P ETE R STU lIL MAC I-I E R
Das paulinische Evangelium 1. Vorgeschichte
VA"OE.'\UOECK. &. RUPRECHT 1.'\ GÜT T I :'\GE.~
PETER STUHLMACHER
Das paulinische Evangelium I. Vorgeschichte
GÖTfINGEN . VANDENHOECK & RUPRECHT· 1968
Forschungen :r.ur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ern.t Käsemann und Ern.t W ürthwein 95. Heft der ganz.en Reihe
Um.:bLq: Cbrblel SIl!ice,nUlJl. - C YandeDhoecl; " RUP~I. G6WDcen 1968. - Printed in Germany. - Olme .uadrücklic:he Genehmtcunc de. Veri ...... IIt es nicht cemltet, du Buch oder TeUe dll1'llUi .uf foto- oder uUllomecb.nllchem Wep zu vervt.. lfälticen. Ge..mtbenlellunc: Hubrrt "Co.• G6ttinpn
MEINER FRAU
VORWORT Vorliegende Studie ist im Wintersemester 1966/67 von der Ev. theol. Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen worden. Für den Druck habe ich sie noch einmal durchgesehen. Die Frage nach dem pauIinischen Evangelium, die mich schon bei der Niederschrift meiner Dissertation bewegte, dort aber noch offenblieb, wird hier nun thematisch aufgegriffen. Ehe wir am Wort- Begriff der Schrift und am Evangelium des Paulus kritisch vorbeischreiten und das Wagnis einer neuen Theologie der Geschichte eingehen, muß, wie ich meine, noch einmal versucht werden, jenes Evangelium in seiner Ursprünglichkeit zu vernehmen. Erst dann kann entschieden werden, ob die Rede vom Wort Gottes wirklich überboten werden kann und muß, oder ob wir uns nicht besser bemühen, die aufgebrochene Antithetik von Wort und Geschichte zugunsten einer neuen, ganzheitlichen Auffassung vom Wirken Gottes in Jesus Christus zu überwinden. Die Aufgabe ist groß, und dementsprechend weit ist der Weg. Was ich vorlegen kann, ist nur erst eine begriffs- und traditionsgeschichtliche Bestandsaufnahme über den Werdegang des Begriffes Evangelium vor Paulus. Von den polemisch-konzentrierten Thesen des Apostels in Gal. 1 und 2 her frage ich mich zurück in die Tradition und versuohe dann, wieder zu Paulus zurückzukehren. Auf diesem Wege bleiben noch mannigfache Hypot.hesen zu überwinden, und ich bitte besonders deshalb um den krit.ischen Rat der Freunde und Fachgen0886n. Eines freilich hat sich mir bei meinen Analysen bereits ergeben: Es ist nicht möglich, im Namen der Apokalyptik eine Theologie zu entwickeln, die dem Wort und damit dem Evangelium feind wäre. Vielmehr haben gerade das Alte Testament und dann die prophetischen und weisheitlichen Traditionen des nachbiblischen Judentums dem Urohristentum und dem Apostel entscheidend zu ihrem Evangelium verholfen. Wie Paulus selbst sein Evangelium entfaltet und wie dieses Evangelium den Apostel prägt, dies darzustellen, muß einem neuen Band vorbehalten bleiben. Hier erst ist dann die durchaus noch offene Frage zu entscheiden, ob die Botschaft des Paulus mit ihren apokalyptischen Traditionen ganz identifiziert werden darf, oder ob sie über jene Traditionen entscheidend hinausführt. Eine erste Antwort auf dieses brennende
3
Vorwort
Problem habe ich in meiner Probevorlesung zu geben versucht ("Erwä.gungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie", ZThK 64, 1967, S.423-450). Es bleibt die Verpflichtung, herzlich und aufrichtig zu danken. Zunächst meinem Lehrer Ernst Käsemann für sein Geleit in den zurückliegenden Jahren; dann den Freunden und Kollegen, ohne deren Rat, Hilfe und Aufmunterung mein bisheriger Weg nicht denkbar ist: Martin Elze, Hartmut Gase, Martin Hengel und Hans Peter Rüger. Dem Ev. Oberkirchenrat in Stuttgart danke ich für einen Zuschuß zu den Druckkosten. Die Widmung schließlich bedarf keines Kommentars, höchstens eines Ausrufungszeichens. Tübingen/Erlangen, im August 1968
Peter Stuhlmaoher
INHALT Vorwort.....................................................
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A. Auslegungsgeschichte ......................................
7
I. Evangelium als Doktrin n. Der hellenistische Ableitungsversuch .................... lli. Die traditioDBgeschichtliche Erklärung... . . . . ... .. .. . . . .. IV. Der semitische Ableitungsversuch ....................... V. Auslegungstendenzen der Gegenwart ....................
8 11 19
25
1. Rudolf Bultmann und der hellenistische Ableitungsversuch . 2. Der semitische Ableitungsversuch .......................
41 41 46
VI. Zusanunenfassung ..... ...... .... ......................
53
B. Das Problem des paulinischen Evangeliums ..................
56
1. Der paulinische und neutestamentliche Sprachgebrauch
56
c.
II. Exegetische Problemskizze (Ga1. 1 und 2) . . . . . . . . . . . . . . . .
63
In. Zusanunenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . ..
107
Die religioDBgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
I. Das alttestamentliche und jüdische Material ............. 1. Der Gebrauch der Wurzel 'W:l im Alten Testament.. . ... .. a) Das Substantiv ;','W:l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verbum 'W:l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Partizip 'W:lD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
...................................
109 112 113 116 122
2. Der Gebrauch der Wurzel 'W:l im semitisch.eprachigen. nach. biblischen Judentum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Substantiv ;"W:l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Profane Verwendung ............................. ß) Theologische Verwendung.. ..... .... ...... . . .. .. ..
122 124 124 129
b) Das Verbum 'W:l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Profane Verwendung ............................. ß) Theologische Verwendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 135 137
d)
Z~enf~
Inhalt c) Das Partizip "W!lD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Profane Verwendung ............................. ~) Theolo~he Verwendung ......................... Z~enfasRXDg
5 141 142 142
...................................
152
3. Die Verwendung des Stammes EÖ~YYCÄ- im hellenistischen Judentum ............................................
153
a) Die Septuaginta .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ~) Die Substantive EÜ~yyaLo" und CÜCtyycÄlat ........... ~) Das Verbum E1i~yyc).l~CG&(lL. . • . • . . . . . • • • • . . . . • . . . • . y) Das Partizip Myyc).L~6!U"O; . . . . . • . • . . . . . . . . . . . . . . . 8) Z~enfaBB\lng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154 155 156 159 163
b) Josephus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Die Belege ...................................... ~) Jüdische Traditionen ............................. y) Hellenistische A\lII8ßgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 8) Zusanunonfassung ................................
164 164 165 168 172
c) Philo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Die Belege ...................................... ~) Jüdische Traditionen ............................. y) Hellenistische A\lII8ßgeD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8) ZuswcrunenfaBBung ................................
172 173 173 174 176
d) ZusammenfaBBung und Ausblick ..... . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
H. Das Material der Graecität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180
1. Die Verwendung des Wortstammes. .. . . . . . .. . ... . . .. .. .. a) Das Verbum CÜlXyycÄL~EG&~L .•••..••.•......•......•.• b) Das Substantiv EU~YY~LO" •........••...•...•...•....
180 182 184
2. Der religiöse Sprachgebrauch des Hellenismus ............ a) Evangelium und &ciol; livIJp-Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Evangelium und PopularphilO8Ophie .................. c) Evangelium und Kaiserkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 191 194 196
3. ZusammenfaBBung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
204
D. Der vorpaulinisch-christliche Spra.chgebrauch von Evangelium..
207
d)
I. Der Gebrauch von Eva.ngelium in der paIäatinischen Urgemeinde und bei J esus ...............................
209
Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Apc. 14,6 und 10,7 .................................... Mt. 11,2-6 (par. Lk. 7,18-23) ......................... Lk. 4, 16---30 und der lukanische Gebrauch von IUOtyyc).l~cG&aL Mk. l,14f. ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. EU~YY~LO" 'tijc; ~~GLÄllOtc; . • . . • • • . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . .• ZusanunenfB88l1ng .....................................
209 210 218 225 234 238 243
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
6
Inhalt
n.
Der Gebrauch von Evangelium. in der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde ...................................... 245 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Aufgabe und Fragestellung............................. Evangelium und Sendung: Mt. 28,16-20, Mk. 16,~20... eüCXYY~LOY -roü &coü (1.Thess.l,9f.) ....................... CÜOtyytALOY -roü XPLImlÜ (1.Kor. 15,3-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Vennittlung Jerusalems ............................ Zusammenf&88UDg und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
245 2M 258 266 282 286
Literatur ....................................................
290
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
306
A. AUSLEGUNGSGESCHICHTE Daß das Stichwort "Evangelium" im Rahmen protestantischer Theologie hohen systematischen Ruf genießt, bedarf keines eigentlichen, theologiegeschichtlichen Beweises. Für den Exegeten wird dieser Tatbestand in dem Augenblick evident, da er sich seines auslegtmgsgeschiohtlichen Standortes zum Thema Evangelium versichern möchte. Er stößt bei solchem Versuch auf das überaus auffällige Phänomen, daß historische Begriffsuntersuchungen über das Evangelium als Zentralbegriff neutestamentlicher Verkündigung erst seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts angestellt worden sind. Das historisohe Denken hat also gerade an dieser wichtigen theologischen Stelle sich erst spät eines wirklichen Mitspracherechtes versichern können, tut es aber, nachdem der Damm einmal gebrochen ist, mit einer Energie, die nur als Nachha.ll und geschichtliche Variation eben des systematischen Interesses, das man am neutestamentlichen Evangelium nahm, verständlich wird. Daß man auf dem neu beschrittenen historischen Wege zu einer Einigtmg gekommen sei, kann me.n nicht sagen. Bis heute liegen die zu Beginn unseres Jahrhunderts gewonnenen Herleitungen und Begriffsdefinitionen miteinander im Streit. Diese Strittigkeit verdeckt leider den geschichtlich bemerkenswerten Umstand, daß sich in dem Werdegang des Begriffes Evangelium, den dieser im Neuen Testament durchmessen hat, die entscheidenden Epochen urchristlichen Selbst- und Weltverständnisses spiegeln und somit wieder von anderer Warte aus beleuchten und darstellen lassen. Um zu dieser Sicht der Dingo durchstoßen und um möglicherweise den Streit zwischen den bislang als Alternativen erscheinenden Begritrserklärungen sohlichten zu können, ist es zunächst ratsam, die entscheidenden Etappen der Forschungsgesohichte nachzuzeichnen 1. Bei a.ller gegenseitigen Verfleohtung lassen sich zunächst vier Themenstränge wenn nicht scheiden, so doch wenigstens unterscheiden : der älteste ist durch die Gleichung Evangelium = (christliche) doctrina gekennzeichnet; der zweite durch den Versuch einer Begriffserklärung aus dem Sprachgebrauch des Hellenismus heraus; der dritte 1 Ich gehe dabei nur auf die m.E. wichtigsten Einzelstudien ein. Unzugänglich sind mir in Tübingen leider geblieben: L. Baudimant, L'tvangile de Saint Paul, Etudes religieuses 124, Paris 1925 und O. A. Petty, Did the Christian Usa of the Term -ro ~Otyyt).LO\l originate with Paul!, New Haven 1925.
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Ausl('gungsgeschichte
durch das Bemühen, die Begri1fsgeschichte aus alttestamentlichen lUld jüdischen Belegen zu erklären; unbeschadet von solch religionsgeschichtlicher Fragestellung kommt es schließlich zu dem Versuch, von einer bloßen Begri1fs- lUld WorterklärlUlg fortzuschreiten zu einer epochal gegliederten, urchristlichen Begriffsgeschichte, die weit genug ist, verschiedene religionsgeschichtliche Ströme in sich aufzunehmen.
I. Evangelium als Doktrin F. ehr. Baur interpretiert den Geist Gottes nach 1. Kor. 2, 10f. als "Prinzip des Selbstbewußtseins" lUld "Prinzip des Wissens"l. Er faßt dementsprechend den von ihm nur ganz gelegentlich gebcauchten Begriff Evangelium als Lehrbegriff auf. Jesu Reichsbotschaft ist für Baur "die Ankündigung der ßotGtAdot "t'WV OUpotVWV als einer auf der Lehre Jesu beruhenden sittlich religiösen Gemeinschaft"', die paulinische Botschaft des Evangeliums die Lehre vom Universalismus des Heils a• - Nicht anders erklärt C. Holsten, dessen Lebenswerk der genetischen Erforschung des paulinischen Evangeliums gegolten hat. In seinen lUlter dem Titel "Zum Evangelium des Paulus und des Petrus" 1868 erschienenen gesammelten Studien heißt es im Vocwort: Das paulinische Evangelium ,,(ist) eben nur das resultat einec in den kategorien der jüdisch-hellenistischen weltanschauung sich vollziehenden, logisch consequenten reflexion des denkenden geistes a.uf die tatsache des kreuzestodes des Messias"'. Diese Begriffserklärung hä.lt sich bei Holsten durch bis in die von P. Mehlhom 1898 postum hecausgegebene paulinische Theologie "Das Evangelium des Paulus" 6. Ganz ähnlich definiert O. Pflciderer in seinem Werk "Der Paulinismus" Evangelium als Inbegriff der paulinischen Lehrverkündigung 6 und erlaubt damit die VermutlUlg, daß die Gleichsetzung von Evangelium mit der christlichen Doktrin Kennzeichen einer ganzen theologischen Epoche gewesen ist. Dieses Urteil läßt sich erhä.rten, wenn man die geschichtslos flächige Darlegung zum Begriff Evangelium in dem "Lehrbuch der Biblischen Theologie des Neuen Testaments" von B. Weiß liest', das Referat 1 Vorlesungen über Nellteete.mentliche Theologie, ed. F. Fr. Baur, Bibliothek theol. Kl&slllker Bd.45, 1. Teil, Gotha 1892, S.251. • A.a.O. S. 159. a Paulus, 2. AuB. ed. E. ZeDer, Teil I, LeIpzig 1866, S.353. , S. VIII, vgl. ähnlich S. 97.110. I Vgl. bes. S. 42f. 133f. • (1. AuB. 1873) 2. AuB. Leipzig 1890, S. H. 17f. u.Ö. 7 Das Buch ist in 1. AuB. 1868 erschienen; ich zitiere nach der 7. Aufl., BerlinjStllttgart 1903; vgl. hier S. 214ft". 354f.
Evtmgelium als Doktrin
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im "Lehrbuch der historisch-kritisohen Einleitung in das Neue Testament" von H. J. Holtzma.nn 1 , die in ihrer spä.ten, reflektierten Form auf Hamacks und Schniewinds Auslegungen bereits zurückbliokenden Außerungen A. Jülichers in seiner "Einleitung in das Neue Testament'" oder etwa P. Feines verschiedene Abhandlungen zum Thema Evangelium 3. Das Urteil wird vollends zur Gewißheit, wenn man in der seit 1896 erscheinenden dritten Auflage der "Realenoyklopädie für protestantische Theologie und Kirche" einen Artikel "Evangelium" vergeblich sucht und statt dessen (in Band 5, S. 672) auf den dogmatischen Artikel "Gesetz und Evangelium" verwiesen wird. So gibt denn auoh Th. Zahn in seiner "Einleitung in das Neue Testament"· eine eigentliche Begriffsgesohichte unseres Wortes nicht zu. Er stellt zwar fest, daß Jeaus selbst Substantiv und Verbum eucxyyb.Lov/eucxyyeA(~ea&ClL aus der deuterojesajanischen Tradition übernehme 5, bezeichnet dann aber im Blick auf Röm. 16, 25 die Predigt Jesu a.ls "Urgestalt des Ev(angeliums), welches darum, weil es nach seinem Hingang von den Aposteln und anderen sündigen Mensohen gepredigt wird, ebensowenig aufhört und aufhören soll das Ev(angelium) Christi zu sein, wie das Ev(angelium) oder das Wort Gottes"'. Der Ausdruck eUClyytALoV XPLaTOÜ ist deshalb für Zahn im Sinne eines gen. subj. aufzufassen 7, und, obwohl er sämtliche markinische Stellen für apostolische Formulierungen hält 8 , kann er dennoch zusammenfassend feststellen: "Das Wort eUCl"'(j'D..Lov ist im ganzen N(euen) T(estament), auch Ap. 14,6 und Mr. 1,1, die mündliche Verkündigung des durch Jesus verkündigten und verwirklichten Heilsrates Gottes; erst seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts finden wir das Wort auf 1 (I. Aufl. 1885) 3. Auß. Freiburg 1892, S. 340-342. • (1. Auß. 1894) 7. Auß. in Verbindung mit E. Fascher, Tübingen 1931, S.271f. I In seinem Buch .. Das Gesetzesfreie Evangelium des Paulus", Leipzig 1899, s. 54 Anm. 3 setzt sich Feine gegenüber J oh. :Müllers Kritik an Holstens scholastischer F888ung unseres Begriffes ausdrücklich itir eine lehrhafte Auff888ung von Evangelium ein; in ..Jeaus Christus und Paulus", Leipzig 1902, wird Evangelium alll paulinischer Begriff gesehen, welcher die Frohbotschaft bezeichnet und Jesus Christus zum Inhalt hat (S. 18); in .. Der Apostel Paulus", BFChrTh II 12, Gütersloh 1927, S. 402f. 599 wehrt sich Feine ausdrüoklich gegen die Hamaok· sehe Rede von einem doppelten Evangelium, ein Protest, der in Feines ..Theologie des Neuen Testaments", Leipzig 5. Auß. 1931, in die systematische Definition zusammengefaßt wird: .. Das Evangelium des Paulus handelt ... ebenso von Gott wie von Christus. Es ist die Botschaft von der Selbstbezeugung Gottes an die Welt in Christus, und es umfaßt aUe Heilswirkungen Christi an die Menschheit" (S.425). Das Evangelium Jesu selbst und das seines Apostels unterscheiden sich nur dadurch, daß nach Ostern ..der Tod, die Auferstehung und die Heilswirkung des auferstandenen Christus als Bekundungen Gottes und Christi zur Durchführung des Heilswillens Gottes an die Menschen hinzugetreten sind" (ibid.). • (1. Auß. 1900) ich zitiere nach Bd. 2 der 3. Auß. Leipzig 1924. • S. 228. • S. 169. 7 S. 169f. • S. 241. 227.
10
Auslegungsgeschichte
schriftliche Aufzeichnungen der ev(angelischen) Geschichte angewandt" 1. Eine höchst wirksame Fa.ssung erhält die doktrinäre Interpretation von wrx.yyD.tOV in dem Moment, als A. Seeberg unter dem Einfluß des ApostolikumSBtreites das Phänomen evangelischer doctrina historisch-neutestamentlich zu erfassen sucht. In seiner 1903 erschienenen programmatischen Studie "Der Katechismus der Urchristenheit'" stößt Seeberg bei der Analyse der Bekenntni3tradition von 1. Kor. 15,3-5 auf die, wie man modem formulieren kann, (katechetisch-) formgebundene Funktion unseres Begriffes. In der von Paulus angeführten Paradosis erkennt Seeberg eine der paulinischen und apostolischen Predigt allgemein zugrunde liegende, sie wirksam nonnierende (katechetische) Formel, deren Inhalt er mit Hilfe von Gal.4,4; Röm.l,4; Kol. 3,1; 2,10ff.; Eph. 1,20 u. a. Stellen zu einer vollständigen Glaubensformel ergänzt 3 • Diese Glaubensformel ist Gegenstand des friihchristlichen Taufunterrichts und "Text" der apostolischen Missionspredigt zugleich. Ihren Inhalt führt Seeberg, wie seine 'Wt'iterführende Arbeit über "Das Evangelium Christi"· zeigt, auf Jesus selbst zurück, und zwar in allen Einzelheiten 5. Der mit Evangelium verbundene Genitiv Xpt WCXY'YEA(Cjl 1. Petr. 4,17, XCXTCXY'YtAAW dc; TO wcxY'YtALOV Ign. Phld. 5,2 (von den alttestamentlichen Propheten ausgesagt) und schließlich 1tpoatlW Tii> EUa.Y'YEA(Cjl Ign. Smym. 7,2 sind uns bei Paulus bereits begegnet oder wenigstens von seiner Redeweise von Evangelium her begreiflich. Das zweimalige 1tLauUw &'J Tii> Wa.Y"J'EA(Cjl Mk. 1,15 und Ign. Phld. 8,2 erinnert an die Wendung 1t(aTLC; TOÜ EUCXY'YEA(OU von Phil. 1,27, ist sprachlich aber wegen des 1tLauUW ~ TLVL unpaulinisch 1. Das aktivische EUa.Y'YEAt~W EUCXY'YtALO'J begegnet nur Apc. 14,6. Terminologisch ist diese Wortverbindung nicht zu verstehen, mag sie auch an das begrifflich feste Wa.Y'YEA(~olLcxL -ro EUa.Y'YtALOV erinnern. Wir haben hier vielmehr das griechische Äquivalent für die im Judentum häufige, unterminologische Verbindung .,it:1 ;,."it:1 1 vor uns. In den Wendungen ExtAEuaEv /) XUPLOC; &'J Tii> EUa.Y'YEA(Cjl CXUTOÜ Did. 8,2 und *-lELV E'J Tii> Wa.Y'YEA(Cjl Did. 15,3. 4 meint Evan1 Vg!. R. Bultmann, Artikel: ltLaTtU6), ThWb VI S.203,28f.; W. Bauer, Wb 5 Sp. 1312; V. Taylor, The Gospel according to St. MarkS, S. 167. Paulus spricht nur einmal substantivisch von lt(aTLC; !v XpLaT<j) 'Illaoü Ga!. 3,26. Verbales manu6) Iv TLVL findet sich bei ihm nicht. I Zu dieser Wendung vgl. unten S. 124ff. Vergleicht man diese jüdische Redeweise mit dem Sprachgebrauch der Apokalypse und dann dem terminologischen EUa:YYEA(~tal}a:L -ro EUa:yytALOV, so liegt es nahe, folgende traditionsgeschichtliche Verbindungslinie zu ziehen: Die jüdische Formulierung spiegelt sich im Text der J ohannesoffcnbarung und führt weiter zu jener gebrä.uchlichen Wortverbindung. Genaues darüber läßt sich freilich erst unten sagen (vg!. S. 213 f. 288). 5 5638 Stuhlmacher. Ev&ngeUum
62
Das Problem des pauliniechen EvangelilUDS
gelium schon eine feste (schriftlich fixierte 1) Größe, so daß es nicht verwundert, wenn beide Formulierungen bei Paulus fehlen. Abschließend ist noch der Gebrauch des Verbums im Urchristentum zu prüfen. Die uns bereits vertraute Konstruktion: EUOCYYEA(~OILoc( 't't 't'LVL taucht Lk. 1,19; 2,10; Apg.8,35; 1.Petr. 4,6; Bam.8,3; 14,9; 1. Klem. 42,1 auf; die bei Paulus nur einmal nachweisbare Verbindung mit persönlichem Akkusativobjekt (Gal. 1,9) ist bei Lukas oft nachweisbar: Lk. 3,18; 4,18; 4,43; 20,1; Apg. 8,25. 40; 13,32; 14,15. 21; 16,10 und findet sich ebenso 1. Petr. 1,12; Pol. Phil. 6,3. Aktivisches EUOC((EA(~W 't'LV!X findet sich einmal: Apc. 10,7, ebenso einmal EUOCYYEA(~W 'rL E7t( -rLVOC: Apc. 14,6. Den bei Paulus nur Gal. 1,11 begegnenden passivischen Gebrauch des Verbums findet man häufiger (Mt. 11,5; Lk.7,22; 16,16; Hebr. 4,2. 6; 1.Petr. 1,25; 4,6; LeIern. 42, 1 mit der Konstruktion EUOC((EA(~O!LOCL cX7t6 -rLVOC; = das Evangelium von jem. zu hören bekonunen). Absolut wird das Verbum im Medium und Passivum gebraucht: Mt. 11,5; Lk. 3,18; 4,18 (nachJes. 61,1); 7,22; 9,6; 20,1; Apg. 8,25; 14,7 (14,15); 14,21; 16,10; 1.Petr.l,12 (vgl. ebenso Pol. Phil.6,3 und ähnlich Bam. 8,3); 4,6; 1. elem. 42,1. Ein tenninologisch verfestigter Sinn = das Evangelium proklamieren ist aber nur 1. Petr. 1,12; 4,6 und Pol. Phil. 6,3 vorauszusetzen. An allen anderen Stellen kommt man mit der einfachen Wortbedeutung "predigen" aus, wenn auch der begrifflich feste Gebrauch des Verbums in den Acta nicht unbekannt sein dürfte. Dies bedeutet insgesamt, daß im Urchristentum nichtpaulinischer Prägung EUOC((EA(~OILocL noch viel weniger terminologisch verfestigt ist, als es bei Paulus der Fall zu sein scheint. In der Tat weisen darauf auch die variablen Objekte, die mit EU(X((EA(~OIL(xL verbunden werden können: Lk. 1,19 nur -rocü-roc; Lk. 2,10 xocpocv (LEY!XAl)V; Lk. 4,43 und 8,1 (vgl. Apg. 8,12 und 1. eIern. 42,3) TlJv ß(XCrLAEL(XV 't'oü 3-EOÜ, eine Konstruktion, die passivisch auch Lk. 16, 16 und in Fonn eines A. c. I. 1. elem. 42,3 vorliegt; Bam. 14,9 X!XPLV (nach Jes. 61,1); Bam.8,3 TlJv OCqlEO"LV 't'WV cXIL(Xp-rLWV. An Gal. 1,11 erinnert nur 1. Petr. 1,25 -ro P7jILoc -ro EUOC((EALO".ah dc; UILiic;. Technische Ausdrucksweise (aus dem Bereich der Heidenmission) dürfte Apg. 8,4 und 15,35 vorliegen, wenn es zweimal heißt: EU(x((EAt~Ea3-ocL 't'ov A6yov. Die übrigen Objekte, welche in der Apostelgeschichte bei EUOC((EAt~E0"3-ocL stehen, fordem wieder die Wortbedeutung "predigen". Es sind dies 't'ov 'Il)aoüv Apg. 8,35; -rov XpLa-rov 'Il)aoüv Apg. 5,42; -rov XUPLOV 'Il)O"Oüv Apg.ll,20; -rov 'Il)aoüv X(XL -rl)v civ!Xa-rocaLv Apg. 17,18 und dp~Vl)v Apg. 10,36. Wir können zU8ammen/a8seJn: Der Stamm EUOC((EA- wird im Corpus Paulinum außerordentlich häufig gebraucht, häufiger als im urchristlichen Schrifttum sonst. Dem entspricht, daß die Wortgruppe in den
Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)
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Paulusbriefen, von 1. Thess. 3,6 abgesehen, nur terminologisch verwendet wird, wä.hrend das urchristliche Schrifttum außerhalb der Paulinen eine durchaus unterminologische Verwendung sowohl des Substantivs als auch des Verbums aufweist. Bei Paulus bezeichnet absolutes -ro eUrJ.yyfALOV eine feststehende (Offenbarungs-)Größe, die, wie die mit eUClyyeALov verbundenen Genitive TOÜ &&OÜ und TOÜ XpLaToü beweisen, Christologie und Offenbarung Gottes in ein einziges Geschehen zusammenfügt. Die mit dem Substantiv eUClyyeALov bei Paulus verbundenen verba dicendi und trooendi machen es wahrscheinlich, daß es sich um ein Verkündigungsphänomen handelt, obwohl die vielfaltigen und sachlich komplexen Wortverbindungen einer allzu raschen Identifikation von eUClyyeALov mit einem fixierten Predigtinhalt widerraten. Das Verbum eUrJ.yyeA(~ea&rJ.L scheint seine terminologische Fixierung erst vom Substantiv TO eUrJ.yyeALov her erhalten zu haben. Damit zeichnet sich für das Verbum von Paulus her eine Begriffsgeschichte ab, welche einen allgemeinen Bedeutungsinhalt von "botschaften" als Vorstufe für terminologisches eUrJ.yyeAt~ea&rJ.L vermuten Iä.ßt. Dieser Befund wird durch die außerpaulinisch-urchristliche Verwendung des Verbums ebenso bestätigt wie die nichtpaulinisch-urehristliche Redeweise von eUrJ.yyeALov, die erheblich weniger begrifflich verfestigt zu sein scheint als die paulinisohe, einen ähnlichen Werdegang auch für das Substantiv andeutet. Ehe wir der Frage nachgehen, ob sich diese Eindrücke traditionsund sprachgeschichtlich bestätigen lassen, haben wir nunmehr zu sehen, wie Paulus selbst sein Evangelium theologisch bezeichnet, verteidigt und entfaltet.
11. Exegetische Problemskizze (Ga1. 1 lDld 2) Der Textzusammenhang, in welchem das Problem des paulinischen Evangeliums am vielschichtigsten entwickelt wird, sind die ersten beiden Kapitel des Galaterbriefes. Wir vergewissern lDl8 deshalb unserer Aufgabe durch eine vorgreifend-thetisohe, exegetisohe Erörterung dieser Briefpassagen. Die beiden Kapitel gehören zu den historisch umstrittensten des Neuen Testaments, die Literatur ist demzufolge nahezu unübersehbar. In unserem Zusammenhang ist es geboten und ratsam, auf die exegetischen Einzelprobleme nur insoweit einzugehen, als dies das Thema "Evangelium" erfordert. Gesamtthema der Eingangskapitel des Zirkularschreibens an die galatischen Gemeinden sind der pau1inische Apostolat, das paulinische Evangelium und deren Legitimität. Paulus muß sich um diese Legitimität verkämpfen, und zwar mit äußerster 6°
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DM Problem des pauJinischen Evangeliums
Erbittenmg. Das wird formgeschichtlich bereits daran erkennbar, daß das sonst übliche, dem Briefpräskript folgende, fürbittende und für die Gemeinde danksagende Proömium im Galaterbrief fehlt. Es fehlt aber nicht nur, sondern ist ersetzt durch einen Ausdruck befremdeten Erstaunens über den Abfall der Galater vom paulinischen Evangelium, ein Erstaunen, das in eine förmliche Verfluchung &lIer derer ausmündet, die ein fremdes Evangelium proklamieren (1,6-9). Was ein solcher Fluch in urchristlicher Zeit bedeutet, mag man innerhalb der PauJinen an 1. Kor. 5,1 ff., religionsgeschichtlich an 1 QS 2,4 ff. ablesen: Es geht bei dem Anathema um einen im Namen Gottes vollzogenen, verbindlichen Abschiedsbescheid an hä.retische Elemente. Man muß sich dies in seinem ganzen Gewicht vor Augen halten, um den Ausgangspunkt und die eschatologische Position zu begreifen, von welcher aus der Apostel in Gal. 1 und 2 argumentiert. Bereits im Präskript erklärt sich Paulus als Apostel Jesu Christi allein, ein Apostel, der weder von einer Menschengruppe noch durch einen einzelnen Menschen, sondern von Gott und seinem Christus ausgesandt ist. Praktisch dürfte dies heißen: Paulus lehnt es ab, als Sendbote nur einer Gemeinde oder auch nur eines ihrer irdischen Repräsentanten zu erscheinen. Ob sich hier mehr als eine grundsätzliche Frontstellung erkennen läßt, ist jetzt noch nicht zu entscheiden. Im Sinne jedenfalls einer grundsätzlichen Scheidung zitiert Paulus in V. 4 ihm überkommene, hymnische Tradition 1: Christus ist gesandt, um die Seinen der alten Welt-Zeit zu entreißen und die neue Zeit der neuen Welt heraufzuführen. Nehmen wir diese Aussage beim Wort, so bedeutet dies, daß nach paulinischer Auffassung der Apostel und die christliche Gemeinde als Repräsentanten der durch Christus heraufgeführten neuen Zeit (und Welt) gelten, daß also Maßstäbe und Denkvoraussetzungen des Alten .Äon für sie abgetan sind I. Paulus versteht sich dann also als der Sendbote der neuen Zeit, der mit seiner Botschaft aus wahrhaft eschatologischer Distanz in die alte Welt hineinruft. Solcher Sendbote muß es als Anfeindung seines Gottes auffassen, wenn die Aspekte der alten und neuen Zeit vermischt oder gar das Gewicht der apostolischen Ansage einer neuen Welt-Zeit negiert wird. Eine derartige Anfeindung Gottes und damit 1 Vgl. E. Kii.semann, Artikel: Liturgische Formeln im NT, RGG3 11 Sp. 995. Die alte Bekenntnisformel wird erkennbar a) sm Partizipialstil : ';'oü 86v't"oe; tlXuT6v b) an ihrer geprägten, unpaulinischen Sprache: U1:~P ,wv IX(J.lXpnwv 7)(J.iiiv und EK TOÜ IXtwvoe; 't"OÜ EvEa't"wToe; lt0Vllpoü. I V gl. meine Aufsätze: Erwägungen zum ontologischen Charakter der KIXLvlJ K't"(aLe; bei Paulus, EvTh 27, 1967, S. 1-35 und: Theologische Probleme des Römerbriefpräskripts, EvTh 27, 1967, S. 374--389, bes. 378f. Auf die Struktur der paulinischen Eschatologie im ganzen reflektiert meine Probevorlesung : Erwägungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie, ZThK 64, 1967, S.423-450.
