Handbuch Unternehmensorganisation 3., neu bearbeitete Auflage
Hans-Jörg Bullinger · Dieter Spath Hans-Jürgen Warnecke · Engelbert Westkämper (Hrsg.)
Handbuch Unternehmensorganisation Strategien, Planung, Umsetzung Koordination durch
3., neu bearbeitete Auflage
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Herausgeber Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. E. h. mult. Dr. h. c. mult. Hans-Jörg Bullinger Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. Hansastr. 27 c 80686 München
[email protected] Prof. em. Dr.-Ing. Prof. h. c. mult. Dr. h. c. mult. Dr.-Ing. E. h. Hans-Jürgen Warnecke Ehrensenator der Fraunhofer-Gesellschaft Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Nobelstr. 12 70569 Stuttgart
[email protected] Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Dieter Spath Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Nobelstr. 12 70569 Stuttgart
[email protected] Prof. Dr.-Ing. Prof. E. h. Dr.-Ing. E. h. Dr. h. c. mult. Engelbert Westkämper Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Nobelstraße 12 70569 Stuttgart
[email protected] Redaktion Dr.-Ing. Jörg Niemann, Dipl.-Ing. Michael Richter, Stefanie Maute, M. A., Verena Buttler, M. A., Dipl.-Ing. oec. Steffen Koch, Dipl.-Ing. Holger Haag, Dominique Daniela Balaton Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart
ISBN 978-3-540-72136-9
e-ISBN 978-3-540-87595-6
DOI 10.1007/978-3-540-87595-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign, Heidelberg Satz und Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem Papier. 987654321 springer.de
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Ein Handbuch will und soll zu seinem Thema Methoden und Handlungsanleitungen darstellen. Es gerät dann meist so umfangreich, dass man es nicht so einfach zur Hand nehmen kann. Vor allem läuft es Gefahr, Wesentliches nicht deutlich herauszuarbeiten. Auch für die Wirtschaft und ihre Unternehmen gilt, dass sich viele Führende zwischen Ethikboom und Moralzerfall befinden. Nur das wirtschaftliche Ergebnis sorgt dafür, dass die Realität immer wieder gespürt wird und entsprechende Korrekturen vorgenommen werden, ja werden müssen. Ganz eklatant ist der Realitätsverlust in der Politik, wo nur an einem Wahltermin wieder reale Bezugspunkte hergestellt werden. Niemand glaubt mehr, dass Politiker – Führungskräfte eines Landes – die Wahrheit sagen. Im Amerikanischen sagt man, sie reden „Bullshit“. Sie produzieren heiße Luft und bewegen sich dabei zwischen Lüge und Wahrheit, indem die komplexe Realität vereinfacht und einseitig dargestellt wird. Eine Führungskraft in der Wirtschaft und in der Behörde darf bei aller ständigen handwerklichen Optimierung der Organisation nicht die Bedeutung der Werkorientierung, der Wahrhaftigkeit und des Vertrauens vergessen. Ende der 1980er-Jahre erschien eine vergleichende Studie, die das Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Auftrage der Automobilindustrie gemacht hatte. Darin wurden europäische, US-amerikanische und japanische Automobilwerke verglichen. Das Ergebnis war insbesondere für die deutschen Werke katastrophal, pauschal konnte man sagen: Die Japaner produzierten in den Kennwerten für die Hälfte. So hieß es z. B. über ein deutsches Werk, dass darin ein Drittel der Belegschaft erforderlich ist, um das in Ordnung zu bringen, was zwei Drittel fehlerhaft produziert haben. Das war die Initialzündung, um insbesondere Organisation und Abläufe, aber auch angewöhnte Regeln der Produktionstechnik infrage zu stellen. Dazu kam ein weiterer Einfluss. Die Produktionswelt wurde im Zuge der Globalisierung turbulent, die Planbarkeit nahm dadurch rapide ab, der Zwang zu Innovation in Produkten und Prozessen rapide zu. Insbesondere große Unternehmen mit ihren hierarchischen und bürokratischen Strukturen wurden zu langsam und verloren an Wettbewerbsfähigkeit. In der Produktion hat es einen Paradigmenwechsel gegeben: Während man bisher möglichst gleichmäßig und notfalls auf Lager produzieren wollte, erkannte man: Produzieren ist Dienstleistung.
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Vieles geschah technisch und organisatorisch, um dieses Ziel wirtschaftlich zu erreichen und an Reaktionsgeschwindigkeit zu gewinnen. Hilfreich war dazu die Fokussierung des Unternehmens oder einzelner Geschäftsbereiche, um die knappen Ressourcen an qualifizierten, kompetenten Mitarbeitern sowie Kapital gezielter einzusetzen. Ich persönlich leistete einen Beitrag zum Gegensteuern, indem ich 1992 in einem Buch meine Vorstellungen zu künftigen Unternehmensstrukturen veröffentlichte: Die Fraktale Fabrik. Mathematisch ist eine Struktur fraktal (der Name wurde wegen gebrochener – fraktaler – Exponenten in den beschreibenden Formeln gewählt; einfach erklärt: eine Struktur zwischen Fläche und Raum ist durch m2,7 gekennzeichnet) oder selbstähnlich, d. h. im Kleinen wiederholt sich immer wieder die Gesamtstruktur. Für ein Unternehmen heißt das: Im kleinsten Element, dem Mitarbeiter, muss man in seinem Denken und Handeln das ganze Unternehmen wiedererkennen. Ein Unternehmen muss aus vielen kleinen und schnellen teilautonomen Regelkreisen strukturiert sein, um schnell reagieren zu können. Dieser Grundgedanke führte dazu, dass etliche Unternehmen sich auf den Weg begaben und neue Strukturen entwickelten und seien es nur eigenständige Gruppen – Unternehmen im Unternehmen. Das ist auch heute noch im Gange, denn das Ideal-Ziel erreicht man natürlich nie. Aber es gehört in das Bewusstsein der Führungskräfte, dass qualifizierte und motivierte Mitarbeiter das größte und entscheidende Anlagevermögen der Unternehmen sind. Ein weiteres Kennzeichen fraktaler Strukturen ist die Fähigkeit zu Selbstorganisation und -optimierung. Das geschieht auch zunehmend. Eklatant ist das heute notwendig bei interdisziplinären Projektteams, die am besten selbst erkennen, welchen Spezialisten wann und wie lange sie zur Bearbeitung einer komplexen Projektaufgabe hinzuziehen müssen. Diese Flexibilität in der Zusammenarbeit drückt sich auch bei Neubauten aus, z. B. im neuen, sehr transparent und flexibel gestalteten Projekthaus von BMW neben dem Forschungszentrum in München. Auf diesen Weg begab sich auch der Automobilzulieferer Brose Fahrzeugteile, Coburg, der Fensterheber, Sitzverstellungen, Tür- und Schließsysteme liefert. Ich persönlich kenne das Unternehmen schon über drei Jahrzehnte aus meiner Beiratstätigkeit. Es produziert heute international an vielen Standorten. Insbesondere seinem aufgeschlossenen geschäftsführenden Gesellschafter Michael Stoschek ist es zu verdanken, dass Broses „Neue Arbeitswelt“ entstand: hohe Flexibilität beim zugewiesenen Arbeitsplatz, in der Arbeitszeit, im leistungsbezogenen Arbeitseinkommen, Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung im Unternehmen. Wir müssen nach neuen Lösungen suchen, denn die strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit ist in vielen Arbeitsbereichen nicht mehr zeitgemäß. All dieses hat dazu geführt, dass Brose ein stark wachsendes Unternehmen geblieben ist und im Ranking der beliebtesten Arbeitgeber bei jungen Leuten kräftig zugelegt hat. Entscheidend sind aber nicht nur Strukturen und Organisation, sondern entscheidend ist die Führung. Vorbilder, Leitbilder gibt es einige in der Geschichte. Einer der bekanntesten ist Shackleton, der kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges 1914 zu einer Antarktisexpedition aufbrach. Sein Schiff, die Endurance, wurde aber kurz vor der Landung auf der Antarktis vom Eis umschlossen und zerdrückt. Besatzung, Schlittenhunde, Vorräte, Zelte und Rettungsboote wurden auf eine große Eisscholle gerettet. Shackleton blieb in der Hoffnungslosigkeit besonnen und Vorbild, der mindestens von sich soviel abforderte wie von seinen Männern. Er war hart, konsequent, aufrichtig, zuverlässig und berechenbar, aber gleichzeitig motivierend und
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menschlich. Die lehrreiche Geschichte kann hier nicht im Einzelnen erzählt werden. Er segelte mit einigen Mannschaftsmitgliedern in einem der Rettungsboote nach den Falkland-Inseln, um Hilfe zu holen, die anderen warteten wochenlang in eisiger Kälte. Der Schluss ist, dass man zuletzt die Schlittenhunde essen musste um zu überleben, und alle Mann 1917 wieder zuhause waren. Shackleton wurde für seine Führungsleistung in Großbritannien geadelt. Der m. E. nach wie vor richtige fraktale Ansatz bedarf der Weiterentwicklung, der sozialen Innovation in Gesellschaft und Unternehmen. Wir möchten, dass sich der Bürger mit dem Staat und der Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifiziert und entsprechend denkt und handelt. Warum sollte er das, wenn er weiß, dass die Politiker nicht wahrhaftig sind und nicht wirtschaften können, dafür aber ihn ständig weiter belasten, oder der Mitarbeiter im Unternehmen weiß, dass es sich von ihm sehr schnell trennen wird, wenn die Situation es erfordert und das Management selbst nicht für das Unternehmen steht. Wir müssen m. E. neue Gestaltungen der Arbeitsverhältnisse suchen. Diese sollen zum einen zu noch mehr Flexibilität, Anpassungs- und Überlebensfähigkeit des Unternehmens entsprechend seiner Motivation führen, andererseits den Mitarbeiter mehr am Erfolg und Misserfolg seines Unternehmens teilhaben lassen. Die Kluft zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung ist zu groß, im Positiven wie im Negativen. Wenn wohl auch das Interesse und die Risikobereitschaft zur Selbstständigkeit erfreulich angestiegen ist, müssen wir doch realisieren, dass immer noch ein großer Teil auch qualifizierter Menschen, abhängig beschäftigt bleiben, ja bleiben müssen, allein schon wegen des erforderlichen Kapitalbedarfs für viele Leistungserstellungen. Ihnen muss und kann aber auch mehr Selbständigkeit, Risiko und Verantwortung gegeben werden. Das bedarf nicht nur der Entwicklung neuer Arbeitsverhältnisse, sondern auch einer neuen Arbeitskultur und Mentalität. Das ist eine riesige langfristige Aufgabe, die in kleinere Schritte zerlegt werden muss, wenn man sich überhaupt traut, diese Aufgabe anzugehen. Dazu braucht man Politiker und Führungskräfte mit Visionen. Ein Politiker hat einmal gesagt, wer Visionen habe, müsse zum Arzt gehen, aber nicht regieren. Ich hoffe, dass diese Bemerkung nicht ernst zu nehmen ist, denn die Vision – offen gelegt oder geheim – macht erst den Politiker zum Staatsmann. „Führen“ heißt, Visionen zu haben, daraus Ziele abzuleiten und Strategien zu ihrem Erreichen zu entwickeln und zu kommunizieren. Zur akzeptierten Führungskraft gehört auch, dass sie Werte verkörpert und vermittelt, also eine Vorbildfunktion erfüllt. Jede Organisation muss für sich die gemeinsamen Werte und Ziele definieren. Das muss einfach, klar und zusammenführend verständlich kommuniziert und immer wieder bestätigt oder ergänzt werden. Denn – seltsamerweise – obwohl vieles zu beachten ist, können immer nur sehr wenige Werte und Ziele parat und im Bewusstsein wach sein. Insofern muss jedes Unternehmen eine zugleich lernende und lehrende Organisation sein. Die Güte eines Staates oder eines Unternehmens kann man leider nur an den Ergebnissen im Außenraum erkennen. Im Inneren gibt es nur Kosten. An den Ergebnissen in der Zukunft zeigt sich i. d. R. auch erst, ob die Werte und Ziele richtig bzw. zeitgemäß waren bzw. sind. Eine Führungskraft steckt immer im Dilemma, die gesetzten Ziele mit Zähigkeit zu verfolgen, andererseits aber zum richtigen Zeitpunkt gegebenenfalls zu korrigieren, ohne opportunistisch oder unzuverlässig zu wirken. Führen heißt auch, loslassen zu können, Risiken einzugehen und dabei den Handelnden – und Fehler machenden – Rückhalt zu geben. Bei einer solchen Unternehmenskultur braucht man nicht mangelndes Innovationsgeschehen
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zu befürchten. Man weiß, dass weniger als ein Drittel der Innovationsprozesse ein wirtschaftlicher Erfolg werden, ohne dass man bei den relativ vielen Fehlschlägen einen Schuldigen identifizieren kann – auch nicht suchen sollte. Innovation ist nur bedingt plan- und vorhersehbar. All das bisher Gesagte zeigt: Führen unterscheidet sich vom Managen. Letzteres ist allein die ständige Optimierung des Zusammenwirkens von Menschen und Einflüssen. Dabei wird über Vergleichs- und Kennzahlen immer wieder gemessen und geändert. Es kann nur zu einem routinemäßigen Verwalten absinken. Gutes Management bringt die Stärken der Mitarbeiter zum Tragen und macht ihre Schwächen für das Unternehmen bedeutungslos. Es muss deshalb immer die vorherrschende Kultur in der Region beachten. Entscheidend für Staat und Unternehmen sind nicht nur Strukturen und Organisation, sondern entscheidend ist die Führung. Leider sind heute viele Politiker und Manager in der Einschätzung der Gesellschaft weit von einem solchen Leitbild entfernt. Das ist auch sicher schwer zu reparieren, obwohl es viele Führungskräfte gibt, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und ihre Aufgaben und Pflichten erstklassig erfüllen. Sie sorgen dafür, dass die meist auf Hochglanzpapier gedruckten Werte des Unternehmens auch gelebt und Realität werden. Hans Jürgen Warnecke Ehrensenator der Fraunhofer-Gesellschaft
Vorwort zur dritten Auflage
Wir befinden uns mitten in der Wissensgesellschaft – die Menschen in Deutschland profitieren in hohem Maße davon, dass ihr Wissen und ihre Kompetenzen für Produkte und Dienstleistungen aktuell rund um die Welt nachgefragt werden. Deutschland musste im Rahmen der „neuen“ Internationalisierung von Angebotsund Nachfrage-Märkten, durch die Öffnung der Wirtschaftsräume in Osteuropa und Fernost, aber auch herbe Verluste hinnehmen, insbesondere im Produktionssektor. Unternehmen, die auf die Veränderungen im internationalen Wirtschaftsgefüge zu langsam reagiert hatten, wurden in den Überlebenskampf getrieben. Schnelle Reaktion, oder besser noch präventive Aktion, war und ist gefordert. Und dies betrifft keinesfalls nur neue Produkt- und oder Dienstleistungsangebote, oder die Nutzung innovativer Technologien in Information, Kommunikation und Produktion – nein, hier ist auch und oftmals in einer Schlüsselposition die Organisation einer Unternehmung betroffen. Auch Organisationswissen verändert sich – Grund genug, nach einem Zeitraum von sechs Jahren das aktuelle Organisationswissen in der dritten Auflage dieses Handbuchs neu zu fassen. Die Neufassung drückt sich außer in der Verkürzung des Titels zu „Handbuch Unternehmensorganisation“ in drei prägnanten Veränderungen aus: Erweiterung des Herausgeberkreises um Professor Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Dieter Spath. Professor Spath leitet seit Oktober 2002 das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation und das Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement an der Universität Stuttgart. Anpassung der inhaltlichen Struktur an die Handlungsebenen in Unternehmen. Der wissenschaftlich geprägte „Lehrbuch-Aufbau“ Grundlagen – Konzepte – Praxiserfahrungen wurde ersetzt durch eine Management-orientierte Struktur: Rahmen und Visionen – Strategische Ausrichtung – Planung und Umsetzung. Integration neuer Inhalte. Natürlich die interessanteste Neuerung: neben der kompletten Neufassung der Grundlagen der Organisationsgestaltung wurden nahezu alle übernommenen Beiträge von den Autoren überarbeitet und wesentliche neue Themen aufgenommen. Diese zeigen sich z. B. in der völligen Neukonzeption der Kapitel zum Management des Produktlebenslaufes, zur Gestaltung von Produkten und Arbeitssystemen, den neuen Methoden der Digitalen Planung, sowie dem neuen Kapitel zur Thematik der Ganzheitlichen Produktionssysteme.
