ULLSTEIN 2000
SCIENCE FICTION STORIES 67 Drei Erzählungen von James H. Schmitz
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein U...
56 downloads
1062 Views
754KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
ULLSTEIN 2000
SCIENCE FICTION STORIES 67 Drei Erzählungen von James H. Schmitz
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
Ullstein Buch Nr. 3338 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Aus dem Amerikanischen von Dolf Strasser
Umschlagillustration: Kelley Freas Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Copyright © 1960 by James H. Schmitz Alle Rechte vorbehalten Übersetzung © 1977 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1977 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03338 5
Äußerlich sah man ihnen ihre erstaunlichen Fähigkeiten nicht an, erst im Einsatz bewiesen die Zonen-Agenten der Wega-Konföderation, über welch außergewöhnliche Mittel auf geistigem und technologischem Gebiet sie verfügten, Iliff war einer von ihnen. Sein neuester Auftrag versprach, der schwierigste von allen zu werden. Von einem Planeten im Lycanno-Sonnensystem war ein ungewöhnlicher Fall von PersönlichkeitsÜbertragung gemeldet worden. Die darauf angesetzte Agentin hatte berichtet, daß hier eine unbekannte Macht von höchster geistiger Potenz am Werke sei, und Verstärkung angefordert. Größte Vorsicht war geboten, denn sobald der Unbekannte merkte, daß man sich für ihn und seine Pläne zu interessieren begann, würde er unbarmherzig zurückschlagen – mit allen seinen unberechenbaren geistigen Kräften. DREI AGENTEN-ABENTEUER IM WELTRAUM von James H. Schmitz
AGENT DER WEGA
»Wie die Dinge nun einmal liegen«, erklärte der Dritte Koordinator der Wega-Konföderation geduldig, »ist der Ortsagent der Zone siebzehn-zweiundachtzig im Augenblick nicht erreichbar. Bis er mit dem Hauptquartier hier Verbindung aufnimmt, wird auch noch mindestens eine Woche vergehen. Und da die Angelegenheit dringend ist und Sie gerade in der Gegend vorbeikommen, dachte ich an Sie.« »Ich mag diese kleinen Extrajobs, die ich jedesmal kriege, wenn Sie an mich denken«, kam es aus dem TelepathieTransmitter vor ihm. Die Stimme war die eines kleinen drahtigen Mannes mit gelben, ziemlich kalten Augen, der vor einem nur undeutlich wahrnehmbaren dunklen Hintergrund saß. Er hätte ein unbedeutender Krimineller oder der Kapitän eines alten Raumfrachters sein können. »Nach den letzten beiden Jobs«, fuhr er ironisch fort, »sandte ich Ihnen meinen Abschlußbericht aus dem Intensivbehandlungstank meines Schiffs, wenn ich mich recht erinnere. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß ich längst in meiner eigenen Zone zurück wäre, wenn Sie mich nicht in diese Richtung geschickt hätten – auf der Jagd nach einem Gerücht!« Mit einem offensichtlich gespielten Ausdruck hoffnungsvoller Erwartung beugte er sich nach vorn. »Doch nicht etwa wieder eine heiße Spur von U-1, oder?« »Nein, nein! Nichts dergleichen!« sagte der Koordinator besänftigend. Zonen-Agent Iliff, Zone sechsunddreißig-nullsechs, hieß es in seinen Unterlägen. Unbeschränkte
Verwendbarkeit; etwas reizbar… Es kam noch eine ganze Menge, unter anderem: U-1: Der Mißerfolgsschock des Agenten bezüglich dieses Subjekts hat sich in den letzten zwölf Jahren zu einem stark ausgeprägten Angstkomplex entwickelt. Der Agent kann nunmehr mit dem Abschluß dieses Falles betraut werden, sobald sich die Gelegenheit bietet. Für den Dritten Koordinator, der als Chef des Departements für die Galaktischen Zonen Iliffs unmittelbarer Vorgesetzter war, war das keinesfalls paradox. Er kannte die besonderen Qualitäten seiner Agenten und wußte, wie er sie am wirkungsvollsten einzusetzen hatte – solange sie ihm erhalten blieben. »Meiner Meinung nach«, erklärte er fröhlich, »ist U-1 seit Jahren tot.« »Das letzte Mal, als ich in seine Nähe kam«, widersprach Iliff, »erschien mir U-1 bei äußerst guter Gesundheit gewesen zu sein.« »Nun, das war vor zwölf Standard-Jahren«, murmelte der Koordinator. »Gäbe es ihn noch, dann hätte er uns in der Zwischenzeit einige Kopfschmerzen bereitet. Die Galaxie ist nicht groß genug, um ihm und der Konföderation gleichzeitig Platz zu bieten, hat er erklärt! Er ist nicht der Typ, der sich totstellt.« Er hielt inne. »Oder glauben Sie, Sie hätten ihm das letzte Mal seinen Superioritätswahn ausgetrieben?« »Kaum«, sagte Iliff. Die Stimme aus dem Transmitter war ebenso ruhig wie der sie tragende Gedanke. »Er hat mich damals ganz schön reingelegt. Für ihn war das sicher nicht mal ein ernsthafter Kampf.« Der Koordinator zuckte die Achseln. »Ja, ja. Jedenfalls – darum geht es jetzt nicht. Eigentlich handelt es sich um einen ziemlich einfachen Auftrag.« Iliff zuckte zusammen.
»Nein, das ist mein Ernst! Zu diesem Job ist vor allem Takt nötig – immer schon eine Ihrer Stärken, Iliff.« Das stimmte nicht ganz. Aber der Agent ging nicht darauf ein, und der Koordinator fuhr feierlich fort: »…und deswegen habe ich Ihnen alle Informationen über den Fall zukommen lassen. Ihr Schiff wird sie in etwa einer Stunde empfangen. Aber vielleicht haben Sie Fragen; deshalb ganz kurz: Vor zwei Wochen schickte die Interstellare Kriminalbehörde eine Operatorin zu einem Planeten namens Gull im System siebzehnzweiundachtzig – das ist ein Mono-Planetensystem in der Nähe von Lycanno, nicht weit von Ihrer jetzigen Route. Sie sind doch schon dort gewesen?« »Ja, einmal. Bevölkerung humanoid Klasse A. Politisch Klasse D… Wie weit ist Gull von hier entfernt?« »Etwa achtzehn Stunden bei normaler Geschwindigkeit. Diese Operatorin sollte einen ehemaligen Raumpiraten namens Tahmey identifizieren, der angeblich dort aufgetaucht war, und ihn ausschalten. Ein Routinefall, aber… Vor vierundzwanzig Stunden meldete die Agentin, die Identifikation sei nicht möglich… und verlangte nach einem Zonen-Agenten.« Er sah Iliff erwartungsvoll an. Beide wußten sehr wohl, daß die Exekution eines ehemaligen Raumpiraten nicht zu den Aufgaben eines Zonen-Agenten gehörte. Das war auch jeder Interstellaren Operatorin bekannt. Außerdem hätte ein solcher Vorfall zwangsläufig zur Folge haben müssen, daß die Behörde ihre Operatorin zwecks einer sofortigen Überprüfung ihrer geistigen Fähigkeiten mit anschließend mehrmonatigem Erholungsurlaub zurückrief, bevor sie mit einem anderen Auftrag betraut werden konnte. »Also?« fragte Iliff geduldig. »Die Sache ist nur…« erklärte der Koordinator, »die Operatorin ist eine der von uns ausgebildeten Lannai.«
»Ich verstehe«, sagte der Agent. Und er verstand tatsächlich. Die Lannai waren hochentwickelte Humanoiden und die ersten ihrer Art, die man einlud, der Wega-Konföderation beizutreten. Bis dahin war die Konföderation nur dem Homo Sapiens und einigen wenigen seiner Mutationen offengestanden. Die Einladung war vom Departement für die Galaktischen Zonen ausgesprochen worden, gegen den erbitterten Widerstand anderer Stellen. Es bestand die Absicht, das gleiche Vorrecht später auch allen anderen humanoiden und nichtmenschlichen Rassen einzuräumen, welche den Anforderungen der Konföderation genügten. Wie gewöhnlich lag dem Vorgehen der Behörde ein ganz praktisches Motiv zugrunde. Ihre Aufgabe war, soweit wie möglich jede Gefährdung der achtzehntausend bisher in ihren Zonen registrierten Zivilisationen zu verhindern und sie behutsam auf den Pfad von Recht und Ordnung zu führen. Es war eine langwierige und gefährliche Arbeit, bei der man sorgfältig jedes Aufsehen vermied, weil dabei – dem Geist wie auch dem Buchstaben nach – jeder der Nichteinmischungsverträge verletzt wurde, den die Konföderation je unterzeichnet hatte. Dazu kam, daß das Departement für diese Aufgabe geradezu lächerlich unterbesetzt war. Je mehr Rassen, Zivilisationen und politische Systeme es direkt an die Konföderation binden konnte, desto geringer war die Anzahl solcher Systeme, die dieser – zwangsläufig unzureichenden – Beaufsichtigung bedurften. Man bemühte sich, die Bestimmungen über die Mitgliedschaft in diesem Supersystem der Wega großzügig auszulegen. Dennoch blieb jede gefährliche Abweichung von im Wega-System herrschenden Ideen ausgeschlossen.
Und wenn die Behörde dann bei der Verfolgung ihrer titanischen Projekte Gebrauch von den oft erstaunlichen Fähigkeiten nichtmenschlicher Wesen machen konnte… Das Departement leckte sich gleichsam die Lippen. Entsprechend ihrer Verwurzelung in alten Rassenvorurteilen war die Opposition gegen dieses Vorhaben stark und erbittert. Die Traditionalisten, die hauptsächlich im Kulturdepartement zu finden waren, wollten mit Rassen, die ihren Ursprung nicht zu Terra selbst zurückverfolgen konnten, nichts zu tun haben. Nichtmenschliche Wesen hatten in den jahrhundertelangen erbarmungslosen Kämpfen, welche das erste Galaktische Reich der Menschen geschwächt und schließlich zerstört hatten, eine wichtige Rolle gespielt. Daß die Menschheit wie gewöhnlich selbst dafür verantwortlich war, und daß ihre grimmigsten Feinde unter denen zu finden waren, welche die gleiche entfernte Verwandtschaft mit terranischen Wesen beanspruchen konnten, tat diesem Standpunkt keinen Abbruch, demgemäß Wesen jeglicher anderen Art automatisch von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren. Im Hohen Rat der Konföderation hatte das Kulturdepartement, hinter dem eine konservative Mehrheit der Konföderierten stand, natürlich erheblichen Einfluß. Noch ein wenig mehr Einfluß hatte allerdings das Departement für Galaktische Zonen – obwohl unter fünfzigtausend Bürgern kaum einer von seiner Existenz wußte, und trotz des Umstandes, daß seine Motive und Ziele nicht öffentlich diskutiert werden konnten. Die Lannai gehörten also dazu: – auf Probe. »Wie Sie sich denken können«, sagte der Dritte Koordinator verdrießlich, »haben sich die Lannai nicht gerade ein Bein ausgerissen, um bei uns aufgenommen zu werden. Vielmehr hatte es ihre Regierung mit einer fast ebenso großen
öffentlichen Opposition zu tun wie wir. Insgesamt scheinen sie ja um einiges begabter zu sein als wir. Hochentwickelte Telepathen, wissen Sie. Mit denen kommen wir meistens am besten aus.« »Und was macht diese Operation bei der Interstellaren Kriminalbehörde?« wollte Iliff wissen. »Wir haben in fast jede Regierungsstelle ein paar Lannai gesetzt – in den Galaktischen Zonen natürlich nicht! Wir wollen nämlich beweisen, daß Lannai und Menschen gemeinsam arbeiten und Verantwortung tragen können – kurz, daß wir von Natur aus Verbündete sein müßten.« »Und der Beweis ist gelungen?« »Kann man jetzt noch nicht sagen. Die Leute, die man uns geschickt hat, sind selbstverständlich sorgfältig ausgewählt. Und diese Interstellare Operatorin gehört zweifellos zu den Besten. Sie ist mit dem fünfthöchsten Lannai-Herrscher verwandt. Das wäre natürlich ein Nachteil, wenn sie unter großer Belastung versagt hätte. Es könnte ihren Stolz so sehr verletzen, daß das Verhältnis empfindlich gestört würde. Und der Kultur-Koordinator könnte dann im Rat wieder große Reden schwingen!« »Ja, das ist unangenehm«, räumte Iliff ein. »Da braucht es viel Takt. Aber den haben Sie ja.« »Durchaus«, stimmte der Koordinator zu. »Aber wenn ich nicht zuviel Gebrauch davon machen müßte, wäre es mir lieber. Also… wenn Sie irgendeine Möglichkeit sähen, diese kleine Affäre auf Gull diskret zu regeln… Übrigens, da Sie ja dann nicht weit entfernt von Lycanno sind… dort soll es neuerdings eine unerwünschte politische Strömung geben. Innerhalb von zehn Jahren sind sie politisch von D auf H zurückgefallen. Näheres erfahren Sie vom Ortsagenten auf Gull. Vielleicht schauen Sie dort vorbei und bringen auch diese Sache in Ordnung.«
»Also schön«, sagte Iliff kühl. »In meiner eigenen Zone werde ich in den nächsten Stunden noch nicht gebraucht. Nicht dringend.« »Das Laboratorium hat eine neue Gedankenabschirmung, die Sie testen sollen«, fuhr der Koordinator fort. »Auch die werden Sie auf Gull finden.« Es gab eine kurze Pause. »Sie erinnern sich doch«, fragte der Agent in mildem Ton, »was das letzte Mal passierte, als ich einen dieser Apparate einem Versuch mit einem Gehirn hohen Potentials unterzog?« »Ja, natürlich! Aber wenn diese Konstruktion funktioniert«, erklärte der Koordinator in fast schwärmerischem Ton, »dann haben wir etwas, was wir wirklich brauchen. Und bis ich weiß, daß es wirklich funktioniert, und zwar unter extremer Belastung, kann ich die Sache nicht freigeben. Ich habe hundert Agenten für den Versuch ausgewählt.« Er seufzte. »Theoretisch kann dieser Schild jedes vorstellbare geistige Potential in jeder nur denkbaren Streß-Situation abschirmen und dennoch eine beinahe normale Arbeitsweise sicherstellen. Unter Laboratoriumsbedingungen«, schloß er in ermutigendem Tonfall, »sind Tests unter höchster Belastung erfolgreich verlaufen…« »Ja, wie immer«, erwiderte Iliff ohne merklichen Enthusiasmus. »Nun, ich werde ja sehen.« »Gut!« rief der Koordinator sichtlich erleichtert. »Natürlich wollen wir nicht, daß Sie irgendwelche unnötigen Risiken eingehen…« Noch Minuten, nachdem der Schirm seines TelepathieTransmitters nur noch in seinem normalen, schwachgrünen Schein schimmerte, starrte Iliff darauf.
Auf Jeltad, dem vierzehntausend Lichtjahre entfernten Hauptplaneten der Konföderation, wandte der Koordinator seine Aufmerksamkeit irgendeiner anderen scheinbar unendlich unwichtigen, aber doch nicht unbedeutenden Krisis an der Peripherie des Departements zu. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er an Iliff oder an Zone siebzehnzweiundachtzig erst wieder denken, wenn Iliffs Abschlußbericht kam – oder aber innerhalb des von den Computern des Departements eingeräumten Zeitraums nicht eintraf. In beiden Fällen würde sich das Gehirn des Koordinators für die nötigen Sekunden, Minuten oder – wenn erforderlich – sogar Stunden von neuem diesem Problem zuwenden. Es war eines der drei oder vier menschlichen Gehirne in der Galaxie, vor denen Zonen-Agent Iliff so etwas wie Respekt hatte. »Wie weit noch bis Gull?« fragte er, ohne den Kopf zu wenden. Schräg hinter ihm schien sich eine Stimme zu formen. »Etwas über acht Stunden bei Dauergeschwindigkeit…« »Sobald wir den Bericht der Taube von Jeltad haben, beschleunigen Sie, so daß wir es in vier Stunden schaffen«, sagte Iliff. »Die Taube ist eben angekommen«, antwortete die Stimme. Sie war nicht laut, aber seltsam voluminös, und hatte etwas wie die Obertöne eines gewaltigen Bronzegongs. Gleichzeitig klang sie wie eine hallende Verstärkung von Iliffs eigener Stimme. Der Agent wandte sich einem Bildschirm zu, auf dem ein torpedoähnlicher, gut sechs Meter langer Metallzylinder erschienen war, der im Raum schwebte und sich langsam um seine Achse drehte. Das Objekt befand sich in Wirklichkeit etwa sieben Kilometer vom Schiff entfernt – das war der bei einer heimkehrenden Taube einzuhaltende Sicherheitsabstand
– und folgte ihm in gleichbleibendem Abstand, getrieben nur von seinem unwiderstehlichen Drang, wieder zu seinem »Nest« zu gelängen, dessen Kennzeichen seinen Molekülen eingeprägt waren. Das Nest war auf Iliffs Schiff. Dennoch würde die Taube es nie erreichen. Niemand wußte, welche Subdimensionen sie unterwegs durchmessen und welche Veränderungen sie inzwischen durchgemacht hatte. Aber frühere Experimente hatten, sobald sich im Normalraum auch nur der leichteste Kontakt mit irgendwelcher festen Materie ergab, zu verheerenden Explosionen geführt. Deshalb wurde sie jetzt auf sicherer Entfernung gehalten, während das Schiff die Informationen abnahm. Dann blitzte ein tödlicher Strahl vom Schiff zur Taube, und im nächsten Augenblick, war sie verschwunden. Iliff hatte sich in Dossiers versenkt. Als das Schiff die Zone siebzehn-zweiundachtzig erreichte, ließ sich die Stimme vernehmen: »Drei Stunden bis Gull.« »Gut«, antwortete Iliff geistesabwesend. Fast eine weitere Stunde verging, bis er sagte: »Sende ihr das. Gull ist jetzt wohl nahe genug.« Er stand auf, streckte sich und gähnte. »Weißt du«, bemerkte er plötzlich, »es wundert mich gar nicht, daß die Gute wirklich Schwierigkeiten hat. Ich meine…’ vielleicht braucht sie tatsächlich einen Zonen-Agenten.« »Wird das wieder so ein kitzliger Auftrag?« fragte die Stimme. »Wie immer, wenn der Mann etwas für uns heraussucht. Was war das?« Einen Augenblick herrschte Stille. Dann sagte die Stimme: »Sie hat deine Nachricht erhalten. Sie erwartet dich.« »Ging schnell!« lobte Iliff. »Jetzt hör zu. Auf Gull spielen wir den alten Händler Casselmath mit seinen exotischen
Parfüms. Bereite dich also auf deine Rolle vor – aber verschütte diesmal nichts von dem teuren Zeug.«
Der Name des Verdächtigen war Deel. Seit zehn Jahren war er ein respektierter – und respektabler – Bürger und Kaufmann auf dem Monoplanetensystem von Gull. Man nahm an, daß er von seinem Geburtsort, Planet Vier im Nachbarsystem Lycanno, hergekommen war. Aber die Mikrostrukturanalysen, die die Operatorin vorgenommen hatte, bewiesen, daß es sich bei ihm um den Piraten Tahmey handelte, der, wie anzunehmen war, einmal bei den berüchtigten »Ghant Spacers« eine nicht ganz unbedeutende Rolle gespielt hatte. Der Interstellaren Kriminalbehörde war er kein Unbekannter; und deren kriminologisches Dogma besagte, daß mikrostrukturelle Identifizierung absolut sicher war. Organische Strukturen konnten nicht ohne Zerstörung des Organismus redupliziert oder in größerem Maße verändert werden. Die Operatorin gehörte einer telepathisch veranlagten Spezies an und war auf Grund besonderen Trainings auf diesem Gebiet überdurchschnittlich befähigt. Für eine Lannai verstand es sich von selbst, daß sie die technischen Hilfsmittel einer anderen Rasse einer skeptischen Prüfung unterzog. Wäre sie keine solche Expertin gewesen, sie wäre schon beim ersten Versuch geistiger Ausforschung ertappt worden. Der Geist, den sie analysieren wollte, wurde abgeschirmt. Durch wen oder was – das war eine Frage, die sie nicht beantworten konnte. Es gab da mehrere dieser »Wachhunde«. Ihre Gedanken zogen sich von ihnen zurück, bevor sie deren Aufmerksamkeit erregen konnten. Sie umgingen sie geschickt und durchbrachen Deel-Tahmeys einfache elektronische Gedankenschilde. Solche Schilde waren ein gängiger Artikel;
sie sollten Leute mit nur durchschnittlichem mentalem Training gegen telepathische Kräfte normaler Größenordnung abschirmen und taten das auch. Gegen die telepathischen Kräfte dieser Lannai jedoch waren sie völlig wirkungslos. Beinahe schockiert stellte sie fest, daß es sich keineswegs um Tahmeys Geist handelte! Dies war der Geist des Mannes namens Deel – seit zehn Jahren Bewohner Gulls, vorher des benachbarten Systems Lycanno. Zumindest für sie war diese Tatsache ebenso unbestreitbar wie die mikrostrukturellen Beweise, die nur den gegenteiligen Schluß erlaubten. Hier handelte es sich nicht um eine künstlich zusammengefügte Gedankenstruktur aus Erinnerungen und Verhaltensmustern. Dies war die lebendige, gereifte Geistespersönlichkeit Deels. Selbst auf Psychochirurgie – für einen Mann in Deels Alter und Situation völlig normal – wiesen nur wenige Anzeichen hin. Aber wenn er wirklich Deel war – warum sollte dann jemand ein Interesse daran haben, diese unwichtige Person telepathisch zu überwachen? Sie überlegte, ob sie sich näheren Aufschluß über diese Hintermänner verschaffen sollte. Aber die Aura kalter, unerbittlicher Wachsamkeit, der sie bei ihrem ersten zufälligen Beinahe-Kontakt mit ihnen begegnet war, ließ sie davon Abstand nehmen. »Ich hatte ja auch keine Möglichkeit, das Potential abzuschätzen, über das sie verfügen«, schloß sie entschuldigend ihren Bericht. »Nein«, stimmte Iliff zu. »Aber ich glaube nicht, daß es das war, was Sie abhielt.« Die Lannai-Operatorin sah ihn nachdenklich an. Ihr Name war Pagadan. Obwohl nicht mit der menschlichen Rasse verwandt, war sie für menschliche Augen ein höchst anmutiges Geschöpf. Einigermaßen erstaunlich, wenn man bedachte, daß ihr Interstellares Dossier sie als Kämpfertyp einstufte – was
zumindest eine gewisse Rücksichtslosigkeit einschloß – und daß ihre Aufgabe auf Gull unter anderem darin bestand, Exekutionen durchzuführen. »Wie meinen Sie das?« fragte sie in einem Ton freundlicher Verwunderung. »Ich meine«, sagte Iliff, »daß ich jetzt ganz gern die Einzelheiten hören möchte, die Sie dem Koordinator nicht mitgeteilt haben. Beginnen wir mit Lycanno.« »Ah, ich verstehe«, sagte Pagadan. »Ja, ich war dort, natürlich…« Plötzlich lächelte sie und erschien ihm auf einmal außerordentlich schön, obgleich ihre riesigen silbrigen Augen mit ihren quadratischen schwarzen Pupillen, deren Größe mit jeder Stimmungsveränderung wechselte, hergebrachten menschlichen Schönheitsvorstellungen nicht entsprachen. Das gleiche galt für ihr silbrig schillerndes Haar, das an hauchzarte Federn erinnerte. Aber der Gesamteindruck, stellte Iliff fest, war irgendwie doch der einer bemerkenswert attraktiven Menschenfrau. Den Berichten zufolge, die er gelesen hatte, hatte sie diesen Eindruck auch bei Leuten mit wesentlich konservativerem Geschmack als dem seinen erweckt. »Sie sind ganz clever, Zonen-Agent«, sagte sie nachdenklich. »Nun, warum soll ich nicht aufrichtig sein? Hätte ich alles, was ich über diesen Fall weiß, berichtet – allerdings habe ich aus Gründen, die ich Ihnen noch nennen werde, sehr wenig herausgefunden –, hätte mich die Interstellare Kriminalbehörde mit Sicherheit zurückgerufen. Sie ist wild entschlossen, dafür zu sorgen, daß mir bei meiner Arbeit nichts zustößt.« Sie sah ihn zweifelnd an. »Sie wissen ja, daß ich als Lannai im Augenblick von spezieller politischer Bedeutung bin?« Iliff nickte. »Gut. Also: Auf Lycanno stellte ich fest, daß der Fall für mich allein tatsächlich ein wenig zu kompliziert war.« Ihre
schwarzen Pupillen weiteten sich – wahrscheinlich eine Erinnerung an überstandene Schrecken. »Aber ich wollte nicht, daß man mich zurückrief. Meine Leute werden die vorgeschlagene Allianz nur akzeptieren, wenn sie an ihren Unternehmungen und an ihrer Verantwortung teilhaben können. Schutz verlangen sie nicht, und es würde keinen sehr guten Eindruck auf sie machen, wenn sie erführen, daß wir, die ersten Vertreter ihrer Art bei Ihnen, eines Auftrags entbunden wurden, sobald ein persönliches Risiko für uns dabei war.« »Ich verstehe«, sagte Iliff ernsthaft. Er erinnerte sich, daß sie königlichen Geblüts war, und schüttelte den Kopf. »Das Departement«, sagte er, »hat es wohl nicht ganz leicht mit Ihnen.« Pagadan lachte. »Manchmal findet man mich schon ein wenig schwierig. Trotzdem, ich kann mich unterordnen. Aber in diesem Fall schien es mir wichtiger, nicht wieder ›beschützt‹ zu werden, sondern als vernünftig und absolut zuverlässig zu erscheinen. Also machte ich zum ersten Male von meinem Sonderstatus Gebrauch und bestand darauf, daß man einen Zonen-Agenten hierher schickte. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß sich der Fall zu einem Unternehmen entwickelt hat, das die volle Ausschöpfung der Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten eines Zonen-Agenten erfordert.« »Schön«, entgegnete Iliff achselzuckend, »da bin ich also. Was haben Sie auf Lycanno erfahren?« »Es gab eindeutige Hinweise darauf, daß in den Jahren, wo Tahmey im Weltraum seinem verbrecherischen Treiben nachging, der Mann namens Deel auf dem Vierten Planeten des Lycanno-Systems lebte, dessen atmosphärische Hülle er wegen einer ausgeprägten Raumpsychose kaum jemals verließ.«
Diese Information hatte Pagadan zum Teil aus amtlichen Dokumenten, zum größeren Teil hingegen aus den unbewußten Erinnerungen von etwa zweihundert Leuten, die mit Deel in mehr oder weniger enge Berührung gekommen war. Die Untersuchung schien zweifelsfrei zu erweisen, daß Deel in der fraglichen Zeit auf Lycanno gelebt hatte. Ungeklärt blieb jedoch, wie es zu der phantastischen Wesensidentität mit dem Piraten Tahmey hatte kommen können. Der Deel, an den man sich erinnerte, war ein großer, blonder, gesunder, gutmütiger und doch cleverer Mann gewesen; körperliche und psychische Details waren wegen der ungeübten Wahrnehmungsfähigkeit derjenigen, die sich an ihn erinnerten, vielfach verzerrt. Die Beschreibung hätte – besonders nach so langer Zeit – genausogut auch auf Tahmey passen können. Oder genausowenig. Weiter war sie in dieser Hinsicht nicht gekommen. Die Behörden waren lax auf Lycanno, und die präzise Identifizierung einzelner Bürger auf Grund von Mikrostrukturen oder dergleichen gab es dort nicht. Deel war dort geboren, aufgewachsen und beruflich erfolgreich gewesen. Dann hatte ein Konkurrent sein Geschäft ruiniert, und man gab ihm zu verstehen, daß man einem Neuaufbau auf diesem Planeten nicht zustimmen würde. Er hatte geschäftlich Verbindungen mit Gull; und nach einem Intensivtraining gegen seine Raumpsychose wagte er die kurze Reise und hatte sich auf Gull alsbald wieder in die Höhe gearbeitet. Das war alles. Abgesehen davon, daß aus seiner physischen Ähnlichkeit mit Tahmey irgendwann absolute physische Identität geworden war. »Natürlich ist mir klar, daß die Reduplikation einer lebenden Person in einem anderen Körper fast ebenso unmöglich ist wie die Existenz eines mikrostrukturellen Doubles. Andererseits
muß dieser Tahmey-Deel allem Anschein nach entweder das eine oder das andere sein.« »Oder aber«, knurrte Iliff, »es gibt eine dritte Möglichkeit, an die wir noch nicht gedacht haben. Mehr und mehr sieht das wie einer der Fälle aus, die ich am liebsten sofort vergessen würde. Nun, was taten Sie weiter?« »Wenn es im Lycanno-System einen Biopsychologen gab, der insgeheim irgendeine Methode des Persönlichkeitstransfers entwickelt haben könnte, dann mußte er wohl einer der herausragenden Vertreter seines Faches sein. Ich fing also an, Personen, die einen solchen Mann vielleicht kennen mochten, mental zu untersuchen.« »Und… haben Sie ihn gefunden?« Sie schüttelte den Kopf und lächelte ein wenig verlegen. »Er fand mich – zumindest muß man das annehmen. Ich verfolgte einige vielversprechende Spuren, ein halbes Dutzend Namen insgesamt. Und dann… ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll… dann wußte ich von einem Augenblick auf den anderen, daß ich… von einem anderen Geist gesucht wurde. Von einem außerordentlich machtvollen Geist, dem mein Vorhaben völlig klar zu sein schien und auch die Mittel, die ich anwandte… der eigentlich alles über mich wußte bis auf meinen genauen Standort in diesem Augenblick. Und der Schock dieser Erkenntnis sollte wohl bei mir dazu führen, daß ich mich verriet…« »Und Sie verrieten sich nicht?« »Nein«, lachte sie nervös. »Aber der Schock führte zu einer Art Bewußtseinsstörung. Drei Tage dauerte sie und endete erst, als ich bereits auf dem Rückweg nach Gull war – als Passagier auf einem gewöhnlichen Linienschiff! Mein eigenes Schiff hatte ich auf Lycanno gelassen, um meine Flucht zu tarnen… Aber ich erinnere mich natürlich an nichts.«
»Da war ein Geist von einigem Potential hinter Ihnen her«, sagte Iliff langsam. Diese Bewußtseinsstörung – als Akaba bezeichnet – war eine Verteidigungsmaßnahme. Die Theorie der Wissenschaftler des Departements war, daß unter der Belastung einer psychischen Fremdeinwirkung, die den betroffenen Telepathen zu überwältigen drohte, eine Art Übergeist eingriff und die Rettung des Individuums, wenn sie überhaupt noch möglich war, mit geradezu mechanischer Zuverlässigkeit betrieb. Natürlich war das nur eine Theorie, da der Übergeist, wenn es ihn gab, nicht die geringsten Spuren seines Wirkens hinterließ – bis auf diese Erinnerungslücken. Aus irgendeinem mysteriösem Grund griff der Übergeist niemals ein, sobald der bedrohte Telepath durch den Angreifer physisch lokalisiert worden war. Einen Augenblick lang starrten die beiden einander nachdenklich an und mußten dann gleichzeitig lächeln. »Glauben Sie jetzt«, sagte Pagadan, »daß diese Aufgabe der Bemühungen eines Zonen-Agenten der Wega und seiner Spezialisten wert ist?« »Das fürchtete ich von Anfang an«, erwiderte Iliff. »Aber Sie scheinen ja viel mehr über die Galaktischen Zonen zu wissen, als man eigentlich annehmen sollte. Das mit unseren Spezialisten zum Beispiel ist eine Information, die nur ›vom Zonen-Agenten aufwärts‹ zugänglich ist. Woher haben Sie die?« »Ich bekam sie auf Jeltad – auf einer Ebene oberhalb der des Zonen-Agenten«, antwortete Pagadan ausweichend. »Der Anlaß war ein gesellschaftlicher. Nun, alles Erforderliche wissen Sie jetzt. Wann wollen Sie sich mit Deel befassen? Ich kenne ihn flüchtig und könnte jederzeit ein Treffen arrangieren.« Iliff rieb sich das Kinn. »Nun, was das anbetrifft…« sagte er »…als Kaufmann Casselmath suchte ich unmittelbar nach der
Landung ein paar von Deels Geschäftspartnern auf. Sie waren recht angetan von den Parfüms, die ich ihnen zeigte – Casselmath hat ganz ausgezeichnete Ware, wissen Sie, wenn sie auch ziemlich teuer ist. Deel kam dann auch hinzu. Vielleicht interessiert es Sie, daß er jetzt eine neue Art von Gedankenschild benutzt.« Sie war nicht überrascht. »Natürlich… seine Überwacher waren von Lycanno gewarnt worden. Dort wußte man, daß ich hinter Deel herspionierte.« »Aber das zeigt doch, daß dieses Gehirn auf Lycanno Sie nicht zu identifizieren vermocht hatte; offenbar wartete es, bis Sie hier auf Gull wieder mit Ihren Nachforschungen anfingen. Der Gedankenschirm Deels war so programmiert, daß er bei Außenberührungen Alarm auslöste. Das konnte Casselmath natürlich nicht wissen. Er probierte in aller Unschuld aus, ob man Deel und seine Kollegen im Parfümgeschäft ein bißchen übers Ohr hauen könnte.« Sie beugte sich vor und sah ihn mit ihren großen, schwarzen Pupillen erwartungsvoll an. »Und was passierte?« Iliff zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes. Aber es kam sehr bald jemand, der sich Casselmath vornahm. Aber der alte Knabe tat so, als merkte er es nicht. Natürlich stellte sich heraus, daß er harmlos ist.« Pagadan runzelte ein wenig die Stirn. »Nein«, sagte Iliff, »es war nicht das Gehirn von Lycanno. Es waren Helfer, wenn auch sehr clevere – wahrscheinlich dieselben, die schon auf Posten waren, als Sie sich zum erstenmal an Tahmey-Deel heranmachten. Aber jetzt sind sie alarmiert, und ich glaube nicht, daß wir weitere Ermittlungen bei Deel anstellen können, ohne bemerkt zu werden. Aber allem Anschein nach sind die Antworten auf unsere Fragen ohnehin auf Lycanno zu finden.«
Sie nickte langsam. »Das glaube ich auch. Wir müssen also dorthin!« Iliff schüttelte den Kopf. »Nur einer von uns«, korrigierte er sie. Und bevor sie ihren Unwillen artikulieren konnte, fügte er hinzu: »Zu meiner Sicherheit wie zu der Ihren. Das Gehirn auf Lycanno hat inzwischen zweifellos eine ziemlich genaue Vorstellung von Ihrer mentalen Struktur. Sie könnten sich ihm also nicht unentdeckt nähern. Sind wir zusammen, dann werde ich auch entdeckt.« Sie überlegte, zuckte auf ganz menschliche Art die Achseln und gestand: »Sie haben wohl recht. Was soll ich also tun?« »Sie beobachten diskret – – sehr diskret – Deel und seine Wächter. Wie Deel es fertigbringt, gleichzeitig Tahmey zu sein – oder ein Teil von ihm – ist etwas, was das Gehirn von Lycanno uns erklären muß. Und wenn es, wie anzunehmen ist, etwas zu verbergen hat, dann will es vielleicht den lebenden Beweis verschwinden lassen. Versuchen Sie also, Deel auf der Spur zu bleiben. Aber bitte keine direkten Aktionen, bis ich von Lycanno zurück bin – unter keinen Umständen.« Die silbrigen Augen mit den schwarzen Pupillen studierten ihn neugierig. »Wird das nicht eine ganze Weile dauern?« fragte Pagadan mit so starker Selbstkontrolle, daß er fast nicht bemerkte, wie dieses politisch wichtige, temperamentvolle nichtmenschliche Wesen wieder zornig wurde. »Nach allem, was wir über das Gehirn von Lycanno wissen, handelt es sich da um keinen ganz leichten Fall«, gab er zu. »Ja… es kann schon zwei Tage dauern.« Die Lannai holte tief Atem. »Ich hoffe, Sie überschätzen sich nicht«, sagte sie leise. »Aber ich traue Ihnen fast zu, daß Sie es in zwei Tagen schaffen.« »Aber ja«, versicherte ihr Iliff, »mit meinem Schiff voll Spezialisten.« Er stand auf und sah ohne zu lächeln auf sie herab. »Sobald Sie mir also verraten haben, was Sie über diese
Top-Biopsychologen auf Lycanno in Erfahrung gebracht haben, starte ich.« Sie nickte. »Aber zwei Fragen möchte ich Ihnen noch stellen. Die eine ist: Warum haben Sie den ganzen Abend versucht, meine Gedankenschilde zu durchdringen?« »Es ist immer gut, möglichst viel über seinen Partner zu wissen«, antwortete Iliff ohne Umschweife. »Ihre Gedankensperren sind sehr gut. Ich habe kaum etwas mitbekommen.« Ihr Widerspruchsgeist erwachte. »Gar nichts!« rief sie. »O doch. Ein wenig schon… Als Sie vom Stolz der Lannai sprachen und sagten, daß Sie nicht beschützt werden wollen. Da waren Sie einen Moment lang nicht auf der Hut…« Langsam verdrängte er den eingefangenen Gedanken: Das Bild einer Stadt in der Morgendämmerung – dunkle, spitze Dächer und schlanke Türme vor einem flammenden Himmel. »Das ist Lar-Sancaya die Schöne – meine Stadt, mein Heimatplanet«, sagte Pagadan. »Ja, das war mein Gedanke. Jetzt erinnere ich mich.« Sie lachte. »Sie sind wirklich ein raffinierter kleiner Mann, Zonen-Agent! Und welche Information konnten Sie daraus entnehmen?« Iliff zuckte die Achseln. Er steckte noch in der Gestalt des alten Casselmath, des fetten, skrupellosen kleinen terranischen Händlers, dessen Wanderungen durch die Galaxie so oft mit dem Verschwinden von unerwünschten, vorher unverwundbaren Bürgern zusammenfielen, mit dem unerklärbaren Umschwung kriegerischer Tendenzen und dem Sturz korrupter Regierungen. Eine erfahrene, zynische, habgierige und irgendwie lächerliche Figur. Sehr wenige nahmen Casselmath ernst. »Nun, zum einen, daß die Lannai Patrioten sind«, sagte er mit düsterer Miene. »Das macht sie natürlich zu einer potentiellen
Gefahr. Im großen und ganzen bin ich recht froh, daß Sie auf unserer Seite sind.« Sie lächelte. »Ich auch – im großen und ganzen. Aber jetzt möchte ich gern, daß Sie meine zweite Frage beantworten. Was erzeugte diesen kleinen Schock in Ihrem Nervensystem, als ich Tahmeys wahrscheinlich frühere Verbindung mit den ›Ghant Spacers‹ erwähnte?« Casselmath rieb sich nachdenklich die schiefe Nase. »Eine lange, traurige Geschichte«, sagte er schließlich. »Aber wenn es Sie interessiert… Vor einigen Jahren war ich hinter keinem Geringeren als dem Boss dieser Bande her, dem großen U-1. Sie erinnern sich – das war kurz nachdem es der Konföderation gelungen war, den entscheidenden Schlag gegen die Schiffe der ›Ghants‹ zu führen – Sie erinnern sich doch? Jedenfalls glaubte ich damals, endlich nahe genug an ihn herangekommen zu sein, um seine Gedanken zu sondieren – pfff!« »Da sind Sie wohl abgeblitzt.« »Der Kerl wußte die ganze Zeit, daß ich hinter ihm her war, und hatte mir eine Falle gestellt. Ich brauchte fremde Hilfe, um da wieder herauszukommen, und es dauerte ein halbes Jahr, bis ich wieder arbeiten konnte – so hatte der Kerl mir mitgespielt. Aber das ist lange her«, schloß Casselmath bedrückt. »Jedenfalls… wenn es um U-1 oder die ›Ghant Spacers‹ geht, oder um irgend etwas, was auch nur im entferntesten damit zu tun hat… da packt mich die Wut.« Pagadan studierte ihre schimmernden Nägel und lächelte süß. »Zonen-Agent Iliff, ich bringe Ihnen die gewünschten Unterlagen – und dann können Sie sich an die Arbeit machen. Und in Zukunft weiß ich natürlich, was ich tun muß, um Sie ein bißchen in Rage zu bringen.« Massig und ausdruckslos saß er an seinem Schreibtisch und fuhr sich mit den beringten Fingern langsam durch seinen Bart
– einen prächtigen schwarzen, modisch gekräuselten Spitzbart. Seine Augen waren nicht weniger schwarz als sein Bart, aber so merkwürdig glanzlos, daß man ihn oft für blind hielt. Seit langer, langer Zeit wußte er zum erstenmal wieder, was Angst war. Aber die fremdartige Vorstellung war ihm nicht bis unter die Kuppel gefolgt – hier zumindest konnte er seinen Schutzvorrichtungen trauen. Er griff unter sein weites schwarzes Obergewand und holte einen silbrig glänzenden Gegenstand von konischer Form hervor. Vorsichtig stellte er den kleinen Verstärker auf die Schreibtischplatte, lehnte sich zurück, faltete die Hände über dem Bauch und schloß die Augen. Fast auf der Stelle begannen die aufgezeichneten Gedankenimpulse. Sie waren so schwach, so unpersönlich, daß selbst jetzt, wo er ihre aufgezeichneten Spuren in Ruhe verfolgen konnte und sie sich nicht zurückzogen, sobald er sich darauf konzentrierte, nur eine ganz oberflächliche Analyse möglich war. Und dennoch hatten diese scheinbar harmlosen Gedanken ungeschützten Teil seines Geistes ausgeforscht… fast eine Stunde lang, bevor er es bemerkt hatte… Und in dieser Zeit konnte er alles mögliche verraten haben! Die Juwelen an seinen Fingern schossen zornige Blitze, als er den Verstärker vom Tisch wischte, daß er gegen die Wand flog. Als er zu Boden fiel, sandte er zischend purpurne Funken aus, die dann wieder erloschen. Die Gedankenimpulse waren verstummt. Der Bärtige starrte auf den zerbrochenen Verstärker. Langsam, unmerklich fast, veränderte sich sein Ausdruck. Dann lachte er leise. Obwohl er dieses menschliche Gehirn für seine Zwecke modifiziert hatte, nachdem er es und den es beherbergenden Körper übernommen hatte, im Gründe blieb es, was es immer
gewesen war. Sobald er die Zügel lockerte, fiel es automatisch in die alten Bahnen der Gefühlsreaktion zurück. Er hatte es gezwungen, nachdem er sich darin festgesetzt hatte, jede seiner rudimentären Fähigkeiten so stark zu entwickeln, bis es jedem anderen Exemplar seiner Art weit überlegen war. Kein menschliches Gehirn, und mochte es noch so begabt sein, konnte sich mit einem vergleichen, das den Vorteil hatte, Wirtsorganismus eines Ceetal-Parasiten zu sein. Nicht einmal er, der Ceetal selbst, war diesem hypertrophen menschlichen Intellekt vergleichbar – er kontrollierte ihn nur, wie ein Mensch eine Maschine dirigiert, die auf einem bestimmten Gebiet um ein Vielfaches mehr leistet als er selbst. Hätte er freilich vorher die menschliche Rasse besser gekannt, dann hätte er sich einen besser geeigneten Wirtsorganismus ausgesucht. Dieses Exemplar war höchst mittelmäßig und stach allenfalls durch seine Tücke hervor; und diese Tücke war mit den gesteigerten Fähigkeiten des Gehirns noch gewachsen. Das Gehirn eines Titanen im Körper eines Affen! Und beim ersten Anzeichen von Gefahr brachen die Urinstinkte eines Tieres hervor, lösten schuldbewußte Panik aus, und der Gemütszustand schwankte zwischen heilloser Angst und sinnloser Wut. Nicht mehr zu ändern – für diese Phase seines Lebenszyklus war er an diesen Sklaven gefesselt. Für seine Zwecke reichte er jedenfalls aus. Aber für die neuen Ceetals – für diejenigen, die nach seiner nächsten Transformation auftreten würden – konnte und wollte er bessere Wirtskörper finden. Eine davon könnte vielleicht die Spionin sein, die ihn so sehr beunruhigt hatte. Gerade die diskrete Präzision ihres Vorgehens schien sie für diese Rolle zu prädestinieren. Aber erst einmal mußte er diese Spionin in seine Hand bekommen.
