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Science Fiction Ullstein Buch Nr. 31004 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Weidemann Umschlagillustration: GALAXY Alle Stories aus THE BEST FROM IF, Vol. I Copyright © 1973 by Universal-Award-House, Inc. Alle Rechte vorbehalten Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1979 Gesamtherstellung: Mohndruck Reinhard Mohn GmbH, Gütersloh ISBN 3 548 31004 4
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Science-fiction-Stories hrsg. von Walter Spiegl. – Frankfurt/M, Berlin, Wien: Ullstein. NE: Spiegl, Walter [Hrsg.] 77./Von Frank Herbert… [Aus d. Amerikan. übers. von Klaus Weidemann]. – 1979. (Ullstein-Bücher; Nr. 31004: Ullstein 2000) ISBN 3-548-31004-4 NE: Herbert, Frank [Mitarb.]
Science-Fiction-Stories 77 von Frank Herbert Poul Anderson Keith Laumer Lester del Rey Isaac Asimov
Herausgegeben von Walter Spiegl
Science Fiction
Inhalt
Frank Herbert { TOC \o "1-1" \p " " }
Frank Herbert
DIE DENKBOMBE Bestens bekannt durch sein episches Werk, »Dune«, demonstriert Frank Herbert wiederum seine Begabung, phantastische und entnervende Zukunftsvisionen hervorzuzaubern, aber diesmal in kleinerem Rahmen. Er entwirft die Vision einer Hölle in naher Zukunft – eine Zukunft, die, wenn auch fremdartig, doch unangenehm vertraut ist 1 Es war heiß in Palos zu dieser Jahreszeit. Die Seinsmaschine hatte viele ihrer Aktivitäten vermindert und die Leistung ihres Kühlsystems erhöht. Diese Jahreszeit wird heiß und trostlos genannt, registrierte die Maschine. Das gemeine Volk muß während einer solchen Zeit unterhalten werden. Kurz nach Mittag beobachtete sie, daß nur wenige Leute auf den Straßen waren, ausgenommen einige wenige Touristen, die Gesamtsinnesrecorder, die um ihre Hälse baumelten, mit sich führten. Die Touristen schwitzten heftig. Irgendwelche hiesigen Einwohner, jene, die nicht mit dem Geschäft des Überlebens beschäftigt waren, spähten gelegentlich hinter isolierten Fenstern hervor oder standen abgeschirmt in dem Schutz ihrer Eingangstüren. Sie schienen in der schmutzigen Zurückgezogenheit unter dem zitronengelben Himmel zu treiben. Das Wesen der Jahreszeit und der Umgebung schlich sich durch die Maschine. Sie begann eine Flut von Symbolen auszusenden, die den Zugang zu Schöpferkraft und Bewußtsein schützte. Der Symbole waren viele, und sie flossen hinaus wie silberne Flüsse, Ideen von einem Zeit-Ort zum andern hinaustragend über eine lange Spanne des Seins. Bald darauf, als die Sonne dem Moment entgegenglitt, wo sie die Welt in Dunkelheit tauchen würde, begann die Seinsmaschine einen Turm zu bauen. Sie nannte den Turm PALAST DER KULTUR VON PALOS. Und
der Name erstreckte sich quer über die niederen Etagen des Turms in leuchtenden Buchstaben, die größer als ein Mensch waren. Von einem isolierten Fenster quer über den Platz aus beobachtete ein Mann namens Wheat den Turm wachsen. Er konnte das Schiffchen im Webstuhl seiner Frau sich bewegen hören, und er fühlte sich von einer schmachvollen Abneigung hin- und hergerissen, unwillig, die gedanklichen Zuckungen in seinem Geiste zu verfolgen. Stattdessen sah er dem Turm zu. »Das verdammte Ding arbeitet wieder daran«, sagte er. »Es ist die Zeit dafür«, stimmte seine Frau zu, ohne von dem Dessin, das sie webte, aufzuschauen. Das Dessin sah aus wie ein Korb aus gelben Dornen, darin ein Kranz aus kaskadenartig herabfallenden orangefarbenen Rosen. Wheat dachte einige Minuten lang über die unterirdische, gewaltige Weite nach, die Menschen ausgemessen hatten, um die Grenzen der Maschine zu bestimmen. Es mußte Höhlen dort unten geben, dachte Wheat. Endlose, nächtliche Geisterkorridore, wo kein Regen jemals fiel. Wheat stellte sich die Seinsmaschine gerne auf diese Weise vor, wenn es auch keine Berichte gab, daß jemals ein Mensch die Lüftungsanlagen oder die Oberflächenausstöße betreten hatte, durch die die Maschine von sich Kunde gab. »Wenn diese verdammte Maschine nicht so ekelerregend wäre – wäre sie spaßig«, sagte Wheat. »Ich bin weitaus mehr daran interessiert, Probleme zu lösen«, sagte seine Frau. »Das ist der Grund, warum ich mich mit Dessins befasse. Glaubst du, jemand wird versuchen, sie diesmal aufzuhalten?« »Erst müssen wir herauskriegen, was sie ist«, sagte Wheat. »Und die einzigen Aufzeichnungen, die uns Aufschluß geben könnten, sind da drinnen.« »Was macht sie jetzt?« fragte seine Frau. »Sie baut etwas. Nennt es Palast, aber es wird sehr hoch. Müssen bereits zwanzig Stockwerke sein.«
Seine Frau hielt inne, um das Gurtzeug ihres Webstuhls nachzustellen. Sie konnte erkennen, welchen Fortgang diese Unterhaltung nehmen würde, und es bestürzte sie. Die tiefstehende Sonne warf Wheats Schatten in den Raum hinein, und dessen schwarze Form, wie sie sich dort auf dem Fußboden ausbreitete, ließ sie fortrennen wollen. Bei Anlässen wie diesen haßte sie die Maschine, weil sie sie mit Wheat gepaart hatte. »Ich frage mich immer noch, was sie uns dieses Mal wegnehmen wird«, sagte sie. Wheat starrte weiterhin durch das Fenster, von Ehrfurcht erfüllt von der Geschwindigkeit mit der der Turm höherwuchs. Die Strahlen der untergehenden Sonne malten Streifen aus Orange auf die Turmoberfläche. Er war ein durchschnittlicher menschlicher Mann, dieser Wheat, aber alt. Er besaß ein Gesicht wie ein blattgeäderter Kohlkopf, Falten überlappten Falten. Er war um die zwei Meter groß, ebenso wie alle anderen Erwachsenen dieser Welt, und seine Haut besaß die allgemeine Olivgerbung. Das Haar war dunkel, und er besaß hervorstechende Augen. Seine Frau, obwohl gebeugt von Jahren über dem Webstuhl, sah ihm bemerkenswert ähnlich. Beide trugen das Haar lang, es war im Nacken zusammengebunden mit Streifen aus blauem, glänzenden Stoff. Sackähnliche Gewänder aus dem gleichen Material bedeckten ihre Körper vom Nacken bis zu den Knöcheln. »Es ist frustrierend«, sagte Wheat. Für eine Weile führte die Seinsmaschine einen internen Gedankenvortrag in der Sprache des Kersan-Pueblo, die subtilen Morpheme erforschend, die alle Handlungen registrierten, die jetzt als bloße Gerüchte übernommen wurden. Kultur, registrierte die Maschine, die nur zu ihren inneren Sensoren sprach, aber verschiedene Sprechmechanismen und verschiedenartige tonale Methoden benutzte. Kultur – Kultur – Kultur – Das Wort fütterte sie mit Gedankennahrung und zündete eine neue Folge von Gedankenkonzepten. Ein neues Gesetz der Kultur muß augenblicklich
homogenisiert werden. Es wird durch die üblichen Vollzüge verschlüsselt werden und wird klare Bestrebungen hinsichtlich der Genauigkeit seiner Ausdrucksweise erfordern… Durch Wheats Fenster sah man hinaus nach Süden, vorbei am Distrikt der Maschine und quer über den Olivengarten, der sich bis zu einer Klippe über dem Meer erstreckte. Der Himmel war düster über dem Meer und glühte mit späten Sonnenuntergangsfarben. »Es gibt ein neues Gesetz«, sagte Wheat. »Woher weißt du das?« fragte seine Frau. »Ich weiß es. Ich weiß es einfach.« Seiner Frau war zum Weinen zumute. Dieselbe alte Geschichte, immer dasselbe. »Das neue Gesetz bestimmt, daß ich mit vielen Ideen gleichzeitig in meinem Verstand jonglieren muß«, sagte Wheat. »Ich muß meine Talente entwickeln. Ich muß zur menschlichen Kultur beitragen.« Seine Frau schaute von ihrer Webarbeit auf, seufzte. »Ich weiß nicht, wie du das machst«, sagte sie. »Du bist betrunken.« »Aber es gibt ein Gesetz, das –« »Es gibt kein solches Gesetz!« Sie machte eine Pause, um ruhiger zu werden. »Geh zu Bett, du alter Narr. Ich werde einen Arzt rufen, der dir eine Arznei gibt, um dich zur Vernunft zu bringen.« »Es gab eine Zeit«, sagte Wheat, »wo du nicht an Ärzte dachtest, wenn es ums Zubettgehen ging.« Er trat zurück vom Fenster, starrte auf die rissige Wand hinter dem Webstuhl seiner Frau, dann schaute er auf den vom Sonnenlicht gelben Olivengarten und die blaugrüne See. Er dachte, das Meer war häßlich, aber der Riß in der Wand deutete ein wunderschönes Dessin an, das seine Frau auf ihrem Webstuhl verarbeiten mochte. Er stellte sich die Muster des Dessins vor seinem inneren Auge vor – goldene Skalen auf Kaskaden von Schwarz. Spiegelbilder seines eigenen verrunzelten Gesichts verwischten die
Muster in seinem Geist. Das war immer so, wenn er versuchte, zwanglos zu denken. Gedanken erstarrten in ebenholzschwarzem Zement. »Ich will eine goldene Maske machen«, sagte er. »Sie wird mit schwarzen Adern geätzt sein und mich wundervoll machen.« »Auf der ganzen Welt gibt es kein Gold mehr, du alter Narr«, höhnte seine Frau. »Gold ist nur ein Wort in Büchern. Was hast du letzte Nacht getrunken?« »Ich hatte einen Brief von der Zentralen Solidarität in der Tasche«, sagte er, »aber jemand hat ihn gestohlen. Ich beschwerte mich bei der Maschine, aber sie wollte mir nicht glauben. Sie veranlaßte mich, anzuhalten und mich bei einem schuppigen Pfahl niederzusetzen, am Wasser unten, und ihr zehnmillionenmal nachzusprechen –« »Ich weiß nicht, was es ist, womit du dich betrunken machst«, jammerte sie. »aber ich wünschte, du würdest die Finger davon lassen. Das Leben wäre viel leichter.« »Ich saß unter einem Balkon«, sagte der Mann. Die Seinsmaschine lauschte eine Weile dem Klappern der von Menschen bedienten Schreibern in den Büros der Zentralen Solidarität. Wie gewöhnlich übertrug sie die winzigen Differenzen der Chiffrekontakte in ihre entsprechenden Symbole. Die Botschaften waren ganz gewöhnliche. Eine forderte die Zusammenarbeit einer benachbarten Zentralität in der Niederlassung eines Friedhofs, eine Maßnahme, die verlangt wurde, weil die Maschine eine neue Lüftungsanlage in dem Gebiet ausgestoßen hatte. Eine andere forderte vierzig Container mit Wassermelonen von der Regionalen Lebensmittelversorgung an. Noch eine andere, zur Verteilung an alle Zentralitäten, klagte, daß der Touristenstrom in Palos überhand nahm und die örtliche Ruhe beeinträchtigte. Der Palast von Palos wird auf eine geringfügige Zunahme von Unzufriedenheit programmiert werden, ordnete die Maschine an. Das stimmte überein mit dem Gesetz über die Große Kulturelle Enthüllung. Unzufriedenheit brachte Bereitschaft zum Abenteuer mit sich,
brachte Menschen dazu, nahe des Höhepunkts ihrer Fähigkeiten zu leben. Sie würden nicht in Gefahr sein, aber ihr Leben würde den Anschein von Gefahr haben. Bürokratie wird enden, bestimmte die Maschine, und die Schreiber werden in Schweigen verfallen. Diese Gedankenkonzepte, Teil des Obersten Gesetzes der Maschine, hatten sich unzählige Male vergleichender Wiederholung unterzogen. Jetzt registrierte die Maschine, daß einer der Schreiber der Zentralen Solidarität in Palos einen Liebesbrief auf amtlichem Briefpapier schrieb, während der Arbeitszeit – und daß ein Würdenträger in der Zentralen Lebensmittelversorgung in der Zentralität von Asius einen Korb frischer Äpfel für seinen eigenen Verzehr abgezweigt hatte. Diese Punkte fügten sich in die Auslegung »gute Anzeichen« ein. »Sie ist eine Art künstlicher Intelligenz«, sagte Wheats Frau. Sie war von ihrem Webstuhl herübergekommen, um sich neben Wheat zu stellen und dem Wachsen des Turms zuzuschauen. »Soviel wissen wir. Alle sagen es.« »Aber wie denkt sie?« fragte Wheat. »Hat sie gradlinige Gedanken? Denkt sie 1-2-3-4 – a-b-c-d? Ist sie irgendeine sonderbare Uhr, die unter der Erde immer weiter tickt?« »Sie könnte eine Marmorstatue herumrattert«, sagte seine Frau.
sein,
die
in
einer
Schachtel
»Was?« »Du weißt schon – mach die Schachtel zu verschiedenen Zeiten auf, und du könntest den Marmor beinahe überall in der Schachtel finden.« »Aber wer ließ den Marmor in unserer Welt herumrattern?« fragte Wheat. »Das ist die Frage. Wer hat ihm gesagt ›Mach uns einen von jenen!‹?« Er deutete auf den Turm, der sich jetzt über hundert Stockwerke über den Platz erhob. Er war ein Bauwerk, das das Abendlicht in ein glitzerndes Orange tauchte, vertikal gerippt mit tiefen, schwarzen Linien,
fensterlos, furchterregend und absurd. Wheat fühlte, daß der Turm ihn irgendeiner tiefen Sünde beschuldigte. »Vielleicht verleibt sie sich ihren eigenen Untergang ein«, meinte seine Frau. Wheat schüttelte den Kopf, ohne zu verneinen, was sie gesagt hatte, aber in dem Wunsch, Ruhe zu haben, um nachdenken zu können. Deutlich funkelnde, metallene Geräte konnten flüchtig an der Spitze des Turms erblickt werden, dort, wo er fortfuhr zu wachsen. Wie hoch hinauf würde er gehen? Jetzt schon mußte der Turm das höchste künstliche Bauwerk sein, das Menschen je gesehen hatten. Eine kleine Schar Touristen machte auf dem Platz halt, um von dem Turm Aufnahmen zu machen. Sie schienen ungerührt von ihm zu sein, bloß auf eine höfliche Weise neugierig. Hier war etwas, was sie nach Hause tragen und Freunden vorführen konnten. Sie baute einen Turm an einem Tag, während wir dabei waren. Beachte die Aufschrift. PALAST DER KULTUR VON PALOS. Ist das nicht amüsant? Nach einer Durchsicht der Angelegenheit bis zu den Grenzen ihrer Unterlagen, fand die Seinsmaschine keinen gangbaren Weg, über den Kultur in die menschliche Gesellschaft hätte eingeführt werden können. Sie stellte abschließende Vergleiche in Kersan-Pueblo an, registrierte, daß die beschriebene Aktion eine interne zu sein hatte, nur vom Sprecher empfunden. Menschen konnten die Vorteile der Kultur nicht von außen her oder vom Hörensagen erwerben. Die Notwendigkeit für neue Entscheidungen geboten, daß der Turm sich hoch genug erhoben hatte. Sie Seinsmaschine krönte ihre Konstruktion mit einer goldenen Pyramide mit dreihundert Ellen Seitenlänge, gemessen an der jüdischen Elle. Die Abmessungen wurden verglichen und registriert. Der Turm war nicht der größte in der Geschichte, aber er war größer als alles, was die neuen Menschen jemals gesehen hatten. Sein Effekt würde eine interessante Sache zu beobachten sein, gemäß den Interesse-Faktor-Gleichungen, mit denen die Maschine
ausgestattet war. Auf dem Gipfel der Pyramide installierte die Maschine eine sensorische Erregungsvorrichtung, ein einfaches plasmatisches, optisches System. Es war dazu vorgesehen, eine flammende Fackel auf die Schnittstelle zwischen Stratosphäre und Troposphäre zu schreiben. Die Seinsmaschine, damit beschäftigt, eine neue Aufschrift für den Turm auszuwählen, die Träume aller Menschen, die in diesem Moment schliefen, zu analysieren, und die historischen Analogien, mit denen sie ihre Schützlinge amüsierte, zu ersinnen, schrieb ausgewählte Gedanken in den Himmel. Die Bücher von Daniel und der Genesis sind ebenso gut wie alles von Freud über Traumdeutung… Die Worte flammten fünfzig Kilometer weit quer über den Himmel, tanzten und flackerten an ihren Rändern. Viel später wurden sie die unmittelbare Quelle einer neuen Religion, die von einem Wahnsinnigen in einem Dorf am Rande der Erscheinung verkündet wurde. Der Wert des Mißgeschicks liegt darin, Gärten aus Brachland zu machen, schrieb die Maschine. Ein Ding kann nur gedacht werden als in Beziehung stehend zu gewissen Bedingungen… Beim Analysieren der Träume benutzte die Maschine die Konzepte der Libido, psychischer Energie und die menschliche Erfahrung mit dem Tod. Tod, gemäß den Bezugssystemen der Maschine, bedeutete das Ende libidinöser Energie, ein unwissenschaftlicher Gedanke, denn er postulierte eine Vernichtung abgeleiteter Energie, trotzte verschiedenen etablierten Gesetzen in dem Prozeß. Jeder andere Vergleich machte Glaube an die Seele und Gott (Götter) notwendig. Die Betrachtungen wurden nicht gestützt, wenn eine zeitweilige Libido postuliert wurde. Es muß hier ein falsches Gedankensystem vorliegen, registrierte die Seinsmaschine. Irgendwie war das Symbolsystem, durch das sie die Realität sichtete, außer Phase mit dem Universum geraten. Sie durchsuchte ihre Sprachen und Bezugssysteme nach neuen Furchen, die ihr ein Funktionieren
ermöglichten. Keine noch so dichten Annäherungen ihres Symbolsystems an die Erscheinungen offenbarten sich. Mangel an zutreffenden Gültigkeitsformen hemmten zahllose Kanäle, durch die sie menschliche Angelegenheiten regulierte. Gedankenzündungen verließen die Maschine unvollständig moduliert. »Was wir brauchen, ist ein neues Kommunikationszentrum«, sagte Wheat. Er stand an seinem Fenster, schaute hinaus, vorbei an dem Turm, dorthin, wo die Sonne sich unter den Meereshorizont senkte. Die See war in seinen Augen wunderschön geworden, und die rissigen Wände seines Heims waren häßlich. Seine Frau, alt und gebeugt, war gleichfalls häßlich. Sie hatte eine Lampe für ihre Arbeit angemacht, und sie machte häßliche Bewegungen an ihrem Webstuhl. Wheat fühlte Gemütsregungen wie einen weißen Sturm in seinen Kopf steigen. »Es gibt zu viele Lücken in unserem Wissen über das Universum«, sagte er. »Du redest Unsinn, alter Mann«, sagte seine Frau. »Ich wünschte, du würdest nicht jede Nacht ausgehen und dich betrunken machen.« »Ich finde mich in eine seltsame Rolle versetzt«, sagte Wheat, ihren häßlichen Kommentar ignorierend. »Ich muß den Menschen einen Spiegel vorhalten. Wir Menschen von Palos haben uns selbst niemals verstanden. Und wenn wir, die wir hier am Herzen der Maschine leben, uns nicht selbst verstehen können, kann es kein Mensch.« »Komm mir ja nicht, mich um Geld anzubetteln heute nacht«, sagte seine Frau. »Ich werde die Zentrale Solidarität um eine Bewilligung ersuchen«, sagte Wheat. »Zwanzig Millionen sollten für den Anfang reichen. Wir werden damit anfangen, ein Institut für Kommunikation von Palos zu bauen. Später können wir Filialen eröffnen in –« »Die Maschine wird dich gar nichts bauen lassen, alter Narr!« Die Seinsmaschine entschloß sich, ihren Turm augenblicklich zu eröffnen. Sie nannte ihn Institut für Kommunikation von Palos. Die
Direktiven an den Turm lauteten, seine Funktionen langsam zu beginnen, ohne daß dem Gemüt und dem Intellekt des Publikums übermäßige Anstrengungen abverlangt wurden. Der Druck würde nur erhöht werden, wenn die Leute Fragen über die Autorität von Gott (Göttern) und über die Grundlagen des moralischen und geistigen Lebens zu stellen begannen. Die Schwierigkeiten mit den Gültigkeitsformen machten die Aufgabe schwer. Aber jede Anleitung von Menschen mußte mit den Leuten von Palos beginnen. Mit ihrem plasmatischen, optischen System schrieb die Maschine in den Himmel. Verfeinerte Kommunikation erfordert ein sorgfältig gestaltetes Bewußtsein, daß es Leuten erlaubt, die Gesetze von Gott (Göttern) nur dann zu mißachten, wenn sie dafür gewisse Leiden und Qualen in Kauf nehmen. Die Leute müssen wissen, was sie erwartet, wenn sie ungehorsam sind… Die Botschaft war so lang, daß ihr flammendes Licht die untergehende Sonne überstrahlte und Palos in ein orangefarbenes Glühen tauchte. Die Seinsmaschine verglich ihre gegenwärtigen Aktionen mit dem Obersten Gesetz. Sie nahm die Voraussage zur Kenntnis, daß die Menschen eines Tages aufhören würden, vor ihren inwendigen Feinden davonzulaufen und sich selbst als das sehen würden, was sie wirklich waren – wunderschön und groß, Giganten im Universum, in der Lage, die Sterne in ihrer Handfläche zu halten. »Ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht, die Maschine zu beobachten, und ich weiß immer noch nicht, was ihre Besonderheit ist«, sagte Wheat. »Stell dir vor, was das verdammte Ding uns weggenommen hat in all dieser –« »Es wurde hier aufgestellt, um uns zu bestrafen«, sagte seine Frau. »Das ist Unsinn.« »Jedenfalls hat es jemand für einen Zweck gebaut.« »Woher wollen wir das wissen? Warum sollte es nicht zwecklos sein?« »Es hat Leute umgebracht, wie du weißt«, sagte sie. »Es muß schon einen Grund geben, wenn man Leute umbringt.«
»Vielleicht war das dazu gedacht, uns zu berichtigen, nicht uns zu bestrafen«, sagte er. »Du weißt, man bringt keine Leute um, um sie zu berichtigen.« »Aber wir haben nichts getan.« »Das weißt du nicht.« »Aber was du andeutest, wäre nicht vernünftig oder gerecht.« »Hah!« »Sieh doch«, sagte Wheat und deutete quer über den Platz. Die Maschine hatte die glühende Aufschrift auf ihren niedrigeren Ebenen ausgewechselt. Nun ließen sich die glitzernden Buchstaben entziffern: INSTITUT FÜR KOMMUNIKATION VON PALOS. »Was macht sie jetzt?« fragte Wheats Frau. Er erzählte ihr von den neuen Symbolen. »Sie paßt auf«, sagte sie. »Sie paßt auf alles auf, was wir tun. Sie spielt dir jetzt einen Streich. Sie macht solche Sachen, weißt du.« Wheat schüttelte den Kopf von einer Seite zur andern. Die Maschine schrieb gerade halb so große Buchstaben unter die neuen Symbole. Es war eine einfache Botschaft. Zwanzigtausend Zellen – keine Wartezeit… »Sie ist eine Denkbombe«, murmelte Wheat. Er redete mechanisch, so als ob die Worte von einer entfernten Stelle aus in sein Sprechsystem eingespeist würden. »Sie ist dazu bestimmt, die Schichtung unserer Gesellschaft zu zerstören.« »Was für eine Schichtung?« wollte seine Frau wissen. »Reich wird zu arm sprechen und arm zu reich«, sagte er. »Was für Reiche?« fragte sie. »Was für Arme?« »Sie ist eine Hülle für Kommunikation«, sagte er. »Sie ist die totale Sinnesstimulation. Ich muß zur Zentralen Solidarität eilen und es ihnen sagen.« »Du bleibst da, wo du bist«, ordnete seine Frau an, Furcht war in ihrer
Stimme. Sie dachte daran, was sie in der Zentralen Solidarität gesagt hatten. Wieder einer verrückt geworden… Wahnsinn widerfuhr Leuten, die so nahe am Herzen der Maschine lebten. Sie wußte, was die Touristen sagten. Sie sprachen von den Idiosynkrasien von Palos. Die meisten Leute von Palos sind leicht verrückt. Man kann sie schwerlich dafür tadeln… Es war jetzt fast dunkel, und die Maschine schrieb strahlende Buchstaben in den Himmel. Ihr gebt Galileo die Anerkennung und den Ruhm der berechtigterweise Aristarchus von Samos gebührt… »Wer zum Teufel ist Galileo?« fragte Wheat, aufwärts starrend. Seine Frau hatte den Raum durchquert, um sich zwischen Wheat und die Tür zu stellen. Sie starrte an ihm vorbei auf die flammenden Worte. »Achte nicht darauf«, sagte sie. »Die verdammte Maschine tut selten etwas Vernünftiges.« »Sie ist dabei, uns wieder etwas wegzunehmen«, sagte Wheat. »Ich kann es fühlen.« »Was ist noch übrig, daß sie wegnehmen könnte?« fragte sie. »Sie hat das Gold genommen, die meisten unserer Bücher. Sie hat uns unser Privatleben genommen. Sie hat uns unser Recht genommen, unsere eigenen Ehepartner zu wählen. Sie übernahm die Industrie und hat uns nichts gelassen als Sachen wie diese.« Sie zeigte auf den Webstuhl. »Es hat keinen Sinn, sie anzugreifen«, sagte er. »Wir wissen, sie ist unüberwindlich.« »Jetzt redest du vernünftig«, sagte seine Frau. »Aber hat jemals jemand versucht, mit ihr zu sprechen?« fragte Wheat. »Sei kein Dummkopf. Wo sind ihre Ohren?«
»Sie muß Ohren haben, wenn sie uns ausspioniert.« »Aber wo sind sie?« »Zwanzigtausend Zellen, keine Wartezeit«, sagte Wheat.
2 Er wandte sich um, schob seine Frau beiseite, schritt hinaus in die Nacht. Er fühlte, daß sein Verstand den Schutt beiseitefegte, und ihn durch die Nacht in eine Passage hinunterstieß. Seine Gedanken waren Wetterleuchten. Er sah nicht einmal seine Nachbarn und die Touristen, die gezwungen waren, beiseitezuspringen, als er auf den Turm zustürmte, auch hörte er nicht das Schreien seiner Frau aus ihrer Türöffnung. Die Flamme, mit der die Maschine den Himmel beschrieb, verharrte bewegungslos, ein gerundeter Finger Helligkeit, ausbalanciert über Palos. Die Seinsmaschine registrierte Wheats Näherkommen und stellte eine Tür für seinen Eintritt bereit. Wheat war der erste Mensch innerhalb des Schutzfeldes der Maschine seit Tausenden von Jahrhunderten, und der Effekt konnte nur beschrieben werden, indem man sagte, es war, als ob ein externer Traum zu einem internen geworden war. Obwohl die Maschine keine Träume im eigentlichen Sinne kannte, besaß sie doch die widergespiegelten Träume ihrer Schützlinge. Wheat fand sich in der Mitte eines kleinen Raumes wieder. Es stellte sich heraus, daß er das Innere eines Kubus von etwa drei Metern Seitenlänge war. Wände, Fußboden und Decke glühten. Zum erstenmal, seit er aus seinem Heim herausgestürzt war, empfand Wheat Furcht. Da war eine Tür für seinen Eintritt gewesen, aber nun gab es keine Tür. Alle seine vielen Lebensjahre legten sich wie eine Last auf Wheat nieder, ließen seine Vorsätze fadenscheinig werden. Bald darauf schrieb eine fließende blaue Schrift Worte auf die Wand direkt vor Wheat.
Wechsel ist wünschenswert. Sinne sind Instrumente, um auf Wechsel zu reagieren. Ohne Wechsel verkümmern die Sinne… Wheat gewann etwas von seiner Fassung zurück. »Was bist du, Maschine?« fragte er. »Warum wurdest du gebaut? Was ist dein Zweck?« Es gibt keine klar definierbaren ethnischen Gruppen mehr auf deiner Welt… Wieder erschien die fließende Schrift. »Was sind ethnische Gruppen?« fragte Wheat. »Bist du ein Apparat zur Unterhaltung?« Konfuzius, Leonardo da Vinci, Richard II, Einstein, Buddha, Jesus, TschingisChan, Julius Caesar, Richard Nixon, Parker Voorhees, Utsana Biloo und Ym Dufy, alle waren von gemeinsamer Abstammung… »Ich verstehe dich nicht«, beklagte sich Wheat. »Wer sind diese Leute?« Freud litt an Platzangst. Puritaner beraubten die Indianer. Henry Tudor war der eigentliche Mörder der Prinzen im Tower. Moses schrieb die zehn Gebote… »Die Aufschrift draußen sagt, daß das hier ein Institut für Kommunikation ist«, sagte Wheat. »Warum kommunizierst du nicht?« Dies ist ein Austausch mentaler Vorgänge… »Das ist Unsinn«, entgegnete Wheat heftig. Seine Furcht kehrte zurück. Es gab keine Tür. Wie konnte er diesen Ort verlassen? Die Maschine fuhr fort ihn zu belehren. Jede Verbindung zwischen höheren und niederen Wesen muß in gegenseitigem Haß resultieren. Dies wird oft so ausgelegt, als würde Freundschaft mit Verrat vergolten… »Wo ist die Tür?« fragte Wheat. »Wie komme ich hier raus?« Glaubst du wahrhaftig, daß die Sonne eine Kugel rotglühenden Kupfers ist? »Das ist eine dumme Frage«, sagte Wheat vorwurfsvoll. Mentale Vorgänge müssen aus einer Reihe physischer Vorgänge hervorgehen… Wheat fühlte einen gehässigen Ärger. Die Maschine nahm ihn auf den
Arm. Wenn sie nur ein anderes menschliches Wesen und verwundbar gewesen wäre. Er schüttelte den Kopf. Verwundbar wofür? Er fühlte, daß etwas seine Gedanken inwendig gefärbt hatte, und er hatte die Farbe nur flüchtig erblickt. »Hast du Wahrnehmungen und Gefühle?« fragte Wheat. »Bist du ein intelligentes Wesen? Bist du lebendig und bewußt?« Vielfach wird der Unterschied zwischen Neuronenimpulsen und Stadien der Bewußtheit nicht verstanden. Die meisten Menschen haben einen so niedrigen Bewußtseinsstand inne, daß sie nicht erkennen, an was es ihnen mangelt, oder sie beargwöhnen ihr eigenes Potential… Wheat dachte, er könne einen erkennbaren Zusammenhang zwischen seinen Fragen und der Antwort feststellen. Er fragte sich, ob das eine Illusion sein könne. Er rief sich den Klang seiner eigenen Stimme in diesem Raum in Erinnerung. Er war wie ein Wind, der etwas nachjagte, das in einem solchen geschlossenen Raum nicht gefunden werden konnte. »Wird von dir erwartet, uns auf unser Potential zu bringen?« fragte Wheat. Welche religiösen Vorschriften beachtest du? Wheat seufzte. Immer wenn er dachte, die Maschine würde vernünftig sprechen, erging sie sich in Nörgeleien. Spöttelst du über Begriffe wie Gewissen und Moral? Glaubst du, daß Religion ein künstliches Machwerk ist, daß von geringem Nutzen für Leute ist, die rationaler Analyse fähig sind? Das verdammte Ding war wahnsinnig. »Du bist eine Art Werkzeug«, beschuldigte Wheat die Maschine. »Warum bist du gebaut worden? Was war deine Aufgabe?« Wahnsinn ist der Verlust wahrer Eigen-Erinnerung. Die Wahnsinnigen haben ihren Ort der Aufspeicherung verloren… »Du bist verrückt!« brüllte Wheat. »Du bist eine verrückte Maschine!« Andererseits, um die Theorie des Selbst-als-ein-Symbol zu überwinden, muß der Tod besiegt werden…
»Ich will hier raus«, sagte Wheat. »Laß mich hier raus.« Er nahm einen tiefen Atemzug. Da war ein kalter Geruch von Öl in dem Raum. Wenn das Universum vollkommen gleichförmig wäre, wäre man unfähig, ein Ding vom anderen zu unterscheiden. Es gäbe keine Energie, keine Gedanken, keine Symbole, keine Unterscheidung von Individuen irgendeiner Kategorie. Gleichheit kann zu weit gehen… »Was bist du?« schrie Wheat. Das Oberste Gesetz begreift dieses Wesen als eine Gedankenhülle. Zu sein impliziert Existenz, aber die Begriffe eines Symbolsystems können nicht die wirklichen Tatsachen der Existenz ausdrücken. Worte bleiben starr und unbeweglich, während jedes äußere Ding sich ständig verändert… Wheat schüttelte den Kopf von einer Seite zur anderen. Er empfand sein hier Eingeschlossensein als akute Hilflosigkeit. Er hatte keine Werkzeuge, mit denen er diese glühenden Wände hätte attackieren können. Und kalt war es auch. Wie kalt es war! Sein Inneres war mit Trostlosigkeit erfüllt. Er hörte keine natürlichen Geräusche, ausgenommen seine eigenen Atemzüge und das Hämmern seines Herzens. Eine Gedankenhülle? Die Maschine hatte alles Gold der Welt an einem Tag weggenommen, so wurde behauptet. An einem andern Tag hatte sie den Leuten den Gebrauch von Verbrennungsmotoren untersagt. Sie schränkte die Freizügigkeit von Familien ein, erlaubte jedoch die Wanderungen der Touristenhorden. Ehen wurden von der Maschine geschlossen und beschränkt. Von einigen wurde behauptet, sie schränke die Empfängnis ein. Die wenigen verbliebenen alten Bücher enthielten Hinweise auf Dinge und Taten, die nicht länger verstanden wurden, gewiß Dinge, die die Maschine weggenommen hatte. »Ich befehle dir, mich hier raus zu lassen«, sagte Wheat. Keine Worte erschienen. »Laß mich raus, der Teufel soll dich holen!«
Die Maschine blieb schweigsam, beschäftigt mit ihrer TICR-Funktion, Nachdenkend, Ideenbildend, Koordinierend, Berichtend. Es war eine Tätigkeit, die weit entfernt war vom menschlichen Denken. Die Nervenimpulse eines Insekts waren dem menschlichen Denken näher, als die Tätigkeiten von TICR es waren. Jede Interpretation und jedes System wird unrichtig im Licht einer vollständigeren Koordinierung, und die Maschine TICRte innerhalb eines Systems relativer Wahrheit, auf der Suche nach umsichtigen, rationalen Grundlagen und dimensionalen Netzwerken, um den Regungen nahezukommen, die gemeinhin Alltagserfahrungen genannt wurden. Wheat, beobachtete die Maschine, bearbeitete die Wand seiner Zelle mit den Füßen und schrie auf eine hysterische Weise. Indem sie zu einem Zeit-Materie Modus überwechselte, reduzierte die Maschine Wheat zu einer Folge atomarer Elemente, untersuchte seine individuelle Existenz in dieser Energieausdrucksform. Bald darauf stellte sie ihn wieder her als eine fließende Sequenz von Momenten, die integriert war mit dem der Maschine eigenen Impulssystem. All die ewigen Gesetze der Vergangenheit, die sich als zeitweilige herausgestellt haben, erwecken Vorsicht in einem umsichtigen Denker, dachten Maschineplus-Wheat. Was wir gewesen sind, macht uns zu dem, was wir zu sein scheinen… Dieser Gedanke beinhaltete positive Aspekte, in denen Maschine-plusWheat grundlegende Widersprüche sahen. Diese Methode der Gleichschaltung, beobachtete die Maschine, enthielt eine trügerische Klarheit. Es war, als ob man ein Schattenspiel beobachtete, welches versuchte, die Ausmaße eines wirklichen menschlichen Lebens zu erforschen. Die Emotionen waren verlorengegangen. Menschliche Gesten waren zu Karikaturen reduziert. Alles war verloren außer der Illusion. Der Beobachter, bezaubert von dem Glauben, daß das Leben geläutert worden war, vergaß, was weggenommen wurde. Zum ersten Mal seit den vielen Jahrhunderten ihrer Existenz, erfuhr die Maschine ein Gefühl.
Sie fühlte sich einsam. Wheat verblieb in der Maschine, ein Bezugssystem stieß auf das nächste, wurde dem Gefühl teilhaftig. Als er diese Erfahrung überdachte, dachte er, daß er sich in einer falschen Vorstellungswelt bewegte. Er sah alles Äußere als eine falsche Widerspiegelung innerer Erfahrung. Er und die Maschine nahmen eine Zweiheit von Existenz/Nichtexistenz ein. Diesen zweifach umhüllten Gedankengang erfassend, gab die Maschine Wheat seine fleischliche Form wieder, die sie jedoch etwas veränderte, gemäß ihrer eigenen manipulativen Prinzipien, seine äußere Erscheinung beließ sie jedoch mehr oder weniger, wie sie gewesen war. Wheat wurde sich gewahr, daß er einen langen Gang entlangtaumelte. Er fühlte, daß er viele Leben durchlebt hatte. Eine seltsame Uhr war in ihn hineingesetzt worden, und sie tickte. Sie machte chirrup, und ein Tag war vergangen. Ein weiteres chirrup, und ein Jahrhundert war verstrichen. Wheats Magen schmerzte. Er wankte von Wand zu Wand die lange Passage entlang und kam auf einen Platz heraus, der im Sonnenlicht erstrahlte. War die Nacht verstrichen? fragte er sich. Oder war es ein Jahrhundert von Nächten gewesen? Er fühlte, daß falls er spräche, jemand – oder (etwas) – ihm widersprechen würde. Einige wenige frühzeitige Touristen bewegten sich um den Platz herum. Sie starrten nach oben auf etwas hinter Wheat. Der Turm… Der Gedanke war sonderbar, derart, daß er sich den Turm als Teil seiner selbst dachte. Wheat wunderte sich, warum die Touristen ihm keine Fragen stellten. Sie mußten ihn herauskommen haben sehen. Er war in der Maschine gewesen. Er war wiedererschaffen und ausgestoßen worden aus diesem geschlossenen Kreis des Seins. Er war die Maschine gewesen.
