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-507. 15 So Boismard, L'Apocalpyse; ders., L'Apocalypse traduite 11 f. 16 Kraft, Offenbarung 12,15 f.; vgl. Prigents These zweier Editionen der Apk durch ihren Autor (L'Apocalypse 371). 17 Ramsay 3>-39, Zitate 37,39.
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Der hypothetische Charakter dieser Ausführungen ist offenkundig. Sie konstruieren psychologisch-literarisch und werden in der Deckbriefthese der Rahmung der gesamten Apk von 1,4f. bis 22,21 durch das Briefformular nicht gerecht. Zu Recht werden sie schon von den kritischen Kommentaren Swetes (1906,21907) und Charles' (1920) nicht übernommen 18. Trotzdem wirken sie im angelsächsischen Raum bis heute nach 19. In denJ ahrzehnten nach Ramsay treten die literarkritischen zugunsten religions-, traditions- und zeitgeschichtlicher Fragestellungen in den Hintergrund. Erst im letzten Jahrzehnt gibt es mit den Kommentaren Krafts (1974) und Prigents (1981) gewichtigere neue, bei aller Methodenvielfalt auch gezielt literarkritisch arbeitende Vorstöße 20 • Wie schon bei Ramsay hängen bei ihnen die literarkritischen Entscheidungen mit interpretatorischen Anliegen zusammen: Kraft geht es darum, den Apk-Autor seinem Selbstverständnis nach "als Fortsetzer und abschließende(n) Ausleger der alttestamentlichen Prophetie" zu zeigen, der in seinem Werk einen "ursprüngliche(n), Gott als alleinigen Herrn der Geschichte zeigende(n) Entwurf' - die Siegelvision - sukzessiv erweitere 21 • Das so entstandene Werk erhalte durch seine briefliche Rahmung (inklusive Sendschreiben) eine nachträgliche Ausstattung mit besonderer Autorität, und zwar entweder durch denselben Autor oder durch einen eigenen Autor der Sendschreiben, der auch die ihm in ihrem Kern bereits vorliegende "Berufungsvision" (1,9-20) entsprechend bearbeitete 22 . Prigent liegt demgegenüber an der Aktualisierung und Zuspitzung der Botschaft einer angeblichen Erstausgabe der Apk aus einer zeitgenössischen Situation heraus und auf diese hin. Daher geht er literarkritisch nicht von einem sukzessiven Wachstum der Apk aus, sondern von nur zwei literarischen Stufen, wobei er die für Kraft zugewachsenen Abschnitte 1,1-3 und 1,4-8 18 Swete betrachtet die Apk als einen (nicht-fiktiven) Rundbrief Johannes' an die angegebenen kleinasiatischen Gemeinden (XLI,XCIV,CVI u.ö.), sieht diese Form aber als im Corpus des Werks nicht aufrechterhalten an; bereits 1,9 erfolge der Übergang zur apokalyptischen Schreibweise, die die Apk einschließlich der Sendschreiben präge (XLI). Charles betrachtet die Apk als nach dem Prolog von 1,1-3 insgesamt brieflich (Revelation I XXIIIf.), möchte aber noch näherhin in 1,4-20 einen Brief Johannes' an die sieben Kirchen (a.a.O. XXIV) sowie in 2-3 seine Neuausgabe ursprünglich selbständiger, an die kleinasiatischen Gemeindenjahre vor Abfassung der Apk verschickter Briefe sehen (a.a.O. 37-47). 19 S. zuletzt Tengbom 485 und Court 20f., 24ff. (25 Ausführungen zur Wirkungsgeschichte Ramsays) u. ö., der Ramsay freilich in der Verfasserschaftsfrage nicht folgt. 10 Als weitere Beispiele für das neue literarkritische Interesse sei auf Stierlin, Whealon und Rousseau - der u. a. 66ff. eine eigene "apocalypse des leures" (66) herausstellt verwtesen. 21 Kraft, Offenbarung 11-16, Zitate 16,14. Zu Krafts Literarkritik vgl. bereits diejenige Bultmanns, Rez. Lohmeyer 508 (von Kraft seinem Literaturverzeichnis nach freilich nicht benützt). 22 A.a.O. bes. 14f. (Zitat 15). Auch 1,1-3 gilt ihm als zugewachsen (94 nach 18).
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zur von ihm angenommenen nichtbrieflichen Erstausgabe der Apk rechnet, die sich von Kapitel 4 bis 22,15 fortsetze, und die Eingangsvision 1,920 in ihrer Gesamtheit mit den Sendschreiben, einzelnen Änderungen im Corpus und 22,16ff. zu den Ergänzungen zählt, die der unzweifelhaft selbe Autor bei der Zweitausgabe seines Werkes vornehme 23 • Dieser Autor, der in den Visionen der Erstausgabe den Sieg Christi über die Götzen verehrende Welt verkündet hatte, habe sich nämlich angesichts der Gefährdung der Kirche durch Leichtfertigkeit und zu gutes Einvernehmen mit den zeitgenössischen Religionen gedrängt gesehen, seine prophetische Feder neu aufzunehmen, um im Auftrag Christi feierlich zu verkünden, daß es christlich sei, sich dem Feind unversöhnlich zu widersetzen und so in der (Leidens-) Nachfolge Christi zu siegen 24 . Die literarkritischen Scheidungen Krafts und Prigents heben sich gegenseitig teilweise auf. Schon dies zeigt die Problematik ihrer Thesen zu den brieflichen Zügen der Apk, die in ihrer Einzelargumentation nicht haltbar sind: Kraft stellt, um den nachträglichen Anspruch besonderer Autorität für die Apk durch den Sendschreibenverfasser zu erweisen, die "Botenworte" der Sendschreiben, die durch die briefliche Rahmung der Apk gezielt und verbindlich würden, in den Kontext der "ältesten Hirtenbriefe" Uoh-Briefe, Ign, I Clem ... ), in denen "Charismatiker, die sich selbst bereits als Überbringer von Botschaften verstehen", ihre'Wirksamkeit mittelbar fortsetzten, wobei auch das paulinische Vorbild eine Rolle spiele. Aus der analogen Praxis der Zusammenstellung solcher Briefe durch die Gemeinden zu Siebenergruppen ersehe er, "daß der Verfasser der Sendschreiben dem Buch ein Briefcorpus vorausschicken wollte, das durch die Zahl der Briefe ,katholische', d. h. ökumenische Geltung beanspruchen konnte." Damit werde "auch rur den Rest des Buches, rur die eigentlichen Visionen, die Autorität beansprucht, die sonst nur den Hirtenbriefen zukommt. "25
Ein etwaiges konkretes Rezeptionsinteresse der Apk tritt hinter das allgemeine Interesse an Gezieltheit und Verbindlichkeit zurück - charakteristisch spricht Kraft nicht von ihrer brieflichen, sondern ihrer "briefartig(en)" Fixierung 26 • Doch ist schon sein Schluß von einem solch sekundären Griff zur Briefform auf eine besondere Inanspruchnahme von Autorität keineswegs zwingend: Die ihm dafür entscheidenden Parallelen sind das sich aus 2 X 7 Briefen zusammensetzende Corpus Paulinum, die sieben katholischen Briefe im Neuen Testament, die sieben Ignatius- und
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fugent, L'Apoca1ypse 371 f. A.a.O. 39, vgl. bes. 374f. Kraft a.a.O. 27f., erstes Zitat 27, weitere Zitate 28. A.a.O. 28.
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die sieben (+ I) Briefe des Dionys von Korinth nach Euseb17 . Doch kennt erstmals Clemens Alexandrinus 14 Paulusbriefe und ist die Bedeutsamkeit der Siebenzahl ihrer Adressatengemeinden nicht vor dem Canon Muratori am Ende des 2.Jh. belegt18. Die Siebenzahl der katholischen Briefe "ist nicht absichtlich geschaffen, sie hat sich in langsamer, wechselvoller historischer Entwicklung ergeben"19. Das Ign-Corpus ist alten Ursprungs, aber in seinem jetzigen Umfang schwer vor das 4.Jh. zurückzuverfolgen 3o . Der Umfang des Corpus des Dionys von Korinth, der z. Z. Soters (um 170) schrieb (h.e. IV 21,9), ist unklar31 . So erlaubt auch Krafts Spätdatierung der Sendschreiben auf ca. 110-114/115 - immer noch kurz vor die Ignatianen 31 - seine Rückschlüsse von diesen Textgruppen auf die Wahl der Briefform in der Apk nicht. Seine These läßt sich ohne Zwang nicht aufrecht erhalten. Die sachliche Problematik von Prigents Beurteilung der brieflichen Züge der Apk liegt an anderer Stelle: Obwohl er die Rezipientenorientierung der seiner Ansicht nach zweiten Ausgabe der Apk in ungleich stärkerem Maße ins Auge faßt, setzt er nach wie vor die Ablehnungjedes brieflichen Charakters des Apk-Corpus voraus. Notwendige Folge davon ist die tendenzielle Entbrieflichung der Adresse 1,4-8, die für ihn ja zum ursprünglichen Werk mit dem Visionscorpus gehört. Er erreicht sie, indem er den brieflichen Charakter dieser Verse wie von 22,21 zwar feststellt. sie aber kultisch-liturgisch interpretiert. Seine Berechtigung dazu sucht er über die gottesdienstliche Briefverlesung, aufgrund derer der Apk-Verfasser "avait l'espoir, ou la certitude, que le livre entier serait I'objet d'une lecture cultuelle." Er steht damit in der Tradition der liturgischen Interpretation der Apk und entfaltet sein Verständnis von Apk 1,4-8 näherhin als das eines "dialogue liturgique", wofür er sich auch auf die in diesem Zusammenhang weitestgehende Behandlung durch Vanni beruft 33 . Ebd. Vgl. Kümmel, Einleitung 434 und CanMur Z.47fT. (dazu o. Exkurs I b). Die Behauptung eines älteren Siebenercorpus von Paulusbriefen, wie sie von Gooclspeed und anders von Schmithals, Paulus bes. 185-200 vertreten wird, bleibt rein hypothetisch; rur den gegenwärtigen Forschungsstand zur Geschichte des paulinischen Briefcorpus s. Lindemann, Paulus 3~33. 29 Kümmel a.a.O. 342, vgl. 437fT. 30 Hamack, Briefsammlung 30fT.; Fischer, Apostolische Väter III f. Polyk 13,2 äußert sich nicht über die Zahl der Ignatianen. 31 Von den bei Euseb genannten 7 + I Briefen des Dionysos läßt sich der an Chrysophora mit gewisser Berechtigung abtrennen, da Euseb ihn 23,13 gesondert anführt. Doch Harnack macht a.a.O. 37 sehr wahrscheinlich. daß das Antwortschreiben des Pinytus (23,8) sich - vielleicht schon seit Dionys selbst - in der Sammlung befand. 32 Kraft a.a.O. 29,93f. 33 Prigent, L'Apocalypse 15-21,361-363 (Zitate 15,363; Berufung auf Vanni 15 Anm. I); zum liturgischen Interesse vgl. ders., Apocalypse et Liturgie 7-10 und passim. 27
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J-anni hatte 1971 Boussets Beurteilung von 22,21 als gottesdienst bezogenen Grußes aufgenommen und in ihr wie in der Herausstellung liturgischer Bezüge der Apk durch Lohmeyer eine Bestätigung seiner These gesehen, die Apk sei fUr eine liturgische Verlesung bestimmt, die nach 1,3 genauer zu erheben sei 34 • 1976 führte er dies fUr 1,4-8 durch: Der Prolog der Apk lege in 1,3 die Hypothese eines liturgischen Dialogs nahe, der sich zwischen dem Vorleser und den Hörern entwickeln könnte. 1,4 a betone im Bezug der Apk auf die Kirche diese liturgische Bestimmung und fUhre bereits die "fisionomia" der Dialogpartner ein. Der Vorleser verkörpere Johannes; die Hörenden seien konkret eine der Kirchenversammlungen, an die der Vorleser sich wende. Darauffolge in 1,41:r8 der Dialog selbst, wobei Vanni dem Vorleser 4 b-5 a. 7 (außer val, aJ,ltlv) und 8, der Gemeinde 5 b-6 und das vaL, aJ,ltlv von V. 7 zuspricht 35 . Damit lassen sich literarische Spannungen des Abschnitts lösen, aber nur auf Kosten einer gewaltsamen Exegese: Der Schluß auf einen Dialog zwischen Vorleser und Hörern ist der Seligpreisung 1,3 nicht zu entnehmen, die durch das beiordnende xaL beide gleichermaßen den Worten der Prophetie zuordnet und unterstellt. In der Erklärung von 1,4a vernachlässigt Vanni alle formgeschichtlichen Bezüge zur Briefliteratur, ohne eine einzige Parallele beibringen zu können, die seine Deutung als Übergang zum liturgischen Dialog stützt; der Schluß von Johannes auf den ihn verkörpernden Vorleser und vom Plural der Adressatengemeinden auf die eine Gemeindeversammlung, an die sich der Vorleser jeweils wende, vergewaltigt den Text.
Prigent schließt sich Vannis Negierung des brieflichen Charakters der Apk-Adresse nicht an. Damit erhält aber auch die Grundkonstruktion des liturgischen Dialogs, die er übernimmt, Sprünge: Er muß sich zu 1,4-6 auf eine reine Sachinterpretation beschränken, ohne einen Dialogbeginn benennen zu können; erst im alATJv v. 6 gehe "fut-ce fictivement" das Wort an die Gemeindeversammlung. Die Vv. 7 und 8 sieht er als Worte des Propheten bzw. Gottes durch dessen Mund an; zum vaL, alATJv von V. 7 stellt er zwar den möglichen liturgischen Hintergrund eines zweisprachigen Doppelausdrucks (vgl. Mk 14,36), aber zugleich auch heraus, daß vaL-Antworten in der Apk nie aus der Umgebung von Menschen kommen (s. 14,13; 16,7; 22,20)36. Einzige klare dialogische Zuweisung an die Gemeinde bleibt also das Amen von V. 6, das jedoch den frühchristlich geläufigen Formularschluß einer Doxologie nach der Ewigkeitsformel darstellt (vgl. in der Apk noch 7,12)37, womit sich der behauptete Dialog in die faktische NichtfeststeIlbarkeit verflüchtigt. Das aber bedeutet, daß ein unmittelbarer Einbezug liturgischer Vorgänge als Interpreta34 Vanni, Struttura IHf.; vgl. Bousset, Offenbarung 460 und Lohmeyer, Offenbarung 183 (vgl. 9 u. ö.). 35 Ders., esempio 458 (Zitat), 460f. Weitere liturgische Dialoge sieht Vanni im Epilog von Kap. 22 und vielleicht in Kap. 18 (461). 36 Prigent, L'Apocalypse 15-20 (Zitat 19). 37 Näheres zum frühchristlichen Amen s.Jörns 85fT.
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tionsschlüssel zur Erfassung des brieflichen Rahmens der Apk ausscheidet. Die briefliche Fassung schon von Prigents angeblicher Erstedition der Apk kann und darfinterpretatorisch nicht ihrer Aussagekraft entkleidet werd~n. Nicht erst eine zweite Edition, sondern das ganze Werk ist brieflich aktuell auf eine bestimmte Situation hin geschrieben.
0.2.3 Die Linie der interpretatorischen Vernachlässigung der brieflichen Züge der Apk von Bousset bis zur Gegenwart Bleibt die Literarkritik mit ihren Scheidungsversuchen und zusätzlichen Hypothesen also eine überzeugende Erklärung der brieflichen Züge der Apk schuldig, so läßt sich dem doch keine längere und konsequente Linie scheidungsfreien Erfassens der Rezipientenorientierung der Apk entgegensetzen. Denn bereits die Interessenverlagerung weg von der literarkritischen Betrachtungsweise der Apk um die Jahrhundertwende war nicht mit neuer Blickwendung auf deren briefliche Züge verbunden, sondern im Gegenteil mit deren folgenreicher Abwertung und Vernachlässigung. Die SchlüsselsteIle nimmt dabei Bousset ein, der in seinem Kommentar (1896, 2(=6) 1906) eine zurückhaltend literarkritische und zeitgeschichtliche mit der von Gunkel für die Apk neu eröffneten religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise verbindet J8 . Denn in seiner bahnbrechenden und nach Lücke wegweisenden Interpretation der Apk als einer Apokalypse im Konnex der "Literaturgattung der Apokalyptik" (sic!)J9 treten ihre brieflichen Züge naturgemäß in den Hintergrund: Nach der wahrscheinlich vom Apk-Verfasser nachgetragenen" Überschrift" 1,1-3 bildeten 1,4-20 lediglich die "Einleitung zu dem (!) am Anfang des Buches stehenden Sendschreiben"; die BriefTorm sei dabei auch 1,4-6 "nur fingiert". Die Sendschreiben Kap. 2; 3 erscheinen entsprechend als keine wirklichen Briefe. "Nichts spricht vielmehr dagegen, daß die Apk von vornherein für die Gesamtkirche [... ] als Vorlesungsbuch bestimmt war, daß die sieben Sendschreiben von vornherein nicht als einzelne Briefe, sondern als literarisches Ganzes gedacht sind. Es sind zwar konkrete Zustände in den einzelnen Gemeinden behandelt, aber diese sind typisch für die Gesamtkirche. " Aufgrund seiner Behandlung von 1,4-3,22 als eines fiktiven Sendschreibens kann Bousset dann in 22,21 keinen Briefschluß mehr annehmen. So behandelt er diesen Vers ohne nähere Erläuterung oder Beleg als "übliche(n) Gruß". Dessen ungewöhnlichen Ge38 S. bes. Bousset a.a.O. 118f., 119fT.; vgl. Gunkel 171-398. Als Vorarbeit zum Kommentar sieht Bousset seine Studie Antichrist an. 39 S. bes. die Grundsatzausftihrungen a.a.O. 1 f. (Zitat 1).
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brauch in einer Apokalypse erklärt er "damit, daß der Apok. [== Apokalyptiker] sich hier an die Hörer im Gottesdienst wendet. "40 Boussets Beurteilung von 22,21 wird in der darauffolgenden deutschen Forschung zwar nicht übernommen 41 . Doch seine Bewertung, genauer: seine Abwertung der brieflichen Züge der Apk im allgemeinen, die Lückes Entscheidung ohne ausdrücklichen Bezug auf diesen im wesentlichen wiederholt, setzt sich weithin durch. So sieht etwa Wmdland (2 und 31912) die "briefliche Einkleidung" der Apk als "Fiktion" an. Lohmtytr (1926, 21953) versteht die Apk als ein für dir gesamten urchristlichen Gemeinden bestimmtes "Buch(es), das sich äußerlich in die Form eines Briefes ,an die sieben Gemeinden' (1,4) kleidet." Und auch Hadorn (1928) nennt die zur apokalyptischen Literatur gehörige Apk "literarisch ein ganz anderes Gebilde" als die neutestamentliche Briefliteratur, obwohl sie mit dieser "durch die Zueignung an die 7 Gemeinden und die in Kap 2 und 3 enthaltenen Botschaften an dieselben einigermaßen [ ... ] verbunden" sei 42 • Nur Zahn (1924/ 26) hält in diesen Jahrzehnten unzeitgemäß an der echten Brieflichkeit der gesamten Apk - übrigens unter Ablehnung jeglichen brieflichen Charakters der Sendschreiben - fest: Sie sei als ein einziges "Sendschreiben" über die sieben Adressatengemeinden hinaus "zur Verbreitung in der ganzen Christenheit" bestimmt43 . Die Nachwirkung Boussets zeigt sich dagegen weiter bei Bultmann (1927), der 1,4-3,22 wieder als "durch einen ,Eingang' nach Art des Paulus eingeleitet( e)" fiktive, als Gesamtheit veröffentlichte Briefe betrachtet; 22,21 vernachlässigt er 44 • Die nächsten Jahrzehnte mit dem 2. Weltkrieg, in denen kein größerer kritischer Kommentar zur Apk erscheint, bringen keinen wesentlichen Wandel 45 .
Nach 1945 setzt sich diese Linie bis Lohst (1960, 3(= 10) 1971) und teilweise bis zur Gegenwart fort, in der auch die Sendschreihen nur noch gelegentlich in Kontinuität zu früheren Auffassungen als Briefe betrachtet werden 46 . Als gewichtige Vertreterin in den letzten Jahren sei Yarbro 40 A.a.O. 142 (dort erste zwei Zitate), 184 (drittes Zitat), 236 (viertes Zitat), 460 (letztes Zitat). 41 S. Z. B. Wend land 384; Hadorn 220. 41 Wend land 384 bei übrigens von Bousset abweichendem literarkritis.chem Urteil (s. 382,384); Lohmeyer, Offenbarung 42, vgl. 9; Hadorn 5. 43 Zahn, Offenbarung I 4Of. (v~1. 11 629), 160 (Zitate). - Schlatter ist alß der Frage der Bridlichkeit der Apk nicht interessiert (s. z.B. Erläuterungen 404,533'), hält aber die Sendschreiben rur Briefe (a.a.O. 413). 44 Buhmann, Briefliteratur 1256; zu seiner Wertschätzung Boussets s. st'ine Rez. Lohmeyer bes. 505. 45 Für die katholische Exegese dieser Zeit im deutschen Raum sei Sick~nlb~rger genannt, der die briefliche Rahmung der Apk nur am Rande rrwähnt (198), aber di.e Sendschreiben als Briefe betrachtet (47); zur Lage in der protestantischen Exegese vgl. Bö.cher,johannesapokalypse 19f. 46 Für Lohse, Offenbarung 14,23, vgl. 114f. u. ö. ist die Apk ein ,briefoartig' gerahmtes Buch; vgl. auch Fascher 1412 und Werbeck 822. Brieflich beurteilen di.e Sendschreiben immerhin Wikenhauser 36 u.ö.; Kümmel, Einleitung 403.
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Collins (1976/1979) genannt, die zwar die Bedeutsamkeit der literarischen Formbestimmung als eines Interpretationsschlüssels herausstellt, aber mit der Forschungstradition entscheidet: "Apoc 1:4-5 and 22:21 seem to mark the Apocalypse as a letter. But the preface (1: 1-3) and the rest ofthe book show that whoever tri es to read it as a letter will be severely frustrated. Actually, the work is an ,apocalypse,' arevelatory narrative. "47 Immerhin stellt sie sich der brieflichen Rahmung der Apk als Gesamtwerk in neuem Bemühen, eine Erklärung für ihr Vorhandensein zu finden, und hebt daher über die angebliche Oberflächlichkeit der brieflichen Züge der Apk hinaus auf ihre Unterordnung unter den Offenbarungscharakter dieses ,Buches' ab. Die Briefform erscheint ihr zum einen dazu eingesetzt zu sein "to put thework in the proper form for liturgical reading" (vgl. die Hinweise aufliturgische Situationen in 1,3 und 22,17-20), zum anderen "as another means of characterizing its content as a heavenly revelation", wofiir sie als Kontext "the reception ofrevelation in written form" erhebt, wie sie in den mosaischen Tafeln oder der ezechielischen Buchrolle belegt sei48 . Diese Argumentation ist freilich wenig überzeugend: Bei der Brieflichkeit der Apk geht es nicht um den Erhalt, die "reception", sondern um die Weitergabe einer empfangenen Offenbarung in schriftlicher Form, so daß das zweite Argument als am Befund vorbeigehend ausfällt. Das erste Argument aber ist für sich alleine nicht ausreichend, da der Bezug eines Werkes auf eine liturgische Verlesung seine Briefform nicht notwendig zur Folge hat und das Briefpräskript der Apk in sich nicht liturgisch gestaltet ist 4 '.