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die, wie man im Blick auf Gal. 2,21 und 1. Kor. 1,17 b formulieren könnte, Entkräftung des Kreuzes Christi sieht Paulus in Galatien augenscheUiüch am gegeben an. Gegen wen setzt sich der Apostel zur Wehr? Vermutlich gegen eine häretische Überfremdung seiner ihm anfänglich treu anhängenden Gemeinden (vgl. das klagende oG-rwc; Ta:l};wc; 1,6 und die Konfession 4, 12ff.). Diese werden durch ein dem paulinischen wesensfremdes Evangelium zum Abfall von Paulus und seiner Botschaft gedrängt. :Man kann exegetisch noch mit allgemeiner Zustimmung rechnen, wenn man die Gegner des Paulus in Galatien als Judenchristen beschreibt, welche glaubten, ihre Christusbotschaft mit Elementen von (Tora-)Observanz verbinden zu müssen (vgl. 4,10; 5,2). Sobald man aber den Charakter solchen Judenchristentums und mit ihm die gegen Paulus erhobenen Vorwürfe näher zu charakterisieren versucht, gehen bislang die Meinungen der Ausleger noch weit auseinander. Gemeinhin nimmt man an, es handele sich um "Judaisten", welche Paulus seine faktische Angewiesenheit auf die (Lehre und Tradition der) Jerusalemer Urapostel und damit gleichzeitig die Abhängigkeit bzw. Nachträglichkeit seines Apostolates vorhielten!. Auf den logischen Widerspruch solcher Argumentation hat W. Schmithals hingewiesen': (ist) undenkbar, daß die Jerusalemer Apostel in Galatien Paulus vorwerfen, er sei von ihnen selbst oder, falls es nur Vertreter der Jerusalemer Autoritäten sind, er sei wie sie selbst von den Aposteln in Jerusalem abhängig. Damit kann man zwar seine Autorität als AposteJ herabsetzen, aber gerade nicht sein Evangelium
"Es:
1 Vg\. z.B. W. G. Kümmel, Einleitunglt, S. 194/96: "Die Gegner waren ... zweifell08 Judenchristen, die Beschneidung und Geeetzeeerfüllung predigten. Daß sie mit Jerusalem in Verbindung standen, ist nun freilich nicht deutlich gesagt; immerhin scheint man doch Paulus nicht nur ganz allgemein seine bloß von Menschen abhängige Apostelwürde tadelnd vorgehalten zu haben, sondern gerade auch, daß er von den Jerusalemer Aposteln abhängig und darum kein wirklicher Apostel sei, was er als historisch unrichtig nachzuweisen sucht 1,16ft"." Oder E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, MeyerK. 3. Abtlg. 14. Aufl. Göttingen 1965 (= 5. Aufl. der Neubearbeitung durch Haenchen), S. 277: "Daß Paulus Ga\. 1,1 bei dem Wort aL' ~V~PW7tOU an eine judenchristliche Entstellung der Bedeutung des Ananias gedacht hat, läßt sich freilich nicht ausschließen. Aber wahrscheinlicher ist es doch, daß man eine Abhängigkeit des paulinischen Ap08tolats nicht von Damaskus behauptet hat, sondern von Jerusalem". - Eine wichtige Variation dieser Sicht bietet Joachim Jeremias mit der These, Paulus sei zum Vorwurf gemacht worden, er habe den GrundbeRtand sein€'s Evangeliums von Petrus übernommen und seine spezielle Dcu· tung dieBe8 Urkerygmas lIt'i pine Verfälschung der echten Jerusalemer Botschaft: Chiasmus in den Paulusbriefen (1958), jetzt in: Abba [S.276-290] S. 286. Vor Jeremias iihnlich: E. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentwns 111, Stuttgart/Berlin 1923, S. 490ft". • Die Häretiker in Galati€'n, ursprünglich: ZNW 47, 1966, S.25-67, überarbeitet abgedruckt in dem Sammelband: Paulus und die Gn08tiker, ThF 36. Hamburg-Bergstedt 1965, S. 9-46; danach die Zitate, das folgende S. 16.
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verwerfen. Vielmehr wä.re solche Behauptung eine Belobigung seines Evangeliums." Solange man den paulinischen Evangeliumsbegriff als Einheit betrachtet und um des eben skizzierten eschatologisch-neuen Standpunktes des Apostels und seiner Botschaft willen sich nicht ohne sehr genaue Differenzierungen mit J. Jeremias und A. Fridrichsen 1 entschließen kann, zwischen einem allgemeinen gesamtkirchlichen Grundbestand des Evangeliums und seiner differierenden, juden- oder heidenchristlichen Auslegung zu unterscheiden, ist dieser Einwand zwingend. Schmithals selbst ist der Meinung, daß die Gegner dem Paulus Abhängigkeit von den Uraposteln vorwerfen, um ihrerseits statt solcher Abhängigkeit einen Gott-unmittelbaren, pneumatisch ausweisbaren Apostolat zu fordern. Sie erweisen sich nach Schmithals damit als Gnostiker, die ihre Verkündigung mit Elementen jüdischer Gesetzesobservanz (z. B. der als Initiationsakt interpretierten Besclmeidung) verbinden·. Gegen diese Sicht hat W. G. Kümmel eingewandt, daß typisch gnostische Motive sich bei den Pnulusgegnern kaum nachweisen ließen 3. Aber wie dem auch sei: In einem wesentlichen Punkt ist Schmithals mit den von ihm apostrophierten Gegnern durchaus noch einer Meinung, daß Paulus sich nä.mlich zur Wehr zu setzen habe gegen den Vorwurf einer sein Amt und seine Botschaft herab mindernden Abhängigkeit von den Jerusalemer Autoritäten. Im Verfolg dieser These ist es aber nahezu unverständlich, daß Paulus in eben dem Argumentationsgang, der die Selbständigkeit seines Apostolates erweisen will, doch wieder, wie Schmithals selbst hervorhebt, "die Gemeinschaft im Evangelium mit den Jerusalemern bezeugt"4 (vgl. Gal. 2, Iff.).An dem genannten Widerspruch hat D. Georgi Anstoß genommen und bemerkt, man habe "Paulus nicht Abhängigkeit von Jerusalem vorgeworfen, sondern gerade Verachtung der Tradition" 5. In der Tat scheint mir erst von dieser Sicht aus eine einheitliche Interpretation der paulinischen Gedankenführung in Gal. 1 u.2 möglich zu werden. Was Goorgi im Auge hat, kann ja historisch 1 J eremias a. a. O. S. 286: "A. Fridrichsen hat überzeugend nachgowiesen, daß man bei Paulus zwischen der 'basic substance' seines Evangeliums, dem allen Sendboten gemeinsamen Kerygma., einerseits und der ihm speziell aufgetragenen Botschaft andererseits unterscheiden muß"; Jeremias bezieht sich auf: A. Fridrichsen, The Apostle and his Me8Bage, S. 8ft". Zu den Differenzierungen vgl. S. 67 Anm. 1. I Sclunithals, a.a.O. S. 17ft". 3 A.a.O. S. 194. ' A.a.O. S. 16. S Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, ThF 38, HarnburgBergstedt 1965, S. 36 Anm. 113. - Ragnar Bring scheint ähnliches im Auge zu haben, wenn er in seinem Galaterbriefkommentar ausführt, die Judaisten hätten Paulus zum Vorwurf gemacht "that his prea.ching was dependent on 8omeone else. poSBibly Ba.rnabas with whom he had been in Antioch, and who had already befriended hirn in Jerusalem" (CommentBry on Galatia.ns, Philadelphia 1961, S. 37f.).
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nur besagen, daß Paulus mit seinem EvangeJium gegen Grundsätze verstößt, dio für seine judenchristlichen Gegner und ihren Glauben lebenswichtig waren, also vermutlich Grundsätze des Toragehorsams. Da mm aber, wie gleich eingehender zu zeigen sein wird, Gal. 1, 13ff. beweisen, daß Paulus in das Missionswerk der hellenistischen (also gesetzesfreien !) Gemeinde berufen wurde, da der Apostel ferner als Delegat Antiochiens mit Bamabas zum Konvent nach Jerusalem zu ziehen scheint und da Paulus zuletzt noch einmal in 2, 11 ff. ausdrücklich das theologische Recht der gesetzesfreien heidenchristlichen Position verficht, scheint mir folgende These vertretbar zu sein: Die Gegner haben Paulus den Vorwurf gemacht, er sei nichts als ein Gemeindeapostel der Antiochener, also Sprecher eines illegitimen (weil die Tora abrogierend~n) Evangeliums. War dies die Front, gegen welche Paulus sich zu behaupten hatte, so erklären sich drei Tatbestände zwanglos: 1. Die Anschuldigung, Paulus biete ein erweichtes, nach Menschenmaß umgebogenes Evangelium (l,10f.). Sachlich ist damit die der paulinischen Evangeliumsverkündigung tatsächlich inhärente Gesetzesabrogation gemeint. 2. Die Behauptung, Paulus sei kein genuiner Apostel, sondern nur Vermittler bereits übernommener Tradition (1,12). Die Behauptung bezieht sich darauf, daß Paulus faktisch nur die "antiochenische" Botschaft bietetl. Gegensatzbegriffe wären also das genuine Evangelium und Apostolat der Jerusalemer. Auf solche Behauptung reagiert Paulus mit dem Bericht von seiner Berufung, weil nur diese Berufungserzählung ihn mit den Altaposteln auf eine Ebene stellen kann. 3. Die Tatsache, daß Paulus sich gerade im Zuge des Erweises seiner Eigenständigkeit doch auf die Anerkennung durch die Jerusalemer beruft. Dies kann nur bedeuten: die Kronzeugen der Haeretiker, die Jerusalemer Autoritäten, haben ausdrücklich anerkannt, 1 Es dürfte in der Tat möglich sein, auf dem von Fridrichsen und Jeremias angedeuteten Wege a. Hd. von 1.Kor. 15,3ff. eine christologisch.katechetische Tradition zu erschließen, welche den Antiochenem und Jerusalemem gemeinsam war, an welcher die Bezeichnung "Evangelium" haftete und die in sich selbst sowohl einer gesetzestreuen und einer das Gesetz abrogierenden Interpretation und Wertung offenstand. Nur darf man diese Pa.ra.dosis nicht überbewerten, denn sio gibt uns nur an einor einzigen Stelle Einblick in das urchristliche und paulinische Evangelium (vgl. unten S. 266ff.). Exegetisch kommt alles darauf an, diese Tradition nicht direkt mit dem paulinischen Evangelium zu identifizieren. Paulus gliedert die Paradosis seinem Evangelium ein, scheidet aber gerade nicht zwischen Tradition und Interpretation, wie es - vielleicht seine Gegner getan haben. Außerdem gilt es um des oUx ehr' ci",&pw!rw", in 1,1 und des betont in 2, 1 ff. 11 ff. herangezogenen Phänomens Antiochien willen die Vorwürfe gegen Paulus auf eine breitere Basis zu steUen als nur den Gegen· satz gegen den einen Apostel Paulus. Mir ist vor allem bei der Auslegung, welche Jeremias a.a.O. unseren Auseinandersetzungen gibt, nicht deutlich, ob er die Dinge in demselben Aussagegefälle zu sehen beabsichtigt, wie wir dies für nötig halten.
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Das Problem des paltlinischen Evangeliums
was ihre Gefolgsleute, die Haeretiker, anfechten, nämlich das apostolische Amt des PaulUB und die ihm anvertraute Botschaft. Die Haeretiker befinden sich also, meint Paulus, in einem eklatanten Selbstwiderspruch. Gleichzeitig erklärt sich auch die Schärfe der paulinischen Darlegungen in 2,11 ft".: PaulUB kann mit ihnen einleuchtend erweisen, daß auch Antiochien den Apostel nicht binden oder halten konnte, als dort die ~~&e:Lot seiner Botschaft verleugnet wurde. Die Kritik an Petrus dient gleichzeitig dazu, eine (in den Augen der Haeretiker vorhandene 1) Würdestellung des Petrus dem Urteil des einen, wahren Evangeliums zu unterwerfen, vielleicht sogar am Verhalten des PetrUB eine seit dem Apostelkonvent eingetretene Revision in der einst zustimmenden Haltung aller Jerusalemer gegenüber der paulinischell Botschaft zu brandmarken. Unsere These hat zuletzt den Vorzug, daß man judaisierende Elemente in der Lehre der PaulUBgegner nicht zu bestreiten braucht, eine Hochschä.tzung JerUBalems bei ihnen mit der bisherigen Forschung voraUBsetzen darf und dabei doch eine synkretistische BeeinflUBSung, über die in unserem Zusammenhang nicht entschieden zu werden braucht, durchaUB als Möglichkeit oft"enlassen kann. Entscheidend aber ist zu sehen, wie Paulus sich gegen den Vorwurf, nichts als ein Gemeindeapostel der Antiochener und damit Bote eines illegitimen, weil gesetzesfreien Evangeliums zu sein, von der VoraUBsetzung her verteidigt, daß einzig sein Evangelium als Gottes wahre Offenbarung der gültige Maßstab seines Handelns und der Legitimität bzw. Illegitimität seiner Gegner, ja auch der Jerusalemer Apostel sein kann. Anders formuliert: PaulU8 erhebt sein Eoof/{Jelium zum allein gllltigen, weil den Anbruch der muen Welt-Zeit Gottes proklamierendenMap alles dessen, was in Gal. 1 und 2 geschieht. Vom Standpunkt nur seines Evangeliums aUB wagt PaulUB es, das Handeln und Reden der Haeretiker sowohl wie das der Jerusalemer zu prüfen und gegebenenfalls auch zu verwerfen. Solche Wertschätzung seines Evangeliums und das sich in ihr bekundende eschatologische Selbst- und Amtsverständnis des Apostels erscheinen unüberbietbar und dürften den theologischen Kern des paulinischen Apostolates und des von diesem Apostolat untrennbaren Evangeliums berühren. Hält man sich dies vor Augen, so wird Ton und Argumentatio1l8weise von Gal. 1,6ft". wesentlich verstä.ndlicher: Paulus muß ja, wenn sein Evangelium allein maßgeblich ist, in 1,6 die Berechtigung eines anderen Evangeliums bestreiten, und er kann in der Verkündigung der Gegner nur eine eschatologisch aJlstößige Verkehrung und Verzerrung seines (also des paulinischen) Evangeliums sehen 1. Wie der 1
Zu
IlnGta~pEIjiClL
V. 7 vgl. Jak. 4,9 v. I.
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Apostel in Gal. 4, 13f. die alte, neutestamentlich in Apc. 14,6 begegnende, jüdische Anschauung von Engeln als botschaftenden Mandataren Gottes auf sich und sein Evangelisieren bezieht, tut er es polemisch in 1,S. Selbst wenn ein Engel mit einem un-paulinischen Evangelium auftreten würde - und dies könnte nach 2. Kor. 11,4 (einer ebenfalls gegen Häretiker polemisierenden Stelle!) nur ein satanischer Engel sein -, selbst dann wäre das Paulusevangelium das im Namen Gottes allein gültige (vgl. 2,5. 14). Der Fluch von V. sr. erklärt sich also vom eschatologischen Alleinanspruch des paulinischen Evangeliums und vom Geltungsanspruch seines Apostolates her. Es gilt denmach für die beiden Verse bis in den Stil hinein dasselbe, was von dem Anathema der urchristlichen Abendmahlsliturgie (1. Kor. 16,22) geschrieben worden ist. "Die Formel gehört ... in die Sphä.re des heiligen Rechtes. Sic enthält keine disziplinarische Anweisung für irgendeine menschliche Insta.nz (die Gemeinde oder ein Richterkollegium), das Schlüssel amt gegen den oder jenen Unwürdigen zu praktizieren, den oder jenen zu bannen, sondern sie spricht für den gesetzten Fall die von Gott her fallende Entscheidung aus und überläßt den Frevler dem Strafgericht Gottes, wobei die Verantwortung ganz dem Angeredeten zufällt und das Anathema die Aufforderung zur Selbstprüfung bedeutet" 1. Handelt es sich in Gal. 1,Sf. um eine sakralrechtliche Verfluchung, so ist ein neuer Gesichtspunkt gewonnen: Paulus erflthrt seift Evangelium und sein Amt als BegrIlndung heiligen Rechtes. Evangelium und Apostolat sind in sakralrechtliche Relationen eingel1lgt. Nur wenn man dies bedenkt, werden m. E. die Vorgänge und Abmachungen auf dem Apostelkonvent ga.nz verständlich. Flucht Paulus im Namen Gottes und von der eschatologischen neuen Warte des Evangeliums her, so erklärt sich die ironische Frage von 1,10. Er würde das Wesen seines Amtes verleugnen, wollte er es wagen, die ihm aufgetragene Botschaft nach Menschenmaß oder besser: nach Maßstäben des alten Aons zu alterieren. Fundamentale Schwierigkeiten werfen V. 11 u. 12 auf. Zunächst ist V. 11 von unserem Ansat.z her klar: Wenn Paulus mit seinem Evangelium aus der neuen Welt in die alte hineinruft, wenn er in diesem Dienst Sprecher Christi (Gal. 4,14), ja Gottes selber ist (2. Kor. 5,20), dann entspricht sein Evangelium nicht Menschenmaß, ist es nicht XIXTOc «v&pW1tOV, sondern Verlautbanmg in der Vollmacht Gottes. Das den Vers einleitende yvwpl~w wäre dann also Ausdruck für die Kundgabe eines eschatologischen Tatbestandes, es ist wie Dan. 2,23. 1 G. Bomkamm, Zum Verständnis des Gottesdienstes bei Paulus B. Du Anathema in der urchristlichen Abendmahlsliturgie, in: Du Ende des Gesetzes (Ges. Aufs. I), BevTh 16, München 2. Aufl. 1958 (8. 123-132) S. 125.
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Das Problem des paulinischen Evangeliums
28ff.; 5,8 (Theodotion); KoI. 1,27; Eph. 1,9 Offenbanmgsterminus 1• Daß wir richtig interpretieren, zeigt V. 12. Unserem Ansatz entsprechend, halte ich es für denkbar, daß Paulus sich mit dem ausdrücklich hervorgehobenen: ou8e rcip &yw X'tA. an anderen apostolischen Gestalten und der diesen zugestandenen Unmittelbarkeit ihres Amtes mißt: Paulus weiß sich dem Petres und den anderen Uraposteln durchaus ebenbürtig. Solche Ebenbürtigkeit gründet in der Tatsache, daß das Evangelium Paulus auf dem Wege göttlicher, Jesus Christus als Sohn Gottes präsentierender Offenbarung zugekommen ist (vgl. 1,16) und gerade nicht auf dem Wege katechetisch-unterrichtlicher Vermittlung. Aus dem Bereich solcher Übermittlung stammen die termini technici 1tapotÄa!Lß~vw und 8LMaxw. Die mit dieser paulinischen Alternative aufbrechende Frage nach dem Verhältnis des paulinischen Evangeliums zur (christlichen) Tradition, ist hier nicht ausdiskutierbar. Nicht nur der Vergleich unseres Verses mit 1. Kor. 15, 1ff., wo das Evangelium, das Paulus weitergibt, ausdrücklich als Tradition gekennzeichnet wird, führt in anscheinend unlösbare Aporien', sondern bereits die Spannung zwischen Gal. 1,9 und 1,12. In 1,9 erklärt Paulus ausdrücklich, die Galater hätten das Evangelium von ihm (unterrichtlich) empfangen. In V. 12 lehnt er für sich und sein Amt solche Vermittlung ebenso ausdrücklich ab. Da kein Anlaß besteht, mit Kl. Wegenast das Problem durch die These zu lösen, "daß Paulus 1tapotÄCl!Lß~vELV an unserer Stelle nicht in der sonst auch bei ihm üblichen Weise (vgl. z.B. 1. Kor. 15,3) als Traditionsterminus, sondern im Gegenteil als Bezeichnung für den Empfang einer Offenbarung verwendet" a (1tapotÄCl!Lß~vt:tV wird durch die Parallelität zu 8t8ocx37ivaL mit Sicherheit als Traditionsterminus ausgewiesen I), wird rn&Il in Übereinstimmung mit dem bisher über das paulinische Evangelium Erkannten folgende Erklärung in Erwägung ziehen: Paulw versteht sein Evangelium als Offenbarung selbst, d.h. er versteht es als traditions1 Vg\. H. Schulte, Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, BevTh 13, München 1949, S. 47: "Gerade wenn die Verkündigung mit Y"ColFECEt" bezeichnet \\;rd, ist sie verstanden als die Fortsetzung des offenbarenden Handelns Gottes, doch so, daß sie in dieses selbst hineingehört. " K. G. Kuhn, Der Epheserbrief im Lichte der Qumrantexte, NTSt 7, 1960/61 (S.334-346), S.336 vergleicht 1 QH 4,27f. und 1 QpHab 7,4f. - Profan verstehen das Y"ColpECEtII z.B. R. Bultmann, Artikel: Y"ColpECCol, ThWb I S. 718,19 und Dieter Lührmann, Das Offenbarungsverständnis bei Paulus und in paulinisehen Gemeindon, WMANT 16, Neukirchen 1965, S. 121 Anm.3. I E. Dink1er urteilt über das Verhältnis von Ga\. 1,12 und 1. Kor. 16,lff. in seinem Artikel: Tradition im Urehristentum, RGG' VI Sp. 970-974: "Die Spannung zwischen der Aussage in Ga\. 1,12 einerseits - Offenb~ und nicht menschliche T(radition) - und l.Kor. 11,23 und lS,3 andererseits T(radition) 'vom Herrn', aber gleichwohl dureh Menschen überliefert - läßt sich nicht auflöeen und systematisierend klären" (971). I Das Verständnis der Tradition bei Paulus und in den Deuteropaulinen, WMANT 8, Neukirchen 1962, S.44.
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bejahend, aber nicht als an t'orpaulinisch-normative Traditionen gebunden 1. Ist dies richtig gesehen, dann läßt sich die lUlterrichtliche Weitergabe des Evangeliums durch Paulus selbst nach V.9 ebenso verstehen wie die Übernahme geprägten Formelgutes durch den Apostel in 1. Kor. 15,111". interpretieren, olme die ciÄ~D-&LOC des apostolischen Evangeliums preiszugeben. Wie ist die VermittllUlg des Evangeliums an Paulus aL' Cl1tOXOCMI)i&wc; 'I llGOÜ XpLGTOÜ zu denken? Auszugehen ist von der Parallelität der beiden Aussagen: cX7tOXcU.UI)iLC; 'I llGOÜ XPLa't'OÜ V. 12 lUld V. 16 cX7tOXocMI)iOCL -rov utov cxu..oü tv EILOL Der Genitiv 'hjGOÜ XPLa't'OÜ ist also in dem Sinne ein gen. obj., als es sich bei der OffenbarlUlg um das KlUldwerden Jesu Christi als Gottes Sohn kraft des Handelns Gottes selber handelt. Gott selbst hat Paulus den vor dem Gesetz verfluchten (Gal. 3,13), gekreuzigten Jesus als Sohn Gottes in himmlischer Vollmacht, als Gottes inthronisierten Mandatar kundgetan. Gott selbst ist also der auctor des paulinischen Evangeliums. Der (apokalyptische) Begriff cX7tOXcU.UI)iLC; deutet an, daß es sich um eine proleptische EnthülllUlg endzeitlicher Realitäten handelt: .. Der Vorgang, den Paulus ... beschreibt, erweist sich als ein Akt des Aufdeckens von etwas radikal Verborgenem. In der OffenbarlUlg an den Apostel wird die eschatologische EnthülllUlg Christi (für den Apostel) vorausgenommen"'. Das paulinischc Evangelium wäre demnach die worthafte VorausdarstellWlg eines sich erst endzeitlich aller Welt erschließenden Tatbestandes. Doch gehen wir zunächst noch weiter der Frage der Vermittlung des Evangeliums an Paulus nach. In V. 13 ff. gibt Paulus eine V. 12 begründende Darstellung der ihm zuteilgewordenen Berufung. Man kann dies mit Schlier als ein notgedrlUlgenes Ausweichen auf eine historische Argumentation interpretieren, notgedrungen, weil sich die eigentliche göttliche Dignität des paulinischen Evangeliums, die in seiner direkten Übermittlung durch den Auferstandenen besteht, nicht in der Form eines Beweises Dritten gegenüber demonstrieren läßt. Dooh dürfte dies eine modeme Argumentation sein, die für Schlier um so näher liegt, als er annimmt, daß Paulus, auf den formulierbaren Inhalt seines Evangeliums gesehen, sehr wohl mit Jerusa.lem und der Gesa.mtkirohe einig ist, die Besonder1 Vgl. Wegenaat a.a.O. S.44: "Evangelium im Sinne des Textes Gal. !f. ist der von Gott als Sohn offenbarte, gekreuzigte, gestorbene und auferstandene Jesus Christus, der die einzige Möglichkeit ist, zum Heil zu gelangen. Evangelium ist also keine Formel oder Tradition, wenn es sich auch gewisser kerygmatischer Traditionen bedienen kann (so etwa Gal. 1,4), sondern das in Jesus verkündigte Heil, der verkündigte Christus (Vgl. 1,16 (va; cla;YYE).(~wlLa;L a;üT6v). Evangelium ist also nach der Meinung des Paulus aller Tradition voraus." I H. Schlier, Der Brief an die Galater, MeyerK 7. Abtlg. 12. Auß., Göttingen 1962, S.55.