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Vorwort zur dritten Auflage
Unser Dank gilt zuallererst den Autoren, die durch ihre Beiträge den Gehalt dieses Werkes bestimmen. Da wir auch selbst in der Autoren-Rolle mitgewirkt haben, können wir die Mühe und den Aufwand, die mit Erstellung oder Überarbeitung der Beiträge verbunden sind, gut nachempfinden. Unser Dank gilt an zweiter Stelle dem Springer-Verlag, der mit Publikation und Vermarktung des Werkes dazu beiträgt, das aktuelle Organisationswissen bekannt zu machen und in die praktische Umsetzung zu überführen. In besonderem Maße möchten wir dem Redaktionsteam der Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation sowie für Produktionstechnik und Automatisierung danken. Die Herren Dr.-Ing. Jörg Niemann und Dipl.-Ing. Michael Richter haben durch ihre Strukturierungs- und Organisationsarbeit diese Neuauflage maßgeblich mitgestaltet, dabei wurden sie tatkräftig unterstützt durch Frau Stefanie Maute M.A., Frau Verena Butler M.A., Frau Andrea Kovacs M.A., Herrn Dipl.-Ing. Holger Haag, Herrn Dipl.-Ing. oec. Steffen Koch und Frau Dominique Daniela Balaton. Wie können und sollten Sie als geneigter Leser dieses Buch nutzen? Zum einen dient es zur Information über die Themenvielfalt bei der Gestaltung und Führung einer Unternehmung, unabhängig davon, ob es um den Aufbau einer neuen oder die Umgestaltung/Veränderung einer bestehenden Unternehmung geht. Des Weiteren ist es als Nachschlagewerk für spezifische Themen wichtig, die Sie vielleicht nur ein Mal in Ihrem Arbeitsleben betreffen, z. B. Nachfolgeregelungen. Und schließlich finden Sie in diesem Buch Beispiele und Leitfäden für das praktische Tun, z. B. Aufbau und Implementierung von ganzheitlichen Produktionssystemen. Wir wünschen Ihnen einen hohen Nutzwert beim Gebrauch dieses Werkes. Die Herausgeber
Autoren
ACKERMANN, Karl-Friedrich, Prof. Dr., Lehrstuhl für Personalmanagement, Universität Stuttgart;
[email protected] (3.8) A DLBRECHT, Gerald, Dr. techn., Management Internationaler Projekte, Universität Siegen;
[email protected] (11.9) A LLGOEWER, Ludwig W., Dipl.-Ing., Malik Management Zentrum, St. Gallen, Schweiz;
[email protected] (13.5) A NTONI, Conny H., Prof. Dr., Abteilung für ABO-Psychologie, Universität Trier;
[email protected] (3.9) BAESSLER, Elke, Hilti AG, Schaan, Liechtenstein;
[email protected] (4.2) BAHKE, Torsten, Dr.-Ing., Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN), Berlin;
[email protected] (2.4) BAHNER, Jens, Dipl.-Kfm., Lehrstuhl für Personalmanagement, Universität Stuttgart;
[email protected] (3.8) BALCK, Henning, Prof. Dipl.-Ing., balck+partner Heidelberg;
[email protected] (10.1) BALVE, Patrick, Dr.-Ing., EvoBus GmbH, Mannheim;
[email protected] (3.2) B ERRET, Marcus, Dipl.-Ing., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.3) B IERBAUM, Heinz, Prof. Dr., INFO Institut, Saarbrücken;
[email protected] (12.12) B ITTNER, Andreas, IFIM Institut für Interkulturelles Management GmbH, Rheinbreitbach;
[email protected] (12.11) B LEICHER, Knut, Prof. Dr. Drs. h. c., St. Galler Business School, St. Gallen, Schweiz;
[email protected] (3.5) B RUHN, Manfred, Prof. Dr. rer. pol., Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung (WWZ), Universität Basel, Schweiz;
[email protected] (2.3) B UCHER, Michael, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (11.1) B UCK, Hartmut, M. A., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (2.6)
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B ÜHNER, Rolf, Prof. Dr., Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation und Personalwesen, Universität Passau;
[email protected] (6.1) B ULLINGER, Hans-Jörg, Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. E. h. mult. Dr. h. c. mult., Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V., München;
[email protected] (3.1) B UNGARD, Walter, Prof. Dr., Lehrstuhl für Psychologie I, Universität Mannheim;
[email protected] (10.2) B URR, Günther, Dipl.-Inf., Porsche AG, Stuttgart-Zuffenhausen;
[email protected] (13.3) C OMMANDEUR, Harry R., Prof. Dr., Erasmus Universität, Rotterdam, Niederlande;
[email protected] (5.6) D IERKES, Meinolf, Prof. Dr., Leiter der Abteilung Innovation und Organisation, Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin;
[email protected] (3.6) D RESSLER, Norbert, Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.3) E IGNER, Martin, Prof. Dr.-Ing., Lehrstuhl für virtuelle Produktentwicklung (VPE), Technische Universität Kaiserslautern;
[email protected] (4.3) F EDERHEN, Jens, Dr.-Ing., Astrium GmbH, Ottobrunn;
[email protected] (11.9) F ERBER, Manfred, Dr., Dr. Ferber & Partner GmbH, München;
[email protected] (6.2) F RANK, Hans Eberhard, Dr.-Ing., ehemals Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart (12.2) F RIEDRICH, Rainer, Göppingen,
[email protected] (13.4) F RITZ, Wolfgang, M. A., Interaction Consulting, Wiesbaden;
[email protected] (12.10) G AGSCH, Bernd, Dr. rer. pol., Ludwigsburg (3.1) G AIROLA, Arun, Prof. Dr.-Ing., Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaft, Schweinfurt;
[email protected] (11.4) G ANZ, Walter, M. A., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (10.3) G AUSEMEIER, Jürgen, Prof. Dr.-Ing., Heinz Nixdorf Institut, Paderborn;
[email protected] (3.3) G IDION, Gerd, Prof. Dr., Institut für Berufspädagogik, Universität Karlsruhe (TH);
[email protected] (12.1, 12.4) G LEISBERG, Jochen, Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.5) H ABICHT, Hagen, Dipl.-Kfm., Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Information, Organisation und Management, Technische Universität München;
[email protected] (11.5) H ANßEN, Dirk, Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Hamburg;
[email protected] (10.4) H ARTMANN, Thorsten, Dr., Festool GmbH, Neidlingen;
[email protected] (9.3) H EISEL, Uwe, Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult., Institut für Werkzeugmaschinen, Stuttgart;
[email protected] (7.2) H ELLINGRATH, Bernd, Prof. Dr.-Ing., Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik, Dortmund;
[email protected] (5.7)
Autoren
Autoren
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H ICHERT, Rolf, Prof. Dr.-Ing., Rolf Hichert & Partner, Konstanz;
[email protected] (11.2) H IEBER, Martin, Dr.-Ing., Robert Bosch GmbH, Stuttgart;
[email protected] (4.6) H OFMANN, Karsten, Dr., McKinsey, Düsseldorf;
[email protected] (10.2) H ORVÁTH, Peter, Prof. Dr. rer. pol., Horváth AG, Stuttgart;
[email protected] (13.1) H UNDT, Frank, Dipl.-Ing., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.5) JANUSZ-R ENAULT, Gabriela, Dipl.-Ing., San José, CA, USA;
[email protected] (4.7) K AMMÜLLER, Mathias, Dr., Trumpf Werkzeugmaschinen GmbH & Co. KG, Ditzingen; Mathias.Kammü
[email protected] (9.5) K INKEL, Steffen, Dr. rer. pol., Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe;
[email protected] (5.2) K LOTZ, Ulrich, Dipl-Ing., IG Metall-Vorstand, Frankfurt/Main;
[email protected] (2.5) KOCH, Steffen, Dipl.-Ing. oec., Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT), Stuttgart;
[email protected] (1) KÖCHLING, Annegret, Dipl.-Soz., Gesellschaft für Arbeitsschutz- und Humanisierungsforschung mbH Volkholz und Partner (GfAH), Dortmund;
[email protected] (12.9) KORGE, Gabriele, M. A., Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT), Stuttgart;
[email protected] (11.3) KORGE, Axel, Dipl.-Ing., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (9.1) K UHN, Axel, Prof. Dr.-Ing., Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik, Dortmund;
[email protected] (5.7) L ANGERAK, Fred, Dr., Rotterdam School of Management, Rotterdam;
[email protected] (5.6) L ENTES, Hans-Peter, Dipl.-Ing., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (9.1) L UCZAK, Holger, Prof. Dr.-Ing. emer., Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft, RWTH Aachen;
[email protected] (7.4) M ALIK, Fredmund, Prof. Dr., Malik Management Zentrum, St. Gallen, Schweiz;
[email protected] (12.5) M ANELLA, Jürg, Prof. Dr., EMBA HSG, Universität St. Gallen, Schweiz;
[email protected] (12.6) M EINDL, Rudolf, Dipl. Verw. Wirt (FH), Meindl Consulting, München;
[email protected] (10.5, 12.8) M OERMAN, Piet A., Prof. Dr. emer., Department of Marketing Management and Industrial Economic, Rotterdam, Niederlande (5.6) M ÖSLEIN, Kathrin, Prof. Dr., Lehrstuhl für Informationssysteme, Universität Erlangen;
[email protected] (11.5) N IEMANN, Jörg, Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing., ABB Automation GmbH, Ratingen;
[email protected] (4.1, 4.6)
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O BERMANN, Christoph, Dr., Obermann Consulting GmbH, Köln;
[email protected] (12.3) O HLHAUSEN, Peter, Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (11.1) P FÄNDER, Tomas, Dipl.-Wirtsch.-Ing., UNITY AG Paderborn;
[email protected] (3.3) R EICHWALD, Ralf, Prof. Dr. h. c., Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Information, Organisation und Management, Technische Universität München;
[email protected] (11.5) R ICHTER, Michael, Dipl.-Ing., Schunk GmbH & Co. KG Spann- und Greiftechnik, Lauffen/Neckar;
[email protected] (7.1) R INN, Thomas, Dipl.-Ing., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.4) Röhrle, Josef, Siemens AG, Erlangen;
[email protected] (9.4) S AUER, Alexander, Dr.-Ing. Dipl.-Kfm., Hoerbiger Automotive Komfortsysteme GmbH, Schongau;
[email protected] (5.1) S CHEER, August-Wilhelm, Prof. Dr. Dr. h.c. mult., Institut für Wirtschaftsinformatik, Saarbrücken;
[email protected] (8.3) S CHERER, Eric, Dep. Management, Technologie und Ökonomie, KPL Zürich, Schweiz;
[email protected] (11.7) S CHLOSKE, Alexander, Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart;
[email protected] (3.4, 10.6, 11.8) S CHMIDT , Axel, Dipl.-Ing., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.5) S CHMIDT , Ludger, Prof. Dr.-Ing., Mensch-Maschine-Systemtechnik, Universität Kassel;
[email protected] (7.4) S CHNABEL, Ulrich, Dipl.-Kfm., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (11.3, 12.7) S CHÖNSLEBEN, Paul, Prof. Dr., Zentrum für Unternehmenswissenschaften (BWI), ETH Zürich, Schweiz;
[email protected] (11.7) S CHÖNUNG, Martin, Dipl.-Ing., Lehrstuhl für Produktionssystematik, RWTH Aachen;
[email protected] (5.1) S CHUH, Günter, Prof. Dr.-Ing., Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre, RWTH Aachen;
[email protected] (4.2, 5.1) S CHULTE, Helmut, Prof. Dipl. rer. pol. (techn.), agiplan GmbH, Mühlheim a. d. Ruhr;
[email protected] (5.2) S CHWARZ, Torsten, Dr., Absolit Dr. Schwarz Consulting, Waghäusel;
[email protected] (11.6) S CHWENKER, Burkhard, Dr. rer. oec., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Hamburg;
[email protected] (10.4) S EIDEL, Bernhard, Dr., Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin;
[email protected] (2.2) S ONDEREGGER, Willi, Dr., Henn GmbH & Co. KG, Dornbirn, Österreich;
[email protected] (13.5) S PATH, Dieter, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (1)
Autoren
Autoren
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S TEHLE, Thomas, Institut für Werkzeugmaschinen, Stuttgart;
[email protected] (7.2) S TEINHILPER, Rolf, Prof. Dr.-Ing., Universität Bayreuth;
[email protected] (4.5) S TOLZ, Marcus, Dipl.-Ing., Klingelnberg AG, Zürich, Schweiz;
[email protected], (4.4) S TOSS, Karl, Dr., Generali Holding Vienna, Wien, Österreich (7.3) T EUFEL, Peter, Syncro Consult GmbH & Co. KG, Eschborn;
[email protected] (10.7) T HIEME, Paul, Dipl.-Ing., Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart;
[email protected] (3.4, 10.6) T HOMAS, Oliver, Dipl.-Kfm., Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI), Saarbrücken;
[email protected] (8.3) VOLKHOLZ, Volker, Dr. rer. pol., Volkholz und Partner (GfAH), Dortmund;
[email protected] (12.9) WARNECKE, Hans-Jürgen, Prof. Dr.-Ing. h. c. mult., Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart;
[email protected] WARSCHAT, Joachim, Prof. Dr.-Ing. habil., Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart;
[email protected] (8.2) W ENGLER, Michael, Dr., Suspa Holding GmbH, Altdorf;
[email protected] (9.2) W ENZELMANN, Christoph, Dipl.-Wirtsch.-Ing., Heinz Nixdorf Institut, Paderborn;
[email protected] (3.3) W ESOLY, Michael, Dipl.-Ing., Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart;
[email protected] (11.1) W ESTKÄMPER, Engelbert, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Prof. E. h. Dr. h. c. mult., Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart;
[email protected] (2.1, 3.2, 8.1) W ILDEMANN, Horst, Prof. Dr. Dr. habil., Lehrstuhl für BWL, Unternehmensführung, Logistik und Produktion, Technische Universität München;
[email protected] (3.7, 13.2) Z AHN, Erich, Prof. Dr. rer. pol., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftliche Planung, Strategisches Management, Stuttgart;
[email protected] (3.1) Z OLLENKOP, Michael, Dr. rer. pol., Roland Berger Strategy Consultants GmbH, Automotive Competence Center Stuttgart;
[email protected] (5.4)
Inhaltsverzeichnis
Teil I Elemente neuer Organisationsgestaltung 1
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Grundlagen der Organisationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Spath 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Organisationsbegriffe und -arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Warum Organisation gestalten? – Ziele und Gestaltungsbereiche 1.4 Gibt es Trends in der Organisationsgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Wichtige Einflussgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Beständige Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmen, Herausforderungen und Visionen für die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Westkämper 2.1.1 Selbstverständnis der Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Produktionsstrukturen im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Methoden für ein ganzheitliches Management der Produktion . . 2.1.4 Planen und Fertigen in virtueller Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 I&K-Technologien für das Management der Fertigung . . . . . . . . 2.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Seidel 2.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Charakteristika des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Nationale Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 3 3 7 8 9 12 23
25 26 26 27 28 34 36 36 37 38 38 38 42 45 46 xvii
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2.3
Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft . . . . . . . . . . M. Bruhn 2.3.1 Bedeutung des tertiären Sektors für den Wirtschaftsstandort Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Der zukünftige Bedarf an Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Wettbewerbsvorteile durch qualifizierte Dienstleistungen . . . . . . 2.3.4 Konsequenzen für die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung . . . . . . . . T. Bahke 2.4.1 Prinzipielle Aspekte technischer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Wesensmerkmale der überbetrieblichen technischen Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Entwicklungsbegleitende Normung (EBN) . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Normung in Europa: der europäische Binnenmarkt . . . . . . . . . . . 2.4.5 Technik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften beim Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft . . . . . U. Klotz 2.5.1 Ansatzpunkte einer Innovationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Innovationsbarrieren als Vermächtnisse des industriellen Zeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Förderung der Innovatoren als Ansatz künftiger Innovationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Unsere Organisationen sind dysfunktionale Umgebungen für Wissensarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Machtausübung als zentraler Misserfolgsfaktor für Innovationen 2.5.6 Technikzentriertes Denken als eine Schwäche vieler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.7 Unternehmenskultur als Wettbewerbs- und Kostenfaktor . . . . . . . 2.5.8 Neue Organisationsformen als Voraussetzung für eine innovationsfördernde Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.9 Wachsende Diskrepanzen zwischen Individuen und Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.10 Neue Öffentlichkeiten als Wegbereiter einer neuen Wirtschaftsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.11 Open-Source als Modell zur Demokratisierung von Innovation . 2.5.12 Konsumenten als Ideenlieferanten und Mitentwickler . . . . . . . . . 2.5.13 Innovationsfördernde Organisationsformen als Ansatz für Win-Win-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.14 Innovation und neue Organisationsformen als Thema von Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder . . . . . . . . . . . . H. Buck 2.6.1 Entwicklung der Unternehmenskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Entwicklung der Wandlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
47 49 53 56 58 59 59 60 62 64 68 68 71 71 72 73 77 77 78 79 79 80 81 82 82 83 84 84 87 88 91
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xix
2.6.3 Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 104
Teil II Strategische Ausrichtung der Unternehmensorganisation 3
Neues Denken in der Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Führungskonzepte im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zahn, H.-J. Bullinger, B. Gagsch 3.1.1 Veränderte Anforderungen an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Neue Herausforderungen an die Unternehmensführung . . . . . . . . 3.1.3 Neue Anforderungen an Führungskräfte und Führungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen . . . . . E. Westkämper, P. Balve 3.2.1 Technologiemanagement als zentraler Teil der Unternehmensstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Dimensionen und Elemente des Technologiemanagements . . . . . 3.2.3 Vorgehen bei der Strategieplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Ausblick auf zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management . J. Gausemeier, T. Pfänder 3.3.1 Vorausdenken der Unternehmenszukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Grundlagen der Szenario-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Vorgehen bei der Szenario-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Online-Wissensbasis zur Markt- und Umfeldprognose . . . . . . . . . 3.3.5 Entwicklung von Gestaltungsfeldszenarien als Grundlage für Geschäftsstrategien (VITOSTRA®) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Szenario-Management im Prozess der strategischen Führung . . . 3.3.7 Strategisch planen mit dem Internet-Portal innovations-wissen.de Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Qualität als entscheidender Wettbewerbsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . A. Schloske, P. Thieme Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Integrationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Bleicher 3.5.1 Komplexitätsbewältigung als Auftrag eines Integrationsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Dimensionen eines Konzepts integrierten Managements . . . . . . . 3.5.3 Die integrierende Kraft einer Managementphilosophie . . . . . . . . 3.5.4 Die dynamische Integration der Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur . . . . . . M. Dierkes 3.6.1 Unternehmenskultur – ein Konzept etabliert sich . . . . . . . . . . . . .