Trotz ihrer Mängel zeigt diese Argumentationsbemühung, daß die von Bousset initiierte Forschungslinie zumindest in ihrer älteren Ausprägung einer einfachen, nicht näher begründeten Vernachlässigung der brieflichen Rahmung der Apk nicht aufrechtzuhalten ist. In welcher Weise darüber hinaus in den letzten Jahren Ansätze vorliegen, diese Forschungslinie von innen heraus zu sprengen, wird im Zusammenhang der Erklärungsimpulse des letztenjahrzehnts zu besprechen sein. Zuvor sind allerdings noch zwei Interpretationsversuche der brieflichen Züge der Apk aus der Zeit vor 1945 zu nennen.
0.2.4 Die Interpretationsversuche Goodspeeds (1927) und Poiriers (1943) Die unbefriedigende Behandlung der brieflichen Züge der Apk in der nach Bousset dominierenden Forschungstradition bildet den Hintergrund für die Erörterungen Goodspeeds (1927) und Poiriers (1943). Denn 47 Yarbro Collins, Apocalypse X; vgl. dies., Early Christian Apocalypses 70ff. .. Combat Myth 6f. (Zitate 7); vgl. Early Christian Apocalypses 70f. 49 Vgl. die Ausführungen zu Prigent o. unter 0.2.2.
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nun ist es ersterem möglich, Apk 1,4-3,22 in einer Bousset zunächst verwandten Denkbewegung unter Vernachlässigung von 22,21 als ein der Apk vorangestelltes Briefcorpus (aus Deckbrief und Sendschreiben) anzusehen, dessen Entstehung er dann höchst spekulativ als Nachahmung einer angeblichen älteren Sammlung von Paulusbriefen erklärt 50. Und letzterem erlaubt die Vernachlässigung der brieflichen Züge der Apk in der kritischen Forschung, sie in eine Interpretation einzubeziehen, die nicht mehr als historisch-kritisch gelten kann. Beide Interpretationsversuche sind nicht haltbar. Goodspmls erkenntnisleitendes Interesse auch bei seiner Betrachtung der Apk ist der Wunsch, eine von ihm postulierte älteste Sammlung von sieben Paulusbriefen (Röm, [I und 2] Kor, Gal, Phil, Kol, [I und 2] Thess, Phlm) mit einem Deckbrief (Eph) als Modell und Hintergrund rur die frühchristliche Epistolographie nach der angeblich durch das Erscheinen der Act verursachten Sammlungsedition zu erweisen 51 . Seine Hypothese verfugt im amerikanischen Raum bis zur Gegenwart über eine gewisse Faszinationskraft 52 , ist aber schon aufgrund ihrer nur bei Ignorierung von Apk 22,21 zu behauptenden Auffassung von 1,4-20 als Deckbrief zu den Sendschreiben unhaltbar. Denn mit dieser reiHt die Analogie zur postulierten Paulussammlung, rur die es überdies keinerlei alte Zeugnisse gibt 53 . POiritT teilt zwar mit der ihm vorangehenden Forschung die Scheidung zwischen Uüdischer) Apokalyptik und Brieflichkeit, die die "apocalypse-lettre" der Apk als in ihrer Gattung einzigartig erscheinen läßt, knüpft aber nicht eigentlich an jene an. Seine Auseinandersetzung gilt Ramsay, dem entgegen er die Erklärung rur die Form der Apk nicht in einem besonderen "instinct pastoral" ihres Verfassers, sondern nur in Christi Auftrag von 1,11 finden will. Bestimme aber dieser in einer "vraie vision" gegebene Auftrag die Abfassung der Apk, so bilde sie eine volle Einheit, einschließlich ihrer brieflichen Teile. Zugleich verbiete sich eine in erster Linie historische Erklärung der Adressierung an die sieben Gemeinden in der Asia. Johannes richte sich an sie nicht als unmittelbare Adressaten, sondern "comme ä. des types mysterieux, dont il decrit les destinees, sous la dictee du Christ, en des termes qui n'ont rien d'epistolaire. "54 So kommt Poirier zu einer "interpretation historico-prophetique" in Übereinstimmung mit der kirchlichen Tradition 55 . Da er in dieser strikt von prophetischer Erlebnisechtheit der Apk ausgeht und historisch-kritische Exegese nur beschränkt zuläßt, bleibt er, so sehr er eine Möglichkeit glaubens- und kirchlich traditions bezogener Deutung artikuliert. in der Forschung der letzten Jahrzehnte zu Recht ohne Nachfolge.
Goodspeed, Solutions bes. 23 fT.,27,30,43f.; vgl. ders., Introduction 244. S. Solutions 1-20,23,25 u.ö. 52 S. zuletztJohnson, Asia Minor 106 Anm. 77; vgl. Barnett 41 (vgl. XI) und Meinardus 27f.,30. 53 Vgl. die Kritik bei Court 22 und Guthrie 64 7-653 und die Bemerkungen zu Kraft o. unter 0.2.2. 54 Poirier 1-16,24 (Zitate 12,13,14,24). 55 A.a.O. 1 (Zitat), 7, DurchfUhrung dieses Konzepts ab 11. 50 51
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0.2.5 Neue Erklärungsimpulse im let{.ten Jahr{.ehnt Bereits in der bisherigen Durchsicht von Forschungslinien zu den brieflichen Zügen der Apk war auf Arbeiten des letzten Jahrzehnts (von Kraft, Prigent und Yarbro Collins) einzugehen, ohne doch einen überzeugenden Erklärungs- und Interpretationsansatz zu finden. Solcherart entsteht eine überaus unbefriedigende Forschungslage, über die drei Forschungsimpulse wenigstens in ersten Ansätzen hinausweisen: 56 a) An erster Stelle ist die innere Aufsprengung der von Bousset herkommenden Forschungslinie zu nennen, wie sie sich durch das Einbringen rezeptionsorientierter Gesichtspunkte bei Vögtle 1981 und U. B. Müller (1979/1984) abzeichnet. Beide Exegeten stoßen so in der Erklärung der anscheinenden Differenz zwischen apokalyptischer Prägung der Apk insgesamt und ihrer brieflichen Rahmung in neue Richtung vor: Dieses Werk ziele - so Vögtle - als Apokalypse auf seine Rezeption in einer christlich bis dahin ungeläufigen Gattung. ,Johannes mußte sich also fragen, wie er diese literarische Neuheit am besten anbringen kann", und greife zu diesem Zweck auf die christlich anerkannte Briefgattung zurück, die "es ihm zugleich (erlaubte), die Empfänger zu nennen, die er in erster Linie ansprechen wollte"57. V.B. Müller argumentiert analog. In eigener Akzentsetzung konkretisiert er das Rezeptionsinteresse der Apk auf eine gottesdienstliche Verlesung (s. bes. 1,3) und hebt die angebliche theologische Fremdheit des Apk-Autors als eines ursprünglichen Wanderpropheten judenchristlich-palästinischer Herkunft zu den kleinasiatischen Adressaten seines Werkes hervor, die ihn um der Rezeption seiner apokalyptischen Schrift willen zu deren brieflicher Stilisierung veranlaßt habe 58 . Vögtle wie Müller bringen also das Rezeptionsinteresse der Apk maßgeblich zur Erklärung ihrer brieflichen Elemente ein. Doch ist die hermeneutische Funktion des beobachteten Rezeptionsinteresses dann nicht über die briefliche Rahmung hinaus auf das gesamte Werk auszudehnen? Vögtle wie Müller entziehen sich dieser Konsequenz noch, die die traditionelle produktionsästhetische Betrachtungsweise für das Gesamtwerk zugunsten einer rezeptionsästhetischen überwinden ließe. Ihre Argumen56 Den Kommentar meines Lehrers J. Roll?ff ( 1984), der in sehr fruchtbarer und anregender Begleitung und Auseinandersetzung mit meiner Arbeit entstand und wie diese den brieflichen Kommunikationscharakter der Apk hervorhebt (16), beziehe ich in die folgende Besprechung nicht ein. KrttschnuJr, Offenbarung 22 Anm. 18 eröffnet die weitere Rezeption dieser Position. 57 Vögtle, Buch 18. Diese seine kleinere Auslegung ist hier auch im Blick auf seinen zu erwartenden Kommentar heranzuziehen. 51 U. B. Müller, Literarische Bestimmung bes. 607; ders., Offenbarung 25,28,69; zur theologischen Ortung des Apk-Autors vgl. ders., Theologiegeschichte 47 u. Ö.
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tation ist hinterfragbar: Zum einen geht sie von einer Klarheit des Apokalyptikbegriffs und einer vorrangigen Differenz zwischen Apokalypse und Brief aus, wie sie angesichts der berichteten Debatte um den Apokalyptikbegriff problematisiert werden muß. Zum anderen ist der theologische Ort des Apk-Autors gegenüber den kleinasiatischen Christen keineswegs notwendig so eigenständig und fremd, wie zumindest U. B. Müller meint. Er hat hierin durch Schüßler Fiorenza erheblichen Widerspruch erfahren, die den Apk-Autor ihrerseits innerhalb Kleinasiens in die Nachfolge paulinischer Theologie ansiedeln will und ihn näherhin Paulus durchaus vergleichbar einen Vorgang der Gnostisierung mit Hilfe apokalyptischer Theologie bekämpfen sieht 59 . In dieser Auseinandersetzung wird die Bewegung sichtbar, die in den letzten Jahren auch die Bestimmung des theologischen Ortes der Apk erfaßt hat. Ältere Positionen wie die ihrer Betrachtung als antipaulinisches oder zumindest unpaulinisches judenchristliches Werk geraten ins Wanken 60 , ohne daß sich in der Forschung bislang ein neuer Konsensus andeuten würde. Köster versuchte die ephesinische Lage am Ende des I.Jh. als die eines "Nebeneinander(s) von vier verschiedenen, miteinander rivalisierenden christlichen Gruppen" zu erfassen: Neben die Paulustradition trete die häretische, Nikolaiten genannte Gruppe, ferner eine judenchristliche Gruppe wohl inklusive Kerinth, "schließlich ein ebenfalls judenchristlicher Konventikel, der unter Leitung des ProphetenJohannes stand, und aus dem die apokalyptische Offenbarungsschrift dieses Propheten hervorging. "61 Aber auch in dieser Lagebeschreibung erscheinen über die Behauptung des Nebeneinanders der Gruppen hinaus mehrfach hinterfragbare Einzelentscheidungen. So nennt sich Johannes in der Apk nirgends Prophet und ist die Behauptung eines Konventikels um ihn zwar gegenwärtig beliebt, nichtsdestoweniger jedoch am Text der Apk schwerlich verifizierbar62 .
So gewichtig die innere Aufsprengung der von Bousset herkommenden Forschungslinie bei Vögtle und Müller also als erster Ansatz zum hermeneutischen Aufbruch von der produktions- zu einer rezeptionsästhetischen Betrachtung der Apk ist, hat sie bei ihnen doch noch zu keiner stringenten Lösung geführt. b) Einen zweiten Forschungsimpuls bedeuten die Bemühungen, in einer vertieften religions- und gattungsgeschichtlichen Fragestellung 59 S. Schüßler Fiorenza, Apokalypsis bes. 122-127 und dies., Apocalyptic 581 und passim. 60 S. die Einftihrungsbemerkungen zu Abschnitt 1.2.2. 61 Köster in Köster/Robinson, Entwicklungslinien 144. 62 Die Konventikelthese vertreten auf eigene Weise noch U. B. Müller in seinem U ppsalaer Vortrag (Literarische Bestimmung 616f.) und Schüßler Fiorenza (s. die Besprechung des Ansatzes letzterer unten unter c). Hing~wiesen sei noch darauf, daß die zur Erfassung Kerinths wichtige EpAp neuerdings nach Agypten lokalisiert wird und Kerinth dort auch in der Adresse des Jakobusbriefes NHC I 2 genannt sein könnte, so daß seine kleinasiatische Ortung starken Vorbehalten begegnen muß (s. Anm. 72 zu Teill.2).
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Aufgabenstdlung und forschungsgeschichtlicher Ort
über die angebliche Kluft zwischen apokalyptischer und Briefform hinauszukommen. Erste Anstöße dazu gingen von einer stärkeren Berücksichtigung des Baruchbriefes syrBar 78-87 seit Halver (1964) aus, der die Apk übrigens singulär in der damaligen deutschen Forschung als nichtfingierten Kunstbriefbetrachtete63 . Größeres Gewicht erhielt die Fragestellung aber erst in den 70er Jahren, als Berger sich im Rahmen eines Aufsatzes über den Apostelbrief (1974) um eine umfassende Sichtung von Vergleichsmaterial bemühte. Aufgrund der Parallelen zur Eingangsformel der Sendschreiben in den Propheten briefen aus 2Chr 21,12-15 und derJeremia/Baruch-Tradition (bes.Jer LXX 36,1-23 und syrBar 78-87) kam er gegen ihre Bestimmung durch Hahn als prophetische Redeform (1971) wieder zu ihrer Auffassung als Briefe, näherhin "als Exemplare jener nie ganz ausgestorbenen Gattung des prophetischen Briefes". Seine Behandlung der Brieflichkeit der Apk insgesamt blieb freilich blaß, wenn er die Verbindung von Offenbarungsliteratur und Briefformulierung lediglich allgemein in der Adressierung schriftlich abgefaßter Offenbarung begründet sah 64 . Eine Unsicherheit in der Auswertung des zusammengestellten Materials wird sichtbar, die auch in den folgenden Jahren bestimmend bleibt. So vernachlässigt Schüßler Fiorenza (1980) trotz Zustimmung zu Bergers Behandlung der Sendschreiben dessen Interpretationsansatz für den Briefrahmen der Apk, den sie rein vom apostolischen Brief paulinischer Tradition her versteht 6s . Dagegen erklärt Bogaert (1980) den doppelten Rückgriff der Apk auf die Briefgattung ausschließlich aus ihrem Zusammenhang mit der apokalyptischen Literatur, nämlich "par une imitation de 11 Baruch". Die Sendschreiben der Apk entsprächen somit dem Schlußbrief des syrBar an die neuneinhalb Stämme, ihr brieflicher Gesamtrahmen der syrBar-Apokalypse selbst, die Baruchs Brief an die Stämme des römischen Reiches darstellte 66 . Diese These ist freilich nicht haltbar, da sie über die problematische Datierung des syrBar vor die Apk hinaus noch eine literarische Abhängigkeit letzterer von ersterem im Gebrauch der Briefform behauptet, die nur im Zirkelschluß nachweisbar ist: Das Verständnis des kein Briefformular tragenden syrBar als Baruchbriefes, das Bogaert selbst in seinem Kommentar 1969 noch zu Recht als wenig wahrscheinliche Hypothese betrachtete, wird ihm jetzt eben aus seiner angeblichen Nachahmung in der Apk evident 67 • 63 Halver 23f., vgl. 9. Bereits Gooclspeed bemerkte diese mögliche Parallele zur Apk, lehnte aber ihre Heranziehbarkeit ab (Solutions 22). 64 Berger, Apostelbriefbes. 214 (dort Zitat) als Ergebnis zu 212ff. und 217 nach 207ff. 65 Apokalypsis 125; vgl. dies., Quest 425. 66 Bogaert, Les Apocalpyses 55 (dort Zitat teilweise hervorgehoben). 67 Bogaert a.a.O. 55 gegenüber ders., Apocalypse de Baruch I 80; zur Datierung s. Klijn, syrBar 113 f.
Die brieflichen Züge der Apk in der neueren Forschung
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In eigener Weise reiht sich hier auch U.B. Müller (1979/83) ein: Die Briefe in der prophetischen und apokalyptischen Literatur begründen ihm die literarische Sachgemäßheit der Verbindung von Sendschreiben und apokalyptischem Hauptteil in der Apk68 . Diese Unterschiedlichkeit in der Auswertung des religions- und gattungsgeschichtlichen Vergleichsmaterials zwingt zu einer eigenen Sichtung dieses Materials im Grundlegungsteil vorliegender Arbeit. c) Schüßler Fioreno( oou OL1tQOqri\'taL 22,9 bezogen wird. Doch werden diesen dort o[ TrJQOÜV'tE~ 'tou~ A6you~ 'toü ßLß).(OU 'tou'tou zugeordnet, die auch Schüßler Fiorenza als Gemeindeglieder versteht 75; und auf 22, 16 folgt unmittelbar ein Sprecherwechsel, aber nicht zu den Propheten, sondern zum Geist und der Braut. Ferner ist angesichts des generalisierenden Charakters von 22,6.9 zu fragen, wieweit 22,9 überhaupt konkrete Propheten in den Adressatengemeinden im Auge hat 76 • Besondere Aufmerksamkeit verdient dagegen der Hinweis auf Bezüge der Apk zur paulinischen Briefkonvention, auch wenn er in Schüßler Fiorenzas Zuspitzung die Kritik herausfordert, da in der gegenwärtigen Forschung schon die Charakterisierung des Apk-Formulars als paulinisch bezweifelt wird". Denn wenn solche Zweifel sich als unberechtigt erwiesen, ließe sich ein über bisherige Aporien hinausführender Zugang zu den brieflichen Zügen der Apk finden. Sie sind dann in der Art ihres Bezuges zur paulinischen Tradition zu analysieren, wobei nicht nur die Möglichkeit einer unmittelbaren Paulusnachfolge denkbar ist, sondern auch die eines Eingehens auf vom Apk-Autor der paulinischen Tradition zugehörig gedachte Adressaten. Wegen der Bedeutsamkeit dieser Fragestellung wird dem im folgenden Grundlegungsteil nachzugehen sein.
0.2.6 Ergebnis Die vorgenommene Durchsicht zeigt die Forschung zu den brieflichen Zügen der Apk nach Lücke durch zweierlei geprägt: durch deren AbwerDies., Quest 425; Apokalypsis 120f. (Zitat 120). Aune, Social Matrix bes. 19,21-23. Weiter wirkt die These bei White, Saint Paul (1983) nach, der freilich in flächiger Textbetrachtung dann eine einfache Mischung der brieflichen und apokalyptischen Genres in der Apk annimmt (444 nach 434). 75 Schüßler Fiorenza, Apokalypsis 120. 76 Mit U. B. Müller, Theologiegeschichte 31. Seine Positionsänderung in Literarische Bestimmung 616 (vgl. Offenbarung 368,370f.) ist bedauerlich. 77 S. Berger, Apostdbrief207; vgl. noch Müller, Offenbarung 71. 73
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Di~ bri~flich~n Züg~ d~r
Apk in d~r neueren Forschung
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tung und Vernachlässigung einerseits und durch eine Fülle sie betreffender Hypothesen andererseits, die von der - gelegentlichen - Behauptung der Brieflichkeit des gesamten Buches bis zur Negierung des brieflichen Charakters seines Formulars überhaupt reichen und weitgehend einer fundierten Absicherung entbehren. Diese unbefriedigende Forschungslage entstand nicht zufällig. Denn nach Lückes und Boussets WeichensteIlung unterblieb über Jahrzehnte hinweg schon eine kritische Sichtung der Grundlagen ftir eine Interpretation der brieflichen Elemente und Züge der Apk. Es erfolgten weder kommunikationstheoretische und briefanalytische Vorabklärungen, die den Analysebereich genauer abstecken und in seinen Dimensionen erkennen ließen, noch eine literaturgeschichtlich detaillierte Untersuchung des Briefrahmens der Apk, die den Grund für eine überzeugende genauere Ortung dieses Werks in Geschichte und Literatur des Urchristentums hätte legen können. Die Erstellung stets neuer unzureichend begründeter Hypothesen war unter diesen U mständen sehr erleichtert, wenn nicht zwangsläufig. Noch die Forschungsimpulse des letzten Jahrzehnts tun sich schwer mit deren Überwindung. Aber sie zeigen neue Ansätze zu einer vertieften Wahrnehmung der Rezipientenorientierungder Apk und zur Untersuchung ihrer brieflichen Abfassung im Kontext prophetischer, apokalyptischer und urchristlicher Literaturtraditionen, die in vorliegender Arbeit zu überprüfen und gegebenenfalls weiterzuführen sind. Deren nachfolgender Grundlegungsteil hat von daher zunächst das Desiderat einer kommunikationstheoretischen Fundierung ftir eine rezipientenorientierte Analyse der Ap'k einzulösen. Anschließend stellt er sich der literaturgeschichtlichen Uberprüfungsaufgabe 78 •
78 An di~s~r St~lle s~i angemerkt, daß ein Ertrag der von Frankreich aus wirksamen neuen strukturalen und semasiologischen Bemühungen um die Apk - Calloud u. a. in der Greimas-Nachfolge (dazu s. Prigent, L'Apocalypse. Exeges~) und Lacocque in der Aufnahme Ricydu (13), der 14-20 in Gesprächen mit diesem Priester vor allem auf einem Ausflug zu einem heiligen Hain retardierend vorbereitet wird. Drei Tage später geht Thessalos im Morgengrauen zum Priester, der inzwischen alles rur die btioxE"qnc; vorbereitet hat. Er hat ohne dessen \\lissen Schreibutensilien dabei bti. (tq> > OllJ.lELwouo{}m trov AEYOJ.lEvWV, (ä) EOV.ÖEiJon. Er bittet um eine Unterredung mit Asklepios, bei der er allein sein möchte (22). Der Priester verläßt den Raum, nachdem er Thessalos seinen Platz gegenüber dem Thron des Gottes angewiesen hat, indem er den Gott über die verbotenen Namen herbeiruft (23). Dessen in Menschenwort (avD(>w3tou A6yoC;) nicht erklärbare Erscheinung führt zur Entkräftung (EXA",ELV) von Leib und Seele des Thessalos (24vgI.26). Der Gott erhebt (aVUtdVELV) seine rechte Hand - zum Gruß63? - (24) und erklärt sich bereit, die Fragen Thessalos' 60 S. dazu allg. Fuhrmann, Widmung 1373 und Kroymann. M nennt das Pflanzen buch im Incipit wie Explicit denn auch sachgemäß "Iiber". 61 Gegen Festiguhe (L'experience 55 unter Berufung auf Cumont), mit Kudlien 55. Gegen eine spätere Datierung spricht zum einen die sekundäre Abwanderung des Textes in die hermetische Literatur, die (eruiert von Friedrich in Thessalos 13,25ff.) zu einer eigenen Textrezension führt, zum anderen seine aus Orpheus-Fragmenten im medizinischen Werk des Aetios erschließbare spätere Ausgabe unter dem Namen des Orpheus (dazu 5. a.a.O. 35f.). 61 Im folgenden wird für den Prolog von T, für den Epilog - der in T nicht erhalten ist von Mausgegangen (vgl. dazu dann jeweils die Hss. BH,V und P; zu den Unterschieden der H5S. s. Friedrich a.a.O. 19ff.). 63 Festiguere a.a.O. 63 Anm. 28.