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heit seines Evangeliums also inhaltlich gar nicht beweisen kann. Paulus wird nach Schliers Meinung durch die ihm gewährte Offenbarung nur von Gott selbst eingereiht in das bereits in Gang befindliche, von JerusaJem ausgehende Geschehen der apostolischen Christusverkündigung. Schlier kann auf diese Weise von der Ursprünglichkeit des paulinischen Apostolates unbeschadet der Tatsache sprechen, daß die der Sendung des Paulus zeitlich vorausgehende Jerusalemer Verkündigungstradition theologisch in noch ganz anderem Maße als ursprünglich angesehen werden muß: Sie gründet in der uranfänglichen Selbstentäußerung des auferstandenen Christus ins apostolische Wort der Zeugen und darf darum mit Recht auch einen Paulus ihren Diener nennen 1. Doch dürfte diese Konzeption ein zwar geniales, aber doch modem kontroverstheologisch gedachtes Theologumenon sein. Exegetisch kommt ja, um bei unserem Text zu bleiben, bei dieser Konzeption der erstaunliohe Sachverhalt keineswegs hinreiohend zur Geltung, daß Paulus sioh nicht mit einem chronologisch-darlegenden Bericht über seine Indienstnahme durch Gott beschränkt, sondern anscheinend höchst bewußt in das Urbild alttestamentlichprophetischer Berufungsberichte hineinstellt. Dies beweist, daß Paulus sich als Nachfahre der das Geschichte entriegelnde oder verriegelnde Wort Gottes verkündigenden Propheten des Alten Bundes versteht (vgl. Röm. 1, Uf.). Wie in den Berufungsberichten der Propheten der geschichtliche, biographische Berufungsbericht bewußt die seinsstürzende Gewalt des kommenden und zum Wort ermächtigenden Gottes anzeigt, darin zugleich aber Ausweis der Legitimität des Propheten ist, so auch bei Paulus: Seine geschichtlich biographische Argumentation ist Kennzeichen der geschichtlichen Wirksamkeit und Gesohichtsnähe des ihn mit seinem Wort beauftragenden Gottes und zugleich eindeutiger Ausweis für das eschatologisch-prophetische Selbstverständnis des Apostels I. Daß Paulus sich bei seiner Darstellung 1 Vgl. Schliers Studie: Kerygma und Sophia. Zur neutestamentlichen Grundlegung des Dogmas, in: Die Zeit der Kirehe (Ges. Aufs.), Freiburg 2. Auft. 1958, S.206-232, vor allem 214fT. - Wenn G. Bomkamm in SAinem Paulus-Artikel, RGG- V Sp. 166-190 darauf aufmerksam macht, daß Paulus, ..auch wenn Gal. 1,15 deutlich an Propheten&teUen anspielt (vgl. Jer. 1,5; Jes. 49,1) und P(aulus) sich selbst, sein Schicksal und seinen Verkündigungsauftrag wiederholt auch sonst mit diesen erläutert (Röm.l0,16 vgl. Jes.53,1; Röm.ll,I-4 vgl. 1. Kön. 19,10. 14), so doch nirgends nach a(l)t(licher) Prophetenart eine Berufungsvision (erzählt)" (169), so ist diese Abweichung aus dem tradition&gesehichtlichMl Werdegang der prophetischen Berufungsberichte in der nachalttestamentlichen, jüdischen Tradition erklärbar. Bereits bei Deuterojl'saja und Tritojesa.ja ist eine merkliche Zurückhaltung bei der Beschreibung ihrer Berufung festzustellen: Vgl. CI. Westennann, Das Buch Jesaja, ATD 19, Göttingen 1966, S. 10. 38. 290f.; ferner W. Zimmerli, Zur Sprar.he Tritojesajas, Ges. Aufs. ThB 19, München 1963, [S.217-233] S.226fT. Auch 1 QH 9, 29f. schildert keinen detaiUil'rtl'n Beruflmgsvorgang ml'hr, sondl'm begnügt sich - darin
Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)
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typologisch vor allem an Jes. 49,1 anlehnt, hat Tr. Holtz wahrscheinlich gemacht 1. Freilich gilt es zu sehen, daß der Verweis auf die alttestamentliche Tradition bei Paulus nur Teil eines echten, biographisch geschichtlichen Berichtes ist. Läßt sich Gal. 1, 13ff. historisch näher konkretisieren? Paulus hat in seinem pharisäischen Eifer l um die Heilsgabe der Tora und das ihr angemessene Leben eine Gemeinde verfolgt, die solch eiferndem, observantem Gottesdienst ärgerlich entgegenstand. Nach allem, was wir von der Geschichte der Urchristenheit wissen, k8JUl dies nur eine (bereits vor der Bekehrung des Paulus) das Gesetz abrogierende, also hellenistische bzw. hellenistisch-jüdische Missionsgemeinde gewesen sein. Es paßt vorzüglich zu dieser Erwägung, daß Gal. 1,17 erlaubt, die paulinische Christenverfolgung und Bekehrung geographisch einigermaßen genau zu lokalisieren. Damaskus 3 war Jes. 61,1 ft". verwandt - damit, die alttestamentlichen Belegstellen aus der Tradition kommentierend aufzuführen. Ganz ähnlich verfährt Paulus selbst. Wenn wir dementsprechend im Stil von Gal. 1,15f. einen festen Überlieferungszusammenhang erkennen dürfen, wird die Beobachtung von G. Eichholz erst wirklich verstehbe.r, daß Paulus zwar nur höchst widerwillig und provoziert auf sich und seine Lebensumstände zu sprechen kommt, daß ..die große Ausnahme" davon jedoch ..das Ereignis von Damaskus zu sein (scheint)" (Prolegomena zu einer Theologie des Paulus im Umriß, in: Tradition und Interpretation, Gas. Aufs. ThB 29, München 1965 [So 161-189], S. 175): Für einen Mann mit prophetischem Selbstverständnis steht mit seinem tatsächlichen Berufensein ebensoviel auf dem Spiel, wie die konkreten Umstände seines Lebens hinter seinem Amt zurücktreten können. 1 Zum Selbstverständnis des Apostels Paulus, ThLZ 91, 1966, Sp. 321-330 bes. 325ft". Jes. 49,1 lautet in der Septuaginta: ix l(o~AlCl~ IL'lTpOt; ILOU ix&AEaEV Tb t:voWi 1'01.1. Nebenbei sei angemerkt, daß in den Qumre.ntexten Jer. 1,4f. ganz ähnliche Anwendung auf den Lehrer der Gerechtigkeit findet, wie hier Jes. 49,1 auf den Apostel (vgl. I QH 9,29f.). Es ist dies ein weiterer Fingerzeig dafür, daß Paulus in seiner Darstellung des Berufungsvorganges auf traditionsgeschichtliche Vorbilder zurückblicken kann (vgl. S. 72 Amn. 2). Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Nähe von 1 QH 9,9 (= .. Ich habe für Unrecht erklärt mein Urteil und erkannte dein Gericht als gerecht an, denn ich weiß um deine Wahrheit", vgl. E. Lohse, Die Texte aus Qumre.n, Darmstadt 1964, S. 147) zur exhomologischen KonfeB8ion des Paulus in Phil. 3,7f. erkennt. Da Phil. 3,7f. unserem Text nahe verwandt ist, schließt sich der Kreis. Wenn sich der Apostel in solchem Sinne auf typische Traditionen bezieht, wird vielleicht auch das aufföllige l)XOUaCtTE ycip in V. 13, das auf Tradition hinweist, be88er verständlich; daß die paulinische Berufung Gegenstand fester Traditionsbildung gewesen ist, machen die Berichte aus der Apostelgeschichte (Apg. 9,1 ff. par.) ebenso deutlich wie die stereotypen Schilderungen von Gal. 1,13ff. und l.Kor. 15,8ff. I Ganz im Einklang mit ne.chaltteste.mentlich-jüdischer Denkweise identifiziert Paulus in V. 14 (vgl. mit Phil. 3,6, wo statt unserem Ctl 7tCtTp~xCtl 1'01.1 mxpCl86aE~C; einfach WIL0C; steht) die Tora mit der sie umschließenden jüdischen Auslegungstradition und erweist sich darin als kl&88ischer Pharisäer, vgl. Schlier z. St. und W. G. Kümmel, Jesus und der jüdische Traditionsgedanke, in: Heilsgeschehen und Geschichte (S. 15-35), S.25. a Vgl. E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes 11, Leipzig 4. Auß. 1907, S. 150-155; H. Preisker, Jerusalcm und Damaskus - ein Beitrag zum Ver-
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Das Problem des paulinischen Evangeliums
eine im Nabatäerreich gelegene 1, von Herodes nach Jos. Ant. 1422 mit einem Theaterbau geehrte, also hellenisierte Stadt mit anscheinend großer jüdischer Gemeinde. Diese genoß, wie überall in der Diaspora, juristische Selbständigkeit', konnte also auch Sanktionen und Strafen gegen ihre Mit.glieder verhängen. Paulus, der solche Strafen als Apostat während seiner Missionsfahrten selbst zu erdulden hatte (vgl. 2. Kor. 11,24f.), ist, wie es scheint, mit älmlichen Mitteln gegen die zum Christentum übertretenden Angehörigen der jüdischen Gemeinde (nur 1) von Damaskus vorgegangen. Der Grund solcher Apostasie und vor allem der Beweggrund zur förmlichen Strafverfolgung kann nur in einem veränderten Standpunkt der zum Christentum bekehrten Synagogen mitglieder gegenüber der Tora gesucht werden. Paulus hat also als Jude im Bereich von Damaskus die noch immer zum Synagogenverband gehörigen Mitglieder der christlichen Gemeinde mit den juristischen Mitteln verfolgt, welche der jüdischen Diasporagemeinde zur Verfügung standen. Der Grund liegt darin, daß die zu Christen Gewordenen den Abfall vom Gesetz zu vollziehen schienen und tatsächlich vollzogen. Eine dazu provozierende christliche Gemeinde kann nur eine von der Heidenmission (Antiochiens 1) berührte, hellenistisch-judenchristliche Gemeinde gewesen sein. Was mit der Berufung des Paulus theologisch geschieht, ist also dies: Gott selbst bezeugt dem Paulus an der Gestalt des vor dem Gesetz verfluchten und dennoch zum Sohn Gottes in Vollmacht erhöhten Christus das Recht der Lehre und des Bekenntnisses eben der von Paulus verfolgten hellenistischen Gemeinde. Das bedeutet: Paulus wird von Gott selbst hinein berufen in das Missionswerk der bereits vor Paulus die Abrogation der Tora vollziehenden, hellenistischen Gemeinde, ein Missionswerk, das ebenfalls bereits vor Paulus ausgerichtet war auf die Welt der Heiden. Anders ausgedrückt: Dü Afltitnue von Guetz ufld Et'O.ngelium ist, traditionsguchichtlich guehen, keine spezifisch paulinische Lehre; sie ist dem Apostel bereit,., vorgegeben ufld seinem Evaflgelium darum u'e8ensmäßig inhärent 3 • Dies 8tändniS des Urchri8tentums, ThBI8, 1928, Sp.49-54 (mit Vorbehalt zu gebrauchen) und vor allem K. Gallings Artikel: Damaskus, RGG' II Sp. 22-24. 1 Ob Damaskus dem Nabatäerreich auch zugehörte, ist umstritten: vgl. Haenchen, Apg.· S. 282. I Zur rechtlichen Struktur jüdi8cher Diasporagemeinden vgI. Schürer, Geschichte III, Leipzig 3. Auf). 1898, S. 38ft'. 66ft'. 71 f.; BiIlprbeck IV, 1 S.115ff. 14-5ff.; A. van Seims, Artikel: Jüdische Diaspora, RGG' II Sp.174-176; E. Lohse, Artikel: Gemeindeverf888ung des Judentums in der römischen Zeit, RGGIII Sp. 1346/47; H. Fr. Wf'iß, Zur Frage d. histor. Begegnung von Antike und Christentum, Klio 43/45, 1965, [So 307-328] S. 320. I Dieee Überlegung i8t der entscheidende Gegenbeweis gegen Molland8 These, ditl Frage nach dem Gesetz und damit auch die paulinische Rechtfertigungslehre lägen nur in der Konsequenz des paulinischen Evangeliums, seien
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haben R. Bultmann 1, W. Schrage ll lUld W. Schmitha1s 3 schon mit Recht betont lUld damit erwiesen, daß sich U. Wilckens bei seinem Versuch, lUlter Verweis auf lUlsere Stelle die Gesetzespolemik des Paulus aus apokalyptischen Prämissen herzuleiten lUld sie originär auf Paulus zurückzuführen, geirrt haben dürfte·. aber von seinem eigentlichen christologischen Inhalt abzuheben (Paulin. Euan· gelion S. 60ff.). I "Wenn sich nun P(aulus) Gal. 1,13f. als Verfolger der Gemeinde und zu· gleich als Eiferer für da.s Gesetz charakterisiert, so zeigt. sich, daß er da.s Christen· turn in einer Form kennengelernt hat, in der es dem Gesetz schon kritisch gegenüberstand und es in irgendeinem Maße überwunden hatte. Da.s ergibt sich auch daraus, daß für ihn die Frage nach der Annahme der christlichen Botschaft identisch ist mit dem Entweder·Oder: da.s Gesetz oder Jesus Christus" (Artikel: Paulus, RGG2 IV [Sp. 1019-1045] 1021). I 'Ekklesia' und 'Synagoge'. Zum Ursprung des urchristlichen Kirchenbegriffs, ZThK 60, 1963, (S. 178-202) S. 198: "Durch die Gesetzeskritik der 'Hellenisten' ... wurden unüberbrückbare Gräben aufgerissen, denn Worte gegen da.s Gesetz und den Gesetzgeber Mose sind für den Juden eo ipso Blasphemie (vgl. Apg. 6,11), die nicht ungea.hndet bleiben kann. Darum wurde Paulus, der in seiner vorchristlichen Zeit zum 'Iapa:1j). 81wx(o)v v611-0V 8lxGtloaUVlJ~ zählte (Röm. 9,31), zum 81wx(o)v -rilv ~xx)"ljala:v (Phil. 3,6; Gal. 1,13; l.Kor. 15,9), und zwar der ~xx).lJala:, in der der v611-0C; angegriffen wurde. Nicht einem apokalyptischen Koordinatensystem, da.s der vorchristliche Paulus mit sich herumtrug und in das er bei seiner Bekehrung die neue Wirklichkeit nur noch einzuzeichnen brauchte, verdankt Paulus die Antithese zum Gesetz, sondern der Predigt der 'Hellenisten", (Hervorhebung bei Schrage). 3 Paulus und Jakobus, FRLANT 85, Göttingen 1963, S. 20 und 45 Anm. 4: "Paulus hatte die Christen verfolgt, weil sie den exklusiven Heilsa.nspruch der jüdischen Gemeinde, der auf dem Gesetz fundiert war, verleugneten. Seine Bekehrung war eine Bekehrung zu der universalen Heilsbotschaft der christlichen Verkündigung. Paulus hat darum schwerlich erst seit dem Abkommen von Jerusa.lem betont, daß er HBidenapostel ist; vielmehr liegt diese betonte Tatsa.che den Abmachungen in Jerusa.lem bereits zugrunde (vgl. Gal. 2,7f.)" (Hervorhebtmg bei Schmithals). • Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem, ZThK 56, 1959 (S. 273-293) S. 285: Wilckens skizziert zunächst im Anschluß an D. RÖ881er (Gesetz und Geschichte, WMANT 3, Neukirchen 1960), wie im apokalyptischen Judentum die Tora zur heilsgeschichtlichen Erwählungsurkunde schlechthin wird, wie also ein apokalyptisch denkender Pharisäer den Gegensa.tz Christus Tora besonders intensiv erfahren mußte. Dann folgert er: "Genau an der Stelle des Gesetzes steht für den christlichen Theologen Paulus da.s Christusgeschehen. Eben darum aber, weil da.s Christusgeschehen in die apokalyptische Konzeption der göttlichen Erwählungsgeschichte voll und ganz hineingutellt ist, ergibt sich als ursprüngliche Konsequenz des ChristUBevangeliums der radikale Ausschluß des Gesetzes in seinem apokalyptischen Verständnis. Und diese Konsequenz des Christusevangeliums hat nach allem, was wir ennitteln können, Paulus als Apostel der Heiden im Urchristentum wohl zuerst gesehen und als erster Christ in aller kompromißlosen Schärfe herausgestellt" (285, Hervorhebungen im Original). Wilckens hat seine Sicht inzwischen (mündlich) revidiert. Zu der für ihn damals maßgeblichen, religionsgeschichtlichen These eines vom Rabbinat abzuhebenden, vor allem heilsgeschichtlich bestimmten apokalyptischen Gesetzesverständnisses bei RÖBSler vgl. kritisch W. G. Künunel, Jesus und Paulus, in: Heilsgeschehen und Geschichte (S.439-456) S. 450; H. Fr. Weiß, Untersuchungen zur Kosmologie des hellenistischen und palästinischen Judentums, TU 97, Berlin 1966, S. 286-288 und O. Cullmann, Heil als Geschichte, Tübingen 1965, S.42.
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Um auf lUl8ere Leitfrage nach der Art und Weise, auf welche Paulus zu seinem Evangelium kam, eine erste Antwort zu formulieren: Der Empfang des Evangeliums von Gott selbst bedeutet historisch, daß Gott selbst dem Paulus das Recht des gesetzesfreien Evangeliums der vorpaulinischen Missionsgemeinden bestätigt hat. Das ist keine theologische oder gar nur logische Schlußfolgerung des Apostels selbst gewesen. Eben dies zeigen, wenn irgend etwas, die Verse 15 und 16. Auf den traditionsgeschichtlichen Hintergrund des hier apostolisch aktualisierten, prophetischen Berufungsberichtes haben wir schon aufmerksam gemacht. Die Überlegungen führten auf ein augenscheinlich prophetisches Sendungsbewußtsein des Paulus. Wie es zu einem solchen gekommen ist, zeigt die andeutende Umrißzeichnung des Offenbarungsempfanges in V. 16. Zweierlei ist beachtenswert: daß dieser Offenbarungsempfang auf Gottes erwählenden Entscheid (eu86xljcev) zurückgeführt wird und daß das eigentliche Widerfahmis apokalyptischen Charakter und sprachlich apokalyptische Züge aufweist. Was Paulus hier unter dem Stichwort (X,tOxcu..{I7tTeLV skizziert, skizziert er Phi!. 3,8ff. unter dem Stichwort einer überwältigenden YVWCLt; XPLCTOÜ , Iljcoü, bezeichnet er 1. Kor. 9,1 als ein Sehen des Christus und in 1. Kor. 15, 1ff. als Epiphanie, wie das dort gebrauchte, seit der Septuaginta zum Offenbarungsterminus verdichtetel Verbum o'~lh:14 gemäß (vgl. dazu H. v. Soden, W88 ist \\'ahrheit, in: Urchristentum und Geschichte I, Tübingen 1951, S. 1-24: "Wahrheit is~ nicht etwas, was irgendwie unter odor hinter den Dingen liegt und durch Eindringen in ihre Tif'fe, ihr Inneres gefunden würde; sondern Wahrheit ist das, was sich in der Zukunft herausstellen wird. Der Gegensatz zur Wahrheit wäre sozusagen nicht eigentlich die Täuschung, sondern wesentlich die Enttäuschung" (So 10); ferner: H. J. Kraus, WahrhtJit in der Oeschichte, in. Was ist Wahrheit. Ringvorlesung der Ev. theol. Fakultät d. Universität Hamburg, Göttingen 1965, S. ~6, bes.37; Kl. Koch, Der hebräische WahrheitBbegriff im griechischen Sprachraum, ibd. S.47-65, hell. S. 51) ist «>'~&CI4 Gal. 2.5. 14 im Sinne von verheißungsvoll entriegelter, end· zeitlicher Wirklichkeit zu fassen, wobei das Moment der Gültigkeit mit8chwingt (dazu: R. Bultmann. Untersuchungen zum Johannesevangelium, ZNW 27, 1928, [So 113-163] S. 129 und Artikel: cU.~&c14 ThWb I, S.242,40f.). D88 Verständnis von «>'~&CL(l im Sinne von "wahren Konsequenzen des Evan· geliums" (Molland, Paul. Euangelion, S. 61 nach Fridrichsen, TO EYArrE· AION hos Paulus, NTT 13, 1912, S.212) oder "right interpretation" (Frid. richsen, Apostle and his Message, S. 22 Anm. 22) ist nicht haltbar (vgl. O. Michel, ThLZ 60, 1935, Sp. 141f.; Artikel: Evangclium, Sp. 1118f.; R. Asting, Ver·
Exegetische Problelll8kizze (Gal. I und 2)
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Antiochener hätte für Paulus bedeutet, daß Menschenhände die von Gott getätigte Entschränkung des Heils wieder rückgängig zu machen versuchen (vgl. 2,20). Es hätte bedeutet, die Ü.-Ij~LOt TOÜ EUOtyyEÄ(ou von seinen heidenchristlichen Gemeinden wieder abzuziehen. Daß sich die Jerusalemcr Gerneindeleitung in dieser Auseinandersetzung auf die Seite des Paulus und nicht auf die der Partikularisten gestellt hat, hat etwas Großartiges 1 und ist, so sehr hier vielleicht auch der traditionelle Gegensatz zwischen konservativer Landbevölkerung und liberaler Haltung der Jerusalemer Bürger mitspielen magl, theologisch von größter Tragweite: Es deutet sich hier die Möglichkeit an, Jerusalem und das paulinische Missiollswerk auf der Basis von Röm. 9-11 tatsächlich auch historisch zusammenzuordnen, unbeschadet der gleich noch zu erörternden Differenzen in der eschatologischen und rechtlichen Beurteilung solch ekklesiologischer Einheit·. Die Verse 6-10 sind in ihrem historischen Tats&chengehalt heiß umstritten und hier kaum auszuexegesieren. Leitfaden der paulinischen Darstellung bleibt die vom apostolischen Sendungsgedanken her vorgegebene, heilsgeschichtlich-rechtliche Sicht. V. 6 besagt, daß die Jerusalemer das paulinische Evangelium ohne Auflagen gelten ließen. In der Gesamtpolemik der Eingangskapitel des Galaterbriefes meint dies offensichtlich, daß die Kronzeugen der Paulusgegner ihren eigenen Schülern, den Häretikern, gleichsam im voraus die Mögliohkeit der Kritik genommen haben. Historisch ist aufschlußreich, daß Paulus durchaus mit der Möglichkeit einer rechtskräft~gen Auflage von seiten Jerusalems für die Arbeit der Antioohener reohnen kann. Dies ist erneut ein Hinweis darauf, daß wir uns im Rahmen einer rechtlich orientierten Denkweise befinden. über einer gleich auskündigung d. Wortes, S. 408fT.; G. Friedrich, ThWb 11 S.729 Anm.78 und N. A. Dahl, SvTK 36, 1960, S. 158f.). 1 Vgl. Hamack, Mission und Ausbreitung I ' S.69: .. Bewundern wir die Größe des Paulus, so gilt unsere Bewunderung nicht minder den Uraposteln, die um des EvangeliUDl8 willen auf eine Lebensweise eingingen, die ihr Herr und Meister, mit dem sie gegellllen und getrunken, sie nicht gelehrt hatte." Vgl. ferner Haenchen, Apg.6 S.409: .. Faktisch war diese Anerkennung der antiochenischen Heidenmission etwas Erstaunliches, das den Jerusalemern alle Ehre macht. Damit, daß sie Heiden, die nicht beschnitten wurden, als Glieder des neuen Gottesvolkes zuließen, haben sie das jüdische Denken auf alle Fälle hinter sicb gelassen, wie auch die Theologie ausgesehen haben mag, mit der sie diesen Spruch rechtfertigten und die wir nicht kennen." • Vgl. dazu instruktiv M. Hengel, Die Zeloten, AGSU I, Leiden 1961, S. 144. 371. 380. Ob man freilich die Falschbrüder mit Vertretern der galiläischen Gemeinden identifizieren darf, ist nicht ganz sicher. • Die Haltung der .. Säulen" gegenüber Paulus wehrt m. E. auch der fraglosen Sicherheit, mit der man gewöhnlich in dem Herrenbruder Jakobus nur lien intoleranten Torarigoristen zu sehen ~ewohnt ist (so neuerdings vor allem K. HeU88i, Petrus Wld die beiden Jakobus In Galater 1-2, WZ Jena, ges. sprachwis'3. Reihe 6, 1956/57 (S. 147-152] S. 147).
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Das Problem des paulinischen Evangeliums
führlicher zu behandelnden Parenthese zerbricht dem Apostel in V.6 der Satz. Es entsteht ein Anakoluth, und Paulus muß sprachlich neu einsetzen: &Il-ot ycXp X'rA. Mir ist durchaus zweifelhaft, ob man aus der so entstandenen betonten Stellung des &Il-ol schließen darf, Paulus habe Kenntnis von den Bestimmungen des Aposteldekrets aus Apg. 15 gehabt und habe hervorheben wollen, daß diese Bestimmungen sekundärer Art und ihm selbst nicht auferlegt worden scien 1. Im Duktus seiner Sätze konnte Paulus kaum anders formulieren, als wir heute lesen. Das Anakoluth entsteht an der erregten Parenthese, die eine besondere Wertschätzung der Urapostel bei den Häretikern brandmarken dürfte. Da 7tp6ac.mov 0 &e:oc:; cXv&pW7tOU OU AGlIl-ßtlVe:L eine von der paulinischen Rechtfertigungstheologie her zu verstehende, grundsätzliche Relativierung von Vorrechten oder Würdestellungen ausspricht', Paulus auch im folgenden viel daran zu liegen scheint, selbst als vertragstreu gegenüber dem Abkommen zu erscheinen, er also die Kirchengemeinschaft mit Jerusalem nicht aufhebt, beziehe ich die Parenthese zeitlich mit K. Aland 3 , Schlier', Hahn 6, Georgi8 und Haenchen 7 gegen G. Klein 8 auf die Zeit vor dem Konvent der Apostel: Nachdem Gott Paulus mit dem Evangelium betraut hat, kann Paulus nur noch die hiermit gesetzten, eschatologischen Maßstäbe gelten lassen und selbst bei den "Säulen" keinerlei andere Qualifikationen, die etwa in der Verbindung zu Jesus und der Kenntnis authentischer Jesustradition gesehen werden konnten. Genau entsprechend dieser Denkweise verhält sich Paulus dann auch in der (vor einer Kritik am ersten Auferstehungszeugen nicht zurückscheuenden!) Auseinandersetzung mit Petrus V.11ft'. Es bestä.tigt sich mit dieser Gesamtauslegung erneut, daß der gedankliche Leitfaden von Gal. 1 und 2 die eschatologische Freiheit ist, in welche das paulinische Evangelium versetzt. 1 So Init vielen anderen besonders E. Klostermann, Zur Apologie des Paulus Galater I, W--2, 21 in: Gottes ist d. Orient. Festschrift f. O. Eißfeldt, Berlin 1959, (S. 84-87) S. 86 1ll1d ders., Noch einmal über Paulus zum Apostelkonvent Galater 2,1-10, WZ Halle.Wittenberg, Ges. sprachwiss. Reihe 13, 1964, (S.149/ 50) S. 150. • Vgl. Rom.2,11 (Eph.6,2; KoI. 3,25), wo 7;poaw7;o),7)J.LllillX eindeutig GerichtsterIninus ist. Das Evangelium bringt Init dem Heil zugleich auch die Prolepse des Gerichts (vgl. l.Kor. 1,18ff.), so daß vom Standpunkt des Evangeliwns her eine gr1ll1dlegende Relativierung aller vor.gerichtlich-weltlichen Privilegien statthat, s. Schlier, Gal. u S. 75f.; Georgi, Kollekte, S. 20 Anm. 42; G. Klein, Gal. 2,6--9 1ll1d die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, ZThK 57, 1960, (S. 275-295) S. 278. 3 Wann starb Petrus? Eine Bemerk1ll1g zu Gal. 2,6, NTSt 2, 1955/56, (S.267--275) S. 274. I Mission, S.68 Anm.3. • Gal. u S. 75. I Kollekte, S. 14 Anm. 10.20. 7 Die frühe Christologie, S. 1(,3. • Gal. 2,6-9, S 275ff.
Ex€'getischc Problemskizze (Gal. 1 und 2)
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V.7f. gehen auf die eigentliche Einigung ein und bringen nach E. Dinklers These 1 ein regelrechtes Zitat aus der griechischen Version des Protokolls über die in Jerusalem getroffenen Abmachungen, wobei der zitierte Satz nach Dinkler folgenden Wortlaut gehabt haben könnte: d80v ot crriiAOL, t-rL lliXÜAOC; 1tL~L [sic! gemeint ist wohl: nE:1t(a"t'E:UTiXL 2] TO E:UcxyyeALov "Öjc; cXKPOßUO'T(CXC; KCX&WC; neTpoc; "Öjc; mpLTO/Lljc;, 0 ya:p blE:pyijacxc; llhp E:t::; cX1tOaTOA~v "Öjc; nE:pLTo/Lljc; EvijPI'lO'E:\! KCXt nCXVA d::; Ta: ~&v1j.
Die Stärke dieser These Dinklers liegt darin, daß sie die bei Paulu8 sonst ungebräuchliche Bezeichnung des Petrus mit lleTpoc; in V.7f. traditionsgeschichtlich zu erklären vermag. Eben weil es sich um ein Quellenzitat handelt, "ändert Paulus nicht den offiziellen PetrosNamen in den ihm gebrä.uchlichen Kephas um, sondern läßt durch die Dokumentierung die Apostolische Legitimation des eigenen Missionsauftrages neben Petrus ans Licht treten"3. Doch leuchtet dies nur auf den ersten Blick ein. U. Wilckens hat überzeugend dargetan, daß V. 7f. paulinisch formuliert sind'. Es könnte also höchstens in dem Petros- Namen eine Reminiszenz an das Protokoll stecken. Ferner hat Haenchen darauf hingewiesen, daß das klare Gegenüber Petrus-Paulus in unseren Versen eine wohl nachträgliche, paulinische 1 D€'r Brief an die Galater. Zum Kommentar von Heinrich Schlier. VF 1953/ 55, S. 175-183, wieder abgedruckt und mit einem Anhang versehen in: Signum Crucis. Aufsätze zum NT u. zur christi. Archäologie, Tübingen 1967, S. 270-282 (danach die Seitenzahlen). Das folgende griechische Zitat S. 280. Dinkler er· läutert seine These ferner in: Die Petrus.Rom.Frage. Ein Forschungsbericht ThR 25, 1959, S.198 und im Artikel: Petrus, RGGI V (Sp.247-249) 248. Ahnllch wie Dinkler O. Cul1mann, Artikel· IIiTpo;, KlJcpCi Nachricht, die man erhält oder weitergibt, erfreulich oder unerfreulich ist. Solche Doppeldeutigkeit des Verbums ist sprachlich auch dort vorauszusetzen, wo unser Verbum in religiöser Akzentuierung auftritt. ~)
Theologische Verwendung
Ob man die schon erwä.hnten Stellen Siphre Dt. 32,4 § 307 (Ende)', bab. Sota 13b 3 , Haggada über den Tod des M08e 4 , Erzählung von Abraham und Nimrod 6 zu den eigentlich religiös akzentuierten VerwendWlgen auch des Verbun18 zu rechnen hat, mag für die beiden ersten SteUen offenbleiben, für die Haggada und die Botschaft des erst zwanzigtätigen Knaben Abraham ist es sicher. Eindeutig hierher gehört die in unserer Literatur immer wieder formelhaft auftretende, mit dem Partizip PulLI + Form von i1'i1 gebildete Redeweise: "NN. möge versichert sein, daß". Als ihr Sprecher erscheint pa\. Keth. 12,35a, 29f.· eine Himmelsstimrne ("'i' n:l) und Ex. Rab. 46,1 Gott selbst. Inhalt der Formel ist Ex. Rab. 46,1 die Sündenvergebung an Mose; pa\. Bel'. 5,9 d, 29 ff. zweimal die Gebetserhörung ; pa\. Kil. 9,32b, 18; pa\. Schek. 3,47c, 73ff. und pa\. Keth. 12,35a, 29f. die Zusichenmg der Anteilschaft am Leben in der zukünftigen Welt. Als Ausdruck für eine von Gott selbst auszurichtende Botschaft begegnet .,W:l überhaupt häufiger: Ex. &abba 2,4 gibt Gott dem Mose Nachricht, daß Israel in der Wüste zu sterben habe. .,W:l hat hier also negativen Sinn: .,:l,7.1:l ,n,7.1' ... "K.,w"II '''W':::I. Num. Rab. 14,4 verkündet Gott dem bemühten Toraschüler gute Botschaften. Tosephta, Sota 4,2 gibt Gott den Nachkommen des Abraham die erfreuliche Vgl. oben S. 128. • Vgl. oben S. 129. Vgl. S. 135 • S. oben S. 130. • S. oben S. 136 Anm. I. • Billcrbeck III S.7 gibt an: pa!. Keth 12,35a. 26. da er nach einer in Krakau 1609 erschienenen Ausgabe des Jeruschalmi zitiert. Die heute maßgebliche AUBgabe aus Israel. JenJ88lem 1960. fußt auf der Kroto&chinschen AUBgabe von 1865/66 und weicht von der Billerbeckschen nicht in der Seiten-. wohl aber der Zeilenzählung ab. Da wir unsere Angaben nach der JeruB8lemer Edition geben. entstehen durchweg im }4'olgenden Differenzen in der Zeilenzählung gegenüber BiUerbeck. I
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138 Die religionBgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums Nachricht, daß in der zukünftigen Welt Israel von Königen lUld Fürstinnen bedient werden wird (vgl. Jer. 49,23). An vier Stellen ist die Rede davon, wie Gott dem Abraham die gute Botschaft von der Bußfertigkeit seines Vaters (und also dessen Anteilschaft an der zukünftigen 'Velt) übermittelt: Gen. Rabba 30,4; 38,12, Midrasch Tanhuma ln7:)IÜ 18 (Ende) und ebenso Tanhuma, ed. Buber, 1'Il7:)IÜ § 15 (5a). Hier heißt es zwar zunächst nur: "Unser Vater Abraham ist nicht gestorben, bevor ihm die frohe Botschaft vom Verhalten seines Vaters Terach gebracht wurde, daß er Buße getan habe" 1 : i1:l'IÜn l'1W17IÜ ":lK n,n l'1WP7:)7:) ,1I7:lnlIÜ 'P U':lK Cl'1':lK 1'7:) K". Dies wird dann aber zwei Zeilen weiter als Botschaft Gottes selbst formuliert: "Der Heilige, gebenedeit sei er, brachte ihm gute Botschaft und sprach zu ihm: Du sollst leben,derm dein Vater hat Buße getan" = i1:l'IÜn ":lK l'111717IÜ l"n " '7:)K' l'1":lpl'1 "W':l. 'W:l ist also häufige Bezeichnung für das Reden Gottes. Es k8JUl auch Bezeichnung für prophetische Rede sein: bab. Rosch Haschana 4a steht das Part. Piel/Pael für die inspirierte Verkündigung Daniels, welche aus einer Schriftstelle zu entnehmen istI. Midr. Tanh. K'" 23 (= K'" 46 p. 57 a Buber) von einer Prophetie Abrahams; im Midrasch TehiUim zu Ps. 68 12 § 6 steht es von der inspirierten Gesetzesverkündigung Moses und Aarons. In dem rabbinischen Schrifttum, das wir jetzt zu mustern haben, ist mir die Verwendung von 'W:l im Sinne von Engelsbotschaft nur zweimal begegnet: bab. Baba Mecia 86b von der Verkündigung MichaeIs an Sara 3 und Mechilta, Pisha (K:l) 14 zu Ex 12,41 von der Verkündigung der sog. Dienstengel an Abraham, und zwar der Ankündigung der Geburt Isaaks. In den Targumim ist solcher Sprachgebrauch dann ganz geläufig. Mehrfach findet sich bei den Rabbinen .,1I7:l für die Verkündigung des ,W:l7:). So zunächst im Midrasch Num. Rab. 2,10 (wo der Herold anonym bleibt und nur die messianische Zeit einleitet), in der Parallele dazu: Midr. Tanh. ,:l'7:):l, 14 und dann zweimal in A. Jellineks Sammlung Beth ha Midrasch: Bd. 2, S.56, 24ff. (= im Sepher Zerubabel, einer alt-jüdischen Apokalypse) vom Messias und in gleicher Bedeutung viermal Bd. 3, S. 73, 17ff. (= Pirque Maschiach)'. Hervorzuheben ist, daß an all den bisher genannten Stellen, von Ex. Rab. 2,4 abgesehen, ,1I7:l positive Bedeutung hat. Doch wird dieser Eindruck durch die Belege, welche die Targumim bieten, wieder abgeschwächt. Übersetzung nach Billerbeck, Bel. III S. 7. Mischna, Sota 9,6 und hab. Sota lla erscheint .,W:l von der Botschaft des hl. Geistes (= der Schrift). a Vgl. auch oben S. 130. • Vgl. zu beiden Stellen Billerbeck, Bd. III S. 10/11. 1 I
Das alttestamentliche und jüdische Material
139
Von einer (unglücklichen) Weissagung des hl. Geistes erscheint unser Verbum im Targum Jer. I zu Gen. 43,14 1 • Jakob entläßt seine Söhne zur zweiten Reise nach Ägypten und klagt: "Und ich, siehe, längst ist mir durch den hl. wv1Jv e:uotyyu.Ll;;otJivou· 6-rL ijAbJae:v b &toc; 'IapotYjA ev -rii &7tLcrxo7tJi otUTWV.