109 110
110 112 122 125 126
126 130 133 139 140 140 140 141 142 144 145 147 148 149 150 153 153
153 154 161 162 164 164 165
xx
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3.6.2
Gezielte Veränderung von Unternehmenskultur: Erfahrungen aus der theoriegestützten Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung . . . . . . . . . H. Wildemann 3.7.1 Dezentralisierung als Leitlinie im organisatorischen Gestaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 Betrachtungsebenen der Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3 Gestaltungsaspekte auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.4 Gestaltungsaspekte auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.5 Gestaltungsaspekte auf Arbeitsorganisationsebene . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . K.-F. Ackermann, J. Bahner 3.8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2 Veränderte Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.3 Mitarbeiterorientierte Steuerungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.4 Konsequenzen für die Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Gruppen- und Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C.H. Antoni 3.9.1 Zum Begriff der Gruppen- und Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.2 Konzepte der Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.3 Klassische Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.4 Fertigungsteams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.5 Teilautonome Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.6 Effektivität von Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.7 Einführung von Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Management des Produktlebenslaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Niemann 4.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Ausrichtung der betrieblichen Funktionen auf die Optimierung des Produktlebenslaufes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Den Nutzen Verkaufen – Product life time value . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Produkte haben mehrere Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Wandlungsfähige Strukturen – flexible Produkte . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . G. Schuh, E. Baessler 4.2.1 Restriktionsgerechte Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 179 179 182
182 184 185 188 192 196 197 197 198 204 210 211 212 213 213 214 214 215 216 217 218 220 220 223 224 224 225 229 230 231 235 235 236 237
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xxi
4.2.2 Variantengerechte Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . M. Eigner 4.3.1 Der Produktentwicklungsprozess im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Virtuelle Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 IT-Lösungen für die Virtuelle Produktentwicklung . . . . . . . . . . . 4.3.4 Nutzenpotenziale der Virtuellen Produktentwicklung . . . . . . . . . . 4.3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien . . . . . . . M. Stolz 4.4.1 Ziele neuer Produktnutzungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Stationen der Wertschöpfung im Produktlebenslauf . . . . . . . . . . . 4.4.3 Life-Time-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Betreibermodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 E-Services in der Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Remanufacturing und Recycling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Steinhilper 4.5.1 Produktverantwortung gehört zum Selbstverständnis der produzierenden Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Orientierung im Aufgabenfeld Recycling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Aktuelle Organisationsstrukturen zum Recycling von „Hightech“-Großserien-Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Service Engineering für Großserienprodukte: gekonntes Recycling im Gebrauchszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.5 Remanufacturing – zu deutsch: Refabrikation – erlebt einen Boom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.6 Refabrikation stützt sich auf fünf oder sechs Fertigungsschritte und erfasst faktisch sämtliche Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.7 Marktabdeckung und Qualitätsbewusstsein der Refabrikation wachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.8 Erschließung des Geschäftsfeldes Refabrikation . . . . . . . . . . . . . . 4.5.9 „Equivalent-To-New“-Produkte und „Matching Quality Parts“ sind die kommenden Begriffe für Produkte aus der Refabrikation 4.5.10 Produktaufwertung statt Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Niemann 4.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Vorteile einer lebenslaufumfassenden Erfolgsbetrachtung . . . . . . 4.6.3 Einsatzgebiete des Life Cycle Costings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.4 Phasen im Produktlebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.5 Investitionskosten versus Betriebskosten – Trade offs . . . . . . . . . 4.6.6 Life Cycle Value Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.7 Life Cycle Cost-Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 244 246 247 247 249 251 258 259 260 260 260 261 264 266 268 273 273
273 276 279 282 284 287 291 292 293 293 293 294 294 294 296 297 300 302 302
xxii
Inhaltsverzeichnis
4.6.8 Von Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling . . . . . . . . . . 4.6.9 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Janusz-Renault, M. Hieber 4.7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Ziele und Vorgehensweise der Ökobilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3 Definition des Untersuchungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.4 Sachbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.5 Wirkungsabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.6 Ökobilanzen am Beispiel eines Einhebelmischers . . . . . . . . . . . . . 4.7.7 Kumulierter Energieaufwand am Beispiel von Verwertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Vernetzte Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Schuh, A. Sauer, M. Schönung 5.1.1 Situation der produzierenden Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Geführte und ungeführte Unternehmensnetzwerke als Pole zweier Koordinationsparadigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Geführte Netzwerke – Die Virtuelle Fabrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Ungeführte Netzwerke – Geregelte Selbstorganisation . . . . . . . . . 5.1.5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Strategische Standortplanung – Auswirkungen der Standortwahl auf die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . H. Schulte 5.2.1 Unternehmen können nicht bleiben wie sie sind . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Strategische Fragen zur Standortentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Methode und Ablauf der Standortplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Auswirkungen der Standortplanung und Standortwahl auf die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Berret 5.3.1 Optimierung der Wertschöpfung durch Festlegung der Wertschöpfungsverteilung, Auswahl des richtigen Kooperationspartners sowie die Gestaltung der Kooperationsform 5.3.2 Wertschöpfungsverteilung – Zunehmende Komplexität entlang der Wertschöpfungskette erfordert klare Fokussierung . . . . . . . . . 5.3.3 Auswahl des richtigen Kooperationspartners – Abhängig von der Leistungserbringung werden die Partner ausgewählt . . . 5.3.4 Gestaltung der Kooperationsformen – In den Kooperationen findet eine Veränderung der Zusammenarbeit statt . . . . . . . . . . . .
304 305 306 307 307 308 309 309 310 312 313 315 315 317 318 318 319 322 328 331 331 333 333 333 334 335 337
337 338 344 348
Inhaltsverzeichnis
xxiii
5.3.5
Fazit – Drei zentrale Stellhebel sind Voraussetzung für eine operative Exzellenz für alle Beteiligten der automobilen Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing . . . . . . . . . . . . T. Rinn, M. Zollenkop 5.4.1 Bedeutung von Global Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Strategisches Konzept des Global Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Voraussetzungen eines Global Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.4 Implementierung des Global Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Gleisberg, F. Hundt, A. Schmidt 5.5.1 Globale Produktentwicklung – Status und aktuelle Trends . . . . . 5.5.2 Anpassung der globalen Produktentwicklung an veränderte Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Lead Engineering – Konzept und Implementierung . . . . . . . . . . . 5.5.4 Lead Engineering in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern . . . . . P.A. Moerman, H.R. Commandeur, F. Langerak 5.6.1 Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Die Entstehung strategischer Allianzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.3 Der Netzwerkansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.4 Wachsende Anforderungen an die industrielle Produktionskette und die sich verändernden Rollenmuster industrieller Zulieferer 5.6.5 Eine Typologie industrieller Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.6 Aufwertung im Hinblick auf eine Position in der ersten Linie (Systemintegratoren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.7 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Auftragsmanagement in Netzwerken: Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Kuhn, B. Hellingrath 5.7.1 Aufgaben, Grundprinzipien und Ziele des SCM . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Instrumente für ein verbessertes SCM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Rechts- und Eigentumsaspekte des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Personen- versus Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Bühner 6.1.1 Die Wahl der Rechtsform – eine Grundsatzentscheidung . . . . . . . 6.1.2 Haftung von Personen- und Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Leitungsbefugnis: Geschäftsführung und Vertretung . . . . . . . . . . 6.1.4 Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.6 Finanzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
352 352 353 353 356 358 362 363 363 364 367 372 373 373 373 374 374 375 375 377 380 382 383 384 384 393 402 406 409 409 409 410 412 413 414 416
xxiv
Inhaltsverzeichnis
6.1.7 6.2
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Management-Buy-Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Ferber 6.2.1 Ziele des Management-Buy-Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Voraussetzungen und Funktion des Managements . . . . . . . . . . . . 6.2.3 MBO-Unternehmenstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 MBO-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Kaufpreis, Bewertung und Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 MBO-Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Nach dem MBO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Exit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
417 417 418 418 420 421 422 424 425 427 427 427
Teil III Planen-Verändern-Umsetzen der Unternehmensorganisation 7
Gestaltung von Produkten und Arbeitssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Prozessmanagement in der Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . M. Richter 7.1.1 Integrierte Produktentwicklung als Geschäftsprozess eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Vom Projektmanagement zum Prozessmanagement – und zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Aufbau-Organisation für Prozessmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Digitale Produktion als neues Konzept für Methodenund Tool-Support im Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Koordination von verteilten Entwicklungsprozessen . . . . . . . . . . 7.1.6 Vorgehensweise zur Modellierung, Analyse und Optimierung von Entwicklungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Konfiguration und Rekonfiguration von Produktionssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U. Heisel, T. Stehle 7.2.1 Einführung und Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Bedarf an konfigurierbaren bzw. rekonfigurierbaren Produktionssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Potenziale konfigurierbarer und rekonfigurierbarer Produktionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Entwicklungen zu (re-)konfigurierbaren Produktionssystemen . . 7.2.6 Perspektiven, Möglichkeiten und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Partizipative Gestaltung des Planungsund Realisierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Stoss 7.3.1 Anforderungen an einen unternehmensinternen Planungsund Realisierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Vorgehen und Nutzen bei einem partizipativen Planungsprozess
431 431
432 433 438 440 443 444 447 447 448 448 449 451 452 462 471 471 473
473 475
Inhaltsverzeichnis
xxv
7.3.3
Notwendigkeit einer breiteren Einbindung im Realisierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Gestaltung von Arbeitssystemen nach ergonomischen und gesundheitsförderlichen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Luczak, L. Schmidt 7.4.1 Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Ergonomische Gestaltungsfelder und gesundheitsförderliche Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Methoden zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung . . . . . . 7.4.4 Gesundheit und Wirtschaftlichkeitsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
9
Methoden der digitalen Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Digitale Produktion – Herausforderung und Nutzen . . . . . . . . . . . E. Westkämper, J. Niemann 8.1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Produktion im globalen Wettbewerb – Chance für deutsche Fabrikausrüster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Fabriken sind Produkte für Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Potenziale der Planung mit der digitalen Produktion . . . . . . . . . . 8.1.5 Manufacturing Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Virtual Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Warschat 8.2.1 Umfeld Produktentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Virtual Engineering – verteilte, virtuelle und integrierte Produktentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Produktentwicklungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Strategie der verteilten, virtuellen und integrierten Produktentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Einführung von Virtual Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Verfahren und Werkzeuge der Informationsmodellierung . . . . . . A.-W. Scheer, O. Thomas 8.3.1 Informationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Informationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Architektur integrierter Informationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 IT-Unterstützung der Informationsmodellierung . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Qualitätssicherung in der Informationsmodellierung . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ganzheitliche Produktionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Konzepte, Methoden, Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Korge, H.-P. Lentes 9.1.1 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Innovative Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Integrationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
476 478 478 478 483 500 510 511 515 515 515 515 520 524 528 529 529 530 530 531 534 536 542 543 544 544 548 550 561 564 567 569 569 570 570 572
xxvi
Inhaltsverzeichnis
9.1.4 Die neue Rolle der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Visualisierung und Controlling bei der Einführung und Optimierung eines Ganzheitlichen Produktionssystems . . . . M. Wengler 9.2.1 Visualisierung und Controlling der Zielerreichung . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Bausteine des Produktionssystems beschreiben und messbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Maßnahmen vorantreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Instrumente für Visualisierung und Controlling . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Just-In-Time mit System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Hartmann 9.3.1 Die U-Montagelinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Best-Point-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Low-Cost-Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 KANBAN-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.5 Das Zwei-Behälter-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.6 Rüstzeitminimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.7 Nivellieren und Glätten der Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.8 Nicht vergessen: Die Menschen mitnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Der Mensch im ganzheitlichen Produktionssystem . . . . . . . . . . . . J. Röhrle 9.4.1 Herausforderung Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Wollen: Motivation von innen heraus erzeugen . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Können: Wissen und Fähigkeiten entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.4 Dürfen: Geeignete Rahmenbedingungen schaffen und dann loslassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Synchrone Produktion im Werkzeugmaschinenbau . . . . . . . . . . . M. Kammüller 9.5.1 Die lernende Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Die TRUMPF-Methodik – Strategien, um die Marktdynamik zu beherrschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Produktionseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.4 SYNCHRO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.5 Fließfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.6 Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Organisationsaspekte in der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Wandlungsprojekte: von Strukturbrüchen zu polaren Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Balck 10.1.1 Aufdecken von Strukturbrüchen – Ausgangspositionen für Wandlungsprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Krise des Inkrementalismus – Synergetik im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
573 574 574 574 575 576 577 578 580 580 580 582 582 584 584 584 585 586 586 586 587 587 588 589 590 590 590 591 591 592 595 596 599 600
600 603
Inhaltsverzeichnis
xxvii
10.1.3 Die Polare Organisation – Projektorganisationen in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Anlaufmanagement am Beispiel der Automobilindustrie . . . . . . . W. Bungard 10.2.1 Problematik von Modellwechseln in der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Methoden und Instrumente integrierten Anlaufmanagements . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Leitbilder – mehr Wertschöpfung durch Werte . . . . . . . . . . . . . . . W. Ganz 10.3.1 Leitbilder – wieder auf der Agenda! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Leitbilder – Treiber von Kulturveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Entwicklung und Gestaltung arbeitsorientierter PerformanzLeitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.4 Vorgehensmodell zur Einführung und Umsetzung von Performanz-Leitbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.5 Performanz-Leitbilder erfolgreich einführen und umsetzen . . . . . 10.3.6 Dienstleistungsentwicklung und Servicequalität sind (auch) eine Frage der Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.7 Für Unternehmensleitbilder und -kultur mit Langzeitwirkung sorgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Vorgehensplan zum Transformationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schwenker, D. Hanßen 10.4.1 Der Konsolidierungsfalle entgehen: Gleichzeitig restrukturieren und wachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Stolpersteine der Transformation: Aus Fehlern lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Unternehmenstransformation einleiten und absichern: Vorgehen und Phasen im Transformationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.4 Mitarbeiter mobilisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.5 Projektmanagement: Transformationsprozesse straff organisieren 10.4.6 Fünf Leitlinien für eine erfolgreiche Transformation . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Beurteilung und Überwindung innerbetrieblicher Hemmnisse . . R. Meindl 10.5.1 Ausgangspunkt für organisatorische Erneuerung . . . . . . . . . . . . . 10.5.2 Typische Hemmnisse bei Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3 Vorgehensplan zur Vermeidung und zum Abbau von Hemmnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Qualitätsmanagementsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schloske, P. Thieme 10.6.1 Entstehung von Qualitätsmanagementsystemen . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Aufgabe eines Qualitätsmanagementsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.3 Welche Qualitätsmanagementsysteme gibt es? . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.4 Einführung eines Qualitätsmanagementsystems . . . . . . . . . . . . . .
605 614 615
615 619 629 630 630 631 631 632 634 636 636 637 637
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10.6.5 Was bringt die Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Der Prozess der ständigen Verbesserung (Kaizen) und dessen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Teufel 10.7.1 Das Wesen von Kaizen – Die Kaizen-Philosophie . . . . . . . . . . . . 10.7.2 Das Kaizen-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.3 Implementierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.4 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
674 675 676 676 676 687 694
Teil IV Betreiben der Organisation 11 Information und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Wissensmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wesoly, P. Ohlhausen, M. Bucher 11.1.1 Entwicklung des Wissensmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Wissensmanagement als Werttreiber des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Systematisierung des Begriffs Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Wissensmanagement-Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.5 Instrumente des Wissensmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.6 Instrumente der Personalisierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.7 Instrumente der Kodifizierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.8 Trends und Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.9 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Führungsinformationssysteme zur Unterstützung von Managemententscheidungen in komplexen Organisationen . R. Hichert 11.2.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Informationen und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Anforderungen und Systemauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Systemeinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.5 Nutzenbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Unterstützung moderner Organisationsformen durch multimediale Wissensmanagementsysteme . . . . . . . . . . . . . G. Korge, U. Schnabel 11.3.1 Ursachen für moderne Organisationsformen und Multimedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Merkmale moderner Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Einsatzfelder von Multimedia in modernen Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Wirkungen und Konsequenzen von Multimedia . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Kunden-Lieferanten-Beziehung im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . A. Gairola 11.4.1 Bedeutung interner Kunden-Lieferanten-Beziehungen . . . . . . . . . 11.4.2 Typologien interner Kunden-Lieferanten-Beziehungen . . . . . . . .
