Entfernung aus der Generationenkette - das übliche Verfah~n; vgl. Veyne, Gesellschaft, S. 82. Das Verhältnis der Kinder zu ih~n Eltern ähnelt dem der Menschen zu den Göttern; vgl. Aristot, Eth Nie 1262a4f.
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Mann und Frau Die Ehre eines Mannes zeigt skfl daran, daß er die Merkmale der Männenone möglichst wllständig aufweist. Dazu zählen insbesondere die Fähigkeit zur Selbstbehauptung und zum Kampf. Im Griechischen (~ia.) und im lateinisd'len (virtus) ist die militärische Tapferkeit gleichbedeutend mit Männlichkeit. Männer als "weibisch" zu bezeichnen, ist eine schwere Beleidigung I. Die Ehre eines Mannes wird gemindert, wenn seine Frau und seine Töchter nicht keusch simf. Hephaistos wird ausgelacht, als er seine Frau Aphrodite mit Ares beim Ehebruch überrascht (Od 8,267ft). Caesar trennte sich um seiner Würde wmen umgehend wn seiner Frau, als ruchbar wurde, daß Oodius ihr nachgestellt hatte1 • Die Ehre der Frauen war durdl ihre ~hrtheit und Keuschheit bestimmt. Die Würde der Frauen bestand in ihrer Reinheit, sie symbolisierten die Forderung nach Unberührtheit, nach Achtung des inneren Raums. Ihre Ehre war ihre Scham•. Lukretia wählt den Freitod wr der Möglichkeit, mit der Schande einer sexuellen Nötigung, einer Schändung ihrer Keuschheit, leben zu müssen. Ihre Ehre ist ihr wichtiger als ihr Leben. Auch Frauenehre wird durch einen Treuebruch des Mannes gemindert. Medea ist in ihrer Ehre gekränkt, als Jason sie um einerneuen Eheschließungwillen veTStößt~. Euripides stellt Medeas Geschick als Typos des Frauenschicksals dar'. Ehe, Eht"joch und Ehescheidung gelten als das beklagenswerte Schicksal der Frauen; eine Ehescheidung ist fiir sie Schande (Eur, Med 228-236) und wird ihre Reaktion herausfordern: "Wird sie in ihrem Eherecht \erletzt, so kann kein andres Herz noch gieriger nach Blut sich sehnen" (Eur, Med 265t). Die Frauenehre ist ausschließlich durch die Beziehung zum Mann bestimmt und kann nicht gesteigert, sondern höchstens bewahrt werden. Darin - nicht durch die Postulierung der Fremdbestimmung bei der Definition - zeigt sich ihre Unterdrückung.
11 2,234. Vgl. auch das Motiv .Achill b(i d~n Mädch~n". Achill wurd~ von s~in~r Mutt~r am Hof d~s als Mädch~n ~rkl~id~t ~rst~ckt, um ihn vor d~m g~w~issagt~n Tod vor Troia zu b~wah~n. Achill ~rrät sich, w~il ~r b~im Klang d~r Kri~gstromp~t~ zu ~in~r Rüstung gn:ift. Auch hi~r st~ht Männlichk~it also für Kampf~b(~itschaft. Di~ Sun~ wurd~ in d~r Antik~ als ~hr ~izvoll ~mpfund~n und auf Vas~nbild~m und Wandg~mäld~n g~talt~t. \tgl. Uoyd Jo~. Eh~. S. 19, und Malina, W~lt, S. 59. 1 Piut, Ca~ 10. Clodius hatt~ sich Pomp~ia, d~r Frau Ca~rs, g~näh~rt. ind~m ~r ~in~ G~chl~chtsroll~ ~rlass~n und sich als Frau ~rkl~id~t hatt~. um sich Zugang zum ~st d~r Bona ~a zu ~rscha~n. :Malina, W~lt, S. 60f. Uoyd Jon~ Eh~. S. 14. 'vgl. K~tinyi, Mythologi~ II, S. 218. 1
Lykom~d~
29 Der Platz des Menschen in der Polis Die Zugehörigkeit zu einer Familie Die Identität und der Rang eines Menschen in der Polis ist durdl seine Mitgliedschaft in einer Familie bestimmt Der Adel der Familie bewährt sich in der Tüchtigkeit ihrer Mitglieder. Als Diomedes. ein Held der llias auf griechischer Seite, auf einen besonders tapferen Gegner trifft, fiagt er: "Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdenbewohner?'•. Der Gegner, Glaukos, antwortet, indem er die Geschichte seiner Familie erzählt. Die Frage nach der Identität wird beantwortet mit der Geschichte des Geschlechts und seinen sozialen Beziehungen. Glaukos steht unter der Anforderung, die Erwartungen, die seine Herkunft weckt, zu erffillen. Er erweist sich auch als ein großartiger Kämpfer. Als Julius Caesar seinen Aufstieg plante, lenkte er das Augenmerk Roms auf seine Abstammung. Er zählte die Könige wn Alba und die Göttin Venus Genetrii zu seinen Ahnen, Marius gloriosus zur Verwandtschaft. Er begründete seinen Anspruch, der Erste in Rom zu sein, mit seiner Abstammung. ..... immer der Erste zu sein und vorzustreben vor andern .... " Challenge and Response Der Herkunft würdig erweist man sich nicht nur, indem man seinen ererbten Platz behauptet, sondern audl indem man die Haltung der Vorfahren nachahmt und selbst ~cht, seine Ehre zu steigern. Glaukos schließt seine Selbstwrstellung damit ab: "Dieser [der Vater] sandte nadl Troia mich her und ermahnte mich sorgsam, immer der erste zu sein und vorzustreben wr andem, daß ich der Väter Geschlecht nicht schändete.._). Der Satz wirkt bis ins 1. wrchristliche Jahrhundert weiter: Als Pompeius aufbrach, um dem Piratenunwesen ein Ende zu machen, soll ihn ein Schüler des Stoikers Poseidonius mit der Ermahnung wn Glaukos' Vater ~bschiedet haben•. Die antike Gesellschaft ist agonistisch~. Ihre Mitglieder handeln ständig miteinander aus, wer der "erste" ist. Dem Statusgewinn des einen korrespondiert der Statusverlust des anderen6 • Die llias wird wn einem agonistischen Motiv strukturiert: Achill und Agamemnon konkurrieren um den ersten Platz im griechischen Heer7• Auf dem Weg in seine spanische Provinz wurde Caesar wn seinen Begleitern in einem abgelegenen Dorf, gefragt: "Ob man sich hier wohl auch 1 11 6, 123; Übers. Voss. zAeneas ist Sohn der Aphrodite. Sein Sohn ist lulus, der Alba Longa gründete. l ••Afill !ip,O"Tfi.f,ll Ka.i inrEPfixOI! t1J41.€Wol ä).).wll ~ ~ 1rrnipw11 a.if1%1111ijU1! ••• • II 6,208f; Übers. Voss. 4 Strabo 11, 1,6. \'gl. Malina, Welt, S. 48. "vgl. Malina, Welt, S. 45f. Vgl. auch Pöschl, Würde, S. 21. Allerdings hatte man .vertcundia" zu üben, die Scheu vor der ~rson des anderen, die einem hinderte, einen Würdigen zu erniedrigen, ihm das Gesicht zu nehmen. 7 11 1,240ff. Weitere Beispiele aus der llias und der Odyssee bei Uoyd Jones, Ehrt, S. 5-7, und Schoeck, Neid, S. 114- 118.
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ehrgcizig um Rang und Amt streitet und die Großen sich gegenseitig benciden ?" Caesar entgegnete: "Ich möchte jedenfalls lieber hier der EJSt:e sein als in Rom der Zwcite" (Plut, Caesar 11 ). Für den Beginn des Bürgerkrieges waren Fragen der Ehre ausschlaggebend. Daß "ihm die Vergünstigungen des römischen Volkes auf belcidigende Weise wieder genommen werde, daß sein Kommando um cin halbes Jahr gekürzt sei ..."' (Bell Llv 1,9) und er seine Legionen entl3$en solle, empfand Caesar als Kränkung, die er nicht hinzunehmen bereit war; er forderte seine Soldaten auf, "den guten Ruf und das öffentliche Ansehen (dignitas) ihres Feldherren gegen seine Feinde zu \etcidigen"' (Ben Llv 1,7). Pompeius ließ er ausrichten: ..Sibi sernper primam fuisse dignitatem vitaque potiorem"•. Der Freitod ist zuwe1len die cinzige Möglichkcit, auf eine Niederlage im Konkurrenzkampf zu reagieren. Aias nimmt sich das Leben, nachdem man ihm die Waffen des Achill vorenthalten hatte, und sein Vosuch, sich am erfolgreichen Konkurrenten ~ zu rächen, fehlgeschlagen wa(. Cato der Jüngere hatte seine Ehre daran gesetzt, gegen Caesar die Republik zu retten. Als Caesar endgültig gesiegt hatte, nahm er sich in Karthago zur allgemeinen Bewunderung das Leben. Stabilisiert und später legitimiert wird der Anspruch auf Ehre durdl den Verweis auf ~ oder virtus. Damit ist ursprünglich die Fähigkeit bezeichnet, seine Ehre zu vertcidigen 1, bewr das Wort von Aristoteles zur Bezcichnung der moralisch richtigen Haltung verwendet wird. Virtus ist die Grundlage der Würde. Wer virtus hat, hat seinen hohen Status ~ient und zudem die Fähigkeit, ihn zur Geltung zu bringen. Umgekehrt gilt: Wer einen niedrigen Status hat, abhängig ist und ~chtet wird, hat folglich auch kcine virtus, hat keinen Wert4 • ln den hellenistischen Reichen und im römischen Reich des ersten Jahrhunderts werden Aufstiege zunehmend möglich. Die Aufsteiger werden aber \eTSpttet. Ehre kann so stark nicht wachsen. Zugestanden wird cin langsamerer Aufstieg: Die Aavier gelten als Beispiel. Innerhalb von drei Generationen gelingt ihnen der Aufstieg vom Zenturionenrang zum Prinzepsamt~.
Rlhm S(i st~ts s~in~ Eh~ das Wichtigst~ g~w~~n. wichtig~r als S(in Leb~nft. Ca~. 8~11 Civ 1 9,2. Aias. J Uoyd Jon~. Eh~. S. J. 4 Das l~gitimi~rt di~ G~ringschätzung d~r Sklaven: All~in~. daß si~ SklaVl'n sind, unt~rl~g~n. ohn~ B~sitz und sich k~in~n R~sp~kt Vl'rschaff~n könn~n. b~~ist, daß si~ k~in~ virtus und k~in~n höh~r~n Status Vl'rdi~nt hab~n. Da mag ~in Sklave schön S(in, g~bild~t und stark, man wird ihm k~in~ virtus zug~st~h~n: ~in~ Schönh~it wird man W~ichh~it, S(in~ Bildung RHaarspalt~~i", s~in~ Stärk~ G~fahr n~nn~n. sollt~ ~r sich ~inmal als tapf~r ~rw~is~n. so wird man ~ für B~~chnung halt~n. Ein Sklave, d~r s~in~ Pflicht tut, ist d~nn auch k~in ~h~nvoll~r. sond~m all~nfalls ~in tr~u~r. 1
2 Sophokl~s.
fin w1~. REin~ Famili~ von dunkl~r Abstammung und ohn~ ~d~ut~nd~ Ahn~n ... Titus Flavius Petro, Bürg~r R~at~. war im Bürg~rkri~g als Z~nturio auf ~it~n d~ Pomp~ius g~w~~n ... s~in Sohn, mit B~inam~n Sabinus war ... Einn~hm~r d~s Vi~rzigst~n in Asi~n ... Spät~r b~tri~b ~r ~in Bankg~chäft b~i d~n H~lvtti~mft. S~in ält~rtr Sohn wird Präf~kt von Rom, d~r jüng~~ ist V~spasian. Su~t. Wsp.
von
I.
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Die Öffentlichkeit gesteht eine Sta~ng und eine Ehrsteigerung nur ungern zu. Man fiirchtete den Neid (~) 1 seiner Mitmenschen und trnf Vorkehrungen gegen den ..bösen Blick..1 • Der Neid war aber auch Ausdruck der Bewunderung: Wer beneidet wird, der hat etwas erreicht Im Schlußchor läßt Sophokles die Vemannung des Oidipus mit den folgenden Sätzen kommentieren: ..Wer von uns Thebanern sah wohl nicht voll Neid auf all sein Glück. ... Keinen, der ein Mensch ist, darf man selig preisen, eh er nicht überschritt des Lebens Grenze.....Neidisch blicken .. und •.selig preisen" erläutern einander. Wenn eine Statusverbesserung nicht hinreichend legitimiert ist, zieht sie die göttliche Vergeltung, die ~. auf sich. Aber auch diejenigen, die nicht gleichen Rang beanspruchen können, gestehen nur unwillig jemandem den Vonang zu. Plutarch berichtet. daß Miltiades die athenische Volkwersammlung bat, mit dem Siegeskranz für seinen Sieg bei Marathon ausgezeichnet zu werden. lhm wird geantwortet: ..Wenn du allein gekämpft hast, dann ~ange auch allein den Kranz.,.] Herodot erläuterte: ..Das ist ja die Art und Freude der Hellenen: den Glücklicheren beneiden sie, den Mächtigeren hassen sie:·• So steht das Konkurrenzmotiv auch mit demolaatischen und henschaftskritischen Zügen in Verbindung. ln der homerischen Welt läßt sich die Ehre kaum von der Ehrengabe unterscheiden~. Achill ist gekränkt, weil er seine Ehrengabe, Briseis, ~iert, Hephaistos ist ~hnt, als Poseidon den Brautpreis für Aphrodite zurückerstattet. Auch später ble~bt die Ehre mit den materiellen Gütern eng 'Verbunden: ln der Polis ist bei den Wettkämpfen der erste Platz meist mit einem Preis dotiert. Für Aristoteles gehört die Freigebigkeit zu den Tugenden6 ; Reichtum dient der Darstellung des eigenen Status und dazu, sich andere zu ~flichten. Als Gegengewicht bildete sich in Griechenland seit dem 6. Jahrhundert ein kollek~ Ehrbegriff heraus: Die .iv,afJo,... werden ermutigt, die Ehre der Stadt zu steigern und ihre Schande zu ~indem. Demosthenes ruft auf: ..Oilre ,.ip ~ ~ ~ ~ ~ oiir' Ö))..o ntwTrHO!irwvnW ~ ~~&;~ imip TWv ~ E~ clf~ Q.9oiN ~ fJa/Ja«ijv, ,M' imip nxfrwv E~ ~ Eitnmu, Q}J..O. ~ p.& phJ ~~~~ Ta.iiT' Ev "Ti t/XnEt, Ei~· ~·~.~Kai~ &a,reip& ~~~~. .... '& ~ 'TWv ~ n ~ "Ti TrO'AEt, Kai E-v ~ np0.; ~ ~ irni Teil ~. E-v ~. Ttuim. ,.ip ')E1Ml.iou Kai lvyaßOO rrOJ..rroo" (Demosth, Or XVIII 278). Natürlich gelang die Kanalisierung des Ehrgeizes nur begrenzt. Dennoch gab es immer mehr Menschen, die bei ihrem Ringen um persönliche Ehre sich den .Anschein gaben, als setzten sie die kollektive Ehre des athenischen Demos an die erste Stelle..7• Patriotisch kann zur angemessensten Übersetzung von ~.. I
Vgl. Lloyd Jones, Ehrr, S. 4. ~gl. Kuhnert, Art. fascinum, Sp. 2009; wurde jemand übermäßig gelobt, versuchte er mit einer Geste der Selbsterniedrigung (z.B. Ausspucken) die Verführung zur Hybris bzw. den Versuch, den ~öttlichen Neid auf ihn zu lenken, unwirksam zu machen. Vgl. Nilsson, Geschichte I, S. 736. Plut, Kirnon 8. 4 ~Hdt, Hist Vll,236; Ubersetzung A. Homeffer. Fatheuer, Ehre, S. 54f. 6 EthNic 1119b. Vgl. Bolkestein, Wohltätigkeit, S. 105. 7 Uoyd Jones, Ehrr, S. 12.
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werden I. u~ Jones versteht die frühe römische Republik als "ein offmsidttliches Beispiel für eine Kultur, in der Ehre und Schande erstrangige Bedeutung hatten; fre11ich waren es ... die Ehre und Schande des KollektM. die vorhensdtten*. Mit der späten Repubhl< trat jedoch die Konkurrenz der Großen in den Vordergrund. Die römische dignitas bHeb aber stärker an den Staat gebunden als die griedtische 1'T#mh die z.B. audt durch einen sportHdten Erfolg gesteigert werden konnte). Der Sport spielte in Rom eine geringe Rolle, und der Ruhm, den man als Gladiator oder Wagenlenker erwerben konnte, öffnete l)Nar die Schlafzimmertüren der römischen Obetsdtidttsfrauen\ nie aber die des Senats. Dignitas meint immer audt den politischen Rang. Exkurs: Hellenen, Römer und Barbaren ln dem Maße, in dem innerhalb der Bürgerschaft das Konkurrenzmotiv zurücktritt wird es in Außenbeziehungen vorhernchend. Dem kollektiven Ehrbegriff korrespondieren die Uberzeugung, unter den Völkern herauszuragen, und der Versuch, diesen Uberlegenheitsanspruch in politische Hegemonie umzusetzen ln der Zeit in der in Athen die kollektiYe Ehrvomcllung im Vordergrund stand, hatte es im Attischen Seebund und dann im Attischen Seereich den eiSten Platz inne. ln der römischen Tradition entspricht dem kollektiven Eh~riff das Bewußtsein, zur Herrschaft über die Völker berufen zu sein l'Jergil, kn 6, 851t). Die Uber1egenheit kann (a) über gleichwertige Völker oder (b) über kulturell unterlegene Mers:hengruppen beansprucht werden. Das Ringen um den Vorrang im ersten Fall gleicht dem Aushandeln der Position zwischen den Oberschichtsmitgliedem. Im zweiten Fall wird der Primat mit Hilfe des Barbarenbegriffs begründet Dabei bewir1ct die ambivalente Haltung zur eigenen Kultur, daß einmeits die Barbaren als minderwertig gelten, so daß Aristoreles sie als geborene Sklaven bezeichnen kann (Aristot Pol I 1252b), und ande~ts, daß sie als ideale Menschen, Kämpfers oder Weig/, verehrt wurden7 • Mit der Hilfe dieses ambivalenten Barbarenbegriffs läßt sich einerseits Vonang über kulturell überlegene Gegner beanspruchen, indem man sich .Unverdorbenheit" und dem Gegner .Dekadenz" zuschreibt und anclermeits die Vorhemchaft über kulturell unterlegene Völker begründen, indem man für sich Kulturfähigkeit beansprucht und die Gegner als roh und l!rentwickelt ~reibt So haben die Römer in der Expansionsphase gegenüber .dem Osten" die Uberlegenheit der Natur, im Verhältnis zum Westen die der Kultur repräsentiert Zwischen dem Vmuch, seine Ehre in der Polis zu steigern und innerhalb der Familie ehrenhaft zu leben, kann es zu Konflikten kommen Als Hektar vor der entscheidenden und für ihn tödlichen Begegnung mit khill vor Troias Mauern steht bitten ihn seine Eltem, in die Stadt zu fliehen. Priamos erinnert an die Fürsorgepflicht des Sohnes für den alten Vater. Hekabe entblößt die Brust. um in ihrem Sohn Scham und Geho~S~m zu wecken. Für Hektar ist die Vorstellung, daß die Troier ihn wegen Feigheit vertachen würden, jedoch unerträglicher als die Mißbilligung der Eltern•. Er stellt sich dem Kampf und findet den Tod. ~
Vgl. Do~r. Morality, S. 23 I. Uoyd Jones, Eh~. S. 27. lygJ. Pöschl, Würd~. S. II. 4 luv, Sat 6,106ff. Sygl. di~ Darst~llung d~r G~rmantn durch Tacitus. Vgl. lill, Art. Tacitus, S. 246. 'vgl. Sp~~r I Optlt, Art. Barbar, Sp. 826-829. 7 Vgl. di~ Darst~llung d~r Urz~it ~in~rstits als arms~lig und and~r~rs~its als gold~n (H~s. Op 47f und 109ft); Vgl. Speyer I Optlt, Art. Barbar, Sp. 813.825. '11 22,38ff; vgl. dazu K~rrnyi, Antik~ R~ligion, S. 87f.
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Der Platz des Menschen im Kosmos Die Ordnung der Ehre gliedert auch die nicht-menschliche Welt Die Götter selbst suchen Ehre•. Ein Grund für den Troianischen Krieg ist die Konkurrenz der drei Göttinnen um die Ehre, in den Augen des Paris als die Schönste zu gelten. Die Götter sind es, die den Rang verleihen2 : .Sind durch ihn doch die Männer die sterblichen ruhmlos und ruhmwll, Unbekannt oder bekannt, nach ä:us' des Erhabenen Willen. Leimt Qlbt strotzende Kraft. leicht drückt den Strotzenden nieder, Leimt läßt schwinden den Hochansehnlichen, wachsen den Niedren, Leimt streckt grnde den krummen und läßt verdorren den Stolzen Zeus, der Donnerer droben, der wohnt in erhabensten Häusern. Häre mich, sieh und \mlimm, am Recht richt gerade die Bescheide, Du Herr!" (Hesiod, Op 3-10)'. Eine Minderung der Ehre kann als Strafe ffir Schuld oder Frevet sowie mit dem Motiv des Neides der Götter gedeutet werden: Das göttliche Walten ist .~ 'n' ICrli ~.. (Hdt, Hist 1,32; 111,40; Vll, 10). UnwHlkürlich hat das agonistische 8ement das Verhältnis zu den Göttern mitbetroffen~: Menschen wie z.R Prometheus und Bellerophontes können zu Konkurrenten der Götter werden. ln hellenistischer Zeit steht die Tyche' für das unberechenbare Geschick, das blind erhöhen und stürzen kann. Die Position des Menschen über den Tieren zeigt sich daran, daß er die Grenzen, die die Natur setzt, überschreitet und kulturf.ihig ist (Soph, Antigone 332ft) und nach größerer Ehre strebt'.
Das Verhältnis zu sich selbst Im Verhältnis zum eigenen Körper spiegelt sich der Status eines Menschen. Nach innen zeigt sidl das an der Körperwahrnehmung und dem Umgang mit Geffihlen und körperfirnen Bedürfnissen, nach außen an der Art, sich in Aussehen, Tracht, Gestus und Sprech\erhalten zu repräsentieren. I
Vgl. Uoyd Jonrs, Eh~. S. J. Homerisch ist die Vorstellung, daß jedem Menschen eine NmoiraN zukommt, ein gebührender Anteil, den die Götter nur verteilen, nicht jedoch brstimmen. Vgl. II 22,209-214; Od 6,187; Vgl. Nilsson, Geschichte I, S. JJ8ff. l·· Ubers. Marg. 4 Seit Hesiod treten die Kategorien von Schuld und Strafe in der griechische Kultur stärker hervor. Vgl. Dodds, Griechen, S. 2Jf; Uoyd Jones, Ehre, S. 2. ~Dodds, Griechen, S. 17, deutet dirses NEmpfinden göttlicher Feindseligkeit~ als Kennzeichen des pbergangs einer Scham- zu einer Schuldkultur. Als das Glück einrs Mächtigen kann die Tyche auch die Funktion der Schutzgottheit übernehmen. Vgl. Nilsson, Geschichte II, S. 19Jf. 7 ~Es ist das Streben nach Ehre, das nach Xenophon den Menschen vom Tier unterscheidet und ihn der Gottheit am nächsten bringtN. Bolkrstein, Wohltätigkeit, S. 152, mit Verweis auf Xenoph, Hiero Vli,J. 2
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Männer mit gehobenem Sozialstatus "regierten" ihren Körper mit seinen Bedürfnissen wie ein Henscher die Bürger der Polis; sie sorgten daffir, daß jedem "Glied" das ,.Seine" zukam und es seinen Platz in der "inneren Hierardlie" beibehielt•, kurz., daß "gerechte" Zustände henschten. Mensdlen mit niedrigem Sozialstatus dagegen erlebten ihren Körper als letzten Schutz- und Rückzugsraum, dessen Integrität ständig bedroht war; die Fremdbestimmung, die mit ihrem sozialen Status verbunden war und sich z.B. in körperlichen Strnfen und sexueller Verffigbarkeit manifestierte, spiegelte sich auf körperlicher Ebene in der Deutung von Krnnkheit als "Besessenheit"1• Diese Körperwahrnehmung zeigten auch Frnuen1 • Die körperliche Ehre eines Mannes von gehobenem Sozialstatus wurde "von innen" bedroht und bewährte sich in der Selbstbehenschung. Die Ehre einer Frau und von Männem mit niedrigerem Sozialstatus wurde von außen bedroht und bewährte sich in der Umersehrtheit. Damit ist auch behauptet, daß Männer der Oberschicht ihre körperliche Ehre selbst gewährteisten konnten, Frauen und Männer mit niedrigem Sozialstatus dagegen abhängig waren von Ereignissen, die sie als übermächtig erlebten. Nach außen zeigt sich der Anspruch auf hohe Wertschätzung in körperlicher Schönheit•; sie legitimiert Henschaft. Herodot erkennt in der Schönheit des Xerxes den Beweis ffir seine Würdigkeit zum Siegs. Die Schönheit ist dabei nicht einfach Bestandtell der "natürlichen Gestair, sie wird mit hervorgebrncht durdl die Kleidung, die den Stand und den Status anzeigte', durdl das Auftreten7, Gebaren und Reden', sie drückt sich aus im Lebensstil, in der Architektur des Hauses', im Stil der Einladungen. Das gllt auch ffir den Staat: Seine Würde zeigt sich in seinen Bauten, seinen Münzen, Inschriften und Monumenten•o.
Vgl. Martin, Body, S. 3-37; 139-162; Brown, Body, S. 26-32. \lgl. Martin, Body, S. I 39-162; Theißen, Wunder, S. 248. Vgl. Berger I Luckmann, gesellschaftliche Konstruktion, S. 50. \tgl. Weissenrieder, in ihrtr im Entstehen befindlichen Dissertation Frau und Körper. 4 Merkmale sind Größe (Aristot, EthNic 1123b I) und Sportlichkeit (Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte IV, S. 4fl. Besonders wichtig ist natürlich das Gesicht (Cic, Off I 126). Zwischen Männer- und Frauenschönheit wird unterschieden (Cic, Off I, I 30). Schönheit ist nicht auk Jugendplter begrtnzt; vgl. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte IV, S. 4f. 'Vgl. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte IV, S. 4f. 6 ln der römischen Kultur ist die Toga das Ehrtnkleid des Bürgers, die Purpurstrtifen daran zeigen den Stand ihrts Trägers an. Kleidung und Schminke des Triumphators imitieren das Aussehen der lupiterstatue, rücken ihn in unmittelbart Gottesnähe und zeigen so den höchsten Status an, den Menschen in der römischen Tradition errtichen können. 7 Laufen und Rennen ist Skla~nart und eines würdigen Mannes unangemessen. Vgl. Pöschl, Würde, S. 30f. Cicero setzte Caesar öffentlich herab, indem er seine Beobachtung mitteilte, daß er effeminiert wirke. Plut, Caes 4. 1 Cic, Off I, I 30 und I 32. 9 Aristot, Eth Nie 1122b 17; Cic, Off I, 138f. 1 \tgl. Pöschl, Würde, S. 27f. 1
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2.5. Ehre als schichtübergreifender Wert Ehre als überschichtswert Der Wahrung und Mehrung ihrer Ehre fiihig waren nur die Männer der Obelschicht.
Ihre Frauen und Töchter konnten zwar ihre Würde wahren, indem sie keusch und treu lebten, waren aber nicht in der Lage, ihre Würde selbst zu \erteidigen oder sie zu mehren'. Das Q1lt nur fiir die irdischen Frauen. ln der Religion hatte Artemis die Funktion, die Keuschheit aktiv und offensiv zu \erteidigen2• Die Würde der Mitglieder der Obelschicht wurde vom Staat geachtet: Sie waren vor ehrenrührigen Strnfen wie körperlicher Züchtigung ausgenommen. Vergehen, die fiir Unterschichtsmitglieder mit Zwangsarbeit in den Bergwerken belegt waren, wurden bei Obelschichtsmitgliedern nur mit Verbannung geahndet'. "Olallenge and response" Kommunikationen finden nur zwischen Gleichwertigen statt. Menschen mit geringerem Sozialstatus können Höhergestellte nicht herausfordern\ Höhergestellte werden in Niedrigeren keine Partner oder Konkurrenten, sondern Abhängige und ~tatisten" sehen.
Die Mentalität der Unterschichten Welche Bedeutung hatte die Ehre fiir die Lebensgestaltung der Mitglieder der Unterschichten? War auch fiir sie die Ehre wichtiger als das Leben? Fs ist schwierig, diese Frage zu beantworten, weil die Auskunft der Quellen begrenzt ist und die Unte&hicht nicht homogen war.
Ehre als Unterschichtswert ( t) Unterschichtsgruppen hatten Ante.l an der Ehre von Obe&hichtsmitgliedern, insofern Familien der Unterschicht an solche der Oberschicht durch ein Ski~-Herr- oder durch ein Klient-Patron-Verhältnis gebunden waren. Dabei hatten die Klienten und Ski~ fiir die Oberschichtsmitglieder die Funktion, ihren Anspruch auf Wertschätzung 'Vgl. Malina, Welt, S. 60f. An der Grenze von Heroenlegende und Geschichte kennen die griechischen Tradition die Amazonen, deren Königin Penthesilea der Artemis ähnelt (Oiod Sie 4,61 ,5), als kämpferische Frauen, die ihre Ehre offensiv verteidigten, und die römische Tradition die Cloelia, die nach Uv II, I3,6 zwar nicht kämpft, sondern nur flieht, aber dennoch als tapferer als Mucius Scaevola gilt (Uv II 13,8; vgl. Dion Hai 5,35,3 und Plut, Publ 19,4f) und auf der Via Sacra ein Reiterdenkmal hatte, obwohl das Pferd in der Legende nur unzureichend verankert ist, so daß diese Darstellung vielleicht auf eine ältere kämpferische Vorstellung hinweist. 1 Vgl. Pöschl, Würde, S. 19f, der meint, Strafe diene der Wiederherstellung der Ehre. Zugleich gilt es aber als Zeichen der Schwäche und als schändlich, die Ehre durch ein Gerichtsverfahren wiederherstellen zu lassen, statt selbst dafür zu sorgen. Vgl. Malina, Welt, S. 55. Vgl. II 2,205-269. Tut eine Untergeordneter dem .Haupt" seiner Ehrgemeinschaft Unrecht, wiegt das besonders schwer. Vater- und Königsmord werden verabscheut. Vgl. Dodds, Griechen, S. 33, und Malina, Welt, S. 57. Dagegen Veyne, Gesellschaft, S. 82: Wegen der Gefühlskälte zwischen Vater und Sohn sei der Vatermord nicht selten und in der Kaiserzeit als Anklage des Vaters durch den Sohn wegen Majestätsbeleidigung sogar öffentlich anerkannt gewesen. 2
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durdl ihre Zahl zu dokumentieren und durdl ihr Verhalten, z.B. bei Abstimmungen in der Volks\mammlung, zu unterstützen. Der Status der Ski~ und Klienten war durch den Status ihres Herren oder Patrons wesentlich mitbestimmt'. Je größer dessen Ehre war, desto stärker war auch ihre Position1 • Zudem waren auch ihre tatsächHchen Lebensverhältnisse berührt. Patrone unterstützten ihre Klienten finanziell und juristisch. Seit Marius waren die Legionen ihrem Feldherrn in einem Patron-Klient-Verhältnis ~unden. Damit wurde eine~Sdts die Position des Feldherrn betTächtlich aufgewertet und ihr Anspruch auf Wertschätzung konnte unabhängiger wn der Zustimmung des Senats durdlgesetzt werden, andererseits übernahm der Feldherr für seine Soldaten Verantwortung, z.B. durdl die lamMrtetlungen an die Veteranen. (2) Für das Athen der klassischen Zeit läßt sich wahrscheinHch machen, daß Ehre auch wn UnterschichtsmitgHedem erstrebt wurde. Das büTgertiche leben war wn ständigen "Wettbewerben", also agonistischen Strukturen, geprägt. Ausgezeichnet wurden die Sieger im sportlichen Wettkampf, die Gruppe im Rat der 500, die die Amtsgeschäfte am besten geführt hatte. und der Richter, der das beste Urtetl gef.illt hatte. Auch die RedebeitTäge in der Volks\ersammlung wurden als BeitTäge zu einem Wettbewerb ~tanden. Unter den Hirten hat es Wettbewerbe um den besten Sänger gegeben1 • D~ hat für Athen zwischen 420 und 322 Gerichtsreden und poHtischen Reden, Tragödien·und Komödien unter der Voraussetzung, daß sie den Beifall auch der Unterschichten suchten und deswegen Rückschlüsse auf deren MentaHtät zuHeßen, untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß es zur populären Moral gehörte. die Erniedrigung und Schande zu fürchten und sich so zu ~alten, wie es erwartet wurde~. Für Demosthenes ~äuft die ..EhJgrenze" zwischen Freien und Unfreien: ,.'B}W ,Uv oi~ ~ ~ ~ ~ T7,v imfp niw ~TWV ~ elva.t" (Or IV 10). Skl~n fürchten nur den Schmerz und freuen sich nur des Essens'. Für sie spielten Fragen der Ehre keine Rolle7 • Die Wertschätzung der "Ehre" hatte für Unterschichtsmitglieder wr allem im Kriegsfall Bedeutung: ..... QJJ..'/lxnrepniw~Tai)~~~io-nv~a~~ ij (,;}v ~ •••• " (Jsocr IV,95). Damit diente sie besondeTS den Interessen der '.Das Da~ln d(S H~rm ... drängt~ sich auf wi~ mit d~r Evid~nz ~in~r Naturg~walt; s~in~ Sklaven stolz auf ihn, si~ hatt~n T~il an s~in~r Größ~. er war ih~ einzig~ Würd~. • Veyne, G(S~llschaft, ~. 12. i>ie Aufstieg(Schancen wn Sklaven und F~igelassen~n wa~n d~t~rmini~rt wm Status ih~s H~rm. Vgl. Veyne, G(S~IIschaft, S. 14. Die Mitglieder der Familia Ca~saris genoss~n b(Sond~~ W~rtschätzung, was sich z.B. daran z~igte, daß ih~ Sklaven freigebo~n~ Frauen h~irat~n konnten. Vgl. Alföldy, Sozialgeschicht~. S. II J, und Brock~r. Sozialgeschichte, S. 178f. 1 B~rve. Agonal~r Geist, S. I 3.14.17. 4 Dabei ist zu bedenk~n. daß in den Tragödi~n nur Adelige und besond~~ Mensch~n auftr~t~n. W~nn de~n an Eh~ ausgerichtet~s V~rhalt~n d~n Belfall d~r Öff~ntlichkeit find~t. so läßt sich daraus schli~ß~n. daß auch Mensch~n d~r Unterschicht d~r Üb~rzeugung wa~n. daß ~in Ad~liger so zu hand~ln und zu denken hab~; es sagt nichts darüber, ob si~ s~lbst ihr eig~nes Leben nach diesen Zi~l~n g(Stalt~t hab~n oder (5 sich wünscht~n. sDover, Morality, S. 2J6ff. 'vgl. Dover, Morality, S. 115. 7 Vgl. Pöschl, Würde, S. 22; Veyne, Gesellschaft, S. 45. wa~n
37 Oberschichtsmitglieder, an deren eventuellen Statusgewinn allerdings alle Bürger partizipierten. Wenn der Aufruf aber die Soldaten ermutigte, sich entsprechend zu verhalten, so zeigt das. daß sie fiir den Grundsatz "Ehre, wichtiger als das LebenM zumindest empfiinglich waren. Unterschichtsmitglieder konnten im Kriegsfall also ihrer Stadt "Ehre machen" und von dem Ruhm dieser Stadt ihr Selbstbewußtsein beflügeln lassen. (3) Lukians Traum' läßt sich darüber hinaus entnehmen, daß fiir Handwerker "Ehre" ein wichtiger Wert wa(. Handwerker hielten sich fiir ehrenwerte Menschen, die meinten, in der Ordnung der Ehre innerhalb der Gesellschaft ihren Platz zu finden 1 • Oberschichtsmitglieder aber dachten darüber anders; fiir sie waren Handwerker ehrlose Menschen4 • Zwar tragen also Gruppen in der Unterschicht das Werts)Stem der Oberschicht mit~. die Oberschicht aber gesteht den Unterschichten in ihrem Ordnungss)5tem keinen Platz zu.
'Lukian stammt aus ~in~r syrisch~n Handw~rk~rfamili~ und sti~g im 2. Jahrhund~rt zum g~f~i~rt~n auf. \tgl. auch di~ Handw~rk~rinnung~n: ln d~n Städt~n schlo~n sich Handw~rk~r. Kaufl~ute und Di~nstl~ist~nd~ zu V~rbänd~n zusam~n. lnn~rhalb di~~r coll~gia~ spi~lt~ di~ Ehrung ~inz~ln~r Mitgli~d~r ~in~ wichtig~ Roll~. ab~r auch di~ ~h~nvoll~ Darst~llung nach auß~n. .What is int~r~ting about crafts Organisations for our purposes is the focussing of their energi~ on the P.ursuit of honor rather than of ~conomic advantag~". MacMullen, Roman Social Relations, S. 76. ln diesem Traum, der die Entscheidung d~ jungen Lukian für ~ine künftige Serostätigkeit herb~iführt, tritt di~ Ptrsonifizi~rung d~r Bildhauerkunst auf. Sie \'trspricht gutes Auskommen und aufrtchtes Leb~n. Seiner Familie könne er so Ehrt machen. Seine Werke würden Anlaß zur Bewunderung sein, ja er könn~ sogar d~n gött~rgleichen Ruhm ~ines Phidias oder Praxit~les ~rwerb~n. Di~ schmutzige Kleidung hindert das nicht (Somn 7t). 4 Di~ P~rsonifizierung der G~lehrsamkeit widerspricht im Traum; sie achtet di~e Sorte Ehrt für gering: •... am End~ würd~t du doch nichts ~hr ~in als ~in Handarbeiter, d~r die ganze Hoffnung ~in~ Fortkom~ns in d~r W~lt auf seine Hände gründet, ohne A~hen, wenig ~s~r als ein Tagelöhner bezahlt, niedrig und ~chränkt in ~iner ~nkungsart, ~ine unbed~ut~nde Person im g~~in~n W~s~n ... ein bloßer Handwerksmann, ein~r vom groß~n Hau~n. der sich vor jedem Vomehm~n ducken und schmiegen muß, vor jedem Sprtcher Respekt hat, ein wahres Has~nl~~n lebt und imm~r die Beute des Mächtige~n ist" (Somn 9). Sie \'trspricht ein~n Aufstieg zur .wahrtn Ehrt": Ihr Zögling w~rd~ .von jed~rmann beneid~t und mit Eif~rsucht ang~ehen" und würde .selbst von d~nen, die durch Geburt und Reichtum über die andem hervorragen, geachtet rerd~n· (Somn lOt). Lukian stand dem kritisch gegenüber. ln seinen Werken ~gegnet immer wieder die Aufforderung, der Ob~rschicht di~ Loyalität aufzukündigen: .Denn da die~ [sc. die Adelig~n) sich von jen~n Elend~n ihrtr Reichtümer halben glücklich prtisen hö~n und ihrt Vorsäle alle Morgen mit Leuten ang~füllt ~hen, die sich ihnen nicht anders als wie Skla\'tn ihrtn G~bietem nähern, was müssen si~ endlich von sich ~lb~r d~nken? Würd~n es hingeg~n jene mit~inand~r abrtd~n. auch nur einen kleine Zeitlang von dieser frtiwilligen Knechtschaft abzustehen: meinst du nicht, die Reichen würden gar bald vor die Tür d~r A~n komm~n und ihnen noch die besten Worte g~b~n. daß si~ ihr Glück nicht ohn~ Zuschauer und Zeug~n und ihrt großen Paläste und prächtig~n S~i~säl~ nicht ohne Wert und Gebrauch las~n möchten? ... Die~s Vort~ils sollt~ man sich also bedienen, ihrtm Reichtum die Verachtung als einen Damm entgeg~nzusetzen und ihrt Größ~ dadurch in ihrtn eigenen Augen herabzuwürdigen ... • (Nigrinus 23). Rh~tor
38 Die Dominanz der Frage nach dem Überleben Die Fabeln des Phädrus dagegen dokumentieren eine Einstellung, in der der Wert der Ehre hinter die Frage des Überlebens ganz zurüdrstellung ist davon geprägt, den Menschen und ihren Wertvorstellungen gegenüber möglichst Distanz zu gewinnen und der Gottheit näher zu rücken; dabei wird die Distanz zu der gewöhnlichen Wertewelt mit Geringschätzung, die Nähe zu den Göttern mit konkurrierenden Vergleichen beschrieben: "Darauf richte all dein Sinnen, dann wird der Abstand zwischen dir und den andern gewaltig. Weit wirst du allen andem Sterblichen wraus sein, die Götter aber dir nur wenig" (Sen, Ep 53, 12); und: "Gott fUrchtet nichts kraft seiner Natur, der Weise aber dank seiner eigenen Haltung. Schau, wie gewaltig ist es, schwach zu sein wie eben ein Mensch, sich aber sicher zu ffihlen wie ein Gott" (Sen, Ep 53, 11).
Erniedrigung als Erziehung Sta~nderungen
können einen Sinn haben. Dann deutet Seneca sie mit Hilfe der Vorstellung der Erziehung und der Vatermetapher ffir die Gottheit (z.B. Sen, Prov 2,5). Gott erziehe manche zur Tugend, und das bedeute Strenge: "Bemerkst du also, wie gute und den Göttern willkommene Menschen sich anstrengen, schwitzen, durch steiles Gelände emporklimmen, schlechte aber sorglos in den Tag hinein leben und sich ihrem Vergnügen hingeben, dann bedenke: über unserer Söhne bescheidenes Auftreten freuen wir uns, über unserer jungen Ski~ Mutwillen; jene werden wn gemessen-ernster Zucht gezügelt, deren kesses Benehmen wird gefördert. Dasselbe soßte dir wn dem Gott deutlich sein: einen guten Menschen veTZ.ärtelt er nicht; er erprobt, er härtet, er gestaltet ihn ffir sich" (Sen, Prov 1,6; vgl. Ep 66). Die Gottheit wird in diesem Deutungsmodell selbst tätig und übernimmt die Verantwortung ffir die Entwicklung des Weisen; dabei ist "Erniedrigung" eine Erziehungsmethode1 • Im Bild wn den beiden Wegen schimmert die Erzählung wn Herakles am Scheideweg durch. Der Hochschätzung der Mühe korrespondiert die Vergottung des Weisen. Auch die Erziehung des Weisen zielt darauf hin, 1
Dir Vrrachtung brtrifft auch dir grstllschaftlichrn Rollrn. Vgl. Srn, Ep 31,11. 44,4. Drutrvariantr brgrgnrt auch ohnr dir rrligiösr Dimrnsion als Srlbstrrzirhung. Wrnn man sich grkränkt fühlr, dann mögr man übrrprüfrn, was dir Ursache des Zorns sti und ob man sich nicht virllricht stlbst zu hoch ringrschätzt habr und dir Kränkung also der Aufdrckung rinrr Srlbsttäuschung glrichkommr (Srn, lra 31). Solltr rs tatsächlich rinr Kränkung stin, dann übr man sich in drr Unrrschüttrrlichkrit. 1Dirsr
69 daß er durch Mühen nach der Gottheit gefonnt wild. Sie hat neben der religiösen auch eine soziale Dimension. Wer so geprüft wild und besteht. der wird für andere zum Vorbild, indem er zeigt. was einem Menschen möglich ist 1•
Erniedrigung und Erhöhung als Phasen eines kosmischen Geschehens Die Sta~nderungen können als die Phasen eines großen Rhythmus gedeutet werden, in dem die Dinge sich fonnen und wieder auflösen, erneut Fonnen annehmen und im Urfeuer wieder aufgehen. Die Welt ist einem ewigen Wechsel unterworfen, ihre Substanz, der Logos. das Fatum oder die Heimannene, fonnen sich und vergehen. Jn diesem Deutemodell ist kein Platz für eine petSänHche Gottheie. Vom Weisen ist gefordert. sich in diesen Rhythmus einzufügen und zuzustimmen; er wird sich dann geborgen fühlen als Tetl der ewigen Ordnung und Gestaltung des tln\6gäng1ichen Kosmos. We1l der Mensch Ante1l am Weltlogos hat. kann er diese Forderung erkennen: "ln bestimmten Zeitabläufen geht alles seine Bahn: entstehen muß es. wachsen, \erlöschen. Was immer du über uns laufen siehst, worin wir \6Wllrzelt und worauf wir stehen, als sei es vollkommen unerschütterlich, wird nach und nach seine Kraft \eftieren und enden: Alles hat sein eigenes Alter. ln ungleichen Zeiträumen entläßt die Natur alles zu demselben Ziel: Alles. was ist. wird nicht sein, und es wird nicht untergehen, sondern sich auflösen. Für uns bedeutet sich aufzulösen, unterzugehen: das Nächstliegende sehen wir nämlich, FernerHegendes erblickt unser Geist nicht. der stumpf ist und sich dem Körper anheimgegeben hat - sonst würde er tapferer sein eigenes und der Seinen Ende ertragen, wenn er hoffte, wie alles jenes. so wechselten leben und Tod miteinander ab, werde Gefügtes aufgelöst, Aufgelöstes zusammengefügt. und darin wllziehe sich die Schöpferleraft des alles lenkenden Gottes ... Ein bedeutender Geist gehorchte dem Gott. und was immer das Gesetz des Kosmos befiehlt. ohne Zögern erdulde er es -·" (Sen, Ep 71, 13-16). Auch hier ist die Zielvorstellung, mit der Gottheit. dem l.Dgos, identisch zu werden bzw. diese Identität bereits als sein gesondertes Te1l zu leben. ln allen drei Deutemustern ist es das Ziel, der Gottheit ähnlich zu werden und nahe zu kommen; das kann als Konkurrenz mit angedeuteter Überlegenheit gedacht werden, als Vertrauen auf einen personal gedachten Vater und als pantheistische "ldentitä~tik': Dem korrespondiert das jeweils mitgedachte Verhältnis zu den andem Menschen: Im ersten Modell ist wn der Verachtung die Rede, zumindest ihren Wertwrstellungen gegenüber, im zweiten sind die "Benachteiligten" die Kinder, die "Begünstigten" hingegen die Ungeliebten und die Sklaven. Auch hier findet sich also ein Überlegenheitsgefüh1 1• Im I
Vgl. Maurach, ~ntca, S. 141. 0it Stoa dachtt panthtistisch und mattrialistisch. Vgl. Hirschbtrgtr, Philosophit I, S. 254; Maurach, ~neca, S. 87f. 1 Das kann jtdoch in RRachtphantasitnR umkipptn: "Wtr sich also dtr Gunst Gottts trfrtut, wtn Gott litbt, dtn macht tr hart, dtn prüft tr, dtn nimmt tr sich vor. Doch jtne, dtntn tr offtnbar zugttan ist, mit dtntn tr schontnd vtrfährt, dit spart tr sich für ftmtrtS Ungtmach auf, ditSt Wtichlingt! Es ist tin Irrtum, wtnn tintr glaubt, das bltibt ihm trspart. Auch wtr sich tints langtn GlücktS trfrtut, wird stintn Ttil abbtkommtnR (~n. Prov 4,7). Unvtrmtrkt ist aus dtr 1
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dritten Modell überwiegt auf den eiSten BHck die Hannonie mit der Gottheit und den andern Menschen, die wie der Weise selbst dem ewigen Wechsel unterworfen sind. Auf den zweiten BHck aber g~bt es Spannungen im Verhältnis zur Gottheit. Denn der Logos. der aßes Sein durchwaltet. läßt an sich keinen Platz fiir ein "Ich", ffir einen Weisen, der zustimmen kann oder nicht. der die Tugend erwerben wm und nach securitas strebt. Dann kann das dritte Modell plötzlich in das etSte umbrechen'. "Durunt wlentem fata, nolentem trahunt" ("Wenn du einwilligst, fUhrt dich das Schicksal, wenn nicht, zwingt es dich" Sen, Ep 107,11 )z. Dann erscheint das Schicksal wieder gewalttätig und blind und der Mensch gebrochen. Der Mensch kann groß sein wie ein Gott. und dann ist er wieder klein, "kaum mehr als ein Nichts"1 •
Statusverzicht bei Seneca Seneca hat den Status\ezicht eingeübt. Das betrifft (a) die äußeren Verhältnisse: Er
hat ..Armutstage" eingelegt, während denen er sich überaus einfach ernährte, kleidete, wohnte und schlief, um die Unabhängigkeit wn den äußeren Gütern zu erproben•. Es betrifft (b) den Umgang mit Niedrigeren. Seneca begreift: sich als Untergeordneten und entwickelt aus seinen Etwartungen an Übergeordnete die Verhaltensanforderung ffir sich als Herrn: "Verfahre mit jedem, der unter dir steht so, wie du wn dem behandelt werden Willst, der über dir steht. Jedesmal, wenn du daran denkst. wie du einen SkiCMn behandeln darfst, denke auch daran, daß das Gleiche deinem Herrn dir gegenüber
Vorzugsb~handlung ~in~ Straf~· g~word~n. Di~ Umw~rtung d~r Güt~r ab~r noch. 1 Roz~laar, 5(n~ca.
ist
vorg~nomm~n.
schwankt
S. 454ff, w~ist auf d~n Unt~rschi~d zwisch~n Fortuna und Fatum hin. Fortuna und b~z~ichn~ das Ausg~~tztstin d~ M~nsch~n (~bd., S. 455); ~r vtrw~ist auf Prov 4,12: .daß wir fortuna hing~g~b~n w~rd~n müss~n. damit si~ uns g~g~n sich s~lbst abhärt~t· (~bd., S. 456); d~m Fatum, d~n Schicksalsg~~tz~n Gott~ g~g~nüb~r hab~ sich d~r Vir bonus dag~g~n ~lbst hinzug~b~n. S~n~ca k~nn~ di~ Vorst~llung d~ Amor fati, nicht di~ d~r fortuna~. Das ~ntspricht d~r hi~r vorg~nomm~n Unt~rsch~idung zwisch~n d~n ~rst~n b~id~n Mod~ll~n und d~m dritt~n. Auch di~ Gotth~it vtrhält sich vtrschi~d~n; di~ Fortuna ist ihr so frtmd wi~ d~m W~i~n. Si~ kann ihn nur dazu ruf~n. mit Hilf~ d~ Göttlich~n in ihm Fortunas G~b~n und N~hm~n zu ~racht~n. Di~ Fata dag~g~n hat di~ Gotth~it ~fohl~n und g~horcht ihn~n. wi~ si~ ~ auch vom W~i~n ~rwart~t (5(n, Prov 5,8). Ü~r das Motiv d~r 'o".oiwur~ lkoü ist das ~rbund~n. Eudaimoni~ ist nur möglich, ~nn d~r M~nsch d~m Zufällig~n ~ntnomm~n ist und un~rschütt~rlich g~word~n ist, wi~ di~ Gotth~it ~lbst d~n Mala g~g~nü~r. di~ mit d~r Fortuna vtrbund~n sind (5(n, Vita 16, I); d~r W~g dahin führt üb~r di~ V~rachtung d~r Güt~r sowi~ di~ Unt~rordnung unt~r di~ Naturg~tz~ und di~ Fata d~r Gotth~it: .~um s~qu~~-. d~ alt~n pythago~isch~n Satz~ mög~ man sich ~rinn~m (5(n, Vita 15,5) und ~rk~nn~n. daß all~in~ .D~o pa~~ lib~rtas· s~i (~bd. 15,7). zEs ist urnstritt~n. ob d~r Satz von S~n~ca s~lbst stammt od~r noch d~m Kl~anth~zitat, das voranst~ht, zug~hört. M~in~l. 5(n~ca. S. 227-233, kommt zu d~m Schluß, daß ~s S~n~ca ~lbst zuzusch~ib~n ist, zumal Kl~anth~ - wi~ ~s auch das Zitat z~igt - ~in p~rsönlich~~s Gottrs\'trhältnis g~habt hab~. als ~ sich hi~rin ausdrück ] Maurach, 5(n~ca, S. 145. 4 5(lbstkritisch b~m~rkt ~r. 5(n, Ep, 87,4f, daß ~r sich schämt~. w~nn ihn j~mand an solch~n s~i n~gativ konnoti~rt
Armutstag~n .~rtappt~·.