Wellenförmig durchdrang der Einfluß des Ceetals den schwarzbärtigen Mann. Sein Plan war in großen Zügen fertig, die Falle konstruiert. Die Ausführung konnte er seiner menschlichen Denkmaschine überlassen. Ihre persönlichen Ängste, selbst die Erinnerung daran, waren jetzt neutralisiert, und sie ging das Problem nüchtern an – machte Bestandsaufnahme, ordnete, entwickelte, zog Schlüsse: Es war ganz einfach. Der Köder in dieser Falle würde genau die Information sein, die diese Spionin suchte. Daß sie ihren Auftrag von der Konföderation der Wega hatten, war ein nicht von der Hand zu weisender Schluß. Keine andere Organisation, von der man annahm, daß sie Geister kämpferischen Typs von solcher Potenz benutzte, konnte sich für Tahmeys Person interessieren. Natürlich würde er der Konföderation noch nicht entgegentreten – noch eine ganze Weile nicht. Deswegen würde eine neue Form der Tarnung für Tahmey erforderlich sein. Aber sobald die Spionin unter Kontrolle stand und ihre Informationen ausgewertet waren, würde das kein Problem mehr sein. Schwer und ruhig gingen die Hände des Bärtigen über die Tischplatte und aktivierten Kommunikatoren und Recorder. Der Plan nahm Gestalt an. Vier Besucher erwarteten ihn, als er sich in den Hauptraum der Kuppel begab: Drei Männer und eine Frau. Sie gehörten der hochgewachsenen, gutaussehenden lycannesischen Rasse an. Auf allen vier Gesichtern war der gleiche Ausdruck arroganter Ungeduld. Diese und ein paar andere, die den Bärtigen nur als den »Psychologen« kannten, hatten sich jahrelang als die wirklichen, wenn auch geheimen Herrscher des LycannoSystems betrachtet.
Als er eintrat, begannen zwei von ihnen fast gleichzeitig zu sprechen. Aber sie gaben nichts Verständliches von sich. Nach außen hin hatte der Bärtige nichts getan. Aber die vier Gestalten fuhren gleichzeitig hoch, als seien sie von einer unsichtbaren Kraft erfaßt. Sie verharrten in dieser Stellung, die Gesichter in groteskem Schrecken verzerrt, während sein spöttischer Blick unter den schweren Lidern von einem zum anderen ging. »Daß Sie immer gleich so reagieren müssen«, sagte er im Tone freundlichen Vorwurfs, »wenn Sie begreifen, was ich wirklich bin. Oder plagt Sie das schlechte Gewissen, weil Sie sich meiner entledigen wollten als eines einstmals nützlichen Werkzeugs, das Ihrem Ehrgeiz jetzt nichts mehr bringt?« Er hielt inne, und die falsche Freundlichkeit schwand aus seiner Miene. »Ja, ich wußte von dieser kleinen Verschwörung«, verkündete er und ließ sich auf eine niedrige Couch an der Wand nieder. Kritisch seine Fingernägel betrachtend, fuhr er fort: »Normalerweise würde ich sie einfach vereitelt haben, ohne daß Ihnen etwas aufgefallen wäre. Aber wie die Dinge nun einmal stehen, werde ich, wie ich fürchte, in Zukunft ganz ohne Sie auskommen müssen. Irgendwie bedauere ich das. Unsere Verbindung war nützlich und amüsant – für mich zumindest. Andererseits…« Er schüttelte den Kopf. »Sogar ich mache Fehler«, räumte er ein. »Und die jüngste Entwicklung hat gezeigt, daß es ein Irrtum war, mehr oder weniger gewöhnliche menschliche Wesen wie Sie es sind an meinen Experimenten und Plänen zu beteiligen – und auch Ihren Genossen, dessen Abwesenheit hier Sie möglicherweise schon zu Spekulationen veranlaßt hat. Er wird Sie vielleicht um einen Tag überleben.« Der Bärtige lächelte. »Seltsam…
daß er mir noch ein wenig länger nützlich ist, geht auf den Umstand zurück, daß er der bei weitem am wenigsten intelligente von Ihnen ist – so daß ich mich beinahe veranlaßt sah, ihn schon früher aus unserem kleinen Kreis zu entfernen.« Mit einladendem Blick sah er die anderen an, zeigte aber keinen Unmut, als die fahlen Marionetten seine Belustigung nicht teilten. »Nun«, strahlte er, »genug davon! Es sind Leute hinter uns her, die offenbar durch jede nur denkbare Abschirmung an euch herankönnen. Dieses Risiko kann ich natürlich nicht in Kauf nehmen. Euer Freund allerdings wird lange genug leben, um mich mit einer dieser Personen bekanntzumachen. Sie gehört zu eurer Art. Auf längere Sicht dürfte diese Person für mich von weit größerem Nutzen sein, als irgendeiner von euch es jemals sein könnte. Vielleicht sogar ebenso wertvoll wie die Person, die ihr unter dem Namen Tahmey kennt. Möge euch dieser Gedanke zum Trost gereichen in euren letzten Minuten, die – er warf einen schrägen Blick auf ein schimmerndes Oval, das in der Wand hinter den vier Lycannesen aufzuleuchten begann – »nunmehr gekommen sind.« Zwei kräftig gebaute Männer traten durch das Oval in den Raum, salutierten und warteten dann. Der Bärtige nickte ihnen zu und deutete mit dem Daumen auf die bewegungslos verharrenden Lycannesen. »Erwürgt diese vier«, sagte er. Kurze Zeit sah er zu, doch dann begann ihn der Vorgang zu langweilen. Er stand auf und ging auf eine der sechs Wände des Raumes zu, die langsam durchsichtig wurde. Als er unmittelbar davorstand, war gut tausend Meter unter ihnen Lycanno IV, die größte Stadt im Lycanno-System, deutlich zu sehen. Fast liebevoll blickte er jetzt hinunter, und ein Gefühl tiefer Befriedigung erfüllte ihn. Denn eben hatte er von neuem
bewiesen, daß er der unumschränkte Herrscher der Stadt war – Herrscher über die acht Millionen menschlichen Wesen, die hier lebten, über die zwei Milliarden auf dem Planeten und über die sechzehn Milliarden im ganzen System. Seit Jahren war seine Herrschaft nicht mehr in Frage gestellt worden. Langsam ging der Blick seiner glanzlosen schwarzen Augen zu den beiden Sonnen Lycannos, die sich jetzt, gegen Abend, dem Horizont näherten. Fast tausend solcher Sonnen erwärmten, strategisch in der Galaxie verteilt, ebenso viele Planetensysteme, die alle nach und nach in die Gewalt eines Ceetal gerieten. Der Bärtige gab sich nicht der Täuschung hin, daß Lycanno für sich allein eine bedeutende Eroberung sei – genauso wenig wie andere menschliche Teilzivilisationen. Aber sobald die Zeit einmal reif sein würde… Er schwelgte ein wenig in Gedanken an Herrschaft über die ganze Galaxie. Eigenartigerweise war es jetzt das menschliche Gehirn, das sich in solchen Träumereien gefiel. Der Parasit verfolgte fast unbeteiligt diese Gedanken und lauerte nur auf irgendwelche neuen menschlichen Schwächen, die er eines Tages in seinen Vorteil ummünzen konnte. Seltsam kompliziert, der menschliche Organismus, überlegte der Ceetal wieder einmal. Sein Wirtsorganismus verstand die Beziehung zwischen ihnen und seine eigene, untergeordnete Rolle in den Plänen des Ceetal voll und ganz. Dennoch ließ er es nie zu einer echten Bewußtwerdung der Situation kommen und schien sich häufig mit dem Parasiten identisch zu fühlen. Seltsam, daß eine Spezies, deren Affinität zum Wahn so ausgeprägt war, in dieser Galaxie eine so beherrschende Stellung hatte erringen können. In der Mitte des Raumes gab es auf einmal etwas Bewegung – heisere Laute waren zu hören, und dann das Geräusch von Absätzen, die kurz auf den teppichbelegten Boden schlugen.
»Ihr werdet nachlässig«, sagte der Psychologe kühl, ohne den Kopf zu wenden. »Solche Dinge kann man auch ohne Geräusch erledigen.«
Der kleine, gelbgesichtige Mann mit den tiefliegenden, bernsteinfarbenen Augen zog in den zwei Tagen, an denen er sich im Old-Lycannese Hotel aufhielt, manch neugierigen oder amüsierten Blick auf sich. Er hatte nichts anderes erwartet. Selbst in so kosmopolitisch geprägter Umgebung mußte seine Erscheinung phantastisch wirken. Die haarlose Schädelkuppe ging auf geradezu komische Weise in eine runde Schnute über. Dem Augenschein nach war er nasen- und ohrenlos, und in Momenten der Erregung zuckte seine nackte gelbe Kopfhaut wie die Flanke eines von einer giftigen Schlange gebissenen Tieres. Allerdings beherbergte das Old Lycannese auch etliche andere, ähnlich seltsame Abarten der menschlichen Spezies in seinen hoch aufragenden Mauern – Mutationen von Welten, die man auf den Sternkarten zivilisierter Arten häufig nur als namenlose Symbole fand. Aber auch Vertreter seltenerer humanoider Rassen kamen und gingen – wie die anderen in der Absicht, profitablen Handel mit Lycanno zu treiben. Die groteske Erscheinung des gelbgesichtigen Mannes erlaubte also ganz einfach, ihn einzuordnen. Erregte er Aufmerksamkeit, dann war die Neugier auch schnell befriedigt, und niemand hatte ein starkes Bedürfnis, in näheren Kontakt mit einem solchen Wesen zu treten. Ob nun der menschlichen Rasse zugehörig oder nur humanoid, er war auf jeden Fall zahlungskräftig und hatte Geschmack für dezenten Luxus bewiesen. Im Hotel erfüllte man ihm seine Wünsche,
vereinnahmte sein Geld und kümmerte sich nicht weiter um ihn. Dieser neugierdämpfende Effekt, überlegte der gelbgesichtige Mann, während er durch die Hotelhalle schlenderte, bewährte sich auch bei Leuten sehr gut, die mehr Grund als andere hatten, sich für Fremde zu interessieren. Zwei Mitglieder der Leibwache des Psychologen, hinter denen er auf die offene Tür des zur Dachterrasse führenden Lifts zuging, hatten ihn einen Moment zwar flüchtig gemustert – lange genug, um seine Identität noch einmal zweifelsfrei festzustellen. Am Tag vorher hatten sie bereits alles überprüft – ein Talpu, humanoid, von einem System im Sternhaufen achtundzwanzig, der mit fünf Arten Juwelen handelte, von denen drei auf Lycanno noch unbekannt waren. Ein etwas seltsamer Vogel, aber harmlos. Die Leibwächter des Psychologen nahmen es stets sehr genau, sahen jedoch keinen Anlaß, in einem so offenkundig bedeutungslosen Fall Gefahr zu wittern. Der Psychologe selbst, dessen Wohnkuppel das hohe Gebäude des Old Lycannese krönte, nahm in diesen Tagen keinerlei Risiko auf sich. Er sondierte den Geist des Humanoiden und stieß auf genau die Art von Gedankenschild, die bei einem Reisenden mit wertvollen Geschäftsgeheimnissen zu erwarten stand – einen Schild, den er sofort und mühelos hätte zerschlagen können. Eine solche Operation hätte jedoch zur Folge gehabt, daß der kleine Gelbgesichtige in zitternder Agonie auf den Boden der Halle gesunken wäre – eine Komplikation, deren Eintritt in der Öffentlichkeit er gern vermeiden wollte. Verächtlich ließ er den Gedanken fallen. Er kannte die Talpu – eine niedrige, feige Rasse, die nicht einmal brauchbare Sklaven für einen Ceetal lieferte.
Eine sekundäre, ganz anders geartete Gedankensperre, die der leicht erkennbare erste Schild vor den Sondierungen des Psychologen verborgen gehalten hatte, entspannte sich vorsichtig wieder im Gehirn des Gelbgesichtigen, während an der Oberfläche das Talpu-Denken weiter in seinen flachen, vagen Bahnen verlief. Als die Leute des Psychologen den automatischen Lift erreichten, hatte der Humanoide fast zu den letzten Leibwächtern aufgeschlossen und befand sich nur ein paar Schritte hinter dem Psychologen selbst. Die Truppe verharrte einen Moment, während die vorangehenden Wächter die leere Kabine kurz inspizierten und dann Platz machten, um den Psychologen eintreten zu lassen. Das war Routine. Der Gelbgesichtige hatte es einkalkuliert und blieb nicht mit den anderen stehen. Erst eine halbe Sekunde verging, ehe die Wächter des Psychologen begriffen, daß irgend etwas sich eben schattenhaft durch ihre Reihen geschlichen hatte. Aber da war es schon zu spät. Gerade hatte der große Mann gewichtig die Kabine betreten, und schon war der seltsame kleine Humanoide irgendwie hinter ihm und folgte ihm auf den Fersen. Gleichzeitig machte er noch zwei andere Bewegungen – fast beiläufig. Als seine Linke den Knopf berührte, um den Lift in Bewegung zu setzen, umgab ihn plötzlich ein Kraftfeld von solcher Dichte, daß es den Wächtern draußen unmöglich war, sich auf ihn zu stürzen. Und ehe die verdutzten Männer wußten, wie ihnen geschah, war die Kabine davongeschossen und ihren Blicken entschwunden! Und der Gelbgesichtige führte die zweite Operation durch. Er stieß eine kleine Spritze in den Nacken des Psychologen und drückte den Kolben nieder.
Natürlich konnte man den einflußreichsten Mann des ganzen Systems nicht entführen, ohne dabei eine gewisse feindselige Reaktion auszulösen. Aber nach Iliffs Kalkulation hatte er, als der Lift vor seinem Appartement in einem der oberen Stockwerke des riesigen Hotels hielt, fast dreißig Sekunden Zeit, ehe eine mögliche Gegenaktion erfolgen konnte. Er brauchte also nichts zu überstürzen. Ein halbes Dutzend Stufen, dann war er bei seiner Suite. Der Psychologe folgte mit einem Ausdruck vager Überraschung. Noch ein Dutzend Stufen, und sie hatten die Freiluftplattform erreicht, auf der ein gemieteter schneller Flugwagen wartete. In zwanzigtausend Meter Höhe beendete Iliff den senkrechten Aufstieg und steuerte nordwärts. Drunten breitete sich schon das Abenddunkel über die Küstenstädte, von denen die ersten Lichter heraufzuleuchten begannen. Hier oben aber spiegelten die silbrigen Wände des Flugwagens das grünliche Licht von Lycannos Hauptsonne wider. Das Schiff war abgeschirmt gegen alle Sondierungsstrahlen bis auf diejenigen, die von Regierungsstellen ausgesandt wurden. Die aber brauchte er in den nächsten Minuten noch nicht zu befürchten. Wollte ihn irgendein Verfolger unter den Myriaden ähnlicher Fahrzeuge finden, die um diese Zeit aus der Hafenstadt oder in sie hineinströmten, dann mußte er schon übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Er zog sich die Vivogel-Maske von Gesicht und Händen, warf das zuckende halborganische Zeug in den Abfallschacht neben seinem Sitz, wo die Düsen des Flugwagens es verbrennen würden. Vornübergebeugt und apathisch saß der Psychologe neben ihm und starrte mit stumpfen schwarzen Augen vor sich hin. Bis jetzt wurde die neue Gedankenblockierung von der Wega den Erwartungen des Koordinators gerecht.
Das Verhör des Gefangenen fand in einem kleinen Tal nahe der Küste einer unbewohnten Insel im subpolaren Gebiet statt. Ein Dutzend schlangenartiger Fleischfresser ließ in schwerfälliger Flucht die Überreste von irgend etwas Großem im Stich, woran sie bis zur Landung des Flugwagens genagt hatten. Iliff schien ihr Schnauben und Heulen ein geeigneter Hintergrund für die anstehende Prozedur zu sein. Er hatte einen dem Empfindungsvermögen der Bestien angepaßten Angstimpuls ausgesandt, der sie erschreckt im Umkreis von etwa einhundert Metern verharren ließ. Im Mittelpunkt dieses Kreises saß Iliff mit untergeschlagenen Beinen und sah zu, wie die Befragungsmaschine sich an die Arbeit machte. Die Befragungsmaschine war ein unscheinbarer Würfel von etwa sechzig Zentimeter Kantenlänge. Feinfühlig umging sie die Gedankenschilde des Psychologen und meldete Iliff ihre Befunde. Iliff hätte auch ohne die Befragungsmaschine auskommen können, denn der Schild, der einem wirklich fähigen und nicht auf Grund irgendwelcher anderer Umstände behinderten Befrager hätte widerstehen können, war noch nicht erfunden. Aber es hätte um einiges länger gedauert, und ihm stand gerade ausreichend Zeit zur Verfügung, um an die wichtigsten Informationen heranzukommen. Außerdem fehlte ihm die Feinfühligkeit der Befragungsmaschine; ging er überstürzt vor, dann bestand die Gefahr, daß er dem befragten Gehirn irreparablen Schaden zufügte – bis jetzt hatte er noch nicht entscheiden können, ob er den Psychologen töten mußte oder nicht. Als die Befragungsmaschine den Ceetal zum zweiten Male anging, wußte er es. Der kleine Roboter meldete eine fremde Form von Bewußtsein, dessen Spur ihm aber immer wieder verlorenging, so daß es unmöglich zu lokalisieren war.
»Das ist das dominierende Bewußtseinselement. Aber mit dem Organismus ist es nur über dessen Bewußtsein verbunden.« Die Befragungsmaschine verstummte wieder. Nichts konnte sie überraschen oder verwirren; aber wenn sie ihre Feststellungen nicht einzuordnen vermochte, verstummte sie. Außerdem störte sie die Wirkung der Gedankenblockierung – einer Neuheit, auf die sie nicht eingestellt war. Die Chemikalie wirkte direkt auf die Schilde und ließ die normalerweise flexiblen Verteidigungselemente zu miteinander verflochtenen Kraftfeldern gefrieren, welche die sie produzierenden Energiezentren des Nervensystems isolierten. »Ich möchte alles wissen, was darüber zu erfahren ist!« drängte Iliff. Die Maschine zögerte immer noch. Dann: »Das Bewußtsein ist des Glaubens, dich auf der Stelle töten zu können, wenn es die Kraft, die du Gedankenblockierung nennst, überwinden und seinem Organismus einen Energiestoß geben kann. Aber es fürchtet, daß es dem Organismus dabei ernsthaften Schaden zufügen könnte. Deswegen will es warten, bis seine Freunde kommen und dich zerstören. Es ist sicher, daß dies sehr bald der Fall sein wird.« Iliff knurrte. Für ihn war das nichts Neues. Dennoch schauderte er ein wenig. Er hatte Anlaß gehabt, dieses Mal eine andere Taktik anzuwenden als sonst; dennoch hatte er bis jetzt noch kein Ergebnis bekommen. »Weiß dieses Primärbewußtsein«, fragte er, »was du da tust und was dir mir. meldest?« »Es weiß, was ich tue«, antwortete die Maschine prompt. »Es weiß nicht, daß ich dir irgend etwas melde. Es ist sich deiner Gegenwart und deine Absichten bewußt, kann aber keine Sinneseindrücke aufnehmen. Es kann nur denken.«
»Gut«, nickte Iliff. »Es kann dich also nicht bei deiner Tätigkeit stören?« »Nicht, solange die Gedankenblockierung es daran hindert, seine Energiereserven zu mobilisieren.« »Und das andere… das menschliche Bewußtsein?« »Das befindet sich in einem schlafähnlichen Zustand und ist völlig hilflos. Es nimmt die Vorgänge kaum wahr und hat nicht versucht, Einfluß darauf zu nehmen. Nur die Gedankenblockierung sperrt mir den Zugang zu den Informationen, die du wünschst. Wenn du die neutralisieren könntest, gäbe es kein Problem.« Iliff warf seinem Helfer einen mißmutigen Blick zu. »Abgesehen davon«, bemerkte er, »daß das mein Tod wäre!« »Zweifellos«, stimmte die unbeteiligte Maschine zu. »Die Energiezentren dieses Organismus sind derartig überentwickelt, daß seine Lebenskraft theoretisch schon vor Jahren hätte erschöpft sein müssen. Es scheint, daß das fremde Bewußtsein sowohl für die neutrale Hypertrophie als auch für den Umstand verantwortlich ist, daß der Organismus als Ganzes sich so entwickelt hat, daß er die resultierende unnatürliche Belastung aushalten kann.« Nach einer halben Stunde etwa begann der Informationskontext endlich Gestalt anzunehmen – eine Gestalt, die es Iliff mehr und mehr geraten erscheinen ließ, diese Arbeit so bald wie möglich zu Ende zu bringen. Und nun zeigte sich auch, daß die Vermutung des Koordinators zutreffender war, als er gedacht hatte! Die Vorgänge auf Lycanno hätten schon lange der Aufmerksamkeit eines Zonen-Agenten bedurft. Eigentlich hätte er sich jetzt freuen müssen. Statt dessen schwitzte und zitterte er, und eine alptraumhafte Spannung befiel ihn. Theoretisch konnte die Gedankenblockierung unüberwindlich sein; der Ceetal allerdings glaubte das nicht.
Was er befürchtete, war, daß eine schwere Erschütterung der Blockierung oder der Schilde seinen Wirt und damit ihn selbst zerstören könnte. Das hatte ihn bisher davon abgehalten, einen solchen Versuch zu machen. Das und das Wissen, daß er nicht lange mehr unentdeckt bleiben konnte. Aber bei jedem neuen Kontakt meldet die Befragungsmaschine unbewegt eine Zunahme der Erregung, mit welcher der Parasit den Fortgang der Sondierung verfolgte. Zunächst hatte er noch verächtlich reagiert; dann kam langsam die Erkenntnis, daß dem unter der Wirkung der eingespritzten Droge stehenden menschlichen Gehirn, in dem er saß, tatsächlich nach und nach ein wichtiges Geheimnis nach dem anderen entlockt wurde, und daß er gar nichts dagegen tun konnte. Allmählich war der Parasit nahe daran, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, und minutenlang war Iliffs Waffe auf die bewegungslos kauernde Gestalt des Psychologen gerichtet. Wenn nötig, würden Mensch und Ceetal auf der Stelle sterben. Aber nicht einmal wenn dieses Gehirn in seinen Todeszuckungen lag – falls es so weit kommen mußte – wollte er in seiner unmittelbaren Nachbarschaft verweilen, direkt den Kräften ausgesetzt, die es dann freimachen konnte. Wieder und wieder stoppte er die Befragungsmaschine, wenn sie in eine Richtung geriet, wo sie den Selbstmordimpuls auslösen konnte. Es war eine anstrengende, große Sorgfalt erfordernde Arbeit. Aber jetzt blieben nur noch ganz wenige ungeklärte Punkte von größerer Wichtigkeit. Vielleicht hatte er noch genügend Zeit… Iliff fuhr hoch, als von einem automatischen Detektor, den er am Tag zuvor in dem Flugwagen installiert hatte, ein Warnsignal kam. Die in respektvollem Abstand gebliebenen Fleischfresser antworteten mit wütenden Schreien.
»Zwei Fahrzeuge nähern sich mit mittlerer Geschwindigkeit«, meldete der Detektor. »Sektor vierzehn, Distanz einhundertvierzig Kilometer, Höhe dreißig Kilometer. Psycho-Sonden arbeiten.« Und einen Augenblick später: »Sie sind entdeckt.« Sie kamen mehrere Minuten früher, als er sie erwartet hatte. Aber die Warnung gab ihm Aufschluß über die noch zur Verfügung stehende Zeit, und Ungewißheit und Spannung fielen von ihm ab. »Entlassung des Befragten – Selbstzerstörung!« befahl er der Befragungsmaschine. Als hätten ihn unsichtbare Fangarme losgelassen, rollte der Körper des Psychologen vornüber und erhob sich dann taumelnd. Hinter ihm stieß die Befragungsmaschine ein zischendes Feuerwerk aus, sank in sich zusammen und schmolz zu einem formlosen Klumpen. Sekunden später hatte Iliff den Flugwagen auf etwas ‘ über Baumwipfelhöhe gebracht. Der Visiglobus des Fahrzeugs war auf Teleeinstellung gebracht und zeigte das dunkle, kleine Tal in allen seinen Einzelheiten, als läge es in hellem Tageslicht. Inmitten des Tals tastete sich der Psychologe gerade durch das für ihn fast völlig finstere Dunkel auf das offene Gelände zu. Ob dieses fremde Bewußtsein verstand, daß Hilfe gekommen war, und die Aufmerksamkeit seiner Helfer zu erregen versuchte – Iliff würde es niemals erfahren. Es spielte auch jetzt keine Rolle. Die getarnten Waffen des Flugwagens waren auf diese Gestalt gerichtet, und Iliff hatte den Finger am Abzug. Aber er feuerte nicht. Zwischen den Bäumen waren jetzt die langhalsigen Fleischfresser herausgekommen. Die unüberwindliche Angstbarriere hatten sie in dem Augenblick vergessen, da sie aufhörte zu existieren. Sie wollten sich
wieder auf ihr unvollendetes Festmahl stürzen – und bewegten sich dann plötzlich auf die Gestalt zu, die in ihrer Nähe herumstolperte. Iliff grinste ein wenig, stellte den Visiglobus auf Weitwinkel ein und zog den Flugwagen über die See hinaus. Das Manöver brachte ihn aus dem Bereich der Detektoren seiner nächsten Verfolger und würde ihm, so hoffte er, den dringend nötigen Vorsprung verschaffen. Seinen Wissenschaftler-Kollegen auf Jeltad würde es freuen zu hören, daß der Ceetal die Stärke ihrer GedankenBlockierung unterschätzt hatte. In den Sekunden, die er inmitten der wildgewordenen Fleischfresser noch zu leben hatte, mußte dieser böswillige Intellekt seine letzten Kräfte aufgewandt haben, um sich zu befreien und seine Angreifer zu vernichten. Doch ohne jeden Erfolg.
Kurz vor Morgengrauen ging in der fünftgrößten Stadt auf Lycanno IV ein zierlicher Mahn in Uniform in einem kleineren Raumhafen auf ein großes, nicht allzu schnell aussehendes, aber offenbar teures Fahrzeug zu; das er zwei Tage zuvor hier hatte registrieren lassen. Unter einem Arm trug er eine pralle Aktenmappe des spionensicheren Typs, den Angehörige der Terranischen Botschaft bevorzugten. Das minderte aber nicht im geringsten den Eindruck von fast kriegerischer Würde, den er machte – und der auch jetzt, wo die Entwicklung der alten Erde ihren Höhepunkt längst überschritten hatte, die meisten Bewohner dieses Planeten immer noch charakterisierte. Das Schiff, auf das er zuging, war umgeben von einem kugelförmigen, zitternden Lichtschimmer, der Bedienstete des Raumhafens oder andere Neugierige davor
warnte, sich dem Fahrzeug auf mehr als fünfzig Meter zu nähern. Erdbewohner legten großen Wert auf den Schutz ihrer Privatsphäre. Der Mann, der nur hinsichtlich seiner Größe in etwa Iliff oder dem gelbgesichtigen Mann glich, der einige Stunden zuvor Gast des Old Lycannese Hotel gewesen war, betrat ohne Zögern den Bereich des orangen Schimmers. Sofort dröhnte vom Schiff her eine unmenschlich tiefe Stimme auf ihn ein, und mentale Schockwellen erreichten ihn, die einen anderen Eindringling auf der Stelle hintüber geworfen hätten: »Zurück! Dieses Fahrzeug ist im Einklang mit den bestehenden Vorschriften gegen jeden Einblick geschützt. Weiteres unerlaubtes Eindringen in den durch die Lichtbarriere definierten Bereich…« Plötzlich verstummte die Stimme. Dann fuhr sie in gänzlich verändertem Tone fort: »Sie werden von einer Strato-Station beobachtet. Sonst nichts zu melden. Wir können sofort starten.« Einhundertzwanzig Kilometer darüber wandte sich in der Strato-Station ein sehr junger Fleet-Leutnant seinem Captain zu: »Ist das nicht…?« Der Captain lächelte ironisch. »Nein, Junior«, sagte er milde, »das ist nicht. Vielmehr ist das, wie Sie sich erinnern sollten, Colonel Perritaph, der kürzlich zur Terranischen Militär-Kommission abgeordnet wurde. Gestern früh haben wir ihn bei seiner Ankunft überprüft. Aber«, fügte er hinzu, »wir werden uns einen kleinen Spaß mit dem Colonel machen. Sobald er startbereit ist, wird er diese Lichtbarriere abschalten. Und dann spießen Sie ihn mit einem Traktor-Strahl auf und sagen ihm, daß er
noch einmal überprüft werden muß, weil der Allgemeine Notstand ausgerufen worden ist.« »Aber warum denn nicht gleich?« »Gemach, gemach«, antwortete sein Vorgesetzter nachsichtig. »Mit einer Lichtbarriere darf man keinesfalls spaßen! Wenn man da einen Traktor-Strahl reinschießt, passiert vielleicht nichts. Andererseits kann das Schiff explodieren, oder die Docks, möglicherweise auch unsere gemütlich kleine Station hier oben – das kommt ganz drauf an. Aber sobald der Colonel einmal drinnen sitzt und die Kiste unter Kontrolle hat, wird nichts mehr in die Luft fliegen, selbst wenn wir seine zarten Terraner-Gefühle ein wenig verletzten.« »Und so können wir feststellen, was er in seinem Schiff hat, diplomatische Immunität hin oder her«, nickte der Leutnant, wobei er versuchte, es dem Ausdruck müder Überlegenheit seines Captains gleichzutun. »Was in dem Schiff ist, interessiert uns nicht«, enttäuschte ihn der Captain von neuem. »Terra hat in bezug auf Konstruktion und Bewaffnung ein paar hundert Jahre Rückstand – wie eh und je.« Das stimmte nicht ganz, doch war diese Vorstellung populär auf Lycanno, das sich vor fünfhundert Jahren in eine kurze, heftige Auseinandersetzung mit der alternden Mutter der Galaktischen Menschheit eingelassen und einhundertfünfzig Jahre lang an den Folgen schwer zu tragen gehabt hatte. Dieser unvorhergesehene Ausgang hatte inzwischen natürlich längst eine Erklärung gefunden – simples Pech und verräterische Hinterlist der Terraner – und der ganze bedauerliche Vorfall wurde dann auch nicht mehr häufig erwähnt. Einen Augenblick lang starrte der Captain in die Richtung des fernen Raumhafens hinunter, wobei er sich nicht bewußt war, was ihm so böswillige Gedanken einflößte.
»Wir lassen ihn ein klein wenig zappeln und nach seinen Rechten heulen«, murmelte er. »Sie sind so wunderbar empfindlich, was diese kostbaren Privilegien anbelangt!« Eine kurze Pause trat ein, während beider Blicke auf dem gewichtig wirkenden Schiff in ihrem Visiglobus ruhten. »Ich möchte wissen, warum dieser Notstand eigentlich verkündet worden ist«, sagte der Leutnant schließlich. »Ein humanoider Affe soll arretiert werden – so wird er jedenfalls beschrieben«, grinste der Captain. Dann fügte er hinzu: »Eines ist klar – der Anlaß ist wichtig genug, daß man die Flotte beauftragt hat, jeden in Fetzen zu schießen, der versucht, sich unidentifiziert davonzuschleichen.« Der Leutnant versuchte dreinzusehen, als ob das die Erklärung sein mußte, doch gelang ihm das nicht. Dann hellte sich seine Miene auf, und er verkündete: »Jetzt hat er die Lichtbarriere abgeschaltet!« »Gut. Der Traktor-Strahl!« »Er ist…« Deutlich durch ihre Instrumente hörbar kam vom Dock ein Ton herauf: Ein leises, aber ungemein intensives WUUUUUSCH! Durch das Dock, an dem das Schiff angelegt hatte, schien eine heftige Erschütterung zu gehen. Sonst geschah nichts. Nur das Schiff war nicht mehr da. Leichenblaß stierte der Leutnant seinen Captain an. »Ist es… ist es explodiert?« flüsterte er. Der Captain antwortete nicht. Sein Gesicht war purpurrot angelaufen, und er rang mühsam nach Atem. »Ist… ist mit Spacedrive gestartet!« stieß er plötzlich hervor. »Wie konnte er das, ohne… Und das noch unter einem Traktor-Strahl!« Er fuhr herum und stürzte zu seinen Kommunikatoren. Seine blasierte Überlegenheit war gänzlich dahin. »Station 1222 ruft Flotte«, keuchte er. »Station 1222 ruft…«
Während die Sonnen Lycannos auf seinem Visorschirm kleiner und kleiner wurden, sortierte Iliff hastig den Inhalt seiner Aktentasche. Es war eine aufregende Nacht gewesen – jenen, die die Zeichen zu deuten wußten, mußte der Vierte Planet wie ein Hornissenhaufen erschienen sein. Aber er hatte fast alle seine Vorhaben durchgeführt, und die Verfolger waren ihm nie ernstlich nahe gekommen. Sobald die Aufregung sich gelegt hatte, würde man entdecken, daß Lycanno über Nacht sauberer geworden war. Einen Augenblick lang wünschte Iliff, dabeisein zu können, wenn der echte Colonel Perritaph seine Ansichten über das Unvermögen der Polizei darzulegen begann, das es einem Hochstapler erlaubt hatte, seinen Namen zu mißbrauchen und in seiner Position aufzutreten. Die Terranischen Botschaften waren immer gern bereit, einem Vertreter der Konföderation helfend beizustehen, ohne lange Fragen zu stellen. Und in jedem Krieg stritt die kleine, aber kampfstarke Terranische Flotte Seite an Seite mit den Schiffen der Wega – wenn auch nie wirklich mit ihnen zusammen. Terra war kein Mitglied der Konföderation; daß fremde Mächte ihre Politik bestimmten, ließ sie nicht zu. Im großen und ganzen hatte sich auf dem Alten Planeten nicht viel geändert. Als Iliff die leere Aktentasche wegstellte, ließ sich die Stimme, die ihn angesprochen hatte, als er auf das Schiff zugegangen war, wieder vernehmen. Wie immer war es unmöglich, zu sagen, woher sie kam, doch schien es eine Stelle in der Luft etwas oberhalb von Iliffs Kopf zu sein. Trotz ihrer merkwürdigen Ähnlichkeit mit Iliffs eigener Stimme würden die meisten sie als Roboterstimme identifiziert haben.