In 11 Q Melch erscheint also Melchisedek (= Michael) als endzeitlicher, himmlischer Mandatar Gottes. Der End- lUld Siegeska.mpf MichaeIs gegen Belial lUld seine himmlischen Mächte wird von der Ankündigung des endzeitlichen "W:l~ = endzeitlichen Propheten eingeleitet lUld begleitet. Als Beschreibung für das TlUl dieses Propheten wird Jes. 61,1f. verstanden. Da in 1 QH 18,14 der Lehrer der Gerechtigkeit als Rufer von Jes. 61,1 erscheint, liegt es nahe, die Belege miteinander zu kombinieren und zu folgern, daß die Gemeinde ihren Lehrer der Gereohtigkeit mit dem endzeitlichen "W:l~ bzw. dem Propheten der Endzeit (vgl. 1 QS 9,11) identifiziert hat, doch kann dies an unserer Stelle nur ein vorläufiger Deutungsversuch sein I. SO bedauerlich es ist, daß die besprochenen Belegstellen aus den Qumrantexten, 1 QH 18,14 lUld 11 QMelch, textlich lUld darum auoh sa.ohlich mit großen Verständnisschwierigkeiten belastet sind, so deutlich ist doch aus ihnen zu ersehen, daß bereits in vorneutestamentlicher Zeit die deutero- lUld tritojesajanischen Aussagen vom "W:l~ eine weiterführende Interpretation erhalten haben, die über die alttestamentliche Traditionsbildung hinausführt: Der "W:l~ wird zu 1 Zu den Verbindungen von 11 Q Melch. 24:-26 mit Psal. SBl. 11,1 vgl. M. de Jonge und A. S. van der Woude, NTSt 12, S.307f. Für uns besonders wichtig ist, daß die Verbindung beider Belege erneut für eine prophetische Interpretation des .,W:l7.) in 11 Q Melch. spricht. Doch ist hervorzuheben, dBß die Verbindung von Psal. SBl. 11,1 und 11 Q Melch. nur motivisch zu nennen ist. Die Gestalt des EUcxnt).I~6!LEVOI; = "W:l~ bleibt Psal. Sal. 11,1 anonym. I Zu den Schwierigkeiten, welche sich ergeben, wenn man den Lehrer der Gerechtigkeit mit dem endzeitlichen Propheten identifiziert, vgl. G. JeremiBB B. S. 144 A. 1 B. O. Ob diese Schwierigkeiten nun nicht überwindbar werden?
Das alttestamentliche und jüdische Material
147
einer (prophetischen) Schlüsselfigur im endzeitlichen Drama erhoben. Im Blick auf Mt. 11, 2ft".; Lk. 4, 18ft". ist die Einsicht in diesen jüdischen Interpretations- lUld SteigerlUlgsprozeß exegetisch bedeutsam 1. Auf die Belege, welche dieselbe SteigerlUlg lUld Auslegung im Rahmen des rabbinischen Schrifttums lUld der Targumim erkennen lassen, ist nunmehr einzugehen. Da es sich ausschließlioh um Nachweise handelt, die Schriftstellen interpretieren, ist es zweckmä.ßig, das Material nach Schriftstellen zu ordnen. Nahum 2,1, die Stelle, von der die deuterojesajanische Traditionsbildung ausgegangen ist, wird im Prophetentargum wörtlich übertragen, die Gestalt des "W~D bleibt unbestimmt. Auffälligerweise findet sich im jüdischen Schrifttum z. St. überhaupt keine namentliche NäherbestimmlUlg des Boten'. Num. Rab. 2,10 heißt es nur: "Wenn der Herold erscheint, wird Juda als erstes die Nachricht erhalten, denn es heißt: (folgt Zitat von Nah. 2, 1)" = l"I"l"I' .,W:lDl"I M:l'W::l' 1'ln l"I"l"I' 'ln tn?w S7'DWD .,W:lD '?1., a,.,i1i1 ?S7 .,DMlW i1?nn .,W~nD. Dieselbe Tradition findet sich, ebenso unbestimmt, im Midrasch Tanhuma, .,:l'D:l 14 (Ende). Unbestimmt bleibt auch der kurze Verweis auf Nah. 2,1 im Midr. Sam. 19 § 5 (p. 104 Buber). Ob der kurze unbestimmte Verweis auf den endzeitlichen Herold Thren. Rabba 5, 18 § 1 an Jes. 52,7 oder Nah. 2, 1 denkt, ist nioht ersiohtlioh: Ein Gespräch zwischen R. Gamaliel, R. Eleasar b. Asariah, R. Josua und R. Akiba vor den Trümmern des zerstörten Tempels sohließt mit den Sätzen: "Akiba, du hast uns getröstet; mögest du getröstet werden durch die Füße des Herolds" = '?1.,:l anlnn 'lnDMl M~'PS7 .,W:lD. Jesaja 40,9 wird im Targum nicht singularisch, sondern pluralisoh interpretiert: Eine Schar von Propheten soll Jerusalem die endzeitliche Trostbotschaft übermitteln. Es handelt sich eindeutig um eschatologische Propheten 3. 1 Vgl. S. 145, Anm. 4. • Bl11erbeck zitiert zwar III S. 9 und IV S. 897 Pes. Rabbathi 35 als Beleg für eine Auslegung von Nah. 2,1 auf Elia, und auch in der Friedmann.schen Ausgabe S. 161a wird auf Nah. 2,1 verwieeen. Doch halte ich dieeen Verweis lür falsch: Die Stelle läßt Elia an drei aufeinander folgenden T~en verkünden a?,S7? a,'nI M~ (1. Tag), a?,S7? i1nK:l i1:ln, (2. Tag) und a?,S7" i1~ i1nM~ (3. Tag). Das ist eine eindeutige Exegeee der (nur!) in Jes. 52,7 genannten drei Kola: i1n' S7'DWD I ~u, "W~D I a,"w S7'DWD .,W:lD '?1.,. Die Stringenz dieller Auslegung zerbricht, wenn man lür die Aussage des 1. Tages Nah. 2,1 und nur für die des zweiten und dritten Tages Jes. 52,7 bemüht (so Friedmann und nach ihm dann Billerbeck). Ich rechne darum Pes. Rabbathi 35 zu den Jes. 52,7 aufgreifenden jüdischen Belegstellen. Zum Text der Stelle vgl. unten S. 149. • Zur sprachlichen Möglichkeit, das Femininum n.,W:lD pluralisch zu deuten, vgl. oben S. 120, Anm. 1. Daß es sich im Targum um endzeitliche Propheten
148 Die religioll8geachichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums
Jesaja 41,27 erhä.lt im Prophetentargum eine Auslegung, die im rabbinischen Schrifttum vollständig nicht mehr erscheint, dafür aber sehr an Röm. 1, 1ff. erinnert. Daa Targum paraphrasiert zur Stelle: "Die Worte der Tröstungen, welche die Propheten vormals über Zion gesprochen haben, siehe, sie sind eingetroffen, und Jerusalem gebe ich einen Freudenboten" = "S71'll'i'''ll K":ll 'K':llnK' Knllnl 'lllnD lnK 'W:lll 0"111"'''' ,nK Kit l"~' Der Freudenbote von Jes. 41,27 wird als Messiaa bezeichnet und verstanden: Gen. Rabba 63,8; Lev. Rabba 30,16; bab. Pesachim 5a und Pesikta (de Rab Kahana) 28,10. Jesaja 52,7 wird vom Targum nahezu wörtlich und nur am Schluß leicht verändert wiedergegeben: "Wie herrlich sind auf den Bergen des Landes Israel die Füße dessen, der gute Botschaft bringt, der Frieden verkündet, Gutes ansagt, der Erlösung verkündet, sagt zur Gemeinde Zions: Die Königsherrschaft deines Gottes ist offenbar "S7 l'K' Kll geworden" = 'C:lll 0"111 S711Il111 'C:lll '''1' "K,irl', KS7'K ,'it"K' Kn'~"ll nK'''lnK l"~' KnIl11~" .,llK li"'D S711Il111 :ll:l. Die Auslegung, welche die Schriftstelle erfahrt, ist mannigfaltig. Ebenso unbestimmt wie im Targum bleibt die (endzeitliche) Auslegung Thren. Rabba zu 1,22 § 57 (und vielleicht auch Thren. Rabba 5, 18 § 1 1 ). Einmal erscheint (wie Apg. 10,36!) Gott selbst als ,irl:lll: Dt. Rabba 5,15 "Gott verkündet Jerusalem, daß sie [sc. die Israeliten] nur durch Frieden erlöst werden, denn es heißt: 'Der Frieden verkündet ... '" = 0'' 111 P'll1l111 'llK1W O'''II1:l K"K O'''K1l ,'it'lI1 0'"111''' nK ,irl:lll it":li'it. Der Messias ist gemeint Lev. Rabba 9,9; Midr. Tanh. 14; Pirque Maachiach (= Beth ha Midrasch, ed. A. Jellinek, Bd. 3, S. 73, 17ff. 2); Derech Eres Suta im Schlußkapitel 3. Als endzeWicher
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handelt, ergibt der Vergleich mit der Wiedergabe von Jes. 52,7. Die Botschaft, welcher der eschatologische Herold von Jes. 52,7 proklamieren soll, entspricht derjenigen, die nach 40,9 die Propheten auszurichten haben: Beide Male geht es um die Kunde von der Königsherrschaft Gottes. - Fragt man sich, wo die Gründe für die Erweitertmg des endzeit lichen Verkündigungsauftrages auf eine Vielzahl von Propheten liegen könnten, so stößt man auf die Joelweissagung. V gl. die allerdings späte Tradition NUIn. Rabba 15,25 (= Aussage des R. Tanhuma b. Abba, ca. 350 p. ehr. n.): "Gott sprach: In dieser Welt haben einzelne geweissagt, aber in der zukünftigen Welt werden alle Israeliten Propheten sein, wie es heißt: Und geschehen wird es nach diesem, da will ich ausgießen meinen Geist über alles Fleisch, und weissagen werden eure Söhne und Töchter, eure alten Männer, etc. (Joel 3.1)" (Übersetzung im Anschluß an Billerbeck II S. 134); vgl. ferner das Targum zu Joel 3,1 ff., das sich freilich sehr eng an den Urtext anlehnt und keine spezifische Auslegungstradition erkennen läßt (zitiert und übersetzt bei Billerbeck II S. 615). 1 Vgl. oben zu Nah. 2,1 (S. 147). 2 Zitiert bei Billerbeck Bd. III S. 10f. I Vgl. Billerbeck III S. 9; die von Friedrich ThWb II S. 173 Anm. 90 (im Anschluß an Schlatter lmd Schniewind) zitierte Stelle aus dem Midrasch
Das alttestamentliche lmd jüdische lIaterial
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Prophet scheint der .,W:10 von Jes. 52,7 (und 61, 1) in 11 Q Melch. gedeutet zu werden. Auf Elia wird die Stelle gedeutet: In Jellineks Beth ha Midrasch, Bd. 1, S. 54,3ff. (= Midrasch Vajj08cha). Dieselbe Tradition, nur vollständiger ausgeführt, erscheint Pesikta Rabbathi 35 (p. 1610. Friedmann)l: "Drei Tage vor dem Kommen des Messias wird Elia erscheinen ... und seine Stimme wird von einem Ende der Welt zum anderen zu hören sein; und er wird ihnen zurufen: Heil ist gekommen in Ewigkeit, denn es heißt: Siehe, auf den Bergen die Füße des Herolds, der Heil verkündet ... Am zweiten Tag wird er kommen lmd auf den Bergen Israels stehen und sagen: Gutes ist gekommen in Ewigkeit, denn es heißt: der Gutes verkündet; am dritten Tage wird er kommen und sagen: Rettung ist eingetroffen in Ewigkeit, denn es heißt: der Rettlmg verkündet" = O,'W K:1 0:1' .,znK ... K:1 'lW:1 0":1 ... o,'w P'OWO "W:10 "1., 0,.,:1:1 'P :11:1 .,OK1W O"P' 0":1 :1'~ "~:10 .,OKlW O"P' :11'lK:1 :1:1'~ .,D'K' 'K"~' '.,:1 'P 'TD'P' :1P'W' P'DWD .,DK1W O"P' :1P'W' KnK:1 .,D'K' K:1 'W"W:1. Im Lekaoh
Tob (ed. Buber Bd. 2, p. 1030.) schließlich heißt es: "Eine 7. Himmelsstimme wird laut verkündigen: Tröstet, tröstet mein Volk (Jes. 40, 1), und Elias wird Israel Botschaft bringen: König geworden ist dein Gott" = 'K"~" .,W:1D ':1"K' 'DP 'DMl 'DMl nT"~D n'p':1W "p n:1' ,':1'K "0. Eine letzte Auslegungsmöglichkeit schließlich bietet der Midrasch Tehillim zu Ps. 147,1 § 2: Hier wird Jes. 52,7 von 52,8 her verstanden und für die Stunde der offenbaren Königsherrschaft Gottes eine Vielzahl von O,.,W:1D angesagt'. Die eben erwähnte pluralisohprophetisohe Auslegung von Jes. 40,9 steht also auf breiterer traditionsgesohichtlicher Basis. Rabba zum Hohen Lied 2.12, in welcher Jes. 52,7 auf den Messias gedeutet wird, habe ich nicht verifizieren können, 80 daß ich sie nicht mitbehandeln kann. 1 Vgl. zur Einordnun~ der Stelle S. 147, Anm. 2. t Vgl. Schniewind, Euangelion, S.36; ausitihrlich zitiert bei Friedrich, ThWb II S. 713,8ff.: ..Jesaja hat gesagt: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des .,W:10. Wenn der Heilige, gebenedeiet sei er, König sein wird, werden sie alle Freudenboten sein, wie es heißt: der Gutes kündet, Frieden hören läßt: }iI '~:1 :1":1;:':1 "'O'W~ "~:10 "1., 0,.,:1:1 'P "K1 :10 ':1'PW' .,OK "o,'w P'OWO :1'~ .,W:lO "OK1~ 0,.,W:10 .... Der Heilige, gebencdciet sei er, ward König; es geziemt sich, ihn zu rühmen. 'Varum ! 'Veil sie für das Königtum (m~?O) des Heiligen, gebenedeiet sei er, sind. In jener Stunde jubeln alle, preisen alle. loben alle, denn sie sehen, daß er König ist. Damm heißt es: 'Der da spricht zu Zion: König geworden ist dein Gott'. Und was steht danach geschrieben! 'Die Stimmen deiner Wächter • sie erheben ihre Stimme. insgesamt jubeln sie' (Jes. 52.8)." - Da Paulus Röm. 10,15 Jes. 52,7 pluralisch zitiert, obwohl weder der masoretische Text noch die Sept.uaginta daitir Anlaß bieten. dürfte die genannte Auslegungstradition als Erklärung in Frage kommen (vgl. Schniewind, Euangelion, S. 70f.). Vgl. auch die Auslegung von Jes. 40,9 auf eine Vielzahl von 0'''~:10; ferner oben S. 147, Anm. 3.
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Die religionsgeechichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums
Die verschiedenen Interpretationen von Ju. 61,1 haben wir sämtlich schon berührt 1. Wir brauchen sie daher nur Doch einmal kurz zusammenzustellen: In 11 QMelch wird die Stelle auf die Verkündigung des eschatologischen Propheten hin ausgelegt, 1 QH 18,14 auf das Amt des Lehrers der Gerechtigkeit, 80 daß es sehr naheliegt, beides zu verbinden und von einem endzeitlich-prophetischen Amt auoh des Lehrers zu spreohen. Das Targum denkt bei seiner Wiedergabe von Jes. 61,1 an Jesaja selbst als Spreoher. Die (späte) rabbinisohe Tradition dagegen kann die Stelle auf die Verkündigung des Messias beziehen.
Pa. 68,12 erfahrt im Targum eine Auslegung auf die Gesetzesverkündigung des Mose und Aaron l . Dieselbe Auslegung taucht noch einmal auf im Midr. Teh. Ps. 68,12 § 6 1, verbunden mit einer zweiten, die im Blick auf die neutestamentliche P6ngstgeschichte nicht ohne Bedeutung sein dürfte: ,,[Ps. 68,12] 'Der Ewige ließ ein Wort ergehen. Der Heilsbotinnen war ein großes Heer'. Als der Heilige, der gebenedeiet und dessen Name und Stärke gepriesen sei! durch das Wort redete, teilte sich die Stimme in sieben Stimmen und von den sieben in die 70 Sprachen der 70 Völker, damit alle es hören sollten. Darum heißt es: 'Der Heilsbotinnen war ein großes Heer'. Oder: 'Der Ewige ließ ein Wort ergehen', nämlich das Wort kam aus dem Munde der Allmacht und Mose und Aaron verkündigten es dem großen Heer, der Gemeinde Israel": 'K'W" nDl~' :2, K:2:S' a"'W:27.) l':1K' :1~7.)' .... Die Tradition von der Sprachenteilung - gedacht ist natürlich an die Gesetzesproklamation für alle Welt' - tauoht zu unserem Schriftvers ferner auf als Ausspruoh R. Johanans (gest. 279 p. ehr. n.) bab. Schabbat 88b', ersoheint noch einmal als Lehre desselben Rabbi Ex. Rabba 28,6 und als Lehre anderer Rabbinen Midr. Ps. 92 § 3. Es handelt sich also im Midrasch zu Ps. 68, 12 um eine Kombination zweier Auslegungstraditionen. Beide sind bedeutungsvoll, weil sie gerade in ihrer Kombination u. U. eine traditionsgeschichtliche Möglichkeit erkennen lassen, das neutestamentliche Pfingstereignis von jüdischen Ansätzen her mit der Evangeliumsproklamation zu verbinden·. I Vgl. oben S. 142ft'. und S. 1415, Anm. 4. • VIlI. oben S. 139. • übersetzung nach A. Wünsche, Midrasch Tehillim, Bd. I, Trier 1892, S.349. • Vgl. W. Gutbrod, Artikel: v6,,~, ThWb IV,S.1049,151ft'. und 1042Anm.112. I .. R. Johanan sagte: Was bedeutet der Schriftvers: Der Herr ließ einen Ruf erschallen, der Siegeebotinnen war ein großes Heer? - jedes Wort, das vom Mund des Allmichtigen hervorging, wurde in siebzig Sprachen geteilt" (Übersetzung nach Goldachmidt I S. 522; vgl. auch BiUerbeck I 1007; 111 39f.). • Vgl. Haenchen, Apg.1 S. 137f.; H. Conzehnann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 1963, 8.27, die aber beide nur auf Philo (Decal. 32ft'.) eingehen.
Das alttestamentliche und jüdische Material
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Mit dem linguistischen Hinweis, daß sich auch in den Traditionen vom "W~D gelegentlich die Berührung von "W~ mit der Wortgruppe »D~ naohweisen läßtl, können wir zur Zwammenlassung übergehen. Folgendes hat sich uns ergeben: Im nachbiblisohen Judentum haben die alttestamentliohen, genauer: die jesajanischen Aussagen vom .,WlD große theologische Bedeutung erlangt. Sie werden zu Interpretamenten der endzeitlichen Heilserwartung, wobei lUlter dem .,WlD sowohl der endzeitliche Prophet wie der Messias, Elia wie ein Ungenannter, ja sogar eine (lUlbestimmte) Anzahl endzeitlicher Propheten und VerkÜDdiger verstanden werden könnenS. Nooh einmal bestätigt sich so das schon bei der Untersuchung der Belege aus den Qumrantexten herausgestellte Phänomen der Steigerung des "W~D zur endzeitlichen Schlüssel- und Mittlerfigur. Für den Neutestamentler ist die Einsicht in diesen Interpretationsprozeß deshalb von Bedeutung, weil sie nicht nur die Verwurzelung von Mt. 11,2ff. par. und Lk. 4, 18ff. in jüdischer Denkweise bestätigt und die VerbindlUlg von eÜ«yytAt~ea&otL lUld ~otaWtot TOÜ &coü einsichtig macht, sondern es u. U. auch ermöglicht, traditionsgesohichtliche Ansätze für die Verbindung von Evangelium und Apostolat bei Paulus und dessen VerknüpflUlg des Evangeliums mit der alttestamentlichen Verheißung in Röm. 1, 1ff. aufzudecken. Die Auslegung, welche Ps. 68,12 im Judentum erfahren hat, erhellt möglicherweise auch die Verbindung des Pfingstereignisses mit dem 1 Der "W~D von 1 QH 18 verkündet nach Z. 6 l'I~K?D m»'D~ (= Gottes wunderbare Botschaften), um seine Gemeinde zu erleuchten. Billerbeck (111, S.9) und Friedrich (ThWb 11 S.714 Arun.l04) zitieren unter den Belegen ftir ein meesianisches Verständnis des .,WlD Pesikta Rabbathi 36 (p. 162a Friedmann), wo der Meesias nach Jes. 60,1 f. als Bote der Erlösung erscheint: .. Und er wird ihnen, den Israeliten verkünden und zu ihnen sagen: Ihr Armen, herbeigekommen ist die Stlmde eurer Erlösung" = .,D'K' ?K.,W'? Ol'l? »'D~D tc,m O~n?'KllDf »'ll'l O"U» Ol'l? Hervorzuheben ist, daß sich die hier erneut zutage tretende Austauschbarkeit von .,Wl mit anderer Verkündigungstenninolo. gie nicht dahin auswirkt, daß der .,WlD Bote des Gerichts werden könnte: Dazu bot du alttestamentliche Belegmaterial keinen Anlaß I I DM Alter der einzelnen Identifikationen ist schwer zu bestimmen. Folgendes läßt sich sagen: Nach den Belegen aus 1 QH 18,14 und 11 Q Melch. ist die Auslegung auf den endzeitlichen Propheten eindeutig vorchristlich. Ebenso vorchristlich ist nach Targ. Jer. I zu Num. 25,12 (vgl. oben S. 139) auch die Auslegung auf den Elia redivivus und, wie Pul. Sal. 11,1 zeigt, die unbestimmtendzeitliche. Auch die pluralistische ist Paulus nach Röm. 10,15 schon bekannt gewesen, muß also ins 1. Jh. zurückgehen. Schwierig ist die zeitliche Einordnung der messianischen Interpretation. Nach bab. Pes. 5a ist sie auf die Schule R. IsmaeIs, also bis ins 2. Jh. zurückführbar ; Lev. Rabba 9,9 wird sie mit .. Die Rabbinen sagen" eingeleitet, also als alte Tradition gekennzeichnet, 80 daß man annehmen darf, sie sei noch älter. Dies wird bestätigt durch Derech Eres Suta, Schlußkapitel, wo als Sprecher der Tradition R. Jose Hagelili (ca. 110 p. Chr.) erscheint. Von den Evangelisten Matthäus und LukM (ob schon in Q ist mir fraglich!) wird sie Mt. l1,2ff.; Lk. 4,18. vorausgesetzt; ebenso vielleicht (vgl. oben S. 148) von Paulus Röm. 1,1 ff. Vorchristliche Belege freilich fehlen.
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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums
missionarischen Aufbruch zur EvangeliumsverkÜlldigung in alle Welt. Zum nach biblischen Judentum gehört auch das hellenistische Judentum. Da wir hier jedoch auch schon auf Aussagen stoßen werden, welche zur Traditionsgeschichte der neutestamentliohen Evangeliumsverkündigung nur noch indirekt beitragen, sei noch einmal kurz zusammengefaßt, welcher sprachliche und interpretatorisohe Traditionsprozeß sich im semitisch-sprachigen Judentum abzeichnet und inwieweit dieser geeignet ist, den neutestamentlichen Gebrauch von &UClrreALOV traditionsgeschichtlich zu erhellen: d) Zusammenfassung
Eine beträchtliche Anzahl der Belegstellen, welche sich aus den Targumim, dem rabbinischen Schrifttum und den Qumrantexten zusammenstellen lassen, erschließt sich orst, wenn man erkennt, daß im nach biblischen Judentum die Wurzel .,W:l mit »'~U1i1 und i1ln~U1 oft identisch gebraucht wird und also austauschbar geworden ist. Sprachlich bedeutet dies, daß man für die Wurzel .,W:l im Bereich des nachbiblischen Judentums nur noch die GrundbedeutlUlg "botschaften" vorauszusetzen hat. Auf das Ganze des Schrifttums gesehen, kommen .,v,,:l und Derivate nicht eben oft, aber immerhin häufig genug vor, um folgende FeststclllUlgen zu erlauben: Neben einem profanen Gebrauch des Verbums läßt sich eine theologische Verwendung feststellen . .,W:l wird zum fast technischen Ausdruck für Gottesund Prophetenrede, erscheint aber auch, um die Botschaft von Engeln, des Messias lUld des wiederkehrenden Elia zu bezeichnen. Diesem Gebrauch des Verbums entspricht ein profaner lUld theologisch reßektierter Gebrauch des Nomens i1",W:l. Theologisch erscheint das Substantiv im Sinne von befreiender Heilsbotschaft überhaupt, von Engelsbotschaften, von Offenbanmgspredigt und, wiederum nahezu technisch, von prophetischer Heils- lUld Unheilsbotschaft. Wie schon beim Verbum, so läßt sich auch bei der theologischen Verwendung des Substantivs mehrfach die vom alttestamentlichen Prophetenwort her vertraute Denkstruktur der Prolepse und die mit illr verbundene Dialektik von Verborgenheit und Offenbartheit nachweisen. - Theologisch besonders intensiv durchreßektiert ist die Au"leglUlgstradition der alttestamentlichen, besonders jesajanischen Aussage vom .,W:lD. Das Partizip ist in profanen Zusammenhängen nur ganz selten nachweisbar, die Hauptmasse der Belege gehört theologischer Sprache an, und hier näherhin dem Bereich der Eschatologie. Als "W:l~ gelten Gott, dann ein Ungenannter, der endzeitliche oder eine Anzahl endzeitlicher Propheten, Elia lUld der Messias. Dem aus-
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zulegenden alttestamentlichen Stellenmaterial folgend, haben alle diese Belegstellen sprachlich positiven Sinn, so daß sich Aussagen für einen Gericht proklamierenden .,W:lD nicht nachweisen lassen. Im Blick auf die neutestamentliche Verwendung des Stammes CUiXYYCAläßt sich ohne Übertreibung sagen, daß, von der technischen (innerchristlich gewachsenen?) Verwendung von -ro CUiXYY~ALOV = Christusbotachaft und EUiXTICAL~O!liXL = das Evangelium/Christus proklamieren abgesehen, der neutestamentliche Sprachgebrauch traditionsgeschichtlich befriedigend aus den sich im semitisch-sprachigen Judentum und Alten Testa.ment abzeichnenden Traditionen heraus erklärt werden kann. Dies gilt auch, entgegen der bisher herrschenden Meinung, für die Verwendung des Substantivs CU~LOV, dem ein semitisches Nomen :1,,'W:l durchaus entspricht. Die neutestamentlichen Belege für Evangelium sind sämtlich in originalem oder in Übersetzungs-Griechisch abgefaßt, also in der uns heute überlieferten Form an grieohisch-sprachige Leser und Hörer adressiert. Es muß deshalb für WlS von großem Interesse sein, zu prüfen, wie sich die uns nunmehr vertrauten, semitischen Denk- und Sprachtraditionen in den Bereich des griechisch sprachigen Judentums nachbiblischer Zeit hineinreflektiert haben.
3. Die Verwendung des Stammes CUiXYYCA- im hellenistischen Judentum Der Titel "hellenistisches Judentum" in der Überschrift bedarf, um nicht zu Fehlschlüssen zu verleiten, der Erläutenmg. Noch immer gewöhnt, in religionsgeschichtlichen Alternativen zu denken, faßt man das hellenistische Judentum als eine geschlossene, vom palästinischen Mutterland abzuhebende Größe der Diaspora auf. Folgerichtig erscheint als Gegenbild das sog. palästinische Judentum, das man sich ebenso geschlossen und hellenistischen Einflüssen gegenüber ablehnend denkt. Historisch treffen beide Vorstellungsschemata nicht die Wirklichkeit. Das Auftauchen von Septuagintafragmenten selbst in den Höhlen am Toten Meer und die apokalyptischen Passagen in der Sapientia Salomonis, die Existenz mehrerer (hellenistischer) Synagogen in Jerusalem und die Tatsache, daß der aus Tarsus gebürtige Diasporapharisä.er Paulus sich dennoch stolz 'E~p:x~o~ &~ 'E~piX((a)v (Phil. 3,5) nennt und damit auf seine Hebräisch- bzw. Aramäischsprachigkeit verweist, machen es ganz unbezweifelbar, daß palästinisches und hellenistisches Judentum in neutestamentlicher Zeit eng miteinander verflochten und in sich in einer Weise vielschichtig waren, von der der genannte Schematismus nichts ahnen läßt l • Hans Friedrioh 1 V~l. W. G. Kümmel. Das Erbe des 19. Jahrhunderts f"Ur die neutestamentliche Wi88eoschaft von heute. in: Heilsgeechehen und Geschichte. S. [364-381]
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Weiß hat sich darum mit Recht in seiner instruktiven Studie "Zur
Frage der historischen Begegnung von Antike und Christentum"l eben erst gegen den nooh immer herrsohenden Forschungsdualismus zur Wehr gesetzt und, unter Bliokrichtung auf das alexandrinische Judentum, gebeten zu beachten, "daß das alexandrinisohe Judentum ebensowenig wie das palästinisoheJudentum eine in sioh abgeschlossene Größe gewesen ist, daß vielmehr - und dies dürfte insbesondere für die Zeit des entstehenden Christentums gelten - zwischen dem alexandrinischen Judentum und dem Judentum in Palästina sehr enge Beziehungen bestanden haben, die auf ihre Weise die Begegnung des auf dem Boden Palästinas entstandenen Christentums mit der Kulturmacht der Antike bereits im Laufe des 1. Jahrhunderts zumindest vorbereiten halfen"l. Dies ist besonders zu beachten, wenn wir uns nunmehr der Septuaginta, Josephus und Philo zuwenden. a) Die Septuaginta a
Über den Beitrag, welche die Septuaginta zur Erhellung des neutestamentlichen Gebrauohes von Evangelium liefert, urteilen J. Schniewind und sein Schüler G. Friedrich gleiohermaßen negativ: "Die Septuaginta bringt uns keinen Gewinn, den Ursprung des Begriffes 377: "Die methodische Trennung beider [sc. jüdischer und heidnischer] Bereiche und der daraus gefolgerte Gegensatz im religiollllfteschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments ist ein Erbe des 19. Jahrhunderts, das die Arbeit des 20. Jahrhunderts schwer belastet und behindert hat. Wenn in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden ist, daß auch das palästinische, vor allem aber das hellenistische Judentum offen war für den Hellonismus, und die Entdeckung der jüdischen Sektenfrömmigkeit ebenso wie der vorchristlichen Gnosis daa religions~chichtliche Bild wesentlich bunter gestaltet haben, dürfte die Alter· native 'Jüdisch.heidnisch' endgültig als unhaltbar erwiesen sein. Es ist die Aufgabe der heutigen neutestamentlichen Forschung, hier ohne falsche Alter· nativen die erkennbaren religionsgeschichtlichen Zusammenhänge zur Aufhellung der neutestamentlichen Texte heranzuziehen." Vgl. ähnlich schon G. Kittel: Die Religions~e8Chichte und das Urchristentum (1931), Darmstadt 1959 (Nachdruck) S. 80ff. 1 Klio, 43/45 (1965) S. 307-328. I A.a.O. S.309f., vgl. auch S.307 Anm.3; Instruktiv sind in unserem Zusammenhang auch 1. Das Buch von S. Liebermann, Greek in J ewish Palestine, New York 2. Auß. 1965, das die sprachliche und kulturelle Verflechtung des in Palästina und in der Diaspora ansässigen Judentums plaatisch vor Augen führt; 2. H. Hegermanns Ausführungen über .. Das hellenistische Judentum" in: Umwelt des Christentwns. 00. J. Leipoldt und W. Grundmann, Bd. I, Berlin 1965, S. 292-345; und 3. die beiden Referate von W. D. Davies, Pani and Judaism, in: Tbe Bible in Modem Scholarship, New York 1965, S. 178186 und H. H. Koester, Pali I and Hellenism, a.a.O. S. 187-195. Beide plädieren dafür, die konsequente Scheidung von hellenistischem und palästinischem Judentum, Judentum und Hellenismus aufzugeben zugunsten einer ganz neuen, religions. und formgeschichtlich bedächtigen Interpretation. I Vgl. zum Folgenden J. Schniewind, Euangelion, S.63-78; G. Friedrich. TbWb 11, S. 710f. 722.