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Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk
zu beantworten (25). Der Ansatz zu einem Gespräch (26-28) mündet von 28 auf29 nahtlos in einen ausführlichen Vortrag des Gottes an Thessalos über die Heilkräfte der Kräuter etc. ein, den dieser nach Vorstellung des Textes "genau nachschreibt"64. Der Epilog setzt zunächst die Rede des Gottes fort, der Thessalos zur Geheimhaltung des so entstandenen Werkes mahnt (2.5), da die Kunst leiden würde, wenn es in unberufene Hände geriete (3 f.). Danach schließt sich die Rahmenhandlung. 15 steigt der Gott zum Himmel auf. 15f. verabschiedet sich Thessalos vom Priester, wozu V 17-19 noch die Erprobung der neuen Therapie, die Abfassung eines Buches und die Bewährung des Thessalos vor Fachkollegen ergänzt; die in 2.5 vorgesehene Beschränkung der Tradierung wird also nicht befolgt. Diese Rahmenhandlung verdeckt die Eigenständigkeit,ja Differenz des Apk-Autors - dem die menschlich-wissenschaftliche Suche nach Offenbarung ebenso fremd ist wie die Einführung eines vermittelnden Priesters, heiliger Orte und entsprechender Offenbarungsvorbereitungen - gegenüber hellenistischer Religiosität nicht. Um so auffälliger ist die trotzdem zu bemerkende religionsgeschichtliche Verwandtschaft gerade bei Abschnitten und Zügen der Apk, die deren Abfassungskonzeption expl}1reren: Die Epiphanie-Vision Apk 1,9-20(;2-3) hat bei allen hervorzuheffenden Differenzen zum Thessalostext in ihm ebenso einen Bezugspunkt wie die Niederschrift von Offenbarung (Apk 1,11.19 durch einen Schreibbefehl eingeführt); auch der gezielte Verzicht auf Geheimhaltung Apk 22,10 mußte in einer Welt verstehbar sein, in der zugleich ein Geheimhaltungsbefehl und seine Durchbrechung berichtet werden konnte. Die Möglichkeit tritt ins Blickfeld, daß die Apk von einem Judenchristen auf griechischem Boden gezielt für griechische Empfänger nichtjüdischer Herkunft geschrieben wurde. So gewiß diese Möglichkeit erst in einer durchgängigen Analyse der Apk verifiziert werden kann, läßt sich methodisch festhalten: Die Öffnung der Apk-Betrachtung für traditions- und religionsgeschichtliche Umfelder auch im nich~üdischen und nichtchristlichen Hellenismus ist fortzuführen. Sie verspricht namentlich Auskünfte über die Orientierung der Apk an griechisch-hellenistischen Adressaten und an für jene eigentümlichen Traditionen und religiösen Vorstellungen. Im übrigen enthalten noch eine Reihe weiterer späthellenistisch-kaiserzeitlicher Texte - so das Traumbuch des Artnnidor und die Zauberpapyri - Offenbarungsmotive und briefliche Züge. Doch handelt es sich in keinem Fall um weiterführende Parallelen zur literarischen Gesamtform der Apk 65 . 64 Friedrich in Thessalos 14. Freilich ist dieser Teil der Schrift eher als Traktat denn als Offenbarungsniederschrift zu charakterisieren (a.a.O. 13). 65 Das T,aumbuch des A,tnnido, aus Ephesus (2. Hälfte 2.Jh. n.Chr.) (Sontheimer 618) ruhrt mit seinem vorangestellten Briefgruß an Cassius Maximus literarisch nicht über den Bereich der Widmungen hinaus (vgl. Artemidorus (White) 67). Das Proömium des an den
Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche
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/.2.1.5 Der Kontextfrühchristlicher OJjenbarungsliteratur Im als Umfeld der Apk besonders wichtigen Bereich der christlichen Literatur liegt kein der Apk zeitgenössischer Text der Offenbarungsliteratur vor, der durch die Kommunikationsform Brief getragen wäre. Doch zeigt Ansätze dazu der Hirt des Hermas, der in seiner abschließenden Gestalt noch vor die Mitte des 2.Jh. gehört, keine nachweisbare Kenntnis der Apk verrät und von dieser auch in seinen eschatologischen Partien unabhängig erscheint 66 . Er thematisiert im Teil der Visionen (vis I-IV) wie dem der Gebote und Gleichnisse (vis V-sim VIII bzw. X)67 seine Verschriftung und in ersterem darüber hinaus seine Versendung: Die Teile des Herrn gehen gleichermaßen davon aus, daß Hermas über die ältere Frau bzw. den Hirten Offenbarungen erhält. In erster Linie ist er deren Rezipient, in zweiter Linie auch ihr - zunächst mündlicher (s. z. B. vis 111 8,lOf.; IV 2,5; sim VIII 11,1) - Übermittier, wobei seine Rolle auf die eines "reporter" ohne eigenständige Wortverkündigung beschränkt wird 68 • Korrektheit und (paränetisches) Gewicht der mitgeteilten Inhalte werden dadurch unterstrichen, daß die Offenbarung der alten Frau wie des Hirten jeweils wenigstens teilweise 69 explizit verschriftet wird. Sohn Artemidors gerichteten Buchs IV bringt ein weiteres Beispiel zur Beschränkung der Tradierung eines Textes (dazu s. Artemidore (Festiguere) 10). Die Zaubtrpapyri (Ausgabe PGrM) bieten briefliche Züge etwa in P I 43.194 aus dem 4./ 5.Jh. n.ehr. (a.a.O. Band I S. I) und P IV 153f. aus dem 4.Jh. n.ehr. (a.a.O. Band I S.64), die zwar früher als die Papyri datierbar sein mögen, aber nicht mit zur Apk vergleichbaren Visionscorpora verknüpft sind. P XIII aus dem 4.Jh. n.ehr. (a.a.O. Band I I S. 86) enthält zwei Fassungen, deren beide- dem Thessalostext vergleichbar- das Motiv des Bereithaltens von Schreibutensilien zum Niederschreiben des von der angerufenen Gottheit Gesagten enthalten (XIII 90-94 und 644f.); die erste Fassung (XIII 1-233) liegt dabei "in Einkleidung freier BriefTorm des Verfassers an sein Kind (225f.)" vor (Preisendanz a.a.O. S. 87). P V 96fT. ist als an den Schöpfer gerichteter Zauber-Brief (zu btunoA." 97 beachte aber die Anm. Preisendanz' a.a.O. Band I S. 185) der Apk nicht vergleichbar. Auch die Zauberpapyri sind so nur zum Ausziehen rdigionsgeschichtlicher Linien heranziehbar. So bieten sie z. B. P I 192 f. auch wieder ein Beispiel der Beschränkung der Weitergabe. 66 Zur Datierung s. Viel hauer, Geschichte 523 und Reiling 24 (vgl. Giet, Hermas 284fT.): zum Verhältnis zur Apk s. schon Lücke 564f. und etwa Bousset, OfTenbarung 20. Giet behauptet a.a.O. 294 eine Beeinflussung der Herrn-Visionen durch die Apk, kann dafür (a.a.O. 18, 124, 135 mit Anm.) aber nur die Gemeinsamkeit des Brautschaftmotivs (Herrn vis IV 2, I; Apk 21,2), der Bezugnahme auf die große Bedrängnis (Herrn vis 11 2,7; Apk 7,14) und des Vorkommens von himmlischen Büchern anführen. Diese Berührungspunkte sind religions- und traditionsgeschichtlich zu erklären und berechtigen daher nicht zu seinen Schlüssen. 67 Zu den literarkritischen Problemen des Herrn s. Giet a.a.O. passim (dazu Kritik: Joly, Hermas 1967), Reiling 22fT. und Vidhauer, Geschichte516f. 68 S. Reiling 164--169 (Zitat 169). 69 Wieweit der explizit zu verschriftende Teil reicht, ist von vis I I aus nicht mehr ausmachbar - s. Dibelius, Hermas 453.
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vis 11 1,3 läßt den abgeleiteten Charakter der schriftlichen gegenüber der mündlichen Übermittlung hervortreten: Die in einem Schriftstück lesende Greisin fragt Hermas, ob er dies den Auserwählten Gottes verkünden könne. Erst als Hermas darauf hinweist, soviel könne er sich nicht merken, und darum bittet, ihm die Schrift zum Abschreiben zu geben, erhält er sie dazu. Die schriftliche Niederlegung des Textes wird also mit dem Interesse unverfälschter Tradierung begründet. Anders akzentuiert die Einleitungsvision zu den Geboten und Gleichnissen, vis V: Der Hirte befiehlt die Niederschrift der Mandata und Similitudines, damit Hermas sie lesen und befolgen könne (5). Das paränetische Anliegen tritt in den Vordergrund und wird in 7 mit Verheißung und Drohung auf die in der 2. Person plur. angesprochenen Leser des Herm ausgeweitet 70.
Im Visionenteil erscheint 11 4,2f. die Greisin Hermas zusätzlich, um die Tradierung des von ihm inzwischen niedergeschriebenen, noch zu ergänzenden Textes an alle Auserwählten festzulegen: Er solle zwei Abschriften (ßLßAUQLÖLa) anfertigen und diese Klemens und Grapte schikken; ersterer werde die Weiterversendung an die auswärtigen Städte übernehmen, letztere die Witwen und Waisen ermahnen, Hermas selbst mit den Presbytern die Verlesung für diese Stadt durchführen (4,3). Herrn operationalisiert die Übermittlung seiner Inhalte also in einer Weise, die bei Durchführung der Versendung an die auswärtigen Städte notwendig zur Wahl der brieflichen Kommunikationsform geführt hätte. Nicht zufällig trägt er trotzdem weder insgesamt noch in den mit vis 11 unmittelbar zusammenhängenden Teilen briefliche Formelernente: Der durch die unmittelbar vorher als die Kirche identifizierte - Greisin angegebene Adressatenkreis umfaßt alle Auserwählten und ist daher nicht näher lokal zu fixieren 71. Brieflichkeit käme lediglich als allgemeine Publikationsform - wie in den katholischen Briefen - in Frage. Die Differenz zur Apk ist unübersehbar: In dieser hat die Verschriftung keinen gegenüber der mündlichen Offenbarungsübermittlung sekundären Charakter, sondern trägt sie das Werk vom Schreibauftrag der Eröffnungsvision (1,11.19) an (s. noch 2,1 u.ö.; 10,4; 14,13; 19,9; 21,5). Der Versendungsauftrag gilt sieben namentlich genannten Gemeinden, also lokal fixierten Adressaten (1,11; vgl. 1,4 in Verbindung mit den Sendschreiben). Damit ist die Apk den spezifischen Kennzeichen der Kommunikationsform Brief in ungleich höherem Maße adäquat abgefaßt als
70 Dabei wird der für das Werk untrale Bußgedanke angesprochen; zu diesem s. Vidhauer a.a.O. 520f. und Pemveden 223ff. Das Verschriftungsmotiv bleibt im folgenden als Rahmen erhalten (s. sim I X 33, I; X 1,1). 71 Die Identifikation Greisin - Kirche korrespondiert der Adressatenangabe (vgl. Pemveden 19), muß also gegen Vidhauer a.a.O. 518 nicht sekundär sein. Konsequent verzichtet der Versendungsauftrag auf eine konkrete Benennung der auswärtigen Städte und schon der Heimatstadt des Hermas.
Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche
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Herrn. Zur Erklärung ihres Gebrauchs reicht ein einfaches Publikationsinteresse nicht aus. Die noch zu nennende EpAp leitet bereits zur späteren Entwicklung über. Sie gehört in die Auseinandersetzung mit der Gnosis im 2.Jh. wahrscheinlich in Ägypten und zeigt zur Apk wenig Bezüge, ohne daß diese ihr unbekannt gewesen sein muß72. Die elf Apostel teilen in ihr Offenbarungsgespräche mit, die der auferstandene Christus mit ihnen geführt habe. Sie adressieren sie 2( 13) an die Kirchen der vier Himmelsrichtungen, rahmen sie also als katholischen Brief. Solche Herausstellung der Apostolizität und Katholizität ist im antignostischen Impetus verständlich, unterscheidet die EpAp aber von der Apk, die 1,4 auf eine Kennzeichnung des Johannes als Apostel verzichtet und die Adressaten lokal fixiert. Überdies wird in der EpAp der Briefstil nicht durchgehalten 73. Lediglich aufihren Abschnitt I (12) wird wegen seiner Stellung vor dem Briefformular als formale Parallele zu Apk 1,1-3 zurückzukommen sem.
1.2.1.6 Ein Blick auf die Gnosis und Ergebnis Für die Gnosis läßt sich nach den Funden von Nag Hammadi von besonderer Beliebtheit der brieflichen Kommunikationsform zur Einkleidung von Offenbarungsschriften sprechen. Die Epistulae ad Rheginum (NHC 14), Petri ad Philippum (NHC VIII 2) und lacobi apocrypha (NHC 12) etwa zeigen dies in verschiedenen Ausprägungen der Gestaltung 74 • Hier liegt nun tatsächlich insofern ein Kontext zur Apk vor, als auch ausdrücklich 72 Schlüsselstelle für die Einleitungsfragen ist EpAp I (12); zum antignostischen Impetus s. etwa Duensing in Hennecke/Schneemelcher I 126f. und Schmidt-Wajnberg 195ff.• zur Datierung etwa Duensing a.a.O. 127, Hornschuh 116,119 (I. Hälfte 2.Jh.) und Ehrhardt, Epistula Apostolorum 367f. (2. Hälfte 2.Jh.); zum Verhältnis zur Apk SchmidtWajnberg 249. Die ältere Lokalisierung auf Kleinasien (noch AltanerlStuiber 125) erscheint zugunsten Ägyptens überholt (Ehrhardt a.a.O. 368f.; Hornschuh 99ff., 120), zumal wenn der Jakobusbrief des Codex Jung an den EpAp I (12) genannten Kerinthos adressiert sein sollte. was Schenke in Jakobusbrief 118f. vom erhaltenen Namensende .,thos" in (NHC I 2,) 1,2 aus erschließt (vgl. Helderman 36f.). Allerdings lokalisieren die Kirchenväter Kerinth - so problematisch ihre sonstigen Angaben zu dessen Person und Wirken auch sind - übereinstimmend in die Asia (s. Klijn/Reinink. Sects 3-19). 73 Hornschuh 4 Anm. 4; vgl. Schmidt-Wajnberg 206. Die EpAp endet 51 (62) mitJesu Himmelfahrt. ohne Briefschluß. 74 Erstere bildet den .. apologetischen Lehrbrier' eines Lehrers an einen Schüler (Peel 21); zu zweiterer s. Luttikhuizen und Menard, Lettre: structure jeweils passim - sie bildet einen Traktat mit vorgeschaltetem, der ganzen Schrift den Namen gebendem Brief; letztere mutet als Brief des Jakobus an Kerinthos - wenn diese Namenrekonstruktion aus 1,2 zutrifft (s. Anm.72) - und nur an diesen (1,17-19), der nach der Einleitung ab 2,21 Gespräche zwischen dem Erlöser und den Jüngern mitteilt, fast wie ein Gegenstück zur besprochenen EpAp an.
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als Offenbarungs texte bezeichnete Schriften brieflich adressiert und verschickt gedacht sind 7s . Ein überraschender möglicher Bezug der Apk zu gnostischer Praxis zeigt sich, der freilich, was ihre briefliche Rahmung angeht, nicht überinterpretiert werden darf; sind doch die gnostischen Brieftexte später zu datieren und, wie die genannten Beispiele zeigen, an Einzelpersonen, nicht Gemeinden gerichtet. Bei aller so gebotenen Vorsicht wird aber die Gnosis weiterhin als ein Vergleichsfeld zumindest für den literarischen Charakter der Apk als Offenbarungsschrift und für religionsgeschichtliche Einzelfragen 76 von Belang bleiben. Damit schließt sich der Kreis. Die Sichtung der hellenistischen, christlichen und gnostischen Vergleichstexte bestätigt das bereits zuvor gewonnene Bild: Die Apk bewegt sich mit der Wahl der Kommunikationsform des Briefes zwar durchaus im Bereich der der antiken apokalyptischen und Offenbarungsliteratur zuhandenen Möglichkeiten. Aber sie hat dort nirgendwo eine unmittelbare, zeitgenössische Parallele zu der besonderen Ausprägung ihrer brieflichen Züge, sondern wird den spezifischen Möglichkeiten der brieflichen Kommunikationsform in ungleich höherem Maße gerecht als alle näher zu analysierenden Vergleichstexte. Ihre definite und in den Sendschreiben noch entfaltete Adressierung, ihre Konsequenz in der brieflichen Anlage bis zum Textschluß 22,21, schließlich die Perspektive einer Briefsituation in der Kommunikation zwischen einem judenchristlichen Autor und heidenchristlich-hellenistischen Adressaten, all das lenkt das Interesse auf ihre bereits von Lücke herausgestellten, nun zu eruierenden Bezüge zur neutestamentlichen Briefliteratur.
1.2.2 Ortsbestimmung der Apk in der urchristlichen Briefliteratur In der Forschungsgeschichte kam die urchristliche Briefliteratur als Bezugsfeld der Apk nur bei der Erörterung ihres Verhältnisses zur paulinischen Tradition in den Blick. F. C. Baur bestimmte dieses Verhältnis mit der Entgegensetzung der angeblich judaistischen Apk zum Paulinismus und Paulus selbst pointiert negativ 77 • Seine Auffassung trat nach der 75 S. noch bes. den Hinweis auf ein früher abgesandtes OfTenbarungsschreiben in NHC I2,1,28-32! 76 So tritt etwa das Motiv der Beschränkung der Tradierung auch in der Epistula Iacobi apocrypha (I ,20fT.) auf. 77 S. Baur, Christenthum 80-83. Danach zeigt die Apk bei ihrer Rüge des Mißbrauchs christlicher Freiheit in 2,14.20 nicht nur eine "antithetische Beziehung auf paulinische Christen", sondern hat auch Paulus selbst im Auge, den sie 21,14 aus der Zahl der Apostel ausschließe und 2,2 zusammen mit seinen Gehilfen bei der Rühmung der Abwehr von Pseudaposteln durch die Gemeinde von Ephesus meine (80, dort auch Zitat).
Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche
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Erschütterung seines Geschichtsbildes aber allmählich in den Hintergrund und konnte schließlich auch in den neueren deutschen Untersuchungen zur frühen Wirkungsgeschichte des Paulus vernachlässigt oder negiert werden 78. In den USA dagegen begründete Goodspeed mit seiner besprochenen These, in der Apk liege die früheste Nachahmung der von ihm postulierten ältesten Sammlung von sieben Paulusbriefen mit einem Deckbrief vor, die bis Barnett (1941) wirksame Sicht einer gewissen Paulusnachfolge der Apk 79. Freilich verlagerte sich danach auch dort die Forschung. So trat die Frage nach dem Verhältnis der Apk zu Paulus und der in den kleinasiatischen Gemeinden lebendigen paulinischen Tradition erst in den 70er Jahren wieder hervor. Dabei hob U. B. Müller auf die angebliche grundlegende Verschiedenheit der Apk "von den vorherrschenden Anschauungen der kleinasiatischen Gemeinden" ab und ordnete sie der Linie der "Ignorierung oder Ablehnung des Paulus bzw. des zeitgenössischen Paulinismus" zu, während Schüßler Fiorenza den ApkAutor umgekehrt in die Paulus fortsetzende Linie einordnete 80 . Der Forschungsstand ist also unklar, ein methodisch sicherer Zugang zur Behandlung der Fragestellung dringend erforderlich. Um diesen zu erhalten, ist zunächst eine Übersicht über die im 1.Jh. n. Chr. außerchristlich zur Verfügung stehenden Briefkonventionen - auf die die Apk also auch hätte zurückgreifen können - und ihre paulinische christliche Translation zu erstellen. Danach ist der Vergleich der Apk damit durchzuführen und auszuwerten.
1.2.2.1 Die paulinisehe Translation vor- und außerchristlicher Briifkonventionen Vor- und außerchristlich lassen sich für den hier interessierenden Raum zwei Briefkonventionen unterscheiden: die vorderorientalische und die hellenistische. Die vorderorientalische Briifkonvention wird in ihrer hebräischen Spätform in den Texten von Muraba'at (2. Jh. n.Chr.) faßbar. Dort nennen die Briefpräskripte in einem Satz den Absender mit der Präposition 10 und den Adressaten mit ?, gelegentlich unter Zufügung von Epitheten zu den Personenbezeichnungen. Darauf folgt als zweiter Präskriptteil der Eingangsgruß, und zwar zeigen alle Texte, in denen die entsprechende Zeile erhalten ist, hier O?W. Nach dem Corpus kennen die Texte zwei Typen von 78 Strecker, Paulus (1970) und Daßmann, Paulus (1979) verzichten zur Wirkungsgeschichte des Paulus auf eine Behandlung der Apk. Lindemann (1979) sieht die Apk "von Paulus offenbar überhaupt nicht berührt" (396, vgl. 233). 79 S.o. unter 0.2.4 und Barnett 41-51. 80 U. B. Müller, Theologiegeschichte 47 (erstes Zitat), 82 (zweites Zitat), vgl. 84f.; Schüßler Fiorenza, Apocalyptic passim; dies., Apokalypsis 12~127 u.ö.; vgl. o. unter 0.2.5.
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Analysekriterien und 1iterargeschichtliche Ortung der Apk
Abschlußformeln: Grüße mit C'W und die Identifikation des Senders durch seine Unterschrift. Eine Datumsangabe fehlt ebenso wie eine Außenadresse 81 . Diese Spätform weist deutliche Unterschiede zu den ins 6./ 5.Jh. v. ehr. fallenden alten hebräischen Briefen auf, die etwa in Adresse wie Eingangsgruß eine größere Variationsbreite bieten und auf eine Abschlußformel verzichten 82 • Doch bleibt die Zweiteiligkeit des Präskripts konstant und kennzeichnet auch die aramäische Epistolographie, die übrigens im ersten Präskriptteil auf die Absendernennung verzichten kann 83 . Diese Zweiteiligkeit ist demnach ebenso Proprium des vorderorientalischen Briefformulars wie bei einer Voranstellung des Absenders im Präskript dessen Einführung durch eine Präposition 84 . Das griechisch-hellenistische Brieffonnular faßt demgegenüber nämlich Absender (im Subjektnominativ) und Adressaten (im Dativ) mit dem in der Regel durch XULQELV ausgedrückten Gruß in einem Satz der Grundform 6 ÖELVU t ÖELVL XULQELV zusammen. Im Freundschaftsbrieffolgen auf das Präskript fakultativ die formula valetudinis, die Proskynemaformel und das wechselseitige Gedenken von Sender und Adressat. An das Briefcorpus schließen Grüße mit fakultativem Gesundheitswunsch sowie die gewöhnlich mit dem Verb QwwuJu gebildete Schlußklausel an, die philophronetisch erweitert werden kann 8s • Besondere Merkmale des griechischen Briefes sind seine Traditionsgebundenheit und Formelhaftigkeit, die zahlreichen philophronetischen Züge und vor allem der Gedanke der "Parusie", der im Freundschaftsbrief Zusammenleben über die räumliche Trennung hinweg vermittelt 86 • Da der Briefsituation adäquat vom Standpunkt des Adressaten aus geschrieben wird! bildet sich ein eigener Briefaorist aus 87 . Diese griechische Briefkonvention hat im übrigen anders als die vorderorientalische im Neuen Testament direkten Niederschlag gefunden: im Präskript desjak (1,1) und den Briefen Act 15,2~29; 23,26-30. Pardee 333,337,338f.,341,342f. S. a.a.O. 332f.,334,338,34Of. u.ö. (Pardee edierte inzwischen das Textmaterial in Pardee, Handbook). 83 S. allg. Alexander, Remarks 161 fT., zum Verzicht auf die Absendernennung die Briefe Gamaliels bei Dalman 3. Weiterhin erscheint "Frieden" selten als Ein-Wort-Gruß (s. Fitzmyer, Notes 214; vgl. A1exander a.a.O. 162f. und zu den Briefen Simeon ben Gama1iels und Yohanan ben Zakkais Neusner, Life41 f.). 114 Neben der es aramäisch auch die - gleichfalls ungriechische - Nachstellung des Absenders gab, bei der auf dessen präpositionelle Einführung verzichtet werden konnte (5. Alexander a.a.O. 161). 85 S. Koskenniemi 155fT. zum Formular (andere Grußformeln 161 fT.) und 13~154 zu Briefstruktur und Schlußklausel. 86 Zu ersterem a.a.O. 201 f. u.ö., zu zweiterem a.a.O. 95fT., 128fT. (vgl. Thraede 125fT.), zu letzterem a.a.O. 38 und Thraede 39fT., 52fT., 83fT., 146fT.; Bünker 25f. 87 Koskenniemi 204, vgl. 189 fT. 81
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Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche
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Die hellenistische Durchdringung des östlichen Mittelmeerraums fUhrt zur Ausprägung von Mischformen. So erscheint nun eine Präskriptform, die den Absender wie die griechische Konvention als Subjekt dem Adressaten voranstellt, daran aber einen vorderorientalischen Friedensgruß in einem eigenen Satz anschließt. Der Hauptbeleg dafür ist Dan 3,31 in der Übersetzung durch Theodotion (dort 4,1)88. Der vorderorientalischen Konvention stärker verhaftet bleibt 2 Makk 1,1 mit der Voranstellung der Adressaten im Dativ vor die Nennung der Absender im Nominativ,g'8-l, worauf der Friedensgruß folgt. Aber die Einfügung von XaLQELV nach der dativischen Adressatennennung durchbricht die aramäische Grundform und führt dazu, daß in diesem Präskript griechische und vorderorientalische Grußformel parallel zueinander stehen. Dieses Nebeneinander gibt übrigens der darauffolgende Brief 2 Makk 1,1~2,18 zugunsten der griechischen Konvention auf1l 9 . - Als weiterer Beleg der Mischformen war syrBar 78,2-86,3 bereits zu besprechen 9o .