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gestattet ist" (Sen, Ep 47,11) '. Hierokles führte das zur Vorstellung eines fikti\en Positionswechsels weiter: ..Man darf mit Bezug auf jede Prrson diesen Satz anwenden, daß die Umgangsregeln mit einem Menschen darnus erhellen, daß man sich an seine, ihn aber an die eigene Steße setzt. So würde einer wohl auch das rechte Verhältnis zu SkiCMn finden, wenn er darnn dächte, wie er sich die Behandlung wohl wünschte, wenn jener der Herr und er der Sklave wäre" (Hierod 59,9ft). Fs betrifft (c) auch seine Selbstdarstellung und seine Selbsteinschätzung. Er hatte sich entschieden, auf alle selbst\6größemde Selbstdarstellung zu ~chten und sich wegen seiner SchHchtheit lieber verachten zu lassen, als sich selbst durch Vemeßung zu quälen (Sen, Trnnq 17,2). Seneca hat sich selbst nicht für weise gehalten und war dawn überzeugt, es auch nicht zu werden (Sen, Vita 17,3). Mit sich selbst konnte er kritisch und zuwe1len sogar abwertend umgehen. Auf seine Beliebtheit, seine Gelehrsamkeit und seine Stellung gab er wenig. Rozelaar ist deswegen der Meinung, daß Seneca demütig genannt werden könne1• Dem ist zuzustimmen, sofern dabei berücksichtigt ble~bt, daß sein Verzicht auf äußeren Status (a) Episode blieb und (b) nicht die ..wichtigen" Elemente wie sein Amt' und seinen Reichtum bet1'3f. Den Verzicht darnuf, sich ..ins rechte Ucht zu rücken" und die Geringschätzung der anderen in Kauf zu nehmen, wird bei Seneca in einer gesellschaftlichen Position möglich, in der die Verachtung der an dem zwar schmerzlich4 , nicht aber gefährtich war.
Die Verachtung alles Irdischen- die Deutung von Größe und Nichtigkeit bei Mark Aurel Die Relativierung der gesellschaftlichen Werte, wie sie das stoische Denken wmimmt, wird wn Mark Aurel rndikalisiert und elementarisiert. Er bezieht sie (a) nicht nur auf die Kennzeichen eine hohen Ranges, sondern auf die körperliche, affektive und individuelle Dimension des Lebens überhaupt und er (b) relativiert sie nicht nur, sondern verachtet sie. Das hat typische und individuelle Gründe: (a) Die Henschaft Mark Aurels steht an einem Wendepunkt der Geschichte des Römischen Reiches. Die Blütezeit, wie sie in der Romrede des Aristeides gezeichnet wird, wurde abgelöst wn der Krise des dritten Jahrhunderts: der Friedensepoche folgte eine kriegerische Zeit, der Phase des Wachstums und des Wohlstands eine Periode der Verarmung und des Bevölkerungsschwunds\ der Dynastie 'oas D~nk~n ~n~cas in di~m Punkt b~tätigt übrig~ns di~ Th~~ Veyn6, G~llschaft, S. 84, daß ursächlich mit d~r V~rwandlung
di~ Moralisi~rung d~r hi~rarchisch~n V~rhältn~ im 1. Jahrhund~rt ~in~r Konkurr~nz- in ~in~ D~nstaristokrati~ ~rbund~n ist. 1 Roulaar, ~n~ca. S. 140ff, ~. 142; vgl. auch S. 106.
1 Als Stoik~r. d~r sich als sozial~ W~n ~rstand, das and~~n nütz~n soll, sah ~r auch k~in~n Grund, Macht aufzug~~n. di~ ~r für das G~~inwohl ~i~tzt~n konnt~. Vgl. Roz~laar, ~n~ca. S. 114. ~B~i d~r Rückk~hr aus d~n Parth~Jtri~g~n schl~ppt~ das H~~r ~in~ g~F.ihrlich~ Ptst ~in, di~ zahl~ich~ M~nsch~nl~b~n ford~rt~. Dio Cassius sch~ibt: .Er hatt~ nicht das Glück, das ~r ~rdi~nt hätt~. d~nn ~r hatt~ ~in~n si~ch~n Körp~r und mußt~ fast wäh~nd s~in~r g~mt~n R~gl~rungsz~it mit unzählig~n Wid~rwärtigk~it~n kämpftn. Ich für ~in~n T~il hab~ j~doch an Ihm vor all~m di~s b~wund~rt. daß ~r inmitt~n auß~rg~wöhnlich~r und ung~h~u~r Schwi~rigk~it~n s~lbst durchhi~lt und auch noch das R~ich glücklich durchbracht~· (UOO,J6,J). Vgl. Birley, Malt Au~l. S. 380-400.
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der Adaptivkaiser die Ära der Soldatenkaiser', der Epoche der Selbstgewißheit und Z~dlt das "Zeitalter der Angst.u. Durch diesen beginnenden Umbrudl wird ein Lebensgefühl, das seine Aufgabe darin sieht, zu gestalten, zu differenzieren und die Gewidlte umsidltig zu 'Je~Sehieben, durch eines ersetzt, für das alles auf dem Spiel steht, alle Kräfte eingesetzt werden müssen und in dem dennodl das Gefühl von Madlt dem wn Ohnmadlt weidlt (b) Die Herausforderung für einen so mädltigen Mann wie den Kaiser bestand wr allem darin, die kaiserlidle Madlt nidlt zu mißbraud'len 1 und den Gütern nidlt zu ~llen. Mark Aurel beschäftigt sidl mit der einzigen Grenze, die seine kaiserlidle Macht nidlt herauszuschieben vermodlte, mit seinem Tod, und mit dem Vorsatz, den Versudlungen zur Selbstüberhebung, zu der die .Aura des Amts" ~hrte, durdl die Geringschätzung zu entgehen.
Die Nachahmung der Gottheit Leitbild für den Kaiser ist die Gottheit Oll,Jt. Die Orientierung an diesem Leitbild bedeutet den Gehorsam der Vernunft gegenüber. Wer sidl an die Vernunft hielte, scheine den Menschen wie ein Gott, wer es unterließe, wie ein 1ier, entweder WJ1d und bedrohlidl oder häßlidl und boshaft wie ein Affe (IV, 16). Die Nadlahmung Gottes durdl Orientierung an der Vernunft konstituiert also die Menschenwürde und ist somit eine Forderung der Selbstadltung (X,at. Die Verachtung alles Irdischen Erniedrigend und entmenschlidlend wirken die Affekte. Sie sollen abprallen, wie die Brandung an der Klippe, die wn ihnen unbewegt ble1bt, beschwört Mark Aurel (1V,49). Er distanziert sidl besonders nadlhaltig wn ihnen, indem er im Menschen drri (statt wie sonst üblidl zwei) Vermögen, den lelb, das Pneuma als Träger der vitale Lebensfunktionen und den Logos unterscheidet (XII,J), so daß der Logos unberührt wn den Affekten bleibt'. Die Distanz zeigt sidl audl daran, daß er seinem eigenen Körper und seinen Bedürfnissen gegenüber Abscheu und Ekel entwickelt: "Wie man sidl bei Leckerbissen ... 'VOrstellen kann, daß es sidl hier um den Kad~ eines Fisches handelt, um die Leidle eines Vogels ·- und weiter, daß... das Purpurgewand nur die Wolle eines Schafes ist, die mit dem Blut einer Sdlnecke getränkt wurde und daß bei der geschlechtlidlen I
zu d~n .gut~n Kais~m· d~ ähnlich g~w~n. Dio Cassius (UOOI,J6,4) ~rgl~icht d~n Üb~rgang wm Vat~r zum Sohn d~m vom gold~n~n zum ~istm~n Mark Aurtls Sohn und
Nachfolg~r
Commodus zählt nicht
~hr
zw~it~n Jahrhund~rts. Stin~ R~gi~rungsz~it s~i d~rj~nig~n N~ros ~italt~r.
"vgl. Dodds. Angst. lygJ. Pohl~nz, Stoa I, S. 341 f. 4 Pohl~nz, Stoa I, S. 349, b~n~nnt als Leitspruch: .Folg~ Gott•, was sowohl di~ Erg~bung in Gott~s }!ill~n wi~ auch di~ Ckstaltung d~ Hand~lns m~in~. D~n G~dank~n d~r .'o,...oiwtn, tkeu- hatt~ Platon im Th~ait~tos ~ing~führt; im zw~it~n Jahrhund~rt war ~r b~rtits zum G~m~ingut d~r Philosoph~ g~word~n. Vgl. Dodds, Angst, S. 72. 'vgl. Pohl~nz, Stoa I, S. 344.
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Vereinigung nur ein Reiben des Gliedes und eine Absonderung wn Schleim ~unden mit gewissen Zuckungen stattfindet ... - so muß man es das ganze leben lang tun, und wo einem die Dinge allzu seriös wrkommen, muß man sie entblößen, ihre Wertlosigkeit erkennen und ihr hohes Ansehen zerstören ·-" M. 13). Diese Geringschätzung kann er auf die ganze Welt mit ihren Werten und Gütern ausdehnen: "AAles Körperliche - ein Ruß, alles Seelische - Schall und Rauch; das Leben - Krieg und kurzer Aufenthalt eines Fremden, der Nachruhm- Vergessen" 01, 17)1•
Die Selbstentfremdung Mark Aurel distanziert sich auch wn sich selbst bis hin zur Selbstentfremdung. Das zeigt sich an drei Merkmalen: (1) Von der Einstellung Mark Aurels wissen wir aus seiner Schrift EI; 8.wrrk Sie dient der Selbstbeobachtung und Selbsterziehung und ist nicht an andere Menschen gerichter. Er tritt sich selbst erziehend, kritisierend und ermutigend gegenüber und übernimmt gleichzeitig die Rolle des Vatets und die des Sohnes. die der Gottheit, die bei Seneca ja in der Vaterrolle gesehen werden konnte, und des zu zähmenden .Affekten-Tieres"'. (2) Dio Cassius (Römische Geschichte LXXI1,36, 1) berichtet wn einem Traum, den Mark Aurel wr seinem Amtsantritt gehabt habe: Er habe Arme und Beine aus Elfenbein gehabt, die aber gleichwohl beweglich gewesen seien wie menschliche. Die Statuserhöhung ist zugleich eine Selbstentfremdung: Zwar sind die Glieder aus einem wertvollen Material gemacht, zugleich sind sie aber fremd und tot. Die Glieder lassen sich zwar bewegen, unterliegen also seinem Wmen, sind ihm aber nicht mehr wirklich zugehörig•. (3) Mark Aurel hat sich als eine Marionette gesehen. Die Fäden können eineJSeits wn den Affekten gezogen werden (XIl, 19); die Affekte werden damit aus der Persönlichkeit ..ausgelagert" und als fremd empfunden. Andererseits kann aber auch der Logos als der ..Puppenspieler" gelten ()(,38), so daß auch die göttliche Kraft als fremd empfunden wird, auch wenn das natürlich positiv bewertet wird. Das Selbst gerät in die Gefahr zwischen den beiden großen Kräften wn Affekten und Geist zu verschwindens. Mark Aurel empfindet sich ähnlich wie der homerische Aias oder Agamemnon, unterscheidet sich wn ihnen aber darin, daß er sich des Geschehens bewußt ist.
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Das (rinnert an di( kynisch( Abl(hnung d(r gesellschaftlich(n Wert(, untei'5Ch(id(t sich ab(r grundl(g(nd davon. Di( Kynik(r wandt(n sich gegen die gesellschaftlichen W(rte, die sie als Deg(neration des .einfach(n ~btns· diffamierten; dieses einfache ~b(n aber mit seinen natürlichen und körperlich(n ß(dürfnissen ~rachteten sie keineswegs, (b(nsowenig wie die gegenständliche Welt. 0(utlich wird das daran, wie vt&hieden die Kyniker und Mark Aurel die Tiere (inschätzen. Für Mark Aurel sind si( Symbole für das Verächtliche, das Vemunftlose, für die vtrtan( Chance zur Menschw(rdung; Oiog(nes hingegen ließ sich Hund rufen. 2 Nickel, Mark Aurel, S. 384. 1 Diesen Rückzug in sich selbst hält Dodds, Angst, S. 76, für (in wichtig(s Kennz(ichen der Epoch(. • Dodds, Angst, S. 132, Anm. 82, deutet diesen Traum als Anz(iCh(n (iner Identitätskrise. ~.Es ist (in( stolz~ und doch traurige ~hre, ... di( d(n Mensch(n, indem si( ihn vergöttert, doch seine Nichtigkeit auf das tiefste fühlen läßt." Bruns, Mark Aurel, S. 231.
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Statusverzicht Nachahmung Gottes und Statusverzicht
Obwohl Matk Aurel seine Mitmenschen als ..Anfechtung" erlebte (z.B. IX,42; Vl,28)', wußte er sich an sie gewiesen und fühlte sich für sie \e'antwortlich. Die ..schlechten" Menschen zu ertTagen und sogar für sie zu sorgen, begründete er mit der Nachahmung Gottes (IX, 11 ). Mit der Hllfe eines unpersönlichen GottesbegriffS hielt er an der Zusammengehörigkeit aller Menschen fest M. 16.39). Als der Feldherr Cassius Verrat beging, ~chtete Mark Aurel nach der raschen Niederschlagung des Aufstandes auf die Bestrnfung der übrigen Verschwörer und Mitläufer (Dio Cassius, l.XXI1,28, 1ft). Verachtung des Irdischen und Statusverzicht
Die Rollenerwartungen des Hofes erlebte der Kaiser als eine Verführung zur Hybris (IX,29) und als die Bedrohung seiner Freiheit (JV,Jl). Er reagierte darauf mit Widerwillen (X, 19) und Geringschätzung, indem er einerseits deren Rollenerwartungen als .,Schmeichelei" M,59) verstand und andererseits seine Bedürfnisse nach Dank und Ruhm \6SP()ttete und bekämpfte (JV,20; IX,42). Aber auch in seiner Rolle als Phnosoph triffl ihn
seine Selbstverachtung: "Wie unbedeutend sind doch die politisch tätigen und - wie sie jedenfalls glauben - phnosophisch handelnden Menschen. Völlig \mOtzte Gestalten" OX.29)z. Dabei hnft er sich mit der Vorstellung des Todes als dem Vemichter aller Güter und Werte (IX,29). Der ruhmreiche Alexander ist tot nicht größer als sein Maultiertreiber (JV,24), und der "Nachruhm ist Vergessen" (vgl. auch lV,J.JJ; VI, 18.47).
Die Zeuskindschaft der Selbstbestimmten-Hoheitbei Epiktet Mit Epiktet begegnen wir einem Mann, dessen Status niedrig war. Epiktet aus Hierapolis in Pht:ygien kam als SkiCM nach Rom und gehörte dort zum Haus des Epaphroditos, eines Freigelassenen des Nero. Noch als SkiCM hörte er Musonius Rufus und wurde nach seiner Freilassung selbst zum erfolgreichen phnosophischen Lehrer. Epiktet hat also durch seine Freilassung und seinen Lehrerfolg eine Erhöhung erlebt, stieß andererseits aber auch an die Grenzen, die Menschen wn unfreier Geburt (und mit einer durch Mißhandlung entstandenen Körperbehinderung) gesetzt waren. Hoheit hat im Denken Epiktets die Gestalt der Freiheif. Sie konstituiert die Menschenwürde und die Götterähnlichkeit (Epict, Diss 11, 10, 1). Auf die Frage, wie man Freiheit erlangen könne, fand er zwei Antworten: 'vgl. Pohl~nz, Stoa I, S. 345. zAis Philosoph fühlt~ ~r sich auch von and~m vtracht~t und mußt~ gl~ichz~itig ~ing~st~h~n. daß auch si~ sich von ihm vtracht~t fühl~n könnt~n. Er st~llt sich di~ Sz~n~ an s~in~m Tot~nb~tt vor: ~W~rd~n wir uns ~ndlich von di~~m Schulmtist~r ~rhol~n könn~n? Er war zwar für uns k~in schlimmtr Ztitg~no~. ab(r ich hab~ doch g~mtrkt, daß ~r uns im Still~n vtracht~t~~ (V1,39). 1 D~r Wortstamm iM~~~' kommt 130 mal vor.
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Freiheit als Gabe des Zeus Epiktet begründet die Freiheit des Menschen mit der .,Zeuskindschaft": "Mich hat Zeus als einen freien Mann in die Welt gesetzt Oder glaubst du, daß er seinen eigenen Sohn einen Knecht werden lassen woßte (~)" (Epict. Diss 1,19,9; vgl. 1,3,2)'? Die Begründung kann auch über die Vorstellung der Partizipation an der Gottheit und ihren Eigenschaften über den Geist erfolgen (Epict, Diss II, 12f. 14; vgl. 1,3,3 ;I, 12,3)3 • Die Alternative dazu ist, wie ein Tier zu leben und zu denken, nämlich "TrJ:TrEIIIOt/Jpiirv" zu sein und "To:rTEn.oi ml ~ ~... zu haben (Epict, Diss 1,9; vgl. 1,3,7f). Epiktet begründet also die Freiheit religiös als Bestandtell der ~llgemeinen Menschenwürde" und \el'bindet damit henschaftskritische Tendenzen: Das religiös begründete Hoheitsbewußtsein soll gegen die Her&tlaftsansprüche der Mächtigen gesetzt werden (Epict. Diss I, 19), die mit Räubern und Dieben in einer Re1ne genannt werden können (Epict. Diss 1,9,15). Hoheit durch Selbstbestimmung Auf menschlicher Seite wird die Frelneit mit Hllre zweier Vorstellungen ermöglicht: (a) Die Güter, die die Gesellschaft als Machtmittel gewähren oder entziehen kann, bestimmt Epiktet als indifferent. Dabei \6'3chtet er die äußeren Güter nicht. daß schöne Frauen und Aeischsuppe angenehm seien, sei unbestritten (Epict, Diss lll,24,37; vgl. Ench 29), alleine sie zu erwerben, bedeute Trauer, Unruhe und Erniedrigung hinnehmen und sich als ..gehorsamster Diener" unterordnen zu müssen (Epict, Ench 25). Dazu ist Epiktet nicht bereit. Darauf zu \6Zichten, fordert er auch seine Schüler wie ein Arzt auf (Epict, Diss 11, 14,21 f). Oie Güter dürfen genossen werden, wenn sie einem "in den Schoß fallen" (Epict. Diss IV,7,24), sie sind es aber nicht wert, erkämpft zu werden. (b) Über den Wert der Güter entscheidet der Mensch selbst. Nichts ist ~n sich" ein Wert, einen solchen erhalten die Dinge erst in unserer ..Vorstellung", durch die wir ihnen selbstbestimmt Gewicht verte~nen (Epict. Fr 1,9r. Die ~ wird durch einen emotionalen Impuls unterstützt: die Ehrfurcht vor der eigenen Menschenwürde als einem unantastbarem He~ligtum4 , die Aidos, die den Menschen als natürliches sittliches Grundgeffihl eingepflanzt ist und ihn Erniedrigung und Unfreiheit meiden läßt. Epiktet gelingt es damit. die Geringschätzung der gesellschaftlich geschätzten Güter zu begründen, ohne sie \6'3chten zu müssen.
1 Epikt~t
hat ~in~n p~rsönlich~~n Gott~~riff als di~ übrig~n Stoik~r. Vgl. Spann~ut, Art. Epikt~t. Sp. 604. Vgl. d~n in Kl~inasi~n ~rb~it~t~n Kult d~ Ztus Panamams, d~r aus M~nsch~nli~~. Männ~r und Frau~n. F~i~ und Skla~n zum g~~insam~n kultmahl ri~f. lygJ. Spann~ut, Art. Epikt~t. Sp. 605. lygJ. Epict, Fr I ,4 und Diss I, I. D~n Vorgang di~r Wahl n~nnt Epikt~t .Trpoa.ipttTI~·; vgl. Pohl~nz, Stoa I, S. JJ2, und Spann~ut, Art. Epikt~t. Sp. 606. \lgl. Pohl~nz, Stoa I, S. JJJ.
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Distanzierung vom gesellschaftlichen Status durch den Rollenbegriff Epiktet distanziert sich vom gesellschaftlichen Status mit Hilfe des Rollenbegriffs. Ein guter Schauspieler ist ebenso gut als Oidipus Rex wie als Oidipus auf Kolonos, als König und als Bettler (Fr 11). Gott ordnet diese Rollen zu: ....Willst du, daß ich arm bin?" - .Ja" ..Dann wim du erkennen, was Armut ist, wenn sie auf einen guten Schauspieler trifft"" (Epict, Diss lV,7, 13; vgl. Ench 17). Wer so lebt, steht in einem ,.Or,Wv ~.. und erhält als Kampfpreis ,/Jaar).Eia., ~a" ~.. und ..0.-ropofja." (Epict, Diss 11, 18,29). Der Philosoph ist aufgefordert, seine Rolle solange zu spielen, bis sie ihm unerträglich wird und von ihm verlangt wird, was nicht mehr sinnvoll und zweckmäßig ist, dann darf er das Theater verlassen (Epict, Diss 1,25,22). Die Stoa ermöglicht also mit ihrer Relativierung gesellschaftlicher Werte und ihrer Hochschätzung der Vernunft, die Wechselfcille des Schicksals hinzunehmen, Machtpositionen auszufüllen, ohne sie zu mißbrauchen, und niedrige Positionen annehmen zu können, ohne sich unterdrücken und knechten zu lassen. Der Sta~cht wird allmählich vomellbar: Seneca verzichtet auf äußere Statusmerkmale und verweigert sich dem Zwang zur Selbstdamellung und Selbsterhöhung. Mark Aurel verzichtet auf Rache und ~chtet die Statusmerkmale. Beide stehen sich selbst kritisch und zuweilen abwertend gegenüber. Für den Unterschichtsangehörigen Epiktet dagegen wächst die Selbstachtung bis hin zur Entscheidung, diese Selbstachtung dem Leben vorzuziehen (Epict, Diss 1, 19).
4.4. Zusammenfassung 1. Erhöhung und Erniedrigung können als Konsequenzen des ..Römertums" gedeutet
werden. Größe kann als Folge des für Römer als typisch geltenden Verhalte~ der Iabor und der moderatio, angesehen werden. Für diese Werte steht die VäteTSitte ein. Erniedrigung droht, wenn dieses Verhalten aufgegeben wird. Das Ziel ist die Verstetigung der Vergangenheit und das Festhalten an einem einfachen Lebensstil. Aber auch die Erniedrigung und der Untergang können als im Wesen der Römer begründet gedeutet werden. Konkurrenz nach innen, der Brudermord, gilt als destruktiv und wird gleichwohl als typisch römisch verstanden. 2. Erhöhung kann als Gabe der Götter und Htmchaft als ihr Auftrag interpretiert werden. Dabei wird vorausgesetzt, daß lupiter für die Römer Partei genommen hat und ihre Henschaft wm, diese stützt und durch sie die Weltordnung aufrechterhält. Der Wille der Götter wird dabei eng mit der patn1inearen Generationenfolge ~unden. Er artikuliert sich im Willen der Väter und bewährt sich in der Verantwortung für die Söhne. Der besonderen Berufung korrespondiert auf menschlicher Seite die Pietas den Göttern und den Vätern gegenüber sowie die Fürsorge für die Söhne. Erniedrigung ~ängen die Götter, wenn jemand diesem Auftrag zur Henschaft nicht gerecht wird und statt zu henschen sich denen, die niedriger sind als er selbst, unterordnet. Status\6Zicht Q11t als Entfremdung sich selbst und der Gottheit gegenüber - in christlicher Terminologie als Sünde.
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3. Die Stoa begründet die Würde des Menschen unabhängig wn seinem Sozialstatus religiös durch die Verbindung mit der Gottheit und anthropologisch dun:h den Besitz der Vernunft. Dadurch wird (a) der gesellschaftlidle Status relativiert und (b) dem Menschen die Verantwortung fiir seine Position zurückgegeben. Seneca steßt die Vorstellung wn der Wechselhaftigkeit Fortunas und damit die Unsidlerheit des eigenen Status in den Vordergrund. Sein Ziel ist ~ Größe unabhängig wn den Glücksgütern mit der Hilfe der Philosophie zu erwerben und eine innere Sidlerheit zu finden; das \m\Jdlt er, indem er (a) das Sdlicksal ~dltet, (b) die Erniedrigungen als Erziehung oder (c) die Sta~nderungen als Phasen eines kosmischen Gestaltens und Auflösens deutet. Mark Aure/ stellt die Absidlt, seine Madlt nidlt zu mißbraudlen und den Gütern nidlt zu verfallen, in den Vordergrund. Die Nadlahmung Gottes begründet fiir ihn die Sorge ffir seine Untertanen, und die Veradltung alles Irdischen bewahrt ihn dawr, sidl im Lebensgenuß zu \6tieren. Dabei entfremdet sidl der Kaiser aber audl wn sidl selbst. Epiktet. der Freigelassene, legt den Akzent auf die Chance zur Freiheit, indem er (a) sie reHgiös mit der Zeuskindschaft und der Partizipation an der Gottheit begründet und sie (b) mit der Einsidlt in die Fähigkeit, auf die Madltmittel der Gesellschaft zu ~dlten und sie neu zu bewerten, verbindet. Seneca legt also den Akzent darauf, in den Wechselfällen des Sdlicksals Sidlerheit zu finden. Mark Aurel versudlt, in seiner hohen Position eine Balance zwischen Madlt und Ohnmadlt, Größe und Nidltigkeit zu finden, Epiktet zielt darauf, jedem Menschen Selbstadltung unabhängig wn den gesellschaftlidlen Mädlten und ein Leben in Hoheit und Freiheit zu ermögHdlen.
5. Kapitel: Demut in der paganen Antike Die Worte, die im Neuen Testament die Demut bezeidlnen, ~~ und seine Derivate, sind im paganen Sprad1gebraud1 ganz überwiegend negativ bewertet. Sie bezeidlnen die geringe Bedeutung, den niedrigen Status, die ärmlidlen Verhältnisse und die moralisch zu ~eilende Haltung. Auf die Gesinnung bezogen, beschreiben sie die innere Haltung des Abhängigen und Skla\en, die wn Angst und Unterwürfigkeit geprägt ist. Eine positive Bewertung begegnet nur an den folgenden wenigen Stellen •.
5.1. Demut vor Gott Die SelbsNerkleinerung wr der Gottheit bezeidlnet nidlt das übHdle, sondern das ungewöhnlidle Verhalten. ~ii/', womit einerseits die ~dltete Demuts- und Unterwerfungsgestus der Barbaren ihren Henschem gegenüber bezeidlnet wurde, meinte in der Kultspradle andererseits die der Gottheit zugeworfene Kußhand, ein wn Selbsterniedrigung vößig freier Gestus1 • ln der delphischen Theologie wird der Mensch Vgl. Grundmann, Art. n&m•~ KTA., S. 1-6; Dihl~. Art. [)(mut, Sp. 740-743; R~hrl, [)(mut, S. 713.24-78; W~ngst, D~mut, S. 15-34. Es kann auch dit g~ring~ W~rtschätzung h~rvorruf~nd~ körp~rlich~ Gtstalt, also Häßlichk~it, b~sch~ibtn. Vgl. R~hrl, [)(mut, S. 26.29. lygJ. Dihl~. Art. D~mut, Sp. 742. 1
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indes nachdrücklich an seinen Rang unterhalb der Götter gewiesen, indem das Einhalten des rechten Maßes gefordert wird. Dabei geht es jedoch nicht um Selbsterniedrigung, sondern darum, mit den Göttern nicht zu konkurrieren und die Grenzen des Menschlichen, besonders die Sterblichkeit, zu akzeptieren •. Sollte jemand das rechte Maß überschritten haben, kann er ~chen, es durch eine Selbstdemütigung wieder zu erlangen. Plutarth berichtet, daß Epameinondas am Tag nadl seinem Sieg über die Spartaner ganz gegen seine Gewohnheit ~ Ka.i ~.. aufgetreten sei, um seinen maßlosen Stolz des Vortags zu geißeln (Mor 193at. Daß die Götter erniedrigen und erhöhen können, ist ein weiMrbreiteter Gedanke). Von den erniedrigten Menschen wird entweder Geffigigkeit und die Übernahme einer ..sklavischen Gesinnung" erwartet (Eur, Tro 1025)\ oder sie werden dazu aufgefordert, unabhängig von den äußeren Verhältnissen eine sol.M.Tcine, eben nicht "unterwürfige" Geisteshaltung zu bewahren (Piut, Mor 28Cf. JJGE. s99b; Diog Laert 1,9Jt. Gelegentlidl wird gegenüber der Gottheit eine Einstellung gefordert, die mit "~~~ beschrieben wird: (1) Platon ~angt in den Nomoi von den Bürgern des idealen Staates, sidl dem Gesetz demütig unterzuordnen: Dem Gott "folgt stets die Gerechtigkeit nadl, weldle di~enigen, die hinter dem göttlidlen Gesetz zurückbleiben, es büßen läßt. Wer nun ein glückseliges Leben fUhren will, der hält an ihr fest und folgt ihr demütig und geregelten Sinnes ("-n11re~ Ka.i ~"); wenn sidl dagegen jemand in stolzem Dünkel erhebt, nämHdl entweder durth Reichtümer oder Ehrenstellungen hodlmütig wird oder seiner Wohlgestalt wegen ~unden mit Jugend und Torheit, und in der Seele vor Übermut entbrennt, als bedürfe er keiner Obrigkeit und keines Führers, sondern sei imstande selbst der Führer anderer zu werden: dann ble~bt er von Gott ~assen zurück (und) .... richtet sidl selbst und sein Hauswesen und den Staat duTthaus zugrunde.... Jeder muß darauf sinnen, unter denen zu sein, die dem Gott folgen" (Plat, Leg 716a). Der späte Platon traut den Menschen, wegen der Versudlung durth Übermaß und Ungerechtigkeit (Piat, Leg 713c), die Fähigkeit zu gerechter Henschaft nicht mehr zu'. Gerecht henschen nur die Götter7, deswegen sei gerechte Henschaft alleine durth vernünftige, göttlidle Gesetze zu gewährleisten, denen gegenüber die Henscher als Diener und Ski~ (Piat, Leg 715d) zu gelten hätten. Audl hier geht es also nicht um das Bewußtsein von 1 Dihl~.
~bd., S. 737. Das Motiv vom N~id d~r Gött~r z~igt, daß d~r Abstand zwisch~n M~nsch und Gott nicht als so unüb~rwindlich ang~~h~n wurd~. daß ~in~ Konku~nz und~nkbar wär~. Vgl. auch di~ Erinn~rung an di~ St~rblichk~it, also an di~ G~nz~n d~ M~nsch~n. b~im Ritual d~s römisch~n Triumphzugs. ~r Triumphator muß im Aug~nblick ~in~r Erhöhung daran ~rinntrt w~rd~n. daß ~r d~nnoch M~nsch bl~ibt und di~ G~nz~ d~r St~rblichk~it nicht üb~rsch~it~n kann. G~g~n R~hrl, ~mut, S. 88f, d~r m~int, dit ~ für D~mut halt~n zu dürf~n. l>aß di~~s V~rfah~n j~doch nicht als ~rtrau~nswürdig galt, z~igt di~ Darst~llung d~ Polykrat~s b~i H~rodot.
)B~I~g~ b~i R~hrl, D~mut, S. 109-111. \lgl. Dihl~. Art. D~mut, Sp. 741. sDi~~ Alt~matM ~ntstand ~rst nach d~r Entd~ckung d~r statusunabhängig~n Würd~ d~s M~nsch~n in d~r Philosophi~. 'vgl. Annas, Platon, S. J89f. 7 Piat, ~g 71Jb-714a, illustri~rt das mit d~m Mythos vom Z~italt~r d~s Kronos.
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"Niedrigkeit", um eine Selbstverkleinerung der Gottheit gegenüber, sondern um die Einsicht in die "wahre Göttlichkeit" und "Hoheit" des Menschen, die in seiner Vernünftigkeit begründet ist und sich im Hören auf die Vernunft, die Gesetze erweist'. Allerdings ist die Voraussetzung für den Erwerb dieser "wahren Größe" der VeTZicht auf ein anmaßendes. auf äußeren Merkmalen beruhendes. Selbstbewußtsein. Größe wird als Partizipation am Göttlichen ~nden, die sidl im Gehorsam realisiere. (2) Plutarch schre~bt, daß göttliche Strafe dann "einsichtig (~). demütig (~) und furchtsam gegenüber Gott (~ ~ niv 8aiv) mache", wenn sie sogleidl erfolge (Mor 549c). Damit fordert er die Unterordnung unter die Gottheit ein und bewertet sie positiv. Plutarch argumentiert für die Annahme einer Vor5ehung und vergleicht Gott mit dem Dressurreiter, den Menschen mit dem Pferd. Sein Ziel ist es aufzuzeigen, daß, was dem Menschen geschieht, zu seiner Erziehung dient und nidlt sinnlos ist. Die Wahl der Metapher weist darauf hin, daß es um die Unterordnung der Affekte unter die Vernunft: geht. (3) Statius und Porperz fordern demütiges Bitten vor Gott und spiegeln damit ihre Abhängigkeit von den Göttern wider (Prop I, 10,27f; 111 9,29; Stat, Achißeis 1, 144). Demut vor Gott wird also dann gefordert, wenn (a) das Verhältnis von Gott und Mensch als Partizipation durch Gehorsam vorgestellt und gegen ein Modell abgegrenzt wird, in dem Größe unabhängig von der Gottheit und in Konkurrenz zu ihr als erreichbar gilt oder (b) die Gottheit als Gegenüber personal gedacht und als Erzieher (im weiteren Sinn) ~anden wird und (c) die Abhängigkeit des Menschen von der Gottheit Unterwerfung fordert. Exkurs: [)je Selbsterniedrigung der Götter Die griechisch-römische Jv öUX.Covoc;, Ku\ öc; &v eE)..n ev 4-li.v ElvuL npW-toc; 'E<mxL mivtwv ()oü)..o(;." Mt 20, 26f: :All' öc; äxv aE.l.n ev 4-li.v ~yw; yakJauL Eo-tuL 4-tG>v öUX.Covoc;, Ku'L öc; &v eE)..n ev 4-Li.v elvuL npW'toc; 'EotuL 4-tG>v öoü.l.oc;." Mt 23,11: "' 0 & ~t(wv 4-tG>v EotUL 4JWv öuiKovoc;." U 22,26: "'0 ~t(wv Ev 4-Li.v yu~ Wc; b VEWrEpoc; Ku\ b irfo~ Wc; b ÖUXKovWV."
Der substantivische Grundtyp singularischer Form ist am stärksten variiert worden. Der
Grundtyp richtet sich an einzelne und ~nüpft ihre (tatsächliche oder erstrebte) Position in der Gruppe mit der Übernahme einer bestimmten Rolle. Die Rollenübernahme wird im Hauptsatz, die angestrebte Position im wrangestellten Nebensatz ausgesagt. Stand im pluralischen Grundtyp ein Empfangen und Erleiden im Vordergrund, liegt hier der Akzent auf einem Tun: &a.ICOIIEw. Wurde dort der Rollentausch angekündigt. ohne daß er als von den Rolleninhabern erstrebt galt, so geht es hier um die geplante und gewollte Übernahme einer Führungsrolle. Das zeigt sich auch daran, daß hier die Vergleichsgruppe (L,.u;w/mvn.n..) genannt wird und lmperati\e stehen können (Imperativ von ~ in U 22,26 und 6EJ...w im hypothetischen Relativsatz in Mk 10,43). Mk 10,43b.44 parr Mt 20,26f ist ein synthetischer Parallelismus membrorum 2• M.E. trägt er eine Steigerung in sich: 43b nennt als angestrebte Position den Positiv des AdjektM ~) und als Vergleichsgruppe L,.ui'w. Die zu übernehmende Rolle ist die des ~. Vers 44 nennt als angestrebte Position einen Superlativ (npWro;) und als Vergleichsgruppe ..alle", mvn.n.. ~. Die zu übernehmende Rolle ist die des Ski~. TISChdiener waren zumeist Ski~. von den 1
äthHen 103,9.11.12; 104,2; Jub 1,16 u.ö. Vgl. Teil II dieser Arbeit. 8ultmann, GTS, S. 79.
2
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Therapeuten und aus der Qumrcmgemeinschaft: aber wissen wir, daß die TISChdienste durch freie MitgHeder der GemeirlSChaft: übernommen wurden. Die Übernahme der Rolle des TISdldieners legt den Akzent auf die Übernahme einer Funktion, nicht einer Beziehung zu den Bedienten. Das ist in Vers 44 anders: Wer nicht nur eine der angesehenen Positionen, sondern die Führungsroße haben WJ1~ der muß seine Beziehung zu allen andern als ein Eigentu~ältnis definieren. Er soll sich als einer \mtehen, der 'tausend' Herren hat. Der übelsteigernde Zug läßt es m.E. als möglich erscheinen, daß ..alle" nicht an die Gemeindegrenzen gebunden ist und tatsächHch alle MeriSdlen meine. Dieser Grundtyp spricht nur vom Statusgewinn und seiner Bedingung. nicht aber drohend von einer Erniedrigung. Adressiert ist diese Variante des Positionswedlsellogions nur an den Jüngerkreis. Mt 18,4 kombiniert den substantivischen Grundtyp singularischer Form mit Elementen aus der \6'balen Variante. auch diese beide Grundtypen. Deutlicher als im \6'balen Typ ist im substantivischen Grundtyp singularischer Form Demut als soziale Tugend gefordert. Andererseits findet sich eine Nähe zum substantivischen Typ pluralischer Form. Das kann sich an den Formulierungen zeigen wie in Mk 9,35b, aber auch strukturell daran, daß das Wort zwar an den einzelnen adressiert ist, dieser aber in seiner Rolle fiir die Gruppe thematisiert wird, und zwar sowohl was die geforderte Rollenübernahme als Diener oder Sklave als auch was die angestrebte Führungsposition angeht. Dieser Grundtyp läßt sich gut als Synthese der \6'balen und substantivisch pluralischen Variante verstehen. Dieser dritte Grundtyp wird in seiner Aussage als singulär empfunden. Das spiegelt sich darin, daß die Ordnung der JüngergemeiriSdlaft: im KontTast zur jüdischen (Mt 23,512) und paganen Gesellschaft (Mk 10,42) beschrieben wird. Es zeigt sich auch daran, daß dieser Grundtyp begründet werden muß. Christologische Begründungen finden sich in Mk 9,37; 10,45; Mt 23,8-10 und U 22,27. Er begegnet also nicht ohne eigene Begründung. Die beiden anderen Grundtypen haben dagegen selbst begründende Funktion. Sie stellen Besonderheiten der Jesusbewegung und des Urchristentums in den bekannten Zusammenhang des den Positionswechsel herbeifUhrenden Handeln Gottes.
12.4. Die jesuanische Herkunft der Positionswechsellogien Der verbale und der substantivisch-pluralische Grundtyp Die Tradition vom Positionswechsel ist also mehrfach bezeugt, in Mk, im matthäisehen sowie lukanischen Sondergut und im Thomasevangelium. Diese breite Bezeugung ist ein Hinweis auf jesuanische Herkunft.
1 Dab~i
kann un~ntschi~d~n bl~i~n. ob an all~ Jud~n od~r auch an all~ H~id~n g~dacht war. D~r Punkt ist: Es ist nicht nur an di~ G~m~ind~mitgli~d~r g~dacht. Paulus w~nigst~ns d~nkt und l~bt so: I Kor 9,19-22.
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Für den ~alen und substantivisch plmalisdl formulierten Grundtyp wird das durch die historisdle KontextplaliSibiHtät'unterstützt. Diese Vorstellungen standen Jesus in seiner jüdischen TJadition zur Verfügung. Jesuanisdle Herkunft wird weiter plaUSibel dadurch, daß Jesu Verhalten zu der Aussage der Logien stimmt. Er galt als Freund der "Zöllner und Sünder" (Mk 2,15f; U 7,34fparr; Mt 21,32; U 7,36ff}, war Kindem besonders zugewandt (Mk 5,21ff; 7,24ff; 9,14ff; 9,36f;10,13-16; Mt 11,25), forderte von seinen Jüngern Besitzverzicht (Mk 10,25.28-30) und lebte selbst als "Niedriger': Zugleich beanspruchte er die Autorität eines Propheten und Charismatikers1 und gab seinen Jüngern Ante~l daran (Mk 6,7-13; Mt 10,7.8). Er konnte sie als die zukünftigen Richter lsraels (U< 22,30 parr Mt 19,28) bezeichnen. Jesus und seine Jünger nahmen in der Gesellschaft ihrer Zeit einen niedrigen Platz ein und beanspruchten damit einen hohen Status in der zukünftigen Welt. Ihr niedriger Status war freiwillig übernommen, entsprach also einer "Selbsterniedrigung':
Der substantivisch-singularische Grundtyp Der dritte Grundtyp läßt nicht ohne weiteres jesuanische Herkunft: vermuten. Dagegen
sprechen die Plazierung in der Gemeindeparänese und die christologische Begründung. M.E. läßt sich jedoch auch eine Beobachtung fiir die jesuanische Herkunft einiger Varianten dieses Grundtyps geltend machen: Er steht in einer schwer zu präzisierenden, aber unübersehbaren Beziehung zu den Kindern. 9,35b wird durch 9,37 erläutert: Wer Kinder aufnimmt. nimmt Jesus und Gott selbst auf. Jesus identifiziert sich mit den Kindern. Für die Jünger ist das mit der Aufforderung ~unden, Kinder aufzunehmen und sie als Repräsentanten Jesu zu respektieren. Eine antike Selbstverständlichkeit) wird umgekehrt: Gott begegnet in den Kindern, nicht in den Eltern. Die Kinderrolle in Vm 37 steht pal3llel zur Rolle des ~~· in Vers 35b. Die lk Parallele 9,46-49 ~indet das zu einer Szene. Die Aufforderung, Kinder aufzunehmen, geht dem zu Mk 9,35b paJallelen Spruch direkt voraus. Er ist dabei der Szene angeglichen worden, indem er das Stichwort ~ mit dem superlativisch ~ndenen Komparativ von ,u~ kontrastiert und so dazu auffordert. die Rolle eines Kindes zu übernehmen. U 22.26. die lk Parallele zu Mk 10,43bf, stellt als erstes Paar im Parallelismus f.IEifJw und llf~ zusammen. Auch hier finden wir also einen Hinweis auf das niedrige Alter, auf das Kind~, und auch hier steht die Kinderrolle parallel zur Rolle des ~. Zusätzliche PlaUS1bilität gewinnt diese Gleidlsetzung dadun:h, daß die Rolle der 'Th~iß~n I M~rz. Jtsus, S. 119. ~~iß~n I M~rz. Jtsus, S. 456f. \tgl. z.B. Philo, Decal 106-110, bts. 107. Di~s~ Parall~lisi~rung flnd~t sich auch b~i Philo. Kind(r (Söhn( und Töcht~r) steh~n auf der gleich~n Stuf~ wie Jüng~r ~i). Untertänige lai7rri«oor) und Sklaven (cloaAor). Vgl. Philo, Spec~g 11,227: ..iv ,UV o.N Tii G,ui110vr ~· ~epi110'11T1U ')'OIIfi,, TrfJEußimpor .,.äp tivr rca.i ~ rca.i taifnrnu rca.i ~' rca.i clfcnrOTa.r, iv ~ Tfj fM'TTDIII uioi rca.i IJv,.Tipt,, llfWTtpor ')1ip rca.i ~ rca.i tU~, ai7rri«ooi Tf rca.i cloüMr." Im römischen Kulturk~is bedienten die Kinder die Eltern bei TISch. Vgl. Marquardt, Privatleb~n I, S. 89. ~~r veOt; ist natürlich ~in jung~r Mann und bu~ichn~t ein Lrbensalter, das vielen als erst~berJSwert galt. ~r superlativisch verstandene Komparativ a~r weist in niedrige~s. eben in das Kind~salter.
4
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Kinder in den FamiHen derjenigen des Dieners und SkiCMn ähnelte. Aus Jesu Identifikation mit den Kindem entsteht für die Jünger der Impuls, ebenfalls die Kinderroße zu übernehmen. Damit kann der Ansprum ~unden sein. aufgenommen zu werden (Mt 10,42), aber aum die Aufforderung zu dienen. Mt 23,9 spielt auf die V01stellung von der familia dei an. Die Jünger sind in der Rolle von Gotteskindern. Schließlim ordnet aum das Themasevangelium das Logion dem Verhältnis eines Alten zu einem Kinde zu. Die Bedeutung der Kinder für die jesuanische Verkündigung zeigt sim aum an anderen Punkten. (1) Es werden von Jesus Kinderhellungen berimtet. (2) Eine Einlaßbedingung für das Reim Gottes ist die Übernahme der Kindenolle (Mk 10, 15). (3) Jesu Rede von Gott als dem Abba und der Ausweitung dieser Anrede auf die Jünger weist ebenfalls darauf hin, daß Jesus und seine Jünger die Kindenolle übernommen hatten und auf Gott als den Vater bezogen. Die famiHa dei löst die irdischen Familien ab (Mk 3,2ot), Gottes Autorität die der irdischen Väter. Mit der Ablehnung irdischer Väter steht eine fundamentale Begründungskategorie ffir gesellschaftHme Hierarchie nimt mehr zur Verffigung. Daß Jesus eine hierarchische Ordnung ffir den Jüngerkreis ablehnte und die Verbindung der Positionswechsellogien mit dem Jüngerkreis ebenfalls jesuanisch sind, ist vorstellbar. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, daß die Übernahme der Kindenolle als Autoritätszuwachs gedeutet wurde und ein Wort wie Mk 9,35b' oder lk 22,26 durch .ksus selbst geprägt wurde.
13. Kapitel: Das Positionswechselaxiom in den .,kleinen Einheiten" Das Positionswechselaxiom hat bei der Gestaltung der kleinen Einheiten eingewirkt. Dieses Kapitel untersumt die Bedeutung des Positionswechselaxiom exemplarisch an einigen Einheiten des Markusstoffes. Es lassen sim drei "ideale Situationen" benennen, die durch das Positionswechselaxiom gestaltet werden: (1) Wenn Jesus Menschen mit einem hohen Sozialstatus begegnet, ist der Statusverzimt die Bedingung für einen heilsamen Kontakt. Das wird an einer Wundemzählung, Mk 7,24-30, gezeigt und läßt sim aum für andere Wundemzählungen namweisen. Sta~mt ist nimt nur Rollenmerkmal des statushohen Bittenden gegenüber dem Wundertäter, sondern auch des Jüngers gegenüber dem Lehrer. Das wird an dem Gespräm Jesu mit dem reimen Mann, Mk 10,17-22, dargestellt. (2) Wo Jesus in Kontakt kommt mit Menschen, die einen niedrigen Sozialstatus haben, erfahren sie durch ihn eine Statuserhöhung. Das wird dargelegt an der Überlieferung von 1
Für Mk 9,l5b als ältrste Form des dritten Grundtyps könnt( auch di( Nähe zur Formulierung drs pluralischen Typs sprechen sowie die N(nnung von mLIITWII als Wrgleichsgruppe. Damit ist noch nicht der Jüngerkreis als grschlossene Einheit vorausgesetzt. Der Satz ist noch - wie die anderen beiden Typen - auf die Grsellschaft bezogen.