699 700 700 701 702 703 705 706 711 714 717 717 718 719 720 721 722 722 723 723
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11.4.3 Das Customer Focus-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.4 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.5 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Telekooperation und Virtualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Reichwald, H. Habicht, K. Möslein 11.5.1 Neue Arbeits- und Organisationsformen durch Telekooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Grundformen, Dimensionen und Strategien der Telekooperation 11.5.3 Virtualisierung als Organisationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.4 Schlussfolgerungen für das Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business . . . . . . . . . . . . . . T. Schwarz 11.6.1 Neue Wege der Informationsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.2 Disintermediation und Reintermediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.3 Neue Kommunikationswege im B2B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.4 B2C: Intermediäre machen Kunden mächtig . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.5 Kunden treten miteinander in Kontakt: C2C . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen . . P. Schönsleben, E. Scherer 11.7.1 Stand der Technik und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.2 Grundlagen der dezentralen Produktionsplanung und -steuerung 11.7.3 Die betriebliche Realität am Übergang zwischen PPS und Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.4 Global denken – Lokal handeln: Gestaltungsprinzipien für die dezentrale Produktionssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8 CAQ-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schloske 11.8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8.2 Systemunterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8.3 Funktionsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8.4 Anpassung und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8.5 Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9 Earned-Value-Managementsysteme für Großprojekte . . . . . . . . . G. Adlbrecht, J. Federhen 11.9.1 Das Earned-Value-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.2 Die wichtigsten Kenngrößen des EVPM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.3 Elemente von Earned-Value-Managementsystemen . . . . . . . . . . . 11.9.4 Methoden zur Bestimmung des Earned-Value . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.5 Entstehungsgeschichte und aktuelle Tendenzen des EVPM . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
753 760 763 764 764
764 765 768 774 775 776 776 781 783 785 788 790 790 790 791 796 801 803 804 804 804 805 812 813 814 814 814 816 818 820 821
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12 Personalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823 12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 G. Gidion 12.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 12.1.2 Gesamtmodell der Lernenden Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825 12.1.3 Die Personen in der Lernenden Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 12.1.4 Die lernförderliche Gestaltung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834 12.2 Karrierepfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834 H.E. Frank 12.2.1 Das Erwerben von Führungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 12.2.2 Unternehmensstrategie und Personalmanagement . . . . . . . . . . . . . 835 12.2.3 Karriereplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838 12.2.4 Beispiel A: Der Selfmade-Typ als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841 12.2.5 Beispiel B: Der Stufe um Stufe Planende als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 12.2.6 Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 12.3 Auswahl von Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 C. Obermann 12.3.1 Rekrutierungen sind Investitionsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 844 12.3.2 Auswirkungen der veränderten Anforderungswirklichkeit . . . . . . 844 12.3.3 Prozess der Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 G. Gidion 12.4.1 Anlässe zum Lernen in der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 12.4.2 Die Entwicklungsstränge arbeitsbezogenen Lernens . . . . . . . . . . 856 12.4.3 Die qualitative Expansion elektronischen Lernens . . . . . . . . . . . . 858 12.4.4 Formen der Verbindung von Arbeiten und Lernen . . . . . . . . . . . . 859 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 12.5 Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 F. Malik 12.5.1 Führen mit Zielen als Element des Personalmanagements . . . . . . 871 12.5.2 Grundregeln für Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876 12.6 Das Mitarbeitergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876 J. Manella 12.6.1 Die Entwicklung zum Mitarbeitergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876 12.6.2 Zur „Philosophie“ des Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . 877 12.6.3 Ziele und Inhalte des Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878 12.6.4 Worin unterscheiden sich Mitarbeitergespräche von Gesprächen im normalen Führungsalltag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878 12.6.5 Voraussetzungen erfolgreicher Mitarbeitergespräche . . . . . . . . . . 879 12.6.6 Zur Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 880 12.6.7 Formale Aspekte eines Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . 881
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12.6.8 Einführung und Implementierung des Mitarbeitergesprächs . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern in wissensintensiven Firmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U. Schnabel 12.7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.2 Das intellektuelle Kapital wissensintensiver Dienstleister . . . . . . 12.7.3 Die Merkmale der Wissensarbeit im wissensintensiven Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.4 Das Humankapital wissensintensiver Unternehmen . . . . . . . . . . . 12.7.5 Der „Myers-Briggs Type Indicator (MBTI)“ als Diagnosewerkzeug zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.6 Strategisches Performance Management wissensintensiver Firmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8 Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Meindl 12.8.1 Handlungsfelder für Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.2 Spielregeln und Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.3 Grundverständnis von Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.4 Ziele des Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.5 Chancen von gecoachten Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.6 Die Rolle des Coach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.7 Coaching eines Projekt-Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Köchling, V. Volkholz 12.9.1 Altersausgewogene Personalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.9.2 Werkzeuge für Personalarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10 Outplacement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Fritz 12.10.1 Herkunft und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.2 Notwendigkeit von Outplacement-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.3 Einbindung von Outplacement in zeitgemäße Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.4 Der Outplacement-Prozess als 3-Phasen-Modell . . . . . . . . . . . . . . 12.10.5 Der Beratungsablauf einer Individualbetreuung . . . . . . . . . . . . . . 12.10.6 Stufen der individuellen Outplacement-Beratung . . . . . . . . . . . . . 12.10.7 Bedeutung von Outplacement für Mitarbeiter und Unternehmen 12.10.8 Realistische und unrealistische Vorstellungen von Outplacement Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen . . . . . . . . A. Bittner 12.11.1 „International aktiv“ oder „transkulturell“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11.2 Die Wandlung zum transkulturellen Unternehmen . . . . . . . . . . . .
882 883
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894 898 901 901 902 903 903 904 905 906 908 910 910 910 910 915 918 919 919 920 921 922 923 925 926 928 928 929 929 929
xxxii
Inhaltsverzeichnis
12.11.3 Interkulturelle Kompetenz im transkulturellen Unternehmen . . . 12.11.4 Interkulturelle Kompetenz vermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11.5 Integration ausländischer Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.12 Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte . . . . . . . . . . . . . H. Bierbaum Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
932 936 939 941 941
13 Unternehmenscontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Erneuerung des Controllings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Horváth 13.1.1 Controlling im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Auf dem Weg zum „New Controlling“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Die Arbeitsschritte zur Erneuerung des Controllings . . . . . . . . . . 13.1.4 Der Controller der Zukunft als „Business Partner“ . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Wildemann 13.2.1 Visualisierung im Produktionsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Verhaltens- und leistungsbezogene Visualisierungsinstrumente . 13.2.3 Steuerungs- und materialflussorientierte Visualisierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.4 Betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente . . . . . . . . . . . 13.2.5 Instrumente zum Controlling unternehmensspezifischer Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.6 Analyse der Wirkung der Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.7 Fallbeispiel: Logistik-Controlling durch Visualisierung . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten . . . . . G. Burr 13.3.1 Führung teilautonomer Leistungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Führungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Projektvorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten . R. Friedrich 13.4.1 Anforderungen an die Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Herausforderungen des Controllings dezentraler Einheiten . . . . . 13.4.3 Centererfolgsrechnung und -konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.4 Operative Jahresplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.5 Teamorganisation und Centerorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.6 FIS-Unterstützung für das centerorientierte Unternehmen . . . . . . 13.4.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Sonderegger, L.W. Allgoewer 13.5.1 Die Notwendigkeit für ganzheitliches Kostenmanagement . . . . .
949 949
948
949 950 952 956 956 956 957 958 960 961 961 962 964 964 964 965 967 982 985 985 985 986 993 1000 1006 1007 1009 1009 1010 1010
Inhaltsverzeichnis
xxxiii
13.5.2 Klassische Kostensenkungsinstrumente greifen nicht mehr im nötigen Ausmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.3 Voraussetzungen für eine effektive Kostengestaltung . . . . . . . . . . 13.5.4 Die wichtigsten Ansätze für ein ganzheitliches Kostenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.5 Reporting über Kosten und Produktivität – Cost DriverControlling als Voraussetzung für dauerhafte Verbesserungen . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1011 1012 1013 1018 1018
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019
Teil Elemente neuer Organisationsgestaltung
I
1
Grundlagen der Organisationsgestaltung
Inhaltsangabe
1.2 Organisationsbegriffe und -arten
1.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2
Organisationsbegriffe und -arten . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.3
Warum Organisation gestalten? – Ziele und Gestaltungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1.4
Gibt es Trends in der Organisationsgestaltung? . .
8
1.5
Wichtige Einflussgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1.6
Beständige Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.1 Einleitung In diesem Kapitel werden Grundlagen der Organisationsgestaltung dargestellt. Es scheint nahe liegend, diese Inhalte wie in einem Lehrbuch aufzubereiten. Schließlich handelt es sich um grundlegende Inhalte. Die Neufassung dieses Abschnitts ist aber stärker für Verantwortliche in Unternehmen geschrieben und weniger wissenschaftlich geprägt. Das „Lehrbuchwissen“ wird daher bewusst knapp gehalten. Das betrifft z. B. die Klärung des Organisationsbegriffes und die Fragen nach den Zielsetzungen und den Gestaltungsbereichen von Organisation. Stattdessen widmet sich das Kapitel ausführlicher den Fragen, ob es Trends in der Organisationsgestaltung gibt, welche wichtigen Einflussgrößen existieren und welche übergeordneten und beständigen Leitlinien es gibt. Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
Überblick Die Herkunft des Begriffes Organisation ist das griechische Wort órganon, welches Werkzeug, Instrument, Körperteil bedeutet. Organisieren heißt der ursprünglichen Bedeutung nach „mit Organen versehen“ und „zu einem lebensfähigen Ganzen zusammenfügen“ [1]. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist damit die Verknüpfung der Produktionsfaktoren zu einem zielgerichteten System gemeint, das Produktionsprogramme realisiert. Organisationsstrukturen dienen dann der Koordination arbeitsteiliger Aufgabenerfüllung. Organisation setzt sich zusammen aus Aufgabenteilung und Koordination. Die Frage nach der geeigneten Zerlegung einer Gesamtaufgabe in Teilaufgaben und deren zielorientierte Abstimmung bilden das grundlegende Organisationsproblem [2]. Mehrere Organisationsbegriffe und -arten werden unterschieden (Abb. 1.1). Bezieht man sich auf die Tätigkeit des Verknüpfens – das Organisieren – so folgt daraus die instrumentelle Organisation. Betrachtet man dagegen das Ergebnis des Verknüpfens – das organisierte System – so entsteht die institutionelle Organisation [3]. Ist die Organisation zur Erreichung unternehmerischer Ziele bewusst geschaffen und rational gestaltet, handelt es sich um eine formelle Organisation. Es gibt auch eine informelle Organisation, die sich durch eine andere Entstehung auszeichnet. Sie ist eine soziale Struktur, die z. B. durch soziale Kontakte, Gruppendynamik, Sympathien usw. bestimmt ist. 3
4
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung Unternehmen Institutionelle Organisation
Instrumentelle Organisation
Arbeitsorganisation (im Arbeitssystem / am Arbeitsplatz)
Aufbauorganisation Geschäftsleitung Stab Abteilung B
Abteilung A
Abteilung C
Abteilung D Abteilung E formelle Organisation informelle Organisation (z.B. Sportfreunde)
Ablauforganisation
Lieferant
A B C D E
Kunde
Abb. 1.1 Organisationsbegriffe und -arten
Sie bildet sich spontan und ungeplant. Die informelle Organisation ist deshalb aber nicht als Störfaktor zu verstehen, den es zu vermeiden gilt. Bei entsprechender Beachtung und Führung kann sie zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen, wenn z. B. unvorhersehbare oder unplanbare Situationen auftreten, in denen improvisiert werden muss. Sie sollte jedoch nicht im Widerspruch zur formellen Organisation stehen, was die Zielerreichung behindern würde. Weitere Organisationsarten können unterschieden werden: Ablauf -, Aufbau- und Projektorganisation. Sie werden als gegenstandsbezogene Organisationsarten bezeichnet, da der Untersuchungs- bzw. Gestaltungsgegenstand sie charakterisiert. Die Ablauforganisation strukturiert die Aufgabenerfüllung durch räumliche und zeitliche Beziehungen. Die Aufbauorganisation ordnet Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Bei der Projektorganisation handelt es sich um eine befristete Gestaltung projektbezogener
Regelungen durch den Projektleiter oder eine Projektgruppe. Ablauf- und Aufbauorganisation können auf Gestaltungsobjekte verschiedener Ebenen bezogen werden: Arbeitsplatz, Arbeitssystem, Werk, Standorte oder Wertschöpfungskette. Die Arbeitsorganisation ergänzt Ablauf- und Aufbauorganisation, indem sie die durchzuführende Arbeit in den Arbeitssystemen gestaltet. Dabei werden Arbeitszeit, Entgeltsystem, Art und Umfang der Arbeitsaufgaben und weitere Aspekte festgelegt. Der Anlass unterscheidet Neuorganisation und Reorganisation. Eine Neuorganisation stellt die Aufgabe, eine ganz neue Struktur zu gestalten, ohne dass eine Ausgangsbasis besteht. Diese Aufgabe erwächst insbesondere nach der Gründung eines Unternehmens und führt zu neuen Aufbau- und Prozessstrukturen. Eine Reorganisation hingegen verursacht tief greifende, umfassende Veränderungen, die sich auf bereits bestehende Organisationsstrukturen beziehen. Unter den Überschriften „Business Reengineering“ und „Business Process Reengineering“ sind Reorganisationen in der Wirtschaft bekannt geworden. Für die Organisationsgestaltung in Unternehmen sind Ablauf- und Aufbauorganisation von grundlegender Bedeutung. Die folgenden Beschreibungen erfolgen getrennt für die beiden Organisationsarten. Den Schluss daraus zu ziehen, dass es sich dabei um „Entweder-Oder“-Alternativen handelt, ist aber falsch. Das Gegenteil ist richtig: Ablaufund Aufbauorganisation bestehen im Unternehmen gleichzeitig, ergänzen sich und hängen zusammen. Die Ablauforganisation strukturiert die Tätigkeiten im Unternehmen räumlich und zeitlich und verbindet die Einheiten der Aufbauorganisation, deren Kompetenzen für die Auftragsabwicklung oder andere Prozesse benötigt werden. Aufbau und Ablauf werden als stark vernetzte Bestandteile der Unternehmensorganisation verstanden, die es im Rahmen der Organisationsgestaltung integriert zu betrachten und dementsprechend ganzheitlich zu gestalten gilt [4]. Die Aufmerksamkeit von Wirtschaft und Wissenschaft hat sich in den letzten Jahren allerdings stärker auf die Ablauf- und die Projektorganisation gerichtet. Die Ablauforganisation wurde als wichtiges Gestaltungselement erkannt und kam so zu stärkerer Beachtung.
1.2 Organisationsbegriffe und -arten
Ablauforganisation
5 20
Handwerk
Mit einer Ablauforganisation werden Teilprozesse oder -aufgaben, die zeitlich nacheinander bzw. simultan oder räumlich hintereinander bzw. parallel ablaufen, aufeinander abgestimmt. Dabei stehen Tätigkeiten, deren Reihenfolgen, benötigte Zeiten sowie der Material- und Informationsfluss ebenso im Mittelpunkt wie die Ausgestaltung und räumliche Anordnung von Arbeitsplätzen. Damit sollen grundsätzliche Abläufe der normalen Geschäftsvorfälle geregelt werden. Wesentliche betriebliche Abläufe in einem produzierenden Unternehmen sind Markterschließung, Produktentwicklung, Auftragsgewinnung, Auftragserfüllung und Service. Durch die bestmögliche Abfolge und Abstimmung der Teilprozesse wird ein gutes Gesamtergebnis durch eine optimale Verknüpfung erzielt. Bei der Herstellung eines Produktes oder der Erbringung einer Dienstleistung soll so die Durchlaufzeit als Dauer vom Auftragseingang bis zur Auslieferung oder Erbringung minimiert werden. Die Minimierung von Raumbedarf und Wegen verbessert die Raumnutzung. Die Analyse, Verbesserung und Gestaltung von Geschäftsprozessen wird mit Hilfe von Modellen durchgeführt. Je nach Zielsetzung stehen unterschiedliche Modellierungsmethoden zur Verfügung. Verbreitete Anwendung finden ereignisgesteuerte Prozessketten. Zentrale Modellierungselemente sind dabei die Tätigkeiten oder Vorgänge in einem betrieblichen Ablauf. Der betriebliche Ablauf wird durch Reihenfolgebeziehungen und Verzweigungen der Tätigkeiten dargestellt. Weitere Elemente in der Modellierung sind das Ergebnis einer Funktion (Output) und die Voraussetzungen für die Ausführung einer Funktion (Input). Insbesondere für die Arbeitsorganisation von Bedeutung sind die erforderliche Qualifikation und die technisch-methodische Unterstützung für die Ausführung einer Tätigkeit. Komplexe Abläufe werden zur besseren Übersicht in Teilprozesse oder Prozessabschnitte gegliedert. In einer Prozessmodellierung bietet es sich an, die Tätigkeiten zu klassifizieren. Im Wertstrom-Modell werden wertschöpfende und nicht wertschöpfende Tätigkeiten unterschieden (Abb. 1.2). Sinnvoll ist eine zusätzliche Unterscheidung der nicht Wert schöpfenden Tätigkeiten in „unterstützende Tätigkeiten“ (z. B. Materialbereitstellung, Rüsten, Prüfen, Instandhaltung) und „Koordinationstätigkeiten“ (z. B. Dispo-
20
Lz=20 At (Lieferzeit) Vz=40 (Varianten)
*KB
4 20
30
4
20
2
20
3
Info 20
3
Sägen
Schaltschrank-Montage te=1" tr=3h
te=8" Los=700*n tr=30' Tray=50*14er Nutzen
2/AT
2
Hutschiene
2/AT
2
Tür/Korpus
8h
Lackieren te=8" Los=700*n tr=30' Tray=50*14er Nutzen
8h
Biegen te=8" Los=700*n tr=30' Tray=50*14er Nutzen
*KB
30
4
20
2
20
3 3
Laserschneiden te=8" Los=700*n tr=30' Tray=50*14er Nutzen
Konstruktion te=20“ (Zykluszeit) tr=50“ (Rüstzeit) Ls=800 (Losgröße) DZ=20 (Durchlaufzeit)
Abb. 1.2 Prozessdarstellung im erweiterten Wertstrommodell
sition, Mitarbeiter-Einteilung, Auftragsverfolgung). Während die unterstützenden Tätigkeiten i. d. R. erforderlich sind, um den Wertschöpfungsprozess ausführen zu können, können die Koordinationstätigkeiten grundsätzlich hinterfragt werden [5]. Die Erstellung eines Prozessmodells mit den Prozessbeteiligten bringt sehr viel Transparenz in die Unternehmensabläufe und bewirkt i. d. R. eine Verbesserung der Zusammenarbeit über die Grenzen der Organisationseinheiten hinweg. Voraussetzung für transparente und schnittstellenarme Prozesse ist die Funktionsintegration in dezentralen Organisationseinheiten. Bereichswechsel wäh-
6
rend der Bearbeitung eines Prozesses (funktionale Arbeitsteilung) verursachen einen hohen Koordinationsaufwand. Die Markterfordernisse einer möglichst Kosten sparenden Massenproduktion führen zu einer weitgehend tayloristischen Arbeitsteilung. So werden produktive, dispositive, planerische und kontrollierende Tätigkeiten getrennt und ganzheitliche Arbeitsabläufe in möglichst kleine Teiloperationen zerlegt. Diese Form der Arbeitsteilung verliert jedoch bei sinkenden Stückzahlen mit geringem Wiederholcharakter und dem ansteigendem Bildungsniveau sowie einem Wertewandel bei den Mitarbeitern an Bedeutung. Dann werden dispositive, planerische und kontrollierende Tätigkeiten zunehmend in den Produktionsprozess integriert und zur Vermeidung von Rüst- und Nebenzeiten ganzheitliche Arbeitsinhalte angestrebt.