In der Linie der Mischformen ist auch das paulinisehe Formular zu sehen, wenn es am zweisätzigen Präskript festhält, in dessen erstem Satz aber den/die Absender im Nominativ (mit Epithet) vor den Adressaten im Dativ einfUhrt. Insofern ist über einseitig vorderorientalische wie griechische Zuweisungen dieses Formulars hinauszugehen 91 . In der Transformation der einzelnen Formelemente wie in der Ausbildung einer spezifischen Funktionalität seiner Briefe entwickelt Paulus nun freilich eine eigene Briefkonvention: a) Bereits das Formular von I Thess I, I zeigt in der EinfUgung eines gott- und christusbezogenen Glieds nach der Adressatennennung eine besondere Theo- und Christozentrik des Präskripts, die sich in den späteren Paulusbriefen weiter ausprägt: Superscriptio wie Adscriptio erfahren Erweiterungen, die Absender und Adressaten der Briefe Christus und Gott zuordnen. Analog wird die Salutatio ergänzt 92 . Schon deren Grund88 Vgl. auch Esr 7,12, dessen aramäischer Text allerdings zum Gruß Schwierigkeiten bereitet (LXX verzichtet auf einen Gruß); dazu s. Fitzmyer a.a.O. 212 mit Anm. 34. 89 Mit einem seltenen Doppelgruß, der aber auch in 2 Makk 9,19(-27) - einem weiteren Beispiel vorderorientalisch-griechischer Mischform - enthalten ist. Zum Grußformular vgl. Bunge 43 ff., Wacholder 95 f. Das Dankgebet in 1,11 stellt im übrigen eine Vorstufe der paulinischen Danksagung dar (mit Doty, Leiters 31; Lohse, Briefe 41). Im Verzicht der drei Texte aus 2 Makk auf einen Schlußgruß dürfte die ältere vorderorientalische Konvention nachwirken. 90 S. o. in Punkt 1.2.1.1. 91 Erstere vertrat Lohmeyer, Probleme 159ff. (dazu s. die Kritik Friedrich, Lohmeyers These 346), letztere Roller 54f. u.ö., J. Schneider, Brief 575, tendenziell noch White, Structural Analysis (8 und passim). Letzterer bietet in Saint Paul passim eine Übersicht über den gegenwärtigen amerikanischen Forschungsstand zur paulinischen Briefkonvention. 92 S. Roller, Tabelle I und S. 57-59, 99ff.; Tabelle 2 und S. 5~1,107ff.; Tabelle 3 und S. 61f., 110-112.
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Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk
form xaQL~ UJ.1LV Kat ELQtlVTt (so I Thess I, I) ist vorpaulinisch brieflich nicht belegt. Ist bei ElQl1'VTJ die Nähe zum vorderorientalischen Gruß deutlich, so bereitet dessen Verbindung mit XelQLS einer Erklärung Schwierigkeiten. Daß einlinige Ableitungen der Verbindung scheitern 93 , spricht dafür, hier "a complex background of epistolary greetings, Christian commissionings, Jewish prayers and salutations" anzunehmen, vor dem Paulus die vorliegende Formel anscheinend eigenständig entwickelte 94 • Dabei füllte er sie theologisch: EtQtl'VTJ erhält (spätestens durch die Zufügung von MO iko'Ü Xt)..) eschatologischen Akzent, und in XclQLS klingt der Gedanke von Gottes freier rettender Gnade an, freilich durch den briefformelhaften Gebrauch eingeschränkt 95 . Bei alledem läßt die theozentrische
93 Die Ableitung aus dem urchristlichen Gottesdienst (Lohmeyer, Probleme 162; s. dagegen Friedrich, Lohmeyers These 345f.; vgl. Wiles 112) ebenso wie die Annahme einer einfachen Kombination des griechischen mit dem vorderorientalischen Gruß (White, Structural Analysis 29f.), die nur zu einer Verbindung von XaLQELV, nicht aber von XelQL
S. Smith 9fT. im Gegenüber zu Oepke, xaAuntw 572f. S. Smith 12,13f. (dort auch die wenigen Belege für den Gebrauch des Verbs). 41 S. Lührmann, OfTenbarungsverständnis 40 und die Auseinandersetzung damit bei Stuhlmacher, Evangelium 76 Anm. 3 (S. 76f.). Der Bezug der OfTenbarungsvokabeln auf visionäre Erlebnisse und deren Deutung bestimmt im übrigen auch den Gebrauch in Herrn (s. Oepke a.a.O. 596). Die Apk spricht dafür von ö()a(JL~ (9,17)! 42 Noch Theodotion, der in seiner Dan-Übersetzung das Verb öfter neu einführt (u. a. 10,1), verzichtet dort auf das Nomen. Die Entwicklung skizziert (mit weiteren Belegen) Smith 19. Auf die sekundäre Übertragung der Bezeichnung "Apokalypse" auf syrBar und andere Texte war o. Exkurs I a) einzugehen. 43 Vgl. Schüßler Fiorenza, Apokalypsis 125. 44 'AnoxclA.u"lL~ findet sich außerhalb der unmittelbaren Paulustradition im NT nur noch Lk 2,32 und I Petr 1,7.13; 4,13, in Schriften also, die jedenfalls Berührungen zur Paulustradition haben. In der frühapostolischen Literatur mit u. a. den Ign, I Clem, Pol fehlt es außer dem gegenüber Apk I, I traditionellen Gebrauch in Herrn (s. o. Anm. 41; Belege in CPA 54) völlig! Auf christliche Apokalypsen findet es erst später Anwendung (s.o. Exkurs la). 39
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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk
be an, die sie im genitivus subiectivus betont aufJesus Christus zurückführt 45 . Die Gnadengabe, Offenbarung zu haben und in ihr - im Unterschied zur Glossolalie verständlich - zu sprechen, bezeugt I Kor 14,6.26 für Paulus und für die korinthische Gemeinde. Später wünscht sie der Verfasser des Eph seinen kleinasiatischen Adressaten, wenn er in der Danksagung ausspricht, der Gott unseres Herrn J esus Christus möge ihnen den Geist der Weisheit und der Offenbarung geben, in denen man zu seiner Erkenntnis komme (1,17)46. An die dortige Vorstellung insbesondere klingt es an, wenn Johannes die ihm gezeigte Offenbarung Apk I, I auf Gott als den Geber zurückführt. Gewicht legt er aber auf die Mitteilung der Offenbarung durchJesus Christus. Mag dieser im Offenbarungsvorgang auch nicht die letzte Instanz sein - darin daß die Offenbarung ihm erst von Gott gegeben wird, ist ein subordinatianischer Zug unverkennbar -, er ist für Johannes die entscheidende Instanz und wird daher an erster und entscheidender Eingangsstelle vor Gott genannt.
Die Betonung der Urheberschaft Jesu Christi für die OffenbarungsGabe erhält ihre Tiefenschärfe, sobald beachtet wird, daß die Berufung auf Offenbarungen und damit die Offenbarungsterminologie in der Gnosis enormes Gewicht erhält 47 ,ja, daß auch dort WtOXUÄU'PL~ - unabhängig von der Apk - bereits früh eine Tendenz zum literarischen terminus technicus ausbildet. Zeitlich der Apk vielleicht am nächsten dokumentiert dies die ApkAdams - später kommen zumindest die "Apokalypsen" desjakobus (I und 11), Paulus und Petrus hinzu 48 -, die in ihrem Incipit nur die Stelle des genitivus subiectivus und damit der die Offenbarung an Adam gebenden Gestalt(en) offenläßt. In ihren - möglicherweise überarbeiteten - Schlußbemerkungen bietet sie ein Modell dafür, wie WtoxuÄu'PL~ gnostisch verstanden bzw. adaptiert wurde: als Gabe und Weitergabe
45 Nur ein Übersehen des Unterschieds im Genitivgebrauch kann zu einer unmittelbaren Interpretation der Apk-Wendung von den auf die Parusie bezogenen Stellen I Kor 1,7; I Petr 1,7.13 oder der das Leben des Paulus nach Gall, 12vgl.16 entscheidenden BerufungsOffenbarung Jesu Christi her fUhren, wo jeweils ein gen. obi. vorliegt (s. Schelkle, Petrusbriefe 36 mit Anm. I und Mußner, Galaterbrief 68). Schon daher ist Schüßler Fiorenzas Interpretation abzulehnen, fUr die Johannes hier unter Bezug auf Gal 1,12.16 "his own experience as a Christian prophetie experience similar to the call-experience of Paul" charakterisiert (a.a.O. 126). Sie vernachlässigt zudem, daß in Apk 1,1-3 die fUr die Berufungs-Interpretation von Gal 1,16 maßgeblichen Motive aus Gal 1,15 fehlen. 46 Vgl. zur Interpretation Schlier, Epheser 77-79. 47 Umfassende Belege lassen sich dem Nag-Hammadi-Register entnehmen (koptische Begriffe Nr. 274C und 453A; Ableitungen vom griechischen Stamm MOXaA\J1tt- S. 216). Besonders interessant erscheint ein Passus der titellosen Schrift NHC XI 2, der von der Offenbarung handelt (23,31-26,21 u. ö.); weiterhin s. z. B. Evangelium Veritatis NHC I 3, 17,2; 27,5; 30,25; 37,6. 48 Vom Incipit her auch die Drei Stelen des Seth (zu diesen Texten s. bereits o. unter 2.1.1 mit der Anm. 30 genannten Literatur).
Die einführende Kenntlichmachung der Apk 1,1-3
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der verborgenen gnostischen Erkenntnis, die ihre Träger mit überweltlichen Instanzen verbindet. Der Text lautet (NHC V 5,85,19-31): "Dies sind die Offenbarungen (futoKQAmVLC;), die Adam dem Seth, seinem Sohn, offenbart hat und über die sein Sohn seinen Samen unterrichtet hat. Dies ist die verborgene (fut6KQUq>OV) Gnosis (YVW(JLC;) Adams, die er Seth gegeben hat, d. h. die (25) heilige Taufe derer, welche die ewige Gnosis kennen durch die Logosgeborenen und die unvergänglichen Phosteres, die hervorgegangen sind aus dem heiligen Samen Jesseus, [Maz]areus [, Jesse]dekeus, [ ... ], die heilig sind. "49
Von dieser Auffassung unterscheidet sich die Apk nicht nur im christlich ausschließlichen Bezug der Offenbarung auf J esus Christus. Vor allem negiert ihr Autor die Gleichsetzung von cbtoxaAU"JL~ mit verborgener Erkenntnis. Nie benützt er die Worte YVÖ>OL~ und l13t6xQU<po~, obwohl - oder gerade weil! - er das Erkennen (YLvwaxELv) der "Tiefen Satans" polemisch ablehnt (Apk 2,24), sondern er schließt 22,10 umgekehrt die Versiegelung der Apk nicht nur gegen Dan 12,4, sondern auch gegen das gnostische Geheimhaltungsmotiv demonstrativ aus (vgl. z. B. ApokrJoh NHC 11 1, 31,2&-32,1 und die Versiegelung der Himmelsbriefe OdSal 23,5-9; ActThom 111 = Perlenlied 49.54). Er ist also sicher kein früher Gnostiker, wozu ihn Gegner der Apk mit der Deutung seines Namens Johannes als Pseudonym Kerinths machten (s. bes. Euseb, h.e. VII 25,2; vgl. das Gaius-Referat 111 28,2). Aber die umgekehrte Interpretationsperspektive kann sich bewähren, wonach er sich in seinem Werkneben anderem - von (früh)gnostischen Tendenzen absetzt, die bei seinen Adressaten wirksam werden oder bereits wirksam sind. Er entkräftet dann deren esoterischer Erkenntnisvermittlung dienende Offenbarungen durch die Bezeugung einer autoritativ ihm zuteil gewordenen Offenbarung Jesu Christi, hinter der Gott selbst als der Offenbarungsgeber steht. Diese I nterpretationsperspektive fUhrt Ansätze der neueren Forschung fort, die auch ohne Detailanalysen von Apk 1,1-3 verstärkt auf gnostisierende Tendenzen bei den von der Apk bekämpften Gegnern aufmerksam macht und jüngst sogar die Apk selbst nicht mehr ganz gnosisfern sieht50 • Aufgrund des vorgelegten Befundes stellt sich weiter die gewichtige Rückfrage, ob nicht schon die Ausprä49 Übersetzung nach Böhlig in Koptisch-gnostische Apokalypsen 117. Die Identifikation der Gnosis mit der Taufe zeigt eine Spiritualisierung der Kulthandlung, vielleicht sogar einen antirituellen Akzent an (s. Beltz, Adam-Apokalypse 197). Eine neu("re Untersuchung zum Offenbarungsverständnis der gnostischen Strömungen fehlt. Die bislang m. W. einzige Monographie zum Thema legte Liechtenhan 1901 vor. Nach ihm ist Offenbarung eine zentrale Kategorie zum Erfassen der Gnosis, da die Gnostiker sich gerade in den wichtigsten Fragen auf Offenbarung(en) berufen (Ergebnis 162-164). Diese Auffassung dürfte durch die neuen Texte eine vertiefte Absicherung erfahren. 50 S. rür die Gegnerfrage Schüßler Fiorenza, Apocalyptic passim; Prigent, L'h~r~sie bes.
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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk
gung des Offenbarungscharismas im Umkreis der paulinischen Gemeinden vor der Abfassung der Apk im Spannungsfeld aufkommender gnostischer Tendenzen zu sehen ist. Ist eine endgültige Entscheidung aufgrund des gegenwärtigen Forschungsstandes 51 auch nicht möglich, so ist doch auffällig, daß Paulus das Charisma gerade für Korinth bezeugt (I Kor 14,26), wo ein Wirksam werden der frühen Gnosis besonders wahrscheinlich ist, daß ferner WtOX6.A\J'PL~ im Eph (1,17) gerade mit aoLAELV charakteristische Dimension der "Liebe zu den nächsten Angehörigen"19 mit, das die Apk in Fortführung unserer Motivik 3,19 (gegen die Tradition aus Prov 3,12 LXX) setzt. Ein Heilskonnex entsteht, den das zweite und dritte Glied eigengewichtig präterital entfalten 20 : Die zweite Tatprädikation verwendet mit AUELV EX eine Verbkonstruktion, die - hier wie im zweiten Vorkommen Apk 20,7 - ein Freilassen bezeichnet 21 ; d. h. Jesus Christus hat durch sein Blut die Christen freigelassen, befreit aus den Sünden, die sie begangen haben (Ex tWV a~aQtLWV iJ~wv), und zwar im vollsten Sinne: Die von den Christen begangenen Sünden spielen in der Apk keinerlei Rolle mehr, sie konstituieren auch keine Machtsphäre, die auf die Christen neu Besitzansprüche erheben könnte. Der Apk-Autor spricht konsequent nie von einer Sündenmacht im Singular, sondern ausschließlich von den konkreten Einzelsünden im Plural, deren Tun nur noch die große Stadt Babyion kennzeichnet (18,4.5), nicht einmal die in den Sendschreiben gegeißelten innergemeindlichen Gegner, die Nikolaiten und Isebel, bei denen stets nur neutraler von Taten (EQya) die Rede ist (auch 2,6.22). Die Christen können so allenfalls noch gemeinschaftliche Mittäter - nicht Eigentäter - der Sünden Babyions werden (18,4). Der ihnen geltende Heilsindikativ ist radikal formuliert: Sie sind aus den Sünden befreit ohne jegliche eigene Leistung, allein durch das Blut, den Tod Jesu Christi. Sie sind, "wie die Aoristform deutlich macht, vollendet und endgültig im Heil. "22. Die dritte Tatprädikation umreißt die neue Existenz der aus ihren Sünden gelösten Christen im Anklang an die futurische Zusage Gottes Stählin,
Toov 'tE A6yoov ... dQfJ~tvoov {"':o 'trov 3tQOtA'1906f. 65 Mit Hadorn 30. Bousset, Offenbarung 190 beschränkt die, die ihn durchbohrt haben, auf dieJ uden, muß dann aber alle Stämme der Erde, die er unnötig einschränkend als "die ungläubigen Heiden" identifiziert, aus 7 d gewaltsam als zweites Subjekt zum Sehen von 7 b vorziehen. 66 Die korrespondierenden 1tä~-Aussagen 7 b.d inkludieren die eine Teilgruppe besonders hervorhebende Durchbohrungsaussage 7 c schon sprachlich. 67 Wie in Sach 12,10 wird der Betrauerte mit bd eingeführt (vgl. noch Apk 18,9). Die Umdeutung auf eine Wehklage der Völker "um ihr eigenes, mit der Parusie besiegeltes Schicksal" geht hier ebenso über den Text hinaus wie bei der analogen Konstruktion von 18,9 (gegen Schüßler Fiorenza, Priester 187; vgl. Müller a.a.O. 76). 68 S. Kutsch passim (Zitat 35).
Die Brieferöffnung Apk 1,4-8
125
Gott" (z. B. I Makk 4,33-40)69. Die Linie reicht in das Neue Testament weiter, wenn etwa Lk 23,27 bei der Kreuztragung Frauen die Minderungsriten des X61ttEoitm und itQl1VELV vollziehen, die sie als Bräuche der Trauer um Jesus verstehen, während J esus sie in V. 28 als Selbstminderungsriten angesichts drohenden Unheils (vgl. vv. 29 ff.) auf sie zurückwendet.
Von da her geht es in Apk 1,7 d um die Selbstminderung, die alle Völker der Erde in ihrer Klage ausdrücken und vollziehen, wenn sie J esus Christus in seiner Macht und Herrlichkeit mit den Wolken kommen sehen. Entspringt das Klagen bei den ihm Zugehörigen dem Schmerz über die Minderung, die sein Tod bedeutet, so bei seinen bisherigen Gegnern zugleich der Reue und dem Bewußtsein ihres Vergehens 7o . Ob Gott und Jesus Christus auf solch selbstmindernde Unterwerfung mit neuer Zuwendung antworten, läßt der Apk-Autor mit Sach 12,10-14 offen. Sein leserführendes Ziel ist mit der Anerkennung der in 1,5 f. behaupteten universalen Herrschaft Jesu Christi durch alle Menschen, seine Anhänger ebenso wie seine Gegner, ja Mörder, bei der Parusie erreicht, einer Anerkennung, die angesichts des Todes Jesu ihren sachgemäßen Ausdruck in der Totenklage um den Erstgeborenen Gottes findet 71 •
2.2.3.3 Die Bekräftigung durch die Selbstprädikation Gottes 1,8 Apk 1,8 bekräftigt die vorhergehenden christologischen Aussagen im Amen" Gottes, der sich in den Duktus gipfelhaft abschließender Weise vorstellt. Er wiederholt die Prädikation 6 WV xai 6 ~v xai 6 tQX6JlEVO~ aus V. 4 72 , die seine Vorstellung von Ex 3,14 als 'Eyw ELJlL 6 WV (LXX) in Rahmung des leserführenden Duktus der Vv. 5-7 zum Kom-
,J a,
Baumann 49. Belege für Trauerbräuche zum "Ausdruck des Sünden bewußtseins" bei Stählin, xoj[E't6~ 850 Anm. 128. 71 Vgl. die Interpretation durch Prigent, L'Apocalypse 20. Auch von Prigent ebd. abgelehnt, ortet Kraft, Offenbarung 35f. diese Klage "in der Eucharistiefeier, d. h. in der Gedächtnisreier für Christi Tod (vgl. 1 Kor 11,26)", so daß die von Sach geweissagte Buße Israels "zu einer Bekehrung aller Völker der Erde ausgeweitet", der ganze V.7 also eine "Heilsankündigung" wäre. So reizvoll diese These ist, sie fallt aus Mangel an Belegen für einen Vollzug der Totenklage bei der Eucharistie (auch I Kor 11,26 spricht nur von der Verkündigung des TodesJesu). 72 Diese ist in sich grammatisch inkonsequent, da zwei Partizipien ein finites Verb rahmen. Eine Erklärung dessen ist sowohl sachlich versucht worden - der Apk-Autor habe ~v für das Partizip YEYovw~ gesetzt, da er dessen Beiklang des Werdens der Gottheit vermeiden wollte (Kraft a.a.O. 31) - als auch sprachlich - hier liege ein Hebraismus vor (McNamara 110 fT.). Letzteres setzt voraus, daß 6 in der Formel nicht wirklich der griechische Artikel sei, sondern "merely represents the indeclinable Semitic nota relativi" (a.a.O. 110 teilweise hervorgehoben, vgl. 111), und erklärt damit eine sprachliche Schwierigkeit unter Konstruktion einer weiteren, so daß erstere Erklärung die einrachere ist. 69
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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk
men Jesu Christi hin markant erweitert. Die neue Dreigliedrigkeit der Prädikation findet zunächst Parallelen im Hellenismus - der Apk-Ansiedlung in diesem Raum gemäß! -, erst später auch in rabbinischer, targumischer und gnostischer Literatur 73 , aber stets in Dreizeitenformeln, die im dritten Glied nach Präteritum und Präsens ins Futur des Seins Gottes weisen 74. Die Apk ersetzt dieses dritte Glied durch {) tQX6J.lEVO~. In zur Jesus-Epiphanie von V. 7 a korrespondierender Weise läßt sie die futurische Dimension des Seins Gottes, die futurische Eschatologie gegenüber der gegenwärtigen Wahrnehmbarkeit seines Kommens zurücktreten das Futur H,EU(J6J.lEVO~ ist gezielt vermieden 7s • Mehr noch, {) tQX6J.lEVO~ wurde in Ausdeutung des Lobpreises dessen, der im Namen des Herrn kommt, aus Psalm 117,26 LXX ein verbreitetes Messiasprädikat, das im Neuen Testament in Aufnahme der Psalmstelle (Mk 11,9 u. ö.), aber auch von dieser unabhängig gebraucht wird (Mt 3,11; 11,2; Hebr 10,37; vgl. Joh 11,27)76. Gott übernimmt dieses Christusprädikat 77 und bekräftigt es damit. Das vom Incipit an beobachtete Bemühen des Apk-Autors um eine Zusammenordnung Gottes undJesu Christi findet eine Spitzenformulierung, die das Gewicht von 1,7 unterstreicht: Jesus Christus kommt so gewiß und findet so gewiß seine Anerkennung in der Klage aller Völker um ihn, wie Gott selber sich in ihm als der Kommende zu erkennen gibt. Weiter bestätigt und bekräftigt Gott die Herrschaftsaussagen der Vv. 5f., indem er sich als der Pantokrator prädiziert. Pantokrator ist ein in der LXX häufiger Gottestitel, der im Urchristentum nur zögernd rezipiert wird'8. In letzter Zeit ist vorgeschlagen worden, in der christlichen Aufnahme bereits der Apk nicht nur die alttestamentlich-jüdische Tradition ,,3tavtoxQatwQ = 3tavtwv xQatwv = omnipotens = Allmächtiger" nachwirken 73 Die noch von Müller, Offenbarung 72 vertretene komplizierte, nur bei einer (problematischen!) Frühdatierung der Targume haltbare These, dem Apk-Autor müsse die griechische Drei-Zeiten-Formeljüdisch vermittelt zugekommen sein, ist aufzugeben. 74 Belege bei McNamara 102 (hellenistisch) und 103-112 (rabbinisch-targumisch), hellenistisch auch bei van Unnik, Formula 93. Gnostisch ist übrigens sogar die VoransteIlung des präsent ischen vor das präteritale Glied belegt, die sich aus der Anknüpfung an die präsentische Formulierung von Ex 3,14 LXX ergibt und etwa Apk 4,8 (nach 1,8) aufgegeben wird (NHC 11 3,64, 11 f.; weitere gnostische Belege s. Nag-Hammadi-Register S. 145 u.). 75 Die Apk kennt das Futur von lQXEaitm sehr wohl, wie sein Gebrauch im Kompositum an zentraler Stelle (3,20) zeigt. Die beliebte Übersetzung "der ist, war und kommen wird" (so etwa K. M. Fischer, Christlichkeit 167) ist daher unzutreffend, die Auflösung als präsens apodicticum oder futurisches Präsens (so Steyer, Satzlehre 40 G) zu einfach. 76 Weiteres beiJ. Schneider, lQXOJ.«lL bes. 666f. und Massingberd Ford, He that Cometh bes. 145. 77 Gegen Krafts gezwungene Differenzierung der Verwendung als Gottes- und Christusprädikat a.a.O. 31. 78 Außerhalb der Apk neutestamentlich nur noch in einer Aufnahme von 2Sam 7,8 LXX in 2 Kor 6,18, erst bei den apostolischen Vätern häufiger (z. B. I Clem Präskript; MartPoI14,1).