170 der Kindersegnung (Mk 10, 13-16) und dem Apophthegma von der Gabe der armen Witwe (Mk 12,41- 44). Diese beiden "idealen.. Situationen haben gemeinsam, daß Jesus einzelnen oder Ansammlungen von einzelnen begegnet. (3) Wenn er Gruppen oder Institutionen als Roßenpartner hat, gewinnt die Interaktion gesellschaftliche und politische Relevanz. Thematisiert wird die Ordnung der Gesellschaft. Das deutet sich schon bei der Überlieferung von der Kindersegnung an. Deutlich wird es an der Legende vom Einzug in Jerusalem und der Überlieferung vom Verhör vor Pllatus. Fs findet sich auch im Senfkomgleichnis. Die Henschaft, für die Jesus steht, gehört den Niedrigen.
13.1. Jesus und die Vornehmen Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin Fs handelt sich um eine Wundergeschichte, in der das Motiv der erschwerten Annäherung ein besonderes Gewicht erhalten hat und die an ein Streitgespräch erinnert'. Die Vme 24 und 27a gelten zumeist als markinische Redaktion. Theißen2hat wahrscheinlich gemacht, daß die syrophönizische Frau eine Oberschichtsangehörige war. Zudem seien Menschen wie sie von den Juden der Region für ihre wirtschaftlich schlechte Lage ~ntwortlich gemacht worden•. Jesus weist in Vers 27 also
'Dir Glirdrrung rotspricht drr rinrr Wundrrgrschichtr: Vrrs 24a nrnnt das tyrischr Grbirt als dir Rrgion, in drr sich das Wundrr rrrignrt. V24b brschrribt das Kommen des Wundrrtätrrs und brgründrt drn Aufrnthaltsort "im Haus". Vtrs 25 brschreibt das Auftreten der Stellvertrrterin, charakterisiert dir Not der hilfsbrdürftigen Tochter und kennetirrt das Niedrrfallrn der Frau als Gestus drr Bitte. Vers 26a unterbricht dir Erzählung, um die Bittstellerio nährr zu charaktrrisierrn. Vers 26b formulirrt dir Bitte. Vrrs 27f gibt drn Dialog zwischen Jrsus und der Frau wieder. Es handelt sich um das Motiv "Erschwernis der Annäherung". Vers 29 formuliert drn Zuspruch und verheißt das Wunder. Vers 30 erzählt vom Weggang drr Frau und konstatiert das Wunder. Dir Abweichungen, besondrrs das Fehlen drs Zentralmotivs der Heilung, erklären sich aus der Charakterisierung als "Frmheilung". Manche Forscher halten entweder den Dialog (Lohmeyrr, Markus) oder die Wundrrrrzählung (Kertelge, Wunder; Schenkr, Markusrvangelium) für ursprünglich und betrachten das jeweils anderr Elemrnt als sekundärr Erweiterung. Einr Trennung hat sich nicht durchgesrtzt. Nruerr Auslrger (Feldmeier, Syrophönizierin; Fander, Frau; Ptsch, Markus I) gehen von der ursprünglichen Einhrit wn Wunderrrzählung und Dialog aus. Prsch, Markus I, S. 386, klassifiziert sie als "Femheilung", Feldmeirr, Syrophönizirrin. S. 215, als "rine Art Strritgrspräch" und Fander, Frau, 5.62, im Anschluß an Theißen, Wundrr, S. 120, als Wundrrrrzählung. Bultmann brhandelt sir im Anhang zu drn Apophthegmata (GTS, S. 38). Gegrn die Klassifizirrung als Strritgrspräch oder Apophthegma spricht vor allrm, daß es nicht Jesu Wort ist, das den Höhepunkt bildrt. ~eißrn, Lokalkolorit, S. 69-81. brs. S. 7Jf. 1 lrritierrnd ist allerdings. daß eine hrllenistische Frau aus der Obrrschicht einrr Stadt Hilfr bei einem "Wunderheiler" sucht und dir Erkrankung ihrer Tochter auch noch als Brsessenhrit deutet. Beidrs sind Vrrhaltensweisrn, dir in dir ländliche Unterschicht gehörrn. Vgl. Thrißen, Wundrr, S. 244ff. 4 Thrißrn, Lokalkolorit, S. 79f. Dagegrn spricht sich Pokomy, Puppy, S. 325, aus.
171 die Bitte einer Frau zurück, deren Status ungewöhnHch hoch war. Dem Vergleich mit einem "Hund" haftet zudem etwas Beleidigendes an'. Jesus erniedrigt eine Hohe. Die erniedrigte Frau übernimmt die angebotene Rolle des Hundes und führt das Bild aus der PtTspek~ dieser Rolle weiter. Diese Bereitschaft zur Selbsterniedrigung hatte sich schon in ihrem Niederwerfen in Vers 251 vorher abgebildet Vers 27 hatte aus der Rolle des pater familias gesprochen), der die Nahrung \6teilt. Die Frau sieht - aus der Perspe~ "von unten"-, daß auch die Hunde ernährt werden. Dabei denkt sie \ftlllutHch nicht an herunterfallende oder heruntergereichte Speisen, sondern an die Brotstücke, die in wohlhabenden Häusern als Servietten benutzt wurden, um die Hände und den Mund abzuwischen. Diese Stücke wurden auf den Boden geworfen. Dawn nährten sich nicht nur die Hunde, sondern auch arme Kinder•. Sie wertet die Hundemetapher um: Aus den ~chtlichen und zudringlichen Tieren werden die "Leidensgenossen" der armen Kinder. Hunde und arme Kinder stehen auf einer Stufe, der niedrigstens. Ihnen gegenüber stehen die reichen Kinder am TISCh. Indem die Frau aus der Oberschicht sich selbst erniedrigt, kommen Jesus und ..seine Kinde(' als die Hohen in den Blick. Das wird dadurch \el'stärkt, 'Di~ M~taph~r ~rgl~icht di~ syrophönizisch~ Frau und ihrt Tocht~r mit Hund~n. Vgl. Pokomy, Puppy, S. 323. Das Diminuitiv ~ntspricht ~in~r h~ll~nistisch~n Vorli~b~ (Blaß I ~brunn~r. S. 90) und will k~in~w~gs dl~ Ni~dlichk~it ~in~s W~lp~n h~rwrh~~n. Üb~~tzt w~rd~n könnt~ mit .Köt~r·. Für d~n jüdisch~n J..(s~r st~ht di~ Assoziation mit Unrtinh~it im Vord~rgrund. Ab~r auch für h~idnisch~ ~~r ist .Hund· ~in Schimpfwort. Vgl. Loth, Art. Hund, Sp. 793f. 1 Ptsch, Markus I, S. 387, zählt d~n Kni~fall zur Topik und hält ihn für ~sond~rs typisch für das Auftrtt~n von St~IMrtrtt~m. So auch Ernst, Markus, S. 211. Wi~ noch g~z~igt w~rd~n soll, ist das Motiv in typisch~r W~is~ nicht mit d~m Auftrtt~n von St~IMrtrtt~m. sond~m mit d~m von Ptrson~n mit hoh~m Sozialstatus ~rbund~n. M.E. zählt zu di~~m Motiv auch di~ Anrtd~ mit KVptf in V~rs 28a. Es ist di~ achtungsvoll~ Anrtd~. So wird auch d~r pat~r familias ang~proch~n (Udd~ll/ Scott, S. 101 3); g~k~nnz~ichn~t ist so auch di~ Roll~nüb~mah~ d~r Frau. Si~ spricht j~tzt als ni~d~rts Mitgli~d d~r familia, d~~n pat~r J~sus ist. Unz~if~lhaft ist für d~n christlich~n ltstr darin auch das KVp,O) 'I~ von Röm 10,9 und Phil 2,10f hörbar. Aus d~r Anrtd~ a~r mit Fand~r. Frau, S. 78f, ~in ~rst~s christologisch~s B~k~nntnis zu ~rschli~ß~n. ~rsch~int mir üb~rtri~b~n. F~ldm~i~r. Syrophönizi~rin, S. 217, hat di~ G~g~nargu~nt~ g~nannt. Ein~ solch~ Ausl~gung b~rücksichtigt auch nicht, daß di~ Anrtd~ b~rtits .aus d~m Bild. h~raus, mithin nach d~r Üb~mahm~ d~r Roll~ d~s Hund~s g~proch~n ist. \lgl. Lohm~r. Markus, S. 147; Grundmann, Markus, S. 199. 4 So d~r Wursthändl~r in Aristophan~ Ritt~m: •... Ii~~ ~ TOC7"0iiT-O) ttcpa.Tfi-rp,. (){).)· a~~ bxnrfP Kliwv;' ( ..• ich bin wohl von Abwischbrock~n nicht umsonst so groß und stark g~word~n. (KI~on:) Mit Abwischbrock~n wi~ ~in Hund? (411 f)). Vgl. Schmidt, Lö~. S. 15. Mk 7,27 spricht vom t/;i{, nicht von d~r a~e~. D~nnoch halt~ ich ~s für möglich, daß damit d~ Abwischbrock~n g~~int sind. Si~ sind typisch~ Hund~nahrung. llri{ dag~g~n ist ~kannt als Mäus~nahrung. 11ft~ (Bröstldi~b) ist d~r Nam~ ~in~r Maus. Di~st Bröstl würd~n nicht hinrtich~n. um ~in~n Hund zu ~mährtn. And~rs di~ Abwischbrock~n; ~ sind größ~rt Stück~ vom w~ich~n lnn~rtn d~ Brot~ (Udd~ll/ Scott, S. 209) di~ zud~m noch durch das Abwisch~n g~tränkt :;~in könn~n mit d~n flüssig~n Ant~il~ and~rtr Sp~~n. wi~ ~tt od~r Sau~n. Wi~ di~ ~' sind di~ Abwischbrock~n typisch~rw~is~ .Brotstück~·; ~i ihn~n st~llt sich ab~r nicht di~ Frag~. wi~ Hund~ ~ohl davon l~b~n konnt~n (Pokomy, Puppy, S. 329); si~ konnt~n ~dank M~ng~ und G~m~ng~. Es ist vorg~chlag~n word~n. di~ positM ~it~ d~ .Hund~bild~· in stin~r Trtu~ f~tzumach~n und ~ auf das Motiv .d~r ~rprobt~ Glaub~· zu ~zi~h~n. M.E. li~gt di~ Parall~l~ zu d~n arm~n Kind~m a~r näh~r. (a) w~il si~ an di~ Situation d~r Ernährung durch di~ Abwischbrock~n g~bund~n ist, (b) w~il si~ an di~ Hochschätzung d~r Kind~r von V~rs 27 anknüpft und (c) w~il si~ di~ Option für di~ Ni~drig~n aus Vrrs 27 aufnimmt und n~u b~zi~ht.
172 daß die Szene ~ndert wird. Die Frau denkt offensichtlich an die TISCh\rolältnisse in einem reichen Haus. Jesus geht in Vers 27 von einer kargen Ernährungssituation aus. ln einem reichen Haus fällt etwas ab für die Annen, für die Hunde und die armen Kinder. Sie erinnert Jesus an seine "Hoheit" und den "Reichtum lsraets" und bittet ihn darum, sich entsprechend zu \6halten und nicht die belläufige Wohltätigkeit, wie sie sich in dem Verfüttern der Abwischbrocken zeigt, zu unterbinden. Der pater famiHas einer armen Familie hat für Hunde in der Tat nichts übrig. Der pater familias einer reichen Familie jedoch kann und soll wohltätig sein. Sollte er nur an seine Kinder denken und die Hunde samt den armen Kindem ihrem Schicksal überlassen, wäre das unwürdig und hochmütig•. Die Frau "erhöht" Jesus und "~ftichtet" ihn auf ein statusangemessenes Verhalten. Vers 29 zeigt, daß Jesus sich von diesem Positionswechsel hat überzeugen lassen. Er hebt die Rede der Frau besonders hervor; ihr ~ erhält den Platz, den in anderen Wundererzählungen das ~ Motiv innehar. Ihre Rede hat also die he~lsame Zuwendung Jesu ermögHcht.
Der Positionswechsel in den anderen Wundererzählungen Bei den Menschen, denen Jesus im Markusevangelium wundertätig begegnet, läßt sich bei dreien ein gehobener Sozialstatus vermuten: Bei der Syrophönizierin, bei Jairus und bei der "blutflüssigen" Frau. Jairus wird als ixpx~ vorgestellt (5,22), er gehört also zur lokalen Honoratiorenschicht Die "blutftüssige" Frau hatte die Mittel, Ärzte zu konsultieren und zu bezahlen - und zwar offensichtlich aus eigener Befugnis (5,26). Die Andeutung von Wohlstand und Eigenmächtigkeit deuten auf einen gehobenen Status hin. Daß sie inzwischen ~rmt ist, ist Zeichen der Statusinkonsistenz. Jairus und die Syrophönizierin bitten für ihre Kinder. Kinder sind - wegen ihrer Todesbedrohtheil ..Schwachstellen" der Starken. Hinsichtlich der Gesundheit ihrer Kinder sind auch vornehme Menschen, die wegen ihres hohen Status in anderen Lebensbereichen selbstbestimmter sind als Anne, ohnmächtiif. Das ist ein der Statusinkonsistenz ~Ieich bares Phänomen. Dabei zeigen sie Verhaltensweisen, die sonst für Menschen mit niedrigem Sozialstatus typisch sind: Sie suchen Hilfe bei Wunderheilern•. Die Wundererzählungen der He~lungen dieser drei tragen gemeinsame Merkmale: ln allen drei Fällen wird Jesus eigens aufgesuchts. Alle drei fallen vor Jesus nieder (5,22: np0; ~ ~ a.Vroü; 5,33 11JNOI;,IEUEV tuirq;; 7,25: 11JNOEiiEUEll np0; ~ ~ a.ziroci).
mrrm
1 Pokomy, Puppy, S. 334, ~rwtist auf di~ V~rklamm~rung mit d~m ~rstrn Sprisungswundrr: • Th~ woman ... undoubt~dly asks for this fulnru of lrft-~rs from thr miraculous frrding: Auch dort f9i~rt Jrsus in drn Rollrn d~ .Hausvatrrs· und d~ .H~rrsch~rs·, Vgl. lohmeyrr, Markus, S. 128f. Z.B. Mk 5,34; 10,52. \tgl. auch lk 7,1-10. Auch hirr bittrt rin Mann mit grhobrn~m Sozialstatus für rin Kind. 4 Daß mit sinkrndrm Sozialstatus di~ N~igung wächst, Hilf~ bri Wundrrtätrm und in drr Rrligion zu suchrn, ist rin grm~inantikes Phänomrn. Vgl. Wi~drmann, Adults, S. 176f, und Thrißrn, Wund~r. S. 248ff. ~i~ brid~n. dir J~us nicht rig~ns aufsuchrn, sind jüdischr Männrr, Bartimäus und drr Mann mit drr ~rdorrtrn Hand.
173
Überboten wird diese Demutsgeste nur nodl wm besessenen Gerasener, dessen Niederfallen mit 1TpOO'I(WEiv (5,6) beschrieben wird 1 • Gerade also Menschen, deren Sozialstatus höher ist als der Jesu, nähern sich ihm mit Demutsgesten. Die Struktur, die wir in der Erzählung wn der Syrophönizierin beobachtet haben, daß nämHch die Selbsterniedrigung die Voraussetzung für die Zuwendung Jesu ist, sofern cine/r cinen höheren Sozialstatus hat, findet sich bestätigt und strukturiert auch andere Wundererzählungen. Wenn Menschen mit gehobenem Sozialstatus sich hilfesuchend an Jesus wenden, halten sie sich in zweierlei Hinsicht zu den Niedrigen: Sie übernehmen Verhaltenswcisen, die ffir Menschen aus der Unterschicht typisch sind, und sie übernehmen deren Rolle durch Gesten der Selbsterniedrigung.
Die Begegnung Jesu mit einem reichen Mann, Mk 10,17-27 Mk 10,17-22 schildert die Begegnung Jesu mit cinem reichen Mann. Der Mann wendet sich an Jesus als Lehrer und bittet um cine Belehrunif. Der Mann wird erst in Vers 22 als reich geschildert. Sein hoher Sozialstatus bletbt bis dahin ~orgen. Betont wird dagegen in Vers 17 und Vers 20 die "Demut" des Mannes. ln Vers 17 fcillt die extrem respektwlle Annäherung an Jesus auf, die sich im Gestus und in der Anrede zeigt. Der Gestus des Niederfallens gehört zur Annäherung an den Wundertäter. Die Anrede. Lli.Ö&aK«Äf &yaeE, ist im palästinischen Sprachraum unüblich. Im Griechischen ist die Anrede als "Guter" oder "Beste(' bekannt, aber kom61tionell. Die Verbindung mit dem Gestus zeigt an, daß sie Ausdruck des besonderen Respektes sein will, was sie im Griechischen nicht ist. Die Annäherung zeigt die Selbsterniedrigung des Mannes und seine extreme Hochschätzung Jesu. Dem korrespondiert auch der Inhalt der Frage; sie wendet sich an Jesus als einen, der ~indlich Auskunft geben kann über das eschatologische Het1. ln Vers 20 bestätigt der Mann, daß er die Tora gehalten hat. Er darf als Gerechter gelten). Lohm~ nennt diese Reaktion cine ,,zuglcich demütige und stolze Antwort" •. Toraerfiillung ist ein Anlaß, stolz zu sein. Jesus korrigiert ihn darin auch nichts. Demütig ist 1 Es ist ja b~kanntlich di~ Dämon~ngrupp~ mit Na~n "~gion", di~ d~n Mann zu di~str G~st~ bringt. Sollt~n sich hi~r also di~ .römisch~n ~gion~n· (vgl. Th~iß~n. Lokalkolorit, S. 117) vor J~sus ni~d~rw~rf~n. wä~ auch hi~r d~r Grundsatz g~wahrt: j~ höh~r d~r Sozialstatus d~ G~g~nü~rs ist, d~sto ti~f~r muß di~ ~lbst~mi~drigung vor J~us s~in. Emicht wird di~ G~t~ all~nfalls noch vom Aussätzig~n. d~r im~rhin auf di~ Kni~ F.lllt ( 1,40 - ~ im ac•). 2 Di~ Gattung ist umstritt~n. Bultmann, GTS, S. 20f, hat di~ V~rst 17-22 als Apophth~gma (apophth~gmatisch~ Wort: V~rs 21) bestimmt. Ihm folgt Gnilka, Markus II, S. 84. Dib~lius, Formg~schicht~. S. 40, charakt~risi~rt si~ als Paradigma. Ihm schli~ßt sich Ernst, Markus, S. 295, an. :...Ohm~ytr, Markus, S. 207, b~timmt 17-22 als .Mitt~ zwisch~n biographisch~r An~kdot~ und b~l~h~nd~m G~räch". P~ch, Markus 11, S. 136, klassifizi~rt ~ als ~in Schulg~präch, nimmt all~rdings T~il~ d~r Jüng~rb~l~hrung noch hinzu (17a: Aufmt~n d~s Frag~t~ll~rs; 17b: Frag~; 18f: G~g~nfrag~; 20: Zwisch~nantwort; 21 (ohn~ 21~): abschli~ß~nd~ ~h~rantwort; 2Ja,24c:
Sond~rb~l~hrung d~r Jüng~r).
)Pesch, Markus 11, S. 140.
•Lohm~ytr, Markus, S. 210.
sAnd~rs das Nazarä~~ng~lium, in d~m J~sus d~m Mann nicht glaubt.
174 die Antwort. insofern der Mann trotz seiner Taraerfüllung eine Unsicherheit und einen Mangel bei sich wahrnimmt So scheint seine Frage an Jesus in VeTS 17 motiviert zu sein. Diese Unsicherheit bedeutet fiir die Überlieferung nicht eine Kritik an der Tara, als reiche sie nicht hin zum Hell - Jesus hat gerade das Gegentell behauptet. Sie ist vielmehr Ausdruck der Demut wr Gott Der Gerechte ist auch demütig. Ähnlich wie in Mk 7, 27 finden wir in den Versen 18f eine harsche Zurückweisung des Mannes. Jesus lehnt die ehrende Anrede ab und weist inhaltlich die Frage zurück, indem er den Mann an sein eigenes Wissen, an die Tara~ und eine besondere Auslegung \mYeigert'. Die Demut des Mannes wr Gott, wie sie in VeTS 20 ausgedrückt wird, bringt eine Wende. Sie zeigt sich im Gestus. Jesus blickt den Mann an und liebkost ihn1 • Beides sind Zeichen der annehmenden Zuwendung. Die Anweisung Jesu in VeTS 21 1 schließt daran an. Jesus fordert ihn zum völligen Besitzverzicht auf. Der inneren Demut soll nun auch die äußere Armut, der religiösen Tugend der soziale Status\erzicht folgen. Anders als in Qumran kommt dabei der Erlös den Armen, nicht etwa der neuen Gemeinschaft zugute. Besitz dient in keiner Weise mehr - auch nicht in einer durth die Gemeinschaft kontrollierten Weise - der Existenzsicherung. Anders als bei den Therapeuten geht der Erlös nicht an die Verwandten, er bleibt nicht in der Familie. Mit dem Verzicht auf den Besitz ist die Trennung wn der Familie mitwllzogen. Besitzverzicht ist Sta~cht. Die religiöse Demut wird positiv gewertet. Sie ist der Anlaß ffir Jesu Zuwendung. Sie reicht aber nicht hin. Zum eschatologischen He~l ist der soziale Statusverzicht notwendig. Jesus leitet seine Einladung ein, indem er den Mangel des Mannes benennt. Sein Geffihl des Nichtgenügens hat einen Grund. Es kommt aber nicht darauf an, mehr zu tun (VeTS 17), sondern etwas zu lassen. Sein Mangel besteht darin, daß er zuviel hat: Besitz. Reichtum wird wn einem Gut zu einem Defekt, Armut wn einem Defekt zu einem Gut. VeTS 22 erwähnt die Größe des Reichtums und läßt das eschatologische Heil für den Mann daran scheitern. ln der anschließenden Jüngerbelehrung bezeichnen die Verse 23b.25, die zum ältesten Bestand gezählt werden, Reichtum und "Mitgliedschaft" im Reich Gottes als schwer ~nbar, im Grunde als einander ausschließend. Die Menschen, die in der derzeitigen Gesellschaft einen hohen Status innehaben, finden in der ßam>.,Eia gar keinen Platz. Statusverzicht ist die Bedingung für die Zugehörigkeit zu Gott. ln zwei Hinsichten wird das relativiert: (1) VeTS 27b sieht eine letzte Rettungsmöglichkeit in der Allmacht Gottes. Dieser Hinweis ~indert, daß die Gemeinde dem Urteil Gottes zuwrkommt und Reiche wn sich aus ausschließt. (2) Durth die Verallgemeinerung in Vers 24 bei der Wiederholung wn Vers 1 lohm~r.
Markus, S. 210. Ernst, Markus, S. 296, dag~g~n si~ht in d~r Auswahl d~r G~bot~ b~l"(its
~in~ Ausl~gung. Sich~rlich war ~ ~in~ Auswahl, ab~r k~in~ unüblich~. Daß V~rs 19 so vtrstand~n w~rd~n will, z~igt m.E. di~ R~aktion d~ Mann~. Di~~ Auswahl von G~bot~n ist ihm nicht n~u. J~sus korrigi~rt ihn darin nicht. Das spricht nicht dafiir, daß d~r Mann di~ Point~ d~r Antwort J~u vtrpaßt hat, wi~ Ernst, Markus, S. 296, rll(int. 1 Lohm~r.
Markus, S. 211, Anm. 2, spricht sich mit V~rw~is auf Bau~r. Wört~rbuch, S. 8, für ~in~ aus. Di~ ~d~utung "küs~n" s~i fiir n~ut~tam~ntlich~ üit noch nicht b~l~gt. 1 Di~ Aufford~rung zur Nachfolg~ V~rs 21~ gilt häufig als s~kundäl"( Erw~it~rung.
li~bko~nd~ G~bärd~
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23b erscheint das Problem des Reichen als eines unter mehreren denkbaren. Die Forderung an die Reichen, auf ihren Besitz und ihren Status zu ~chten, soll nicht bedeuten, daß in der Gemeinde Reiche keinen Platz mehr finden oder daß Arme sich über sie erheben dürften.
Zusammenfassung Die Selbsterniedrigung ist für Menschen mit einem hohen Sozialstatus Bedingung für Jesu heilvolle Zuwendung zu ihnen als Lehrer und als Wundertäter. Gefordert wird die Bereitsdlaft, "ideologisch" die Selbsteinschätzung der Niedrigen (Mk 7,28) und deren tatsächHche Lebens\mlältnisse (Mk 10,21) zu übernehmen. Es bedeutet den Verzicht darauf, die eigene Würde zur Geltung zu bringen und sie zu sichern. Damit steht das eschatologische Hetl auf dem Spiel. Das formuliert Jesus als Lehrer (Mk 10,25) explizit. Als Wundertäter gtbt er Anteil an der beginnenden Heilszeit oder \mVeigert ihn.
13.2. Jesus und die Niedrigen Jesus und die Kinder Mk 10,13-16 91lt als biographisches Apophthegma; Vers 15 ist vermutlich sekundär eingefügt worden'. Das Geschehen spielt sich zwischen drei dramatischen Personen ab. Jesus steht im Zentrum des Geschehens. Thematisiert wird der Zugang zu ihm (Vers 13: iT~; Vers 16: ~~). Die Jünger \6SUchen, diesen Zugang zu kontrollieren, beanspruchen die größere Nähe zu Jesus. Jesus weist sie zurück und gewährt den Kindem diese Nähe. Zwischen den Jüngern und den Kinder findet ein P~tio~echselstatt.
Die Jünger beanspruchen aus ihrer besonderen Nähe zu Jesus heraus, auch über die Nähe und Distanz anderer Menschen zu ihm zu entsdleiden. Das ist eine Machtposition, die sie Menschen mit einem besonders niedrigen Sozialstatus, den Kindem gegenüber, ausspielen. Mit diesem Verhalten geraten sie in Widmpruch zu einem Wesensmerkmal der Jüngerschaft. Im Urchristentum gelten die Jünger als "die Kleinen" (Mt 10,42; 18,6.10.14; Lk 8,48; 12,42)2• Wenn sie in 10,13 nun wie Erwachsene. wie machtbewußte. konkurrenzbetonte. eifersüchtige Männer agieren und ihre Zusammengehörigkeit mit den Kindem nicht erkennen, geraten sie auf die falsche" Seite. 'Gnilka, Markus II, S. 80, Pesch, Markus II, S. 131, Grundmann, Markus, S. 27J. Ernst, Markus, S. :!91, ist d~r M~inung, daß di~ Sz~n~ aus d~m Logion V~rs 15 h~raus ~ntwick~lt ~i. lg~rg~r. Am~n Wort~. S. 4Jf, hat - für V~rs 15 - auf Jub 2J als traditionsg~schichtlich~n Hint~rgrund ~rwi~~n. Di~ Gtschichtsdtutung d~s Jubilä~nbuch~s ist von ~inig~m Erklärungsw~rt auch für Mk 10,13-16. Jub 2J z~ugt von tin~m innovationsmudig~n Klima und z~igt, daß dit~ Innovation - ~rstand~n natürlich als Anknüpfung am Alt~n - von d~n Jung~n. d~n Kind~m und Jug~ndlich~n ~rwart~t wurd~. J~u Hochschätzung d~r Kind~r wi~ auch das jug~ndlich~ Alt~r s~in~r Jüng~r laSStn sich so als Ausdruck dtr Zug~hörigk~it zu ~in~r Grupp~ jiidisch~r Em~u~rungs b~w~gung~n ~rst~h~n.
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ln Vers 15 ist das aufgenommen: lm jetzigen Kontext ist Vers 15 Kritik und Mahnung an die Jünger. Nähe und Distanz werden umgekehrt: Nicht die Jünger, sondern die Kinder gehören "natürlicherweise" in die ßam)..Eia.. sie umannt Jesus, die Jünger weist er zurück. Vers 14b hat seine nächste Parallele in Lk 6,20 und kann als (unvollständiger) Makarismus gelten 1• Das Apophthegma also sprimt wn einem Positionswechsel insofern, als marginalisierten Menschen ein "Recht", ein Platz in der Mitte, in der ßa,tnhia. zugesprochen wird. Sie wllzieht sich, indem Jesus die Kinder durdl seine Segnung aus dem Randbereim der Todesbedrohtheit herausnimmt. Sie zeigt sich - ganz kindgemäß körpertim wahrnehmbar - an seiner Umarmung. Auf nega~ Seite entspricht dem die Zurüd<weisung der Jünger. Vers 15 sagt das explizit: Wenn sie in das Reich Gottes gelangen wollen, müssen sie sich an denen orientieren, über die sie sich gerade gesteßt haben: an den Kindern. Damit werden sie zum Sta~cht aufgefordere. Vielleimt spielt ein zweiter Akzent eine Rolle. ln Vers 13 haben sich die Jünger wie die Türsteher des "Reiches Gottes" ~alten. Sie kontrollierten den Zugang. Nun ist dawn die Rede, daß sie keineswegs bereits drinnen sind. Sie sind nodl draußen und müssen erst eine Einlaßbedingung erfiillen. Die Kinder gehen ihnen wraus. Jünger Jesu dürfen Menschen mit niedrigem Status nicht den Zugang zu ihm 'omVehren, denn die Niedrigen gehören in die Mitte. Sie werden dun:h die Begegnung vielmehr erneut aufgefordert, selbst einen Statusverzicht zu üben.
Die Spende der armen Witwe, Mk 12,41-44. ln diesem biographische Apophthegma) deutet Jesus das Verhalten einer Frau mit besonders niedrigem Sozialstatus. Dabei erhöht er sie. Der erzählte Vorgang und das To•IXiTwv hat ~in ält~rts 'T'Oiin.Jv od~r !Wniiv ~~tzt, als Vers 15 ~ing~fügt wurd~ und sich damit das von d~n Kind~m auf ihrt Art verlag~rt~. di~ nachg~ahmt w~rd~n soll. Vgl. z.B. ~h. Markus II, S. 132. Ein~ b~ond~rt Zuspitzung ~rfährt di~ G~g~nüb~rst~llung von Kind~m und Jüng~m. w~nn wi~ Th~iß~n. Grupp~n~ssianismus, S. 116, vorschlägt, in Mk 10, 14b Kind~m di~ T~ilhab~ an d~r Machtausübung in d~r ~ia. zug~roch~n wird. Di~ Jüng~r ~anspruch~n durch ihr kontrolli~rtnd~ V~rhalt~n. di~s~ V~rfügungsgfflalt inn~zuhab~n. J~sus korrigi~rt si~ - ~r verlag~rt di~ Grtnz~n w~it~r nach .au~n·, w~it~r hin zu d~n M~nsch~n. di~ am Rand st~h~n. z.Di~ Aufford~rung, ~ Kind~r zu w~rd~n. ist di~ kürz~t~ Formuli~rung für di~ Ford~rung, auf An~h~n. Macht, R~ichtum und Sich~rh~it zu verzicht~n. • B~rg~r. Am~n Wort~. S. 41, Anm. 38. Fowl, Kingdom, S. 157, unt~rstrticht di~~n Zug in s~in~r Ausl~gung d~r lukanisch~n V~rsion. Er spricht sich dafür aus, daß di~ auf ihrtn ~itz verzicht~nd~n Jüng~r. d~r Blind~ in J~richo und Zachäus, positM ~ispi~l~ für di~ kindlich~ Aufnahm~ d~ R~ich~ Gott~ s~i~n. wohing~g~n d~r rtich~ ti.pxwv ~in n~gatives B~ispi~l s~i. Er w~ist auch auf di~ ~ng~ V~rbindung zwisch~n d~r Aufnahm~ d~r {Jag.kia. und d~r Art d~r B~g~gnung mit J~us hin. Di~ schön~ B~obachtung läßt sich all~rdings nur für Zachäus nachvollzi~h~n. Nur ~r nimmt J~sus auf, ist mit ihm in ~in~m Haus zusamm~n. D~ Jüng~r und d~r Blind~ dag~g~n w~rd~n von J~us in di~ Schar ~in~r Anhäng~r aufg~nomm~n. Fowl ~tzt ~in~ Ausl~gung von Lk 18, 17 m.E. zu Unrtcht von d~r ab, di~ in d~r ~mut d~r Kind~r d~n V~rgl~ichspunkt f~tmacht. Di~~ D~utung si~ht ~r in d~r matthäisch~n V~rsion b~gründ~t und ~ist si~ für Mk und Lk ab. Di~ Abgrtnzung ist nur dann verständlich, w~nn unt~r Demut ~in~ individualmoralisch~ verinn~rlicht~ Tug~nd verstand~n und nicht auch an ~tatusverzicht g~acht wird. Bultmann, GTS, S. 58f; g~nau~r: ~in~ id~al~ Sz~n~. ~bd. S. 38. 1
lnt~r~s~
1n erläuternde Amen-Wort sind eng aufeinander bezogen. Das Amen-Wort hat die Funktion, einer alltäglichen Begebenheit ihr wahres Gewicht zu 'Verleihen. Jesus spricht wie ein apokalyptischer VIsionär•. Eine arme Witwe opfert eine lächerlich geringe Summe, zwei Lepta, ein Viertel Ass. Das ist die kleinste Summe, die eine römische Münze überhaupt damellen kann 2• Das Amen-Wort behauptet fiir diese Summe einen höheren Wert als den, den die anderen Gaben (vielleicht sogar zusammengenommen) el'reicht haben. Die geringste Gabe ist wertvoller als die große Gabe. Das wird begründet mit der Bedeutung, die die Summe fiir das Leben der Witwe hatte: Es war ihr ganzes "Vermögen", und weil es ihr Lebensunterhalt war, ihr ganzes Leben. Durch diese Beziehung auf das Leben der Spendenden gilt nicht nur die Summe als größer als die anderen Summen, sondern auch ihre Wohltätigkeit größer als die der Reichen. Damit wird die Witwe als größer, adeliger und vornehmer als die Reichen erwiesen1 • Zwischen den reichen Spendern und der armen Witwe findet ein Positionswechsel statt. Der Akzent liegt auf der Erhöhung der Witwe. Die Erzählungen von der positiven Bewertung geringer Opfer durch Apollon in Deiphi akzentuieren spezifisch anders. Dort ist die Fähigkeit, maßzuhalten und seine religiösen Pflichten mit Anmut und belläufig zu erfiillen, vorbildlich•. Die Opfernden sind nicht bettelarm und geben nicht alles, was sie besitzen - diese Maßlosigkeit und Radikalität hätte Apollon gründHch mißfallen. Die delphische Tradition leitet dazu an maßzuhalten. Das Apophthegma von der armen Witwe dagegen lehrt Menschen mit gehobenem Sozialstatus, in den Niedrigen die wahrhaft Vornehmen erkennen, und ermutigt die Niedrigen, ein neues Selbstbewußtsein zu entwickeln.
Zusammenfassung Menschen mit niedrigem Sozialstatus erfahren durch die Begegnung mit Jesus eine Aufwertung. Sie betrifft ihre Selbsteinschätzung und ihre eschatologische Bedeutung. Für Menschen mit höherem Sozialstatus werden sie zum Vorbild, sogar zur Krise, an der sich die Zugehörigkeit der "Höheren.. zu Jesus entscheidet. Jn den Gemeinden, in denen die Erzählungen von der Begegnung Jesu mit einzelnen Vornehmen und Niedrigen überliefert worden sind, standen die GemeindemitgHeder unter der Anforderung, ihre Mitglieder mit niedrigem Sozialstatus hochzuschätzen und zu ehren und Status\Uzicht zu üben, wenn ihr eigener Status höher war. Soziale Demut war bei ihnen ein wichtiger, über das eschatologische Heil entscheidender Wert.
I
Berger, Amen Worte, S. 49. römischen Bereich galt der Quadrans als die kleinste Münze. ln Palästina gab es noch eine kleinere, den Pruta. Ihr Wert entsprach einem Achtel des Assc:s. Vgl. Theißc:n Lokalkolorit, S. 259. 1Theißen, Werterevolution, S. 351. • Vgl. oben S. 45. 21m
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13.3. Jesus und die gesellschaftliche Ordnung Der arme König, Mk 11,1-11 Die biographische Legende ist zweiteilig. Die Verse 1-7a erzählen von der wunderbaren Auftindung des Reittiers. die Verse 7b-11 erzählen vom Einzug Jesu nach Jerusalem, dem Übersdlreiten der Stadtgrenze. Ich betrachte die Legende als einheitlich •. Jesus ist als der 1 Di~
Einh~itlichk~it d~r ~rikop~ wird durch drti B~obachtung~n fraglich. (1) V~rs 1 bi~t~t vi~r in Spannung st~h~nd~ Ortsanga~n. Di~ Spannung wird verursacht durch di~ N~nnung von B~thani~n. das (a) nicht auf d~m W~g lag und (b) w~it~r von J~rusal~m ~ntf~mt war als Betphag~. das b~rtits zum Stadtg~bi~t g~hört~. (2) ln d~n v~rs~n 7f w~is~n (a) in Vers 7 ~in T~mpus~ch~l vom Pra~~ns in d~n Aorist und (b) ~in~ Wrdopp~lung d~s Motivs vom Ausbrtit~n d~r Kleid~r auf d~m Rück~n d~ R~itti~rs und auf d~r Straß~ auf zwei Üb~rli~~rung~n hin. (J) ln V~rs 11 find~n wir ~in~n Num~ruswtchs~l. ~i d~r Ankunft in J~rusal~m und d~m T~m~l ist von J~sus all~in~ di~ R~d~. B~i d~r Rückk~hr nach B~thani~n sind di~ Jüng~r mit ".nU. angdügt; das V~rb bl~ibt w~it~r im Singular. Sch~nk~. Passion, S. 166ff, versucht ~in~ literarkritisch~ Lösung. Er unt~rsch~id~t zw~i ursprünglich ~lbständig~ kl~in~ Einh~it~n: Ein~ Wund~rtrzählung von d~r Auftindung ~in~s R~itti~rs in d~n V~~n 1b-7 .15a und ~in~ Erzählung von d~r ~grüßung J~u als König in d~n V~rs~n 8-11. Di~ Wund~rtrzählung s~i im Pra~s~ns Historicum ~rzählt und spi~l~ sich b~i B~thphag~ ab. Di~ B~grüßung J~u als König lokalisi~rt ~r in ~thani~n. Sie find~ ohn~ R~itti~r statt. Di~ Zäsur im T~t s~tzt ~r nach v~rs 7: Danach verschwänd~n Es~l und Pra~~ns Historicum zugl~ich. G~g~n Sch~nk~s Auft~ilung spricht m.E. Wrs 7. &I und Pra~~ns Historicum verschwind~n nämlich nicht gl~ichz~itig. Daß J~sus sich auf den Es~l (br'a.Vrci11) s~tzt, wird im Aorist b~richt~t. Schenk~ spricht sich auch nicht dafür aus. daß di~s bertits markinisch~ R~daktion s~i. 'E~ea.BtiTfll g~hört also d~m T~mpus nach b~rtits zu d~n V~~n 8-11. B~id~ T~il~ sind stärk~r in~inand~r verschacht~lt. D~r Es~l gehört auch zur Einzugsg~chicht~. Auf logisch~r und traditionsg~chichtlich~r E~n~ wird eing~wandt, daß das Ausbrtit~n von Kl~id~m im Königsritual auf d~r s~hr kurz~n Str~ck~ vor d~m Thron üblich g~w~~n s~i. d~n d~r Herrsch~r natürlich zu Fuß b~ti~g~n habe, und ~s zud~m nicht denkbar ~i. daß d~r W~g bis nach J~rusalem mit Kleid~m unt~rl~gt g~w~s~n wärt (Gnilka, Markus II, S. 11 J-115; Ha~nch~n. W~g J~u. S. 377). D~m ist ~ntg~g~nzuhalt~n. daß (a) in II R~g 9, I J, d~r B~l~gstell~ für das Ausbrtit~n von Kl~id~m im Königsritual, di6~ Ritual ~b~nfalls ~h~r provisorisch~n Charakt~r hat. Vorg~t~llt ist ~in~ Sz~ne in d~r Provinz (Ramot/Gil~ad) im H«rlag~r. Si~ find~t statt als Akklamation d~s H~~rts nach d~r Salbung durch ~in~n Proph~t~njüng~r im V~rborg~n~n d~ Haus~. Erst danach rtit~t Jehu nach J~srt~l um ~in~n Vorgäng~r Joram zu töt~n. Daß das Ausbrtit~n d~r Kl~ider als Ritus zur Thronb~teigung g~hört~. läßt sich II R~ 9 nicht ~ntnehm~n; b~i and~rtn Thronb~t~igung~n wird uns davon nicht b~richt~t. All~in~ hi~raus zu schli~ß~n. d~r G~tus ~i nur auf kurz~r Str~ck~ vor d~m Thron d~nkbar, ist m.E. ~in~ unzulässig~ V~rallg~~in~rung. Di~ lokalisi~rung d~r Sz~n~ im H~~rlag~r. also ~b~n nicht in d~r Hauptstadt und d~r Zusam~nhang mit d~r Akklamation d~s H~~~ als ~rst~m Anhäng~r ist d~r in Mk 1, 1- 11 vorg~t~llt~n Situation sogar ~h~r vergl~ichbar. (b) Ich kann d~m T~xt nicht ~ntn~h~n. daß das G~sch~h~n. das in d~n V~rs~n 8-11 darg~t~llt wird, auf d~m drti Kilo~t~r lang~n W~g als st~tig g~child~rt w~rd~n soll. G~child~rt wird das Üb~rschrtiten d~r StadtgRnz~ ~i B~thphag~. Ich ~h~ nicht, wodurch ausg~schloss~n ist, daß ein Ertignis vorg~st~llt wird, das kurz~ üit g~dau~rt hat und sich auf ~in~n ~hr b~grtnzt~n Raum b~chränkt hat. Auch P~sch, Markus II, S. 186, m~int, das Ertignis ~i ~pisodal. Auch das komm~ntarlo~ V~rschwind~n d~ Es~ls nach V~rs 7 n~nnt Sch~nk~ als Argum~nt für di~ Unabhängigk~it d~r zweit~n Einh~it. Natürlich ist ~s (a) probl~matisch aus d~m Sch~igen auf ~in F~hl~n zu schli~ß~n. Auß~rdem (b) läßt sich di~ Schw~ig~n ~b~nso gut g~~n ~in~ ursprünglich s~lbständig~ Wund~rtruhlung anführtn: Di~ Wund~rtrzählung nämlich sagt in V~rs Jb di~ Rückgab~ d~s li~TtS an. Von di~r wird ab~r nicht b~richtd. Di~ Wund~rtrzählung läg~ also nur fragm~ntarisch vor. Als kl~in~ Einh~it ist si~ nur postuli~rt. zu~inand~r
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königliche Helfer der Armen geschildert. Traditionsgeschichtlich werden Sach 9,9 und Gen 49,11 in der Rndungslegende und in Vers 7b'aufgenommen. Der Osannaruf ist ein Hilferuf an Gott oder den Köniif. ln Vers 7b ist der Bezug auf Sach 9,9 im Sitzen Jesu auf dem Bel erkennbar. Mit Sach 9,9 nimmt die Legende ein wm Positionswechselaxiom geprägtes Henscherbild auf. Der Höchste in der Gesel1schaft hat auf seinen Status ~chtet und te.lt das Leben der Niedrigen; dabei hat er fiir sie eine besondere Schutzfunktion. Henschaft fordert Sta~cht. Nur so kann der Henscher gerecht sein und seine Aufgabe an den Niedrigen wahrnehmen. Möglicherweise hat die Legende nicht nur die Forderung der Selbsterniedrigung des Hohen verarbeitet, sondern auch die komplementäre wn der Erhöhung der Niedrigen: Sach 9,9 steht vielleicht auch hinter Vers 10a. Unter den Auslegern findet sich die Neigung, Vers 10 als sekundär auszuscheiden. Die Wendungen wn der kommenden Königsherrschaft eines anderen als des Messias oder Gottes selbst seien unjüdisch; das beträfe auch die Bezeichnung Davids als Vater. Die Wendung gilt als wm christlichen Sprachgebrauch her überforme. M.E. gibt es eine Auslegungsalternative: In Sach 9,9 ist wn der Tochter Zion und dem König die Rede. Petersen4 spricht sich dafiir aus. in beiden Gestalten eine corporate personality zu sehen, die für die Bewohner Jerusalems auf der einen und die Otr Vrrsuch, zwri voneinandrr unabhängigr klrinr Einhriten aufzuwrisrn, halte ich für nicht grlungrn. Allrrdings rrwrisrn sich dir Vrrsr lb-7a als zusammrngrhörig. Sir rrzählrn rin abgrschlossrnrs Grschrhrn. Vrrs 7b schlirßt abrr so di~kt an, daß rine grt~nnte Übrrlirftrung nicht plausibel ist. Das Ausb~iten der Kleidrr auf drm Wrg in Vers 8 läßt sich als di~ktr Rraktion auf dir Übrmahmr drr königlichrn Rollr durch das Brstrigrn drs Esrls vtrstrhrn. Es ist wrsrntlich plausiblrr, wrnn rs dafür rinrn solchrn Anlaß gab, als wrnn dirs spontan brim B~t~trn Brthanirns rrfolgtr. Dir Findungslrgrndr, wir dir Versr lb-7a brzrichnrt wordrn sind, hat dir Funktion, dir hrilsgrschichtlichr Rrlevanz drs Grschrhrns hrrauszustrllrn: Jrsus ist nicht im rigrntlichrn Sinnr initiativ, sondern rr grht rinrn vorbr~itrtrn Wrg. Orr Übrrgang zum Aorist mit iKti.Bitml krnnzrichnrt drn Brginn drr hrilsgrschichtlich ~levantrn Handlung. Daß in drn Vrrsrn 7f mit drm Klridrrmotiv rinr Dopprlung vorlirgt, haltr ich für fraglich. Das Klridrrmotiv in Vrrs 8 dirnt drr Huldigung, in Vrrs 7 wrrdrn dir Klridrr als Sattrldrckr brnutzt, ohnr daß damit rinr symbolischr &drutung vrrbundrn ist. Drr Nulll(ruswrchsrl in Vrrs II wird m.E. plausiblrr, wenn rr vor drm Hintrrgrund drr Gesamtszrnr grsrhrn wird. ln drr Szrnr handrln Jrsus auf drr rinrn und dir ihn brglritrndrn Pilgrr auf drr andrrrn Sritr. Sir sind als srinr Anhängrr vorgrstrllt. Dir zwri Jüngrr aus Vrrs lb müssrn nicht Mrnschrn aus rinrm rngr~n K~is srin. Jrsus agirrt nur wrnig: Er srndrt (Vrrs I b) und brauftragt (Vrrs 2), rr srtzt sich auf drn Esrl (Vrrs 7b) und rrrricht schl~ßlich Jrrusalem (Vrrs II). Damit ist das Tun und Vorhabrn Jrsu brschrirbrn. Mit Vers II rrrricht das Tun Jrsu srinr Abschluß. Es ist also nicht unpassrnd, daß rs ihn auch zum Subjrkt hat. Dir übrigrn Verbrn habrn rinzrlnr odrr mrh~~ Pilgrr zu Subjrktrn. Drnnoch blribt dir Irritation ~arübrr, daß das Vrrb in Vers I a im PI strht und Vrrs II b dir Zwölf nachträgt. Ernst, Markus. S. 321. l Z.B. Lohmryrr, Markus, S. 231. 1 Ernst, Markus, S. 322; Lohmryrr, Markus, S. 231. Dirsr Erklärung blribt unbrfrirdigrnd, wril uns auch im Urchristrntum dir Rrdr von David als Vatrr nur srhr schwach brzrugt ist; sir brgrgnrt zwrimal und zwar in Act 2,29 und 4,25, in drr Pflngstp~digt drs Pttrus und drm Grbrt drr Grmrindr nach drr rrstrn Vrrhaftung von Pttrus und Johannrs. Auch Ptsch, Markus II, S. 185, lrhnt dir Erklärung aus christlichrm Sprachgrbrauch ab und wrist auch dir Vrrmutung zurück, rin christlichrr Autor habr jüdischr Erwartung unzut~ffrnd brschrirbrn. 4 Pttersrn, Ztchariah, S. 58f.
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Henschenden, die Gottes Henschaft repräsentieren werden, auf der anderen Seite stehen. Diese Vorstellung könnte an Jes 55, 1-5 anknüpfen, wo der Davidsbund auf das Volk erwdtert wird: Das Königtum wird demokratisiert', die Verhdßung ffir das Haus Davids gilt dem Volk. Aus Davids ,.Sohn" sind Davids Kinder geworden. Damit aber kann nidlt nur der König oder der Messias David Vater nennen, sondern audl die Gruppe von Menschen, die erwarten, am Ende von Gott auf dem Zion als Herrscher eingesetzt zu werden. Für die Beziehung von nSam 7 auf dne Gruppe von Menschen Qlbt es in Qurnran eine Parallele: Bergmdd hat an 4Q 174 MEschat gezeigt, daß die Qumrangerneinde die Verheißung von 11 Sam 7 auf sich bezogen hat. "Was dem David ~eißen ist, gilt der Gemeinde der Endzeit. ... jetzt in der Endzeit erffillt sich die Weissagung in der Geschidlte der Qumrangerneinde.") Entsprechend können in 4 Q 177 mit "Davidssproß" die Anhänger des Lehrers der Gerechtigkeit bezeidlnet weroen•. Jesus könnte als Repräsentant dieser "königlichen Gruppe" gezeidlnet sein, wobei 11 Sam 7 in Verbindung mit der Vorstellung vom Positionswechsel zwischen dem König und den Niedrigens gebradlt worden wäre: Die nächste Parallele zum Jubelaufiufin Sach 9,9 ist Zeph 3, 14'. Der Grund ffir den Jubel dort ist die Bewahrung der Niedrigen und 8enden7• Der Jubel über das Kommen des demütigen Königs und der über die Bewahrung der Niedrigen gehören zusammen. Der demütige König von Sach 9,9 ist zugleich der König der Niedrigen und repräsentiert sie. Es ist also mögHch, daß in Vers 10 11 Sam 7 aufgenommen wird. Vorgestellt wäre, daß die Anhänger Jesu sich als die Niedrigen ~tehen, die durch den demütigen König repräsentiert werden und mit ihm henschen werden. Indem Jesus die Rolle des demütigen Königs übernimmt, nähmen seine Anhänger die Rolle dieser Niedrigen auf. Die Selbsterniedrigung des Königs und die Erhöhung der Niedrigen korrespondierten dnander'. Das gesellschaftliche Ideal, das sidl in Mk 11 , 1- 11 ausdrückte, sähe nidlt nur den Status\6Zid1t des Hensch~ sondern die Partizipation der Niedrigen an seiner Henschaft vor. Ein ähnlidles Ideal finden wir in der synoptischen Tradition in Mt 19,28 parr Lk 22,30 in Zusammenhängen, in denen das Positionswechselaxiom gestaltend eingewirkt hat.