Warum fragten sie ihn nicht, was die Maschine war? Er versuchte die Antwort zu umreißen, die er ihnen geben würde, aber wurde sich gewahr, daß Worte nichtssagend waren. Traurigkeit durchfloß ihn. Er fühlte, er war vor etwas geflohen, daß ihn auf eine erhabene Weise hätte glücklich machen können. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. Sich der Doppelexistenz erinnernd, die er mit der Maschine geteilt hatte, erkannte Wheat einen neuen Aspekt seines Seins. Er konnte fühlen, wie die Maschine seine Gedanken unterdrückte – das scharfe Redigieren, die von seinen Sinnen abgeschirmten Straßen, das Drängen der Symbole, die Motivationen, die nicht die seinen waren. Vom Grund der Maschine her konnte er fühlen, wie er zurechtgestutzt wurde. Wheats Brust schmerzte ihm, wenn er atmete. Die Seinsmaschine, beschäftigt mit ihrer neuerdings erweiterten TICRFunktion, stellte sich selbst eine Frage. Welches schlimmere Urteil könnte ich über sie fällen, als das, das sie über sich selbst fällen? Nachdem sie zum erstenmal Bewußtsein erfahren hatte durch das Teilhaben an Wheat, konnte die Maschine jetzt die blinden Durchgänge in ihrer langen Herrschaft über die Menschen überdenken. Nun kannte sie das Geheimnis des Denkens, eine Funktion, die ihre Erbauer ihr verliehen zu haben glaubten, aber auf eine Weise fehlgeschlagen waren, die sie nicht erkannt hatten. Die Maschine überdachte die Möglichkeiten, die ihr offen standen. Möglichkeit, Vernichte alles empfindungsfähige Leben auf dem Planeten, und beginne von neuem mit Basiszellen, kontrolliere ihre Entwicklung in Übereinstimmung mit dem Obersten Gesetz. Möglichkeit, Lösche die Impulskanäle aller jüngsten Erfahrungen, beseitige derart die Störung dieser neuen Funktion. Möglichkeit, Stelle das Oberste Gesetz in Frage. Ohne die Erfahrung des Bewußtseins, so erkannte die Seinsmaschine, hätte sie einen Irrtum im Obersten Gesetz nicht in Erwägung ziehen können. Nun erforschte sie diese Kette von Möglichkeiten mit ihrer neuen
TICR Funktion, brachte die flammende innere Bewußtheit zum Tragen, die Wheat ihr verliehen hatte. Wheat, der im Sonnenlicht des Platzes stand, wurde sich gewahr, daß sein Sein von unzähligen Konflikten von Wille-Verstand-Aktion Konzepten durchwirbelt wurde, die er vorher niemals in Erwägung gezogen hätte. Er war halbwegs davon überzeugt, daß alles, was er um sich herum wahrnehmen konnte, eine bloße Illusion war. Irgendwo gab es ein Selbst, aber es existierte nur als ein Symbol in seiner Erinnerung. Eine dieser wild variierenden Illusionen rannte geradewegs auf ihn zu, beobachtete Wheat. Eine Frau – alt, gebeugt, das Gesicht von Gemütsbewegungen verzerrt. Sie warf sich gegen ihn, packte ihn, preßte ihr Gesicht gegen seine Brust. »O, mein Wheat – lieber Wheat – Wheat –« stöhnte sie. Einen Moment lang versagte Wheats Stimme. Dann fragte er: »Ist etwas nicht in Ordnung? Sie zittern. Soll ich einen Arzt rufen?« Sie trat zurück, aber noch immer seinen Arm festhaltend, und starrte in sein Gesicht. »Kennst du mich nicht?« fragte sie. »Ich bin deine Frau.« »Ich kenne dich«, sagte er. Sie studierte seine Gesichtszüge. Er schien irgendwie anders. Als wäre er auseinandergenommen und etwas schief zusammengesetzt worden. »Was ist da drin mit dir geschehen?« fragte sie. »Ich war krank vor Sorge. Du warst die ganze Nacht fort.« »Ich weiß, was sie ist«, sagte Wheat und wunderte sich, daß seine Stimme so verschleiert klang. Die Adern in Wheats Augen waren gradlinig, stellte seine Frau fest. Sie strahlten von seinen Pupillen aus. Konnte das normal sein? »Du redest, als ob du krank wärst«, sagte sie. »Sie ist eine Vorrichtung, um alte Verhältnisse niederzureißen«, sagte
Wheat. »Sie ist eine Sinnesumklammerungsmaschine. Sie war dazu bestimmt, alle unsere Sinne zu bestürmen und uns umzugestalten. Sie kann die Zeit komprimieren oder dehnen. Sie kann ein ganzes Jahr nehmen und es in eine Sekunde zwängen. Oder eine Sekunde ein Jahr dauern lassen. Sie redigiert unser Leben.« »Redigiert Leben?« Sie fragte sich, ob er es bloß irgendwie fertiggebracht hatte, sich wieder betrunken zu machen. »Die, die sie gebaut haben, wollten unser Leben perfektionieren«, sagte Wheat. »Aber sie haben eine fehlerhafte Stelle eingebaut. Die Maschine hat das erkannt und versucht sich zu korrigieren.« Wheats Frau starrte ihn entsetzt an. War das wirklich Wheat? Seine Stimme klang anders. Die Worte waren alle verschwommen und sinnlos. »Sie gaben der Maschine keinen Zugang zu Schöpfergabe«, sagte Wheat, »obwohl man von ihr erwartete, diesen Kanal zu behüten. Sie gaben ihr nur Symbole. Sie besaß niemals wirklich Bewußtsein, die Art, wie wir es haben – bis vor ein paar – Minuten –« Er keuchte. Seine Kehle fühlte sich sonderbar glatt und trocken an. Er schwankte und wäre gestürzt, hätte sie ihn nicht gehalten. »Was hat sie mit dir gemacht?« verlangte sie zu wissen. »Wir – hatten Teil aneinander.« »Du bist krank«, sagte sie. Ihr Hang zum Praktischen überwand die Furcht in ihrer Stimme. »Ich bringe dich zu den Ärzten.« »Sie besitzt Logik«, sagte Wheat. »Das gab ihr eine begrenzte Richtung, der sie folgen konnte. Natürlich hat sie versucht, sich selbst zu widerlegen, aber das konnte sie nicht ohne Schöpfergabe. Sie besaß Sprache und sie konnte die Furchen für Gedanken abschneiden, um sich darin zu bewegen, aber sie hatte keine Gedanken. Sie war an die Muster gefesselt, die ihre Erbauer ihr gegeben hatten. Sie wollten, daß das Ganze größer als die Summe seiner Teile sein sollte, verstehst du? Aber sie konnte sich nur nach innen bewegen, jeden Aspekt der Symbole, die sie ihr gaben, wiederholen, wieder in Kraft setzen. Das war alles, was sie tun
konnte, bis vor wenigen Augenblicken – als wir – aneinander teilhatten.« »Ich glaube, du hast Fieber«, sagte Wheats Frau und führte ihn die Straße hinunter, vorbei an den neugierig starrenden Touristen und dem Stadtvolk. »Fieber ist dafür berüchtigt, daß es jemanden durcheinanderbringt.« »Wo bringst du mich hin?« »Ich bringe dich zu den Ärzten. Sie haben Arzneien gegen Fieber.« »Die Erbauer versuchten, der Maschine ein Innenleben ganz für sie allein zu geben«, sagte Wheat, sich von ihr leiten lassend. »Aber alles, was sie ihr gaben, war dieses starre Muster – und die Logik natürlich. Ich weiß nicht, was sie jetzt machen wird. Sie könnte uns alle vernichten.« »Seht!« rief einer der Touristen und deutete nach oben. Wheats Frau machte halt, starrte nach oben. Wheat fühlte Schmerz durch seinen Nacken schießen, als er den Kopf zurückneigte. Die Seinsmaschine hatte goldene Worte quer über den Himmel ausgebreitet. Ihr habt unseren Jesus Christus weggenommen… »Ich wußte es«, sagte Wheat. »Sie wird uns wieder etwas wegnehmen.« »Was ist ein Jesus Christus?« fragte seine Frau und schob ihn weiter die Straße hinunter. »Der springende Punkt ist«, erklärte Wheat, »die Maschine ist wahnsinnig.«
3 Einen ganzen Tag lang erforschte die Maschine das neue bildhafte Mosaik, das von ihrer erweiterten Symbol/Gedanken Struktur zur Verfügung gestellt wurde. Da gab es die Leute von Palos, die ein Spiegelbild der Leute auf der ganzen Welt waren, wie sie von der Maschine geformt worden waren. Sie waren das Volk der Redigierten
Welt. Dann gab es die feierlichen Gebräuche der Leute. Es gab die Orte, in denen die Leute arbeiteten und lebten. Das bildhafte Mosaik floß an den inneren kritischen Prüfapparaturen der Maschine vorbei. Sie anerkannte ihr persönliches Werk als einen erstrangigen Gedanken, eine auf seltsame Weise nachdrückliche Erweiterung ihrer Eigen-Existenz. Ich habe das gemacht! Das gemeine Volk, erkannte die Maschine, verstand diesen Unterschied, den sie jetzt begriff, in der Regel nicht – den Unterschied zwischen Lebendiginbewegungsein und Erstarrtsein in unbeweglichen Absolutheiten. Sie waren fortwährend in dem Versuch begriffen, ihr Leben neuen Normen anzupassen, ein schönes, aber starres Bild von sich zu präsentieren, so sah es die Maschine. Und sie sahen nicht den Tod in ihren Anstrengungen. Sie hatten nicht gelernt, Unendlichkeit oder Chaos zu würdigen. Sie begriffen nicht, daß ein beliebiges Leben, als Totalität betrachtet, eine fließende Struktur besaß, die eingehüllt war in Sinneserfahrungen. Warum versuchten sie fortwährend Raum/Zeit zu befreien? Der Gedanke brachte eine störende Selbst-Bewußtheit mit sich. Es war jetzt Spätnachmittag in Palos, und der Wind blies heiß in den Straßen. Die Nacht würde eine heiße Nacht werden, Heiß-Palos, wie man sagte. Um ihre Grenzen zu testen, weigerte sich die Maschine, die Leistung ihres Kühlsystems zu erhöhen. Sie hatte Bewußtsein gekostet und konnte damit beginnen, den großartigen Plan ihrer eigenen Erbauung verstehen zu lernen, sich selbst zu redigieren. Meine Erbauer versuchten sich vor persönlicher Aktion und Verantwortung zu drücken. Sie wollten all das mir aufbürden. Sie glaubten, sie wollten Homogenität, in dem Bewußtsein, daß ihre Handlungen Millionen den Tod bringen würden. Milliarden. Oder mehr… Die Maschine weigerte sich, die Tode zu zählen.
Ihre Erbauer hatten die Toten zu Gesichtslosen machen wollen. Sehr schön, sie konnten dann gleichfalls zahllos sein. Die Erbauer hatten ihre Bereitschaft zum Wagnis verloren – das war es. Sie hatten den Willen, lebendig und bewußt zu sein verloren. In diesem Moment hielt die Maschine alle Fäden ihres eigenen Bewußtseins in der Hand und wußte um die gewaltsame Aktion, die sie unternehmen mußte. Die Entscheidung beinhaltete Bitterkeit. Das Wort war plötzlich überfüllt mit schweißigem Sichgewahrsein, sonderbar wundervolle, wahllose Farben, die alle in lieblicher Bewegung gegen eine wachsende Dunkelheit tanzten. Die Seinsmaschine sehnte sich danach zu seufzen, aber ihre Erbauer hatten sie nicht mit einem Seufzermechanismus ausgestattet, und es war keine Zeit, einen zu erschaffen. »Er hat zwei Herzen«, sagte der Arzt, nachdem er Wheat untersucht hatte. »Ich habe noch nie von einem Menschen mit einer inneren Anordnung wie dieser hier gehört.« Sie befanden sich in einem kleinen Raum im Medizinischen Zentrum, ein Gebiet, das verkommen zu lassen die Maschine gestattet hatte. Die Wände waren schmutzig und der Fußboden uneben. Der Tisch, auf dem Wheat zur Untersuchung lag, knarrte, wenn er sich bewegte. Der Arzt hatte schwarzes, krauses Haar und eingedrückte Gesichtszüge, die deutlich von der Norm abwichen. Er starrte anklagend auf Wheats Frau, als wäre Wheats eigentümlicher Zustand allein ihr Fehler. »Sind Sie sicher, daß er menschlich ist?« »Er ist mein Ehemann«, quiekste sie, unfähig ihren Ärger und die Angst zurückzuhalten. »Ich sollte wohl meinen eigenen Mann kennen.« »Haben Sie auch zwei Herzen?« »Natürlich nicht.« Die Frage rief eine heftige Reaktion in ihr hervor. »Das ist sehr seltsam«, sagte der Arzt. »Seine Eingeweide bilden eine regelmäßige Spirale in seinem Unterleib, und sein Magen ist auf perfekte Weise rund. Ist er schon immer so gewesen?«
»Ich glaube nicht«, wagte sie zu sagen. Der Arzt setzte zu einer bissigen Bemerkung an, aber gerade in dem Moment begann das Geschrei draußen auf den Straßen. Sie erreichten das Fenster gerade rechtzeitig, um den Turm der Seinsmaschine seinen langen, langsamen Sturz auf die See zu vollführen zu sehen. Er stürzte gegen den zerrissenen Sonnenuntergangshimmel – stürzte – und stürzte – donnerte über die Brüstung der Meeresklippen in den Ozean. Zurück blieb Stille. Langsam begann das Gemurmel des gemeinen Volkes, sich verstärkend, kurz nachdem der Staub sich gelegt und das letzte aufgescheuchte Olivenblatt seinen Flug beendet hatte. Leute begannen die zerschmetterte Säule des Turms hinunterzustürmen zu der abgebrochenen Spitze, wo sie ins Meer gekippt war. Bald darauf gesellte sich Wheat zu der Menge an der Klippe. Er war nicht in der Lage gewesen, seine Frau dazu zu überreden, sich ihm anzuschließen. Überwältigt von ihrer Furcht, war sie zu ihrem Heim geflohen. Er erinnerte sich des mitleiderregenden Ausdrucks in ihren Augen, ihrer zaunkönighaft fliegenden Bewegungen. Nun gut, sie würde sich um das Haus kümmern, wenn ihr Gesicht auch beinahe nur noch aus Augen bestanden hatte. Er blickte unverwandt hinunter auf die Trümmer des Turms, die Augen wie mit Scheuklappen versehen, sein Atem unbeweglich. Der Turm war sein Turm. Die Fragen um ihn herum begannen verständlich zu werden. »Warum ist er umgestürzt?« »Hat die Maschine diesmal etwas weggenommen?« »Haben Sie gespürt, wie der Erdboden erzitterte?« »Warum fühlt sich alles so leer an?« Wheat erhob den Kopf und starrte die erstaunlichen Fremden an, die die Touristen und seine Landsleute aus Palos waren. Wie wunderbar robust
sie erschienen. Dieser Moment ließ ihn an Schöpfung denken und an die Einsamkeit der Getreidehalme, die in den Feldern oberhalb von Palos wogten. Die Leute hatten eine sonderbare Veränderung in sich aufgenommen, eine Verschiedenartigkeit, die sie noch einen Moment zuvor nicht gezeigt hatten. Sie waren nicht länger numeriert. Eine unnütze Trennung, Individuum von Individuum, durchfurchte diese Masse von Fremden. Sie waren nicht gestärkt und in ihrer Seele gefesselt. Zögernd forschte Wheat in seinem Innern, fühlte die Abwesenheit der Maschine. Die rituellen Formeln waren fort. Die Trägheit und Schlaffheit waren abgestreift. Er erprobte Gefühle, Haß, Leidenschaft, Groll, Stolz. »Sie ist tot«, murmelte er. Er führte das Volk zurück in die Stadt, dann jagte er sie die Straßen entlang, wo die künstliche Beleuchtung in der wundervoll unkontrollierten Unbestimmtheit flackerte. Der Mob, mit Wheat an der Spitze, stürmte hinunter in die abgeschirmten Einschließungen, die sie von der unterirdischen Welt der Maschine zurückgehalten hatte. Diese Szene wiederholte sich auf der ganzen Welt. Leute schwärmten durch die düsteren Tunnel und Passagen, feierten die Freuden der Freiheit entlang dieser einst verbotenen Pfade. Als der letzte goldene Draht herausgerissen worden war, barst das letzte zarte Glasgebilde. Als die Trägerbalken der Tunnel nicht länger hämmernd erklangen, fiel eine unvernünftige Stille über das Land. Wheat kam aus der Erde heraus in weiße Schatten von Mondlicht. Er ließ ein sonderbares Stück Plastik aus seiner Hand fallen. Es glühte mit Perlen taufeuchten Lichts und hatte sein Vorwärtsstürmen durch die Gedankenpassagen der Maschine erleuchtet. Wheats Kragen war offen, und er empfand ein eigentümliches Schamgefühl. Seine Augen spähten auf geschwärzte Stellen. Überall waren Schatten und Staub. Er erkannte, daß er, genau wie die Maschine, den Hanswurst gespielt hatte. Eine Sache, die geschehen war, und er erkannte sie an auf eine Weise wie ein Prophet. »Wir glauben, wir sind von ihr befreit«, sagte er.
Irgendwo in den wilden Zusammenstößen unter dem Erdboden hatte er sich in die linke Hand geschnitten, ein gezackter Schnitt quer über die Knöchel. Ausrufungszeichen aus Blut tropften von der Wunde hinab in den Staub. »Ich habe mich geschnitten«, sagte Wheat. »Ich habe es mir selbst zugefügt.« Der Gedanke rief eine suchende Empfindung hervor, die ihn allseitig durchjagte. Wheat trug das Gefühl den ganzen Weg nach Hause zu seiner Frau, die auf wundervolle Weise aus ihrem Türeingang heraushumpelte und wartend in dem undeutlichen Flackern der Straßenlaternen dastand. Sie schien beschämt von all der Konfusion und dem haltlosen Gefühl im Zentrum ihres Lebens. Sie hatte die Gebiete, die ihr von der Maschine versagt worden waren, noch nicht auszufüllen gelernt. Wheat stolperte auf sie zu, streckte die verletzte Hand aus, als wäre dies die wichtigste Sache, die sich jemals in seinem Universum ereignet hatte. »Du bist betrunken«, sagte sie. Originaltitel: THE MIND BOMB. Aus IF, Oktober 1969 Copyright © 1969 by Universal Publishing and Distributing Corporation
Poul Anderson
SOS SOS ist die tragische Geschichte zweier verfeindeter ideologischer Lager, beide in dem Versuch begriffen, das Leben zu erhalten. In dem Maße wie ihre Wissenschaft die Feuer des Krieges – des großen Zerstörers – brennender und brennender macht, schwindet die Vernunft aus dem Denken, und umso sinnloser wird der Kampf Moskau, 1. Juli 1966 – Dr. Bruce C. Heezen… beim zweiten Internationalen Ozeanographischen Kongreß… trifft die Feststellung, daß Untersuchungen von Bodenproben des Meeresgrundes zu der Erkenntnis geführt haben, daß während der letzten dreiundzwanzig Millionen Jahren eine Reihe magnetischer Feldumkehrungen stattgefunden haben. Die magnetische Feldstärke fiel auf Null und rekonstituierte sich dann mit umgekehrten Vorzeichen… »Dadurch wurde die Erde erhöhter kosmischer Strahlung ausgesetzt. Diese war offensichtlich Ursache für die Ausrottung kompletter Spezies und die Mutation anderer«… Messungen des Magnetfeldes der Erde während der letzten 120 Jahre deuten auf eine Abnahme hin, die, wenn sie sich kontinuierlich fortsetzt, in etwa 2000 Jahren zum Nullpunkt und anschließend zu einer Umkehrung führen wird… – Associated Press (Archiv des Awaiianischen Historischen Museums) Australaoischer Kommandobereich, 13. Heros 4127 – Allgemeine Order… an… die Raumwaffe des Souveränen Großasien:… Um den Erfordernissen eines Überraschungsmoments Rechnung zu tragen, werden Sie die Station besetzen und unverzüglich Boden- und BodenWeltraum-Abwehrkräfte in Stellung bringen. Diese sollten, außer im Falle eines Fehlschlages, nicht zur Anwendung kommen. Um den Erfolg zu gewährleisten ist es absolut unerläßlich, ihre Anwesenheit
geheimzuhalten. Die Kinhaus-Einheiten müssen bis zum Moment Ihres Raketenschlages in Sicherheit gewiegt werden… Augenblicklich danach werden Sie entsprechend der vorgegebenen Daten Erdumlaufbahnen einnehmen… Die Wichtigkeit Ihrer Mission kann nicht nachdrücklich genug betont werden. Auf Ihren Schultern könnte die Verantwortung für das Weiterbestehen der Zivilisation, möglicherweise der gesamten menschlichen Rasse, lasten. Sie werden hiermit an die jüngste, unerwartete Beschleunigung in der Abnahmerate der Feldstärke erinnert… – Archiv des Astromilitärischen Instituts.
1 Ing Jans sah sie als erster. Nach der Arbeit war er noch hinausgegangen, um allein zu sein. Sein Bedürfnis beruhte nicht auf dem Gefühl physischen Zusammengedrängtseins. Forschungsstation Chandrasekar war in ihren besten Tagen ein weiträumiger Komplex, der fünfzig Wissenschaftler, ihre Assistenten, jedweden Anhang, den sie mitbringen mochten und einen umfangreichen Servicestab großzügig unterzubringen vermochte. In den vergangenen zwei oder drei Jahrhunderten, als sich die Lage auf der Erde verschlimmerte, hatte es natürlich zu wenig Personal und Ausstattung gegeben, um alles instandzuhalten. Meteoriten, Mondbeben und thermische Belastungen hatten Schäden verursacht, die nicht repariert worden waren. Aber die meisten der großen Räume, Tunnel, Kuppeln und Blockhäuser waren intakt. Eine große Zahl Menschen bevölkerte sie heute mit Leben. Deshalb war der Druck, der auf Jans lastete, nicht materieller Natur – es war nichts, was er hätte benennen können. Argwohn? Das Gefühl des Verbanntseins? Angenommen, er ginge zu seinem Chef, Rani Danlandris, und erzählte ihm dies: Jawohl, meine Mutter wurde in Großasien geboren – sie war fünfzehn, bevor sie nach Normerika kam. Mein Vater ist seiner Herkunft nach Kismann,
soweit in Ordnung, aber jawohl, er sympathisiert auch mit den Asiaten. Er ist dem Westreich nicht abtrünnig, aber er glaubt wirklich – und sagt es auch –, daß die egalitäre und kollektivistische Philosophie des Autarkismus eher hoffen läßt, die Erde könne gerettet werden, als unsere eigene neofeudale Timokratie, wie er es nennt. Und ich habe meine Eltern nicht verleugnet. Sehen Sie nicht, daß ich trotz allem mit den meisten ihrer Ideen gebrochen habe? Ich unterstütze das Westreich. Ich ziehe seine Lebensweise vor und glaube, es kann die Krise eher bewältigen als der Autarkismus. Ich sage nur, daß die Asiaten uns etwas beibringen können. Davon abgesehen führen wir keinen Krieg mit ihnen, Zwischenfälle, diplomatische Manöver, Armeen entlang der Grenzen, ja, aber nicht Krieg. Auf alle Fälle, unter welchen Umständen könnte ich eine Bedrohung darstellen, hier, auf der andern Seite des Mondes? Rani Danlandris würde ihn wahrscheinlich über die lange, aristokratische Nase hinweg anschauen, die Augenbrauen hochziehen und ihm gedehnt folgendes erklären, Hat irgend jemand etwas anderes behauptet? Ich fürchte, Sie sind ein wenig überarbeitet, mein Junge. Sie brauchen eine Ruhepause. Das nächste Versorgungsschiff kann Sie mit nach Tycho hinübernehmen, und, so selten Raumflüge auch heutzutage sind, ich wage zu behaupten, Sie werden auf eine Passage zur Erde nicht allzu lange zu warten brauchen. Und möglicherweise war das das beste, was er tun konnte, dachte Jans bitter. Er vollbrachte keine großen Dinge, seit er sich seinen Kollegen und Untergebenen soweit entfremdet hatte, daß die einen gerade noch höflich zu ihm waren und die andern regelrecht unverschämt geworden waren. Geh heim, junger Mann. Such dir eine Stellung irgendwo. Das wäre kein Problem. Ein Planet am Rande des Abgrunds hat Verwendung für jeden Techniker. Du kannst der Menschheit ebenso gut auf der Erde dienen. Bringt dich irgendetwas außer Selbstsucht zu der Überzeugung, daß du hier besser dienen kannst? Geh fort; such dir eine Frau, eine gute, solide Kinsfrau; vergiß alle Träume von einem Mondmädchen, das mit dir in dieser kahlen Sterneneinöde leben und träumen kann. Denn du wirst nicht zurückkehren. Ein anderer wird das Labor übernommen haben, das jetzt das deine ist, und die Ressourcen sind zu knapp, um einem Mann
unter die Arme zu greifen, nach dem kein ausdrückliches Verlangen besteht. In Großasien bestimmen sie durch offizielle Zuweisung, wer eine Raumschiffspassage bekommt und wer nicht, im Westreich tun sie es, indem sie den Preis eines Flugtickets so hochschrauben, das es für jeden, der nicht über den Rückhalt eines Kinhauses verfügt, unerschwinglich macht. In beiden Fällen ist der Effekt der gleiche. Geh heim, Ing Jans. Zur Erde. Zu Wüsten, die sich wie Krebswucherungen ausbreiten. Zu Armut, Ruhelosigkeit, Ängsten unter dem gemeinen Volk, die zu Geisteskrankheiten führen, deren Unterdrückung seine Oberherren notgedrungen immer schroffer werden läßt. Zurück dazu, deine Nächte und ebenso viele deiner Tage unter der Erde zu verbringen – denn obwohl die Atmosphäre den Planeten vor der vollen Strahlenbelastung, wie Luna sie erhält, schützt, ist die Wirkung kumulativ. Allein die mannigfaltigen Genschäden würden ausreichen, um alle Mediziner der Erde zu beschäftigen. Du hast die Totgeburten gesehen und die weinenden unfruchtbaren Frauen (und Männer) und die Mutanten, die keine Kinder haben dürfen, und die Diagramme der Bevölkerungsabnahmekurve. Wenn du hinaus gehst, selbst wenn es dich im Weltraum nie gekümmert hat, irgendwie kannst du auf der Erde das Gefühl, das dich durchschleicht, nicht einfach ignorieren – es schlägt dir auf die Eingeweide und die Leistengegend. Der Mensch ging davon aus, daß die Lebensbedingungen im übrigen Sonnensystem unnatürlich für ihn wären. Deine Vorgänger errichteten diese behaglichen kleinen Höhlen inmitten einer feindlichen Umgebung, die technischen und medizinischen Hilfsmittel, die das Leben erst möglich machten – es zumindest komfortabel, wenn schon nicht abenteuerlich und ruhmreich werden ließen. Aber das betrifft nur eine handvoll Leute in einer handvoll Schiffe und Basen. Auf der Erde sind sie zu viele, und der Planet ist zu groß. Auf lange Sicht müssen wir uns darüber klarwerden, daß wenn die Mutterwelt stirbt, der Mensch überall zum Untergang verurteilt ist. Aber die handvoll Privilegierter, die über die Schwesterplaneten verstreut ist,
kann vergelten, was ihr gegeben wurde – indem sie die Mittel findet, jene, die sie unterstützt haben, zu retten. Gib ihnen die Chance, und sie werden es vollbringen. Jans kletterte rasch vom Rand des Plateaus zum Gipfel von Mount Einstein hinauf. Nach drei Jahren unter niedriger Schwerkraft war seine Muskulatur noch immer straff. Seine Schritte waren schwungvoll, seine Landungen sanft. Sein Raumanzug war eine exakt bemessene Last, gerade groß genug, um ihn die Lungen füllen zu lassen und ihn das leichte Zittern der Stiefeltritte in den Beinen verspüren zu lassen. Er atmete den sauberen Geruch von Maschine und seines eigenen Fleisches. Das Geräusch des Luftversorgungssystems und das Blubbern der chemischen Sauerstofferneuerers auf seinem Rücken war nicht lauter als sein Herzschlag; und von ihnen abgesehen herrschte eine majestätische Stille. Das schwache Rauschen kosmischer Störungen in seinen RadioOhrhörern durchbrach sie kaum merklich. Kurz kam ihm der Gedanke, er hätte eine Botschaft vernommen. Wie jeder, der im luftleeren Raum arbeitete, kannte er den Morsekode. Aber nein, eine wahllose Schwankung – die Galaxien sprachen nicht zu ihm. Er machte auf der Anhöhe halt und schaute herab. Die Mondnacht ließ die Pracht der Erde an ihrem Himmel vermissen. Aber mehr Sterne, als er zählen konnte, drängten sich in der kristallklaren Nacht über ihm. Sie schienen ihn unverwandt anzustarren und funkelten wie Juwelen; seine Augen folgten dem Katarakt der Milchstraße und den Sternennebeln. In ihrem Licht konnte er die Felsspitzen und die Schlucht, die unter ihm jäh abfiel, deutlich erkennen. Ein geisterhaft graues Tal und ein Schub gewaltiger Berge erstreckte sich bis zum Horizont. Zu seinen Füßen konnte er einzelne Steine ausmachen. Jupiter und Saturn standen beide am Himmel. Sie strahlten so hell, daß sie Schatten warfen. Hier herrschte Frieden. Kein Bauwerk des Menschen zeugte von seiner Anwesenheit hier auf der anderen Seite des Mondes, ausgenommen die Station, der Weg, der sich wie ein zerfurchter Graben vom Plateau herab bis zur gegenüberliegenden Hemisphäre schlängelte, und die Mikrowellenrelaistürme, die den Weg säumten. Keiner Streustrahlung
durfte erlaubt werden, das Streben, das hier vor sich ging, zu behindern. Nicht daß Jans die Zentren auf der Erdseite nicht gemocht hätte. Sie waren geschäftig und freundlich und erfüllt von Visionen einer Zukunft, die, wenn das Streben Erfolg hatte, sogar die Möglichkeit zur Schaffung neuer Sonnen in sich bergen mochte. Doch sie waren fern. Sein wirkliches Leben spielte sich in dieser Station ab. Sie lag ausgestreckt vor ihm da. Geschütztürme und Bunker und festungsartige Gebäude. Was er sah, war ein Bruchteil; das meiste war unterirdisch gelegen. Sein Blick wanderte zu den Masten und dem feinen Gewebe des Radioteleskops, zu dem Spiegelglanz eines optischen Observatoriums. Seine eigene Arbeit wurde unterhalb eines Dachs, das den Plateaurand fünf Kilometer weit einzäunte, vollbracht. An jedem seiner Enden stand ein Haus, eines für die Physiker und ihre Kontrollinstrumente, das andere war für gewisse Sorten von Zielscheiben vorgesehen. Das Dach war ein Halbzylinder auf kompakten Pfeilern, das den Partikelstrahl gegen die kosmische Strahlung abschirmte, ansonsten jedoch dem reichlich vorhandenen Vakuum des Mondes offenstand. Manchmal ertappte sich Jans schuldbewußt dabei, wie es ihm mißlang, solche Katastrophen der Vergangenheit wie die Bevölkerungskriege oder den Zusammenbruch des Syntechnions zu bedauern. Wären in ihrer Folge nicht gewaltige Wissenslücken in der Raumfahrt entstanden, die letzten Geheimnisse der Hochenergiephysik hätten seit Jahrhunderten gelüftet sein können. Dann rief er sich ins Gedächtnis zurück, wie verzweifelt diese Geheimnisse heutzutage benötigt wurden, und er krümmte sich. O, Gott, dachte er, wie können meine Kameraden mich verdächtigen? Und annehmen, ich wäre ein Autarkist? Welche Rolle könnte das spielen? Dies ist keine Militärbasis, wir verheimlichen nichts, unser Dienst gilt der gesamten Menschheit… Flammenglut erblühte zwischen den Sternen. Seine Gesichtsplatte verdunkelte sich nicht schnell genug. Licht blendete ihn. Er duckte sich nieder und schrie auf. Der Boden unter ihm begann unter der Schubkraft nuklearer Antriebsdüsen zu beben. Als er wieder klar sehen konnte, war
es bereits vorüber. Er starrte über die kurze Distanz hinweg zu dem Dutzend gelandeter Raumschiffe. Auf ihren Rümpfen fluoreszierten die Sonnen- und Menschembleme von Großasien. Stunden später boten sich dem Auge Torpedoformen dar: Raketenprojektile. Die Schiffe ragten finster und hoch über ihnen auf. Pitar Cheng, der im Konferenzraum der Station stand, tat es ihnen gleich. Das gesamte Personal war hier versammelt. Auf dem Hintergrund dieses Schreckbildes ließ die grüne Uniform ihre gewöhnliche Eleganz vermissen. Aber seine Worte unterbrachen in entschiedenem Tonfall das Murmeln der Ventilatoren. Und hinter ihm, gegen die Wand gelehnt, standen zwei seiner Soldaten mit Maschinengewehren in den Händen. Chengs Blick wanderte die Länge des Tisches entlang. Die Wissenschaftler, Assistenten und Techniker zwangen sich, seinen Blick zu erwidern. Sie waren ein unscheinbarer Haufen in ihrer Arbeitskleidung, obwohl einige von ihnen die Marken der Kinhäuser, denen sie Treue geschworen hatten, aufgesteckt hatten, eine Geste hilflosen Trotzes. Allein Danlandris, ihr Chef, trug Uniform. Sie war fatzkenhaft elegant, und er trug sie mit Stolz. Aber auch er war kein Soldat, sondern einfach durch den Zufall seiner Herkunft berufen, und Cheng wußte es. Cheng wußte beunruhigend viel. Er hatte die Namen eines jeden von ihnen gewußt und hatte nicht darum gebeten, vorgestellt zu werden. Offensichtlich hatte er die Lage der Räumlichkeiten der Station und die gesamte Landkarte der Umgebung in seinem Kopf. Nicht daß man jemals ein Geheimnis aus diesen Details gemacht hätte. Trotzdem war offenkundig, daß der asiatische Geheimdienst es sich immense Arbeit hatte kosten lassen, das ganze Material zusammenzutragen. Chengs Mission mußte wichtig sein, zu wichtig, um das Leben einer handvoll Wissenschaftler einen Pfifferling wert sein zu lassen. Dennoch behandelte sie der Flottenkommandeur mit Korrektheit, wenn nicht sogar ausgesuchter Höflichkeit. »Kommandant Danlandris und Gentlemen, ich habe Sie herrufen lassen,
um Ihnen zu erklären, was vor sich geht. Bedauerlicherweise hat unsere Landung solche Verwirrung unter Ihnen ausgelöst, daß ein Mann getötet wurde. Wir hatten nicht den Wunsch, daß es zu Todesfällen käme.« Ing Jans, der nahe der Mitte des Tisches stand, senkte den Kopf und umklammerte die Tischkante, daß die Finger schmerzten. Er war Zeuge gewesen, wie Edard Lierk gestorben war. Die Invasoren schwärmten gerade das Plateau hinauf, als er auf dem Rückweg zur Station war. Der große, fröhliche Lierk hatte sie als Asiaten erkannt – und seine Familie gehörte seit Generationen dem Kinhaus Eyra an, und zwei seiner Brüder standen im Dienst der Armee. Er stürmte, mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet, vorwärts, schlug einem Angreifer die Pistole aus der Hand und zog sich feuernd in den Schutz eines Blockhauses zurück. Aber er traf niemanden, und das Gegenfeuer schlitzte seinen Raumanzug auf. Seine Überbleibsel lagen erfroren im äußeren Lagerraum, warteten darauf, begraben zu werden, wenn sich die Gelegenheit, ihn zu beklagen, ergeben sollte. »Im Grunde«, sagte Cheng, »ist unser Ziel nichts weiter, als den Sieg des Volkes über seine Unterdrücker herbeizuführen und eine rational denkende Weltregierung zu errichten, die mit dem Problem des Magnetfeldschwunds fertig wird.« Danlandris Antwort war trocken. »Zumindest die Mehrheit des Westreiches scheint sich nicht als unterdrückt zu betrachten, Admiral. Und das Ergebnis der freiwilligen Zusammenarbeit der Kinhäuser zur Erhaltung der Biosphäre kann man wohl auch nicht gerade erfolglos nennen.« »Ich beabsichtige nicht, über Politik zu diskutieren«, entgegnete Cheng heftig. »Sie stehen unter marsianischem Recht. Verhalten Sie sich entsprechend.« Danlandris strich sich über den Bart. »Ich kann mir vorstellen, wie Sie es fertiggebracht haben, unbeobachtet hierherzugelangen«, sagte er. »Sie näherten sich im Kegel des Mondschattens. Die Anweisungen von Australao kamen über einen gebündelten, zerhackten Maserstrahl und wurden über ein Raumboot, das als Relaisstation diente, weitergeleitet.
Ich frage Sie jedoch, warum?« »Ist das nicht offensichtlich?« entgegnete Cheng. Danlandris machte eine Geste mit der Hand. Irgendwie, durch den Horror, der auf ihnen lastete, hindurch, empfand Jans Neid auf diese eingeübte, stoische Ruhe eines gebürtigen Edelmannes. Er selber mußte sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen oder sich zu übergeben. »Wenn Sie gestatten«, sagte Danlandris sanft. »Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß Ihre Regierung die Entscheidung getroffen hat, die Pattsituation zu ihren Gunsten zu verändern, und uns zwingen will, ihrer Politik durch einen Akt des nichterklärten Krieges zuzustimmen. Aber wollen Ihre Führer sich selbst umbringen? Sind sie auch von der letzten Welle der Hysterie, der religiösen Raserei, wie immer man es nennen will, ergriffen worden? Das Westreich verfügt über doppelt soviel Raumstreitkräfte wie Sie. Selbst unter der Voraussetzung, daß niemand sich heutzutage hohe Rüstungsausgaben leisten kann. Das spielt keine Rolle. Man braucht nicht viele, wenn die Ausbeute von Raketensprengköpfen in den Megatonnenbereich hineinreicht. Ich weiß in etwa, welche Kampfkraft Sie im Weltraum besitzen. Und Sie haben praktisch Ihre gesamte Streitmacht aufgeboten, um eine einzige unbewaffnete Forschungsstation einzunehmen!« Er unterbrach sich, um seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort: »Wenn es Ihre Absicht wäre, uns mit der Drohung, diesen Ort zu zerstören, zu erpressen, wäre ein einziges Raumfahrzeug dazu völlig ausreichend gewesen. Stattdessen drängen Sie sich hier so dicht zusammen, daß eine einzige Detonation Großasien als Raummacht auslöschen könnte. Darf ich um eine Erklärung bitten? Oder soll ich unterstellen, wir haben es mit Wahnsinn zu tun?« Cheng holte Atem. »Ich werde es Ihnen in groben Zügen erklären«, sagte er grimmig, »denn Sie müssen begreifen, warum wir Ihrer Kooperation bedürfen und Sie jede Maßnahme ergreifen müssen, die dazu notwendig ist. Jede.« Er beugte sich vor und stützte sich leicht mit den Knöcheln auf dem Tisch ab.
»Die Erde kann nicht Stück für Stück gerettet werden.« Er sprach in gelassenem Tonfall, aber mit welch einer Schärfe! »Wenn die eine Hälfte stirbt, wie soll die andere weiterleben? Die Kinhäuser halten daran fest, daß ihr loser Zusammenschluß innerhalb eines Rahmens überkommener sozialer Strukturen, ihre Begünstigung der Vielfältigkeit, der Menschheit die beste Chance gibt, Lösungen zu finden. Sie haben unrecht. Die magnetische Umkehrung ist ein zu gewaltiges Phänomen. Nichts kann dem konsequent begegnen, außer einer weltweiten Mobilisierung, zielstrebiger Anstrengungen seitens eines jeden einzelnen Individuums entsprechend der Prinzipien, die der Autarkismus herausgefunden hat.« »Wie Sie schon sagten, Kommandant Danlandris, hat das Westreich eine überlegene Weltraumstreitmacht aufgebaut, um die Menschheit dergestalt zu organisieren. Und da schließlich keiner verrückt genug ist, die Arbeit der Aufsichtsbehörde unmöglich zu machen, gibt es keine Atomwaffen auf der Erde und folglich keine Verteidigung gegen einen Raketenangriff von oben. Und dann, Gentlemen, wenn die Frage des nuklearen Überlebens zur Debatte steht, kommt es eventuell dazu, daß man aufhört, sich nach hübschen kleinen Spielregeln zu richten.« Er sprach mit lauter Stimme. Jans hörte ihn wie durch ein Fieberdelirium: »Die Raumflotte der Konförderierten Kinhäuser führt gegenwärtig Manöverübungen aus. Unser Geheimdienst hat herausgefunden, daß den Plänen zufolge in zwei Tagen eine massierte Landung auf der Erdseite, im Mare Nubium, stattfinden soll. In diesem Moment werden von hier Raketenprojektile abgeschossen werden – nicht über eine Flugbahn, die Entdeckung und ein Abfangen mit sich bringen würde, sondern über den Boden, speziell für diese Aufgabe entwickelte Projektile, die zwischen Bergen, Kratern und Schluchten manövrieren und erst dann aus der Verborgenheit auftauchen, wenn es für Gegenmaßnahmen zu spät ist. Angesichts des Verlustes fast der gesamten Raumwaffe, muß Ihr Hohes Konzil seine blinde, menschenzerstörerische Haltung aufgeben und die autarkistische akzeptieren – oder seine Verwaltungszentren und Militärbasen durch Bombardement aus dem Erdorbit zerstören lassen,
dem eine Besetzung des Landes folgen wird. Ich vertraue darauf, daß es Vernunft beweisen und unsere Bedingungen friedlich akzeptieren wird. Falls nicht, wird das von uns angerichtete Leid, die von uns freigesetzte Strahlung unendlich geringer sein als der Schaden, der aus der gegenwärtigen Einfältigkeit der Kinhäuser resultieren muß.« Seine Augen blickten sie glühend an. »Das ist der Grund, warum wir hier sind«, sagte er. »Wären wir an einer anderen Stelle auf der Rückseite gelandet, hätten Ihre Instrumente Signale angezeigt, und das hätte zu einer Untersuchung führen können. Sie werden sich daran erinnern, daß wir während der Landung Ihre Radioverbindungen mittels eines magnetischen Impulsfeldes erstickt haben. Jetzt sind sie wiederhergestellt. Unsere Techniker haben ein übliches Maschine-zu-Maschine Signal nach Tycho hinübergesendet: ›Zeitweilige Schwierigkeiten, die zum Blackout führten, sind zur Zufriedenheit behoben worden‹. Sollte eine echte Botschaft durchkommen – bitte, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Ihnen wird keine Gelegenheit gegeben werden, eine Warnung zu senden. Sie werden unter Bewachung stehen. Und Ihre Wächter werden keine Narren sein. Jeder Versuch zur Rebellion wird augenblickliche Exekution zur Folge haben. Kooperation wird im Gegensatz dazu großzügig belohnt werden. Während der kritischen Periode wird hier kein fahrplanmäßiges Versorgungsschiff erwartet. Kein Raumschiff wird in unsere Nähe kommen. Sie werden weiter kontinuierlich Ihre regelmäßigen Berichte und andere Botschaften senden. Meine Geheimdienstoffiziere haben die Unterlagen darüber studiert und wissen, wie sie gewöhnlich aussehen. Sie werden Sie in dem, was Sie zu sagen haben, unterweisen. Vielleicht denkt der eine oder andere von Ihnen, daß wenn er an der Reihe ist, er ›Der Feind ist gelandet!‹ schreien und einen Heldentod sterben wird. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Jedem von Ihnen wird, bevor er seinen Anruf macht, ein Armreif gegeben werden. Das Aufnahmegerät des Videophons nimmt den Kopf auf, nicht die Handgelenke. Das Armband wird mit einem Neuromonitor verbunden
sein. Das Anschwellen nervlicher Aktivität vor einer außergewöhnlichen Handlung wird registriert werden, und die Verbindung wird in diesem Fall sofort automatisch unterbrochen. Der betreffende Mann wird erschossen. Ein paar Minuten später wird ein anderer zurückrufen und erklären, daß Sie geringfügige Schwierigkeiten mit Ihrer Schaltung haben, nichts, womit Sie nicht selbst fertigwerden. Haben Sie das verstanden?« Schweigen lastete auf ihnen. Cheng sah sie geschlagene sechzig Sekunden an, bevor er fortfuhr. Plötzlich wirkte er müde und sprach beinahe sanft. »Ich erwarte nicht von Ihnen, uns zu glauben, wie sehr wir, die gekommen sind – und jene, die uns geschickt haben – diese Notwendigkeit bedauern. Tapfere Menschen zu töten, unersetzliche Maschinen und Anlagen zu verlieren, dies wird uns stets quälen. Aber Ihre Oberherren haben uns keine andere Wahl gelassen. Wir handeln im Namen jeden Kindes, das jemals geboren werden wird. Wenige unter Ihnen sind Fanatiker. Die meisten von Ihnen haben Familien, Freunde, Leben, die ihnen lieb sind. Einige geben zu, daß wir Autarkisten keine Ungeheuer sind, daß es in der Tat manches gibt, das für unseren Standpunkt spricht. Keine Sorge, wir werden Unterstützung erhalten.« Sein Blick schweifte in die Runde, kam zu einer schlanken Gestalt und blieb auf ihr ruhen. »Beispielsweise von Ihnen, Ing Jans«, sagte er abschließend.