Die Brieferöffnung Apk 1,4-8
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zu sehen, sondern auch die stoische ,,1tavtOxgcl'toog = 1tclvta xga'twv = omnitenens = Allerhalter"79. Diese Möglichkeit würde sich gut zur kommunikativen Situation der Apk fügen, doch ist in jedem Fall die Präponderanz der LXXTradition zu wahren: Die Apk hebt durch die Verbindung mit dem Kyrios-Titel (fast stereotyp auch in 4,8 usw.) nicht die Erhaltungsfunktion, sondern die Herrschermacht Gottes hervor.
Gott als der Allherrscher trägt demnach die titulare wie doxologische Zusprechung der universalen Macht an Jesus Christus in 5a.6b mit seiner All-Macht, deren umfassenden Rahmen schon vorab die Eingangswendung von 1,8 absteckt, in der er sich als das Alpha und das Omega vorstellt. Der All-Aussage dient hier eine- im Neuen Testament singuläre - explizit griechische Buchstabenspekulation, mit der der Apk-Autor sein Werk pointiert aufhellenistischen Boden stellt. Die nächste jüdisch vergleichbare Bezeichnung Gottes als die "Wahrheit" (n7.*) stammt erst aus dem 3.Jh. und kann nur konstruiert über griechischrömische Zwischenglieder - die Linie läuft von amt (hebräisch) über das nicht belegte ANO zu A Q (griechisch) - mit der Apk-Formel verbunden werden 8o • Da stehen die gnostischen Buchstabenspekulationen, von denen Irenäus berichtet (adv. haer. I 14ff.)81, der Apk zeitlich noch näher. Sicher abzulehnen ist daher die These einerdirekten Herkunft der Formel aus semitisch-palästinischerTradition82 , sehr unwahrscheinlich auch die Annahme, sie werde "über dasjudentum" in die Apk gekommen sein 83 . Das überkommene Material verweist wie die sprachliche Formulierung klar auf einen hellenistischen, näherhin am ehesten auf einen synkretistischen Hintergrund 84 .
Das aber heißt, daß sich eine scharfe religionsgeschichtliche Scheidung zwischen dem Apk-Autor und seinen impliziten Adressaten - etwa hier jüdisch-apokalyptische, dort hellenistische Verankerung - verbietet. Der Apk-Autor teilt mit letzteren vielmehr nicht nur die christliche Gewißheit bereits gegenwärtig geschenkten Heils, sondern auch die religionsgeschichtliche Verankerung im spätantiken Synkretismus, in den er freilich stärker jüdisch-prophetische und jüdisch-apokalyptische, seine Adressaten stärker griechisch-hellenistische Traditionen einbringen. Er mag von daher beim Einsatz unserer Formel auch an die Selbstprädikationen Gottes als der erste und der letzte, schlechterdings überlegene einzige Gott inJes 44,6 u. ö. gedacht haben, ohne daß die Formel griechisch darin aufginge 8S . Reader 119ff., Zitate 121 (dazu Lit. in Anm. 78 S. 304). Näheres bei Hohz, äAq:>a155f. 81 Vgl. weiter Marsanes NHC X 1,2!}"38. 81 Gegen Schüßler Fiorenza, Priester 184. 8J So Holtz a.a.O. 156. M Vgl. zur Sache noch Kittel, A Q passim, bes. I und Allo 8. 85 Gegen eine zu einfache Ausspielung alttestamentlichen Inhalts gegen griechische Form, wie sie noch Müller a.a.O. 78 vertritt. 79
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2.2.4 Die Vorstellung der sieben Geister in der Apk Die erstellte These zum religionsgeschichtlichen Ort der Apk bewährt sich bei der Erfassung der hier zuletzt zu besprechenden Vorstellung der sieben Geister vor Gottes Thron, die der Apk-Autor an markanter Stelle zwischen Gott undJesus Christus in der Salutatio 1,4b einführt. Ihre bereits altkirchliche Deutung auf den spiritus septiformis nach jes 11,2 erwies sich bis zum Beginn des 20.jh. als sekundäre Konstruktion 86 . Die daraufhin einsetzende religionsgeschichtliche Untersuchung legte ihren Schwerpunkt auf den orientalischen und jüdischen Bereich. Sie fand als nächstliegende Parallelstellen Tob 12,15 und äthHen griechisch 20,2-7, die jeweils von sieben heiligen Engeln sprechen bzw. diese aufzählen 87 • Der Schluß auf eine Identifizierung der sieben Geister mit den sieben Thronengeln Gottes bzw. den sieben Erzengeln (stets Engel!) lag aufgrund von 4,5 und 5,6 nahe und wurde bei einer Analyse des Fortgangs der Apk wenigstens für die Redaktion des Apk-Autors zwingend. Wie nämlich nach 1,4;vg1.4,5 die sieben Geister vor Gottes Thron sind, so stehen nach Kap. 8 f. an derselben Stelle sieben Engel, die sich als die sieben Engelftirsten identifizieren lassen 88 . Die Frage nach der Funktion der trotzdem auffällig als Geister eingeführten Gestalten aber blieb. In der Forschung wurde und wird sie aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung vor Gottes Thron in 1,4 über alle Engelsidentifizierung hinweg bevorzugt auf eine Darstellung des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes durch sie hin beantwortet 89 . Das ist aber angesichts 86 S. Bousset, Offenbarung 185, in neuester Zeit z. B. Bruce, Spirit 334.Jes II ,2f. 'ln sind nur sechs, LXX sieben Gaben des einen Geistes (Singular!) zu entnehmen. 87 S. bes. Michl in Tavard u. a. 10 (in Anm. I Lit.). 88 S. Michl a.a.O. 13f. 89 S. etwa Bruce a.a.O. 336f.; Müller a.a.O. 73. Kraft a.a.O. 32 bringt sogar Jes II ,2f. wieder in die Deutung ein. Zu Recht zurückhaltender blieb Holtz, Christologie 140 nach 138 ff. Schweizer nahm (in Die sieben Geister 509 und in Kleinknecht u. a., 1tVEÜJ.la 449) fUr 1,4 (Heiliger Geist), 4,5 und 5,6 (Thronengel) und 3,1 (Parallelgestalten zu den Gemeindeengeln) gar drei verschiedene, wenn auch miteinander vereinbare Bedeutungsnuancen an. Religionsgeschichtlich zog er (an letzterem Ort) die Linie zur valentinianischen Gnosis aus, die Individualengel kenne, die der zum einzelnen kommende Christus seien, und sah im Denken der Apk eine vorgnostisch-jüdische Parallele dazu, die den Geist in einem ausgesprochenen Gemeindebuch freilich nicht dem einzelnen, sondern der Gemeinde zuordne. Die Engelspekulation der valentinianischen Gnosis, wie sie sich aus Irenäus, adv. haer. I 2-7 erheben läßt (Übersicht dazu mit Heranziehung der Parallel- und Vergleichsstellen bei Szaoo 149), kann das von Schweizer postulierte Einheitsband von heiligem Geist, Geistern vor Gottes Thron und Gemeindeengelnjedoch nicht liefern: Sie spricht nur von Engeln um den Erlöser (I 4,5; 7, I) und ist damit schon zur Interpretation der Apk 1,4 vor Jesus Christus genannten und diesem erst 3, I sichtlich redaktionell untergeordneten sieben besonderen Geister vor Gottes Thron nicht mehr geeignet. Des weiteren ist die Differenz zwischen (kollektiven) Gemeindeengeln in der Apk und Individualengeln in der Gnosis mehr als nur eine Akzentverschiebung. Die von Clemens AI, strom. IV 89,2 f. aufgezeichnete Homilie Valentins, die die "Engel" anreden dürfte und in der Schweizer (Die sieben Geister 511 Anm. 55) deshalb eine Analogie zum Vorgehen der Apk in 1,20; 2, I usw. sieht, fUhrt in eine ganz andere Vorstellungswelt: Valentin spricht auf diese Weise die
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dessen unhaltbar, daß die Apk sehr wohl den einen Geist im Singular kennt, der zu den Gemeinden spricht (2,7 usw.; vgl. 14,13), ohne ihn im Sendschreiben zu Sardes, das im Eingang die sieben Geister erwähnt, irgend mit diesen zusammenzubringen (vgl. 3,6 mit 3,1)90.
Es ergibt sich also der auffällige Befund, daß der Apk-Autor in 1,4; 3,1; 4,5; 5,6 eine von ihm zwar im Fortgang seines Werkes nachträglichredaktionell auf die Thron- bzw. Erzengel Gottes aus der jüdisch-orientalischen Tradition gedeutete, aber in den genannten Eingangspassagen terminologisch noch nicht dorthin geänderte Vorstellung aufnimmt, die in ihrer Eigenformulierung weniger darauf als auf allgemeine Geisterspekulationen im breiten Rahmen der damaligen ebenso jüdischen und christlichen wie griechischen Religionsentwicklung weist. Ihren Schwerpunkt hat die Geistervorstellung in der jüdisch-apokalyptischen Literatur und - wohl mit unter jüdischem und später auch christlichem Einflußim hellenistischen Synkretismus, besonders der Hermetik 91 . Ins Neue Testament findet sie von der Bezeichnung der Gott dienstbaren Wesen in Hebr 1,14 über die der Engelmächte überhaupt (Hebr 12,9; vgl. Num 16,22; 27,16 LXX) bis hinzu der böser Geistwesen (Mk 1,23 u.ö.; vgl. auch Eph 6,11 fT.) Eingang. Ganz in letzterem Kontext erscheint auch in der Apk die Vorstellung unreiner Dämonengeister (16,13).
Innerhalb dieses Rahmens ist an unseren Stellen genauer von Geistern die Rede, die sich vor Gottes Thron befinden und in einer besonderen Weise mit dem Heil und Wohl der angeschriebenen Gemeinden zu tun haben (s. bes. 1,4; 4,5). Letzteres spiegelt sich schon in der Parallelisierung der Siebenzahl der Gemeinden und der Geister. Vor allem aber setzt der Apk-Autor die sieben Geister als Mächte voraus, die seinen Adressaten Gnade und Friede vermitteln können, wenn er eben dies in der Briefsalutatio von ihnen wünscht.
Eine Assoziation der im hellenistischen Judentum zu findenden (Sir 17,17; Dtn 32,8 LXX) Zuordnung von Völkern und Engeln, die die V nsterblichen und die Kinder des Lebens an, die den Tod unter sich aufteilen wollten, um ihn zu vernichten und so über die Schöpfung und jedes vergängliche Wesen Herr zu sein. An die Stelle des Gemeindebezugs der Sendschreiben ist gnostische Lebens- und Herrschaftsspekulation getreten. Schließlich ist Schweizers Versuch, die Parallelität und zugleich die Differenz der sieben Geister und der Gemeindeengel zu erfassen, konstruiert. Seine These, daß "die sieben Geister das Handeln Gottes gegenüber den Einzelgemeinden" darstellten und in Parallele dazu "die sieben Engel das von Gott gewirkte, gnadenhafte Antworten der Einzelgemeinden auf dieses Handeln", postuliert einen gemeindlichen Antwortcharakter letzterer, der weder ihrem Angeschriebensein in Apk 2-3 noch der Tradition der Individual- bzw. Völkerengel zu entnehmen ist, die auch Schweizer hinter ihnen stehen sieht (a.a.O. 51 I mit Anm. 55). 90 Sachentscheidung mit Michl a.a.O. 10. 91 S. Sjöberg und Kleinknecht in letzterer u. a., 1tVE'ÜJ.«l373,337.
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Herrschaft des transzendenten Gottes mitteln, näherhin der Tradition der individuellen Schutzengel (vgl. z. B. Ps 91,11 f.) und Fürsprecherengel (vgl. z. B. Hi 33,22ff.), die im Völkerengel ins Kollektiv umgesetzt ist (vgl. z. B. Dan 12,1 )92, liegt nahe, wird aber durch das Nebeneinander von den sieben Geistern und den - nach 1,20 für Gemeindeengel stehenden sieben Sternen in 3,1 gehemmt, das ersteren doch noch übergreifendere Heilsfunktionen zuschreiben läßt. Das lenkt das Augenmerk auf einen von Clemens Al überlieferten, in der Apk-Exegese bislang unberücksichtigten orphischen Gesang an die Gottheit, in dem es heißt, bei deren brennendem Thron stünden sorgenvolle Engel, die die Sorge für die Sterblichen übernähmen, solange alles vollendet werde (griechisch: oq, öt itQOVlp 3tuQOEvtL 3tQQEO'täOL(V) 3tOAtJ~OXitOL ä:r(EAOL, OrOL ~E~TlAE ~QO'tOL~ w~ 3t-31); vgl. auch Poimandres I ff. 60 S. Pagels 41.>-419, der dem Zusammenhang nicht sehr glücklich neutestamentlich noch die disparaten Szenen von Act9,3-7 vgl. 22,6-11; 7,55f.; 1O,lOff. zuordnet.
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gung dessen, "was ist [und was war und w]as geschehen wird"61, an Johannes, damit er Unsichtbares und Sichtbares erkenne, und seine Belehrung über den vollkommenen Menschen (NHC 11 1,2,12-20; vgl. IV 1,3,&-16; BG 21,19-22,9). Schließlich gibt der Offenbarer dem Johannes die Anweisung, zu hören und das Gehörte seinen Gleichgeistern weiterzugeben, die aus dem Geschlecht des vollkommenen Menschen stammten. Johannes fordert ihn auf zu sprechen, und er beginnt seine Offenbarungsrede (NHC 11 I, 2,21-26ff.; vgl. IV I, 3, I&-24 ff.; BG 22,10-18ff.).
Diese Epiphanieerzählung ist in Exposition (a), Reaktion desJohannes (cl e), Vision (d) und Offenbarungsrede (g) trotz ihrer größeren Breite derjenigen der Apk bemerkenswert verwandt. Die- zu einem Gutteil über die gemeinsame Epiphanietradition vermittelte - Parallele des Duktus reicht nicht nur von der Exposition zu einer Vision Jesu Christi, der sich als Offenbarer mit der "Ich bin"-Formel und der Aufforderung, sich nicht zu fürchten, einführt, sondern in der Offenbarungsrede auffällig weiter zu einem Tradierungsauftrag, der im Rahmenschluß des ApokrJoh als Schreibauftrag spezifiziert wird 62 . Hinzu kommt die Berührung mit Apk 1,19 in der Bestimmung des durch den Offenbarer zu vermittelnden Wissens mit einer Drei-Zeiten-Formel als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betreffend. Es erscheinen also sogar zu den bisher genannten zusätzliche Formelernente, die gerade Apk und Gnosis in eine Beziehung setzen. Ihre je spezifische Aufnahme bestätigt zugleich die Spannung der Apk zur Gnosis: a) Die überweltliche Schreibbeauftragung kam im religionsgeschichtlichen Kontext der Vorstellung von der Entstehung heiliger Bücher durch eine Gottheit oder in deren Auftrag auf, die 63 orientalisch von alters her weit verbreitet war und von Ex 34,27; vgl. 24,12 an auch ins Alte Testament Eingang fand. Spätere jüdische Texte lassen im Zuge der Transzendierung Gottes Engel als Vermittler des Schreibbefehls hervortreten Uub 2,1 nach 1,5; Tob 12,20)64, der die Souveränität des Schreibenden gezielt 61 Übersetzung von NHC 11 I, 2,16f. nach Krause in der Ausgabe Krause/Labib, Apokryphon 112. 62 NHC 111,31,28-32,1 (vgl. IV 1,49,9-20; BG 75,1~76,15; NHC 1111, 39,1~,4) lautet: .. ,Ich aber habe dir alle Dinge gesagt, damit du sie aufschreibst und sie deinen Mitgeistern im Verborgenen gibst; denn das ist das Geheimnis des nicht wankenden Geschlechtes.' Und der Heiland gab ihm diese (Geheimnisse), damit er sie aufschreibe und sie sicher hinterlege. Und er sprach zu ihm: ,Verflucht ist jeder, der diese (Geheimnisse) ftir ein Geschenk oder wegen Essen oder wegen einem Getränk oder wegen einem Gewand oder wegen einer anderen Sache dieser Art weitergeben wird ... • (Übersetzung nach a.a.O. 198f.). 63 Wie Leipoldt/Morenz 29ff. nachweisen. 64 Bei den Gestalten Esras und Henochs läuft die Vergabe des Schreibauftrags mit deren Vorstellung als Schreiber - bei Esra näherhin als Toragelehrten und -schreibers, bei Henoch als himmlischen Schreibers - zusammen (s. bes. Esr 7,6.11; 4Esr 14,18-48.50;
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zugunsten seines überweltlichen Auftraggebers einschränkt 6s • Griechisch ist die Vorstellung nicht gleichermaßen religiös lebendig66 , sondern stellt sie eher ein die Souveränität des Schreibenden nicht tangierendes literarisches Motiv dar, dem gemäß man auch bei Epiphanien schon vorab Schreibutensilien zur gegebenenfalls nötigen Niederschrift dabeihat 67 und dessen man sich gerade kleinasiatisch im 2.Jh. n. ehr. für das Abfassen ganzer Werke zu bedienen vermag. Die Belege bei Aelius Aristides hat Weinreich besprochen 68 . Daneben ist Artemidor von Ephesus zu nennen, der nach Onirocriticon II 70 (= 202f.) bei der Abfassung dieses Werkes dem Ruf des Apollo Mystes folgte, dessen Schreibauftrag aber a.a.O. erst am Ende des zweiten Buches einführt, nachdem er im WerkProoimion den gegenwärtigen Bedarf als Abfassungstriebkraft benannt hatte. I I I prooim. nennt er darauf in einer Anrede an Cassius, dem er das Werk widmet, nur den Blick auf die Größe von dessen Weisheit als Abfassungsbeweggrund, IV prooim. den göttlichen Ruf und den Eifer des Cassius gleichgeordnet nebeneinander. Ein literarisches Widmungs- und Schreibbegründungsspiel entsteht, in dem Artemidor sich seiner schriftstellerischen Souveränität voll bewußt bleibt, aus der heraus er nach III 66 seine Verfasserkennzeichnung im Werktitel als Daldianos und nicht Ephesios wählt, um dem bislang unbekannt geblieben Daldis so voller Dankbarkeit die Bücher des Onirocriticon zu widmen.
So literarisch-spielerisch erscheint der Schreibauftrag weder in der Apk noch im ApokrJoh. Für den Einsatz des Motivs in ihnen - wie den weiteren gnostischen Belegen - ist die vorderorientalische Traditionslinie grundlegend 69 , die die Verschriftung vor allem um des durch sie ermögäthHen 92,1; TestAbr Rec B 11; Jub 4,23; slavHen 53,2) (zu Esra als Schreiber vgl. Schaeder passim, zu Henoch Dexinger bes. 146-150). Im Unterschied dazu vermeidet der Apk-Autor jede nominale Selbstbezeichnung als Schreiber, ordnet sich also weder einer besonderen jüdischen Schreiber-(Schriftgelehrten-)Tradition (zu dieser Näheres bei Westerholm 26-31) noch einer solchen griechischen zu (etwa der kleinasiatischen Orakelschreibertradition: s. zu Didyma Wo. Günther, Orakel 116f., zu Klaros Picard 259-262 und Robert, L'Oracle 310, vgl. 312). 65 Vgl. Dexinger 149, der diesen Abhängigkeitsgedanken von Henoch aus für das Schreibmotiv in der apokalyptischen Literatur herausstellt. 66 Auch wenn Dedikationen in ihrer Verschriftung gerne auf ein Orakel- oder Traumgeheiß der Gottheit zurückgeführt werden (Belege - u. a. aus Philadelphia! - bei Barton/ Horsley 8 und II Anm. 15), Leipoldt/Morenz 32 also die Vorstellung göttlicher Schreibaufträge gar zu sehr aus dem griechischen Denken lösen möchten, spielt dort doch die Inspirationsvorstellung des Musengedankens (dazu s. Barmeyer passim) insgesamt eine gewichtigere Rolle. 67 So Thessalostext T 21 (vgl. M 21); PGrM XIII 90-94 und 644f. Festiguere, ReveIation I 318 sieht in Apuleius, metam. VI 25, I eine mögliche unschuldige Parodie darauf. 68 Weinreich, Heilungswunder 5f. 69 Die altorientalische Linie göttlicher Urheberschaft heiliger Bücher wird gnostisch am vielleicht unmittelbarsten in der Dreigestaltigen Protennoia NHC XIII I sichtbar, die sich SO,23f. ausdrücklich als Heilige Schrift gibt, die vom Vater in vollkommener Erkenntnis
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lichten zeitübergreifenden Zeugnischarakters und der Gewährleistung überdauernder Sachtradierung willen betont. Erstere Vorstellung tritt besonders inJes 30,8 (vgl.Jer 36; Hab 2,2-4 7 °;Jub 1,5 ff.; äthHen 81,6) hervor. Letztere (belegt in äthHen 82, I ff. - im Anschluß an die Beauftragung von 81,5-10 - sowie 92, I; slavHen 33,5-12 und - geradezu erzählerisch ausformuliert - in 4Esr 14,1~26bzw.49) spitzt sich in der zwischentestamentlichen pseudepigraphen Literatur auf die ideologische Funktion zu, die Herleitung der verschrifteten Traditionen aus der Zeit der pseudonym genannten Gestalt und ihre die Zeiten überdauernde U nversehrtheit abzusichern 71.