'v. Rad, Th(ologi( II, S. 250. 8(rgm(i(r, Erfüllung, S. 275-286. .Ebd., s. 279. Ebd., S. 284f. \tgl. Ob(n S. 94. ·~terscn, üchariah, S. 58f. 7 Dazu g(hÖrt( di( Erwartung (in(r Kris(, di( sich sowohl im Kont(Xt von Sach 9 wi( auch von üph 1. find(t. ln di(S(n Zusamfn(nhang g(hört auch Ps 149. Auch hi(r find(n wir wichtig( El(m(nt( b(i(inand(r: Auf d(m Zion wohn(n di( El(nd(n (Ps 149,4). Si( könn(n auch .Kind(r Zions" h(iß(n (Ps 149,2), was W(g(n d(r (ng(n V(rbund(nh(it von Zions- und Davids(rwählung als Paraii(J( zu .Kind(m Davids" g(lt(n kann. Di(S( M(nsCh(n h(nsch(n mit JHWH; vgl. Kraus, Psalm(n II, S. 1146. Von Wrs 6 an b(g(gn(n Kri(gstradltion(n. Ps 149 könnt( bel(gen, daß di( Vorst(Jiung, wi( wir Si( in Mk 11,10 wid(rg(5pi(g(Jt finden, (ine gewiss( Verbreitung hatte. 1 )
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Der König der Juden und der römische Staat, Mk 15,1-20 Die drei Szenen der alten Passionsgeschichte. die der Kreuzigung Jesu unmittelbar vorausgehen, erzählen vom Verhör vor Pilatus. seinem gescheiterten Versuch, ihn freizulassen und der Verspottung durch die Soldaten. Dabei finden Positionswechsel statt: (1) Jesus Qlbt sich als König zu eri<ennen, Pllatus erweist sich als dem Henscheramt nicht gewachsen. Jesus zeigt nicht die Demutsgesten, die von einem Angeklagten erwartet wurden, und bekennt sich als König. Pllatus folgt seiner Überzeugung von der Unschuld Jesu nicht. Es wird besonders betont (15, 10.12.14t), daß er nicht das tut, was er fiir richtig hält. Pllatus unterwirft: sich den Forderungen des öx).o.;. Der öx).o.; henscht. Es findet also der klassische. negativ bewertete Positionswechsel statt. (2) ln der Folge wird Jesus den Soldaten überlassen. Es handelt sich um Auxlliartruppen, die aus nichtjüdischen Bewohnern Palästinas zusammengesetzt waren'. Daß diese Truppen den Juden gegenüber feindlich eingestellt waren, ist auch bei Jas bezeugt. Ant 19,356-359.364-366 erzählen von einer Erniedrigung der Prinzessinnen aus dem Königshaus. ln beiden Fällen richtet sich der Spott gegen das jüdische Königshaus, dort indem Prinzessinnen als Prostituierte. hier, indem der König durch einen (vermeintIichen) Verbrecher dargestellt wird. Die jüdische Bevölkerung JerusaleTTlS. die Jesus erniedrigen wollte und die Oberhand über Pllatus gewonnen hatte, wird nun selbst verspottet und erniedrigt. Die alte Hierarchie wurde umgekehrt: Recht wäre es. wenn Pilatus mit Hilfe der Truppen über den öx).o.; henschte. statt dessen henscht der ÜX)D; über Pilatus. und feindliche Heiden erniedrigen die Jerusalemer. Jesus ist als der furchtlose König die Kontrastgestalt Durdl die apokalyptische Umkehrung der Verhältnisse ist sein leiden erwartbar. Vorherzusehen ist auch, daß Gott eingreifen und die ~ehrte Rangfolge umstürzen wird. Dann wird Jesus als der wahre Henscher offenbar, und die anderen werden erniedrigt. Die Szenen erinnern an die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung unter Aaccus2 • Für die Verspottungsszene ist das bekannt. Es betriffi aber auch die beiden anderen Szenen. Nach Philo überließ Aaccus. der ägyptische Statthalter, aus Angst um sein ..standing" in Rom dem alexandrinischen Pöbel die Macht und ließ das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung zu. Die Alexandriner handelten aus Neid'. Das Pogrom begann mit der Verspottung des Königs Agrippa I. durch die "Krönung" des Karabas. Karabas war ein geistig behinderter Alexandriner\ der als König ~leidet und als Herrscher begrüßt wurde~. Die Parallelen zu Mk 15,16-20 sind deutlich. Hinzu kommt die gleiche Intention: Die Verspottung richtet sich gegen das jüdische Königshaus und damit gegen die I
Lohm~~r.
Markus, S. 340.
~hilo, Flacc. 1
Philo, Racc 29. Vgl. Mk 15,10. Karabas wird als ~in ungdährlich~r M~nsch gtschild~rt. d~r nackt auf d~r Straßt l~bt und mit Kind~m spi~lt. Armut und Solidarität mit Kind~m find~n wir auch b~i Jtsus. ~Philo, Flacc 36-40.
4
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jüdischen Bevölkerung. ln AJe)(andria werden Juden danach beraubt. mißhandelt. gefangen, getötet. einige sogar gekreuzigt'. Aaccus wurde wenig später abgesetzt, in Rom zum Exil ~eilt und schHeßHch hingerichtet. Philo ~indet mit der Darstellung die Absicht. zu zeigen, daß die römische Macht mit dem Schutz der Juden steht und fcillt. Gott hilft den Juden. Er straft, wer sie nicht schützr. Daß die Darstdlung von ln Aaccum auf die in Mk 15 eingewirtet hat ist denkbar. Das antijüdische Ge!d Iehen in Alexandria 38 wird in Judäa und .m&llem bekannt gewesen sein. Es war die ersre Verfolgung von Juden in Alexandria. Sie fand zeitgleich statt mit der Caligulakrise in .lerusalem. Seide Krism wurden ausgelöst durch den Anspruch des Gaius auf göttliche Verehrung (Philo, L.egGai 120). Daß es über beide Geschehen keinen .AL!stausch gegeben haben sollte, ist schwer vomellbar. Philo war in der Angelegenheit als offizieller Vertreter nach Rom gereist Die Schrift ln Aaccum richtet er an ~ Nachfolger. Es ist wah&'heinlich, daß die Deutung, die er dem Geschehen gibt die Meinung der .alexandrinischen" Judenschaft zumindest ihrer Obmchicht wiedergibt Dann aber könnte diese Deutung durchaus auch in .Jerusalem bekannt gewesen und die Jerusalemer Urgerneinde dort könnte sie gekannt haben. Wenn Ptlatus in Analogie zu Aaccus gestaltet ist, wird auch seine Erniedrigung
erwartbar. Wie im Aaccus könnte sich diese Drohung gegen die römische Weltmacht richten. Jesus stirbt als Jude. Gott wird die Erniedrigung seines Erwählten nicht ungesühnt lassen1 •
Die
fJo,u.J..Eia. und die römische Weltmacht, Mk 4,30-32
Im Gleichnis vom Senfkorn wird das allerkleinste Samenkorn zum allergrößten Kraut Es ist ein Reich-Gottes-Gleichnis mit einem ausgeführten Dativ.mfang~. Aussageabsicht ist: Aus den unscheinbaren Anfcingen entwickelt sich ..eine großartige Endgestalt"'. Das Gleichnis liegt in Mk und der l.ogienquelle in zwei selbständigen Varianten vor7 • Mk beschreibt einen Vorgang, die Q-VeTSion erzählt eine Geschichte, wir haben es also bei Mk mit einem Gleichnis. in der l.ogienquelle mit einer Parabel zu tun'. Bei Mk ist wn dem einjährigen Kraut die Rede, bei Lk wn einem Baum. Die Markl.ISVe!Sion legt den Akzent auf den Positionswechsel: Das Samenkorn ist kleiner als alle Samenkörner, die Staude ist größer als alle Stauden. Die Erwartung, daß kleine Samenkörner kleine Pflanzen hervorbringen, wird korrigiert. Im Gegenteil: Kleinster Anfang und größtes Ergebnis sind miteinander \erbunden. Die Q-Version erzählt von der Saat eines Samenkorns und dem ..Endergebnis.. eines Baums. Auch hier wird ein Kontrast ~)·.
1
Philo, Flacc 72; 84. Flacc 191. 1 lnter~sant wärt eine Vrrwandtschaft beider Deutungen für die .Schuldfrage". Die Strafforderung der Jerusalemrr Stadtbevölkerung, vielleicht auch die Anklage durch das Synhedrium und die .b~srre Einsicht" d~ Pilatus ( 15,10) hätten hier noch nicht die Aufgabe, die römischen Behörden und Pilatus zu entlasten. Sir dienten vielmehr der Herausstellung ihrtr Schuld. 4 Gedacht ist nicht an einen Baum, sondern an das einjährige Gartenkraut, das am See Gennesartt eine Höhe von zwei bis drti Metern erreichte. Vgl. v. Gemünden, Vegrtationsmetaphorik, S. 168. Grundmann, Markus. S. 132, spricht von drei bis vier Metern. ~Jertmias, Gleichnisse. S. 69. 6 Ebd., S. 145. Vgl. v. Gemünden, Vrgetationsmetaphorik, S. 166. 7 Ernst, Markus, S. 144; v. Gtmünden, Vegetationsmetaphorik, S. 165. 'v. Gemünden, Vegetationsmrtaphorik, 5.165. 2Philo,
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thematisiert. Samenkörner sind klcin, Bäume sind groß. Im Vordergrund stehen aber - wie beim Sauertcigsglcichnis - die Erffillung wn Erwartungen und der Gedanke des Wachsens und Durrlldringens. Audl die Entwicklung macht aus etwas Klcinem etwas Großes. Auch hier geht es darum, bereits im Klcinen die kommende Würde und Ehre zu achten •. Es fehlen aber der "unlogisdle" Zug und der Brudl, also Züge, die das Positionswechselaxiom auszeichnen und die in der Ma~on deutlich herwrtreten. Die Vennutung, daß die markinische Variante des Senfkomglcichnisses mit dem Positionswechselaxiom gestaltet ist, wird durd1 cine religions- und überlieferungsgeschichtliche Beobachtung untemützt: Im Glcichnis wm Senfkorn löst die Senfstaude den Weltenbaum ab. ln 4,32b wird mit dem Bild wn den Schutz findenden Vögeln, das auf Ez 31 ,6, Dan 4,9.17f und Ez 17,23 ~ auf das Mythologumenon wm Weltenbaum angespielt. ln Ez 31 und in Dan 4 werden die Könige Ägyptens und Babytons mit ciner Zeder ~lidlen, die fallen wird. Die nistenden Vögel dagegen beschreiben die Fülle und den Höhepunkt ihrer Henschaft, bewr es zur Krise kommt. ln Ez 17 ist das Bild auf die kommende Henschaft des Messias bezogen. Das Hcilsorakel schließt dort mit ciner Variante des Positionswechselaxiom: Gott erhöht niedrige Bäume und erniedrigt hohe BäumeJ. Mit der Wahl des Senfkorns, ciner cinjährigen Gartenpflanze, die weder im AT nodl in der jüdischen Uteratur aus hellenistisch römischer Zeit begegner, liegt der Akzent auf der Idee des Neuanfangs•. Dennodl steht die Staude m.E. in Konkurrenz zu anderen "Gewächsen': Eine Senfstaude löst cine Zeder ab, cine Nutzpflanze das Symbol stolzen Königtui11S. cin alltägliches Gewächs den Königsbaum. Die Senfstaude dient dem Leben der Mensdlen. Senf ist cin Hcilmittel~. Zedern gebieten Ehrfurrllt und bieten Sdlutz', lebensförderlich sind sie nicht. Ein lebensförderliches, mensdlenfreundliches und heilsames Königtum entsteht und wird zur Altema~ für di(jenige Henschaft, die sich - wie die römische - durd1 cine Zeder symbolisiert. Zwischen der römischen Weltmadlt und der /3am)..Eia. Gottes findet cin Positionswemsei statt.
Zusammenfassung Jesus steht für cine andere Gestalt der Henschaft. Er ist der demütige und arme König, der mit den Niedrigen lebt, ihnen gerecht wird und sie an seiner Henschaft tellhaben läßt. Dabei wird er als der hohcißwlle und furchtlose Henscher dargestellt, der sich wr der Madlt nicht beugt. Scine Henschaft steht im Kontrast zur stolzen und dennoch fcigen ~in~ ~rmutigmd~ und tröst~nd~ Funktion; vgl. v. G~münd~n. S. 169. JParall~l st~ht übrig~ns (17,24b) di~ Macht Gott(S. ~rgrün~n und ~rdo~n zu lass~n. Auch Mk 12,12-14.21 li~ß~ sich noch in d~n K~is d~ vom Positionsw~ch~laxiom strukturi~rt~n Stoff~ 'oas
Gl~ichnis
hat
V~g~tationsmdaphorik,
aufn~h~n.
'v. G~münd~n. V~g~tations~taphorik, S. 167. •oas Bild l~b~ nicht von d~r ~truktion od~r Umg~taltung von g~fall~n~n üd~m. b~m~rkt v. G~münd~n. ~bd., S. 169. ~Piin, NatHist, 20, 236-240. Vgl. Hunzing~r. Art. vi~~t~.rr•, 286f. 6 Di~s~ Funktion di~nt~ schon in d~n Fab~ln dazu, Zustimmung zu hart~r H~nschaft zu g~winn~n.
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Hensc:haft der Römer, die die (positiv bewerteten) Niedrigen bedrückt und der (negative bewerteten) "Menge" zu Willen ist. Die ßam)..Eia, die Jesus ankündigt, ist eine menschenfreundliche Alternative zur römischen Welthenschaft.
14. Kapitel: Die Bedeutung des Positionswechselaxioms in der Konzeption der drei synoptischen Evangelien ln allen drri Ewngelien erfolgt die DatStellung der Person Jesu mit Hilfe des Positionswechselaxioms. Nach Mk leuchtet Jesu Hoheit am Tiefpunkt seiner Erniedrigung, am Kreuz, wahrhaft auf: Der, der gekreuzigt wird wie ein Ski~. ist in Wahrheit der König. Mt zeichnet Jesus als den demütigen Henscher und Lehrer, und Lk stellt die Sendung Jesu zu den Verlorenen als die Erffillung der eschatologischen Verheißungen des Positionswechsels dar. Jesu Sendung, Amt und Leiden werden mit Ht1fe des Positionswechselaxioms beschrieben. ln allen drri Ewngelien hat das Positionswechselaxiom paränetische Bedeutung. Sie ist immer christologisch begründet. Dabei lassen sich drri Motive unteTScheiden: - Das Repräsentationsmoüv: Die Niedrigen repräsentieren Christus. Deswegen sollen sie respektiert, deswegen soll ihnen gedient werden. Christi (und Gottes) Hoheit erhöht den Niedrigen ~rgen schon jetzt. - Das lmitationsmotiv: Die Jünger werden aufgefordert, wie Jesus zu dienen. Die Niedrigkeit Jesu ist Vmbild. Der freiwilligen Selbsterniedrigung ~t die zukünftige Erhöhung angesagt. So wie die Jünger Anteil haben an seiner Niedrigkeit, so auch an seiner Hoheif. - Das egalitäre (oder theolaatische} Moüv: Versuche, innerhalb der Binnengruppe eine Rangordnung zu erstellen, werden mit dem Hinweis auf Jesus und Gott als alleinige Autoritäten abgelehnt. Die beiden ersten Motive korrespondieren. Das Repräsentationsmotiv regelt die Beziehungen zu den Adressaten prosozialen Verhaltens, das Imitationsmotiv ist an die Subjekte dieses Verhaltens gerichtet. Das egalitäre Motiv betrifft sowohl die Adressaten wie die Subjekte prosozialen Verhaltens.
14.1. Dem alle Engel dienen .... - der Positionswechsel im Markusevangelium Das Positionswechselaxiom hat die Gesamtkonzeption des Markusev.mgeliums entscheidend mitgestaltd. Im Markusevangelium sind Passionskerygma und Jesusüberlieferung \eknüpft, die Niedrigkeit des Leidenden und die Vollmacht und Hoheit des Lehrers und Wundertäters miteinander \erbunden. Dabei leuchtet Jesu Hoheit in der 1 Vgl. Cartrr, Srrv.mt Ethic, S. 27: ..As in Matthrw and Mark onr of thr motMs for thr srrvantrthic is thr rxamplr of Jrsus himsc':lf". 1>ir folgrndr Ana~ drs MarkUStvangrliums vrrwrndrt Mrthoden drs .NarratM Criticism", brsondrrs dir Fragrn nach .Story and Discoursr" sowir .Charactrrs". Vgl. Rhoadrs I Michir, Mark, und Powrll, Narrativr Criticism.
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Passion auf, und seine Hoheit als Lehrer und Wundertäter ist durdl Geheimnismo~ wie die Schweigegebote ~üllt 1 • Das zweite widltige Anliegen im Marlrusevangelium ist die leidensnachfolge der Jünger. Oie Erkenntnis der Würde Jesu ist nur angemessen, wenn sie seine Hoheit und seine Niedrigkeit beinhaltet, und sie ist nur dem möglich, der selbst Hoheit und Niedrigkeit ~indet. Ein "anderer" Gottessohn und "andere" Jünger bflden eine "andere Welt", in der die gesellschaftlichen Werte und ihre Zustände auf den Kopf gestellt werden: Hier sind die Ersten die letzten, und den Niedrigen wird gedient. Mit dem Positionswechselaxiom gestaltet Mk also (1) symbolisch eine andere Welt: Am Rand der Welt wird Gott hörbar und gewinnt Jesu Hoheit Gestalt. ln ihrer Mitte ble~bt Gott fern und wird der Gottessohn erniedrigt, (2) christologisch eine andere kosmische Ordnung: Der Beauftragte Gottes dient, der Gekreuzigte ist König, (3) ekklesiologisch und ethisch eine neue Konzeption wn Gesellschaft: Oie Jünger haben an Jesu Vollmacht und Jesu Niedrigkeit (einen begrenzten) Ante~1 und werden zu sozialer Demut aufgefordert.
Der symbolisch-topologische Positionswechsel Oie Mitte einer Gesellschaft wird topalogisch symbolisiert1 durch die Hauptstadt und das zentrale Heiligtum. JeTusalern und der Tempel sind in der jüdischen Welt das Zentrum1 • Ihre Akzeptanz zeigt sich in Wallfahrten und Entridltung der Tempelsteuer. Der Rand der Gesellschaft wird durch Orte symbolisiert, die "unkultiviert" sind. ln der jüdischen Tradition sind das die Orte "Wüste" und "Berg': Beide symbolischen Orte sind mit der Identität Israels fundamental \6bunden: Gott fand Israel in der Wüste, auf dem Berg empfing es die Tora. Mit der Staatswerdung Israels, mit seiner gesellschaftlichen Gestalt also, ist aber \6bunden, daß es diese kulturfernen Orte hinter sich läßt. Zion, Tempel und Oavidsdynastie symbolisieren die neue Identität. Oie Wüste bletbt aber wichtig als symbo1
Vgl. z.B. Scholtissrk, Vollmacht, S. 25. Bultmann, GTS, S. J72f, hat das Krrygma, das Mk mit Jrsustradition verbindrt, als das drr hrllrnistischrn Grmrindr brstimmt, wir wir rs bri Paulus in Phil 2,6- II flndrn. Das Konzrpt, das in drn Axiornrn rinrn grmrinurchristlichrn Drutrschatz sirht, macht dir Annahmr rinrr dirrktrn Abhängigkrit übrrflüssig, wenn natürlich auch nicht unmöglich. Schulz, Stunde, S. 77, dagrgrn sieht in drr Passionsgrschichtr dir theologia crucis markinisch von rinrr thrologia gloriar übrrformt. M.E. brachtri das dir .dialrktischr· Vrrbindung nicht hinrrichrnd: Jrsu vollmächtigrs Handrln in lthrr und Wundrm ist durch das Unverständnismotiv und das Schwrigrgrbot überschattrt, srinr Nirdrigkrit in drr Passionsgrschichtr ist durch rinr untrrgründige Hohrit brlruchtrt. Drm .Mrssiasgrhrimnis· wird von Wrrde, Dibelius und Bultmann beim Ausglrich beidrr Elrrnrnte rinr wichtigr Rollr zugrschrirbrn. Das Messiasgrhrimnis arbeitrt ]rdoch mit den Kategorien .offrnbar - verborgrn-: Das hat mit drn Katrgorirn drs Positionswechsrlaxiom nur wrnig zu tun. Drswrgen wird dir Rollr drs Mrssiasgrhrimnissrs nicht diskutirrt. Festzuhalten ist abrr, daß dir Wirkung drs vollmächtigen Handrlns Jrsu in Lthrt und Wundrm durch Motive, die zum Mrssiasgeheimnis grzählt wrrdrn, eingrschränkt wird. 1 Der Narrative Criticism untrrschridrt zwischrn ( 1) archrtypischrn, (2) traditionrllen (.ancrstral vitality·), (J) kontrxtabhängigrn und (4) kulturrllen Symbolrn. Vgl. Powrll, Narrative Criticism, S. 29; die Symbole Wüstr, Brrg und Temprl wrrdrn zu drn traditionrllrn Symbolen grzählt; vgl. rbd .. lygJ. Rhoadrs I Michir, Mark, S. 70.
186 lischer Ort der Kritik an den Verhältnissen und der Hoffnung auf Erneuerung der Gesellschaft'. Dabei ~ert sie jedodl nicht den Charakter als Durdlgangsort: Johannes der Täufer und die Qurnrangemeinschaft (1 QS Vl11,12) zitieren mit Blick auf die dort genannte Wüste Jes 40,3: "Bereitet dem Herrn den Weg ·-". Sie beanspruchen damit, einen neuen Weg ins Zentrum der Gesellschaft zu bauen. Das Markusevangelium nimmt die Polarität wn Wüste und Jerusalem auf, kehrt aber ihr Verhältnis um. Die Wüste ist der Ort der Gottesnähe und der Hoheit Jesu. ln der Wüste wird er getauft, in der Wüste widersteht er Satan und dienen ihm die Engel, an einem wüstenhaften Ort speist er als Hirte und König die Menge. Wüstenhafte Orte sucht er auf, um die Nähe Gottes zu finden (1,35; 6,31t). Die Verklärung findet ebenfalls an einem kulturfernen Ort statt, auf einem Berg. Die Aufforderung Gottes ..Hört auf ihn" macht Jesus zum Nachfolger des Gesetzgebers Mose und des Propheten Elia und seine Worte zur Fortsetzung der Tora. Damit sind Wüste und Berg als identitätsstiftende Symbole des Neuanfangs aufgenommen. Jesus macht sich auf den Weg ins Zentrum. Er zieht in JeTUsalern als König ein und lehrt im Tempel. Die erneuerte Identität Israels wird im Zentrum der Gesellschaft zur Geltung gebracht. Dabei zeigt sich jedodl, daß das Zentrum nicht refonT1Willig ist. Der Tempel - Symbol für die Mitte der jüdischen Gesellschaft - ist Gott und seinen Absichten entfremdet (11, 17), er steht nicht mehr unter Gottes Schutz (13,2). JeTUsalern wird zum Ort der Passion Jesu. Die personalen Symbole des Zentrums. Hohepriester und römischer Präfekt, ~ Jesus aus Jerusalem. Er wird vor die Mauem gefiihrt und gekreuzigt. Gott ist ..nicht anwesend" (15,34). Bei Jesu Tod zerreißt der Tempelvorhang, die Zerstörung des Tempels beginnt Das Zentrum ist ~assen: eine leere Hülle. Zwar berührt die himmlische Welt in 16,1-8 Jerusalem wieder, aber nur um die Abwesenheit des ..Gottessohns" zu bestätigen und nach Galiläa zu \mVeisen. Das Zentrum ist zum Rand geworden, der Rand zum Zentrum. Jerusalem wird nicht als Ort der Nähe Gottes zurückgewonnen. Die Mitte ist leer. Die Wüste ist nicht ein Ort des Durchgangs zum Zentrum, sondern - als Galiläa - selber Zentrum 2• Jesus bringt nicht eine Erneuerung, sondern einen Neuanfang. Auch die Jünger werden nach Galiläa ~esen (14,28). Die ßaar).Eia. wächst am Rande der Gesellschaft und ist nur indirekt ihre Konkurrenz. Sie übernimmt nicht das alte Zentrum, sondern gründet ein neu~ so wie die Senfstaude die Rolle des Weltenbaums übernimmt, aber als SenfStaude, nicht als Zeder. Sollte Mk die Zerstörung Jerusalems wraussetzen und eine Neuorientierung anbieten wollen\ wäre das besonders gut ~ändlich.
'Vgl. Rhoadts I Michi(, Mark, S. 66f. 8(sond(rs (indrücklich wird das Btsond(rt d(r mk konz(ption im V(rg](ich mit d(r lk Vorst(llung erk(nnbar. ß(i Lk g(ht di( Mission von J(rusal(m als d(m Ztntrum aus. l So kelber, Story. 2
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Der christologische Positionswechsel Die topalogische Symbolik ist mit der christologischen Dimension ~nüpft. Indem Jesus sich \()n Johannes in der Wüste taufen läßt, drückt er seine Distanz zur bestehenden Gesellschaft aus. Buße ist nötig; die bestehenden Verhältnisse sind nicht gut. Jesus stellt seinen Entwurf \()n Herrschaft dagegen (1, 14t). Mk zeichnet Jesus und seinen Jüngerkreis als alternative Gesellschaft. Hier wächst das Reich Gottes heran (4,20). Jesu Kritik ist denkbar fundamental. Sie betrifft die grundlegende Legitimationsstruktur \()n Henschaft in der antiken Gesellschaft: die pietas und die VergöttHchung des Herrschers.
Jesu Kritik an den bestehenden hierarchischen Verhältnissen und Herrschaft als demütiger Dienst: eine Alternative zur Pietas• ln der antiken Gesellschaft galt die Autorität des Vaters als hoch, insofern er (a) als Zeugender Gott selbst ähnelt und GehoTSam wie er ~ent und (b) insofern er als Übertiefern der mos maoirum die kollektive Identität garantiert. Jesus widmetzt sich seiner Familie, widerspricht den Lehrern seines Volkes und beansprucht dabei eine höhere Autorität als der pater familias und die Schriftgelehrten. Im Verhältnis zur Familie
Jesus bricht die Beziehung zu seiner Herkunftsfamilie ab und eiSetzt sie durch den Kreis seiner Schüler und Anhänger (3,20f.31-35). Das ist ein völliger Bruch, weil seine Familie ihm mit U~ändnis begegnet. Mk hebt das besonders hervor: Mk 3,20f hat bei U und Mt keine Parallele, zudem zeichnen sie durch die Vorgeschichten ein weithin harmonisches Bild \()n Jesus und seiner Familie. Anders als bei Mk weiß sie nach Mt und U um seine Besonderheit. Die Bezeichnung des Volkes als Familie wirkt im mt und lk Kontext eher als eine Erweiterung des Familienkreises denn als ETSatz wie bei Mk. Zwar fehlt in Jesu Familie der pater fammas. so daß dessen grundlegende Autorität nicht direkt abgelehnt wird, indirekt geschieht das aber dadurch, daß Mutter und Brüder (3,31) abgewiesen werden. Daffir, daß es so gemeint ist, spricht auch, daß Jesus Jakobus und Johannes \()n ihrem Vater weg in die Nachfolge beruft (1, 16-20; \9!. 13, 12}. Er stellt 1 Di~
Pi~tas ist ~in~rstits nur inn~rhalb d~r stadtrömisch~n G~s~llschaft als l...rgitimations~l~m~nt
~xplizit (vgl. U~gl~. Pi~tas. S. 229); and~rtrstits ab~r hat si~ auch in Gri~ch~nland - Aristot~l~ ~rgl~icht di~ Monarchi~ mit d~m V~rhältnis von Vat~r und Sohn (Aristot, Poil, 12.1259b lOt) - und in d~r jüdisch~n G~llschaft h~rrschaftsl~gitimi~rtnd~ Funktion (vgl. di~ Hochschätzung d~ Elt~mg~bots b~i Philo, D«al 106-120; Sp~cl.rg 11,224ff). Sollt~ das Markus~ng~lium in Rom .:ntstand~n ~in, könnt~ Mk das Motiv im Blick auf stadtrömisch~ V~rhältniss~ b~wußt ~rstärkt hab~n.
9,59f (Q) d~ut~t darauf hin, daß Mk damit ~in El~m~nt d~ V~rhalt~ns J~u aufnahm. Das Wort gilt als j~uanisch. Vgl. Sand~rs, J~us, S. 415. Di~ Aufford~rung, um d~r sofortig~n Nachfolg~ will~n d~n Vat~r unb~tatt~t zu las~n. kommt ~in~r Au~rkrafts~tzung d~ Vi~rt~n G~bot~ gl~ich. Vgl. Sand~rs, J~us, S. 414. Sand~rs ~rw~ist di~ Aus~inand~rsttzung~n um d~n Sabbat, di~ R~inh~itsg~bot~. di~ Eh~ch~idung, das höchst~ G~bot und di~ Auf~rst~hung in di~ Grtnz~n d~r jüdisch~n D~batt~ zur G~tz~sausl~gung; U 9,59f all~rdings ~rst~ht ~r als Aufford~rung, di~ Tora
U
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damit seine Autorität gegen und über die des pater familias 1• Wer sich weigert, seinen Platz in der Familie einzunehmen, signalisiert grundlegende Distanz und Ablehnung der gesellschaftlichen Ordnung. ln der Tat wild das auch auf die staatliche Ordnung ausgedehnt, wie am Messiasbild, dem Entwurf des "idealen Henschers.., erkennbar wild. Jesus lehnt die Bestimmung des Messias als ..SOhn (Davids)" ab (12,35-37). Damit ~gert er die Legitimierung des Messias über Familienstrukturen und dessen Einbindung in einen bestimmten Gesellschaftsentwurf. Dem entspricht in der Konzeption des Mk, daß eine Genealogie fehlt. Das ist kein Zufaß. Nur einmal winJ seine Herkunft thematisiert (Mk 6,3), und zwar um die Ablehnung seines Autoritätsanspruchs zu begründen. Im Verhältnis zu den Lehrern
Jesus oldnet sich Lehrern nicht unter. Im Markusev.mgelium sind die Schriftgelehrten seine Hauptgegne(. Ihre lehre ist ohne~ (1,22). Das betrifft auch ihr Wirken•: Mk
Daß J~us di~ (absolute) Gültigk~it d~r Tora ausg~rtchn~t am Vi~rt~n G~bot in Frag~ kann als Opposition g~g~n di~ hi~rarchisch~ Gli~d~rung d~r G~~llschaft verstand~n w~rd~n. 1 Mit d~m Korbanb~ispi~l im Rahm~n d~r R~inh~itsd~batt~ (Mk 7,10-IJ) dag~g~n wirft J~us d~n Pharisä~m und Schriftg~l~hrt~n vor, das Elt~mg~bot zu verl~tz~n. V~rrät das ~in~ Hochschätzung d~r Elt~m und d~ Vi~rt~n G~bots durch Mk? Folg~nd~s ist m.E. g~g~n dies~ Vermutung vorzubring~n: (a) Im Korban~ispi~l sind di~ Elt~m in d~r Position d~r Unt~rl~g~n~n. Si~ sind abhängig von d~r Fürsorg~ d~r ~rwach~n~n Söhn~. G~g~nstand d~r Kritik ist das V~rhalt~n d~r Üb~rl~g~n~n. d~r Söhn~. und d~s~n rtligiös~ Ltgitimi~rung. Abg~l~hnt wird also nicht ~in~ Kritik an d~n mächtig~n Elt~m und d~r Hi~rarchi~. di~ auf si~ baut; abg~l~hnt wird di~ Ausb~utung d~r Schwach~n. (b) Mk verw~nd~t di~ V~~ 10-IJ als B~ispi~l in d~r D~batt~ um R~inh~it und Unrtinh~it, wob~i ~r di~ n~u~ R~g~lung in V~rs 15 mit Hilf~ d~r Unt~rsch~idung von Rm~nschlich~r Üb~rli~f~rungR (V~~ 2.7-9) und Gott~s G~bot sowi~ d~r von RH~rz und Upp~nR b~gründ~t. Dab~i illustri~rt das korban~ispi~l di~ Unt~rsch~idung von m~nschlich~r Üb~rlief~rung und göttlich~m G~bot. Di~ Funktion rtlativi~rt das Eig~ng~wicht d~r V~~: Ob Mk das Vi~rt~ G~bot s~lbst hochschlitzt od~r nur auf d~n ~lbstwid~rspruch im V~rhalt~n d~r G~gn~r hinaus will, ist nicht ~ind~utig. (c) Trotz d~ B~ispi~lcharakt~rs ist anzun~hm~n. daß di~ Wahl g~rad~ d~s Vi~rt~n G~bot~s B~d~utung hat. Mk l~gt offen, w~lch~ Roll~ das Vi~rt~ G~bot in d~r patriarchalisch strukturi~rt~n G~~llschaft tatsächlich spi~lt. ld~ologisch ~gründ~t ~ di~ Hi~rarchi~. ind~m ~ d~n Elt~m ~in~n Gott ähnlich~n Rang verl~iht (vgl. Philo, O(cal 106f); tatsächlich ab~r g~rat~n di~ Elt~m und Gott bzw. di~ Elt~m und di~ ~st~rschaft in ~in Konkurrtnzverhältnis in g~nau d~m Mom~nt, in d~m di~ Elt~m nicht ~hr auf d~r ~it~ d~r Mächtig~n. sond~m auf d~r d~r B~dürftig~n st~h~n. W~nn das Elt~mg~bot nicht ~hr dazu taugt, di~ Mächtig~n zu stütz~n. wird ~ auß~r Kraft g~tzt. Das Elt~mg~bot ist als Ltgitiml~rungsmitt~l d~r Mächtig~n ~ntlarvt. Di~ V~rantwortlich~n d~r b~st~ h~nd~n G~llschaft mach~n - in d~r kritisch~n Sicht d~ Mk - Gott zum Konkurrtnt~n und F~ind d~r Schwach~n und Unt~r~g~n~n - ~lbst d~r alt~n Elt~m. sobald di~ ihrt Macht verlortn hab~n. Mk schätzt also das Elt~mg~bot hoch, sof~m ~ Schwach~ schützt, und ~ntlarvt ~in~ ~d~utung für di~ G~llschaft als ~in~ Stütz~ und ~in W~rltuug d~r Mächtig~n. 2 B~rg~r. Th~ologi~g~schicht~. S. 686, führt zu Erklärung d~r Abl~hnung d~r Davidssohnschaft aktu~ll~ politisch~ Gründ~ an. Di~ Abk~hr von ~in~r inn~rw~ltlich~n M~ssias~rwartung soll~ di~ Christ~n von d~n politisch~n Ertign~n ~ntlastm. 1 Dschulnigg, Sprach~. S. J60ff; vgl. Po~ll. Narrative Criticism, S. 58, d~r h~rvorh~bt, daß das Markus~ng~lium nur di~ Schriftg~l~hrt~n Rby t~llingR charakt~risi~rt. und zwar als M~nsch~n Rohn~ AutoritätR.
zu
üb~rtrtt~n.
st~llt,
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schweigt anders als Mt (11, 27) wn ihrer Fähigkeit, ebenfalls Exorzismen zu wllziehen. ln Jerusalem kritisiert Jesus die Schriftgelehrten wegen ihres statusbewußten Verhaltens (12, 38-40). Er schfldert sie als ~- Kritikwürdig ist das wr dem Hintergrund ihres ausbeuterischen Umgangs mit den Niedrigen (..sie fressen die Häuser der Witwen..) und der lnstrumentalisierung ihrer Gottesbeziehung für diese Ausbeutung (..sie ~dlten zum Schein lange Gebete.. f. Ihnen wird wrgeworfen, reHgiös legitimiert andere zu erniedrigen und sie dazu zu benutzen, um sidl zu erhöhen1 • Sie fürchten die öffentHdle Meinung (11,32; 12, 12) und sudlen die Ehre (12,38-40) . An ihnen wird deutlidl, wie menschlidle Madlt sidl auswirkt4 • Für Mk ist es Jesu Rolle als Lehrer\ dun::h deren Übernahme er sidl die Todfeindschaft des gesamten "gesellschaftHdlen Establishments.. zuzieht'. Jesus konkurriert mit den vätertimen Autoritäten und bietet eine AlternatM zur "väterlidlen.. Gesellschaft an. Jesus übernimmt selbst die Rolle des Lehrers (Lehrer: 2,2; 3,20; 4,1; 7,14; 11,18; 12,32f. Seine Autorität ist größer als die der Schriftgelehrten. Mk beschretbt das mit dem Begriff der Efp;uia.•. Als der andere Herrscher
Bei den Speisungserzählungen übernimmt Jesus als Lehrer die Rolle des Hirten. Das ist eine geläufige, religiös besetzte Henschermetapher'. Jesus agiert als endzeitlidler König' 0 • Seine neue Konzeption wn "Henschaft.. zeigt sidl an seinem Verhalten dem "Volk.. und den Mädltigen gegenüber. (a) Zu dem Volk, das er sammelt, gehören marginalisierte Menschen innerhalb des jüdischen Volkes (2, 13-17), aber audl die Heiden. Jesus wirkt bei Mk audl unter den Heiden (7, 24-8,9): Ein zweites Speisungswunder wird in 8,1-9 auf 'Vgl. Pow~ll. Narrati~ Criticism, S. 63: "ln Mark, th~ ~ligious l~ad~rs evaluat~ ~rything according to human standards and, as a ~ult, they may b~ paradoxically charact~riz~d as l~ad~rs who ha~ no r~al authority." \lgt. Mk 7,8-IJ. \tgt. Rhoad~ I Michi~. Mark, S. 117; 119f. Vgl. Pow~ll. Narrati~ Criticism, S. 66. ~Die b~id~n Wund~r. di~ im Rahm~n d~r galiläisch~n Strtitg~räch~ ~rzählt w~rd~n. sind dann auch Norm~nwund~r; im Vord~rgrund st~ht nicht di~ Hilf~ für d~n Notl~id~nd~n. sond~m di~ B~gründung von Lth~. Paradox~rw~~ ist in 3,4 als Inhalt di~~r lth~ ausg~~chn~t di~ Hochschätzung d~ Ltb~ns~chts, ~rstand~n b~inah~ als Rttht auf G~undh~it, g~nannt. 6 Pow~ll. Narrativr Criticism, S. 62, m~int, daß di~ ~ligiö~n Autorität~n b~i Mk J~us b~n~id~n; ihr V~rhalt~n wä~ dann konkurrtnz~tont und mit d~r B~timmung durch d~n N~id ~ng mit d~n Kat~gori~n ~in~r Schamkultur ~rbund~n. 7 Di~ Roll~ d~s Lth~rs ist üb~r d~n B~griff d~r i~a. mit d~r d~ Exorzist~n und üb~r di~ Norm~nwund~r mit d~r d~ H~il~rs ~rknüpft. 'vgt. Scholtiss~k. Vollmacht, S. 281f, 286 u.ö .. 9 J~~mias, Art. 11'0t,...,;v Ias läßt sich aufgrund des paulinisch~n Urt~ils, di~ Zung~n~d~ lass~ d~n ~ ä.K~ (I Kor 14, 14), ~rmut~n. Vgl. With~rington, Contlict, S. 281. )Martin, Tongues, S. 569f, ~rmutd das ~b~nfalls, ordn~t es ab~r in ~in~n and~~n Zusamm~nhang ~in und kommt zum g~g~nt~ilig~n Erg~bnis. Das Entschwind~n d~s ~ s~i d~n Zung~n~dn~m - in d~r Aufnah~ d~r platonisch-philonisch~n Tradition - di~ ~dingung für d~n Einzug d~r göttlich~n Inspiration (vgl. schon Th~iß~n. Asp~kt~. S. 287t1. Damit hätt~n si~ ~in~ Ob~rschichtstradition aufg~nomm~n. si~ ~i~n mithin als O~rschichtsmitgli~d~r anzusp~ch~n. Folg~ndes ist ab~r zu b~ d~nk~n: (1) D~r Schluß von d~r Schichtzug~hörigk~it d~r V~rt~t~r d~r lnspirationsl~h~ auf d~n d~r wM~di~n· ist fragwürdig. Platon führt im Phaidros (244a-b) di~ Pythia, di~ Sibylk und di~ Pri~st~rinn~n von Dodona an. All~ G~nannt~n sind Frau~n. di~ Pythia und di~ Sibyll~ g~hö~n nicht zur Ob~rschicht. Di~ Pythia, di~ das Amt zur Zeit Plutarchs versah, hatt~ ~in~n g~ring~n Sozialstatus inn~; si~ war di~ Tocht~r ~ines Kl~inbau~m (Dodds, Irrational~. S. 45). W~nn di~ korinthisch~n Zung~n~dn~r und -~dn~rinn~n sich also an d~r platonisch-philonisch~n Tradition ori~nti~rt~n. läßt das darauf schli~ß~n. daß es in d~r G~~ind~ M~nsch~n - vi~ll~icht auch nur Gäst~ und Wand~rp~dig~r - gab, di~ dies~ Tradition w~it~rgab~n; di~ müss~n üb~r Bildung ~rfügt hab~n. d~r Schluß auf d~n Sozialstatus d~r .M~di~nR ist nicht zulässig. (2) Martin läßt zw~i ~obachtung~n nicht in ~in~ Einschätzung ~ing~h~n: (a) Di~ korinthisch~ Eksta~ war ~in Grupp~nphäno~n. (b) D~ ~ligionsgeschichtlich~n Parall~l~n w~i~n vi~l~ Frau~n als Ekstatik~rinn~n aus, und auch für di~ korinthisch~ G~~ind~ gibt ~s lndizi~n dafür, daß unt~r d~n~n. di~ in Zung~n ~d~t~n. vi~l~ Frau~n wa~n. Di~ ~rst~ B~obachtung ~rford~rt ~in~ Ergänzung d~r Abl~itung aus d~m Schamanismus und d~r platonisch-philonisch~n Tradition. ~id~ Tradition~n sind Mod~ll~ für ~inz~ln~. nicht für Grup~n. Di~ zw~it~ ~obachtung w~ist darauf hin, daß di~ Eksta~ nicht in d~r Mitt~ d~r G~llschaft ang~si~d~lt ist. Frau~n st~h~n nicht für virtus, nicht für di~ ~wußt~ id~ologisch~ Macht d~r Ob~rschicht; di~ Pythia und di~ Sibyll~ stützt~n dies~ Macht und wa~n von ihr zugl~ich g~fürcht~t. Das d~ut~t auf ~in~ and~~ und vi~lschichtig~~ Funktion auch d~r platonisch-philonisch~n Konz~ption hin. (3) Die Vorst~llung, daß der m~nschlich~ ~ auszi~h~n mü~. damit d~r göttlich~ ~inzi~h~. z~igt diestlb~ Struktur wi~ di~ ritu~ll~ S~lbst~mi~drigung d~s Königs im JHWH-Kri~g. Es ist di~ kogniti~ Variant~ d~s~lb~n Phänom~ns. das im übrig~n auch mit ~kstatisch~n V~rhalt~nsw~i~n ~rbund~n war. Das könnt~ darauf hind~ut~n. daß di~ Glossolal~n ihr V~rhalt~n durchaus als fr~iwillig~ ~lbst~mi~drigung g~d~ut~t hab~n - ~in~ V~rmutung, di~ d~n folg~nd~n Vorschlag, di~ ~z~ichnung RKindR als ~lbstb~z~ichnung aufzufas~n. unt~rstützt. ~r Statu~rzicht ~tzt ~in g~wisses Maß an Bildung bzw. ~in~ g~wiss~ B~d~utung d~s ~ - für das ~lbsMrständnis voraus, sonst macht d~r V~rzicht auf ihn w~nig~r Sinn. Bildung als Statusm~rkmal tind~n wir nicht ~lt~n b~i Frau~n und ~i Männ~m. d~~n Sozialstatus in and~~n Hinsicht~n ~h~r ni~drig ist, wi~ Philosoph~n. Hausl~h~m. di~ Skla~n od~r (kl~in~) Kli~nt~n wa~n. Üb~r di~ Bildung d~s Claudius dageg~n konnt~ man sich lustig mach~n (z.B. ~n. Apokolocyntosis 4,4); si~ ist nicht das Status~rkmal d~s M~nschen, d~r in d~r Mltt~ d~r Geselischaft st~ht.
229
sie ermahnt, sich als Kinder nicht hinsichtlich des Vemehens. sondern hinsichtlich des moralischen Verhaltens zu betrachten. Dabei stehen nai) und ~ parallel. Beide Begriffe sind in der Jesustradition positiv besetzt. Gerade der Begriff ~ bezieht sich auch tatsächHch auf die kogniti\el Fähigkeiten bzw. auf den Grad der Bildung. Die Bezeichnung ..Kleine" wiTd in der synoptischen Tradition auf die Wandercharismatiker, die ehelos lebten, übertragen. Die Zungenrtdner und -rtdnerinnen könnten \UQieichbare Bezeichnungen ebenfalls für sich ~det und sich als ..Kinder" vemanden haben •. Dazu würde weiterhin passen, daß in pythagoreischer Tradition, die anscheinend ohnehin ffir die Gruppe der sexuellen Meten von Bedeutung war, Kinder als asexuell gelten konnten 2• Schließlich bietet auch die alttestamentliche Tradition eine zusätzliche Verbindung. ln Ps 8,3 (LXX) ist das Gotteslob mit den Kindern ~unden; Mt 21,16 nimmt das auf. Art dieser Stelle wiTd das Stichwort ~ ebenfalls mit dem Gegensatz zur ..strukturierten Macht" ~üpft. Das sind natürlich nicht mehr als Hinweise. Die Zusammengehörigkeit der Gruppen der sexuell asketisch Lebenden und der glossolalen Gemeindeglieder
Daß sexuelle Askese und Glossolalie zusammengehören, darauf weisen hinsichtlich des Selbstvemändn~ die Engelvorstellung und hinsichtlich der Haltung zur Gesellschaft das Distanzbedürfnis3 • Daß die sexuellen Asketen auch auf Opferfleisch ~chteten, läßt sich nicht mit stichhaltigen Argumenten beweisen. Über die Position der ..Schwachen" in der Götzenopferfleischdebatte erfahren wir zu wenig, um darüber Aussagen zu machen. Es gibt allenfalls einen Hinweis darauf, daß eine solche Verbindung denkbar ist. Paulus beschre~bt die nega~ Folge des Verzehrs von Götzenopferfleisch ffir die ..Schwachen" mit dem Verb ~ womit die Vertß53chung kultischer Unreinheit bezeichnet wird. Paulus lokalisiert diese Unreinheit im Gewissen der Betroffenen. Diese Zusammenstellung ist ungewöhnlich4 und \mllUtlich bereits eine Modifikation, die er mit seiner Argumentation einffihrt. Aber auch das Verb begegnet bei Paulus nur hier, was ein Hinweis darauf sein könnte, daß es das Empfinden der ,.Schwachen" aus der Götzenopferfleischdebatte wiedergtbt. Sie befiirchteten durch den Genuß von Götzenopferfleisch, ihre kultische Reinheit zu ~eren5 • Das erinnert an die sexuellen Meten, fiir deren Hoheitsbewußtsein ihre Reinheit konstitutiv war. Vgl. Grant, Uk~ Childr~n. S. 71. Conz~lmann, I. Korinth~rbrid, S. 284, flnd~t di~n Vorschlag
1
abw~gig. Th~iß~n. Asp~kt~. S. 312f, b~stimmt glossolal~ Wrhalt~n als ~g~iv und h~bt h~rvor, Jaß ~ di~ M~rkmal~ kindlich~n Sprachvtrhalt~ns z~ig~; das vtrbind~t ~r mit d~r paulinisch~n
Einschätzung in I Kor 14,20 und I 3, II. 2 Jambl, Vit Pyth 10,51. Als gottnah galt~n Kind~r in d~r g~mt~n pagan~n Tradition. Vgl. Wi~d~mann, Adults, S. 176ff. \gl. Th~iß~n. Asp~kt~. S. 300. 4 0ion Hai, Tue lud 8,3, spricht davon, daß ~ möglich ~i. ..,uo.illflll ni11 cWroü ITII'IIfi.ll" Vgl. Eckst~in, Syn~id~is, S. 56f und 240f. Vgl. Schrag~. I. Korinth~rbri~f II, S. 258.