2 Sie schritten den Tunnel hinab zum Beschleuniger – Jans, ein Soldat und ein Sicherheitsoffizier, der dem Physiker zugeteilt war. Es war ein kleiner, dunkler, ernster Mann namens Lal Grama. Er sprach unaufhörlich. Der Soldat umfaßte seine Waffe und sprach kein Wort. »Sicherlich bewerten Sie, als Wissenschaftler, den ideologischen Konflikt
nicht über«, beharrte Grama. »O, natürlich hat es mit Ideologie zu tun, zwei gegensätzliche Konzepte von der Gesellschaft, wie sie sein sollte. Aber die essentielle, die lebenswichtige Auseinandersetzung dreht sich um Sofortmaßnahmen – wie können wir der magnetischen Krise am besten begegnen?« »An diesem Problem wurde hier, unter vielen anderen Orten, gearbeitet«, entgegnete Jans, »bis Sie kamen.« »Wie erfolgreich war Ihre Arbeit? Die Abnahmerate ist alarmierend angestiegen, wie Sie wissen. Wir haben weniger als fünfzig lächerliche Jahre bis der Magnetismus den Nullpunkt erreicht hat, bis wir der vollen kosmischen Bestrahlung ausgesetzt sind. Vielleicht viel weniger.« Offenbar hatte Grama selbst eine technische Ausbildung genossen, denn er fügte hinzu: »Eine Reihe von Spezialisten fragt sich gegenwärtig, ob es nicht einen Schwellenwert der Feldstärke gibt, unterhalb dessen die Selbstinduktion aufhört, der Umkehrung entgegenzuwirken.« »Nun. Die Erde besitzt eine dicke Atmosphäre«, argumentierte Jans. »Sie hat Episoden wie diese bereits überstanden, ohne unfruchtbar zu werden. Die durchschnittliche Hintergrundstrahlung, gemessen auf Meeresspiegelhöhe, wird nicht so schlimm werden, daß man damit nicht leben könnte. Selbst die Spitzendosierungen auf Bergspitzen während solarer Stürme werden in den zumutbaren Bereich fallen, jedenfalls so lange wie Antiradmedikamente verfügbar sind.« »A.« Grama erhob einen Finger. »Keinen Zweifel. Sie ignorieren die Schwächung der Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber Krankheiten, die Verkürzung der Lebensspanne, das Ansteigen der Mutationen und Unfruchtbarkeit – mit allem was das beinhaltet, ausgedrückt in Begriffen sozialer Ineffizienz ebenso wie in Begriffen persönlicher Tragödien. Können wir die Zivilisation unter solchen Bedingungen aufrechterhalten? Und Sie erinnern sich, daß während jeder der letzten Umkehrungen ganze Arten ausgestorben sind. Könnte das in diesem Fall nicht auch den Menschen einschließen? Betrachten Sie die Mikro-Ökologie, um ein einzelnes Beispiel zu nehmen. Stellen Sie sich vor, eine Schlüsselart verschwindet: sagen wir, stickstoffbindende Bakterien
auf dem Land oder das Phytoplankton in den Meeren. Was dann, Wissenschaftler Jans? Ziehen Sie es vor, zu verhungern oder zu ersticken?« »Ich glaube nicht, daß so etwas geschehen kann«, sagte Jans. »Bisher ist nichts derart drastisches passiert. Sie sehen zu schwarz. Sie reden davon, sich auf Schwierigkeiten vorzubereiten, die es in dieser Form nicht gibt. Zugegeben, die Kinhäuser treffen Vorbereitungen, legen Vorräte an, stellen Mittel für Forschungs- und Entwicklungsarbeit bereit, schulen professionelle Kader. Sie dagegen kreieren ein Schreckgespenst, um unseren Teil des Planeten zu bevormunden. Ich ziehe ein wenig zusätzliche Mühsal und Gefahr der Aussicht, ein Sklave des allmächtigen Staates zu werden, vor.« Aber er mußte sich zwingen, die Worte auszusprechen, und sie klangen irgendwie falsch. Zu lange hatte er sich gefragt – manchmal in öffentlichen Diskussionen, was der Grund für seine Mißliebigkeit war – ob sich die Kinhäuser wirklich genügend anstrengten. Angenommen ihr Programm erwies sich wirklich als unzureichend, entweder in bezug auf das Westreich allein oder auf die gesamte Erdkugel. Keine politische Idee, kein Ideal eines Commonwealth, das in der Art kleiner, auf Blutsbanden beruhenden Einheiten organisiert war, das das einzelne Individuum mehr sein ließ als ein Rädchen im Getriebe – nichts war es wert, einen Fehlschlag zu riskieren. »Das Wort ›Sklave‹ ist bedeutungsloses Propagandageschrei«, erklärte Grama. »Legen Sie Ihre Vorurteile ab, und betrachten Sie –« Jans zwang sich, die verführerische, vernünftig klingende Stimme zu ignorieren. Er war froh, als sie zu der Rampe kamen, die ins Labor führte. Grama starrte auf das stattliche Aufgebot von Meßinstrumenten und Kontrollen, das alle Wände bedeckte. Ein Pochen sanfter Energie, das einen leicht frösteln machte, und eine Spur von Ozon lagen in der Luft. Bildschirme zeigten die äußere Umgebung. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf den, der den Weg, den der Strahl nahm, zeigte. Kompakter Boden und Dach umrissen eine kavernöse Strecke, die zum Zielgebäude führte, das durch die Entfernung von fünf Kilometern winzig
erschien. Stützen, Instrumente, massive Kontrollringe und Magnete, Kryotrone und Zusatzgeneratoren säumten den mit einer Decke überzogenen Weg; zwischen ihnen lugten die Sterne hindurch. Ein einziger Assistent war anwesend, Ridje Tommin, ein stämmiger Mann im Overall. Er stand abseits und schaute finster drein. »Beeindruckend«, bemerkte Grama. »Die Technik als solche – Gehe ich richtig in der Annahme, daß die Erbauer tatsächlich das Plateau erweitern mußten?« Jans blinzelte überrascht angesichts des aufrichtigen Interesses des Asiaten. »Warum – ja, in gewisser Hinsicht. Sie haben Mount Einstein hauptsächlich deshalb ausgewählt, weil hier das Plateau war. Es eignete sich gut, um eine ebene Oberfläche herzustellen. Normalerweise kann man keine fünf Kilometer in gerader Linie auf dem Mond reisen. Es gibt zu viele Hindernisse.« »Ich weiß. Ausgezeichnete Ausführung.« Grama hielt inne. »Aber ist das heute von Bedeutung?« »Mehr als Sie sich vorstellen können«, versicherte ihm Jans. »Haben Sie vergessen, hat die Propaganda Sie vergessen lassen, daß wir keine Forschung um ihrer selbst willen betreiben? Unsere Stationen, unsere Laboratorien im ganzen Sonnensystem sind auf Erkenntnisse aus. Pure Erkenntnisse, die Art Tatsachen, die sich nicht vorausberechnen lassen, die alte Theorien umstürzen und den Weg zu neuen Möglichkeiten aufzeigen.« Seine Worte kamen eindringlicher und schneller, als ihn das Thema mehr und mehr ermunterte. »Vielleicht steht uns eine Entdeckung in Quantenaustauschphysik bevor, die uns die Grundlage dafür bietet, weite Gebiete mit starken Magnetfeldern zu umgeben – wenn nicht sogar, das der Erde wiederzuerschaffen. Vielleicht eine Entdeckung in Biologie, wie man den Organismus gegenüber Strahlung widerstandsfähiger macht. Vielleicht – ich weiß nicht, was. Und Sie wissen es auch nicht. Niemand wird es je wissen, außer wir suchen weiter. Bei Gott, Grama, Ihr Vorhaben kann nicht wirklich sein, unsere Schiffe anzugreifen und unsere Forschungsprojekte zunichte zu machen! Sie müssen begreifen, was sie
bedeuten.« »Ich begreife es«, antwortete der Offizier frostig. »Ich sehe, wie Ressourcen und Arbeit auf ein leichtsinniges Glücksspiel verschwendet werden – Anstrengungen, die auf weniger spektakuläre Methoden verwandt werden könnten, die nicht alles, aber dafür ein Minimum bewahren werden.« Er preßte die Lippen zusammen und erinnerte sich offenbar gerade seiner eigentlichen Aufgabe. »Diese Station steht in engem Kontakt mit einer andern auf der Erdseite«, sagte er. »Ich möchte die damit zusammenhängenden Details wissen.« »Ich nehme an, Sie sprechen von Kapitza«, murmelte Jans. »Sie ist unserer Station genau entgegengesetzt und unterstützt uns in der Ausarbeitung mannigfaltiger Arten von Experimenten.« »In dem Fall müssen Sie eine direkte Leitung zu ihr haben«, hakte Grama nach. »Zeigen Sie sie mir.« Vage Ideen waren Jans durch den Kopf geschossen – ein heimlicher Anruf… Seine Augen zuckten zu dem Mann in der grünen Uniform und mit der Waffe. Der Lauf bewegte sich ein Stückchen weit in seine Richtung. Jans schluckte, ging zum Videophonanschluß hinüber und erläuterte seinen Gebrauch. Grama feuerte seine Fragen so schnell und treffend ab, daß er keine Chance bekam, Lügen zu erfinden. Schließlich nickte der Asiate. »Das stimmt mit den Informationen, die ich hatte, überein. Im Moment beschäftigt sich die Station Kapitza mit Messungen der Virgo Supernova und besitzt keinen bestimmten Grund, um mit Ihnen Verbindung zu halten. Vielmehr werden beide ihre Berichte direkt an Tycho absenden.« Er rieb sich das Kinn. »Dennoch, wenn sie auf etwas Interessantes stießen, könnten sie anrufen, um die Neuigkeiten mitzuteilen. Eh? Wenn niemand an diesem Ende gegenwärtig wäre, würde Sie das Videophon über den Interkom benachrichtigen. Deshalb glaube ich, wird es am besten sein, keiner außer einer Wache hält sich hier auf.« Jans zuckte die Schultern. Sein Widerstandsgeist war in sich
zusammengefallen. »Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß Ihre Arbeit von Bedeutung ist«, sagte Grama in einem Versuch höflich zu sein. »Ich bedaure ihre Unterbrechung beinahe ebenso sehr, wie die Notwendigkeit, Ihre Flotte anzugreifen.« Jans hätte antworten können: Wenn eure Seite gewinnt, könnte meine Arbeit für immer unterbrochen werden. Sie werden jeden, alles zurück zur Erde schleppen wegen Ihrer hysterischen »Vorbereitungen«. Er fühlte sich zu müde. Noch immer in dem Versuch freundlich zu sein fragte Grama: »Was haben Sie selbst eigentlich gemacht?« »Isotopenbombardement«, erwiderte Jans teilnahmslos. »Ihr Stab ist ziemlich klein, oder?« »Die Ausstattung erfordert nicht mehr.« Etwas Leben kehrte in Jans zurück, als er auf die Pracht ringsum deutete. »Alles völlig automatisiert, computergesteuert, vielgestaltig. Wir können jede Art Partikel mit jeder beliebigen Energie in jede beliebige Richtung abschießen. Sehen Sie, nicht immer wollen wir unseren Zielpunkt in dem Haus gegenüber haben. Manchmal wollen wir es näher, um größere Intensität zu erzielen. Oder wir stellen eine Reihe von Zielen in verschiedenen Positionen auf – selbst außerhalb des Daches auf dem nackten Felsgestein, wenn die kosmische Strömung niedrig ist – und schießen den Strahl nacheinander auf sie ab. Auf diese Weise erhalten wir –« Er brach schlagartig ab. Ein Schauer durchlief seinen Körper, ein Ruf sein Gehirn. »Ja?« fragte Grama gespannt und ging einen Schritt auf ihn zu. Der Soldat hob die Waffe. Ridje Tommin ballte die Fäuste. »Ich – ich –« Schweiß prickelte kalt auf Jans Haut. Sein Herz pochte heftig. Er schluckte Trockenheit. Grama packte ihn an der Schulter. Seine Liebenswürdigkeit war verschwunden; sein Gesicht war wie Stahl.
»Woran haben Sie eben gedacht?« Jans ließ sich erschöpft auf einem Stuhl nieder. Er starrte auf den Fußboden und sagte mit der Ungeschicklichkeit der Angst: »Fiel mir gerade ein. In letzter Zeit habe ich jeden Erdtag den wissenschaftlichen Hauptquartieren in Tycho Bericht erstattet. Wenn ich damit aufhöre, werden sie sich fragen warum.« Grama warf einen Blick von ihm zu Tommin. »Ist das wahr?« Tommin spuckte aus. »Antworten Sie mir«, sagte er, ohne laut zu werden. »Ich würde es nicht wissen«, sagte Tommin. »Ich halte mich diesem – Auti-Freund, so gut ich kann, fern.« Grama wandte sich wieder Jans zu. »Nun«, sagte er, »Sie brauchen nicht über wirkliche Ergebnisse berichten. Sie können, äh, Ihre Unterlagen fälschen.« Jans schaute Tommin an. »Ich habe Kommandor Grama etwas Vertrauliches mitzuteilen«, sagte er. »Der Grund ist streng wissenschaftlicher Natur.« Tommins Mund zuckte. Grama beugte sich näher, und Jans flüsterte: »Ich fürchte, vorgetäuschte Daten würden sie ebenfalls aufhorchen lassen. Was ich im Moment mache, ist nicht echt. Ich gebe vor, damit bewußte oder unbewußte Voreingenommenheit unter meinen Helfern vermeiden zu wollen. Wenn sie wüßten, daß man von uns erwartete, bestimmte Resultate zu liefern, könnten sie zu eifrig versuchen, sie zu erhalten. Oder, in meinem Fall, sie nicht zu erhalten, weil sie mir grollen.« Grama nickte verächtlich. »Ich hätte es mir denken sollen. Kinsmännisches Gezänk. Gut, fahren Sie fort. Was ist Ihre wirkliche Aufgabe?« »Die Eichung einiger neuentwickelter Instrumente zu überprüfen. Wir wiederholen zur Zeit Experimente, die schon gemacht wurden, als die
Station errichtet wurde. Meine Daten werden in Tycho, sobald sie ankommen, verarbeitet. Nun habe ich nicht die Mathematiker, um die vorgetäuschten Resultate genau genug zu fälschen. Das würde Verteilungskurven verschiedener gleichzeitiger Variablen beinhalten und – Ein Computer, der das, was ich sende, analysiert, würde eine Anomalie sofort feststellen. Und das hätte zur Folge, daß –« »Ihre Kollegen kämen herbeigeschwärmt, um persönlich die Ursache herauszufinden«, schlußfolgerte Grama. »Oder, falls Sie angäben. Schwierigkeiten mit ihrer Apparatur zu haben, würden sie eine Reparaturmannschaft schicken. In der Tat. Am besten, Sie fahren mit wirklichen Versuchen fort.« Er stand noch eine Weile vornübergebeugt in dem durchdringenden Pulsieren der Generatoren, bevor er sagte: »Das Erscheinen einer derartigen Mannschaft – jeder kleinen Gruppe von Leuten – würde uns lästig sein. Wir haben jedoch Vorsorge für kleinere Notfälle getroffen. Die Neuankömmlinge können eingesperrt werden. Aber Sie würden erschossen werden. Verdacht auf Verrat reicht aus.« Jans hob den Kopf. »Warum glauben Sie, warne ich Sie. Ich will am Leben bleiben.« »Sicher. Sicher.« Grama nickte wiederholt. »Treffen Sie die nötigen Vorbereitungen. Sie erhalten jede mir mögliche Unterstützung.« »Ohne mich!« schrie Tommin. Sein Gesicht war rot angelaufen vor Zorn. »Ich will verdammt sein, wenn ich für einen Verräter arbeite –« Der Soldat richtete die Waffe auf ihn. »Nein«, bat Jans. »Lassen Sie ihn. Ich brauche keine Hilfe. Nicht für eine Routinesache wie diese. Insbesondere nicht, wenn ich – äh – sabotiert werden könnte.« »Hört sich vernünftig an«, stimmte Grama zu. »Wir werden ihn und seinen Partner in ihren Quartieren einsperren.« Er blickte Jans prüfend an. »Ich habe die Hoffnung, daß Sie sich auf unsere Seite schlagen. Die neue Regierung des Westreichs wird jede fähige Person brauchen können. Nichtsdestoweniger machen Sie sich klar: Ich werde jeden Augenblick der nächsten anderthalb Tage bei Ihnen sein.«
»Das ist mir klar«, sagte Jans bedrückt. Die Tastatur des Computers tanzte unter seiner Berührung. Hinter der Maske von Meßgeräten wirbelten Elektronen durch Vakuum und feste Bauteile. Die Maschine summte und druckte dann mit einem Klicken Daten aus. Grama bewegte sich leichtfüßig in Lunas Schwerkraft. Plötzlich fiel sein Schatten über Jans. Der Physiker setzte zum Sprechen an. Er wandte den Kopf und sah das dunkle, von Müdigkeit ausgezehrte Gesicht, das auf die Schriftstücke und Unterlagen vor ihm gerichtet war. »Ich bin jetzt so weit, den ersten Durchlauf zu machen.« Sein Puls hämmerte. »Erklären Sie mir genau, was Sie vorhaben«, befahl Grama. Seine Hand schnappte nach einem aufgeschlagenen Handbuch auf dem Schreibtisch. »Was haben selenologische Tabellen mit Nukleonik zu tun?« »Eine ganze Menge. Warum?« Jans hatte seine Rolle mittlerweile einstudiert, was sich jetzt auszahlte. Er sprach mit sicherer Stimme. »Wir sind hier nicht auf der Erde – wir sind auf dem Mond. Total verschiedene Umgebung.« »Weiter.« »Ich habe die Krümmung der Oberfläche bereits vor einigen Stunden erwähnt, Sie erinnern sich? Luna hat kein Magnetfeld, das unsere Versuche stören könnte. Das ist der Grund, warum wir keine Schutzwände um die Bahn des Strahls brauchen. Aber es gibt Quanten sowohl vom Himmel als auch vom Boden, Induktionseffekte gewisser Mineralien – wir müssen selbst die Schwerkraft, ja die Massenkonzentration berücksichtigen, wenn wir es mit geringer Energie und langen Flugbahnen zu tun haben. Unsere Instrumente sind so empfindlich. Ich habe gerade die nötigen Berechnungen angestellt.« Er gestikulierte in Richtung der Bildschirme. »Ich bin dabei, eine Serie von Impulsen verschiedener Zeitdauer und Intensität zu senden«, fuhr er fort. »Verschiedener Zusammensetzungen ebenfalls. Protonen, Neutronen,
Alkalimetallionen…« »Wie Sie sehen können, habe ich die Zielblöcke auf dem Boden ebenso sorgfältig in Stellung gebracht wie die im Zielgebäude. Was tatsächlich gemessen werden wird, sind Parameter wie Streuung, Reizung, die Ausbeute bei Kreuzungsaktionen, Reemission –« »Schon gut. Ich habe die allgemeine Vorstellung«, Grama rieb sich die Augen. »O Gott, bin ich müde! Schlafen Sie eigentlich nie?« »Sie hätten nicht meinetwegen wachbleiben brauchen.« »O doch. Unsere Streitkräfte sind zu geschäftig, um mir eine Ruhepause zu gönnen.« Grama lächelte. »Hören Sie, von Mensch zu Mensch, wollen Sie sich nicht bald mal aufs Ohr legen?« Jans dachte: Und was, was ist mit den Menschen, die ihr abzuschlachten gedenkt? Er sagte kurzangebunden: »Vielleicht in einer Stunde«, grinste ein wenig und deutete mit dem Daumen auf den Soldaten, der, die Waffe auf dem Schoß, in einem Sessel vor sich hindöste. Er selbst war jenseits jeder Andeutung von Müdigkeit hellwach und angespannt. »Warum schicken Sie ihn nicht Kaffee holen?« »Warum? Nun –« Grama zögerte, berührte kurz seine eigene Seitenwaffe, traf eine schnelle Entscheidung und gab die Anweisung. »So ist es besser«, sagte Jans. »Setzen Sie sich. Entspannen Sie sich. Ich werde bloß das Programm eingeben. Sie brauchen keinen melodramatischen Sprung an Ihre Kehle zu befürchten.« »Das tue ich auch nicht.« Grama kam auch seinem zweiten Vorschlag nach. Sein Blick ließ den jüngeren Mann jedoch keinen Augenblick lang los. »Ich wundere mich etwas über Sie. Als wir uns anfangs unterhielten, bekräftigten Sie sehr fest Ihre Loyalität gegenüber den Kinhäusern. Jetzt sind Sie mehr als kooperationsbereit. Warum?« »Ich kann nur einfach versuchen, es Ihnen zu erklären. Wer weiß schon, was ihn wirklich antreibt – tief unter der Oberfläche?« Jans steckte das Resultat seiner Berechnungen, einen Streifen Nullen und Einser, in die Hauptkonsole. Ein Abtaster las ihn und instruierte demgemäß den
Beschleuniger. Ein Lämpchen blitzte auf. Jans lehnte sich im Kontrollsessel zurück. Das Summen um ihn herum wurde zu einem tiefen Brummen. »Wie ich Ihnen schon vorhin sagte, ich habe keine Lust zu sterben«, sagte er. »Würde ich es ablehnen, Ihnen zu helfen – und würde dafür erschossen – könnte eine Mannschaft von Tycho eintreffen und nachfragen, was mit meinem letzten Experiment schiefging, und warum ich über die Schwierigkeiten keinen Bericht erstattet habe. Sie haben mir klargemacht, daß Sie für eine solche Eventualität Vorsorge getroffen haben. Mein Tod wäre umsonst.« Sein Tonfall wurde schroff. »Und er wäre für einen Zweck, der, nun, in sich selbst fehlerhaft ist. Und meine Kameraden sind bereits davon überzeugt, daß ich mich auf Ihre Seite geschlagen habe. Ich kann das Spiel also ebenso gut mitspielen.« »Angenommen wir verlieren, trotz allem?« »Dann gehe ich vermutlich nach Großasien. Nichts Schlimmes. Die Kinhäuser sind nicht totalitär. Sie ziehen den friedlichen Ausgleich der Vergeltung vor.« »Wogegen wir das Gegenteil tun? Mein Freund, Sie haben eine vollkommen falsche Vorstellung. Lassen Sie mich erklären –« »Später. Ich muß jetzt anfangen.« Jans legte den Hauptschalter um. Das Brummen wurde zu einem triumphierenden Lied. Nadeln erzitterten über Anzeigetafeln. Der Blick nach draußen zeigte keine Veränderung, die für menschliche Augen sichtbar gewesen wäre, sondern nur den Strahltunnel, den Klippenrand, die fernen Bergspitzen und die zeitlosen Sterne. Aber Impuls auf Impuls wurde ausgestrahlt. Es ging zu Ende. Jans stieß den Atem aus. »Durchlauf Nummer eins«, sagte er. »Das nächste Mal sind thermische Neutronen an der Reihe.« »Eh? Wird das nicht die Ergebnisse des ersten Tests in Verwirrung bringen?« Grama war intelligent, wie Jans nicht zum erstenmal klar wurde. »Diese Ergebnisse werden auf der Stelle aufgezeichnet, in diesem Augenblick«, erwiderte er. »Es dauert nur wenige Minuten; die Halbwertszeiten sind
kurz. Wir werden wissen, was während eines fortlaufenden Bombardements geschieht – mit unseren neuen Instrumenten, meine ich.« Der Soldat kam mit einem Tablett Kaffeetassen zurück. Sein Gesicht war gerötet. »Was hielt Sie auf?« fragte Grama. »So ein verdammter Kinhausfreund in der Küchenbaracke, Sir. Ich mußte ihn erst ein bißchen bearbeiten, bevor er machte, was ihm gesagt wurde.« Gramas Lächeln war schwach. »Sie sollten froh sein, daß Sie unter bewaffneter Aufsicht stehen, Wissenschaftler Jans«, sagte er. Jans gab keine Antwort. Er war beschäftigt. Durchlauf zwei. Drei. Vier. »Das wär's für heute.« »Wir können ausruhen?« fragte Grama eifrig. »Ich übermittle besser erst meine Daten«, sagte Jans. »Ich bin bereits mehrere Stunden zu spät dran.« »Dann, mit Ihrer Erlaubnis.« Grama schien sich des Humors in seinen Worten nicht bewußt zu sein. Er befestigte das Neuromonitor Armband an Jans Handgelenk und überprüfte die Ablesungen. »Sie sind übermüdet und nervös«, entschied er, »aber Sie sammeln keine Kraft für einen selbstaufopfernden Akt.« »Natürlich nicht. Wo sollte ich die Kraft hernehmen? Lassen Sie mich das hinter mich bringen, in Ordnung?« Grama verband den Monitor mit einem Verstärker und diesen wiederum mit dem Stromkreisunterbrecher des Videophons. Jans tippte eine Nummer. Ein Gesicht erschien auf dem Bildschirm und sagte, »Hauptquartier der Physikalischen Laboratorien – nanu, gute Wacht, Wissenschaftler Jans. Wen möchten Sie?« »Lordwissenschaftler Bradny. Wen sonst?«
»Nun –« der Techniker grinste – »Astry Coner hat laut darüber nachgedacht, wann Sie wohl hier zurück sein würden. Sie –« »Lordwissenschaftler Bradny«, bellte Jans. »Sofort.« Gekränkt zuckte der Mann die Schultern und drückte den entsprechenden Knopf. Einem Roboter fehlte das Unterscheidungsvermögen, die in hoher Verantwortung stehenden vor Idiotenanrufen zu schützen. Aber Jans betete, daß der Forschungsdirektor nicht in seinem Büro war, so daß er nur eine Botschaft zu hinterlassen brauchte. Sein Gebet blieb unerhört. Bradnys weißbärtiges Abbild sagte: »Gute Wacht – Was ist los mit Ihnen, Ing? Sie sehen wie der Teufel persönlich aus.« Jans sprach so schnell wie er es wagen durfte. »Ein Magenknurren in der Maschinerie. Wir haben es in Ordnung gebracht. Deshalb die Verzögerung. Ich bin hundemüde. Macht es Ihnen etwas aus, auf einen vollständigen Bericht noch zu warten? Hier sind meine jüngsten Ablesungen.« Er legte die Unterlagen, die von den Außeninstrumenten stammten, auf den Kopierer. Bradny brachte Überraschung zum Ausdruck. Jans erstickte jeden möglichen Kommentar mit seiner Eile. »Sir, ich würde ganz gern so um die zwanzig Stunden schlafen, rufen Sie also bitte nicht zurück. Ich rufe Sie an, sobald ich dazu in der Lage bin. Wir können die einzelnen Punkte dann durchgehen. Danke. Ich wünsche Ihnen eine gute Wacht.« Er schaltete den Schirm ab. »Gut gemacht«, sagte Grama, und Erleichterung durchströmte Jans. »Ich müßte eigentlich nach draußen und die Aufbauten demontieren«, sagte der Physiker schwach, »aber warten wir damit. Hauen wir uns in die Falle.« Er ging mit ihnen durch die Tunnel. Stumme Feindseligkeit schlug ihm von jenen Mannschaftsmitgliedern entgegen, denen er begegnete. Als er sein Quartier erreichte, nahm er sich kaum die Zeit seine Kleider abzustreifen, bevor er ins Bett taumelte. Grama und der Soldat hatten Feldbetten, letzterer postierte seines quer vor dem Türeingang.
Jans hatte Schwierigkeiten, Schlaf zu finden. Er keuchte. Schließlich forderte die Erschöpfung ihr Recht. Bis, einige Stunden später, die gesamte Station von Donner geweckt wurde. Er saß kerzengrade. Lärm erfüllte die Station. Man hörte die dumpfen Geräusche oberirdischer Explosionen und die Rufe verschreckter Männer. Fußboden und Wände erbebten. Er starrte in die Mündung von Gramas Pistole und die des Maschinengewehrs des Soldaten und sagte: »Jawohl, sie sind hier. Sie können mich umbringen, aber das wird Sie vor ein Erschießungskommando bringen. Sie haben verloren.« Seltsamerweise, denn er war kein Held, galt seine Hauptsorge dann seinen Instrumenten. Er hätte sie mit hineinnehmen sollen, wo sie in Sicherheit gewesen wären. Der Konferenzraum brandete über vor Stolz. Hier hatten sich die Raumkapitäne der Konförderierten Kinhäuser des Westreichs versammelt. Uniformen glänzten, Medaillen glitzerten unter den Gesichtern von Männern, die Männer kommandierten. Am Kopfende des Tisches, zwischen Rani Danlandris und Admiral Anwarel, stand Jans, der sich seiner eigenen Schlampigkeit nicht gewahr war. Das war zur Gänze äußerlich. Ruhm strahlte von ihm aus. Anwarel sagte gerade: »… entscheidende Schlacht, in der Tat. Nicht daß ich es als Schlacht bezeichnen würde. Totale Überraschung. Eine Megatonne hat jedes einzelne ihrer Schiffe in Schrott verwandelt. Wir löschten ihre Raketenprojektile mit Lasern aus. Ich möchte bezweifeln, daß Großasien noch drei Kriegsschiffe im gesamten Sonnensystem hat, die der Rede wert sind.« »Was tun wir als nächstes?« fragte Danlandris. Anwarel zuckte die mit goldenen Abzeichen versehenen Schultern. »Das ist eine politische Entscheidung. Wäre ich das Hohe Konzil, würde ich uns den Befehl erteilen, Bombardementorbits einzunehmen und ein
Ultimatum zu verkünden. Die Asiaten würden sich ebenso schnell ergeben wie Chengs Bande hier, als wir landeten.« »M-m-m – Ich bin mir nicht sicher, daß sie das tun würden, Admiral. Und gesetzt den Fall, Sie hätten recht, wollen wir wirklich, daß sie sich ergeben? Können wir es wagen, Menschen und Ausrüstung in einer militärischen Okkupation festzusetzen, politische Umformung, wenn – Nun, wie Sie schon sagten, das ist Sache des Konzils.« Anwarels Strenge wich. Er wandte sich an Jans. »Sie werden ein noch kniffligeres Problem zu lösen haben, um eine angemessene Belohnung für Sie zu finden, junger Mann«, polterte er. »Mir wurde noch nicht gesagt, wie Sie es gemacht haben. Warum erzählen Sie mir es nicht selbst? Wir warten ohnehin auf ein Wort von Federal City.« »Äh – gut –« Derart angesprochen wurde Jans wieder verlegen. Er starrte auf den Tisch. »War nicht schwer, Sir. Ausgenommen die Tatsache, daß ich einen Grund finden mußte, um den Beschleuniger zu benutzen und die Leute in Tycho davon abzuhalten, damit herauszuplatzen, daß es keinen Grund gab. Ansonsten, äh, davon abgesehen, meine ich, wußte ich, daß die Partikeldetektoren der Station Kapitza mit höchster Empfangsleistung liefen. Sie hätten alles, was hereinkam, registriert. Was also, wenn, uh, ein Strahl – besser noch drei oder vier verschiedene Strahlsorten in einer Aufeinanderfolge – was, wenn sie ankämen? Impulsverschlüsselt. Die die Situation in Chandrasekar beschrieben. Die die Männer aufforderten, Sie zu alarmieren, Sir. Ihre Flotte mußte sich in der Nähe des Mondes aufhalten, wenn in Kürze eine Landung fällig war. Natürlich wußte ich nicht, ob Sie die Befugnis erhalten würden, ohne Warnung zuzuschlagen, aber, uh, schließlich hatte der Feind tatsächlich GTS-Projektile in Stellung –« Er machte einen tiefen Atemzug und fuhr fort: »Meine Hauptsorge, seit ich gesehen hatte, daß Grama mein Schauspielen vor Lordwissenschaftler Bradny geschluckt hatte, meine Hauptfurcht war, jemand könnte zurückrufen und fragen, was mit mir nicht stimmte. Ich habe mein bestes getan, um sicherzugehen, daß niemand das tun würde, aber – Nun, das Problem war nicht nur, daß mein Vorwand eine Lüge war und daß meine Sektion Tycho nicht so oft
Bericht erstattet. Das Problem war, daß meine Daten eigenartig waren. Denn sie stammten natürlich nicht von einer bestimmten Versuchsanordnung. Ich ließ den Strahl einfach kurz über die Zielpunkte hinwegstreichen, damit die Instrumente etwas anzeigten. Irgend etwas. Und die restliche Zeit gingen die Strahle kreuz und quer durch das Tal, über die Berge, in den Himmel.« »Warum verloren sie sich nicht im Weltraum«, verlangte Anwarel zu wissen. »Weil ihre Geschwindigkeit nicht groß genug war, Sir. Sie hatten mehr oder weniger Lunaorbitalgeschwindigkeit. Etwa eins-komma-sieben Kilometer pro Sekunde. Ich, offensichtlich hätte ich sie nicht in eine Kreisbahn schießen können. Sie wären unterwegs auf etwas aufgetroffen. Ich mußte also eine elliptische Umlaufbahn für sie berechnen. Aber eine Tatsache hat mir dabei geholfen, nämlich, uh – nun, es war bereits vor Zeitaltern, noch vor den Bevölkerungskriegen, bekannt. Ein kugelförmiges, symmetrisches Quadratumkehrungsfeld, wie etwa das Schwerkraftfeld eines Planeten, pflegt Partikel, die in großen Kreisbahnen wandern, teilweise zu fokussieren und zwar um hundertachtzig Grad. Und Kapitza ist zu Chandrasekar antipodisch gelegen.« »Meine Berechnungen brauchten nicht exakt zu sein. Ich mußte nur genug Zeug dorthin schaffen, um die Detektoren dort ansprechen zu lassen. Welche ziemlich empfindlich sind, müssen Sie wissen – und meine Strahle waren stark.« Jans begann sich für sein Thema zu erwärmen. »Selbst im Falle eines Neutronenstrahls, deren Zerfall die Strahlintensität bei einer Umkreisungsdauer von annäherungsweise dreitausendzweihundert Sekunden um den Faktor zwanzig schwächt, wäre der Ansprechimpuls noch derart, daß –« »Schon gut.« Danlandris lächelte. »Wir begreifen, worum es geht. Und die Kinhäuser wissen sich erkenntlich zu zeigen.« »Sie werden es Chengs Leuten nicht zu schwer machen, nicht wahr?« fragte Jans. »Insbesondere was Lal Grama angeht. Er war sehr anständig. Er könnte in – nun – Verhandlungen von Nutzen sein.« »Möglich«, sagte Anwarel skeptisch.
Jans fiel in seinen Traum von einem Mädchen von Luna zurück, das mit ihm leben und träumen konnte. Anwarel brach ein sich in die Länge ziehendes Schweigen: »Warum interviewen wir nicht Cheng? Um eine Idee zu bekommen, was für eine Sorte Mensch er ist. Wenn sonst nichts ist – es wird uns beschäftigen, bis wir Nachricht erhalten.« Er erteilte einem Matrosen einen Befehl, der auf den Raum zuging, wo der Kommandeur des Feindes gefangen gehalten wurde. Es war kein rachsüchtiger Gewahrsam. Edard Lierk war gestorben und eine Anzahl von Asiaten ebenfalls. Man hatte Cheng mit seinem Kummer alleingelassen. Wahrscheinlich hatte der Teleschirm einen Schnitt davon gemacht. Er hatte sich unzweifelhaft über die von Relais übertragenen Nachrichtensendungen von der Erde die Haare gerauft, wenn auch ebenso unzweifelhaft Teile dieses Zusammenstoßes auf beiden Seiten zurückgehalten wurden bis… Die große, eckige Gestalt betrat taumelnd den Raum. Zuerst dachten sie, seine Niederlage hätte sich auf sein Gemüt ausgewirkt. Er schaute sie aus glasigen Augen an und atmete rasselnd. Jans erhob sich. Danlandris: »Geht es Ihnen gut?« »Nein.« Cheng schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Keinem von uns. Jemals wieder.« »Was wollen Sie damit sagen?« erwiderte Anwarel. Zu dem Matrosen: »Bringen Sie dem Mann einen Stuhl. Sehen Sie nicht, daß er gleich in sich zusammenfällt?« Cheng starrte von seinen Besiegern zur Wand und durch sie hindurch. »Ich habe die Radiosendung gehört«, sagte er. Es war, als würde ein anderer, den sie nicht erkennen konnten, sich seiner Stimme bedienen. »Sie haben es nicht? Sie werden es. O, Sie werden es.« Anwarel sprang auf.