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Evangelium zu verstehen", schreibt Schniewind 1, \Uld Friedrich pflichtet ihm beil. Daß man so einseitig negativ im ganzen nicht wird zu urteilen brauchen, ist im Folgenden zu begründen. Einzusetzen ist bei dem auffälligen Tatbestand, daß die zu verschiedenen Zeiten \Uld \Ulter verschiedenen BedinglUlgen entstandenen Übersetz\Ulgsschriften der Septuaginta. die Wurzel .,W:l (von drei Stellen: loSam. 4,17 = 1.Reg. 4,17, Jes.41,27 \Uld Lehr. 16,23 abgesehen) einhellig \Uld ausschließlich mit Derivaten des Stammes &UIXYY&A- wiedergeben. Diese Kontinuität des Sprachgebrauches bei gleichzeitiger Verschiedenheit der Übersetz\Ulgssituationen läßt auf eine einheitliche Sprachtradition schließen. Alle Stellen, an denen die Septuaginta. für alttestamentliches .,W:l den Stamm &UIXYY&A- einsetzt, haben positiven Sinn. Wo der negative Sinn eindeutig war, z. B. 1. Sam. 4, 17 = 1. Reg. 4, 17, tritt für den Unglücksboten (hebr. "i':l~) griechisches 1tIXL8cipLOV ein. Das bedeutet: Erst mit der Übersetzung ins Griechische gewinnen die alttestamentlichen, an die Wurzel .,i':l geb\Uldenen Aussagen jenen positiven Grundzug, der \UlS heute vertraut ist, aber von der abgeschliffenen Wurzel .,i':l selbst nicht mehr sichergestellt werden konnte. Freilich entsteht so n\Ul auch die Gefahr einer irrtümlichen Rückübertragung des griechischen Textverständnisses in die hebräischen oder aramäischen Passagen bzw. Interpretationen. Hier ist also sorgfältig zu differenzieren. Im einzelnen ergibt sich für den Wortgebrauch der Septuaginta folgendes Bild: IX) Die Substantive &UIXyytALOV und eUIXYY&A(1X Das Substantiv &UIXyyeALov findet sich in der Septuaginta.-Tradition insgesamt nur dreimal. Einmal im Plural, hellenistischem Wortgebrauch durchaus gemäß, für Botenlohn (hebr. l"I."W:l) 2. Sam. 4,10 = 2. Reg. 4, 10. Das zweite Mal als Varia..nte zu 2. Sam. 18,27 = 2. Reg_ 18,27 3 • Sinaiticus, Vaticanus \Uld Alexa..ndrinus übersetzen: 'AvYjp ciYIX&O
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Historisch schwierige Probleme werfen die beiden letzten Stellen auf, die noch zu behandeln sind, Bell. 4,618 und 4,656. Bell. 4,618 spricht davon, daß sich die Kunde von der Ausrufung Vespasians zum (Gegen-)Kaiser (gegen Vitellius) wie ein Lauffeuer verbreitet): 't'clXLOV 8"' btLvoEtU; 8L~j(E)).OV etL CPlillotL 't'ov E1tL 't'lj~ «Vot't'oAli~ otu't'OXPcl't'OF~, Xotl. 1tiiaet !Jh 1t6AL~ E:Wp't'et~EV Wetj(EALot 8& Xotl. &ua(ot~ U1ttp otUTOÜ E1tE't'EAEL. Der Ausdruck EUotj(EALot E:Op't'cl~ELV meint "ein Fest für eine Freudenbotschaft feiem"l1 und gehört, wie Plutarch (Phokion 23, p.752) beweist, hellenistischer Sprache an. Es handelt sich also um eine auch anderweitig gebrä.uchliche Redewendung, die hier einmal in den Dienst der Kaiserverehnmg gestellt wird. Insofern mag man sagen, daß hinter dieser Ausdrucksweise der Gebrauch von EUotj(EALOV als "teclmischer Ausdruck für Kaiserproklamation"3 stehe. Doch bleibt für Josephus zu beachten, daß er bei aller Hochschä.tzung des Vespasian und des Titus den römischen Kaiser doch nicht an die Stelle des jüdischen Messias treten Iä.ßt', also an unserer Stelle eigentlich mit seiner Freudenkunde Tränen und Kummer. Ähnlich ironisch kann schon Cicero in den Briefen an Atticus XIII 40, 1 tUCXTI~ALCX! gebrauchen. Doch beweisen alle diese Belege nichts für unseren Zusammenhang: Hier wird das Substantiv tU~ntALoV selbst verneint oder ironisiert! Leider passen auch Schniewinds Ubersetzungsvorschläge nicht zum Kontext der Stelle und für die ansprechende Übersetzung Thackerays und Michel/ßauernfeinds fehlen, wie Schniewind gezeigt hat, die Belege! Angesichts dieser Schwierigkeiten ist zu erwägen, ob unser Text überhaupt richtig verstanden ist, wenn man 8e:Lv6v als adjektivische Näherbestimmung zu tUCXTI~ALOV auffaßt. Außer Apc. 14.6 wird in der ~esamten Graecität und im hellenistischen Judentum tUCXTItALOV m. W. nie mit Adjektiven verbunden, Apo. 14.6 aber reproduziert dezidiert jüdischen Sprachgebrauch! Ich schlage deshalb vor. 8e:Lv6v als Subjekt und tUCXTItALOV als Prädikatsnomen aufzufassen: Für Florus war etwas ganz Furchtbares eine Freudenbotschaft! In diesem Sinne haben bereits die Textvarianten z. St. aus~elegt, wenn sie auch sämtlich sprachlich erleichtern: C bietet .ro 8e:Lv6v. MVR TOÜTO 8e:Lv6v, Lat. malum istud quasi. Unser Übersetzungsvorschlag hat den Vorteil, daß er wenigstens die genannten Schwierigkeiten meistert; sein eigener Mangel ist das Fehlen des eigentlich erforderlichen anaphorischen Artikels. 1 .. Schneller als der Flug des Gedankens verkündigten die Gerüchte die Botschaft vom neuen Herrscher über den Osten, und jede Stadt feierte die gute Nachricht und brachte zu seinen Gunsten Opfer dar" (Michel-Bauemfeind. a.a.O. Bd. 2. Darmstadt 1963, S. 97). 2 Schniewind. a.a.O. S. 105. a Schniewind. a.a.O. S. 105. , Das Verhältnis des Josephus zu Vespasian ist komplex. Diskutiert wird es bei W. Weber. Josephus und Vespasian, Stuttgart 1921, S. 34ff.; M. Hengel. Zeloten. S. 243ff. 241 Anm.4. Dem Urteil Webers: "Die Hoffnung auf den Messias und das Weltreich der Juden, die diese hochgepeitscht hat, ist dem Propheten des Kaisers unbequem. Wie viel mehr liegt ihm am gewaltigen Römerreich und seinem FriedenskBiser, den ihm das Schicksal im Lager am Kannel beschied. Von diesem erwartet der Römling das Heil der Welt, an dem sein Volk teilnehmen soll. Diesen hat er verkündet ... " (S.53), kann ich nicht ganz beipflichten. Wohl hat Josephus Vespasian (ebenso wie Jochanan b. Sakkai, s. o. S. 125f.) die Kaiserwürde verheißen: Bell. 3,350. 392-40~ und ausdrücklich die messianische Interpretation der alttestamentlichen Ver-
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religiös belastete Ausdrucksweise bewußt vermeidet! Auch Bell. 4,656 zeigt dies: Vespasian erhä.lt nach seiner Ankunft in Alexandria die Nachricht von Niederlage lll1d Tod des Vitellius in Rom lll1d wird von verschiedenen Gesandtschaften zu seiner Kaiserwürde beglückwünscht: Etc; 8! T"1jv 'AAE~cXv8pELcxv cX({lLY(.dv
.wyo~. Durch diese Parallelen wird die Beziehung von cVotyyc>'(~Ea&ClL auf die Ausrichtung des Willens Gottes in 3, 11 sichergestellt. Sieht man dies, dann wird auch das dritte Vorkommen des Verbums in den Par. Jer. gut erklärbar. In 5,21 ist noch einmal von dem Auftrag Jeremias an den Exulanten die Rede. Dieses Mal wird die Tätigkeit des Propheten folgendermaßen umschrieben: EUClyyc>'(aCla&ClL CZÜTOL~ )((11 XClT7)x~aClL CZÜT~ -roll >.6yoll. Die Wendung XClT7)x'ijaClL ClUTOU.6yO\/ fehlt in der äthiopischen Version (vgl. König, S. 326; Prätorius, S. 237). Sie ist aber, wie Delling, a.a.O. S. 21ff. ausfUhrt, in einer jüdischen Schrift gut denkbar. Schon im Alten Testament werden .,~, und it"n Jahwes zuweilen parallelisiert (z.B. Jes. 1,10; 2,3), so daß die Faaaung >'6yoC; = Tora akzeptabel erscheint. Dellings These wird als richtig erwiesen durch die Targumim. Im Targum zu Jes. 1,10 und 2,3 steht für ,~, aramäisches KrJlnD und iür it"n aramäisches Kn"'K. Die 'Übersetzung von KrJlnD mit >.6yo~ wird durch Dan. 4,17 (Theod.) sichergestellt. Aber auch für die Wendung xClT7)x'ijaClL -roll Myoll im ganzen lassen sich aramäische Aquivalente aufweisen. Wie das Targwn zu Jes. 2,3; 30, 10; 32,6 beweist, sind Kn'"ac '1',ac bzw. Kn'"ac 'DlnD '1',ac ganz geläufige Wendungen für die Unterweisung im Gesetz bzw. im Willen Gottes; substantivisch ist im gleichen Binne an den genannten Stellen die Rede von lD"K mit" KDlnD oder bloßem lD"K. Die Formulierungen gehen aber schon vor die Zeit des Prophetentargums zurück. Im Targum Jer. 11 zu Dt. 32,29 meint Kn"'K '1'" das Gesetz lernen und im Targum Jer. I und II zu Gen. 49,10 bezeicluuit Mn..,'K 'D'(K)D die Gesetzeslehrer. Überblickt man diese Belege, dann wird man sagen dürfen, daß die Beziehung der Wendung EUczyyU.(aCla&ClL XCIi xClT7)x'ijaClL -rov >.6yoll auf die Verkündigung des (im Gesetz niedergelegten und auszulegenden) Gotteswillens gesichert ist. Wir haben also in den Par. Jer. einen von christlicher Sprechweise noch ganz unbeeinftußten Gebrauch von EUClyyc>'(~Ea&ClL für die Ausrichtung der Weisung Gottes vor uns, und dieser Gebrauch hängt offensichtlich eng zusammen mit der jüdischen Lehrüberlieferung. Beachtet man diese Parallelität von EUClYYE>'(~Ea&a;L und 8L8cioxeLII (vgl. 7,32 mit 3, 11 und 5,21), so eröffnen sich höchst interessante Aspekte für tias Verhältnis des christlichen Evangeliums zur christlichen Lehrüberlieferung (vgl. S. 133, Anm.3 und S. 230. Anm. 5 b). - Zweimal taucht in unserer Schrift auch der Ausdruck .. frohe Botschaft" auf, aber leider ist über das semitische Aquivalent keine Sicherheit mehr zu gewinnen. In 7,11 und 7,15 ist von der frohen Botschaft die Rede, daß sich den Exulanten in BabyIon die Möglichkeit der Heimkehr nach J erusalem eröffnet. 7, 11 wird diese Botschaft mit +, xa;).T, cpcXa~, 7,15 mit -ro Xa;)J)II xilpuYILCI bezeichnet. (Dem mit den orientalischen Sprachen vertrauten Fachmann muß ich es überlaaaen, folgende interessante variae lectiones zu beiden Stellen zu klären, und ich kann nur die Vennutung äußern, daß sie mit dem uns aus syr. Bar. 77,12 vertrauten Au.sdruck "Botschaftsbrief" oder "Botschaftsmitteilung" zusammenhingen [vgl.
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ist. Lediglich die Septuaginta spielt in dieser Traditionsgeschichte eine bedeutsamere Rolle. Die Septuaginta bietet den Christen den Wortstamm cla.yyrJ. - für die Übertragung der Wurzel 'W:l einheitlich dar, aber nicht nur den Wortstamm, sondern auch das heilsgeschichtliche Medium des (prophetischen) Gotteswortes, in welches der Wortstamm eingebettet ist. Wenn die zur MiSBion aufbrechenden Christen den Heiden das (alttestamentliche) Gotteswort verkünden, ihre Verkündigung heilsgeschichtlich begründen und diejenigen Elemente der 'W:l-Tradition, welche im aramäisch -sprachigen palästinischen Christentum lebendig waren, ihrer eigenen Missionsverkündigung nutzbar machen wollten, waren sie jedesmal auf die Septuaginta angewiesen und auf deren Gebrauch der AUBdrücke e:Ua.yyeA(~tO'&a.t, tua.yytAt~6!LtvoC; etc. Die Septuaginta gehört also zum sprachlichen und sachlichen Fundamentalbestand des urchristlichen Evangeliums auch dann, wenn sie den neutestamentlichen terminUB techniCUB -ro tUa.yytAtOv nicht direkt belegen hilft. Bei Philo und bei Josephus sind wir auf ein neues, traditionsgeschichtlich bedeutsames Zentrum der Verwendung von tUa.yyeA- im Hellenismus gestoßen, und zwar im Herrscher- und Kaiserkult. Selbst wenn die Denk- und Sprechweise des Herrscherkultes das neutestamentliche Evangelium nicht direkt erklären sollte, wäre sie für die Verkündigung dieses Evangeliums bedeutungsvoll. Für den Fall, daß der Stamm tUa.yytA- im HellenismUB fest mit dem Kaiserkult verbunden war, stießen die urchristlichen Missionare bei ihrer Rede vom Evangelium ja mit Notwendigkeit aufVerstehensassoziationen, welche dem Herrscherkult entstammten. Damit haben wir eine Leitfrage für die nun folgende Übersicht über den Gebrauch unserer Wortgruppe in der Graecität gewonnen. Sie lautet: Welche Verstehensassoziationen mußten sich für einen hellenistischen Hörer des neutestamentlichen Evangeliums einstellen und was bedeutet dies für das neutestamentliche Evangelium selbst 1 Zugleich aber steht unsere anfängliche Frage noch immer zur Entscheidung, die Frage, ob sich im HellenismUB Traditionen finden, welche die neutestamentliche Verwendung des Wortstammes tUa.yytA- noch besser erhellen als die uns schon bekannten jüdisch-semitischen Zeugnisse, die uns nur Ansätze der neutestamentlichen Verkündigung begreifbar zu machen scheinen. Wir wenden uns damit den genuin griechischen Belegen zu. oben S. 133, Anm. 3]: Für -ro xlXAbv XljPUYILlX, das die griechische und die äthiopische Version in 7,15 lesen, haben der Cod. Braidensis und Cod. 34 S.Sepulcri iTtLCTfOA.lj. Umgekehrt hat die äthiopische Version in 7,11 für den griechischen Begriff 6 Xcip't'l)~ = Papyrusbrief den Ausdruck "Freudenbotschaft". Läßt sich solche Divergenz auf ein gemeinsames, semitisches Original zurückführen?).
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11. Das Material der Graecitätl Die umsichtigen und überaus gründlichen Studien Schniewinds erleichtern die sich jetzt stellende Aufgabe erheblich: Schniewind hat das Verwurzeltsein der griechischen Rede vom Stamm &UotYY&A- in der Anschauung vom Boten, seiner Botschaft und botschaftenden Gottheiten mit einer Deutlichkeit herausgestellt, die keiner Wiederholung bedarf. Leider liegt eine Darstellung der Verwendung von &UotYY&A- im Kaiserkult aus Schniewinds eigener Feder nicht mehr vor ll und ebensowenig die Durchführung seiner These, im Neupythagoreismus begegne ein "religiöser Gebrauch von &UotYY&ALOV"3. Dieser Befund ergibt unsere eigene Aufgabe: Nach einer knappen Darstellung des auf das Neue Testament hinführenden griechischen Belegmaterials haben wir Schniewinds eben genannte These zu prüfen, darzulegen, in welcher Weise &UotYY&A- vom Kaiserkult aufgenommen wird, um abschließend zu fragen, inwieweit der hellenistische Sprachgebrauch als Ursprung der neutestamentlichen Verwendung des Wortstammes angesprochen werden darf. 1. Die Verwendung des Wortstammes
Die eigentliche Aufmerksamkeit verdient in unserem Zusammenhang das Verbum &Uotyy&AL~W/&Uotyy&AL~O(.LotL sowie das Substantiv &Uotyy&ALOV. Ein Kompositum 7tPO&Uotyy&A(~O(.LotL läßt sich m. W. in der klassischen Graecität bis heute nicht nachweisen'; für das Substantiv &UotYY&ALO""t"ijC; liegt nur ein einziger Beleg vor 6 • Denmach ist jetzt Vgl. zwn Folgenden die Artikel s. v. ruexyyt).,ov, ruexYYEAt!;ta.&ext und MYbei H. G. Liddell·R. Scott, A Greek.English Lexicon, Oxford 9. Aufl. 1961, S. 704/05; W. Bauer, Wb& Sp. 627-630; G. Friedrich, ThWb II S.708710. 719-722. 734; O. Michel, Art. Evangeliwn Sp. 1110/11 und vor allem J. Schniewind, Euangelion, S. 114-258. • Das zu besprechende Material zählt Schniewind auf: Euangelion, S. 88ff.; hilfreich ist der Abschnitt "ruexyytAtOV im Kaiserkult" bei Friedrich S. 721,4722,26. a Euangelion S. 184; Schniewind hat dabei vor allem Heliodors Aethiopica (10,lff.) im Auge. , Vgl. Friedrich, ThWb II S.735,32ff. und Liddel·Scott, Lexicon' s. v. Zwn Kompositum bei Philo vgl. S. 173 Anm. 2. • Das Substantiv ist bis heute leider nur einmal belegt, und zwar in einer noch dazu schlecht erhaltenen Inschrift aus Rhodos: IG XII I, Nr.675. Hier ist in einer Grabinschrift Z.6 von 6 [!E]pOC; ruotYYEAtaT1J~ = einem Orakelpriester heidnischer Provenienz die Rede. Vgl. J. Schniewind, Euangelion, S. 189ff., wo die seinerzeit im ersten Band der ZNW (1900) zwischen H. Achelis (Spuren des Urchristentums auf den griechischen Inseln! S. 87-100) und A. Dieterich (EuexYYEAtaT1Jc; S. 33~338) geführte Debatte wn den christlichen oder heidnischen Charakter dieser Inschrift im Sinne Dieterichs entschieden wird. Schniewind schreibt: .. Unser Stein gehört in die Religiosität des vorchrist· lichen Hellenismus, nicht ins Christentwn" (S. 193). 1
YtAt~C;
Daa Material der Graecität
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nur die VerwendWlg jener drei Worte zu illustrieren 1. ZWlächst zum Verbum. 1 Vollständigkeit erstrebe ich nur für die Belege von CÜOtyyt>.LOV. Durch daa Entgegenkommen von Herrn Prof. E. Kießling, Marburg und Herm Prof. L. Robert, Paris, gelang es, über Schniewind und Friedrich hinaus einiges allerdings nur indirekt ertragreiches - Material zu erschließen. L. Rohere machte mich freundlicherweise brieflich auf seine Stellensammlung im Bulletin de Correspondance Hellenique 60, 1936, S. 187 Anm.2, auf IG XII, Supplementum (1939) Nr. 168 und auf die Neubearbeitung von CIG IV 6821 durch L. Moretti in Archaeologia Classica 5, 1953, S. 24~259: "Un nuovo proconsole d'Acaia" (vgl. dazu die zustimmende Übersicht von L. Roben, Revue des :t:;tudes Grecqu!l8 6M, 1955, S.215) aufmerksam. All diese Texte sind unten erwä.hnt. - Der Freundlichkeit von E. Kießling verdanke ich die Kenntnis deS folgenden, bisher noch nicht erfaßten Belegmaterials für unseren W ortstamm aus den Papyri. Ich nenne die Vorkommen hier im Zusammenhang, um die Orientierung zu erleichtern, aber auch um die in dem neu mitgeteilten Material enthaltenen christlichen und die Namen-Belege nicht zu verschweigen. Es handelt sich um folgende Stellen: a) Aus den Oxyrhyncho8 Papyri: Nr. 1830,3 = christI. Brief über daa Steigen des Nils kraft der Segensmacht Christi; die Nachricht vom erhöhten Wasserstand wird mit EÖOt'rY~A(!:~a&otL bezeichnet - ein interessanter Beweis dafür, daß CÜOtYYEA(!:,a&otL auch in nachneutestamentlicher Zeit nicht terminologisch verfestigt war. Nr. 1916,28; 2032,12 und 2034,11 auf Quittungen aus dem 6. Jh. p. Chr. je einmal der Name: EU«~AOC;. b) Aus dem "Sammelbuch Griechücher Urkunden aU8 Ägypten", begonnen von Fr. Preisigke, weitergeführt von Fr. Bilabel und (jetzt) E. Kießling. Nr.6020 (SB Bd. III,l) auf einem Grabstein aus Sakkara der Name EuliyytAOC;. Nr. 6087,18 (SB III,l) auf einer Klapptafel die christliche Erwähnung des CÜOtyytALa-rljc; Markus, des Apostels Petrus etc. Nr. 6835,3 (SB III,2) auf einem Grabstein aus dem 1./2. Jh. p. Chr. die Nennung des Namens EMYYEAOC;. Nr. 9401,4 (SB VI) in einem christlichen Privatbrief aus dem 6./7. Jh. die Rede von der Forderung des hl. Evangeliums: -ro TOÜ «y(ou [CÜOtyye:A(OU ... ]. c) Aus den ,.Papiri greci e Latini" (= Pubblicazioni della Societa Italiana per 10. ricerca dei Papiri greci e latini in Egitto). Nr. 768,8 (Bd. 7) aus dem Fragment eines st8atsanwaltschaftlichen Urteils des 5. Jh. von Hermopolis TIi. MYYCALIX wohl = vor Gericht gemachte Zusicherungen, evtl. in Parallele zu 6PXOL Z. 7. Nr. 967,1. 21 (Bd.8) in einem Privatbrief aus dem 1./2. Jh. zweimal der Name EU«YYEAOC;. Nr. 963,82 (Bd.8) auf einer Spesenabrechnung christlichen Ursprungs aus dem 6. Jh. die Rede von einem: CI 'IColIivvr,c; CI e:UIX~ALa-rljC;. Nr. 1041,11 (Bd. 9) in einem Briefaus dem 3./4. Jh. die christliche Erwähnung eines xIXt)7jXOufUV0C; tv lip;dj ':'oü MYYE),(OU; die Stelle zeigt, daß in der wohl aus Phil. 3,15 entliehenen Wendung iv cip;dj TOÜ EUIXyyt),(OU daa -ro CÜOtYYCALOV nomen actionis war oder w{'Inigstens als solches verstanden wurde bis weit in die nachneutestamentliche Zeit hinein! d) Aus den ,.papyri in the PriTlCt!ton Unirersäty Collectü;m8" (Bd.3 edd. A. Ch. Johnson und S. P. Goodrich, Princeton 1942). Nr. 180,8 in einem christlichen Vertrag ist die Rede von -ro &YLOV e:UlXvyC),LOV. e) Aus P. Viereck, Griechische und griech.-demotische 08traka der Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg im Elsaß, Bd. I, Berlin 1923.
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Die religionsgeechichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums
a) Das Verbum ~t~Ea&ClL
Die Etymologie scheint klar zu sein. Das vorwiegend im Medium, gelegentlich im Passiv und erst in der späten Graecität im Aktiv gebrauchte Verbum wird von EUciYYEAOr; hergeleitet werden mÜB8en und hat deshalb die Grundbedeutung "als ein EUcirfEAOr; reden" 1. Vom 4. Jh. a. ehr. n. an taucht als Äquivalent (btClyy~ll(a) auf, später dann cX~(a), cXVCl~(a) und XClT~(a). Die Grundbedeutung des Bringens guter, erfreulicher Botschaft hat sich also abgeschliffen, jedoch nur bis zur neutralen Botschaftung hin. Negative Botschaften werden mit dem Verbum nicht bezeichnet, wohl aber taucht es in ironischen Zusammenhängen auf. Gegenbegriff zu EUClrfEAL~Ea&ClL ist XClXtXYYEA~(a)I. Konstruiert wird das Verbum mit dem persönlichen und sachlichen Akkusativ, mit TL TLVL, auch wr; und iSTL = daß, mit A. c. I. und Präpositionen: 7tp6r; c. Acc. Sofern es sich nicht um ironische Rhetorik handelt, sind die mitzuteilenden Botschaften erfreulichen Inhalts, umspannen das persönliche Leben ebenso wie politische Tatbestände. Ein im strengen Sinne technischer Sprachgebrauch läßt sich nicht nachweisen, wohl aber häufiger die Verwendung des Verbums für Siegesbotschaft. Zweierlei erscheint besonders bemerkenswert: Vom 5. Jh. a. ehr. n. an bis zum 4. Jh. p. ehr. n. läßt sich eine einschneidende Veränderung des Bedeutungsgehaltes von e:UtXYYEAL~e:a&tXL nicht feststellen! Zudem taucht das Verbum aU88chließlich in entweder amtlichen oder ausgesprochen literarischen Zeugnissen auf. Belege von einer Verwendung in der Volks- und Umgangssprache fehlen. Würde es sich um ein allgemein gebräuchliches Verbum handeln, 80 dürfte man wenigstens in den Papyri zahlreichere Belegstellen erwarten. Wo wir solche finden, sind sie aber erst christlichen Datums und Ursprungs. Nr. 809,10 auf einem ohristlichen Ostrakon (R. Reitzenstein sprach seinerzeit vom, wenn man 80 sagen dürfe, "ersten Ave Maria": Zwei religionsgesch. Fragen nach ungedruckten griechischen Texten der Straßburger Bibliothek, Straßburg 1901, S. 112) MyyV.LCca&clL für die Verkündigung des Engels an Maria. f) BaU (= Ägypt. Urkunden aus d. Staatl. Museen zu Berlin, Griech. Urkunden Bd.6: Papyri und Ostraka der Ptolemäerzeit, OOd. W. Schubart und E. Kühn, Berlin 1922)_ Nr. 1229,26 und 1230,13 auf zwei Saatquittungen aus dem 3. Jh. je einmal der Name Euciyyc).o~. g) Aus den Hibeh-Papyri (Tbe Hiheh Papyri, Teil 2, 00. E. G. Turner, London 1965). Nr. 232,7 in einem ganz fragmentarisch erhaltenen Brief aus dem 3. Jh. M]yyiAIGt mit nicht näher zu bestimmender Bedeutung. 1 Vgl. Schniewind, Euaugelion, S. 125 und Friedrich, TbWb n, S. 708,Uf., heide nach F. Specht. I Vgl. Schniewind, a.a.O. S. 126 und Liddel-Scott, Lex.' 860.
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Eine Übersicht über das wichtigste Belegmaterial in geschichtlicher Reihenfolge soll diese Übersicht untermauern: Für das Medium ergeben sich folgende Belege: 1m 5. Jh. o. Ohr. n. Aristophanes, Equit. 642f. ironisch tür die Verbilligung der Sardellen. 1m 4. Jh. o. Ohr. n. bei Demosthenes, Pro Corona 323 von Erfolgen der Gegner; bei Lycurg, In Leocratem 18 ironisch von der eigenen Rettung (par.: cbtotyycllcw I); bei Theophrastus, Characteres 17, 7 mit IITL von der Geburt eines Kindes und bei Menander im Georgos 83 mit 1tp6~ ae TotÜTot von einem Hochzeitsangebot. 1m 1. Jh. p. Ohr. n. bei Plutarch, De Mario (22) 418 mit A.c. I. von der Wiederwahl zum Konsul und De Pompeio (66) 654, ebenfalls mit A.c.I., von dem erwarteten Kriegsende. 1m 2. Jh. p. Ohr. n. bei Alciphron in den Epistulae II 9,2 (= III 12,2 p. 72 bei Hercher, Epistolographi Graeci) mit Obj. TotÜ'rot und anschließendem IITL vom poetischen Kunstverstand und Kunstgenuß beim Weiden der Ziegen. Bei Luoian: lcaromenippus 34 ironisch von der an die Philosophen weiterzugebenden Botschaft ihrer alsbaldigen Hinrichtung; Pro Lapsu inter Salutandum 3 mit Tl)V vtxllV und der Parallelformulierung ciyycAAcLv -rilv vtxllV von der Siegesbotschaft ; im Philopseudes 31 mit IITL von der ruhigen Lebensmögliohkeit im Hause nach der Vertreibung von Dämonen I; Tyrannicida 9 mit Objekt -rilv i>.t:ukptcxv von der Botschaft der Freiheit nach dem Tode des Tyrannen. Bei Soranus, De Muliebribus Affectionibus 21 von der Aufgabe der Hebamme, der Kreißenden TO &cpoßov Xott Tl)v cUTOXtotY zu verkünden, sie also alles Guten und der guten Geburt zu versichern. Bei Longue, Pastorales (= Daphnie und Chloe) III 33,1 mit Objekt TOV YrXlLov = der Braut die Hochzeit ansagen. Bei Dio Cassius Cocceianus 60,13,4 mit IITL ironisch von der Rettung (v. I. Aktiv!). Bei Philostrat in der Vita Apollonü 1,28 mit TLVt und IITL von der feierlichen Ankündigung des Eintreffens des Apollonius (par. in 1,29 a.votyycAAcw). 1m 3. Jh. p. Ohr. n. bei Heliodor in den Aethiopica 2,10 vom mitzuteilenden Ende der bösen Stiefmutter und 10,1f. zweimal mit TLVt Tl)V vtxllV (par. 10,6: Tl)V vtxllv XotTotyycAAcw) von der Siegesbotschaft. 1m 3./4. Jh. p. Ohr. n. bei Jamblichus, De Vita Pythagorica 2,12 mit A.c.I. von der Prophezeiung einer großen Zukunft. Für das Pauiv ist bemerkenswert die in den Kaiserkult gehörige Formulierung auf einer Inschrift aus Sardes aus dem 1. Jh. a. Chr. n. t:UotvyV.ta&7j il 7t6>.~ von der Mündigkeit.serklärung des Augustus-Enkels Gaius Julius Cäsar (= Sohn des Agrippa und der Augustus-Tochter Julia) im Jahre 5 a. Chr. n. l •
Das Aktiv finde ich, von den Belegen aus der Septuaginta (1.Reg. 31,9; 2.Reg.18,19f.) und dem Neuen Testament (Apc.l0,7 und Apg.16,17 v.I. in D) abgesehen, nur in Belegen aus christlicher Zeit: Pap. Gießen 127,6 cUotyyc>.tC(.o) Tel Tij~ vtXll~ = Siegesnachricht geben (Anfang des 2. Jh.s); bei 1 A. M. HannoD im 3. Bd. der Lucian-Ausgabe aus Loebs Classical Library 8.368 bezeichnet cü«yydLC6ILt:YO~ Philops. 31 als sekundäre Variante; ursprünglich sei die von Plato übernommene Formulierung: I:Ö ciyyi).).(.o)v. 1 Veröffentlicht mit Übersetzung, Kommentar etc. durch W. H. Buckler und D. M. Robinson, Greek Inscriptions from Sardes V, AJA 18, 1914, S. 321362 (abgedruckt im AU88Chnitt bei Friedrich, ThWb II S.721 Anm. 37; der Text findet sich ferner IGR IV Nr. 17156), unsere Formulierung Z.14. Die Herausgeber Buckler und Robinson merken zu Z. 14 a.a.O. S. 344 an: "Mvyr:>.ta&7j. This is another illustration of the anticipation of the Christian MYYC>.tcxL which prevailed in Asia Minor in the latter half of the ßrst century B. C."