Aufbauorganisation Die Aufbauorganisation ordnet die Aufgaben-, Kompetenzen- und Verantwortungsinhalte im Unternehmen. Die Gestaltung der Aufgabengliederung, die Bildung von Organisationseinheiten (Stellen und Abteilungen) und den Weisungs- und Informationsbeziehungen zwischen diesen Einheiten führt zu einer Aufbauorganisation, die in einem Organigramm dargestellt werden kann. Zu Beginn der Industrialisierung setzten die Unternehmen konsequent auf Spezialisierung und damit auf funktionale Arbeitsteilung und Einzelarbeit. Durch Arbeitsteilung werden die Tätigkeiten, die ein Bereich oder ein Mitarbeiter auszuführen hat, überschaubar gemacht. Außerdem entwickelt sich eine Spezialisierung und Übung, die die Produktivität und die Qualität der Ausführung positiv beeinflusst. So konnte die angestrebte Produktivität erreicht werden. Dabei entstanden Arbeitsaufgaben, die einfach beschrieben, verbessert, erlernt und kontrolliert werden konnten [6]. Im globalen Kundenmarkt erwachsen aber aus der hochgradigen Arbeitsteilung durchaus Nachteile. Jeder Prozess durchläuft fast alle Bereiche, jeder Bereich bearbeitet fast alle Prozesse, dadurch hängen alle Bereiche und alle Prozesse zusammen. Sämtliche Prozesse und Bereiche müssen gleichzeitig koordiniert werden. Es wurden deshalb Inselkonzepte eingeführt (z. B. Fertigungs- und Vertriebsinseln). In Inseln arbeiten Spezialisten der unterschiedlichen Fachrichtun-
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
gen zusammen. Funktionsintegration und Prozessorientierung spielten in diesem Zusammenhang schon eine Rolle. Diesen Teams wurden auch indirekte Aufgaben wie z. B. Planung und Steuerung zugewiesen. Heute setzen viele Unternehmen auf die Integration aller Aufgaben, so dass eine Aufbauorganisation geschaffen wird, bei der jeder Prozess vollständig in einer Hand liegt (Abb. 1.3). Mit einer Strukturierung nach Prozessen, werden Teams mit hoher Kompetenz geschaffen. Der gesamte Prozess (vom Kunden zum Kunden) wird von einer Gruppe bearbeitet. Schnittstellenarme Informationsflüsse bewirken verkürzte Durchlaufzeiten und die Reduktion von Informationsverlusten. Da die einzelnen Teams die Verantwortung für den gesamten Prozess besitzen, können Veränderungen hinsichtlich der Kundenwünsche schnell und optimal vorgenommen werden. Schnelle Reaktionsmöglichkeiten und Transparenz werden geschaffen. Die Menge der Aufträge wird auf die verschiedenen Gruppen aufgeteilt. So können die Teams weitgehend unabhängig voneinander arbeiten. Weitere Vorteile einer solchen prozessorientierten Organisation liegen im eindeutigen Kunden- und Produktbezug.
Spezialisierung – funktionale Arbeitsteilung – artteilige Bereiche – Einzelarbeit
Center und Inseln – gemischte Art- / Mengenteilung – Einzel- und Gruppenarbeit
Integration – autarke Bereiche – prozessgerechte Mengenteilung – Gruppenarbeit
Abb. 1.3 Aufbauorganisation von der Spezialisierung bis zur Integration
1.3 Warum Organisation gestalten? – Ziele und Gestaltungsbereiche
Prozessorientierte Bereiche erstrecken sich vom Markt hin zum Markt. Die Gruppe besitzt die gemeinsame Zuständigkeit und Verantwortung für das Prozessergebnis. Jedes Prozessteam ist einem sog. Prozesseigner unterstellt, der für den Erfolg seines Teams verantwortlich ist. Zu seinen weiteren Aufgaben gehören der Austausch von Informationen und die Abstimmung mit den anderen Prozesseignern.
1.3 Warum Organisation gestalten? – Ziele und Gestaltungsbereiche Die Organisation soll zur Stabilität beitragen. Stabilität ist unbedingt von Starrheit zu unterscheiden, die keine Zielsetzung der Organisation ist. Stabilität einer Organisation beschreibt die Eigenschaft, auf gleichartige oder ähnliche Einwirkungen unter vergleichbaren Randbedingungen standardisiert zu reagieren. Die Organisation soll Flexibilität gewährleisten. In einer flexiblen Organisation sind Veränderungen der Umwelt wahrnehmbar und Reaktionsmöglichkeiten auf diese Umweltdynamiken – möglichst ohne großen Zeitversatz – sind vorhanden. Die Organisation soll Effektivität fördern und dabei Effizienz ermöglichen. Eine besondere Herausforderung der Organisationsgestaltung entsteht in der Realität durch begrenzte Ressourcen. Sie müssen so genutzt werden, dass die Aufgabe gelöst wird und keine Verschwendung stattfindet: effektiv und effizient. Im Wettbewerb um knappe Ressourcen setzt sich letztlich die Organisationsform durch, die eine möglichst reibungslose Abwicklung arbeitsteiliger Arbeitsprozesse erlaubt [7]. Die genannten Ziele sollen erreicht werden, indem durch Organisation Verhalten beeinflusst wird. Für die Verhaltensbeeinflussung sind Organisation und Personalführung in gewissen Grenzen austauschbare Management-Instrumente. Sie wirken zugleich ergänzend in Richtung Verhaltensbeeinflussung und Systemstrukturierung: Die Organisation macht generelle Verhaltensvorgaben, die Personalführung macht fallweise Verhaltensvorgaben. Organisation bezieht sich auf abstrakte Personen, Personalführung bezieht sich auf konkrete Personen. Organisation ist ein anonymes Regelwerk, Personalführung eine individuelle Beziehung. Dieser Zusammenhang hat für die Organisationsgestaltung Auswirkungen: Je mehr Organisation
7
geschaffen wird, desto weniger Spielraum bleibt für Personalführung oder je weniger Organisation vorhanden ist, desto mehr Spielraum gibt es für Personalführung (Abb. 1.4). Die Herausforderung besteht darin, den Mitarbeitern zu vermitteln, was sie tun sollen oder dürfen. Die Unternehmensführung versucht, das Verhalten der Mitarbeiter zu beeinflussen und zu regeln. Dieser Versuch muss unternommen werden, um auf Komplexität, Umweltdynamik und Unsicherheit reagieren zu können (Abb. 1.5). Komplexität der Inhalte und Strukturen soll bewältigt werden und durch Transparenz der Aufgaben und Verantwortungen ersetzt werden. Umweltdynamik beschreibt die häufigen Änderungen in der Unternehmensumwelt einschließlich der Märkte. Unsicherheit bezieht sich auf betriebliche Planungen. Sie entsteht durch Informationsdefizite. In der Massenfertigung sind Umweltdynamik und Unsicherheit gering. Komplexität wird durch Aufteilung und Koordination bewältigt. Komplexität wird reduziert, indem die Gesamtaufgabe in Teilaufgaben zerlegt wird. Durch die geeignete Zerlegung der Aufgabe entsteht ein arbeitsteiliges System. Wenn die Gesamtaufgabe aufgeteilt wurde, müssen die Teilaufgaben koordiniert und deren Ergebnisse zusammengeführt werden. Dann entsteht ein durchgängiger Prozess mit einem Gesamtergebnis, das den Kunden zufrieden stellt. Für alle Prozesse und Verfahren im Unternehmen wird die jeweils beste Lösung ausführlich dokumentiert und verbindliche Handlungsanweisungen für die Mitarbei-
Personalführung
Organisation
Abb. 1.4 Stellknopf zwischen Personalführung und Organisation Ziele erreichen
auf Zustände reagieren
Stabilität
Flexibilität
Komplexität
Verhalten regulieren
Effektivität / Effizienz
Abb. 1.5 Ziele von Organisation
Dynamik
Unsicherheit
8
ter werden vorgeschrieben. Die Organisation ist sehr stabil, für Personalführung ist wenig Spielraum. Mit zunehmender Dynamik auf den Märkten ist diese sehr stabile Organisation mit umfassenden Handlungsanweisungen jedoch nicht ausreichend flexibel und verliert an Effektivität und Effizienz. Ist Komplexität nämlich mit Umweltdynamik gepaart, muss die veränderte Gesamtaufgabe immer wieder aufs Neue in Teilaufgaben zerlegt werden. Der Aufwand steigt. Die Personalführung bekommt dann stärkere Bedeutung, z. B. durch Ansätze wie „Führen mit Zielen“ (Management by Objectives). Das zu erreichende Ergebnis wird festgelegt, auf welchem Weg dies erreicht wird, bleibt dem Mitarbeiter überlassen. Dadurch wird die Flexibilität gesteigert. Der Kontext vieler Unternehmen ist durch Komplexität, Umweltdynamik und Unsicherheit geprägt. Flexibilität, Effektivität und Effizienz sind dort entscheidende Ziele der Organisation. Eine „starke“, sehr stabile und umfassende Organisation kann dies nicht erreichen. Organisations- und Führungsstrukturen sind erforderlich. Die Organisation muss Unternehmensziele zuordenbar machen und die Organisationseinheiten an eine gemeinsame, übergeordnete Strategie binden. Sie muss durch ausreichenden Freiraum die Mitarbeiter befähigen, schnell und richtig zu entscheiden und zu handeln. Dabei dürfen die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeiter nicht zu weit aufgespannt werden, da sonst Unsicherheiten, Zweifel und Ängste bei den betroffenen Akteuren entstehen können. Zu enge Spielräume wiederum erzeugen Misstrauen, Demotivation und Widerstand und werden möglicherweise ignoriert oder aufgebrochen. Nur Spielräume, die persönlich als passend und der Situation angemessen empfunden werden, lassen organisationskonformes Verhalten erwarten. Die Diskussion, warum Organisation zu gestalten ist, hat die Gestaltungsbereiche schon anklingen lassen. Zusammenfassend sind die Gestaltungsbereiche der Organisationsstruktur und dabei vor allem die Aufgabenverteilung, die Verteilung der Entscheidungsund Weisungsrechte und die Formalisierung zu nennen [8]. Im Rahmen der Aufgabenverteilung sind zum einen Teilaufgaben zu bilden, die von einer Organisationseinheit bewältigt werden können, sowie zum anderen Organisationseinheiten als Träger der Teilaufgaben zu bilden. Die Verteilung der Entscheidungs- und Weisungsrechte gestaltet die Beziehungen zwischen und in den gebildeten Organisationseinheiten. Die For-
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
malisierung regelt das Verhältnis von allgemeingültigen Vorgaben und Entscheidungs- und Handlungsspielräumen für die Mitarbeiter. An dieser Stelle soll die Bedeutung der Abläufe und Geschäftsprozesse als Gestaltungselemente betont werden. Weitere Ausführungen dazu folgen im Abschnitt „Der Aufbau folgt dem Ablauf“.
1.4 Gibt es Trends in der Organisationsgestaltung? Gibt es Trends oder Moden in der Organisationsgestaltung? Wie sehr bestimmen sie möglicherweise die Organisationsgestaltung? Was ist eine Mode? Die Mode ist ein Brauch, eine Sitte oder ein Geschmack zu einem bestimmten Zeitpunkt. Damit unterscheidet sich die kurzlebige Mode vom Trend, der die Grundrichtung einer Entwicklung, eine Entwicklungstendenz beschreibt. Mode gibt es in der Organisationsgestaltung nicht. Kein Unternehmer würde auf den Rat eines externen Experten hören, wenn dieser ihn von einem aktuellen Brauch, einer Sitte oder einem Geschmack für die Gestaltung seiner Organisation überzeugen wollte. Hingegen beeinflussen Grundrichtungen bestimmter Entwicklungen durchaus die Organisation. Der Wandel von Anbieter- zu Käufermärkten in vielen Branchen zählt dazu. Der Versuch, die Organisation solchen Trends gestalterisch anzupassen, führt möglicherweise zu einem Déjà-vu-Erlebnis, weil man zu Organisationsformen zurückkehrt, die man früher bereits installiert und zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Häufig entsteht die Frage nach Dezentralisierung oder (Re-)Zentralisierung. Die streng arbeitsteiligen Abläufe zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden von zentralen Abteilungen geplant. Diese Strukturen wurden im Laufe der 1980er und 1990er Jahre durch Gruppen-/Teamstrukturen mit integrierten indirekten Tätigkeiten und einem erhöhten Autonomiegrad ersetzt. Die Dezentralisierung hatte jedoch zur Folge, dass effiziente, informelle Netzwerke auseinander gerissen wurden. Das zuvor in zentralen Fachabteilungen aufgebaute Wissen war nun intransparent auf Teams verteilt oder sogar verloren. Die Dezentralisierung von Aufgaben und Funktionen wurde nicht von adäquaten dezentralen
1.5 Wichtige Einflussgrößen
Methoden und Informationssystemen begleitet. Dieses Defizit ist zum Teil bis heute noch präsent. Ein prominentes Beispiel ist die Arbeitsvorbereitung. Mit einer breiten „Lean-Welle“ wurden in vielen Unternehmen die zentral angesiedelten Abteilungen der Arbeitsvorbereitung weggeschwemmt. Ihre Aufgaben – z. B. Verbesserungsprojekte – sollten von selbstorganisierten, dezentralen Gruppen übernommen werden. Offensichtliche, schnelle Verbesserungen waren durch die Mitarbeiter in den dezentralen Einheiten zu leisten. Weiterführende Ansätze, für die (methodisches) Expertenwissen nötig war, konnten hingegen nicht mehr verfolgt werden. Im Spannungsfeld der Ziele Stabilität, Flexibilität, Effektivität und Effizienz gibt es einen Bereich optimaler Komplexität der Strukturen. Dieser Bereich liegt zwischen „schweren“ Faktoren (z. B. Zentralisierung, Konzentration, Kontrolle, Formalhierarchien, Formalprozeduren, tayloristische Arbeitsteilung) und „schlanken“ Faktoren (z. B. Dezentralisierung, Vernetzung, Selbststeuerung, Kreativitätsfreiräume, ganzheitliche Aufgaben, informelle Informationswege, Selbstorganisation). Wünschenswert wären keine „Entweder-Oder“-Organisationen, sondern „Sowohl-als-auch“-Organisationen, die zwischen den Möglichkeiten schwingen können und dass bei der Reorganisation das zu Reorganisierende nicht verloren geht [9]. Im beschriebenen Beispiel der Arbeitsvorbereitung hätte also ein Transfer von Wissen und Erfahrung der zentralen Abteilung in die dezentralen Einheiten stattfinden müssen. Mit der Frage nach den Trends in der Organisationsgestaltung ist die Frage nach der „optimalen“ Organisation verbunden. Das wäre eine beständige, von Trends unabhängige Organisation. Aber hier gilt: Stillstand ist Rückschritt. Unternehmen sollten mögliche eigene Entwicklungspfade frühzeitig ausloten und aktiv vorantreiben [6]. Abhängig von der jeweiligen Konstellation – von den Anforderungen der Märkte, von Produkten, von Produktionstypen, von den Unternehmensgrößen und von zahlreichen weiteren Parametern – gibt es für Unternehmen spezifisch passende Organisationen. Es gibt nicht die eine passende, immer gültige Organisation für alle Unternehmen. Wenn es also die beständige, von Trends unabhängige Organisation nicht gibt, was ist dann das richtige Maß bei der Organisationsgestaltung? Es ist darauf zu achten, dass Phasen von Ruhe und Stabilität auf Verän-
9 Auftauen
Verändern
Ausgangsgleichgewicht der Organisation
Einfrieren
Neuer Gleichgewichtszustand der Organisation
Abb. 1.6 Stabilitätsphase nach dem Wandel
derung und Wandel folgen (Abb. 1.6). Von den Mitarbeitern wird verlangt, sich flexibler zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein und weniger abhängig von Regeln und förmlichen Prozeduren zu werden. Das widerspricht dem menschlichen Wunsch nach der Verfolgung langfristiger Ziele. „Routine kann erniedrigen, sie kann aber auch beschützen. Routine kann die Arbeit zersetzen, aber auch ein Leben zusammenhalten“ [10]. Menschen brauchen Phasen von Ruhe und Stabilität, um produktive Leistungen erbringen zu können. In diesem Sinn ist vor „Organisitis“ zu warnen [11]. Organisitis steht für eine Krankheit des ständigen Reorganisierens und Umstrukturierens. Diese vorgetäuschte Dynamik riskiert eine Verschlechterung der Geschäftsergebnisse. Eingriffe in die Organisation sollten nur vorgenommen werden, wenn es sein muss – und dann mit bester Vorbereitung, gründlich durchdachtem Vorgehen und nach Ergreifen aller notwendigen flankierenden Maßnahmen.