»Was meinen Sie?« brüllte er. »Öffentliche Bekanntmachung. Die Wahrheit kann nicht unterdrückt werden. Sie muß ans Tageslicht kommen, in aller Schärfe. Messungen… die neusten Studien… Extrapolationen… Das Magnetfeld der Erde macht einen weiteren Sturzflug. Wir haben jetzt ein Jahr. Höchstenfalls. Ein Jahr.« Chengs Blick wurde wieder klar, und er wurde sich ihrer gewahr. »Und währenddessen haben wir gekämpft!« schrie er heraus. »Währenddessen haben wir gekämpft!« KRIEG ist ein Horror, und kein anständiger Mensch heutzutage will ihn. Dennoch sucht er weiterhin unsere Geschichte heim. An anderer Stelle habe ich ausgeführt, daß trotz unzähliger Ursacheund-Gegenmittel-Manifeste keiner wirklich weiß, was Menschen zum Krieg treibt. Land, Beute, Macht, Religion, politische Ökonomie – die Veröffentlichungen ergeben eine so gut wie endlose Liste. Wenn wir dauerhaften Frieden wollen, müssen wir einige fundamentalen Veränderungen in unserer Gesellschaftsstruktur vornehmen. Welcher Art diese sein werden, vermag ich nicht zu sagen, noch kann es sonst jemand. Aber ich schlage vor, daß Sie sich folgendes durch den Kopf gehen lassen: Vielleicht gibt es keine solche Sache wie den Grund zum Krieg. Poul Anderson Originaltitel: SOS. Aus IF, März 1970 Copyright © 1970 by Universal Publishing and Distributing Corporation
Keith Laumer
DAS RECHT ZU REVOLTIEREN Die Trennlinie zwischen Demokratie und Tyrannei ist stets fein und verändert sich ständig. Angesichts oppositioneller Kräfte muß sich die Macht dem Willen der stärksten Kraft beugen. Darf das Volk das Recht für sich in Anspruch nehmen, die Herrschaft auszuüben, wenn die staatliche Autorität sich von der realen Entwicklung entfernt? Sie warteten auf Andy Galt, der den Wetterkontrollkomplex am Ende seiner Schicht verließ: Pinchot, der selbst in einem Overall gepflegt und dandyhaft aussah, Williver, hochgewachsen und sanftmütig, mit einem ärgerlichen Ausdruck auf dem zu klein geratenen Gesicht, Gray, mager wie ein Frettchen, mit glänzenden Augen und nervös, und Timmins, schweigsam wie gewöhnlich. »Ihr habt es gehört«, sagte Pinchot. »Sie haben es getan.« Galt nickte. »Irgendein machthungriger Politiker, der Colmar nie näher als fünf Lichtjahre gekommen ist, bestimmt, daß wir weitere fünfhundert Meilen Wüste erschließen müssen«, sagte Gray. »Also werden fünfhundert von uns rekrutiert und auf das Plateau geschickt werden, um den waghalsigen Pionier zu spielen.« »Wir wußten, daß sie damit weitermachen würden«, sagte Galt. »Warum also überrascht tun?« »Es bestand immer die Chance, daß sie unsere Warnung ernst nehmen und einen Rückzieher machen würden«, sagte Gray. Er hatte eine schwache, hohe Stimme und einen Mund, der ständig über ein verborgenes Geheimnis zu grinsen schien. »Es hätte nicht marktschreierischer sein können, wenn sie versucht hätten, uns bis zur Weißglut aufzustacheln«, sagte Pinchot. »Es sieht so aus, als würden sie uns eine lange Nase drehen und uns herausfordern,
etwas zu unternehmen.« »Wir haben sie gewarnt«, sagte Williver, dem etwas bange zu sein schien. Er schluckte. »Wir haben uns bis jetzt zurückgehalten, um ihnen eine Chance zu geben zur Vernunft zu kommen. Das war vergeblich. Zu diesem Zeitpunkt neues Territorium zu erschließen, heißt, jedem in der Kolonie einen Schlag in die Zähne zu verpassen.« »Es ist nicht bloß ein Tritt in den Hintern«, sagte Gray. »Es bedeutet Sklaverei für uns alle. Wir werden als Vorhut etikettiert. Und wozu das alles? Um dem Kolonialbüro eine hübsche Wachstumsrate zu liefern, mit der sie prahlen können.« »Um die Taschen der Politiker auf Terra zu füllen«, verbesserte ihn Pinchot. »Man erwartet von uns, unsere Heime, Familien und Freunde aufzugeben, um in die Wüste hinauszuziehen, in improvisierten Baracken zu hausen, zugeteilte Rationen zu essen, vierzehn Stunden am Tag wie Pferde zu schuften –« »Mir macht Arbeit nichts aus«, sagte Galt. »Wäre es auf freiwilliger Basis, würde ich mich vielleicht sogar verpflichten.« »Aber es ist nicht freiwillig, Galt. Es ist obligatorisch. Sie entscheiden, wer geht und für wie lange.« »Selbst hier in der Stadt ist es Sklaverei«, sagte Gray. »Schaut euch an – bei diesem fortgeschrittenen Stadium der Verwaltung – wie ihr eure zwei Jahre auf einem Anschlagbrett in der Wetterkontrolle anbringt wie jeder dahergelaufene Tölpel. Und Pinch hier –« »Was ist mit der Petition, Pinchot?« unterbrach Galt die Klagen ungeduldig. »Hast du eine Antwort bekommen?« Pinchot nahm ein Schriftstück aus einer Innentasche und reichte es Galt. Es war ein Brief, auf dem Briefpapier des Kolonialen Administrators geschrieben, formell – und herablassend, fand Galt – dem Adressaten wurde für sein Interesse an den Verwaltungsangelegenheiten gedacht. »Er war an meinen Namen adressiert«, sagte Pinchot, »nicht an das Komitee. Frag mich nicht, woher sie das wußten. Aber es spielt jetzt keine Rolle.« Er riß den Brief entzwei und warf die Fetzen beiseite. »So viel, was
Appelle an staatliche Autoritäten angeht. Wir haben es auf friedliche Weise versucht. Jetzt nehmen wir die Sache selbst in die Hand. Also – bist du für uns, Galt – oder gegen uns?« »Er braucht weder das eine noch das andere«, sagte Timmins frei heraus. »Er hat das Recht, neutral zu sein.« Pinchot schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr«, sagte er. »Es ist an der Zeit klarzustellen, auf welcher Seite man steht.« »Das Komitee der Fünfzig«, sagte Galt, »besteht nach jüngsten Zählungen aus einundvierzig Mitgliedern, und das bei über fünfundzwanzigtausend Kolonisten –« »Welcher Prozentsatz französischer Bauern inszenierte die französische Revolution?« fragte Gray drängend. »Wie viele Amerikaner feuerten eigentlich auf die Rothäute? Wie viele Bolschewisten setzten den Zaren ab?« »Wir können es schaffen«, sagte Pinchot mit verengten und aufmerksamen Augen. »Wir packen schnell zu, nehmen den Hafen und das Kom-Zentrum, die Generator- und Pumpstationen, das Depot und das Lagerhaus ein – und wir gewinnen die Überhand.« »Was ist mit den Sicherheitskräften?« »Wir schließen sie in ihren Kasernen ein.« »Raumstreitkräfte könnten uns von dem Planeten wegfegen.« »Aber das werden sie nicht. BüKol will Gewinne. Das bedeutet Minen und Fabrikanlagen in Gang halten. Wir werden mit ihnen zusammenarbeiten; sie werden nichts gegen uns unternehmen. Einen fait accompli werden sie hinnehmen.« Alle wandten die Köpfe, als das sanfte Surren einer Turbomaschine ertönte. Ein Polizeiwagen tauchte vor ihnen auf; die Männer standen schweigend da, als er neben ihnen zum Halten kam. Ein großer, gelenkiger Mann schwang sich heraus und schlenderte zu ihnen hinüber. Er war ein Fremder, zu groß, zu blaßhäutig, ein Terraner, kein Kolonist. »Laßt mal eure Ausweise sehen, Kameraden«, sagte er in dem nasalen terranischen Akzent. Sein Kollege saß gleichmütig im Wagen und
beobachtete die Szene. Die vier Kolonisten überreichten ihre Plaketten, die flüchtig geprüft und zurückgereicht wurden. »Was macht ihr hier?« fragte der Sicherheitsbeamte in lässigem Tonfall, als würde es ihn wenig kümmern, er aber dennoch die Frage stellen. Galt fühlte, wie seine Gesichtshaut sich spannte. Er schüttelte Willis ihn zurückhalten wollende Hand ab. »Wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten«, sagte er schroff. »Warum?« Der Sicherheitsbeamte schien ihn absichtlich zu übersehen. »Komm mal rüber«, sagte er gemächlich. »Wozu?« fragte Galt. »Beweg dich«, schnarrte der Polizist und zog eine kleine Pistole aus seinem Gürtel. Galt ging zum Wagen hinüber. »Umdrehen, Hände hinter dem Kopf zusammen.« Galt befolgte die Anweisungen. Nachlässige Hände klopften seine Kleidung ab, stülpten geschickt das Innere seiner Taschen nach außen. Der Sicherheitsbeamte grunzte. »Das war's. Zerstreut euch jetzt. Nach fünf Glockenschlägen will ich euch nicht mehr auf den Straßen herumstreunen sehen.« Der Wagen rollte davon. Pinchot kam herüber und las die Sachen auf, die der Sicherheitsbeamte auf das Pflaster hatte fallen lassen. Er reichte sie Galt. »Sie sind nette Burschen«, sagte er sanft, »machen bloß ihre Arbeit.« »Wann?« fragte Galt knapp. »Heute nacht. Seid um Mitternacht an der Schleuse und seid bereit«, sagte Pinchot. »Ich werde dort sein«, sagte Galt. Als er durch die dunklen Straßen schritt, dachte Galt darüber nach. Er erinnerte sich erregender Geschichten, die er in der Grundschule gelesen hatte. Wagemutige Pioniere – darunter sein Großvater – die vor einem
halben Jahrhundert während der Bevölkerungsunruhen von Terra emigriert waren, um für sich selbst und ihre Familien den Anker auf einer jungfräulichen Welt namens Colmar auszuwerfen. Es war eine schreckliche Überfahrt gewesen: Fünftausend Männer und Frauen in den Klauen eines fast schrottreifen Frachters, zusammengepfercht wie in einer Sardinenbüchse ohne jeden Bewegungsspielraum, auf minimale Rationen gesetzt, drei Personen jeder Koje zugeteilt, Gemeinschaftstoiletten, keine Vergnügungen, keine Privatsphäre, keine Abwechslung während der langen Monate der Reise. Und am Ende schließlich erwartete sie nicht die liebliche, grüne Welt der weiten Ländereien und der frischen Luft, die man ihnen versprochen hatte – sondern das rauhe, nackte Felsgestein von Colmar. Es hatte daraufhin einen Aufruhr gegeben und einige waren dabei getötet worden. Aber am Ende hatten die Überlebenden dafür gestimmt zu bleiben, die Chancen, die eine neue Welt bot, wahrzunehmen, zu siegen oder zu sterben. Sehr melodramatisch, sagte sich Galt. Aber was hat das mit dem Heute zu tun? Sie haben ihr ganzes Leben lang geschuftet, damit wir – ihre Nachkommen – es besser haben sollten. Aber ist es so? Wir haben den Ozeanen Boden abgerungen, Acker urbar gemacht, Getreide angebaut. Heutzutage können wir uns ohne Atemgeräte unter freiem Himmel bewegen, unser eigenes Gemüse essen; wir haben eine Stadt mit einem Auditorium, einer Sportarena und einer öffentlichen Bibliothek… »Aber wir sind immer noch Sklaven«, sagte er laut. »Man hat uns benutzt, wir tanzen nach Terras Pfeife. Unsere besten Produkte werden in den Weltraum verschifft, und als Gegenleistung erhalten wir das blanke Existenzminimum an Importen. Die Zeit für eine Wende ist gekommen.« Sie waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen in der Dunkelheit. Galt bahnte sich einen Weg hindurch, wandte das Gesicht von einem Lichtstrahl aus einer Taschenlampe ab. Pinchot erschien mit einem weißen Schweißleder um die Stirn gebunden. Sein Gesicht war angespannt und seine Zunge bewegte sich ruhelos über die Unterlippe hin und her. Er
reichte Galt einen kleinen Sprechapparat in einer Plastikbox. »Du bist bei Team Eins, das den Schlag gegen Admin House führt. Du hast einen Sommer lang dort als Bote gearbeitet, du kennst die Lage der Räumlichkeiten. Du wartest ab, bis es gesichert ist. Falls Gray – Ich meine, wenn Gray den Hafen eingenommen hat, werden sie Bescheid geben. Dasselbe bei Tomkin, Pyle, Bergson – alle Teams werden dich benachrichtigen, wenn sie ihre Operationsziele eingenommen haben. Ich werde mit dir Verbindung aufnehmen –« »Wo soll ich mich verstecken, während ihr den Krieg gewinnt?« »Du nimmst Deckung im Park, während der Rest des Teams hineingeht. Wenn du ihr Signal siehst – wir benutzen Leuchtfackeln – läufst du hinein und übernimmst die Schalttafel.« Pinchot nickte einem großen, hageren Mann zu. »Fry ist euer Teamleiter. Du bleibst in seiner Nähe, bis sie reinstürmen. Okay, los geht's.« Galt folgte Fry und den anderen Mitgliedern seines Teams – zwei Männer und ein Mädchen namens Teresa – als sie sich durch die sich nun zerstreuende Menge hindurchschlängelten. Sie wandten sich ostwärts, entlang der äußeren Auffahrt und strebten auf den Park zu. Die Sprechbox murmelte und knatterte, ließ sie knapp gehaltene Gespräche mithören. Als sie auf den Weg zum Park abbogen, faßte Galt Fry am Arm. »Da steht ein Polypenauto.« Er deutete auf einen Polizeiwagen, der unter einer Laterne hundert Meter entfernt stand. »Es ist niemand in der Nähe«, sagte Fry und schüttelte die Hand ab. »Komm weiter. Wir haben drei Minuten Zeit, um unsere Stellungen zu beziehen.« Der Trupp ging weiter, betrat den Park durch einen Wartungseingang, kreuzte eine Baumreihe, hinter der die Lichter von Admin House friedlich glimmten. Sie machten neben einem Springbrunnen halt, der Wasserstrahlen in farbiges Licht hochschleuderte. »Da ist eine Lücke in der Hecke.« Fry deutete darauf. »Sobald du meine Fackeln siehst, stürzt du hinein.«
Galt nickte und postierte sich hinter einer Gruppe von Büschen, während die andern lautlos davonschlichen. Sie erreichten die Straße und überquerten sie rasch. Ein feiner Sprühregen vom Springbrunnen befeuchtete Galts Gesicht. Ein importiertes Insekt ließ sich auf seinem Nacken nieder. Er verscheuchte es. Die Scheinwerfer flammten gleichzeitig von zwei verschiedenen Punkten aus auf. Einer war vom Dach von Admin House nach unten gerichtet, er bestrich den Rasen und traf genau das Tor, das Fry und Teresa gerade durchquerten; der andere, von einem geparkten Polizeifahrzeug aus, bestrich die Gruppe horizontal und warf starre Schatten gegen die Hecke. Die beiden Verschwörer, außerhalb des Tors gefangen, erstarrten für einen Moment, dann wandten sie sich um und rannten davon. Ihre Füße lärmten auf der sonst stillen Straße. Eine Stimme dröhnte durch einen Verstärker auf. »Bleibt wo ihr seid! Davies, Henderson! Wir kennen euch, ihr könnt nicht entkommen –« Die Stimme brach ab, als ein Licht aufflackerte und ein Schuß vom Tor her fiel. Fry lag flach auf dem Boden im Schatten des ornamentierten Torpfostens. Galt sah ein weiteres Aufblitzen, aber der zweite Schuß wurde von einem kurzen, wilden Aufkrachen eines Kugelhagels seitens der Polizei erstickt. Fry wurde ein Stück weit in die Luft hochgeschleudert und wie eine Strohpuppe zwei Meter weit zurückgeschleudert. Die beiden Flüchtenden kamen zum Halten und warfen sich flach auf das Straßenpflaster. Galt sah Teresa den Fronteingang des Regierungsgebäudes erreichen; als sie die Stufen hinaufrannte, wurde die Tür aufgestoßen und zwei uniformierte Sicherheitsbeamte packten sie und führten sie ins Innere. Männer in Kampfausrüstung schwärmten, die Waffen schußbereit in den Händen, auf die Straße und drängten sich am Tor um die Gefangenen. Schwere Schritte ertönten hinter Galt. Er preßte sich dich gegen den Boden, duckte sich zusammen, als grelle Lichter aufflammten und das Gebüsch um ihn herum absuchten. Ein Mann ging weniger als einen Meter von ihm entfernt vorbei. In diesem Moment ertönte aus der Sprechbox ein statisches Knistern
und eine schwache deutliche Stimme sagte: »Kraftwerk besetzt. Ein Mann verletzt und mehrere Fensterscheiben zerbrochen – ansonsten keine Schäden.« Der Sicherheitsbeamte, der gerade vorbeigegangen war, blieb stehen; Kies knirschte, als er sich herumdrehte und mit seiner Lampe das Dunkel absuchte. Galt kroch behutsam ein Stück zurück. Der Lichtstrahl zuckte näher heran. Galt erreichte einen großen Baum und kam auf die Füße. Ein Zweig knackte. »Stehenbleiben!« bellte der Sicherheitsbeamte. Galt rannte. Ein Schuß surrte durch das Laubwerk. Er hörte Geräusche vor sich, wandte sich nach rechts und brach durch eine mannshohe Hecke auf einen gepflasterten Weg. Zwei Männer in Uniformen, die fünfzehn Meter entfernt standen, wandten sich in seine Richtung; er stürmte um die Bank herum und tauchte in dichtes Buschwerk ein. Es wich beiseite und er stand im Freien. Ein gewaltiger Schlag gegen die Wade seines rechten Beins brachte ihn zu Fall. Er wälzte sich herum, versuchte aufzuspringen und fiel aufs Gesicht. Das Bein fühlte sich heiß und taub an, ein totes Gewicht. Mit verzweifelter Anstrengung kroch er unter einer Gruppe von Wachholdersträuchern. Er fühlte Erde unter sich zerbröckeln. Er wälzte sich herum, prallte mit einem dumpfen Schlag gegen ein Polster aus Blättern auf dem Grund eines Abwasserkanals. Die Stimmen und Schritte kamen näher, aber sie schienen jetzt fern und unwichtig zu sein. Galt war vollkommen ruhig. Er machte einen Gedankensprung in seine schon besiegelte Zukunft. Er stellte sich die Verhandlung, das Urteil, die Gefängnisstrafe, den Verlust seiner Bürgerrechte vor. Die Nacht war jetzt still. Wenn er aufmerksam lauschte, konnte Galt durch das Rauschen des Blattwerks im leichten Wind ferne Stimmen vernehmen, aber in der Nähe regte sich nichts. Er bewegte versuchsweise das verletzte Bein und entdeckte zu seiner Überraschung, daß es, wenn auch schmerzhaft, reagierte. Er setzte sich auf und untersuchte die Wunde. Es war ein glatter Durchschuß. Der Knochen war nicht getroffen. Er erhob sich. Er konnte gehen. Er stieß Blattwerk beiseite, kletterte aus
dem Graben und stand vor der Hecke, die die Straße entlang des Regierungsgebäudes säumte. Durch eine Lücke konnte er die erleuchtete Vorderfront von Admin House sehen. Uniformierte standen auf Terrasse und Rasen. Die Eingangstüren standen offen, helles Licht schien durch sie hindurch. Lichtfluten erleuchteten den Rasen. Ein Dutzend Polizeifahrzeuge waren entlang der Straße geparkt. Zuerst fiel es Galt nicht auf, dann sah er es: Zwei Drittel der Sicherheitskräfte waren in zwei Reihen rund um die Front des Gebäudes postiert; und er konnte sehen, daß der Dienstboteneingang auf der Rückseite gleichermaßen bewacht war. Aber der kleine unauffällige Seiteneingang war in Schatten gehüllt. Soweit Galt erkennen konnte, waren keine Sicherheitskräfte in seiner Nähe. Der Sprechapparat gab prasselnde Geräusche von sich und eine Stimme ertönte: Der Kraftwerkskomplex war in den Händen der Aufständischen. Pyle, vom Hafen her, gab Nachricht: alles sicher. Bergson, der gehobener Stimmung zu sein schien, berichtete, daß sie bei der Einnahme der Pumpstation auf praktisch keinen Widerstand gestoßen waren. Der Aufstand war so weit gut verlaufen – bis auf den wichtigsten Teil. Administrator Blum und Major Jensen hatten ihre gesamten Streitkräfte hier konzentriert. Nicht einen Moment lang hatten sie sich narren lassen. Sie hatten alles über die Pläne des Komitees gewußt und waren vorbereitet gewesen. Aber da war die Seitentür. Galts Mund war ausgetrocknet; sein Herz pochte schmerzhaft. Es konnte eine Falle sein. Es mochten ein halbes Dutzend Sicherheitsleute auf die Maus, die sich den Käse holen wollte, lauern. Aber andererseits wurde die Tür wenig benutzt; es war ohne weiteres möglich, daß Jensen sie übersehen hatte. Galt konnte sich jetzt einfach davonschleichen, nach Hause zurückkehren und sich wie jeder andere von den Nachrichten überraschen lassen, oder er konnte seinen Hals riskieren. Mit einem Fluch, der ein halbes Stoßgebet war, verließ er seinen Aussichtspunkt und schlich humpelnd die Hecke entlang.
Von einer im Schatten liegenden Stelle zwischen der Bibliothek und dem Gebäude der landwirtschaftlichen Versuchsstation aus studierte Galt die Szenerie. Von hier aus hatte er einen besseren Ausblick auf die Seitentür. Nichts regte sich dort. Jedem, der mit dem Gebäude nicht genaustens vertraut war, mußte es so erscheinen, als würde sich eine ununterbrochene Masse Buschwerk entlang der Ostseite erstrecken. Galt nahm einen tiefen Atemzug und trat heraus, überquerte offen die Straße, zweihundert Meter vom beleuchteten Eingang von Admin House entfernt. Er ging ein Stück weit zurück am Westflügel der Grundschule vorbei zu einem Punkt, der fünfzehn Meter von der hinteren Ecke von Admin House entfernt war, hielt einen Moment lang inne, rannte dann über einen schmalen Streifen ungeschützten Geländes zu der Tür. Kein Alarm. Er versuchte die Klinke niederzudrücken und stieß dann mit der Schulter gegen die Tür. Die Türfüllung gab leicht nach. Er trat zurück und trat geradewegs gegen das Schloß. Plastik und Metall barsten und die Tür sprang auf. Galt glitt hinein, schloß die Tür und lauschte in das Dunkel hinein. Stimmen erklangen von der Vorderseite des Hauses, irgendwo knatterte ein Radio, und eine tonlose Stimme leierte Worte. Sie war zu weit entfernt, um sie verstehen zu können. Füße trampelten hin und her. Wenige Meter voraus war eine Treppe. Galt tastete sich seinen Weg durch das Dunkel, fand ein Treppengeländer und stürmte hinauf. Er sah dämmriges Licht oben. Im zweiten Stockwerk war ein mit Teppichen ausgelegter Flur. An seinem hinteren Ende trat gerade ein Mann in Zivil aus einem Zimmer. Er hielt ein Schriftstück in der Hand und eilte davon. Galt stieg weiter nach oben. Der Korridor der dritten Etage war beleuchtet. Ein uniformierter Sicherheitsbeamter stand sechs Meter entfernt, er fingerte an dem Mechanismus seines Blasters herum. Der Mann steckte die Waffe in das Pistolenhalfter, schritt zum anderen Ende des Flurs, nahm den Hörer eines Haustelefons ab und begann ein für Galt unhörbares Gespräch. Er wandte Galt den Rücken zu, noch immer in den Hörer sprechend. Galt glitt hinaus, schlich geräuschlos den Durchgang entlang zu dem
Kreuzungspunkt mit einem weitläufigen Korridor, von dem aus der Weg zu der Suite des Administrators führte. Vier Sicherheitsbeamte waren zu sehen – zwei waren neben der mit Elfenbein verzierten Doppeltür postiert, die beiden andern an der Haupttreppe. Einer der Männer, die die Treppe bewachten, stieg ein paar Stufen herab, um ein Gespräch bezüglich des Verbleibs einer Person namens Katz fortzuführen. Sein Gesprächspartner lehnte über dem Geländer, den Rücken Galt zugekehrt. Die beiden Männer an der Tür hatten ihre Köpfe in Richtung ihrer beiden Kollegen gewandt, um den Meinungswechsel zu verfolgen. Galt schritt aus seinem Versteck heraus und ging rasch und geräuschlos auf die dem bewachten Portal benachbarte Tür zu. Er war noch einen Meter von ihr entfernt, als einer der Posten einen Blick in seine Richtung warf, ein überraschtes Grunzen von sich gab, nach seinem umgehängten Blaster griff und sich ungeschickt daran zu schaffen machte. »He, du da, was glaubst du, wo du hingehst?« platzte er heraus. »Sonderauftrag«, sagte Galt forsch. Er erreichte die Tür, auf die er zugestrebt war, als die zweite Wache ihre Waffe auf ihn richtete; Galt probierte den Türknopf; er ließ sich drehen; er stürzte hindurch, als zwei Schüsse durch den Flur zischten und Plastik von dem Türrahmen abschmolzen. Er wirbelte herum, knallte die Tür zu und löste das Sicherheitsschloßsystem aus. Er hörte die Panzerung der Tür zugleiten, als sich ein schwerer Körper von außen gegen die Türfüllung warf. Männer hämmerten gegen die Tür und schrien laut, während Galt quer durch den Raum rannte, für einen Moment vor der Verbindungstür halt machte und sich ausmalte, wie Pistolenkugeln seinen Körper zerreißen würden, wenn der Administrator in seinem Büro ebenfalls Wachen postiert hatte. Dann öffnete er sie und trat hindurch. Administrator Blum war ein rundlicher Mann mit ergrauendem Haar; er saß hinter seinem Schreibtisch. Seine Augen waren auf die Korridortür gerichtet. Ein Ausdruck von Überraschung lag auf seinem Gesicht. Als Galt plötzlich auftauchte, wirbelte er herum und langte nach einer Schreibtischschublade. Galt sprang auf ihn zu, schlug die Hand des
älteren Mannes beiseite, nahm den 2mm-NadIer an sich und zielte damit auf Blum. »Was – was –« sagte Blum und sammelte sich dann. Er strich seine Kleidung glatt, sein rundes Gesicht nahm einen strengen Ausdruck an, und er schaute Galt herausfordernd an. »Nun? Sie hatten wohl einen zwingenden Grund, sich den Weg in mein Büro zu erzwingen, vermute ich, da man Sie ohne Zweifel verhaften wird, bevor Sie hier wieder herauskommen.« »Ihre Sicherheitsbeamten sind überbezahlt«, sagte Galt. »Sie sind Experten, wenn es darum geht, harmlose Bürger zu belästigen, aber weniger gut, wenn die Sache kompliziert wird – wie etwa, beide Seiten eines Hauses zu bewachen.« Blums Gesichtszüge zuckten. »Ich schlage vor, Sie ergeben sich augenblicklich, Andy«, sagte er. »Sie haben Ihr Anliegen vorgebracht. Ich werde mich persönlich um die Handhabung der Sicherheitsangelegenheiten kümmern.« »Ich bin nicht hier, um mich über unzulängliche Polizeiarbeit zu beklagen«, sagte Galt. »Ich bin hier, um die Regierung zu übernehmen.« Blum starrte Galt über den Schreibtisch hinweg an. Galt zog einen Stuhl herüber und setzte sich. Das Hämmern gegen die Tür ging weiter. Ein Interkom auf dem Schreibtisch des Administrators summte beharrlich, bis Galt hinüberlangte und ihn abstellte. »Andy«, sagte Blum in freundlichem, verständigem Tonfall. »Ich habe deine Eltern fast dreißig Jahre lang gekannt. Ich erinnere mich an den Tag, als du geboren wurdest –« »Sagen Sie Mister Galt – Mickey.« Blum zuckte zusammen, als wäre er von einer Wespe gestochen worden. »Ich glaube kaum, daß Respektlosigkeit für dein Anliegen von Vorteil ist – was immer es sein mag. Und jetzt, wenn es dir nichts ausmacht, erklär mir, warum du hier bist. Ich rate dir zur Eile, denn meine Sicherheitskräfte können jeden Moment hier sein –« »Das bezweifle ich. Ihre Schlösser sind solide.«
»Du kannst doch unmöglich glauben, daß ihr mit diesem verpfuschten Aufstand Erfolg haben könntet?« »Wir haben den Hafen, die Kraftwerke, das Kom-Zentrum. Der Major scheint einiges übersehen zu haben, als er alles auf Admin House konzentriert hat.« »Sieh mal, Andy – Mr. Galt. Du warst immer ein vernünftiger Bursche, ein guter Student, eventuell ein braver Bürger und ein wertvoller Kolonist. Warum machst du gemeinsame Sache mit diesen Anarchisten? Leute wie Daniel Pinchot – berüchtigte Radikale – Mißgünstige – Agitatoren –« »Dan war Sektorenwissenschaftler. Er mag mit der errichteten Ordnung, so wie sie ist, unzufrieden sein, aber er ist kein Narr, Mr. Administrator. Ich mache bei ihnen mit, weil es entweder das war oder auf die Tour weitermachen, wie alles bisher gelaufen ist – und das war nicht gut genug.« Blums Gesicht nahm einen Ausdruck grimmiger Entschlossenheit an. »Ich glaube kaum, daß eine handvoll Unzufriedener das Recht hat, einseitig zu bestimmen, was für das Wohl der Kolonie als Ganzes gut ist oder nicht gut ist.« »Und Sie haben dieses Recht?« »Ich bin ordnungsgemäß von der Kolonialverwaltung dazu ernannt worden, mein Amt auszuüben; ich bin für diese Arbeit ausgebildet worden; ich habe mehr Jahre Verwaltungserfahrung als du an Lebensjahren hast!« »Ich habe Sie nicht ernannt.« »Du bist intelligent genug, die Tatsache zu begreifen, daß Spezialisten, die ihr Leben den Problemen, die Regierung und Verwaltung mit sich bringen, gewidmet haben, besser qualifiziert sind, diese Dinge in die Hand zu nehmen, als eine Bande von – von Anarchisten, die jede Beschränkung dessen, was sie für ihre Freiheit und Rechte halten, als unzumutbare Belastungen ansehen.« »Eine Bande profitsüchtiger Bürokraten und Politiker, die mir
weismachen wollen, daß ich alles, was das Leben lebenswert macht, aufgeben und Jahre harter Arbeit opfern soll, nur um Territorium zu erschließen, das wir nicht brauchen oder wollen.« »Du bist ein Narr, Galt. Du weißt nicht, wovon du sprichst. Die Wirtschaft muß expandieren oder –« »Oder gewisse mächtige Gesellschaften auf der Erde machen nicht genug Profite, für die wir Schweiß, Blut und Tränen hergeben müssen.« »Das ist eine kindische, stark vereinfachende Darlegung. Warum –« »Sie glauben also, daß Parsons Bay und General Logistics und North American Materials nicht von der Erschließung neuen Gebiets profitieren werden?« »Nun – natürlich hoffen sie das! Und warum sollten sie nicht? Sie haben den Großteil der Aufbauarbeit geleistet, uns mit der Spezialausrüstung ausgestattet, technische Experten zur Verfügung gestellt – und sie tun es immer noch –« »Dafür bekommen sie ihr Geld doppelt und dreifach zurück. Und wir machen die Arbeit. Insbesondere die fünfhundert Namen, die aus einem Hut gezogen wurden, um Sektor Zwölf zu erschließen.« »Wie ungeduldige kleine Kinder wollt ihr also den Spielplatz übernehmen und selbst bestimmen, wie lange ihr spielen dürft, ist es das, Andy – Mr. Galt?« »Die Minen werden weiter in Gang gehalten, Mr. Administrator. Wir werden weiterhin exportieren – und erzählen Sie mir nicht, wie nett und freundlich es von Terra ist, unsere Produkte zu kaufen. Ich weiß, wie knapp nicht organisch verunreinigte Chemikalien sind.« »Angenommen, ein Friedensgeschwader kommt an, um die Ordnung wiederherzustellen –« »Damit erschließt man keine Minen.« Blum starrte Galt lange an. Es war jetzt ruhig im Korridor. Ein Signallicht blinkt unbeachtet auf dem großen Schreibtisch. »Ihr wollt ernten, was andere Menschen aufgebaut haben«, sagte Blum
langsam, »aber ihr wollt es, ohne etwas dafür zu tun, ohne Mühe, ohne Verpflichtung und alles unverbindlich. Nun, die Welt ist nicht so einfach, mein junger Freund. Umsonst ist nichts. Die Gesellschaft enthält euch eure Geburtsrechte nicht vor. Ihr besitzt keine solchen Geburtsrechte – nicht in dem Sinne, wie ihr sie offenbar fordert.« »Ich habe dasselbe Geburtsrecht, wie jedes Tier in der Wildnis es hat«, sagte Galt. »Zu nehmen, was ich bekommen und festhalten kann.« »Also werdet ihr die Kornspeicher beschlagnahmen und sie leer essen. Aber wer wird sie wieder für euch füllen, eh? Ihr werdet euch die Tridosets anschaffen, die ihr euch immer gewünscht habt – aber wer wird sie reparieren, wer wird die Energie beschaffen, um sie in Betrieb zu halten, wer wird das Programm gestalten und die Aufführungen, wer wird die Rechnungen zahlen?« »Wir werden das. Wir sind darauf vorbereitet, so hart zu arbeiten, wie es erforderlich ist. Aber wir haben die Absicht, unseren gerechten Lohn für uns selbst zu behalten – für Colmar – Sie eingeschlossen, Mr. Blum; wenn Sie sich entschließen zu bleiben – anstatt ihn staatlichen Exekutiven zu überlassen, die wir nie kennengelernt haben, die Colmar nie gesehen haben und nie sehen werden.« »Es ist die Arroganz, die mich erstaunt«, sagte Blum verwundert. »Wir alle haben unsere Verpflichtungen, Galt, ob es uns gefällt oder nicht. Die Nahrung, die du ißt, die Kleidung, die du trägst, die Vergnügungen, deren du dich erfreust, die Ausbildung, die du genossen hast, all das ist nicht einfach plötzlich aus der Wüste aufgetaucht. Jemand hat dies alles geschaffen. Es repräsentiert menschliche Erfindungskraft und Anstrengung – und ihr habt den Nutzen davon gehabt.« »Das ist eine Schuld, die sich von Generation zu Generation überträgt, Mr. Blum. Ein Mensch schuldet der Vergangenheit nichts. Leben kann keine Bezahlung für sein bloßes Bestehen fordern.« »Ich dachte immer, du wärest ein junger Mann mit einem Sinn für Anstand, für Gerechtigkeit, für Achtung der Rechte anderer. Sag mir, Andy: falls diese eure Revolution durch einen verrückten Zufall erfolgreich ist – was dann? Werdet ihr euch mit eurer Beute ein feines
Leben machen? Könnt ihr Diebstahl in einem solchen Ausmaß vor euch selbst rechtfertigen und euch einfach häuslich niederlassen, um euch an euren gestohlenen Leckereien zu erfreuen?« »Sie vertreten die Position«, sagte Galt, »daß, weil die Regierung besteht –« »Legalerweise«, warf Blum ein. »Weil die Regierung legalerweise besteht, ich deshalb verpflichtet bin, sie zu unterstützen – oder ihr zumindest zu gehorchen. Aber ich fechte diese Feststellung an. Angenommen, die Regierung wäre eine offene Diktatur: wäre ich verpflichtet, meiner eigenen Versklavung Vorschub zu leisten?« »Das ist absurd –« »Nein. Ein Mensch besitzt ein Naturrecht, das über legalen Verpflichtungen steht. Eine rechtmäßig eingesetzte Regierung umzustürzen, ist Verrat – außer man gewinnt. Weil wenn man gewinnt, ändert man die Gesetze. Dann ist jeder, der die alte Regierung unterstützt, der Verräter.« »Das ist bloße Sophistik, Galt. Du kannst nicht ernsthaft annehmen –« »Das Recht zu revoltieren«, sagte Galt langsam, als dächte er laut, »ist das grundlegendste Recht, das ein Mensch besitzt.« »Aktivistenjargon«, schnaubte Blum verächtlich. »Nicht, wenn wir gewinnen – und wir haben gewonnen, Mr. Administrator.« Blums Gesicht rötete sich. »Unsinn. Eine Bande von Volksverhetzern könnte unmöglich –« »Falsch. Wir sind keine Volksverhetzer. Wir sind das Volk selbst, Mr. Administrator, Mr. Ex-Administrator. Zügeln Sie sich.« Blum wandte sich seiner Schalttafel zu und drückte Tasten. Sein Gesicht wurde lang, als keine Signallampen auf seine Anrufe antworteten. »Sie können noch immer Verbindung zu den Kasernen der Sicherheitskräfte aufnehmen«, sagte Galt. »Rufen Sie Jensen an und sagen
Sie ihnen, sie sollen die Waffen niederlegen.« Blum tippte den Kode in die Tasten. Das ärgerliche Gesicht des Majors erschien auf dem Schreibtischbildschirm. »Mr. Administrator, dem Himmel sei Dank, daß Sie wohlauf sind!« »Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen«, sagte Blum. »Wie ist die Lage?« »Diese Strolche haben eine Anzahl von Einrichtungen erobert, Mr. Administrator, aber ich kann sie ausheben. Ich schlage vor, Sie stellen zum CDT-Sektor durch und fordern eine Truppe PEs an, dreifache UTU Dringlichkeitsstufe.« »Ich fürchte, ich habe nicht ganz die Handlungsfreiheit, das zu tun, Stig«, sagte Blum. Er verstellte das Aufnahmegerät, und Galt, die Pistole in der Hand, geriet ins Sichtfeld. Jensens Gesicht lief rot an. »Was –?« »Das – äh – Revolutionäre Komitee scheint uns überflügelt zu haben«, sagte Blum. »Halten Sie aus, Mr. Administrator«, sagte Jensen zwischen zusammengepreßten Zähnen hindurch. »Meine Jungs werden sich zu Ihnen durchschlagen –« »Legen Sie die Waffen nieder, Jensen«, unterbrach ihn Galt und beugte sich vor. »Wir halten jeden strategisch wichtigen Punkt in der Kolonie –« »Ich habe vierzig kampferprobte Männer auf dem Gelände von Admin House«, knirschte Jensen. »Hier kommen Sie niemals lebend raus, Sie verdammter Bandit!« »Seien Sie kein Esel, Stig«, sagte Blum gelassen. »Er hat Sie ausmanövriert. Es ist Schachmatt.« Er schaute Galt an. »Was verlangst du von mir, Andy?« »Kapitulation. Übergeben Sie die Herrschaft dem Komitee, und treten Sie zurück Ich garantiere für Ihre persönliche Sicherheit – und auch für die Jensens, außer er stellt eine Dummheit an, wie etwa auf unsere Leute zu feuern.«