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Polyaenus, Strategemata 5,7 mit ~ = daß, von der Verbreitung einer Sieges. botschaft (2. Jb.); bei Dio Cassius 60,13,14 mit ch~ (in einer v.I. zum Medium) f"tir Rettungsbotschaft und dann im 4. Jh. (christlich) in Pap. Amb. 2,16 mit TLVl von der Botschaft des Christus.
Von einem ausgesprochen religiösen oder theologischen Sprachgebrauch läßt keiner dieser Belege etwas ahnen. Zwar könnte hinter der p&88ivischen Formulierung der Kaiserinschrift aus Sardes und der Nachricht vom Eintreffen des Apollonius von Tyana bei Philostrat, vielleicht auch hinter der Prophezeiung bei J amblichus, eine religiöse Motivation sichtbar werden, aber ein ausgesprochen technischer Wortgebrauch liegt nirgends vor. Im Moment läßt sich daher nur fest· stellen, daß der vorliegende Gebrauch von griechisohem r.Ua.YYEAI.~ELvl EUIXIfEA(~Ea&otL dem jüdischen von ,i'::1 weithin gleicht. Da aber die an der Wurzel ,i'::1 haftende Bedeutung von Gottes- und Propheten· rede sowie Engelsbotschaft in unserer Übersicht ganz ausfällt, dürfte es kaum möglich sein, allein von den aufgeführten hellenistischen Bele· gen her die neutestamentliche Verwendung der Verben zu erklären J • Daß auch die eventuell religiös akzentuierten Belege hier nicht weiterführen, wird sich uns noch ergeben. b) Das Substantiv EUotYYEALOV
Etymologisch ist das Substantiv, wie das Verbum auch, von &MYYEAOC; herzuleiten und meint, formal gesehen, "was zu einem EuciYYEAOC; gehört"l. Je nachdem ob diese Zugehörigkeit vom Boten oder vom Empfänger der Botschaft aus betrachtet wird, bedeutet das Nomen "Botenlohn" oder "Botschaft", beides als erfreuliche Phänomene! Bei dieser Doppelbedeutung und Möglichkeit der Betrachtungsweise handelt es sich, wie der ganz gleichartige Befund im Hebräischen zeigt, um ein allgemein antikes Phänomen. Charakteristisch für die Verwendung des Substantivs in der Graecität ist der dem Neuen Testament unbekannte Plural: 'rOC EUotnEALot8. Er ist für den hellenistischen Sprachgebrauch ebenso kennzeichnend, wie für das Neue Testament der absolut gebrauchte Singular charakteristisch ist. Bereits diese sprachliche Beobachtung dürfte eine Wesensversohiedenheit der im Hellenismus und im Neuen Testament mit demselben 1 Auch für die bei Paulus unbestreitbart' und wohl schon in die vorpaulini. sche Zeit zurückreichende Affinität des christlichen Evangeliums zu Lehre und Tradition bieten die genannten hellenistischen Bt-lege keinen tra.ditionsgeschicht. lichen Hintergrund. Andcrs ist dies bei dem jüdischen Material, wo die Wurzel sowohl für die Geeet.zesproklamation als auch im ZU8&IDJllf'nhang mit der Gesetzesunterweisung und schulischen Traditionsbildung auftaucht (vgl. oben s. 138f. 133 Anm. 3,177 Anm. 2). • Schniewind, Euangelion, S. 116 nach Fr. Specht. a Vgl. Schniewind, Euangclion S. 118; Molland, })aul. Euangelion, S.21f.
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Nomen bezeichneten Phänomene signalisieren. Konstruiert wird der nur gelegentlich nachweisbare Singular von eUCX'(")iALOV lUld der gebräuchliche Plural nie mit Adjektiven l , wenn mit Genitiven, so nur mit Objektsgenitiven, ferner zuweilen mit Präpositionen: 1tep( c. Gen., 1tcxpci c. Gen.; Präpositionen, welche das Nomen selbst regieren, sind: EV, E1t( \md de;. Formelhaft erscheint die Rede von eucxYYEALcx WeLv, vielleicht eucxyyeALcx O"Teq:lCXVOüv lUld gelegentlioh eucxyycALCX EopTcil:eLV. Wichtig erscheint mir, daß sich sowohl die Synonyme wie auch die sprachlichen A.quivalente, mit denen eucxyyEALov ausgetauscht werden ka.tm, zumeist an der BedeutlUlg "erfreuliche Botschaft" orientieren I. Das bedeutet, daß eucxYYEALoV in unserem Quellenbereich den von der Etymologie her festliegenden Sinn von erfreulicher Botschaft behalten hat, wenn auch das mehrfache Nebeneinander von Verben des Stammes «yyeA- lUld eucxyyeALov/eucxyyeALcx ohne erhebliche VerschieblUlg des Bedeutungsgehaltes zeigt, daß der erfreuliche Sinn der eucxyycALCX nicht immer sehr ausgeprä.gt sein muß. EucxyyeALov wird in der Mehrzahl der Fälle absolut gebraucht, gewinnt aber, wenn ich recht sehe, nirgends einen ausgesprochen technischen, lUlverriickbaren Sinn: Was mit eucxYYEALoV gemeint ist, entscheidet vorwiegend der Kontext! Das schließt nicht aus, daß sich eucxyyEALov häufig in der Bedeutung einer Siegesbotschaft, im Sinne von VersicherlUlg lUld "Prophetie" (beides auf die Zukunft ausgerichtet lUld in dieser zu verifizieren!) und mehrfach in Texten nachweisen läßt, die mit dem Herrscherkult in Verbindung stehen. Von einer wirklich volkstümlichen Redeweise wage ich auch beim Substantiv nicht zu sprechen, obwohl augen1 Dieser Befund ist im Blick auf Apc. 14,6 bedeutsam; zum BCLWV cUlXYYCALOV bei Josephus Bell. 2,420 vgl. oben S. 169 Anm. 2. 2 Zu Synonymen vgl. Schniewind, Euangelion, S. 117 Anm. 4 und S. 141 Anm. 7. Vgl. femer Tj ltIXA'ij q>liaLC; und -ro ltca:AOV lt~p1Jrl-'lX Paralipomena Jeremiae 7,11. 15 (vgl. oben S.177 Anm. 2). Bei J08ephus, Bell. 3,143f. und wohl auch bei Lucian, Pro Lapsu inter Salutandum 3 tritt IiYYCAlcc für CÜlXyyeALov ein. Im Erlaß des Paulus Fabius Persicus (Zeit: ca. 43/45 p. Chr. n.), den Fr. K. Dömer bearbeitet, zusammengestellt und kommentiert. hat (Der Erlaß des Statthalters von ABia Paullus Fabius Persicus, Diss. Greifswald 1935), heißt es in einem gegen den am Artemision in Ephesus eingerissenen Amterschacher gewandten Passus in Z. 11 ff. des 4. Bruchstückes (Dömer S. 15. 38): 6alixLC; TC rel:p liv linb -rijc; • PWW'lC; [AIXPW'tiplX fA&1l IiYYtA(IX, TIXU't'"/l ltpOC; -rov fBLOV Illt0XPWVTIXL ltopLal-'6v •••• Dömer kommentiert: ..... cs war die Unsitte eingerissen, daß, sooft von Rom eine [AlXpWTCP:X IlYYCA(1X (IV 11) gemeldet wurde, also sich aus irgendeinem das kaiserliche Haus betreffenden Grunde Gelegenheit bot, ein Fest zu feiern, PriestersteIlen dazu gegen Höchstangebot wie auf einer Auktion verkauft (IV 14) oder von den mit der Verleihung solcher Priestt>rstellen betrauten Personen gegen persönlichc Vortt>i1e vergeben wurden" (S. 44). [A:XPWTtplX a.YYEAlcc ist hier eindeutiges Aquivalent für CÜlXyytAI4. - In einem Brief des Septimius Severus und des Caracalla an die Einwohner von Nikopolis (Zeit: ca. 197/99 p. Chr. n.; veröffentlicht in MDAI, athen. Abteilung, 48, 1923, S. 9~102) taucht in Z. 26/27 der Plural Tel: tU:xvytAf.LIXTIX als Aquivalent für tUIXyytALIX = Erfolgsnachrichten (vom Siege über die Barbaren und dt'm wiederhergestellten Frieden) auf.
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soheinlioh der als Ausruf gebrauchte Plural EÜ(l')'Y~LCl! und der in allen Lebensbereiohen gebräuohliche Begriff der Euangelienopfer auf eine weitere Verbreitung des substantivischen Sprachgebrauches schließen lassen, als es die ausgesproohen literarischen oder offiziellen Fundstellen ahnen lassen. Diese FundsteIlen sind, wenn man sie chronologisch ordnet, folgende: Der Plural CÜatyyi).LGt findet sich:
Im 4. Jh. CI. Ohr. ft. bei Aeschines. In Ctesiphonem 160: Opfer darbringen I:~ atlTteN 3C cüczyyc).lc.w und ihnlich ein Jahrhundert später in einer kleinasiatischen Inschrift IG IJI Nr. 1224 Z. 15: [•.• cü]czyyu.l(a)'" &ucrlat 1 • Im 1. Jh. CI. Ohr. ft. griechisch als Fonnel in Briefen Cicer08. Ep. ad Att. TI 3.1 CÜatyyiALat' nir die Nachricht vom Freispruch des (von Cicero und Hortensius gemeinsam verteidigten) Valerius und XIll40.1 ironisch von einer mutmaßlichen Hinwendung Cisars zu tüchtigen Männerni. Ein drittes Mal im selben Jahrhundert als CÜatyyiALGt 'tijr; 'P(a)[lI-atl(a)'" ... lxl'/r;] auf einer Ämterund Ehren1iste aus Mavrodilisi (IG VII, 417.67). Ferner zweimal in der berühmten KalenderinBchrift von Priene aus dem Jahre 9 a. ehr. n. s : Z. 38 nach Bucklers Emendation im Sinne von Verheißungen und Z. 40 von Segensbotschaften. 1 Hatte Schniewind. Euangelion. S. 120f. in der Aeschines·Stelle einen exegetischen Fingerzeig für das Verständnis der fonnelhaften Redeweise von CÜatyyt),Lat MEL'" sehen und diese Wendung im Sinne eines Feierns von guter Botschaft durch Opfer interpretieren wollen. so wird dieser Deutungsversuch durch die Schniewind noch rucht vorliegende Inschrift IG IP Nr. 1224 glänzend bestätigt. I Daß es sich um eine fonnelhafte Wendung handelt. zeigt der Umstand. daß Cicero den griechischen Ausruf in seinen lateinischen Brief einsetzt. Für fonnelhaften Gebrauch spricht ferner. daß uns dß88elbe EVatyyt),Lat! bereits in der lukianischen Version von 2. Reg. 18.31 begegnet ist (vgJ. oben S. 156) und. leicht abgewandelt. bei Heliodor. Aeth. I 14. wieder begegnen wird. • Die bei Dittenberger. OGIS Nr. 458 abgedruckte Inschrift ist jetzt für Z. 32--49 nach dem von W. H. Buckler. An Epigraphic Contribution to Letters. Tbe CIB88ical Review 41. 1927, S. 119-121 emendierten und im Supplementum Epigraphicum Graecum 4. 1930. S.90 Nr.490 abgedruckten Text zu lesen. Der Text hat folgenden Wortlaut: 'E7tC[LBij TJ &l:1(a)r;] BLGtTti~atcrat 'tÖv (:Ilov TJII-WV 7tpOVOLat crnouBijv clcrev[evxatlll-]EvtJ xatL ~L),onll-bv 'tÖ TE)'l'/6TatTOV TWL (:I1(a)L BLEX6crll-l'/[ crEV ciyat&Ov] 1 ivcvxatll-EvtJ 'tÖv l:c(:Iatmv. aa av c~ CÜEpyccrlatV civ&pw[ 7t(a)v] bt),~ 11 P(a)crEV cipnijr;. (w )cr7tCP Tjtuiv xatl Toit; II-E&' TJ[II-cir; cr(a)'tijpat XatPLcrtlJ.dv7l] I 'tÖv 7tatUcratVTat j.Lh 7t6AEII-0.... XOcrll-1jCSOVTat [Bt clP~VIlV. btLcpatvdt; Bi] 1 6 Katicratp TeXt; i),7tlBatt; TWV 7tPO),at(:l6VT(a)'" [CÜatvyt),LGt mlVT(a)V U7tEp] I· c&1jxev. 0':' J.t6vov TOUt; 7tpO atVTOÜ YCYOv6T(att; EVCpY,CTatC; U7tEp(:lat]I>.6l1-evOt;. cl).).' oVS· ü iv Toit; icroll-ivoLt; i),7tIB[at U7tO),L7tWV U7tEp(30),jjt;]. U -Jjp~ev Be T(;n x6crll-(a)L TWV BL' atÖ'tÖv cVatvyc),l[ (a)V TJ ycvi&),Lot; TJII-tpat] 1 TOÜ &coü. 'Tijt; Be •Acrlatt; il/rrlcpLcrll-EvtJt; iv l:II-UPV7J (btt ciPXLl:pt(a)t;) I AEUXlou OVoAxczxlou TU).).ou. ypatll-lI-atmOVTot; nat7t[lat, lI-atPTUPlatv] I Tiil II-cylcrTatt; y' I~ 'tÖv &cOv XathupOVTL TELII-cit; clVatL [crU9atVov] • .. natü).).Ot; cllti(:lLot; Mti~LJ.tOC; 6 ciV&U7tatTOt; 'tijt; batp>;i)att; i[7tl crWT1'jplatt;] 11 cinO 'tijt; ixclvou Be:~Lcit; xatl [y ]VWII-l'/t; cl7tCcrTatAII-EvOC; cü(~1jll-atcrLV lBI]OLt; CÜEpytT1'jcrr:v TiJv i7tatP;(~iXV, ~v CÜCPYCcrLWV TeX II-CYC&['Il [Xatvwt;] 1 dm:LV oU8clc; iiv i~lxOLTO. xatL 'tÖ II-txPL Wv ciyvo'll&iv unO TWV (·E).).~]lv(a)v c~ TiJ... TOÜ l:C(:IatcrTOÜ TELII-ijv cGPCTO. 'tÖ cinO 'tijt; ix&lvou y[EVi]lcrc(a)t; ilp;(m ~ (:I~ 'tÖV xp6vov. BL' a )Cd. Die Ergänzung in Z. 37 bringt CÜatvy!ALGt neu in den Text herein. und zwar im Sinne von "Verheißungen". Fr. Taeger. Charisma II S. 194 Anm.67 hat Bucklers Lesung von Z. 37 übernommen.
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1m 1. Jh. p. Ohr. n. begegnet der Plural mehrfach bei Plutarch: Artoxerxee (14) 1018 in der Wendung IJ.La&Ov cU«yyu.l(,)v = Lohn rür gute Bot.achaft und cU«yyc>.l(,)v 8EUTCP«L« = Zweitgabe rür gute Nachricht; De Phocione (23) 752 = Siegesbot.achaft; De Pompeio (41) 640 = gute, von der Tyche gelenkte Nachricht vom Tode des Mithridate& (par. ist 641 IiTt«yyilliLVI); Sertorius (11) 573 iTt' cU«YYC>'lOLI; = zum Zwecke von guten Ankündigungen, Prophezeiungen 1. 1m 2. Jh. p. Ohr. n. sind zu nennen Aelius Aristides, II«v«~v«LX61; 174 iTt' cU«YYC>.lOLI; iaTC~G:V(,)IJ./;vOI; = wie zu Siegeebot.achaften bekränzt und der unbestimmbare Beleg Pap. Hibeh Nr. 232,7 1 • An der Schwelle zum dritten Jahrhundert finden wir Belege bei Philoetrat, Vit. ApolI. VIII 27 ol TWV cUcxyyc>.l(,)v 8p6IJ.OL = die Boten mit guter Nachricht von der Ermordung Domitians. Apollonius hatte die Ermordung im Geiste geschaut und die Kunde vom Tode des Kaisers vorausgesagt (par. in 26 IiTta:yyD.>.olJ.«LI) Vit. Sophist. I 18,1 cU«yyaL« Tijl; vtxljl; = Siegesbotschaft ; 11 5, 3 der einfache Plural rür erfreuliche Botschaft allgemein, und schließlich in De gyrnnastica 7 noch einmal cU«yyi>'LG: Tijl; vtxljl; rür Siegesbot.achaft. 1m 3. Jh. p. Ohr. n. auf einer Inschrift aus Athen vom Jahre 209/10 im Sinne von Freudenbotschaft über die Ernennung des Lucius Septimius Geta zum Augustus ' . Bei Heliodor erscheint cU«yyaL« in den Aethiopica I 14 für die Nachricht vom Tode der verhaßten Stiefmutter, X 3 für Siegesbotschaft. 1m 4. Jh. p. Ohr. n. erscheint Tci MyyaLG: wohl von eidlichen Zusicherungen im Fragment eines BtaatBanwaltlichen Urteils'. Schließlich ist eine undatierte Inschrift aus Laodicea am Lyk08 zu nennen, auf welcher Kol~ II0IJ.TtwVLOI; /II>'«xxo'LOV mit .. Orakelspruch" zu übersetzen sei, will mir nicht ganz einleuchten. Man kommt mit der üblichen Bedeutung .. Ankündigungen" oder "Prophezeiungen" auch an unserer Stelle aus. I Vgl. oben S. 181 Arun. I unter g. I !G, Ed. minor Bd. 11/111, Teil I, Berlin 1916 Nr. 1077. Zeile fr7 lauten: (5) •.. ßOUAlj auvijx~ tTtl TOLl; (6) [Myy]c>.loL.lou] (7) [l:C7tTLlJ.lou nT« Eucn:ßoüc; l:Cß«aTOÜ] .... liv«8cLX&M0'. dürfte als von M~AloL.ELG:C; iTt' ilJ.Oü 8c8[0 ]..,.tv(,)v mpl roUT(,)V iBLXIXLOÜTO XpLT[ ] ... I Die Inschrift ist ohne Datierung veröffentlicht in MDAI, athen. Abteilung, Bd.16, 1891, S.I"/145, abgedruckt IGR IV 860. Die Zeilen llff. lauten: .•• TtpcaßcUoVTIX cL; 'PWlJ.ljv uTtip Tijc; TtIXTpt8[ 0.lCEa&atL und :at'"lXELV in ParalipomenaJeremiae 5,21 (vgl. oben S. 177 Anm. 2) dazu aufruft, las didaktische Element im neute8tamentlichen Evangelium nicht zu unter· chätzen,80 auffällig bleibt es nun doch, daß 8ich keine der angeführten Stellen raditionsgeschichtlich weiter als bi8 in die (vorpa.ulinische) hellenistisch· iidische Gemeinde zurückverfolgen läßt. Es ist also größte Zurückhaltung :egenüber den Thesen Gerhardssons über ..The Origins and Transmi88ion of he G08pel Tradition" (a.a.O. S.324ff.) geboten, welcher den Ursprung der ~vangehentradition in Jesu (schulhafter) Lehrmitteilung sehen möchte (ähn· ich: H. Riesenfeld, The Gospel Tradition and its Beginnings, London 1957; lers., The Gospel Tradition and it8 Beginnings, in: Studia Evangelica = TU 73, ~erlin 1959, S.43-65; H. G. Wood, Didache, Kerygma and Euangelion, in: 'lew Testament E888YS. Studies in memory of Th. W. Manson, Manchester 959, S. 306-314). - Für die helleni8tisch.judenchristliche Gemeinde und ihr ehrhaftes Verständni8 von Evangelium ergibt sich folgendes, ganz rohes Ichema: 1. Markus 8cheint die Identität von Evangeliumsverkündigung und ..ehre anscheinend bereits ganz 8elbstverständlich vorauszusetzen: Vgl. 1,14f. nit 1,21 f. 27; 2,13; 4,1; 6,2.6 (vgl. G. Bomkamm. Enderwartung und Kirche m Matthäusevangelium, in: Überlieferung u. Auslegung im Matthäusevange. ium, WMANT I, Neukirchen' 1965, [So 13-47] S. 35 Anm. 1; John J. Vincent, >idactic Kerygma in the Synoptic Gospels, SJTh 10, 1957, [So 262-273] S. 2700". ~. Schweitzer, Die theologische Leistung des Markus, EvTh 24, 1964, [So 337:55] S. 340 und ders., Das Evangelium nach Markus, NTD I, Göttingen 1967, S. 27 l. Ö. nimmt bewußten markini8chen Sprachgebrauch an, was E. Haenchen, >er Weg Jesu, Sammlung Töpelmann 116, Berlin 1966, S.106 Anm.l be· .weifelt). - 2. Matthäus fußt auf der Identifikation von lehren und verkün· ligen, beginnt aber zwischen einem proklamatori8chen XlJPOOaELV und einem lalachischen 818ciaxELV bewußt zu differenzieren (vgl. Bomkamm, a. a. O. S. 35 ~. 1; O. Michel, Artikel: Evangelium. Sp. 1114; G. Strecker, Der Weg der klrechtigkeit, FRLANT 82, Göttingen 11966, S. 126ff.; R. Hummel, Die Aus· inandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, ~vTh 33, München 11966, S. 56ff.). 3. Paulus setzt für 8ich selbst und Reine klmeinden nach Gal. 1,9. 12; t.Kor. 15,lff. unzweifelhaft eine didaktisch·
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Der vorpalllin.isch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium
(trotz der Markusvorlage in Mk. 1,1; 1,14f.; 8,35; 10,29; 13,10 und 14,91) in seinem Evangelium einen Gebrauch des Substantives cUlXyytALOV vollkommen und gebraucht es in der Apostelgeschichte nur zweimal zur Bezeichnung der apostolischen Christuspredigt (Apg. 15,7; 20,24). Statt dessen zeigt er in Evangelium und Apostelgeschichte eine auffä.llige Vorliebe für das Verbum. Die Gründe für diesen auffä.lligen Sachverhalt können jetzt noch nicht endgültig erörtert werden I. Beim derzeitigen Stand unserer Untersuchung katechetische Vermittlung des Evangeliums voraus, übt solche selbst und dürfte sich sogar als Begründer neuer Tradition verstehen. 4. Für die Paulusschule ist das beim Apostel gegebene Lehramt bereite ebenso eingebürgert wie die Identität des Evangeliums mit der Lehrtradition (vgl. Röm.2,16; 16,20; Eph.4,11; 2.Tim.I,IOf.; 2,8. Vgl. M.Dibelius, Die Pastoral briefe, HNT 13, Tübingen '1966 ed. H. Conzelmann, S.20f. und den auch in diesem Zusammenhang wichtigen Aufsatz von Conzelmann, Paulus und die Weisheit, bes. S. 233f.). - Zwischen dem Denken der Paulusschule und dem I:)praehgebrauch, welcher bei Markus zutage tritt, besteht also eine höchst interessante Parallelität, doch haben wir darauf jetzt nicht mehr einzugehen. 1 Harnack konnte sich diesen Tatbestand theologisch noch mit der Sorgsamkeit und Geschichtetreue des Lukas erklären (Kirchenverfassung S 210f. 200. 208ff.). Dies wird heute trotz der unbestreitbar "historisch" interessierten Evangelienschreibung des Lukas nicht mehr allein angehen. Wir werden alsbald sehen, daß Lukas sich bemüht, das ihm teilweise vorgegebene Verbum cU!Xyyc>'l~C(J&IXL seiner heiIsgeschichtlichen Gesamtschau zuzuordnen. Aber das erklärt noch nicht das Fehlen des Luku im Markusstoff vorgegebenen cUcryyi).LOV 1 Folgendes sei dazu angemerkt: Es ist nicht Lukas allein, der in seinem Evangelium die absolute Redeweise von -ro CÖlXYY~>'LOV meidet. Matthäus fühlt ähnlich wie Lukas die Nötigung, den markinischen Sprachgebrauch zu korrit:a~ und Johannes meidet den Stamm CÖlXYYC>'- sogar vollkommen. Das , daß in allen drei nachmarkinischen Evangelien das Phänomen einer Korrektur des von Markus thematisch eingeführten Substantives ~ifb&r wird. Bei Johannes dürfte dies an seiner distanzierten Haltung gegenüber der Großkirche liegen (vgl. dazu E. Käsemann, J esu letzter Wille nach J oh. 17, TUbingen 1966; K. G. Kuhn, Das Problem der Mission in d. Urchristenheit, S. 167f.; G. Friedrich, ThWb 11, S. 714,25ff.); über Matthäus werden wir alsbald zu sprechen haben, bleibt im Moment also noch Lukas. Harnack (a.a.O. S.211 Anm. I) und Conzelmann (Mitte d. Zeit' S.206f.) denken mit Recht an theologische Absicht. E. Lohse versucht, solcher Absicht Kontur zu geben (Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, S. 265f.): Während sich du paulinische Evangelium auf Christologie und die Wende der Zeiten konzentriert, muß Lukas, genötigt von der fortdauemden Geschichte, jenes Bild erweitem: Das paulinische "Geschicht8verständnis, das das Maß der Zeit in Christus erfüllt. sieht, ist von Lukas in eine heilsgeschichtliche Schau aufgelöst worden·· a.a.O.). W. Marxsen, Der Evangelist Markus l , S. 95f. und U. Becker, Artikel: Evangelium, S.299f. meinen ähnlich, Lukas habe den Begriff CÖlXyytALOV = Christuspredigt um 80iner heilsgeschichtlichen Gesamtkonzeption in die Acta verweisen müssen, weil für ihn die Jesusbotschaft von der Christuspredigt abzuheben war. Das ganze Problem ist hier, wie gesagt, noch nicht ausdisku. tierbar, doch wird man die genannten Erklänmgsversucne nur abrunden können, wenn man beachtet, wie Lukas das sich in 1. Kor. 15,3 ff. erstmalig at>zeicbnende, kerygmatisch-chronologische Darbietungsschema des "Evangeliums" (Alttestamentliche Verheißlmg - Christuswerk - Apostelpredigt), ein Schema, das in Apc.l0,34ff.; 13,16ff.; Lk.24,24ff., aber auch Röm.I,lff. wiederkehrt, nicht mehr als kerygmatisches Schema behandelt. Er legt es vielmehr seinem Geschichtswerk im ganzen zugrunde und kommt deshalb zu dem bekannten Aufriß: Vorgeschichten, Christuszeit, Aposteltaten. Ist dies richtig gesehen. dann wäre das lukanische heilsgeschichtliche Darstelhmgsschema die historisierende Umkehrung der alten Evangeliumskonzeption. Es scheint mir darum
Der Gebrauch von Evangelium in der paliBtinischen Urgemeinde
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können wir nur erst folgendes sagen: Da Lk. 4, 16ff. flir die Anlage des lukanischen Geschichtswerkes eine beherrschende Rolle 8pielt, in eben diesem Text aber dae Verbum myyu.l1;ca&clL (in einem nach lukanischer VOl'8tellung von Jesue eelhet gebrauchten und Beine prophetiech-ehrietologiBche Vollmacht bestätigenden Schriftwort : J es. 61, H.) beherrschend hervortritt l, ist zu erwägen, ob der Gebrauch deseelben VerbulD8 durch J 68ue in 4,43; 8, 1; 16, 16; 20, 1 nicht gerade daraufverweieen will, daßJesue ineeinerVerkUndigung daeihm von Gott zugewiesene inepirierte, prophetieche Cbrietue-Amt wahrnimmt. In der Predigt der Boten und Apostel Jeau würde eich dieaea Amt dann forteetzen lmd vervielfachen (Lk. 9,6; Apg. 5,42; 8,4.12.25.35.40; 11,20; 13,32; 14,7. 15.21; 15,(7).35; 16,10; 17,18; (20,24); 21,8). ER wAre dies alles nur der lukanischen Formulierung des Stünnerepruch68 (Lk. 16,16) gemäß: '0 Y61l0~ XOtl ol 7tPOcpijTCU Jdxpt 'ICillXwou· li7to T6TE -Ij ~lXatAdlX TOÜ &COÜ CÜIXYYEAl~c -: IX t xxl 7t1i~ c~ !XUT7jY ~14~ETlXt I. Sehen wir richtig, 80 erwei8t eich damit dae Verbum myyc).l1;ca&clt ale ein von Lukae durcbaue reflektiert übernommener Begriff: Er verhilft dem Evangeli8ten (zusammen mit anderen Begriffen) dazu, Beine heilsgeaehichtliehe Syetematik zum Auedruok zu bringen', und ist damit in Beinern de8 Nachdenkene wert, ob Lukae nicht vor allem um dieser Umkehrung willen den term. techno myyiALOY aue eeinem Evangelium ganz herau8ließ und in der Apostelgeechichte nur beiläufig behandelt bat. 1 ER i8t wabrecheinlich, daß Lukae 8elhet die Szene von 4, 16ff. ale Eineetzung Jeeu in die Chri8tue-Würde betrachtet hat: Vgl. W. C. van Unnik, J68U8 the Christ, NTSt 8, 1962, S. 101-116; Hahn, Hoheitetitel S.394ff. AhnIich bat Matt häue die prophetieche Tradi tion von Mt. 11, 2ff. Beiner Christoe-Cbrietologie unter- und einordnen können: Hahn, 8.a.0. S.220. I Es i8t länget erkannt, dae die lukani8Che F888ung des StürInerepruchoe von Lukae eelbet programmatisch gegenüber der alten Matthäue-F888ung (Mt. 11, 12f,) abgeändert wurde, daß al80 dae cUIXYYCAl~ca&iXt lukani8Cher Terminus illt: Vgl. GI'. Gi~et, Ev~e~um, S. 134; Kl08termann l u!ld Grund~ z. St.; Conzelmann, Mltte d. Zelt, S. 33. 103 Anm. 2 und P.888lm; E. Graeeer, Parueieverzägerungl S. 213. Setzt Lukae in den für ihn helleg680hichtlich entscheidenden Spruch Belbst dae Verbum ein, dann i8t dies ein Fingerzeig dafür, daß jenes Verbum der lukanischen Syetematik (weitgehend) integriert werden darf. Vgl. zur Sache auch W. Marxeen, Evg. Markus l S.96. • Die Korrespondenz von Botschaft Jeeu und deseen Sendboten war Lukae durch Q vor~ben: Vgl. die Q.F888ung der eynoptiechen AU88CndU;!lgsrede Lk.1O,9f. mit Mk.l,I4f.; Mt.4,17; 11,2ff. par. Lk.7,18ff. Matthaus bat diese Korreepondenz noch dadurch erweitert, daß die Jünger dieselben Taten zu tun aU8geeandt werden, die Jcsus selbet vollbringt: Vgl. nur Mt. 9,35; 11,2ff. mit 10,lff. 7ff.; doch j1;680hieht dies bei ihm nicht unreflektiert. Die Korrespondenz war auch von der helleni8tiechen Missionegemeinde übernommen worden (vgl. Mk. 16, 17f.), wirkt noch bei Paulue nach (1. Kor. 2,4f.; 2.Kor. 12,12) und dürfte vielleicht auch hinter den Legenden der AP08telgeschichte 8tehen (z. B. Apg. 28,6). Johannea kann die alte Korreepondenz 8Og&r zuguneten d08 Werkee der Jünger verechieben (Joh. 14, 12f.). Diee zeigt klar die Gefahr, welche hier drohte. Sie beetand in einern enthueiaetiechen MißvPl'lltändni8 der den Predigern dcs EvangeliUlD8 verliehenen gei8t1ichen Vollmacht. Gellfln dieees enthueiastiRche Fehlv6l'8tändnie setzt sich Matthäus energisch zur Wehr (vgl. Mt. 7,21ff.) und hat deeha1b die Befähigung zu wunderhaften Werken in Beinen Aufertltehunga- und Sendungsbericht (Mt. 28,16ff.) nioht (mehr) aufgenommen. - Vgl. zur Geeamtproblematik: H. E. Tödt, Der Menecheneohn in der eynoptiechen Überlieferung, Gütel'8loh I 1963, S. 227. 248f.; G. Bornkamm, Art. Synopt. Evangelien. Sp.759f.; Käeemann, UrchristI. Apokalyptik, S. 115f.; Hahn, Mission S. 34f. 105f. und Beinen Auf88tz:
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Geschichtswerk weit mehr als eine nur ehrwürdige sohriftgemäße Ausdrucksweisel.