230 Das Verhältnis zur Gemeinde
Zur Gesel1schaft stand die Gruppe derjenigen, die ihre Hoheit als Partizipation am Gott \mtanden, in großer Distanz; aber audl das Verhältnis zur Gemeinde könnte wn Distanzgefijhlen geprägt worden sein. Darauf weist 1Kor 12, 4-11 a. ln diesem Abschnitt Hegt der Akzent darauf, die Vielfalt auf ein einheitsstiftendes Prinzip zurückzufuhren. Dieses einheitsstiftende Prinzip ist der Geist1• Er kann nidlt fur wenige Verhaltensweisen reklamiert werden, sondern wird als in der gesamten Gemeinde wilksam herausgestellt Die Menge der Gesamtgemeinde, all derjenigen, die Jesus als Herrn bekennen, ist deckungsgleidl mit der Menge der vom Geist Inspirierten. Der Geist taugt also nadl der Überzeugung des Paulus nidlt dazu, Rangunterschiede zu begründen2 oder eine Gruppe als "eigentHdle Mitte" hervorzuheben. Das könnte sidl gegen die Vmstellungen der sexuellen Asketen und Asketinnen sowie der Zungenredner und rednerinnen wenden, so daß sidl der etSte Te~1 des 12. Kapitels an die He~ligen richten würde und deren Abspaltungswünsche neutraHsieren wollte3, der zweite dagegen auf die Ordnung der Gruppe zielte und die Besonderheit dieser Gruppe im Gegenüber zur Gesellschaft festhielte und sich an die ..Starken" ridlten würde. he~ligen
Zusammenfassung Fssen und Sexualität gehören als die beiden grundlegenden körpertimen Bedürfnisse zusammen4 und thematisieren das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper als gemeinschaftstiftende Verhaltensweisen zur Gesellschaft und zum Kosmoss. Für die beiden Formen wn Hoheitsbewußtsein in Karinth würde dieser Zusammenhang das folgende Bild ergeben: Eine Gruppe wn Asketen und Asketinnen ~dltete auf Aeisctlgenuß' und sexuelle Beziehungen. Damit verband sie den Anspruch auf Reinheit und Helligkeit. Eine zweite Gruppe hielt den Aeischgenuß und sexuelle Beziehungen für ertaubt. So, wie sie den Aeisctlgenuß dabei nicht auf Aeisch einschränkten, das nach jüdischen Regeln ertaubt war, so beschränkten sie auch ihre sexuellen Beziehungen nicht auf die nadl jüdischer
1 Vgl. Walt~r. Lrib, S. 51. \lgl. Th~iß~n. Asp~kt~. S. 204. J26f, d~r vorschlägt, di~ ~Stimmung d~r Zung~n~d~ als Z~ich~n für di~ Gläubig~n als Krit~rium für di~ Grupp~nzug~hörigk~it zu ~rst~h~n. Vgl. auch Walt~r. Lrib, s. 33. )B~rg~r. Th~ologi~g~chicht~. S. 517f, st~llt di~ ~ng~ Zusammm~ng~hörigk~it d~r Vorst~llung~n von H~iligk~it, T~nd~nz zur Absond~rung und ~ist h~raus. Er b~gründ~t di~ V~rbindung di~~r
Vorst~llung~n umfa~nd ~ligionsg~chichtlich.
Vgl. z.B. Philo, VitMos 11,68. sMartin, Body, S. 139, macht das Wrhältnis ~in~ M~nsch~n zu ~in~m Körp~r zum Ausgangs- und Zi~lpunkt ~in~r Unt~rsuchung d~ I Korinth~rbri~f~. Er unt~rsch~id~t zw~i Th~ori~n von Krankh~it, di~ .m~dizinisch~ Balanttth~on~· und di~ .~ligiö~ lnvasionsth~on~·. wob~i di~ ~rst~ in d~r Ob~r-, ~i~ zw~it~ in d~r Unt~rschicht V~rbr~itung g~fund~n hätt~. Daß ~s nicht nur um d~n V~rzicht auf Götz~nopf~rfl~isch, sond~m auf d~n auf A~ischg~nuß üb~rhaupt g~h~n könnt~. darauf w~ist vi~ll~icht I Kor 8,1 J hin: Paulus s~i b~~it, um d~r Schwach~n will~n so w~it zu g~h~n. auf A~ischg~nuß (ICPfa.) üb~rhaupt zu vtrzicht~n.
231 Überzeugung ertaubten ehelichen. Damit \ebanden sie das Bewußtsein, durch ihre Zugehörigkeit zu dem einzigen Gott allen anderen Mächten überlegen zu sein.
Exkurs: Hinweise auf den Sozialstatus der Angehörigen beider Gruppen Die soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde' Ausgehend wn 1 Kor 1,26 ist. entgegen dem ..älreren R>~ngskonsens" - der das Urchristentum als Bewegung der Untmchichtm beschrieb2 - behauptet worden, daß in der korinthischen Gemeinde alle gesellschaftlichen Gruppen. auch Ober5chichtsmitgfleder vertreten ~ seien und die soziale Schichtung in der Gemeinde der in der Gesellschaft entsprochen hätte . Dem wurde entgegengehalten, daß die prosapographischen Belege für die korinthische Gemeinde - Erastos vielleicht ausgenommen - keine Obmchicht5mitglieder ettennen ~. die Dekurionen, Ritter oder Senatoren waren Die Obmchicht im eigentlichen Sinne war also nicht Yertreten, allenfalls Gruppen mit gehobenem Sozialstatus unterhalb der Obmchich{ Es scheint zudem so, als sei auch die unterste Schicht der 7mi1)JJi nicht vertreten ~~. Theißen ist in seiner Untmuchung zur sozialen Schichtung der korinthischen Gemeinde' zu dem Ergebnis gekormlen, daß die Gemeinde Mitglieder aus mehreren Schichten umfaßte und diejenigen mit gehobenem Status das Gesellehen in der Gemeinde überproportional stark beeinflußten Meelcs stimmt dem "neuen Konsens" zu: Zu den paulin~ Gemeinden gehören Menschen aller Schichten, die höchste und die niedrigste ausgenommen . Er ergänzt aber, .daß die aktivsten und prominentesten Mitglieder _ jeweils Leute mit hoher Statusinkonsistenz (niedriger Statusbistallisation) waren,... W. und E. Stegemann haben dagegen wieder stärker herau5gestellt. daß die paulinischen Gemeinden und Paulus Siebst - Untmchichtsmitglieder waren, und möchten dabei aber .nicht alBidlließen", daß .einige Gemeindemitglieder in der Funktion wn Patronen für ihre Glaubensgenossen tätig waren und zu wohl~benden Kreisen gehörten, vielleicht auch zur lokalen Obmchicht unterhalb des Dekurionenadel('. Ich habe für meine Untersuchung die Position wn Meelcs als besonders hilfreich empfunden, zumal die besondere Situation Korinths' 0 als einerde facto neu gegründeten Stadt mit großer wirtschaftlicher Dynamik und besiedelt von Veteranen und Freigelassenen von vomherein Modelle fordert, die die Mobilität ihrer Gesellschaft beschreiben können.
Hinweise auf den Sozialstatus der Gruppen 1 Vgl. hi~rzu d~n forschungsg~schichtlich~n Üb~rblick b~i St~g~mann, Sozialg~hicht~. S. 249-251. l>~issmann, Urchrist~ntum und d~rs., Paulus. 'so d~nk~n Malh~rb~. Social Asp~cts, S. 29ff, und Judg~. Socialld~ntity, S. 201-217. 4 Zur Ob~rschicht g~hört~n di~ V~rt~t~r d~r d~i Ständ~. in aufst~ig~nd~r R~ih~nfolg~ d~r
~kurion~n-, d~r Ritt~r-
nicht zur
und d~r ~nato~nad~l. W~r nicht zu ~in~m di~~r Ständ~ g~hört~. zählt~ auch w~nn ~r üb~r ~achtlich~n R~ichtum und g~ho~n~ Bildung ~rfügt~. sch~ibt man ~in~n "g~ho~n~n Sozialstatus" zu, um si~ von d~n ärTTl(~n und
O~rschicht,
Solch~n M~nsch~n
ung~bild~t~~n Mitgli~d~m d~r Unt~rschicht abzuh~~n.
~Martin, Body, S. XVII, ~rtritt d~n "n~u~n Ko~ns", l~gt d~n Akz~nt ab~r ganz auf d~n wirtschaftlich~n As~kt:
vtho to a grut
"What
~ ha~
~xt~nt controll~d th~ir
'Th~ilkn, Sozial~ Schichtung. 7
in th~ Corinthian church, th~n. is a division bdw~~n own ~conomic d~stiny and tho~ who did not."
thos~.
Ebd., S, 155. Ebd., S. 157. So auch With~rington, Conflict, S. 2Jf. Kritisch dazu: Schöllg~n. Sozialstruktur d~r ~aulinisch~n G~~ind~n. S. 71-82. St~g~mann, Sozialg~schicht~. S. 260. '"vgl. With~rington, Conflict, S. 5-35, und Savag~. Po~r. S. J5-5J. 1
232 Theißen hat vorgeschlagen1, die .Star1cen" der GötzenopferfleS:hdebatte für die Gemeindeglieder mit gehobenem Sozialstatus zu halten. Er verweist dafür auf schichtspezifische Emähru~nheiten (Fieischgenuß) und Geselligkeitsformen (Geschäftsessen) sowie Besondettleiten der Legitimation (~ und die Vergleichbarkeit mit einigen gnostischen Kreisen des 2. .Jahrrunderts. wo sich ebenfalls ein gehobener Sozialstatus mit der Berei~ft Götzenoprerfleisch zu essen und der Hochschätzung der Gnosis ~nden hätte. Meggitt hat dem;Jegenüber eingewandt daß der Aeischgenuß kein schichtspezifisches Verhalten ist die Unterschichten jn den Garicüchen regelmäßig - wenn auch qualitativ minderwertiges - Aeisch Yerldlrt hätten3 . ME. bleibt die These vom gehobenen Sozialstatus der Götzenoprerfle~ wegen der Plausibilitä~ des Hinweises auf die schichtspezifischen Geselligkeitsformen von diesem Einwand unmchüttert . Gerade wenn man beim Essen von Götzenopferfleisch an seine Bedeutung für die Sozialkontakte denkt. wird man sehen, daß die Gartdichen für die Gemeindemitglieder mit niedrigem Sozialstatus einen ganz anderen Stellenwert haben rrußten als df . Tempelrestaurants" oder die priwten Einladungen für die Ouisten mit gehobenem SozialstatuS . (1) Das~ in der GartWehe di')te nicht der Pflege von sozialen Beziehungen; diese Funktion hatten die Gastmähler des PatronS . (2) ~der GartWehen waren von zweifelhaftem Ru(. Gaststätten waren häufig gleichzeitig Bordelle . M den Besuch von Garicüchen und .Kneipen" zu ~ten. bedeutete die Trennung von .Unzüchtigen" (I Kor 5,9f!) und .Räubern" und konnte als Konsequenz eint5 elitären Bewußtseins vollzogen werden. Wirtmattlichen Schaden oder einen Statusverlust erlitt man dadurch nicht Die Gruppe derjenigen, die nichteheliche Sexualkontakte hatten, ~ sich zwar mit Männem, jedoch nur sehr vage mit solchen eines bestimmten Sozialstatus identifizieren. Sexuelle Kontakte mit Prostituierten galten nicht als statusmindernd; in der Obe&hicht allerdings begann sich im ersten Jahrhundert eine verschärfte Ehemo~ durchzusetzen, die eheliche Treue und die Regulierung der SexualiWf auch für Männer forderte , so daß zu vermuten ist, daß sie nicht zur Ober5chicht zählten oder sich die .neuen" Wertehaltungen der Obmchicht nicht angeeignet hatten. Man 1 Thei~n.
Starke und Schwache, S. 272-289. Ihm schließt sich Martin, Body, S. 69, an. Meggit, Meat Consumption, S. 137-141. Selbst im 4. Jahrhundert, in dem die wirtschaftlichen Verhältnisse schlechter wa~n als im ersten, kann Ammianus, Rtrum Gestarum XXVlll, 4,28f, die römische pltbs durch ihre F~ßgitr und Atischgier charakterisit~n. Er ~rwtist auf die römischen Unterschichtsnarntn, die auf das Eß~rhalten anspielten, wie Lucanicus (Räucherwurst) und Porclaca (Schweinebauch), und besch~ibt ih~ Aufmerksamkeit für das Ga~n eines Aeischstücks (tbd., XXVII1,4,34). Garnsey, Mass Ditt , S. 100, bestätigt dagegen, daß für die relativ armen Unterschichtsangehörigen Atisch~rzthr ungewöhnlich war und nicht zur alltäglichen Ernährung zählte. 1 0rig, Cels 1,24 und 5,41. Vgl. Ftldman, Jews, S. 336f; Latte, Religion, S. 345.353, und Nilsson, Geschichte II, S. 546f. Vgl. I Kor 8,8. Die Starken könnten mit ih~r Praxis die Erwartung eines wirtschaftlichen und sozialen Vorteils ~rknüpft haben. 5 Ho~ll. Sodal Ethos, S. 108, unterstützt die ThtSt vom gehobenen Sozialstatus der Götzenopftrfltischtsstr gegen die Einwände von Meggit und Gooch, der darauf hingewiesen hatte, daß auch Mitglieder der Unterschicht von den TtmptlrtStaurants Gebrauch gemacht hätten (~ftritrt bei Ho~ll. Sodal Ethos, S. 107), mit dem Hinweis darauf, daß (a) für die nitdrige~n Mitglieder der Unterschicht, die Armtn und die Skla~n. solche Einladungen ins TtmptlrtStaurant nicht möglich gewtsen seien und daß solche Einladungen auch nur für Unttrschichtsmitglitdtr mit gehobenem Sozialstatus von ("gtsellschaftlichtm") lnttrtSse gewesen seien. "Vgl. Iuv, Sat 5. Bti den Gastmählern des Patrons konnte auch Atisch ge~icht werden, wenngleich sich l~nal bitter über die schlechte Verpflegung beklagt. Die Götzenopftrfltlschfrage kann sich also für die christlichen Klienten heidnischer Patrone bei dt~n Mählern gestellt haben. Sollten sie ~ich bei ditsen Geltgenhtittn zum Atischgenuß mit schlechtem Gewissen haben drängen lassen? Vgl. Iuv, Sat 8,173. \tgt. Kirchhoff, Sünde, S. 45. 'vgt. Veyne, Römisches Reich, S. 47f. '\igt. Kirchhoff, Sünde, S. 100-102. 2
233 kann für sie einen eher gehobenen Sozialstal'JS vermrten, wenn man an das Verhältnis denkt, das für sie zur Gesellschaft postuliert worden ist und das in I Kor)2,12-31 durchschimmert Wer an seiner Position in der Gesel&ilaft festhält und seine religiöse lhrzeugung eher dazu YmYendet, sich mit neuem Sebstbewußtsein in sie hineinzubegeben, wird eher einen gehobenen Sozialstatus innehaben oder aufstiegsorientiert und -bereit sein. Solche Leute in Karinth anzutreffen, das seinen Bewohnern überdurchschnittliche Mobitität gewährte und die 1\ufstiegschancen der römischen Kultur mit ihrer großzügigen Vergabe des römischen Bürgerrechts an ~ und ~nen mit der wirnmaftlichen ~mik einer .,de facto" neu gegründeten Hande~dt verband", war nicht unwahrscheinlich. Die .,niedrige Herkunft" der neuen gehobenen Schicht in Karinth könnte zudem er1dären, warum sich StrömJngen, die sich in der alten römischen Obmchicht durchzusetzen begannen - wie eine vmchärfte Sexualmoral für Männer - hier noch nicht finden. Die Gruppe derjenigen, die asketisch lebten, sich ihrer Geistesgaben rühmten und ihren Statusanspruch mit ihrer Reinheit begründeten, waren schlecht in ihre sozialen Kontexte integriert Sklaven und Sklavinnen heidnischer Herren sind \6'1llutlich nicht darunter gewesen, weil sie keine Verfügungsgewalt über ihren Körper hatten und auch über Eheschließung und -5Cheidung nicht frei entscheiden konnten. Nicht zu heiraten, sich scheiden zu ~ oder sich in der Ehe sexuell zu entziehen, setzt für Frauen eine beachtliche Selbständigkeit voraus. Solche Frauen mußten in der Lage sein, fiir ihren Lebensunterhalt selbständig aufkommen zu können. Das bifft auf Frauen mit gehobenem Sozialstatus zu. Sie konnten fiir ihren Lebensunterhalt auf ihr eigenes Vermögen zurückgreifen. Nach Scheidungen oder dem Tod des Ehemannes keine neuen Ehen einzugehen, war für Obmchichtsfrauen nicht ganz ungewöhnlich. Frauen aus der Unterschicht konnten dann sexuell asketisch leben, wenn sie einen Beruf wie Handwerkerin oder Händlerin ausübten, der ihren Lebensunterhalt sicherte, ohne von ihnen sexuelle Dienstleistungen zu erwarten, wie es bei Gastwirtinnen, Kellnerinnen und natürtich Prostituierten der Fall war. Die Trennung wn der Gesellschaft war für sie jedoch nur mit Einschränkungen erreichbar; ihr Beruf erforderte Kontakte zu Heiden. Daß junge Mädchen auf die Ehe verzichteten, ist eigendich nur bei Sklavinnen oder Töchtern aus christlichen Häusern vorstellbar. Wegen des Frauenmangels in antiken Gesellschaften war der Druck zu heiraten fiir Frauen besonders groß; damit verbunden hatten sie aber auch größere Olancen, durch Heirat eine Sta~ng zu erzielen, als Männer. Es ist wahrscheinlich, daß Frauen, die dem Druck und der Olance gleichermaßen widerstanden, selbst einen bereits gehobenen Sozialstatus innehatten und sich durch eine Heirat keine Verbesserung ihrer Lebenssituation ~ Das könnte besonders auf Frauen zutreffen, die Kennzeichen dt:J Statusinkonstistenz aufwiesen und an die Grenzen ihrer Aufstiegschancen gestoßen waren . Männer, die sexuell asketisch lebten, distanzierten sich einerseits noch stärker von der Gesellschaft als Frauen, weil Keuschheit nicht als männliches, !OOdem als weibliches ldentitätsrr~erkmal galt Andermeits aber standen sie damit mit dem .avantgardistischen" Verhalten wn Männem aus der Obe&hicht und Männem mit einem .alternativen" hohen Statusanspruch wie Epiktet und Apollonius in Einklang. 1\uf ihren Sozialstatus haben wir keine Hin~ Die Begabung zum Zungenreden weist einerYits eher auf einen niedrigen sozialen Status hin , kann aber auch fiir 'Auch die Fonnutirrung in I Kor 6,19 ..oiltc im icwniiv- hat Parallrlrn im politischrn Brrrich (Aristot, Pol 8.1.2); vgl. Mitchell, Rrconciliation, S. 121. Ein weiterrr Hinwris darauf, daß dir !Bordrllbesucher- für politische Trrminologir offrn warrn und in drr Polis ihrr Hrimat hattrn. -vgl. Sawgr, Powrr, S. 35-44 und Ben Withrrington, Conflict, S. 5-12. \Vrissrnriedrr vertritt in ihrrr drrzeit im Entstrhrn brfindlichrn Dissrrtation, Frau und Körprr im lukanischrn Dopprlwrrk und in drn Apokryphrn Aktrn, im Blick auf dir Rrzrptionsgeschichtr drr Texte in den apokryphrn Apostrlaktrn dir Auffassung, daß dir sexurllrn Asketinnen rinrn gehobrnrn Status hattrn, allrrdings ihrrn Sklavinnrn rbrnfalls rin askrtischrs Lebrn rrmöglichten. Daß Fraurn besondrrs häufig rkstatisches Vrrhaltrn zrigtrn, vermutet wrgrn drr religionsgrschichtlichrn Parallrlrn Thrißrn, Aspektr, S. 301. 4 Um in Zungrn zu rrdrn, brdarf es krinrr drr Voraussetzungrn, dir nur rin grhobrner Status birtrt: Zungrnrrdrn kann man ohnr Vrrmögrn, ohnr Bildung, ohnr Ansrhrn. Vgl. Thrißrn, Asprktr, S. 300; drm widrrspricht Martin, Tongues. Esotrrischr Rrdr zählr in vormodrmrn Grsrllschaftrn zu den 1ndikatorrn rinrs hohrn Status. Dir Vermutung, es handelr sich um dir Audrucksform von Mrnschrn mit nirdrigem Sozialstatus, sri nur in drn modrmen
234 Menschen mit Statusinkonstistenz wegen des ,.dBioziativen Ertebens des Geistbesitzes"1 attraktiv sein Die Ermutigung durt:h Paulus. die Position des .Kindes" aufzugeben (I Kor 14,19f) und die des Lehrers behutsam einzuüben. spricht ebenfalls ü einen niedrjp1 Sozialstatus. wie ihn Kinder eben innehatten, oder ist Anzeichen eines bewußt geübten Sta~~ Zungenredner und rednerinnen suchten sich eine neue Welt in der sie sich~; sie suchten ihren Standort .rationalistischen· Gesellschaften ausgeformt und von ihr abhängig. Die städtischen römisch-hellenistischen Gesellschaften seien vormodern, und es sei deswegen zu erwarten, daß auch in ihnen esoterische Rede Anzeichen eines hohen Status sei. 'Martin findet dann in der Ana~ von I Kor 12 und 14 ~itere Anzeichen dafür, daß die Zungenredner einen hohen Sozialstatus innehatten. Bei der Untersuchung von I Kor 12,12-27 hebt er hervor, daß Paulus die ko~ntionell konservativen Interessen dienende Metapher vom ~ und in den Dienst seiner Überzeugung vom .reversal of status· (S. 569) stelle. I Kor 14 fordere er, daß der statusniedrigere 110~ mit dem statushöheren ~zusammenarbeite und damit - die Analogie zwischen .Ich" und Gesellschaft vorausgesetzt von den statushöheren Gemeindegliedern die Zusammenarbeit mit den statusniedrigeren ~rlange (S. 576). Folgendes möchte ich einwenden: (1) Bereits bei der Darstellung der Beispiele für die Verbindung vom esoterischer Rede und hohem Sozialstatus in vormodernen Gesellschaften fällt auf, daß relativ viele Frauen genannt werden (S. 551 f; 554; 556). Frauen fehlt in all diesen Gesellschaften aber ein wichtiges Merkmal einer zentralen Position: das richtige Geschlecht. Mit der Pythia und der Sibylle läßt sich das Phänomen auch in der griechisch-römischen Antike belegen, mit den Töchtern des Hiob im TesUob für den jüdisch-hellenistischen Bereich. Diese wie auch die Beispiele, die er aus der Neuzeit anführt, könnten sich als Beispiele für Menschen mit geringer Statuskristallisation entpuppen. Wiedemann, Adults, S. 176, hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Zuschreibung besonderer Gottesnähe bei Frauen ein Indikator für deren Marginalität sei. (2) Indem Martin durch die Wahl des Terminus .esoterische Rede" ~der zwischen der Schamanistischen und der inspiratorischen Form (Callan, Prophecy, S. 126; vgl. Dodds, Griechen, S. 44) unterscheidet, noch sich der Signifikanz des Phänomens der Trance (Callan, ebd.) stellt, ~rlieren die religionsgeschichtlichen Parallelen an Aussagekraft. Ob darüber hinaus die esoterische Rede von Schamanen in Stammesgesellschaften wie südamerikanischen Indianerstämmen oder grönländischen Eskimogruppen tatsächlich den glossolalen Christen und Christinnen in der römisch-hellenistischen Großstadt Korinth ~rgleichbar sind, erscheint mir fragwürdig. Allein, daß beide Gesellschaften vormodern sind (S. 558), stellt noch nicht Vergleichbarkeit her. Dodds, Griechen, S. 39, weist darauf hin, daß schon Herodot zwischen übernatürlich ~rursachten und durch Krankheit ~rursachten Formen des Wahnsinns zu unterscheiden wisse und damit zeige, wie weit er von der .gemeinsamen Überzeugung primiti~r Völker· (S. 39) entfernt sei, die alle Arten von Wahnsinn für übernatürlich ~rursacht hielten. Bereits die klassisch griechische Gesellschaft ähnelte also in ihrer Einschätzung des Wahnsinns, also auch der Ekstase, nicht mehr primitiven Gesellschaften. (3) Die .Mania· kann auch kritisch gesehen und für schändlich gehalten werden. Vgl. Platon, Phädr 244b; Uv 39, 1. Auf einen hohen Sozialstatus weist sie dann eben nicht hin. (4) Der Auslegung Martins von I Kor 12,12-27 stimme ich zu. Unklar bleibt in seinem Aufsatz allerdings, woraus er folgert, daß sich der Abschnitt an die Zungenredner richtet und als Indikator ihres Status zu gelten hat. (5) Martin berücksichtigt m.E. nicht hinlänglich, daß es Paulus mit seiner Kritik an der Geringschätzung des 110~ darum geht, daß diejenigen, die auf ihn ~rzichten, die menschliche Gemeinschaft und ihre (innergemeindlichen und die gesellschaftlichen) Regeln geringachten und sabotieren - und das nicht programmatisch, sondern aufgrund des FehJens von Selbstkontrolle. Die Hochschätzung der Selbstkontrolle ist ein Oberschichtswert. Paulus mahnt, den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen (I Kor 14,40). Er kritisiert an den Zungenrednern das Fehlen von einem an überschichtswerten orientiertem Verhalten. (6) Glossolalie und Prophetie trugen in der Gemeind~rsammung offensichtlich nicht - so wie es in den Vergleichstexten ist - den Charakter von Orakeln und Einzelworten, sondern traten neben- und durcheinander auf. Das läßt daran zweifeln, ob die apollinische Form tatsächlich die maßgebende griechisch-römische religionsgeschichtliche Parallele ist; Thelßen, Aspekte, S. 280f, ~rweist wegen des kollektiven Charakters und des Regel~rstoßes auf dionysische Parallelen. Dionysos war eher ein Unterschichtsgott als Apoll (vgl. Dodds, Irrationales, S. 48). 1 Meeks, Urchristentum, S. 252.
235 außerhalb, nicht innerhalb der Gesellschaft Das könnte darauf hinweisen, daß sie innerhalb der Gesellschaft keinen Platz fanden, der sie zufrieden stellte. ln der Oumrangemeinde finden wir Hoheitsbewußtsein ausgedrückt durch die Karegone der Reinheit und Heiligkeit sowie in Formen, die sexuelle ~ vorsahen. Auch dort fanden wir die l.krzeugung. daß Gott in .der Welt" nicht witt5am sei, und die Bereitschaft sich - wie Gott auch - wn ihr zy distanzieren Diese Züge finden wir auch bei den sexuellen Asketen in Korinth. Wenn sich die Ahnlichkeit auch auf die soziale Zugehörigkeit ersbeckte, hätten wir bei den A5keten und A5ketinnen mit Mers:hen zu rech'Vl, die durch die Gesellschaft eine Zurückweisung erfahren und einen Statusveriust ertitten hätten , und mit solchen, die einen niedrigen Status innehatten. ~ der anderen Seite öffnete sich die Gesellschaft des ersten Jahrhunderts für .Aufsteigef. Das betrifft die Sklaven und ~ der familia r:apans, aber auch die vieler anderer Herren und Herrinnen mit gehobenem oder hohem Sozialsta'h7 Es betrifft auch die Provinzialen aus der Oberschicht Die ,.Fleischesser und Bordellbesucher" könnten ähnlich wie diese~ meinen, mit ihrer Sta~ng durch die Zugehörigkeit zum einzigen Gott in die Gesellschaft hinein gefijhrt zu werden. Ihr Glaube an Ouistus würde ihnen die Souveränität und Unabhängigkeit geben, die als Bedingungen für den Aufstieg und für~ Aufrechterhaltung notwendig sind.
Die Positionen des Paulus Da, wo Menschen oder Gruppen innerhalb der Gemeinde miteinander um den höheren Rang streiten, steht Paulus vor der Herausforderung, einerseits das Hoheitsbewußtsein der Gemeindemitglieder nicht zu zerstören, andererseits aber die destruktMn Kräfte des Rangstreits zu bändigen. Neben dieser Integration ~iedener Gruppen in der Gemeinde geht es ihm auch darum, die Gemeinde in die Gesellschaft zu integrieren, sie dabei weder mit ihr zu ~melzen noch von ihr abzuspalten. Paulus versucht diese Ziele zu erreichen, indem er (1) das Erhöhungsbewußtsein der Korinther stärkt, (2) indem er sich für die Gemeindegfieder, die innerhalb der Gemeinde eine Leitungsfunktion innehaben, zum Vorbild macht: Wie er selbst sollen sie sich den Schutz und die Erhöhung der in ihren Kategorien rangniedrigen Mitgfieder besonders vornehmen. Wie er können sie damit Autorität, also einen erneuten Statusgewinn, erreichen. (3) Denjenigen, die dazu neigen, sich von der Gesellschaft und der Gemeinde zu isolieren, zeigt er Wege. wie sie in der Gemeinschaft der Menschen ihren Platz finden und sich Achtung erwerben können.
Die Stärkung von Hoheitsbewußtsein Mit den Erhöhungszusagen aus der Anfangsverkündung, die mit Taufe. Herrenmahl und Geistbegabung für die korinthische Gemeinde Wirklichkeit geworden sind, begründet Paulus auch Ermahnungen. Dabei zielt er darauf, ein dem neuen, hohen Status angemessenes Verhalten zu ermutigen.
'Diese Vennutung würde zudem plausibel machen, wieso die Bordellbesucher und Götzenopferfleischesser in die Defensivt geraten konnten. Bei wMännem mit Aufsteigermentalitätw werden die Einwände wheiliger Frauenw mehr Eindruck machen, wenn diese auch Merkmale eines hohen gesellschaftlichen Status aufweisen, als wenn es sich nur um das Unvtrständnis einfacher Männer und Frauen handelte. lygl. Thebert, Sklavt, S. 158-199, bes. 179-183.
236 ln Konfliktfällen ermutigt Paulus die Korinther zu dem erwünschten Verhalten, indem er ihr Hoheitsbewußtsein stärkt und modifiziert Das soll an den beiden Fällen in I Kor 6 aufgezeigt werden 1• Beide Fäße, die Tatsache, daß Christen ihre Rechtsstreitigkeiten vor paganen Gerichten austragen. und die Gewohnheit. nichteheHche sexuelle Kontakte zu pflegen, stehen im Zusammenhang der Flage nach der Abgrenzung der Gemeinde nach außen.
Rechtsstreitigkeiten Im ersten Faß geht es darum, daß Christen ihre Streitigkeiten wr den Gerichten der Stadt oder der Provinz austrugen2 • Paulus qua6ftziert dieses Vorhaben mit dem Verb ~. das hier mit "ihr schämt euch nicht", "ihr erdreistet euch" übersetzt wird3 • Durch ihr Verhalten verlassen die Korinther nach paulinischer Überzeugung ihren Platz. Er beurteilt das kritisierte Verhalten wr dem Hintergrund ihrer zukünftigen Richterwürde. Diese besondere Würde fordert bereits in der Gegenwart ein statusangemessenes Verhalten4 • Die GemeindegHeder sollen ihre Richterfunktion in der Gemeinde schon wrwegnehmens. Indem sie sich den paganen Gerichten unterwerfen, geraten sie zu dieser besonderen Würde in Widerspruch. Sie erniedrigen sich und geben ihren hohen Rang auf. Paulus fragt: ~wt rotE Kpl.npi.wv EJ.aximwv;"(6,2). 1
Bekanntlich wird für beide Abschnitte erwogen, ob sie Bestandteile des .Vorbriefes" gewesen seien. Ich halte den jetzigen Zusammenhalt der Abschnitte 5,1-6,20 für zu eng, als daß es plausibel sein könnte, ihn zu zerreißen. Thema ist die Abgrenzung der Gemeinde. ln Kapitel 5 geht es um einen .Einbruch" der .Welt" in die Gemeinde: etwas muß .herausgeschafft werden". ln Kapitel 6 geht es um .Ausbrüche" von Gemeindegliedern in die .Welt", genauer um Beibehaltung paganen Verhaltens, und das an zwei Themen, die traditionellerweise als die beiden wichtigsten Bereiche der Identität jüdischer Diasporagemeinden galten: das Recht, die jüdische Gemeinde nach eigenen Gesetzen zu leiten und zu verwalten, und ein sexuelles Verhalten, das sich von dem angeblich .typischen" unzüchtigen Verhalten der Heiden deutlich unterschied. Etwas muß in die Gemeinde .integriert" werden: die Rechtssprechung und das crW,.&a.. Sollte es anders sein und die beiden Abschnitte zum Vorbrief gehören, stellte sich der Prozeß, in dem Paulus das Positionswechselaxiom thematisiert, noch ein wenig differenzierter dar. Kapitel 6 gehörte dann in eine Phase, in der Paulus noch ungebrochener Erhöhung zusagte, als er das später, in der Götzenopfertleischfrage oder im Zusammenhang der Glossolalie, erst recht aber in den Kapiteln 1-4, tat. \tennutlich ist an die städtische Gerichtsbarkeit und nicht an die provinziale gedacht. Darauf deutet das tomouc; Ka8i(ttE, das voraussetzt, daß nicht ständige Richter einen Fall übernehmen, sondern ~rsonen erst als Richter eingesetzt werden - und das trifft auf die städtischen Beamten zu, die Richterfunktionen bei Bedarf übernahmen. Vgl. Miliar, Städte, S. 87. 1Fascher, 1. Korintherbrief, S. 169. • ... so, daß sie [die Kirche] ihre eschatologische Souveränität in der Welt praktiziert." Conzelmann, I. Korintherbrief, S. 125. s ln welchem Umfang und in welchen Bereichen, auch über welche Menschen, war offensichtlich nicht eindeutig geregelt: Die Aussagen im ersten Korintherbrief stehen zueinander in Spannung. ln 2, I 5 gilt der Pneumatiker als deljenige, der alles beurteilt, selbst aber nicht beurteilt werden kann. ln 4,1-5 relativiert Paulus alles Richten durch das Warten auf das Gericht durch den Kyrios. ln den Kapiteln 5 und 6 wird gefordert, daß gerade innerhalb der Gemeinde zu richten ist. ln 14,24 werden interessierte Besucher durch alle Gemeindemitglieder gerichtet. Immer vorausgesetzt ist aber, daß Christen Richterfunktionen wahrnehmen können und sollen und daß dies ein Ausdruck ihrer Erhöhung ist.
237 Er spridlt zur Beschämung der Korinther: "npO; fl.rtponi)v ~i.v >.Eyw " (6,5a). Sie nehmen einen niedrigeren Rang ein als den, der ihnen angemessen ist1• Fs ist nidlt nur so, daß die Korinther sidl fälsdllidl erniedrigen, sie erhöhen audl noch die Ridlter: Sie untersteHen sidl dem Urte.1 derer, die im Urte.1 der Gemeinde "verndltet" sind (to\x; ~u; w tfl 8ocA.rpt{t 6.4f. Die Träger der staatlidlen Hoheitsfunktionen - seien es nun städtische Beamte oder die Vertreter der Provinzverwaltung - wenJen in der Gemeinde geringgesdlätzt. Der hohe gesellschaftlidle Rang zählt in der Gemeinde nidlt. Nadl Paulus haben die Korinther, indem sie sidl paganen Geridlten unterworfen haben, einen negativ zu bewertenden Positionswechsel vollzogen. Paulus argumentiert für eine Verhaltensänderung, indem er an vorhandenes Hoheitsbewußtsein anknüpft und es \eiStärkt Das gewinnt sdn besonderes Profil dadurch, daß er eine andere widltige urchristlidle Tradition nidlt in gleidler Weise zur Geltung bringt. Allein der VetSUdl, sidl sdn Redlt zu ve&haffen, steht in Spannung zu den Forderungen nadl Redltsverzidlt. Paulus kennt sie: ln Vers 7 spielt er auf sie an3• Dabei wendet er sidl an ditjenigen, denen Unred1t getan by shaming th~m. Paul wants to l~ad th~m to an n~w position and to ~licit a chang~ in th~ir and/or b~haviour: Mitch~ll. Rich and Poor, S. 565. Er b~tont di~ B~d~utung d~r Frag~ in I Kor 6,5: .Habt ihr nicht ~in~n W~is~n unt~r ~uch?" und ~rmut~t. daß Paulus hi~rmit an das ~lbsMrständnis d~r G~m~ind~gli~d~r mit hoh~m Sozialstatus anknüp~ (S. 567). Das wäll: ~in w~it~ll:r Hinw~is darauf, daß Paulus vorhand~n~s Hoh~itsb~wußt~in als Motivationshint~rgrund für s~in~ Argum~ntation nutzt. W~nn di~ Frag~ nicht an I Kor 1,26, also an di~ W~ish~it als M~rkmal vorchristlich~n hoh~n Status - wi~ Mitch~ll ~rmut~t - , sond~m an I Kor 2,6ff und damit an di~ W~ish~it als M~rkmal ~in~s inn~rg~m~indlich~n hoh~n Status anschlöss~. spi~lt~ Paulus auf das Hoh~itsb~wußts~in d~r Korinth~r als Christ~n an. 2 Di~ Ausl~gung d~ V~rs~ ist umstritt~n. V~rs 4 kann als Frag~. als (kritisch~) Aussag~ od~r als (ironisch g~m~int~r) lmp~rativ ~rstand~n ~rd~n; im l~tzt~n Fall wäll:n mit d~n V~racht~t~n di~ G~m~ind~gli~d~r mit ni~drig~m Sozialstatus g~m~int. Ich schli~ß~ mich d~r Ausl~gung Schrag~s. 1. Korinth~rbri~f I, S. 412, an, d~r d~n Satz als Aussag~ ~rst~ht und di~ V~racht~t~n mit d~n pagan~n 1
••••
b~li~~
Richt~m id~ntifizi~rt.
)Es ist möglich, daß ~r sich nicht auf Tradition~n d~r Logi~nqu~ll~ b~zi~ht, sond~m auf sokratisch~
Im Kriton wird im Zusamm~nhang d~ Th~mas .Rucht aus d~m zu ~rzicht~n. Im Gorgias wird d~r Satz .Es ist b~r. Unll:cht zu ~rl~id~n. als Unrecht zu tun" im Zusam~nhang d~r ~d~utung d~r Rh~torik b~proch~n. ln Gorg 469b wird ~rhand~lt, ob di~ Tyrann~n zu b~n~id~n s~i~n. Sokrat~ ~m~int das: Di~j~nig~n. di~ ihll: Macht zum Unll:chttun ~rw~nd~n. ~i~n sogar zu ~da~m; di~j~nig~n. di~ ihll: G~walt r~chtmäßig g~brauch~n. ~i~n auch nicht zu b~n~id~n; w~il nun Sokrat~ das Unll:chttun als das größt~ d~r Üb~l gilt, will ~r ~h~r Unll:cht l~id~n als w~lch~s tun; ~rwünscht ist ihm ab~r k~in~ von b~id~n. Di~ R~chtspfl~g~. b~ond~rs di~ ~trafung d~r Ung~ll:cht~n. gl~ich~ d~r H~ilkunst und b~fll:i~ von Ung~ll:chtigk~it. B~i Sokrat~ g~ht ~ also nicht um di~ Ford~rung ~in~ R~ch~rzichts, sond~m um di~ nach ~in~r R«htspfl~g~. di~ sich nicht - wi~ ~r ~ d~n Rh~torik~m vorwirft - am Sch~in d~ R~chts ori~nti~re. sond~m G~ll:chtigk~it such~. Vgl. w~it~r Epict, Diss IV,5,10. s~n~ca Ep ::15,52: .in~rius ~t noc~re quam la~di". ~n~ca argum~nti~rt vom stoisch~n G~dank~n d~r V~rbund~nh~it und V~rwandtschaft all~r M~nsch~n h~r. Unmitt~lbar zuvor ~~nd~t ~r das Bild vom Ltib und ~in~n Gli~d~m. Auch Paulus ~rstärkt s~in~ Abl~hnung d~ Proz~si~rens damit, daß ~s um di~ B~zi~hung~n von Brüd~m g~h~ (6,5f.8). Das Bild vom Lrib ~rw~nd~t ~r ab~r hi~r ~~n nicht. Für ~n~ca ist ~ zwar ~mi~drig~nd (mis~rius) zu schad~n; sich schad~n zu la~n. ist a~r ~b~nfalls ~rbärmlich. Di~ Aufford~rung~n zum R~ch~rzicht in d~r Logi~nqu~ll~ sind d~s~g~n m.E. di~ näh~re Parall~l~. G~g~n Schrag~. 1. Korinth~rbri~f I, S. 415, d~r - ~b~n w~il Paulus di~ Tradition nicht mit m~hr G~wicht ~inbring~- ~rmut~t. daß Paulus pagan~ Ethik ll:Zipi~re. und
stoisch~ Tradition~n.
G~fängnis" g~ford~rt. aufWrg~ltung
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worden ist. Das bestätigt VetS 7c. VetS 8 nun nimmt die beiden Verben aus VetS 7 auf (ti.&lreiV und t.i.~). wemseit aber die Adressaten: Paulus wendet sich an die "Täter", nicht mehr wie in VetS 7 an die "Opfer'1 • Rechßverlicht und Selbsterniedrigung sind 1 Möglich~rw~~
will Paulus sag~n. daß man, ind~m man nicht auf s~in R~cht verzicht~t. vom Op~r wird. So legt Mitch~ll. Rich and Poor, S. 567, es aus. All~in dadurch, daß di~ Kläg~r ihr R~cht ~inford~rt~n und vor G~richt zogc:n, s~tzt~n si~ sich ins Un~cht und würd~n zu Tät~m. Er g~ht also davon aus, daß di~ Ad~sat~n in V~rs 7b und V~rs 8 di~lben sind. W~nn er damit recht hätte, würd~ Paulus die Tradition vom StatUSvtrzicht als R~chtsverzicht zwar höher schätzen und ihr mehr Raum ~inräum~n. als w~nn sich V~rs 8 an and~re Adressant~n richt~t als v~rs 7, d~nnoch ab~r würd~ ~r. ind~m ~r vorschlägt, inn~rg~~indlich~ .Schlicht~r· ~inzus~tz~n. die Tradition vom R~chtsverzicht ~rh~blich veränd~m und verharmlos~n. so daß auch dann von ~in~r Gl~ichg~wichtigk~it d~r Ford~rung nach StatUSvtrzicht als R~chtsvtrzicht und der Aufford~rung, sich hoh~itsb~wußt zu verhalt~n. nicht di~ R~d~ ~in könnte. Die paulinisch~ Lösung g~winnt w~it~r an Profil, w~nn man d~n Sozialstatus von Kläg~m und B~klagt~n zu ~rmitt~ln versucht. Mitch~ll. Rich and Poor, argum~nti~rt dafür, daß di~ Kläg~r ~in~n höh~~n Sozialstatus innehatt~n als di~ Beklagt~n. Di~ Ford~rung zum R~chtsverzicht si~ht er an die R~ich~n und Vom~hm~n d~r G~m~ind~ g~richt~t. Dafür führt ~r di~ folg~nd~n Argum~nt~ an (S. 575): (I) Di~ lroni~ d~r Frag~ in 6,5 hab~ nur di~ G~bild~t~n treff~n könn~n. (2) Si~ g~ri~t~n mit ih~m V~rhalt~n zud~m in Spannung zu d~m pagan~n ld~al d~s W~~n. das R~chtsverzicht ford~~- (3) Nur ihn~n g~g~nüber ~i di~ Drohung d~r Beschämung wirkungsvoll, w~il nur für si~ di~ Kat~gorie d~r Eh~ von B~d~utung s~i. Mitch~ll unt~rstützt s~in~ Argu~ntation mit d~r B~obachtung, daß es in d~r antik~n Ges~llschaft ~h~r di~ M~nsch~n mit hoh~m Sozialstatus wa~n. di~ vor Gericht zog~n. und si~ auch di~ b~sse~n Chanc~n hatt~n. ih~ lnt~ress~n zur G~ltung bring~n. als di~ Ni~drig~n (S. 575ft1. Dafür, daß di~ B~klagt~n ~in~n ni~drig~n Sozialstatus hatt~n. führt er di~ folg~nd~n Argum~nt~ an (S. 582f): (1) Paulus ~rhalt~ di~ Information Ob~r di~ Prozes~ von .d~n Leut~n d~r Chlo~·. also Ni~drig~n. (2) D~r Ausdruck ßuAJTIIcti ~i~ auf Eig~ntumsst~itigk~it~n hin. (3) Paulus such~ wi~ in I Kor 8 ~in~ Lösung, di~ di~ lnt~~~n d~r Schwach~n wahre. Vgl. Wint~r. Civil Utigation, S. 559-572. Wint~r tritt auch dafür ~in, daß di~ Vom~hm~n d~r Gemeind~ di~ Kläger ~i~n. Schärf~r wird ~in Urt~il dadurch, daß ~r di~ pagan~ R~chtsordnung als Un~chtsordnung charakt~risi~rt. in d~r di~ Ni~drig~n ohn~hin k~in~ Chan~ hatt~n. ihr R~cht zur G~ltung zu bringen. S~ine Argum~ntation hat ~in~ Schwäch~ darin, daß ~r di~ Vom~hm~n d~r G~m~ind~ d~r Ob~rschicht zuzu~chn~n sch~int. Nur Oberschichtsmitgli~d~r hatt~n an d~n Privilegi~n. die Wint~r anführt, Ant~il. Zur Ob~rschicht g~hört~n ab~r auch di~ Vom~hm~n der G~m~ind~ - Erastus möglich~rw~~ ausg~nom~n - nicht. Vgl. Th~iß~n. Sozial~ Schichtung, S. 231-271. Mitch~lls Argum~ntation kann nur dann üb~rz~ugen, w~nn die El~m~nt~. mit d~n~n ~r das Hoh~itsbewußts~in d~r Kläg~r beschr~ibt, sich auf ~inen hoh~n g~s~llschaftlich~n Sozialstatus gründ~n. Es ist ab~r auch möglich, daß damit das Erhöhungsbewußtsein d~r G~tauft~n beschri~ben wird. ~ reklami~rt~n ja nicht nur di~ w~nig~n G~bildet~n. sond~m all~ G~meind~gli~d~r. die nach d~r verborg~~n W~ish~it fragt~n. R~chtsverzicht war nicht nur Bestandt~il d~r Standes~thik d~r Vom~h~n. sond~m auch d~r d~r Jesusnachfolg~r in d~r synoptisch~n Tradition. Einen hoh~n Status und ih~ Eh~ hatt~n nunmehr nicht nur di~ Vom~hm~n. sond~m all~ .H~ilig~n· zu verli~~n. Dafür, daß Paulus an d~n durch Bek~hrung und Tauf~ erlangt~n Status d~nkt, spricht di~ Erinn~rung an di~ Üb~mahm~ des ~schatologisch~n Richteramts in 6,2f. Dies~ Üb~mahme ist das Hauptargum~nt des Paulus und b~zi~ht sich ~ind~utig nicht auf d~n Sozialstatus d~r Vom~hmen. Eschatologisch~ Richt~r sind all~ G~m~ind~gli~d~r. Di~ Analogi~n zwisch~n christlich~m und pagan~m Hoh~itsbewußts~in, di~ Mitch~ll dazu veranlass~n. es für dasj~nig~ d~r Vom~hmen zu halt~n. sind k~in Zufall, sond~m Programm. Im Urchrist~ntum w~rd~n W~rt~ d~r Ob~rschicht in di~ Unt~rschicht~n trans~ri~rt. Vgl. Th~ißen, W~rtrevolution, S. 343-360. Di~ Argument~. di~ Mitch~ll dann für d~n ni~drig~n Sozialstatus d~r B~klagt~n anführt, sind ~ig~nständig nicht ~hr aussag~kräftig. Daß ~r di~ Information von .d~n Leut~n d~r Chloe" ~rhalt~n hab~. setzt die umstritt~n~ Zusamm~ng~hörigk~it d~r Kapit~l 1-4 und 5ff voraus und bl~ibt im übrig~n spekulativ. Daß d~r Ausdruck ß~eAJTr~eri. auf A~inand~rs~tzung~n um mat~ri~ll~ Güt~r weise, sagt nichts darüb~r aus, ~m si~ ~ntzog~n wurd~n. Schli~ßlich kann Paulus die lnt~~sen der Ni~drigen auch zum
Tät~r
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damit kein Thema mehr. Die Frage von 7b ble~bt unbeantwortet. Es geht jetzt um den Verzicht auf Unrechttun - und das nimmt dann Vers 9f mit dem Lasterkatalog auch auf. Für diese Täter ist das Entscheidende. daß sie durth die Taufe abgewaschen. gehe~ligt und gerechtfertigt sind - Vers 11 zitiert eine Tauftradition. Paulus bringt zwar die Aufforderung zum Status\eZicht in der Form des Rech~chts ins Spiel, ~e1"ht ihr aber kein Gewicht1• Sie gerät dun:h die Betonung der Hoheit der Gemeindeglieder in den Hintergruncr. Nicht eheliche Sexualkontakte
Paulus bezieht sich in seiner Argumentation, die auf eine Verhaltensänderung abzielt, gleich dreimal auf die Hoheit der Korinther: (1) ln 6, 15 und 6, 19 erinnert er an die Hoheit der Christen als Tempel und als Leib Onisti. (2) Paulus weist die Parole "mivta IJOL ~LV" nicht zurück. Er lehnt ein solches Hoheitsbewußtsein nicht ab und ~acht es auch nicht3• (3) Er nimmt die Parole vielmehr auf und fUhrt sie genauso weiter, wie das auch Dio 0n)50stomos tut: Große Freiheit fordert große Selbstbeherrschung, damit sie Freiheit ble~bt. Wer nicht selbstbeherrscht ist, wird zum Gefangenen seiner Triebe und Affekte. Das and~rt W~is~ wahrtn, als Mitch~ll das ~rmut~t. W~iß, 1. Korinth~rbri~f. S. 52, ~rmut~t hint~r d~n Vrrb~n ~11ciw und ä:rrrffiTfpiw ~in~ Anspi~lung auf Dtn 24,14 und Ltv 19,1 J. Btid~ St~ll~n th~matisi~rtn di~ lohnzurückhaltung. (Di~ LXX üb~rs~tzt 'm zwar mit ~ und nicht mit
auf
ä.TrOtTTtpiw, das ~rli~rt ab~r an B~d~utung, w~il di~ LXX das V~rb ä.TrOtTTtpiw gar nicht ~rw~ndrt. Wriß ~rmut~t. daß Paulus auf ~in~ and~rt Ü~~tzung zurückgrgri~n hab~.) Sollt~ W~iß R~cht hab~n. wärtn di~ Vom~h~n dl~ B~klagt~n und di~ Ni~drig~n di~ Kläg~r. Dann wärt di~ Entsch~idung drs Paulus, d~r Tradition vom R~ch~rzicht ~in~n g~ring~n Raum zu grb~n. darin b~gründ~t. di~ lnt~rtSS~n d~r Ni~drig~n zu wahrtn. Von ~in~m Adrtssat~n~ch~l zwisch~n Vrrs 7 und V~rs 8 wärt dann nicht auszug~h~n. 'Das b~obacht~t auch B~rgrr, Th~ologi~grschicht~. S. 489, ~tracht~t rs ab~r als ~ispirl für d~n Pragmatismus drs Paulus, d~r ihn ~rschi~d~ntlich von ~in~n ld~alvorst~llung~n abw~ich~n las~. Virl~ d~r Fäll~. di~ ~r als Kompromiß ~z~ich~t (vgl. di~ Ust~. ~bd., S. 490), ~rst~h~ ich als ~ig~nständiges, w~nn auch nachranglgrs Programm; Kompromißcharakt~r hat das insof~m. als sich Paulus üb~r di~ ~inand~r wid~rsprtch~nd~n Elrm~nt~ ~i~r ~id~n ld~alvorst~llung~n k~in~ Rrchrnschaft gibt. 2 Schrag~. 1. Korinth~rbrirf I, S. 418f, g~wicht~t and~rs. Er ~int, daß di~ Ford~rung nach R~ch~rzicht im Vord~rgrund st~hr. Er g~ht wi~ Mitch~ll davon aus, daß ~in R~cht zur G~ltung bring~n. Unrtchttun b~d~ut~t. und m~lnt, daß auch di~ Frag~form von Vrrs 7b nicht dagrg~n sprtch~. daß Paulus hi~rauf das ~ig~ntlichr Schw~rg~wicht l~g~. Cart~r. ~rvant Ethic, S. 54f, grht noch w~it~r. ind~m sir ~int, daß VS ironisch zu ~rst~hrn ~I und di~ v~~ 6f mit d~r Ford~rung~n nach R~ch~rzicht d~n ~ig~ntlich~n und ~inzig~n Will~n drs Paulus formuli~rt~n. Di~ Th~~n la~n sich m.E. nicht aufrtcht~rhalt~n. Auch 6, 1-6 b~rtit~n di~ Ei~tzung von inn~rg~m~indlich~n Schlicht~m vor und nicht di~ Ford~rung nach R~ch~rzicht. Vrrs 7a ~rläut~rt m.E. di~ V~rs~ 1-6 und nicht di~ Frag~ von 7b. Daß Christ~n ihrtn Status g~ringacht~n und vor paga~n G~richt~n rrschrinrn, das ist ~in~ Ni~d~rlag~. nicht, daß k~in Rrcht~rzicht g~lrist~t wurdr. Dirsr Möglichk~it tritt ~rst mit 7b in drn Blick. Ganz ohn~ Argumrnt~ w~ist Schrag~. 1. Korinth~rbrirf I, S. 416, di~ Vrrmutung von W~iß, Un::hrist~ntum, S. 441, zurück, daß mit d~m Prozmi~rtn d~r ..Adrl christlich~r ~rsönlichk~it~n· auf drm Spirl st~h~. Ich mrinr: G~nau das ist d~r Fall. 1 Möglichrrw~is~ grht di~ Parol~ auf Paulus srlbst zurück. Vgl. Lütg~rt. Frtihritsprtdigt, S. J6ff. Grg~n Schrag~. 1. Korinth~rbri~f II, S. 18, drr darauf brstrht, daß dir Parol~ mit I Kor 3,21 nicht ~~ch~lbar ~i.