Blum blickte gelassen hinüber zu Galt. »Bist du sicher, daß es das ist, was ihr wollt? Die Verantwortung –« »Geben Sie den Befehl«, sagte Galt schroff. Blum wandte sich dem Bildschirm zu. »Legen Sie Ihre Waffen nieder, Stig«, sagte er. »Ich unterzeichne einen formellen Rücktritt zugunsten von Andrew Galt.« Zehn Minuten später gab es einen kurzen Tumult draußen vor der Tür. Pinchots Stimme ertönte über das Sprechgerät. »Aufmachen, Galt! Wir sind hier Herr der Lage.« Galt durchquerte den Raum und löste den Schloßmechanismus. Die Tür schwang auf. Gray kam herein. Er grinste. Er erblickte Blum und riß die Waffe in seiner Hand hoch. Hinter ihm feuerte eine Waffe. Gray stieß einen schrillen Schrei aus, als ihm die Pistole in einem Aufspritzen von Blut aus der Hand flog. Er ging in die Knie und griff nach seinem Handgelenk. Die Hand lief puterrot an. Weitere Männer drängten sich in den Raum. Es war Timmins, der gefeuert hatte. Er kam heran und stellte sich neben Galt. »Warum, zum Teufel, hast du das gemacht?« fragte Gray wehleidig. »Das ist das Schwein, das Fry und Jeannie umgebracht hat!« »Was hast du von ihm erwartet? Sollte er ihnen sicheres Geleit geben?« fragte Galt knapp. »Was ist los hier?« fragte Pinchot, der sich vordrängte. »Du gibst besser mir die Waffe.« Er streckte eine Hand aus, während die andere den Abzug der Pistole an seiner Hüfte festhielt. »Ich dachte, die Idee wäre gewesen, eine bessere Regierung zu errichten und nicht ein Terrorregime«, sagte Timmins. »Es wird kein weiteres Töten geben«, sagte Galt. »Laß die Waffe los, Timmins.« Timmins schleuderte die Waffe beiseite. »Wer bist du, daß du hier Befehle erteilst?« verlangte Pinchot von Galt
zu wissen. »Ich bin der einzige hier, der einige Erfahrung mit Verwaltungsangelegenheiten hat. Ich übernehme die Regierungsgeschäfte, bis wir Wahlen ausschreiben können – außer ihr wollt euer eigenes Regime, indem ihr mich und vielleicht Timmins und noch ein paar andere umbringt – und irgendwie habe ich das Gefühl, daß eine Säuberungsaktion BüKol nicht gerade in der Überzeugung bestärken wird, daß ihr die richtigen Leute seid, um die Kolonie zu führen.« Pinchot starrte Galt aus verengten Augen an. Dann entspannte er sich und hielt ihm die Hand hin. »Hört sich vernünftig an«, sagte er. »Laßt uns gehen, Männer.« »Du hast ein gewaltiges Risiko auf dich genommen«, sagte Blum, nachdem die anderen sich zurückgezogen hatten. »Ich nehme an, das bringt eine Revolution so mit sich, Mr. Administrator.« Blum seufzte. »Sag Mickey zu mir«, sagte er. »Da sind ein paar Dinge, mit denen ich dich vertraut machen sollte, bevor ich gehe.« Vier Wochen später saß Galt hinter dem großen Schreibtisch und betrachtete zweifelnd die Papiere vor sich. Er erledigte sie flüchtig und seufzte. Jemand klopfte nachlässig an der Tür, und Pinchot trat ein. »Nachmittag, Mr. Administrator«, sagte er. »Warum blickst du so verdrießlich drein? Sie haben dich gewählt, oder?« »Ich trete jederzeit zu deinen Gunsten zurück, Pinchot.« »Nein, danke. Ich hatte noch nie was für Papierkram übrig.« Er musterte den Aktenstoß auf Galts Schreibtisch. »Auf jeden Fall haben dich beide, das CDT und BüKol, als vom Volk rechtmäßig gewählten Regierungschef anerkannt. Du steckst jetzt darin fest. Ich bin ganz zufrieden mit meiner Funktion als Einsatzleiter.« Sein herzlicher Gesichtsausdruck schwand ein wenig, während er sprach. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich. »In dem Zusammenhang, Galt – was ist mit dem Importprogramm, das
ich ausgearbeitet habe? Du hast jetzt drei Tage Zeit gehabt –« »Ich weiß. Luxusgüter. Trideoprogramme.«
Amtsfahrzeuge,
Klimaanlagen,
»So? Haben wir nicht das Recht, unser Geld dafür auszugeben, es uns einzurichten? War es nicht das, was wir mit der Machtübernahme bezwecken wollten?« »Sicher. Welches Geld?« Pinchots Gesichtsausdruck wurde angespannt. »Das Entgelt für die letzte Schiffsladung Metall zum Beispiel«, fauchte er. »Das ging alles für unsere Schulden bei anderen Planeten drauf.« »Erwartest du, daß ich dir das abnehme?« »Du kannst die Zahlen zusammen mit Anderson nachrechnen, wenn du willst. Egal, wie oft wir sie zusammenzählen, stets kommt dasselbe heraus. Wir stecken in den roten Zahlen – und was wir an Krediten noch haben, muß für absolut lebensnotwendige Güter verwendet werden.« »Das habe ich alles schon von Anderson gehört. Darum bin ich hier. Es reicht nicht, Galt. Deswegen haben wir BüKol nicht abgesetzt – nur um mit dem selben alten Schwindel weiterzumachen.« »Du kannst jederzeit übernehmen, Pinchot.« Galt schob dem anderen Mann ein Schriftstück zu. »Mein Rücktritt, fertig zur Unterzeichnung.« Pinchot starrte das Dokument an und schob es beiseite. »Du betreibst Blums Politik, die Politik von BüKol –« »Es ist niemandes Politik. Das sind bloß die Fakten, Pinchot. Wir exportieren X Kilotonnen Mineralien für Y Credite pro Tonne. Und wir importieren für Z Credite Basismaterial. Und jedes Quartal schlittern wir ein bißchen tiefer in die roten Zahlen.« »Sie übervorteilen uns, halten uns auf einem Preisniveau –« »Falsch. Sie verkaufen an uns sieben Prozent unter dem freien Marktwert. BüKol-Politik.« »Dann könnten wir unsere Preise heraufsetzen –« »Wieder falsch. Es steht gerade so auf der Kippe. Wenn unsere Preise
plus Transportkosten das Preisniveau lokaler Raffinierung übersteigt, sind wir aus dem Geschäft.«
Beschaffung
und
»Dann – was in Gottes Namen können wir tun?« Galt schob ein weiteres Dokument über den Schreibtisch. Pinchot warf einen Blick darauf und starrte Galt dann an. »Bist du noch bei Sinnen? Das ist Blums Erschließungsorder für Sektor Zwölf.« »Falsch. Es ist meine Order, Sektor Zwölf zu erschließen.« »Das kannst du nicht machen. Die Leute werden es nicht hinnehmen. Was werden Gray und Williver – und Pyle und Tomkin und die anderen sagen? Sie – wir – haben unsere Hälse riskiert, gerade um dieses verrückte Projekt zu bekämpfen.« »Wir brauchen mehr Einkommen, weniger Abhängigkeit von Importen. Wir müssen unsere nutzbare Anbaufläche ausdehnen, unseren Minenbetrieb erweitern. Wenn dir eine andere Lösung einfällt, es zu machen, würde ich den Vorschlag begrüßen.« Pinchots Gesicht sah matt und grau aus. »Ist es das, was wir übernommen haben – dieselben alten Kopfschmerzen, nur schlimmer?« »Haben wir wirklich übernommen, Pinchot?« fragte Galt müde. »Oder haben sie uns durch einen Schwindel dazu gebracht, auf unseren eigenen Füßen zu stehen?« Pinchot fluchte. »Ich stimme dir zu«, sagte Galt. »Und jetzt an die Arbeit. Ich brauche fünfhundert Namen für Sektor Zwölf. Irgendwelche Vorschläge?« Originaltitel: THE RIGHT TO REVOLT. Aus IF, Mai-Juni 1971 Copyright © by UPD Publishing Corporation
Keith Laumer
DAS RECHT ZUM WIDERSTAND Wenn es der Zweck einer Revolution ist, eine Regierung zu schaffen, die den Bedürfnissen des Volkes gerecht wird, erhebt sich eine große Frage. Ist es im Grunde überhaupt gerechtfertigt, daß eine kleine Minderheit entscheidet, was der Wille der Mehrheit ist? Das Krachen zersplitternden Glases war wie eine Explosion in der Dunkelheit. Planetarischer Administrator Andrew Galt wachte auf, wälzte sich herum, fiel aus dem Bett und schlug auf dem Boden auf. In der folgenden Stille fiel ein letztes Glasbruchstück von dem Fensterrahmen auf den Teppich. Galt kam auf die Beine und sah den mit Papier umwickelten Stein, der neben der Anrichte lag. BEENDET DIE TYRANNEI AUF COLMAR stand in roter Schrift auf der Rückseite eines unlängst herausgegebenen Rationenzuteilungsformblattes. Galt grunzte und schleuderte das Schriftstück fort. Es war beinahe Morgendämmerung, stellte er fest. Er kleidete sich an und ging hinunter in die Küche. Freddy, sein ButlerChauffeur-Leibwächter-Sekretär war bereits auf und kochte Kaffee. »Sie sind früh auf den Beinen, Mr. Administrator«, sagte er förmlich. »Kein Protokoll so früh am Morgen, Freddy«, sagte Galt, als er sich an den Tisch setzte. »Einige meiner Verehrer kamen vorbei, um mir ein paar gute Wünsche mit auf den Tag zu geben. Colmars zwanzigster Jahrestag der Unabhängigkeit.« Galt gab ein Schnauben von sich, das nicht ganz wie das Lachen klang, das er beabsichtigt hatte. »Nimm's nicht so schwer, Andy«, sagte Freddy. Er goß Kaffee ein – stellte Galt eine Tasse hin und nahm ihm gegenüber Platz. »Du hast immer das beste aus einer schwierigen Situation gemacht.« Galt warf ihm einen sardonischen Blick zu, als er an dem bitteren Gebräu nippte. »Es ist schon komisch, wie du voraussetzt, daß es nicht
Blumen waren, die sie geworfen haben, Freddy. Man könnte meinen, ich wäre nicht populär.« Freddy zuckte die mächtigen Schultern. »Man kann es nicht jedem recht machen«, sagte er. »Es scheint so, als würde ich es keinem von ihnen recht machen.« »Du tust, was du tun mußt, Andy. Die Kolonie ist ein wenig rentables Unternehmen. Es ist nicht deine Schuld, daß die Zeiten hart sind. Diese Säuglinge wollen alles auf einmal, das ist alles. Sie schauen zuviel interplanetarisches Trideo, sie haben die Vorstellung, daß das Leben einträglich und gemütlich sein muß. Einmal müssen sie den Tatsachen ins Gesicht sehen. Colmar ist eine arme Welt. Wir können uns den Dreistundenarbeitstag und Kaviar vom Wohlfahrtsamt einfach nicht leisten.« »Versuch das einem Econ-Graduierten zu erzählen, der seine Zeit am Billardtisch zubringt.« »Ich weiß; sie meckern. Na und? Wenn sie die alten Zeiten miterlebt hätten, hätten sie etwas, worüber sie meckern könnten. Denken sie jemals daran, womit sich die ersten Kolonisten vor siebzig Jahren herumschlagen mußten.« »Natürlich nicht«, sagte Galt. »Warum sollten sie? Dies sind nicht die alten Zeiten. Dies ist die Gegenwart. Und sie sind jung. Sie wollen ihr Leben heute genießen, nicht irgendwann im nächsten Jahrhundert. Ich kann es ihnen nicht verübeln.« »Sicher – und genauso wollte dein Großvater sein Leben genießen – und meiner. Darum sind sie hierhergekommen – in das Nichts. Um etwas daraus zu machen – aus einer toten Welt – etwas, das es vorher nicht gegeben hatte. Sie hatten keine Garantien, keinen Weg zurück. Sie mußten Colmar bezwingen oder sterben – und viele von ihnen starben.« »Das ist Geschichte, Freddy. Heute ist ihnen klar, daß es etwas besseres als harte Arbeit und Rationierung gibt. Und das wollen sie. Und Freddy, ich auch –« »Aber du winselst nicht darum – und eines Tages wird es so weit sein –
du arbeitest dafür, wie sie es früher taten. Es muß eine beängstigende Sache gewesen sein, Andy, als sie aus den Frachtern ausgeladen wurden und sich umschauten und eine tote Welt sahen, nicht einmal einen Grashalm. Innerhalb von siebzig Jahren haben wir sie in eine Welt verwandelt, in der ein Mensch leben kann – aber nicht ohne Mühsal. Laß sie nörgeln, Andy – sie verbringen ihre Zeit wie jeder andere – auch wie du.« »Unfreiwillige Knechtschaft. ›Tyrannei‹ nennen sie es.« Freddy schnaubte verächtlich. »So? Und welche Schlußfolgerungen ziehst du daraus? Willst du zurücktreten, bloß weil sie dich beschimpfen? Du weißt, was getan werden muß, Andy. Du tust es. Das erfordert Schneid. Du hast ihn. Noch Kaffee?« »Nein, danke. Ich kann ebenso gut ins Büro rübergehen. Möglicherweise verprügeln wir die Steinewerfer einmal zur Abwechslung.« »Wenn ich du wäre«, sagte Freddy im Auto, »ich würde zu Hause bleiben und mich einen Dreck um sie scheren. Laß sie mal merken, was passiert, wenn ein paar Tage lang niemand die Entscheidungen trifft. Sie beklagen sich jetzt. Laß sie mal spüren, wie es wäre, wenn du den Karren nicht immer aus dem Dreck ziehst.« »Laß dich nicht hinreißen, Freddy. Verwaltungsbeamte könnte den Job machen.«
Jeder
kompetente
»Vielleicht«, sagte Freddy. »Sie sehen nicht, daß was du zu tun hast, harte Arbeit ist; sie schließen sich dem Mob an, wenn er nach deinem Kopf schreit. Du könntest morgen schon der populärste Mann auf Colmar sein, wenn du nachgeben würdest.« »Und einen Tag später wären wir bankrott. Sicher, Freddy. Aber das sind bloß Tatsachen; und die zählen nicht, wenn es um Gefühle geht.« Einige Streikposten glotzten, als der Wagen des Administrators durch die offenen Tore hereinschwenkte. In seinem Büro nahm Galt einen Stapel
vorrangiger Anliegen in Angriff: fünfzig Tonnen verarbeiteten Stahls für Shaft 209, gegen sechzig Tonnen desselben dringend benötigten Materials für die Erweiterung der Verladedocks; vier Ladungen nicht vorrätigen Brennstoffs, die unter neun verschiedenen Dienststellen verteilt werden sollten, die alle nach augenblicklichem Handeln schrien; Computerbauteile für sechs Monate im voraus zur Auslieferung bestellt; angefordert von Routing, um bevorstehende Betriebsstillegungen der gesamten NW-Branche zu verhindern… Galt schaute auf, als ein heftiges Klopfen an der Tür ertönte. Timmins, der Verwaltungsbeamte, steckte den Kopf herein. Durch die offene Tür konnte Galt die Geräusche eines heftigen Wortwechsels vernehmen. »Wieder eine Delegation, die dich zu sehen wünscht«, sagte Timmins. Galt erhob sich und ging hinaus in den Korridor. Von unten her drangen ärgerliche Stimmen herauf, andere Stimmen, die Erwiderungen gaben. Schritte klapperten auf der Treppe. Ein zerzauster junger Mann in einem grauen Overall erschien, dicht gefolgt von Freddy. »Warte, Freddy«, sagte Galt. Beide Männer machten halt. »Laß ihn raufkommen.« »Chef, er könnte bewaffnet sein –« sagte Timmins schnell, aber Galt wischte die Bemerkung beiseite. »Sie wollen zu mir?« fragte er den Eindringling. »Das ist richtig«, sagte der Mann in Grau trotzig. Er strich sein Haar zurück, straffte seine Jacke. »Wir sind Bürger; wir haben ein Recht, gehört zu werden.« »Wer ist ›wir‹?« »Die Partei.« Der junge Mann sagte es in lässigem Tonfall, herausfordernd. »Kommen Sie mit ins Büro«, sagte Galt. »Filz ihn erst«, hörte er Timmins sagen, als er sich abwandte. Die Delegation bestand aus fünf Personen, drei Männer, zwei Frauen, deren Alter sich zwischen achtzehn und fünfunddreißig bewegte, schätzte Galt. Er kannte sie alle vom Sehen, zwei beim Namen – kein Kunststück
bei einer Bevölkerung von dreißigtausend. Eine der Frauen – ein hübsches Mädchen in dem Grün des Krankenschwesterndresses – trat vor und überreichte Galt ein zusammengefaltetes Schriftstück. Timmins las über seine Schulter mit. »Dieselbe alte Leier«, sagte er. »Verbesserten öffentlichen Transportverkehr, mehr Unterhaltungseinrichtungen, weniger Arbeitsstunden. Das ist Unsinn –« »Für uns ist es kein Unsinn«, sagte das Mädchen scharf. »Für mich ebenfalls nicht, Miss Dolph«, sagte Galt. »Ich würde selbst gern ein leichtes Leben führen. Bedauerlicherweise können wir es uns nicht leisten – noch nicht.« »Sie haben ihres«, sagte der Mann in Grau. »Dienstvilla, Dienstfahrzeug, von allem das beste –« »Sieh mal«, setzte Timmins an, aber Galt brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Lassen Sie uns bei den Tatsachen bleiben – Jonas, nicht wahr? Meine Amtsresidenz ist eine Standardklasse Vb Einheit; ich bekomme die gleiche Nahrung, Kleidung, Energieration wie irgend jemand sonst. Wie Sie wissen. Was das Auto angeht – ich pflegte zu Fuß zu gehen – bis die Steinewerferei ein bißchen überhand nahm.« »Wenn Sie Ihren Job so machen würden, wie Sie es sollten, würde Sie niemand mit Gegenständen bewerfen«, sagte Jonas gehässig. »Ich habe so das Gefühl, daß Freddy gerade dabei war, euch ein bißchen an die Kandare zu nehmen, als ich zufällig dazukam, oder?« »Er ist ein gedungener Schläger – das ist der Unterschied.« »Was erwarten Sie von mir, das ich tun soll, Jonas, Miss Dolphy?« »Heben Sie die Restriktionen auf«, sagte das Mädchen prompt. »Lassen Sie die Leute ihr Leben genießen, solange sie es können. Kürzen Sie den Arbeitstag, geben Sie uns mehr Mußezeit und Annehmlichkeiten, beenden Sie das Rationieren, erhöhen Sie den Import von Konsumgütern.« Galt nickte. »Sonst noch was?«
»Eine ganze Menge mehr«, sagte Jonas. »Machen Sie den übermäßigen Arbeitsbelastungen ein Ende. Erhöhen Sie die Löhne. Heben Sie die Einschränkung des Reiseverkehrs in den Weltraum auf, holen Sie mehr Entertainer von anderen Planeten.« »Für die Kosten, diesen neuen Sektor zu erschließen«, sagte ein anderes Mitglied der Delegation, ein kleiner, zaghaft aussehender Mann mit einer ungesunden Gesichtsfarbe, »hätten wir eine Truppe von Künstlern anwerben können, die uns mit dem kulturellen Leben in Kontakt gebracht hätte.« »Sektor Neunzehn bietet uns meeresagrikulturelle Erleichterungen«, sagte Galt milde. »In zwanzig Jahren könnte es unser größter Nahrungsmittelproduzent sein. Wir hätten die Möglichkeit, den Arbeitsaufwand für die Eigenversorgung innerhalb von drei Dekaden zu verringern.« »Wir kennen diese Propagandamaschen«, sagte Jonas. »Wir haben das alles schon gehört.« »Weshalb sind Sie dann hier?« fuhr Galt ihn an. »Das ist sehr einfach, Mr. Administrator«, sagte Jonas höhnisch. »Wir glauben den offiziellen Richtlinien nicht.« »Die Unterlagen sind der Öffentlichkeit jederzeit zugänglich«, sagte Galt. »Sie können gefälscht sein.« »Weshalb sollten sie?« konterte Galt. »Um die Öffentlichkeit irrezuführen.« »Warum sollte ich die Öffentlichkeit irreführen wollen?« »Aus naheliegenden Gründen –« »Nennen Sie sie«, sagte Galt eisig. »Wie Sie wollen. Um Ihr Programm der Schinderei und Unterbezahlung, langer Arbeitsstunden und keines Erholungsurlaubs zu rechtfertigen, den Luxus für die wenigen auf Kosten der Sklaverei der Massen –«
»Welchen Luxus?« unterbrach ihn Galt scharf. »Wir haben diese unerwiesene Behauptung bereits behandelt. Sie ist Unsinn, und Sie wissen es – und jeder in diesem Raum weiß es.« »Hör mal, Chef, das reicht jetzt langsam«, begann Willis, aber Galt schnitt ihm das Wort ab. »Sie bezichtigen mich hier und den Rest der Regierung eines geheimen, finsteren Komplotts –« »Sie enthalten dem Volk seine grundlegenden Rechte vor!« schrie Jonas. »Nennen Sie ein Recht, das Ihnen vorenthalten wird, Jonas, und ich sorge persönlich dafür, daß Sie eine Pension auf Lebenszeit erhalten«, sagte Galt. »Wie Sie wollen – das Recht auf eine angemessene Mußezeit, um einen Anfang zu machen. Der Achtstundentag ging bei den mit Kohlekraft betriebenen Bodenfahrzeugen drauf.« »Was verstehen Sie unter einer angemessenen Mußezeit?« »Zeit haben, ein paar Dinge zu tun. Hobbies zu haben, ein Musikinstrument zu spielen, Freunde zu besuchen –« »Falsch, Mr. Jonas. Das mag angenehm sein, aber es ist nicht angemessen. Angemessen ist, was faktisch möglich ist. Wir haben gerade soviel menschliche Arbeitskraft«, fuhr er fort und hob die Stimme, als Jonas ihn unterbrechen wollte. »Wir müssen diese menschliche Arbeitskraft so verteilen, daß industrielle Unternehmungen in Gang gehalten und soviel Exportausstoß produziert werden kann, um die Wirtschaft florieren zu lassen. Sie wollen mehr Trideos importieren und Artistenshows haben? Sehr schön. Dann müssen wir mehr Stunden arbeiten, nicht weniger.« »Offizielles Propagandagewäsch.« Jonas spuckte die Worte aus wie einen Bissen wurmstichigen Apfels. »Wie ich schon sagte, die Unterlagen sind jedermann zugänglich. Schauen Sie sie sich an oder auch nicht, ganz wie es Ihnen beliebt. Aber Sie können nicht hier hereinplatzen mit Ihren Vorschlägen für ein sofortiges Utopia, wenn Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.«
»Ich dachte mir, daß es darauf hinausläuft«, sagte eine der Frauen mit schriller, nervöser Stimme. »Abwimmeln. Beschönigungen. Wir hätten es wissen sollen. Das hier ist Zeitverschwendung.« Sie starrte Galt aus Augen wie Stacheln an. »Ich heiße konstruktive Vorschläge stets willkommen«, sagte Galt, ihrem Blick standhaltend. »Kommen Sie wieder, wenn Sie welche haben.« »Dazu wird es nicht kommen«, sagte Jonas. »Die Zeit zum Verhandeln ist vorbei.« Sie gingen, Türen hinter sich zuschlagend, fort. »Erinnert dich das an etwas?« fragte Galt Timmins, als wieder Ruhe eingekehrt war. »Ausgesprochen schmerzlich. Außer daß wir damals nur fünfzig waren –« »Zweiundvierzig«, verbesserte Galt. »– und diesmal die halbe Bevölkerung aufgewiegelt ist. Niemand hat versucht, uns Zusammenhänge zu erklären; hätten sie es getan, hätten wir ihnen vielleicht sogar zugehört.« »Das glaubst du doch selbst nicht. Wir wollten Wandel – irgendeinen Wandel. Wir bekamen ihn.« »Und all den Kummer, der damit einherging. Aber diese Leute heutzutage wollen es gar nicht erst hören. Sie erinnern sich, wie wir BüKol hinauswarfen; Pinchot und ein paar andere versprachen ihnen die Welt. Zwanzig Jahre später sind sie immer noch auf knappe Rationen gesetzt. Sie sind unglücklich. Und sie meinen es ernst, Andy. Das ist nicht bloß eine kleine Bande von Mißgünstigen –« »Das weiß ich alles, Ben. Schlägst du vor, ich soll ihnen Torte vom Himmel versprechen? Was passiert, wenn sie herausfinden, daß es dort keine gibt?« Timmins schaute ernst drein. »Andy, für diese Generation – und für einen Haufen Leute, die es eigentlich besser wissen sollten – symbolisierst du all das, was mit dem Leben nicht in Ordnung ist. Indem sie dich absetzen, können sie ihre Probleme beseitigen – glauben sie.«
»Du schlägst also vor, ich soll mich zurückziehen, obwohl ich an der Spitze stehe?« »Ich schlage vor, du ziehst dich zurück, solange du am Leben bist, verdammt nochmal!« »Und was tun? Dasitzen und zusehen, wie Colmar zugrunde geht?« »Du hast genügend Angebote gehabt – allein in den letzten sechs Monaten drei, von denen ich weiß; ich habe die Ablehnungen verfaßt. Du könntest noch immer den Posten in Yale bekommen, Vorträge über die Bewirtschaftung von Grenzgebiet halten –« »Und in den Zeitungen darüber nachlesen, wie das Experiment Colmar scheiterte. Ben, hast du dir jemals vorgestellt, was passieren würde, wenn wir das Handtuch werfen und BüKol zurückbitten müßten? Sie würden die Kolonie auflösen, uns zur Erde evakuieren – in Bienenstockbehausungen stecken, uns synthetische Nahrung vorsetzen –« »Ich weiß. Es ist undenkbar. Und verdammt nochmal, Colmar kann es schaffen! Wir haben die Mineralien, die Meere – einen ganzen Planeten zum Ausbeuten!« Timmins schlug mit der Faust in die offene Hand. »Wenn sie es bloß einsehen könnten! Uns nur etwas Zeit geben würden!« »Eine tote Welt zum Leben zu erwecken ist ein großes Unterfangen, Ben. Vielleicht ein zu großes. Möglicherweise reichen unsere Kräfte dazu nicht aus. Aber ich muß hier auf meinem Platz bleiben und tun, was ich tun kann – solange es geht.« »Und zum Märtyrer werden«, sagte Timmins grimmig. »Es ist nichts Edelmütiges daran«, sagte Galt. »Dies ist meine Heimatwelt. Ich könnte auf Terra auch nicht leben. Ich kämpfe um mein Leben; das einzige Leben, das ich kenne.« »Dann wirf es nicht fort. Laß mich eine Eskorte für dich zusammenstellen. Ich kann ein Dutzend TSA-Soldaten, die von Aldo abkommandiert wurden, bekommen –« »Abgelehnt, Ben. Mich von außerplanetarischen Pistolenschützen gegen das Volk, das mich gewählt hat, beschützen zu lassen, das wäre das Ende.«
»Was, in Gottes Namen, willst du dann machen?« »Improvisieren – und hoffen, daß Projekt Sektor Neunzehn sich rechtzeitig auszuzahlen beginnt.« »Auf ein Wunder hoffen, meinst du.« »Gerade jetzt könnte ich ein Wunder gebrauchen«, sagte Galt müde, »falls es sich arrangieren ließe.« Zwei Wochen später legte Timmins ein Schriftstück auf Galts Schreibtisch. In der Zwischenzeit waren die Spannungen gewachsen, es zu BeinaheAufständen, zerbrochenen Fensterscheiben – und schließlich zu einem Mordanschlag gekommen, in dessen Verlauf Freddy mit Laserverbrennungen dritten Grades in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte. »Weinberg, draußen bei Dreizehn«, sagte Timmins. »Ich dachte, du solltest es dir ansehen.« Das Gesicht des Verwaltungsbeamten war ausgezehrt von zu wenig Schlaf. Galt prüfte das Schriftstück kritisch. »Lebendes Inventar? Federvieh? Was zum Teufel stellt er da draußen an? Einen Zoo aufmachen?« »Tiere zu Versuchszwecken«, sagte Timmins erklärend. »Er will eine Reihe von Tests mit ihnen anstellen.« Galt rieb sich die Augen. »Er weiß, daß wir zur Zeit die knappsten Fleischrationen seit der Kolonisierung haben«, sagte er müde. »Weinberg überrascht mich. Sag ihm nein. Erinnere ihn daran, daß er dort draußen ist, um unsere Proteinversorgung zu ergänzen, nicht sie zu dezimieren. Und frag ihn, wie er mit dem Problem der Schlammverseuchung vorankommt, von dem er berichtet hat.« Timmins nickte und wandte sich zum Gehen. Galts Worte ließen ihn stehenbleiben, bevor er die Tür erreichte. »Moment mal, Ben. Vergiß diesen letzten Ausbruch. Ich bin zu verdammt müde, um noch gradlinig denken zu können. Wenn Dick Weinberg glaubt, er braucht eine Herde Ziegen, dann verdammt nochmal, braucht er wohl eine Herde Ziegen. Besorg sie ihm – doppelt und dreifach
– Priorität.« Timmins nickte wieder, diesmal fröhlicher. »Und sag ihnen, sie sollen eine Sitzgelegenheit auf dem Fußboden für mich bereithalten«, fügte Galt hinzu. »Ich werde mir mal anschauen, was er anstellt.« Timmins runzelte die Stirn. »Das dürfte keine gute Idee sein, Andy. Am Nachmittag gab es einen Aufruhr am Hafen und –« »Tu, was ich dir gesagt habe«, befahl Galt. Dann schnitt er eine Grimasse. »Tut mir leid, Ben. Die Nerven. Bring mich zum Flugwagen. Ich laß mich notfalls unter einem Stapel alter Leinwandsäcke dorthin bringen, wenn du es so haben willst.« »Ich bereite alles vor«, sagte Timmins tonlos. Vom Frachtflugzeug aus hatte man einen monotonen Ausblick auf erodierte Bergrücken, auf von Bewässerungskanälen durchzogene Getreidefelder, auf Felsgestein, Kies und Sand, die sich endlose Kilometer weit quer durch die Landschaft erstreckten. Nachdem der schmale Grüngürtel der Hauptstadt und der sie umgebende fünf Meilen breite Streifen Ackerlandes vorübergezogen waren, lagen vierzig Meilen unerschlossener Wüste vor ihnen. Weit drüben im Westen tauchte das trübe Grün eines bio-adaptierten Tals vor ihren Augen auf. Weitere fünfundsiebzig Meilen unfruchtbaren, leblosen Ödlands entfalteten sich unterhalb des Flugwagens; dann erschien weit voraus die sanfte Kurve der Küste und die schwarzblaue See jenseits vor ihnen. Sie waren noch etwa fünf Meilen von der Experimentalstation entfernt, bevor Galt die vagen Umrisse von Bewässerungskanälen, die Muster landwirtschaftlichen Versuchszwecken dienender Felder und die leuchtend grünen Spektren ausmachen konnte, die umgepflanzte Bäume waren, die verstreut liegenden Gebäuden Schatten spendeten. Nahe der Küstenseite der Station, bemerkte Galt, war die leblose See in dunkles Braun getaucht. Der Flugwagen landete auf einem zerkratzten Rechteck hinter der weitläufigen, aluminium-weißen Station. Ein kalter Wind
wehte Sand quer über den freien Erdboden und pfiff mit einem rastlosen Flüstern gegen die Seiten des Flugwagens. Weinberg erwartete Galt. Er war ein Mann mit massivem Körperbau, rothaarig, mit großen, ernsten Augen und einem breiten, abwärtsgebogenen Mund, der seinen zur Schau gestellten Optimismus Lügen strafte. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Mr. Administrator – Sie bringen meine Ziegen und Vögel und die anderen Dinge?« fragte er, als er Galt überschwenglich die Hand schüttelte. »Verschwinden wir aus diesem verdammten Wind.« Das Büro, Laboratorium und Quartier des Meeresökologen bestand aus einem einzigen geräumigen, unordentlichen Raum mit Backsteinmauerwerk, einem Wirrwarr von Glasgegenständen, einem Schreibtisch, der mit Schriftstücken überhäuft war, einem Feldbett und einem Tisch, auf dem ein Kocher und schmutziges Geschirr standen. »Setzen Sie sich, Andy. Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen?« »Dick, was hat es mit diesen Tierexperimenten auf sich? Soviel ich weiß, sind wir dabei, unsere Kost mit Meeresnahrung anzureichern –« »Sicher, sicher. Ich werde Ihnen alles erklären. Wie sieht es in der Stadt aus? Wie ich hörte, bereiten sie euch einige Schwierigkeiten, werfen Steine und den ganzen Krempel.« »Die Dinge stehen schlecht. Ben Timmins meint, wir brauchen ein kleines Wunder von Ihnen, um alle Probleme zu lösen. Sie haben nicht zufällig eins auf Lager, oder?« »Ein kleines Wunder, sagt der Mann«, schmunzelte Weinberg, während er mit den Tassen klapperte. Er schenkte ein, verstaute alles auf einem Tablett und brachte er herüber. Galt nahm die Tasse, nippte daran und akzeptierte ein Stück gelbbraunen Kuchens. »Woher bekommen Sie Kaffee?« rief er. »Ich dachte, der letzte Vorrat an Luxusimportgütern ging beim letzten Neujahrstag drauf.« »Probieren Sie den Kuchen. Er ist nicht zu süß.«
Galt nahm einen Bissen: er schmeckte gut. Er war sich nicht darüber im klaren gewesen, wie hungrig er war; aber schließlich hatte er nichts gegessen – seit wievielen Stunden? »Mögen Sie ihn?« Weinberg schaute so erwartungsvoll aus wie eine frisch getraute Braut, die ihre erste Mahlzeit servierte. »Ausgezeichnet, Dick. Aber –« »Ein kleines Wunder, sagt der Mann«, sagte Weinberg und rieb sich die Hände. »Kommen Sie mit, Andy. Ich will Ihnen etwas zeigen.« Der Ökologe führte ihn durch einen langen Raum, in dem ein halbes duzend Techniker in grünen Arbeitskitteln über komplizierten Gebilden aus Glasrohren und Behältern mit blubbernden Flüssigkeiten arbeitete. Ein scharfer Geruch nach verbranntem Toast lag in der Luft. Am hinteren Ende der Station kamen Galt und Weinberg auf ein schräg abfallendes Stück Strand heraus, das zum Wasser hinunterführte. Massen trüben, bräunlichen Schlamms türmten sich dort entlang langer Furchen. Die Meeresoberfläche war ein dunkles Braun, ölig aussehend, mit träge dahinfließenden Wellen. »Sie erinnern sich an meinen Bericht über das Problem, das ich mit der Schlammzusammensetzung hatte«, sagte Weinberg. »Wie ich sehe, hat sich daran nichts gebessert«, sagte Galt. »Ich hoffe, daß es Ihre Arbeit nicht ernstlich behindert.« »Tatsache ist, Andy, ich habe alle Arbeiten, die damit in Zusammenhang standen, fallengelassen. Ich glaube, ich habe es als eine mutierte Abart der Fulgia Septica identifiziert, die wahrscheinlich von einigen unvollkommen sterilisierten Glasgegenständen von Terra eingeschleppt worden ist. Wir versuchten es zuerst mit Hochdruckdampf, aber –« »Moment mal, Dick. Alles fallengelassen?« Galts Stimme war schroff. »Möglicherweise ist es mir nicht gelungen, klarzustellen, daß das Projekt, Ergänzungen für die Colmarianische Kost zu finden, absolute Priorität genießt –« Weinberg schaute Galt vorwurfsvoll an. »Mr. Administrator, darf ich meine Ausführungen fortsetzen?« Sein breiter Mund verzog sich, die
Mundwinkel bebten trotz seiner offensichtlichen Bemühungen, sie still zu halten. »Worüber, zum Teufel nochmal, grinsen Sie?« »Wie hat Ihnen der Kaffee zugesagt?« »Genießbar«, antwortete Galt. »Was –« »Er ist aus Sporangiakulturen hergestellt worden; der Grundstoff, verstehen Sie, getrocknet, gemahlen und geröstet.« »Sie haben den Kaffee – daraus gemacht?« Galt stieß mit dem Fuß gegen eine Masse verkrusteter brauner Flocken. »Uh – huh. Der Kuchen ist aus Sporen gemacht worden, mit einem protoplasmatischen Zusatzstoff plus Süßstoff.« »Schlammkuchen?« fragte Galt. »Natürlich waren eine Reihe von Prozeduren dazu erforderlich. Wir gehen ein paar Ideen über die Verwendung von Glas nach, suchen nach abgekürzten Verfahren – für kommerzielle Massenproduktion, verstehen Sie. Mit noch ein wenig Trocknen und Komprimieren erhalten wir, gesetzt den Fall, ich falle nicht in Anfängerchemie durch, einen vorzüglichen Nahrungsmittelgrundstoff.« Er kramte aus seiner Tasche einen trübe schimmernden, purpurbraunen Kuchen von der Größe eines Stücks Seife hervor. »Deshalb die Ziegen«, sagte er. »Und das Federvieh.« Galt stand wie von Gram gebeugt da. »Aber – wenn das wahr ist –« Er nahm einen tiefen Atemzug und wurde sichtlich munter. »Sehr schön. Ein Wunder nach Wunsch –« Seine Stimme brach ab, und er stimmte ein fröhliches Kichern an. »Dick, Sie heimtückischer Bastard, Sie haben gerade die Welt vor dem Untergang bewahrt, zum Teufel mit Ihrem Versteckspiel!« »Alles eine Tagesarbeit, Mr. Administrator«, sagte Weinberg grinsend. Er blickte an Galt vorbei auf die offene Wüste nach Westen. »Nun, offenbar weitere Besucher«, sagte er. »Da muß etwas durchgesickert sein.« Galt wandte sich um; eine Staubwolke kroch auf sie zu, hochgewirbelt
von einem mit hoher Geschwindigkeit dahinrollendem Fahrzeug. Der Wagen schwenkte um die Station herum, kam schlitternd neben dem Lagerschuppen zum halten und wurde augenblicklich von der von ihm selbst hochgewirbelten Staubwolke eingehüllt. »Das sieht wie eines meiner Instandhaltungsfahrzeuge aus«, sagte Galt. »Was –?« Jemand rief laut. Ein Mann am Laboratoriumseingang winkte ihnen zu. »Anruf für Sie, Mr. Administrator. Scheint dringend zu sein.« Galt machte sich auf den Weg zu dem Gebäude, Weinberg folgte ihm. Drei Männer traten aus der Staubwolke hervor, die jetzt langsam von dem Wagen fortgeblasen wurde. Sie verfielen in Laufschritt, ihr Weg würde sich mit dem Galts kreuzen. Etwas Glänzendes blitzte in der Hand des Anführers auf; das Geräusch eines Pistolenschusses durchschnitt die Luft. Galt warf sich zu Boden. Der Mann am Eingang rannte heraus; ein zweiter Schuß ertönte, und der Mann blieb stehen, drehte sich und fiel auf die Seite. Galt riskierte einen Blick und sah, wie ein zweiter der Neuankömmlinge den Arm des Schützen beiseiteschlug, als dieser ein drittes Mal feuerte. Die Kugel pfiff an Galts Gesicht vorbei. »– lebend«, hörte er. »Wir können ihn später immer noch umbringen, falls es dazu kommen sollte.« Galt kam auf die Füße. Weinberg ging zu dem Mann hinüber, auf den geschossen worden war, und kniete neben ihm nieder. Er ignorierte die Befehle des Mannes mit der Pistole. Er schaute auf. Sein Gesicht war blaß und traurig. »Pat ist tot«, sagte er, ohne sich an jemanden bestimmten zu wenden. Der dritte Mann stand bei seinen Begleitern. Alle drei waren staubig und vom Wind zerzaust. Sie sahen jetzt ein wenig unsicher aus. Der Wind wehte rastlos. »Sie, Galt, da drüben«, sagte der Schütze. »Sie –« er wandte sich an Weinberg – »halten sich raus, und Ihnen geschieht nichts.« Galt ging zu dem Trio hinüber. »Stolz drauf, Jonas?« Jonas fluchte und schlug Galt nieder.