Und das war sie auch – für seine Größe war es der komplizierteste Robotertyp, den Wegas Wissenschaftler und die ihrer Alliierten bis jetzt entwickelt hatten. »Zwei bewaffnete Raumschiffe, lycannesischer Zerstörertyp, versuchen dich abzufangen!« verkündete sie. Und nach einer ganz kurzen Pause fügte sie hinzu: »Instruktionen?« Iliff lächelte ein wenig, ohne jedoch den Kopf zu heben. Niemand anderer hätte in dieser stereotyp klingenden Stimme irgend etwas Ungewöhnliches wahrgenommen. Er freilich lebte jetzt schon etwa fünfzehn Jahre mit ihr. »Flucht natürlich, du Affe!« sagte er leise. »Kämpfe kannst du noch genügend erleben, bis du verschrottet wirst.« Beinahe hatte er den Eindruck, als hätte das Schiff in verärgerter Reaktion mit den schweren Schultern gezuckt. Allerdings war das nur auf den kleinen Ruck zurückzuführen, mit dem es auf volle Beschleunigung ging. Tatsächlich war das ganze Schiff ein Roboter – eine stark modifizierte Version der todbringenden Ein-MannKampfschiff der weganischen Schlachtflotte, nur noch stärker bewaffnet. Es war zu den blitzschnellen Entscheidungen und Manövern befähigt, deren es bedurfte, um es mit einem oder zwei lycannesischen Zerstörern im Weltraum erfolgreich aufnehmen zu können. Seine fünf Zentralgehirne waren so konstruiert, daß sie Gedankenmuster produzierten, die denen Iliffs so genau wie möglich entsprachen, was eine nahezu perfekte Zusammenarbeit ermöglichte. Darüber hinaus war die Maschine natürlich, was den sensorischen Apparat und das Energiepotential betraf, eine ins wahrhaft Titanische vergrößerte Ausgabe des Menschen. Iliff hielt es nicht für nötig, die Fluchttaktik seines Schiffs zu verfolgen. Sie war so geschickt, daß die Kommandeure der Zerstörer sich alsbald fragten, ob sie nun wirklich ein fremdes Raumschiff geortet hatten. Der Roboter führte seinen Befehl
viel gekonnter aus, als er das selbst zu tun vermocht hätte. In der Zwischenzeit war noch anderes zu tun – der Teil seines Auftrags, den er vielleicht am wenigsten mochte. Ein Sender übermittelte die ersten Berichte über seine Aktionen auf Lycanno IV quer durch die halbe Galaxie zu seiner Zentrale auf dem Planeten Jeltad. Dort wurde sein Bericht, zusammen mit ein paar tausend anderen gleichzeitig einlaufenden, in komplizierte VielfachRecorder eingefüttert, die auf der Stelle bestimmte Passagen daraus – teilweise gekürzt oder redigiert – wieder ausspien.
»Sie antwortet nicht auf ihren persönlichen Coderuf«, verkündete der Roboter zum zweiten Male. »Vielleicht ist sie nur nicht imstande, sich selbst zu melden?« »Darauf gibt es keinerlei Hinweis.« »Dann bleiben wir drauf – bis sie antwortet«, sagte Iliff. Persönliche Telepathie war auf interstellare Entfernungen immer noch ein ziemliches Experiment, wenn nicht auf beiden Seiten viel größere mechanische Verstärker benutzt werden konnten, als Pagadan sie zur Verfügung hatte. »Aber ich möchte doch wirklich wissen«, murmelte er, »warum der Ceetal sich so für Tahmey interessierte! Wahrscheinlich wollte er ihn sich als Wirtsorganismus für die nächste Generation präparieren. Wenn er in diesem Punkt nicht so heikel gewesen wäre…« Mißmutig starrte er auf den leise summenden Sender. In den Tiefen seines Bewußtseins, unterhalb der Verständnisschwelle, regte sich irgend etwas langsam und unruhig und verebbte dann wieder. »Die Leitstelle müßte sich jetzt bald melden«, sagte er sich. »Mit den neuen Daten, die sie von uns erhalten hat, muß sie einen neuen Plan ausgearbeitet haben.«
»Departement-Laboratorium versucht, sich auf den Transmitter aufzuschalten«, informierte ihn der Roboter. »Soll ich das ausfiltern, bis du mit der Verbindungsstelle gesprochen hast?« »Nein, nur herein damit«, seufzte Iliff. »Wenn nötig, schalten wir das eben wieder ab…« Plötzlich kam ein Knattern aus dem Transmitter. Stirnrunzelnd drehte Iliff an mehreren Knöpfen, bis eine leise Stimme aus dem Gerät zu vernehmen war. Iliff hörte eine Weile zu und unterbrach dann ungeduldig. »Hören Sie«, erklärte er, »ich habe Ihnen eine umfassende Zusammenstellung unserer Ergebnisse geschickt. Die muß jeden Augenblick bei Ihnen eintreffen, und Sie können ihr mehr entnehmen als allem, was ich Ihnen jetzt sagen könnte. Der Mann, von dem ich das alles habe, war der einzige der ganzen Gruppe, der noch lebte. Aber er hatte die wichtigste Aufgabe – den Persönlichkeitstransfer. Ich habe alles aus ihm herausgeholt, was er über die Sache wußte. Ich selbst habe allenfalls das Prinzip verstanden – wenn überhaupt etwas.« Aus dem Gerät ertönte quiekend Protest. Iliff schaltete sich sofort wieder ein: »Also, wenn es’ denn gleich sein muß… Sie haben recht, daß keinerlei subjektiver Persönlichkeitstausch stattgefunden hat, und ich möchte auch nicht darüber streiten, ob das möglich ist oder nicht. Aber immerhin ist es diesen Leuten gelungen, so ziemlich alles, was ein eigenbewußtes Individuum ausmacht, von einem menschlichen Körper in einen anderen zu transferieren. Wie man es auch betrachtet, es sieht wie ein Persönlichkeitstransfer aus. Nein, Psychochirurgie hat man nur zur Ausfüllung der sechsmonatigen Gedächtnislücke angewendet, denn so lange hatten sie Tahmey in Behandlung«, fuhr er fort, »sonst nicht.
Was sie anwendeten, war eine Modifikation der elektronischen Methode, mit der man lebende Reflexmuster in Robotergehirne einpflanzt. Zunächst schalteten sie Tahmeys Gehirn völlig ab – neutralisierten die bestehenden neuralen Verbindungen und so fort bis hinunter zu den primären Reflexen. Dann versetzten sie den Lycanneser Deel in einen Zustand mentaler Erstarrung. Ausgewählt hatten sie ihn wegen seiner starken physischen Ähnlichkeit mit Tahmey.« »Das«, kam es in scharfem Ton aus dem Laboratorium, »hat mit dem Experiment als solchem nicht das geringste zu tun. Verwendeten sie ein chemisches Lähmungsmittel, um diese Erstarrung herzustellen?« »Ich glaube schon. Es ist in dem Bericht…« »Und wie lang waren die beiden Nervensysteme miteinander verbunden?« »Etwa sechs Monate.« »Und dann unterbrachen sie die Verbindung und hatten eine vollkommene Kopie der Nervenimpulse des zweiten Subjekts auf das Nervensystem des ersten Subjekts übertragen. Auf einen Energieimpuls hin ging das Leben der zweiten Persönlichkeit genau an dem Punkt weiter, wo die mentale Erstarrung eingetreten war, und entwickelte sich von diesem Moment an ganz normal fort. Ich verstehe… ja, ich verstehe… Aber was ist mit dem zweiten Subjekt – Deel?« »Er starb ein paar Sekunden, nachdem er wieder ins Bewußtsein zurückgekehrt war.« Aus dem Laboratorium kam bedauerndes Zungenschnalzen. »Wie meistens nach einer längeren Phase mentalen Stillstands. Im übrigen dürfte das die Brauchbarkeit des Verfahrens doch ziemlich einschränken. Nun gibt es da ein paar wichtige Punkte…« »Die Leitstelle!« meldete der Roboter.
Die quäkende Stimme verdünnte sich zu einem Pfeifen und verstummte daran. »Ich bin es, Iliff! Ich selbst, Ihr Freund und Berater, Captain Rashallan von der Leitstelle. An diesen Tahmey selbst sind Sie noch nicht herangekommen, wie?« »Nein«, sagte Iliff. Er blinzelte auf den Transmitter hinunter und bemerkte überrascht ein würgendes Gefühl im Hals. »Warum?« Der Mann von der Leitstelle brauchte etwa drei Minuten, um es ihm zu sagen. Er schloß mit den Worten: »Wir haben eben einen Anruf vom Laboratorium bekommen… die Jungs dort wollten Sie erreichen, konnten aber nicht… und was wir Ihnen sagen sollen, paßt genau… Die Wirkung einer solchen Neutralisierung von Nervensystemen verliert sich in einem Zeitraum von zwei Jahren. Normalerweise ist eine allmähliche Wiederherstellung der ursprünglichen Persönlichkeit das Ergebnis. In diesem Falle jedoch kann es zu keinem solchen Ergebnis kommen, weil alle Energiezentren ständig in die Deel-Persönlichkeit münden. Trotzdem besteht kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß ›Tahmey‹ nun ebenfalls in diesem Persönlichkeitssystem präsent ist – wenn auch unbewußt und nicht nachweisbar, weil ohne eigene Energie. Der Ceetal konnte doch an einem, so durchschnittlichen Geist wie dem Deels gar kein Interesse haben. Verstehen Sie nun, was das bedeutet? Ob es nun die Absicht des Ceetals war oder nicht – und es ist äußerst wahrscheinlich, daß das beabsichtigt war – das ganze künstliche System bleibt nur so lange stabil, wie die Persönlichkeit Deels weiter funktioniert. Sobald das nicht mehr der Fall ist, wird die ursprüngliche Persönlichkeit wieder mit Energie versorgt. Ist Ihnen klar, was
einem Außenseiter, der sich an einer solchen Persönlichkeit zu schaffen macht, wahrscheinlich passiert?« »Ja«, sagte Iliff, »ist mir klar.« »Angenommen, die Sache ist so angelegt«, sagte Captain Rashallan, »dann wird dieser Vorgang fast mit Sicherheit durch irgendeine vorgegebene Situation ausgelöst – und es wird eine hinreichende Anzahl von solchen auslösenden Momenten geben, die in jeder vorhersehbaren kritischen Entwicklung vorkommen. Die Absicht des Ceetals wäre es dann natürlich, die Vernichtung jedes Individuums, das seine anderen Verteidigungsmechanismen überwunden hätte und im Begriff wäre, in seine innere Wesenhaftigkeit vorzustoßen, absolut sicherzustellen. Sie werden also auf der Hut sein müssen… aber die Zonenleitung möchte Sie jetzt sprechen, die wird schon ungeduldig… Viel Glück, Iliff!« Iliff beugte sich vor und schaltete den Transmitter ab. Einen Augenblick lang saß er bewegungslos da und starrte mit seinen gelben Augen auf etwas Unsichtbares. Dann fragte er: »Hast du etwas von Pagadan?« »Nur ein paar undeutliche Antworten in den letzten Minuten«, antwortete der Roboter. »Offenbar hat sie nur verstanden, daß du Kontakt mit ihr aufnehmen willst – und kann auch ihre Antwort nicht in dem im Augenblick nötigen Maß verstärken. Hast du eine bestimmte Botschaft?« »Ja«, antwortete Iliff. »Solange du überhaupt irgendeine Reaktion von ihr bekommst, übermittle ihr dies: ›Töten Sie Tahmey! Verlassen Sie Gull!‹ Mach es verbal und stark. Selbst wenn die Verbindung nicht besser wird, könnte das doch klar genug durchkommen.« »Das ist durchaus nicht ausgeschlossen«, stimmte der Roboter zu. Und einen Augenblick später fügte er hinzu:
»Aber es ist wenig wahrscheinlich, daß der Interstellaren Operatorin auch nur eines von beiden gelingt, Iliff.« Erst nach einer Pause antwortete Iliff. »Ja«, sagte er dann. »Das fürchte ich auch. Aber sie ist sehr fähig – sie hat eine Chance.« BESTIMMT FÜR EMPFÄNGER VOM ZONENAGENTEN AUFWÄRTS Beschreibung:… Gehirnparasit außergalaktischer Herkunft, unbeabsichtigt in unsere Zonen eingeschleppt und jetzt hier weit verbreitet… In freiem Zustand eine nichtmaterielle, aber zusammenhängende Form bewußter Energie, charakterisiert durch ausgeprägte Mobilität. Basis-IQ etwas über menschlichem A-Typ. Verhalten… weitgehend durch Reflex und Intuition bedingt. Zyklus:… Der freie Zustand, der im allgemeinen nur einen kleinen Teil im Lebenszyklus des Ceetal darstellt, ist von unbegrenzter Dauer, bis der Parasit auf einen passenden Wirtsorganismus trifft. Sauerstoffatmende Lebensformen mit dem menschlichen Nervensystem und seinen Energien vergleichbare Neuralmechanismen sind dafür geeignet. Bei Kontakt mit einem Wirtsorganismus vollziehen sich in dem Ceetal Veränderungen, die es ihm ermöglichen, die Energieantriebe dieses Wirtsorganismus zu kontrollieren. In der Folge entwickelt er die Kapazität der Nervenbahnen des Wirtsorganismus bis zum Fünffachen der vorherigen absoluten Notkapazität. Im Typfall Ceetal-Homo Lycanno S-4, 1782 – wurde eine auffallende lokale Hypertrophie des Zentralnervengewebes beobachtet, die auf Abwehrmaßnahmen gegen die Überbelastung des Organismus schließen läßt. Welche Vorteile der Parasit aus der Entwicklung eines Wirtsorganismus von so anomaler Potenz und Wirksamkeit ziehen kann, liegt auf der Hand. Für den größten Teil des
langen parasitären Stadiums ist er untrennbar mit seinem Wirtsorganismus verbunden und kann dessen Tod nicht überleben. Kommt es nicht zu Unfällen oder Einwirkungen höherer Gewalt, kann er jedoch die biologische Lebenszeit seines Wirtsorganismus fast unbegrenzt verlängern. Am natürlichen Ende dieses Stadiums reproduziert sich der Ceetal, wobei sich der einzelne Parasit in acht im freien Stadium befindliche Exemplare aufteilt. Bei diesem Vorgang wird der Wirtsorganismus getötet, und jeder frei gewordene Ceetal kann seinerseits einen neuen Lebenszyklus beginnen. LEITSTELLE AN DEPARTEMENT FÜR GALAKTISCHE ZONEN F. Die ursprüngliche Anzahl von in freiem Zustand befindlichen Ceetal kann also mit etwa neunundvierzigtausend beziffert werden. Der Schwarm kam zuerst in Berührung mit dem Planeten Toeller, wo die Mehrzahl der Ceetal mit den höchstentwickelten dortigen Lebensformen eine Symbiose eingingen. Das Phänomen des »Toeller-Wurms«, der bisher als das bemerkenswerteste Beispiel spontaner mentaler Evolution einer Spezies angesehen wurde, ist damit erklärt. Die bösartige Natur dieses Ceetal-beeinflußten Super-Toeller spiegelt den im wesentlichen durch eine Affinität zur Gewalt gekennzeichneten Charakter des Ceetals wider. Bis auf die etwa tausend Ceetal, die sich auf Toeller nicht in einem Wirtsorganismus festgesetzt hatten, wurde der gesamte Schwarm durch unsere Streitkräfte vernichtet. G. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein zweiter Schwarm dieser Parasiten in unserer Galaxie auftritt, ist so gering, daß sie praktisch nicht beziffert werden kann. H. Die Bedrohung durch die relativ wenigen verbliebenen Ceetal liegt in der Absicht dieser Überlebenden, ihre
Wirtsorganismen nur in zivilisierten Spezies mit einem hohen Basis-IQ zu suchen, welche die Entwicklung und Erhaltung eines sich über ganze Kultursysteme erstreckenden dominierenden Einflusses ermöglichen. In dem fraglichen Typfall sicherte sich der betreffende Ceetal nicht nur uneingeschränkte politische Beherrschung des Klasse-Zwölf-Systems von Lycanno, sondern dehnte seinen Einfluß auch noch auf drei benachbarte Systeme aus. Da alle überlebenden Ceetal Kontakt miteinander aufrechterhalten und die Identität und der Aufenthaltsort von einhundertachtzehn dieser Überlebenden im Bericht des Agenten angegeben sind, dürfte es nicht schwierig sein, diese vor ihrer nächsten Reproduktionsperiode zu vernichten – die es anderenfalls den Parasiten erlauben würde, sich in gefährlichem Maße in der gesamten Galaxie zu verbreiten. Die Reproduktionsperiode der ersten Ceetal, die sich nach der Zerstörung der Toeller-Würmer in Wirtsorganismen von auf menschlicher Stufe stehenden IQ festgesetzt haben, dürfte in zwei bis fünf Standardjahren anstehen. Deshalb ist diese Vernichtungsoperation unverzüglich in Angriff zu nehmen. Natürlich wird die von dem Parasiten ausgehende Gefahr durch den Umstand, daß sie sich Wirtsorganismen von abnorm hohem IQ aussuchen, noch bedeutend gesteigert. Daß von derartigen unter Ceetal-Einfluß stehenden und mental überentwickelten Wesen eine tödliche Gefahr für die Zivilisation ausgeht, kann nicht genug betont werden. Das Problem der Beseitigung aller überlebenden Ceetal – oder notfalls aller potentiellen Super-Wirtsorganismen – ist deshalb von allergrößter Dringlichkeit.
»Wem sagen die das!« murmelte der Koordinator zerstreut. Er rieb sich das lange Kinn und drückte auf einen Knopf.
»Psycho-Tester?« fragte er. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich ein anderer Ceetal in U-1 festsetzt?« »Es muß angenommen werden«, antwortete eine mechanische Stimme, »daß der Versuch sofort unternommen wird. Der Schlag, den Sie gegen die im Report des Agenten aufgeführten Ceetal unternommen haben, kann nicht verhindern, daß ein unbekannter Überlebender die Verbringung von U-1 an einen anderen geheimen Ort anordnet, wo man nach Gutdünken mit ihm verfahren kann. Da Sie mit einer Frist von zwei Tagen rechnen, bis die jetzt durchgeführte Aktion gegen die Ceetal abgeschlossen ist, kann im Moment nicht ausgeschlossen werden, daß einige entkommen konnten. Selbst ein einziger Ceetal, der sich eines Wirtsorganismus bemächtigt, wie U-1 das ist, würde schließlich die Dominanz der Spezies sicherstellen. Der Obersten Galaktischen Zonenbehörde ist kein anderer potentieller Wirtsorganismus bekannt, der sich auch nur in annähernd gleichem Maße für die Zwecke der Ceetal eignen würde.« »Ja«, sagte der Koordinator. »Ihre Zwecke… das heißt also, daß U-1, wenn er von ihnen beherrscht würde, uns beherrschen könnte?« »Ja«, sagte die Stimme. »Das könnte er.« Der Koordinator nickte nachdenklich. Seine Miene war vielleicht ein wenig düsterer als gewöhnlich. »Nun, was wir von hier aus tun können, haben wir getan«, sagte er dann. »Der erste Agent wird in etwa elf Stunden auf Gull eintreffen. Morgen werden es sechs sein. Und eine Zerstörerflotte in Rufweite. Aber keiner wird viel ausrichten können, fürchte ich!« »Sehr wahrscheinlich«, erklärte die Stimme.
»Zonen-Agent Iliff steht im Augenblick nicht mehr in Verbindung mit uns«, fuhr der Dritte Koordinator fort. »Die Leitstelle hat ihm mitgeteilt, daß sie Tahmey als U-1 identifiziert hat. Ich möchte annehmen, daß er mit Höchstgeschwindigkeit nach Gull unterwegs ist?« »Ja, natürlich.« »Interstellar meldet, daß mit der Operatorin auf Gull noch kein Kontakt aufgenommen werden konnte. Wie es scheint«, schloß der Koordinator, »erkennt Zonen-Agent Iliff den Ernst der Situation.« »Ja«, sagte die Stimme, »er erkennt ihn.«
»Das G.Z.-Hauptquartier versucht immer noch durchzukommen«, meldete der Roboter. Und er fügte hinzu: »Iliff, dies ist nicht länger eine Mission für einen einzigen Agenten.« »Ganz recht! Wahrscheinlich ist schon das halbe Departement nach Gull unterwegs. Möglicherweise wird man nur etwas zu spät kommen. Jedenfalls wissen die Leute jetzt auch, was wir wissen – oder jedenfalls so viel, wie gut für sie ist. Wann kam das Letzte von Pagadan?« »Vor über zwei Stunden.« Iliff schwieg einen Augenblick. »Dann brauchen wir es wohl nicht mehr weiter zu versuchen«, sagte er schließlich. »Aber wir bleiben auf Empfang – für alle Fälle. Und absolute Höchstgeschwindigkeit bis Gull!« Nach seiner Landung auf dem Planeten erwies es sich bald, daß Pagadan, wenn sie sich noch hier befand, nicht in der Lage war, auf einen telepathischen Anruf zu reagieren. Und nicht viel später stellte er fest – was noch wesentlich bedeutsamer war – daß dasselbe auch für die als Deel bekannte Person galt.
Die nächste Stunde war wie ein Alptraum – bis er die richtigen drei oder vier Gehirne sondierte. Dann wußte er, daß die zwei gesuchten Personen den Planeten zusammen, aber sonst unbegleitet verlassen hatten – nicht lange, nachdem er Pagadan zum erstenmal zu erreichen versucht hatte. Er sandte die Nachricht an das im Dock befindliche Schiff und fügte hinzu: »Wer da wen weggebracht hat, ist natürlich die Frage. Meiner Vermutung nach hatte Pagadan noch keinen Selbstmordreflex ausgelöst, und U-1 war noch Deel, als sie den Planeten verließen. Das Schiff ist eine neue, von einem Alleinpiloten gesteuerte Yacht und mit Brennstoff für fünfzig Tage versehen. Keine Mannschaft. Ein Zielort ist nicht bekannt. Dies ist sofort an das Hauptquartier weiterzuleiten! Man wird zwar von dort aus nichts machen können, aber wenigstens wissen die Leute Bescheid.« »Ist geschehen«, erwiderte der Roboter gleichmütig. »Und jetzt?« »Ich komme sofort zurück – wir verfolgen sie natürlich.« »Sie muß deine Botschaft erhalten haben«, sagte der Roboter nach einer kurzen Pause, »aber nicht klar genug, um genau zu wissen, was du von ihr wolltest. Wie hat sie es angestellt?« »Das scheint hier niemand zu wissen – sie hat die ›Wachhunde‹, die auf Deel aufpaßten, vernichtet, und seitdem geht auf Gull alles drunter und drüber. Natürlich hat die Bande des Ceetal den Planeten in der Hand, und sie glaubt, daß Deel und seine Entführer immer noch hier sind. Von Lycanno ist die Nachricht gekommen, daß dort etwas völlig schiefgelaufen ist; aber hier wissen sie noch nicht genau, was. Und jetzt argwöhnen sie allmählich, daß sich in dieser letzten Stunde jemand ganz genau in ihren Gedanken umgesehen hat.« Die beiden Männer im Korridor der Raumhafenbüros benutzten Gedankenschilde eines einfachen, aber wirksamen
Typs. Es war die Spannung in ihren Muskeln und Nerven, die ihn zuerst warnte. Sie stieg, als er sich ihnen näherte, und verminderte sich wieder, als er vorbei war – aber nur wenig. Er sandte eine Warnung an das Schiff. »Wir bleiben in ständiger Verbindung, und allergrößte Vorsicht und Wachsamkeit! Die Jagd auf mich hat schon begonnen!« »In den Docks ist noch nichts festzustellen«, antwortete der Roboter sogleich. »Ist es bei dir schon gefährlich? In drei Sekunden könnte ich da sein.« »Und würdest ein paar tausend Leute dabei umbringen, Junge! Bleib, wo du bist. Mir folgen zwei Männer, und um die nächste Ecke warten noch etliche. Alle haben Gedankenschilde – sieht aus wie Geheimpolizei.« Eine Sekunde später: »Sie wollen Paralysatoren einsetzen. Es besteht also keine ernste Gefahr – die Leute des Ceetal wollen mich lebend erwischen, um mich verhören zu können.« »Was willst du tun?« »Sollen sie mich ruhig schnappen. Interessiert sind sie an dir! Lycanno hat sich über uns beklagt, und sie glauben, wir könnten die Absicht haben, Deel und die Lannai von hier wegzubringen. Wie sieht es bei dir aus?« »Ruhig, aber nicht sehr gut! Am äußersten Rand des Visorbereiches sind einige Kampfschiffe – dort können sie nicht viel anrichten. Aber im Umkreis von dreihundert Kilometern befinden sich zu viele Gruppen von Männern mit Gedankenschilden, die auf irgend etwas warten. Wenn wir uns wieder ohne Erlaubnis davonzumachen versuchen, wollen sie große Raumkanonen einsetzen, würde ich sagen.« »So, jetzt kommen die Paralysatoren!« Er trat um die Ecke des Korridors und erstarrte dann, umgeben von flackernden weißen Lichtfontänen, welche die
Mündungen von Paralysator-Pistolen in den Händen von drei der acht wartenden Männer gegen ihn ausspien. Nach einer Fünftelsekunde wurden die Strahlen automatisch abgeschaltet. Iliffs Erstarrung löste sich langsam… er kippte gegen die Wand und sackte zu Boden, und sein offener Mund verlieh seinem Gesicht einen Ausdruck törichter Überraschung. Einer der Männer ging auf ihn zu, hob seinen Kopf und zog ein Augenlid hoch. »In Ordnung«, verkündete er befriedigt. »Er bleibt in diesem Zustand, solange es gewünscht wird.« Ein anderer Mann sprach in ein Handgelenk-Mikrophon. »Wir haben ihn. Wohin mit ihm?« »In den Ambulanzwagen am Haupteingang«, krächzte eine Stimme. »Schaffen Sie ihn zu Dock 709. Wir müssen das Schiff untersuchen und brauchen ihn, um hineinzukommen.« »Dacht ich mir’s doch«, ließ sich Iliff beim Roboter vernehmen. »Sie werden behaupten, daß es ein Unfall oder irgend so etwas war und anbieten, mich ins Schiff zu bringen.« Der Gedanke verebbte und kam einen Augenblick später wieder: »Statt dieser Gedankenschilde könnten sie genausogut Siebe nehmen. Die Jungs hier wissen gar nichts, außer daß sie mich festnehmen sollen. Aber wir können jetzt nicht mehr warten. Wir müssen sie mitnehmen. Alles startbereit, sobald wir drinnen sind!« Die acht, die ihn durch die untere Schleuse des Schiffs hievten – sechs trugen die Bahre, zwei warteten darauf, helfen zu können – gehörten zu Gulls härtesten Männern. Es war eine gut ausgebildete, schwer bewaffnete Gruppe, die auf fast jede denkbare Schwierigkeit vorbereitet war. Dennoch hatten sie nicht die geringste Chance. Unmittelbar hinter dem letzten von ihnen schloß sich lautlos die Schleuse. Aus dem wartenden Ambulanzwagen und einer
Anzahl anderer getarnter Fahrzeuge schossen gewaltige Flammenstöße gegen das Schiff – doch im nächsten Moment wurden sie von der gewaltigen Druckwelle des Starts wie Spielzeug davongeschleudert. Ein ungeheurer Donnerschlag pflanzte sich fast sichtbar bis zum Horizont fort; die Docks erbebten. Und schon war das Schiff verschwunden. Sekunden später wurde das Gebiet des Raumhafens von neuem erschüttert – diesmal durch den Absturz eines mit einer Raumkanone bestückten Schiffs in zwölf Kilometer Entfernung. Das war die einzige größere Waffe gewesen, die auf dieser Seite des Planeten gegen die Flüchtigen in Aktion getreten war. Noch bevor die Detonationswelle die Docks erreichte, hatten auch auf der anderen Seite des Planeten zwei Kanonen ihre gewaltigen Energiebündel in den Raum gesandt, aber nur kurz. In der Nähe des Pols hatte das Schiff die Atmosphäre Gulls verlassen und direkt Kurs auf den Mond des Planeten genommen, der die Hauptfestung des Systems darstellte. So konnte es nicht mehr unter Feuer genommen werden, bis der Roboter auf halbem Wege zum Mond fast rechtwinklig abbog und in schnell weiterwerdenden Spiralbewegungen davonschoß. Noch eine volle Minute, nachdem sich das Ziel aus ihrer Reichweite entfernt hatte, feuerte die schwere Artillerie des Mondes hinter dem Schiff her. Es hätte viel schlimmer werden können, räumte Iliff ein. Und sogleich fragte er sich, was er damit eigentlich meinte. Er war weder bewußtlos noch bei Bewußtsein – ein körperlos schwebender Geist, der vage gewahr wurde, daß man ihn in die Realität zurückholte, und zwar unsanfter als sonst. Und wie gewöhnlich erwartete man von ihm, daß er dort etwas tat – etwas Unangenehmes.
Dann wurde ihm klar, daß ihm der Roboter pflichteifrig einen Bericht über die jüngsten Ereignisse in den Sinn dröhnte, während er sich gleichzeitig bemühte, ihn wieder zum Erwachen zu bringen. Es war alles nicht ganz so schlimm! Außer Gefecht gesetzt waren sie nicht, und konnten sie irgendeinen Gegner im Raum nicht besiegen, so waren sie immer noch schnell genug, ihm zu entkommen. Das wußten jetzt auch ihre Verfolger. Kein Zweifel, er hätte einigermaßen vorhersehen können, wie der Roboter ihre Flucht anstellen würde unter den Kanonenmündungen eines in Alarmzustand versetzten Planeten und angesichts eines beträchtlichen Teils seiner Kriegsflotte. Für das fünf Meter große Loch in dem Abteil direkt neben der Schleuse konnte natürlich niemand etwas. Durch puren Zufall waren sie hier kurz vom äußersten Rand eines Energiestrahls gestreift worden, den ihnen eine der gigantischen, auf Gulls Mond stationierten Raumkanonen nachgeschickt hatte. Bei den restlichen Schäden – vergleichsweise unbedeutenden Schrammen – konnte man nicht einfach von Zufall sprechen. Sie waren dadurch verursacht, daß sie schnurgerade durch Gruppen von schnellfeuernden Schiffen hindurchgeschossen waren, was auch hätte vermieden werden können. Halb im Traum überlegte sich Iliff, ob er nach Jeltad fliegen und dort das ungehorsame elektronische Gehirn einer Überholung unterziehen lassen sollte. Es war nicht zum erstenmal, daß er daran dachte, doch hatte er den Plan immer wieder fallen lassen. Jetzt mußte es wohl dennoch sein. Und sofort… Bei diesem Gedanken erwachte er und war sich auch auf der Stelle der viel dringender anstehenden Aufgabe bewußt. Nur ein leichter Schwindel blieb von den Maßnahmen, die
getroffen worden waren, um ihn aus dem Schlaf-Kraftfeld herauszuholen und die Paralysator-Strahlen zu neutralisieren. Er beugte und streckte sich und verzog das Gesicht bei dem leichten Brennen, welches das wie schaumige Säure durch seine Adern tanzende Zeug verursachte. Währenddessen hoben die stählernen Greifarme des Roboters die immer noch friedlich schlafenden acht Männer in ein Rettungsboot, das nach seinem Start erst zögernd einen Halbkreis beschrieb und dann geradewegs auf Gull zusteuerte. »Und so geht es weiter«, verkündete Iliff, während die Signale des Rettungsbootes allmählich leiser wurden. »Sie haben nicht viel Vorsprung, und überdies nur eine gewöhnliche Yacht. Wenn sie den von mir vermuteten Kurs eingeschlagen haben, können wir sie jeden Augenblick einholen. Allerdings müssen wir sichergehen. Deswegen brauchen wir ein globales Abfangfeld – mit Gull als Zentrum natürlich. Detektoren auf äußerste Empfindlichkeit. Ungerichtete Telepathiestrahlung. Ruf mich, sobald auch nur das geringste Anzeichen da ist.« Die metallisch klingende Stimme verkündete: »Ist geschehen.« »Gut. Die Detektoren sind wohl am aussichtsreichsten. Was die Telepathie anbelangt: Wir werden Pagadan nicht direkt rufen, sondern versuchen, eine unterbewußte Antwort zu bekommen. U-1 dürfte die Dinge jetzt in die Hand genommen haben, aber das bekommt er vielleicht nicht mit – zumindest nicht gleich. Übermittle ihr dies…« Eine Stunde später war die telepathische Verbindung da.
»Entfernung weniger als ein halbes Lichtjahr. Näher heran, und Traktor-Strahl?«
»Näher heran, aber kein Traktor-Strahl! Noch nicht.« Iliff kaute auf seiner Unterlippe. »Bist du sicher, daß sie danach nicht mehr antwortete?« »Nicht nach dieser ersten unterbewußten Reaktion. Aber möglicherweise ist sie ja unmittelbar darauf gegen TelepathieKontakt abgeschirmt worden.« »Jedenfalls war sie da noch am Leben«, sagte Iliff resigniert. »Gib dem Hauptquartier den Standort der Yacht, und dann stoppst du sie mit einem Gefrierfeld. Ich muß wohl an Bord gehen…« Er lächelte ein wenig gequält und fügte hinzu: »Also schnell, Junge, und größte Vorsicht, sobald wir uns nähern! Wahrscheinlich ist die Yacht ohne schwere Bewaffnung, aber U-1 hat schon öfter kleine Wunder vollbracht.« »Das Hauptquartier gratuliert uns überaus herzlich«, berichtete der Roboter kühl. »Es sagt auch, daß zwei weganische Zerstörer die Yacht innerhalb von sechs Stunden erreichen können.« »Wie schön!« sagte Iliff. »Dann können wir uns, wenn du dir noch ein paar Löcher reinschießen läßt, wenigstens abschleppen lassen.« Er stieg in einen Panzeranzug und begab sich zur Schleuse. Das fremde Schiff war noch etwa fünf Flugminuten entfernt. Auf den Visorschirmen war es bewegungslos und ganz nahe zu sehen. Bug und Flanken glitzerten unter der Einwirkung des Gefrierfeldes, das es für Stunden immobilisiert hatte. »Aber das Feld leuchtet nicht«, sagte Iliff und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Der Bursche kennt sich aus! Er hat es fertiggebracht, seine Kraftgeneratoren zu isolieren, und jetzt verläßt er sich einfach darauf, daß wir das Schiff nicht abschießen, sondern ihn herauszuholen versuchen. Das Dumme ist, daß er recht hat.«
»Iliff«, meldete sich der Roboter in unpersönlich-förmlichem Ton, »die Vorschriften erlauben nicht, unter so selbstmörderischen Bedingungen an Bord eines feindlichen Raumschiffes zu gehen. Ich bin deshalb autorisiert…« Geradezu überrascht brach die Stimme ab. Iliff hatte die Augen nicht vom Visorschirm gewendet. Nach einer Weile sagte er kühl: »Als ich an deinen Impulsen herumbastelte, bis ich das Modul fand, das es dir erlaubt, dich zu meinem eigenen Besten an meine Angelegenheiten einzumischen, war das auch gegen die Vorschriften. Seit Jahren lebst du ohne dieses Teil, mein Junge – außer wenn du gerade überholt wirst.« »Das war nicht klug«, antwortete der Roboter. »Ich hatte keine Möglichkeiten, etwas gegen deine Absichten zu unternehmen, sogar wenn sie Selbstmord einschlossen, solange die Umstände so etwas nötig erscheinen ließen. Das ist hier nicht der Fall. Du solltest entweder auf die Zerstörer warten oder mir erlauben, ohne Rücksicht auf die Interstellare Operatorin die Yacht mitsamt U-1 zu zerstören – obwohl Pagadan sicher für die Zivilisation nicht ohne Bedeutung ist.« »Im Hauptquartier steht man genau auf diesem Standpunkt«, nickte Iliff. »Dort möchte man, daß sie am Leben bleibt.« »Natürlich ist es ungleich wichtiger, U-1 zu vernichten, sobald sich die Gelegenheit bietet. Als Anführer der ›Ghant Spacers‹ hat er ganze Planetensysteme auf dem Gewissen. Wenn du ihn jetzt entkommen läßt, gibst du ihm die Chance, weiterzumachen.« »Ich habe überhaupt nicht die Absicht, ihn entkommen zu lassen«, erwiderte Iliff ruhig. »Der Bereich meiner Fähigkeiten ist begrenzt«, erinnerte ihn der Roboter. »Innerhalb dieses Bereiches bin ich dir natürlich überlegen, außerhalb bedarf ich jedoch deiner Führung. Wenn du dir den Zutritt zu diesem Schiff erzwingst, mußt du damit
rechnen, dabei umzukommen. Da das Schiff aber gegen Telepathie abgeschirmt ist, werde ich deinen Tod nicht wahrnehmen können. Ob ich unter diesen Umständen U-1 hindern kann, vor der Ankunft der Zerstörer zu fliehen, ist zweifelhaft.« Iliff wurde plötzlich bleich und begann zu zittern. Nur mit Mühe gewann er seine Selbstbeherrschung wieder. »Ich habe Angst vor dem Burschen!« bekannte er, von seiner eigenen Reaktion überrascht. »Und du machst mir die Sache nicht leichter. Also erspar mir diese guten Ratschläge und hör zur Abwechslung zu!« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Gut möglich, daß die Lannai tot ist. Wenn nicht, wird U-1 sie kaum umbringen, ehe er weiß, was wir wollen. Auch für ihn ist die Lage nicht rosig – er wird glauben, daß wir Weganer sind und deshalb gar nicht erst den Versuch machen, zu verhandeln. Andererseits wird er davon ausgehen, daß wir, solange wir Pagadan am Leben wähnen, bei unseren Aktionen gegen ihn einigermaßen vorsichtig sein werden. Der Versuch, sie dort herauszuholen, hat also vielleicht Aussicht auf Erfolg. Und nun zu dir. Zunächst darfst du auf keinen Fall zu nahe an das Schiff heran. Kurz bevor ich die Yacht erreiche, reißt du mit einem Traktor-Strahl die vordere Schleuse auf. Von dort aus ist es nicht mehr weit zur Steuerkabine, wo U-1 sein muß. Sobald ich einmal im Innern des Schiffes bin, wird wegen der Telepathieblockierung natürlich keine Verbindung mehr zwischen uns möglich sein. Sollte die Verbindung plötzlich wieder da sein und ich anfangen, Befehle zu geben, dann ignoriere sie! Wahrscheinlich stehe ich dann unter dem Einfluß von U-1. Verstehst du – ich gebe dir jetzt den Befehl, meine weiteren Befehle nicht zu befolgen, bis ich wieder an Bord dieses Schiffes bin.«
»Ich verstehe.« »Gut. Was auch immer passiert, du umkreist die Yacht, sobald ich sie betreten habe, zwanzig Minuten lang, und nach Ablauf dieser zwanzig Minuten vernichtest du sie. Wenn Pagadan oder ich oder beide von uns vorher herauskommen, ist es gut. Aber laß uns nicht im Schiff, und beachte auch keinerlei Instruktionen von uns, ehe die Yacht zerstört ist. Falls es U-1 gelingt, uns unter seine Kontrolle zu bringen, soll ihm das nichts nützen. Kommt er selbst heraus – mit oder ohne uns, in einem Rettungsboot oder im Panzeranzug – dann machst du ihm natürlich sofort den Garaus. Das Laboratorium würde zwar gern dieses Gehirn studieren, aber dieses Mal kann ich leider nichts für die Jungs tun. Alles klar?« »Alles klar, ja.« »Fällt dir noch irgendein anderer Trick ein, den er versuchen könnte, um aus der Klemme zu kommen?« Der Roboter schwieg einen Moment. »Nein«, sagte er dann. »Aber U-1 fällt vielleicht einer ein.« »Mhm«, stimmte Iliff nachdenklich zu. »Aber nicht in zwanzig Minuten – und die wird er nicht haben, denn wir werden ihn inzwischen ganz schön beschäftigen. Vielleicht komme ich nur schwer gegen ihn an – aber ins Schwimmen bringe ich ihn!« Natürlich war das Entern eines gegnerischen, in den Händen eines erfahrenen und zu allem fähigen Raumfahrers befindlichen Schiffes nicht gerade eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Mit den Kräften, die einen solchen Schiffskörper aus Substahl-Legierungen mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum schossen, konnte man einem unerwünschten Eindringling nur allzu leicht die verschiedensten Fallen stellen. U-1 kannte natürlich jeden nur denkbaren Trick. Andererseits hatte er keinen besonderen Anlaß zu der Befürchtung gehabt, gestellt zu werden, bis er ihre Telepathiestrahlen entdeckt und
blockiert hatte – außer es war ihm in dieser Zeit gelungen, die Gedankenschilde der Lannai zu durchbrechen, ohne sie zu töten, was selbst ihm kaum möglich sein konnte. Wahrscheinlich aber war sich U-1 erst seit weniger als einer Stunde bewußt, daß er verfolgt wurde, und das genügte ihm nicht, sich auf den Empfang eines Eindringlings vorzubereiten – so hoffte Iliff jedenfalls. Das Schlimme war nur, daß er so lange unterwegs sein würde – volle vier Minuten zwischen der glitzernden Yacht und seinem Roboterschiff, das sie jetzt in mittlerer Entfernung umkreiste. Dies war eine für die Sicherheit der ganzen Operation unumgängliche Maßnahme, und eigentlich könnte U-1 auch nichts gegen ihn unternehmen, ehe er in der Yacht war. Aber der kurze Augenblick vorhin, wo er fast die Kontrolle über sich selbst verloren hatte, mußte ihm eine Warnung sein, daß seine Nerven vielleicht diese Anspannung nicht mehr lange durchhalten würden. Jahrelang hatte er mit der Angst gelebt, aber das war etwas anderes. Nur einmal vorher hatte er ein Gefühl unbeschreiblichen, gräßlichen Schreckens empfunden, von dem er jetzt nicht mehr sehr weit entfernt war, das spürte er. In einem Laboratoriumstest war das gewesen, vor langer Zeit. Aber er hütete sich davor, sich jetzt näher mit diesem Phänomen zu befassen. Wenn er das tat, konnte es leicht geschehen, daß es im entscheidenden Augenblick stärker sein würde als er. Und das würde ohne Zweifel das Ende bedeuten. Aber es gab noch einfache, aber vielleicht doch wirksame Mittel der Selbstkontrolle: Zum Beispiel die unbestreitbar wohltuende Überlegung, daß nicht nur die drohende Gefahr einer Ceetal-beherrschten Galaxie praktisch abgewendet worden war, sondern daß gleichzeitig – wenn auch mit Glück – die lange, lange Jagd auf einen der unbarmherzigsten Feinde jeglicher Zivilisation zu
einem unverhofft raschen Ende zu kommen schien. Wie die rächende Macht einer personifizierten Wega stand hinter ihm eine tödliche Maschine, gesteuert von einem Geist, der gleichzeitig stärker und schwächer war als sein eigener, und die jetzt mit präziser Regelmäßigkeit die zum Untergang verurteilte Yacht umkreiste. Jede Umrundung zeigte an, daß von den zwanzig Minuten, die U-1 höchstens noch hatte, wieder eine verstrichen war. Nicht von der Hand zu weisen war freilich auch die Wahrscheinlichkeit, daß Pagadan noch eher den Tod finden würde – falls sie überhaupt noch lebte. Aber da konnte er nicht viel machen. Wartete’ er auf die Ankunft der weganischen Zerstörer, dann würde die Lannai überhaupt keine Chance haben. Niemand konnte sechs Stunden lang dem Druck wiederstehen, den U-1 auf sie ausüben würde, um noch das letzte Stückchen Information aus ihr herauszuholen. Nur wenn er nach seinem Plan verfuhr, gab es für sie eine Chance. Aber seine eigenen Aussichten standen auch nicht sehr gut. Das Bewußtsein, es mit einem überlegenen Gegner zu tun zu haben, war nichts Neues für ihn. Nur dadurch, daß er immer selbst der Angreifer blieb und damit selbst Ort, Zeit und Methode des Kampfes bestimmte, war er stets in der Lage gewesen, die Überlegenheit der monströsen Geister, mit denen er es als Zonen-Agent hauptsächlich zu tun hatte, immer wieder wettzumachen. Und hinter sich hatte er stets die ungeheure Macht der Konföderation gewußt, die er zu Hilfe rufen konnte, wenn es nötig war. Dieses Mal war die vertraute Situation fast umgekehrt. U-1, zum Untergang verurteilt, soweit das in der Macht menschlicher Wesen stand, war dennoch in der Lage gewesen, die Form des ersten Angriffs zu bestimmen und seinem Gegner aufzuzwingen.