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begegnet in der stoischen Moral häufig. Genauso argumentiert Paulus in 6,12: ..Oix E-yW ~oo~L im6 tu.~QC;." Paulus behandelt die Korinther wie Könige und empfiehlt ihnen dasselbe, das damals Königen empfohlen wurde. Festzuhalten ist. daß die HeM>rhebung der Erhöhung an Kontexte gebunden ist. die die Abgrenzung der Gemeinde nach außen thematisieren. Erhöhung geschieht, indem ein Mensch sich bekehrt, eine Gemeinde entsteht Sie wird erneut virulent, wenn die Grenze zur paganen Gesellschaft durchlöchert zu werden droht1• Die paulinische Konzeption von Hoheit Das Verhältnis zur Gesellschaff
Für Paulus sind die Gemeinden der Ort der Anwesenheit Gottes in der Gesellschaft. Heiden sollen, wenn sie in Kontakt mit der Gemeinde kommen, auf ihr Angesicht fallen ..Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig unte(' ihnen sei 0 Kor 14,25). Die faktische Ambivalenz der Gesellschaft vorausgesetzt, muß die Gemeinde einerseits eine AlternatM zur Gesellschaft sein und andererseits ihre besten Seiten spiegeln. Den Statuskriterien der ..Starken" und der ..Helligen" pflichtet Paulus deswegen durchaus bei. Beide Gruppen können sich mit Recht auf ihn berufen. Dem Umgang der Gruppen 1 Daß die Probleme, die in den Kapiteln 5 und 6 ~rhandelt werden, die Identität der Gemeinde und ihre Abgttnzung nach außen betreffen, hat Meeks, Urchristentum, S. 211, herausgestellt. Es gehe darum, die Grenzen der Gemeinde aufrechtzuerhalten. Vgl. Mitchell, Rich and Poor, S. 563f. I Kor 6,20 könnte als Einwand gegen meine Auslegung gelten. Dort beschreibt Paulus die Bekehrung und den Eintritt in die Gemeinde mit dem Bild des Ankaufs eines Skla~n. 'A~w bezeichnet nicht den Freikauf eines Skla~n - wie es Deissmann vorgeschlagen hatte, bedeutet also keine Statuserhöhung durch Freilassung - sondern dessen WeiteMrkauf. Vgl. Schrage, I. Korintherbrief II, S.35, Anm. 373. Die Glaubenden bleiben also auch als Christen Skla~n; das könnte meine Auslegung, die die Freiheit und königsgleiche Würde der Gemeindemitglieder hervorhebt, in Frage stellen. Es sind jedoch zwei Beobachtungen zu berücksichtigen: (I) Martin, Sla~ry. S. 62f, hat gezeigt, daß mit der Vorstellung, von einem Herrn an den andern ~rkauft zu werden, eine Statusverbesserung ~rbunden war, wenn der neue Herr gut und wohltätig, der vorige dagegen grausam war und der neue Herr selber einen höheren Sozialstatus hatte als der alte. Beides sei beim Kauf durch Gott oder Christus der Fall. Zu seinem ol~e~ zu gehören, war auch für seinen Skla~n ein Statusgewinn. (2) I Kor 6,20 wird in I Kor 7,23 wiederholt. Dort will Paulus erreichen, daß christliche Skla~n ihren Skla~nstatus beibehalten und nicht die Freilassung zu erreichen versuchen. Diese Erwartung macht Paulus dadurch plausibel, daß er den tatsächlichen Status durch den neuen Status im oT~e~ Gottes relativiert. Vgl. Martin, Sla~ry. S. 64f. Paulus ist davon überzeugt, daß der Status, der einem Menschen in der familia Gottes zukommt, allein maßgebend ist. Der Sozialstatus .draußen· wird dadurch nicht nur relativiert, sondern bedeutungslos (vgl. I Kor 6,4 vom hohem Status). Wer nun seinen Sozialstatus verändern will, wird dieser neuen Wirklichkeit nicht gerecht, weil er ihm noch Bedeutung beimißt Wer das tut, wechselt die vorherrschende Bezugsgröße und macht sich erneut zum .Skl~n von Menschen· (7 ,2Jb), ~rschlechtert also seinen Status. Als Skla~ oder gar als Freigelassener zur familia dei, des größten ~. zu gehören, ist also keineswegs ein Widerspruch dazu, ein königliches Selbstbewußtsein zu haben, ~ondern gerade die Folge davon. "Vgl. Meeks, Urchristentum, S. 341, der .diese Ambiguität hinsichtlich der Grenzen Ihrer Gemeinschaft• zu den wichtigsten .Hinterlassenschaften des paulinischen Urchristentums· zählt.
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miteinander steht er kritisch gegenüber. Er leitet sie zu einem anderen Verhalten an, wiederum mit Hilfezweier strukturell ve&hiedener Ansätze: mit der Wertschätzung der "Einheit.., einem Wert. der gesellschaftskonform ist. und mit der Aufforderung zum Sta~cht, einem Wert, der apostolisch begründet wird und innergemeindHche Geltung hat; dabei leitet er tendenziell die Starken.. zum Sta~cht, die "Hetligen.. zur Wertschätzung der Einheit an. Die Distanz zur Gesellschaft und ihre Begründung in zentralen christlichen Überzeugungen Paulus fordert für die Gemeinde "Reinheit"'. Den Gemeindeausschluß des Mannes, der seine Stiefmutter geheiratet hat, begründet er mit der Anforderung der Reinheit. Diese Anforderung wiederum ist für ihn die Folge des Ouistusgeschehens, das er als Opferung des Passalamrns 0 Kor 5. 7) deutet; sie ist also in einer zentralen christlichen Überzeugung ....m~nkert. Diese Reinheit bewährt sich an den beiden traditionellen Grenzmarken jüdischer Identität: am Verhältnis zum Götzendienst und zur Sexualität. Paulus fordert in beiden Bereichen dazu auf, von gesellschaftHchen Praktiken Distanz zu halten 0 Kor 6, 18; 10, 14). Die Verbindung mit Christus schHeßt Bindungen innerhalb der Gesellschaft aus, die das Wesen des Menschen beschlagnahmen. Paulus hält den mit einer Mahlzeit ~undenen Besuch im heidnischen Tempel und die sexuelle Beziehung zu anderen Frauen als der eigenen Ehefrau für solche mit der Christusgemeinschaft u~nbaren Bindungen 0 Kor 6, 15f; 10,21). Dabei ~eutlicht er die AusschHeßHchkeit der Christusbeziehung in beiden Bereichen mit der Metapher des "einen Leibes" 0 Kor 6, 13.15; 10, 16tJ und \63nkert sie in den sakramentalen Handlungen von Taufe1 und Herrenmahl, also in zentralen Handlungen der Gemeinde. Aus diesen fundamentalen Argumentationsgängen des Paulus läßt sich nicht ersehen, warum der sexuelle Kontakt mit dem Ehepartner und der Verzehr von Götzenopferfleisch bei privaten Einladungen oder Zuhause nicht ebenfalls in Konkurrenz mit der Christusbeziehung stehen. Von diesen Argumenten her erscheint der, der in der Mitte der Gemeinde steht, in großer Distanz zur Gesellschaft; Zentralität in der Gemeinde und Marginalität in der Gesellschaft korrespondieren einander. Die Verbindung zur Gesellschaft und ihre Begründung in peripheren christlichen Überzeugungen 'Meeks, Urchristentum, S. 268f. Martin, Body, S. 174, sieht in der Vorstellung vom Leib Christi das Motiv für die Ablehnung von außerehelichen Sexualkontakten und der Teilnahme an Kultfeiem. Dabei versteht Martin die paulinische Vorstellung vom Leib Christi als Ausdruck einer ontisch-mystischen Einheit im Rahmen eines eher dualistischen Weltbildes, so daß für Paulus mit dem Verhalten der Bordellbesucher und :Jötzenopfertleischesser die Reinheit und Unversehrtheil des Leibes Christi auf dem Spiel gestanden habe. Er beschreibt die paulinische Abscheu, die durch die nopllfia. ausgelöst wird drastisch u.a. "as monstrously conjoining the body of Christ to the body of the cosmos" (ebd., S. 179). Ebenso deutet er die Furcht. die die Teilnahme an paganen Kultmählern bei Paulus hervorruft; vgl. ebd., S. I 88. M.E. wird diese Deutung der Leib Christi Vorstellung der Beobachtung, daß sie als ekklesiologische Metapher aus dem politisch-soziologischen Kontext stammt und bei Paulus keine zentrale Rolle lpielt, nicht gerecht. Vgl. Undemann, Kirche, S. 155-159. Kirchhoff, Sünde, S. 172ff. 1
242 Paulus erwartet von den Gemeindegliedern die Übernahme der gesellschaftlichen Rollenerwartungen. Sie sollen sich ~· betragen. Das bringt er den sexuell asketisdl lebenden Gemeindegliedern und den Zungenrednern gegenüber zur Geltung 0 Kor 7,35; 14,30). Beide Verhaltensweisen stehen in der Gefahr, nicht ..anständig" zu sdn und die Verhaltensanforderungen der Gesellschaft zu durchbrechen. Da mit dem Modell der familia die staatliche Gewalt und die gesellschaftliche Ordnung legitimiert wurde und zudem aus der Fruchtbarkeit der Familien Roms Stärke emporwu~ gerieten Menschen, die Ehe und Fruchtbarkeit \6Weigerten, in einen fundamentalen Gegensatz zur Gesellschaft. Eh~gerung galt als Dekadenz 1 • Bei der Zungenrede beffirchtete Paulus, daß sie als Zeichen des Wahnsinns ~)angesehen werden könnte 0 Kor 14,23)). Indem Paulus Männer und besonders Frauen dazu auffordert, ihre Ehen sogar mit heidnischen Partnern aufrechtzuerhalten 0 Kor 7, 12-16) und ihre gesellschaftlichen Rollen weiter auszuffillen 0 Kor 7, 17-24; 11 ,2-16), bindet er sie an die gesellschaftliche Ordnung. Die Begründungen ffir die Aufrechterhaltung dieser Bindungen sind vielfältiger und weniger zentral als die, die er "den Starken" gegenüber ~det4 • (1) Er kann sich auf ·~~~ b~z~ichn~t im pagan~n und christlich~n G~brauch di~ sittlich ~inwandfrti~ Haltung. Wi~ in Röm 13, 13 b~d~ut~t Paulus mit d~m Wort s~in~ (w~nigst~ns parti~lld Zustimmung zu d~n g~~llschaftlich~n Norrntn und Roll~n~rwartung~n. Vgl. Grt~n. Art. ~. S. 768f. ln I Kor 7,35 folgt d~r Aufford~rung zum .Anstand· di~ Ermutigung, d~m H~rm ung~t~ilt zu di~n~n. Vgl. Schrag~. 1. Korinth~rbri~f II, S. 181 f. Vi~ll~icht ordn~t Paulus hi~r absichtlich n~~n~inand~r. was ~~n Korinth~r Ask~t~n und Ask~tinn~n als Alt~mativt ~rschi~n. Di~ Erwartung, ~in~ Eh~ ~inzug~h~n. wartn von Augustus durch s~in~ Eh~g~~tz~ ~m~ut formuli~rt word~n. Zugl~ich wartn di~ Klag~n üb~r di~ ~rfall~nd~ Eh~moral und di~ Frtizügigk~it un~rh~irat~t~r Frau~n laut. Vgl. z.B. Iuv, Sat 6. Di~ Eh~losigk~it d~ Apollonius von Thyana war in ähnlich~r W~~ als Vorwand für ~in~n allzu frtizügig~n ~b~nwsand~l ~rdächtigt word~n. Vgl. Philostr, VitAp I, 13. )Durch ~in~ solch~ Einschätzung könnt~ di~ G~m~ind~ in di~ Näh~ d~s dionysisch~n Kult~ g~rückt w~rd~n. D~r dionysisch~ Wahn wird durch Tanz und W~ing~nuß ausg~löst. W~ing~nuß b~i Frau~n galt b~rtits als d~r ~rst~ Schritt zum Eh~bruch. Auch d~r Tanz galt als unschicklich (Sallust, Catalina 25). Möglich~~i~ hab~n Paulus auch rtligionspolitisch~ Üb~rl~gung~n b~w~gt. Ein Kult, d~r auch nur ~ntf~mt an dionysisch~ ~ond~rh~it~n ~rinn~rt~. konnt~ b~stimmt nicht auf Sympathi~ durch di~ römisch~n Bthörd~n rtchn~n. Mithridat~ war als N~os Dionysos in d~n gri~chisch~n Städt~n b~grüßt word~n. Antonius stand als Dionysos n~b~n Kl~opatra; ~r war im Ost~n stark. Di~ Schlacht zwisch~n ihm und Oktavian fand in Actium statt - in Gri~ch~nland. ln Rom hatt~ d~r Bacchanali~nskandal zu (~rg~blich~n) V~rsuch~n. d~n Kult zurückzudräng~n. g~führt. Dionysisch gdärbt~ Kult~ w~rd~n ~h~r als romftindlich und staatsg~fährd~nd g~golt~n hab~n d~nn als harmlos·. 'o~m wid~rspricht Btrg~r. Th~ologi~g~hicht~. S. 493f, mit s~in~m V~rständnis von I Kor 11,2-16: Paulus g~h~ ~ hi~r um di~ .Hi~rarchi~ d~r Ehrt·, di~ als .g~rad~zu bibliodramatisch~ lnszmi~rung von ~n 1r (~bd., S. 494) zu g~lt~n hab~ und ihr Zi~l in nichts and~rtm als d~r Ehrt d~s Erst~n. Gott~ hab~. Das ist ~in~ b~t~ch~nd~ Vorst~llung, di~ vi~ll~icht ~rklärt, wi~o das Argu~nt für Paulus plausi~l war. Folg~nd~ Punkt~ all~rdings b~rücksicht di~ Th~s~ m.E. nicht hinrtich~nd: (a) di~ Eng~l sind nicht nur di~ Anwält~ d~r Rangordnung d~r Schöpfung, sond~m auch Straftät~r an ihr: si~ woll~n Adam nicht ~hrtn (VitAda~ 14t) und b~g~hrtn di~ M~nsch~nfrau~n (G~n 6, 1-4; äthH~n 7); Rücksicht muß also vi~ll~icht nicht nur auf di~ Stärk~. sond~m auch auf di~ Schwäch~ d~r Eng~l g~nomm~n w~rd~n. (b) Di~ schöpfungsth~ologisch~ Argum~ntation d~nkt an Frau~n als di~ (Ehdfrau~n von Männ~m; Frau~n und Männ~r sind ~inand~r zug~ordn~t. und in di~~m V~r hältnis läßt sich ~in~ Ehrhi~rarchi~ vorst~ll~n; di~ Frau~n. an di~ sich Paulus hi~r w~nd~t. sind aber vi~l~icht S(Xu~JJ~ Ask~tinn~n. d~n~n Paulus in I Kor 7,34 durchaus b~sond~rt H~iligk~it zug~t~ht.
243
seine apostolische Autorität berufen 0 Kor 7,17) und den Gehor5am Gott gegenüber als eigentlich statusrelevantes Kriterium herwrheben 0 Kor 7,19); (2) er kann auf die Schöpfungsonlnung ~eisen und den Konsens der Gemeinden 0 Kor 11,2-16) und damit auf ..allgemeine Werte" rekurrieren; (3) er kann den Reinheitsbegriff, der durch ,.Absage" und "Distanz" strukturiert ist, "offensiv" umformen: Berührung macht nicht unrein, sondern hetlig'. Dabei wird deutlich, daß seine Haltung den traditionellen Rollen gegenüber ambivalent ist. Sosehr er daran festhält, daß sie aufrechterhalten werden soßen, sosehr zeigt er die Neigung, sie zugleich zu relativieren. Sie sind nicht eigentlich statusrelevant; der Status wr Gott folgt dem Ausmaß des Gehor5ams 0 Kor 7, 19) und der Erlösung 0 Kor 7,22t). Die gesellschaftlichen Rollen sind \el'gänglich und werden nicht mehr wirklich "bewohnt" 0 Kor 7,29-31)2 ; sie stehen duTthaus zur Disposition 0 Kor 7, 15). Status vor der Welt und wr Gott können sogar umgekehrt werden 0 Kor 7,22). Vergleicht man nun noch den Lebensstil des Paulus selbst mit seiner Ehelosigkeit und Armut, wird deutlich, daß der Schwerpunkt seines Denkens bei der Position der "Helligen" liegt Um so bemerkenswerter ist es. daß er ihnen nicht zustimmt. M.E. Qlbt es dafür zwei Gründe: (1) Eine wllige Distanzierung ist gar nicht möglich. Christen können aus dem Kosmos nicht hinausgehen 0 Kor 5, (2) Gott ist der Schöpfer und Neuschöpfer sowie der Herr über den Kosmos 0 Kor 8,6; 10,26). Die Gemeindegründungen zielen auf die Gesamtgesellschaft und müssen deswegen mit ihr ~unden bleiben.
10r.
Der Umgang mit der Konkurrenzsituation in der Gemeinde Die Erwartungen an "die Starken"
Paulus entlarvt den Größenanspruch der Starken als 'vmneintlich und kontrastiert ihrem Anspruch sein Konzept wirklicher Größe durth Uebe 0 Kor 8, 1). Das ist einerseits eine deutliche Zurückweisung', andermeits istjedoch festzuhalten, daß Paulus nicht ihren Größenanspruch kritisiert, sondern dessen Begründung und Gestaltung. Er weist sie nicht zurück, ohne ihnen sein eigenes Leitungskonzept anzubieten. Bereits im ersten Satz skizziert er "wahre Größe.. - ~m'J oiKO&,ui'' 0 Kor 8,1 b). Für S(XUtll~ Askttinntn ~tschaff~n sind, nicht.
gibt ts abtr den Mann, an dtsS(n
I Kor 7, I 4. Daß Paulus nicht sitht, daß
Eh~
~btn dits~r G~dank~
sit
partizipit~n
und für dtn sit
von dtn Bordtllbtsuchtm und könntt, um ihr V~rhalt~n zu ~chtftrtigtn, ztigt, daß dit Eht für Paulus ~in nicht hinttrfragba~r Wtrt ist. D~utlich wird dadurch auch noch tinmal, daß Paulus di~ H~ilig~n ~rmutigt, sich in dit Gtstllschaft hintinzubtg~btn. Otn Stark~n dag~g~n schärft tr tin, daß ih~ Stärk~ nicht offtnsiv ist, sondtm nur in ~in~m btg~nzttn Raum gilt; stark sind si~ nur in d~r Christusb~zithung, nicht in dtr Erktnntnis. Martin, Body, S. 218, bthand~lt di~ Sttllt, di~ in Spannung st~ht zu S(in~r Darsttllung dts Paulus als tints M~nschtn, d~r di~ V~run~inigung fürcht~t. st~llt sich ihr abtr nicht, sond~m b~trt~t sit nur als wtitt~n ~Mis dafür, daß dit Kat~gori~n .~in und un~in" für Paulus btdtutsam S(itn. ZygJ. Withtrington, Conftict, S. 179, Anm. 36. \tgl. Mttks, Urchristtntum, S. 267. Vgl. Schragt, 1. Korinthtrbrid 11, S. 230; Ho~n. Sodal Ethos, S. ISSf. Götztnopf~rfltisch~sstm aufg~grifftn wtrd~n
244 f)je Zurückweisung der falschen Begründung wn Hoheit
Paulus reagiert auf beide Grundsätze der Starken, daß alle die Erkenntnis haben und daß es nur einen Gott Qlbt, zuerst mit Zustimmung 0 Kor 8, 1.4)'. Dann aber bringt er seine Relativierungen zur Geltung. So stimmt Paulus der Überzeugung zu, daß es fiir Onisten nur einen Gott Qlbt. präzisiert jedoch dann die Bedingungen. Vers 5 setzt die faktische Existenz wn Göttern und Herren wraus; Vers 6a spricht ihnen indes die Macht ffir Olristen ab. Damit bindet Paulus die Erkenntnis der Einzigkeit Gottes an die ausschließlidle Beziehung zu Gott und bereitet so seine Argumentation in Kapitel 10 wr. Stark sind die Starken nidlt aufgrund ihrer Erkenntn~ die sie mit sidl tragen, wohin sie audl gehen - und sei es in den heidnisdlen Tempel -, stark sind sie nur in der Olristusbeziehung, und die ist störbar, vielleidlt sogar ~erbar 0 Kor 10, 1-13). Ebenso stimmt Paulus dem Inhalt der Gnosis zu, präzisiert aber ihre Reidlweite auf der Seite des erkennenden Subjekts. ln Vers 7a bestreitet er, daß alle diese Gnosis haben. Damit wendet er sidl gegen die Strategie der Götzenopferfleisdlesser, mit der Berufung auf ein ffir die Gemeindezugehörigkeit konstitutives - Bekenntnis ihre Praxis zu rechtfertigen. Natürlich spridlt Paulus mit Vers 7a "den Sdlwachen" nidlt den Glauben an den einen Gott ab2• Er ffihrt mit dem Gewissen eine neue lnstanz ein und unterscheidet dadurch zwischen \mChiedenen Graden der Aneignung wn Gnosis. Die Erkenntnis ist damit in ihrer argumenta~ Kraft beschnitten: Sie wird wm Respekt wr dem Gewissen des an dem begrenzr. 'Vgl. Schragr, 1. Korinthrrbrid II, S. 229. \'gl. Schragr, 1. Korintherbrid II, S. 254. 1 Dirsrs argumrnta~ Vorgrhrn läßt sich mit drr Kommunikationsform .Ja, abrr" odrr mit drr .Ja, untrr drr Brdingung daß" kennzrichnrn. Dir .Ja, abrr" -Form akzrptirrt dir Autorität drr Grsprächspartnrr an drr Obrrtlächr, widrrspricht ihnrn abrr dr facto. Es kommt zu krinrm ausdrücklichrn Widerspruch, dir Vorschlägr drs andrm wrrdrn abrr durch dir Einwändr nrutralisirrt. Dir .Ja, untrr drr Bedingung, daß" -Form ist rinr konstruktM Variante, Zustimmung und Modifikation rinzubringrn. Dir Zustimmung zur Autorität strht im Vordrrgrund und wird von rinrr Position drr Stärkr aus grwährt. Dir grwünschtrn Modifikationrn wrrdrn grnannt und in drn Ansatz drs Grsprächspartnrrs intrgrirrt. Brim Thrma "rs gibt krinr Göttrr" übrrwirgt m.E. dir .Ja, abrr" Struktur. Drr paulinischr Einwand in Vrrs 5 ist massiv, wird abrr in Vrrs 6 nicht aufgrnommrn; das grschirht rrst in 10,14-22 . Dort wird das .Ja" von I Kor 8,4b.6 zum .Nrin". Paulus lrhnt dort auch dir Praxis, an Mählrm trilzunrhrnrn, bri drnrn Trankopfrr grbracht wrrdrn, ab. Vgl. Söding, Starkr, S. 78, drr mrint, daß Paulus drn Starkrn hinsichtlich drs Inhalts ihrrr Gnosis ganz zustimmr und rs rinrn Dissrns nur hinischtlich drr rthischrn Normrn gäbr. ßrim Thrma .allr habrn Gnosis" ührrwirgt dir .Ja, untrr drr Brdingung, daß"-Struktur. Paulus nrnnt drn Einwand und bringt ihn sofort in srinr Empfrhlung rin. Srinr Position ist schon in 8, 1J grnannt; in Kapitrl 9 rrhärtrt Paulus srinrn Rat an srinrm rigrnrn Srispirl. Dir Wirdrraufnahrnr in 10,12-11, 1 fügt drm inhaltlich nichts writrr hinzu. Dirsrs Vorgrhrn kann darauf hinwrisrn, daß Paulus daran lirgt, dir Autorität drr Götunopfrrflrisch~r nicht offrn anzugrrifrn. Das könntr darin brgründet srin, daß rr sich ihnrn grgenübrr ~rpflichtrt fühlt. Virllricht handrlt rs sich bri drn Götzrnopfrrflrisch~m um Grmrindrmitglirdrr, bri drnrn rr zu Gast war und von drrrn Häusrm und Vrrmögrn rr Grbrauch machrn konntr. Es könntr abrr auch darin brgründrt srin, daß rr dir Autorität drr Götzrnopftrflrisch~r. dir sich aus I Kor 8, 10 rrschlirßrn läßt, innrrhalb drr Grrnrindr nicht rrschüttrm wolltr. Ihr Vrrhaltrn hattr Vorbildcharaktrr. Solltrn dir Götzrnopfrrtlrischrssrr zu drn wohlhabrndrn Mrnschrn drr Grrnrindr zählrn und Patronatsaufgabrn für sir wahrgrnomrnrn
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Die Aufforderung zum Status\erZicht
Paulus fordert die Götzenopferfleischesser zum Sta~cht auf. Sie soßen von ihrer keinen Gebrauch machen, also auf die Nutzung ihl't'5 hohen Status verzichten. Um das plausibel zu machen, greift er auf das Repräsentations- und auf das Imitationsmotiv zurück'. ln I Kor 8,12 gtlt die Verletzung des Gewissens eines Schwachen als Sünde an Onistus. Paulus stellt sich diese Repräsentation nicht so vor, wie wir es z.R in Mk 9,37 gefunden haben. Die Sünde an Christus besteht nach I Kor 8, 11 darin, daß die Heilswirkung des Todes Jesu durch das Verhalten der Götzenopferfleischesser aufgehoben wird. Funktional aber ble1bt es dabei, daß ein Verhalten gegen Menschen eines gegen Christus sein kand. Das Imitationsmotiv benennt Paulus in 1 Kor 11,1 ausdrücklich. Dabei wird deutHch, daß sich Paulus als Zwischenglied versteht. Er fordert die Götzenopferfleischesser auf, ihn und, ~ittelt über ihn, auch Christus nachzuahmen1• So wie das Repräsentationsmotiv sich von den synoptischen Varianten unte&heidet, so \6'1agert Paulus auch beim Imitationsmotiv den Akzent wn der Nachahmung des Verhaltens Gottes oder Jesu den Armen gegenüber zu einer des rettenden Handeins Christi gegenüber den Menschen überhaupt. Der Status\eZicht hat das Ziel "ii.v. rnufJ/ixnv.. 0 Kor 10,33~. ln der Darlegung seines eigenen Beispiels hat er das weiter ausgefiihrt 0Kor 9, 19-22t. Hier bestätigt sich, daß fiir Paulus der Sta~cht die Teilhabe am rettenden Handeln Gottes in Christus ist. Der Sta~cht bezieht sich dabei nicht wmehmlich auf die in der Gesellschaft statusrelevanten Kriterien -wie Reichtum oder Ansehens -,sondern ~
haben, wäre auch das verständlich. Dafür könnte weiterhin sprechen, daß Paulus in Vers 12 für das Verhalten der Starken den Schwachen gegenüber das Verb -Mmu verwendet. Das Wort beschreibt in Lk 12,45 parr das Verhalten der schlechten Verwalter, also derjenigen, denen in der Gemeinde Leitungsaufgaben übertragen worden waren. Daß Paulus die Metapher des oiKo~ für gemeindeleitende Aufgaben kennt, zeigen I Kor 4, If und 9, 17. Gegen die These, die Gemeindeleiter hätten einen gehobenen Sozialstatus inne, wendet sich Hore II, Social Ethos, S. 157, mit der Beobachtung, daß das nie ausgesprochen wird und zudem Paulus in 16,17f Unterordnung dem Haus des Stephanas gegenüber fordert, also auch rangniedrigere Mitglieder eingeschlossen wären. Dieses Argument übersieht jedoch, daß auch abhängige Mitglieder eines ranghohen Hauses am Rang ihres pater familias partizipierten und rangniedrigeren Freien durchaus übergeordnet sein konnten. 'Daneben gibt es auch eine Warnung hinsichtlich des Hoheitsbewußtseins der Starken. So wie Paulus ihren Größenanspruch als .aufgeblasen" entlaMn kann (I Kor 8,1), so kann er sie auch vor einem möglichen Fall (I Kor 10,12) und vor verderblicher Hybris (I Kor 10,22) warnen. Gegen Conzelmann, I. Korintherbrief, S. 199 und 206, der beide Verse auf die ganze korinthische Gemeinde bezieht. \tgl. Conzelmann, I. Korintherbrief, S. 177, und Witherington, Conflict, S. 200. 1Auch das Repräsentationsmotiv kann Paulus auf sich selbst beziehen: Philemon soll Onesimus :.ufnehmen, als sei es Paulus selbst (Phm 17). Dort ist das Repräsentationsmotiv mit der Bereitschaft des Paulus verknüpft, die Schulden des Onesimus zu übernehmen (Phm 18); das könnte darauf hindeuten, daß Repräsentationsmotiv und Stellvertretungsvorstellung als zusammengehörig verstanden wurden. ''vgl. Conzelmann, 1. Korintherbrief, S. 212; die Aufforderung zur Imitation beziehe sich auf die Selbsterniedrigung Christi wie in Phil 2,6ff. Vgl. auch Witherington, Conflict, S. 229. ;Gleichwohl kann der Verzicht auf sie gefordert sein, wenn die Rücksicht auf die Schwachen ihn als Folge gebietet; vgl. Horell, Social Ethos. S. 156.
246 auf die ~. die sich aus dem Status als Olristen allererst ergeben, wie Stärke und Erkenntnis. Für Paulus gehören deswegen cV,U.'"" worunter er das erwählende Handeln Gottes \mteht', und Statusverzicht eng zusammen. In Kapitel 13 finden sich Gedanken aus der Götzenopferfleischdebatte wieder. Eine zweite Folge aus der engen Verbindung wn Statusverzicht und der Errettung durch Gott zdgt sich am Begriff der rÄ~ Paulus verwendet die Metapher für das rettende Handeln Gottes. Fs ist Bezeichnung des apostolischen Wirkens 01 Kor lO,Bt. In I Kor 3,9 bezieht er es auf den Bau des neuen Tempels). Aufbauen beldehnet also die Mitwirkung an der (eschatologischen} Erhöhung der Gemeindeglieder. Statusverzicht dient als Gestalt des rettenden Handeins Gottes. der Erhöhung der Glaubenden. In I Kor 8, 11 wirft Paulus den Götzenopferfleischessern wr, die Schwachen, statt sie aufzuerbauen, also zu erhöhen, zu zerstören (0.~); auf Bildebene ~endet er also den Gegenbegriff zu ..aufbauen", aufSachebene meint er mithin "erniedrigen". Diese Vermutung wird bestätigt durch die Beschmbung desselben Sachverhalts in Vers 12 mit -Mrrw, was ebenfalls ein erniedrigendes Verhalten bezeichnet. Paulus fordert die Götzenopferfleischesser also dazu auf, di~enigen, die sie unter ihrem eigenen Status \60rten, zu erhöhen•. Das findet sich in I Kor 12,12-27 wieder. Dort ermutigt er mit der lelb-Olristi-Metapher die ..Starken" dazu, den Isolationswünschen einzelner Gruppenmitglieder nicht nachzugeben und die Rangordnung der Gesellschaft mit ihrer Unte&heidung wn ehrenhaft und schändlich nicht auf die Gemeinde anzuwenden. Er Qlbt. indem er die "demokratische Variante" der Metapher wählt. in der das Verhältnis der Glieder untereinander thematisiert wird und das Haupt keine besondere Rolle hat. einer demokratischen Verfassung der christlichen Gemeinde den Vorzugs. Mit der Aufforderung, die Niedrigen zu erhöhen 0 Kor 12,23ft, '1 Kor 8,3; vgl. Schrag~. I. Korinth~rbri~f II, S. 2J4f. Art. oTK~ KTA., S. 142. )Ebd., S. 143. 4 Mitch~ll. R~conciliation, S. 127, b~haupt~t. di~ lnt~~ssen d~r Schwach~n zu acht~n und für si~ ~inzut~t~n. sei ~in .commonplac~· politisch~n D~nk~ns g~w~~n. Für di~ V~rb~itung im jüdischh~ll~nistisch~n D~nk~n ziti~rt si~ Philo, Abr 216, d~n Statu~rzicht Abrahams zugunst~n von Lot. Es ist m.E. unang~bracht, di~sen G~dank~n als Allg~m~ingut zu k~nnz~ichn~n. (I) Philo b~chr~ibt das V~rhalt~n Abrahams als singulär, obwohl ~r sich in s~in~r Schild~rung von Mos~ als d~s id~al~n H~rrsch~rs auf ~in~n pagan-jüdisch~n Konsens für das ld~al b~ruf~n kann, so daß also Singularität für ihn nicht ~infach Ausdruck von ld~alität ist. Philo m~int also, was ~r sagt, w~nn ~r Abrahams V~rhalt~n als singulär schild~rt; ~r ziti~rt damit k~in~n .commonplac~·. (2) Di~ B~l~g~. di~ Mitch~ll anführt, b~z~ug~n di~ politisch~ Klugh~it d~r H~rrsch~nd~n. (a) Di~ Ausb~utung d~r Sozialschwach~n schad~t d~r Einh~it und damit d~r Stärk~ d~ G~m~inw~~ns; dadurch wird d~ssen Position im V~rgl~ich mit and~~n G~m~inw~sen g~mind~rt. Di~ H~rrsch~nd~n schad~n sich also s~lbst, w~nn si~ di~ Schwach~n üb~rmäßig ausb~ut~n. (b) Ein~ solch~ üb~rmäßig~ Ausb~utung d~r Schwach~n bind~t zud~m di~ Kräft~ d~r Stark~n nach inn~n und zi~ht si~ aus d~r Rivalität mit and~~n G~m~inw~sen ab. Di~ Stark~n ~rli~~n Kräft~. w~nn si~ di~ Schwach~n .b~kämpf~n·, statt si~ zu int~gri~~n. Es g~ht da~i nicht um ~in~ Erhöhung d~r Schwach~n. sond~m um di~ ~tabilisi~rung und St~ig~rung d~r Position d~r Stark~n. Und~mann, Kirch~. S. 164. Vgl. Th~iß~n. Asp~kt~. S. 327. 'vgl. With~rington, Conflict, S. 254: .H~ urg~s th~ strong ... to gM mo~ honor and ~sp~ct to th~ w~ak, and so ~ase th~ir faction ~haviour". Martin, Tongu~ S. 567f, st~llt h~raus, daß di~ M~taph~r b~i Paulus ~b~n nicht ~rw~nd~t wird, um Statusunt~rschi~d~ zu l~gitimi~~n. sond~m 2 Mich~l.
247 \ffiritt er innerhalb dieser demolaatischen Struktur die Option für die Niedrigen. Niedrige zu erhöhen, ist ein Kennzeichen der christHchen Gemeinde. Diese Aufforderung richtet sich
an die Menschen mit einem gehobenen Sozialstatus'. Die Erwartungen an "die Heiligen" Die Ausblendung der Konkurrenz Zuerst fällt auf, daß Paulus sich an die HeiNgen hinsichtlich ihres Konkurren~ltens ausdrücklich nur in Kapitel 14 wendet. Dort geht es aber wr allem um die Konkurrenz zwischen der Gruppe, die die Zungenrede hochschätzt, und der, die der prophetischen Rede den Vorzug Q1bt, also um eine Konkurrenz innerhalb der Gruppe der He'lligen3• Für I Kor 12,1-11 läßt sich die Gruppe der He~ligen als wmehmliche Adressatin \eTTluten; die Gruppe der "Gnostikef könnte das Gegenüber sein. Fs ble1bt aber unausgesprochen. ln I Kor 7 läßt sich ein Streit mit denen, die nicht asketisch leben wollen, wohl auch \eTTluten), um si~ auszugl~ich~n. Vgl. Walt~r. Leib, S. 61 : .D~r Grund für di~ b~ond~re H~rvorh~bung d~r schwächeren Gli~d~r wird darin zu ~h~n ~in, daß Paulus die Ori~nti~rung zu d~n Ni~drig~n (T1111'fl~) nicht nur für sich ~lbst g~l~bt hat, sond~rn auch von d~r G~m~ind~ ford~rt~ (Röm 12, 16): 'Söding, Stark~. S. 85-90, h~bt h~rvor, daß 1 Kor 8, II di~ paulinisch~ Kritik an d~r Gnosis d~r Starken und di~ Bevorzugung d~r Agape christologisch b~gründ~. Söding si~ht d~mnach di~ Aufford~rung zur imitatio Christi, di~ in 1 Kor 8, II b~reits ankling~. bevor si~ in II, I ausg~sproch~n w~rd~. üb~r di~ Agape ~rmittelt. Di~~r B~fund st~h~ in ~in~m größ~ren Rahm~n: Paulus l~g~ auch b~i d~r Ausl~gung d~r Sühn~traditon d~n Akzent auf dl~ Agap~ J~u (~bd., S. 86, Anm. 71) und mach~ für di~ Ethik di~ Agap~ zu d~r rnenschlich~n Antwort auf .di~ T~ilhab~ am ~schatologisch~n H~il- (~bd., S. 89). Es ist das Anli~g~n dies~r A~it, zu z~ig~n. daß ~ n~b~n d~r Aufford~rung zur Agap~ in der n~ut~tam~ntlich~n Ethik mit gl~ich~r Wichtigk~it (ohn~ dadurch ~in~n Rangstreit auslös~n zu woll~n) di~ Aufford~rung zum Statu~rzicht gibt. Ein solch~r li~gt hi~r vor. Darauf w~i~n in I Kor 8, II di~ Wahl d~r Wort~ cimiM&.,u, das im Kontrast zu oiK~w di~ Erniedrigung, d~n Abbau m~int, und von TlinTw, das an sechs (von si~b~n) Bel~gst~ll~n ~rni~drig~nd~n Charakt~r hat. Darauf w~ist auch, daß Paulus in Kapit~l 9 auf ~in~n Statu~rzicht als V~rzicht auf i{outria. und ~ine Solidarisi~rung mit d~n Ni~drig~n (I Kor 9,22 ist Zi~l und Klimax d~r R~ih~ in den Vtrsen 20-22; das ist an d~r .Th~- in Vtrs 19 ~rk~nnbar) abh~bt und nicht auf di~ Agape. Di~ Agape hat El~m~nte d~s Statu~rzichts aufg~nomrnen. I Kor IJ,4-7 ~rbi~t~t. auf ~in~ H~rausford~rung so zu reagi~ren, wi~ es ~ine Schamkultur ford~rt (vgl. Malina, W~lt, S. 45t), und ~rlangt damit, ~in~ D~mOtigung in Kauf zu nehm~n. Dennoch förd~rt ~in~ vorschn~ll~ Gl~ich~tzung von Status~rzicht und Agape - wi~ Söding si~ vornimmt - ~~n nicht di~ Schäm d~r Wahrn~hmung, sond~rn ~tumpft si~ durch di~ B~hauptung ~in~r .theologischen Monoth~matik. ab. "Wire, Proph~ts, S. 140, ~rmut~t. daß di~lb~n Subj~kt~ (Frau~n) proph~z~it~n und in Zung~n ~t~t~n. wob~i di~ Zung~nred~ als Beglaubigungsz~ichen für di~ Proph~ti~ g~golt~n habe. With~rington, Conflict, S. 279f, wend~t dageg~n ~in, daß ~ k~in~ Anz~ich~n dafür gäbe, daß di~ Korinth~r nicht zwisch~n Zung~nred~ und Proph~tl~ zu trenn~n g~wußt hätt~n. Wire, Proph~ts, S. 72-79, ~rmut~t sogar, daß Paulus die Ask~tinn~n. an di~ ~r sich in Kapit~l 7 wend~t. für di~ Unzucht d~r Bord~ll~uch~r in Kapit~l 6 ~rantwortlich mach~n will. Darin kann ich nicht folg~n. (I) Im Fall d~r ill~gitim~n Eh~schli~ßung, von d~r in Kapit~l 5 b~richt~t wird, b~fiehlt Paulus ~in~ Lösung, die völlig unabhängig vom ~xu~ll~n v~rhalt~n d~r ask~tisch l~b~nd~n Frauen ist. Der ~troff~ne Mann soll ausg~chloss~n w~rd~n. Di~ V~rantwortung d~r Gesamtgem~ind~ erford~rt ~in~n Ausschluß und ~rstreckt sich nicht auf das Zustand~komrnen d~ kritisiert~n V~rhalt~ns; di~ V~rantwortung der Gem~ind~ und die d~ B~troff~n~n konkurri~ren nicht miteinand~r und las~n sich nicht g~g~~inand~r aufrechn~n. (2) Daß in I Kor 6, 1- II ~in Fall
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aber audl dort ~eidet es Paulus geradezu, diese Leute zu benennen. Er erweckt den Anschein, als sei das Verhältnis der Helligen zu ihrer eigenen Sexualität das Thema. Es scheint so, als ob er sidl weigere, die Konkurrenz der Hetligen mit andem zur Kenntnis zu nehmen. Das könnte seinen Grund im Selb~ändnis der Hetligen haben oder darin, daß sie aufgrund ihres niedrigeren Ranges oder aufgrund ihres Gesdllechts für "die Starken" keine Konkurrenten sein konnten•. M.E. versudlt Paulus durchaus, sie stärker in die Gemeinde zu integrieren und sie dazu zu bewegen, einen gewissen Pluralismus innerhalb der Gemeinde zu akzeptieren, z.B. indem er diesen Pluralismus als Wrrkung des Geistes deutet und dadurch "Einheit" herstellt. Daß er ihre Ablehnung anderer Gestaltungen dlristtidlen Lebens nidlt unter dem Thema Konkurrenz betrachtet, wohl aber deren "interne" Auseinandersetzung um Zungenrede und Prophetie, ist dann am besten erklärbar, wenn die Hetligen nidlt ..satisfaktionsfähig" waren. Die Argumentation in I Kor 14
Paulus Qlbt der prophetischen Rede den Vorzug vor der Zungenrede, wetl sie -rn liDi erfolgt und der Gemeinde nützt 0 Kor 14,6.19). Derjenige, der prophetisch redet, ~ient den höheren Status f#u~ I Kor 14,5). Die Metapher vom oiKo&p.iiv spielt in diesem Kapitel eine besonders widltige Rolle. Paulus \mVendet den Ausdruck sechsmal. Dabei ist dreimal die i~ 0 Kor 14,4f.12) Objekt, einmal sind es "die Menschen" im Gegenüber zu Gott, und einmal begegnet es ohne Objekt, bezieht sidl aber deutlidl auf die Gesamtheit. Nur in 14, 16f ist es ein einzelner, der erbaut werden soll und es dun:h die Zungenrede nidlt wird. Dieser einzelne ist ein ~. ln 14,23f steht dieser Unkundige parallel zum Ungläubigen und ~rhandelt
wird, in dem es um Sexualdelikte ging, kann ich nicht sehen. Kapitel 5 und 6 werden durch das Motiv des .Richtens" miteinander ~rbunden. (3) ln I Kor 6, 12-20 ist von der Gesamt~rantwortung der Gemeinde nicht die Rede. n~i4 betrifft das Verhältnis des einzelnen in seiner leiblichen Existenz zu Christus und nicht das Verhältnis der Gemeinde zu Christus; die Lösung, die Paulus vorschlägt, betrifft das Verhalten des sexuell aktiven Mannes; er soll sich distanzieren. Die Individualisierung der ursprünglich auf die Gemeinde bezogenen Vorstellung vom Leib als Tempel ~rweist sogar darauf, daß es eben nicht um die Gesamtgemeinde, sondern um den einzelnen geht. Vgl. Conzelmann, I. Korintherbrief, S. 136. Die Parallelen, die Mitchell, Reconciliation, S. 121, anführt (besonders Aristot, Pol. 8.1.2), zielen darauf, die Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft herauszustellen und nicht etwa die der Gemeinschaft für den einzelnen. Schließlich ~rweist die Losung in I Kor 6,12 nicht darauf hin, daß die korinthischen Bordellgänger die Verweigerung ihrer Ehefrauen als Grund für ihr Verhalten angaben. Sie handelten aus dem Bewußtsein der Freiheit und nicht aus dem einer Notlage oder eines Zwanges. 1 Konkurrenz setzt einen ~rgleichbaren Sozialstatus voraus. Der Niedrige kann nicht den Angesehenen, die Frau nicht den Mann herausfordern. Das halte ich für die wahrscheinlichere Erklärung, denn das SelbsMrständnis der Heiligen ließe dann keine Konkurrenz zu, wenn ihr eigener Anspruch sie (a) entweder völlig von den übrigen isolieren würde oder (b) sie ihren eigene Status als so hoch einschätzen würden, daß sie über jede Konkurrenz erhaben sind. Daß Paulus die zweite Möglichkeit akzeptieren würde, halte ich für ausgeschlossen. Aus seiner Haltung den Starken gegenüber wissen wir, daß er .Verachtung· innerhalb der Gemeinde nicht akzeptiert. Daß eine gewisse Isolation zum SelbsMrständnis der Heiligen gehört, halte ich für wahrscheinlich. Andererseits scheinen sie sich aber an der Normendiskussion 0 Kor 7,1; 13,1-3) beteiligt zu haben, und es scheint nicht so, als ob sie sich innerhalb der Gemeinde völlig zurückgezogen hätten (I Kor 5,10).