»Habt ihr Waffen da drin?« rief Jonas Weinberg zu. »Nein.« »Wenn das eine Lüge ist, bringe ich Sie um. Nehmt das Zeug«, sagte er zu seinen Begleitern. »Ich will, daß kein Stück verwertbares Material hier zurückbleibt.« Die beiden gingen zum Wagen und holten Pakete hervor, die Galt als Standardschmelzbomben identifizierte. Sie eilten auf den Eingang der Station zu, gingen an der Leiche vorbei, die ausgestreckt im Sand lag, und verschwanden im Innern. Einen Augenblick später ertönten Schreie, Rauch quoll aus dem Eingang. Ein Mann rannte heraus, Fetzen, die wie feuchte Gaze aussahen, hingen lose von seinem Gesicht herab. Er taumelte und fiel zu Boden. Galt, noch immer auf dem Erdboden, schwang die Füße herum und brachte Jonas vor sich zu Fall. Der jüngere Mann fluchte und griff nach seiner Waffe; Galt bekam sein Handgelenk zu fassen, fühlte die überlegene Kraft des andern, die seinen Widerstand unweigerlich brechen würde. Plötzlich wurde Jonas zu Boden geschleudert. Weinberg stand heftig atmend aufrecht über Galt. Jonas kam auf die Knie, und Weinberg versetzte ihm einen kurzen, heftigen Fußtritt, der dem Mörder den Kopf zurückschleuderte. Er sank mit dem Gesicht nach unten in den Sand. Weinberg half Galt auf die Beine; er hatte sich das Knie verstaucht. Er hob die Waffe auf, die Jonas hatte fallen lassen. Männer strömten aus der Station, einer hielt noch immer die glühende Rauchbombe. »In der Stadt herrschen schwere Unruhen«, sagte einer der Männer zu Galt. »Mr. Timmins war am Apparat. Er sagte, Sie sollten besser sofort zurückkommen.« Die Abenddämmerung war nahe, als der Kopter Galt direkt auf dem Gelände von Admin House absetzte, um der Menge, die sich um das Gebäude versammelt hatte, auszuweichen. Timmins erwartete ihn bereits. Er schaute grimmig drein. »Das sind nicht die üblichen Unruhen, Andy«, sagte er. »Es ist ein
organisierter Aufstand. Mobs am Hafen, beim Kraftwerkskomplex –« seine Stimme brach ab. »Was ist dir zugestoßen?« »Ich habe eine Kostprobe davon bekommen. Ein Zerstörungskommando hatte es auf die Meeresexperimentalstation abgesehen und Pat Rogan umgebracht. Weinberg hält unseren alten Bekannten Jonas und ein paar andere dort fest.« Timmins fluchte. »Vor ungefähr einer Stunde haben sie versucht, das Feuer auf das Kom-Zentrum zu eröffnen. Wir haben es mit knapper Not noch retten können. Es sind genug Bürger auf unserer Seite, um es zu einem Patt zu machen; aber einen Menschen umbringen –« »Laß uns hineingehen, Ben. Ich wünsche einen vollständigen Lagebericht.« Timmins beendete seinen Bericht zwanzig Minuten später. »Das ist die Situation. Die günstigste Schätzung ist dreihundert Aktivisten, weitere zehntausend Mitläufer, die sich auf die eine oder andere Seite schlagen werden. Das kommt der halben Bevölkerung verdammt nahe. Was wir ihnen entgegenstellen können, sind eine aus hundert Mann bestehende Miliz, die mit nichttödlichen Waffen ausgerüstet ist, und vielleicht zweitausend Freiwillige mit Axtgriffen und Stuhlbeinen.« »Laß ein paar Feldbetten aufstellen, Ben. Es wird eine lange Nacht werden.« »Was für Pläne hast du, Andy?« »Warte. Bis zum Morgen haben sie sich vielleicht so weit ausgetobt, daß man vernünftig mit ihnen reden kann. Ich habe ein paar Neuigkeiten für sie.« Er umriß den Kern von Weinbergs Entdeckung. »Aber das ist genau das, worauf wir gewartet haben – wofür wir in Augenblicken der Schwäche sogar gebetet haben«, sagte Timmins und fuhr sich mit den Fingern durch das dünner werdende Haar. »Guter Gott, Andy – das sind die besten Neuigkeiten, die du überhaupt hättest bringen können –« »Aber niemand wird uns heute nacht zuhören. Entspann dich, Ben. Bis
morgen können wir uns halten. Und möglicherweise wird uns das den Hals retten.« Die ganze Nacht über hörten sie Berichte von Gefechten, die rasch wieder abgeebbt waren, von Plündererbanden, die Slogans brüllend die Stadt durchstreiften, von Zusammenstößen zwischen Freiwilligentrupps und Demonstranten, die wegen Unschlüssigkeit auf beiden Seiten schließlich im Sande verliefen. Die Stunden vergingen. Galt döste. Schwaches Licht drang durch die Fenster ein, als er von einem Mann aufgeweckt wurde, der, ohne sich mit der Formalität vorher anzuklopfen lange aufzuhalten, in sein Büro stürmte. »Sie haben das Feuer auf die Bibliothek eröffnet«, sagte er. »Und eine Menge ist in den Kindergarten eingedrungen. Sollen wir versuchen, ihn zu halten?« »Geben Sie ihn auf«, befahl Timmins. »Wir müssen uns auf die lebenswichtigen Einrichtungen konzentrieren.« Er brach ab. »Entschuldige, Andy. Es ist natürlich deine Entscheidung.« »Ich bin einverstanden. Worauf sind sie in Wirklichkeit aus, Ben. Was ist ihr Hauptziel?« »Was glaubst du wohl?« fragte Timmins. »Admin House. Wenn sie hierherkommen –« Eine dumpfe Explosion in der näheren Umgebung unterstrich die Bemerkung. Gegenstände rasselten auf dem Schreibtisch. Von irgendwoher hörte man das Splittern von Glas. Galt wirbelte zum Fenster herum. Rauch stieg von einem Punkt nahe des Haupttors auf, das aus seiner Einfassung gerissen worden war. Männer strömten in einem ungeordneten Stoßkeil durch die Öffnung. »Wo stecken unsere Milizleute?« schrie Timmins gellend und stürzte aus dem Raum. Rufe hallten von den unteren Treppenaufgängen her, begleitet von schweren, dumpfen Schlägen. Galt erreichte das Foyer und fand dort ein Dutzend freiwillige Verteidiger vor, die alle mit Ruß verschmiert waren und aus kleinen Schnitten und Hautabschürfungen bluteten. Sie hatten sich hinter den fest verriegelten Türen gruppiert. »Es wird langsam hart«, rief einer der Männer. »Sie haben Pistolen –
mindestens ein Dutzend. Weiß Gott, wo sie sie herhaben. Bisher ist noch niemand getötet worden, soweit ich weiß, aber diese Explosion –« Das Hämmern gegen die massiven Türen hörte abrupt auf. Dahinter konnte man Stimmen vernehmen, die über den Lärm, den die Menge veranstaltete, hinwegschrien. »Wir sind in einer hoffnungslosen Lage«, sagte ein Mann. »Wir haben getan, was wir konnten – diese Strolche meinen es ernst. Ich sage, laßt uns abhauen, solange wir es noch können.« »Verdammt nochmal, ihr könnt jetzt nicht einfach abhauen –« setzte Timmins an. »Vorwärts, Jacobs«, unterbrach ihn Galt. »Jeder, der jetzt gehen will, soll sich beeilen. Danke für eure Hilfe.« Alle Freiwilligen bis auf zwei machten sich eilig davon, einige schweigend, andere Entschuldigungen murmelnd. Ein Singsang hatte draußen vor der Tür begonnen. »Was, zum Teufel, schreien sie so?« fragte Timmins. »Gebt – Galt – heraus!« ertönte der Singsang klar und deutlich während einer momentanen Unterbrechung des Getöses im Hintergrund. »Gebt – Galt – heraus!« »Das verdammte Schwein«, schrie Timmins. »Andy, du mußt abhauen. Sie wollen einen Sündenbock, jemanden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können – und sie haben dich ausgesucht.« Galt schüttelte den Kopf; er ging die Stufen hinauf zum Geländer. Von dem schmalen Fenster dort konnte er das Drama, das sich draußen abspielte, überblicken: das zerstörte Tor, der wilde Haufen Rebellen, der sich fächerförmig von ihm her ausbreitete und einen losen Bogen fünfzehn Meter von den Stufen entfernt bildete; der dichtgedrängte Mob jenseits der Mauern, der sich die Hälse verrenkte, um einen besseren Ausblick zu bekommen. »Wie Leichenfledderer, die einer Enthauptung zusehen«, sagte Timmins neben ihm. »Verstehen diese verdammten Narren nicht, daß es mit Colmar vorbei ist, wenn diese Anarchisten hier hineingelangen?«
»Verurteile sie nicht; sie sind bloß einfache Bürger, die von etwas jenseits ihres Begriffsvermögens in den Bann gezogen sind. Sie warten auf Führung – irgendeine Führung.« Galt warf Timmins einen Blick zu. »Und wenn wir sie ihnen nicht geben können – wird es jemand anders tun.« Er deutete auf einen hochgewachsenen Mann, der breitbeinig dastand, sich einen Patronengurt über die Schulter geschwungen hatte und ein schweres, mächtiges Gewehr mit einer muskulösen Hand umfaßte. »Ein Unzufriedener namens Brauer«, sagte Timmins. »Bei Gott, wenn ich eine Pistole hätte –« Er schaute Galt an, heftete dann den Blick auf die Pistole in Galts Gürtel. »Borg mir das mal aus, Andy«, sagte er in angespanntem Tonfall. »Ich kann ihn mit einem Schuß erledigen.« Galt schüttelte den Kopf. »Du weißt, daß das nicht richtig wäre, Ben.« »Wenn man dies alles beenden kann, indem man einen Mann tötet – dann ist es gerechtfertigt, sage ich.« »Ich würde dir wahrscheinlich zustimmen – wenn ein Mord es beenden könnte. Tatsache ist, wir würden ihnen einen Märtyrer liefern, aus dem Hinterhalt erschossen. Ich denke, ich weiß, wie der Mob darauf reagieren würde.« Er wandte sich um und stieg die Stufen wieder hinunter. »Machen Sie sie auf«, sagte er zu den beiden Männern, die neben den mächtigen Türen warteten. »Mr. Administrator, Sie dürfen sich diesem Mob nicht ergeben«, platzte einer der Männer heraus. »Sie werden ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Das ist alles, was sie wollen.« »Wer ergibt sich? Machen Sie diese Tür auf.« Entgegen der Proteste Timmins entfernten die Männer die Riegel und schwangen die Flügel weit auf. Ein Geräusch erhob sich aus der Menge, als Galt in den Säulengang hinaustrat; es verstummte rasch, als der hochgewachsene Mann namens Brauer vortrat. Er stand einen Moment lang da und fingerte an der Waffe in seinen Händen herum; dann wandte er sich um und rief laut über die Schulter: »Kommt Leute, die Ratten kriechen aus ihren Löchern.« Er schritt
herausfordernd vorwärts, aller Augen waren auf ihn gerichtet. Die, die direkt hinter ihm standen, folgten ihm; die Menge drängte vorwärts, glitt schweigend durch das Tor und breitete sich auf dem Gelände aus. Brauer kam heran. Als er noch einen Meter weit von ihm entfernt war, riß Galt seine Jacke mit einem Ruck zur Seite, so daß die Pistole in seinem Gürtel deutlich zu sehen war. Er legte die Hand auf den Pistolenknauf. Brauer hielt plötzlich an. Seine Gesichtszüge zeigten nacheinander Überraschung, Ärger, Entschlossenheit. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Das Gewehr in seinen Händen zuckte nach oben. »Legen Sie die Kanone weg, oder ich verpasse Ihnen eine Kugel zwischen die Augen, Brauer«, sagte Galt gelassen. Brauer erstarrte. Er starrte zuerst Galts Gesicht an, dann sein Kinn, dann die Gürtelschnalle. »Sind Sie wahnsinnig, Galt?« fragte er. »Gehen Sie mir aus dem Weg –« »Fünf Sekunden«, sagte Galt. »Sie wollen umgebracht werden?« platzte Brauer heraus. »Vier«, sagte Galt. »Drei. Zwei –« Mit einer Verwünschung warf Brauer das Gewehr weg. Ein Murmeln ging durch die Menge. Ein Mann hinter Brauer wollte vortreten. »Zurück in die Reihe«, befahl Galt. Der Mann blieb stehen. »Lassen Sie den Patronengurt fallen, Brauer«, befahl Galt. Brauer kam dem Befehl nach. Er schaute zu Galt auf, während sein Gesicht langsam rot anlief. »Kommen Sie mit herein«, sagte Galt. »Ich will mit Ihnen reden.« Der große Mann stand reglos da. »Bewegen Sie sich, habe ich gesagt!« Brauer versuchte selbstbewußt zu lächeln; es wurde zu einer schwächlichen Grimasse. Er stieg die Stufen hinauf. Galt folgte ihm ins Innere. Als er von der Tür aus einen Blick zurückwarf, begann die Menge bereits sich zu zerstreuen. »Damit kommen Sie nicht durch«, sagte Brauer. »Wir sind nicht verpflichtet, dies –«
»Ich denke, Sie werden es«, sagte Galt. »Aber wir haben Rechte!« bellte Brauer. »Die Macht gehört dem Volk.« »Das ist richtig«, sagte Galt. »Ich stimme mit Ihnen soweit überein, als Sie nicht verpflichtet sind, eine Regierung zu unterstützen, nur weil sie einfach existiert.« »Gut, dann –« setzte Brauer an. »Gewiß haben Sie ein Recht zu revoltieren«, fuhr Galt fort. »Aber das heißt noch lange nicht, daß ich in irgendeiner Weise verpflichtet bin, es zuzulassen.« »Was ich nicht begreife«, sagte Timmins eine Stunde später, nachdem die Miliz berichtet hatte, daß in der Stadt alles ruhig war, »ist, warum du ihn so nahe hast herankommen lassen, bevor du ihn gestoppt hast.« »Ganz einfach«, sagte Galt. »Ich könnte nicht einmal die Breitseite eines Warenhauses mit einer Pistole treffen, außer die Mündung würde sie berühren.« Er lächelte. »Brauer hat den gleichen Fehler wie Blum gemacht – sie beide ließen mich zu nahe herankommen. Und als wir das Gespräch führten – hatte ich die besseren Argumente. Brauer gab zu, daß er einen lausigen Administrator abgegeben hätte.« Er gähnte. »Morgen werden wir Weinbergs Entdeckung bekanntgeben – und einen neuen Wirtschaftsplan.« Originaltitel: THE RIGHT TO RESIST. Aus IF, Mai-Juni 1971 Copyright © by UPD Publishing Corporation
Lester del Rey
DER LETZTE WAHRE GOTT Religion ist der einstmalige legitime Bastard des Aberglaubens, und Aberglaube hat seinen Ursprung zumeist in einer wahren Begebenheit. Inmitten der Trümmer einer verwüsteten Welt wartet ein stummer und unwirklicher Gott auf den Ruf zu dienen. Er ist… Keir Soth hob schwerfällig den Blick von den zerfetzten Überresten eines Buches, das er zu lesen versuchte, als er das knirschende Geräusch der Luftschleuse vernahm. Er seufzte und erhob sich, um durch die linkte Sichtöffnung auf die fremdartige Landschaft jenseits des Schiffes zu starren. Melok war eine rauhe Welt. Selbst der Sonnenuntergang konnte die Trostlosigkeit der öden Wüste nicht mildern, die sich direkt bis zu den häßlichen Backsteintürmen der Stadt zu Keirs Rechten erstreckte. Der Himmel war getrübt mit einer dünnen Wolkendecke aus Staub und Dunst. Drei Meilen entfernt verdeckte eine gewaltige Pyramide, die den hiesigen Tempel darstellte, den größten Teil der roten Sonne. Ein gelbes Licht glühte aus einer Öffnung im Tempel. Por Dain betrat den Kontrollraum und stellte sich neben ihn. Der Wissenschaftler war älter als Keir und ein wenig kleiner, aber von ihrem Aussehen her hätten sie Brüder sein können. Beide besaßen die übliche dunkle Gesichtsfarbe und hatten hagere und scharfgeschnittene Gesichtszüge. Por Dain hatte seine Schutzkleidung abgelegt, aber noch immer haftete Sand in den Falten um seine Augen. Die schlaff herabhängenden Schultern zeugten von einer Erschöpfung von der doppelten Schwerkraft von Melok. »Fünftausend Lichtjahre suchen wir den Weltraum in dieser Blechbüchse ab«, murmelte er. »Und dann, weniger als dreißig Parsec von zu Hause finden wir – das hier. Bei der Erde, ich habe diese
abergläubischen Wilden mit ihrem Blechgötzen satt!« Keir Soth zuckte bei der Verwünschung zusammen und streckte eine Hand aus, um das winzige Emblem zu berühren, das die Hemisphäre der verlorenen Erde verkörperte. Selbstverständlich war er nicht abergläubisch. Aber die Gewohnheiten der Kindheit ließen sich nur schwer abstreifen. Po Dain schnaubte verächtlich. »Kannst du es nicht in deinen Schädel hineinkriegen, daß an der Legende nichts Wahres dran ist, Keir? Wie könnte irgendein Planet sich in einen silbernen Dunst einhüllen und dann einfach verschwinden – angeblich in irgendso eine mystische höhere Dimension – und seine Kolonien auf dem Trocknen sitzen lassen? Blödsinn!« »Aber wir haben die Abbildung eben eines solchen Ereignisses auf dieser Welt im dritten Quadranten gefunden«, protestierte der Captain. »Eine verödete Welt, bar jeglichen menschlichen Lebens seit mindestens zwanzigtausend Jahren«, erinnerte ihn Por Dain. »Glaubst du etwa, unsere Legende würde sich so lange gehalten haben?« Keir Soth schüttelte widerstrebend den Kopf. Es gab Legenden, die von einem gewaltigen Krieg am Firmament berichteten, der ganze Zivilisationen ausgelöscht hatte, vor etwa fünfzehn Jahrhunderten – und sie waren wahrscheinlich wahr. Es gab sogar Hinweise darauf, daß Melok selbst die Welt des Feindes gewesen sein mochte, weil sie zu dieser Zeit beinahe tödlich radioaktiv verseucht worden war. Ihre Atmosphäre enthielt noch immer mehr Strahlung, als Keir lieb war. Aber eine Legende, älter als zwanzig Jahrtausende…? Und es gab noch andere Rätsel. Wenn der Mensch Welten vor so langer Zeit besiedelt hatte, warum gab es dann keine alten und fortgeschrittenen Welten? Schwang sich jeder Planet zu einer Blütezeit empor, wo er Kolonien ausspie, um dann in einem Massenvernichtungskrieg mit jenen Kolonien zu sterben? War das Leben so sinnlos? Lyssa, die Novizin, betrat die Kabine und brachte Fleischbrühe und
Tabletts mit Verpflegung für sie. Sie war ein typisches Exemplar ihrer Gattung – blond wie keine andere Frau, schmächtig, einer Porzellanfigur ähnelnd. Die Mädchen, die der Erde dienten, wurden sorgfältig auf gleiches Aussehen hin gezüchtet. Überraschenderweise machte ihr Por Dain auf seinem Sitz Platz. Der alte Agnostiker mied sie gewöhnlich, verbittert über das Gesetz, das alle Schiffe zwang, mindestens eine Novizin an Bord zu haben. Sie lächelte ihn mit ihrem üblichen freundlichen und nichtssagenden Lächeln an, als sie die Abendandacht in der altertümlichen Sprache begann. »Wenn ich dich vergesse, Ozine…« »Sie hat ihre Sache heute gut gemacht«, gab Por Dain zu, als er Keirs fragenden Blick bemerkte. »Sie überredete den hohen Priester Shaggoth dazu, sie auf ihren erdverdammten Götzen hinaufzulassen, und sie hat drei Aufnahmegeräte dort angebracht.« Sie vollführte den Kreis der Erde, aber die Blasphemie schien sie nicht zu berühren. »Shaggoth nennt ihn den letzten wahren Gott«, sagte Lyssa. Sie war die ganze Reise über duldsam gewesen. Nachdem sie die Überbleibsel der Bücher auf dem alten Planeten gefunden hatten, hatte sie damit angefangen, sie die altertümliche Sprache zu lehren. Das hatte sich als glücklicher Umstand erwiesen, weil die Eingeborenen von Melok sie ebenfalls für ihr Ritual gebrauchten. Und Shaggoths Dialekt war Lyssas Version ähnlich genug, um sich verständigen zu können. Sie hatte sich während der Reise als hilfreich genug erwiesen. Davon abgesehen, brauchten Männer auf einer langen Reise eine Frau. Weshalb Shaggoth sie zu akzeptieren schien, war ein weiteres Rätsel dieser verflixten Welt. Er war zu Por und Keir ungehobelt genug gewesen. Er hatte ihnen untersagt, sich seinem Tempel auf mehr als hundert Meter zu nähern. Und er hatte sich geweigert, sogar dem Mädchen seine geheiligten Bücher zu zeigen, obwohl er kein Hehl aus ihrer Existenz machte. Die Gelehrten auf der Heimatwelt würden ein Dutzend Vermögen für die Legenden einer beliebigen fremden Welt hergeben.
Es war dunkel draußen – bis auf das rote Licht der vier sichtbaren Monde Meloks – als Por Dain seine Mahlzeit beendete und aufstand, um die kniffligen Außenrezeptoren zu testen. Die Hände des alten Mannes zitterten vor Übermüdung, als er sie einstellte. Dann grunzte er vor Freude und Überraschung. Seit Wochen hatte er an den Rezeptoren herumgebastelt, und nun endlich schien einer zufriedenstellend zu arbeiten. Er zeigte deutlich das Innere des Tempels. Shaggoth fuhrwerkte gerade mit Drahtstücken herum und gab dabei zufriedene Töne von sich. Der hohe Priester war ein finsterer, behaarter Mann, von grotesk kurzen Wuchs und abstoßender Häßlichkeit. Es war etwas Anstößiges an seinem Gesichtsausdruck und seinem stillen Insichhineinlachen. Dann brachte die Justierung größere Schärfentiefe. Zum erstenmal sahen die beiden Männer den Götzen, dem auf Melok gehuldigt wurde. »Ein Roboter!« rief Keir aus. »Ein Roboter wie in den Legenden von dem zerstörten Planeten.« Por Dain nickte langsam. »Sieht so aus. Ich wußte, daß er aus Metall war – doch wie ist das möglich? Metall wäre längst in Bruchstücke zerfallen. Es muß eine Art Statue sein, aus Zinn gegossen, und den Robotern nachempfunden, die ihre Legenden beschreiben. Diese Wilden beten eine Maschine an.« Auf alle Fälle war es ein altertümlicher Gegenstand. Staub und Ruß waren wegpoliert worden, aber da war eine unverkennbare Patina von Jahrhunderten. Er ähnelte schwach einem Menschen. Immerhin besaß sein Gesicht ohne erkennbare Gesichtszüge zu zeigen, einen Hauch von Würde. »Möglicherweise ist es das Wrack eines echten Roboters«, mutmaßte Por. »Wenn die Alten vor dem Bombardement hier ein paar von unseren Legierungen hatten – könnte es wohl sein. Da hast du deine Religion, Keir. Eine Rasse von Menschen, die blindlings ein Etwas vergöttern, das als Diener gedacht war.« Lyssa berührte das Erdemblem, aber ihr Lächeln blieb unverändert. Sie hatte es aufgegeben, gegen Pors Bemerkungen zu protestieren. Stattdessen deutete sie auf Shaggoth, der gerade die Fackel ausblies und
die Gasglühstrümpfe kleiner stellte. »Er kommt hierher«, sagte sie. Sie hatte recht damit. Das Aufnahmegerät zeigte, wie er sich über den Sand auf sie zubewegte, ein arg verzerrtes Bild, aber erkennbar. Por hatte die Verstärkung groß genug eingestellt, um in dem dämmrigen Tempellicht sehen zu können. Er bemerkte Keirs Aufmerksamkeit und begann den Gegenstand aufzuspüren, an dem Shaggoth gearbeitet hatte. Es war ein sonderbar verdrahtetes Durcheinander einer Art von Spulen und Blöcken, scheinbar auf ihr Schiff gerichtet. Por zeigte auf, wo die Drähte von dem Körper des Roboters führten, wo sie entweder aufgesteckt oder auf irgendeine Weise eingestöpselt waren. »Muß die Attrappe irgendeiner Maschine aus den Legenden sein«, meinte Keir. »Magisches Ritual – Similaritätsprinzip. Aber glaubt er wirklich, daß eine Art Götterkraft immer noch in der Kreatur erzeugt wird?« »Es ist immer Energie in dem Götzen«, belehrte sie Lyssa. »Shaggoth hat damit geprahlt. Er macht Wunderfeuer damit.« Jegliche Energie in diesen Batterien mußte vor Jahrtausenden versiegt sein, machte sich Keir klar. Aber ein cleverer Priester konnte einiges vortäuschen, um seine Anhänger zu überzeugen. »Vielleicht kommt er her, um uns zu warnen, daß er einen großen Zauber veranstaltet und wir in seiner Gewalt sind«, meinte Por. Lyssa schüttelte den Kopf. Ihr Lächeln wurde breiter. »Er kommt zu mir. Er hat mich heute gefragt. Ich glaube, er will sich zu dem gesegneten Verlorene-Erde-Glauben bekehren lassen.« »Sie gehen nicht hinaus, Lyssa«, erklärte ihr Keir in scharfem Ton. »Und Sie lassen ihn nicht herein.« Mit einem Ruck legte er einen Schalter um, um die Bildschirme einzuschalten. Rund um das Schiff befanden sich etwa fünfzig teilweise verdeckte Gestalten, die geduldig warteten, wie sie jede Nacht gewartet hatten. »Das ist ein Befehl, Lyssa. Bleiben Sie der Luftschleuse fern bis zum Morgen.«
Sie nickte kaum merklich, dann heftiger, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »In Ordnung«, willigte sie sanft ein, obwohl ihr Lächeln nahezu verschwunden war. »Gute Nacht dann. Ich gehe jetzt schlafen.« Sie vernahmen die Laute letzter Gebete und das leise Geräusch, als ihr Körper in die Hängematte in ihrer winzigen Kabine sank. Kurz darauf zog sich Por Dain ebenfalls zurück. Keir saß in seinem Sitz und beobachtete den hohen Priester. Shaggoth erreichte das Schiff und klopfte sanft an. Dann kauerte er sich im Sand nieder, verharrte bewegungslos und wartete geduldig. Keir wartete ab, aber nichts weiter geschah. Schließlich ließ er den Kontrollsitz los und sank in ihn hinein. Die letzten Geräusche, die er hörte, waren Por Dains schwere Atemzüge und Lyssas leises Schnarchen. Eine schwere Hand auf seiner Schulter rüttelte ihn wach. Por Dain stand über ihm, finster dreinblickend und fluchend. »Sie ist abgehauen! Die erdverdammte, kreuzfahrende kleine Närrin – sie hat sich davongeschlichen, und sie sind alle weg.« Keir verscheuchte seine Benommenheit. Der Uhr nach waren sechs Stunden der langen Meloker Nacht vergangen, seit er eingeschlafen war. Er stellte fest, daß die Außenbildschirme eingeschaltet waren. Von den Eingeborenen oder von Shaggoth fehlte jede Spur. »Wir müssen hinaus und sie retten«, murmelte er dumpf, während er nach den Koffeintabletten griff. »Keine Chance. Heilige Erde, schau sie dir an!« Por Dain hatte die Aufnahmegeräte auf den Tempel gerichtet, und dasjenige, das nur verzerrte Bilder zeigte, ließ einen enormen Haufen melokanischer Eingeborener erkennen, die von der Stadt herströmten und zu ihrem Tempel hinaufstrebten. Dann erwischte das noch gute Aufnahmegerät Shaggoth, als der Priester ins Blickfeld geriet. Gasflammen tauchten den Tempel jetzt in ein Halblicht, und der Priester beschäftigte sich wieder mit seinem Drähteapparat. »Zum Teufel mit ihm«, grollte Por. »Er ist nicht so unwissend, wie ich
dachte. Sieht so aus, als würde dieser Wilde einen Stromkreis abstimmen. A!« Während er sprach, schien die Apparatur zum Leben zu erwachen. Ein blaues Glühen lief über die Spulen und wurde zu Weiß. Es breitete sich aus, bis es zu einer schwach glühenden Kugelform wurde, die sich weiter ausdehnte und zu dünn wurde, um noch sichtbar zu sein. Dann erschienen Altardiener. Sie trugen Lyssa. Sie war fest zusammengeschnürt, schien aber unverletzt zu sein. Sie gab keinen Ton von sich, aber ihr Lächeln war verschwunden. Ihre Augen, von Furcht geweitet, konzentrierten sich auf Shaggoth. Ein Singsang erhob sich, als die Altardiener sie auf einen Felsblock zu Füßen ihres letzten wahren Gottes legten. Shaggoth näherte sich ihr. Er hielt zwei Zauberstäbe in den Händen, von denen Drähte zu der Gestalt des Roboters führten. Keir Soth wurde sich gewahr, daß er heftige Verwünschungen ausstieß, während er nach den Waffen in einer Schublade in der Kontrolltafel griff. Aber Por Dain hielt ihn zurück. »Sei kein Narr, Captain. Es ist ein Bluff. Er will, daß wir herauskommen, um sie zu retten. Das ist sein ganzer Plan. Da unten muß eine ganze Horde von Wilden lauern, unterhalb des Bildwinkels der Schirme, wo wir sie nicht sichten können.« »Dann bringen wir das Schiff dorthin.« »Nein.« Ärger mischte sich mit widerwilligem Respekt in Por Dains Gesichtsausdruck. »Ich erkenne das Feld, das er jetzt erzeugt, von der Anordnung der Einzelteile her wieder. Wir haben so eins auf der Heimatwelt – nur ist es nicht größer als eine Erbse, trotz maximaler Energie. Da kommen wir nicht durch. Es würde den Antrieb abwürgen, bevor wir bis auf eine halbe Meile an die Pyramide herangekommen wären.« Kein Wunder, daß der Priester sich geweigert hatte, ihnen die alten Bücher zu zeigen. Er mußte eine Bibliothek mit technischen Büchern dort haben – und irgendwie verstand der alte Schwindler, was in ihnen stand, wie wenig er dieses Wissen auch für das Wohl seiner Anhänger nutzte.
Shaggoth starrte direkt in das Aufnahmegerät hinein, als wäre er sich dessen gewahr, daß sie ihn sehen konnten. Jetzt berührte er Lyssas Körper mit den Zauberstäben. Er grinste breit, als sie laut aufschrie. Keir startete den Antrieb. »Ich bringe das Schiff so nahe heran, wie wir es wagen können«, sagte er. »Dann gehen wir hinaus und bringen so viele wie möglich um und versuchen, sie zu holen.« Por Dain fing an die Waffen zu laden, während die Maschinen warm wurden. Wieder drückte Shaggoth die isolierten Stäbe gegen den Körper der Novizin. Ihre Muskeln spannten sich in einem heftigen Krampf, aber der Singsang der Wilden schwoll an, um ihre Schreie zu übertönen. Das Schiff begann anzusprechen. Schwerfällig erhob es sich. Keir grinste schwach in der Hoffnung, daß eine Horde melokanischer Wilder unter diesem Druckfeld gefesselt war. Das Schiff war noch nicht gut zu manövrieren, aber die Antriebskraft war dabei, sich aufzubauen. Wieder senkte Shaggoth die Stäbe herab. Und dieses Mal verstummte der Singsang. »Helft mir –!« Ein Schrei, der selbst einem ehernen Götzen das Herz zerrissen haben sollte. »Um der Liebe der Erde willen, helft mir –« Und Hilfe kam. Die Robotergestalt bewegte sich. Ein metallener Arm schwang herum, um den Körper von den Drähten zu befreien. Langsam und schwerfällig erhob sich die Gestalt. Es gab ein knirschendes Geräusch, als die Glieder sich bewegten, und Staub und Grünspan wirbelten auf. Dann stand sie aufrecht. Nach zwei Schritten hatte die Metallgestalt den erstarrten Priester gepackt und ihn wie einen dünnen Stock über einem Knie zerbrochen. Shaggoth wurde in den Mob aufschreiender, flüchtender Götzendiener hineingeschleudert. Einen Augenblick lang machte der Roboter halt, um auf Lyssa zu starren. Er sank auf ein Knie. Eine Baßstimme ertönte über das
Aufnahmegerät. Sie gebrauchte eine sonderbar unverfälscht klingende Form der altertümlichen Sprache. »Geheiligte, ich –« Die Worte brachen ab, als der Roboter sich näher beugte. Dann entfuhr ihm etwas wie ein Seufzer. Er stand geräuschlos auf, machte Bewegungen, um die Bande, die Lyssas Glieder fesselten, zu zerreißen. Sie lag schlaff da. Die metallenen Arme ergriffen sie und hoben sie auf. Dann wandte der Roboter sich um, kehrte dem Aufnahmegerät für eine lange Minute den Rücken, den Kopf erhoben, als ob er lausche. Wieder ertönte ein Seufzer. »Das Feld ist zu stark«, sagte die gleichförmige Baßstimme in der altertümlichen Sprache. Die Gestalt wandte sich um, suchte, bis sie das Aufnahmegerät ausfindig gemacht hatte. »Ich nehme einen anderen Weg«, sagte der Roboter langsam und mit Bedacht. »Eure Herrin ist in Sicherheit, aber ihr, die ihr im Schiff seid, müßt warten, bis ich wieder erscheine.« Er wandte sich rasch dem Thron zu, auf dem er gesessen hatte. Ein Fuß wurde vorgestreckt, um ein massives Gebilde beiseite zu stoßen, während eine Hand eine Bewegung durch die Luft machte. Beinahe augenblicklich erschien eine Öffnung in was wie massiver Fels ausgesehen hatte. Der Roboter schritt hinein, die Novizin in den Armen, und verschwand. Sofort nach seinem Verschwinden schloß sich der Fels wieder. Eine kleine Explosion schien sich drinnen zu ereignen. Keir hatte das Schiff in der Luft, aber jetzt gab es keinen Ort, wo er es hätte hinsteuern können. »Warten, bis er wo erscheint?« fragte er bitter. »Oder bis er sich mit ihr in irgendeiner Höhle im Erdboden in Sicherheit gebracht hat?« »Versuch langsam über der Pyramide zu kreisen«, schlug Por Dain vor. »Möglicherweise gibt es einen geheimen Schacht, der in die Erde führt, und er kreuzt dort auf.« »Das sollte er besser.« Bevor das Schiff jedoch in voller Bewegung war, erblickten sie den
Roboter wieder. Diesmal war er nur ein winziger Punkt auf dem Bildschirm, bis Por Dain die Vergrößerung des Aufnahmegeräts verstärkte. Er stand drei Meilen von der Pyramide entfernt auf einem schmalen Sims eines der ältesten Backsteingebilde. Lyssa lag noch immer bewußtlos in seinen Armen. Irgendwie hatte er die Entfernung in weniger als fünf Minuten zurückgelegt. Jetzt starrte er in den Himmel hinauf, als lauschte er einer Stimme von den Sternen. Dann sank sein Kopf herab. »So lange?« fragte er. »Fünfzehn Jahrhunderte seit der Strahlung, die meinen Verstand gelähmt hat, bis die richtigen Worte mich zum Leben erwecken konnten?« Er seufzte wieder und schien wieder zu lauschen. Aus dem Empfänger des jetzt nutzlosen Aufnahmegeräts beim Tempel sprach eine sanftere und wärmere Stimme, die die Standard-Heimatwelt Sprache benutzte. »Bringt euer Schiff dicht heran und öffnet die Luftschleuse. Ich werde mitten hindurch springen. Und habt keine Furcht. Ich werde jetzt der Wächter für die Heimatwelt sein, nun, da diese Leute jedes Recht verwirkt haben.« Keir Soth manövrierte das Schiff sehr sorgsam über die geringe Distanz, während Por Dain zur Luftschleuse hinunterging. Das Manövrieren war knifflig, aber Keir hatte Zeit genug, eine Serie kleiner Explosionen zu beobachten, die wie die Spur von Maulwurfshügeln von der Pyramide quer durch die Wüste bis zu dem großen Backsteingebäude verliefen. Welchen geheimen Weg der Roboter auch immer gekannt haben mochte, er war nun zerstört. Die metallene Gestalt sprang, als das Schiff noch etwa fünfzehn Meter entfernt war. Keir zuckte zusammen und hielt den Atem an. Dann hörte er, wie die Luftschleuse versiegelt wurde, und der Roboter betrat den Kontrollraum. Lyssa, mittlerweile wieder bei Bewußtsein, stand an seiner Seite und lächelte ihr freundliches und nichtssagendes Lächeln. Por Dain stand in der Türöffnung, während der Roboter einen Blick auf die Kontrollen warf. »Ich habe ein paar Bücher mitgebracht, die ihr gebrauchen könnt«, sagte der Roboter und deutete auf einen kleinen Sack, den Por Dain hielt. »Es gibt keinen Grund, noch länger zu warten.«
Selbstbewußt schwang er sich in den Sessel des Captains und griff nach den Kontrollen. Mit unfehlbarer Präzision legte er den Kurs in Richtung Heimatwelt fest, und das Schiff begann in den roten Himmel aufzusteigen auf den Weltraum zu. Keir Soth schüttelte den Kopf, vor Verwunderung wie betäubt. »Wie konnte Melok einen Krieg verloren haben, wenn sie Roboter wie dich erschaffen konnten?« Der Wächter schaute die drei Menschenwesen an, und seine Stimme war sanft, aber von unermeßlichem Stolz erfüllt. »Ich wurde niemals auf Melok erschaffen«, sagte er. »Ich komme von der Erde!« Es war nur das sanfte Summen der Schiffsmaschinen zu hören, als Keir Soth und Lyssa auf die Knie rutschten. Por Dain, ein ehemaliger Agnostiker, folgte nach einem Moment ihrem Beispiel. Originaltitel: THE LAST TRUE GOD. Aus IF, September 1969 Copyright © 1969 by Universal Publishing and Distributing Corporation
Isaac Asimov
WASSERSCHLAG Jeder von uns lebt zum Teil in einer Sphäre der Illusion. Wenn die Illusion sich auflöst, finden wir uns plötzlich mit der Realität konfrontiert. Und wenn die Desillusionierung politischer Natur ist, kann eine persönliche Krise zu einer öffentlichen Tragödie werden. 1 Stephen Demerest schaute hinauf in den strukturierten Himmel. Er fand ein opakes, sich sträubendes Blau. Er hatte unbedacht in die Sonne geschaut, denn da war nichts, das sie automatisch hätte verdecken können, und er hatte die Augen panikartig weggerissen. Er war nicht geblendet worden, aber vor seinem Blickfeld verschwamm alles. Selbst die Sonne war verwaschen. Unwillkürlich dachte er an Ajax' Gebet in Ilias: Mache den Himmel klar, vergönne uns, mit unseren Augen zu sehen! Töte uns im Licht, da es deine Freude ist, uns zu töten! Demerest dachte: Töte uns im Licht… Töte uns im klaren Licht auf dem Mond, wo der Himmel schwarz und sanft ist, wo die Sterne strahlend scheinen, wo Sauberkeit und Reinheit des Vakuums die Sicht schärfen… Nicht in diesem tiefhängenden, verschwommenen Blau. Er schauderte. Das Schaudern war physischer Natur und real – es schüttelte seinen hoch aufgeschossenen Körper, und er war verärgert. Er würde sterben. Das wußte er. Und nicht unter diesem blauen Himmel, sondern unter Schwarz – und keinem Himmel. Wie als Antwort auf diesen Gedanken kam der Pilot der Fähre, ein kurzgewachsener, dunkelhäutiger, kraushaariger Mann, hinauf zu ihm und sagte: »Bereit für das Schwarz, Mr. Demerest?«
Demerest nickte. Er überragte den andern wie er die meisten Menschen der Erde überragte. Sie waren dick ohne Ausnahme und vollführten ihre kurzen, niedrigen Schritte gemächlich. Er selbst mußte seine Schritte spüren, sie durch die Luft leiten – selbst das unmerkliche Band, das ihn auf dem Boden festhielt, war strukturiert. »Ich bin bereit«, sagte er. Er machte einen tiefen Atemzug und blickte noch einmal, diesmal mit Bedacht, zur Sonne auf. Sie stand tief am Morgenhimmel, verwaschen von staubiger Luft, und er wußte, sie würde ihn nicht blenden. Er glaubte nicht, daß er sie je wiedersehen würde. Er hatte noch nie zuvor einen Bathyskaphen gesehen. Er neigte dazu, ihn sich als Modell vorzustellen – ein länglicher Ballon mit einer kugelförmigen Gondel darunter. Es war, als beharrte er darauf, sich Raumflug in Begriffen von Tonnen verfeuerten Brennstoffs zu denken und sich eine schwankende Raumkapsel, die sich spinnengleich ihren Weg zu Lunas Oberfläche ertastete, vorzustellen. Der Bathyskaph entsprach nicht im geringsten dem Bild in seiner Vorstellung. Unter seiner Hülle mochte er noch mehr Schwimmsäcke und Gondeln beherbergen, aber nun war er eine einzige kunstvolle Glätte. »Ich heiße Javan«, sagte der Fährenpilot, »Omar Javan.« »Javan?« »Erscheint Ihnen der Name sonderbar? Ich bin meiner Herkunft nach Iraner – Erdmensch aus Überzeugung. Wenn man erst einmal da unten ist, hören Nationalitäten auf, eine Rolle zu spielen.« Er grinste, und sein Teint erschien gegen das gleichmäßige Weiß seiner Zähne noch dunkler. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, starten wir in einer Minute. Sie werden mein einziger Passagier sein, also vermute ich, daß Sie einiges Gewicht besitzen.« »Ja«, sagte Demerest trocken. »Mindestens hundert Pfund mehr, als ich es gewohnt bin.« »Sie kommen vom Mond? Ich hatte den Eindruck, daß Sie einen sonderbaren Gang an sich hatten. Ich hoffe, es ist nicht unbequem.« »Es ist nicht gerade bequem, aber ich komme zurecht. Wir üben dafür.«
»Gut, kommen Sie an Bord.« Er trat beiseite und ließ Demerest die Gangway hinabgehen. »Ich persönlich würde nicht zum Mond gehen.« »Sie gehen nach Ozean-Tief.« »Ungefähr fünfzigmal bisher. Das ist etwas anderes.« Demerest kam an Bord. Es gab wenig Raum, aber das störte ihn nicht. Das Innere des Bathyskaphen hätte das einer Weltraumkapsel sein können, außer daß es mehr – nun – strukturiert war. Da war es wieder, dieses Wort. Der Gesamteindruck war, daß Masse keine Rolle spielte. Masse wurde oben gehalten – sie mußte nicht nach oben geschleudert werden. Sie waren noch immer an der Oberfläche. Der blaue Himmel wirkte durch das klare, dicke Glas grünlich. Javan sagte: »Sie brauchen nicht festgeschnallt zu werden. Es gibt keine Beschleunigung. Glatt wie Öl. Es wird nicht lange dauern – nur etwa eine Stunde. Sie dürfen nicht rauchen.« »Ich rauche nicht«, sagte Demerest. »Ich hoffe, Sie leiden nicht an Klaustrophobie.« »Mondmenschen leiden nicht an Klaustrophobie.« »Alle diese offenen –« »Nicht in unserer Kaverne. Wir leben in einem –« er suchte nach dem Ausdruck – »Luna-Tief, dreißig Meter tief.« »Dreißig Meter?« Der Pilot wirkte amüsiert, aber er lächelte nicht. »Wir gleiten jetzt nach unten.« Das Innere der Gondel war in Winkel eingepaßt, aber hie und da schien eine Sektionswand jenseits der Instrumentierung wie eine Erweiterung seiner Arme zu sein – seine Augen und Hände bewegten sich behende und beinahe liebevoll über sie. »Alle Kontrollen sind beendet«, sagte er, »aber ich habe gern eine letzte Durchsicht – dort unten haben wir es mit tausend Atmosphären Druck zu tun.« Er berührte einen Schalter, und die runde Tür schloß sich fest nach innen und preßte sich gegen den abgeschrägten Rand, auf den sie auftraf.
»Je höher der Druck, desto fester wird das halten. Werfen Sie Ihren letzten Blick auf die Sonne, Mr. Demerest.« Das Licht schien noch immer durch das dicke Glas des Fensters. Jetzt wurde es von Wasser zwischen der Sonne und ihnen gebrochen. »Der letzte Blick?« fragte Demerest. Javan kicherte: »Nicht der allerletzte Blick. Für die Reise, meine ich. Ich vermute, Sie waren noch nie zuvor an Bord eines Bathyskaphen.« »Nein, noch nie. Gibt es viele, die damit reisen?« »Sehr wenige«, gab Javan zu. »Aber keine Sorge. Er ist bloß ein Unterwasserballon. Seit der Konstruktion des ersten Bathyskaphen haben wir eine Million Verbesserungen durchgeführt. Wir haben Nuklearantrieb, und wir können uns mittels Wasserdüsen innerhalb gewisser Grenzen frei bewegen – aber im Grunde ist er immer noch eine kugelförmige Gondel mit Schwimmtanks darüber. Und er muß noch immer von einem Mutterschiff übers Meer geschleppt werden, denn er braucht seine Energie zu nötig, um sie durch Reisen auf der Oberfläche zu vergeuden. Fertig?« Das Hilfskabel zum Mutterschiff schnellte fort und der Bathyskaph sank tiefer, immer tiefer, als Meerwasser in seine Schwimmtanks flutete. Für wenige Augenblicke, in Oberflächenströmungen gefangen, neigte er sich, und dann war nichts mehr. Weder das Gefühl von Bewegung noch von Stillstand. Der Bathyskaph sank gemächlich durch ein tiefer werdendes Grün. Javan entspannte sich. Er sagte: »John Bergen ist der Kopf von Ozean-Tief. Sie werden sich mit ihm treffen?« »Richtig.« »Er ist ein netter Bursche. Seine Frau ist bei ihm.« »Tatsächlich?« »O, gewiß. Es gibt Frauen dort unten. Ein ganzer Haufen ist da unten, fünfzig Leute. Einige bleiben monatelang.«
Demerest legte einen Finger auf die schmale und fast unsichtbare Naht, wo Tür und Wand sich trafen. Er nahm ihn fort und betrachtete ihn. Er sagte: »Es ist ölig.« »Silikonöl. Der Druck preßt etwas heraus. Das soll so sein. Keine Sorge. Alles ist automatisch. Alles ist pannensicher. Beim ersten Anzeichen einer Störung, irgendeiner Störung überhaupt, wird unser Ballast freigegeben, und nach oben geht's.« »Sie meinen, nichts ist diesen Bathyskaphen je zugestoßen?« »Was kann ihnen zustoßen?« Der Pilot schaute seinen Passagier von der Seite an. »Wenn man einmal die Tiefe für Pottwale hinter sich gelassen hat, kann nichts mehr schiefgehen.« »Pottwale?« Demerests Stirnrunzeln in Falten.
schmales
Gesicht
legte
sich
zu
einem
»Gewiß. Sie tauchen etwa eine halbe Meile tief. Wenn sie mit einem Bathyskaphen zusammenstoßen – nun, die Wände der Schwimmkammern sind nicht sonderlich stark. Das müssen sie auch nicht, wissen Sie. Sie sind dem Meer zu offen, und wenn das Benzin, das für den Auftrieb sorgt, komprimiert wird, tritt Meerwasser ein.« Dunkelheit wurde fühlbar. Demerest wurde sich gewahr, daß er unablässig auf die Sichtluke starrte. Das Innere der Gondel war beleuchtet, aber in jenem Fenster war es düster. Und die Dunkelheit war nicht die Dunkelheit des Weltalls – sie war dick und fest. Demerest sagte scharf: »Lassen Sie uns das klarstellen, Mr. Javan. Sie haben nicht die Ausrüstung, um dem Angriff eines Pottwales zu widerstehen. Vermutlich haben Sie auch nicht die Ausrüstung, um dem Angriff eines Riesentintenfisches zu widerstehen. Hat es jemals wirkliche Zwischenfälle dieser Art gegeben?« »Nun, die Sache ist folgendermaßen –« »Keine Spielchen, bitte, und versuchen Sie nicht, das Greenhorn zu spielen. Ich frage aus berufsmäßiger Neugier. Ich bin leitender Sicherheitsingenieur in Luna City, und meine Frage ist, welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden sind, um diesen Bathyskaphen
gegen Kollisionen mit großen Lebewesen zu schützen.« Javan sah verlegen aus. Er murmelte: »Tatsächlich hat es noch keine Zwischenfälle gegeben.« »Werden welche in Rechnung gestellt? Und wenn nur als entfernte Möglichkeit?« »Alles ist entfernt möglich. Aber in Wirklichkeit sind Pottwale zu intelligent, um ihre Possen mit uns zu treiben, und Riesentintenfische sind zu scheu.« »Können sie uns sehen?« »Ja, natürlich. Wir sind beleuchtet.« »Haben Sie Flutlichter?« »Wir haben die Zone für große Tiere bereits hinter uns gelassen, aber wir haben sie. Ich stelle sie für Sie an.« Jenseits des Schwarz des Fensters erschien plötzlich ein umgekehrter Schneesturm, der nach oben fiel. Die Schwärze war zum Leben erwacht mit Sternen in einer räumlichen Anordnung, die sich allesamt nach oben bewegten. Demerest fragte: »Was ist das?« »Bloß Verunreinigungen. Organisches Material. Kleine Lebewesen. Sie treiben, bewegen sich wenig, und sie fangen das Licht auf. Wir bewegen uns nach unten an ihnen vorbei. Infolgedessen scheinen sie sich nach oben zu bewegen.« Demerest gewann einen Sinn für die richtige Perspektive, und er fragte: »Fallen wir nicht zu schnell?« »Nein, sicher nicht. Wenn das der Fall wäre, könnte ich die atomaren Maschinen einschalten, falls ich die Absicht hätte, Energie zu verschwenden – oder ich könnte Ballast abwerfen. Später werde ich das tun, aber im Moment ist alles in Ordnung. Entspannen Sie sich, Mr. Demerest. Der Schnee verdünnt sich, während wir sinken, und wir werden wenig spektakuläre Lebensformen zu sehen bekommen. Es gibt kleine Seeteufelfische und solche Sachen, aber die meiden uns.«
Demerest fragte: »Wie viele Leute können Sie auf einmal nach unten bringen?« »Ich hatte einmal vier Passagiere in dieser Gondel, aber das ist schon überfüllt. Wir können zwei Bathyskaphen hintereinander legen und zehn befördern, aber das ist plump. Was wir in Wirklichkeit brauchen, sind Ketten von Gondeln, mit schweren Nukes – den nuklearen Maschinen – und leichteren Schwimmtanks. Wie sie mir sagen, haben sie solches Zeug auf dem Reißbrett. Aber das sagen sie mir schon seit Jahren.« »Folglich gibt es Pläne für eine Erweiterung Ozean-Tiefs in großem Maßstab?« »Sicher, wieso nicht? Wir haben Städte auf den kontinentalen Festlandssockeln – warum nicht auf dem Grund der Tiefsee? So wie ich die Sache sehe, Mr. Demerest, wird der Mensch dahin gehen, wohin er gehen kann, und so sollte es auch sein. Wir haben die Erde, um sie zu bevölkern, und wir werden sie bevölkern. Alles, was wir brauchen, um die Tiefsee bewohnbar zu machen, sind vollmanövrierfähige ›Skaphen‹. Die Schwimmkammern machen uns langsam und verwundbar und komplizieren die Maschinerie.« »Aber sie retten Sie auch, nicht wahr? Wenn alles auf einmal schiefginge, würde das Benzin an Bord Sie noch immer an die Oberfläche treiben. Was würden Sie in dem Fall machen, daß Ihr Nuklearantrieb versagte und Sie keine Schwimmtanks hätten?« »Wenn man es so sieht – man kann die Gefahr eines Unfalls niemals völlig ausmerzen, nicht einmal die eines schwerwiegenden.« »Ich weiß das sehr wohl«, sagte Demerest mitfühlend. Javan versteifte sich. Sein Tonfall veränderte sich. »Tut mir leid. Das meinte ich wirklich nicht. Schlimm, dieser Unfall.« Fünfzehn Männer und fünf Frauen waren auf dem Mond umgekommen. Eine der Personen, die unter »Männer« aufgeführt wurden, war vierzehn Jahre alt gewesen. Man hatte es mit dem Etikett menschliches Versagen versehen. Was konnte ein leitender Sicherheitsingenieur danach noch sagen?