Wie gewöhnlich würde sich die Auseinandersetzung also nach Plan entwickeln – aber es würde nicht Iliffs Plan sein. Dieses Mal müßte er die andere Rolle übernehmen, die des Gejagten, der zum Angriff verlockt und dann in dem für den Jäger günstigsten Moment zur Strecke gebracht wird. Verzweifelt versuchte er, sich aus dieser Verstrickung zu lösen. Aber es war ein wenig zu spät – wieder hatte ihn ein kurzer Anfall lähmenden Entsetzens gepackt, und er wußte, daß seine Erfolgschancen durch diese unnötige Schwäche noch weiter gesunken waren. Dann kam er der siebzig Meter langen Yacht immer näher, bis sie sein Gesichtsfeld ausfüllte. Als er den Abbremsvorgang einleitete, hatte er Zeit, sich daran zu erinnern, daß das Wild, wenn es in die Falle ging, so doch in näheren Kontakt zum Jäger kam und daß er alles sehr wohl durchdacht hatte, ein nicht zu Ende geführter Auftrag ihm aber zuwider war. Und daß er Pagadan mochte. Als er, alle Waffen bereithaltend, zur vorderen Schleuse der Yacht schwebte, fing er einen kurzen Gedanken des Roboters auf: »Er wartet auf dich! Alle Sperren sind von innen geöffnet worden.« Iliffs »Hm-m-m!« war eine Reverenz vor der Logik seines Gegners. Vor ihm hatte sich die Schleuse geöffnet – natürlich hatte es auch gar keinen Sinn, sie gegen die Einwirkung des ziehenden Traktor-Strahls eines stärkeren Schiffs geschlossen halten zu wollen, denn das hätte ja nur ihre Zerstörung bedeutet. In seinem Panzeranzug aus grünlicher SubstrahlLegierung wie ein kleiner Ballon wirkend, schwebte er langsam zu der Öffnung empor und durch sie hindurch. Kein Kraftfeld zerrte an ihm, keine vernichtende Strahlung drang auf ihn ein. Das abgrundtiefe Entsetzen, das ihn noch einen Moment zuvor gepackt hatte, wich einem undeutlichen Gefühl – und war dann geschwunden.
Jetzt galt es. Er durchquerte den inneren Transmitterraum und spürte, wie sich die Telepathiebarriere, die eine Verbindung ins Freie unmöglich machte, öffnete und hinter ihm wieder schloß. In diesem Augenblick ließ er seine Schilde fallen und schickte seine Gedanken mit voller Intensität durch das Schiff. Ganz kurz nur nahm er flackernde, verzerrte Gedankenbilder von Pagadan wahr. Keine Botschaft, kein Bewußtsein seiner Gegenwart – nur die schwache, unbewußte Ausstrahlung eines unter äußerster Belastung stehenden, aber noch lebendigen Geistes, den schon die letzte, endgültige Erschöpfung zu überwältigen drohte. Kaum hatte er diese Ausstrahlung wahrgenommen, war sie schon wieder geschwunden. Irgend etwas Undurchdringliches hatte sie abgefangen – etwas, das sich wie erstickender Nebel um den Geist der Lannai legte. Gerade noch rechtzeitig hatte Iliff von neuem den Schutz seiner Schilde aufgesucht. Dann wurde er geradezu physisch erschüttert von der stärksten mentalen Attacke, der er jemals ausgesetzt gewesen war. Wie ein gewaltiger Hammer schlug die unsichtbare, vernichtende Kraft auf ihn ein und zuckte zurück, ehe er reagieren konnte. Seine Nervenzentren bäumten sich auf, seine Sicht verschwamm. Verzehrendes Atomfeuer prallte mit blendendem Schein von seinem Panzeranzug ab, als er in der Tür der Steuerkabine erschien. Ein doppelter, auf Druckwirkung umgepolter Traktor-Strahl schlug betäubend gegen seinen Schutzhelm. Mit einem Satz war er in der Kabine und ließ sich von den TraktorStrahlen gegen die Wand schleudern. Aber diese Strahlen konnten ihm nichts anhaben. Ihre Funktion war nur, ihn zu verwirren und von dem entscheidenden Angriff abzulenken. Das Feuer war kritischer. Eine Minute vielleicht konnte sein Panzeranzug es aushalten, aber nicht länger. Alles war darauf
abgezielt, ihn zum Angriff zu zwingen. Ihm den Zutritt zur Steuerkabine zu verwehren, war nicht ernstlich versucht worden – er sollte sie vielmehr betreten. Dann sah er Pagadan, und auch das war beabsichtigt. Etwa in der Mitte der schmalen Kabine saß sie mit dem Gesicht zu ihm, nur ein, zwei Meter entfernt von der erhöhten Steuerplattform, von der aus die bläulichen, baumdicken Feuerstrahlen auf ihn zuschossen. Sie trug einen gewöhnlichen Raumanzug ohne Panzerung. Starr und bewegungslos saß sie da und blockierte ihm den Zugang zu dieser Seite des Raums, denn der Raumanzug, den sie trug, wäre beim ersten Kontakt mit den höllischen Energien, die so gefährlich nahe an ihr vorbeiströmten, im Bruchteil einer Sekunde verglüht. Er war hierhergekommen, um seine Gefährtin zu retten, nicht um sie zu töten – das war auch U-1 klar. Iliff unterwarf sich dieser Logik, indem er sich enger an die gegenüberliegende Wand drückte und das Feuer hinter sich herzog. Dabei bemerkte er, daß irgend etwas wie ein gigantischer Käfer hinter dem massiven Stahlpult auf der Kontrollplattform seine Position veränderte und sich dann wieder seinen Blicken entzog, und nun wußte er, daß U-1 eine Panzerung hatte, die fast ebenso massiv wie seine eigene war – eine Panzerung, die zu Pagadans interstellarer Ausrüstung gehört hatte. Ein weiteres Mal sollte er U-1 nicht mehr zu Gesicht bekommen. Was blieb, war eigentlich nur der Frontalangriff mit geschlossenen Gedankenschilden – über die Plattform hinweg, damit er seine eigenen starken Strahlen direkt auf die Panzerung des Gegners richten konnte. Gelang ihm das, dann würde er seinen Widersacher wahrscheinlich rasch zur Strecke bringen, ohne Pagadan etwas anzutun. Was immer ihn also erwartete, es würde in dem
Augenblick kommen, wo er den Raum durchquerte, um sich auf seinen Gegner zu stürzen. Und er mußte darauf vertrauen, daß seine Panzerung durchhalten würde. Seit er in der Steuerkabine war, waren etwa acht Sekunden vergangen. Ein auf seinem Brustpanzer befestigter Greifarm hob jetzt einen Strahler, der die Oberseite des Pults, hinter dem U-1 kauerte, mit einer klebrig-zähen Brandmasse beschoß. Die Traktor-Strahler und ihre Steuerung verglühten in diesem Flammenmeer. Iliff griff an. Und wie von einer ungeheuren Faust wurde Iliff auf den Boden der Plattform geschmettert. Einen endlos erscheinenden Augenblick lang befand er sich in der Gewalt der gigantischen Kraft, die ihn in den Boden zu drücken schien. Dann war er plötzlich frei, sprang von der Plattform herunter. Zumindest für den Moment kam er so aus der Schußlinie. Aber das war auch alles. Er spürte, wie sich in seinem gebrochenen rechten Arm Knochen aneinanderrieben wie scharfkantige Kiesel. Überall in seinem Körper bemühten sich gezerrte Muskeln und gequetschte Nervenfasern verzweifelt, den Befehlen eines Gehirns zu gehorchen, das gelernt hatte, physischen Schmerz nur als Gefahrensignal zu interpretieren. Aber es war ihm völlig unmöglich, irgendeines der Instrumente seines Panzeranzugs zu bedienen. Er war also doppelt gefangen – in diesem zweieinhalb Tonnen schweren Sarg und in seinem geschundenen Fleisch, das in tierischzielloser Agonie zuckte oder schlaff und gefühllos geworden war. Aber sein vielfach geschütztes Gehirn arbeitete noch. Er wußte sehr gut, was geschehen war. In das Gravitationsfeld der Steuerplattform war mit einem Male die gesamte riesige Energie der Strahler von U-1 eingeströmt.
Unter dieser ungeheuren Überlastung war es fast auf der Stelle zusammengebrochen – aber dennoch nicht schnell genug. Und jetzt untersuchte U-1 ihn prüfend, stellte den Grad seiner Hilflosigkeit fest – kalt entschlossen, ihn endgültig zu töten. Bei dieser geringen Entfernung würde es nur Sekunden dauern, bis seine Panzerung durchgebrannt und das Leben in ihm zerstört war. Undeutlich spürte Iliff, wie U-1 sich erhob, und auf ihn zukam. Er fühlte, wie seine lauernden Gedanken ihn umzuckten. Dann öffneten sich triumphierend die Gedankenschilde seines Feindes. Er kam immer näher. Und Iliff öffnete seine eigenen Schilde. Und schlug zu. Niemals zuvor hatte er es gewagt, ein derartiges Maß an zerstörerischer Energie anzuwenden wie das, das er jetzt U-1 entgegensandte – denn auf ihre Weise bedeutete diese Energie eine ebenso große Überbelastung wie die, welche das Gravitationsfeld zerstört hatte. Sofort wichen die flackernden Lichter vor seinem Panzervisier schwärzester Dunkelheit. Gleichzeitig schwanden der süßliche Geschmack von Blut in seinem Mund und der letzte stechende Schmerz in seinen Gliedern und Lungen. Ebenso plötzlich wie vollständig von jeder von außen kommenden Sinnesempfindung abgeschnitten, war er zu einer körperlosen, geballten Kraft geworden, die mit tödlicher Entschlossenheit auf seinen Widersacher eindrang. Der Angriff hatte selbst einen so kampferfahrenen Krieger wie U-1 ins Wanken gebracht. Physisch hatte ihn die Attacke fast mit der Wirkung eines Paralysators erfaßt und in seiner Bewegung gestoppt. Aber nach dem ersten, beinahe schon verhängnisvollen Schock, als er nur automatisch und erfolglos versucht hatte, seine Gedankenschilde wieder zu schließen, schlug er zurück – nicht wild und rasend, sondern mit grimmiger, eiskalter Überlegung.
War das Kräfteverhältnis jetzt auch annähernd ausgeglichen, so bedeutete das doch letztlich den sicheren Sieg von U-1. Daß die restlichen Spuren von Iliffs physischem Leben innerhalb von Minuten schwinden würden, wußten sie beide, wenn auch der Umstand, daß sein überbelasteter Geist sich noch schneller zerstören würde, vielleicht nur Iliff klar war. Gezackten Blitzen gleich fuhr etwas durch sein Bewußtsein. Er glaubte, es sei der Tod. Aber die Blitze kamen wieder und wieder, bis er langsam und ungläubig begriff: Es war der andere Geist, der sich hier zerstörte! Der sich in blitzenden Gedankenkonvulsionen zersetzte und trotzdem immer noch gegen ihn kämpfte – und gegen irgend etwas anderes, etwas, was in diesem Augenblick Iliffs Begriffsvermögen weit überstieg. Seine Überraschung verebbte, und mit ihr auch sein Bewußtsein – dennoch rang er noch weiter verzweifelt mit einem verhaßten Feind, der nicht sterben wollte.
Die Stimme verstummte kurz und fügte dann hinzu: »Bringen Sie diesen Teil ins Laboratorium. Die Jungs dort werden sich freuen, zur Abwechslung einmal ziemlich ins Schwarze getroffen zu haben.« Wieder verstummte sie. Nach einer kurzen Pause fragte der alert aussehende junge Mann im Hauptquartier auf Jeltad ohne Beflissenheit: »Sonst noch etwas, Sir?« Ein- oder zweimal hatte er neugierig auf den Visorschirm des Tele-Kommunikators geblickt, während er Iliffs Bericht in die Recorder eingab. Dennoch, es war nicht das erste Mal, daß er einen Zonen-Agenten im Intensivbehandlungstank seines Schiffes sah, vollständig eingeschlossen in einen Block halbfesten Schutzgels, in dem er mit Schocks, Strahlen,
Drogen, Infusionen und Massagen körperlich und geistig wiederhergestellt wurde. Mit der Unbekümmertheit seiner Jugend fand der junge Mann, daß diese legendären Helden des Departements bei solchen Gelegenheiten, wenn ihre Roboter sogar Herzschlag und Atmung für sie besorgten, eine verblüffende Ähnlichkeit mit beschädigten, mißgelaunten Embryos hatten. Er hoffte plötzlich, daß niemand seine Gedanken gelesen hatte. »Verbinden Sie mich«, sagte Iliffs Stimme, obgleich sich die Lippen der Gestalt auf dem Visorschirm nicht bewegten, »für einen persönlichen Bericht mit dem Dritten Koordinator.« »Ich habe zugehört«, kam von einer nicht definierbaren Stelle her die tief modulierte Stimme. »Schalten Sie ab, Lallebeth – was Sie brauchen, wissen Sie schon. Alles klar, Iliff – und noch einmal meinen Glückwunsch!« Das Bild des Koordinators, eines großen, schmalgesichtigen, grauhaarigen Mannes, übertrug sich langsam über den TelepathieTransmitter in das Gehirn des kleinen, dünnen, unregelmäßig mit Flecken neuer, rosafarbener Haut bepflasterten Wesens in der Notbehandlungskammer des Schiffs. »Wieder im Tank, wie?« bemerkte der Koordinator kritisch. »Für den zweiten Tag nach einer solchen Mission sehen Sie gar nicht so übel aus.« Er verstummte und musterte Iliff prüfend. »Gravitation?« fragte er. »Gravitation!« echote der Embryo. »Das nimmt einen ganz schön ran!« Der Koordinator nickte mitfühlend, doch schien es Iliff, daß sein Vorgesetzter in Gedanken bei anderen, angenehmeren Dingen war. »Das Laboratorium wird einen Anzug konstruieren müssen«, fuhr der Koordinator, redselig wie gewöhnlich, fort, »der gegen sämtliche Arten synthetischer Gravitationsstrahlung einschließlich Traktor-Strahlen resistent ist. Theoretisch
unmöglich, sagt man dort natürlich! Aber wenn man die Sache richtig anpackt, dann bin ich sicher…« Er unterbrach sich: »Aber Sie wollen vermutlich wissen, was geschah, als Pagadan Sie zu Ihrem Schiff zurückbrachte und Kontakt mit den Zerstörern aufnahm?« »Sie hinterließ mir eine Mitteilung, daß sie sich auf ihrem Rückweg nach Jeltad mit Ihnen in Verbindung setzen würde«, sagte Iliff. »Das hat sie getan. Auf ihre ruhige Art ist sie eine bemerkenswert energische Persönlichkeit, Iliff. Übrigens ist sie sich der politischen Tragweite der Situation völlig bewußt. Ich habe ihr beigebracht, daß sie das Verdienst, U-1 getötet und auch die Bedrohung durch den Ceetal beseitigt zu haben, getrost für sich in Anspruch nehmen darf – und nebenbei auch, noch dafür, daß sie das Leben eines unserer Agenten gerettet hat.« »Das war nicht so nebenbei«, bemerkte Iliff. »Nur im Vergleich mit ihrer anderen Leistung, natürlich. Sie hat es also wirklich getan?« »Allerdings! Ich war schon fast am Ende, als sie eingriff. Für U-1 muß es ein ziemlicher Schock gewesen sein. Soviel ich weiß, hatte er ihren Geist erst drei oder vier Sekunden freigegeben, als sie sich seiner Strahler bemächtigte.« Der Koordinator nickte. »Die mentale Widerstandsfähigkeit dieser hochentwickelten telepathischen Rassen muß wirklich ganz außerordentlich sein! Jedes menschliche Wesen wäre noch Minuten nach einer solchen Belastung gelähmt gewesen – vielleicht sogar stundenlang. Nun, allwissend war U-1 also trotz allem nicht. Er glaubte, er könne sie einfach so liegenlassen, bis er mit Ihnen fertig sei.« »Wie lange hatte er sie denn bearbeitet?«
»Etwa vier Stunden! Praktisch von dem Augenblick an, wo sie Gull verließen.« »Und das hielt sie aus?« fragte Iliff neugierig. »Ja; aber sie glaubt nicht, daß sie es noch länger als eine weitere Stunde geschafft hätte. Trotzdem schien sie nicht daran zu zweifeln, daß Sie kommen und sie herausholen würden. Ziemlich schmeichelhaft, was?« Der Agent überlegte. »Nein«, sagte er dann. »Nicht unbedingt.« »Jedenfalls«, fuhr sein Vorgesetzter mit leisem Lachen fort, »zögerte sie, die Sache auf ihr Konto buchen zu lassen. Denn wenn sie das zuließe, glaubte sie, würden Sie denken, daß sie Ihre Rettungsaktion nicht entsprechend würdigte.« »Nun, da scheinen Sie sie ja beruhigt zu haben. Abgesehen davon – wie werden die politischen Konsequenzen der Sache aussehen?« »Definitiv kann man das jetzt noch nicht sagen; aber selbst ohne weitere Mithilfe von uns werden sie ganz zufriedenstellend sein. Das Ceetal-Problem ist natürlich nichts für die Öffentlichkeit. Vor ein paar Stunden wurde in dieser Hinsicht übrigens reiner Tisch gemacht – aber es gibt eine Menge Idioten, die U-1 zu einem Mythos hochjubeln wollen. ›Der geheimnisvolle große Bandit des Weltraums‹ und ähnlicher Blödsinn. Genauso werden sie aber von der neuen Heldin weganischer Gerechtigkeit schwärmen, die das Ungeheuer zur Strecke gebracht hat… Ich meine Pagadan! Daß sie wirklich sehr schön ist, schadet durchaus nicht. Und durch sie strahlt dieser Glanz natürlich auch auf ihr Volk, unsere extraterrestrischen Alliierten zurück.« »Und Sie glauben«, sagte Iliff nachdenklich, »daß das genügen wird, um die Allianz wirklich zu zementieren?« »Diese Sorge kann man, glaube ich, beruhigt mir überlassen«, entgegnete der Koordinator einigermaßen
selbstgefällig. »Vor allem, nachdem der organisierte Widerstand gegen diese Allianz schon fast völlig zusammengebrochen ist.« Iliff wartete und erwiderte nichts. Wenn der alte Junge so vertraulich wurde, wollte er bestimmt auf irgend etwas hinaus. Und für gewöhnlich machte er sich nur dann die Mühe, sein Thema so vorsichtig anzusteuern, wenn es einen Haufen Probleme für irgend jemand anderen bedeutete. Aber es war niemand anderer da als Iliff. »Vor drei Tagen hatte ich unerwartet Besuch von meinem Kollegen im Kulturdepartement«, sagte der Koordinator. »Er hat persönlich Kultur und Psychologie der Lannai unter die Lupe genommen und ist zu dem Schluß gekommen, daß gegen ihre Vollmitgliedschaft in der Konföderation keine Bedenken bestehen. ›Ein außerordentlich kultiviertes Volk… hoher moralischer Standard…‹ Er gab mir zu verstehen, daß wir auch mit den Traditionalisten keine Schwierigkeiten mehr haben würden. Bemerkenswerte Sinnesänderung, wie?« »Ja, bemerkenswert!« stimmte Iliff argwöhnisch zu. »Aber können Sie sich vorstellen«, fragte der Koordinator, »was diesen Kerl – und unter uns gesagt, Iliff, ist er der schlimmste Sturkopf und Quertreiber, den wir seit Jahrhunderten im Rat haben – zu dieser für ihn ganz außergewöhnlichen Erleuchtung verholfen hat?« »Nein«, erklärte Iliff, »kann ich nicht.« »Also passen Sie auf! Nachdem wir einander zu diesem Erfolg beglückwünscht hatten und so weiter, brachte er das Gespräch auf die verschiedenen Lannai, die er kennengelernt hatte. Es kam gleich heraus, daß er wissen wollte, wo sich eine bestimmte Lannai aufhielt, der er ein paar Wochen zuvor hier auf Jeltad bei irgendeiner Party begegnet war. Er hatte gehört, daß sie für die Interstellare…« »Schon gut«, unterbrach ihn Iliff. »Das ist Pagadan.«
Der Koordinator schien enttäuscht. »Ja. Hat sie Ihnen davon erzählt?« »Ich weiß, daß sie sich in unseren besseren Kreisen auskennt«, sagte Iliff. »Was haben Sie ihm gesagt?« »Daß sie zur Zeit eine geheime Mission für das Departement durchführt, aber daß wir innerhalb von ein paar Tagen von ihr hören würden – da hielt ich die Daumen! Außerdem würde ich sie wissen lassen, daß er nach ihr gefragt hat. Als er weg war, setzte ich mich hin und schwitzte Blut, bis ihre Nachricht von dem Zerstörer kam.« »Sie haben wohl nicht den Verdacht, daß sie ihn – wie soll ich sagen – hypnotisiert haben könnte?« »Unsinn, Iliff!« Der Koordinator lächelte mild. »Hätte ich auch nur des leisesten Verdacht in dieser Richtung gehabt, dann wäre es noch meine Pflicht gewesen, sofort eine Untersuchung in die Wege zu leiten. Nun gibt es da einen Punkt… Ihr Roboter hat natürlich alles getan, um Pagadan darüber im unklaren zu lassen, daß sich keine menschliche Mannschaft auf diesem Schiff befand. Trotzdem sagte sie mir ganz unumwunden, daß sie unser kleines Geheimnis kenne. Um seine Bewahrung sicherzustellen, meinte sie, sei es am besten, sie vom Interstellaren zum Galaktischen Departement zu versetzen. Sogar als Zonen-Agentin möchte sie ausgebildet werden! Wäre sie dafür geeignet?« »Ja, doch, doch«, sagte Iliff ohne Enthusiasmus. »Und vielleicht wäre es sogar eine gute Idee, sie hierherzuholen, wo wir sie im Auge haben können. Es wäre doch ein Schlag ins Kontor, wenn wir in zehn Jahren feststellen würden, daß die Konföderation von ein paar Millionen Lannai regiert wird.« Einen Augenblick lang verriet die Miene des Koordinators Verblüffung. »Hm – hm – hm – «, sagte er nachdenklich. »Nun, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Trotzdem werde ich
Ihren Rat wohl befolgen. Vielleicht schicke ich sie in einer Woche in Ihre Zone, und…« »Nein, nein«, sagte Iliff ruhig. »Kommt nicht in Frage! Ich warte schon dauernd auf den Haken an der Geschichte, und wenn das Hauptquartier so etwas vorhat, dann ohne mich.« »Nein, Iliff…« »Selbst wenn es so etwas noch niemals gegeben hat«, fuhr Iliff fort, »jetzt steht das Departement unmittelbar vor der ersten Meuterei eines Zonen-Agenten.« »Aber Iliff, ich bitte Sie!« Der Koordinator überlegte. »Ihre Stellungnahme muß ich natürlich mißbilligen. Offengestanden bewundere ich aber Ihre Vernunft. Also gut, dann vergessen Sie’s – ich finde schon jemand anderen.« Sein Ton wurde wieder freundlicher. »Wie ich annehme, sind Sie jetzt auf dem Rückweg zu Ihrer Zone?« »Ja. Übrigens befinden wir uns ziemlich genau auf der Position, die wir hatten, als Sie sich mit diesem Auftrag bei mir meldeten. Sie hätten nicht zufällig irgendeinen kleinen Job, den ich unterwegs für Sie erledigen könnte?« »Nun…« begann der Koordinator etwas verlegen. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte er wie ein Mann, der in Gedanken ein aus den Nähten platzendes Dossier durchgeht. Dann hatte er sich wieder gefaßt. »In Ihrem Zustand? Unsinn, Iliff! Kommt gar nicht in Frage!« Mit dem letzten Wort schwanden Iliffs Gedanken und auch sein Bild aus seinem Bewußtsein. Aber der Koordinator saß noch eine Weile bewegungslos da, ehe er den TelepathieTransmitter abschaltete. Seine Miene verriet Überraschung. Natürlich war es ganz ausgeschlossen, daß sich der Ausdruck des Gesichts dieses immobilisierten und narkotisierten Embryos änderte – da konnte nicht einmal ein Augenlid zucken! Und doch – als er vorhin ein wenig zögernd überlegt
hatte, hatte er für den Bruchteil einer Sekunde derart abgrundtief Bosheit darin zu bemerken geglaubt, daß er fast seine Gedankenschilde geschlossen hätte. »Legen wir den kleinen Teufel für eine Weile auf Eis«, entschied er. »Lassen wir ihn bei seinen Routineaufgaben. Fast möchte ich schwören, daß ich für einen Moment Rauch aus seinen Ohren kommen sah.« Er drückte auf einen Knopf. »Psycho-Tester? Ich bitte um Stellungnahme.« »Der Agent braucht keine Dekonditionierung«, erwiderte die mechanische Stimme des Psycho-Testers prompt. »Wie ich schon vorhersagte, genügte seine Entscheidung, an Bord des Schiffes von U-1 zu gehen, um seinen früheren Mißerfolgsschock und die später in diesem Zusammenhang durchgeführte Konditionierung zu neutralisieren. Die Probleme, mit denen er es zwischen dieser Entscheidung und dem tatsächlichen Betreten des Schiffs zu tun hatte, waren lediglich Symptome dieses Prozesses und hatten keine weiteren Auswirkungen auf seine geistige Gesundheit.« Der Koordinator rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ja, das klingt ganz einleuchtend. Weiß er, daß ich… äh… etwas zu tun hatte mit…?« »Der Agent ist der Überzeugung, daß Sie Tahmey verdächtigten, U-1 zu sein, als Sie die ersten Informationen über den ungewöhnlichen Bericht der Interstellaren Operatorin erhielten. Außerdem glaubt er, daß sie ihn aus diesem Grunde zu dieser Mission abordneten. Während er insoweit zustimmt, zeigen sich Spuren unterbewußter Überlegungen, Ihre Tendenz zu übertriebener Geheimhaltung könnte dazu führen, daß Sie sich eines Tages selbst derartig… hereinlegen… daß er Ihnen vielleicht nicht mehr helfen kann.« »Warum…«
»Außerdem beginnt er zu argwöhnen«, fuhr der Psychotester unbeirrt fort, »daß er jahrelang dermaßen auf Angst konditioniert wurde, daß jede Krisis im Zusammenhang mit U-1 automatisch zum Höchstmaß der diesem mentalen Typ möglichen Defensivspannung führen würde.« Der Koordinator stieß einen leisen Pfiff aus. »Darauf ist er also gekommen, was?« Er überlegte. »Nun, jedenfalls war es«, fuhr er fast entschuldigend fort, »wirklich keine so schlechte Idee! Die Neigung des Jungen, sich, koste es was es wolle, irgendwie durchzubeißen, beschwört manchmal einfach zu viel Gefahr herauf. Wie sollte man auch alle Konsequenzen des Ceetal-Phänomens vorhersehen – geschweige denn sein Gefühl der Verantwortung gegenüber der Lannai. Denn das machte es ihm unmöglich, bei seinen Aktronen gegen U-1 dem gewaltigen mentalen Druck nachzugeben, der ihn zur äußersten Vorsicht zwingen sollte.« Einladend machte er eine Pause, aber der Psycho-Tester äußerte sich nicht. »Es ist schon schwer, immer die richtige Strategie zu finden.« Es klang, als wolle sich der Koordinator verteidigen. Er schüttelte den Kopf und seufzte. Als er sich dann dem nächsten Problem zuwandte, hatte er Iliff schon ganz vergessen.
Originaltitel: AGENT OF VEGA
DER KÖDER
In der Nacht nach dem Tag, der in Wend auf dem Planeten Noorhut den offiziellen Sommerbeginn brachte, waren in der Schlucht östlich der Farm von Grimps Vater wieder diese hellen Lichter zu sehen. Schon über eine Stunde lang betrachtete Grimp sie von seinem Zimmer im ersten Stock aus. Im Haus war es dunkel; dann und wann drangen durch die geöffneten Fenster des Erdgeschosses Stimmen herauf. Alle im Farmhaus beobachteten die Lichter. In den Farmen der Umgebung und im Dorf, das etwa drei Kilometer entfernt jenseits eines Hügels lag, war es vermutlich nicht anders. Eine Zeitlang war das Gebell des großen Hundes des Dorfpolizisten über den Hügel herüber zu hören gewesen. Aber dann hatte er sich sehr schnell beruhigt – oder war beruhigt worden, wie Grimp argwöhnte. Der Dorfpolizist möchte es nicht, wenn man Aufhebens um die Lichter machte – und das galt auch für seinen Hund. Allerdings war die Erregung des Hundes verständlich. Von seinem Fenster aus konnte Grimp sehen, daß an diesem Abend weitaus mehr Lichter herüberleuchteten als in früheren Jahren – große, leuchtende blaue Blasen, die lautlos über der Schlucht aufstiegen und wieder niedersanken. Manchmal schwebte eine davon Hunderte von Metern in die Höhe oder zur Seite und blieb dann minutenlang stehen, ehe sie sich wieder zu den anderen zurückbewegte. Weiter entfernten sie sich nicht von der Schlucht. Freilich war es auch gar nicht nötig, daß die Detektor-Kugeln der Halpas weiter flogen. Für die Bereitstellung der
Informationen, die diejenigen haben wollten, die sie ausgesandt hatten, genügte das. »Keine Anzeichen von Feindseligkeit in der Umgebung der, Durchbruchstelle. Keine Waffen oder Generatoren im Detektorbereich. Seit der letzten Untersuchung zeigt das Gebiet keine nennenswerten Veränderungen. Lebhafte Neugier von seiten derer, die uns beobachten – Spuren von Besorgnis und Argwohn. Aber keine offene Feindseligkeit.« Ohne Unterbrechung kamen diese Berichte herein und wiederholten automatisch und unaufhörlich die gleichen Informationen, während die Kugeln lautlos über der Schlucht auf- und niedergingen. Zwischendurch schläfrig blinzelnd, beobachtete Grimp sie, bis ein langsam zunehmendes Leuchten den Aufgang von Noorhuts Großem Mond ankündigte, der wie ein planetarischer Wächter seinerseits diese Lichter inspizieren würde. Die Kugeln begannen nun zu verlöschen, wie sie es in den vorhergegangenen Sommern immer beim Aufgang des Mondes getan hatten; und noch ehe der Rand der gelben Mondscheibe über den Hügeln erschien, war es über der Schlucht vollkommen dunkel. Grimp hörte, wie seine Mutter die Treppe heraufkam. Rasch schlüpfte er ins Bett. Für diese Nacht war die Vorstellung zu Ende, und es gab viele angenehme Dinge, an die er denken konnte, bevor er einschlief. Nun, da sich die Lichter gezeigt hatten, würde auch seine gute Freundin Grandma Erisa Wannattel mit ihrem Patentmedizin-Anhänger kommen. Irgendwann am nächsten Nachmittag würde der große Wagen aus der Stadt durch das Tal rollen. Denn so war es auch in den letzten vier Sommern gewesen – seit die Lichter zum erstenmal über der Schlucht erschienen waren, wo man sie nur wenige Nächte im Jahr sah. Und da vier Jahre genau die Hälfte von Grimps bisherigem
Leben ausmachten, bedeutete das für ihn die absolute Gewißheit von Grandma Wannattels Rückkehr. Andere Leute, wie der Dorfpolizist zum Beispiel, hatten keine allzu hohe Meinung von ihr. Aber wenn sie nur um den Wagen und das gigantische, exotisch aussehende RhinozerosPony, das ihn zog, herumstrolchen konnte – für Grimp war das sogar noch viel schöner, als in den Zirkus zu gehen. In zwei Tagen würden die Ferien beginnen! Die ganze Zukunft lachte ihn in den leuchtendsten Farben an. Selig schlief Grimp ein.
Etwa zur nämlichen Stunde, wenngleich in größerer Entfernung, als Grimp sie in seiner Vorstellung jemals durchmessen hatte, kamen acht große Schiffe einzeln aus dem Dunkel zwischen den Sternen und bewegten sich in sorgfältig berechneten Bahnen auf Noorhut zu. Noch hielten sie so viel Abstand, daß selbst mit Hilfe der stärksten Warninstrumente niemand Noorhut als ihr gemeinsames Ziel ausmachen konnte. Und doch war Noorhut ihr Ziel. Und obwohl die Männer an Bord der acht Schiffe Noorhut nichts Böses wollten, gab es wohl kaum etwas Unheildrohenderes für diesen Planeten als ihre Fracht. Sieben davon waren mit einem Gas bewaffnet, das jetzt nicht mehr oft benutzt wurde. Auf die Welt, über der es freigesetzt wurde, sank es rasch nieder und verdünnte sich schnell so sehr, daß es mit chemischen Methoden nicht nachgewiesen werden konnte. Dennoch wurde seine Wirkung, die darin bestand, daß es fast unmerklich allem, was Sauerstoff atmete, den Atem abschnitt, durch diese Verdünnung nicht merklich beeinträchtigt. Das achte Schiff war mit Torpedos bestückt, die für gewöhnlich einige Stunden nach der Freisetzung des tödlichen
Gases abgeschossen wurden. Sie waren recht klein, denn die einzige ihnen verbleibende Aufgabe bestand darin, die Oberfläche des Planeten, der so vergast worden war, in Brand zu setzen. All dies konnte nunmehr bald Noorhut widerfahren. Allerdings nur, wenn eine ganz bestimmte Nachricht die acht Schiffe erreichte – die Nachricht, daß Noorhut schon an einen tödlichen Feind verloren war, der jetzt, koste es was es wolle, daran gehindert werden mußte, sich auch auf anderen bewohnten Welten festzusetzen.