Der Umfang des Mitzuteilenden und dessen Adressaten werden in der Tradition gerne - übrigens in gemeinantikem Kontext - auf ausgewählte Gruppen beschränkt, die das mitgeteilte besondere Wissen erfassen und bewahren können 72, ein Zug, den die gnostischen Zeugnisse - weit über das Apokrjoh hinaus - ungebrochen fortführen: Das Schreiben dient der Tradierung des vom Offenbarer mitgeteilten geheimen Wissens an einen begrenzten, pneumatisch ausgezeichneten Personenkreis (s. neben Apokrjoh NHC 11 1,31,28-32,1 par Thomasbuch NHC 11 7, 138,1 ff. und 145,17 f.; Die drei Stelen des Seth NHC VII 5, 118,13-19 mit 127,28 f. und jakobusbrief NHC I 2, 1,8-25). Es überbrückt die (kürzeren) Zeiträume zwischen der fingierten Abfassung und Veröffentlichung, so daß etwa in der I.j akobusapokalypse sogar explizite Zeitmomente eindringen (NHC V 3, 36, 7-24ff.), und garantiert die Überlieferung in ihrer Richtigkeit 73 , weswegen oft auch der Schreiber genannt wird (EvThom Prolog; 2.Apkjak NHC V 4, 44,15; Pistis Sophia 69 vor 71, bei Schmidt/Till Kap. 42 vor 43). Die Apk steht differenzierter in der Tradition. Mit ihr läßt der ApkAutor die Souveränität seines schriftstellerischen Tuns hinter seiner Abhängigkeit vom Schreibauftrag einer überweltlichen (Offenbarungs-)Gestalt zurücktreten, bringt er (in 1,2) das Zeugnismotiv ein und verbindet er das Schreiben (in I, 11) mit dem Tradieren. Aber der Gedanke einer Zeitüberbrückung fehlt völlig - ein eindeutiger Hinweis darauf, daß der Apk-Autor zwischen der Verschriftung und Veröffentlichung seines Werks keinen, und sei es auch fiktiven, Zeitraum liegen sieht, also für dessen Abfassung keine pseudonyme Größe der Vergangenheit bemüht. geschrieben wurde. - Auf den bereits o. unter 1.2.1.5 besprochenen Sachverhalt bei Herrn ist im folgenden nicht nochmals einzugehen. 70 Dazu s.Janzen passim. 71 Dies wies Rau bes. 428 rur äthHen nach. Bes. deutlich ist es auch slavHen 33,11 f. Eine Sonderstellung im Kontext nimmt Tob 2,20(-22) ein. 72 S. bes. 4 Esr 12,38; 14,45fT. Beliebt ist die Vater-Sohn- bzw. Vater-Kinder-Weitergabe (s. etwa äthHen 81,6; 82,1 fT.; vgl. auch Artemidor, Onirocriticon IV prooim.); Weiteres bei Leipoldt/Morenz Kap. 8, bes. S. 9Of. und 95fT. 73 In der 2. ApkJak dient möglicherweise der Vater des Jakobus als weiterer Garant (l"HC V 4, 44, bes. 13--20).
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Noch auffälliger ist die Angabe der Adressaten, denen die Tradierung gilt, in 1,11. Sie sind nicht mit einer besonderen pneumatischen Qualifikation bezeichnet, die sie zum Empfang einer Geheimoffenbarung befugen könnte, sondern lediglich lokal fixiert, noch dazu in einer Weise, die den Text auf eine historisch-geographische Referenz hin überschreitet. Entsprechend konkret und textextern verweisend wird der Tradierungsvorgang als Versendungsvorgang benannt. Dieser Befund korrespondiert demjenigen, der zu Apk 1,1-3 zu erheben war: Der Apk-Autor greift auf Form- und Traditionslinien zurück, die nicht nur in der jüdischen Literatur belegt sind, sondern insbesondere in der (christlich-)gnostischen Literatur wirksam werden, und korrigiert sie entsprechend seinen eigenen Kommunikationsinteressen. Entgegen einem zeitüberbrückenden Überliefern von geheimen Sondertraditionen an pneumatisch besonders zu ihrer Rezeption befähigte auserwählte Adressaten begründet bei ihm die vollrnächtige Schreibbeauftragung Jesu Christi die öffentliche Mitteilung der nach 1,1 f. vom traditionellen Christuszeugnis getragenen, ihm zuteil gewordenen Offenbarung in eigenverantwortetem Zeugnis an keineswegs pneumatisch vollkommene (s. Kap. 2 f.) Christengemeinden in der Asia. b) Dieser charakteristisch selbständige Umgang des Apk-Autors mit der aufgegriffenen Tradition wiederholt sich in 1,19 bei der Drei-ZeitenFormel, wenn hier zur Vorgeschichte auch der griechisch-römische Raum stärker heranzuziehen ist. Die alttestamentlich-jüdische Tradition von Jes 48,6 LXX; Dan 8,19; vgl. äthHen 91,1 und syrBar 3,5 führt nämlich nur zum dritten Glied der Wendung von Apk 1,19. Sie dokumentiert ein divinatorisches Interesse am Vorherwissen dessen, was geschehen werde, das auch griechisch-römisch geläufig ist 74. Die dreigliedrige Formel führt darüber hinaus in einen genuin hellenistischen Zusammenhang, aus dem heraus sie jüdisch erstmals Philo All I I 42 rezipiert. Sie dringt dann - parallel zur Apk, aber weniger selbständig und sicherlich nicht in die Apk beeinflussender Weise - zögernd(!) in weitere jüdische Texte ein 75.
Ihren Schwerpunkt findet die Tradition des Redens von dem, was ist, war und sein werde, nicht in einer - selbst römisch nur selten belegtenprofanen Bezeichnung geschichtlicher Verhalte, sondern in religiös fundierten Aussagen, die bis Homer (Ilias A 70) und Hesiod (theog. 31 ff. 38) zurückreichen und sich um die Zeitenwende etwa in der Selbstvorstellung 74 S. zur Apk zeitgenössisch Silius I talicus I I I 12 vor I I I 630, für eine kritische christliche Position Herrn mand. IX 2 (dazu Reiling bes. 74ff. mit weiteren Vergleichslexten). 75 Zweigliedrig in slavHen 39, I; am Rande in syrBar 83,9. Trotz dieser geringen Belege und seiner Kenntnis ihres griechischen Hintergrunds geht Müller, Offenbarung 86 (vor 86f.) doch wieder von einer jüdisch-christlichen, prophetisch-apokalyptischen Vermittlung der Formel in die Apk aus.
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Apolls als Enthüller dessen, was sein werde, war und ist, niederschlagen (so bei Ovid, metam. I 517f.). Diedreigliedrige Formel verweist so aufdie besondere, eigentlich göttliche Fähigkeit, um die Geschichte in ihrer Ganzhei t und ihren Tiefendimensionen zu wissen, an der die Götter - wie die überweltlichen Musen und ähnliche Gestalten - auserwählten Menschen, etwa Dichtern und Sehern, Anteil geben können 76. Christlich setzt die Großkirche die Formel ab dem 2.Jh. zur Bezeichnung geschichtsmächtiger und geschichtsrichtiger Prophetie ein, wie sie ihr bei den alttestamentlichen Propheten gegeben ist 77 . Hier laufen die Aussagelinien der eingliedrigen zukunftsbezeichnenden und der dreigliedrigen Formel zusammen, deren nicht-divinatorisches präteritales Glied nun näherhin zum Beweis der Wahrhaftigkeit des Propheten aus der Richtigkeit seiner Vergangenheitsaussagen benutzbar ist 78 .
Besondere Bedeutung erlangt die Formel im (christlich-)gnostischen Bereich, da sie sich zur Bezeichnung des gnostischen Tiefenwissens um die Geschichte und das Seiende und um deren Gründe ideal geeignet zeigt. So dient im angeftihrten ApokrJoh (NHC 11 I, 2,16-20 par) die Verkündung des Offenbarers über das Seiende, Gewesene und Geschehen-Sollende der Erkenntnis desJohannes über Sichtbares und Unsichtbares, über das sichtbare Geschehen in den Zeiten und über die Ursachen, Bedingungen und Zwecke des Weltenzusammenhangs überhaupt. Vertieft wird das durch die Korrespondenz der Drei-Zeiten-Formel mit der triadischen Vorstellung des Offenbarers als Vater, Mutter und Sohn, d. h. als erster Grund, als Schöpfer und als Erlösungsmacht (s. 48,2~52,21; 52,21-57,24 und 78,11-79,25)79. Das EvPhil (NHC 11 3,64, IOff.) entwickelt die Formel anthropologisch weiter. Synkretistisch befassen sich etwa die Naassener (nach Hippolyt) mit der Natur des Vergangenen, Gegenwärtigen und Künftigen (ref. V 7,20) und verehren Hermes als dessen Erklärer und Schöpfer (7,29)80. Bemerkenswert stellt der Tractatus Tripartitus (NHC I 5) über das Motiv der Dreizeitenformel den Zusammenhang zwischen dem Vater, der die Totalitäten setzt (87,35f.), und dem Logos heraus, der als Verwalter aller Dinge die Schau über sie erhalten hat 76 Die Verankerung des umfassenden Geschichtswissens im Sein und Wesen der Gottheit dokumentiert geradezu klassisch die Inschrift der Isisstatue in Sais: Fyw ElI!L 1täv tO yryovoC; xal. öv xat t061!EVOV Xl).. (nach Plutarch, De Is. 9 = mor. 354 C; dazu s. Griffiths' Kommentar in s('in('r Ausgabe 284 mit weiteren Belegen). Um die Weit('rgab(' di('ses \Visscns geht es j('nscits dichterbezogener Texte etwa in einer Reflexion über das Orakel in Delphi (Plutarch, mor. 387 B = De E apud Delphos 6) und im Gebet eines Magiers (das van Unnik, Formula 90f. aus einem Londoner Papyrus belegt). Van Vnnik bietet a.a.O. passim noch umfassendes weiteres Material. 77 Belege van Unnik a.a.O. 88f. 78 Dazu s. Reiling 77 f. 79 Näheres s. Giversen in seiner ApokrJoh-Ausgabe 157. 80 Dazu s. van Unnik a.a.O. 88.
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(95,1 &-22), um anschließend (97,21 ff.) in freier Reflexion der Formel auch noch die zukunftsenthüllende Aktivität der "Macht" zu thematisieren 81 .
Nachdem der Apk-Autor sich der Drei-Zeiten-Formel schon in der Gottesprädikation von 1,4.8 nur, wie besprochen, zögernd und differenziert von der alttestamentlichen Selbstvorstellung Gottes (Ex 3,14) aus angenähert hat, setzt er 1,19 im Rahmen der auch von ihm grundsätzlich geteilten Vorstellung überweltlich vermittelten Eindringens in die Geheimnisse der Geschichte und des Seins wieder einen spezifischen Akzent: Er füllt das präteritale Glied nicht mit einer Form von YLvEO'Ö'at oder Elvat, sondern mit einer Form von 6Qäv, ersetzt also den traditionellen Verweis auf Vergangenes in seinen Geschichtsdimensionen durch einen konkreten, begrenzenden Visionshinweis. Ob dieser nun näherhin auf die unmittelbar vorangehende Vision des Menschensohnähnlichen 81 oder auf das gesamte Visionscorpus der Apk weist83 , kann offenbleiben. Es interessiert vornehmlich bei einer Interpretation der Drei-Zeiten-Wendung in Apk 1,19 als Gliederungsentwurf der Apk, die angesichts des traditionell nicht gliedernden, sondern zusammenschauenden Charakters der Formel nicht haltbar ist und dementsprechend zu einer unentscheidbaren Vielfalt der Referenzbezüge auf die Formelglieder führt 84 . Der Apk-Autor verzichtet mit der Beschränkung des präteritalen Elementes nicht nur auf die Chance, seine zukunftsgerichteten Visionen über verifizierbare Vergangenheitsaussagen (und vaticinia ex eventu) abzusichern 8s • Er negiert vor allem die Effizienz einer Suche nach Gründen des Seins in vergangenen Geschichtstiefen, wie sie gnostisch zu mythischdualistischen Entfaltungen dessen, was war, führten. So gewiß er sich der Faszination mythischer Argumentation nicht ganz verschließen kann, gibt er ihr am kommunikationsentscheidenden Eingang seines Schreibens keinen Raum, sondern ordnet er sie Kap. 12 ganz der Entfaltung seiner Argumentation unter 86 . Da er weiter eine sachliche Konzentration auf das futurisch-divinatorische Glied der Formel verweigert, erhält sein Text einen eigentümlichen Realitätsbezug: Aufgrund der Offenbarung Jesu Christi hat er nicht die Zukunft als allgemeines Futurum zu verschriften, sondern als das, was J.lEtU 'ta'Ü'ta, nach dem Jetzt Seienden, auf das konkrete Gegenwartserleben hin, geschehen muß und zu geschehen anWritrrr Bdrgr sind über das Nag-Hammadi-Rrgistrr S. 145 unten auffind bar. So etwa Bousset, Offenbarung 198; zuletzt Müller, Offenbarung 86. 83 So etwa Hadorn 38. 84 Zu den entstehenden Interpretationstypen s. Lambrecht, Structuration 79f. und Poirier 21 f. (Lambrecht nimmt - wie schon Schüßler Fiorenza, Priester 264 Anm. 100 - zu Recht von einer Gliederungsinterpretation Abstand.) 85 Diese Chance hätte ihm eine Orientierung an der skizzierten großkirchlichen Rezeption der Formd als Ausweis geschichtsrichtiger Prophetie geboten. 86 Weiteres s. unter 2.4.2.1. 81
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hebt. All seine weiteren Ausführungen erhalten einen situativen Anstrich, der auch bei der Interpretation ihrer zukunftsgerichteten Passagen nicht außer Blick geraten darf. Die mögliche Absetzung von der Gnosis ist hier also in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Sie bildet eine Komponente im Rahmen des umfassenden schriftstellerischen Anliegens des Apk-Autors, seinen Adressaten eine Richtig-Darstellung des Seienden und des deswegen Geschehen-Müssenden zu bieten. Dem entspricht, wie schon zu 1,1-3 bemerkt, im großen und ganzen am ehesten eine implizite Korrektur von ihm angenommener Fehlpositionen bei seinen Adressaten. Scharfe situative Polemik beschränkt sich demgemäß auf die Situationsschilderungen der Sendschreiben, die nun zunächst in ihrer Form zu charakterisieren sind.
2.3.1.3 Die Sendschreiben 2,1-3,22 Die Sendschreiben bilden den abschließenden Teil der formal in 1,9 beginnenden Eröffnungsepiphanie der Apk. Sie binden die Rede des erschienenen Menschen(sohn)ähnlichen nach dessen Selbstpräsentation und Eingangsbemerkungen in eine feste, geprägt erscheinende Gestalt, die in der siebenfachen Abfolge von konkretisiertem Schreibbefehl, Botenformel mit Christusprädikationen, oIÖa-Abschnitt, Weckruf und Überwinderspruch 87 formale Untersuchungen ausgesprochen anregen mußte. Für unseren Zusammenhang wenig ertragreich blieb dabei die in der Forschung immer wieder versuchte ästhetisch-strukturale Analyse der Sendschreiben auf eine innere strophische und poetische Struktur88 und/oder übergreifend ihre kunstvolle Gesamtgestaltung und Zusammenordnung89 . Denn bei allen guten Einzelbeobachtungen blieben die Ergebnisse unbefriedigend: Weder eine innere rhythmische und poetische Struktur der einzelnen Sendschreiben noch eine etwa konzentrische Gesamtstruktur von Apk 2-3 ließen sich zwingend nachweisen 90 .
Ein namentlich in Deutschland breiter Forschungsstrom versuchte die Formbestimmung vom formgeschichtlichen Vergleich der Einzelelemente aus, beachtete freilich eine gewichtige methodische Grenze oft unzureichend: Da die Sendschreiben in ihrer Parallelisierung deutlich stilisiert 81 Aufbaucharakteristik nach Hahn, Sendschreiben 364,36&-390. Die Abfolge wird lediglich in der Voranstellung des Überwinderspruchs vor den Weckrufin den letzten vier Sendschreiben modifiziert. 88 Etwa Hadorn 40; Lohmeyer, Offenbarung 40 f. 89 Bes. Hubert passim und zuletzt Vanhoye 62-67. 90 S. Hahn a.a.O. 364f. und zur Kritik Huberts (u. a.) noch Zalewski bes. 47 f.
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sind, da außerhalb der Apk keine formalen Parallelen zur Gesamtstruktur der einzelnen Sendschreiben oder gar ihres Siebenerzusammenhangs vorliegen und da schließlich dieser Befund angesichts der Fülle überkommener griechischer, jüdischer und frühchristlicher Texte nicht nur zufällig sein kann, ist eine starke redaktionelle Eigenarbeit des Apk-Autors, die verschiedene Formtraditionen kombiniert, von vornherein wahrscheinlich. Fragwürdig ist von daher nicht nur die nach wie vor beliebte, eher assoziative als präzise Rückführung unseres Komplexes auf eine einzelne ältere literarische Form, sei es aufHerrschererlasse 91 , auf "Abschiedsermahnungen vor Beginn der Himmelsreise"92, auf eine Mk 13 par folgende Benutzung der(!) "apokalyptische(n) literarische(n) Gattung"93 oder auf das altorientalische Bundesformular94 . Problematisch ist es auch, in den Sendschreiben trotz ihrer bewußten Schriftlichkeit (s. 2,1 a usw.) ein "Surrogat mündlicher Predigt" zu sehen, das die Rekonstruktion von Grundformen frühchristlich-prophetischer Predigt erlaubte 9s .
Unter Wahrung der so gebotenen Zurückhaltung erlauben die in der Forschung erzielten Erkenntnisse die Erstellung eines Gesamtbildes zum form- und traditionsgeschichtlichen Ort der Sendschreiben. a) Die Sendschreiben sind bereits durch die konkreten Schreibbefehle, die sie einleiten, auf die briefliche Kommunikationsform hin stilisiert, die sie nach dem Willen ihres Autors insgesamt trägt 96 . In ihrem Aufbau von in den Erzählkontext - näherhin den Schreibbefehl- eingebundener Adressatennennung, anschließender Absendernennung in der Botenformel und Eschatokoll-Iosem Textcorpus beleben sie zunächst die Tradition der in literarische Zusammenhänge eingebetteten Briefe vorderorientalischen Formulars aus dem Alten Testament 97 • Nicht zufällig geraten sie mit der 91 So Stauffer 202, der sogar näherhin die Edikte Domitians als antithetisches Vorbild postuliert, ohne dies an Texten verifizieren zu können: Schon die Eingangswendung der Edikte weicht in ihrer Voranstellung des Namens vor das Verb des Sagens (Beispiele bei Documents Gaius ... Nr. 64,377,381-383 und Lafoscade Nr. 8,95,116,144, 149) gewichtig von derjenigen der Sendschreiben ab. 92 So Berger, Exegese 181, obwohl-entgegen auch slHen 2 - keine Rede eines Abschiednehmenden vorliegt. 93 So Zalewski passim, Ergebnis 47 r. (Zitat 48), obwohl erdie angebliche Grundlage der Sendschreiben in der synoptischen Apokalypse nur aufschwache Anklänge stützen konnte. 94 So neuerdings Shea, um die Sendschreiben als Bundeserneuerungsbotschaften interpretieren zu können. 95 So U. B. Müller, Prophetie 47-107 (dazu Kritik bei Dautzenberg, Zur urchristlichen Prophetie 127 r.!) und Offenbarung 91 (Zitat) ,95 f. Dieselbe Richtung verfolgt Hahn. Sendschreiben bes. 364, 398r. (vgl. die Kritik bei Hartman, Form 142). 96 V~1. z. B. Hahn a.a.O. 363r. 97 Vgl. zu den aluestamellllichen Belegen Roller 2131T., zur vorderorientalischen Briel: konvention o. unter 1.2.2.1.
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Füllung der Botenformel durch Hoheitsprädikate dabei besonders in die Nähe der Prophetenbriefe 98 : Wie jene betonen sie die sie tragende göttliche Autorität, die sie gemäß der schriftstellerischen Beauftragungskonzeption der Apk freilich neu christologisch zuspitzen. Bemerkenswert ist dieser Befund vor allem deshalb, weil er das schon beim Briefformular von 1,4ff. beobachtete Zurücktreten des Johannes hinter der ihn beauftragenden überweltlichen Gestalt konsequent und voll einlöst - Johannes ist nun tatsächlich nicht mehr als Schreiber99 . Mehr noch, durch die vorderorientalische Gestaltung der Sendschreiben wird der Rückgriff des Apk-Autors in 1,4ff. auf die seiner Beauftragungskonzeption gegenüber viel sprödere paulinische Briefkonvention noch auffälliger, der Rückschluß daraus auf die Adressatenorientierung des Briefautors der Apk noch zwingender 1oo•
b) Auch zur Gestaltung der Sendschreibencorpora greift der Apk-Autor auf alttestamentlich-jüdische Traditionen zurück, so in den Einzelelementen der olba-Abschnitte auf prophetische Heilsorakel und Gerichtsrede 101 . Allerdings bleibt der Gesamtduktus vom "Ich kenne"-Abschnitt mit situationsbezogenem Lob/Tadel über die g~gebenenfalls scharfe Umkehrforderung zur Heilsverheißung in den Uberwindersprüchen in der prophetischen Tradition ohne Analogie 102 • Dafür sind die Anregungen in einer jüdisch-zwischentestamentlichen paränetischen Tradition zu suchen, die bislang bei den Test XII beobachtet wurde 103 , aber auch inJub 1,7-18 vorliegt und dort - für einen Vergleich mit der Apk besonders interessant - als begründende Gottesrede auf einen Schreibauftrag Gottes an Mose folgt. Diese Paräneseform wird durch eine Beschreibung des - gebrochenen - Verhältnisses der (fiktiv zukünftigen) Menschengeschlechter zu Gott und seinen Geboten eröffnet, die zwar nicht regelhaft, aber häufig durch ein "Ich kenne" oder eine ähnliche Äußerung des Redenden eingeleitet wird (z. B.Jub 1,7-12.14; TestIss 6,1-2a; TestDan 5,4f.6f.). Auf die Nennung der Vergehen dieser Geschlechter folgt die Ankündigung der Strafen geradezu als Fluchfolgen, wozu häufig die Exilierung unter die Heiden gehört (s. z. B. J ub 1,13; TestIss 6,2 b; 98 Vgl. zum Formular bes. 2Chr 21,12(-15) LXX. Näheres s.o. Abschnitt 1.2.1.1; nach Berger, Apostelbrief 12f. betont auch Müller, Offenbarung 91 f. den Zusammenhang sehr extensiv. 99 Dieser Schreibercharakter verbietet es im übrigen, aus der literarischen Rezeption der alten Prophetenbriefform Schlüsse auf einen (urchristlichen) Prophetenstatus des Johannes zu ziehen. 100 Vgl. o. unter 1.3. 101 Vielleicht auch noch weitere Formen der prophetischen Tradition und die Streitrede Rib: s. U. B. Müller, Prophetie 57-100; Zalewski 27-34, 36-39. 102 So weit ist Hahn a.a.O. 370-377 zu folgen, während seine Behauptung, es gebe für den Abschnitt "keinerlei uns bekannte Analogien" (376), zu weit geht. 10l S. Aschermann bes. 11-17 und Baltzer bes. 15S-167, 168 (mit sehr hypothetischer Rückverfolgung der Tradition in die Geschichte des Bundesformulars - vgl. 183f.).