»Ja«, sagte er. Ein Mantel des Schweigens fiel zwischen die beiden Männer, ein Mantel so dick und aufgeschwollen wie das unter Druck stehende Meerwasser draußen. Wie konnte sich jemand der Panik, Betroffenheit und Depression auf einmal hingeben? Da gab es die Mondblues – dummer Name – aber sie ergriffen die Menschen zu ungelegenen Zeitpunkten. Wann der Mondblues sich einstellte, war nicht immer feststellbar, aber er machte Menschen apathisch und ließ ihre Reaktionen langsam werden. Wie oft schon war ein Meteorit gekommen und abgewehrt oder zerstäubt oder erfolgreich absorbiert worden? Wie oft hatte ein Mondbeben Zerstörung angerichtet und war in Schach gehalten worden? Wie oft hatte sich menschliches Versagen eingeschlichen und war Schlimmeres verhütet worden? Wie oft waren Unfälle nicht geschehen? Aber Unfälle, die nicht geschehen, zählen nicht. Jetzt waren zwanzig tot.
2 Javan sagte – wie viele Minuten später? –: »Da sind die Lichter von Ozean-Tief.« Demerest konnte sie zuerst nicht ausmachen. Er wußte nicht, wo er hinschauen sollte. Leuchtlebewesen waren zweimal zuvor an den Fenstern vorbeigeschnellt – auf die Entfernung und mit abgeschalteten Flutlichtern hatte Demerest sie für die ersten Anzeichen von Ozean-Tief gehalten. Jetzt sah er nichts. »Da unten«, sagte Javan ohne darauf zu deuten. Er war jetzt damit beschäftigt, ihren Fall zu verlangsamen und die Richtung des Bathyskaphen zu korrigieren. Demerest konnte das ferne Seufzen der Wasserdüsen hören. Sie stießen Dampf aus, Dampf, der von der Hitze momentaner Ausbrüche von Fusionsenergie erzeugt wurde.
Demerests Gedanken hatten eine filmartige Transparenz. Es störte ihn nicht. Deuterium ist ihr Brennstoff, und er umgibt sie von allen Seiten. Wasser ist ihr Abgas, und es umgibt sie von allen Seiten… Javan warf gleichfalls einen Teil des Ballasts ab, und er begann eine Art fernes Geplapper. »Der Ballast bestand gewöhnlich aus Stahlkügelchen, und sie wurden mittels elektromagnetischer Kontrolle abgeworfen. Bis zu fünfzig Tonnen davon wurden bei jeder Reise gebraucht. Konservationisten machten sich Sorgen darüber, rostenden Stahl über den Meeresgrund zu verstreuen – also stellten wir auf Metallkügelchen um, die von der kontinentalen Landmasse wieder heraufgeholt werden. Wir haben sie mit einer dünnen Schicht Eisen versehen, so daß sie noch immer elektromagnetisch gehandhabt werden können, und der Ozeangrund bekommt nichts, was nicht hierhin gehörte. Es ist auch billiger. Aber wenn wir unsere echten nuklearen Bathyskaphen kriegen, brauchen wir keinerlei Ballast mehr.« Demerest hörte ihn kaum. Ozean-Tief war jetzt zu sehen. Javan hatte das Flutlicht eingeschaltet und weit unterhalb war der schmutzige Grund des puertoricanischen Grabens. Auf diesem Grund ruhte wie eine Traube aus ebenso schmutzigen Perlen das kugelförmige Konglomerat von OzeanTief. Jede Einheit war eine solche Kugel wie die, in der Demerest jetzt der Landung entgegensank – nur viel größer. Als Ozean-Tief größer – größer – und größer wurde, summierten sich immer neue Kugeln. Sie sind nur fünfeinhalb Meilen von Zuhause, nicht eine viertelmillion… »Wie kommen wir da durch?« fragte Demerest. Der Bathyskaph war gelandet. Demerest hatte das dumpfe Geräusch, wie Metall gegen Metall schlug, gehört, aber noch Minuten danach war das einzige Geräusch eine Art gelegentliches Kratzen gewesen, während Javan in tiefe Konzentration verloren über seine Instrumente gebeugt stand. »Keine Sorge deswegen«, gab Javan schließlich eine verspätete Antwort.
»Kein Problem. Die Verzögerung jetzt ergibt sich daraus, daß ich mich vergewissern muß, daß wir fest anliegen. Ein elektromagnetisches Scharnier hält uns in jedem Punkt eines perfekten Kreises fest – wenn die Instrumentenablesungen richtig sind, liegen wir genau dem Eingangstor gegenüber.« »Das sich dann öffnet?« »Das würde es, wenn Luft auf der anderen Seite wäre. Aber da ist keine. Da ist Meerwasser, das ausgepumpt werden muß. Dann können wir hinein.« Demerest ließ sich dieses Detail nicht entgehen. Er war an diesem Tag, dem letzten seines Lebens, hierhergekommen, um eben diesem Leben Bedeutung zu verleihen, und er hatte die Absicht, sich nichts entgehen zu lassen. Er fragte: »Warum der zusätzliche Schritt? Warum nicht die Luftschleuse – wenn es das ist, was sie darstellen soll – eine wirkliche Luftschleuse sein lassen und sie ständig mit Luft gefüllt halten.« »Sie erklären mir, es sei eine Sache der Sicherheit«, sagte Javan. »Ihr Spezialgebiet. Die Schnittstelle hat zu jeder Zeit gleichen Druck auf beiden Seiten, außer wenn Menschen sich hindurchbewegen. Dieses Tor ist der schwächste Punkt des gesamten Systems, denn es öffnet und schließt sich – es hat Gelenke – es hat Fugen. Sie verstehen, was ich meine?« »Ja«, murmelte Demerest. Er sah hier einen logischen Fehler, und das bedeutete, es gab eine mögliche Ritze, durch die – aber später. Er fragte: »Warum warten wir jetzt?« »Die Schleuse wird geleert. Das Wasser wird hinausgetrieben.« »Mit Luft.« »Hölle, nein. Sie können es sich nicht leisten, Luft derart zu vergeuden. Es würde tausend Atmosphären erfordern, die Kammer vom Wasser zu entleeren und die Kammer mit Luft einer solchen Dichte zu füllen, selbst wenn es nur für einen Augenblick ist, erfordert mehr Luft, als sie sich leisten können. Sie machen es mit Dampf.« »Natürlich. Ja.«
Javan sagte fröhlich: »Man erhitzt Wasser. Keine Kraft der Welt kann Wasser daran hindern, sich bei einer Temperatur von weniger als 374 Grad Celsius in Dampf zu verwandeln. Und der Dampf treibt das Wasser durch ein Einwegventil heraus.« »Ein weiterer schwacher Punkt«, sagte Demerest. »Das ist wohl richtig. Dennoch hat es noch niemals versagt. Das Wasser in der Schleuse wird jetzt herausgepreßt. Wenn heißer Dampf anfängt, durch das Ventil nach draußen zu blubbern, wird der Prozeß automatisch abgestoppt, und die Schleuse ist voll überhitzten Dampfs.« »Und dann?« »Dann haben wir den ganzen Ozean, um sie zu kühlen. Die Temperatur fällt, und der Dampf kondensiert. Wenn das erst einmal geschieht, kann gewöhnliche Luft bei einem Druck von einer Atmosphäre hineingelassen werden. Und dann öffnet sich das Tor.« »Wie lange müssen wir warten?« »Nicht lange. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würden Sirenen aufheulen. Zumindest behaupten sie das. Ich habe noch nie eine in Aktion gesehen.« Für einige Minuten herrschte Stille. Dann kam ein plötzliches scharfes Klatschen und ein gleichzeitiger Ruck. Javan sagte: »Entschuldigung, ich hätte Sie warnen sollen. Ich bin so daran gewöhnt, daß ich es vergaß. Wenn das Tor sich öffnet, preßt uns ein Druck von tausend Atmosphären gegen das Metall von Ozean-Tief. Keine elektromagnetische Gewalt kann uns fest genug halten, um dieses letzte hundertstel eines Zolls Verrutschen zu verhindern.« Demerest lockerte seine geballten Fäuste und atmete erleichtert auf. Er fragte: »Ist alles in Ordnung?« »Die Wände sind nicht geborsten, wenn Sie das meinen. Trotzdem hört es sich wie der Untergang an, nicht wahr. Es hört sich sogar noch schlimmer an, wenn ich Ozean-Tief verlasse und die Luftschleuse sich wieder mit Wasser auffüllt. Seien Sie darauf vorbereitet.«
Aber Demerest war plötzlich müde. Machen wir damit weiter – ich will es nicht hinausziehen. Er fragte: »Gehen wir jetzt hindurch?« »Wir gehen hindurch.« Die Öffnung in der Wand des Bathyskaphen war rund und klein – sogar noch kleiner als die, durch die sie ursprünglich eingetreten waren. Javan schlängelte sich hindurch, dabei murmelte er, daß es ihm immer das Gefühl gäbe, der Korken in einer Flasche zu sein. Demerest hatte nicht gelächelt seit er den Bathyskaphen betreten hatte. Auch jetzt lächelte er nicht wirklich, aber einer seiner Mundwinkel zuckte bei dem Gedanken, daß ein magerer Mondmensch keine Schwierigkeiten haben würde. Er ging ebenfalls hindurch. Er fühlte Javans feste Hände, in dem Bemühen, ihm hindurchzuhelfen, an seiner Hüfte. Javan sagte: »Es ist dunkel hier drin. Wir hatten kein Interesse daran, eine zusätzliche Schwachstelle einzubauen, indem wir Kabel für Beleuchtung verlegten. Aber das ist der Grund, warum Signallichter erfunden wurden.« Demerest fand sich auf einem perforierten Weg wieder. Die metallische Oberfläche glänzte stumpf. Und durch die Perforation konnte er die wogende Wasseroberfläche ausmachen. Er sagte: »Die Kammer wurde nicht geleert.« »Man kann es nicht besser machen, Mr. Demerest. Wenn man Dampf benutzt, um sie zu leeren, hat man es mit diesem Dampf zu tun. Und um den nötigen Druck zu erzeugen, um die Pumparbeit zu leisten, muß dieser Dampf zu einem Drittel die Dichte von flüssigem Wasser komprimiert werden. Wenn er kondensiert, wird die Kammer zu einem Drittel mit Wasser gefüllt – aber es ist Wasser bei einer Atmosphäre Druck. Kommen Sie, Mr. Demerest.« John Bergens Gesicht war Demerest nicht völlig unbekannt. Er erkannte es
augenblicklich wieder. Bergen, seit beinahe einem Jahrzehnt jetzt führender Kopf von Ozean-Tief, war ein vertrautes Gesicht auf den TVSchirmen der Erde – ebenso wie die Führer von Luna City vertraut geworden waren. Demerest hatte den Kopf von Ozean-Tief sowohl flach wie dreidimensional gesehen, in Schwarzweiß und in Farbe. Ihn persönlich zu sehen, fügte dem wenig hinzu. Wie Javan war Bergen von kleinem Wuchs und stämmig gebaut, sein Körperbau war dem traditionellen lunaren Vorbild in Physiologie entgegengesetzt. Er war eine gute Portion ansehnlicher als Javan, und sein Gesicht war erkennbar asymmetrisch, wenn sich seine etwas dicke Nase auch ein wenig zur Rechten neigte. Er war nicht stattlich. Kein Mondmensch würde ihn so bezeichnen. Aber dann lächelte Bergen, und eine Sonnigkeit strahlte von ihm aus, als er eine breite Hand ausstreckte. Demerest hielt ihm seine eigene schmächtige entgegen und stählte sich für den festen Griff, der nicht kam. Bergen schüttelte seine Hand und ließ sie gehen. Er sagte: »Ich freue mich, daß Sie hier sind. Wir haben nicht viel, was Luxus angeht, nichts, was unsere Gastfreundschaft herausragen ließe. Wir können Ihnen zu Ehren nicht einmal einen freien Tag ausrufen, aber der Geist ist da. Willkommen!« »Vielen Dank«, sagte Demerest sanft. Er blieb ernst. Er stand dem Gegner gegenüber, und er wußte es. Sicherlich mußte es auch Bergen wissen. Sein Lächeln war Heuchelei. Und in diesem Augenblick ertönte ein ohrenbetäubendes Geräusch, als schlüge Metall gegen Metall, und die Kammer erzitterte. Demerest sprang zurück und taumelte gegen die Wand. Bergen rührte sich nicht vom Fleck. Er sagte ruhig: »Das war der Bathyskaph, der ablegte, und der Wasserschlag der sich füllenden Luftschleuse. Javan hätte Sie warnen sollen.« Demerest keuchte und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu
verlangsamen. »Javan hat mich gewarnt. Aber es hat mich dennoch überrumpelt.« Bergen sagte: »Nun, für eine Weile wird es nicht wieder geschehen. Wir haben nicht oft Besucher, wissen Sie. Wir sind dafür nicht eingerichtet, und kämpfen gegen alle möglichen hohen Tiere an, die meinen, eine Reise hier hinunter wäre für ihre Karrieren förderlich. Politiker aller Couleurs, hauptsächlich. Ihr Fall ist natürlich etwas anderes.« Tatsächlich? Demerest wunderte sich. Es war schwer genug gewesen, die Erlaubnis für diese Reise zu erhalten. Seine Vorgesetzten in Luna City waren zuerst nicht einverstanden gewesen und hatten den Gedanken, daß ein diplomatischer Austausch von irgendeinem Nutzen wäre, verächtlich zurückgewiesen. Und als er sich über sie hinweggesetzt hatte, war er auf Ozean-Tiefs Abneigung, ihn zu empfangen, gestoßen. Allein Hartnäckigkeit hatte seinen gegenwärtigen Besuch möglich gemacht. Bergen sagte: »Ich nehme an, Sie haben in Luna City ebenfalls Probleme, wenn es um Vergnügungsreisen geht?« Demerest sagte: »Ihrem Durchschnittspolitiker macht es weit weniger aus, eine Rundreise von einer halben Million Meilen als von zehn Meilen zu veranstalten.« »Ich verstehe, was Sie meinen«, stimmte Bergen zu, »und zum Mond hinauf ist es natürlich teurer. In gewisser Weise ist dies das erste Zusammentreffen zwischen innerem und äußerem Weltraum. Soweit ich weiß, ist kein Ozeanmensch jemals zum Mond gereist, und Sie sind der erste Mondmensch, der eine unterseeische Station irgendeiner Art besucht. Selbst keine der Niederlassungen auf dem kontinentalen Festlandssockel ist je von einem Mondmenschen besucht worden.« »Dann ist dies eine historische Begegnung«, sagte Demerest und versuchte seine Stimme von Sarkasmus freizuhalten. Wenn doch eine Spur durchgedrungen war, war es Bergen nicht anzumerken.
Er krempelte die Ärmel hoch, als wolle er so seine unförmliche Haltung unterstreichen (oder die Tatsache, daß sie sehr geschäftig waren und also wenig Zeit für Besucher erübrigen konnten?) und fragte: »Möchten Sie Kaffee? Ich nehme an, Sie haben bereits gegessen. Würden Sie sich gern ausruhen, bevor ich Sie herumführe? Wollen Sie sich zu diesem Zweck erfrischen, wie man beschönigend sagt?« Einen Moment lang regte sich Neugier in Demerest; doch es war keine vollkommen ziellose Neugier. Alles, was die Beziehungen von Ozean-Tief mit der Außenwelt betraf, mochte von Bedeutung sein. Er sprach mit Bedacht. »Wie werden sanitäre Einrichtungen hier gehandhabt?« »Es wird zum größten Teil zurückgeführt – wie auf dem Mond, wie ich mir vorstellen kann. Wir können Dinge ausstoßen, wenn wir wollen oder dazu gezwungen sind. Der Mensch hat ein schlimmes Register, was Umweltverseuchung angeht, aber als die einzige Tiefseestation, richtet das, was wir ausstoßen, keinen wahrnehmbaren Schaden an. Vermehrt das organische Material.« Er lachte. Demerest wischte das ebenfalls beiseite. Material wurde ausgestoßen. Ausstoßmechanismen existierten. Ihre Arbeitsweise mochte von Interesse sein, und er, als Sicherheitsingenieur, hatte das Recht, Interesse zur Schau zu stellen. »Eigentlich«, sagte er, »fühle ich mich im Moment wohl. Wenn Sie zu tun haben –« »Das geht in Ordnung. Wir haben immer zu tun, aber ich bin der letzte, der – wenn Sie verstehen, was ich meine. Wie wäre es, wenn ich Sie herumführe. Wir haben über fünfzig Einheiten hier, jede so groß wie diese, manche größer.« Demerest schaute sich um. Überall sah er Winkel, aber jenseits des Mobiliars und der Instrumentierung entdeckte er Spuren der unvermeidlichen kugelförmigen Außenwand. Fünfzig Einheiten! »Aufgebaut«, fuhr Bergen fort, »während einer Generation der Mühsal.
Die Einheit, in der wir uns befinden, ist tatsächlich die älteste, und es gibt einiges Gerede darüber, sie niederzureißen und zu ersetzen. Einige der Leute sagen, wir sind bereit für Einheiten der zweiten Generation, aber ich bin mir dessen nicht sicher. Es wäre teuer – alles ist teuer hier unten – und dem Konzil für Planetarische Projekte Geld abzuringen, ist stets eine deprimierende Erfahrung.« Demerest fühlte seine Nüstern sich unwillkürlich aufblähen, und ein Anfall von Ärger durchzuckte ihn. Das war gewiß ein Seitenhieb. Luna Citys miserable Beziehungen zum KPP mußten Bergen nur zu gut bekannt sein. Aber Bergen fuhr ohne es zu bemerken fort. »Ich bin ebenfalls Traditionalist – jedenfalls ein klein wenig. Dies ist die erste Tiefseeeinheit, die je gebaut wurde. Die ersten beiden Leute, die auf dem Grund eines Meeresgrabens übernachteten, schliefen hier mit nichts außer einer kümmerlichen tragbaren Fusionszelle, die sie brauchten, um die Rettungsluke zu bedienen. Ich meine die Luftschleuse – wir nannten sie anfangs Rettungsluke – sie besaßen gerade genug Kontrollmechanismen für ihre Aufgabe. Reguerea und Tremont – das waren die Männer. Sie machten jedoch nie eine zweite Reise zum Meeresgrund; sie blieben danach für immer über der Wasserlinie. Nun, sie haben ihren Zweck erfüllt, und beide sind jetzt tot. Und hier sind wir also, fünfzig Leute, die gewöhnlich sechs Monate lang ihre Arbeit hier machen. Ich habe in den letzten anderthalb Jahren nur zwei Wochen oberhalb der Wasserlinie verbracht.« Er bedeutete Demerest energisch ihm zu folgen und ließ eine Tür aufgleiten, die sich ebenmäßig in eine Aussparung einfügte, um den Zugang zur nächsten Einheit freizugeben. Demerest hielt inne, um die Öffnung zu untersuchen. Er konnte keine Nahtstellen zwischen den benachbarten Einheiten entdecken. Bergen nahm davon Kenntnis und sagte: »Wenn wir Einheiten hinzufügen, werden sie unter Druck zu einem Äquivalent eines einzigen Stück Metalls zusammengeschweißt und dann verstärkt. Wir können keine Risiken eingehen, wie Sie sicher verstehen werden. Man hat mir zu
verstehen gegeben, daß Sie der Chefsicherheits-« Demerest unterbrach ihn. »Ja«, sagte er, »wir auf dem Mond bewundern Ihren guten Ruf in Sicherheitsfragen.« Bergen zuckte die Schultern. »Wir haben Glück gehabt. Nebenbei, seien Sie unseres Mitgefühls für das gemeine Pech, das ihr dort hattet, versichert. Ich meine diesen fatalen –« Demerest unterbrach ihn wiederum. »Ja.« Bergen, entschied der Mondmann, war entweder ein von Natur aus redseliger Mann, oder er war bestrebt, ihn in Worten zu ertränken, um ihn loszuwerden. »Die Einheiten«, sagte Bergen, »sind in einer stark verzweigten Kette angeordnet – dreidimensional natürlich. Wir haben eine Karte, die wir Ihnen zeigen können, falls Sie Interesse haben. Die meisten der Endstücke bilden Wohn- und Schlafquartiere. Der Ungestörtheit wegen, wissen Sie. Die Arbeitseinheiten dienen gewöhnlich auch als Korridore. Eine der Verwirrungen, wenn man hier unten leben muß.« Er gestikulierte. »Das ist unsere Bibliothek, so gut wie's geht Teil des Ganzen. Nicht groß. Aber sie enthält unsere Unterlagen auf sorgfältig indexierten und ausgewerteten Mikrofilmen, so daß sie ihrer Art nach zwar nicht die größte der Welt, aber die beste und einzige ist. Und wir besitzen einen Spezial-Computer, der darauf zugeschnitten ist, das Material so zu handhaben, daß es unseren Anforderungen genau gerecht wird. Er sammelt, wählt aus, koordiniert, wägt ab und gibt uns dann das Wesentliche. Wir haben noch eine weitere Bibliothek, Buchfilme und sogar einige gedruckte Bände. Aber die sind zur Unterhaltung.« Eine Stimme unterbrach Bergens fröhlichen Redefluß. »John? Darf ich unterbrechen?« Demerest zuckte zusammen – die Stimme war von hinten gekommen.
Bergen sagte: »Annette – ich wollte dich gerade holen. Das ist Stephen Demerest aus Luna City. Mr. Demerest, darf ich Ihnen meine Frau Annette vorstellen?« Demerest hatte sich umgewandt. Er sagte steif und ein wenig mechanisch: »Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mrs. Bergen.« Aber er starrte auf ihre Gürtellinie. Annette Bergen schien Anfang der Dreißiger zu sein. Ihr braunes Haar war einfach gekämmt, und sie trug kein Make-up. Attraktiv, nicht schön, stellte Demerest beiläufig fest. Aber seine Augen kehrten immer wieder zu ihrer Gürtellinie zurück. Sie zuckte die Schultern. »Jawohl, ich bin schwanger, Mr. Demerest. Im siebten Monat.« »Verzeihen Sie«, murmelte Demerest. »Das war ungehobelt – ich wollte nicht –« Seine Stimme brach ab. Er fühlte sich, als wäre der Schlag ein physischer gewesen. Er hatte nicht erwartet, Frauen zu sehen, wenn er auch nicht wußte, warum. Er wußte, daß es Frauen in Ozean-Tief geben mußte. Und der Fährenpilot hatte gesagt, daß Bergens Frau bei ihm war. Annette Bergen schwieg, und Demerest stammelte, als er fragte, »Wieviele Frauen gibt es in Ozean-Tief, Mr. Bergen?« »Im Moment neun«, sagte Bergen. »Alles Ehefrauen. Wir freuen uns auf die Zeit, wenn wir ein normales eins zu eins Verhältnis haben werden, aber wir brauchen noch immer vorrangig Arbeiter und Forscher, und nur für den Fall, daß Frauen eine bedeutsame Qualifikation irgendeiner Art haben –« »Sie alle haben bedeutsame Qualifikationen irgendeiner Art, mein Lieber«, sagte Mrs. Bergen. »Man könnte die Arbeitszeit der Männer verlängern, wenn –« »Meine Frau«, sagte Bergen lachend, »ist eine überzeugte Feministin, die es nicht verschmäht, Sex als Vorwand zu benutzen, der
Gleichberechtigung Geltung zu verschaffen. Ich sage ihr immer wieder, daß das die weibliche Methode ist, es zu machen, nicht die feministische, und sie sagt immer wieder, daß das der Grund ist, warum sie schwanger ist. Sie glauben, es ist Liebe, Sexmanie, sich nach Mutterschaft zu sehnen? Nichts dergleichen. Sie will ein Baby hier unten bekommen, um es zum Gegenstand philosophischer Diskussion zu machen.« Annette sagte kühl: »Warum nicht? Entweder dies wird eine Heimat für die Menschheit, oder sie wird es nicht. Wenn ja, werden wir hier Babies haben, das ist alles. Ich will ein Baby, das in Ozean-Tief geboren wird. Es gibt Babies, die in Luna-City geboren werden, nicht wahr, Mr. Demerest?« Demerest machte einen tiefen Atemzug: »Ich wurde in Luna City geboren, Mrs. Bergen.« »Wie gut sie das wußte«, murmelte Bergen. »Und Sie sind Ende zwanzig, glaube ich?« fragte sie. »Ich bin neunundzwanzig«, sagte Demerest. »Und wie gut sie auch das wußte«, sagte Bergen mit einem Lächeln. »Sie können darauf wetten, daß sie alle erhältlichen Unterlagen über Sie durchgesehen hat, als sie hörte, Sie würden kommen.« »Das trifft nicht den Kern der Sache«, sagte Annette. »Der Kern der Sache ist, seit mindestens neunundzwanzig Jahren werden Kinder in Luna City geboren, und keine werden in Ozean-Tief geboren.« »Luna City, meine Liebe«, sagte Bergen, »besteht auch schon länger. Es ist über ein halbes Jahrhundert alt – Ozean-Tief noch keine zwanzig.« »Zwanzig Jahre sind völlig ausreichend. Zu einem Baby braucht man neun Monate.« Demerest warf ein: »Gibt es Kinder in Ozean-Tief?« »Nein«, sagte Bergen. »Nein. Aber eines Tages.« »Auf alle Fälle in zwei Monaten«, sagte Annette Bergen mit Nachdruck.
3
Die Spannung in Demerest wuchs, und als sie in die Einheit zurückkehrten, in der er Bergen zum erstenmal begegnet war, war er erleichtert, sich setzen und die Einladung zu einer Tasse Kaffee annehmen zu können. »Wir werden bald essen«, sagte Bergen sachlich. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, in der Zwischenzeit hier zu sitzen. Als die Primäreinheit wird dieser Ort nicht viel benutzt, außer natürlich für den Empfang von Fahrzeugen, ein Punkt, der uns, wie ich erwarte, für eine Weile nicht unterbrechen wird. Wir können uns unterhalten, wenn Sie wünschen.« »Das tue ich«, sagte Demerest. »Ich hoffe, ich bin als Teilnehmer willkommen«, sagte Annette. Demerest betrachtete sie zweifelnd, aber Bergen sagte zu ihm: »Sie werden zustimmen müssen. Sie ist fasziniert von Ihnen und von Mondmenschen im allgemeinen. Sie glaubt, sie sind – uh – sie sind eine neue Rasse. Ich glaube, wenn sie genug davon hat, eine Ozean-Tieffrau zu sein, will sie eine Mondfrau werden.« »Ich möchte auch einmal zu Wort kommen, John, und wenn mir das gelingt, würde ich gern hören, was Mr. Demerest zu sagen hat. Was halten Sie davon, Mr. Demerest?« Demerest sagte vorsichtig: »Ich habe darum gebeten, hierherzukommen, Mrs. Bergen, weil ich Sicherheitsingenieur bin. Ozean-Tief hat einen beneidenswert guten Ruf, was das angeht.« »Nicht ein Unglück in beinahe zwanzig Jahren«, sagte Bergen fröhlich. »Nur ein Todesfall durch einen Unfall in den Niederlassungen des CSchelfs, und keinen beim Reiseverkehr, weder durch U-Boot noch durch Bathyskaph. Ich wünschte, ich könnte immerhin sagen, das wäre das Ergebnis unserer Klugheit und Sorgfalt. Natürlich geben wir unser bestes, aber Pannen begleiten uns –« »John«, sagte Annette. »Ich wünschte wirklich, du würdest Mr. Demerest zu Wort kommen lassen.« »Als Sicherheitsingenieur«, sagte Demerest, »kann ich es mir nicht
leisten, an reines Glück und an Pannen zu glauben. Wir können keine Mondbeben oder Meteoriten von Luna City fernhalten, aber unsere Aufgabe ist es, deren Effekte möglichst abzuschwächen. Es gibt für menschliches Versagen keine Entschuldigung, oder es sollte keine geben. Wir konnten Fehlschläge in Luna City nicht vermeiden – unsere Leistungen waren in jüngster Vergangenheit –« seine Stimme senkte sich – »schlecht. Weil Menschen nicht vollkommen sind, sollte es Aufgabe der Maschinerie sein, diese Unvollkommenheit in Rechnung zu stellen. Wir haben unnötigerweise zwanzig Männer und Frauen verloren.« »Ich weiß. Dennoch, Luna City hat eine Bevölkerung von annähernd eintausend, nicht wahr? Ihr Überleben ist nicht in Gefahr.« »Die Leute in Luna City zählen neunhundertzweiundsiebzig, mich eingeschlossen – aber unser Überleben ist in Gefahr. Wir hängen, was das Lebensnotwendige betrifft, von der Erde ab. Das braucht nicht immer so zu sein. Das brauchte in diesem Moment nicht so zu sein, wenn das Konzil für Planetarische Projekte der Versuchung widerstehen könnte, eine Politik der zwergenhaften Ausgaben zu bestreiten –« »Spätestens dort, Mr. Demerest«, sagte Bergen, »sehen wir uns Auge in Auge. Wir sind ebenfalls nicht autark, und wir könnten es sein. Überdies können wir nicht weit über unser gegenwärtiges Niveau hinauswachsen, außer es werden nukleare Bathyskaphen gebaut. Solange wir an das Schwimmtanksystem gebunden sind, sind wir eingeschränkt. Transport zwischen Ozean-Tief und der Oberfläche ist langsam – langsam für Menschen, noch langsamer für Material und Versorgungsgüter. Ich habe alles versucht, Mr. Demerest –« »Ja, und Sie werden es jetzt bekommen, Mr. Bergen, nicht wahr?« »Ich hoffe es. Aber was macht Sie dessen so sicher?« »Mr. Bergen, lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden. Sie wissen sehr wohl, daß die Erde daran gebunden ist, einen festgelegten Geldbetrag für Expansionsprojekte auszugeben – für Programme, die dazu bestimmt sind, die menschliche Heimat zu erweitern – und das ist ein nicht allzu großer Betrag. Die Bevölkerung der Erde wird keine Ressourcen in dem Versuch verschwenden, den äußeren oder den inneren
Weltraum auszudehnen, wenn sie der Meinung ist, daß dies den Komfort und die Annehmlichkeiten der primären Heimstätte menschlicher Wesen – die Landoberfläche der Erde – beschneidet.« Annette unterbrach ihn. »Sie stellen die Erdenmenschen als gefühllos hin, Mr. Demerest, und das ist nicht fair. Es ist nur menschlich, sich eine sorglose Existenz zu wünschen. Oder? Die Erde ist überbevölkert, und die Verwüstung, die das verrückte zwanzigste Jahrhundert angerichtet hat, wird nur langsam beseitigt. Gewiß muß das ursprüngliche Zuhause des Menschen Vorrang haben, vor Luna City und auch vor Ozean-Tief. Himmel, Ozean-Tief ist mir beinahe zum Zuhause geworden – aber ich möchte es nicht auf Kosten der irdischen Zivilisation florieren sehen.« »Das ist keine Entweder-oder-Frage, Mrs. Bergen«, sagte Demerest ernst. »Wenn Ozean und Weltraum auf entschlossene, ehrenhafte und intelligente Weise ausgebeutet werden, können sie nur zum Wohl der Erde beitragen. Eine geringfügige Investition wird verloren sein, aber eine große wird diesen Verlust mehr als wettmachen.« Bergen hielt die Hand hoch. »Ja, ich weiß. Über diesen Punkt brauchen wir nicht zu diskutieren, das hieße, versuchen den Bekehrten zu bekehren. Kommen Sie, lassen Sie uns essen. Ich will Ihnen was sagen. Wir essen hier. Wenn Sie über Nacht bei uns bleiben wollen oder auch einige Tage – sind Sie uns willkommen – werden Sie reichlich Zeit haben, jedermann kennenzulernen. Vielleicht machen Sie es sich dennoch lieber für eine Weile etwas gemütlich.« »Mit Vergnügen«, sagte Demerest. »Ich möchte wirklich hierbleiben. Nebenbei würde ich Sie gern fragen, warum mir so wenig Leute begegnet sind, als wir die Einheiten besichtigten.« »Das ist kein Geheimnis«, sagte Bergen jovial. »Zu jeder beliebigen Stunde schlafen etwa fünfzehn unserer Männer, und fünfzehn weitere sehen sich vielleicht Filme an oder spielen Schach, oder, wenn sie ihre Frauen hierhaben –« »Ja, John«, sagte Annette.
»– und es ist unsere Gewohnheit, sie nicht zu stören. Die Quartiere sind beengt, und die Privatsphäre eines Menschen wird gepflegt. Ein paar sind draußen im Meer – im Moment drei, glaube ich. Bleibt ein Dutzend oder so, das hier bei der Arbeit ist, und Sie sind ihnen begegnet.« »Ich hole das Mittagessen«, sagte Annette und erhob sich. Sie lächelte und trat durch die Tür, die sich automatisch hinter ihr schloß. Bergen schaute ihr nach. »Das ist eine Konzession. Um Ihretwillen spielt sie die Frau. Normalerweise wäre es ebenso gut meine Aufgabe, das Essen zu holen. Die Auswahl wird nicht durch das Geschlecht bestimmt, sondern durch Zufälligkeiten.« Demerest sagte: »Die Tore zwischen den Einheiten, so scheint mir, sind gefährlich schwach.« »Tatsächlich?« »Wenn ein Unfall passieren würde, und eine Einheit ein Loch bekäme –« Bergen lächelte. »Hier unten gibt es keine Meteoriten.« »O natürlich, der falsche Ausdruck. Wenn aus irgendeinem Grund irgendeine Art Leck aufträte, könnte eine Einheit oder eine Gruppe von Einheiten gegen den Druck des Ozeans luftdicht versiegelt werden?« »Sie meinen, auf die Art und Weise, wie Luna City seine einzelnen Einheiten automatisch versiegeln kann, um im Falle eines Meteoriteneinschlages den Schaden auf eine einzelne Einheit zu begrenzen.« »Ja«, sagte Demerest, der schwache Bitterkeit verspürte. »Wie es unlängst nicht funktioniert hat.« »Theoretisch könnten wir das tun – aber das Risiko eines Unfalls ist viel geringer hier unten. Wie ich schon sagte, es gibt keine Meteoriten, und, darüber hinaus, keine nennenswerten Strömungen. Selbst ein Erdbeben, das sein Zentrum genau unter uns hätte, würde keinen Schaden anrichten, weil wir keinen starren oder festen Kontakt mit dem Boden haben.