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repräsentiert in der Gemeinde die .Außenwahmehmung" der Gruppe. Für die Außenwahrnehmung sind die Zungenredner und -rednerinnen also ein besonderes Problem 1• Es handelt sidl also um jemanden, der an den Rand der Gemeinde gehört und in der Gemeinde. besonders in den Augen der "Hetligen", einen geringen Status innehar. Für diesen überträgt Paulus der Gruppe der Zungenredner und -rednerinnen Verantwortung hinsidltHdl dessen Erbauung und Erhöhung. Der Schwerpunkt der paulinischen Verwendung des Wortes oi~ liegt also in Kapitel 14 darauf, die Gruppe der Hetligen an ihre Verantwortung für die gesamte Gemeinde zu erinnern und sie erneut in sie zu integrieren). Nidlt der himmlische Gottesdienst, sondern der irdische soll der primäre Bezugsrahmen für sie sein. Verantwortung ffir die Erhöhung eines einzelnen ernalten sie nur da. wo dessen Status deutlidl unter dem ihren liegt. Den Rangvertust, den Paulus der Gruppe der Zungenredner und -rednerinnen zumutet, federt er sehr umsidltig ab: (1) Paulus betont seine Hochschätzung der Zungenrede. Er wünscht sidl, daß alle diese Gabe hätten (14,5); er erinnert an seine eigene Fähigkeit zur Zungenrede (14,18) und verwendet das Identifikation anzeigende paradigmatische ldl, um ihre Grenzen zu benennen (14, 14t). Am Ende ~ietet er ausdrücklidl die Unterdrückung der Zungenrede und damit sidler audl derer, die sie üben (14,39). Er bezweifelt audl nidlt die erhöhende Funktion der Zungenrede. Ja, sie baut auf - aber nur den einzelnen. Sie ist nodl kleiner, als sie es sein könnte. wenn sie audl den andem im Blick hätte. Paulus wirft: den Hetligen nidlt Aufgeblasenheit wr und audl nidlt die Mißhandlung anderer wie den Götzenopferfleischessern. (2) Paulus zeigt einen Weg auf, wie die Zungenredner und - rednerinnen den Status ihrer Gabe aufbessern und der prophetischen Rede gleichstellen können: sie sollen sie audl auslegen lernen (14,5.13). (3) Audl in Kapitel 14 madlt sidl Paulus zum Vorb~d des Verzidlts. Er will Heber ffinf Worte mit Verstand sagen als 10 000 in Zungen. Audl hier ist das nel der Nutzen aller. Dennoch sind die Untersmiede zu I Kor 8, 13 deutlidl. Mit dem Verhalten der Zungenredner steht hier nidlt das Hetl wn Gemeindemitgliedern auf dem Spiel. Der Status\e'zidlt ist folglidl audl nidlt eine Nadlahmung des rettenden Handeins Olristi. Paulus fordert hier vielmehr dazu auf, eine individualistische Verhaltensweise zugunsten 1 Witherington, Conflict, S. 275, weist darauf hin, daß die Gemeindevtrsammlungen an die Prototypen ungeordneter Gesellschaften erinnerten und Paulus das Ideal einer geordneten Gesellschaft vorschwebe, das er mit den großen Rheto~n teile. lygl. Conzelmann, 1. Korintherbrief, S. 282. Theißen, Aspekte, S. 294, schlägt vor, sich die Gemeindezugehörigkeit in Korinth als einen Weg vorzustellen, den man schrittweise zu begehen ~abe. Laien gehörten dann als Gläubige, die bereits mit einem .Amen" auf Gebete antworteten und so ih~ Zugehörigkeit zeigten, zur Gemeinde, aber an ih~n Rand, insofern sie noch nicht am Geist Anteil hätten, was sich an ihrer fehlenden Fähigkeit, die Zungenrede zu vtrstehen, zeige. Vgl. auch Witherington, Conflict, S. 283. JAristid, Or 24,38-39, vergleicht die Uneinigkeit in der Gemeinschaft mit den Frauen, die in dionysischer Ekstase den Körper des ~ntheus zerreilkn. Das könnte darauf hindeuten, daß Politiker und Rhetoriker um die destruktivtn Kräfte ekstatischer Bewegungen auch auf politischer Ebene wußten.
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einer sozialen aufzugeben und eine inationale durdl eine rationale abzulösen. Wegen des geringeren Gefahrenpotentials des Verhaltens spricht Paulus auch komparativisch. 1n 1 Kor 8, 13 hatte er den Verzicht sogar noch vemärkt, indem er behauptete. sogar der gänzliche Verzicht auf Aeischgenuß wäre angemessen; hier geht es um die größere Dichte und Gewichtigkeit der fünf Worte mit Vetstand. Die Roße. die Paulus zur Übernahme empfiehlt, ist die des Lehrers'; im folgenden Vm fordert er die Zungenredner und rednerinnen dazu auf, die Roße des Kindes aufzugeben. Er empfiehlt ihnen also einen Roßenwechsel: aus Kindern soßen Lehrer werden, aus Menschen, die ihren Vmtand "nicht" benutzen, solche. die darin vollkommen sindl. Es muß Paulus klar gewesen sein, daß das nicht ein Vorhaben für einen kurzen Zeitlaum ist; allein das macht deutlich, daß es ihm mit Vm 19 nicht so sehr um die n3ndern" und um die Gemeinde geht, sondern vornehmlich um die Zungenredner und -rednerinnen. Sie will er in die Gemeinde integrieren, und bei jedem und jeder von ihnen will er die 1ntegration ihrer Vmtandeskräfte in ihre religiöse PmönHchkeit erreichen]. Die Argumentation in 1Kor 7 Die Argumentation des Paulus ist schwer einzuschätzen. Er ~indet in diesem Kapitel die Hochschätzung der sexuellen Mese•, die er nirgends zurücknimmt, mit dem Ziel, sie zurückzudrängen. Ehen, auch solche mit einem heidnischen Partner, sollen nicht geschieden werden, innereheliche sexuelle Abstinenz wird eingegrenzt, die Weigerung junger Frauen, Ehen einzugehen, wird nicht akzeptiert. Hinzu kommt, daß Pau1us in diesem Kapitel aufF.illig egalitär sprichts. Zu vielen Fragen nimmt er für die Position des Mannes und für die der Frau Stellung. Dennoch ist 1Kor 7,1 für Männer formuliert- und das schließt m.E. aus, daß es sich bei den sexuellen Meten nur um Frauen gehandelt hat. Paulus zieht die sexuelle Mese vor 0 Kor 7,8.37.40r und behandelt die Ehe sowie den Geschlechtsverkehr als ein Zugeständnis 0Kor 7,6.38.40). Er benennt als Gründe für dieses Zugeständnis die begrenzte Fähigkeit mancher Christen, ihre SexuaHtät zu behenschen. Paulus wm zwei Konsequenzen dieser mangelnden Behenschung ausschließen: die 'Paulus vtrw~nd~t Ka.~w. das b~i ihm als T~nninus T~chnikus für di~ Tätigk~it d6 urchristlich~n gilt. Vgl. Gal 6,6. Vgl. Conz~lmann, I. Korinth~rbri~f. S. 283, und Beytr, Art. Ka.'T"J'l:tiw,S. 639. l Als Zi~l fonnuli~rt Paulus, daß ~ und ~ mit~inand~r b~t~n soll~n (I Kor 14, 15). Th~iß~n. Asp~kt~. S, 331, hat h~rausg~arb~it~t. daß dadurch das ~nschlich~ Subj~kt ~in~ höh~re W~rtschätzung ~rfährt: .D~r M~nsch ist nicht lnstrum~nt Gott~ sond~m Gott~s G~ist Promotor m~nschlich~n Ausdrucksvtrlang~ns: (Ebd., S. 331). Di~ platonisch-philonisch~ lnspirationsl~hre hatt~ sich als kognitivt Variant~ d~r ritu~ll~n ~lbst~mi~drigung im JHWH-Kri~g bnchreib~n las~n. W~nn Paulus nun di~ lnspirationsl~hre in di~r Struktur korrigi~rt. ~rs~tzt ~r di~ ritu~ll~ ~lbst~mi~drigung als B~dingung für di~ Zuw~ndung Gott~s durch ~in~ Konz~ption, in d~r di~ Erhöhung d~s M~nsch~n durch das ~ Gott6, d~r B~reitschaft zum Statusvtrzicht vorausg~ht. lygJ. Th~i~n. Asp~kt~. S. 320, d~r di~ lnt~gration d6 Unb~wußt~n in das B~wußt~ zusätzlich b~n~nnt und modifizi~rt: .Di~ V~rwandlung regressivtr En~rgi~ in ~in~ positivt T~nd~nz g~schi~ht durch D~utung d~r Glossolali~, durch ihre lnt~gration in di~ symbolisch~ W~lt d~r G~m~ind~: \tgJ. Conz~lmann, I. Korinth~rbri~f. S. 140.159. \lgJ. Wire, Proph~ts, S. 79, und ~relts Conz~lmann, I. Korinth~rbri~f. S. 139, Anm.IO und S. 141. 'vgl. Conz~lmann, 1. Korinth~rbri~f. S. 140: .Ein~ positivt B~gründung d~r Eh~ wird nicht g~g~b~n ... -: Er kontrasti~rt das mit d~r Hochschätzung d~r Eh~ b~i Musonius. ~hrers
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Unzucht 0 Kor 7,2) und die übermäßige Beschäftigung mit der Sexualität 0 Kor 7,9). Dazu könnte er auch den ungeregelten sexueßen Übergriff des Bräutigams auf seine Braut zählen 0 Kor 7,36)'. Um die pauHnische Haltung zu vemehen, sind zwei Fragen wichtig: (1) An wen wendet sich Paulus mit seinem Zugeständnis der Ehe? An die sexuell asketisch lebenden Männer und Frauen oder an deren Ehepartner? (2) An wen wendet er sich mit seinem Konzept von der geringen ~'T'EG als Grund ffir das Zugeständnis? Will er damit die sexueßen Asketen dawn überzeugen, sexueße Kontakte zuzulassen, oder ist es als Schamargument an die gerichtet, die sexueße Kontakte haben möchten? Dann ließe sich seine Argumentation so umschreiben: Wer sexuelle Kontakte braucht, darf sie haben aber um den Preis, damit eine unzureichende Selbstbehenschung und fehlende EljJwia. zu erkennen zu geben1 • Paulus vermutet eine zu geringe Selbstbehenschung nicht nur bei den Ehepartnern der asketisch lebenden Gemeindeglieder. Wie in 1Kor 8,10 könnte er dawn ausgehen, daß einzelne Olristen oder Olristinnen asketisch leben, ohne sich diese ~ wirklich angeeignet zu haben. Daß die Argumentation mit der ~'T'EG als Schamargument an di~enigen gerichtet ist, die sexueße Kontakte woßen, ist dann plausibe~ wenn der ~~n Begriff nicht aus dem Selbst\mtändnis der asketisch lebenden Gemeindeglieder stammt, sondern von Paulus eingeführt worden ist. Ich halte das ffir wah&heinHch. Er nimmt damit die sexuelle Askese aus dem Bereich der kultischen Reinheit heraus und bringt ihn in Zusammenhang mit einer philosophischen Oberschichtstugend. Dabei radikalisiert er ihn: Selbstbehenschung bezeichnet nicht nur die Begrenzung des sexuellen 1 0i~
LXX btz~ichn~t di~ V~rg~waltigung Olnas als ~~. Schändlich für ~in~ Frau ist d~r auß~rhalb d~r Eh~. lnn~rhalb d~r Eh~ war wohl d~r (i~schl~chtsvtrk~hr durch R~inh~itsvorschrift~n ~gl~m~nti~rt. nicht ab~r abhängig von d~r Zustimmung d~r Frau. Ganz im (i~g~nsatz zu un~~m Empflnd~n. könnt~ ~ sich also um ~in~ Schutz~g~l für di~ Frau~n hand~ln. 1 M.E. unt~rsch~id~t Paulus zwisch~n d~m v~rhalt~n von Eh~l~ut~n und UrMrh~irat~t~n. Eh~l~ut~ sind ~inand~r zur ~xu~ll~n B~zi~hung grundsätzlich ~rpflicht~t. Mit ~in~r Ko~nmg~lung (I Kor 7,5) ~rmöglicht ~r (~h~)individu~ll~ lösung~n. B~i UrMrh~irat~t~n ~rwart~t ~r das V~rb~ib~n in d~r Eh~losigk~it. W~r daran nicht f~thält, ~rl~id~t durch di~ Eh~chli~ßung ~in~n StatUsvtrlust. F~hl~nd~ Enkrat~ia ~mi~drigt: ;m ~'ti.Kpa.vi~ iP')'OV Ka.i ~ ä»..ou im TÖ lf~v lo!i4 M'J7CTI~tv" <Muson, 66,20t). Di~r StatUsvtrlust ~rgibt sich schon aus I Kor 7,34f. W~r h~irat~t. ~ntftmt sich aus d~r Mitt~ d~r (i~~lnd~. Mit d~m Vorwurf d~r g~rlng~n f'YJCpA'nta. sagt Paulus di~s~n Statusvtrlust a~r in ~in~r Kat~ori~ aus, di~ für M~nsch~n. di~ in d~r (i~Jischaft stand~n und st~h~n wollt~n. status~lcv.mt war. Dag~gm Ii~~ sich ~in~nd~n. daß Paulus in I Kor 7, 7 di~ Eh~losigk~it und ~xu~ll~ Ask~~ als Charisma b~z~ichn~t: Das ~hl~n ~in~ Charismas kön~ ni~mand~m zum Vorwurf g~macht w~rd~n. So argum~nti~rt Schrag~. I. Korinth~rbri~f II, S. 12. Zw~i~rl~i ist all~rdings zu b~rücksichtig~n: ( 1) D~r Charlsmab~griff l~gitimi~rt nicht das Faktisch~. ·Ni~ z.B. un~r~ Vorst~llung von d~r .g~ndisch~n D~t~rmini~rung". Charlsm~n könn~n ~rst~bt 0 Kor 14, 1.12t) und vi~ll~icht sogar ~rl~mt (I Kor 14,39) ~rd~n. (2) 'H'Yf(pciTfta. gilt sonst als Tug~nd (vgl. Conz~lmann, I. Korinth~rbri~f. S. 144, Anm. 12). Auch ~in~ Tug~nd wird d~nnoch nicht von j~d~rmann ~micht - s~lbst nicht von Philosoph~nschOI~m (vgl. Philostr, VitAp 11,7). Si~ inn~zuhab~n. ist ab~r M~rkmal ~in~s ~sond~rs hoh~n Status. All~in aus d~r Tatsach~ also, daß Paulus di~ s~u~ll~ Ask~ als Charisma b~uichn~t. kann nicht g~hlo~n ~rd~n. daß Paulus sie in di~ B~li~bigk~it d~ ~inz~ln~n st~ll~ od~r sie d~r Eh~ für g~ich~rtig schätz~. Es ist auch k~ln Argum~nt dafür, daß ~i~ Eh~schli~ßung k~in~n Statusvtrzicht ~d~ut~. B~ischlaf
252 Triebes auf eheliche Beziehungen, sondern beschre~bt überhaupt die Fähigkeit, seine Sexualität zu behenschen, bis hin zum zeitweisen oder völligen Verzicht. Die Begrenzung auf den ehelichen Geschlech~ehr ist für Paulus die Vermeidung -wn Unzucht und nicht das Anzeichen besonderer Selbstbehenschung, die Norm, nicht Auszeichnung, das, was -wn allen zu erwarten ist, und nicht Merlonal einer besonderen Leistung und eines besonders hohen Status'. Paulus erwartet also -wn den Ehepartnern, die in der Ehe sexuell asketisch leben wollten oder ihre Ehe um der M<ese wißen aufgeben wollten, den Verzicht auf die Enthaltsamkeit als statusrelevantes Merkmar. Er fordert -wn ihnen Stat:usverzicht, ohne ihnen dafür, wie in I Kor 11, 1 oder I Kor 14, 1. 19f, einen Weg anzubieten, der ihnen eine neue, bessere Größe bringen würde. Dafür fehlt aber - ebenfalls anders als in I Kor 8, 11 der Aufweis der Verantwortung für den Ehepartner. Das läßt sich m.E. nur -wr dem Hintergrund der Hochschätzung der Ehe als Schöpfungsordnung und der gleichzeitigen Relativierung dieser Ordnung durch das kommende Ende 0 Kor 7,29) erklären. Dabei ble.bt die Forderung nach Sta~cht aufgrund der Schöpfungsordnung und das Ausbleiben einer altema~ Größenkonzeption ein eigentümlicher und besonderer Zug im paulinischen Ethos1 • Von denen, die urMI'heiratet sind, erwartet Paulus den Verzicht auf die Ehe. Denen, die ihn nicht aufgrund des Konzepts "kultische Reinheit" erbringen wollen, bietet er eine neue Motivation an: Selbstbehenschung. Für die, die den Verzicht auf die Ehe nicht erbringen wollen, sieht er einen Sta~ust - sie entfernen sich -wn der Mitte der Gemeinde-, ble.ben aber in ihren Grenzen, anders als Menschen, die außerhalb ihrer Ehen sexuelle Beziehungen unterhalten. Deswegen ist die Ehe -wrzuziehen, auch wenn damit ein Sta~ust ~unden ist•. Zusammenfassung
Den Starken, den Gemeindemitgliedern, die \mnutlich einen gehobenen Sozialstatus haben und wahrscheinlich auch in der Gemeinde einflußreich sind, bietet Paulus sein Moden -wn Autorität an: Sie können ihren Status in der Gemeinde verbessern, indem sie 'oas hätte er auch denjenigen entgegenhalten können, die be~it wa~n. sich auf eheliche Kontakte zu beschränken und dafür ('YICPÄ~•a. reklamie~n wollten. z Carter, xrvant-Ethic, S. 55f, meint, daß die Forderung, auf Enthaltsamkeit zu verzichten, als Aufforderung, einander zu dienen und die Wünsche des ande~n zu ~ektie~n. zu verstehen sei. Damit wird sie aber m.E. der komplizierten Argumentation in I. Kor 7 nicht ge~cht. Zumindest wä~ zu fragen, warum nicht umgekehrt die nicht asketischen Ehepartner die Enthaltsamkeitsl'/Ünsche der Asket(inn)en zu ~spektie~n haben. "Vgl. Martin, Body, S. 198: NYet Paul surprises us all; for he suddenly drops his strategy of status ~~rsal when dealing with ... women: Martin nennt als Grund für dieses überraschende Verhalten des Paulus, daß diestr die römisch-hellenistische Nphysiology of gender· (ebd., S. 199) unkritisch übernommen habt. 4 1nsofern zeigt Paulus hier asketische Züge, auch wenn sie bei ihm eschatologisch motiviert sind. Gegen Witherington, Conflict, S. 17 5f, der die paulinische Hochschätzung der Ehe übermäßig betont.
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auf ihre Rechte verzichten und fiir die Erhöhung der .,schwachen", der statusniedrigen Gemeindeglieder, Verantwortung übernehmen. Sie gewinnen Autorität, indem sie sich mit ihren Statuskriterien von der Gesellschaft entfernen •. Die Heiligen \eSUcht Paulus in die Gemeinde zu integrieren und ihnen ein Modell fiir einen gehobenen Status innerhalb - nicht oberhalb - der Gemeinde anzubieten, indem sie ihre Gabe fiir die Gesamtheit nützlich und nutzbar machen oder eine andere Fähigkeit, die des Leh~ erwerben. Er geht dabei sehr behutsam vor und betont seine Wertschätzung des Merkmals, das er zurückdrängt Sie gewinnen an Sta~ indem sie sich mit ihren Statuskriterien an die Werte der Gesellschaft annähern. Den Männern und Frauen, die innerhalb der Ehe enthaltsam leben wollten, mutet Paulus den Verzicht auf dieses erhöhende Merkmal zu, ohne ihnen daffir eine Altema~ anzubieten.
15.2. Die Bedeutung des Positionswechselaxioms für das apostolische Selbstverständnis des Paulus Paulus übernimmt als Gemeindegründer die Roße des Ouistus. Er erniedrigt sich selbst, indem er (a) in der Gesellschaft auf seinen sozialen Status und (b) in der Gemeinde auf einen hohen religiös-philosophischen Status \m:ichtet. Seine Erniedrigung gilt ihm als die Bedingung ffir die Erhöhung der Gemeinde. die durch die Annahme des Ev.mgeliurns geschieht. Als Apostel und Gemeindegründer beansprucht Paulus die größte Autorität und das höchste Amt des Urchristenturns1 • Mit dem apostolischen SelbsM'rständnis des Paulus 1 Horell, Social Ethos, S. 160, hebt hervor, daß Paulus innerhalb der Ge~inde die in der Gesellschaft üblichen Statusmerkmale auf den Kopf stelle: .ln the alternati~ symbolic order Paul is (re)constructing, the wluations are completely the ~rse of those gMn to people in the dominant social order: the gospel counterbafance the differences in wordly status. • Vgl. ebd., S. 160: Paulus reagiere auf die sozial mitverursachten Konflikte in Korlnth, .by presenting Christian symbolic resources in such a way as to in~rt the wlues and status-hierarchy of the dominant social order. • Horen wendet sich mit diesen Ftststellungen gegen die These vom .Liebespatrlarchalismus·; zwar ließen sich bei Paulus Ansätze beobachten, die gesellschaftliche Ordnung zu legitimieren - er ~rweist auf I Kor 7, 17.20.24 und I Kor II ,J -9 - dabei handele es sich jedoch eher um die Ausnahmen seiner Regel, die gesellschaftliche Ordnung in der Gemeinde umzukehren. Das stimmt einerseits zu meinen Beobachtungen, nach denen Paulus den Leitungsanspruch mit der Bereitschaft zum Statusverzicht und zur Erhöhung der anderen ~rbindet und dabei Distanz von der gesellschaftlichen Ordnung fordert, sowie dem Ergebnis, daß Paulus die Forderung, gesellschaftliche Rollen und Normen zu akzeptieren, mit peripheren christlichen Überzeugungen begründet; andererseits aber berücksichtigt Horell m.E. zu wenig, daß Paulus von den Gemeindemitgliedern mit niedrigem Sozialstatus eine Annäherung an die gesellschaftlichen Rollen und No~n fordert und daß Indizien dafür sprechen, daß die Leitung in der Gemeinde von Menschen wahrgenommen wurde, die eher einen gehobenen Sozialstatus hatten, so daß die Legitimierung einer gemeindlichen .Hierarchie· Menschen betraf, die auch in der Gesellschaft einen gehobenen Sozialstatus innehatten. Zwar wird Leitung anders begründet, sie wird aber nicht von anderen wahrgenommen, zwar wird die Gemeinde als eine AlternatM zur Gesellschaft und im Kontrast zu ihr ~rstanden, bei einigen grundlegenden Werten (Ratio, Selbstbeherrschung, Frauenrolle) weiß sich Paulus aber auch im Konsens mit ihr. 1 Callan, Perspecti~. S. 16-50, arbeitet heraus, daß Paulus dem Thema Konkurrenz und Statussteigerung gegenüber ambivalent bleibt. Obwohl er den Versuch, seinen Status zu steigern,
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werden die Themen, welche Gestalt Henschaft hat. wie Hoheitsroßen ausgeffillt werden sollen und wie sie legitimiert werden können, \e'handelt Die Position des Paulus soß in ihren Grundzügen nachgezeichnet werden. Paulus \etieft die Bestimmung seiner apostolischen Roße in Auseinandersetzung mit anderen Konzeptionen und Begründungen von Hoheit Das geschieht besonders in den Kapiteln 14 des Ersten Korintherbriefes und im Zweiten Korintherbrief. Diese alternativen Konzeptionen soßen in einem zweiten Abschnitt skizziert werden. Im KontTast dazu läßt sich anschließend die Konzeption des Paulus diffeter •zieren und präzisieren.
Einleitung: Die Konzeption des Paulus in ihren Grundzügen Die Deutung des Christusgeschehens durch das Positionswechselaxiom. Im 8. Kapitel des Zweiten Korintherbriefes. im Kollektenbrief, faßt Paulus die Vomellung des Philipperhymnus mit eigenen Worten zusammen •: "yu.~E'tE yap tl]v XcXpLV toü Kq>lou i}IWv 1rpol> XpLOtoü, ÖtL ö1.' ~ EmcJxEOOEV nAoixno; wv, 'tvn 4JE-~ tfl ecelvou mwxe~ n~." Der Reichtum Christi trägt keinen eigenen Akzent. beschreibt aber den Ausgangspunkt. von dem aus Sta~cht em: möglich wird 2 • Seine Verarmung kann mit Verweis auf Gal 4,4 auf die Geburt, mit Rücksicht auf das ÖL' ~ auf den Kreuzestod bezogen werden1 oder als Beschreibung des ganzen irdischen Lebens Jesu als "von Niedrigkeit und Verzicht gekennzeichnet"4 gelten. Dem Status\.e'Zicht s~ines Glaub~ns an di~ R~chtf~rtigung als Gab~ abl~hn~. z~ig~ ~r auch als Christ, zuweil~n. ohn~ sich dess~n bewußt zu s~in, Konku~nzverhalt~n. Callan b~z~ichn~t Paulus als .man in contlict - a contlict b~tw«n his faith and his basic ~rsonality" (~bd., S. 35); ~r ~i s~lbst .th~ sort of p~rson, that h~ most vigorously criticiz~d. i.~. a s~lf-~liant and s~lf-promoting ~rson· (~bd., S. 36). Mit V~rw~is auf Malina, W~lt, h~bt ~r h~rwr, daß di~ konku~nzb~tont~n Ant~il~ im V~rhalt~n des Paulus kultursp~zifisch ~i~n und also s~in Stat~rzicht und nicht s~in St~b~n nach Statusst~ig~rung ~rklärungsbedürftig ~i (~bd., S. 36t). Oi~ Analys~ \IOn Callan ist üb~rz~ug~nd. lnd~m Paulus auf Status vtrzicht~t. vtrzicht~t ~r nicht auf Autorität, ind~m ~r sich als Sklavt d~r G~m~ind~ beuichn~t. gibt ~r nicht ~in~n Ltitungsanspruch auf, sond~m drückt ihn darin aus. Ergänzt man di~ psychoanalytisch~ D~utung Callans mit Hil~ des ld~ntitätsb~griffs \IOn E.H. Erikson durch ~in~ kognitiv psychologisch~ mit Hilf~ des Positionsw~ch~laxioms, so ~rsch~int di~ ambival~nt~ Haltung des Paulus nicht nur als Konflikt zwisch~n b~wußt~n und unb~wußt~n Ant~il~n. sond~m auch als d~r V~rsuch ~ines M~nsch~n. sich in ~in~ n~u und diam~tral and~rs g~d~utd~ W~lt hin~inzub~g~b~n; das unbewußt~ Konkurr~nzverhalt~n ~rsch~int dann w~nig~r als .Wi~d~rk~hr des V~rdrängt~n· od~r .Sabotag~akt des Unb~wußt~n·, sond~m kann als wichtiges
aufgrund
Hilfsmitt~l vtrstand~n w~rd~n. um di~ n~u~ - konku~nzarrn~ und di~nstori~nti~rt~ - Ordnung zur zu bring~n. Vgl. Th~iß~n. As~kt~. S. 43. Di~ Anschauung ~rlaubt ~s. das V~rhalt~n d~s Paulus so zu d~ut~n. daß ~r s~lbst sich nicht .üb~rführt" und .beschämt", sond~m vtrstand~n fühl~n könnt~; das ist m.E. ~in wichtiges El~m~nt d~s V~rst~h~ns auf ~in historisches G~g~nüb~r G~ltung
b~zog~n.
1 Hab~rrnann,
Prä~xist~nz, S. 140, z~igt, daß sich II Kor 8,9 nicht als tradition~ll~ christologisch~ läßt, paulinisch~n Ursprungs ist und d~m Philipp~rhymnus nah~st~ht. Vgl. auch Ba~tt. ~cond Corinthians, S. 224. 2 Hab~rrnann, ~bd., und Ba~tt. ~bd., -vtrrnut~n. daß Prä~xist~nZ\IOrst~llung~n zugrund~lieg~n. 1 Hab~rrnann, ~bd.; Ba~tt. ~bd .. 4 Wolff, Wrzicht, S. 185. Fo~l ~rw~i~n
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korrespondiert keine Erhöhung des Erniedrigten. Die Erhöhung wird vielmehr an der Gemeinde wllzogen. Der Status\6Zicht Jesu ist die Bedingung und der Grund ffir die Erhöhung der Gemeinde. Christi Erniedrigung und die Erhöhung wird mit den statusrelevanten Kategorien wn Armut und Reichtum ausgesagt. Paulus begründet damit den Reichtum der Korinther, den er im unmittelbaren Kontext (8,7) erwähnt und auch an anderer Stelle als besonderes Merkmal der korinthischen Gemeinde nennt 0 Kor 1,5-7). .,Reichtum" beschmbt die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Gemeinde'. Das hat sie nach Paulus dem Status\6Zicht Jesu Christi zu danken. Der Philipperhymnus zeigt darüber hinaus, daß im Denken des Paulus die Erhöhung der Gemeinde di~enige Jesu Christi nicht metzt, sondern nachvollzieht und ihrer Erhöhung die Unterordnung unter Christus als Herrn korrespondiert. Ist in n Kor 8,9 die Partizipation am Reichtum Christi, ja dessen Übernahme durch die Gemeinde das Aussageziel, so ist es hier die Aufforderung, an seinem Weg in die Niedrigkeit zu partizipieren und selbst Status\6Zicht zu üben 2•
Die apostolische Selbsterniedrigung Als Apostel und Missionar übt Paulus Statl5venicht. Dieser Sta~cht hat drei Aspekte: (1) Paulus leidet Verfolgungen, Mißhandlungen und Gefahren 1 • Er nimmt die Erniedrigung und Stigmatisierung durch seine Umwelt an. (2) Er arbeitet ffir seinen Unterhalt, greift nicht auf die finanzielle Unterstützung der Gemeinde zurück und leidet deswegen zuwe~len Not4 • (3) Er ~chtet auf eine rhetorisch glänzend gestaltete Aufbereitung seiner Verkündigung und Unterweisung und damit auf die Ehre eines anerkannten Lehrers oder Philosophen~. Durch die beiden letzten Punkte ~chtet er freiwillig auf den Status als angesehener ..philosophischer' Lehrer, der sich in finanzieller Anerkennung und ..ansehnHchem Lehrerfolg" zeigen würde. Alle drei Aspekte sind breit
'1 Kor 1,5-7 zeigt, daß Paulus den geistlichen Reichtum der Gemeinde wahrnimmt und schätzt. Die Argumentation in II Kor 8 packt die Gemeinde an ihrer Ehre. Das geschieht, indem sie in ein Konkurrenzvtrhältnis zu den makedonischen Christen gestellt und an ihren Hoheitsanspruch erinnert wird. Reichtum gehört also auch zum SclbsMrständnis der korinthischen Gemeinde. Vgl. Betz, 2. Kor 8 und 9, S. 117: II Kor 8,9 sei der erste ~weis von drei ~weisen in der RprobatioR und begründe eine Aufforderung mit der Anforderung, das Ehrenhafte zu tun. II Kor 8,9 kann Rals Beispiel für den rhetorischen ~griff des Ehrenhaften interpretiert werdenR. 2 8alz, Art. Philipperbrief, S. 511. 1 1 Kor 15,32; II Kor 1,5f. 8-10; 11,23-27. Vgl. Wolff, Verzicht, S. 189. 4 1 Kor 9,15.18; II Kor 11,7-9; 12,14; vgl. Phil 4,10-15. Vgl. Wengst, Demut bei Paulus, S. 431. 'Nengst spricht sich mit Verweis auf Hock dafür aus, daß Paulus ererbter Sozialstatus höher war als der eines Handwerkers, so daß bereits die Übernahme einer Handarbeit ein Stat~rzicht gewesen sei. Handarbeit gelte ihm als Versklavung (I Kor 9,19). Dagegen spricht aber, daß Paulus selbst den Erwerb seines Ltbensunterhalts durch A~it damit begründet, daß er sich vom Verdacht der Habsucht, d.i. der Vermutung, er wolle durch seine Lthrtätigkeit Geld verdienen, freihalten wolle (I Thess 2,5; II Kor 2,17). Die Alternative für Paulus ist immer die Finanzierung durch die Gemeinde, nie die Verwendung eines eigenen Vermögens. Folglich hatte er keines. Vgl. Wolff, Verzicht, S. 184. ~I Kor 2,1-5; II Kor 10,10; 11,6.
256 bezeugt und finden sich schon im 1Thess•. Mit aßen drei ~kten geht es Paulus um die angemessene Verkündigung des Evangeliums. Sein Status\6Zicht ist die direkte Folge und die Bedingung seines apostolischen Auftrags: Die Verfolgungen erleidet er aufgrund seiner Onistus\efkündigung 01 Kor 6,8); er deutet sie als Teilhabe an den Leiden Onisti 01 Kor 1,5; 4,10). Seine Handarbeit ermöglicht es ihm, sich von den umherziehenden Philosophen und Lehrern zu unte&heiden, die sich ihre Unterweisungen honorieren ließen2• Das ist ihm in zwei Hinsichten wichtig: (A) Seine persönlichen Bedürfnisse und sein Aufhag müssen getrennt bleiben. Sein Aufhag dient nicht zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse. (B) Sein Auftrag dient den Gemeinden und darf sie nicht belasten (I Thess 2,9; nKor 12, 14). Damit ist unmittelbar sein SelbsMrständnis als Vater der Gemeinde, als Gemeindegründer, \efbunden. Väter machen die Kinder reich und nicht die Kinder die Väter 01 Kor 12, 14). Menschliche und göttliche Größe stehen ffir Paulus in Konkurrenz zueinander. Deswegen ~chtet er auf eine rhetorisch bnllante DaTStellung seiner Lehre. 1m Kontrast zur rhetorischen Bnllanz stehen für Paulus ~ ~ und ~ 0 Kor 2,4f; 4,19; 11 Kor 10,11). Gott wirlct nicht durch glanzvolle DaTStellung, sondern nur durch den, der auf sie \6Zichtet. Alle drei Aspekte des Status\erzichts sind Konstitutiv.l ffir das Apostelamt, beschreiben also die Gestalt von Leitung und "Henschaft" in der Gemeinde. Dem entspricht, daß Paulus mit dem Verweis auf seinen Stat\JS\6zicht seine Autorität zur Geltung bringt und Unterordnung fordert'. Die "Erhöhung" des Apostels erfolgt durch die Anerkennung seines Leitungsanspruchs in der Gemeinde, aber ohne daß dadurdl die Merkmale der Niedrigkeit verloren gingen. Eine Erhöhung, die auch die der Leitungsposition zugehörigen Merkmale betriffl und die der Niedrigkeit etSetzt, erwartet Paulus eTSt im Eschaton aufgrund seiner apostolischen Tätigkeit und seines missionarischen Erfolgs. Seine apostolische Identität beruht auf den Gemeindegründungen 0 Kor 9,3; 11 Kor 3, 1t), auf sie baut er seinen eschatologischen Status: Die Gemeinden sind der "Ruhm" des Apostels (11 Kor 1,14; 11,10). Paulus gesteht zu, daß sich seine Konzeption des Apostelamtes von der anderer Apostel unte&heiden kann. Das betriffl den Verzicht auf die finanzielle Unterstützung durdl die 1 Thtss 2,2: Mißhandlung~n in Philippi; 2,9: anst~ng~nd~ Arb~it für d~n ~b~nsunt~rhalt; 2,5: auf Schm~ich~l~d~n. Vgl. Sumney, Paul"s W~akn~ss. S. 71-91. Sumney w~ist nach, daß schon im 1 Thm V~rfolgungsl~id~n und Handarb~it zum ~lbstvtrständnis d~s Apost~ls zähl~n und ~r dits~n ~b~nsstil als T~il s~in~r V~rkündigung auffaßt. Sumney unt~rsch~id~t nicht zwisch~n ~rschi~d~n~n Form~n dts .Statu~rzichts" dts Paulus. Als konstitutiv ~rw~ist ~r nur das V~rfolgungsl~id~n und di~ Arb~it zum ~~nsunt~rhalt. Auch komm~nti~rt ~r nicht, daß d~r Stamm ~ in 1 Thm nur ~inmal ~g~gn~t. Paulus btseh~ibt damit nicht sich stlbst, sond~m di~j~nigtn in d~r G~m~ind~. dit d~r b6ondt~n Fürsorg~ b~dürftn. Di~ Schwach~n st~htn parall~l zu d~n c'in&«TTt und d~n tiN~. Paulus ford~rt dazu auf, si~ zu unt~rstütz~n (cimxw). Schwachh~it ~rsch~int in 1 Thtss noch nicht als Konstitutivum paulinisch~n Apostolats und btsch~ibt thtr tin D~fizit als ~in~n Vorzug. lygl. Sumney, Paul"s W~akn~ss. b~ S. 72-79. Jl Kor 4,7-21. Paulus b~sch~ibt ~in~ Ni~drigk~it, um dann im Schlußt~il d~s Bri~ft~ils ~in~ Autorität als .Vat~r d~r G~~ind~". als G~m~ind~gründ~r. zur Geltung zu bring~n und d~n~n. di~ sich ihm nicht unt~rordn~n woll~n. zu droh~n (4, ISt). Vgl. 11 Kor 10,1-8. Paulus b~tont, daß ~iner Ni~drigk~it ~b~n nicht ~in Autoritätsdefizit ~ntspricht, sond~m s~in~ von Gott geg~b~n~ Vollmacht, aufzubau~n und zu z~rstö~n. 1
V~rzicht
251 Gemeinde 0 Kor 9,4-6)'. Sein zusätzlicher Status\ezicht ist in der besonderen Berufung und Beauftragung durch Gott begründet 0 Kor 9, 15t). Die Besonderheit besteht darin, daß der ehemalige Verfolger "der Gemeinden Gottes" 0 Kor 15,9) zum Apostel wurde. Deswegen kommt ihm der geringste Rang innerhalb der Gruppe der Apostel zu; die Beanspruchung des Titels ..Apostel" ist bereits eine Erhöhung (I Kor 15,9). Als Folge dieser besonderen "erhöhenden" Berufung ist sein extensM5 Engagement zu ~tehen 0 Kor 15, 10). Der Übernahme der letzten Position in der Gruppe der Apostel entspricht die Behauptung des ersten Platzes hinsichtlich der geleisteten Arbeit 0 Kor 15, 10), der Bereitschaft zum weitestgehenden StatusveTzicht 0 Kor 9, 16.19) der Aufweis des größten m~onarischen Erfolges 0 Kor 9, 19; Röm 15, 16-21). Zu den anderen Aposteln steht er in einem Konkurre~ältnis. Paulus übernimmt freiwillig den letzten Platz und beansprucht damit einen gleichwertigen, vielleicht sogar den ersten Rang 0 Kor 9,2J-25t.
Positionswechsel: Die Erhöhung der Gemeinde als Folge der apostolischen Selbsterniedrigung Es ist also zuerst die Situation der Gemeindegründung bzw. der Bekehrung des einzelnen und der Aufrechterhaltung der Grenzen zur paganen Gesellschaft, in der der Status\6zicht des Paulus und die Erhöhung der Gemeinde zu einem zusammengehörigen Paar werden. Der Selbsterniedrigung des Paulus korrespondiert die Erhöhung der Gemeinde. ln zwei Aussagen fonnuliert Paulus diese Beziehung explizit: 1n 11 Kor 11,7 bezeichnet Paulus seinen Verzicht auf Unterhalt als Selbsterniedrigung und kontrastiert dem die Erhöhung der korinthischen Gemeinde. Die Beschre~bung bezieht sich auf den Gründungsaufenthalt'. 1n I Kor 9,19 spricht Paulus in einem Kontext, der den Unterhalts\ei'Zicht thematisiert, von seiner Selb~lavung mit dem Ziel der Gemeindegründung. ln 11 Kor 6,10 beschreibt Paulus am Ende eines Peristasenkatalogs seine Tätigkeit folgendermaßen: .~ mwxo\ iTOll.oUc; & nAooti.(ovtf. Vgl. Kä~mann, Ltgitimität, S. 477; ~tz, Sokratisch~ Tradition, S. 59.
272 rhetorisdl geformt sind, hat diese Deutung der Stelle fragwürdig gemacht'. M.E. bezieht sich der Vorwurf nicht so sehr auf die inhaltHche rhetorisdle Gestaltung, sondern auf die Darbietunif. Sie spielte in der Antike eine große Rolle. Im Unterricht lernte man deklamieren, die Stimme wurde ausgebildet Es sei nur daran erinnert, welcher Spott über Oaudius ausgegossen wurde, wetl er stotterte, hinkte und häßlich war. Man hat das als Zeichen seiner fehlenden Intelligenz und seiner mangelnden Begabung zum Kaiseramt gewertet. (B) Die Legjdmation als Diener Ouisti Diesen komentionellen legitimierungsstrategien fUgen die Apostel den Hinweis auf ihre besondere Lebensform hinzu, womit sie den Anspruch, den Ehrentitel ..Diener Christi" zu fUhren, \6binden. Die Apostel bezeichnen sich selbst als Diener Onisti 01 Kor 11,23). Was ist mit dem Titel ~unden?' Paulus beansprucht hinsichtlich des ..Diener Christi" - Seins Überlegenheit und belegt das mit dem Peristasenkatalog 11 ,23-29. Auch die Apostel \6knüpfen mit diesem Titel Peristasen4 • Daffir sprechen die folgenden Gründe: (1) Paulus Qlbt keine Hinweise darauf, daß er mit &~ XpMTTrii etwas anderes meint als seine Gegner. Er grenzt seinen Wortgebrauch nicht von dem der Gegner ab. ln II Kor 13,3f tut er das. Wenn er es hier dagegen unterläßt, deutet das darauf hin, daß seine Gegner mit dem Titel d~lbe ~inden wie er. (2) Paulus benutzt Kompara~ bei der Darstellung seiner Verfolgungsleiden: zweimal nq>LOOOt~ und das komparativisch zu ~ehende ~t.x;. Er hat einen größeren Anspruch auf den Titel ..Diener Christi", we~l er häufiger \ffiolgt worden ist. Das läßt sich am plaUSibelsten dadurch erklären, daß auch die Apostel mit der Verwendung des Titels ..Diener Christi.. Verfolgungen \e'bunden haben. Die Peristasen l~n sich in drei Hauptgruppen unterte~len: ln den Vmen 24 und 25 nennt Paulus Verfolgungserlebnisse: Er zählt die Strafen auf, die er erleiden mußte aufgrund seiner missionarisdlen Tätigkeit. ln Vers 26 nennt er die Gefahren, die aufgrund eines heimatlosen Wanderlebens entstehen. ln Vers 27 bezieht er sich auf die Entbehrungen, die in der Folge der Allnut sein Leben belastet haben. Alle drei Hauptgruppen: Verfolgung, Reise und Airnut l~n sich im Leben von Wandermissionaren einordnens. Wir wissen von den Aposteln, daß sie Unterhalt durch die Gemeinden in Anspruch genommen haben und daß sie dort keinen ständigen Aufenthaltsort genommen haben, sondern weitergezogen sind. Sie lebten (wenigstens zeitweise) wie heimat- und besitzlose Wandermissionare.
'kästmann Lrgitimität, S. 477; B~tz, Sokratisch~ Tradition, S. 58; Windisch, 2. korinth~rbri~f. S. }32. 'vgl. Windisch, 2. korinth~rbri~f. S. 332. \lgl. dazu Collins, Diaconos, passim. Vgl. Windisch, 2. korinth~rbri~f. s. 352, und And~ws. Too w~ak, s. 274, b~. Anm. 47, g~g~n V/olff, 2. korinth~rbri~f. S. 229f. "Th~i~n. Lrgitimation, bcs. S. 216f.
273
(3) ln der kynisdlen Stoa wird der wandemde philosophische Lehrer als ~ &w bezeichnet'. Zum stoisch-kynischen Weisen gehört es, mannigfaltige leiden ertragen zu können, ohne dadurch in seiner inneren Ruhe aufgestört zu werdenz. Unabhängig von der urchristlichen Prägung also, hat man mit diesem Trtel das Leben besitz- und heimatloser Lehrer und deren leiden durch Ablehnung und Armut \e'bunden. Dagegen wird eingewandt, Peristasen stünden mit dem SelbsMrständnis der Gegner in Spannun~. Das ist m.E. nicht der Faß. Selbst ein ~ tW.p wie Apollonius von Thyana lebte besitz- und heimatlos und wurde unter Domitian ~olgt. Anders wäre das zu beurte~len. wenn der Peristasenkatalog als Explikation der tio6aEra. gälte und damit bewiesen wäre, daß auch die Gegner Pmstasen als Ausdruck von tio6aE~a. werten würden. Daß sie so gedacht haben, ist unwahiSCheinlich. Peristasen zu ertragen, galt als Zeichen der Stärke·, Schwäche dagegen wäre das Eingeständnis, dazu nicht imstande zu sein~. Paulus selbst bringt seine tio6aEra. mit den Peristasen differenziert in Zusammenhang. (1) ln 11,29 bestätigt er seine Solidarität mit den Schwachen in der Gemeinde'. Einerseits zählen die Belastungen, die Paulus durch seine Verbindung mit den Gemeinden entstehen, zu den Peristasen7, andererseits beschmbt Paulus sich selbst dabei nicht als den Weisen, der von dieser last unberührt bliebe, sondern als einen, der davon mitbetroffen wird'und sich den Unterlegenen und nicht den So\.MTcinen zuordnet. (2) ln 11,30 greift Paulus auf das Thema Rühmen aus 11, 16ff zurück. Seiner Peristasen rühmte er sich ironisch gebrochen (11,21 ); nun kommt er zum eigentlichen Inhalt seines Rühmens: seiner ~ra. (n,3o}. Ironisch gebrochen ist das nur hinsichtlich der WortwahL Mit dem Stichwort ci.o&Eta. nimmt er den Vorwurf der Gegner auf, er könne sich nicht rühmen, habe keine Hoheit und sei deswegen ffir die Leitungsaufgabe in Karinth nicht geeignet. Er entkräftet ihn und kehrt ihn vom Einwand gegen seine Autorität zu ihrer Begründung: Zuvor hatte sich Paulus seines missionarischen Erfolges gerühmt und dies "Rühmen im Herrn" als angemessen gekennzeichnet. Es ist zu erwarten, daß er nun seine tio6aEra. in Zusammenhang mit seinem missionarischen Erfolg bringt. Paulus steht vor der Hmusforderung, seine tio6aE~a. in seine Konzeption von Hoheit zu integrieren. Das geschieht in II Kor 11,30-12,10. Seine Schwachheit konkretisiert sich an zwei Punkten: an der Damaskusepisode und an seinem körperlichen Defizit. ln Damaskus hat sich Paulus einerseits als "Feigling" erwiesen, als jemand, der zu schwach war, sidl der Verfolgung und 'Epict, Diss 111,24,64f. 26,28; IV,7 ,20. ~gl. Fitzgerald, Cracks, S. 203. 1Wolff, 2. Korintherbrief, S. 232; Bultmann, 2. Korintherbrief, S. 217. 4 Fitzgerald, Cracks, S. 205. \Fitzgerald, Cracks, S. 205, betont, daß es zum Ertragen der Peristasen immer der~~ bedürfe. Diese Kraft könne als die eigene, die der Philosophie oder die Gottes ~rstanden und gerühmt werden. Paulus führe die Kraft auf Gott zurück. Wie in I Kor 1,29 wird auch hier erkennbar, daß für Paulus göttliche und menschliche Größe miteinander konkurrieren und einander ausschließen. Er knüpft damit an die Tradition an, die die Vorstellung vom JHWH-Krieg mitgestaltet hat: Statuspnd ~Krafultrzicht~ ist die Voraussetzung für die Wirksamkeit Gottes. Andrews, Too Weak, S. 270f. 7Vgl. Black, Paul, S. 143. Der Ausdruck sei eine ~expression of Paul's Iove~. •nup«., kann nicht als Ausdruck der Q.mJJia. gelten.
274 Bestrafung zu stellen. Die Damaskusepisode gehört in die Anfangsphase seiner Tätigkeit•. Seine Audit damals war andermeits die Bedingung fiir seine spätere erfolgreime missionarische Tätigkeit und damit für seinen Ruhm. Wie Od}5seus. der sich als Bettler ~eidet nadl Troia hineinschHdl und so den Sieg ermögHdlte. so ermögtichte das Hinausschleimen aus Damaskus das siegreime Auftreten des Paulus als Missionar 01 Kor 10.3-St. Seine Schwädle in Damaskus war die Voraussetzung fiir seine Hoheit als "erfolgreidlef' Missionar. ln 12, 1-9b erweist Paulus seine körpertime Schwäche als gottgegeben und als Bedingung für die Wirlcsamkeit wn Gottes ~ (12,9a). Sein körpertidles Defizit ist nidlt eine Einschränkung, sondern eine Bedingung dafür, daß Gott in ihm wirkt, er sidl rühmen kann und Hoheit und Leitung - im Herrn - beansprudlen kann. Die Peristasen, denen er sidl in 11 ,23bff nodl ironisch rühmte. kann er sidl jetzt direkt rühmen. Es ist nun erwiesen, daß sie zu seiner ti.o6Ema. nidlt in Widerspruch stehen, sondern sie wraussetzen. Die Verbindung wn tio6Ema. und Peristasen ist also 1ypisch paulinisch und steht im Widersprudl zum Konzept der anderen Apostel, für die zwar die Peristasen, nidlt aber die ti.o6BE10, zum Diener-Ouisti-Sein gehörten.
Zusammenfassung Die Apostel haben in Karinth auf die "klassischen" Legitimationsstrategien für ihren Leitungsansprudl zurückgegriffen: Sie legitimierten ihren Ansprudl durch das hohe Alter und die große Würde der Tradition, in der sie stehen, sowie durch die Anerkennung dieses Ansprudls in der Öffentlidlkeit. Im Zentrum ihrer Legitimationsstrategie aber steht die Behauptung, die Gottheit zu repräsentieren und den Zugang zu ihr zu ermöglichen. Diese "gemeinantiken" Strategien sind unter das Positionswechselaxiom gestellt, indem die Missionare diese Hensdlaft in "niedern Hüllen" als anne, heimatlose und \6folgte Diener ihres Gottes ausüben. Damit konnten sie an der kynischen Tradition anknüpfen1 •
Das Verhältnis Apostel -Gemeinde Weldle Rolle wollten die Apostel für die Gemeindemitglieder übernehmen? ln II Kor 1Q-13 und in 11 Kor 3 finden sidl Hinweise darauf, daß sie sich als Mittler- und Henschergestalten in der Maserolle \omtanden haben. Sie beanspruchten, den MitgHedern der Gemeinde den Zugang zur Doxa Gottes zu eröffnen.