1.5 Wichtige Einflussgrößen Einfluss oder kein Einfluss? Die Beschäftigung mit Einflussgrößen bei der Organisationsgestaltung legt einen kurzen Exkurs zu den (betriebswirtschaftlich geprägten) Organisationstheorien nahe. In der Fachliteratur werden viele Organisationstheorien diskutiert. Sie dienen dem Zweck, das Entstehen, das Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen zu erklären bzw. zu verstehen und somit die Organisationspraxis zu verbessern [12]. Zwei ausgewählte Grundrichtungen in der Organisationstheorie sind Positivismus und Konstruktivismus. Vereinfacht ausgedrückt unterscheiden sie sich in der Beantwortung der Frage „Was ist Ursache und was ist Wirkung?“. Die Frage bezieht sich auf die Beziehung zwi-
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schen Veränderungen der Umwelt einerseits und Veränderungen der Organisationsstruktur andererseits. Der Positivismus beschreibt die eher traditionelle Sicht: Die Veränderungen in der Umwelt verursachen Veränderungen in der Organisationsstruktur. Die Organisation ist also in Abhängigkeit von der Unternehmenssituation zu wählen. Je komplexer, heterogener, dynamischer und unsicherer die Umwelt ist, desto ausgeprägter wird die Differenzierung der Organisation. Der Konstruktivismus kehrt den Zusammenhang von Veränderungen in Umwelt und Organisationsstruktur um: Die interne Strukturierung verursacht die segmentierte Umwelt. Je stärker die Differenzierung der Organisation ist, desto komplexer und heterogener wird die Umwelt. Abteilungen segmentieren nicht nur das Unternehmen, sondern auch dessen Umwelt. Entschließt sich ein Unternehmen z. B. für ein Produkt keine Vertriebsabteilung einzurichten, so existiert für dieses Unternehmen auch kein Markt (Umwelt), auf dem das Produkt abgesetzt werden könnte. Der pragmatische Ingenieur tendiert vielleicht dazu, beiden Ansätzen etwas abgewinnen zu können. Möglicherweise gibt es sowohl Veränderungen der Umwelt, die „hausgemacht“ sind als auch solche, auf die ein Unternehmen reagieren muss – entsprechende Organisationstheorien gibt es auch. Die nachfolgend genannten Einflussgrößen stellen eine Auswahl wichtiger Größen dar. Es wird damit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Die Rolle der Investoren und der Forderungen vom Kapitalmarkt z. B. bleiben hier unberücksichtigt, obwohl Börse, Analysten und Kapitalmarkt durchaus Vorstellungen entwickeln, wie eine leistungsfähige und transparente Organisationsstruktur auszusehen hat und versuchen, dies nachhaltig durchzusetzen [13]. Die Auswahl der hier detaillierten und quantifizierten Einflussgrößen orientiert sich stärker am Interesse des stark mittelständisch geprägten produzierenden Gewerbes.
Internationalisierung der Märkte Die Internationalisierung der Märkte wird quantitativ durch den Außenhandel und die Direktinvestitionen beschrieben. Die folgenden Erläuterungen lehnen sich an die Darstellungen von Kutschker und Schmid [14] an. Außenhandel entsteht, wenn Unternehmen (oder andere Wirtschaftssubjekte) des Inlands
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
Waren oder Dienstleistungen mit Wirtschaftssubjekten des Auslands handeln. Als Wirtschaftssubjekte des Inlands bezeichnet man Privatpersonen, deren wirtschaftliche Aktivitäten überwiegend mit dem deutschen Territorium verbunden sind – das können auch ausländische Mitbürger sein sowie selbständige Unternehmungen mit Sitz im Inland mit ihren gesamten inländischen Produktionsstätten, Niederlassungen, Betriebsstätten und Verwaltungen. Direktinvestitionen sind grenzüberschreitende Investitionen, die darauf abzielen, einen dauerhaften Einfluss auf eine Unternehmung in einem anderen Land zu erzielen. Statistiken zum deutschen Außenhandel sagen: Im Jahr 2006 wurden Waren für 896 Mrd. Euro, das entspricht einer Zunahme von 14% gegenüber dem Vorjahresergebnis, ins Ausland verkauft. Die deutschen Einfuhren beliefen sich auf 731,5 Mrd. Euro, was einem Plus von 16,5% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Verglichen mit dem Warenaustausch im Jahr 1996 haben sich die Handelsströme in beide Richtungen innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt (Einfuhren: +107%; Ausfuhren: +122%) [15]. Die Bestandsstatistik der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) gibt Auskunft über den Bestand deutscher Direktinvestitionen im Ausland sowie ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland [16]: Im Jahr 2006 bestanden deutsche Beteiligungen im Ausland in Höhe von 1 005,1 Mrd. Dollar, was verglichen mit dem Bestand im Jahre 1990 mehr als einer Versechsfachung (+663%) entspricht. Die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland bestanden im Jahr 2006 in Höhe von 502,4 Mrd. Dollar, was im Vergleich mit 1990 mehr als einer Vervierfachung (+452%) entspricht. Die Zahlen zum Außenhandel und den Direktinvestitionen belegen, dass internationale Märkte erschlossen werden, indem • Waren und Dienstleistungen dorthin exportiert werden oder von dort importiert werden und • die internationale Präsenz der Unternehmen ausgebaut wird. Was sind Motive für Außenhandel und Direktinvestitionen? Zum einen ist es möglich, dass das gewünschte Produkt (Sachgut und/oder Dienstleistung) in Deutschland gar nicht oder teurer oder in schlechterer Qualität verfügbar ist, so dass ein Import des Produktes nötig
1.5 Wichtige Einflussgrößen
wird. Andererseits kann es eine strategische Überlegung sein, sich von mehreren Lieferanten in verschiedenen Ländern beliefern zu lassen, um Versorgungsund Preisrisiken zu verringern. Mit dem Export von Produkten sind viele Motive und Hoffnungen verknüpft. Möglicherweise fragen ausländische Kunden das Produkt einfach nach. Vielleicht sollen neue Absatzmärkte erschlossen werden oder man begleitet bestehende, inländische Kunden auf deren Weg ins Ausland. Eventuell folgt man einem Wettbewerber, der diesen Schritt schon gegangen ist. Direktinvestitionen werden attraktiv, wenn z. B. Ressourcen kostengünstiger beschafft werden können. Vielleicht werden neue Märkte mit großem Potenzial zugänglich, bei denen die Nähe zum Kunden vorteilhaft ist oder die Kosten für die Erschließung von Deutschland aus höher sind. Ein eher strategisches Motiv wäre der Zugang zu Wissen über Spitzenforschung und besonders qualifizierte Mitarbeiter in „Leitmärkten“.
Kundenorientierung und Individualisierung Kundenorientierung ist nicht direkt beobachtbar oder messbar. Sie kann definiert werden als die umfassende und kontinuierliche Ermittlung und Analyse der individuellen Kundenerwartungen sowie deren interne und externe Umsetzung in unternehmerische Leistungen mit dem Ziel, stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu initiieren und zu etablieren [17]. Damit ist die Kundenorientierung eine Teilmenge der Marktorientierung, die sämtliche Marktteilnehmer einschließt und sich nicht auf Kunden beschränkt. Der Grad der Kundenorientierung kann als das Ausmaß der Einflussnahme des Kunden auf den Prozess der Leistungserstellung abgebildet werden – und das ist bei kundenindividuell gefertigten Produkten am größten [13]. Die Individualisierung der Leistungen ist also zentraler Bestandteil der Kundenorientierung. Die nachgefragten Produkte und Dienstleistungen sind in entwickelten Wirtschaftsregionen durch zunehmende Individualisierung gekennzeichnet [18]. Das Angebot ist in der Folge immer stärker differenziert und die Märkte werden immer mehr segmentiert. Ein Beispiel hierfür ist die Aufteilung bestehender Pro-
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dukte in verschiedene Modelle und Varianten. So hat sich während der vergangenen 30 Jahre das Angebot an Automobilvarianten pro Modell um das Fünf- bis Achtfache gesteigert. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Industriezweigen zu beobachten. Ein charakterisierendes Merkmal der Leistungsindividualisierung ist die Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess. Die Kundenintegration ist ein Instrument der Informationsbeschaffung. Sie ist auf den Innovationsprozess bezogen. Kunden werden an der Produktentwicklung beteiligt, was ein wichtiges Instrument der Kundenorientierung darstellt. Zukünftig wird auch die Integration des Kunden in den Auftragserfüllungsprozess erforderlich. Der Kunde kauft genau soviel, wie er braucht. Die Folge ist eine sinkende durchschnittliche Losgröße. Außerdem erwartet er die Lieferung zu seinem Wunschtermin, i. d. R. also genau dann, wenn er das Produkt verwenden will. Die zur Verfügung stehende Zeit ist oftmals nicht nur sehr kurz, sondern sie streut auch noch sehr stark. Große Potenziale bezüglich der organisatorischen Ziele Stabilität, Flexibilität sowie Effektivität liegen in der Einbeziehung von Kunden (und Lieferanten). Die Beziehung soll intensiviert und partnerschaftlich ausgestaltet werden. Intensive Koordination und Informationsaustausch und Wissenstransfer sollen gemeinsame strategische Potenziale nutzbar machen, z. B. in Form von Entwicklungskooperationen, strategischen Allianzen oder logistischen Zulieferketten [19]. „Kundenorientierung und individuelle Produktion werden weiter zunehmen.“ [20]. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Betriebe hängt laut einer Studie des Fraunhofer ISI entscheidend von der Fähigkeit ab, mit technologisch führenden Produkten und einer flexiblen und leistungsfähigen Produktion, kundenindividuelle Produkte höchster Qualität herstellen zu können [21].
Innovationen und Technologieeinsatz Die Unternehmen müssen in immer kürzeren Zyklen neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen. Innerhalb weniger Jahre erneuern sie ihr komplettes Produktspektrum. Langfristig erfolgreich sind diejenigen, die dabei schneller sind als andere. Wer zu lange in stagnierenden Feldern bleibt, gerät in eine
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Sackgasse. Verbindende Merkmale erfolgreicher Unternehmen für eine langfristig positive Zukunftsperspektive sind Innovationsstrategien sowie die effektive Nutzung neuer Technologien [22]. Unternehmen und Volkswirtschaften stehen inzwischen in einem internationalen Technologiewettbewerb. Durch Forschung und Entwicklung werden neue Produkte und Verfahren sowie technische Verbesserungen ermöglicht, entweder durch Qualitätsfortschritte oder dadurch, dass sie bei gleich bleibender Qualität Kostensenkungen und damit Preissenkungen zulassen und auf diese Weise Einfluss auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit nehmen. Der technologischen Komponente wird daher ein zentraler Erklärungswert für Wachstumsunterschiede zwischen Unternehmen und Volkswirtschaften beigemessen [23]. Die deutsche Wirtschaft ist auf die Produktion von forschungs- und wissensintensiven Gütern und Dienstleistungen spezialisiert. Zu den forschungsintensiven Gütern gehören die Gütergruppen Spitzentechnologie und gehobene Gebrauchstechnologie. Bei der Spitzentechnologie liegt der Anteil der internen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung am Umsatz über 7%, bei der gehobenen Gebrauchstechnologie liegt dieser Anteil zwischen 2% und 7%. Wissensintensive Bereiche sind beschrieben durch • den Anteil der Akademiker mit natur- und ingenieurwissenschaftlicher Ausrichtung, • den Anteil des mit Forschung, Entwicklung und Konstruktion befassten Personals und • den Anteil der Beschäftigten mit Universitäts- oder Fachhochschulexamen [24]. Auf forschungsintensive Industrien und wissensintensive Dienstleistungen entfallen 39% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung und damit mehr als in fast allen anderen hoch entwickelten Industrieländern. Mit einem Welthandelsanteil von 14% war Deutschland im Jahr 2004 der größte Exporteur von Technologiegütern. Maßgeblich für den Exporterfolg der forschungsintensiven Industrien Deutschlands sind der Automobilbau, der Maschinenbau und die Chemieindustrie [25]. Beim Thema Innovationen spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Zum einen ist auf den richtigen Zeitpunkt der Markteinführung zu achten, andererseits ist eine kurze Entwicklungszeit gefordert, denn nach Ersteinführung in den Markt sind gute Margen zu er-
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
zielen, weil Unternehmen mit ihrem Vorsprung ihr neues Produkt erfahrungsgemäß teuer verkaufen können und einen Imagegewinn verbuchen können [26].
1.6 Beständige Leitlinien Beständigkeit? Übergeordnete, beständige Leitlinien werden im Folgenden dargestellt. Dabei handelt es sich um Erkenntnisse, die sich in der Organisationsgestaltung als dauerhaft gültig und widerstandsfähig gegen kurz- und mittelfristige Änderungen erwiesen haben. Es geht bei diesen Leitlinien nicht darum, Moden zu folgen oder zu erschaffen. Bekannte und absehbare Trends sowie wichtige Einflussgrößen werden berücksichtigt. Die folgenden Abschnitte sollen pragmatische Anregung sein oder liefern.
Ganzheitlicher Ansatz Ein ganzheitlicher Ansatz in der Organisationsgestaltung bedeutet, dass drei Aspekte als umfassende Einheit und vollständig berücksichtigt werden müssen: Betrachtungsumfang, Disziplinen und Systemgrenzen (Abb. 1.7).
Mensch
Technik
Organisation
Betrachtungsumfang
Systemgrenze
Disziplin
Zulieferer Rechtswissen- Arbeitswissenschaft schaft Unternehmen ... Organisation
Kunde Soziologie
Betriebswirtschaft
Informationstechnik Psychologie
Produktionstechnik
Abb. 1.7 Ganzheitlicher Aspekt der Organisationsgestaltung
1.6 Beständige Leitlinien
Das Miteinander von Organisation und Personalführung wurde bereits beschrieben. Die bedeutende Rolle des Menschen wird im Abschnitt „Erfolgsfaktor der Arbeitsorganisation: Der Mensch“ noch eingehender beschrieben. Die Technik eröffnet viele (Weiter-)Entwicklungen der Organisation. Moderne Informations- und Kommunikationsmittel ermöglichen z. B. das verteilte Arbeiten über mehrere Standorte. In Anbetracht der Grenzen technikorientierter Ansätze ist offensichtlich geworden, dass die angestrebten Erfolge in (produzierenden) Unternehmen nur durch eine Betrachtung von Mensch, Technik und Organisation erreicht werden können [27]. Erst dann ist der Betrachtungsumfang vollständig. Die Konzentration auf nur einen Aspekt bei Vernachlässigung der anderen beiden Aspekte ist ungenügend. Organisationsgestaltung – insbesondere in produzierenden Unternehmen – ist keine Aufgabe, die alleine von einer Disziplin gelöst werden kann. Die Forderung nach der balancierten Betrachtung von Mensch, Technik und Organisation legt bereits nahe, dass mehrere Disziplinen einen Beitrag zur Organisationsgestaltung leisten müssen. Die Betriebswirtschaft, die Psychologie, die Soziologie, die Arbeitswissenschaft, verschiedene Ingenieurwissenschaften und weitere Disziplinen können gefordert sein. Die Gestaltung eines produzierenden Unternehmens z. B. aus informationstechnischer Sicht auf Basis dessen, was in einem ERP-System abgebildet werden kann, führt höchstwahrscheinlich zu keiner sehr guten Lösung. Die Bedeutungen und benötigten Zusammensetzungen der verschiedenen Disziplinen können je nach Unternehmen und Aufgabenstellung schwanken. Auch hier gilt jedoch, dass eine vereinzelte Betrachtung nur ungenügend ist. Dritter Aspekt sind die Systemgrenzen. Hier ist die Botschaft: kein Stopp an den Unternehmensgrenzen. Die Gestaltung beinhaltet Potenzial, wenn sie über diese Grenzen hinaus betrieben wird. Kunden und Lieferanten sollten berücksichtigt werden. Zur Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen gewinnt die partnerschaftliche Einbindung des Kunden in die eigenen betrieblichen Abläufe an Bedeutung. Selbstverständlich erwarten auch die Kunden Vorteile von einer solchen Integration, z. B. die Ausschöpfung von Kostensenkungspotenzialen oder die Verbesserung der Liefersituation [28]. Auf der anderen Seite kann z. B. die Liefersicherheit der Zulieferer durch ihre Einbindung gesteigert werden, weil diese ihre Produktion nun bes-
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ser auf die Bedarfe einstellen können. In den Systemgrenzen sollte auf Durchgängigkeit entlang der Abläufe geachtet werden. So sollte die Gestaltung einer prozessorientierten Organisation für eine Produktgruppe in der Fertigung auch eine Gestaltung der zugehörigen, vor- und nachgelagerten Bereiche einschließen.