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TestDan 5,8). Die Strafen gelten bis zur Umkehr der Geschlechter zum Herrn (z. B.Jub I, ISa; TestIss 6,3; TestSeb 9,7; TestDan 5,9a), aufdie hin sich der Herr als Barmherziger erweist, so daß die so gebauten Paräneseabschnitte in eine Verheißung des Heils-der Rückführung aus dem Exil usw. - auslaufen (z. B.Jub 1,15b-18; Testiss 6,4; TestDan 5,9b).
Das Paräneseschema aus Situationsbestimmung ("Ich kenne ... "), Fixierung der Folgen nach dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, U mkehrmotiv und darauf antwortender Heilsverheißung ist als Hintergrund der Sendschreibencorpora unmittelbar spürbar, die kritisierten Gemeinden gelten und dabei vom olÖa-Abschnitt, von Umkehraufforderung und Strafandrohung zum verheißenden Überwinderspruch hinführen 104. Die nicht kritisierenden Sendschreiben zu Smyrna und Philadelphia verkürzen die Elemente notwendig um die Strafandrohung, die den Vergehen korrespondiert, behalten aber den charakteristischen Fortgang von der Situationsbestimmung zur Verheißung beilOS, die die Apk übrigens stets in die wohl aus dem weisheitlichen Mahnspruch entwickelten Uberwindersprüche faßt 106 . Trotzdem darf nicht von mehr als einer Anregung der Sendschreibengestahung durch die aufgezeigte jüdisch-zwischentestamentliche Paräneseform gesprochen werden. Denn der theologisch für das jüdische Schema maßgebliche Gedanke des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ist in den Sendschreiben ein erhebliches Stück aufgebrochen. Die Strafe folgt nicht mehr zwangsläufig als Fluch auf die böse Tat, sondern wird konditionalisiert, angedroht für den Fall, daß die Umkehr ausbleibt, zu der aufgerufen wird. Und ähnlich tritt an die Stelle der notwendigen Abfolge gutes Tun-Glück/Segen aus dem weisheitlichen Mahnspruch die appellierende Verheißung im Überwinderspruch, der die Weltimmanenz überschreitet und "nicht einfach die positive Folge des rechten Tuns, sondern die direkte Zuwendung des zukünftigen Richters (enthält)."lo7 Der Überschritt auf die Drohung wie auf die Verheißung ist christologisch gebunden, ersterer durch die Neueinführung der Kommensankündigungen Jesu Christi in die Paräneseform, letzterer durch die gegenüber dem weisheitlichen Mahnspruch auffällige Einführung Jesu Christi in die Überwindersprüche als Satzsubjekt. Von neuem wird wie schon zu Apk 1,1-3 und 1,4-8 - die entschiedene christliche Bindung des Apk-Autors sichtbar.
c) Sind die Sendschreiben in Anlehnung an alttestamentlich-jüdische Formtraditionen formuliert, so bleiben sie gleichwohl in den ihren Aussagen zugrundeliegenden Vorstellungen zu nichtjüdischen hellenistischen AdresDas Sendschreiben zu Sardes betreffend hat das bereits Baltzer 168 herausgestellt. Vgl. die einfachere jüdische Paräneseform der Segensfolge auf gutes Tun hin, die Baltzer 165 herausstellt. 106 Dazu s. U. B. Müller, Prophetie 104-107; Hahn (a.a.O. 383) überzog die Tradition mit einer Interpretation "im Sinne eines eschatologischen Rechtssatzes". 107 U. B. Müller a.a.O. 106. 104 105
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satm kommunikabel: Das Reden von einer göttlichen (Straf-)Reaktion auf eine (böse) Tat war letzteren sehr geläufig und schlug sich im Bereich der in der Apk genannten Adressatengemeinden in der Vorstellung großer Strafaktionen der Götter gegen die, die sich als Übertreter gegen ihren Willen vergehen, komplementär zu ihrer liebenden, Gutes gewährenden Zuwendung zu ihren Gefolgsleuten nieder 108 • Und das im für die Gestaltung zentralen olba-Motiv vorausgesetzte umfassende Wissen der Gottheit findet im ganzen Bereich der griechisch-hellenistischen Gottesauffassung, näherhin der Mantik, Divination, Prophetie und Esoterik, seine Korrelate. Die Gottheiten gelten dort von alters her als allwissend (Homer, Odyss. IV 379) - eine Vorstellung, die in die Gottesprädizierung des hellenistischen Judenturns ausstrahlte und dabei auf das Wissen um individuelle Situationen zuspitzbar war (s. bes. Est 4,17 d) 109 - und geben ihr Wissen in Divination, Mantik und Esoterik weiter. Einen markanten Beleg mit tabE UYEL-Einleitung und unserer olba-Formel bietet Herodot I 47,2f. für das delphische Orakel (vgl. auch Pindar, Pythien IX 44f.). In die Hermetik führt die olba-Formel in der Eröffnungsepiphanie des Poimandres 2110.
Die Sendschreiben sprechen also im Anschluß an die Drei-ZeitenFormel von 1,19 und deren Vorbereitung in den Gottesprädikationen von 1,4.8 die hellenistische Überzeugung von der Kommens- tt1 und Handlungsmächtigkeit der Götter und das dortige Interesse an Divination und Mantik an. Aber sie legen ihren Akzent, wie die vorrangige Aufnahme einer jüdischen Paräneseform für die Textgestaltung zeigt, nicht auf esoterische Divination, sondern auf situative Paränese. d) Aber erhalten die Sendschreiben nicht doch noch durch ein in die aufgegriffene Paränesetradition neu eingefügtes Element einen esoterischen, besondere Erkenntnisbedingungen fordernden Anstrich, nämlich durch ihre Uttckrufe 1t2? 108 S. die zuletzt von Barton/Horsley 8 f. edierte Inschrift des späten 2./frühen I.Jh. v. Chr. aus Philadelphia in ihren Zeilen 4&-50. Angesichts dessen erstaunt das kleinasiatische Niedrigkeitsgeruhl gegenüber den Gottheiten nicht, das sich um das 3.Jh. n.Chr. in einer Reihe von Bußinschriften niederschlug (s. Kraabel, 'Y",uno; 82; in Anm. 5 Lit.). 109 Vergleichstexte und weitere Belege bei van Unnik, A Greek characteristic 227 f. u. ö. 110 Übrigens spielt in diesem Zusammenhang auch die Drei-Zeiten-Formel eine gewichtige Rolle, da sie das umfassende Wissen der Gottheit oder des Sehers (so Vergil, georg. IV 392f.) zu umreißen vermag (Näheres a.a.O. 225f.). 111 Auf das Kommensmotiv der Sendschreiben in seiner hellenistischen Prägung war schon o. unter 1.2.2.2 b) einzugehen. III Diese Linie verfolgte neuerdings Popkes mit Nachdruck. Die Weckrufe machen seiner Ansicht nach "daraufaufmerksam, daß ein Tiefensinn im Text beachtet werden soll" (96); so werden die Sendschreiben zu "einer Art Exerzitienkatalog rur den Empfang besonderer Erkenntnis" (106).
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Unfraglich stellt der Weckruf einen hermeneutischen Topos dar, der die Leser bzw. Hörer zu einem vertieften Verstehen und einem Auf-sieh-Beziehen dessen auffordert, was sie hören, und ist damit ein wichtiges Instrument der LeserfUhrung. Seine traditionsgeschichtlichen Wurzeln hat er in Prophetie und Weisheit, die formale Ausprägung seiner Grundform 6 fxoov o'Ö~ axolJoa'too (oder ähnlich) findet er aber wahrscheinlich erst im Urchristentum 113. Interessant ist der konditionale Beiklang der Formel, der in der Partizipialwendung implizit, in der Nebensatzkonstruktion d 'tL~ lXEL x'tA.. (Apk 13,9; Mk 4,23) explizit hervortritt. In der Bedingung, daß jemand hören können muß, daß es jemandem gegeben sein muß, zu hören, um den besonderen Gehalt adäquat zu verstehen, auf den die Weckformel hinweist, wird tatsächlich eine esoterische Tendenz sichtbar, die etwa Mk 4 das Verstehen der Gleichnisse auf die Jünger beschränkt (4,11 f. zwischen 4,9 und 4,23). Diese esoterische Tendenz kommt dem gnostischen Anliegen, die besondere Erkenntnis Auserwählten vorzubehalten, sehr entgegen, so daß der Weckruf in der christlichen Gnosis nicht zufallig breit belegt ist 114 .
Die Formulierung des Weckrufs in den Sendschreiben der Apk läuft esoterischen Tendenzen jedoch durch die stereotype Ergänzung des Nachsatzes tL tO 1tVEVJla A.EYEL tate; EKKA.'10LaLe; (2,7 a usw.) auffällig zuwider, der den angesprochenen und dabei zum Hören aufgerufenen Adressatenkreis nicht be-, sondern entschränkt: Er setzt sich aus "den Kirchen" zusammen, nicht nur aus auserwählten Christen oder auch nur den Mitgliedern derjenigen Gemeinde, der das jeweilige Sendschreiben gilt. Der Apk-Autor lenkt damit zurück zu der dem Weckruf ursprünglich voraus- llS und kommunikativ zugrundeliegenden Höraufforderung an alle, die hören können, also an alle, die von dem zu hörenden Gehalt erreichbar sind. Von neuem dokumentiert er sein Bestreben, zwar Formulierungen aufzugreifen, die Adressaten mit esoterischen Neigungen etwa frühgnostischer Art ansprechen müssen, diese Formulierungen aber zugleich gegen ein esoterisch-gnostisches Verständnis zu schützen, sofern er dieses von seinem christlichen Standpunkt aus nicht teilen kann. Ein Bild entsteht, das sich gut zu einer kommunikativen Ortsbestimmung der Apk im Zusammenhang früher christlicher Absetzung von gnostischen Strömungen ftigt 116 •
113 Die Grundform ist jedenfalls älter nicht belegt. Nachweise zur Formgeschichte bei Berger, Gesetzesauslegung 480 Anm. I (S. 48(}..482) und Hahn a.a.O. 377f. 114 Unvollständige Zusammenstellung von Belegen bei Robinson, Gnosticism 136; Popkes verfolgt diesen Weg zur Gnosis 96 nach 92ff. unzureichend. 115 S. Berger a.a.O. 480 Anm. I (S.480). 116 Popkes' Textbetrachtung (s. Anm. 112) ist also zu einlinig. Er sucht in den Sendschreiben nicht ein differenziertes kommunikatives GefLige, sondern - in der Nachfolge J. A. Bengels (s. Popkes 91) - "einen einzigen zusammenhängenden Präparationsspiegel, nach dem sich die G~meinden auszurichten haben", eine Form am ehesten "Iiturgisch-henneneu tischen Charakters" (Zitate 106).
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Über der Absetzung dürfen dabei das Anliegen und die zahlreichen Motive nicht unterschätzt werden, die den Eröffnungsepiphaniekomplex der Apk mit der frühen Gnosis verbinden: Beide suchen nach einer Deutung der christlichen Existenz und der Geschichte, in der sie steht. Beiden ist dafür die vollgültige Offenbarung des Herrn und Erlösers verbindlich, der allein aus seinem umfassenden Wissen heraus die wahre Erkenntnis zu vermitteln vermag. Beide akzentuieren - darauf ist neu hinzuweisen - das gewichtig im Text eingesetzte Diebesgleichnis in Richtung auf einen ethischen Dualismus um: Die Wachsamkeit richtet sich Apk 3,3 gegen den Dieb - und damit übertragen gegen den kommenden Christus(!)-, eine Gleichnisauffassung, wie sie sich am verwandtesten im EvThom log. 21 b findet 117 • Übereinstimmend können Apk und Gnosis schließlich vom Heil in einer bedingten Verheißung sprechen und dabei das Siegesmotiv hervortreten lassen. Insbesondere erinnert so der Abschluß der gnostischen Schrift NHC XI I "Die Deutung der Erkenntnis" an die Überwindersprüche der Sendschreiben 118.
2.3.1.4 Der Gesamtzusammenhang und das leserführende Textgefälle Apk 1,9-3,22 ist - so läßt sich zusammenfassen - als für die Abfassung der Apk grundlegende Eröffnungsepiphanie mit spezifisch ausgeführter Rede des epiphanenJesus unter Rückgriffaufverschiedene Formtraditionen namentlich angelophaner, brieflicher und paränetischer Art gestaltet. Die souverän redaktionelle Tätigkeit des jüdischen Traditionen besonders verbundenen Apk-Autors gibt dem Abschnitt nicht nur seine übergreifende Einheitlichkeit, sondern verankert ihn weiterhin im Schnittfeld einer Kommunikation auf griechisch-hellenistischem Boden mit Adressaten weithin nichtjüdischer Herkunft, bei denen u. a. frühe gnostische Tendenzen wirksam werden. Der Apk-Autor gibt der so intendierten Kommunikation in einer spezifischen Akzentsetzung seiner innerzeitlichen Epiphanieoffenbarung einen aufs Eschaton blickenden kritischen Anstrich: Die die Audition eröffnende Stimme ist die einer Salpinx, eines gerade in eschatologischen Zusammenhängen gewichtigen Instruments (z.B. Zeph 1,16; Joel 2,1; I Kor 15,52; 1Thess 4,16 und bes. Apk 10,7 nach 8,2) 119. Ihr Ertönen ist deshalb nicht nur hellenistisch Aufmerksamkeit heischendes Vorzeichen (vgl. Artemidor, Onirocriticon I 56), auch nicht nur epiphanes Signal (wie z. B. Ex 19,16 ff.; ParJ er 3,2), sondern Hinweis auf die bereits innerzeitlich eschatologische Wirksamkeit des nun in der Epiphanie sichtbar Dazu s. Smitmans bes. 62f., 66ff. Dort heißt es 21,31-34 (in der Übersetzung Turner's, Nag Hammadi Library 434): ,. ... ifwe surmounl every sin, we shall receive the crown ofvictory, even as our Head was glorified by the Father" (zum Siegeskrone-Motiv vgl. Apk 2,10;3,11). 119 Näheres s. Friedrich, oclÄmy!; 73 ff., 79f., 84, 86ff., der die Stimme an unserer Stelle allerdings als Gottesstimme identifiziert (86), nicht wie wir als Engelsstimme (5. o. Anm. 66 zu 2.1). 117
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werdenden Jesus. Daß dieser gerade strafend, richtend zu kommen vermag (2,5.16 u. ö.) 120, bereitet schon seine epiphane Beschreibung vor. Denn sie verlagert das Gewicht von den Briefformularmotiven der Liebe, Treue, Sündenlösung weg 121 zum richterlichen Vollstreckungsmotiv des aus seinem Munde kommenden zweischneidigen Schwerts ( 1,16; vgl. z. B. Hebr 4,12), das nicht allein die gott- und christusfeindlichen Mächte bedroht (vgl. 19,15), sondern auch die christlichen Gemeinden (vgl. 2,16 nach 2,12)122. Nach der grundlegenden Heilsvergewisserung der Christen in 1,5f. tritt nun also die Bedrohtheit dieses Heils durch Verstöße gegen Gott und Jesus Christus hervor, die auch die Christen noch dem verurteilenden Gericht aussetzen kann. In der vielschichtigen, in sich konsequenten Leserführung unseres Abschnitts tritt dieser Akzent freilich nur unter anderen hervor: Zuerst fesselt die grundlegende Situationsbestimmung von 1,9 die Aufmerksamkeit, danach, daß die epiphane Audition wie Vision vorab der Beauftragung des Johannes zur Niederschrift des von ihm Gesehenen in ein ßLßALOV und zu dessen Versendung an die sieben Adressatengemeinden der Apk dienen (1,11.19). Ab der zweiten Beauftragung (1,19) treten die niederzuschreibenden Gehalte in den Vordergrund, bei denen es sich nach der 1,19 dafür gebrauchten, traditionell vorgeprägten Formel um eine göttlich gewährte, situativ orientierte Erfassung der Geschichte in ihrem Geschehen und ihrem Charakter handelt. Die Schreibbefehle zu Beginn der Sendschreiben (2, I usw.) füllen sodann über 1,11.19 hinaus die dativische Valenz des Verbs "schreiben" und weisen den Leser bzw. Hörer so auf Gestalten hin, mit denen die zu schreibenden Gehalte in eigener Weise zu tun haben: auf die ä:YYEAOL der sieben in 1,11 genannten Adressatengemeinden der Apk. Wie diese auch näher zu bestimmen sind, die Sendschreibengehalte sollen jedenfalls zugleich von allen Gemeinden und deren Gliedern gehört werden, wie schon der in dritter Person gehaltene leserführende Verweis auf das Erkennen aller Gemeinden in 2,23 b und die gemeindegerichteten sterotypen Weckrufe zeigen (2,7 a usw.). Letztere fUhren den Leser freilich nicht nur - wie der in 2, 10.22; 3,8.9(bis) .20 gebrauchte Imperativ tÖou - innerhalb des Fortgangs der einzelnen Sendschreiben, sondern auch über diese hinaus. Sie sind nämlich in der Apk allgemein nicht retrospektiv, sondern vorausweisend eingesetzt, wie die Stellung des Weckrufs S. die Ausruhrungen zum Kommensmotiv in den Sendschreiben o. unter 1.2.2.2b). Auch Apk 1,13 spielt gerade auf dasjenige hohepriesterliche Gewand an, das "der Hohepriester am Versöhnungstag ablegte, also nicht das [nach Lev 16,4 leinene Gewand], was er als sühnender Hohepriester trägt" (Loader 235, vgl. 233-236). 122 Näheres bei Holtz, Christologie 126 fT. Die richterliche Kennzeichnung Jesu Christi gilt unbeschadet des Vorbehalts des individuellen Endgerichts rur Gott allein (s. bes. a.a.O. 183ff.). 120 121
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von 13,9 vor dem dadurch hervorgehobenen Gehalt in 13,10 zeigt 123. Deshalb wird die Umstellung von Weckruf und Überwinderspruch nach den ersten drei Sendschreiben rur das kommunikative Verständnis der Apk bedeutsam:
Lenkt der Weckruf in den ersten drei Sendschreiben die Aufmerksamkeit auf die Überwindersprüche, die also den kerygmatischen Skopus der einzelnen Sendschreiben darstellen 124 , so lenken die Weckrufe in den folgenden Sendschreiben diese Aufmerksamkeit jeweils neu auf den folgenden Text, zunächst auf das folgende Sendschreiben, dann aber - und dies entscheidend in 3,22 - darüber hinaus auf das Corpus der Apk ab 4,1 125 . Der Apk-Abschnitt 1,9-3,22 kreist von der Leserftihrung und damit der kommunikativen Absicht her also nicht in sich. Er holt seine Leser und Hörer vielmehr 1,9 bei der ihnen mit Johannes gemeinsamen Situation ab, fUhrt sie von dort zum Erfassen der kommunikativen Anlage der Apk als eines an sie zu versendenden ßLßALOV und weiter zum Hören auf ihren Gehalt, der ihnen eine vertiefte Sicht der Geschichte und ihrer eigenen Situation ermöglicht - zunächst in den Sendschreiben, dann von da aus und darüber hinaus im Corpus der Apk. Den Übergang des Lese- bzw. Hörvorgangs zum Corpus erleichtert der ApkAutor dabei noch dadurch, daß er im abschließenden Überwinderspruch 3,21 das Thronmotiv anklingen läßt, das den Hintergrund der Corpuseröffnung in der Thronsaalszene in Kap. 4f. bildet.
Das weist auf eine bewußte kommunikationsorientierte Einheitlichkeit des Gesamtwerkes hin, dessen Kommunikationsdeterminanten nun zunächst in ihrem Niederschlag in unserem Abschnitt 1,9-3,22 weiter herauszuarbeiten sind.
123 Analog dazu steht die Aufforderung, wer Verstand habe, solle die Zahl des Tieres berechnen, in 13,18 vor der Angabe dieser Zahl. Retrospektiv setzen dagegen die Synoptiker den Weckruf ein (Belege bei Hahn, Sendschreiben 377). Bergers Behauptung (Gesetzesauslegung 480 Anm. I) eines durchgängigen spezifischen Abschlußcharakters der Formel ist zu undifferenziert. 124 Dies wird leicht verkannt, wie schon am Ende des 19.Jh. Ittameier 2 bemerkte und richtigsteIlte. 125 Die Erwartungsspannung der Leser/Hörer aufdas Corpus wird dabei nicht erst 3,22 hervorgerufen, sondern bereits ab 2,29 und - geradezu steigernd - 3,6.13. Denn die dort jeweils geweckte besondere Aufmerksamkeit wird vom jeweils folgenden Sendschreiben durch dessen Einleitung mit xai (3,1. 7.14) soweit distanziert, daß sie nicht nur diesem gelten kann. - Das hier erstellte Bild ist im übrigen differenzierter als dasjenige Popkes' 93. der gleichfalls den vorverweisenden Charakter oder Weckrufe erkannte, aber zu einsdtig durchgängig aufs Apk-Corpus bezog (Kritik mit Müller, Offenbarung 94).
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2.3.2 Kommunikativ wichtige Einzelaspekte der Epiphanie und der Beauftragungen 2.3.2.1 Die Selbstbezeichnung der Apk als zu versendendes fJifJAiov In einer Analyse des literarischen Charakters der Apk muß natürlich die Selbstbezeichnung ihrer äußeren Gestalt besonders interessieren, die erstmals im Schreibauftrag von 1,11 - danach noch 22,7.10.18.19 - erscheint. Der dabei gebrauchte Terminus ßLßALOV findet aufgrund seiner etymologischen Herkunft aus einer Benennung des aus der Papyrusstaude angefertigten Schreibmaterials antik - und so auch in der LXX und im Neuen Testament - für Schriftstücke aller Art von Buchrollen über Briefe bis zu Urkunden (wie Scheidebriefen) Verwendung 126 , so daß erst der jeweilige Begriffskontext eine nähere Bestimmung des mit ihm Bezeichneten erlaubt. Die Apk verwendet den' Begriffin der Welt im Text recht breit, vom Buch mit den sieben Siegeln (5,1 usw.) und der Schrift rolle von 10,8 bis zum Buch des Lebens (13,8 u.ö.) und den Gerichtsbüchem von 20,12 127 . Von all diesen Belegen hebt sich der Gebrauch als Selbstbezeichnung in 1,11 durch seine enge Verbindung mit einem Versendungsauftrag klar ab. Die Versendung aber ist - ganz gemäß den Konstitutiva der brieflichen Kommunikationsform, die sich eben durch die Textübermittlung zwischen räumlich getrennten definiten Kommunikationspartnem von anderen Kommunikationsformen wie Gespräch und Buch unterscheidet 128 - im Begriffsgebrauch durchgängig sicheres Indiz für die Brieflichkeit des zu überbringenden ßLßALOV (vgl. z. B. jüdisch-hellenistisch Est 9,20 129 , griechisch-hellenistisch Lukian, Alex. 32.49) 130. Wie stark die Bedeutung des Übermittlungsvorgangs ft..ir die Kommunikationsform von den antiken Autoren empfunden wurde, zeigen die Verweise auf die Übersendung im Brief selbst (z. B. Polyk 14) oder, im Falle der Einbettung der Briefe in einen größeren erzählerischen Zusammenhang, deren Thematisierung im erzählerischen Kontext (s. neben den angeft..ihrten Beispielen noch etwa I Makk 1,44; vgl. 2Chr 2,10) 131. Apk 1,11 ist ein hierher gehöriger Belegtext.