I
Vgl. Taylor, Ethnarch, S. 719-728. Educational Aims, S. 32-45, kontrastirrt das Vrrhaltrn drs Paulus bri drr Flt:cht drm rrstrn Erstrigrn drr Maurr durch rinrn Soldatrn bri drr Erobrrung rinrr Stadt, das durch dir corona muralis brlohnt und grrühmt wurdr. Paulus zrigt das umgrkrhrtr, also rin brsondrrs schmählichrs Vrrhaltrn. Zuglrich schildrrt sich Paulus in II Kor 10,3-5 als rrfolgrrichrn Frldhrrm. Malhrrbr, Antisthrnrs, S. 152, vtrwrist auf drn Dialog zwischrn Aias und Odyssrus bri Antisthrnrs. Aias wirft Odyssrus Frighrit vor. Odyssrus abrr strllt drm rntgrgrn, daß nicht Aias mit srinrr .Kraft·, sondrm rr mit srinrr Brrritschaft, sich zu vtrklridrn und zu emirdrigrn, drn Fall Troias hrrbrigrführt habr. lygl. Thrißrn, lrgitimation, passim. 1Judgr,
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Ein e&er Hinweis erg1bt sich daraus. daß Paulus und die Apostel sich als erbitterte Konkulrenten verstehen. Die Position, die die Apostel fiir die korinthische Gemeinde übernehmen wollen, läßt sich weder unterhalb noch neben der paulinischen ansiedeln 1• Paulus und die Apostel beanspruchen beide, fiir die Mitglieder der Gemeinde dieselbe Funktion zu übernehmen; ihre Konzeptionen schließen einander jedoch aus. Ein zweiter Hinweis läßt sich ll Kor 11, 1-6 entnehmen. Paulus ~leicht sich mit dem Vater eines Mädchens, der sich dafiir ~ntwortlich fiihlt, eine vereinbarte Hochzeit durchzufiihren. Das Mädchen ~leicht er mit der Gemeinde und den Bräutigam mit Ouistus. Den gegnerischen Aposteln schmbt er die Rolle der Paradiesesschlange zu, die Eva \er'fiihrte1 • Was verbindet sich mit dieser Rolle? Als der Vater eines unmündigen Kindes hat Paulus sich auch schon in I Kor 3, 1-4 geschildert und damit das Anliegen der korinthischen Gemeinde, "fortzuschreiten" und in "die Geheimnisse" eingeweiht zu werden, zurückgewiesen. Schon damals war ersichtlich geworden, daß die korinthischen Olristen von ihren Lehrern erwarteten, Anteil an einem besonderen Wissen zu erhalten, und bereit waren, sich ihnen dafiir als Anhänger unterzuordnen 0 Kor 1, 12). Paulus wies die Vennutung, es sei von Bedeutung, welche "Lehrer" und "Täufd' man habe, zurück 0 Kor 1, 13; 3,21) und ordnet die Lehrer den Gläubigen unter 0 Kor 3,22). Dieses Anliegen der Korinther könnte in ll Kor 11,1-6 wiederkehren: ln II Kor 11 ,5f sieht sich Paulus erneut dazu genötigt zu bestätigen, daß es ihm keineswegs an Erkenntnis fehle. Möglicherweise also hatten die Mitglieder der Korinther Gemeinde geargwöhnt, Paulus könne ihnen nicht die Erkenntnisse ~itteln, die zur Olristusbegegnung fUhren. Die Apostel könnten den Bedürfnissen der Korinther hierin entgegengekommen sein und die Vennittlung von Erkenntnis angeboten haben. Diese Vennutung wird dadurch bestätigt, daß die Paradiesesschlange mit der der Wunsch des Menschen nach Unsterblichkeit und Einsicht verbunden ist: Philo identifiziert sie mit der~ (AIIII,73). Die He1lung des Schadens, den
I
Di~ Apost~l n~hm~n dks~lb~n nt~l in Anspruch wi~ Paulus und hint~rfr.lg~n di~ R~chtmäßigk~it
d~ G~brauchs di~~r nt~l dun::h Paulus. Das z~igt ~~its ~in~n Anspruch auf Üb~rl~g~nh~it an. B~tz (Sokratisch~ Tradition, r~chtf~rtig~n. auch w~nn ~r
S. 41) ~rmut~t. daß Paulus d~r Proz~ß g~macht wurd~. Er muß sich das nicht ~ing~t~ht (II Kor 12,19, ~tz, Sokratisch~ Tradition, S. 18). ~in~ B~drängnis z~igt sich auch daran, daß ~r sich d~n ~md~n Kat~gori~n st~JJ~n muß und s~in~ Vision~n und Off~nbarung~n. ~in~ Apost~lz~ich~n und ~in~ V~rfolgungsl~id~n b~l~g~n muß. Di~ Apost~l "Vtrhalt~n sich wi~ Konkumnt~n. di~ Paulus "Vtrdräng~n od~r unt~~mn woll~n. Paulus und di~ Apost~l konkurri~~n um Zuständigk~itsb~~ich~. Paulus "Vtrst~ht sich ~it d~m Apost~lkonzil als H~id~nmissionar und all~in zuständig für di~ ..Auß~nmission". Er wirft d~n Apost~ln vor, un~chtmäßig in s~in~m G~bi~t tätig zu ~rd~n (II Kor 10,1-6). Vgl. Wolff, 2. Korinth~rbri(f, S. 205f; Th~i~n. Ltgitimation, S. 224, B~rg~r. Th~ologitg~chicht~. S. 505. Di~ Apost~l hing~g~n wa~n mit ih~m Ltb~nsstil auf di~ Aufnahm~ dun::h schon b~t~h~nd~ G~m~ind~n ang~wi~~n. Vgl. Th~iß~n. Ltgitimation, S. 212f. 1Mit V~rs 4 ~rläßt Paulus das Bild und b~n~nnt d~n Inhalt d~r .V~rführung": ~in~n and~m J~us, ~in~n and~m G~ist, ~in and~~ Evang~lium und ~in~ and~~ ld~ntität, ~in~ and~~ g~meindegründ~nd~ V~rkündigung. Di~ Funktion d~r Apost~l wird nicht ganz d~utlich. Vi~llcicht m~int Paulus, daß si~ d~n Bräutigam ~~tz~n woll~n. Vgl. Windisch, 2. Korinth~rbrid, S. 323, mit V~rw~is auf IV Makk 18,8. Dag~g~n spricht, daß in V~rs 3 .~in and~~r J~us· genannt wird. Di~ Einwänd~ bei Wolff, 2. Korinth~rbri~f. S. 213. Vi~ll~icht konkurri~~n si~ auch mit d~m Vat~r. ind~m si~ die G~m~ind~ zum Ung~horsam ~rl~it~n.
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sie angeridltet hat und immer neu anridltet. erfolgt durch den~~... der durch eine neue Schlange, die Schlange des Mose, symbolisiert wird'. Möglidlerweise läßt sidl hinter der paulinischen Polemik also mit einer Überlieferung wie in All II das Selbstverständnis der Apostel erkennen. Sie hätten sidl als besonders besonnene Menschen mit einer besonders engen Gottesbeziehung in der "Nachfolge des Mose" dargestellt. die beansprudlten, den Gemeinden den Weg zu Gott zu weisen und zu ermöglichen Ein weiterer Hinweis erg1bt sidl aus der Schlußmahnung wn II. Kor 1G-13: II Kor 13,3-5 läßt darauf schließen, daß die Apostel den Korinthern als Mittler galten. Die Korinther hatten wn Paulus den Beweis (~) gefordert, daß Onistus in ihm rede (NWill). Paulus spridlt in II Kor 2, 17 und 12, 19 zwar dawn, daß er in Olristus redet. nie jedodl dawn, daß Olristus in ihm rede. VermutHdl gehört die V01stellung zu den Aposteln. ln seiner "Replik" weist Paulus die Korinther auf die Unselbständigkeit hin, in die sie durch ihr Vertrauen auf die Apostel geraten sind. Sie sind sidler, daß Olristus in den Aposteln spridlt. und wollen nun wissen, ob Paulus das audl kann. Dabei ist in den Hintergrund getreten, wie Olristus in ihnen selbst gegenwärtig ist. Sie sind keineswegs erwachsen, sondern vielmehr "unmündig" und abhängig geworden. Paulus zeigt ihnen auf, daß sie sidl zu den Ski~ wn bösen Herren gemadlt haben 01 Kor 11 ,20). Fs zeidlnet sidl ab, daß Paulus und die Apostel sidl in \mChiedener Weise als "Mittlergestalten" \6Standen. Paulus sah seine Aufgabe darin, eine unmittelbare Olristusbeziehung zu stiften. ln räumlidlen Kategorien ausgedrückt: Er stellte sich unter die Menschen und madlt sidl zum Wericzeug ihrer Erhöhung. Die Apostel bezogen Position zwischen Olristus und den Glaubenden. Sie stellten sidl über sie.
Das Mittleramt: Mose ln II Kor 3 setzt sidl Paulus mit einer Moseübertieferung auseinander, die Mose als Träger und Vermittler wn göttlicher clOg.r. dalStellt. Theißen hat dargelegt, daß in dieser Mosedarstellung drei Semente konstitutiv warenz: (A) Ein gradualistisches Stufenschema: Die Herrtimkeil des Mose ist n3bgestuft". ln der Öffentlidlkeit muß sie \6hüllt werden; vor Gott ist sie unverborgen.) Mose gilt als Vermittler der wahren esoterischen Gottesschau. (B) Durch sie wird Mose \mVandelt und vergottet. (C) Darin ist Mose Modell. Wer ihm folgt. zählt zu den Eingeweihten, wer sidl dem \mehließt. zu den Verstockten. Alle drei Semente finden sidl im Moseblld des Phllo wieder•. Theißen hat die Umdeutung dieser Mosetradition in II Kor 3 als Auseinandersetzung des Paulus mit seinem eigenen vorchristlidlen Moseblld gedeutet und den Vorschlag, sie fiir eine Korrektur des ' (All n,79l: .n~ tAA. ')'i'lltTfll ;1161, TOÜ ~: önr.v rn~ ~., mTa61C~ nf! ~ ~ mvri~. o ~ ~. • Most ist wtgcn stincr besonderen Gottesbeziehung und seiner b~ondercn ~in der Lage, diese Schlange herzustellen (AIII1,79). ;,;eilkn, Aspekte, S. 137-142. )Theilkn, Aspekte, S. 138. •Theilkn, Aspekte. Eine Übersicht findet sich aufS. 141. Vgl. Meeks, Prophet King, S. 100-145.
277 Mosebildes seiner Gegner zu halten, abgelehnt'. Ich möchte dafür argumentieren, daß die gegnerischen Apostel die Rolle des Mose als Henscher aufgenommen und die Konzeption ihrer leUung an ihrem Mosebild orientiert haben1, das dem des Philo nahestand. Die Moseüberliefmmg, die Paulus in n Kor 3,7-18 korrigiert, spiegelt die Auffassung der anderrn Apostel wider. Daffir spricht: (1) Die Auseinandersetzung mit dem Mosebild steht im apologetischen Zusammenhang. Thema ist die Empfehlung, mithin die Anerkennung durch die Öffentfichkeit. ln II Kor 3, 1-3 reagiert Paulus auf die Forderung, Empfehlungsbriefe wrzulegen, mit dem Hinweis, daß die Gemeinde sein Empfehlungsbrief sei. Die Empfehlungsbriefe sind unzweifelhaft ein Medium der gegnerischen Apostel. ln II Kor 4,2 kommt Paulus auf das Stichwort "empfehlen" zurück und erklärt, daß er sich durch seine Verkündigung dem Gewissen der Menschen empfehle. Die Stellung wn II Kor 3,4-18 in einem Zusammenhang, in dem es darum geht, wie die Empfehlung des Paulus im Gegenüber zu der Empfehlung der Apostel aussieht, weist darauf hin, daß das Mosebild Bestandteil der Argumentation der Gegner ist. (2) ln II Kor 4,2 grenzt sich Paulus mit seiner Art der Empfehlung wn denen ab, die "ni ~ -rij; ~.. betreiben, die .kv ~" leben und das Wort verfälschen (&Niw)1 • Alle drei Verhaltensweisen lassen sich auf die Umdeutung der Moseüberlieferung durch Paulus beziehen. So wie Paulus es deutet, \ffi)irgt Mose etwas Schändliches, nämlich das Vergehen der ~ und er täuscht seine Mitmenschen darüber. Vielleicht meint Paulus sogar, daß Mose "das Wort Gottes verfälscht" hat. Die Decke, durch die er die Menschen hinsichtlich seiner ~ täuscht, liegt ja nach der Meinung des Paulus auch auf den "Worten des Mose" (3, 14). Seine Wiedergabe des Wortes Gottes \ffi)irgt etwas und täuscht den Menschen etwas wr. Gibt Paulus also Vorwürfe, die gegen ihn erhoben worden sind, indirekt an die Gegner zurück, indem er zeigt: Diese Vorwürfe treffen Mose, auf den sich die Gegner berufen? (3) Die Moseüberlieferung, die wir bei Philo finden, legitimiert Mose als den idealen Herrscher durch seine Gottesschau. Mose schaut Gott und wird dadurch verwandelt. Er strahlt einen sonnenartigen Glanz aus (VitMos 11,70). Philo erläutert damit Ex 24. Diese Verwandlung kann Philo auch als Vergottung beschreiben4 • Die Gottesschau geht einher mit seiner Instruktion als Priester (VitMos 11,71). Die Verwandlung ist das sichtbare Zeichen seiner priesterlichen Qualifikation, durch die er die Forderung Gottes an das Volk \mllittelt und die der zweite Bestandtetl seines Henscheramtes ist (VitMos 11,5). Daß er wm ganzen Volk .ßE~ Kai~.. genannt wird, ist die Folge seiner engen Verbindung zu Gott, die 1 Theißen, Aspekte, S. I 36. \lgt. Meeks, Mose, S. 354-371. Meeks zeigt, daß Mose in der frühjüdischen Uteratur als König und Vizeherrscher Gottes dargestellt worden ist. Der Doxaschein galt dabei einerseits als Symbol seiner Herrschaft, als .light crown·, andererseits wurde s~ mit imago dei Vorstellungen und der Adamsspekulation ~rknüpft. \lgl. Wolff, 2. Korintherbrief, S. 84. Damit sind auch die Vorwürfe bezeichnet, die Paulus ~egenüber erhoben worden sind . •Transmutatur in divinum, ita ut fiat deo cognatus ~reque divinus·. Quaestin Ex II, 29.
278 sich dar.m zeigt. daß er als Freund Gottes Qllt (VitMos I, 156) und in "'tOv ~. &&. ~ o BEOs-" wrdringen darf. Daß er "Freund Gottes" ist , macht ihn zum Eigentümer aller Dinge (verpflichtet ihn dabei zur Besdleidenheit wegen der imitatio der Bedürfnislosigkeit Gottes - VitMos I, 156t) und unterwirft ihm die materielle Welt. Daß er gesehen hat, was sterblichen Augen sonst ~rgen bletbt, macht ihn zum Modell für alle Menschen. Das Herrscheramt ist in der philonischen Darstellung die Folge der engen Gottesverbindung wn Mose. Durch diese enge Gottesverbindung erwirbt er sich als Henscher ein Recht an den materiellen Gütern aller. Durch sie wird er zum Mittler des idealen Menschseins. indem seine Anhänger dadurch, daß sie ihn nachahmen, in Einklang kommen mit der höchsten Wirklichkeit. Die Apostellegitimieren ihr Amt also so, wie Philo das des Mose begründete': - Durr:h die Tradition: Mose ist der siebte Nadlkomme Abrahams, des Gründers des Jüdischen Volkes, und der Sohn besonders edler Menschen (VitMos 1,7). Abraham Qllt hier wie bei den Aposteln als Gründerfigur. - Durr:h die öffentliche Meinung: Philo hat sidl wrgenommen, Mose als den besten und wllkommensten Menschen herauszustellen und damit die Anerkennung, die die Tara bei allen gebildeten Menschen findet, auch auf seine Person auszuweiten 2 • Innerhalb seines Volkes ist er als Gott und König anerkannt. - Durr:h die religiöse Legitimation: Daß Mose wegen seiner besonderen Gottesnähe als Herrscher besonders geeignet war, zeigt VitMos I, 156f. Henscheramt, Ansprudl auf Unterhalt, glanzwlles Auftreten, öffentliche Anerkennung, Unterwerfung der materiellen Welt und der Anspruch, Mittler esoterischer Einsichten zu sein, sind hier gebündelt. - Durr:h Schönheit und Rede: Schönheit und rhetorische Begabung erwähnt Philo in seiner Mosedarstellung eigens1 • Auch für Philo ist die Mosegestalt mit ,,Zeidlen und Wundem" verbunden4 • ~ra. dagegen ist mit seiner Gestalt unvereinbar. Die Legitimierung als Diener Olristi dagegen läßt sidl nidlt aus dem phiionischen Mosebild ableiten. Zwar ist Mose in der palästinischen Moseüberlieferung als "'CP geschildert', nicht jedoch bei Philo. Hinzu kommt dk moralisch~ ~gitimation, di~ sich m.E. auch für di~ Apost~l nachw~is~n läßt. Auch Mo~ gilt als d~r Träg~r all~r Tug~nd~n (VitMos 1,1 54), dazu g~hö~n auch ~ia. CVitMos 1,4), ~ und ~IKtuOfTliv.r). S~in~ ~lbstb~h~rrschung w~ist ihn als d~n g~bo~n~n H~rrsch~r aus und läßt frag~n. ob ~r BE~ s~i (VitMos 1,25-27). \titMos II, 17. VitMos I, 1-4. VitMos I, 18. B~i Philo ~rhält Mo~ - in Spannung zur Tradition von Ex 4 - di~ r~n~risch~ B~gabung in ih~r voll~n G~talt: wi,ulü ,Gp irr~~ ~· wci.VT!l Ka.i ~i lf~ TÖ 1
"..iTpiO'II,
~ ~
m fiJo~j~~ ~i'll
~'II
Ka.i
Atiov ci.WÖ
K~ 7!'l)')'ik TÖ
TrLIII
>.D,wv IIG,.,.a.."
(VitMos 1,84: "... d~nn durch m~in~ Huld w~rd~n all~ laut~ zur d~utlich~n Sprach~ w~rd~n und in ~b~nmäßig~ R~d~ sich ~rwand~ln, so daß ohn~ j~d~ Hind~mis fortan schn~JI und glatt als ~in~r Qu~JI~ d~r Strom d~in~r Wort~ fli~ß~n wird." Cohn, Bd. I, S.24) Um d~ Zusamm~nhangs von ~dn~risch~r B~gabung und Mittl~rschaft will~n modifizi~rt Philo sogar biblisch~ Tradition, was auf di~ B~d~utung d~r Rh~torik für di~ philonisch~ Konz~ption d~ H~rrsch~ramts schli~ß~n läßt. 4 Vgl. VitMos 1,80.90.217. D~r G~brauch d~r T~rmini wCM)jl.fia. Ka.i Tfpa.TG." ~g~gn~t in d~r lJO( b~ond~rs als Ü~~tzung von C'rf?b1 N"NI, ~in~m Ausdruck, d~r im Dtn b~ond~rs häufig b~~n~t und sich zum~ist auf das Exodusg~ch~h~n ~zi~ht. Vgl. R~ndtorff, Art. CMIII.fiO'II KTA., S. 214. sPhilo, Virt 167; AII111,1J4.
279 Theißen hat gegen die Verbindung des Mosebilds mit den Gegnern eingewandt, daß eine so gewaltsame Auslegung ihres Haupttextes die Korinther nicht hätte überzeugen können. Zudem sei es unwahJSCheintich, daß sich die korinthische Gemeinde mit ihrem SelbsMrständnis als eine Gemeinde des neuen Bundes auf Mose berufen hätte2 • Dagegen möchte ich zwei Überlegungen zur Geltung bringen: (1) Nicht die Korinther, sondern die Apostel haben sich auf Mose ben.Jkn. Die Korinther haben sie damit vorerst überzeugen können. Paulus steßt nun seine Auslegung des Textes gegen die seiner Gegner und wirbt um die Zustimmung der Gemeinde. (2) Im SelbsNerständnis der korinthischen Gemeinde war allem Anschein nach das Verhältnis zum Alten Testament diffus. Einerseits stand die Diskontinuität im Vordergrund. Die korinthische Gemeinde ~and sich als Gemeinde des neuen Bundes. Andererseits jedoch fiihlte man sich in Kontinuität mit der jüdischen Tradition. Das wird schon daran deutlich, daß die Korinther die Legitimierung der Apostel durch Tradition offensichtlich überzeugend gefunden haben. Es zeigt sich auch daran, daß Paulus sie ganz selbmeständlich mit einem Midrasch wie 1 Kor 10 unterweist', daß er mit alttestamenttichen Aussagen argumentiert 0 Kor 11, 12) und jüdische Ethik weiterg1bt 0 Kor 6,9). Möglicherweise macht sich Paulus diese Uneindeutigkeit zunutze und ~iebt die Mosegestalt von der Seite der Kontinuität auf die der Diskontinuität, indem er sie mit dem ..alten Bund", dem Buchstaben und den Gesetzestafeln, verbindet statt - wie es vermutlich die Apostel taten - mit der Gottesschau. Die Apostel haben die Maserolle in einer Gestalt, wie wir sie auch bei Philo finden, als Henscherrolle aufgenommen. Zusammenfassend läßt sich das im Bild vom "König in den niedem Hüllen" aussagen: die Niedrigkeit ble1bt "Kleid", ble1bt ganz und gar äußerlich. Betrachtet man die Auseinandersetzung in n Kor 1~ 13 als eine um das Henscheramt, gewinnen die Vorwürfe gegen Paulus neue Einheitlichkeit. Sie lassen sich in der Debatte um den Demagogen ~rten und ~uchen, Paulus als Vertreter des. "populistischen Modells" zu diffamieren•. Martin bezeichnet als Typos dieses Henschers Od}5seus~ und 'J~~mias, Art. M~. S. 857. ~~iß~n. Asp~kt~. S. I 36. Jln di~~m Midrasch wird Mos~ von d~r G~talt d~ Christus h~r wahrg~nom~n und s~in V~rhältnis lsra~l d~m Christi zu d~r G~m~ind~ ang~näh~rt. w~nn davon di~ R~d~ ist, daß di~ Vät~r auf Mo~ g~tauft word~n wa~n (I Kor 10,2). Di~ G~talt d~ Mo~ konnt~ also durchaus als positi~ G~talt in ~in~r christlich~n Ausl~gung d~s Exodusg~ch~h~ns b~g~gn~n. Das g~chi~ht in ~in~m Zusamm~nhang, in d~m ~ um di~ Partizipation am H~il g~ht. Di~ altt~sta~ntlich~ Tradition wird durchaus auch g~altsam von urchristlich~r Tradition h~r umg~prägt. Di~ Mo~g~talt kann als H~ilsmittl~r darg~t~llt w~rd~n. Vgl. Sand~rs, J~sus, S. 443. Es kommt hinzu, daß I Kor I, I 3-15 ~rmut~n läßt, daß in d~r korinthlsch~n G~m~ind~ zwisch~n d~m B~gründ~r und d~m Vollzi~h~r di~~r H~ilsvtrmittlung in d~r Tauf~ nicht ganz scharf g~t~nnt wurd~. so daß di~ Ptrson d~ Tauf~nd~n B~d~utung ~rlang~n konnt~ in d~m Sinn, daß d~r G~tauft~ am H~il Ant~il hatt~ Ob~r di~
zu
Partizipation an d~r Ptrson d~ Tauf~nd~n. Paulus w~ist das zurück. Di~ Apost~l dag~g~n konnt~n mit ih~r Konz~ption daran anknüpf~n. Vgl. Martin, Sla~ry. S. 88. ~Malh~rb~ hat schon in ~in~m Aufsatz ..Antisth~~s and Odyss~us and Paul at War" von 1983 g~z~igt, daß di~ G~talt d~ Od~s~us mit d~r d~ Paulus ~rglich~n wird. Malh~rb~ hat d~n V~rgl~ich vor d~m Hint~rgrund d~r philosophisch~n ~batt~ zwisch~n Stoik~m. mod~rat~n und rigoristisch~n Kynik~m vorg~nom~n. Das ~rd~utlicht, daß Odys~us ~in~ G~talt ist, di~ di~
280 benennt übermäßige Anpassung, Selbsterniedrigung und geheimes Gewinnstreben als die topischen Vorwürfe'. Die Apostel, die ihren l.eitungsan;pruch trnditioneß unter Aufnahme kynischer Traditionen legitimiert haben, haben Paulus wrgeworfen, ein Demagoge zu sein. Wie Od}5seus sei er mWtr,xmrx; Oateinisch: dolosus; 11 Kor 4,2), wie~ der sich als Bettler ~eidet habe. erniedrige er sich selbst und arbeite als Handwerker wie ..alle Demagogen"\ und dabei suche er doch nur seinen eigenen Gewinn3 01 Kor 12, 16f; 2,7).
Die Tiefenstruktur der Position des Paulus Paulus ~eft seine Konzeption der Apostelrolle in Auseinandersetzung mit seinen Gegnern. Dabei wird erneut deutlich, daß Paulus das Positionswechselaxiom in anderer Weise auf die Apostelrolle anwendet als sie. Das betrifft das Verhältnis wn Hoheit und Niedrigkeit in seiner eigenen Pelson und die Vertetlung wn Erhöhung und Erniedrigung auf Apostel und Gemeinde. ln der Auseinandersetzung mit den Gegnern lassen sich drei Strntegien unterscheiden: (1) Paulus behauptet - bei ~iedener Ansicht über die Wichtigkeit der 'Kategorien Gleichrangigkeit mit den Aposteln. Das betrifft die traditioneHe und die religiöse Legitimierung. Er ist Jude wie sie 01 Kor 1,22), er ist Diener Christi wie sie 01 Kor 11,23), er hat VISionen wie sie 01 Kor 12, 1-4) und Zeichen gewirkt wie sie 01 Kor 12, 12). ln diesen 'Kategorien kann er sogar eine quantita~ Überlegenheit behaupten. Er hat mehr Peristasen erlitten, und er ist bis in den dritten Himmel entrückt worden. (2) Paulus spielt den Vmwurf zurück: Die moralische l.egitmierung der Gegner bezweifelt er, so wie die Gegner seine in Frage gestellt haben. Er wirft ihnen Habsucht und Betrug wr 01 Kor 2, 17; 4,2; 11,20). (3) Paulus stellt seine Konzeption gegen die seiner Gegner und beansprucht eine qualitatM, strukturelle Überlegenheit4 • Das betrifft seine Niedrigkeit und seine Fähigkeit, die Gemeinde zu erhöhen.
Die Niedrigkeit des Paulus Paulus legitimiert seine Niedrigkeit, indem er das Repräsentationsmotiv mit dem Imitationsmotiv verschmilzt: 1. ln II Kor 12,7 stellt er sich als paradoxe Repräsentation der ~ Gottes in Schwachheit dar. Er verbindet seine ~ niw Q.~" mit seiner ~~a. in der Weise, daß letztere zum Ausweis der ersteren wird. Die ~ta. hat die Funktion, Hybris wegen der Erhöhung dult'h die Offenbarungen zu \6hindern. Sie ist wm Makel zum philosophisch~n Asp~kt~ d~r A~inand~rsctzung, wi~ si~
Setz. Sokratisch~ Tradition, aufg~z~igt hat, mit d~n politisch~n. wi~ si~ Martin h~rausaf'b(lt~t. ~rbindd. 'Martin, Sla~ry. S.92. ~d., s. 93.96f. Ebd., s. 99. 4 Callan, Pt~ctMs, S. 29. 33, af'b(it~t h~raus, daß Paulus im II Korinth~rbri~f Ra n~w und~rstanding of boasting in th~ Lord" (S. 33) ~ntwickl~. wob~i ~r - ind~m ~r di~ Schwäch~ und das V~rsag~n zum G~g~nstand dts Rüh~ns mach~ - .th~ ordinary idu of boastingR Rupsid~ down" (~bd.) k~h~.
281
Vorzug umgewertet und zum sichtbaren Zeichen seiner reHgiösen Hoheit geworden. Dabei \m\Jcht Paulus nicht, diese Schwachheit direkt auf Gott ZUTÜckzuführen. Als Verursadler gibt er den Engel Satans an. Das spiegelt sich darin, daß Paulus darum bittet, wn ihr befreit zu werden. Auch für ihn selbst ist sie eine last. Seine Schwachheit ist in seiner unmittelbaren Selbstwahrnehmung und in einer unmittelbaren Deutung nicht gottgewollt, sondern Ausdruck der Gottesferne. lndirekt aber entspricht diese Schwachheit dem Willen Gottes. Es ist seine Absicht, einerseits Paulus wr der Hybris zu bewahren•und andererseits die Bedingung dafür zu schaffen. daß seine ~ in ihrer Vollendung wirksam werden kann. Nicht nur, was die Offenbarungen angeht, auch was die ~ betrifft. ist die ao8Mta. des Paulus sichtbares Zeichen für die Gottesnähe des Apostels. Paulus hat seine ao8M~a. religiös legitimiert. Für Paulus gehören Oo6Ema. des Menschen und ~ Gottes zusammen. Gott wird repräsentiert durch einen schwachen Menschen. Philo hatte in seiner Schilderung wn Ex 3 den brennenden Dombusch als Symbol für das Ergehen lsraels gedeutet und darin die Botschaft gefunden: "n>~L,.uiw~irrrrv" (VitMos 1,69). Dieser Satz verwirtdicht sich in der Darstellung bei Philo so, daß Gott dem niedrigen und erniedrigten Volk den Sieg ~eiht durch Mose, der der Mittler der ~ Gottes ist und alle Zeichen der Hoheit und Stärke, aber keines der Schwäche zeigt. Paulus verändert die Verbindung wn Eigenschaften und Rollen. i\o6&m. ist nicht Eigenschaft des Volk~ sondern Merkmal der Hoheitsrolle und Kennzeichen des Mittlers, ~ sind dagegen die Korinther, "das Volk". ~ wird zum spezifischen Merkmal des Mittlers. 2. ln 11 Kor 13, 1-4 bestimmt Paulus das Verhältnis wn seiner Oo6Ema. und ~ erneut in Beziehung zum Onistusgeschehen. Zur Debatte steht, ob Christus in ihm spricht, also ob er in der Lage ist, Christus zu repräsentieren. Seine ~re machte das für die Korinther fraglich. Sie erwarteten Kongruenz zwischen dem erhöhten Christus und seinem Verkündiger. Paulus nun parallelisiert seine ~~a. mit der des gekreuzigten Christus und beansprucht wie der Erhöhte und ~ittelt durch ihn Anteil an der~ Gottes (13,4). Dabei ist die Parallelisierung auf der Seite der ~ stärker. Nur in zwei Punkten unterscheidet sich Paulus wn Christus: die Wirkung seiner Verbindung mit der ~. dem Leben, ist zukünftig, und sein Ante~l daran ist ~ittelt. Auf der Seite der ~ ist die Beziehung diffuser. Er ~rtet seine ~Ja. im Geltungs- und Wirkungsbereich deljenigen ao8Mra., die bei der Kreuzigung Christi wirkmächtig war. Paulus geht damit einen Schritt weiter auf dem Weg, die ~ mit Gott in Verbindung zu bringen. Einerseits ist sie auch hier nicht direkt mit Gott \6bunden. ln 13,4a stehen zwar ~ a.o8aEi~ und hc ~ parallel, wobei ersteres die Kreuzigung Christi, letzteres seine Erhöhung begründen, unmittelbar auf Gott bezogen ist aber nur das zweite Glied. Paulus wagt es nicht, wn der ao8Mta. Gottes zu sprechen. AndereJSeits ist die ~ mit dem Kreuzesgeschehen \6bunden und damit als Ausdruck des hellschaffenden Wirkens Gottes durch Christus erwiesen. Der gekreuzigte Christus hält Oo6Ema. und Gott zusammen. Wenn er nun seine ~ta. mit der des gekreuzigten Christus in Verbindung bringt, ohne sie streng zu parallelisieren, wagt er ~ wrerst gebrochen und wrsichtig, sie als Ausdruck der ··~ist Passivum Divinum.
282 imitatio Gottes zu behaupten. Damit versucht er die Integration seiner ~ra. in die Hoheitsrolle und ihre Legitimierung zusätzlich über das lmitationsmotiv. 3. n Kor 4,7-15 dokumentiert, daß Paulus diesen Weg zu Ende gegangen ist. Er legitimiert seine ~ jetzt auch über das lmitationsmotiv', indem er es mit dem Repräsentationsmotiv verschmilzt: Die imitatio Christi wird zu dessen Epiphanie. Die Schwachheit des Paulus ist Ausdruck der Übernahme der Rolle des Gekreuzigten. ln ß Kor 3,4-4,6 hatte Paulus für seinen Dienst~ reklamiert. Von 11 Kor 4,7 an ist die Niedrigkeit des Apostels Thema. ln 4,7-15 formuliert er seine Position. ln 4, 16-18 und 5,1-10 expliziert er sie im HinbHck auf die Vomellungen wm ..äußeren und inneren Menschen" in philosophisdlen Kategorien und hinsichtHch der Vomellung wm irdischen und himmlisdlen Gewand in apokalyptisdlen Kategorien1 • 4,7 formuliert das Paradoxon. Die Hülle der ~ ist ein ~ m<Eixx;". Zerbrechlichkeit1 und ~ sowie Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit werden zueinander in Beziehung gesetzt. Als causa finalis gilt der Ausschluß der Konkurrenz wn göttHcher und menschHcher Größe. Nur wenn Gottes ~ in niedrigen Menschen wirksam ist, ist diese Konkurrenz \mnieden. Paulus greift die alte Forderung nach der Selbsterniedrigung der Mächtigen bzw. die Überlieferung wn der Erhöhung der Demütigen auf. Die Verse 8- 11 erläutern, was das für die Person des Apostels bedeutet. Die Verse 8f erläutern das Bild wm ..zerbrechHchen Getaß" mit einem Peristasenkatalog. Die Verse 10 und 11 sind parallel. Sie beziehen diese Peristasen, mithin die Niedrigkeit des Apostels christologisch und geben in ihren zweiten Satzgliedern die causa finalis für den leidenden Apostel an: Es geht um das Offenbarwerden des Lebens Jesu an seinem empirischen l..elb. Die Verse 1215 führen aus, was das für das Verhältnis wn Apostel und Gemeinde bedeutet Vers 12 zieht die Folgerung aus den Versen 10f. Der Apostel gehört auf die Seite des Todes, die Gemeinde auf die Seite des Lebens. Die Verse 13-15 konkretisieren das in der Verkündigung. Die Schilderung der Pmstasen bleiben allgemein. Das zeigt sich schon an dem wrangestellten J.v TffWf1": Paulus beschreibt nicht die konkreten Gefahren und Lasten seines Lebens. sondern charakterisiert das apostolisdle Leben als eines, das wn Lebensangst und Lebensgefahr bedroht ist und dennoch bewahrt winr. Vers 10 und Vers 11 deuten diese "apostolisdle Ohnmacht': Beide Sätze beginnen mit ~llgemeinernden Partikeln, charakterisieren also wie der Peristasenkatalog das apostolische Leben als solches. Paulus \ei"Steht sich als einer, der die Rolle des sterbenden Christus aufnimmt und weiterträgt. Vers 10 bezeichnet mit ~ nxi 'l'l'}t7txl- den Vorgang des Sterbens des lrdisdlen, Vers 11 zitiert das Kreuzesgeschehen mit "~.. erneut. Mit der Vgl. Cartc:r, ~rv.mt-Ethic, S. 68-72. i>amit grc:ift c:r ~rmutlich Modtllt auf, die: in korinth gc:läufig warc:n. Vgl. Hc:ckc:l, Mc:nsch, S. 1
108ff.
8amtt, ~cond Corinthians, S. 1J7f, c:rgänzt, daß so auch das Billige: und Wc:rtlo~ bc:zc:ichntt wc:rdt. 4 Andc:rs als in TtsUos 1 wirkt das Handtin Gottc:s nicht trhöhtnd. Es wird nur die: drohtndt Vc:michtung nicht zugc:las~n. 1
283
Rollenaufnahme repräsentiert Paulus Qnistus. er imitiert ihn aber audl. Sein Leben als andauerndes Sterben bildet das Kreuzesgeschehen ab. Die beiden ~Sätze halten daran fest. daß Paulus selbst Ante'll am Leben Jesu hat und es an ihm offenbart wird. Diese Ba.Sätze korrespondieren den Q).M...Sätzen des Pmstasenkatalogs. Indern Paulus bewahrt wird, wird das Leben Jesu an ihm offenbar. Dabei geht es um die letblidle Existenz des Apostels. Vers 12 nennt das Ziel dieses Sterbeprozesses mit Offenbarungscharakter: Es ist die Emöhung der Gemeinde als Folge der Verkündigung des ..sterbenden" Apostels. Im Mosebild des Philo repräsentierte Mose als idealer Henscher fUr die Niedrigen Gott, indem er sich um ihre Belange kümmerte und damit Gott nadlahmte. Es ist die Henscherrolle, in der Repräsentation und Imitation Gottes zusammenkommen. Paulus nun repräsentiert den sterbenden Dlristus und ahmt ihn nadl, indem dun:h seine Niedrigkeit das Leben an der Gemeinde wirl<sam wird. Paulus deutet seine Niedrigkeit dlristologisch und soteriologisch. Sie ist Aufnahme der Christusrolle und dient damit der Emöhung der Gemeinde•. Die Erhöhung der Gemeinde durch Paulus 1. Wie Paulus die Emöhung der Gemeinde vermittelt, beschreibt er in 11 Kor 3,7-4,7 in Gegenübersteßung zu einem Konzept, für das die Mosefigur in phiionischer Darstellung steht. Dort hatte Mose als Hierophant gegolten, dessen Mittlerposition dun:h die ~ auf seinem Angesicht kenntlidl war und der Modell fUr die wurde, die zu Gott aufSteigen wollten. Paulus grenzt sich in dm Hinsidlten wn dieser Konzeption ab. (1) Er madlt Mose wm Hierophanten zum Vertreter des alten Bundes und reklamiert für den neuen Bund eine Überbietung des alten Bundes. (2) Er findet diese Überbietung darin, daß die Herrlichkeit, die der neue Bund verletnt, u~änglich ist. Das ist eine Folgerung daraus, daß der neue Bund den alten überboten har. Die Vergänglichkeit der ~ des Mose bezieht er nun audl auf die, die auf seinem Gesicht lag. Das ~ wird zum Symbol der mißlingenden Vermittlung. Paulus wriiert das: Die Decke liegt auf Mose, auf dem Alten Testament und auf dem Herzen der Leser. Mose taugt nicht zum Modell - eben deswegen, wetl er seinen durch die Gottesbegegnung erzielten hohen Status schützen will und die Vergänglidlkeit seiner ~ \6birgt. M.E. spricht Paulus mit Anspruch auf Grundsätzlichkeit und mit Blick auf seine Gegner: Wer die Zerl>rechlidlkeit und Vergänglichkeit seiner irdischen Existenz nicht eingesteht, taugt nicht zum Mittler und wird zum Betrüger. (3) Paulus deutet das Bild neu. Mose ist der Typos der Glaubenden, nicht des Apostels. Und auch darin ist er ein Vorgänger und nidlt ein Modell. Die Glaubenden sehen den Kyrios, wie Mose ihn gesehen hat, und werden in sein Bild verwandelt, dabei erhalten sie blet"bende ~ Die Dlristusbegegnung, die die Glaubenden erhöht und sie dem gleichstellt, dessen Gotteserkenntnis als unüberbietbar galt, und die sie gar dem Kyrios selbst gleichgestaltet, erfolgt ohne rnenschlidlen Mittler. ln der Bilderwelt SaVclgt, Powtr, S. 164-182, kommt zu ähnlichtn Ergtbnisstn.
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\lgt. Haftmann, Paul, MostS, S. 333: R•" at tht bast of Paul's argumtnt is tht contrast bttwttn -rO
~ea.~11 and TCi ".bool in 3, II ... R, was auf dlt Zwti-Äontn-~h~ zurOckwtise.
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von Ex 34: Die Glaubenden gehen selbst in das Zelt der Gottesbegegnung hinein. Sie brauchen keinen, der ihnen die Kunde von Gott nach draußen brächte. ln II Kor 4,1-7 beschmbt er die Funktion des Apostels in diesem Prozeß. Die Apostel, die sich zum Mittler machen, ~ndigen sich selbst. Das M Paulus eben nicht: Er ~digt den Herrn und übernimmt die Roße des ~ der Gemeinde (4,5). ln Vers 6 greift Paulus auf sein Bekehrungserlebnis zurück, um zu skizzieren, wie er diese Roße ausffillt. ln seinem Herzen leuchtete der lichtglanz der Gottesbegegnung auf. Paulus trägt also den Widerschein seiner Ouistusbegegnung und -erkenntnis nicht auf dem Angesicht, sondern innerlich im Herzen. Dabei ist das Aufleudlten dieses lidltglanzes der Sdlöpfung vergleichbar. Das Herz des Paulus ist bereits "Neuschöpfung". Und dieses Herz madlt er in seiner Verkündigung öffentlidl 01 Kor 3,2). Die sidltbare Hülle, seine le~blidl-seelische Existenz, steht noch unter der Henschaft des Tod~ wie er in II Kor 4,7-11 ausfUhrt. 2. ln II Kor 2, 14 \6\Yendet Paulus die zwei Metaphern wm Triumphzug und wm Wohlgerudl, um seine Rolle zu beschl"eeben. Die Einleitung dllll'h eine Danksagung an Gott zeigt, daß diese Rollenübernahme gottgewollt und wn der Zustimmung des Paulus getragen ist. Der Zusammenhang der beiden Metaphern ist eng: Fs handelt sich formal um zwei Partizipien, die die einleitende Danksagung explizieren; inhaltlidl beschreibt die erste Metapher das Verhältnis wn Apostel und Gott, die zweite ergänzt die Beziehung des Apostels zu den Menschen. Die erste Metapher bestimmt Paulus als einen Gefangenen im Triumphzug'. Das Wort bedeutet ~ls Gefangener im Triumphzug mitgeführt werdenoü. MaJ5haß 1 hat dargelegt, daß ~ zur Metapher für "bloßstellen, beschämen, vorführen" gebraudlt wird, und argumentiert dafür, daß Paulus sidl im Blick auf seine Erfahrungen in Karinth und auf die Reaktion der Menschen auf seine t:i.o6Bea. vorsätzlidl in eine schändlidle und beschämende Rolle fügt. Er stehe zu seiner Niedrigkeit und betrachte die damit ~undene Beschämung als gottgewollt Er halte damit daran fest, daß Gott siegreim durdl ihn ist, obschon er eine sozial deklassierte Rolle innehabe•. Die Übernahme der Rolle des Gefangenen im Triumphzug erinnert an zwei andere Rollenübernahmen: (1) Paulus übernimmt den letzten Platz in der Re~lle der Apostel, we1l er die iKKJ.apia. Gottes verfolgt habe 0 Kor 15,9). Er ist der überwundene Feind im 'Das Vrrb Bpt~ brdrutrt .als Grfangrnrr im Triumphzug mitgrführt wrrdrn·. Di~ Brdrutung ist als unzurtichrnd und als drn Absichtrn d~ Paulus zuwidrrlauftnd rmpfundrn wordrn. Es gibt d~wrgrn rinr Rrihr von Vorschlägrn, das Vrrb andrrs zu drutrn. Mit Rücksicht auf dir Absicht d~ Paulus, srinr apostolischr Vollmacht zu brhauptrn, wird vrrtrttrn, Paulus vrrglrichr sich mit rinrm mitzirhrndrn Soldatm (Barrttt, Stcond Corinthians, S. 98), rinrm Hrrold im Zug (Windisch, 2. Korinthrrbrirf, S. 97), odrr rr wollr nur srinr rngr Vrrbindung mit Gott aussagrn (Wolff, 2. Korinthrrbrirf, S. 54f). Bultmann, 2. Korinthrrbrirf, S. 66ff, spricht sich dafür aus, dir .abgrgrifftnr· Brdrutung .öffrntlich rinhrrführtn, brkanntmachrn· zu untrrlrgrn, brtont dabri abrr, daß Paulus sich als Übrrwundrnrr srhr. \tgl. dir ausführtlehr Übrrprüfung bri Haftmann, Spirit, S. 29-39, bn. 34. JMarshall, 8PIAMBHTHIN, S. 304. 4 Marshall, rbd., S. 315f. Di~ [)(utung findrt wrnig Zustimmung. Wolff, 2. Korinthrrbrirf, S. 54f, wrist sir (im w~ntlichrn ) dadurch zurück, daß rr brhauptrt, Paulus brabsichtigr, .srinr hrrausragrndr Funktion als Vrrkündigrr· zu brtonrn. [)(r Asprkt drr Grfangrnschaft sri nicht wichtig, und ~ grhr ~ntlich um dir öffrntlichr Rollr und di~ Abhängigkrit von Gott.
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Siegeszug Gottes'. (2) Paulus übernimmt die Roße des Todgeweihten in der Arena und betrachtet sie als gottgegeben 0 Kor 4,9f. Dieses Ende drohte den Gefangenen im Triumphzug. Paulus übernimmt in dem Geschehen, durrh das Gott seine Henschaft öffentlich demonstriert und durchsetzt, die niedrigste der wrgesehenen Roßen, dun:h die er beschämt wird und die seinen Tod wahrscheinlich macht Die zweite Metapher sieht Paulus in der Funktion eines Mittlers oder Mediums1 der Offenbarung (~) und beschmbt ihn als Träger-..Substanz" des Wohlgeruchs. der wn Onistus ausgeht Er kann Leichengeruch sein oder lebenshauch, kann Tod oder Leben wirken. Mit der Metapher wm Wohlgeruch Onisti steht ffir die Menschen mit ihrer Haltung zum Apostel ihr eschatologisches He.1 auf dem Spier. Scottsund Duffhaben die Metapher wm Triumphzug auf die Triumphzüge der Gottheit bezogen, in deren Verlauf die Gottheit epiphan wird, und sie mit der Mittlerfunktion des Apostels in der zweiten Metapher ~unden. Scott wm den Einfluß der jüdischen Merlemehmen, war im Neuen Testament hemchaftskritisdl und hatte die Funktion, eine Altema~ zur Gesellschaft zu ermögtichen. 1m ersten Oemensbrief und in den lgnatiusbriefen dient sie der Stabilisierung innerkirchticher Henschaft.
19. Kapitel: Zusammenfassung des dritten Teils Die Untersuchung der synoptisdlen Tradition und der Korintherbriefe hat ergeben, daß im Urchristentum Demut als soziale Tugend aus der Deutung des Onistusgeschehens mit dem Positionswedlselaxiom entwickelt worden ist. Diese Deutung konnte an der Bedeutung, die das Positionswedlsellogion für die Verkündigung des historischen Jesus und die es eventuell für sein Verhalten den Kindem gegenüber hatte, ansetzen. Jesus sagt eine Umkehrung der VerhältnBie an; er selbst und seine Jünger übernehmen in der Gesellschaft eine niedrige Position und ~inden damit das Bewußtsein, in der Mitte der Welt Gottes zu stehen. ln den kleinen Einheiten der synoptisdlen Tradition wird das weiterentwickelt: Menschen mit hohem Sozialstatus. die in Kontakt mit Jesus treten wollen und Anteil erlangen wollen an dem Hell, das er \6'körpert. müssen ..sich selbst erniedrigen", indem sie die Position der Niedrigen übernehmen. Das betrifft die Selbsteinschätzung (Mk 7,28) und die tatsächlichen ~ältnBie (Mk 10,21). Menschen mit niedrigem Sozialstatus dagegen erfahren durch die Haltung Jesu ihnen gegenüber eine Aufwertung (Mk 10, 13- 16; 12,41-44). Jesus selbst wird dabei als der demütige König geschildert, der den Niedrigen gerecht wird, ihre Position te1lt und damit eine Altema~ zur römischen Henschaft \erkörpert. Bereits in den kleinen Einheiten ist die Deutung der Verkündigung und des Verhaltens Jesu mit einem paränetisdlen Impetus ~unden: Sta~cht ist eine Bedingung der Nachfolge, die Hochschätzung der "Kleinen" und die Fülsorge für sie eine Folge dawn; \mteht man die Passionsgeschichte als "Konftiktparänese" •, ermutigt sie dazu, im Konflikt mit Mächtigeren, sich nicht zu demütigen und am Bewußtsein der eigenen Hoheit festzuhalten. Auf redaktionsgeschichtlicher Ebene zeigt sich, daß alle drei Ev.mgelisten mit dem Positionswechselaxiom wichtige Anliegen ihrer Evangelien gestaltet haben. Für Mk Qllt das deswegen in besonders großem Maß, we1l er - anders als Mt und ll - die Gestalt Olristi der bestehenden Gesellschaft in ihrer jüdischen und römischen Gestalt durch das Positionswechselaxiom entgegensetzt Der mk Jesus steht im Gegensatz zur jüdischen Gesellschaft: Er legitimiert seine Position ausdrücklich nicht aus dem Recht der Väter und stellt dem Identitätsentwurf der Schriftgelehrten einen eigenen gegenüber, wodurch er ihre Feindschaft auf sich zieht. Symbolisch zeigt sich das daran, daß für Mk Gahläa und Jerusalem die Position wechseln: Gahläa wird zum neuen Zentrum, .Jerusalem rückt an den Rand. Der mk Jesus steht aber auch im Kontrast zur römischen Herrschaft: Mit seinem Auftreten beginnt die Aufrichtung eines menschenfreundtichen Reich~ das die römischen Macht ablösen wird. Jesus als Henscher dieser anderen Gesellschaft wird wn Mk mit Hilfe 1 Th~i~n.
Lokalkolorit, S. 210.
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des Positionswechselaxioms gezeichnet: Jesus richtet seine Henschaft auf, indem er seine Hoheit, die in der nicht-menschlichen Welt mannt wird, ~ed