Als Grimp am nächsten Nachmittag nach Schulschluß erwartungsvoll um die Straßenbiegung vor der Farm kam, sah er den Dorfpolizisten auf einem Steinblock sitzen und mit tränenden Augen die Straße hinunterstarren. »Hallo, Renny«, sagte Grimp bekümmert. Nach dem, was er am Morgen im Dorf reden gehört hatte, sah es nicht sehr gut für Grandma aus, Wirklich nicht sehr gut. Der Polizist schneuzte sich in ein Taschentuch, wischte sich die Augen und warf Grimp einen verärgerten Blick zu. »Nenn mich nicht Renny, Grimp!« sagte er und steckte das Taschentuch wieder ein. Wie Grimp selbst und die meisten Leute auf Noorhut war der Polizist braunhäutig und dunkeläugig. Eigentlich sah er recht gut aus. Aber jetzt waren seine Augen rot und verschwollen, und seine Nase, die ohnehin etwas übernormal groß war, war ebenfalls rot und geschwollen. Er hatte einen schlimmen Heuschnupfen. Grimp entschuldigte sich und setzte sich nachdenklich neben den Polizisten, der einer seiner zahlreichen Cousins war. Er wollte gerade sagen, er habe gehört, daß auch Vellit den Ausdruck gebraucht hatte, als sie und der Polizist kürzlich des Abends durch den großen Blumengarten in der Nähe der Farm
spaziert waren – übrigens wesentlich rascher, als sie das sonst zu tun pflegten. Aber dann überlegte er es sich anders. Den größten Teil des Jahres war Vellit die Freundin des Polizisten. Aber wenn ihn der Heuschnupfen packte, löste sie regelmäßig ihre Verlobung und nannte ihn Cousin statt Liebling. »Was machst du denn hier?« fragte ihn Grimp statt dessen. »Ich warte«, sagte der Polizist. »Worauf denn?« wollte Grimp ein wenig verzagt wissen. »Auf dieselbe Person wie du, nehme ich an«, erklärte der Polizist und zog sein Taschentuch wieder hervor. Er schneuzte sich. »Heuer kehrt sie dorthin zurück, wo sie hergekommen ist, oder sie geht in den Knast.« »Wer sagt das?« fragte Grimp empört. »Mein Chef«, sagte der Polizist. »Genügt dir das?« »Das kann er nicht tun!« rief Grimp erregt. »Es ist unsere Farm, und sie hat alle Lizenzen.« »Ein ganzes Jahr lang hat er jetzt an eine neue Liste von Lizenzen hingebastelt, die sie alle haben muß«, klärte ihn der Polizist auf. Er fischte in der Brusttasche seiner Uniform herum, zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus und schlug es auf. »Vierunddreißig Sachen hat er aufgeschrieben, „die ich alle überprüfen muß – das eine oder andere davon stimmt mit Sicherheit nicht.« »Das ist ein schmutziger Trick!« rief Grimp, der mit einem hastigen Blick so viel wie möglich von der Liste überflog. »Mehr Respekt vor dem Sicherheitschef, Grimp!« sagte der Polizist warnend. »Mhm«, murmelte Grimp. »Natürlich…« Wenn Renny nur seinen großen Daumen etwas zur Seite drehen würde. Aber was für eine Liste! Wohnanhänger; Rhinozeros-Pony (Tier, schweres Zug-, importiertes); Patentmedizinen; Haushaltsgeräte; Weissagerei; Haustiere; Kräuter; Wunderheilungen…
Der Polizist schaute ihn von der Seite an, sah, was Grimp da machte und entzog das Papier seiner Einsicht. »Das ist ein offizielles Dokument«, sagte er, schob Grimp mit einer Hand ein wenig zur Seite und steckte das Papier mit der anderen ein. »Das ist nichts für kleine Kinder.« Grimps Gedanken überschlugen sich. Grandma Wannattel hatte doch eingerahmte Lizenzen für einige dieser Punkte in ihrem Wohnwagen hängen, aber bestimmt keine vierunddreißig. »Erinnerst du dich an diesen großen hautlosen Werret, den ich kürzlich gefangen habe?« fragte er. Der Polizist schaute ihn an, sah wieder weg und wischte sich dann nachdenklich die Augen ab. Die Fangzeit für Werrets würde nächste Woche beginnen, und er war ein ebenso begeisterter Angler wie sonst irgend jemand im Dorf – und letzten Sommer hatte Grimps Riesenwerret einen zwölf Jahre alten Rekord in ihrem Tal gebrochen. »Es gibt Leute…« sagte Grimp wie beiläufig und starrte die Straße hinunter – dorthin, wo sie in den Wald einbog. »Es gibt Leute, die einem, der einen großen Werret gefangen hat, tagelang nachspionieren und hoffen, daß er dumm genug ist, um wieder zu diesem Weiher zurückzugehen.« Der Polizist wurde rot und betupfte sich mit dem Taschentuch etwas hastig die Nase. »Manche setzen sich sogar auf einen Heuboden und schauen durchs Fernglas – selbst wenn sie von dem Heu einen furchtbaren Katarrh kriegen«, fuhr Grimp ruhig fort. Der Polizist wurde noch röter. Er schneuzte sich. »Aber so dumm ist ja niemand«, sagte Grimp. »Nicht, wenn er weiß, wo Werrets schwimmen, die gut fünfzehn Zentimeter größer sind als der, den er gefangen hat.« »Fünfzehn Zentimeter?« wiederholte der Polizist hingerissen, wenn auch ein wenig ungläubig.
»Leicht«, nickte Grimp. »Letzte Woche hab ich sie mir wieder angesehen.« Der Polizist schwieg beeindruckt. Grimp holte seine Steinschleuder hervor, fischte einen Kiesel aus seiner Tasche und schoß einer zehn Meter entfernten Blume den Kopf ab. Er gähnte gelangweilt. »Du bist ganz gut mit der Schleuder«, bemerkte der Polizist »Direkt so gut, wie der Kerl, der letzte Woche vom Dach des Schulhauses aus mit einer Steinschleuder das Feueralarmsignal ausgelöst hat.« »Da muß man schon ganz gut schießen können«, räumte Grimp ein. »Und der dann«, fuhr der Polizist fort, »Pfeffer hinter sich streute, so daß sich der Suchhund fast den Kopf weghustete, als wir ihn aufspüren wollten. Der Sicherheitschef«, fuhr er vielsagend fort, »hätte recht gern einen Hinweis auf diesen Burschen.« »Na klar«, sagte Grimp gelangweilt. Der Polizist, der Sicherheitschef und wahrscheinlich sogar der Suchhund wußten genau, wer dieser Kerl war; aber beweisen würden sie es auch in zwanzigtausend Jahren nicht können. Renny würde einfach einsehen müssen, daß er mit Drohungen nicht an einen Riesenwerret herankommen würde. Offenbar hatte er das auch eingesehen; er dachte schon wieder kräftig und scharf nach. Grimp, der gespannt war, worauf er als nächstes verfallen würde, wollte ihn nicht dabei unterbrechen… Plötzlich sprang er wie von der Tarantel gestochen auf. »Da sind sie!« schrie er und schwang seine Schleuder. Ein paar hundert Meter weiter wegabwärts kam Grandma Wannattels großer, silbrig glänzender Wohnwagen gerade aus dem Wald heraus. Das Pony sah Grimp, hob den Kopf, der ebenso lang war wie ein großer Mann, und brüllte einen
donnernden Gruß. Grandma Wannattel stand auf dem Fahrersitz und winkte mit einem grünen Taschentuch. Grimp rannte ihnen entgegen. Der Trick mit den Werrets würde schon klappen. Trotzdem war es besser, wenn er Grandma über die neueste Entwicklung hier berichtete, ehe sie Renny in die Hände lief.
Kurz bevor sie den Polizisten erreichten, der am Straßenrand mit der Auflagenliste des Sicherheitschefs wartete, klatschte Grandma Wannattel dem Nilpferd-Pony die Zügelriemen aufs Hinterteil. Das Pony fiel in Hoppeltrab, und der Wohnwagen rumpelte an Renny vorbei um die Kurve in das Gelände der Farm hinein. Sie kletterten herunter, und Grandma Wannattel spannte das Pony ab. Grunzend stapfte es zu der feuchten Wiese oberhalb der Schlucht. Dort blieb es stehen und kühlte seine Füße. Grimp war jetzt ein wenig wohler. Daß Grandma Wannattels Wohnwagen jetzt nicht mehr auf Gemeindeboden stand, verschaffte ihr einen technischen Vorteil. Grimps Leute hatten eine günstige Meinung von ihr, und sie waren eine eigenwillige Gesellschaft, der es Spaß machte, die Ansinnen des Sicherheitschefs zurückzuweisen, wenn sie keine hieb- und stichfeste gesetzliche Grundlage hatten. Aber auf dem Weg zur Farm hatte Grandma Grimp gestanden, daß sie – wie er befürchtet hatte – nicht annähernd vierunddreißig Lizenzen hatte. Und jetzt kam schon mit mißmutiger Miene der Polizist um die Kurve und schneuzte sich seine Nase. »Laß mich das nur machen«, sagte Grandma Wannattel aus dem Mundwinkel zu Grimp.
Er nickte und schlenderte zu der Wiese hinüber, um sich mit dem Pony die Zeit zu vertreiben. Im Umgang mit Polizisten hatte sie viel Erfahrung. »Na, na, junger Mann«, hörte er sie seinen Cousin begrüßen. »Sie scheinen ja ganz schön erkältet zu sein.« Der Polizist nieste. »Ich wäre ja froh, wenn’s nur ‘ne Erkältung wäre«, sagte er resigniert. »Es ist Heuschnupfen. Da kann einem alles vergehen. Also, ich habe da eine Liste…« »Heuschnupfen?« fragte Grandma Wannattel. »Kommen Sie doch einen Moment in den Wagen. Das haben wir gleich.« »Also, diese Liste…« begann Renny und unterbrach sich. »Sie meinen, Sie haben was dagegen?« fragte er skeptisch. »Ich bin schon bei ich weiß nicht wievielen Ärzten gewesen, und nichts hat geholfen.« »Bei Ärzten!« sagte Grandma. Grimp hörte, wie sie die metallenen Stufen hinaufstieg, die in den hinteren Teil des Wohnwagens führten. »Also, kommen Sie rein, es dauert nicht lange.« »Nun…« sagte Renny unentschlossen, folgte ihr aber dann. Grimp blinzelte dem Pony zu. Die erste Runde ging an Grandma. »Hallo, Pony«, sagte er. Seine Sorgen taten seiner Wertschätzung für Grandmas fabulöses Zugtier keinerlei Abbruch. Zum Teil lag es natürlich daran, daß es so ein gewaltiges Biest war. Der lange, runde, tonnenförmige Körper ruhte auf kurzen Beinen mit breiten, flachen Füßen, die jetzt tief im feuchten Boden der Wiese staken. An einem Ende hatte es einen gezackten Schwanz, am anderen Ende einen sehr großen, keilförmigen Kopf mit einem stumpfen, stark angeschrammten Horn zwischen Augen und Nase. Von der Nase bis zum Schwanz rund herum war sein
Körper mit dicken, rechteckigen, grün-braunen Hornplatten gepanzert. Grimp tätschelte ihm liebevoll die Seite. Das Pony war das Häßlichste, was er jemals auf Noorhut gesehen hatte; deshalb liebte er es. Grandma behauptete, es von einem pleitegegangenen Zirkus gekauft zu haben, der es von einem Planeten namens Treebel importiert hatte. Und Treebel mußte eine nach Schwefel stinkende Welt voller heißer Sümpfe und unaufhörlich feuerspeiender Vulkane sein. Man hätte annehmen können, daß das Pony, nachdem es den größten Teil seines Lebens zwischen geschmolzener Lava und glühender Asche verbracht hatte, Noorhut ein wenig zu zahm finden würde. Und obgleich um die dicke Knochenplatte herum, die das Horn trug, nicht viel Raum für Gefühlsausdruck war, schien das Pony, wie es so dastand – fast bis zum Körper in den feuchten Grund eingesunken – doch durchaus zufrieden zu sein. »Du großes, dickes Schwein!« sagte Grimp liebevoll. Das Pony streckte seine lange, tiefrote Zunge heraus und scheitelte ihm damit sorgfältig das Haar. »Hör auf damit!« sagte Grimp. »Uff!« Gutmütig grunzend legte das Pony die Zunge um einen riesigen Büschel Unkraut, riß ihn aus und zog ihn samt Wurzeln und Erde in sein Maul. Es begann zu kauen. Grimp warf einen Blick zur Sonne und schaute dann unruhig zum Wohnwagen hinunter. Wenn sie Renny nicht bald los wurde, würde er zum Abendessen nach Hause müssen, bevor er und Grandma sich noch besprechen konnten. Und jetzt, wo diese Lichter über der Schlucht leuchteten, ließ man ihn am Abend dann nicht mehr fort. Er gab dem Pony einen Abschiedsklaps, ging zum Weg hinunter, setzte sich so, daß er nicht gesehen werden konnte, in die Nähe des Wohnwagens und lauschte.
»… wäre das einzige, was Ihnen der Sicherheitschef noch anhängen könnte«, sagte der Polizist, »Bedrohung der Öffentlichkeit. Sollte es in diesem Jahr Schwierigkeiten mit den Lichtern geben, dann wird er wahrscheinlich das versuchen. Der Mann ist an sich nicht unrecht, wissen Sie, aber er hat sich eben offenbar einreden lassen, daß Sie irgendwie für diese Lichter verantwortlich sind.« Grandma lachte in sich hinein. »Ja, ich bemühe mich jeden Sommer, rechtzeitig hier zu sein, um sie zu sehen«, gab sie zu. »Deswegen meint er das wohl.« »Und natürlich«, sagte der Polizist, »versuchen wir alle in dieser Hinsicht kein Aufsehen zu erregen. Spräche sich das herum, dann kämen ‘ne Menge Leute aus der Stadt, um sich das anzuschauen. Außer dem Sicherheitschef hat niemand etwas dagegen, daß Sie hier sind. Aber natürlich will auch niemand, daß uns hier ganze Kompanien von Touristen auf unseren Farmen herumtrampeln.« »Natürlich nicht«, stimmte Grandma zu. »Ich jedenfalls habe niemand etwas von den Lichtern gesagt.« »Gestern abend«, fuhr der Polizist fort, »hieß es allgemein, daß es heuer zweimal so viele Lichter sind als vorigen Sommer. Deswegen ist auch mein Chef so aufgeregt.« Dann muß sich Grimp eine höfliche Auseinandersetzung darüber anhören, wieviel Renny Grandma für ihr Heuschnupfen-Mittel bezahlen wollte, während sie darauf beharrte, daß er ihr gar nichts schuldete. Am Ende zog Grandma den Kürzeren, und der Polizist zahlte – viel mehr, als sie von einem Freund von Grimps Leuten eigentlich nehmen durfte, beteuerte Grandma bis zuletzt. Und endlich erschien der Gesetzeshüter wieder in der Tür des Wohnwagens, wohin ihn Grandma begleitet hatte. »Wie sehe ich aus, Grimp?« strahlte er, als Grimp aufstand.
»Wie wenn du dir mal das Gesicht waschen solltest«, sagte Grimp taktlos, denn allmählich verlor er die Geduld mit Renny. Aber dann stellte er mit Überraschung fest, daß Rennys Nase unter einer dicken Schicht gelblicher Schmiere fast zu ihrer normalen Größe geschrumpft war. Und auch seine Augenlider waren kaum mehr geschwollen! Und statt feuerrot war er nur noch zart-rosa im Gesicht. Kurz, Renny war beinahe wieder schön. »Nicht schlecht, was?« sagte er. »Eine einzige Spritze. Und die Salbe muß ich bloß noch eine Stunde drauflassen. Nicht wahr, Grandma?« »So ist es«, lächelte Grandma von der Tür herunter und schüttelte Rennys leise klimperndes Geld zwischen den Händen. »Dann sind Sie so gut wie neu.« »Dabei wirkt es auf die Dauer«, sagte Renny und tätschelte Grimps Kopf. »Und nächste Woche gehen wir Werrets angeln, was, Grimp?« »Ja, wahrscheinlich«, antwortete Grimp ein wenig kühl. Er war der Ansicht, daß Renny sich mit der Heuschnupfenkur hätte begnügen und die Fische vergessen können. »Ausgemacht!« nickte Renny glücklich und stapfte pfeifend davon. Grimp sah ihm etwas mißmutig nach und war nahe daran, seine Schleuder herauszuziehen. Ein mittlerer Stein auf den Hosenboden der Uniform… Aber das ließ er wohl besser bleiben. »Also, das wäre das«, sagte Grandma leise. In diesem Moment kam vom Farmhaus der Ton eines Horns über das Tal herüber. »Verdammt«, sagte Grimp. »Ich wußte, daß es spät werden würde, wenn er die ganze Zeit redet! Jetzt rufen sie mich zum Abendessen!« Tränen der Enttäuschung standen in seinen Augen.
»Mach dir nichts draus, Grimp«, sagte Grandma tröstend. »Komm nur einen Moment rein und mach die Augen zu.« Grimp stieg in den Wagen und schloß erwartungsvoll die Augen. »Jetzt streck die Hände aus«, sagte Grandmas Stimme. Er streckte die Hände aus, und sie legte sie so zusammen, daß sie einen kleinen, oben offenen Hohlraum bildeten. Dann fiel etwas Leichtes, Kleines, Flauschiges hinein, packte mit winzigen kühlen Fingern einen von Grimps Daumen und quiekte ein wenig. Grimp riß die Augen auf. »Ein Lortel!« flüsterte er überwältigt. »Er ist für dich!« strahlte Grandma. Grimp brachte kein Wort heraus. Das Tier sah ihn aus seinem winzigen, schwarzen, menschenähnlichen Gesicht mit großen blauen Augen an, schlang seinen langen behaarten Schwanz zweimal um sein Handgelenk, umklammerte mit den Fingern Grimps Daumen, grinste und quiekte. »Wie schön!« hauchte Grimp. »Kannst du ihnen wirklich das Sprechen beibringen?« »Hallo«, sagte der Lortel. »Das ist alles, was er bis jetzt sagen kann«, erklärte Grandma. »Aber wenn du geduldig mit ihm bist, wird er noch mehr lernen.« »Ich werde geduldig sein«, versprach Grimp, ganz außer sich vor Glück. »Letzten Winter habe ich in Laggand, drunten im Tal, eins im Zirkus gesehen. Es hieß, daß es sprechen könne; aber so lange ich dort war, hat es kein Wort gesagt.« »Hallo!« quiekte der Lortel. »Hallo!« schluckte Grimp. Wieder tutete das Horn herüber. »Du solltest jetzt wohl nach Hause gehen, sonst werden sie böse«, mahnte ihn Grandma.
»Ich weiß«, sagte Grimp. »Was frißt er denn?« »Solange er wild ist, Käfer, Blumen, Honig, Früchte und Eier. Aber du kannst ihm von allem geben, was du selbst ißt.« »Also, auf Wiedersehn«, sagte Grimp. »Und… vielen Dank, Grandma.« Er sprang aus dem Wohnwagen. Der Lortel kletterte aus seiner Hand heraus, seinen Arm hinauf, setzte sich auf seine Schultern und schlang den Schwanz um Grimps Hals. »Er kennt dich schon«, sagte Grandma. »Und er wird dir nicht weglaufen.« Vorsichtig langte Grimp mit der anderen Hand hinauf und tätschelte das Tier. »Morgen früh komme ich wieder«, sagte er. »Keine Schule… aber solange die Lichter da sind, darf ich nach dem Abendessen nicht mehr weg.« Zum dritten Male tutete jetzt das Horn, und sehr laut. Dieses Mal war es Ernst. »Also, auf Wiedersehn«, wiederholte Grimp hastig und rannte davon. Das Äffchen hielt sich an seinem Hemdkragen fest und quiekte. Grandma sah ihm nach. Der untere Rand der Sonne berührte eben den Kamm der Hügel. »Mir könnte ein Abendessen jetzt auch nicht schaden«, bemerkte sie zu sich selbst. »Aber dann muß ich den GoBuggy herausholen und ein bißchen für Unterhaltung sorgen.« Das Nilpferd-Pony lag auf seinem gepanzerten Bauch in der Wiese und warf jetzt seinen großen Kopf zu ihr herum. Die kleinen gelben Augen zwinkerten fragend. »Warum glaubst du, daß das nötig ist?« hörte sie seine Stimme in ihrem Ohr. Die Fähigkeit, solche Bauchrednereffekte zu produzieren, gehörte zu den Talenten, die das Pony Grandma so lieb und wert machten.
»Hast du nicht zugehört?« schalt sie. »Dieser Polizist erzählte mir, daß der Sicherheitschef nach dem Abendessen die Landwehr des Dorfes zur Schlucht marschieren lassen will. Dort soll sie auf die Detektorkugeln der Halpa schießen, sobald sie erscheinen.« Das Pony stieß einen für jeden nicht auf dem Planeten Treebel Geborenen unverständlichen Fluch aus. Es stand auf und begann, seine Füße aus dem sumpfigen Boden zu ziehen, was ein schmatzendes Geräusch erzeugte. »Nicht ein einziges Mal habe ich eine ganze Stunde Ruhe gehabt, seit du mich vor acht Jahren dazu überredet hast, herumzuzigeunern!« beklagte es sich. »Aber dafür hast du etwas von der Welt gesehen, wie ich es dir versprach!« lächelte Grandma. Das Pony schnappte sich noch ein Maul voll nassen Grases. »Und ob!« sagte es.
Kauend kam es die Straße herauf. »Ich passe auf, während du ißt«, sagte es. Als die uniformierte, zwölfköpfige Landwehr aus dem Dorf marschierte, um bei der Schlucht auf der Farm von Grimps Vater strategische Positionen zu beziehen, gab es in nicht allzu großer Entfernung plötzlich eine kleine Explosion. Der Sicherheitschef, der den Suchhund führte und ein Gewehr über der Schulter trug, blieb stehen. Die Marschordnung löste sich auf, und die Männer sammelten sich um ihn. »Was war das?« fragte der Sicherheitschef. Alle sahen fragend zu den grünen Hängen des Tales hinüber, die jetzt schon im Abendschatten lagen. Der Hund setzte sich, richtete die Nase auf den noch dunkleren Wald vor ihnen und knurrte.
»Seht nur!« sagte ein Mann und deutete in die gleiche Richtung. Wo der Weg in den Wald einmündete, war ein hellgrüner Funke erschienen. Der Funke wuchs rasch, wurde so groß wie ein Menschenkopf – dann größer! Rauchgrüne Lichtstrahlen schienen von ihm auszugehen… »Also, ich muß jetzt nach Hause«, verkündete jemand. »Hiergeblieben!« befahl der Sicherheitschef, der die Anzeichen einer allgemeinen Rückzugsbewegung bemerkt hatte. Er war ein alter Soldat. Er nahm sein Gewehr von der Schulter und legte an. Der Hund sprang auf seine sechs Füße und sträubte sein Fell. »Halt!« rief der Sicherheitschef dem grünen Licht zu. Das jedoch vergrößerte sich prompt auf das Volumen eines Fasses, und immer mehr grünliche Strahlen bewegten sich wie hungrige Fühler. Er feuerte. »Nichts wie weg!« riefen die anderen. Der Hund machte einen Satz, daß es den Sicherheitschef umwarf, und schoß dann der fliehenden Landwehr nach. Das grüne Licht hatte ruckweise die Form eines vielarmigen, sich windenden Seesterns angenommen, der fast so groß wie die Bäume war. Es stieß tiefe, tutende Töne aus, während es langsam auf den Sicherheitschef zukam. Der Mann kniete sich hin und schoß mit einer einzigen Salve den Rest seines Magazins in den Seestern. Das Phänomen tutete noch lauter, bewegte die Arme noch wilder und kam weiterhin auf ihn zu. Da sprang der Sicherheitschef auf, warf das Gewehr über die Schulter und schloß sich dem Rückzug an. Als die Einheit die ersten Häuser des Dorfes erreichte, war er schon wieder an der Spitze der Truppe. Wenige Minuten später organisierte er atemlos die Verteidigung des Ortes, wobei er die Taktik
anwandte, die sich bei den Überfällen der Laggand-Banditen neun Jahre zuvor als günstig erwiesen hatte. Der Seestern jedoch machte keine Anstalten, ihnen weiter zu folgen. Er schwebte immer noch an der Stelle, wo der Sicherheitschef ihn zuletzt gesehen hatte, bewegte die Arme in allen Richtungen und tutete drohend die stummen Bäume an.
»Das dürfte dann wohl genügen«, sagte Grandma Wannattel. »Ehe die erste Projektion erlischt, fängt schon die nächste an, und zwar an einer Stelle, wo sie sie vom Dorf aus sehen können. Bis sie wieder an die Lichtkugeln denken, wird es schon Mitternacht sein. Vor allem, nachdem es heute abend gar keine Lichtkugeln gibt – das heißt, wenn der Angriffsplan von Halpa korrekt eingehalten wird.« »Ich wünschte, es wäre schon Mitternacht«, meinte das Rhinozeros-Pony bekümmert. Wie eine gewaltige Statue hob es sich neben dem Wohnwagen vom roten Abendhimmel ab. Den Kopf hielt es hoch, als lauschte es. Und das tat es auch wirklich auf seine Weise – es horchte auf Zeichen von Tätigkeit aus der Schlucht. »Hat keinen Sinn, jetzt nervös zu werden«, bemerkte Grandma. Sie saß nicht weit von dem Pony entfernt auf dem Felsblock neben der Straße und hatte einen kleinen schwarzen Sack über der Schulter. »Wir warten noch eine Stunde, bis es richtig dunkel ist, und dann gehen wir zur Schlucht. Der Durchbruch beginnt vielleicht erst einige Stunden später.« »Natürlich mußten wir da wieder dabei sein!« schimpfte das Pony. Trotz seiner gigantischen Größe war es von eher nervösem Temperament. Und obwohl alle Mitarbeiter von Zonen-Agentin Wannattel regelmäßig in Situationen gerieten, die nichts weniger als heikel waren, so konnte sich das Pony doch an keinen anderen Fall erinnern, wo die Aussicht auf die
kommenden acht Stunden so wenig beruhigend gewesen wäre. In den Planungsbüros des Departements für die Galaktischen Zonen auf Jeltad mochte die Entscheidung, Noorhut aufs Spiel zu setzen, um eine Runde in der gnadenlosen Auseinandersetzung der Menschheit mit den fremden, geheimnisvollen Halpa zu gewinnen, ebenso schwerwiegend und bedeutungsvoll erscheinen, wie sie unvermeidlich war. Aber das Pony wurde das Gefühl nicht los, daß man das Gewicht dieser Entscheidung im Departement noch weit bedrückender empfunden hätte, wenn diejenigen, die sie gefällt hatten, neben ihnen gestanden wären – jetzt, wo die kritischen Stunden kamen. »Mir wäre wesentlich wohler, wenn das Hauptquartier nicht gerade uns für diese Operation herausgesucht hätte«, gab Grandma zu. »Uns und Noorhut…« Wie es ein beinahe absurder Zufall wollte, war genau dieses Tal Grandmas Heimat. Etwa vierhundert Kilometer weiter landeinwärts war sie am Fuß des Wend-Dammes geboren. Der Fluß hatte dem Land seinen Namen gegeben und versorgte es jetzt mit fast hundert Prozent der benötigten Energie. Noorhut befand sich in den Endstadien einer abgerundeten, ausgewogenen planetarischen Zivilisation. Und seit Erisa Wannattel erkannt hatte, daß ihren mannigfaltigen Fähigkeiten und ihrer Abenteurernatur andere Aufgaben entsprachen, als sie auf Noorhut zu finden waren, war sie viel gereist. Dennoch betrachtete sie das Wend-Tal immer noch als ihre Heimat, zu der sie so oft zurückkehrte, wie es die Arbeit erlaubte. Ihre genaue Kenntnis der Denk- und Handlungsweise der Leute dort machte diese für sie leicht manipulierbar. Und das konnte manchmal sehr nützlich sein. Anderswo hätte das Mittel, das sie angewandt hatte, um den Sicherheitschef und seine Truppe von der Schlucht zu verscheuchen, wahrscheinlich eine Panik entfacht, wenn nicht
innerhalb von Minuten Kampfschiffe mit Strahlungskanonen erschienen wären. Aber die Leute im Tal hatten das Vorkommnis nur als lokale, nicht weiter bedeutsame Krisensituation betrachtet. Die bronzene Alarmglocke im Dorf hatte den Belagerungszustand verkündet, und mit Hörnern war der Alarm an die umliegenden Farmen weitergegeben worden. Innerhalb von Minuten hatten sich die Farmer bewaffnet und mit ihren Familien auf den Weg zum Dorf gemacht. Schließlich hatte sich alles sehr bald wieder beruhigt. Posten waren aufgestellt worden, und Frauen und Kinder waren in Gebäuden im Dorfkern einquartiert, während die bewaffneten Männer aus angemessener Entfernung Grandmas illusionistische Projektionen – es handelte sich um gebündelte Video-Strahlen – beobachteten. Wenn weiter nichts mehr passierte, würden die Leute bis zum Morgen an Ort und Stelle bleiben und dann eine vorsichtige Untersuchung einleiten. Nachdem sich die mysteriösen, seit vier Jahren jeden Sommer über Grimps Farm tanzenden blauen Lichter als harmlos erwiesen hatten, hatte man sich in diesem Teil von Wend an Erscheinungen dieser Art mehr oder weniger gewöhnt. Aber selbst wenn sie sich zu nahe heranwagten, konnten sie sich an den Projektionen, die ja nur auf optischen Effekten beruhten, nicht wehtun. Worauf es ankam, war dies: Grandma hatte sämtliche Einwohner der Umgebung dort, wo sie sie haben wollte. In jeder anderen Hinsicht bot das im Zwielicht liegende Tal dem Auge einen außerordentlich friedlichen Anblick. Nichts ließ erkennen, daß es im Augenblick der einzige Berührungspunkt von zwei Gegnern in einem Krieg von wahrscheinlich intergalaktischen Ausmaßen war. In mehr als tausend Jahren hatte keine Seite über die andere mehr Erkenntnis gewonnen als diese, daß ihre Angriffe unbarmherzig und vernichtend waren. Das hatte diesen Krieg
geisterhaft, aber doppelt heftig gemacht. Zwischen der Menschheit und den Halpa hatte es niemals wirkliche Kämpfe gegeben, nur gegenseitige, sehr gründliche Massaker – und alle, vom Gesichtspunkt der Menschen her gesehen, auf der falschen Seite des Zaunes. Nur die Halpa besaßen das Wissen, das sie in die Lage versetzte, Berührung mit ihren Feinden herzustellen. Aber offenbar war für diese Angriffe eine ungeheure Anstrengung notwendig und Bedingungen, die nach menschlicher Zeitrechnung nur im Abstand von etwa dreihundert Jahren etwa zwanzig Jahre lang herrschten. Abgesehen von ihrer Beharrlichkeit war schwer etwas Gutes an den Halpa zu finden. Alle dreihundert Jahre benutzten sie pünktlich die kurze Zeitspanne, um einen sorgfältig vorbereiteten, blitzartig vorgetragenen Angriff gegen immer neue Gebiete der menschlichen Zivilisation zu führen. Und dieses Mal würde der Angriff Noorhut gelten. »Irgendwas bewegt sich dort in der Schlucht!« verkündete plötzlich das Pony. »Es ist keine von ihren Detektorkugeln.« »Ich weiß«, murmelte Grandma. »Das ist der erste von den Halpa selbst. Wie es scheint, sind sie sehr pünktlich. Aber du brauchst nicht nervös zu werden. Sie können niemandem etwas tun, bis ihr Transmitter kommt und sie wiederbelebt. Wir müssen jetzt besonders darauf achten, daß wir sie nicht verscheuchen. Offenbar sind sie gegen emotionale Spannungen in ihrer unmittelbaren Umgebung noch empfindlicher als die Kugeln.« Das Pony gab keine Antwort. Es wußte, was auf dem Spiel stand und warum acht große Schiffe in dieser Nacht Noorhut umkreisten – außerhalb der Reichweite der Detektoren. Es wußte auch, daß die Schiffe nur eingreifen würden, wenn sich herausstellte, daß Grandma versagt hatte. Aber…
Unruhig schüttelte das Pony den Kopf. Die Bewohner Treebel hatten nie einen derartigen Zivilisationsstand erreicht, daß sie kalkulierte Risiken im planetarischen Maßstab eingehen konnten – ganz abgesehen davon, daß die tatsächliche Strategie der Treebellaner auch Gefahr für sein und Grandmas Leben einschloß. In den acht Jahren, die das Pony sie auf ihren Reisen begleitet hatte, hatte es großen Respekt für Erisa Wannattels Mut und Urteilskraft entwickelt. Aber trotz allem – wenn man die Halpa jetzt noch verscheuchen konnte, schien das dem Pony eine sehr vernünftige Idee zu sein. Wahrscheinlich genügte es in diesem Studium, einen kleinen Feuerwerkskörper in die Schlucht zu werfen; das wußte Grandma sehr wohl. Bis sie wirklich Fuß auf einem Planeten gefaßt hatten, verfuhren die Halpa mit äußerster Vorsicht. Strahlungswaffen zum Beispiel orteten sie auf Hunderte von Kilometern Entfernung, und entweder solche Waffen oder auch nur eine Andeutung von aggressiven Absichten in der näheren Umgebung oder Anzeichen dafür, daß sie aus größerer Entfernung beobachtet wurden, hätte den sofortigen Abbruch des Invasionsvorhabens bedeutet. Aber einer der wichtigsten Gründe, warum Grandma an diesem Abend hier war, war der: Sie sollte dafür sorgen, daß nichts dieses Vorhaben der Halpa behinderte. Denn dann würde der Angriff nur gegen irgendeine andere Welt gerichtet werden, und wahrscheinlich gegen eine, wo man die Bedeutung der Detektorkugeln erst erkennen würde, wenn es zu spät war. Selbst das beste Informationssystem in der Galaxis konnte nur einen winzigen Bruchteil seiner Bevölkerung mit derartigen Wachaufgaben beschäftigen… Plötzlich sprang Grandma auf, und im gleichen Moment fuhr das Pony herum, das eben noch zu der Schlucht hinübergestarrt
hatte. Einen Augenblick standen beide da und drehten und wendeten die Köpfe wie schnüffelnde Hunde. »Es ist Grimp!« rief Grandma. Das Rhinozeros-Pony schnaubte ein wenig. »Ja, das sind seine Gedankenbilder«, stimmte es zu. »Er scheint zu spüren, daß er Schutz braucht. Kannst du ihn orten?« »Noch nicht«, sagte Grandma besorgt. »Doch, jetzt. Er kommt oben durch den Wald links von der Schlucht. Der kleine Teufel!« Sie eilte zum Wohnwagen zurück. »Komm, ich muß hinreiten. So spät am Tag kann ich den Go-Buggy nicht mehr benutzen.« Das Pony legte sich neben dem Wohnwagen nieder, während sie schnell den Sattel holte. In die Hornplatten auf seinem Rücken waren für diesen Zweck sechs Metallringe eingeschweißt, und an ihnen war der Sattel rasch befestigt. Grandma stieg auf und hielt sich am Sattelknauf fest. »Nicht zu nahe an die Schlucht heran!« warnte sie. »Das könnte alles verderben. Aber du kannst Lärm machen soviel du willst. Lärm als solcher stört die Halpa nicht, solange sie keine emotionale Erregung herausspüren. Und je eher Grimp auf uns aufmerksam wird, desto leichter werden wir ihn finden.« Und schon lief das Pony verblüffend behende über die Wiese. Auf genügenden Abstand von der Schlucht bedacht, durchquerte es weiter unten mit schmatzenden Tritten ein seichtes Sumpfland und erreichte schließlich den Wald. Jetzt mußte es langsamer laufen, damit Grandma nicht von den Ästen heruntergeworfen wurde. »Grimp ist weiter unten«, sagte Grandma. »Er hat uns gehört.« »Die machen vielleicht einen Lärm!« Grimps Gedanke erreichte sie plötzlich und klar. Er schien zu jemandem zu sprechen. »Aber wir haben keine Angst vor ihnen, oder?« »Peng-peng!« kam eine andere erregte Gedankenstimme.
»Das ist der Lortel«, sagten Grandma und das Pony gleichzeitig. »So ist es richtig!« rief Grimp applaudierend. »Wir schießen sie alle mit der Schleuder ab, wenn sie nicht aufpassen. Aber zuerst sollten wir Grandma suchen.« »Grimp!« kam es von Grandma. Das Pony unterstützte sie mit einem brüllenden Schrei. »Hallo?« kam der Gedanke des Lortel. »War das nicht das Pony?« fragte Grimp. »Gut. Gehen wir in diese Richtung.« »Wir kommen, Grimp!« rief Grandma, während das Pony wie ein Erdrutsch den Abhang hinunterglitt. »Es ist Grandma!« dachte Grimp. »Grandma!« schrie er. »Paß auf! Hier wimmelt es von… von Ungeheuern!« »Da habt ihr aber was versäumt!« rief Grimp und tanzte um das Pony herum, während Grandma Wannattel aus dem Sattel kletterte. »Hier gibt es überall Ungeheuer, und der Polizeichef hat eins gekillt, und ich hab noch eins mit der Schleuder erwischt, und jetzt wollt ich zu euch…« »Deine Mutter wird sich Sorgen machen!« begann Grandma, als sie sich in die Arme fielen. »Nein«, grinste Grimp. »Alle Kinder schlafen jetzt in der Schule, und da schaut sie ja erst am Morgen nach, und der Lehrer hat gesagt, daß diese Ungeheuer alle« – er nahm das schwere Wort vorsichtig in Angriff – »Ho-luzy-nationen sind. Aber sehen wollte er keines davon, als der Polizeichef ihm eines zeigen wollte. Da blieb er im Bett. Aber der Chef ist ganz prima – er hat eins gekillt, und ich hab eines mit der Schleuder erwischt, und der Lortel hat ein neues Wort gelernt. Sag ›pengpeng‹, Lortel!« »Hallo!« quäkte der Lortel.