Der Aufbau folgt dem Ablauf Organisationsgestaltung bedeutete früher die raumzeitliche Strukturierung von Abläufen in einer bestehenden Aufbauorganisation („Process follows Structure“). Seit einigen Jahren hat sich die Strukturierung von Abläufen als Grundlage für die Gestaltung der Aufbauorganisation durchgesetzt („Structure follows Process“). Durch die Gestaltung sollten Aufbau- und Ablauforganisation gleichermaßen und konsequent auf den Kundennutzen ausgerichtet werden. Dass dabei der Ausgangspunkt der Gestaltung verstärkt auf der Ablauforganisation liegt, ist leicht nachvollziehbar, da die Abläufe die Unternehmensleistung und damit den Kundennutzen erzeugen [4]. Der erfolgreiche Ansatz des Business (Process) Reengineering belegt die Bedeutung der Prozesse als wichtige Gestaltungselemente. Business (Process) Reengineering ist fundamentales Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen mit dem Resultat großer Verbesserungen in entscheidenden, heute wichtigen und messbaren Leistungsgrößen in den Bereichen Kosten, Qualität, Service und Zeit [29]. Es geht aber nicht nur um das Messen der Leistungsgrößen im Nachgang. Im Voraus soll den Verantwortlichen geholfen werden, die Ressourcen über die qualitativ bedeutenden Abschnitte des Prozesses anzuordnen. In produzierenden Unternehmen ist der Bereich Arbeitsvorbereitung/Industrial Engineering mit der ganzheitlichen Gestaltung und Weiterentwicklung von Unternehmensprozessen beauftragt und befasst. Er analysiert, verbessert und managt ein integriertes System von Personal, Maschinen, Anlagen und Materialien. Insgesamt umfasst das Verantwortungsspektrum eine Kombination aus Betriebswirtschaft, Technik und Management. Im Vordergrund stehen Effizienz und Effektivität der Produktionsabläufe. Inzwischen haben sich Vorgehensweisen zur Vermittlung und Anwendung der Methoden etabliert [30].
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Eine Methode, die den Kunden in den Mittelpunkt stellt, Prozesse durchgängig betrachtet und hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist der Wertstrom. „Wert“ ist dabei das, wofür der Kunde bereit ist zu bezahlen. Die Visualisierung des Wertstromes ist eine Darstellung von Material- und Informationsflüssen [31]. Eine Weiterentwicklung der Wertstrommethode ist das Wertstrom-Management. Die Gesamtaufgabe des Wertstrom-Managements besteht aus einem Methodensatz von Wertstromdesign, Wertstromplanung, Wertstromlenkung und Wertstrombewertung. Das Wertstromdesign ermöglicht, konkrete Abläufe in Produktion, Material und Informationsfluss übersichtlich darzustellen, zwischen wertschöpfenden und unterstützenden Prozessen zu unterscheiden und Ansatzpunkte zur Optimierung zu identifizieren. Erstellt wird eine „Landkarte“ in Form von Zeichnungen, die den Material- und Informationsfluss vom Lieferanten über die Herstellung bis zum Kunden beschreibt und veranschaulicht. Darin enthalten sind Berechnungen der Gesamtzykluszeit und der enthaltenen wertschöpfenden Zeitanteile. Methoden zur Wertstromplanung dienen der Gestaltung von Produktionsabläufen. Ausgehend von den Grundsätzen eines schlanken Wertstroms werden Regelkreise in der Produktion erkannt und dimensioniert. Hierfür müssen zunächst der Schrittmacherprozess und potentielle Engpässe identifiziert und strukturiert werden. Dazu werden Produktgruppen definiert, die ähnliche Wertströme aufweisen. Anschließend werden praktische Regeln definiert, wie der Fluss im Wertstrom durch Glättung und Planung von flexiblen Kapazitäten aufrechterhalten werden kann. Die Ergebnisse werden mit Symbolen der Wertstromplanung dokumentiert. Methoden zur Wertstromlenkung beschäftigen sich mit der am Kunden und am Geschäftsprozess orientierten Ablauforganisation. Methoden zur Planung und Steuerung wie ziehende Regelkreise (z. B. Kanban) werden betrachtet und die Voraussetzungen für ihre erfolgreiche Implementierung untersucht. Die Wertstrombewertung benötigt Kennzahlen zum Management von Wertströmen: WertstromEngineering soll die Quadratur des Kreises erreichen, indem Liefertreue gegenüber dem Kunden, niedrige Kapitalbindung durch Bestandssenkung, optimierte Durchlaufzeiten bei minimalen Rüstzeiten und eine hohe Ressourcenauslastung bei kurzfristigen und stark
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
schwankenden Kundenabrufen gleichzeitig gewährleistet werden. Die Bewertung der beiden Zustände Ist und Soll erfolgt mit Hilfe einer vereinfachten Prozesskostenrechnung. So können die bisher indirekten Kosten dem Produkt direkt zugeordnet werden und somit Auswirkungen von Prozessveränderungen analysiert werden. Eine wichtige Kenngröße ist die Durchlaufzeit, die wesentlich auf Lagerbestände und Finanzkennzahlen wirkt. Durch die Reduzierung der Durchlaufzeiten und somit Veränderung der Logistik in einem Flussprozess lässt sich kurzfristig die Kapitalbindung reduzieren und liquide Mittel ohne Fremdfinanzierung im Unternehmen schaffen. Eine erfolgreiche, aber noch nicht sehr verbreitete Vorgehensweise stellen Seminare in Form von Unternehmenssimulationen dar [30]. Als Fall- und Projektbeispiel dient z. B. ein Übungsunternehmen, das mechatronische Produkte herstellt. Abläufe und Entscheidungssituationen werden simuliert. Man erhält ein Modell, an dem schnell, risikolos und kostengünstig experimentiert werden kann. Das Modell ist gegenständlich abgebildet, so dass die Folgen der Experimente unmittelbar sicht- und greifbar wahrzunehmen sind. Im Mittelpunkt steht die Abwicklung der Lagerund Sonderaufträge über die Bereiche Vertrieb, Konstruktion, Materiallager, Fertigung, Komponentenlager, Montage und Versand. Die Veränderungen im Unternehmen zeigen ein evolutionäres Vorgehen bei Veränderungsprozessen auf. In unterschiedlich großen und kleinen Schritten wird es von einem schwerfälligen, tayloristisch organisierten Unternehmen zu einem flexiblen, am Wertstrom orientierten Unternehmen umgestaltet. Die Gesamtaufgabe des WertstromManagements wird in logisch aufeinander aufbauende Teilprojekte zerlegt. Anschließend werden in Gruppenarbeit anhand von Checklisten und Rechenschemata Lösungen konzipiert und erarbeitetet, welche in der Übungsfirma unmittelbar umgesetzt werden. In einer Simulation werden diese Lösungen getestet und anschließend mit Kennzahlen wie Liefertreue, Durchlaufzeiten, Bestände, Kosten und Erträgen bewertet. Die zum Teil verblüffenden Auswirkungen werden anhand dieser Kennzahlen verglichen und im Team analysiert. Erreicht wird damit ein verbessertes Verständnis der betrieblichen Prozesse und Abläufe. Ein schneller und nachhaltiger Lernprozess, gefördert durch das spielerische Element, wird durchlaufen.
1.6 Beständige Leitlinien
Besonderes Augenmerk gilt dem Erkennen von Prozessen und dem Entwickeln eines vernetzten Denkens. Der Teilnehmer fühlt sich als ein Teil des Ganzen und erkennt Abhängigkeiten. So kann z. B. die Bedeutung der Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen verschiedenen Bereichen oder Abteilungen verdeutlicht werden. Jeder Lieferant stellt seinem Kunden Material und Informationen termin-, kosten- und qualitätsgerecht bereit. Viele Unternehmen haben umfangreiche Reorganisationen durchgeführt und scheitern dennoch an der Umsetzung auf der produktiven Ebene, da es häufig an verständlichen Begründungen für die Mitarbeiter fehlt. Mit Hilfe einer angepassten Vorgehensweise können diesen Mitarbeitern Ursachen und Wirkzusammenhänge komplexer Ablaufstrukturen verständlich gemacht werden um die reibungslose Umsetzung nachhaltig zu sichern.
Flexibel und wandlungsfähig zu Stabilität: Organisation als Prozess Eine Organisation sollte zugleich flexibel und wandlungsfähig sein und das Ziel Stabilität erreichen. Ist das überhaupt möglich? Flexibilität bedeutet, einen nutzbaren Spielraum zur Verfügung zu haben, der kurzfristige Reaktionen auf Veränderungen zulässt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass der nutzbare Spielraum begrenzt ist und vorab installiert werden muss. Beispiele sind die Mehrfachqualifikation von Mitarbeitern oder technische Überkapazitäten. Ob dieser Spielraum jemals benötigt wird, ist nicht vorhersehbar. Flexibilität ist eine Sicherheitsinvestition. Sie spannt einen Korridor auf, in dem das System sich nahezu ohne Zeitverzögerung an Veränderungen anpassen kann. Wandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit zur nachhaltigen Veränderung. Sie bietet eine Reaktionsfähigkeit über den vorhandenen Flexibilitätskorridor hinaus. Das System verlässt diesen und erreicht ein neues Niveau zur Erstellung von Produkten und Dienstleistungen. Ressourcen können geschont werden, aber die Reaktionsdauer ist größer als bei der Flexibilität (Abb. 1.8). Wandlungsfähigkeit ist kein eindimensionales Thema der Organisationsgestaltung. Es umfasst die drei Dimensionen Mensch, Organisation und Technik. So wird eine wandlungsfähige Organisation nicht den gewünschten Effekt haben, wenn die Dimensionen
15 Flexibilität und Wandlungsfähigkeit
Flexibilität – Veränderung in einem gegebenen Korridor (Gültigkeitsbereich) – Muss vorab installiert werden, d.h. Ressourcen müssen vorgehalten werden
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Wandlungsfähigkeit, Wandel – Prozess vom Eintreten der Veränderung bis zu umgesetzten, funktionierenden Maßnahmen – Nachhaltige Veränderung – Strukturelle Anpassungen im Unternehmen – Potenziale für schonenden Ressourceneinsatz (Kapital, Technik / Material / Energie, Mensch) erschließbar
Abb. 1.8 Flexibilität und Wandlungsfähigkeit
Mensch und Technik nicht auch entsprechend gestaltet sind. Bei Eintritt von anderen Stückzahlen als ursprünglich geplant kommen produzierende Unternehmen wirtschaftlich unter Druck. Das investitionsintensive Montagesystem ist entweder nicht ausgelastet oder im System mit niedrigen Investitionen können die vom Markt verlangten höheren Stückzahlen nicht produziert werden. Der Lösungsansatz sind wandelbare Montagesysteme, um die Investitionskosten den tatsächlich zu produzierenden Stückzahlen anpassen zu können [32]. Zentrale Ansatzpunkte der Wandlungsfähigkeit sind aber insbesondere der Mensch und die Organisation. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass Flexibilität und Wandlungsfähigkeit sich ausschlössen. Sie müssen sinnvoll kombiniert werden. Die Abwägung zwischen Flexibilität und Wandlungsfähigkeit muss im betriebsspezifischen Einzelfall immer genau untersucht und für den jeweiligen Einsatzfall bewertet werden. Eine sinnvolle Kombination versucht, den teuren, vorab installierten Flexibilitätskorridor möglichst schmal zu halten und gleichzeitig eine – möglichst schnelle – Wandelreaktion zu erlauben. Es lohnt sich, systematisch über Wandlungsfähigkeit nachzudenken. Ein Unternehmen kann externe und interne sowie kurz-, mittel- und langfristige Wandlungsauslöser hierfür in einem Katalog sammeln. Mit Hilfe
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1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
der Szenariotechnik können verschiedene Projektionen dieser Auslöser entworfen werden und in Szenarien des Wandels kombiniert werden. Die Wirkzusammenhänge zwischen diesen Wandlungsauslösern und den Elementen eines ganzheitlichen Arbeitssystemmodells werden dann identifiziert. Für jeden vorhandenen Wirkzusammenhang sind mögliche Maßnahmen sowie technische und organisatorische Voraussetzungen zu erarbeiten (Abb. 1.9). Die Eigenschaften Flexibilität und Wandlungsfähigkeit sollen zur Stabilität führen. Damit ist keine Starrheit gemeint, denn starre Strukturen können den Marktveränderungen nicht folgen! Stabilität einer Organisation bedeutet, unter vergleichbaren Umständen auf identische Anregungen gleiche Reaktionen (Abläufe) zu erhalten. Dies ist in einer dynamischen Umwelt für Organisationen, die sich nicht anpassen können, kaum erreichbar. Die Organisation muss sich flexibel und/oder wandlungsfähig anpassen können, damit stabile Reaktionen ermöglicht werden. Es geht also darum, tragfähige Kompromisse zwischen Standardisierung und Freiraum zu finden. Der Prozess als Gestaltungselement ändert sich häufiger, die Aufbauorganisation wird in seltenen Fällen nachgezogen, sie ändert sich i. d. R. nicht. In der betrieblichen Praxis fehlen aktuell dann noch die Instrumente für mittelständische Unternehmen, die „innerbetriebliche Kooperationen“ unterstützen. Wissenschaft und Wirtschaft sind hier gefordert.
Innovative Organisationskonzepte stellen also keinen Zustand dar, sondern einen Prozess [19]: Der einzelne Mensch wird als Aktivist im Unternehmen gesehen, der jeweils in seinem Verantwortungsbereich für eine kontinuierliche und marktgerechte Anpassung sorgt. Organisationskonzepte dürfen daher nicht technik-zentriert, sie müssen human-zentriert gestaltet werden.
Innovationen für Vorsprung Unternehmen reifer Branchen müssen sich im Wettbewerb folgenden Aufgaben stellen: Starke Rationalisierung, große Marktdurchdringung, Aufbau von Dienstleistungen und stete Integration neuer Technologien (Abb. 1.10). Um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, muss ein Unternehmen schneller Produkte und Dienstleistungen am Markt platzieren als die Wettbewerber. Entlang des Innovationsprozesses müssen alle innovationsrelevanten Aktivitäten des Unternehmens berücksichtigt werden und nicht nur einzelne Innovationsprojekte oder -produkte isoliert, um förderliche Bedingungen für Innovationen im Unternehmen zu schaffen. Es geht nicht nur um Innovationen bei Produkten und Produktionstechnik, sondern auch in der Organi-
Kennzeichen reifer Branchen
Starke Rationalisierungsbemühungen
(Ganzheitliches Arbeissystemmodell)
Vereinfachung eines Produktvorgangs in Fabrikhalle oder Büro zur Verbesserung der Wirtschaflichkeit Hohes Vertriebsengagement zur Durchdringung der Märkte und intensives Branding Schaffung einer Markenidentität für Produkte
...
Arbeissystem-Elemente
Stückzahl
(Katalog)
Variantenmix
Wandlungsauslöser
Neues Produkt/ starke Modellveränderung
Szenarien des Wandels Projektionen der Wandlungsauslöser werden kombiniert
...