Damit steht die Selbstbezeichnung der Apk als ßLßALOV in Übereinstimmung mit deren gesamter Einbindung in die briefliche KommunikaNäheres und Belege s. Balz, PlPAiov 522 und Reichelt 77-80. Dazujeweils Näheres bei Balz a.a.O. 522ff. und Reichelt 9~107 u.Ö. 128 S. o. unter 1.1. Die Übermittlung erfolgt antik durch Boten, die Est 3,13; 8,10 mit einem Derivat von PlPAiov (!) als plpAlacp6{>Ol bezeichnet werden. 129 Dazu s. Bunge 186 mit Anm. 70. 130 Weitere Belege für PlPAiov zur Bezeichnung eines Briefes bei Reichelt 79 mit Anmerkungen und in der dort angegebenen Literatur, ferner für die altkirchliche Literatur in Lampes Lexicon 296 s. v., vgl. ferner mit PiPAOI!; LXX Jer 36,1. 131 Weitere Beispiele sind in der Zusammenstellung der im Alten Testament enthaltenen Briefe bei Roller 214ff. auffind bar. Frühchristlich ist noch Polyk 13,1.2 von besonderrm Interesse. 126
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tionsform. Eine innere Stimmigkeit der brieflichen Konzeptionierung der Apk zeigt sich, die die Textebenen übergreift - I, II steht nach dem expliziten Briefformular in einer epiphanen Beauftragungsszene der Welt im Text -, und bekräftigt die hermeneutisch-interpretatorische Notwendigkeit einer kommunikationsorientierten Werkanalyse l32 •
2.3.2.2 Das Einbringen der Gemeindeengelvorstellung in die Beauftragungen Die Konkretisierung des Schreibauftrags an Johannes zum Schreiben an die ä.YYEAOL der sieben Adressatengemeinden der Apk in der Asia stellt der Interpretation seit jeher besondere Probleme, erscheinen hier doch in der Welt im Text Kommunikationspartner, die mit den 1,4 und I, II angegebenen Adressatengemeinden zwar zusammenhängen, aber mit ihnen nicht gleichzusetzen sind. Soll die innere briefliche Stimmigkeit der Apk nicht Postulat bleiben, muß - in weiterführender Anknüpfung an bisherige Forschungsergebnisse - ein Vorschlag zu ihrer Lösung unterbreitet werden. a) Die grundsätzliche Weichenstellung zur Interpretation der ä.YYEAOL erfolgt mit der Entscheidung, ob es sich bei ihnen um überweltliche oder innerweltliche Gestalten handelt. Der sprachliche Befund spricht klar für ersteres, da ä.YYEAOr; - sehen wir von den acht Vorkommen der Gemeinde-ä.YYEAOL Apk 1,20; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14 ab - im ganzen Neuen Testament unter 168 Belegen nur drei- bzw. sechsmal sicher den menschlichen Boten bezeichnet (Lk 7,24; 9,52; Jak 2,25 und in der Aufnahme eines alttestamentlichen Zitats Mt 11,10; Lk 7,27; Mk 1,2), kein einziges Mal davon in der Apk: Deren 59(!) weitere Belege reden stets von überweltlichen personalen aYYEAOLr;, wobei übrigens neben den Gott zugehörigen Engeln auch solche des Drachen und Satan (12,7.9) und ein Engel des Abyssos erscheinen 133. Wenn trotzdem in der Forschung immer wieder versucht wird, die Gemeindeengel innerweltlich oder, wenn schon überweltlich, dann wenigstens nicht als personale Engelgestalten im Vollsinn, sondern nur als Doppelgängergestalten zu den irdischen Gemeinden zu denken, ist das 132 Warum die Apk zur Selbstbezeichnung unseren Terminus und nicht etwa ß(ß).o~ (vgl. LXXJer 36,1), YQQepiJ (vgl. 2Chr 2,10), YQQJ.lJ.lQtQ (vgl. Est 8,10) oder das besonders geläufige bttOTO).i) verwendete, ist ein Feld letztlich müßiger Spekulation. Die Vorliebe des Apk-Autors für ptß).(ov - von 34 neutestamentlichen Belegen des Wortes finden sich 23 in der Apk (s. die Übersicht Computer-Konkordanz 282) - mag dazu ebenso beigetragen haben wie eine Berücksichtigung des Werkumfangs, der eine Schriftrolle zu füllen vermag. (Wie stark die Apk den Rollencharakter eines ßlß).iov voraussetzt, wird 6,14 sichtbar.) 133 S. Broer, Ö.YYE).O~ 32; Satake, Gemeindeordnung 151 mit Anm. 5 und zur Zahl der Belege Computer-Konkordanz 15-19. W. Metzger, Christushymnus will noch in I Tim 3,16 auf Boten deuten (92-99).
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mehr durch ein Unbehagen darüber begründet, Christus über einen Menschen mit Engeln kommunizieren zu lassen, als durch sichere Textindizien 134 . Von der Wortbedeutung her liegt bei einer innerweltlichen Deutung diejenige auf menschliche Boten am nächsten, wie sie zuletzt von Kraft (1974) und wenigstens der Tendenz nach - von Metzger (1979) vertreten wird 13s . Näherhin muß es sich dann der Genitivkonstruktion nach um Boten der Gemeinden handeln, die sich beiJohannes befinden 136. Damit erscheint die erste grundlegende Schwierigkeit der Botenhypothese: Zwar sind christlich neben Boten im Auftrag einer Einzelperson, wie sie bei Paulus ab 1Thess 3,2 häufig erscheinen 137, auch Gesandtschaften, die von Einzelgemeinden ausgehen, bereits früh belegt oder zumindest vorgestellt (s. neben Act 15,2 und 1 Kor 16,3; 2 Kor 8 f. noch Act 11,29; 12,25; 15,22; 20,17),ja erscheinen 2 Kor 8,23 erstmals lm6lU,too 622f.; Hofius sieht a.a.O. 531 den neutestamentlichen Befund ebenso, nimmt aber Apk 2,9 ohne ersichtlichen Grund davon aus und deutet es auf "Schmähung" (hervorge.-hoben) usw. im profanen Sinne.-. 236 Dazu s. Huß 49 und Zimmermann a.a.O. 182 mit Anm. 19; vgl. den analogen Verbgebrauch Apk 20,4.5. 237 Der Vorwurf zu lügen steht betont abgehoben am Satzende und läßt so den Vorwurf der Lüge als c.-ines entschieden widergöt tlichen Tuns überhaupt assoziieren, den die Apk an den Schluß ihrer Verwerfungskataloge setzt (s. 21,27; 22,15; vgl. 21,8). Gegenbildlieh entsprechend wird im Munde derer, die dem Lamm nachfolgen, keine Lüge gefunden ( 14,5). 238 Weiteres bei Zimmermann a.a.O. 183; auch das Motiv des Schließens läßt sich auf Gottes Handeln anwenden (Hi 12,14). 239 Näheres zur Interpretation des Schlüsselbildes Zimmermann a.a.O. 183, der unter Heranziehung von Mt 16,19 noch weitergehend vorschlägt, vom Haus Davids auf das Himmelreich zu übertragen und Jesus so an dieser SteHe die Einlaßgewalt rur letzteres zuzusprechen. Auf solche eschatologische Bezüge (mit scharfen Konsequenzen rur das Israelbild der Apk!) enthält Apk 3,7 aber keinen eindeutigen Hinweis (auch keinen aufs himmlische Jerusalem, wie MüHer a.a.O. 130 eschatologisiert). 240 = Jesu Christi (so der eindeutige Duktus der Sendschreiben)!
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Terminus nach ab den Targumen zur Bezeichnung der endgültigen Verdammnis der Gottlosen, ihres Todes auch in der zukünftigen Welt, belegt ist 241 • Die Betonung des Heils der Christen in Fortsetzung der jüdischen Tradition 3,12 f. und vor allem die Negierung des drohenden zweiten Todes für sie in der stärkstmöglichen Form mit ou ~iJ und der Implikation des benutzten Verbs UAO( auf sie zurückgreift, nur universalisiert. Und der 12Stämme-Gedanke in den VV.4-8 enthält noch keine Spur einer heidenchrist lichen Umpalung, wie sie bei Herrn sim IX 17 durchschlägt (vgl. Böcher a.a.O. 38fT., der noch aufdie parallele Vorordnung von 21,12 vor 21,24 hinweist). 171 Zur Interpretation von 11,19 vgl. etwa Hadorn 127 und Prigent a.a.O. 175, deren keiner freilich die aufgezeigte kommunikative Spitze herausarbeitet. 172 Dazu s. Reader 119 (die Tradition an den Tempel geknüpfter Erwartungen reicht von Ez 40,.'>-47,12 bis zur Tempel rolle von Qumran). In den Zusammenhang paßt es, wenn Apk 11, I f. eine alte Tempelweissagung einfach als uminterpretierbares literarisches Ver· satzstück aufnimmt; rur einen Überblick über die trotzdem nicht spannungsfreien Aussa· gen der Apk zum Tempel s. a.a.O. 122-124. 173 Die von Bousset, OfTenbarung 430 bis Müller, OfTenbarung 320 vertretene AufTas-
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von Jesus ausgehende Zeugnis sei der im prophetischen Wirken tätige Geist, nimmt nämlich im zweiten Glied ein ausgesprochen jüdisches Theologumenon auf, die in nachalttestamentlicher Zeit breit belegte Auffassung vom :1K':ll m" von dem Geist, der auf die großen alttestamentlichen Gestalten herabkommt l74 . So läßt er über die frühchristliche Prophetie hinaus die alttestamentliche in ihrem weitesten Sinne mit assoziieren, behauptet er auch für diese, sie lege nicht nur Zeugnis für Jesus ab, sondern gehe aus dem ZeugnisJesu hervor l7S . Diese These, die im Denken des frühen Christentums nicht allein steht - auch für 1 Petr I, II gilt der Geist Christi als in den Propheten vorab bezeugend wirksam 176 -, bietet gewissermaßen den hermeneutischen Schlüssel zum Vorgehen des Apk-Autors: Er lehnt sich in der Entfaltung seiner auf eine Offenbarung Jesu Christi zurückgeführten Visionen durchgängig an die alttestamentliche Prophetie an, weil diese für ihn vollgültiges von Jesus ausgehendes Zeugnis ist. Die Kontinuität des neutestamentlichen zum alttestamentlichen Gottesvolk versteht er, sich weit von seiner jüdischen Herkunft entfernend, nicht nur als historischen Anschluß, sondern als eine durch Gott selbst inJesus von jeher begründete Einheit l77 .
2.4.3.4 Der Bezug auf das Wirksamwerden gnostischer Tendenzen bei den Adressatengemeinden Die (früh- )gnostische Gefährdung der Christen bezog ihre Verführungskraft nach dem Befund von Apk 1-3 vor allem aus in ihrem Sinne prophetischen Sonderoffenbarungen, die dank ihrer dualistischen Entwertung der Welt theoretische Weltflucht und handlungsmäßige Weltintegration so zu verbinden erlaubten, daß ihre Anhänger gegenüber ihrer sung unserer Stelle als Glosse beraubt die Apk also um eine Aussage, die deren Autor so wichtig war, daß er sie dem Offenbarungsengel selbst - in Verbindung mit dem Motiv der Abwehr der Engelverehrung notgedrungen etwas nachklappend - in den Mund legte. 174 Belege bei Schäfer, Vorstellung vom Heiligen Geist bes. 23-27. 175 Das "ZeugnisJesu" ist wie I ,2 gen. subi. (s.o. unter 2.1.2.2c); mit z. B. Hadorn 188). Den Einbezug der alttestamentlichen Prophetie bemerkte die Forschung (einschließlich Hadorn a.a.O.) freilich nur unzureichend: Noch Bruce, Spirit 337 behauptete, obwohl er den Bezug auf den jüdischen Ausdruck sah, Apk 19,10 habe (nur) christliche Prophetie im Auge. 176 Belege zum weiteren Kontext dieser Vorstellung im frühen Christentum bietet Schelkle, Petrusbriefe 41 Anm.3; zu ihnen dürfte darüber hinaus noch IgnPhld 5,2 zu zählen sein. 177 Die Konsequenzen dieser Auffassung rur die Christologie in der Apk können hier nicht entfaltet werden. Jesu alle, auch die vorchristlichen Zeiten umfassende Wirksamkeit entspricht aber ganz seiner umfassenden und einzigartigen Würde, die Apk 5 entfaltet. Bultmanns These vom "schwach christianisierte(n)judentum" der Apk (Theologie 525) wird, wie schon ihrer Ethik (s.o. Exkurs 4), so auch ihrer Christologie und Hermeneutik nicht gerecht.
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Umwelt unauffällig wurden und daher äußeren Pressionen entgehen konnten l78 • Kaum zufällig entfaltet der Apk-Autor die ihm zuteilgewordene Offenbarung J esu Christi dagegen im Werkcorpus in einer Weise, die einen kosmologischen Schöpfungsdualismus und theoretische Weltflucht ebenso wie handlungsmäßige Integration in die nichtchristliche Umwelt ausschließt: 4, II stellt er Gott in Gipfelung der Thronsaalvision als Schöpfer vor. In Kap. 12 führt er folgerichtig, so dualistisch er formuliert, die Realität des Bösen nicht auf einen in sich negativen Charakter der Welt zurück, sondern läßt es erst geschichtsbezogen in sie eindringen - mythologisch als Hinabstieg des gestürzten Diabolos zur Erde und zum Meer (s. bes. vv. 10-12). Ohne Scheu auch vor problematischen Konsequenzen bezieht er die Heilsdurchsetzung Gottes undJesu dem korrelierend im ganzen Corpus auf die Welt und ihre Geschichte. Kompromißlos entwickelt er eine sozialkritisch-asketische christliche Differenzethik, in deren Rahmen er um der Glaubenstreue und des Standhaltens gegen satanische Umweltmächte willen sogar zur fatalistischen Hinnahme von Martyrien bereit ist 179. Der christlich einzuschlagende Weg ist viel schwerer als der nikolaitisch-isebelsche I80 , aber er ist - das betont der Duktus von 1,1 f. über 1,12-19 bis zu 22,18-20a immer wieder gegenüber seinen Rezipienten - in unabweisbarer Weise vonJesus autorisiert. NebenJesus gibt es, wie die Thronsaal- und Lammesvision von Kap.4f. klarstellt, keine Gestalt, die als Träger besonderer Offenbarungen Gottes auch nur in Frage käme. Denn niemand besitzt nach der pointierten Darstellung von 5,2-4 die dafür nötige religiöse Würde l81 . Die von den Gnostikern behaupteten Prophetien und Sonderoffenbarungen erübrigen sich in ihrem Geheimcharakter auch angesichts dessen, daßJesu vollgültige Offenbarung in der von ihm autorisierten Prophetie der Apk uneingeschränkt S. o. unter 2.3.3.3 u. Ö. Auf all diese Sachverhalte war bereits einzugehen, auf den Corpusfortgang und Kap. 12 o. unter 2.4.2.1 und 2.4.2.3 bzw. 2.4.3.1, auf die Ethik der Apk in Exkurs 4. 180 Aus dem Wissen darum dürfte die Pointe von 12,17 formuliert sein: Der Zorn des Drachen trifft diejenigen - und nur diejenigen -, die gegenüber alternativen Möglichkeiten an den Geboten Gottes festhalten usw. 181 Selbst wenn dies menschlich zutiefst erschüttert (5. die exemplarische Reaktion des Johannes in V. 4). Den Akzent von Apk 5 gegen alle menschlich-religiösen Würdigkeitsvorstellungen und -behauptungen (und damit auch gegen solche gnostischer Provenienz) arbeitete van Unnik, "Worthy is the Lamb" bes. 458f. heraus. Von da her erklärt sich, daß Johannes sein Werk 1,1 wirklich nur "OffenbarungJesu Christi" (nicht "Offenbarung des Johannes") nennen kann. - Wie stark die Impulse von Apk 5 auch für gnostische Ohren waren, zeigt EvVer (NHC I 3) 19,27-21,25: Auch hier erscheinen die Motive des Buches und der allein Jesus, dem für die Vielen Leidenden, eignenden Würde, jenes Buch zu nehmen, und dies so ausgeprägt, daß Barrett, Gnosis 131 f. sogar eine literarische Benutzung der Apk durch den Autor des EvVer annimmt. Sollte dies zutreffen, tritt aber auch das Spezifikum gnostischer Aneignung hervor: Das Buch ist nun das zunächstJesus, dann die Gnostiker umfangende, lebende Nous-Buch (vgl. Kretschmar, Offenbarung 73). 178
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zugänglich gemacht wird 182. Was immer sie an Geheimwissen darüber hinaus zu bieten vermöchten, fällt unter die Kategorie einer von Jesus gezielt vorenthaltenen Offenbarung und ist daher abzuweisen. Der schwierige Abschnitt 10,3f., der von einer Donneraudition berichtet, die Johannes nicht niederschreiben, sondern versiegeln, also seinen Adressaten vorenthalten soll, dürfte hier seine Spitze haben: Er gestaltet in einem Zusammenhang, in dem der Apk-Autor Rechenschaft über den Umfang des Gehalts seines Werkes ablegt (s. den Fortgang zu den Vv. ~II), die Tradition der "unsagbaren Worte" (vgl. 2Kor 12,4) eigenständig aus l83 , in deren Linie er betont, daß die Menschheit keine vollständige Offenbarung dessen, was ist und was kommt, erhalten kann und 5011 184 • Die implizite Kritik an Erkenntnisbemühungen, die bei ihrem Eindringen in die Tiefen Satans (oder Gottes?) keine gottgesetzten Grenzen respektieren (vgl. 2,24 im dortigen Kontext), ist unüberhörbar; man beachte, daß in Nag Hammadi eine ganze Offenbarungsschrift mit dem Titel "Der Donner (ßQovtiJ). Der vollkommene Nous" zutage kam (NHC VI 2, Titel 13, I )l8S. Solchem Denken gegenüber läßt der Apk-Autor im übrigen keinen Zweifel daran, daß auch bei einer (großkirchlichen) Beschränkung von Glaubenswissen alle für den Heilsglauben der Christen und zur Überwindung ihrer Anfechtungen maßgebliche Offenbarung J esu Christi mitgeteilt ist: Er bindet die Donneraudition als nur kleine Episode in einen Zusammenhang ein, der die Vollendung von Gottes Geheimnis nicht an sie, sondern ausschließlich an die siebte Posaune bindet (10,7), deren Geschehnisfolgen in 11,15-19 geschildert werden.
182 Apk 22, I 0 formuliert dies als Verbot der Versiegelung der Worte der Prophetie der in der Apk vorliegenden Schrift, das nicht nur als Antithese zu Dan 12,4 rezipiert werden kann (weitere Belege für das Versiegelungsmotiv finden sich in jüdisch-apokalyptischer Literatur nicht), sondern ebenso als Antithese zu dem für die Gnosis kennzeichnenden Gedanken, Offenbarungen besonderen Wissens müßten Auserwählten vorbehalten und vor allen anderen geheim bleiben (s. z. B. ApokrJoh NHC 11 1,31,28-32, I (par.); Melchisedek NHC I X I, 27,3-6; für die Versiegelung eines Himmelsbriefes OdSal 23,5-9). Auf den Sachverhalt war schon o. unter 2.1.2.1 und 2.3.1.2 hinzuweisen. 183 Auf die Aufnahme dieser Tradition wiesen schon etwa Lohmeyer, Offenbarung 85 und Hadorn 115 hin. 184 Yarbro Collins, Apocalypse 67. Verfehlt ist es demnach, den Gehalt der SiebenDonner-Audition nachträglich interpretatorisch zu ergänzen (gegen z. B. Kraft, Offenbarung 149). 185 Allerdings spielt der Donner in der dortigen Offenbarungsterminologie ansonsten keine gewichtige Rolle (auch NHC XIII 1,43,15 führt nur in den weiteren Zusammenhang). Aber man gerät in noch größere Schwierigkeiten, wenn man in den Donnern von Apk 1O,3f. eine Chiffrierung der Stimme GoUes (in der Traditionslinie von Ps 29 undJer 25,30) sieht. Denn die Donner sind 10,4 der Autorität der von ihnen unterschiedenen Himmelsstimme klar untergeordnet, die ihre Niederschrift verbietet. - Die Forschung zum Abschnitt ist unabgeschlossen; die Kommentare (von Bousset, Offenbarung 309 bis z. B. Morris, Revelation 136--139; Roloff, Offenbarung 108f.; Müller, Offenbarung 201) tragen Alternativen zur vorgetragenen rezipientenorientierten Deutung vor, ohne aber auch nur untereinander zu einem Konsens zu finden.
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Trotz dieser scharfen Differenzen zu den anvisierten Gegnern nimmt der Apk-Autor weiterhin wie in den Eingangskapiteln zur Gnosis fUhrende Traditionen auf, neu namentlich in den Heilsmotiven der avuJta'U<JL; (des Sich-Ausruhens 6,11 186; 14,13; vgl. negativ 14,11) und der Hochzeit mit dem Heilsträger (19,7-9; 21,2.9; 22,17) 187. Ersteres Motiv läßt sich als eschatologische Heilsvorstellung zwar in Altes Testament undJ udenturn zurückverfolgen 188, wurde aber erst in der Gnosis eine zentrale Heilskategorie l89 , während es sich im Neuen Testament - sehen wir von der Apk und der sich mit der Gnosis berührenden Stelle Mt 11,28-30 190 ab - nur noch in der gnostisch nun wiederum bedeutungslosen 191 Sprachgestalt xatWta'U<JL; XtA. findet. Letzteres ist im Alten Testament und zwischentestamentlichen Judentum nur in Einzelzügen vorbereitet (vgl. bes. Jes 61,10 zu Apk 19,7; 21,2)192, gewann also erst frühchristlich an Gewicht (s. bes. Joh 3,29; 2 Kor 11 ,2f.; Eph 5,22ff.) und wurde neutestamentlich am weitesten entwickelt eben in der Apk entfaltet l93 , bevor es in der Breite seiner Motivik von den Verschmelzungs- und Syzygiespekulationen der Gnosis (bes. des Valentinianismus) okkupiert wurde l94 . In 186 Auch dort ist avwtauoovtat als intransitive Verheißung gebraucht; s. o. Anm. 313 zu 2.3. 187 Auf die gnostische Rezipierbarkeit der jerusalem-, Namens- und Lebensbaum-, Paradiesverheißungen von 21,2 und 21,9-22,5 war schon bei den entsprechenden Überwinderspruchverheißungen hinzuweisen (s. unter 2.3.4). Ein weiteres zu verfolgendes Motiv wäre das der weißen Kleider (nach 3,4f.18 noch 4,4; 6,11; 7,9.13; 19,14; Garber ging diesem Motiv zwischen Neuem Testament und Gnosis nach, beachtete dabei aber die Apk nur unzureichend). 188 Belege s. bei Fiedler, avfutauOLI!; 208 (natürlich wird die Terminologie daneben auch im allgemeinen Sinn gebraucht, so in Apk 4,8). 189 Das Nag-Hammadi-Register fUhrt die Belege des griechischen aVMaUOL