HaJten wir also fest: Im luka.nischen Gebrauch des Verbums haben wir einen traditionsgeschichtlichen Reflex alter, judenchristlicher Redeweise von e:uClile:).(~O!LCl~ = '117:1 = "botschaften" vor uns. Die aJte Ausdrucksweise ist in Lk. 1, 19 und 7,22 direkt nachzuweisen; 2,10 und 4,18 zeigen, wie sie von der vorlukanischen Missionsgemeinde aus der pa.lästinischen Überlieferung übernommen wird; für 3,18 können wir sie vermuten', und wo Lukas selbst formuliert (4,43; 8, 1; 9,6; 16, 16 und 20, 1 sowie weithin inder Apostelgeschichte&), fußt er auf diesem alten, ihm überkommenen Sprachgebrauch. Wenn uns somit da.s lukanische Materia.l nur indirekte Rückschlüsse auf den palö,stinischen Gebrauch von Eva.ngelium erlaubt, ist nunmehr zu prüfen, ob uns nicht die Markus-Belege, besonders Mk. 1, 14f., weiterführen.
5. Mk. 1,14/. Von den insgesamt sieben Belegstellen, welche die Markus-Tradition heute für unseren Wortstamm aufweist (= Mk. 1,1; 1,14.15; 8,35; 10,29; 14,9 [und 16,15 = unechter Markusschluß]), bieten fünf Stellen einen absoluten Gebrauch von -ro e:uClile).~o", welcher a.n da.s terminologische TO e:uClile).~o" in den Paulusbriefen erinnert: Mk. 1, 15; 8,35; 10,29; 14,9 (und 16,15). Nur an zwei Stellen wird e:uClile).~o" Die Nachfolge Jesu in vorösterlicher Zeit, in: Die Anfänge der Kirche im Neuen Testament, Ev. Forum 8, Göttingen 1967, (S. 7-36) S. 31f.; R. Hummel, Kirche und Judentum im Matthäusevangelium l S. 124 usw. Wenn Lukas die Reichspredigt J esu und seiner Sendboten parallelisiert, verwendet er also eine bereits geläufige Konzeption, die er unbeschadet seiner heilsgeschichtlich-periodischen Geschichtsschau als Element der Kontinuität übernimmt. 1 Vgl. dazu Haenchen, Apostelgeschichte' S. 64ft". und Conze1mann, Apostelgeschichte, S. 3f. t Klostermann z. St. und Grundmann S.52f. 105f. schließen auf Grund des 3,18 vom Evangelisten selbst für die Täuferpredigt eingesetzten EuaYYEA(~Ea ~at, daß für Lukas auch der Täufer der von Jesus begründeten Reichspredigt zugerechnet werde. Gegen diese Schlußfolgerung hat Conze1mann, Mitte d_ Zeit 3 , S. 17 Anm. 1 mit Recht eingewandt, daß sie der lukanisch,en heilageschichtlichen Gliederung insgeaamt ebenso widerspreche wie den Unterschied übersehe, den Lukas durch die dem ruIXYYEA(~Ea~at zugeordneten Objekte markiert: Jesus und die Seinen verkündigen die ßaatAE!a (bzw. den Christus und die ßaatAE!a). Vom Täufer heißt es nur erst allgemein, daß er "gepredigt" habe. Vgl. zu 3,18 auch S. 229 Anm. 4. a Auch in den Acta muß man zwischen lukanischer und vorlukanischer Formulierung unterscl.eiden. Selbst bei einer äußerst kritischen Beurteilung der Quellenlage dürften m. E. Apg. 8,35; 10,36 und 11,20 an vorlukanisches Überliefcrungsgut gl'bunden sein. 5,42; 8,12.25.40; 13,32; 14,7. 15.21; 15,35; 16, 10 und 17, 18 wären dann Zeugnisse lukanischer Ausdrucksweise. - V gl. zum Problem: Hahn, Mission, S. 50 Anm. 4 und Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift), S. 180, Anm.41.
Der Gebrauch von Evangelium in der palÖ8tinischen Urgemeinde usw.
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näher bestimmt. 1, 1 ist die Rede vom &U(l'Y'YtA~OV • bjGOÜ XP~(Tt"OÜ und 1,14 vom &U(l'Y'Y&A~OV 'toü &&oü. Belege für das Verbum &U(l'Y'Y&A(~&G&(l~ = predigen finden sich bei Markus nicht, dafür findet sich häufig das uns schon als Äquivalent vertraute X1jpUGG&~Vl. Das Urteil der Exegeten über den markinischen Gebrauch von &U(l'Y'Y&A~OV ist besonders in der Gegenwart erstalUllich einhellig: Das Substantiv geht an allen Stellen, die zum ursprünglichen Bestand des Markusevangeliums gehören I, auf den Evangelisten selbst zurüok. Infolgedessen ist es möglich, die genannten markinischen Belege in bevorzugtem Maße zum Entwurf einer Theologie des Evangelisten heranzuziehen 3. Dieser geschlossenen Auffassung ist kürzlich vor allem F. Hahn entgegengetreten und hat energisch dazu aufgefordert, schä.rfer als bisher zwischen markinischer Tradition und Sprachgebrauch des Evangelisten zu unterscheiden'. Weil Hahn dies selbst nicht ausdrücklich betont, verdient es hervorgehoben zu werden, daß damit nur an Bedenken angeknüpft wird, die sich schon seit Beginn unseres Jahrhunderts an jene einhellige Erklä.rung aller Markusstellen geknüpft haben. Diese Bedenken sind vor allem im Rahmen der Auslegung von Mk. 1,14f. geä.ußert worden 6. Da, wie wir noch genauer zu entfalten 1 Daß bei der Verwendung dieses Verbums ein bewußter Sprachgebrauch des Evangelisten vorliegt und daß die Tendenz dieses Sprachgebrauches die der hellenistischen Missionsgemeinde ist, hat E. Schweizer betont: Die theologische Leistung des Markus, S. 338. Vgl. auch oben S. 230 Anm. 5 unter a. 1 Der unechte Markusschluß, Mk. 16,9ff., bleibt meistens außer acht und gehört dem Markusevangelium auch nicht ursprünglich an. Daß er für uns wertvolle Tradition birgt, ist noch zu zeigen. 3 Zu nennen sind für die Gegenwart vor allem: W. Marxsen, Der Evangelist Markus l S. 77ff.; G. Bornkamm, Art. Synopt. Evangelien, RGGI II Sp. 760; Klostermann, Markusevangelium '1950, S. 3f.; V. Taylor, Tbe Gospel according to St. Mark 2 , S. 152. 166.382 usw.; E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, S. 14f. 23 usw.; W. Schneemelcher, Neute~tamentliche Apokryphen P, S. 42f.; E. L. Keck, Tbe Introduction to Mark's Gospel, NTSt 12, 1965/66, S. 352-370, bes. 357ff. 365f. Aus der älteren Literatur zunächst und vor allem J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus 10 , S. 44 und passim; G. Friedrich, Tb Wb II S. 724, 28ff.; A. Schlatter, Markus. Der Evangelist für die Griechen. passim; J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, Berlin 11909 passim und ders .• Einleitung in die ersten drei Evangelien ll , S.98ff. , Mission, S. 60f. 59f. lOH. Hahn hält 1,1 und 14,9 für markinisch und alle anderen Stellen für traditionell. Zu 1,lM. heißt es (S. 61): " ... bei der die Verkündigung Jesu zusammenfassenden Formulierung Mk.1,14, wo vom clayytAtov TOÜ .&EOÜ gesprochen wird, liegt ... keine markinische Bildung vor, selbst bei der wohl nachträglichen Erweiterung xat mauVEn tv Ti;) claYYEA(,!> in Mk. 1,15 ist dies nicht sicher." Inzwischen scheint Hahn seine Sicht über Mk. 1,15 geändert zu haben: "Die Schlußwendung von Mk. 1.15: ' ... und glaubet an das Evangelium' geht in der vorliegenden Form mit dem absoluten Begriff 'das Evangelium' und der Forderung, an dieses Evangelium zu 'glauben', auf die Verkündigungssprache der Urgemeinde zurück" (Nachfolge Jesu, S. 22 Anm.28). • Vgl. vor allem Harnack, Kirchenverfassung S. 201 ff.; M. Burrows, Origin of the Term Gospel, S.23-27; Gr. Gillet, Evangelium, S. 118ff.; Lohmeyer, Markus l1 , S.29-31 usw.
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haben, sowohl die Rede vom EUOC~LOV TOÜ XPLGTOÜ und -ro EUOCneALOV = Christusbotschaft in die jüdisch-hellenistische Gemeinde gehören, ist über die Hauptmasse der markinischen Belege erst später zu befinden. Nur Mk. 1,14f. ist um seines altertümlichen Eindrucks willen schon jetzt unter traditionsgeschiohtlichem Aspekt näher zu bedenken. Daß wir in beiden Versen ein markinisches Summarium vor uns haben, ist seit langem erkannt 1• Fraglich ist nur, woher Markus der Stoff für dieses Summarium zugeflossen ist. Es ist ja besonders auffällig, daß in V. 14 und 15 in unterschiedlicher Weise vom Evangelium geredet wird. Die unterschiedliche Redeweise vom EUOCnULOV TOÜ &eoij einerseits und TO EUOC~LOV andererseits muß jedoch nicht von vornherein auf verschiedene Traditionsstufen deuten! Sie war uns schon als Charakteristikum der pauIinischen Begriffssprache aufgefallen. Der Apostel gebraucht die Ausdrücke: EUOCneALov TOÜ .&Eoü, wocyyeALov TO;:; XPLaTOÜ und absolutes TO EUlXneALov in ein- lUld demselben Zusammenhang, und wenn Markus das Evangelium in Parallele zu absolut gebrauchtem (, Myot; verwendet (vgl. die genannten Belege mit 2,2; 4,33 und 8,32), so findet sich derselbe parallele Sprachgebrauoh beim Apostel wieder (vgl. nur 1. Thess. 1,6; 2,13 usw.). Das aber bedeutet für uns folgendes: Ehe wir in Mk. 1, 14 f. traditionsgeschichtliche Schichtungen voneinander abzuheben versuchen, ist zu fragen, ob die Doppelung von -ro EUOCneALov und WOCnULOV TOÜ &EOÜ in unserem markinischen Summarium nicht einfach auf geläufige, hellenistisch( -jüdische) ohristliohe Missionssprache hinweist und zurückzuführen ist. Diese Missionssprache war ja keineswegs auf Paulus und seine Schüler beschränkt, so daß auch die unpauIinisohe WendlUlg 7tLaTEUELV ev Ti;) EUlXnEAL6l Mk. 1,15 nicht von solcher Annahme abzuhalten braucht I. Es hat also den Anschein, als gebrauche der Evangelist in seinem Summarium Kategorien der ihm geläufigen, hellenistischen Missionssprache. Diesen Kategorien sind auch die beiden Ausdrücke EUOCneALOV TOÜ &EOÜ und -ro EUOCneALov zuzurechnen. Es ist jedoch nicht ratsam, 1 Vgl. nur Schniewind, Lohmeyer, Klostermann, Grundmann, Haenchen und E. Schweizer z. St. Ferner H. Conzelmann, Die formgeechichtliche Methode, SThU 29, 1959, (S.54-62) S.55ft'. Die Frage nach der Zugehörigkeit von 1,14f. (zu V. 1-13) ist eben erst von Keck, The Introduction to St. Mark's Gospel, S. 352ft'. energisch zur Diskussion gestellt worden. I Das Verdienst, die These eines Paulinismus des Markusevangeliums zu· gunsten einer traditionsgeschichtlich breiteren Auffassung erweitert und zu· gleich abgebaut zu haben, ist vor allem M. Werner (Der Einfluß paulinischer Theologie im Markusevangelium, BZNW 1, Gießen 1923) zuzuerkennen. Zum Begriff Evangelium bei Markus vgl. S. 98ft'. Daß ltLaTEUtLV Iv 'lWL unpaulinischer Sprachgebrauch ist, hat schon Harnack, Kirchenverfassung S. 202 Anm. 1 hervorgehoben.
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die traditionsgeschichtliche Frage mit solcher Feststellung schon abzubrechen. Wir werden alsbald näher auszuführen haben, daß in vorpaulinischer und paulinischer Zeit das Stichwort eUCl'YY~ALOV 'rOÜ 3-eoü u. a. an der monotheistischen Missionspredigt gehaftet hat, und zwar der Missionspredigt, welche das junge Missionschristentum bis in die Topoi der Darbietung hinein von der hellenistischen Synagoge übernehmen konnte und übernommen hat. Es ist jedoch ganz deutlich, daß Mk. 1, 14f. mit solcher hellenistischen "Predigt von Gott" 1 nicht zu vergleichen ist. In Mk. 1, 14f. ist die Rede von der Erfüllung der Zeiten, von der nahenden Basileia, von Buße und Glaube und dies alles als Kennzeichen der Predigt Jesu. C. H. Dodd hat gemeint, in 'lmserem Summarium werde der eschatologische Rahmen für das alte Jemsalemer Kerygma von 1. Kor. 15,3ft'. sichtbar!. Das ist möglich, schließt aber nicht aus, daß jene Paradosis von 1. Kor. 15 auch in ganz anderem Rahmen proklamiert werden konnte, und hilft W18 im Augenblick traditionsgeschichtlich nicht weiter. Für jene Divergenz der Aussagerichtung zwischen dem monotheistischen Evangelium dort und der Reichspredigt hier weiß ich nur eine Erklä.rung: Markus hat hellenistische Missionsausdrücke mit Aussagen verbunden, die palä.stinischen Ursprungs sind 3 • Daß er bei dieser Verschmelzung von 1 Zum Verständnis der mit cUl1yytAtO" verbundenen Genitive ist folgendes zu sagen: Die (wenigen!) hebräischen (vgl. oben S. 116 Anm.3, 125 Anm. 5) und hellenistischen (oben S. 187) Genitivbildungen sind, ob diese Genitive nun persönlicher oder sächlicher Natur sind, sämtlich Objekts· genitive. Sprachlich bedeutet dies, daß man in neutestamentlichen Genitiv· verbindungen mit &Ul1yytAtO" ebenfalls zunächst Objektsgenitive zu sehen hat. Nun hat bereits Friedrich, ThWb 11 S.728,26ft'., die bisherige DiskU88ion zusammenf888end, gezeigt, daß mit dieser rein sprachlichen Argumentation für die neutestamentlichen Genitivverbindungen mit &Ul1yytAtO" nicht allein auszukommen ist: In je engerem Zusammenhang das neutestamentliche Evan· gelium mit der prophetischen Wortverkündigtmg gesehen und je mehr auf die Präsenz des erhöhten Christus im Geist reBektiert wird, desto eindeutiger sind die Genitive TOÜ ~&OÜ und TOÜ XptaTOü als Gen. subj. zu bestimmen. Dies läßt sich sehr schön an 1. Thess. 2,2ft'. 13ft'. ablesen. Daß aber auch TOÜ XptaToü ursprünglich als Gen. obj. empfunden wurde, zeigt bei Paulus noch Röm. 1,1 ft'., zeigt für TOÜ ~&OÜ m. E. 1. Thess. l,9f. vgl. mit 2,2. Auch die matthäische Verbindung cUl1yytAtO" T'ij. &UrxYY&ALOV 'tijt; ßrx(1LAdrxt; meint 1 Vgl. G. Bornka.nun. Enderwartung lind Kirche im l\Ia.tthäusevangelium, S. 35 Anm. 1. I Vgl. Strecker, Weg der Gerechtigkeit 2 , S. 128f. und Burrows, 80.80.0. S. 29. a Vgl. Matthäus', S.36f. 124f. , Vgl. oben S. 233 Anm. 3. I W. Ma.rxsen, Evangelist Mark\18 2 , S.92ft'. und nach ihm G. Bornka.mm, Art. Synopt. Evangelien, RGG3 II Sp. 760. Dagegen a.uch Strecker, Weg der GerL'Chtigkeit 2, S. 129 Anm. 2.
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für Matthäus die Lehre Jesu insgesamt, wie sie sich u_ a. in der Bergpredigt, der eschatologischen Rede, aber auch in den Gleichni88eD niedergeschlagen hat. Gegen die genannte Identifikation spricht ferner, daß Matthäus, über Q hinausgehend und seinem Verständnis des Stürmerspruches (11, 12f.) entsprechend, auch die Predigt des Täufers jenem ~YYLxev ~ ~otaL).ctot TWV OUpotVWV ein- und unterordnen kann (vgl. 3,1 f.), welches für ihn das EUoe~LOV 'rijt; ~oeaw(ott; summarisch umschreibt. Es ist also wenigstens zu fragen, ob nach matthäischem Verständnis nicht auch die Predigt des (von Je8U8 nach 11,12f. legitimierten) Täufers zu illustrieren vermag, welches das wahre EÜ~ ).LOV 'rijt; ~oeaW(ott; ist. Daß wir uns schon im Rahmen recht weit fortgeschrittener christlicher Traditionsbildung befinden, also bei dem matthäischen Sprachgebrauch von Euoeyye).Lov nicht mehr direkt mit alter Überlieferung zu rechnen haben, zeigt schließlich Mt. 26,13. Wiederum liegt eine "Identifikation" gegenüber Markus vor. Mk. 14,9 setzt zwar, wie noch genauer zu zeigen sein wird, voraus, daß zum Evangelium bereits geschichtliche Erzählungstradition hinzugehört, doch läßt Markus wiederum offen, inwieweit das Evangelium an solche Erzählungstradition gebunden und nur im Zusammenhang mit ihr als authentisch betrachtet werden kann. Um solche Authentie aber geht es Matthäus! Auch er denkt, wie 26, 13 eindeutig zeigt, an weltweite (also missionarische) Ausrichtung des Evangeliums, möchte dieses Evangelium aber, wie das demonstrative Toiho lehrt, an die authentische Tradition der Lehre und Geschichte Jesu binden. Unsere Stelle beweist aufs schönste, daß Matthäus den absoluten, missionstechnischen Gebrauch von -ro EUoe~LOV kennt, ihn aber bewußt umformt und seiner theologischen Intention einfügt. -ro EÜ~LOV TMO kann in unserem Zusammenhang nur heißen "eben diese Botschaft" und also die (matthäische) Passionsgeschichte bezeichnen 1. Da Matthäus EÜcxyyi).LOV und sein Evangelium insgesamt nioht identifiziert, vielmehr in seinem Evangelium über das EÜoeyyßLOV 'rijt; (3oeaL).E(oct;, das der Täufer, das vor allem aber Jesus selbst verkündigt hat und das die Jünger weiterhin verkündigen sollen, geschiohtlich referiert, ist EÜoe~Lov (TMO) an unserer Stelle nicht mit dem Matthäusevangelium in eins zu setzeni. 1 So z.B. G. Strecker, Weg der GerechtigkeitS, S. 129; E. Haenchlm, I)Qr Weg Jeeu, S.467; E. MoUand, Pau1iniachc8 Euangelion, S.34; U. Beckcr. Artikel Evangelium, S. 299 u. a. S So Michel, Artikel Evangelium, Sp. 1114; M. Dibelius, Fonngeechichte ' S. 264 Anm. 1; AstiDg, Verkündigung d. Wortes, S. 322 f.; Schniewind, Matthäus', S.241 usw.
Der Gebrauch von Evangelium in der palÖBtinischen Urgemeinde usw.
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Für lUlS genügt es im Augenblick festzustellen, 1. daß Matthäus eine auf der hellenistischen Missionssprache fußende und von ihr sich kritisch abgrenzende Redeweise von Evangelium aufweist, und 2. daß der altertümlich wirkende Ausdruck e:u(XYYeA~OV 'rij~ ß(xO"LAe;(X~ matthäische Bildung ist, sprachlich aber an alte jüdische und judenchristliche Ausdrucksweise anschließt. Also kann dieser Ausdruck nur eine nachträgliche Überschrift und Zusammenfassung dessen sein, was das partikularistische Judenchristentum Palästinas (und vielleicht J esus selbst) unter Evangelium verstanden haben. 7. Zusammenja88'Ung
Damit können wir unsere Überlegungen zum Gebrauoh von e:u(Xyye:und &u(XyyeA~ov bei Jesus und in der alten, palästinischen Gemeinde zusammenfassen: In Apc.14,6; 10,7; Mt. 11,2-6 par. Lk. 7,18-23 läßt sich eine früh judenchristliche Verwendung von &u(XyyeA~ov, &U(Xyye:A(~W/&U(Xyye:A(~0!L(X~ nachweisen, nach welcher "Evangelium" die Botschaft vom Kommen Gottes zu Gericht und Heil bedeutet. Damit wird nachweislich jüdische Denk- und Sprechweise übernommen. Der Horizont, in welohem diese alte, nur gelegentlich gebrauchte, christologisch noch kaum reflektierte Evangeliumsterminologie steht, ist streng apokalyptisch strukturiert. Die Botschaft selbst stellt, wie das alttestamentliche und apokalyptisch-jüdische Prophetenwort auoh, eine verborgene Offenbarung dar, die sioh erst dem erschließt, der sich ihr im Glauben ergibt. Als Sprecher der Botschaft ersoheinen sowohl Engel wie vor allem (urohristliohe) Propheten, die im Namen des erhöhten Christus sprechen. Dies und die Tatsache, daß solcher Gebrauch des Stammes &U(Xyye:A- noch nicht thematisch in den Zusammenhang der Heidenmission gestellt, vielmehr nur der Mission Israels durch Christen zugeordnet wird (während gleichzeitig Bekehrung und Verurteilung der Heiden Gott selbst überlassen bleiben), berechtigt dazu, die genannte Redeweise traditionsgeschichtlich der Logienquelle und den prophetisch geleiteten, alten palästinischen Gemeinden zuzuweisen. Reflexe jener alten Ausdrucksweise haben sich in Lk. 4,16-30, in der bei Lukas immer wiederkehrenden Wendung w(Xyye:A(~e:O"&(X~ -rljv ß(XO"w(av -roü &e:oü, sowie in dem markinischen Summarium Mk. 1,14f. erhalten. Ob sich Jesus selbst einer entsprechenden Ausdrucksweise bedient hat, ist historisch nicht mehr sicher nachzuweisen, wenn auch Gewißheit darüber besteht, daß die urchristlichen Propheten sich in ihrer vollmächtigen und proleptischen Ansage der Königsherrschaft Gottes mit Recht auf Jesu Botschaft und Verhalten berufen konnten. Wenn
AL~e:O"&(X~
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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium
Jesus die Wurzel ~Wl bzw. den Stamm EViX'Y"!'E:A- überhaupt zur Bezeichnung seiner Reichsbotschaft verwendet hat, so nur in Kontinuität zu der alten, unterminologischen, jüdischen Ausdrucksweise. Direktes Vorbild für die universale Missionsterminologie der hellenistisch-jüdischen Gemeinde dürfte demnach Jesu Sprachgebrauch nicht gewesen sein, und es muß offenbleiben, inwieweit die palästinischen Gemeinden an Jesu eigenem Wortgebrauch angeknüpft haben. Die urchristliche Evangeliumsterminologie ist also, soweit es uns unsere Quellen erkennen lassen, im wesentlichen eine Bildung der Gemeinde, bei welcher Sache und Person Jesu homologisch zur Entscheidung standen_ Wer sich mit größerem Recht auf Jesu Botschaft und Heilswerk berufen kann und konnte, die Partikularisten Palästinas oder die Universalisten Antiochiens, ist jetzt nicht zu entscheiden. Es mag und muß der Hinweis genügen, daß sich formal beide Parteien durchaus auf Jesus berufen konnten: Die Partikularisten auf Jesu begrenztes Wirken in Israel, die Universalisten auf seine universale Botschaft vom nahen und femen Gott. Als ein die alte Anschauung vom Evangelium zusammenfassendes Stichwort prägt Matthäus auf Grund von sprachgeschichtlich alter Überlieferung den Ausdruck EViX'Y"!'eALov Tljr. 15,3-8 in aller Form als "a seriea of Bimanim" = Reihe Btichwortartigcr AnBpielungen
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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium
1. Kor. 15,3ff. für ein traditionsgeschichtliches Verständnis von Evangelium auszusagen vermag. Es ist dies, wenn ich recht sehe, ein dreifacher Tatbestand. Zunächst wird im Rahmen der durch das urchristliche Schrifttum abgesteckten Möglichkeiten nunmehr ganz deutlich, daß der Stamm EUClYYEA- nicht nur mit der aktuellen, missionarischen Proklamation verbunden war und zusammengesehen werden darf, sondern daß er auch zu haften scheint an der jene ersten Proklamationen vertiefenden und einprägenden, katechetischen Didache. Unter diesem Aspekt wird auch der markinische Verweis auf ein die Passionsgeschichte oder Elemente aus ihr enthaltendes "Evangelium" in Mk. 14, {} unschwer erklärbar lmd zudem verstehbar, wie Mt. 26, 13 den ihm vorgegebenen Hinweis von Mk. 14,9 vollends ganz auf die von ihm dargebotenen Passionserzählungen einschränken konnte. auf Aussagen der Tradition nach rabbinischem Vorbild (vgl. 8.a.0. S.1430". 163ff.) verstehen: "each individual part is a short, heading-like designation for some passage of the tradition ahout Christ." Dies ist natürlich Konstruktion, signalisiert aber denselben Tatbestand, den auch wir ins Auge fassen. In unserem Zusammenhang auffällig ist, daß Paulus, wo er auf Jesus-Tradition anspielt, entweder direkt von der Traditionsvermittlung spricht (1. Kor. 11,23; 1. Thcss. 4,16) oder durch Formen von d3tvctL u. ä. Ausdrücke auf ein in der Gemeinde vorauszusetzendes Wisscn anspielt (I.Kor. 9,13; I.Kor. 7,10f. vgl. mit den allerdings möglicherweise redaktionellen Stellen: 1. Kor. 7, 17 b und 4, 17); vgl. dazu C. H. Dodd, The Primitive Catechism and the Sayings of Jesus, in: New Testament E88&Ys. Studies in memory of Tb. W. Manson, Manchester 1959, S. 106-118, bes. 108. Die sich damit konkret abzeichnende Möglichkeit, daß Paulus in seinen Gemeinden auf einen breiteren AU88chnitt der heutigen Evangelientradition rekurrieren kann. als die wenigen direkten Zitate in den Paulinen ahnen lassen, widerrät dem Versuch von W. Schmithals, Paulus und der historische Jesus, Z~"W 53, 1962, S. 14~160, (vgl. schon Paulus und Jakobus, S.24f. 97f.), der auch von E. Haenchen, Die frühe Christologie, ZThK 63, 1966, S. 145-159 aufgegriffen wird, die Evangelien und ihre Tradition als gleichsam "apokryphe Literatur" gegenüber den Briefen zu betrachten. Solches Urteil ist deshalb unzureichend, weil es nicht genügend mit der Möglichkeit rechnet, daß die katechetische Unterweisung des hellenistischen Misaionschristentwna TraditioD88toO"e tradierte, welche in der neutestamentlichen Briefliteratur nur noch stellenweise zutage treten. Sollte 1. Kor. 15,3-8 ein katechetisches Summarium sein, wäre jenes Urteil sogar falsch. Man körmw dann auch nicht mehr mit S. Schulz, Die Stunde der Botschaft, Hamburg 1967, S.37 feststellen: "Daa vorpaulinische, hel1enistisch-judenchristliche wie -heidenchristliche Kerygma der syrischen Sphäre einschließlich des PaulU8 hat ... Jesustradition weder gekannt noch kerygmatisiert." Die ganze Frage bedürfte dringend einer neuen umf888Cnden Unwrsuchung. Diese müßte neben der positiven Verbindungslinie zwischen Paulus und der Evangelientradition auch den auffälligen negativen Tatbestand bedenken, daß, wie es E. L. Allen formuliert hat, daa überlieferungamatE'rial von 1. Kor. 15.3ff., welches in dip heutigen Evangelien so gut wie keine Aufnahme mehr gefunden hat, als "lost kerygma" gelten muß (v~1. Allens Aufsatz: The Lost Kerygma, NTSt 3.1956/57, S. 349-353 und zum Problem im ganzen auch die schöne Studie von U. Wilckens. Jeausüberlieferung und Christuskerygma - Zwei Wege urchristlicher über· lieferungsgeschichte, ThViat 10, 1965/66, S.310-339).
l>,oYWI/ Lk. 1,4) ausgewiesen (vgl. dazu Wilckens, Missionsredeni, S. 68f. und G. Klein, Lukas 1,1-4 als thE'Olo· gisches Programm. in: Zeit u. Geschichte, Dankesgabe an R. BuItrnann, Tübingen 1964, S. 193-216, bes. S. 213f.). Beachtet man diese Zusammenhänge, dann wird man nicht mehr mit der von M. Dibelius (Formgeschichte', S. S--34, bes. S. 16ft'.; ders., Die Bekehrung des Comelius, in: Aufsätze zur Apostel· geschichte, FRLANT 60, Göttingen 11953, [So 9~107] S.97f. und dazu Wilckens, Missionsreden I, S. 13ft'.) und C. H. Dodd (Tbe Apostolic Preaching and its Developments, New York 1962, S. 7-35, bee. S. 10ft'. und dazu kritisch Wilckens, Misaionsreden ' , S. 13ft'. sowie C. F. Evans, Tbe Kerygma, JThSt 7, 1956, S. 26-41) an den Tag gelegten Sicherheit urteilen, hier liege ein oder sogar das eine, entscheidende urchristliche Predigtschema vor. Man wird auch nicht mit U. Wilckens, a.a.O. S.69 leugnen dürfen, daß Apg. 10,34ff. Dach einem schon vor Lukas geläufigen Darbietungsschema aufgebaut ist. Man wird vielmehr feststellen mÜ88en, daß die von Lukas selbst zusammenf888end kon· zipierte Rede demonstriert, wie sich aus dem in 1.Kor. 16,3ft'. erstmalig in Erscheinung tretenden katechetischen und heilsgeschichtlich.chronologischen Darbietungsschema schließlich die Evangelienschreibung entwickelt haben könnte, eine Evangelienschreibung, auf welche die lukanische Petrusrede freilich schon zurückblickt! (Zu traditionellen Elementen in Apg. 10,34 ft'. vgl. die folgende Anmerkung). Sind diese Zusammenhänge richtig gesehen, so führt der von uns skizzierte Überlieferungaweg zu der Möglichkeit, die Evangelienschreibung der Urchristenheit aus kaUcheti.8ehen Wurzeln heraus, also als ekklesiologisch motiviertes Phänomen zu erklären: In einer bestimmten Phase ihrer Geschichte und Predigt bedurfte die Kirche einer geschichtlich. christologischen Identifikation ihrer Verkündigung und Lehre.