»Oh«, machte Grimp enttäuscht. »Aber er kann es sagen. Und ich möchte euch hinüber ins Dorf bringen, damit euch die Ungeheuer nicht erwischen. Hallo, Pony!« »Peng-peng«, sagte der Lortel deutlich. »Siehst du?« rief Grimp. »Er hat überhaupt keine Angst – er hat richtig Schneid, der Lortel! Und wenn wir solche Ungeheuer sehen, dann brauchst du auch keine Angst zu haben; ich hab da meine Schleuder« – er schwenkte sie lustig in der Luft – »und noch zwei Taschen voll Steine. Wir werden sie alle killen!« »Ja, wäre vielleicht ‘ne gute Idee, Grimp«, stimmte Grandma zu. »Aber jetzt bist du sicher sehr müde.« »Nein, gar nicht!« entgegnete Grimp überrascht. Sein rechtes Auge ging zu, und dann sein linkes, und dann öffnete er beide mit Mühe und schaute Grandma an. »Doch«, gab er zu. »Ich bin…« »Ja«, sagte Grandma, »du schläfst ja schon!« »Nein, ich schl – «, wehrte sich Grimp. Als er zusammensackte, fing Grandma ihn auf. »Eigentlich tut es mir leid«, keuchte sie. Das Pony hatte sich so flach wie möglich auf den Boden gelegt, und sie hob Grimp mit Anstrengung hinauf. »Wahrscheinlich hätte er Spaß daran. Aber wir können kein Risiko eingehen. Er ist ein richtiger kleiner Teufel, ächzte sie und hievte ihn vollends hinauf, und seine Munitionstaschen machen ihn auch nicht gerade leichter!« Sie kletterte selbst auf den Rücken des Ponys und bemerkte, daß der Lortel sich an ihrem Mantelkragen festgeklammert hatte. Vorsichtig stand das Pony auf. »Und was jetzt?« fragte es. »Jetzt geht es direkt zur Schlucht«, antwortete Grandma, immer noch heftig atmend. »Wahrscheinlich müssen wir dort
ein paar Stunden warten, aber wenn wir aufpassen, kann nichts passieren.« »Hast du einen schönen tiefen Teich gefunden?« fragte Grandma ein wenig später das Pony, als es sich am Rande der Schlucht wieder zu ihr gesellte. »Ja«, sagte das Pony. »Etwa hundert Meter von hier. Das ist wohl nahe genug. Wie lange werden wir noch warten müssen?« Grandma zuckte die Achseln. Von der Stelle aus, wo sie im Grase saß, hätte man bei Tageslicht einen guten Blick hinunter in die Schlucht gehabt. Grimp schlief, den Kopf auf ihren Knien. Der Lortel, der im Gras ein paar Käfer gefangen hatte, hatte es sich auf ihrer Schulter bequem gemacht und schlief ebenfalls. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Bis zum Großen Mondaufgang sind es jetzt noch drei Stunden, und irgendwann vorher muß es sein. Nachdem du jetzt ein Wasserloch gefunden hast, bleiben wir einfach hier und warten. Das Wichtigste ist jedenfalls, daß du dich ganz ruhig verhältst.« Die Vorderbeine gegen die Böschung der Schlucht gestemmt, stand das riesige Pony neben ihr und starrte hinunter. Trübes Wasser tropfte von seinen Flanken. Es hatte den warmen, erdigen Sommergeruch des Teiches mitgebracht, der nun wie eine Wolke um sie hing. Unten auf dem Grund der Schlucht gab es eine undeutliche, anhaltende Bewegung. »Wenn ich allein wäre«, sagte das Pony, »dann würde ich jetzt hier abhauen! Ich weiß, wann ich eigentlich Angst haben müßte. Aber du kontrollierst hier meine Gefühlsreaktionen, nicht wahr?« »Ja«, sagte Grandma. »Dennoch wird es für mich leichter sein, wenn du mir hilfst, so gut du kannst. Es besteht wirklich
überhaupt keine Gefahr, solange ihr Transmitter nicht durchgekommen ist.« »Außer«, sagte das Pony, »sie haben sich in den letzten zweihundert Jahren ein paar neue Tricks einfallen lassen.« »Das stimmt«, räumte Grandma ein. »Aber sie haben sich noch niemals neue Tricks einfallen lassen. Wenn wir die Angreifer wären, würden wir unsere Strategie jedesmal so gründlich wie nur möglich ändern. Aber die Halpa scheinen einfach ganz anders zu denken. Und sie wären bestimmt nicht mehr so vorsichtig, wenn sie nicht wüßten, daß sie in diesem Punkte verwundbar sind.« »Hoffentlich ist es so!« bemerkte das Pony. Plötzlich drehte es seinen Kopf nach etwas, was flatternd aus den Tiefen der Schlucht emporflog und dann wieder niedersank. Die Bewohner von Treebel hatten eine weit bessere Dunkelsicht als Grandma Wannattel, doch hatte sie das, was da flog, auch bemerkt. »Äußerlich sind sie wirklich nichts Besonderes«, meinte das Pony. »Eigentlich eher wie ein großes dunkles Stück Leder.« »Ihre physische Struktur soll ganz simpel sein«, stimmte Grandma zu. Eine gewisse Spannung hatte sich jetzt des Ponys bemächtigt, und es war am besten, wenn sie weiter mit ihm sprach, ganz gleich worüber. Das half immer, wenngleich das Pony sie natürlich zu gut kannte, um auf solche Tricks wirklich hereinzufallen. »Viele sehr leistungsfähige Lebensformen sind physisch ganz unkompliziert, weißt du«, fuhr sie fort und ließ ihre Stimme wie ein beruhigendes Plätschern auf das Pony niedergehen. »Besonders parasitäre Typen. Außerdem steht so ziemlich fest, daß die Halpa eine Art Gruppenintelligenz haben. Anders ausgedrückt: Was in denen, die sie hier zu uns schicken, vorgeht, ist vielleicht nichts anderes als eine Art sekundärer Reflex…«
In diesem Augenblick bewegte sich Grimp ein wenig im Schlaf. Grandma sah auf ihn hinunter. »Du schläfst ganz fest!« sagte sie streng, und das tat er auch wieder. »Du hast Pläne mit diesem Jungen, wie?« fragte das Pony, ohne den Blick von der Schlucht zu wenden. »Ich behalte ihn seit einiger Zeit im Auge«, gab Grandma zu, »und habe ihm schon dem Hauptquartier zur Beobachtung empfohlen. Ich selbst werde wohl erst im nächsten Sommer zu einer Entscheidung kommen; bis dahin haben wir noch Zeit, ihn zu studieren. Inzwischen werden wir sehen, was er in Bezug auf telepathische Kommunikation und Sinneserweiterung von dem Lortel lernt. Ich glaube, wir können ihn schon gebrauchen.« »Das glaube ich auch«, stimmte das Pony zu. »Ein wenig aggressiv ist er ja schon, wie die meisten von euch…« »Das gibt sich!« erwiderte Grandma ein wenig verstimmt; über das Thema der menschlichen Aggressivität hatten sie bereits häufig diskutiert. »Man kann da nichts überstürzen. Die ganze Bevölkerung von Noorhut dürfte in ein paar hundert Jahren diesem Stadium entwachsen sein. Sie stehen jetzt gerade am Wendepunkt…« Dann, als etwas wie ein großes dunkles Stück Leder aus der Schlucht emporflatterte und in der Luft über ihnen hing, gingen ihre Köpfe wieder nach oben. Die Vertreter der beiden feindlichen Lager, die einander in dieser Nacht auf Noorhut begegneten, faßten sich einen Moment lang schweigend ins Auge. Der Halpa war etwa einen Meter achtzig lang, sechzig Zentimeter breit und weniger als zwei Zentimeter dick. Mit einer gleichmäßigen, wellenförmigen Bewegung hielt er sich in der Luft wie eine mannsgroße Fledermaus. Dann wurde seine Form plötzlich glatt wie die eines prallen Segels.
Unwillkürlich schnaubte das Pony. Der Halpa, anscheinend ohne Gesicht und sonstige Unterscheidungsmerkmale, drehte sich ihm zu und kam ein wenig näher. Als nichts mehr geschah, wandte er sich wieder ab und flatterte ruhig in die Schlucht hinunter. »Hat er gemerkt, daß ich Angst hatte?« fragte das Pony unruhig. »Du hast völlig richtig reagiert«, sagte Grandma besänftigend. »Erst hast du seinen Argwohn erregt; dann war es nur noch Neugier und dann wieder ein kleiner Schock, als es so eine Art Sprung machte. Aber genau das ist es, was sie von den Lebewesen erwarten, die sie jetzt in der Gegend der Schlucht vermuten. Wir sind so etwas wie Kühe für sie. Nach äußeren Merkmalen können sie nichts beurteilen…« Aber ihr Ton war nachdenklich, und sie war stärker beeindruckt, als sie es das Pony wissen lassen wollte. Das Verhalten des Halpa hatte etwas unbeschreiblich Selbstsicheres und Bedrohliches an sich gehabt. Er hatte nur versucht, sich zu einer feindseligen Reaktion zu veranlassen, das war fast sicher, und vielleicht Hinweise auf das Vorhandensein von Waffen gesucht, die ihnen gefährlich werden konnten. Dennoch bestand die Möglichkeit – und sie war ebenso unwahrscheinlich wie erschreckend –, daß die Halpa seit ihrem letzten Durchbruch tatsächlich eine völlig neue Angriffsstrategie entwickelt hatten. Vielleicht waren sie jetzt schon Herren der Lage… In diesem Fall würde weder Grimp noch sonst jemand auf Noorhut das Ende des neuen Tages erleben. Jeder der elfhundertsiebzehn Planeten, deren die Halpa sich bisher bemächtigt hatten, zog noch seine flammende Bahn durch den Weltraum – – den Invasoren nur um den Preis der Vernichtung jeglicher Grundlage menschlichen Lebens entrissen.
Die Möglichkeit, daß dies auch Noorhut bevorstehen konnte, hatte sie seit vier Jahren aufs schwerste bedruckt. Aber von dem halben Hundert Welten, von denen man wußte, daß die Halpa sie während dieser Zeit mit ihren Detektorkugeln als mögliche Invasionsziele erkundet hatten, hatte das Hauptquartier schließlich Noorhut als denjenigen Planeten erkannt, wo einer solchen Invasion am wirksamsten begegnet werden konnte. Die Abwehr eines derartigen Angriffs schloß auch die Zerstörung der einzigen wirklichen Invasionswaffe ein, des geheimnisvollen und legendären Halpa-Transmitters. So befähigt sie unzweifelhaft waren, so hatte sich doch in der Vergangenheit gezeigt, daß sie in jeder Angriffsperiode nur eines dieser Instrumente einsetzen wollten oder konnten. Die Zerstörung des Transmitters bedeutete somit, daß die Menschheit ein paar weitere Jahrhunderte Zeit gewann, in der sie sich eine wirkungsvolle Abwehrstrategie zurechtlegen konnte, ehe ein neuer Angriff erfolgte. Aus diesen Erwägungen heraus hatte man dafür gesorgt, daß die Detektorkugeln von allen betroffenen Planeten außer Noorhut Berichte über eine gefährlich wachsame, ausgezeichnet bewaffnete Bevölkerung lieferten. Auf Noorhut hingegen hatte man die Bevölkerung in Sicherheit gewiegt. Und so wie ihr Heimatplanet als günstigster Konfrontationsort ausgewählt worden war, so hatte man Erisa Wannattel als diejenige Agentin erkoren, welche die Belange der Menschheit unter den dortigen Bedingungen am besten vertreten konnte. Grandma stieß einen Seufzer aus, machte sich aber dann dies von neuem bewußt: Daß das Hauptquartier die Erfolgaussichten dieser Operation falsch eingeschätzt hätte, war ebenso unwahrscheinlich wie ein Mißgriff bei der Auswahl der Person, die diese Operation zu tragen hatte. Es gab nur eine winzige, im Grunde völlig theoretische Möglichkeit, daß etwas schiefgehen könnte und sie ihre lange
Karriere mit der Vernichtung ihres eigenen Heimatplaneten beenden würde. Aber diese Möglichkeit bestand. »Die dort unten scheinen immer mehr zu werden!« sagte das Pony. Grandma holte tief Atem. »Ja, jetzt müssen es ein paar tausend sein«, antwortete sie. »Es ist jetzt bald Durchbruchszeit; aber das da unten ist nur die Vorhut.« Sie fügte hinzu: »Siehst du irgend etwas wie einen Lichtschimmer… ungefähr in der Mitte?« Das Pony starrte einen Augenblick hinunter. »Ja«, sagte es. »Aber ich dachte, daß dieses Licht viel zu langwellig für dich wäre. Kannst du es sehen?« »Nein«, sagte Grandma. »Aber ich habe so eine Art Wärmegefühl. Das kommt von dem Transmitter. Ich glaube, wir haben sie!« Das Pony bewegte sich ein wenig unruhig hin und her. »Ja«, sagte es resigniert, »oder sie haben uns.« »So etwas darfst du dir nicht einreden«, erwiderte Grandma scharf und verstärkte ihre mentale Sperre gegen die nebligen, dunklen Schreckensvisionen, die sich unter ihren bewußten Gedanken auftürmen wollten und ihre Handlungsfähigkeit noch im letzten Moment zu lähmen drohten. Sie hatte den schwarzen Sack geöffnet und setzte ohne Hast etwas zusammen, was aus ein paar Holz- und Drahtstücken und einer ziemlich schweren steifen Feder bestand… »Halte dich jetzt bereit«, fügte sie hinzu. »Ich halte mich schon seit einer Stunde bereit«, antwortete das Pony und trat bedrückt von einem Bein auf das andere. Dann sprachen sie nicht mehr viel. Im ganzen Tal war es sehr still geworden. Aber die Schlucht unter ihnen füllte sich jetzt langsam mit etwas Dunklem, Wogendem. Manchmal stieg etwas auf wie ein schwarzer Rauchfetzen, schwebte ein paar
Meter über der Masse und senkte sich dann wieder auf sie hinab. Und plötzlich war dort unten, in der Mitte der Schlucht, noch etwas anderes. Das Pony hatte es zuerst gesehen. Fast eine Minute starrte Grandma in diese Richtung, ehe sie in der Lage war, etwas auszumachen, was eine Gruppe schlanker, winziger Türmchen hätte sein können. Dann wurden, halbtransparent in der Dunkelheit, vier kleine Kuppeln an den Ecken des Gebildes sichtbar, und eine größere in der Mitte. Die mittlere war etwa sieben Meter hoch und sehr schlank. Die ganze Struktur begann, sich rasch zu verfestigen… Die kristallene Erscheinung des Halpa-Transmitters war vielleicht das Erschreckendste an ihm. Denn auf eine seltsame Weise flößte sie einem sofort ein schockierendes Gefühl schwarzer, unendlicher Ferne ein, die unvorstellbar weit zum Herkunftsort des Gebildes zurückreichte. In diesem unbekannten Irgendwo hatte eine unglaublich talentierte und entschlossene Rasse Jahrhunderte lang daran gearbeitet, um eine schreckliche Waffe zu bauen und auf ihr Ziel zu richten… Und sie war imstande, die endlose Entfernung mit diesen glasigen Gebilde zu überwinden, das sich jetzt plötzlich im Tal von Wend befand. Aber mehr als diesen Transmitter brauchten sie nicht; die tödliche Bedrohung kam von der trägen, fast unbeweglichen Masse um ihn herum. Innerhalb von Minuten würde der Transmitter jetzt zum Leben erwachen, wie ähnliche Transmitter in anderen Nächten auf anderen verlorenen, brennenden Welten zum Leben erwacht waren. Und dann würde diese Maschine die Halpa-Invasoren wie ein zerplatzendes Geschwür in sämtliche Regionen Noorhuts schleudern, und diese Masse würde nicht länger unbeweglich sein, sondern zu einer heißhungrigen, fast unzerstörbaren Form
vampirischen Lebens werden, die sich in einem unglaublich raschen Reproduktionszyklus ständig teilte und unterteilte, die wuchs und sich wieder teilte… Und dieses vampirische Leben würde sich schneller ausbreiten, als es von der geballtesten Macht stärkster und tödlichster Waffen vernichtet werden konnte! Plötzlich wurde das Pony unruhig, und Grandma spürte, wie eine Woge der Panik in ihm hochkam. »Ja, das ist der Transmitter«, erreichte es Grandmas. Gedanke sofort. »Er ist schon zweimal beschrieben worden. Aber sicher sein, daß der Durchbruch hier stattfindet, können wir erst, wenn er sich zu laden beginnt. Dann leuchtet er auf, erst an den Rändern, und dann in der Mitte. Fünf Sekunden nachdem der mittlere Turm aufleuchtet, wird er so stark aufgeladen sein, daß der Vorgang nicht mehr zu stoppen ist. Zumindest konnten sie ihn das letzte Mal, als man ihn beobachtete, nicht mehr stoppen. Und dann müssen wir auf dem Posten sein…« Das Pony hatte alles schon gehört. Aber während es lauschte, wurde es wieder ruhiger. »Und du schläfst weiter!« ging Grandmas nächster Gedanke zu Grimp. »Ganz gleich, was du hörst oder was geschieht, du schläfst weiter und nimmst nichts mehr wahr, bis ich dich wecke…« Plötzlich glomm mattes, rotes Licht im Transmitter auf – erst in den vier äußeren Türmchen, und einen Augenblick später in dem größeren in der Mitte. Es erleuchtete die Schlucht mit rauchigem Schimmer. Das Pony wich erschreckt zwei Schritte zurück. »Noch fünf Sekunden!« kam flüsternd Grandmas Gedanke. Sie langte wieder in ihren schwarzen Sack und holte eine kleine Plastikkugel heraus. Sie reflektierte das Licht aus der Schlucht mit dunklem Schimmer. Vorsichtig ließ Grandma sie in die Vorrichtung gleiten, die sie aus Holz und Draht
zusammengesetzt hatte. Klickend fand sie ihren Platz auf dem einen Ende der zusammengedrückten Feder. Unten lagen sie jetzt wie eine fünfzehn Meter dicke Schicht riesiger schwarzer, feuchter Blätter auf dem nassen Grund der Schlucht, an deren Rand sie sich auch noch in einzelnen runden Haufen auftürmten. Diese Haufen begannen sich nun oben und an den Seiten zu bewegen und auf den Transmitter zuzugleiten. »… fünf, jetzt!« sagte Grandma laut. Sie zog das hölzerne Katapult an ihre Schulter. Das Pony schüttelte heftig den Kopf mit dem stumpfen Horn, stieß einen halb erstickten, heulenden Laut aus und stürzte sich die steile Böschung hinunter. Grandma zielte sorgfältig und drückte ab. Und lautlos erhob sich die schwarze Schicht wie ein Wirbel aus Dunkelheit in die Luft und entzog den schimmernden Transmitter und auch das Pony ihrer Sicht. Das Pony brüllte auf, als sich die Dunkelheit über es legte. Eine Sekunde später gab es ein ohrenbetäubendes Klirren, als zerbräche ein gigantischer Spiegel, und im gleichen Moment explodierte Grandmas Plastikkugel irgendwo inmitten des finsteren Wirbels. Weiße sprühende Feuerfontänen füllten die Schlucht. Die wirr um sich schlagenden, sich windenden Silhouetten flogen auf wie brennende Stoffetzen. Von unten, wo das Feuer am wildesten tobte, kamen knirschende, splitternde Geräusche. Das Pony zertrampelte den Transmitter, um den Erfolg des Zerstörungswerks sicherzustellen. »Komm zurück!« rief Grandma besorgt. »Was jetzt noch davon übrig ist, schmilzt sowieso zu einem Klumpen zusammen!« Sie wußte nicht, ob das Pony sie gehört hatte. Doch ein paar Sekunden später kam es den Abhang heraufgetrampelt. Mit
schwelenden Panzerplatten stürmte es an Grandma vorbei zur Wiese hinunter, wo das Sumpf gras auf seinen Spuren zu brennen anfing, und stürzte sich dann kopfüber in den Teich, den es sich vorher ausgesucht hatte. Dem klatschenden Aufprall folgte ein scharfes Zischen. Mitsamt dem Pony verschwand der Teich in einer gewaltigen Dampfwolke. »Das war aber ganz schön heiß!« kam sein Gedanke zu Grandma. Sie holte tief Atem. »Wie im Innern eines Vulkans!« bestätigte sie. »Hättest du dich noch länger da unten herumgetrieben, dann hättest du dem Dorf für Jahre Nilpferdbraten geliefert.« »Ich bleibe noch eine Weile hier, bis ich abgekühlt bin«, sagte das Pony. Plötzlich bemerkte Grandma, daß ihr etwas die Kehle zuschnürte, und sie stellte fest, daß es der Schwanz des Lortel war. Vorsichtig machte sie ihn los. Doch prompt klammerte sich der Lortel mit allen vier Händen in ihrem Haar fest. Sie beschloß, ihn dort zu lassen. Er schien völlig verschreckt zu sein. Grimp indessen schlief weiter. Es würde ein wenig schwierig sein, ihn vor Tagesanbruch unentdeckt in das Dorf zurückzubringen, aber sie würde schon einen Weg finden. Das Feuer in der Schlucht zog einen beständigen kühlen Luftzug von allen Seiten heran, der dann von unten als kochende Hitze nach oben stieg. Immer noch schien sich da und dort etwas in diesem Inferno zu bewegen, aber nur noch sehr langsam. Die Halpa waren wirklich sehr zähe Organismen, wenn sie auch gegen Feuer nicht annähernd so widerstandsfähig waren wie die Eingeborenen von Treebel. Gegen Morgen, wenn der Boden genügend abgekühlt war, würde sie die Schlucht natürlich noch einmal eingehend inspizieren müssen. Aber die Jahrhundertphase des HalpaKrieges schien jetzt vorüber zu sein.
Schmatzende Laute aus der Richtung des Teiches verrieten, daß sich das Pony schon wieder wohl genug fühlte, um sich für die gesottene Flora zu interessieren, die darin herumschwamm. Alles war gut gegangen. Und so ließ sie sich, vorsichtig und ohne Grimps Lage zu verändern, ins Gras nieder und fiel sofort in einen erlösenden Schlaf. Bei Sonnenaufgang war Grandma Wannattels Wohnanhänger schon mehr als zehn Kilometer vom Dorf entfernt und rollte die Talstraße hinauf nach Süden. Wie gewöhnlich war der Himmel bewölkt, als sie aufbrach. Grimp und der Polizist waren früh gekommen, um sie zu warnen. Der Polizeichef wollte die beunruhigenden Vorkommnisse der Nacht ausnützen, um die Dorfbevölkerung davon zu überzeugen, daß Grandma Wannattel eine Bedrohung der Allgemeinheit darstelle. Nachdem die ganze Bevölkerung noch immer ziemlich erregt war, standen seine Chancen nicht schlecht. Grimp hatte sie ein Stück Weges begleitet und ihr erklärt, daß es bei diesem Stand der Dinge nicht bleiben würde. Er hatte sich alles schon zurechtgelegt. Daß Renny neuerdings immun gegen Heuschnupfen war, hatte über Nacht zu einer entscheidenden Verbesserung seines Verhältnisses zu der hübschen Vellit geführt; in fünf Wochen würden sie heiraten. Und als Verheirateter würde Renny vor den Erntewahlen für den Posten des Polizeichefs kandidieren können – und Grimps und Vellits Verwandtschaft würde eine ausreichende Mehrheit der Stimmen bei der Wahl garantieren. Wenn also Grandma im nächsten Sommer wieder ins Tal kam, brauchte sie keinen Ärger mehr mit der Polizei zu befürchten… Grandma hatte, zustimmend genickt. Das war so die Art Familienpolitik, die sie in Grimps Alter auch betrieben hatte.
Jetzt war sie ziemlich sicher, daß Grimp eines Tages ihr Nachfolger sein würde – verantwortlich nicht nur für Noorhut und das Sternsystem, zu dem dieser Planet gehörte, sondern auch noch für viele andere Sternsysteme. Bei sorgfältiger Ausbildung würde er zu dem Zeitpunkt, da sie sich zurückziehen würde, für die Übernahme der Aufgabe bereit sein. Eine Stunde nachdem sie von der Farm aufgebrochen war, bog der Anhänger plötzlich in einen schmalen Waldpfad ein. Das Pony verlängerte seine Schritte, und keine fünf Minuten später waren sie bei einem Hohlweg angelangt, an dessen anderen Ende etwas lag, was Grimp (der der nächsten Hafenstadt einmal einen Besuch abgestattet hatte) sofort als ein kleines Raumschiff erkannt hätte. Als sie näherkamen, öffnete sich lautlos eine Schleuse in seiner Seite. Das Pony blieb stehen. Grandma stieg vom Fahrsitz ab und spannte es aus. Das Pony trat in die Schleuse, und der Wohnwagen hob sich vom Boden ab und glitt hinter ihm hinein. Schließlich folgte Grandma Wannattel, hinter der sich die Schleuse lautlos schloß. Eine kurze Weile lag das Schiff noch da; dann war es plötzlich verschwunden. Nur in Luftwirbeln tanzende Blätter verrieten noch eine Weile, daß es gestartet war. Und an einem weit, weit entfernten Ort – so weit entfernt, daß weder Grimp noch seine Eltern noch sonst irgend jemand im Dorf außer dem Lehrer jemals davon gehört hatte – traten plötzlich Signalinstrumente in Tätigkeit. Die Antwort erfolgte sofort. Dann war deutlich Grandmas Stimme zu hören: »Zonen-Agentin Wannattel berichtet über den erfolgreichen Abschluß der Operation gegen die Halpa auf Noorhut…«
Weit oben in den Himmeln von Noorhut schossen acht Schiffe, die sich eben noch wachsam auf einer Kreisbahn um den Planeten bewegt hatten, fort in das Dunkel des endlosen Raumes, der ihr Element war und ihre Heimat.
Originaltitel: THE SECOND NIGHT OF SUMMER
DIE UNTERWERFUNG CUSHGARS
Über die von der Weganischen Konföderation bei der Unterwerfung von Cushgar angewandten Methoden gab es lange Zeit mannigfaltige Spekulationen. Das Verwirrende dabei war, daß eigentlich nichts geschehen zu sein schien! Zunächst ging nur das Gerücht, daß die Konföderation eine Invasion Cushgars vorbereitete. Dann hieß es plötzlich, sie sei bereits dorthin vorgerückt. Dies erregte in einigen Nachbarregionen der Konföderation überraschtes, aber auch beifälliges Interesse. Insgeheim trafen die Tausend Nationen und ein halbes Dutzend ähnlicher Organisationen militärische Vorbereitungen, im Rücken der Konföderation zu landen, sobald sich diese hinreichend bei ihrem ehrgeizigen neuen Projekt engagiert hatte. Denn Cushgar war der Konföderation ein gleichwertiger Gegner. Aber es kam nicht zum Krieg. Es gab nicht einmal so etwas wie eine offizielle Kapitulation. Ein Sternsystem Cushgars nach dem anderen akzeptierte die von der Konföderation entsandten Gouverneure. Widerstandslos gab Cushgar heraus, was in den letzten sieben Jahrhunderten an Gefangenen und Beute gemacht worden war – soweit noch vorhanden. Und unter den Augen einer verblüfften Galaxie begann das System, zum Musterknaben zu werden. Dann kamen die Gerüchte. Die wildesten davon schienen von Cushgar selbst zu stammen – von seinen furchteinflößenden, doch abergläubischen Bewohnern. Die Tausend Nationen und die anderen rivalisierenden Gruppierungen waren enttäuscht und stellten ihre Vorbereitungen stufenweise wieder ein. Das war nicht der
richtige Zeitpunkt, zuzuschlagen! Fast unbemerkt hatte die Konföderation wieder eine Operation zu Ende geführt. Aber was hatte sie mit Cushgar gemacht – und wie?
Im Koordinatorenrat der Konföderation auf dem weganischen Planeten Jeltad wurde der Dritte Koordinator, der Chef des Departements für die Galaktischen Zonen, von seinen Kollegen unter Beschuß genommen. Auch sie wünschten etwas über Cushgar zu wissen. Doch er mochte nichts sagen. »Wir wollen Ihnen ja keine Vorwürfe machen«, erklärte der Fünfte Koordinator – der Leiter der strategischen Abteilung. »Aber als Sie die Pläne des Rates um gut sechzig Jahre eher als geplant realisierten, da mußten Sie doch damit rechnen, daß das eine gewisse Neugier erregen würde, oder?« »Ja, das mußte ich«, räumte der Dritte Koordinator ein. »Also reden Sie schon, Train!« sagte der Erste. Train war der Name, unter dem der Dritte Koordinator in diesem Kreise bekannt war. »Wie haben Sie es gemacht?« Gewöhnlich waren sie bei diesen kleinen Auseinandersetzungen Verbündete, aber jetzt behielt die Neugierde des Ersten die Oberhand. »Kann ich nicht sagen!« erwiderte der Dritte Koordinator. »Ich habe dem Kollegium einen Bericht zugestellt; es wird Ihren jeweiligen Departements das Erforderliche zur Kenntnis bringen.« Es war sein Recht, die Geheimnisse seines eigenen Departements zu bewahren, und das wußten sie. Was das Kollegium betraf – es war das Kollegium der Pleiade, eine zum Metaphysischen hin tendierende Körperschaft, die an den Geschäften der Konföderationsregierung auf eine Weise beteiligt war, welche das Kollegium selbst wahrscheinlich nicht exakt hätte definieren können. Auch sonst konnte das
niemand. Jedenfalls war das Kollegium in einer Angelegenheit wie dieser oberster Richter. Die Ratsversammlung löste sich wenig später auf. Der Dritte Koordinator verließ die Beratung zusammen mit Bropha, einem gutaussehenden jungen Mann, der ihr als Verbindungsperson zum Kollegium beigewohnt hatte. »Nehmen wir doch noch irgendwo einen Drink«, schlug Bropha vor. »Ich bin selbst neugierig.« Der grauhaarige Koordinator knurrte etwas in sich hinein. Er sah erschöpft aus. »Also gut«, erklärte er schließlich. »Dir werde ich es sagen…« Bropha trug den Titel des Präsidenten des Kollegiums der Pleiade. Das klang bedeutender, als diese Funktion wirklich war, denn Bropha war nur der oberste, mit den weltlichen Angelegenheiten des Kollegiums betraute Wissenschaftler. Darüber hinaus war er aber auch ein enger persönlicher Freund des Dritten Koordinators und hatte Zugang zu Vorgängen sämtlicher Geheimhaltungsstufen. »Man kann es dir ja nicht verdenken«, sagte Bropha, als sie bei ihren Drinks saßen. »Immerhin wird die Eroberung Cushgars allgemein als das wichtigste, aber auch gefährlichste Vorhaben der Konföderation im kommenden Jahrhundert betrachtet. Wenn das Departement für die Galaktischen Zonen diese Aktion plötzlich durchzieht – und offenbar ohne Vorbereitung, aber auch ohne Verluste…« »Es ging nicht ohne Verluste«, sagte der Koordinator düster. »Nein?« entfuhr es Bropha. »Es hat mich«, sagte der Koordinator, »die beste ZonenAgentin gekostet, die ich jemals hatte – oder jemals zu haben hoffe. Erinnerst du dich an Zamm?« Brophas Mine verfinsterte sich.
Ja, er erinnerte sich an Zamm! Manchmal wünschte er sogar, sich nicht so lebhaft an sie zu erinnern. Doch zwei Jahre wären eine viel zu kurze Zeit, um den Namen der Person zu vergessen, die ihm das Leben gerettet hatte…
Als sich damals erwies, daß Seine Exzellenz, Der Erhabene Bropha, im Weltraum verschollen war, hatte es in der Regierung der Konföderation eine Welle des Unmuts gegeben. Denn die Pläne der Konföderation hatten Bropha für eine politische Funktion von allerhöchster Bedeutung vorgesehen. Selbst das sonst so stabile Gleichgewicht des Dritten Koordinators wurde erschüttert, als ihn die Nachricht erreichte. Wenn ein Mann in den Tiefen des Weltraums verschollen ging, dann war der Verlust fast immer endgültig. Dennoch, überlegte der Dritte Koordinator, gab es in diesem besonderen Fall eine Anzahl von Umständen, die zu einem gewissen, vorsichtigen Optimismus berechtigten. Die letzte Nachricht über Bropha war von seiner persönlichen Yacht gekommen, deren Kapitän sein Halbbruder Greemshard war. Dieses Schiff war mit Vorrichtungen ausgerüstet, die selbst in Tausende von Lichtjahren entfernten Monitorstationen automatisch Alarm ausgelöst hätten, wenn es durch irgendeinen Unfall oder durch einen Angriff zerstört oder beschädigt worden wäre. Da es keinen solchen Alarm gegeben hatte, mußte die Yacht noch funktionstüchtig sein, wenngleich irgend jemand an Bord ihre Position offenkundig geheim hielt. Alles deutete unzweifelhaft auf Greemshard hin! Das Departement für die Galaktischen Zonen hatte über Brophas Halbbruder ein Dossier, das kaum weniger inhaltsreich war als die Unterlagen über den hervorragenden Wissenschaftler selbst. Für die Rechercheure des
Departements war es kein Geheimnis, daß Greemshard ein äußerst ehrgeiziger Mann war, der jahrelang unter dem Umstand gelitten hatte, daß das Ziel seiner Ambitionen stets – und ohne erkennbare Anstrengung – zuerst von Bropha erreicht wurde. Die Analyse seiner Persönlichkeit wurde dann so vertieft, daß es möglich war, mit ziemlicher Genauigkeit vorherzusagen, was er in einer bestimmten Situation tun würde. Als die Psychologen des Departements die Umstände des Verschwindens von Bropha genau untersucht hatten, wurde bald klar, was Greemshard getan hatte und was er als nächstes zu tun beabsichtigte. Eine Überprüfung durch örtlich zuständige Zonen-Agenten ergab, daß keine der Mächte, die daran interessiert waren, Bropha in die Hand zu bekommen, sich inzwischen seiner bemächtigt hatten. Darüber hinaus wurde noch einmal bestätigt, daß sie das auch gar nicht tun konnten, ohne die Aufmerksamkeit der Suchtrupps der Konföderation direkt auf Bropha zu lenken. Als größte Schwierigkeit blieb also, daß die Anzahl der möglichen Stellen, wo die verschwundene Yacht verborgen sein konnte, überaus groß war. Nichtsdestotrotz war diese Anzahl beschränkt – es sei denn, daß das Schiff einfach im Weltraum umhertrieb. Das wiederum hätte ein Risiko bedeutet, das ein Navigator von Greemshards Erfahrung nicht eingegangen wäre. Das Dritte Departement wiederum war aber auf Grund seiner weitreichenden Verbindungen und durch seine Armee von Agenten wie vielleicht keine andere menschliche Organisation zuvor in der Lage, eine exakte Aufstellung all der Punkte, an denen die Yacht versteckt sein konnte, zu erarbeiten und sie auch in kürzester Zeit zu überprüfen. So war der Koordinator keineswegs überrascht, als ihn am achten Tag der Suche eine Meldung der Zonen-Agentin Tarradang-Pokang-Pok erreichte. Bropha sei lebend gefunden
worden, hieß es da; sein Zustand sei relativ gut. In zwei Wochen werde Jeltad zurück sein. »Irgendwie schade, daß ihn gerade Zamm finden mußte!« hatte einer der Helfer des Koordinators bemerkt. Und nach kurzer Überlegung hatte der Chef des Departements das auch so gesehen.
Der Mond, auf dem Brophas Yacht verborgen war, war einer der drei etwa erdgroßen, eisverkrusteten Satelliten eines glühenden Riesenplaneten. Das Robotschiff der Zonen-Agentin Zamman Tarradang-Pok, das auf der Suche nach Bropha den ihm zugewiesenen Sektor durchstreifte, umkreiste den Mond zweimal und verschwand dann wieder in Richtung auf die anderen beiden Satelliten. Alles in allem hatte diese Operation nur Sekunden gedauert. Doch ehe das Schiff seine Kreisbahn verließ, hatte die ZonenAgentin Zammes in einem zehn Meter langen Beiboot verlassen, das bis zum Rande mit der für eine Miniaturinvasion erforderlichen Ausrüstung vollgeladen war. Wenn es dort unten irgendeine Art von getarntem Generator gab, war er in dem Augenblick, da man ihr Kommen entdeckte, abgeschaltet worden. Das allein bewies zwar noch lange nicht, daß irgend jemand ein schlechtes Gewissen hatte, doch hatten Zamms Instrumente Strahlungswerte geliefert, die auf genau den Maschinentypen hinwiesen, der sich an Bord von Brophas Yacht befand. Wahrscheinlich war es also die Yacht, schloß Zamm; und vermutlich war sie unter der gefrorenen Oberfläche des Mondes verborgen. Sie hatte die Stelle geortet. Auf der gegenüberliegenden Seite des großen Mondes steuerte sie ihr Boot in die dünne, eisige Atmosphäre hinunter.
»Jetzt kannst du nur hoffen, daß dieses Schiff eines von denen ist, auf die ich warte«, bemerkte Greemshard. »Oder sonst jemand, der sich nicht für uns interessiert.« Er stand mitten in der Steuerkabine der Yacht und starrte mit einem Gemisch aus Haß und Angst seinen Halbbruder Bropha an. Greemshard begann zu argwöhnen, daß er sich trotz seiner Cleverness und ungeachtet seiner präzisen Planung in eine überaus schwierige Situation manövriert haben könnte. Von den Dutzenden von codierten Botschaften, die er während der letzten paar Tage ausgesandt hatte, war keine beantwortet, ja vielleicht gar keine empfangen worden. Es war geradezu unheimlich. »Was auch immer geschieht«, erklärte er, »lebend bekommen sie dich nicht zurück!« Bropha, durch Gravitationsfesseln an einer der Wände des Raumes festgehalten, sah keinen Grund, zu antworten. Während des größeren Teils der letzten Woche war er mental in weiter Ferne geschwebt, von wo aus er, ohne sonderlich beteiligt zu sein, die nicht enden wollenden Klagen verschiedener mißhandelter Nervenenden seines Körpers verfolgt hatte. Die Stimme seines Halbbruders nahm er kaum wahr. Vielleicht überdachte er vielleicht zum tausendsten Male, welche Möglichkeiten sich ihm in der Falle boten, in die ihn Greemshard gebracht hatte. Wie es aussah, würde er die übliche Strafe für seine Dummheit zahlen müssen. Allerdings war es unwahrscheinlich, daß Greemshard oder seine Verbündeten daraus Nutzen ziehen würden. Bropha war – ganz im Gegensatz zu Greemshard – durchaus mit der Schlagkraft der Organisation vertraut, der sein Freund, der Dritte Koordinator, vorstand. »Keine Bewegung, Captain Greemshard!«
Das war alles, was die metallische Stimme sagte. Dennoch dauerte es einen Moment, bis Bropha die Bedeutung der Worte erfaßte… Der Schock brachte ihn zu vollem Bewußtsein zurück. Der Ton der Stimme war wie der dünne Schrei eines Raubtiers gewesen, das sich auf sein Opfer stürzt – ein Ton, der den lastenden Schmerz aus seinen Gedanken verscheuchte und animalische Angst in ihm auslöste. Brophas Geist war sehr feinfühlig; während er den Inhalt von Zamms barscher Aufforderung gar nicht beachtete, hörte er aus ihr etwas wie unstillbaren Hunger und tödliche Drohung heraus. Und merkwürdigerweise auch klagende, dunkle Verzweiflung. Später gab er ohne weiteres zu, daß er in seinem mitgenommenen Zustand vielleicht mehr in die Stimme hineininterpretiert hatte, als sie ausdrückte. Andererseits schien Greemshard, der nicht viel Phantasie, aber tollkühnen Mut besaß, ähnlich beeindruckt zu sein. Mit dem Gesicht zu ihm und dem Rücken zur Tür der Kontrollkabine war sein Halbbruder keine fünf Meter von ihm entfernt gestanden, und an seinen Gesichtsausdruck konnte sich Bropha auch später nur mit großem Unbehagen erinnern. Auf dem Kartentisch sowie auf dem Schaltpult lagen alle möglichen Waffen in Greemshards Reichweite; doch zumindest im ersten Augenblick machte er keine Bewegung. Dann ging Brophas erstaunter Blick an Greemshard vorbei. Die Tür war verschwunden, und blaßgrünes Feuer züngelte um den Rahmen. Dann sah er die Zonen-Agentin Zamm, die mit einer Waffe in der Hand einen Schritt jenseits der Tür stand, und hinter ihr ein paar dunkle, seltsam glitzernde Silhouetten. In diesem Augenblick verflog Brophas fast abergläubische Angst. Denn jetzt wußte er, wer Zamm war – und was.