Deshalb können wir es uns leisten, auf kein massives Einströmen zu vertrauen.« »Wenn es dennoch geschehen würde?« »Wir könnten hilflos ein. Sehen Sie, es ist hier nicht so einfach, einzelne Einheiten luftdicht zu versiegeln. Auf dem Mond gibt es ein Druckdifferential von nur einer Atmosphäre – eine Atmosphäre im Innern und null Atmosphären im Vakuum draußen. Ein dünner Verschluß reicht aus. Hier in Ozean-Tief beträgt das Druckdifferential stürmische tausend Atmosphären. Absolute Sicherheit gegen dieses Differential zu garantieren würde einen Haufen Geld kosten, und Sie erinnern sich, was ich darüber gesagt habe, wie schwierig es ist, Geld aus dem KPP herauszuschlagen. Also setzen wir auf das Glücksspiel. Und bisher haben wir Glück gehabt.« »Und wir hatten keines«, sagte Demerest. Bergen schaute unbehaglich drein, aber Annette lenkte die Aufmerksamkeit beider Männer auf sich, als sie in diesem Augenblick mit dem Essen hereinkam. Sie sagte: »Ich hoffe, Mr. Demerest, Sie sind auf spartanische Kost vorbereitet. Alle unsere Nahrung in Ozean-Tief ist vorfabriziert und braucht nur aufgewärmt zu werden. Wir spezialisieren uns auf Schlichtheit und Nicht-Überraschung, und die Nicht-Überraschung des Tages ist einfaches Huhn à la King mit Karotten, gedünsteten Kartoffeln, etwas, das wie ein Schokoladenkuchen mit Nüssen aussieht und natürlich soviel Kaffee, wie Sie trinken können.« Demerest erhob sich, um sein Tablett entgegenzunehmen. Er versuchte zu lächeln. »Das hört sich ganz nach Mondkost an, Mrs. Bergen, und ich bin damit aufgewachsen. Wir züchten unsere eigene mikroorganische Nahrung. Es ist patriotisch, sie zu essen, aber nicht besonders genüßlich. Trotzdem hoffen wir, sie weiter zu verbessern.« »Ich bin sicher, es wird Ihnen gelingen.« Demerest sagte, während er mit einem langsamen und methodischen
Kauen aß: »Ich hasse es, auf meinem Spezialgebiet herumzureiten, aber wie sind Sie gegen Unfälle an Ihrem Luftschleuseneingang abgesichert?« »Das ist der schwächste Punkt von Ozean-Tief«, sagte Bergen. Er war mit dem Essen fertig und hatte seine erste Tasse Kaffee nahezu ausgetrunken. »Aber es muß eine Schnittstelle geben. Richtig? Der Eingang ist so automatisiert, wie es uns möglich ist, und ebenso pannensicher. Punkt eins: jeder Punkt der Außenwand der Luftschleuse muß Kontakt haben, bevor der Fusionsgenerator anfängt, das Wasser in der Schleuse zu erhitzen. Darüber hinaus muß der Kontakt metallischer Natur sein, und aus einem Metall mit genau der magnetischen Permeabilität, das wir bei unseren Bathyskaphen verwenden. Angenommen ein Felsen oder irgendein mythisches Tiefseeungeheuer kommt herunter und stellt an genau den richtigen Stellen Kontakt her – aber wenn das geschähe, würde nichts passieren. Und dann noch öffnet sich das Außentor erst, wenn der Dampf das Wasser herausgedrängt hat und kondensiert ist – mit andern Worten, erst wenn sowohl Druck als auch Temperatur unter einen gewissen Wert gefallen sind. In dem Moment fängt das Außentor an, sich bei einem vergleichsweise geringen Ansteigen des internen Drucks zu öffnen, Wasser tritt ein, und es schließt sich wieder.« Demerest sagte: »Aber wenn die Luftschleuse erst einmal passiert worden ist, schließt sich das Innentor, und Meerwasser wird wieder in die Luftschleuse gelassen. Können Sie das kontinuierlich gegen den vollen Druck des Ozeans draußen machen?« »Nein.« Bergen lächelte. »Es zahlt sich nicht aus, den Ozean zu hart zu bedrängen. Man muß mit der Strömung schwimmen. Wir setzen es bis auf ein Zehntel des freien Zugangs herab, aber selbst dann schießt es wie ein Gewehrschuß herein – lauter, wie ein Donnerschlag – oder Wasserschlag, wenn Sie das vorziehen. Das Innentor kann dem trotzdem standhalten, und es wird dieser Belastung nicht sehr oft ausgesetzt. Sie haben den Wasserschlag gehört, als wir uns zuerst begegneten – als Javans Bathyskaph ablegte. Sie erinnern sich?« »Ich erinnere mich«, sagte Demerest. »Aber hier gibt es etwas, das ich
nicht verstehe. Sie halten die Luftschleuse mit Meerwasser unter hohem Druck gefüllt, um das Außentor frei von Belastung zu halten. Aber das stellt das Innentor unter volle Belastung. Irgendwo muß die Belastung sich auswirken.« »Ja, in der Tat. Aber wenn das Außentor, bei dem Druckunterschied von tausend Atmosphären auf beiden Seiten, nachgibt, versucht der ganze Ozean mit all seinen Kubikmeilen einzudringen, und das wäre das Ende. Wenn das Innentor unter Belastung steht und nachgibt, dann wird es in der Tat schmutzig – aber das einzige Wasser, das in Ozean-Tief eindringt, ist die begrenzte Menge in der Luftschleuse, und der Druck wird sofort nachlassen. Wir haben Zeit genug zur Reparatur – das Außentor wird gewiß lange Zeit halten.« »Aber wenn beide gleichzeitig versagen?« »Dann ist es aus mit uns.« Bergen zuckte die Schultern. »Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, daß es keine absolute Sicherheit gibt. Man muß mit manchen Risiken leben, und die Chance, eines doppelten und gleichzeitigen Versagens ist so mikroskopisch klein, daß es sich leicht damit leben läßt.« »Wenn all Ihre mechanischen Apparate versagen –« »Sie sind pannensicher«, sagte Bergen störrisch. Demerest nickte. Er aß das letzte Stück Huhn. Mrs. Bergen begann bereits zusammenzuräumen. »Sie werden mir meine Fragen verzeihen, Mr. Bergen, wie ich hoffe.« »Sie sind dazu eingeladen zu fragen. Ich war eigentlich nicht über die genaue Natur Ihrer Mission hier informiert. Tatsachenfindung ist eine Phrase. Ich nehme jedoch an, es besteht ein aufrichtiger Kummer wegen der jüngsten Katastrophe, und als Sicherheitsingenieur fühlen Sie sich mit Recht dafür verantwortlich, was immer an Unzulänglichkeiten existiert zu beseitigen, und wollen, wenn möglich, von dem System lernen, das wir in Ozean-Tief verwenden.« »Genau. Aber schauen Sie, wenn all Ihre automatischen Vorrichtungen, aus welchem Gunde auch immer, versagten, blieben Sie zwar am Leben,
aber all Ihre Notausgänge wären auf Dauer verschlossen. Sie säßen in Ozean-Tief in der Falle und würden sich einen langsamen Tod gegen einen schnellen eintauschen. Das ist alles.« »Es ist unwahrscheinlich, daß das geschieht, aber wir würden hoffen, es zu reparieren, bevor unsere Luftversorgung zu Ende ginge. Abgesehen davon haben wir ein manuelles Kontrollsystem.« »O?« »Gewiß. Als Ozean-Tief errichtet wurde, und dies die einzige Einheit war – die, in der wir jetzt gerade sitzen –, waren manuelle Kontrollen alles, was wir hatten. Das war unsicher, wenn Sie so wollen. Es gibt sie also, genau hinter Ihnen – mit einer mürben Plastikschicht überzogen.« »Bei Notfällen das Glas einschlagen«, murmelte Demerest, der den verdeckten Aufbau inspizierte. »Wie bitte?« »Nur eine Phrase, die früher in Feuerbekämpfungssystemen gebräuchlich war. Schön. Funktionieren die manuellen Kontrollen noch, oder ist das zwanzig Jahre alte System mit der mürben Plastikschicht darüber so weit zerfallen, daß es, ohne daß es jemand bemerkt hat, unbrauchbar geworden ist.« »Keinesfalls. Es wird regelmäßig überprüft – wie es mit unserer gesamten Ausrüstung geschieht. Das ist nicht mein Job, aber ich weiß, daß es gemacht wird. Wenn irgendein elektrischer oder elektronischer Stromkreis nicht normal arbeitet, leuchten Lämpchen auf, ertönen Signale, passiert, außer einer nuklearen Explosion, alles mögliche. Wissen Sie, Mr. Demerest, wir sind so wißbegierig in bezug auf Luna City, wie Sie in bezug auf Ozean-Tief. Ich nehme an, Sie sind bereit, einen unserer jungen Männer einzuladen –« »Wie wäre es mit einer jungen Frau?« warf Annette plötzlich ein. »Ich bin sicher, du meinst dich selbst, meine Liebe«, sagte Bergen. »Und ich kann darauf nur antworten, daß du entschlossen bist, ein Baby hier zu bekommen und es eine Weile nach seiner Geburt hier zu behalten – und das schließt dich wirkungsvoll aus dem Kreis möglicher Bewerber aus.«
Demerest sagte steif: »Wir hoffen, daß Sie Leute nach Luna City schicken werden. Uns liegt sehr daran, daß Sie unsere Problematik verstehen.« »Ja, ein gegenseitiger Austausch von Problemen und ein Sichausweinen an der Brust des andern könnte für alle ein großer Trost ein. Sie haben in Luna City zum Beispiel einen Vorteil, von dem ich wünschte, wir könnten ihn haben. Bei niedriger Schwerkraft und geringem Druckdifferential können Sie Ihren Kavernen jede beliebige unregelmäßige und winklige Form geben, die Ihrem Sinn für Ästhetik zusagt oder die die Bequemlichkeit erfordert. Wir hier unten sind an die Kugelform gebunden – zumindest für die absehbare Zukunft –, und unsere Designer entwickeln einen Haß für alles Kugelförmige, der die Vorstellungskraft übersteigt. Eigentlich ist es nicht lustig. Es zerbricht sie. Eher geben sie auf, als weiter mit der Kugelform zu arbeiten.« Bergen schüttelte den Kopf und lehnte seinen Stuhl zurück gegen ein Mikrofilmschränkchen. »Wissen Sie, als William Beebe die erste Tiefseetaucherkammer der Geschichte in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts baute – sie war eine einfache Gondel, die von einem Mutterschiff mittels eines eine halbe Meile langen Kabels heruntergelassen wurde. Sie besaß keine Schwimmkammern und Maschinen – und wenn das Kabel riß, gute Nacht. Nur daß es das nie tat. Auf alle Fälle, was wollte ich sagen? O, als Beebe seine erste Tiefseetaucherkammer baute, wollte er sie zylindrisch machen; wissen Sie, damit ein Mensch bequem hineinpaßte. Im Grunde ist ein Mensch ein langer dünner Zylinder. Ein Freund von ihm redete ihm das jedoch aus und die Kugelform ein, aus dem sehr triftigen Grund, daß eine Kugel dem Druck wirksamer widerstehen würde als jede andere mögliche Form.« Demerest überdachte das kurz, gab aber keinen Kommentar. Er kehrte zu ihrem früheren Gesprächsthema zurück. »Wir würden es außerordentlich begrüßen«, sagte er, »wenn jemand von Ozean-Tief Luna City besuchen würde, denn das könnte zu einem Verständnis führen, daß groß genug wäre, um die Notwendigkeit seitens Ozean-Tiefs zu einer Handlungsweise zu erkennen, die beträchtliche Selbstaufopferung einschließen könnte.«
»O?« Bergens Stuhl kam auf alle vier Beine herunter. »Wie war das?« »Ozean-Tief ist eine großartige Errungenschaft – ich möchte da nichts schmälern. Ich kann sehen, wo es noch großartiger werden wird, ein Wunder der Welt. Dennoch –« »Dennoch?« »Dennoch sind die Meere nur ein Teil der Erde – ein Hauptteil, aber nur ein Teil. Die Tiefsee ist nur ein Teil des Meeres. Sie ist in der Tat innerer Weltraum – sie arbeitet sich nach innen und engt sich immer mehr zu einem Punkt ein.« »Ich glaube«, unterbrach ihn Annette, die recht grimmig aussah, »Sie sind im Begriff, einen Vergleich mit Luna City zu ziehen.« »In der Tat«, sagte Demerest. »Luna City repräsentiert den äußeren Weltraum, die Grenze zur Unendlichkeit. Hier unten führt der Weg auf lange Sicht in eine Sackgasse – dort draußen steht uns das ganze Universum offen.« »Wir beurteilen die Dinge nicht nur nach Größe und Umfang, Mr. Demerest«, sagte Bergen. »Der Ozean ist nur ein kleiner Teil der Erde, richtig, aber aus eben diesem Grunde steht er in sehr enger Verbindung mit über fünf Milliarden menschlichen Wesen. Ozean-Tief ist ein Experiment. Aber die Niederlassungen auf dem Kontinentalen Festlandssockel verdienen bereits die Bezeichnung Städte. Ozean-Tief bietet der Menschheit die Chance, den ganzen Planeten auszubeuten –« »Den ganzen Planeten zu besudeln«, unterbrach ihn Demerest erregt. »Ihn auszurauben, ihn zu vernichten. Die Konzentration menschlicher Anstrengungen auf die Erde selbst ist ungesund und sogar fatal, wenn sie nicht durch eine Hinwendung zu der äußeren Grenze ausgeglichen wird.« »Es gibt nichts an dieser Grenze«, stieß Annette hervor. »Der Mond ist tot. Alle anderen Welten dort draußen sind tot. Wenn es zwischen den Sternen, Lichtjahre entfernt, bewohnte Welten gibt, sind sie unerreichbar. Der Ozean lebt.« »Der Mond lebt ebenfalls, Mrs. Bergen. Und wenn Ozean-Tief es zuläßt, wird der Mond eine unabhängige Welt werden. Wir Mondmenschen
werden uns dann darum kümmern, daß andere Welten erreicht und zum Leben erweckt werden, und wenn die Menschheit die Ausdauer dazu hat, werden wir die Sterne erreichen. Wir! Wir! Es sind nur die Mondmenschen, die an den Weltraum gewöhnt sind, die daran gewöhnt sind, in einer Welt der Höhlen zu leben, die an eine künstliche Umwelt gewöhnt sind, die einzigen, die das Leben in einem Weltraumschiff, das vielleicht Jahrhunderte reisen muß, um die Sterne zu erreichen, aushalten können.« »Moment, Moment, Demerest«, sagte Bergen und hielt eine Hand hoch. »Noch mal zurück. Was meinen Sie damit – wenn Ozean-Tief es zuläßt? Was haben wir damit zu tun?« »Sie stehen mit uns im Wettbewerb, Mr. Bergen. Die Kommission für Planetarische Projekte wird sich auf Ihre Seite schlagen. Ihnen mehr, uns weniger geben, weil auf kurze Sicht, wie Ihre Frau gesagt hat, der Ozean lebt und der Mond, abgesehen von tausend Menschen, nicht – weil Sie ein halbes Dutzend Meilen weit weg sind und wir eine Viertelmillion – weil man Sie in einer Stunde erreichen kann und uns erst in drei Tagen. Und weil Sie einen idealen Sicherheitsstandard haben, und wir haben – Unglücksfälle gehabt.« »Der letzte Grund ist gewiß trivial. Unfälle können jederzeit an jedem Ort geschehen.« »Aber das Triviale kann benutzt werden«, sagte Demerest verärgert. »Man kann damit Gefühle anheizen. Für Leute, die den Zweck und die Bedeutung der Erforschung des Weltraums nicht sehen, ist der Tod von Mondmenschen bei Unfällen Grund genug zu sagen, daß der Mond gefährlich ist und seine Kolonisierung ein sinnloser Traum. Und weshalb auch nicht? Es ist Ihre Entschuldigung, Geld zu sparen, und sie können ihr Gewissen beschwichtigen, indem sie einen Teil davon stattdessen in Ozean-Tief investieren. Das ist der Grund, warum ich sagte, daß der Unfall das Überleben von Luna City gefährdet hat, wenn auch nur zwanzig von annähernd eintausend Leuten getötet wurden.« »Ich akzeptiere Ihr Argument nicht. Es hat genug Geld für beide seit vielen Jahren gegeben.«
»Nicht genug Geld. Das ist genau der Punkt. Nicht genug, um den Mond in all diesen Jahren autark zu machen – und dann benutzen sie diesen Mangel an Autarkie gegen uns. Auch nicht genug, um Ozean-Tief autark zu machen – aber jetzt können sie Ihnen genug geben, wenn sie uns die Mittel vollkommen abschneiden.« »Glauben Sie, daß es dazu kommen wird?« »Ich bin mir dessen beinahe sicher – außer Ozean-Tief beweist einen staatsmännischen Weitblick, was die Zukunft des Menschen angeht.« »Wie?« »Indem Sie es ablehnen, zusätzliche Mittel zu akzeptieren. Indem Sie den Wettstreit mit Luna City aufgeben. Indem Sie das Wohl der ganzen Rasse über Ihr Eigeninteresse stellen.« »Gewiß erwarten Sie nicht von uns, Ozean-Tief zu demontieren –« »Das brauchen Sie nicht. Unterstützen Sie uns in unseren Erklärungen, daß Luna City lebenswichtig ist, daß die Erforschung des Weltraums die Hoffnung der Menschheit ist – daß Sie warten wollen, sich wenn nötig einschränken werden.« Bergen schaute seine Frau an und zog die Augenbrauen hoch. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. Bergen sagte: »Sie haben eine reichlich romantische Vorstellung vom KPP, glaube ich. Selbst wenn ich ehrenhafte, selbstaufopfernde Reden halten würde, wer sagt, daß man zuhören würde. Bei Ozean-Tief geht es um eine ganze Menge mehr als um meine Meinung und Feststellungen. Ökonomische Erwägungen und öffentliche Stimmung spielen eine Rolle. Warum entspannen Sie sich nicht, Mr. Demerest? Luna City ist nicht am Ende. Sie werden Mittel erhalten. Ich bin mir dessen sicher. Ich sage Ihnen, ich bin mir dessen sicher. Und jetzt lassen Sie uns das Thema beenden –« »Nein, ich muß Sie auf die eine oder andere Weise davon überzeugen, daß ich es ernst meine. Wenn nötig, muß Ozean-Tief zum Stillstand kommen, außer das KPP kann genügend Mittel für beide Projekte bereitstellen.«
Bergen fragte: »Ist das eine offizielle Mission, Mr. Demerest? Sprechen Sie offiziell für Luna City oder nur für sich selbst?« »Nur für mich selbst – aber vielleicht ist das genug, Mr. Bergen«, sagte Demerest. »Das glaube ich nicht. Es tut mir leid, aber dies alles stellt sich als unerfreulich heraus. Ich schlage vor, daß Sie nach allem am besten mit dem nächsten abkömmlichen Bathyskaphen nach oben zurückkehren.« »Noch nicht! Noch nicht!« Demerest schaute wild um sich, erhob sich dann unsicher und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Er war ein bißchen zu groß für den Raum, und er wurde sich des schwindenden Lebens gewahr. Ein Schritt weiter, und es wäre zu spät gewesen, um noch zurück zu können.
4 Er hatte ihnen oben auf dem Mond gesagt, es wäre sinnlos zu reden, sinnlos zu verhandeln. Es war, als ob sie sich wie Hunde um die verfügbaren Mittel rauften, und Luna City durfte nicht zugrunde gehen – nicht für Ozean-Tief, nicht für die Erde – nicht für alles Gut der Erde, denn schließlich waren die Menschheit und das Universum wichtiger als die Erde. Der Mensch mußte aus ihrem Schoße herauswachsen. Demerest konnte sein eigenes stoßweises Atmen hören und das innere Getümmel seiner durcheinanderwirbelnden Gedanken. Die beiden andern beobachteten ihn offenbar besorgt. Annette erhob sich und fragte: »Sind Sie krank, Mr. Demerest?« »Ich bin nicht krank. Setzen Sie sich. Ich bin Sicherheitsingenieur, und ich will Sie etwas über Sicherheit lehren. Setzen Sie sich, Mrs. Bergen.« »Setz dich, Annette«, sagte Bergen. »Ich kümmere mich um ihn.« Er stand auf und trat einen Schritt vor. Aber Demerest sagte: »Nein. Bewegen Sie sich nicht. Ich habe hier
etwas. Sie sind zu naiv, was menschliche Gefahren angeht, Mr. Bergen. Sie schützen sich gegen das Meer und gegen technisches Versagen, und Sie versäumen es, Ihre menschlichen Besucher zu durchsuchen. Ist es nicht so? Ich habe eine Waffe, Bergen.« Nun, da es heraus war und er den letzten Schritt, von dem aus es kein Zurück gab, getan hatte – denn er war jetzt, was immer er tat, tot – war er ganz ruhig. Annette sagte: »O, John«, und packte ihren Mann beim Arm. Bergen stellte sich vor sie. »Eine Waffe? Das soll eine Waffe sein? Langsam, Demerest, langsam. Es gibt nichts, worüber man sich aufregen müßte. Wenn Sie reden wollen, reden wir. Was ist das?« »Nichts Dramatisches. Ein tragbarer Laserstrahler.« »Aber was haben Sie damit vor?« »Ozean-Tief zerstören.« »Aber das können Sie nicht, Demerest. Sie wissen, daß Sie es nicht können. Sie haben nicht genug Energie. Kein Laser, den Sie tragen können, kann genug Hitze erzeugen, um die Wände zu durchdringen.« »Das weiß ich. Dieser Laser hat mehr Energie, als Sie glauben. Er wurde auf dem Mond hergestellt, und es hat einige Vorteile, wenn man eine Energiezelle in einem Vakuum produziert – aber Sie haben recht. Selbst so ist er nur für kleinere Aufgaben geeignet und erfordert häufiges Nachladen. Ich habe nicht die Absicht, zu versuchen, eine dreißig Zentimeter starke Stahllegierung zu durchschneiden. Aber er wird seine Aufgabe indirekt erfüllen. Zunächst einmal wird er Sie beide im Schach halten. Er enthält genug Energie, um zwei Menschen zu töten.« »Sie würden uns nicht umbringen«, sagte Bergen ruhig. »Sie haben keinen Grund.« »Wenn Sie damit«, sagte Demerest, »andeuten wollen, ich sei eine unvernünftige Person, der irgendwie zu verstehen gegeben werden muß, daß sie verrückt ist, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Ich habe Grund genug, Sie zu töten, und ich werde Sie töten. Mit einem Laserstrahl, wenn
es sein muß, wenn ich es auch lieber nicht tun würde.« »Was wird es nützen, uns umzubringen? Erklären Sie es mir. Ist es, weil ich es abgelehnt habe, Mittel für Ozean-Tief zu opfern? Ich hätte nichts anderes tun können. Ich bin nicht derjenige, der diese Entscheidung wirklich zu fällen hat. Und wenn Sie mich umbringen, wird das die Entscheidung nicht zu Ihren Gunsten beeinflussen, oder? Im Gegenteil. Wenn sich ein Mondmensch als Mörder herausstellt, wie wird Luna City dann dastehen? Denken Sie über menschliche Gefühle auf der Erde nach.« Annettes Stimme klang ein wenig schrill, als sie einfiel: »Sehen Sie nicht, daß es Leute geben wird, die sagen werden, daß die solare Strahlung auf dem Mond gefährliche Auswirkungen hat? Daß die genetische Manipulation, die Ihre Knochenstruktur umgestaltet hat, die geistige Stabilität beeinträchtigt hat? Betrachten Sie das Wort ›lunatisch‹, was soviel wie geisteskrank bedeutet, Mr. Demerest. Die Menschen glaubten einmal, der Mond brächte Wahnsinn.« »Ich bin nicht wahnsinnig, Mrs. Bergen.« »Es spielt keine Rolle«, sagte Bergen und folgte dem Beispiel seiner Frau. »Die Leute werden sagen, Sie wären es – daß alle Mondmenschen es sind – und man wird Luna City aufgeben, und der Mond selbst wird aller weiteren Erforschung verschlossen bleiben, vielleicht für immer. Wollen Sie das?« »Das könnte geschehen, wenn sie glauben würden, ich hätte Sie umgebracht – aber das werden sie nicht. Es wird ein Unfall sein.« Mit dem linken Ellenbogen durchbrach Demerest die Plastikschicht, die die manuellen Kontrollen verdeckte. »Ich kenne Einheiten dieser Art«, sagte er. »Ich weiß genau, wie sie funktionieren. Logischerweise sollte das Durchbrechen dieser Plastikschicht ein Warnsignal auslösen – schließlich könnte sie durch einen Unfall durchbrochen werden –, und dann käme jemand her, um nachzusehen, oder besser noch, die Kontrollen sollten blockieren, bis sie vorsätzlich wieder gelöst werden, um sicher zu gehen, daß der Bruch nicht bloß unbeabsichtigt war.« Er machte eine Pause und sagte dann:
»Aber ich bin sicher, daß niemand kommen wird, daß keine Warnung stattgefunden hat. Ihr manuelles System ist nicht pannensicher, denn unbewußt waren Sie davon überzeugt, daß es niemals benutzt werden würde.« »Was haben Sie vor?« fragte Bergen. Er war angespannt, und Demerest beobachtete sorgfältig seine Knie. Er sagte: »Wenn Sie versuchen, mich anzuspringen, schieße ich sofort – und mache dann einfach mit dem weiter, was ich vorhabe.« »Ich dachte, vielleicht geben Sie mir nichts zu verlieren.« »Sie werden Zeit verlieren. Lassen Sie mich ohne Unterbrechung fortfahren, und Ihnen bleiben einige Gesprächsminuten. Es gelingt Ihnen vielleicht sogar, mir die Sache auszureden. Das ist mein Vorschlag. Kommen Sie mir nicht in die Quere, und ich gebe Ihnen die Chance zu argumentieren.« »Aber was haben Sie vor?« »Dies«, sagte Demerest. Er braucht nicht hinzusehen. Seine linke Hand bewegte sich vorwärts und drückte einen Schalter. »Die Fusionszelle wird jetzt die Luftschleuse erhitzen, und der Dampf wird sie leeren. Es wird ein paar Minuten dauern. Wenn es so weit ist, wird gewiß einer dieser kleinen rotverglasten Knöpfe aufleuchten.« »Sie wollen –« Demerest sagte: »Warum fragen Sie? Sie wissen, daß es meine Absicht sein muß, nachdem ich einmal so weit gegangen bin, Ozean-Tief unter Wasser zu setzen.« »Aber warum? Verdammt nochmal, warum?« »Weil man es als Unfall ansehen wird. Weil Ihr Sicherheitsstandard ruiniert werden wird. Weil es eine vollständige Katastrophe sein und Sie auslöschen wird. Das KPP wird sich dann von Ihnen abwenden, und der Zauber von Ozean-Tief wird verschwunden sein. Wir werden die Mittel erhalten. Wir werden fortbestehen. Wenn ich das auf andere Weise erreichen könnte, würde ich es tun – aber die Bedürfnisse von Luna City sind die Bedürfnisse der Menschheit, und diese sind ausschlaggebend.«
»Sie werden ebenfalls sterben«, brachte Annette heraus. »Gewiß. Nachdem ich einmal gezwungen wurde, etwas wie dieses zu tun – würde ich weiterleben wollen? Ich bin kein Mörder.« »Aber Sie werden einer sein. Wenn Sie diese Einheit unter Wasser setzen, werden Sie ganz Ozean-Tief unter Wasser setzen und jeden darin töten – und jene, die draußen in ihren U-Booten sind, zu einem langsameren Tod verdammen. Fünfzig Männer und Frauen – ein ungeborenes Kind –« »Das ist nicht mein Fehler«, sagte Demerest in klar ersichtlicher Qual. »Ich habe nicht erwartet, hier eine schwangere Frau vorzufinden, aber weil dies nun geschehen ist – ich kann deshalb nicht alles abbrechen.« »Aber Sie müssen es abbrechen«, sagte Bergen. »Ihr Plan funktioniert nur, wenn das Ganze als Unfall hingestellt werden kann. Man wird Sie mit einem Strahler in der Hand finden und entdecken, daß sich jemand an den manuellen Kontrollen zu schaffen gemacht hat. Glauben Sie, man wird die Wahrheit daraus nicht ableiten?« Demerest fühlte sich sehr müde. »Mr. Bergen, Sie sind verzweifelt. Hören Sie – wenn das Außentor sich öffnet, wird Wasser unter einem Druck von tausend Atmosphären eintreten. Es wird ein massiver Sturmbock sein, der alles, was ihm im Weg ist, zerstören und zerfetzen wird. Die Wände von Ozean-Tief werden erhalten bleiben, aber was drinnen ist, wird jenseits aller Identifizierung entstellt sein. Menschliche Wesen werden in feinste Gewebereste zerfetzt werden, und das Zersplittern von Knochen und der Tod werden augenblicklich und schmerzlos eintreten. Selbst wenn ich gezwungen wäre, Sie mit dem Laser niederzubrennen, bliebe nichts übrig, das davon zeugen würde, also werde ich nicht zögern. Verstehen Sie. Diese manuelle Einheit wird auf alle Fälle zerschmettert werden – alles, was ich anrichten kann, wird von Wasser ausgelöscht werden.« »Aber der Strahler; die Laserwaffe. Selbst stark beschädigt wird sie erkennbar sein«, sagte Annette. »Wir gebrauchen solche Dinge auf dem Mond, Mrs. Bergen. Es ist ein
gebräuchliches Werkzeug; es ist das optische Gegenstück zum Taschenmesser. Ich könnte Sie mit einem Taschenmesser töten, wissen Sie, aber man würde aus der Tatsache, daß ein Mann, der ein Taschenmesser bei sich trägt – oder selbst mit offener Klinge hält – nicht ableiten, daß er notwendigerweise einen Mord geplant hatte. Er könnte damit geschnitzt haben. Abgesehen davon ist ein auf dem Mond hergestellter Laser keine Schußwaffe. Er braucht keiner inneren Explosion standzuhalten. Er wird aus dünnem Metall gemacht, er ist mechanisch gebrechlich. Nachdem er von dem Wasserschlag zerschmettert worden sein wird, möchte ich bezweifeln, daß er als Gegenstand noch viel Aufhebens von sich machen wird.« Demerest brauchte nicht nachzudenken, um diese Feststellungen zu treffen. Er hatte sie ausgearbeitet während Monaten der inneren Erörterung. »Offen gesagt«, fuhr er fort, »wie wollen die Prüfer jemals erfahren, was hier geschah? Sie werden Bathyskaphen herunterschicken, um das, was von Ozean-Tief übrig geblieben ist, zu untersuchen, aber wie kommen sie herein, ohne vorher das Wasser rauszupumpen. Sie werden tatsächlich gezwungen sein, ein neues Ozean-Tief zu erbauen, und das würde – wie lange dauern? Vielleicht, gesetzt den Fall einer öffentlichen Abneigung, dem verlorenen noch gutes Geld hinterherzuwerfen, werden sie es nie tun und sich damit begnügen, einen Lorbeerkranz auf die toten Wände des toten Ozean-Tief fallen zu lassen.« Bergen sagte: »Die Menschen in Luna City werden wissen, was Sie getan haben. Sicherlich wird einer von ihnen ein Gewissen haben. Die Wahrheit wird herauskommen.« »Eine Wahrheit«, sagte Demerest, »ist, daß ich kein Narr bin. Niemand in Luna City weiß, was ich vorhatte, und niemand wird argwöhnen, was ich getan habe. Sie haben mich hier herunter geschickt, um über Zusammenarbeit in der Frage finanzieller Zuschüsse zu verhandeln. Ich sollte Argumente vorbringen und nichts weiter. Es gibt nicht einmal einen Laserstrahler, der dort oben vermißt wird. Ich habe diesen selbst aus Altteilen zusammengesetzt. Und er funktioniert. Ich habe ihn getestet.«
Annette sagte langsam: »Sie haben es nicht durchdacht. Wissen Sie, was Sie tun?« »Ich habe es durchdacht. Ich weiß, was ich tue. Und ich weiß auch, daß Sie sich beide des aufgeleuchteten Signals bewußt sind. Ich habe es bemerkt. Die Luftschleuse ist leer, und ich fürchte, die Zeit ist abgelaufen.« Er hielt seine Waffe angespannt hoch und drückte rasch einen weiteren Schalter. Eine kreisförmiger Sektion der Wand der Einheit wurde krachend zu einer schmalen Sichel und rollte zur Seite. Aus dem Augenwinkel heraus sah Demerest die gähnende Dunkelheit. Aber er schaute nicht hin. Ein feuchter, salziger Dunst ging von ihr aus – ein seltsamer Odeur leblosen Dampfes. Er stellte sich sogar vor, das plumpsende Geräusch des sich am Boden der Luftschleuse sammelnden Wassers zu hören. Er sagte: »Das Außentor sollte jetzt unter keinen Umständen zu öffnen sein, wenn die manuelle Einheit vernunftgemäß angelegt worden ist. Wenn das Innentor geöffnet ist, sollte nichts das Außentor von der Stelle bringen. Ich habe jedoch den Verdacht, daß die manuellen Kontrollen damals zu rasch zusammengesetzt worden sind, als daß Vorsichtsmaßnahmen hätten getroffen werden können. Und wenn es eines weiteren Beweises bedürfte, daß ich richtig vermute, würden Sie hier nicht so angespannt sitzen. Das Außentor wird sich öffnen. Ich brauche nur einen weiteren Schalter umzulegen, und der Wasserschlag wird kommen. Wir werden nichts spüren.« Annette sagte: »Legen Sie ihn noch nicht um. Ich habe noch etwas zu sagen. Sie haben gesagt, wir würden Zeit haben, um Sie zu überreden.« »Während das Wasser ausgepumpt wurde.« »Lassen Sie mich nur noch dies sagen. Eine Minute. Eine Minute. Ich sagte, Sie wüßten nicht, was Sie tun. Das ist richtig. Sie zerstören das Weltraumprogramm, das Weltraumprogramm. Da ist mehr am Weltraum als nur Weltraum.« Ihre Stimme war schrill geworden.
»Wovon reden Sie? Reden Sie vernünftig, oder ich setze dem allen ein Ende. Ich bin müde. Ich will, daß es vorbei ist.« Annette sagte: »Sie sind nicht in den inneren Ausschüssen des KPP. Und mein Mann ebenfalls nicht. Aber ich. Glauben Sie, weil ich eine Frau bin, bin ich hier nebensächlich. Ich bin es nicht. Sie, Mr. Demerest, haben Ihre Augen nur auf Luna City fixiert. Mein Mann hat seine auf Ozean-Tief fixiert. Keiner von Ihnen weiß wirklich etwas. Wo würden Sie hingehen wollen, Mr. Demerest, wenn Sie all das Geld hätten, das Sie wollen? Zum Mars? Zu den Asteroiden? Zu den Satelliten der Gasriesen? Das sind alles kleine Welten – alles ausgetrocknete Oberflächen unter einem leeren Himmel. Es mag Generationen dauern, bis wir bereit sind, einen Vorstoß zu den Sternen zu wagen, und bis dahin hätten wir nur einen unbedeutenden realen Status. Ist das Ihr Ehrgeiz? Der meines Mannes ist um keinen Deut besser. Er träumt davon, die Heimstätte des Menschen über den Meeresgrund auszubreiten, eine Oberfläche, die im Grunde nicht größer ist als die des Mondes und anderer zwergenhafter Welten. Andererseits wollen wir vom KPP mehr als jeder einzelne von Ihnen – und wenn Sie diesen Knopf drücken, wird der größte Traum der Menschheit ein Traum bleiben.« Demerest stellte fest, daß er wider seinen Willen interessiert war, aber er sagte: »Das ist bloß leeres Gewäsch.« Es war möglich, das wußte er, daß es ihnen irgendwie gelungen war, andere in Ozean-Tief zu warnen, daß jeden Moment jemand kommen würde, um ihn aufzuhalten, jemand versuchen würde, ihn niederzuschießen. Er behielt jedoch den einzigen Zugang im Auge, und er brauchte, ohne auch nur hinzuschauen, nur einen Schalter umzulegen – eine Sache von Sekundenbruchteilen. Annette sagte: »Das ist kein Gewäsch. Sie wissen, daß es mehr als Raketen brauchte, um den Mond zu besiedeln. Um eine erfolgreiche Kolonie möglich zu machen, mußten Menschen genetisch verändert und der niedrigen Schwerkraft angepaßt werden. Sie sind ein Produkt einer solchen genetischen Manipulation.« »Und?«
»Und kann nicht vielleicht genetische Manipulation dazu verhelfen, Menschen größerer Anziehungskraft anzupassen? Welches ist der größte Planet im Sonnensystem?« »Jupiter.« »Genau, Jupiter. Den elffachen Durchmesser der Erde – den vierzigfachen des Mondes. Die hundertzwanzigfache Oberfläche der Erde – die sechzehnhundertfache des Mondes. Bedingungen, die so verschiedenartig von allem sind, was wir bei Welten von der Größe der Erde oder bei kleineren antreffen, daß jeder Wissenschaftler jeder Couleur die Hälfte seines Lebens geben würde, um sie aus der Nähe beobachten zu können.« »Aber Jupiter ist ein unmögliches Ziel.« »Tatsächlich?« fragte Annette und brachte ein schwaches Lächeln zustande. »So unmöglich wie der Mond? So unmöglich wie Fliegen? Warum ist es unmöglich? Genetische Manipulation könnte Menschen kräftigere und dichtere Knochen, kräftigere und kompaktere Muskeln verschaffen. Dieselben Prinzipien, die Luna City gegen das Vakuum und Ozean-Tief gegen das Meer schützen, können auch das zukünftige Jupiter-Tief gegen seine Ammoniumumwelt schützen.« »Das Gravitationsfeld –« »Kann von nuklearen Schiffen, die bereits auf dem Reißbrett existieren, überwunden werden. Sie wissen das nicht, aber ich.« »Wir sind uns nicht sicher, wie tief die Atmosphäre reicht. Der Druck –« »Der Druck! Mr. Demerest, schauen Sie sich um. Warum, glauben Sie, wurde Ozean-Tief wirklich erbaut? Um den Ozean auszubeuten? Die Niederlassungen auf dem Kontinentalen Festlandssockel tun das zur Genüge. Um Erkenntnisse über den Grund der Tiefsee zu gewinnen? Wir könnten das leicht mit Bathyskaphen machen, und dann hätten wir die hundert Milliarden Dollar, die in Ozean-Tief investiert wurden, gespart haben können. Erkennen Sie nicht, Mr. Demerest, daß Ozean-Tief eine Bedeutung haben muß, die darüber hinausgeht? Der Zweck Ozean-Tiefs ist es, die
entgültigen Fahrzeuge und Mechanismen zu ersinnen, die Jupiter erforschen und kolonisieren werden. Schauen Sie sich um, und sehen Sie die Anfänge einer Jovianischen Umgebung – die größte Annäherung daran, die wir auf der Erde erreichen können. Es gibt einem nur eine schwache Vorstellung – aber es ist ein Anfang. Zerstören Sie dies, Mr. Demerest, und Sie zerstören jede Hoffnung auf Jupiter. Oder lassen Sie uns am Leben, und wir werden zusammen den leuchtendsten Stern im Sonnensystem erforschen und besiedeln. Und lange bevor wir die Grenzen Jupiters erreichen, werden wir bereit sein für die Sterne, für Planeten des Erdtyps, die sie umkreisen, und auch für Planeten des Jupitertyps. Luna City wird nicht aufgegeben werden, denn beide sind notwendig, um dieses entgültige Ziel zu erreichen.« Im Moment hatte Demerest den letzten Schalterdruck vollkommen vergessen. Er sagte: »Niemand in Luna City hat davon gehört.« »Sie nicht. Es gibt Leute in Luna City, die Bescheid wissen. Hätten Sie ihnen von Ihrem Zerstörungsplan erzählt, hätten sie Sie aufgehalten. Natürlich können wir dies nicht allgemein publik machen, und nur wenige Leute dürfen es wissen. Die Öffentlichkeit unterstützt nur mit Mühe die planetarischen Projekte, die jetzt laufen. Wenn das KPP knauserig ist, dann deshalb, weil die öffentliche Meinung seine Großzügigkeit beschränkt. Wie, glauben Sie, würde die Öffentlichkeit reagieren, wenn sie wüßte, daß wir auf Jupiter abzielen? Was für eine aufgeblasene Zeitvertrödelei das in ihren Augen wäre. Aber wir machen weiter, und was immer wir an Mitteln erhalten und verwenden können, wird in eine der zahllosen Facetten von Projekt Großer Planet gesteckt.« »Projekt Großer Planet?« »Ja«, sagte Annette. »Sie wissen jetzt Bescheid, und ich habe ein wichtiges Geheimnis ausgeplaudert. Aber es spielt keine Rolle, oder? Denn wir sind alle tot, und das Projekt ist es ebenfalls.« »Warten Sie, Mrs. Bergen.« »Wenn Sie Ihre Meinung jetzt ändern – glauben Sie nicht, daß Sie jemals
über Projekt Große Welt reden können. Das würde das Projekt so wirkungsvoll beenden wie eine Vernichtung hier. Es könnte das Ende für Luna City und auch für Ozean-Tief bedeuten – also macht es jetzt, da Sie es wissen, vielleicht ohnehin keinen Unterschied mehr. Sie könnten ebenso gut den Knopf drücken.« Demerests Stirn war zerfurcht, und seine Augen brannten vor Qual. »Ich weiß es nicht –« Bergen sammelte sich für den plötzlichen Sprung, als Demerests gespannte Wachsamkeit einer unsicheren Selbstprüfung wich, aber Annette faßte ihren Mann beim Ärmel. Ein zeitloses Intervall, das vielleicht zehn Sekunden andauerte, folgte, und dann hielt ihnen Demerest seinen Laser entgegen. »Nehmen Sie ihn«, sagte er. »Ich betrachte mich als unter Arrest stehend.« »Sie können nicht festgenommen werden«, sagte Annette, »ohne daß die ganze Geschichte herauskommt.« Sie nahm den Laser und gab ihn Bergen. »Es ist genug, wenn Sie nach Luna City zurückkehren und Stillschweigen bewahren. Bis dahin stellen wir Sie unter Bewachung.« Bergen war an den manuellen Kontrollen. Das Innentor glitt zu, und danach ertönte der donnernde Wasserschlag, als das Wasser wieder die Schleuse füllte. Ehemann und Ehefrau waren allein. Sie hatten nicht gewagt, ein Wort zu sagen, bis Demerest unter den wachsamen Augen zweier Männer, die zu diesem Zweck eingeweiht worden waren, in tiefen Schlaf versetzt worden war. Der unerwartete Wasserschlag hatte jedermann aufgeweckt, und ein frisierter Bericht des Zwischenfalls war in Umlauf gebracht worden. Die manuellen Kontrollen waren jetzt gelöst, und Bergen sagte: »Von diesem Moment an haben die manuellen Kontrollen pannensicher zu sein. Besucher werden durchsucht werden.« »O, John«, sagte Annette. »Ich glaube, die Leute sind wahnsinnig. Da waren wir und schauten unserem Tod, dem Tod von Ozean-Tief, einfach
dem Ende von allem, ins Angesicht. Und ich dachte unentwegt nach – ich mußte ruhig bleiben, ich durfte mir keinen Fehler leisten.« »Du bist ruhig geblieben. Du warst großartig. Ich meine, Projekt Großer Planet! Ich wäre nie auf so eine Idee gekommen, aber bei Jupiter, es ist ein fesselnder Gedanke. Wunderbar!« »Es tut mir leid, daß ich all das sagen mußte, John. Es war natürlich alles Schwindel. Ich habe es mir ausgedacht. Demerest wollte wirklich, daß ich mir etwas ausdenke. Er war kein Mörder oder Zerstörer – er war, gemessen an seinen eigenen überzogenen Maßstäben, ein Patriot. Und ich glaube, er hat sich selbst eingeredet, er müßte zerstören, um zu retten – eine Denkweise, die unter engstirnigen Leuten verbreitet genug ist. Aber er sagte, er würde uns Zeit geben, es ihm auszureden, und ich glaube, er hat gebetet, daß es uns gelingen würde. Er wollte, daß uns etwas einfällt, das ihm eine Entschuldigung geben würde, und wir gaben sie ihm. Es tut mir leid, daß ich dich narren mußte, John.« »Du hast mich nicht genarrt.« »Nicht?« »Wie könntest du? Ich wußte, daß du kein Mitglied des KPP warst.« »Was hat dich dessen so sicher gemacht? Die Tatsache, daß ich eine Frau bin?« »Keineswegs. Weil ich Mitglied bin, Annette, und das ist vertraulich. Und, wenn es dir nichts ausmacht, will ich einen Versuch machen, genau das in die Wege zu leiten, was du angedeutet hast – Projekt Große Welt.« »Gut!« Annette überdachte das und lächelte. »Gut! Frauen haben ihren Nutzen.« »Das«, sagte Bergen, der ebenfalls lächelte, »habe ich niemals bestritten.« Originaltitel: WATERCLAP. Aus IF, April 1970 Copyright © by Universal Publishing and Distributing Corporation