Der Gebrauch von Evangelium in der hellenist.-judenchrist1_ Gemeinde
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Es ist ebenfaJIs entscheidend, sich schon jetzt vor Augen zu führen, daß die mit einem Eva.ngelium vom/des Messia.s gegebene christologische Denkweise durchaus a.npa.ssungsfähig und strukturell nicht festgelegt war: In 1. Kor_ 15,3-7 ist von einer Präexistenzchristologie noch eben80wenig die Rede wie in Apg. 10,341[1. Bei Paulus selbst und in seinem Evangelium ist der Präexistenzgeda.nke eindeutig vorauszusetzen, aber schon in dem unter d88 Leitmotiv und Stichwort EUCXrrtA~oV gestellten Markusevangelium tritt er wieder nicht mehr eindeutig in Erscheinung. Im Rahmen der urchristlichen Messianologie waren offensichtlich verschiedene christologische Denkstrukturen vereinbar und kombinierbar. Eben dieser Sachverhalt tritt uns nun vom Stamm EUCXrfEA- her, welcher der Christos-Christologie eng verbunden war, entgegen und widerrät dem Versuch E. Molla.nds, das (paulinische) Eva.ngelium fest a.n eine dem späteren Apostolikum im ganzen I Zum wahrscheinlich bereits vorlukanischen Aufbauschema dieser Rede vgl. die vorige Anmerkung. Daß Lukas inhaltlich in Apg. 10, 34ff sehr selbständig formuliert, möchte ich keineswegs bestreiten (vgl. den lehrreichen Vergleich zwischenApg. 10,34ff. und I.Kor. 15,3ff. bei Wilckens, Millsionsreden l S. 73ff.). Dennoch bleibt darauf hinzuweisen, daß sich auch inhaltliche Berührungspunkte mit alter Tradition ergeben. Nur der Verweis auf eine 1. Kor. 15,3ff. nahestehende Überlieferung vermag m. E. befriedigend zu erklären, weshalb Lukas innerhalb der Acta-Reden nur Apg. 10,36 den Christustitel gebraucht; nur in 10,40 von der Auferweckung am dritten Tage spricht; statt des sonst in den Reden üblichen abschließenden Heilsrufes eine an das xIXTIi: Tilc; YPIXCPtiC; der alten Parad08is erinnernde summarische These über den Schriftbeweis vorträgt (V. 43); schließlich, wie Wilekens selber schreibt, seine ganze Rede als Summarium eines für die innerehrist1iche Verkündigung maßgebenden Evangeliums konzipiert (a.a.O. S.70 und ders., Kerygma und Evangelium bei Lukas, S. 236), und dies in einor Weise, die nicht einfach eine Zusammenf888UIlg seines eigenen Evangeliums darst.ellt (vgl. die S. 277 Anm. 2 zitierten Hinweiso E. Hacnchens, Apgi. S. 297)! - Unter traditionsgeschichtlichem Aspekt muß man schließlich fragen, was Lukas genötigt hat, in V.36 den Stamm CÜOtyyc>•• in einer Weise zu gebrauchen, die bei ihm ebenfalls einzigartig genannt werden muß. Es hat ja den Anschein, als greife Lukas hier zurück auf die uns aus dem Judentum bekannte Tradition von Gott als dem .,WlD = EÜlXyycALl;6~ (v~l. oben S. 148. 162), um 80 den Gedanken der heilsgeschichtlichen Kontinwtät des Evangeliums auf eigene Weise zu betonen. Auch dieser Gedanke kann Lukas nur von der Tradition her zugekommen sein (vgl. Röm. 1, If.). V. 36 ist dann folgendermaßen zu verstehen: "Das Verheißungswort, das Gott den Kindern Israels gesandt hat, (hat Gott in Erfüllung p:ehen lassen) als Verkünder des Friedens durch Jesus Christus; dieser ist der Herr aller." Zum Verständnis von >.6yoC; im Sinne von Verheißungswort vgl. 13,26.32. Der Gedanke der Erfüllung der Verheißung ist zwar im Text nicht (mehrT) ausgedrüokt, aber durch den Gebrauch jener alten Tradition aus der Septuaginta u. U. vorausgesetzt. - Das betont schwierige Relativpronomen &v mit Haenehen, Apg.i S. 297 Anm. 1 als Dittographie aus dem vorangehenden >.6yov zu betrachten und dementsprechend zu eliminieren, kann ich mich eben80wenig entschließen wie Wilokens, Missionsreden l , S. 46 Anm. 1. Die Streichung wird für Haenchen dadurch erleichtert, daß er auf jene alte Auslegungstradition von Gott als dem rurtyyc).Ll;6fLCVOC; an unserer Stelle nicht aufmerksam wird.
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Der vorpaulinisch.christliche Sprachgebrauch von Evangelium
und dem zweiten Artikel im besonderen analoge Christologie zu binden l . Schließlich erlaubt uns unser Text, der, wie wir sahen 2, heilsgeschichtlich gedachten, aber in der Formulierung paulinischen Differenzierung zwischen einem EUOtjj&ALOV 'tiic; 1tEpL't'O!'1ic; und einem EUOtjj&ALOV 'tiic; cXxpoßuO"t'Ecxc; in GaL 2,7 sachlich noch ctW&8 näherzukommen. Paulus betont ja in L Kor. 15,11, die "on ihm dargebotene Überliefertmg stimme sachlich mit derjenigen der alten (Jerusalemer) Apostel überein. Es ist also der Apostel selbst, welcher einen sa.chlichen und inhaltlichen Vergleich von Ga!. 2,7 und L Kor. 15,3ff. nahelegt. Dieser führt auf Folgendes: In dem (katechetischen) Darbietungsschema der Paradosis wird primär geschichtliches Material dargeboten und zusammcngefaßt, ohne daß dabei auf den Deutungsund Bedeutungshorizont abgehoben wird, in welchem die Aussagen über den Messia.s Christus zu sehen wld zu interpretieren sind. Anders formuliert: Es ist durchaus möglich, daß man sich in Jerusalem und Antiochien über die den Glauben und die Kirche begründenden christologischen und geschichtlichen Urdaten (bis in Formulierungen hinein) einig weiß, ohne daß man dabei die eschatologische Bedeutsamkeit jener Urdaten gleich mit zur Diskussion stellt lmd auch in ihrer Sicht einig sein müßte (oder könnte). Aussagen der flexiblen urchristlichen Messianologie fügten sich ebensogut dem g&nZ neuen eschatologischen Erwählungsbewußtsein der Missionsgemeinde ein wie der Konzeption vom heiligen Rest in Jerusalem. Da.s war deshalb so, weil eine christologische Überliefenmg nach Art von 1. Kor. 15,3ff. die Frage nach Recht und Grenze der Tora nicht unbedingt sogleich kritisch zu reflektieren zwang. Bei dem Predigtschema von 1. Thess. 1,9f. war die polemische Abgrenzung gegenüber der monotheistischen und auf die Heilsbedeutung der Tora abzielenden Synagogenpredigt mit der Rolle, welche plötzlich die Messianologie einnahm, gegeben. Eine katechetische Überlieferung, wie 1. Kor. 15, 3ff. sie bietet, erlaubt, gerade wenn es sich um eine eigenständig christliche Paradosis ohne jüdisches Vorbild handelt, die Frage nach der Heilsbedeutung der Tora offenzula.ssen, und sie kann eben deshalb im Rahmen von eschatologisch ganz unterschiedlichen Konzeptionen gleichermaßen gelten. Jene gemeinsame "ba.sic substance", von welcher A. Fridrichsen 1947 bei der Reflexion auf da.s Gemeinsame und da.s Trennende des petrinischen und paulinischell Evangeliums zu sprechen empfahl 3 , 1 Vgl. Molland, Das paulinische Euangelion, S. 69f. Dagegen betont Michel, Artikel Evangelium, Sp. 1119 f., daß sich das Evangelium bei Paulus mit verschiedenen christologischen Entwürfen verbinden kann. a Vgl. oben S. 95ft". 3 Tbe Apostle and his MeBBage, S. 11 und pB88im. Zustimmend dazu J. Jere· mias, Chiasmus in den Paulusbriefen, S. 286.
Der Gebrauch von Evangelium in der heUemst ..judenchrist!. Gemeinde
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umfaßt also einen unter dem Vorzeichen urchristlicher ChristosChristologie zusammenschauba.ren Komplex heilsgeschichtlich gerahmten, geschichtlichen Faktemnaterials. Konkret waren dies Aussagen über Jesu Sühnetod, Jesu Auferweckung von den Toten und Nachrichten über die zur Mission ermächtigenden Erstersoheinungen des Auferstandenen. Wir wissen nicht, ob das petrinische Evangelium-rijc; 1tEPL't'O(.LljC; nur von diesen Fakten sprach. Wahrsoheinlioh ist dies nicht, deJUl solche Fakten bedurften im Rahmen jeder eschatologischen Gesamtsicht einer deutenden und vergegenwärtigenden Interpretation. Wir wissen hingegen sicher, daß Paulus selbst sein Evangelium nicht nur als DarbietWlg solcher Fakten verstand, sondern als Offenbarung des Gottes, der sich entschlossen hat, in Christus sein Heil (unter Absehung von der Tora!) schon jetzt auf die Welt der Heiden zu entschränken. M. a. W.: wir wissen, daß Paulus selbst die Rede von der das Heil entschränkenden Gerechtigkeit Gottes als ureigensten Gegenstand seines Evangeliums empfand und sich gerade in Gal. 1 und 2 leidenschaftlich dagegen wehrt, seine Predigt von solchem Recht Gottes und der allen Glaubenden eröffneten Rechtfertigung als bloße Interpretation vorgegebener Überlieferung bagatellisieren zu lassen 1. Um es noch einmal frei und unter Verwendung der urchristlichen Terminologie zu sagen: Antiochien und Jerusalem konnten sich in dem das EÜCXyyeALOV TOÜ XPLa't'OO konstituierenden Fakten- (und Formel-1)Bestand durohaus einig sein und sich dennoch fundamental unterscheiden in der Auffassung und Predigt davon, was EUCXYYEALOV selbst meint. Von daher ist es sehr wohl möglich, daß es zwischen Juden- und Heidenchristen zu (erbitterten) Auseinandersetzungen um eben das im EUCXYYEALOV proklamierte und zu proklamierende Heil kam. Was den einen als illegitime Interpretation erscheinen konnte, war für die anderen die ciÄij&ELCX Gottes und Offenbarung selbst. Was den Heidenchristen Gottes ureigenste Offenbarung war, konnte den Judenchristen als Lästerung des sich in Christus nur erst Israel ganz schenkenden Gottes erscheinen. Wir haben damit die oben bereits diskutierte Ebene der Auseinandersetzungen auf dem Apostelkonvent und in Gal. 1 und 2 wieder erreicht und können darum vorerst zusammenfassen. Während der Ausdruck EucxyyeALov TOÜ &Eoü u. a. an der monotheistischen, christlichen Missionspredigt zu haften scheint, ist der Begriff EUCXTIeALOV TOÜ XPLa't'OO eng mit der katechetischen Überlieferung der helIerustisch-judenchristlichen Gemeinden verflochten, 1 Wenn MoUand a.a.O. S.63 formuliert: ..... die Rechtfertigungslehre (ist) nicht der Inhalt der Evangelienbotschaft, sondern dercn theologische Konsequenz", versteht er Paulus aus der polemischen Perspektive seiner Gegner, nicht aber den Apostel von dessen apostolischem Selbstverständnis aus.
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Der vorpaulinisch.christliche Sprachgebrauch von Evangeliwn
ohne ausschließlich an solche Darbietungsweise gebWlden zu sein. Im Ausdruck EU~).~O" -roü XP~aTOÜ zeigt sich eine doppelte, heilsgeschichtliche Tendenz. Sie ist einmal gegeben in dem Christos-Titel und damit in jener heilsgeschichtlichen Reßexion, welche die Übertragung jenes Titels auf den Gekreuzigten Wld Auferstandenen herausfordert und impliziert. Eine heilsgeschichtliche Tendenz liegt aber auch darin, daß die "Botschaft vom Messias" alsbald ein chronologisches Darbietungsschema erforderte, mit dessen Hilfe man Gottes Walten in Wld mit seinem Christus erzählend Wld katechetisch wirksam darlegen konnte. Hier, wo das EU«~~O" TOÜ XP~aTOÜ ein eigenes kerygmatisches Berichtsschema hervorruft, wird eine über bloße Motivkombination hinausgehende, fonngebende Kraft Wld Funktion des Evangeliums spürbar. Es ist theologisch und traditionsgeschichtlich wichtig, sich zu verdeutlichen, daß das skizzierte, heilsgeschichtlich-geschichtliche Gefälle des Begriffes EUqyi).~o" TOÜ XP~aTOÜ vom Sprachgebrauch des paganen Hellenismus her ganz Wlverständlich bleiben muß, während der jüdischen "iI:1-Tradition der geschichtliche Spannungsbogen von prophetischer Verheißung Wld geschichtlicher Erfüllung durch Gott von Anfang an inhärent gewesen ist. Gerade die geschichtliche Struktur des EU~~O" -rOÜ XP~aTOÜ erweist also, daß wir für jenen Begriff jüdische Ursprunge anzWlehmen haben. Jedoch ist der Ausdruck Eü«rt'i).~o" TOÜ XP~aTOÜ eine christliche Neuprägung. Eine Neuprägung freilich, welche in ihren theologischen Auswirkungen und der Wahl des Christos- statt des Kyri08-Titels einen Bruckenschlag zwischen jüdischer, palästinisch-christlicher Wld hellenistisch-christlicher Denk- und Überlieferungsweise darstellt. Das Stichwort des Bruckenschlags erinnert uns an die noch offene Frage nach der Rolle Jerusalems bei der Ausbildung der neuen Terminologie. 5. Die Vermittlung Jer'U8a1ems
Für das Judentum der neutestamentlichen Zeit war Jerusalem der Vorort des HeilsI. Auch für das jWlge Christentum ist bis in die nachpau1inische Zeit hinein Jerus8,lem "der MittelpWlkt der ältesten Christenheit" geblieben'. Man kann dabei eine doppelte Vorrangstellung der Jerusalemer Gemeinde beobachten: Jerusalem genießt einen heilsgeschichtlichen und sakra.1rechtlichen Vorrang vor seinen Tochtergemeinden 3, es ist aber auch zugleich damit Hüterin der Vgl. E. Lohse, Artikel: ~LWY, ThWb VII, S.322-325. Lohse, a.a.O. S. 333,15. Ganz anders Schille, Anfänge der Kirche, S. 137ft'. • Vgl. oben S. 85ft'. 1 I
Der Gebrauch von Evu.ngolium in der hellenist.-judenchristl. Gemeinde
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authentischen Auferstehungs- und wohl auch Jesustradition 1 _ Beide Komponenten der Hochschätzung Jerusalems sind in unserem Zusammenhang bedeutsam. Unsere bisherigen Untersuchungen zu Herkunft und Aussagegehalt der urchristlichen Evangelienterminologie hatten uns die Jerusalemer Tradition nur erst streifen lassen. Das partikularistische EÖa.yyCALOV 'tijt; ßa.av..dott; der palä.stinischen Gemeinde(n) kann nach den Vorgä.n.gen auf dem Apostelkonvent nioht mit dem der Jerusalemer identifiziert werden. Das in den Missionsgemeinden gebräuohliche t:Üqyb.LOV (TOÜ XPLaTOÜ) ließ sich allenfalls bis in den Kreis der sog. Hellenisten zurückführen, ist also auch keine Bildung der Jerusalemer Urgemeinde selbst. Nicht anders steht es mit dem als Abbreviatur gebrauohten Tb t:U«nCALOV und einem diesem Evangelium entsprechenden, absoluten Gebrauch des Verbums. Nur bei der Analyse von 1. Kor. 15,3ff. stießen wir auf Rudimente von Jerusalemer Tradition. Charakteristischerweise betrafen diese Rudimente aber nicht den Begriff EÜa.yyCALOV TOÜ XPLaTOÜ als solohen, sondern nur die Paradosis, mit welcher jener Begriff in den Missionsgemeinden u. U. verbunden war. Da dem so bestimmten Evangelium vom/des Messias ein torakritischer Zug nicht von vornherein anhaftete, wird man annehmen dürfen, daß es auch in Jerusalem bekannt gewesen ist. Ähnlich dürfte es mit dem Verbum EÖa.yyt:A(l:Ea&a.L stehen, sofern dieses Verbum für die Übermitthmg von Lehrüberlieferung gebräuchlich war und solche Lehrtiberlieferung aus Jesus- oder Passionstradition bestand wie etwa in der Abendmahlstradition l • Wiederum aber ist anzumerken, daß sich eine begriffliche Parallelität von Evangelium und Didache sicher erst im Missionschristentum nachweisen läßt. Werm man die überlieferungsgeschichtliehe Vielgestaltigkeit des Urchristentums nicht vorzeitig nivellieren will, führt diese Überschau zu dem Ergebnis, daß der Beitrag der Jerusalemer Urgemeinde zu der Traditionsgeschichte des neutestamentlichen Evangeliums nioht eigentlioh in der Ausprägung von Begriffen, sondern vielmehr in der Vermittlung von Traditionen und im Ausgleich divergierender Evangelienauffassungen gelegen haben dürfte. Für die Vermittlerrolle Jerusalems bietet der sog. Konvent der Apostel den besten Beweis. Das christologisch noch recht unreflektierte und zudem die Heidenmission bewußt ausgrenzende EÖa.yytALOV 'tijc; ßa.mAda.t; der palä.stinischen Gemeinde(n) wird mit dem EÖa.yyCALOV (TOÜ XptaTOü) der Missionare Antiochiens in einer Weise versöhnt, die 1 Vgl. dazu W. G. Kümmel, Kirchenbegriff und Geschichtabewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, S. 7ff. 25. 47 Arun. 22 und U. Wilckens, Jesuaüberlieferung und Christuskerygmu., S. 321. 329. I Vgl. 1. Kor. 11, 23ff. bes. V. 26 mit 1. Kor. 15,lff.; 9,14; Phil. 1,16f.
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Der vOrp&ulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangeliwn
theologisch einen Kompromiß und traditionsgeschichtlich einen Briickenschlag bedeutet: Die Heidenmission wird anerkannt, aber die damit verbundene Gesetzesabrogation nur als Ausnahme zugestanden 1. Der damit eingeschlagene theologische Mittelweg mußte für die Jerusalemer um so nä.her liegen, je genauer man die tatsächlich bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Evangelium der Partikularisten und der Antiochenischen Delegation ins Auge faßte: 1. Das Evangelium gilt für die Partikularisten sowohl wie für die hellenistischen Judenchristen als eine noch ins Wort hinein verborgene Ankunft Gottes. Damit ist die Kontinuität zum alttestamentlichen und jüdischapokalyptischen Verständnis des Gotteswortes gewahrt. Im Alten Testament, im Judentum, in der Urchristenheit und noch bei Paulus gelten somit nicht zufallig Propheten oder prophetisch inspirierte Apostel als Verkünder der endzeitlichen Botschaft von der Herrschaft Gottes. 2. Auf beiden Seiten steht die Evangelienverkündigung in einer zwar flexiblen, aber ohne die Apokalyptik gar nicht denkbaren geschichtlichen Umrahmung: Es handelt sich bei dem Evangelium der palästinischen Gemeinde(n) ebenso wie bei den Hellenisten, bei Paulus (vgl. Röm.11,28; 1. Kor. 11,26) und über ihn hinausbei Markus (Mk. 13,10 I) und selbst noch bei Matthäus (Mt. 24,14) um die Botschaft (vom Heil) zwischen Auferweckung und einer die Geschichte beschließenden Parusie des Christus. 3. Daß die sich in 1. Kor. 15,3ff. zeigenden katechetischen Traditionen die Jerusalemer und Antiochener verbanden, haben wir Wl8 schon verdeutlicht. Ob dasselbe Traditionsgut auch die Jerusalemor mit den palästinischen Vgl. oben S. 98ft". Wir haben schon gesehen, wie sich in Mk. 1,14f. die hellenistische Redeweise vom EÖot-y-yi>'IOV und EÖotyyUIOV 't'OÜ 3coü nachträglich mit alter Tradition vom Nahen der Basileia verbunden hat und haben den Evangelisten selbst für diese Verschmelzung verantwortlich gemacht (vgl. S. 234ft".). Ebensowenig wie zu dieser Stelle kann ich mich zu Mk. 13,10; 8,35 und 10,29 davon überzeugen, daß tatsächlich, wie Hahn. Mission S. 60tT. will, vonnarkinisches und damit in unserem Rahmen bereits zu diskutierendes Traditionsgut vorliegt. Daß Formulierungen wie Mk. 8,35 und 10,29 bereits in vormarkinischcr Zeit möglich waren, bestreite ich keineswegs. Ich sehe nur nicht., daß sie im Zusammenhang des zweiten Evangeliums tatsächlich vormarkinisch sind. Dies gilt auch für den in den Text der apokalyptischen Rede eingesprengten Vers Mk. 13,10. Hahn meint, die Stelle sei vormarkinisch, weil der Vers apokalyptischer denke als der Evangelist selbst; aber ist dies beweisbar! Die Tradition gab Markus eine apokalyptische Betrachtung des Evangeliums als "Zwischenphänomen" vor (vgl. nur Röm.ll,28). Daß man diese Betrachtungsweise noch bis in die Zeit des MatthäUB festzuhalten vermochte, beweist Mt. 24,14. Weshalb sollte es dann Markus unmöglich sein, das Evangelium ähnlich zu betrachten! Ich kann Mk. 13,10 darwn nur mit KI08termann, Hacnchen, Schweizer, Lohmeyer und Grundmann z. St., ferner mit Marxsen, Evangelist Markus l S.80f., H. Schlier, Entscheidung für die HeidenmiBBion, S. 105, Grässer, Parusieverzögerung ' S.159, Conzelmann, Geschichte und Eschaton nach Mc 13, ZNW 50, 1959, (S. 210-221) S. 219 u. a. für markinische Bildung halten. I
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Der Gebrauch von Evangelium in der hellenist.-judenohristl. Gemeinde
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Gemeinden verband, ist nioht mit letzter Sicherheit auszumachen. Die Worte vom leidenden und auferstehenden Menschensohn sind ja nioht mehr in die Logienquelle aufgenommen worden. Da sie aber palästinisohen Ursprungs sind, könnte hier ein verbindendes Element liegen. Zum mindesten machen diese Worte wahrscheinlich, daß die palä.stinisohen Gemeinden mit der Passions- und Auferstehungstradition vertraut waren 1. Eine Verbindung dieser Tradition mit unserem Wortstamm ist zwar erst von 1. Kor. 15, 3ft'. her zu erschließen, liegt aber in Mk. 14,9 und dann vor allem in Mt. 26,13 eindeutig vor. Da die authentische Passions- und Auferstehungstradition zum speziellen tJ'berlieferungssohatz der Jerusalemer Gemeinde gehört haben, ergibt sich, daß man auf Grund der genannten Belege mit einer VermittlWlg von Jerusalemer Traditionen an die Missionsgemeinden rechnen muß und darf. Ohne diese Übermittlung von Traditionen und die damit notwendig verbundene Übersetzung der aramäisoh- bzw. hebräisch-sprachigen Jesusüberlieferungen ins Griechisohe wäre die nach Paulus hervortretende Evangelienschreibung im hellenistisohjudenchristlichen Raum gar nicht denkbar gewesen. Der in Jerusalem erfolgende Brückenschlag hat also der Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christus den Halt und Anhalt an der JesusüberlieferWlg bewahrt, eine Tatsache, die theologiegeschichtlioh gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und sogar den theologisch undeutlichen Kompromiß auf dem Apostelkonzil geschichtlich neu zu würdigen hilftl. J Vgl. zum Problem H. E. Tödt., Der Menschensohn in der synoptL'lChen ÜberlieferungS, S. 131-203, bes. 197ff.; F. Hahn, Hoheitstitel, S.46-53; E. Lohse, Die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi, Gütersloh 1964, S. ~25. t Abgesehen davon, daß bereits katechetische Zusammenf&8llUJlgen von Elementen der Passions- und Erscheinungstradition den Namen "Evangelium" tragen konnten, läßt die von un'!! bisher skizzierte Entwicklung des Evangeliumsbegriffes für die eigentliche Evangelienschreibung eine doppelte Möglichkeit: Es ist a) die Möglichkeit einer konsequenten historisierenden DarsteII~ der Ereigni8lle, eine Möglichkeit, bei welcher freilich das kerygmat.ische Element am "Evangelium" und damit zugleich die Angewiesenheit des ausgerichteteD Wortes auf den Glauben der Adressaten ins Hintertreffen gerät. Lukas hat in seinem Geschichtswerk Vor- und Nachteile dieser Möglichkeit dokumentiert. b) Die andere Möglichkeit war die, in den apokalyptischen Gedanken des Evangeliums als einer ins Wort hinein verborgenen Offenbarung Gottes die überlieferten christologischen Traditionen einzupassen. Diese zweite Möglichkeit liegt bei Markus vor und führt ihn zu der christologischen Theorie des MeasiasgeheimniMes. Diese in die christologische Funktion eines Evangeliums, welches apokfllyptisch als "verborgene Epiphanie" Gottes betrachtet wird. Es ist hier nicht. mehr der Ort, diesen Zusammenhängen traditionsgeechichtlieh nachzugehen. Wir müssen uns damit be2nügen festzustellen, daß der von uns aufgezeigte Werdegang des Begriffes Evangelium auch die Evangelienschreibung verstehbar zu machen verspricht. Vgl. oben S. 232 Anm. I, 277 Anm. 2 und meinen Aufsatz über Theologische Probleme des Römerbriefpräskripts, EvTh 27, 1967, S.374-3R9, bes. 386ft".
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Der vorpauliniach.christliche Sprachgebrauch von Evangelium
Will man sich die Mittlerrolle der Jerusalemer Urgemeinde für unseren Sachzusammenhang einmal heuristisch mit Hilfe der uns vertrauten Begriffe verdeutlichen, 80 wird m&Jl folgendes S&gen können, ohne die geschichtliche Problematik der Bildung jener Begriffe außer acht zu la.ssen: Der von uns skizzierte BrUckenschlag wurde in JerusaJem möglich, weil die Gemeinde weder d&8 christologisch noch kaum reflektierte EUot"(YtALOV njc; ~otaLAEtotC; der Partikularisten noch auch das Evangelium von der neuen Weltzeit der Hellenisten ihr eigen nannte, sondern jenes Evangelium von der Gottesherrschaft im Lichte der Messia.nität Jesu reflektiert und vertieft hat. Prägn&Jlt formuliert: In Jerusalem ist d&S EUotrftALOV njc; ~otaLAELotc; der Partikularisten dergestalt christologisch vertieft und reflektiert worden, daß ein für die hellenistische Missionsverkündigung tragendes und maßgebendes Fundament entst&nd. Es hat also den Anschein, daß, wenn nicht der Ausdruck, so wenigstens die Sache des EÜot~LOV 't'oü XPLa't'OÜ bereits in Jerusalem gegeben war. Ohne diese Sache war und wäre auch das paulinische Evangelium undenkbar. Haben wir uns dies verdeutlicht, können wir zu einer allgemeinen Zusammenschau der vorpaulinisch-christlichen Evangelienverkündigung übergehen.
6. Z'U8ammenjlU8'Ung und A'U8blick Die auf urchristlichem Boden zuerst faßbar werdende Konzeption von EV&Jlgelium ist die der Gemeinde(n) der Logienquelle. Hier wird der Stamm EUot"(YEA- bzw. die Wurzel nur gelegentlich gebraucht, wld zwar in einem noch g&JlZ jüdischen und christologisch unreflektierten Sinn: Evangelium ist die Botschaft vom Kommen der Gottesherrschaft, welche den Bußfertigen (= der Gemeinde des Menschensohnes) das Heil, den Unbußfertigen dagegen das Unheil und Gericht bringen wird. Eine missionarische ZuwendWlg zu den Heiden ist noch nicht ins Auge gefaßt; die Heiden bleiben Gottes eigenes Eigentum, und die Gemeinde weiß sich nur gesandt, vor dem Kommen des Menschensohnes zum Gericht das EUot"(YtALOV njc; ßotaLAdotc; den verlorencn Schafen aus dem Hause Israel in derselben Weise weiterzusagen, wie es Jesus nach Auffassung jener Gemeinde bereits zu seinen Lebzeiten get&n hatte. Träger solcher Verkündigung sind vor allem urchristliche Propheten. Strukturell ist die Botschaft ebenso apokalyptisch-prophetisch gedacht, wie der sie umgebende Rahmen eschatologischer Anschauungen apokalyptisch geprägt ist: Es ist der Rahmen breIUlender NaherwartWlg, also der Hoffnung auf das Kommen des Menschensohnes und das Eintreten der VölkerwaUfahrt zum Zion. Die Botschaft von der ßotaLAE(ot gibt den Erniedrigten und Beleidigten im voraus, in
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worthaft verborgener Weise, Kunde von dem ihnen bereiteten Heil und ermutigt sie, auf das Kommen Gottes auszuschauen. Ob Jesus selbst den Stamm EV«'YYEA~ gebraucht hat, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. Deutlich ist nur, daß die Gemeinde, welche in Jesus den endzeitlichen Propheten = EVIX'YYEi..L~6ILEVOt; = .,tt!lD von Jes. 61, H. erblickt, sich in ihrer Auffassung und Proklamation der heilsamen Botschaft für die Armen durchaus auf Jesus berufen kann, wenn auch die partikularistische Rahmung solcher Botschaft dem innersten universalen Zug der Verkündigung Jesu widersprechen dürfte. Die eigentliche Wurzel der für Paulus maßgeblichen Evangelienterminologie liegt in der zur Heidenmission aufbrechenden hellenistischjudenchristlichen Gemeinde. Sie behält, wie Röm. 11,28; Mk. 13,10 und Mt. 24,14 noch aus der Rückschau zeigen, die apokalyptische Rahmung des Evangeliums durchaus bei, aber unter neuen christologischen und damit auch eschatologischen Aspekten. Die Menschensohnchristologie wird abgelöst von einer die weltweite Herrsoherwürde des Christus bereits in die Gegenwart hereintragenden Christosund Kyrioschristologie, und damit ändert sich zugleich jener um die alte palästinische Anschauung vom Evangelium noch fest geschlossene, jüdisoh-partikularistische, eschatologische Rahmen: Der Kyri08 der Himmel verlangt sohon heute, daß die Welt (und damit die Heiden) von seiner Würde- und Mittlerstellung erfahren, und er räumt auch die zu solcher Mission noch erforderliche (kurze!) Zeitspanne ein. In Anknüpfung an das palästinische Erbe, getragen vom theologischen und sprachlichen Impuls der Septuaginta und angespornt von der wohl schon christologisch reflektierten (Evangeliums-)Verkündigung der Jerusalemer Urgemeinde, prägt das junge Missionschristentum eine eigenständige Terminologie: ..0 EUIX'YYEALOV meint die rettende Heilsbotschaft, die das von Gott durch seinen Christus auf die Welt schon heute entschränkte Heil lautbar und erfahrbar macht, erfahrbar freilich erst in der Weise einer Glauben fordernden, ins missionarische Wort der Zeugen verborgenen, vollmä.chtigen Gottesrede. Die apokalyptische Struktur des Evangeliums bleibt also über dem Umbruch, den die Aufnahme der Heidenmission und die Entstehung eines Heidenchristentums heraufführen, erhalten. Das Evangelium wird jetzt aber (nach Jerusalemer Vorbild 1) entschlossen christologisch reflektiert und ebenso entschlossen als ein aus der Zukunft in die Gegenwart herein- und andrängendes Heilsgeschehen verstanden. Noch immer ist also die Naherwartung der Parusie des Christus der Rahmen, in den das Evangelium hineingehört. Der griechische Begriff EV«yytALOV will jetzt aber dezidiert eine Heils- und Rettungsbotschaft proklamieren. Terminologisch schlägt sich die neue Auffassung in folgenden Wortbildungen nieder: EVIXyy&ALOV ..oÜ &t:oü, EUIXyy&ALOV ..00 19"
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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangeliwn
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