Etwa im gleichen Moment setzte Greemshard alles auf eine Karte – verzweifelt und mit der gewaltigen Schnellkraft einer Katze. Seine Hand fuhr zu der Waffe in seinem Gürtel, und gleichzeitig warf er sich seitwärts hinter das Schaltpult. Aber er hatte den Sprung noch nicht halb vollendet, als ihn eine lautlose Kraft herumriß und quer durch den Raum warf, Bropha fast vor die Füße. Was von Greemshard noch übrig war, lag dort zuckend ein paar Sekunden und war dann still. Ein schwacher Ozongeruch begann sich im Raum zu verbreiten. Bropha sah auf den enthaupteten Körper hinunter und fuhr zusammen. Als Kinder und als halbwüchsige Jungen waren er und Greemshard die besten Freunde gewesen, und später hatte er seinen Halbbruder besser verstanden, als Greemshard das jemals wußte. Einen Augenblick lang schienen ihm die Geschehnisse der letzten Tage viel weniger wichtig als jene vergangenen Jahre. Dann richtete er den Blick auf die Gestalt in der Tür, um deren Rahmen noch die kalten Flammen züngelten, und stammelte: »Danke, Zonen-Agentin!« Er hatte sofort festgestellt, daß Zamm eine Daya-Bal war, und bis zu diesem Moment hatte er fest geglaubt, daß kein Zweig der menschlichen Rasse weniger geeignet war, Dienst als Agent der Galaktischen Zonen zu tun. Aber die Person, die hier so lautlos und blitzartig auf den Plan getreten war – und anders wäre sein Leben nicht mehr zu retten gewesen – konnte nur eine Daya-Bal sein. Wie ein Trio geisterhafter Hunde kamen jetzt drei verschiedene Roboter durch den glühenden Türrahmen geschwebt und begannen, dem noch unter starker Schockeinwirkung stehenden Bropha zu Hilfe zu kommen.
Merkwürdig… seine Retterin kam ihm in dieser Umgebung noch bizarrer vor als ihre mechanischen Helfer! Zamm trug keine Panzerung, sondern einen eng anliegenden Raumanzug, und wo waren die Charakteristika ihrer Rasse nicht zu übersehen. Der nach menschlichen Maßstäben ziemlich kleine Körper der Daya-Bal war ungemein schmal gebaut, und Zamms weißes Gesicht mit den fahlen Augen und der dünnen, geraden Nase paßte sehr gut dazu. Jede ihrer Bewegungen verriet die unbewußte Grazie, die etwas von der Faszination erklärte, die diese Leute auf ihre normaler gebauten Cousins ausübten. Bropha, der über ein Jahr auf den Daya-Bal-Planeten in der Beteigeuze-Region verbracht hatte und auf den der Zauber dieses vielleicht jüngsten Zweiges des Genus humanis nicht ohne Wirkung geblieben war, sprach Zamm in ihrer eigenen Sprache an. Er bemerkte freudiges Interesse in ihrem Blick und hörte genau auf ihre Antwort, mit der sie sich zunächst für den seinem Schiff zugefügten irreparablen Schaden entschuldigte. Diese Antwort schien entwaffnend normal, und er konnte jetzt die Empfindungen, die ihn, als er Zamms Warnruf an Greemshard hörte, so plötzlich ins Bewußtsein zurückgerissen hatten, nicht mehr nachvollziehen. Und Greemshards Tod war doch – wie immer er auch persönlich darüber dachte – nur das Schicksal eines Verbrechers, der den Fehler gemacht hatte, sich der unvermeidlichen Festnahme entziehen zu wollen. Die genauen Umstände, unter denen die vier Mitglieder von Greemhards kleiner Bande, die als Besatzung der Yacht agierten, aus diesem Leben geschieden waren, erfuhr Bropha nie. Anzunehmen war jedoch, daß der Vorgang ein ähnlicher wie bei Greemshard gewesen war. Befriedigen konnten ihn die Schlüsse, die er da zog, nicht – denn er kannte die Daya-Bals.
Den größten Teil der zwei Wochen, die die Rückreise nach Jeltad dauerte, verbrachte er unter Roboterbehandlung im Bett. Körperlich hatte ihn dieses Abenteuer nicht allzu sehr mitgenommen, doch mußten die erlittenen Schädigungen rasch geheilt werden, und derartige Erste Hilfe bedeutete gewöhnlich, daß das Gehirn des Betroffenen bis zur vollkommenen Bewußtlosigkeit narkotisiert wurde. Brophas geistiges Training jedoch erlaubte ihm, diesen Effekt zu umgehen und sich der Vorgänge um ihn herum so bewußt zu bleiben, wie er nur wollte. Und er blieb sich ihrer in viel größerem Maße bewußt, als Zamman Tarrandang-Pok oder ihre Roboter zu erkennen schienen. Einem gewöhnlichen, bettlägerigen Reisenden wäre die Fahrt des lautlos mit Übergeschwindigkeit durch die unwirklich scheinende Leere des Weltraums dahinrasenden Schiffs monoton, ja arg langweilig erschienen. Bropha – wach und empfänglich für alles, was um ihn vorging – hatte bald einen anderen Eindruck. Im Grunde geschah nicht sehr viel. Aber selbst die nebensächlichsten Ereignisse schienen eine abnorme, dunkle Bedeutsamkeit anzunehmen. Fast war es, so dachte er, als schnappe er dann und wann eine geflüsterte Zeile irgendeines Dramas auf, dessen Akteure sich ständig um ihn herum bewegten und gleichzeitig darauf achteten, ihm nicht unter die Augen zu kommen! Eines Tages wurde seine Aufmerksamkeit dann belohnt, wenngleich er infolge dessen, was er sah, eher noch verwirrter war als vorher. Es war, wie ihm schien, ein schwaches Echo des Schauders, den Zamms Stimme zuerst in ihm ausgelöst hatte. Dieses Echo begleitete jetzt die schmale Silhouette, die manchmal an seiner Kabine vorüberkam und gelegentlich auch kurz in der Tür verharrte. Gleichzeitig entdeckte er, daß ihm Zamms Schiff so etwas wie Bedrückung und Angst einflößte – dieses überschnelle
Schiff mit seiner elektronischen Mentalität, durch die pausenlos millionenfache Empfindungen und Reflexe blitzten mit Bedeutungen, für die es in einem menschlichen Gehirn keine auch nur annähernde Entsprechung gab. Seine rasende Fahrt durch das scheinbare Nichts bei einer Geschwindigkeit, die sich nicht mehr mit der herkömmlichen Vorstellung von Bewegung verbinden ließ, war wie der Ausdruck einer alptraumhaften Absicht, an der Brophas Anwesenheit nicht das geringste geändert hatte. Im Augenblick trug es ihn nur am Rande des Alptraums mit. Bald aber würde er aus ihm hinausgestoßen werden. Und dann… diese irgendwie schreckliche Frau. Sie gehörte einer Rasse an, von der die Menschheit lange Zeit geglaubt hatte, sie komme aus irgendeinem galaktischen Elfenland – ein wenig weiser, ein wenig sanfter, ein wenig kultivierter als ihre menschlichen Brüder. Und dann ihre vielgestaltigen Roboter, die wie ein grotesker Insektenschwarm im Schiff umherschwirrten, und schließlich das titanische, von Menschen geschaffene Monstrum, das sie alle trug – – sie würden sich dann wieder auf ihre endlose, schreckliche Suche begeben. Wonach? Bropha war tief verstört. Er fand keine Antwort. Eines Tages indes trat er in den Steuerraum, völlig geheilt, wenn auch etwas unsicheren Schritts und ein wenig bedrückt. Wega war jetzt noch etwa fünfundzwanzig Lichtjahre entfernt. Aber auf dem Schirm des Tele-Visors schwebte ihr blendender, blau-weißer Schimmer schon wie ein großes Juwel vor ihnen. Wenige Stunden später sahen sie plötzlich das Blau und Grün von Jeltad zwischen den schneebedeckten Polen. Den beiden Beobachtern auf dem Schiff bot sich der Planet viel mehr als historische Urheimat ihrer Rassen dar, als Terra selbst, dieser funktionale Hornissenhaufen.
So kam Bropha zurück. Und seine Rückkehr wurde in dieser Nacht als planetarisches Ereignis gefeiert, wobei das Fest in seinem schönen Haus über den hohen grauen Türmen des Regierungszentrums im Mittelpunkt stand. Er tat alles, um sicherzustellen, daß sowohl seine Retterin als auch ihr Chef – sein alter Freund, der Dritte Koordinator der Weganischen Konföderation – sein Fest besuchten. Aber nur der Koordinator kam. »Ehrlich gesagt«, bemerkte Bropha, »ich habe sie eigentlich gar nicht erwartet. Und ich muß zugeben, daß ich mich fast erleichtert fühle.« Er deutete zu den Gärten unterhalb der Galerie, auf der sie saßen; die Menschen drängten sich dort, und Musik drang herauf. »In einer solchen Umgebung kann ich mir Zamm einfach nicht vorstellen!« Der Koordinator blickte hinunter. »Nein«, stimmte er nachdenklich zu, »Zamm würde nicht hierher passen.« »Das wäre«, sagte Bropha dramatischer, als es sonst seine Art war, »das wäre wie ein Fiebertraum im alltäglichen Leben – es ginge nicht!« »Du möchtest also über sie sprechen«, sagte der Koordinator; und Bropha bemerkte plötzlich die leicht amüsierte Miene seines Freundes. »Ja«, gab er zu. »Weil es notwendig ist! Diese Agentin hat mich ganz unruhig gemacht.« Der Koordinator nickte. »Es hat«, fuhr Bropha fort, »nichts mit ihrer immensen persönlichen Anziehungskraft zu tun. Die ist ja ein ganz allgemeines Merkmal ihrer Rasse. Manchmal glaube ich, daß die rassischen Qualitäten der Daya-Bals vielleicht so beeindruckend waren, daß sie unsere ohnehin verwirrenden Begriffe von Schönheit oder Vollkommenheit in ganz neue Richtungen lenken könnten – wenn sich diese Leute in unseren Zivilisationen vom A-Typ ausbreiteten.«
Der Koordinator lachte. »Das wäre gut möglich! Vielleicht ist es unser Glück, daß sie nicht mehr den Drang in sich fühlen, fremde Regionen zu erobern und zu beherrschen.« Bropha war damit nicht einverstanden. »Würden sie diesen Drang nicht mehr fühlen«, sagte er, »dann wären sie bestimmt nicht so, wie sie sind – wahrscheinlich würden sie einen völlig anderen Eindruck auf uns machen. Wie es scheint, konzentrieren sie sich jetzt auf sich selbst. Man hat sie Metaphysiker und Künstler genannt. Aber das sind von uns geprägte Begriffe. Ich persönlich glaube, daß die Daya-Bals solche Begriffe ganz anders verstehen als wir. Jedenfalls schien mir, als ich bei ihnen lebte, daß sie sich in Bereichen mentaler Wirklichkeit bewegten, von denen ich keine Ahnung hatte…« »Aber du wolltest doch von Zamm sprechen«, erinnerte ihn sein Freund. »Nun, in gewisser Weise tue ich das!« erwiderte Bropha langsam. »Offenkundig ist die bloße Tatsache, daß eine DayaBal für dich – für das G. Z.-Departement – arbeitet und eines dieser wirklich teuflischen Roboter-Schiffe fährt, ein glatter Widerspruch zu allem, was wir über sie wissen. Oder über sie zu wissen glauben! Ein gefallener Engel ist da weit weniger paradox. Und dann die Art, wie sie Greemshard tötete…« Der Koordinator zog die Brauen hoch. »Natürlich«, versicherte ihm Bropha, »mache ich ihr Greemshards Tod nicht zum Vorwurf. Unter den Umständen gab es wohl keine andere Möglichkeit. Aber Zamm tötete ihn« – sorgfältig wählte er jedes seiner Worte – »als stehe sie unter irgendeinem unausweichlichen Zwang, es zu tun. Anders kann ich den Vorgang einfach nicht beschreiben.« Er wartete, aber Zamms Vorgesetzter blieb stumm. »Da waren noch zwei andere Vorfälle«, fuhr Bropha fort, »auf unserem Rückweg hierher. Der erste ereignete sich noch
an dem Tage, an dem, wir von diesem Mond gestartet waren. Wir jagten irgend etwas. Ich konnte nicht sehen, was es war, und ich fragte sie auch nicht. Das Schiff manövrierte ein wenig, und dann flog es relativ lang geradeaus, etwa zwei Minuten. Irgend etwas, was massiv genug war, um unsere Geschwindigkeit zu vermindern, traf uns, und dann gingen die Automatikwaffen des Schiffes los. Das war alles. Was immer es war, es war vernichtet.« »Ja, es war vernichtet!« stellte der Koordinator fest. »Das war ein Shaggar-Schiff. Die scheinen gerade in diesem Bereich auf Wanderschaft zu sein. Zamm hat den Vorfall gemeldet; weil ich ihre Rückkehr mit Interesse verfolgte, hörte ich direkt davon.« »Ich möchte die Handlungsweise deiner Agentin nicht als unmoralisch hinstellen«, sagte Bropha nach einer Pause. »Ich weiß, was die Shaggars mit denen tun, die sich nicht gegen sie zur Wehr setzen können; wenn man sie aus dem Weg räumt, dann ist das so, als vernichtete man einen tödlichen Virus. Nein, die Sache ist nur die: Unmittelbar danach sah ich Zamms Gesicht. Sie kam an meiner Kabine vorbei und schaute einen Moment herein. Ich glaube nicht, daß sie mich wirklich sah! Ihre Augen waren wie blind. Und ihr Gesicht hatte nicht mehr Ausdruck als ein weißer Stein …« Und unsicher fügte er hinzu: »Aber andererseits hatte ich im selben Moment den Eindruck, daß sie an mir vorbei auf irgend etwas starrte. Und ich weiß noch genau, daß ich den Eindruck hatte, daß sie das, was sie da sah, mit einer Erbitterung haßte, deren ein normales Wesen nicht fähig sein sollte.« Er hielt einen Augenblick inne. »Verstehst du, wie ich das meine?« »Ich bin mir darüber klar«, erwiderte der Koordinator, »daß du zumindest einen meiner Agenten für wahnsinnig hältst.« »Das klingt schrecklich undankbar«, nickte Bropha, »aber so ist es – abgesehen davon natürlich, daß ich das nicht wirklich
glaube! Aber um meines inneren Friedens willen wäre ich dir dankbar, wenn du dir die Unterlagen von Zonen-Agentin Zamm ansähest und mich dann wissen ließest, wie das alles zu erklären ist.« Jetzt war es der Koordinator, der zögerte. »Man kann sie eine Killerin nennen, ja«, sagte er schließlich mit schwachem Lächeln. »Tatsächlich ist dir die Auszeichnung zuteil geworden, von der Agentin gerettet zu werden, die wahrscheinlich die größte Killerin des Departements ist. Zamm ist Peripherie-Agentin für Sonderaufträge, könnte man sagen. Sie hat keinen festen Operationsbereich. Wenn sie nichts anderes zu tun hat, meldet sie sich in der Zentrale und läßt sich sagen, welche Unruheherde es in den Gebieten gibt, die sie als nächste aufsuchen wird. Etwa einmal im Jahr kommt sie hierher auf Jeltad, um sich die neueste Ausrüstung, die das Laboratorium inzwischen entwickelt hat, in ihr Schiff einbauen zu lassen.« Er dachte einen Moment nach. »Ich weiß nicht«, sagte er dann, »ob du in der Lage warst, dir ihr Schiff genauer anzusehen?« »Eigentlich nicht«, gab Bropha zu. »Als sie es auf den Mond herunterkommen ließ, damit wir an Bord gehen konnten, erschien es mir größer als die meisten anderen Agenten-Schiffe – eine Art mattschwarzes Sphäroid. Innen habe ich sehr wenig gesehen. Warum?« »In diesem Schiff ist das Maximum an Eigenständigkeit verwirklicht, was wir bisher bei Agenten-Schiffen erreichen konnten«, sagte der Koordinator. »In diesem speziellen Typ mußten Tarnung und Unauffälligkeit weitgehend zugunsten anderer Vorteile zurücktreten. Die Möglichkeit der Selbstreparatur ist einer davon; das Schiff könnte sich notfalls ziemlich komplett selbst duplizieren. Das sind also die Peripherie-Schiffe – fast ständig unterwegs. Die Agenten, die
sie fahren, streifen in den Randgebieten unserer Zivilisationen umher und greifen ein, wann immer es nötig ist, ehe es zu ernsthaften Problemen kommt.« »Ich verstehe, daß solche Agenten notwendig sind«, sagte Bropha langsam. »Ich setzte allerdings voraus, daß sie mit besonderer Sorgfalt ausgewählt werden.« »Das ist der Fall«, sagte der Koordinator. »Gut. Dann nehmen wir einmal an«, fuhr Bropha fort, »daß ein fremdes Volk, wie etwa die Daya-Bals – die ja auf anderen Gebieten der Roboter-Technik Experten sind – in den Besitz eines solchen Schiffes käme. Könnte es davon ein Duplikat herstellen?« »Sie würden etwa fünfzig Jahre Vorarbeit brauchen, aber sie könnten es«, räumte der Koordinator ein. »Aber deswegen machen wir uns keine Sorgen; nach fünfzig Jahren sind wir selbst wieder viel weiter. Darüber hinaus glauben wir, daß unsere Agenten psychisch nicht in der Lage sind, Geheimnisse des Departements selbst an ihr eigenes Volk zu verraten, aus deren Weitergabe uns Nachteile erwachsen könnten.« »Ich weiß«, sagte Bropha. »Deswegen bin ich ja so erstaunt, daß zwei weitere Daya-Bals auf Zamms Schiff sind oder waren.« Zum ersten Male zeichnete sich Überraschung auf dem Gesicht des Koordinators ab. »Wieso glaubst du das?« »Ich hörte sie bei verschiedenen Gelegenheiten sprechen«, sagte Bropha, »wenn ich auch nichts verstehen konnte. Und schließlich sah ich sie auch – – sie kamen hinter Zamm durch meine Tür.« Er hielt einen Augenblick inne. »Ich stand zu dem Zeitpunkt unter Drogeneinfluß«, räumte er dann ein, »ich war ja in Behandlung. Aber ich kann dir versichern, daß das keine Halluzinationen waren.«
»Das habe ich auch nie unterstellt«, sagte der Koordinator. »Ist das der Grund, warum du Zamms Motivationen überprüfen willst?« Bropha zögerte. »Das ist einer der Gründe.« Der Koordinator nickte. »Vor fünfzehn Jahren verlor Zamm bei einem Angriff auf ein Raumschiff der Daya-Bals Mann und Kind. Es gab drei Überlebende – Zamm war eine davon –, aber sie waren so ziemlich während des ganzen Angriffs bewußtlos gewesen und konnten keine Beschreibung der Angreifer geben. Die Leichen der meisten anderen Passagiere sowie der Mannschaft wurden identifiziert; fünfzig aber blieben verschollen. Zamms Mann und ihr Kind waren darunter. Sie glaubt, daß beide von den unbekannten Wesen verschleppt wurden, die das Schiff ausplünderten.« »Das wäre schon denkbar«, sagte Bropha. Aber plötzlich sah er ziemlich erschüttert drein. »Ja«, stimmte der Koordinator zu. »Andererseits ist es unter diesen Umständen äußerst unvernünftig von ihr, darauf zu hoffen, daß sie sie jemals wiederfindet. Man könnte sagen, daß Zamm in sofern unter einer Art Zwangsvorstellung leidet, als sie glaubt, daß ein so unwahrscheinlicher Fall dennoch eintreten müßte. Aber sie ist nur in dieser Hinsicht psychisch anomal – das behaupten jedenfalls unsere Psychologen.« Bropha wollte etwas sagen, schüttelte aber dann den Kopf. »Es ist also nicht schwer zu verstehen, daß Zamm die Wesen haßt, die sie jagt«, erklärte der Koordinator. »In ihren Augen müssen sie mit denen verwandt sein, die ihr ihre Familie genommen haben. Zufällig könnte es sich sogar um genau dieselben Wesen handeln!« »Aber das kann doch nicht…« begann Bropha wieder. »Ihre Zwangsvorstellung jedenfalls scheint ihren Blick, was die Schwierigkeit ihrer Aufgabe oder die anzuwendenden Methoden betrifft, keineswegs getrübt zu haben«, fuhr der
Koordinator freundlich fort. »Ein paar Jahre nach diesem Verlust vergrößerte sie die Aussichten auf Erfolg, indem sie für uns zu arbeiten begann. Dadurch mußte ihr ja das Departement für die Galaktischen Zonen automatisch bei ihrer Suche helfen! In den letzten zwölf Jahren ist jede Spur von Daya-Bals, die irgendeiner unserer Mitarbeiter außerhalb der Beteigeuze-Zone entdeckt hat, Zamm innerhalb von Stunden gemeldet worden. Und nun zu den beiden, die du auf ihrem Schiff sahst. Kannst du sie beschreiben?« »Auf dem Korridor war es dunkel«, sagte Bropha zögernd. Er war jetzt ziemlich blaß im Gesicht. »Aber ich kann mich nicht täuschen! Es waren ein Mann und ein Junge.« Der Koordinator schwieg einen Moment. »Ja, das dachte ich mir«, sagte er dann. »Nun, für uns ist das eine unangenehme Vorstellung, das muß ich zugeben – eine ziemlich alptraumhafte Vorstellung sogar. Irgendwie hat die Geschichte einen Beigeschmack von Zauberei. Eines mußt du jedoch klar sehen: An Zamms Loyalität kann kein Zweifel bestehen. Wie du schon sagtest, sind die Daya-Bals in Roboter-Technik sehr bewandert. Und Zamm war NeuroChirurgin, bevor sie zu uns kam. Was du gesehen hast, waren nur zwei Marionetten, Bropha.« Er stand auf. »Gehen wir wieder zu den anderen?« Auch Bropha hatte sich jetzt erhoben. »Und du bleibst also dabei, daß sie nicht wahnsinnig ist?« fragte er. Der Koordinator breitete die Arme aus. »Soweit ich sehen kann, kannst du das Gegenteil nicht beweisen. Ich muß mich also weiter auf die Psychologen des Departements verlassen. Du kennst ihren Standpunkt: Was immer unsere Agenten tun, sie sind dabei fast unfehlbar. Und außerdem: Unabhängig davon, wie weit ihre Motivationen im einzelnen auseinandergehen – diese Divergenzen werden niemals einen
Punkt erreichen, der sie für das Departement unerträglich macht.«
Zonen-Agentin Zamm, die sich seit drei Tagen im Weltraum befand, näherte sich rasch der Stelle, wo sie ihren Kurs geändert hatte, um sich an der Suche nach Bropha zu beteiligen. Die Geschwindigkeit ihres Schiffes war hoch – wesentlich höher denn vor kurzem, als sie ihren angeschlagenen, politisch so wichtigen Passagier an Bord nach Jeltad zurücktransportiert hatte. Mit ihm an Bord hatte sie sich verpflichtet gefühlt, Vorsicht walten zu lassen; das Departement riet von hoher Geschwindigkeit ab, solange kein unmittelbarer Notfall vorlag. Nur Schiffe von der wahrhaft titanischen Größe der weganischen Riesen-Rangers konnten bei solchem Tempo mit hinreichender Sicherheit navigieren. Kleinere Schiffe hingegen verschwanden nicht selten spurlos und auf unerklärliche Weise; im Laboratorium des Departements und in ähnlichen Instituten der ganzen Zivilisation hatte man sich darüber schon oft und ergebnislos den Kopf zerbrochen. Zamm freilich erfüllte die betäubende, sinnlose Leere des Weltraums mit drängender Ungeduld. Mochte man noch so viel von Gefahren reden – sie achtete ihrer nicht. »Ich brauche eine Karte der Krisenherde des Gebiets, das wir innerhalb der nächsten Woche durchlaufen«, meldete sie über den Telepathie-Transmitter, und ihre Bitte wurde im Departement für die Galaktischen Zonen auf dem jetzt viele Lichtjahre entfernten Planeten Jeltad prompt empfangen. Fast ebenso prompt erschien auf Zamms Transmitter-Schirm eine dreidimensionale Sternkarte. Zamm studierte sie sorgfältig.
Der grüne Punkt in der Mitte markierte ihre Position. Optisch befand er sich am Rande einer Gruppe kurzer, purpurner Striche, welche die angenommene Position der ShaggarSchiffe bezeichnete, mit denen sie auf der Fahrt nach Jeltad kurz Berührung gehabt hatte. Weiter entfernt befand sich eine weiße Lichtwolke – ein zivilisierter Sternhaufen. In diesem Sternhaufen und auch am Rande der Karte gab es ein paar Dutzend dunkelrote, fast mikroskopisch kleine, tiefrote Sonnensysteme, die von orangen, hellroten oder grünen Kreisen umgeben waren. Die verschiedenen Farben bezeichneten die genauere Art des Krisenfalls. Mit Leuchtpfeilen markierte Zamm drei so hervorgehobene Systeme am linken Rand der Karte. »Ich möchte mir diese Shaggars vornehmen«, meldete sie. »Wenn wir sie finden, dürften wir etwa diese Gegend erreicht haben. Dann möchte ich noch genauere Einzelheiten über die Unstimmigkeiten in dieser Region. Das wäre alles…« Sie schaltete den Transmitter ab. Die Sternkarte verschwand, und gedämpftes Licht füllte den Raum. Zamm rieb sich den Unterarm und blinzelte in das Licht. »Wie wäre es mit einem Imbiß?« fragte sie. Aus der Wand glitt ein großes Tablett mit dampfenden oder eisgekühlten Behältern auf einem Eßtisch. Während sie aß, legte sie sich in Gedanken einen Plan für ihre nächsten Aktionen zurecht. Es handelte sich nur um ein paar Wochen – sie hatte schon einmal ein ganzes Jahr vorausgeplant! – Soundsoviele Planeten waren zu inspizieren, soundsoviele Bereiche zu untersuchen! Aber der gewaltige Umfang ihrer Aufgabe hatte bald dazu geführt, daß sie ihre langfristige Planung aufgab. Jetzt ging sie in kürzeren Abschnitten vor, nicht ziellos, aber ständig durch Ahnungen, plötzliche Impulse und Hoffnungen in neue Bereiche geführt.
Sie achtete nur darauf, daß sie nicht öfter als unbedingt nötig die gleiche Strecke zweimal zurücklegte. Aber sie mußte scheitern, das wußte sie. Sie würde sie niemals finden! Und auch die Tausende und Abertausende von Leuten würden nichts finden, die sie auf ihre Spur gesetzt hatte. Das Universum, das sie verschlungen hatte, war Sieger geblieben. Sie warf einen Blick auf das schwarze, kalte Gesicht, das den ganzen Visor-Schirm ausfüllte und sie mit Millionen glitzernden Augen spöttisch ansah. »Dämliches Ding – so zu grinsen!« flüsterte sie in müdem Haß. Sie stand auf und ging ruhelos auf und ab. Das schwarze Gesicht dort draußen, das war ihr Feind! Sie konnte ihm ein wenig wehtun, aber nicht mehr. Es zählte fast nicht. Der Feind war so mächtig, daß er nur zu warten brauchte. Jahrhunderte, Jahrtausende, Zehntausende, Hunderttausende, Millionen von Jahren. Brauchte nur zu warten, während sich irgendwo, warm und tapfer, gebrechlich und hoffnungsvoll, Leben bildete. Und dann kam ihr Feind und beendete es, kalt und gemein! Vernichtete es in wilder Zerstörung von außen, wie die Shaggars. Oder er tat es auf subtilere Weise, indem er den Geist einer Rasse von innen vergiftete. Oder es war nur ein einziges intelligentes Gehirn, in dem der kalte Todeswille Gestalt annahm, bis er plötzlich zum Ausbruch kam und eine Nation, einen ganzen Planeten verschlang. Die Waffen des Universums gegen das Leben waren ungeheuer und unbegrenzt! Plötzlich blieb Zamm stehen und schaute auf eine große Couch in der Mitte des Raumes. »Du solltest dir jetzt nicht den Kopf zermartern, Zamm!« Fast angstvoll tönte die Stimme des gigantischen RobotSchiffes in den Raum. »Seit Wochen stehst du unter schwerem psychischem Streß!«
»Ich weiß«, murmelte sie. »Jedenfalls bin ich froh, daß er in Sicherheit ist. Ein netter Kerl! Überhaupt nette Leute! Wir machen ihm Sorgen, glaube ich…« Nachdenklich tippte sie mit der Stiefelspitze gegen die Couch. »Aber dieser Streß könnte hilfreich sein! Schick die Puppe zu mir, und wir werden sehen.« »Die große?« fragte die Stimme. »Nein!« entgegnete Zamm erschreckt. »Wenn ich allein bin, kann ich den Anblick einfach nicht ertragen. Nein, die kleine…« Irgendwo im Schiff öffnete sich eine Tür und schloß sich dann wieder. Sekunden später hörte man leichte und rasche Schritte. Eine kleine Gestalt kam in den Raum, blieb stehen, schaute sich mit hellen, scharfen Augen um, sah Zamm und lief zu ihr hin. Zamm breitete die Arme aus und umfing die kleine Gestalt, die sich ihr lachend um den Hals geworfen hatte. »Was für ein Künstler diese Masken gemacht hat!« sagte sie bewundernd und fuhr mit den Fingerspitzen sanft über die Wange dieses Gesichts, das so sehr ihrem eigenen ähnelte und doch wieder anders war. »Wenn man die Augen schließt und es nur berührt…« Sie lächelte auf die Gestalt in ihren Armen hinab. »Fünfzehn Jahre! Du bist jetzt schon fast ein großer Junge – aber noch nicht zu groß. Wir schießen nicht in die Höhe wie die A-Menschen, nicht wahr? Aber dafür werden wir gescheiter. Oder nicht?« Heiter lachte das Wesen Zustimmung. Zamm sah es lächelnd an, schien aber gleichzeitig in sich hineinzuhorchen. Die Puppen hatten mit ihren Arbeitsrobotern sehr wenig gemeinsam; sie waren als Visualhypnotiker angelegt – so stark und gefährlich, daß sie ein geistig gesundes Lebewesen für immer zerstören konnten. Diejenigen ihrer Leute, die ihr bei dem Entwurf geholfen hatten, hatten es widerstrebend getan,
obgleich sie wußten, wie wertvoll solche Apparate – oder Geschöpfe? – für jemanden waren, der in seinen Erinnerungen suchte, was die Wirklichkeit ihm geraubt hatte. Mit beinahe kühler Distanziertheit verfolgte sie, wie sich dieses zwanghafte Gefühl ihrer bemächtigte, das Gegenwart und Vergangenheit, Illusion und Realität zu vereinen schien, bis sich plötzlich etwas wie ein kalter Hauch auf ihr Gesicht zu legen schien. Da schloß sie einen Moment die Augen und stellte die Gestalt vorsichtig auf den Boden zurück. »Lauf, kleiner Junge!« sagte sie beinahe geistesabwesend und mit leerem Blick. »Geh wieder an deinen Platz! Mutter hat zu tun.« In das gurgelnde Lachen der kleinen Gestalt mischte sich das leiser werdende Trappeln ihrer Füße. Dann schloß sich irgendwo eine Tür. Langsam ging Zamm zu der Couch und legte sich darauf nieder, die Arme über dem Kopf verschränkt. »Jetzt versuchen wir eine Gedächtniserforschung!« sagte sie. Der Roboter antwortete nicht. Unter der Couch kamen ein Dutzend glasiger Fühler hervor, die sich zunächst ein-, zweimal um Zamms Kopf wanden und deren leuchtende Spitzen sich dann an verschiedenen Stellen von Zamms Körper und an Zamms Schläfen festsetzten. »Ich bin bereit«, sagte sie. »Fangen wir an!« Von der Wand kam ein schwaches Summen. Plötzlich wurde ihr Körper starr, um sich gleich darauf gänzlich zu lockern und zu entspannen.
Da war ein kurzes Gefühl von Kälte gewesen, die von allen Seiten her in sie drang. Aber diese Kälte hatte sofort die Nervenknotenpunkte erreicht, auf die sie gezielt war.
Von außen kommende Empfindungen wurden auf einen Schlag nicht mehr wahrgenommen. Zamms Gehirn schwebte gleichsam im freien Raum. Sein Bewußtsein war ausgefüllt von der unendlichen Vielfalt der Vergangenheit – aber auch von einer täuschend ähnlichen Vielfalt dessen, was hätte geschehen können, und dessen, was niemals war. Gehorsam, aber nicht unbedingt wahrheitsgetreu, würden sich diese Welten von Ereignissen und Symbolen entsprechend dem Wunsch des Bewußtseins zu beliebigen Mustern zusammenfügen. Das Gehirn konnte sich da selbst täuschen! Aber es hatte einen Verbündeten, der sich nicht täuschen ließ. Es befahl: »Zurück in die Zeit, bevor es begann!« Und als die stimulierenden Kräfte des Roboters durch die Nervenbahnen strömten, erwachten plötzlich unzählige Neuronen. Von Millionen Faktoren bestimmte vergangene Ereignisse nahmen kurz Gestalt an, wurden zurückgewiesen und neu kombiniert. Schließlich flackerten vertraute Bilder auf, spulten sich in der Vorstellung ab. Geräusche wurden in der Erinnerung laut; Wärme strömte – Schmerz wurde spürbar, Kälte, Berührung, dann Ruhe. Haß, Liebe, Schrecken – Besitz, Verlust. »Wir haben es! Wo es begann.« Da war die dunkle Kabine des dem Untergang geweihten Raumschiffs; nur ein schwacher, bernsteinfarbener Lichtschimmer glomm an einer der tapezierten Wände. Schwach waren die Vibrationen der riesigen Maschinen zu spüren. »Dieses Zittern hatte man den Schiffen damals noch nicht ganz abgewöhnt«, erinnerte sich Zamms Gehirn. Zufrieden und halb schlafend lag sie auf dem großen Bett der Kabine und blinzelte in den Lichtschimmer. Die Ruheperiode
war angebrochen, und Zamm hatte sich als erste in ihre Kabine begeben. Wie gewöhnlich. »… schlief furchtbar gern – damals!« Die Männer trieben sich noch in den verschiedenen wunderschön eingerichteten Spielräumen des Urlaubsschiffes herum. Der Große und der Kleine – sie sollten sich beide mehr ausruhen! Dafür ist ein Urlaub doch da! Zamm fragte sich gerade, wo sie Wohl jetzt wieder sein mochten, als das bernsteinfarbene Licht zweimal flackerte… »Es hat begonnen!« Ein ohrenbetäubendes Dröhnen, ein Lichtblitz! Dann brach der grelle Alarmton des Kabinen-Kommunikators ab. Ein Körper flog plötzlich durch den Raum wie ein fortgeschleudertes Spielzeug. An allen möglichen Stellen brach die künstliche Gravitation des Schiffes zusammen, wurde sofort wieder hergestellt, brach an anderen Stellen zusammen, wurde dort wieder hergestellt. Und endlich formierte sich die Gravitation in einem für den Notbedarf ausreichenden Maße neu. Aber in der Kabine herrschte Dunkelheit und Bewußtlosigkeit, während Zamms Gehirn vielleicht zum zweitausendsten Male mit unerträglicher Spannung auf die eine Perspektive, das eine identifizierbare Geräusch wartete – vielleicht nur auf eine Berührungsempfindung. Der Bruchteil einer Sekunde würde vielleicht genügen! Und das dauerte zwei Stunden lang! Zwei Stunden lang waren sie durch das Schiff gestürmt, das sie zum Wrack gemacht hatten, und hatten geplündert und diejenigen, die noch am Leben und nicht zu schwer verletzt waren, fortgeschleppt. Mehrmals mußten sie in ihre Kabine gekommen und darin herumgegangen sein, sie angestarrt und berührt haben. Und dann… Aber – nichts.
Am gleichen Punkt, wie auch sonst immer, kam das volle Bewußtsein zurück. Und dann kroch der Körper mühsam über den wegen des gestörten Gravitationsfeldes nunmehr ganz schräg gestellten Boden. Der gebrochene rechte Unterarm mit seinem lose schlenkernden Handgelenk – wie die halbzersplitterte Kabinentür über ihr, die jetzt an einer geneigten Decke zu hängen schien! Und irgendwoher aus dem Schiff drang das Brüllen atomaren Feuers herein. Und dann: Etwas, das sich anhörte wie das Winseln von Tieren. Und dann die gräßlichen Schreie. »Die von der Strahlung Verbrannten!« durchfuhr es Zamm, als der Körper in der Kabine vor Entsetzen erstarrte. »Aber das waren nicht die Meinen!« schrie sie. »Ich habe es nachgeprüft!« Sie fing sich wieder. »Warte – ich muß diesen Zeitraum noch einmal haben.« »Das geht nicht zweimal«, sagte die Stimme des Roboters. »Nicht jetzt. Und in diesem Zeitraum.« »Also…« Natürlich hatte der Roboter recht. Meistens hatte er recht. »Also dann weiter mit der Sequenz!« »Selbst das ist zu gefährlich. Du bist völlig erschöpft, Zamm!« Aber der Körper griff nach der Tür, klammerte sich mit der unverletzten Hand daran, zog sich mit äußerster Mühe in einen hell erleuchteten, alptraumhaft steil nach oben führenden Korridor. Haufenweise lagen andere Körper dort, die sich nicht bewegten. »Wenn ich nicht angefangen hätte, mir die alle anzusehen… wenn ich eher hinausgeschaut hätte… nur ein paar Sekunden früher!« Eine nach der anderen vergingen die verlorenen Sekunden – wie immer. Und dann blickte die Gestalt plötzlich auf. Ein helles Leuchten erfüllte das obere Ende des Korridors. Irgend etwas hatte diesen Lichtschein durchquert und war in einem
anderen, nach unten führenden Gang verschwunden. Das Licht folgte dem Eindringling, als sei es sein Schatten, und verschwand dann mit ihm. »Sie arbeiteten mit individuellen Lichtbarrieren und sahen sich noch einmal überall um, bevor sie das Schiff verließen«, murmelte Zamm, während die Gestalt vor Verzweiflung, Wut und Entsetzen atemlos schreiend auf die Stelle zukroch, von der der Lichtschein gekommen war. »Hätte ich nur einen kurzen Moment früher aufgeblickt, dann hätte ich sie, selbst in ihren Raumanzügen, erkannt – und gesehen, welcher Rasse sie angehörten. Gesehen hätte ich sie!« Sie starrte an die Decke der Steuerkabine und murmelte die schon vertrauten Worte. Ein wenig steif bewegte sie sich, versuchte aber nicht, sich aufzurichten. »Das war hart an der Grenze«, sagte sie tonlos. »Ja, sehr gefährlich, Zamm«, antwortete die Roboter-Stimme. »Nichts ist passiert«, sagte sie. »Das nächste Mal nehmen wir uns die Periode der Bewußtlosigkeit allein vor.« Mit einem bitteren Geschmack im Mund lag sie da. Irgendwo in ihrem Gedächtnis, irgendwo im Weltraum gab es Punkte, von wo aus sie ihre Spur aufnehmen konnte. Dinge gab es, die sie in diesen Stunden erlebt, aber nicht bewußt erfahren hatte. Irgendwelche Zellen in ihrem Gehirn hielten diese Eindrücke noch unter Verschluß. Der statistischen Wahrscheinlichkeit nach war es nicht möglich, daß sie jemals irgendeine bestimmte Gruppe von Gehirnzellen mit den Impulsen aktivierte, die jene speziellen Gedankenbruchstücke wieder zurückholen konnten. Und statistisch gesehen wäre es viel einfacher gewesen, unter den zahllosen Feuerzellen der Galaxie das eine Sonnensystem mit seinen Planeten herauszufinden, wo sie sich möglicherweise befanden!
Aber sie lernte ja immer noch hinzu! So oder so, sie würde es schaffen. Sie würde sie finden… Ungläubig und voll bitterer Gedanken lag Zamm da und starrte zur Decke. »Was gibt es?« fragte sie plötzlich. »Gesellschaft!« sagte der Roboter. Sie waren weit, weit entfernt und rasten mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit dahin. Auf dem Visor-Schirm schienen sie freilich in Rufweite vorbeizugleiten. Eine, zwei, drei, vier… Es waren vier diffus leuchtende Strahlungswolken, die wie große schimmernde Quallen im Raum trieben. Shaggar-Schiffe hinter ihren Tarnschirmen. Natürlich hatten sie Zamm geortet; wie die meisten anderen älteren Formen des Lebens im Weltraum hatten auch sie gelernt, bei fremden Schiffen, die nicht auf der Stelle die Flucht ergriffen, vorsichtig zu sein. Sie warteten ab, was Zamm tun würde. »Der zentrale Position und Flugrichtung melden«, sagte Zamm. Noch hatte sie ihre Wut und Verzweiflung nicht abschütteln können; doch ihre langen Finger glitten behende und sicher über die Waffenschalter des Steuerpults. Noch berührte sie sie nur leicht, überprüfte sie lediglich. »Zwei davon stehen fast hintereinander«, meldete der Roboter. »Insgesamt fünf!« schnaubte Zamm. »Noch eines mehr, und es würde prekär. Parallelkurs, und dann ziehen wir hinüber…« Etwa eine Minute später schwenkten sie in geringerer Entfernung in die Flugbahn der Shaggars ein. Plötzlich verschwanden die Nebelfelder, und fünf dunkle, bauchige Schiffe wurden sichtbar. Unvermittelt zuckte strahlende Energie an Zamms Schiff vorbei. Die Schüsse hatten ihr Ziel verfehlt. »Sind sonst noch welche auf dieser Seite?«
»Vier weitere nähern sich – noch kaum wahrnehmbar! Möglicherweise sind sie von dieser Gruppe gerufen worden.« »Gut! Die kommen als nächste dran.« Das Schiff durcheilte das letzte Bogensegment seiner Kreisbahn und setzte sich hinter die Shaggar-Schiffe. Sie waren jetzt weit außerhalb des Bereiches ihrer Waffen, doch in der Ferne vor ihr war der Weltraum wie ein kochender Wirbel von Flammen. Im Herz dieses Wirbels hatten sich die fünf flüchtenden ShaggarSchiffe eng umeinander gruppiert und feuerten mit allem zurück, was sie hatten. »Instruktionen?« murmelte die Roboter-Stimme. »Auf Berührung gehen!« Durch den langen Flammenkonus hindurch sprang das Schiff die fünf anderen förmlich an. Zamm hatte die Hände über das Schaltpult des Gefechtsstandes ausgestreckt – wie dünne, weiße, gekrümmte Klauen des Hasses! Und diejenigen, die sich da vorn in ihren Feuerschleiern drehten und immer näher auf sie zuzukommen schienen, das waren nicht die gesichtslosen, mehr oder weniger menschenähnlichen Wesen, die sie suchte. Aber sie trugen das gleiche rote Brandmal: Das Brandmal der Plünderer, Entführer und Mörder. Es war das Kainszeichen aller Vernichtungsgedanken dieses niederträchtigen, lebensverschlingenden Universums… Als die Gefechtsdistanz erreicht war, dräng gleißendes Feuer in allen Farben des Spektrums auf das Schiff ein und schien es mit riesigen Fäusten zu schlagen. Auf Halbdistanz begann es wie wild zu schütteln und wurde abgebremst, als flöge es durch Schlamm. Auf Vierteldistanz schien der Weltraum sekundenlang zu einem einzigen Meer von stahlharten Flammen geworden zu sein. Zamms ausgestreckte Hände fuhren auf die Auslöseknöpfe nieder. »JETZT…«
Die Kraft, die ihr vorauseilte, war wie das Tosen einer riesigen Sonne. Aus allen Waffen Tod und Vernichtung speiend, folgte das Schiff und schrie Zamms Haß in das Nichts hinaus.
Zwei Jahre… Der Königshai machte Zamm zu schaffen! Gewöhnlich hielt er sich in irgendeinem Sub-Raum auf, wo sie nicht hoffen konnte, ihn zu finden. Der Königshai war ein großes, schnelles und trickreiches Schiff. Es hatte Waffen und Kräfte, von denen sie nichts wußte. Sie konnte nicht einmal ahnen, ob das Schiff wußte, daß sie es verfolgte. Wahrscheinlich war es nicht der Fall. Sein Operationsgebiet war so groß, daß seine in regelmäßigen Abständen erfolgenden Überfälle und Morde den Verkehr aus den betreffenden Gebieten nicht verscheuchten. Ein gewisses Maß an Verlusten mußte im interstellaren Verkehr immer in Kauf genommen werden. In dem Bereich, in dem sie sich jetzt befand, schienen jedoch alle Verluste auf das Konto des Königshais zu gehen. Zamm versuchte, seine Taktik zu ergründen – herauszufinden, wo er das nächste Mal auftauchen würde. Ein gutes Dutzend Male verfehlte sie ihn nur knapp; doch die grausam verstümmelten Opfer waren alles, was sie noch vorfand. Der Königshai ging kein Risiko ein. Er suchte sich seine Beute aus, stürzte sich darauf – oder dazwischen, wenn es ein kleiner Konvoi war – und tat sein Werk. Gefangene wurden keine gemacht, und so war das Werk rasch getan. In einer Stunde war alles vorüber. Die zerfetzten Schiffe mit ihren toten Passagieren und Mannschaften trieben weiter, so daß Zamm sie finden konnte. Der Königshai aber war stets verschwunden.
Schließlich gab Zamm es auf, seine Aktionen vorausberechnen zu wollen, und kaufte sich einen Frachter. Es war ein teures, sehr schönes Schiff, das sie mit Dingen von großem Wert belud. Keinen nur vergoldeten Haken wollte sie nach dem Königshai auswerfen – aus massivem Golde sollte er sein! Jetzt brauchte sie noch ein Piratenschiff. Sie fing sich eines. Die achtzehnköpfige Besatzung war gerade recht für den Frachter. Zuerst überprüfte sie ihre Gedächtnisse nach dem, was sie suchte. Es war nicht da. Manch anderes Gräßliche war da, doch machte ihr so etwas schon seit langer Zeit nichts mehr aus. »Wer überlebt, den lasse ich frei!« versprach sie kalt. Sie würde es tun, das wußte die Mannschaft. Das waren nur kleine Fische; sollte sie jemand anderer fangen, wenn er sie unbedingt haben wollte! Dann kreuzten der Frachter und seine Mannschaft dort, wo das Auftauchen des Königshais am wahrscheinlichsten schien. Zamms Schiff hielt sich in der größtmöglichen Entfernung, die noch sofortigen Zugriff erlaubte. Zum vierten Male befuhr der Frachter die Route, als der Königshai endlich kam. Im nächsten Augenblick war die Besatzung des Frachters tot. Und Zamm schlug zu. Sie ging nicht nur auf Berührungsdistanz, sie ging auf Feindberührung. Zamms rundes schwarzes Schiff versuchte sich an dem Königshai festzubeißen wie ein Blutegel. Wo der Blutegel zu beißen versuchte, war ganz gleich. Es gab keinen schwachen Punkt. Keine Stelle war aber auch stark genug, um auf einen Meter Entfernung ihrem Schneidestrahl zu widerstehen. Die Frage war nur, ob die Angegriffenen in achtzig Sekunden irgendein Mittel finden würden, den Blutegel zu vernichten, ehe die schützende Wand zwischen ihnen zerstört war.
Doch das konnten sie offenbar nicht. Wie eine glitzernde Woge strömte Zamms Roboter-Mannschaft in den Königshai hinüber. »Ihr braucht nur die Bordgravitation zu stören!« sagte Zamm. »Gefangene haben sie keine. Manche werden Panzeranzüge tragen, aber auch mit denen werden wir fertig.« In Reihen legten die Roboter die Lebenden und die nahezu Toten in die Gänge und Räume des Königshais. »Von Cushgar«, sagte Zamm überrascht. »So weit von ihrer Heimat entfernt sind sie auf Raubzug gegangen…« Sie kannte die Art. Die vierhundertvierzehnköpfige Besatzung des Königshais hatte einmal die Luft von Terra geatmet. Als sie den Planeten dann verließen, hatten sie verschiedene Mutationen durchgemacht. Die stärksten überlebenden Arten hatten sich schließlich zu neuen Rassen vermischt, wie etwa die Daya-Bals. Von Schönheit konnte hier keine Rede sein. Sie waren klein, stämmig, behaart und enorm muskulös. Die Wirbel ihres Rückgrads staken wie knochige Dornen durch die Haut. Dennoch hatte Zamm durchaus schon schlimmere Abarten der menschlichen Rasse gesehen; außerdem war dies schließlich keine Schönheitskonkurrenz. Ein Roboter bewegte sich zwischen den liegenden Gestalten und stach jeder davon einen feine Nadel unterhalb des Wirbelsäulendorns ein. Zamm und ein weiterer Roboter, der bis jetzt nichts zu tun gehabt hatte, suchten sich die am schwersten Verwundeten heraus und begannen, sie nacheinander zu befragen. Vier Stunden vergingen; es wurden fünf, schließlich sechs. Dann kehrten Zamm und ihre Roboter in ihr Schiff zurück. Die Schleuse des Blutegels schloß sich wieder; er löste sich von dem anderen Schiff und flog davon. Die riesige dunkle Hülle des Königshais trieb steuerlos im Raum. Niemand an Bord war
mehr am Leben. Fünfzehn Minuten später flammte plötzlich ein Feuerschein auf. Der Königshai war verschwunden. Bleich und stumm saß Zamm noch eine Weile an ihrem Schaltpult. »Die Puppen«, sagte sie schließlich laut. »Ja?« sagte die Roboter-Stimme. »Vernichte sie«, sagte Zamm. Sie schaltete den TelepathieTransmitter an. »Und stelle eine Verbindung mit Jeltad her. Mit dem Dritten Koordinator…« Es kam keine Antwort, und im Schiff blieb es still. Sie schaltete die Beleuchtung einiger Sternengloben ein und fing an, Berechnungen anzustellen. Das dauerte nicht lange. Dann saß sie wieder eine Weile bewegungslos da und starrte auf den grünlich leuchtenden Transmitter-Schirm, auf dem sich schwacher Dunst langsam zu drehen schien. Endlich zeichneten sich die Umrisse eines Gesichtes darauf ab, und eine Stimme nannte fragend ihren Namen. »Sie sind auf Cushgar!« Die metallisch klingenden Worte sprudelten nur so aus Zamm hervor. »Ich kenne den Planeten und auch den Ort. Ich habe sie so gesehen, wie das Schiff sie gesehen hat – der Junge ist jetzt schon ziemlich groß. Es ist ein graues Haus, nicht weit von einer Art großem Hospital. Siebzehn Jahre arbeiten sie schon dort! Siebzehn Jahre!« Ihr Gesicht war ganz fahl vor Haß. Die Miene des Koordinators verriet seine Anteilnahme; geduldig hörte er zu, bis Zamm geendet hatte. »Allein können Sie dort nicht hin!« sagte er dann. »Wie denn sonst?« entgegnete Zamm überrascht. »Wer sollte mich begleiten? Aber ich brauche das Schiff. Das wollte ich Ihnen sagen.« Der Koordinator schüttelte den Kopf. »Das Schiff steht zu Ihrer Verfügung. Aber allein können Sie das nicht wagen, Zamm. Außerdem kommen Sie auf dem Weg
dorthin sowieso nahe genug an Jeltad vorbei. Machen Sie kurz Station, und wir denken uns etwas aus!« »Sie können mir nicht helfen«, sagte Zamm unumwunden. »Sie können niemand auf Cushgar schicken. Alle Agenten, die jemals dort hin entsandt wurden, sind verlorengegangen. Schicken Sie eine Flotte, dann bedeutet das Krieg. Schon am nächsten Tag hätten wir die Tausend Nationen am Hals.« »Es gibt immer noch eine zweite Möglichkeit«, sagte der Koordinator. Er hielt inne und dachte darüber nach. »Bleiben Sie an Ihrem Transmitter! Sobald wir irgendeine vernünftige Methode gefunden haben, rufe ich Sie.« »Nein«, sagte Zamm. »Ich kann keine Anrufe mehr entgegennehmen… ich habe im Augenblick zu viel Anstrengendes hinter mir. Bis es zur Feindberührung kommt, werde ich mich in Tiefschlaf versetzen. Was ich vorhabe, kann ich nur einmal versuchen, und da muß ich ganz bei der Sache sein. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht«, fügte sie hinzu, »und auch keine vernünftigen Methoden. Ich habe mir das alles gründlich überlegt. Danke jedenfalls für das Schiff!«
Über einen Kommunikator des Hauptquartiers sprach der Koordinator mit dem Mann namens Snoops. Snoops fluchte leise. »Sie hat noch andere Freunde, die unterrichtet sein wollen«, schloß der Koordinator. »Ich überlasse das Ihnen.« »Natürlich, natürlich«, sagte Snoops. »Werden Sie in Ihrem Büro sein? Vielleicht müssen Sie bestätigen, daß ich ermächtigt bin…« »Sie brauchen keine Ermächtigung«, sagte der Koordinator, »und ich bin gerade im Begriff, angeln zu gehen. Seit acht Jahren hatte ich keinen Urlaub – jetzt brauche ich ihn.«
Mißmutig starrte Snoops den verstummten Kommunikator an. Er bekleidete keine offizielle Stellung im Departement. Dennoch nannte er eine Reihe von Büros und ein Laboratorium sein eigen. Seine Aufgabe war es, alles über alle zu wissen, was auch meistens der Fall war. Er kratzte sich das bärtige Gesicht und tippte eine Nummer in den Kommunikator ein. Der Kommunikator klickte fragend zurück. »Ich brauche den Standort von zweiundvierzigtausend und ein paar hundert Leuten«, sagte Snoops. »Auf geht’s!« Der Kommunikator stöhnte. Snoops achtete nicht darauf. Er schaltete den TelepathieTransmitter ein. »Hallo, Ferdinand!« rief er gleich darauf. »Mein Gott, Snoops!« sagte Ferdinand der Finger. »Hängen Sie mir nur jetzt nichts Neues mehr an den Hals! Ich bin gerade mitten dabei…« »Zamm hat herausgefunden, wo ihr Mann und ihr Junge sind«, sagte Snoops. »Auf Cushgar! Sie ist dorthin unterwegs!« Zonen-Agent Ferdinand fluchte. Seine schlanken, nervösen Finger nestelten an dem Knoten einer riesigen, dunkelroten Schmetterlingskrawatte. Er war gerade Schlepper für einen Buchmacher – und ein bemerkenswert guter. »Woher hat sie sich gemeldet?« fragte er. Snoops sagte es ihm. »Direkt vor meiner Haustür«, sagte Ferdinand. »Deshalb rief ich als erstes Sie«, sagte Snoops. »Aber Sie können keine Verbindung mit ihr aufnehmen; sie liegt im Tief schlaf.« »So? Und was sagt Bent dazu?« fragte Ferdinand. »Gar nichts – ist angeln gegangen. Moment noch!« fügte Snoops hinzu. »Ich war noch nicht fertig!«
»Vielen Dank für den Anruf, Snoops«, sagte Ferdinand, die Hand auf dem Schaltknopf des Transmitters. »Aber ich bin gerade mitten dabei…« »Sie stehen mitten auf der Agentenliste dieses Bereichs«, erklärte ihm Snoops. »Sie brauchen die Sache nur weiterzugeben.« »Das dauert Stunden!« heulte Ferdinand. »Sie können doch nicht…« »Geben Sie’s einfach weiter«, sagte Snoops kühl. »Sie sind doch ein cleverer Organisator, nicht? Machen Sie’s einfach, während Sie unterwegs sind. Ich habe zu tun!« Und damit schaltete er Ferdinand den Finger ab. »Wie steht es?« fragte er den Kommunikator. »Achtzehntausend fehlen noch«, knurrte der Kommunikator. »Dann bitte etwas Tempo«, sagte Snoops und tippte eine neue Nummer in den Transmitter ein. Selbst wenn man sich nur mit den Schlüsselfiguren der über zweiundvierzigtausend Zonen-Agenten des Dritten Departements in Verbindung setzen wollte, durfte man keine Zeit verlieren! »Hallo, Senator!«
Wer in dieser Woche zufällig Berichte von ungewöhnlichen Vorfällen sammelte, konnte reichere Ernte machen als sonst. Natürlich gab es einige Aufregung, als sich Senator Thartwith mitten in einer Pressekonferenz entschuldigte, in das nächste Büro eilte, um einen dringenden Anruf entgegenzunehmen, und dann nicht mehr erschien. Denn der Senator war eine prominente Persönlichkeit des öffentlichen Lebens – der Führer der Opposition in den Tausend Nationen. Er hatte die Tür hinter sich geschlossen, doch hörte man seine sonore, jetzt offenkundig erregte Stimme, noch etwa eine Minute lang. Dann wurde es still.
Eine halbe Stunde verging, bevor man eine Untersuchung riskierte. Wie sich alsbald herausstellte, war der Senator verschwunden! Er blieb bemerkenswert lange verschwunden. Es gab einen Wirrwarr dunkler Verdächtigungen, und die Tausend Nationen gerieten an den Rand eines Bürgerkriegs. Von lediglich planetarischem Interesse, wenn auch weit spektakulärer, war die plötzliche Auffahrt der Göttin Loppos von Amuth in ihrem von zwei mystischen Tieren gezogenen Wagen, als man gerade im Begriffe war, die jährliche Tempelzeremonie von Amuth abzuschließen. Wenige Augenblicke vor dem Ereignis hatte man bemerkt, daß die Göttin die Stirn runzelte, und ihre Lippen schienen sich in raschen Gottheitsanrufungen zu bewegen. Dann schoß der Wagen nach oben, und gleich darauf bemerkte man einen furchtbaren Lichtblitz am Himmel. In Amuth streute man sich Asche aufs Haupt und trauerte einen Monat, bis Loppos wieder erschien. Zumeist jedoch betrafen diese seltsamen Vorfälle Persönlichkeiten ohne große Bedeutung und erregten deshalb nur wenig Aufsehen. Wie zum Beispiel, als Oma Wannattel ruhig das Rhinozerospony von ihrem Wohnwagen abspannte und das geduldige Tier dem kleinen Grimp übergab, der es versorgen sollte »bis ich zurück bin«. Niemand hätte sich auch nur im geringsten darum geschert, wenn Grimp, als er nach Hause kam, sich nicht noch einmal umgeschaut hätte. Da sah er, wie Omas großer Wohnwagen ruhig über die Hügel schwebte, der untergehenden Sonne entgegen! So interessant solche Berichte auch für den Interessierten sein mochten, der sichtbare Lauf der Geschichte wurde nur selten von einem derartigen Vorfall beeinflußt. Das war jedoch unglücklicherweise bei Dreem der Fall, dem furchtbaren Tyrannen der zweiundzwanzig Heebelant-Systeme:
»… und ich hatte mich schon darauf eingerichtet, in drei Tagen von der Freiheitspartei ermordet zu werden!« dröhnte Dreem. »Zwei Jahre wird es dauern, bis ich diesen laschen Haufen wieder so weit habe!« »Sie werden das schaffen, mein Lieber!« kam es aus dem Transmitter über seinem Bett. »Natürlich«, knurrte der Despot und suchte nach seinen Slippern. »Natürlich schaffe ich das!«
»Wir werden gleich in den Instrumentenbereich der Geisterflotte kommen!« berichtete der Adjutant dem Metag von Cushgar. »Gebrauchen Sie diesen Ausdruck nicht noch einmal!« sagte der Potentat eisig. »Er wirkt sehr ungünstig auf die Moral. Wenn er nochmal in einer offiziellen Meldung auftaucht, werden ein paar Köpfe rollen. Nennen Sie sie ›die Invasoren‹.« Der Adjutant murmelte eine Entschuldigung. »Wieviel Invasoren umfaßt diese erste Gruppe schätzungsweise?« fragte der Metag. »Nur ein paar tausend, Sir«, sagte der Adjutant. »Die Berichte sind natürlich sehr… sehr vage! Die Hauptgruppe scheint erst etwa zwölf Lichtjahre dahinter zu kommen. Sie soll nach den letzten Berichten etwa dreißigtausend umfassen.« Der Metag knurrte. »Dann können wir diese Hauptgruppe mit der Glant abfangen!« sagte er. »Das heißt, wenn sie auf ihrem Kurs bleibt. Es ist höchste Zeit, daß wir dieser Farce ein Ende machen!« »Bis jetzt scheinen sie noch nicht von ihrem Kurs abgewichen zu sein«, ließ der Adjutant verlauten. »Sie kennen ja auch die Glant noch nicht!« erwiderte der Metag grinsend.
Er freute sich schon auf dieses Zusammentreffen. In den achtzig Jahren seit seiner Inbetriebnahme hatte sein Flaggschiff Glant, das spindelförmige Riesenmonster von Cushgar, schon mehr als eine angreifende Flotte in den Weltraum geblasen. Ihre Armierung war von keiner bekannten Waffe zu brechen, und ihre eigenen Waffen konnten mühelos ein ganzes Planetensystem atomisieren. Die Glant war unbesiegbar. Allerdings war sie ein wenig langsam. Und diese Geisterschiffe, diese lächerlichen Invasoren, bewegten sich mit fast unglaublicher Geschwindigkeit! Er würde die Glant nicht rechtzeitig in Position bringen können. Der Metag runzelte die Stirn. Wenn die Berichte nur präziser – wenn ihr Wortlaut weniger mysteriös gewesen wäre! Dreimal in den letzten fünf Tagen hatten Vorposten »Geister« gemeldet und bereiteten sich darauf vor, sie abzufangen. Und jedesmal war das das letzte gewesen, was man von diesen Vorposten gehört hatte! Natürlich konnten Kommunikatoren auf Grund erklärbarer äußerer Umstände einmal versagen. Aber dreimal! Ein kurzer, kühler Schauder durchfuhr den Metag. Im Grunde genommen war der Metag ein nüchterner Mann; dennoch befiel ihn – wie auch die anderen Cushgaraner – gelegentlich ein abergläubiges Frösteln. »Da sind sie, Sir!« verkündete der Adjutant plötzlich ganz aufgeregt. Ungläubig starrte der Metag auf den Kommunikator. Es war schlimmer als in seinen schlimmsten Befürchtungen. Selbst der Anblick von ein paar tausend feindlichen Kreuzern hätte ihn, der sich auf der Glant in Sicherheit wußte, kaum berührt… Aber das!
Es gab ein paar kleinere Kriegsschiffe darunter – keines über zweihundert Meter lang. Aber die meisten davon – beschädigt und strahlen versengt wie sie waren – waren Frachter jeder denkbaren Art und Größe. Auch eine Anzahl zierlicher, schwer mitgenommener Yachten fand sich darunter. Doch damit noch nicht genug. Einige dieser Fahrzeuge gehörten ganz einfach nicht in den Weltraum, sondern hätten besser auf irgendeinen See gepaßt! Manche, beim alten Webolt, hatten sogar Flügel! Und dann… »Das ist ja ein Haus!« heulte der Metag entsetzt. »Ein gottverdammtes, dreimal verfluchtes HAUS!« Wie auch immer, die »Geister« näherten sich mit einer Geschwindigkeit, mit der auch Cushgars neueste Zerstörer nicht hätten mithalten können. Mochte die Glant auch die letzten Geschwindigkeitsreserven mobilisieren, es war vergeblich. Der Adjutant neben ihm verschluckte sich fast vor Aufregung. »Sir, vielleicht schaffen wir es gerade noch, ihre Flanke mit den Fangstrahlen zu erreichen, bevor sie vorbei sind!« »Dann los!« brüllte der Metag. »Heraus damit! Eines davon müssen wir erwischen… Dann werden wir sehen! Das ist eine Maskerade…« Sie schafften es nicht ganz. Fast am Ende der Vorhut schien etwas Schwarzes, Torpedoförmiges einen Augenblick lang von einem Fangstrahl erfaßt worden zu sein. Es wurde in einem großen Halbkreis herumgerissen und schoß dann davon, hinter den anderen her. Alle verschwanden in der Richtung von Cushgars Zentralsternhaufen. »Das war ein Fehler!« schnaubte der Metag. »Jetzt sind sie auf uns aufmerksam geworden. Wenn die Hauptgruppe ihren
Kurs ändert, werden wir niemals… nein, Augenblick! Da kommt noch eines… Stoppt es! JETZT!« Eine schlanke, hundert Meter lange Raumyacht raste in ein Bündel von Fang- und Gefrierstrahlen der Glant, die sie auf der Stelle stoppten. »Und jetzt!« Der Metag fuhr sich mit der Zunge über die bebenden Lippen. »Jetzt werden wir sehen! Holt sie her!« Mit Fang- und Traktor-Strahlen wurde die kleine Yacht vorsichtig durch die verwinkelten Passagen zwischen der ersten, zweiten und dritten Abwehrzone der Glant bugsiert. Äußerlich sah dieser »Geist« durchaus normal aus: Bläulich und silbern schimmerte er in dem Licht, das ihn aus hundert verschiedenen Richtungen anstrahlte. Das Schiff hätte vor zehn Minuten zu seinem Jungfernflug gestartet sein können. Der große Krake des Weltraums hatte sich ein Silberfischchen gefangen. »Sir«, sagte der Adjutant unruhig, »sollen wir es nicht zuerst bestrahlen?« Der Metag starrte ihn an. »Und alle Insassen umbringen?« wollte er wissen. »Sind Sie verrückt geworden? Ist das etwa ein Kriegsschiff – oder glauben Sie vielleicht, daß das wirklich Geister sind? Reines Glück, daß wir das Ding gefangen haben. Kam ja direkt auf uns zu, als wollte es eingegangen werden…« Er hielt inne und starrte auf das Schirmbild der Yacht, die nun in einem Bündel von Führungsstrahlen direkt über der gähnenden Schleuse der Glant hing. Gleich würde das Silberfischchen verschluckt werden. »Als wollte es eingefangen werden?« wiederholte er zweifelnd. Es war sein letzter Zweifel. Die kleine Yacht bewegte sich. Sie bewegte sich, als seien die Fangstrahlen, die Traktor- und Gefrierstrahlen überhaupt nicht vorhanden! Sie glitt wie eine
schreckliche Liebkosung hinter die Armierung der Glant. Hinter der Yacht wölbten sich die aus vielen Schichten bestehenden Wände der Glant wie eine entzündete, schwellende Wunde. Und dann zerbarst die Glant wie ein Feuerwerkskörper und schoß ihre glühenden, brennenden Eingeweide hinaus in den Weltraum. Die kleine Yacht indes nahm ihre Position an der Flanke der Geistervorhut wieder ein.
Die Zonen-Agentin Pagadan aus Lar-Sancaya verdiente sich an diesem Tag wirklich ein Stück unsterblichen Ruhms! Unglücklicherweise wurde von der Glant niemals mehr auch nur eine Spur gefunden. Und deshalb wollte ihr niemand glauben, obwohl sie die Wahrheit bei einem Berg der heiligsten Schriften von Lar-Sancaya unter sieben verschiedenen Lügendetektoren beschwor. Was Pagadan mit einem Lügendetektor machen konnte, war allgemein bekannt; und was andere betraf… Es blieb jedenfalls ein gewisser Zweifel.
»Bezüglich Ihres Kontakts mit den ›Geistern‹ – den Invasoren«, fragte Cushgar bei der unbezwingbaren Glant an. »Haben Sie sie aufgehalten… zerstört?« Die Glant gab keine Antwort. Cushgar rief die Glant! Cushgar rief die Glant! Cushgar rief die Glant! Cushgar rief die Glant… Schockiert starrte Cushgar in den nächtlichen Himmel und lauschte. Millionen feindlicher Sterne starrten mit eisiger Verachtung zurück. Und von der Glant kam nichts zurück – nicht ein Laut!
Die Hauptmacht der Geisterflotte passierte die Stelle zwanzig Minuten später. Äußerlich wiesen die Schiffe fast keine Schäden auf. Etwa im Zentrum des Zuges flog das schwarze Schiff der Zonen-Agentin Zamman Tarradang-Pok, und in diesem Schiff lag Zamm im Tiefschlaf. Ihr Roboter wußte um seine Pflichten – er würde sie in dem Augenblick wecken, wo es zu Feindberührung kam. Jetzt, nachdem ein Drittel der Cushgar-Region durchflogen war, war es noch zu keinem solchen Kontakt gekommen. Acht Stunden später holte die Hauptgruppe die Vorhut ein und nahm sie in sich auf. Ihr nachfolgende Schiffe gesellten sich hinzu. Die Geisterflotte zog sich zu einer einzigen Formation zusammen… Ein Höllenwind blies aus dem Zentrum der Galaxie und brachte Panik mit sich. Die Toten kamen, die Opfer Cushgars: Die Milliarden Ermordeten, die zerschlagenen Schiffe, die verstümmelten Verteidiger – vereint jetzt zu einer monströsen, unaufhaltsamen Armee der Rache, die schrecklicher als jede Vorstellung war. Cushgar geriet in Panik – und die gute, solide Strategie von Jahrhunderten war dahin. Ein Alptraum breitete seine finsteren Schwingen aus! Schiff auf Schiff, Flotte auf Flotte warf Cushgar alles, was nur erreichbar war, den »Geistern« entgegen. Und von den Geopferten kam kein Schrei, kein Flüstern zurück! Und die verbliebenen Flotten lehnten es schließlich ab, sich opfern zu lassen.
Zamm hatte einen sehr schönen Traum. Er überraschte sie nicht besonders. Der Tiefschlaf war in der Regel traumlos; aber auf einigen Ebenen gab es
bemerkenswert lebhafte und detaillierte Effekte. Mehr als einmal hatte Zamm sie schon für Wirklichkeit gehalten! Dieses Mal schien ihr Schiff sich irgendwo angedockt zu haben. Die Somno-Kabine war noch verdunkelt, der Rest des Schiffes jedoch beleuchtet. Verschiedene Stimmen waren zu hören. Zamm machte den Reißverschluß an der Seite ihres Overalls auf und setzte sich auf die Kante der Couch. Sie lauschte einen Moment und lachte. Ein wenig albern würde das werden, aber nett! »Schon wieder Güterwagen!« ertönte eine weibliche Stimme aus der Steuerkabine, als Zamm durch den Korridor ging. »Sie gemeiner, hinterhältiger, alter…« Lauter Beifall übertönte das, was noch folgte. »Lady hin oder her«, ließ sich Senator Thartwiths sonore Stimme empört vernehmen, »noch so ein fauler Witz, und ich mähe Sie nieder!« Der Applaus steigerte sich noch um ein paar Dezibel. »Da kommt ja Zamm!« schrie jemand. Alle drängten sich um sie. Zamm grinste sie ein wenig verlegen an. »Freut mich, daß ihr die Drinks gefunden habt!« murmelte sie. Die hochgewachsene Göttin von Amuth – sie war noch ganz erhitzt von ihrer Auseinandersetzung mit dem Thartwith – hob Zamm von hinten hoch und setzte sie auf die Kante des Tisches. »Wo ist ein Glas für Zamm?« Sie nippte langsam daran und ließ ihre Blicke über die Anwesenden schweifen. Da waren sie, die Mörder und Jäger, die Organisatoren und Spione! Der innerste Zirkel der Agentenmannschaft des Koordinators. Und da war der Koordinator selbst!
»Hallo, Bent!« sagte sie; selbst im Traum beachtete sie den Decknamen, den er bei dieser Mission führte. »Hallo, Weems!… Hallo, Ferd!« nickte sie in die Runde. Mehr als zwei Dutzend von ihnen suchten sie in ihrem Tief schlaf auf, um sich von ihr zu verabschieden! Irgendwann hatte sie ihnen allen das Leben gerettet und die anderen das ihre. Aber in der Realität hatte sie niemals mehr als drei von ihnen zusammen gesehen. Dazu bedurfte es eines Traumes! Zamm lachte. »Hübsche Party!« lächelte sie. Hübscher Traum. Sie stellte ihr leeres Glas ab. »So!« sagte die Göttin Loppos, Sie hob Zamms Beine auf den Tisch und drehte sie an den Schultern um, so daß sie zur Wand blickte. In der Wand befand sich ein Sichtfenster, aber es war geschlossen. »Was hat das zu bedeuten?« lächelte Zamm erwartungsvoll und lehnte sich in Loppos’ Arme zurück. Mit einem Klicken öffnete sich das Sichtfenster. Hartes Tageslicht strömte herein. Das Schiff schien in einer Art heißem, sandigem Park gelandet zu sein. Im Hintergrund stand ein riesiges graues Gebäude. Zamm starrte es an, und das Lächeln wich langsam von ihren Lippen. Das war doch ein Hospital? Hatte sie es nicht schon einmal gesehen…? Plötzlich gingen ihre Augen zur linken unteren Ecke des Sichtfensters. Der Rand eines anderen Gebäudes war dort zu sehen; es war ein ebenfalls graues, kleines, sehr nahes Haus. Es mußte direkt neben dem Schiff sein! Zamm bäumte sich auf. »Nein!« schrie sie. »Es ist ein Traum!« Irgend jemand hob sie vom Tisch und stellte sie auf ihre Beine. Ihre Knie gaben nach, versteiften sich dann.
»Es geht ihnen gut, Zamm«, sagte die Stimme des grauhaarigen Mannes namens Bent. Er fügte hinzu: »Der Junge ist schon recht groß geworden.« »So wird es gehen«, murmelte irgend jemand anderer hinter ihr. »Zamm, Sie kennen den Tief schlaf! Wir konnten kein Risiko eingehen. Wir sagten ihnen, sie müßten im Hause warten, bis Sie erwachen.« Der Rampenstrahl setzte sie auf den sandigen Weg nieder. Heißes Tageslicht umgab sie jetzt. Siebzehn Jahre lagen hinter ihr, und vor ihr, zwanzig Schritte entfernt, eine offene Tür. Wieder wollten ihre Knie nachgeben. Zamm konnte sich nicht bewegen. Und Cushgar der Gewaltige flehte zu seinen Göttern, ihn vor dem Zorn der Geister und vor der Rache Zamms zu bewahren. Aber sie – Zonen-Agentin Zamman Tarradang-Pok, Besiegerin des Raumes, der Zeit und aller Gesetze der Wahrscheinlichkeit – sie, Uneingeschränkte, Freie Persönlichkeit der Freien Daya-Bals – Doktorin der Neuronik – Beherrscherin der Galaxie: Nein, sie konnte sich nicht bewegen! Über ihr flog etwas vorbei. Das, was von seinem versengten Äußeren noch zu erkennen war, verriet, daß dies früher wohl ein dicker gemütlicher Frachter gewesen war. Aber jetzt hatte er gar nichts Gemütliches mehr an sich! Er sah aus wie ein Wrack, das ein Jahrhundert lang in den Feuern der Hölle geglüht hatte und dann ein oder zwei Jahrzehnte lang in einen Säuresee gesteckt worden war. Ansonsten aber war das Schiff noch in ausgezeichnetem Zustand! Es flog über Zamm hinweg, senkte fröhlich grüßend zweimal die Nase und nahm dann Kurs auf das große Hospital und die jenseits davon liegende Stadt. Zamm sah dem unwahrscheinlichen Gefährt nach und hörte sich lachen. Sie machte einen Schritt – und noch einen.
Aber sie konnte sich ja bewegen! Sie lief…
»… so war es also«, sagte der Dritte Koordinator zu Bropha. Er schwenkte den Inhalt seines beinahe leeren Glases ein wenig und trank es dann aus. »Eigentlich hatten wir nur vorgehabt, stur wie die Panzer auf diesem geraden Kurs zu bleiben und ihre leichten Abfangjäger zusammenzuschlagen. Damit sollte sichergestellt werden, daß sie uns jedes erreichbare schwere Schiff entgegenwerfen würden, um uns aufzuhalten, ehe wir den Sternhaufen erreichten. Unvermittelt wollten wir dann einen Haken schlagen, mit einem Blitzmanöver Zamms Leute dort herausholen, wo sie gefangengehalten werden, und Cushgar wieder verlassen… Als wir aber dann feststellten, daß sie gar keinen Widerstand leisteten, konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, dort die Herrschaft zu übernehmen! Bei einer Mission wie dieser weiß man eben nie, wie es endet!« Er hielt inne und seufzte. Der Dritte Koordinator war ein methodischer Mann, der einen Auftrag aufs Genaueste vorausgeplant wissen wollte, wobei auch unvorhersehbare Entwicklungen ins Kalkül einzubeziehen waren. »Noch einen Drink?« fragte Bropha. »Nein«, sagte sein Freund; »ich muß jetzt wieder an meine Arbeit. Die können maulen wie sie wollen« – Bropha registrierte erstaunt, daß er von seinen Ratskollegen sprach – »aber keinem Departement der ganzen Konföderation hat die Cushgar-Affäre auch nur annähernd so viel Ärger gemacht. Zweiundvierzigtausendzweihundertachtunddreißig Einzelaufträge mußten wir neu planen!« rief er kummervoll. »Erst ein Drittel davon ist geschafft! Und danach werde ich mir den Kopf darüber zerbrechen, wie Zamm zu ersetzen ist. Nichts ist
seltener als ein wirklich guter Peripherie-Agent! Das ist alles, was ich davon habe…« Bropha sah ihn mitfühlend an. »Ich habe mit diesem Jungen gesprochen und habe einige Hoffnungen für ihn«, fügte der Koordinator etwas mürrisch hinzu. »Das heißt, wenn sie ihr Versprechen einhält und ihn auf Jeltad kommen läßt. Aber er wird niemals wie Zamm sein!« »Gib ihm Zeit«, redete ihm Bropha zu. »Sie wachsen langsam auf. Die Daya-Bals sind eine langlebige Rasse.« »Daran habe ich auch gedacht!« nickte der Koordinator. »Vielleicht zieht sie noch ein ganzes Dutzend auf, und unter ihnen könnte einer sein, oder zwei… Aber so, wie sie sprach, weiß ich eines: Mehr als fünfzig Lichtjahre darf sich keiner von Beteigeuze entfernen.«
Originaltitel: THE TRUTH ABOUT CUSHGAR