Aufbau Kunden bindender Services
Planung, Steuerung, Umsetzung des Produktionsprogramms Produktionsprozess (Fertigungsfluss)
Wirkzusammenhänge
Produkt- und Fertigungsplanung mit Anlauf
Kundenbindung gibt es nicht von der Stange. Sie muss als Dienstleistung individuell konzipiert und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst werden. Stete Integration neuer Technologie
...
neue Nutzen
Abb. 1.9 Wirkzusammenhänge von Wandlungsauslösern und Arbeitssystem-Elementen
neue Kunden
Abb. 1.10 Kennzeichen reifer Branchen
1.6 Beständige Leitlinien
sation, um z. B. die Schnelligkeit und Wandlungsfähigkeit zu erhöhen oder um die indirekten Aufwände zu verringern. Die Steigerung der Innovationsfähigkeit in Produkten und Prozessen ist der wichtigste Hebel für Wachstum und Profitabilität in der Wirtschaft. Gleichzeitig ist zu erkennen, dass es noch immer erhebliche Innovationsbarrieren gibt, z. B. fehlende Ressourcen, mangelnde Innovationsstrategie, innovationsfeindliche Unternehmenskultur oder fehlende Anreizsysteme. Insgesamt scheinen die Innovationspotenziale in den Unternehmen nicht ausgeschöpft zu werden [33]. Konzentriert man sich zunächst auf den Innovationsprozess im engeren Sinn, so sind in einer ersten Stufe die richtigen und wichtigen Faktoren zur Steigerung der Innovationsfähigkeit zu identifizieren. In der zweiten Stufe ist ein Controlling mit dem Ziel kontinuierlicher Verbesserung der Innovationsfähigkeit einzuführen. Angesichts sich verkürzender Produktlebenszyklen und zunehmender internationaler Konkurrenz auf steigendem Niveau wird nicht nur die Innovationskraft alleine, sondern auch die Schnelligkeit, mit der Unternehmen Neues in die Welt bringen, zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor [34]. Den Innovationsprozessen kommt insbesondere für schnelle Innovationen, d. h. für eine kurze Zeitspanne zwischen Idee und Markteinführung des Produktes (Timeto-Market), eine hohe Bedeutung zu [35]. Die Entwicklungszeit – der wichtigste Schutzmechanismus im Wettbewerb noch vor den Patenten – ist mit einer „Zeittreiberanalyse“ zu untersuchen, um Zeitpotenziale in Projekten zu ermitteln. Dabei ist der Gesamtzusammenhang eines exzellenten Innovationsmanagements nicht aus dem Blick zu verlieren. Mit Blick auf die Innovationsfähigkeit und die Organisation allgemein, lassen sich ebenfalls Leitlinien für die Organisationsgestaltung finden. Eine innovationsförderliche Unternehmensstruktur weist kurze Entscheidungswege, effiziente interdisziplinäre Kooperationen und flache Hierarchien auf. „Organische“ Organisationsstrukturen werden als förderlich für industrielle Innovationen angesehen, wohingegen „mechanische“ Strukturen eher hinderlich wirken [36]. Offene Kommunikationswege mit freiem Informationsfluss in der gesamten Organisation sind vorzuziehen gegenüber Begrenzungen des Informationsflusses durch starke Strukturen; Handlungsfreiräume sind besser als Restriktionen; Entscheidungen sind auf der
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Basis individueller Experten zu finden, unabhängig von Hierarchiestufen; Ergebnisorientierung ist zu betonen, weniger die formalen Prozeduren; Zusammenarbeit geht vor Kontrollmechanismen; Verhaltensspielräume und keine engen Arbeitsvorschriften sind zu schaffen; Beteiligung und Gruppenkonsens gehen vor unabgesprochenen Anordnungen. Innovationen sollen helfen, den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Das Unternehmen muss schneller Produkte und Dienstleistungen am Markt platzieren als die Wettbewerber, um einen Vorsprung zu erhalten. Das allein genügt aber nicht, denn die Vorsprünge werden kürzer [37]: Die Informationsdichte ist so groß, dass bei Neuentwicklungen nur noch ein Vorteil besteht, der sich nach Monaten und nicht mehr nach Jahren bemisst. Wenn Unternehmen sich zu sehr in allen Produktbereichen nach oben abdrängen lassen, wird es immer schwieriger. Deshalb müssen Ingenieure gleichzeitig, um dem weltweiten Wettbewerb genügen zu können, über Kostendenken verfügen. Diese Anforderung ist heute wichtiger als in der Vergangenheit, wo „schneller, weiter, höher“ die Ziele waren. Es ist als kreative Fähigkeit anzusehen, ein Produkt kostengünstiger zu machen, ebenso wie genauer zu produzieren, schneller zu produzieren oder mehr zu produzieren. Auch hier trifft das Zusammenspiel von Organisation und Personalführung zu. Nur der kreative Mensch kann Innovationen gestalten. Es geht um kreative Ideen und darum, wie schnell man sie umsetzt. Die Erfahrungen, das Wissen und das Engagement der Mitarbeiter müssen dafür ihren Beitrag leisten. Dies betrifft auch die Mitarbeiter in der Produktion, denn sie haben das Wissen und die Problemlösungskompetenz vor Ort. Das Leistungs- und Innovationspotenzial aller Mitarbeiter zu wecken und zu realisieren, ist eine der größten strategischen Herausforderungen. Um das Innovationspotenzial aller Mitarbeiter zu wecken, müssen menschen- und leistungsgerechte Bedingungen gestaltet werden, was insbesondere die sog. „weichen Faktoren“ beinhaltet [6].
Dienstleistungen und Kooperationen Die Kundenanforderungen steigen. Im Maschinenund Anlagenbau wird z. B. nach immer flexibleren, komplexeren und technisch höher entwickelten und präziseren Maschinen gefragt. Mit den produzierten
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Gütern gilt es, den internationalen Wettbewerbern überlegen zu sein. Dies führte in den vergangenen Jahren dazu, dass sich das Angebot von ursprünglich reinen Maschinenbauprodukten hin zu komplexen Produktionslösungen entwickelte. In Deutschland produzierende Unternehmen konzentrieren sich stärker auf ihre Kernkompetenzen. Sie reduzieren die Fertigungstiefe und gehen Kooperationen ein, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und um kundenspezifische Lösungen effizienter zu realisieren: Wer allein arbeitet, addiert – wer intelligent kooperiert, multipliziert [38]. Voraussetzung für erfolgreiche zwischenbetriebliche Kooperationen und Netzwerke, die nicht nur auf eine Summe sondern ein Produkt kommen, ist ein stabiler Kern. Er entsteht durch eine vertrauensvolle persönliche Beziehung der Partner – insbesondere im Management. So ein funktionierender, stabiler Kern, der auf langfristige Partnerschaft und beiderseitigen Gewinn ausgerichtet ist, kann bei Bedarf schnell weitere Partner „am Rand“ der bestehenden Kooperation integrieren. Das reine Produktangebot wird durch immer umfangreichere Dienstleistungspakete ergänzt. Viele Unternehmer sehen in zusätzlichen Dienstleistungen das größte Potenzial, um sich im internationalen und nationalen Wettbewerb abzuheben. Die systematische Einbindung der Kunden bis hinein in die Produktentwicklung erfordert aber völlig neue Konzepte der Organisation von Geschäftsprozessen [39]. Die Fertigungstiefe wird reduziert und geeignete Partner übernehmen Teile der Produktion oder der unterstützenden Prozesse, so dass gelegentlich nur noch Kernkompetenzen, wie z. B. Forschung, Produktentwicklung, Strategieentwicklung oder Finanzkontrolle innerhalb des eigenen Unternehmens verbleiben. Die anderen Wertschöpfungsprozesse werden von spezialisierten, externen Dienstleistern durchgeführt. Dabei können verschiedene kooperative Geschäftsmodelle entstehen. Ihre Entwicklung und Durchführung stellt die beteiligten Unternehmen vor organisatorische, technische und wirtschaftliche Herausforderungen [40]. Aber die Bedeutung technischer Dienstleistungen steigt. Insbesondere die mittelständischen Unternehmen sind aber bisher nur begrenzt in der Lage, komplexe Dienstleistungen in der Produktion anzubieten und durchzuführen. Der seltene Schritt vom Sachguthersteller zum Systemdienstleister erfolgt bisher immer aus einer Erweiterung des bereits vorhandenen
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Spektrums an Produkt begleitenden Dienstleistungen. Erst wenn mit Basisdienstleistungen (z. B. Beratung, Schulung, Wartung und Instandhaltung) weit reichende Erfahrungen gesammelt wurden, wird der Übergang zum Systemdienstleister gewagt. Viele Unternehmen unserer mittelständisch geprägten Industrie müssen beim Thema Kooperationen nachziehen. Sie nutzen die Dienstleistung bisher nur in unbedeutendem Maß als Wettbewerbsstrategie. Dabei führt eine bewusste Dienstleistungsstrategie zu steigenden Umsatzanteilen im Service. Die Entwicklung und Durchführung kooperativer Systemdienstleistungen stellt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor technische, wirtschaftliche und organisatorische Herausforderungen. Grundsätzlich können Aufgaben ausgelagert und in Kooperationen mit anderen Unternehmen durchgeführt werden, wenn dadurch Vorteile entstehen. Hierzu zählen Kosten-, Zeit-, und Qualitätsvorteile oder strategische Ziele wie größere Flexibilität und Liquidität. Welche Fertigungsanteile oder unterstützenden Prozesse ausgelagert werden können, ist für jedes Unternehmen individuell zu bestimmen. Die auszulagernden Bereiche müssen klar von den Kernbereichen des Unternehmens abgegrenzt sein, die Wettbewerbsvorteile bringen und daher geschützt werden müssen. Es besteht die Möglichkeit, Produktivitäts-, Flexibilitäts- oder Know-how-Partnerschaften so zu entwickeln und durchzuführen, dass beide (alle) Partner gewinnen. Dann werden sie zu innovativen Wertschöpfungsstrategien. Kooperative Systemdienstleistungen geben u. a. Antwort auf Lebenslauffragen. Gesamtkostenbetrachtungen über den Lebenslauf unter Berücksichtigung von Wieder- oder Weiterverwendungsansätzen wurden bisher nur begrenzt vorgenommen. Eine Lebenslaufbetrachtung ist insbesondere aus wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten aber erforderlich und setzt sich zunehmend durch. Diese Notwendigkeit wird im Maschinen- und Anlagenbau durch die Tatsache bestärkt, dass Maschinen und Anlagen inzwischen häufig länger existieren als die mit ihnen hergestellten Produkte. Die Entwicklung und Durchführung komplexer Dienstleistungen in kooperativen Geschäftsmodellen beinhaltet für den Anbieter Differenzierungspotenzial. Die individuell konzipierten und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe angepassten Dienstleistungen erzeugen den Erfolgsfaktor Kundenbindung. Erfahrungen aus
1.6 Beständige Leitlinien
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vergangenen Kooperationen oder mit den dabei eingesetzten Anlagen fließen in Prozess- und Produktverbesserungen ein. Der Aufbau dieses spezifischen Wissens, insbesondere auch über Nutzungsphasen, führt zu einem wichtigen Vorteil im Wettbewerb, weil dieses Know-how nur schwer zu kopieren und dem reinen Verkauf von Maschinen und Anlagen überlegen ist. Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum ist dabei eine langfristige, intensive Kundenbindung über den gesamten Produktlebenslauf, die erreicht wird, wenn dem Kunden durch die Auslagerung der Aufgaben ein hoher Nutzen entsteht. Der Kundennutzen liegt u. a. in der Verlagerung von Risiken. Der Anbieter entlastet den Kunden (teilweise) vom finanziellen Risiko, angefangen von Investitionskosten bis hin zu den Kosten für Personal/-schulungen bei einem Betreibermodell. Er beteiligt sich auch am Marktrisiko des Kunden, der nur noch einen wettbewerbsfähigen Preis je erbrachter Leistungseinheit zahlt, bei zugesicherter Qualität und
Verfügbarkeit. In dieser Situation werden für den Anbieter die Betreiber-, System- oder Stückkosten von Bedeutung sein, so dass nicht nur die Anlage, sondern das ganze Geschäftsmodell über seinen Lebenslauf optimiert wird. Werden die Kooperationen und kooperativen Systemdienstleistungen systematisch entwickelt und implementiert, kann das für alle Partner, Anbieter und Kunden, nachhaltige wirtschaftliche Weiterentwicklung bedeuten. Die sich dem Kunden bietenden Chancen liegen auf den Gebieten Finanzen und Kosten, Technologie sowie Organisation und Strategie. Bei Finanzen und Kosten können kooperative Systemdienstleistungen dazu beitragen, die Liquidität zu schonen, den Finanzbedarf zu reduzieren und die Kontrolle der Kostentreiber zu verbessern. Technologisches Wissen des Dienstleisters kann in der eigenen Fertigung genutzt werden. In Organisation und Strategie entstehen Chancen durch die Konzentration auf Kernkompe-
Partner in Unternehmensnetzwerken sind bereit ...
Produkte
Plattformstrategien zu entwickeln und einzusetzen
Interne Ressourcen
Dienstleistungen und Sachgüter zu kombinieren
Produkte und Dienstleistungen zu individualisieren
Kompetenzen zu bündeln und interdisziplinär zu denken
Geschäftsprozesse enger zu verbinden Wissen neu zu verknüpfen
Netzwerke zu kooperieren
ungewohnte Formen der Zusammenarbeit zu erproben
Kunden-LieferantenBeziehungen zu gestalten
neue Funktionen in Wertschöpfungsketten zu übernehmen
... in den neuen Beziehungsmustern zu denken und zu handeln Abb. 1.11 Neue Beziehungsmuster in Kompetenznetzwerken (nach [39])
20
Erfolg – aber keine Auswirkungen hat. Die Kundenorientierung macht sich auch in der Organisation bemerkbar: Kundensegmente werden definiert. Die Vorgehensweise ist die Segmentierung der Kunden nach ihren individuellen Anforderungen. Bei früheren Segmentierungsstrategien wurden Kunden nach Industriebzw. Branchenzugehörigkeit, Produkten oder Vertriebswegen zusammengefasst, um deren Anforderungen mit einer Pauschallösung gerecht zu werden. Die dabei unterstellte Homogenität innerhalb dieser Kundengruppen war indes selten vorhanden. Kunden nach ihren individuellen Anforderungen zu klassifizieren, bietet den Unternehmen heute die Möglichkeit, eine spezifische Lieferkette für das jeweilige Segment zu gestalten. Da segmentintern gleiche Kundenanforderungen sichergestellt sind, können die verschiedenen Segmente entsprechend ihren jeweiligen Charakteristika, z. B. nach Lieferzeiten oder zusätzlichen Dienstleistungen, bearbeitet und beliefert werden [28]. Serienfertiger individualisieren ihre Produkte immer stärker und passen sie an einzelne Kunden an. Die Anpassung geht über vordefinierte Herstellervarianten hinaus. Mit dieser Ausweitung des Variantenspektrums geht zukünftig eine weit reichende Einbeziehung des Kunden in die Produktgestaltung und in die Auftragsabwicklung einher (Abb. 1.12). Um eine möglichst hohe Marktakzeptanz zu erreichen, müssen die individualisierten Produkte zu vergleichbaren Kosten eines Serienproduktes hergestellt werden können. Serienfertiger verfügen zwar über hocheffiziente Prozessketten für vordefinierte Produkte, aber die Einbeziehung des Kunden wird bisher nicht umfassend unterstützt [41].
Marktchance
tenzen und eine mögliche Komplexitätsreduktion. Die Chancen, die sich aus solchen neuen Geschäftsmodellen ergeben, sind also vielfältig. Andererseits gibt es eine Reihe von Risiken – insbesondere für den Anbieter, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Das Absatzrisiko sei hier genannt, denn der Dienstleister wird gegebenenfalls am Misserfolg des Produkts beteiligt. Zu finanziellen Risiken kommen u. a. Haftungsrisiken (z. B. für Qualitätsbeanstandungen), Betriebsrisiken (z. B. durch fehlende Betreibererfahrung oder schlechte Kapazitätsauslastung) und technische Risiken (z. B. veränderte Leistungsanforderungen oder Technologieänderungen). Die Entwicklung und Durchführung der Geschäftsmodelle stellt die beteiligten Unternehmen vor organisatorische, technische und wirtschaftliche Herausforderungen. Kompetenznetzwerke sind zu bilden und es ist in neuen Beziehungsmustern zu denken und zu handeln (Abb. 1.11). In den Netzwerken müssen ungewohnte Formen der Zusammenarbeit erprobt, neue Funktionen in Wertschöpfungsketten übernommen und Kunden-Lieferanten-Beziehungen gestaltet werden. Gleichzeitig sind interne Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln und interdisziplinäres Denken ist voranzutreiben. Wissen muss neu verknüpft, Geschäftsprozesse müssen enger verbunden werden. Schließlich gibt es neben dem Netzwerk und den internen Ressourcen auch noch die Produkte. Für sie sind Plattformstrategien zu entwickeln und einzusetzen, die an internationale Märkte angepasst und als Kombinationen von Dienstleistungen und Sachgütern gestaltet werden müssen. In der Auseinandersetzung mit dem internationalen Wettbewerb wird es immer bedeutsamer, Systematiken und Verfahren zur Verfügung zu haben und auf bewährte Modelle und Methoden als Hilfsmittel zurückzugreifen. Viele Risiken können ausgeschlossen werden, wenn die kooperativen Systemdienstleistungen systematisch entwickelt, betrieben und methodisch unterstützt werden.
1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
Prozess der Produktentstehung
ProduktKonstruktion management
Kalkulation
Leistungsangebot (Einführung in Markt und Produktion)
ArbeitsErstSerienanlauf vorbereitung beschaffung
Der Kunde im Mittelpunkt Die Kunden bestimmen den Wettbewerb durch ihre Kaufentscheidungen, gleichzeitig steigen ihre Anforderungen. Unternehmen orientieren sich an ihren Kunden, was die Effektivität – also den Markterfolg – steigert, auf die Effizienz – also den wirtschaftlichen
Marktbedarf, Kundenauftrag
Verlagerung von Aufgaben
Prozess der Auftragserfüllung
Kundenbetreuung
Lieferung
AuftragsFertigung Auslieferung Fakturierung bearbeitung und Montage
Kundenintegration
Abb. 1.12 Integration des Kunden in die Auftragsabwicklung
1.6 Beständige Leitlinien
Bei Einzelfertigern im „Engineer-to-Order“Geschäft ist die Einbindung des Kunden seit jeher eine grundlegende Voraussetzung, weshalb die Konkurrenzfähigkeit hier nur durch nachhaltige Effizienzsteigerung, durch beschleunigte Prozessketten und unternehmensweites Lernen sichergestellt werden kann. Der Trend zur Anpassung der Produkte an individuelle Kundenwünsche hat weit reichende Auswirkungen auf die Unternehmensorganisation. Die Herstellung kundenindividueller Produkte wird in Unternehmen der Serienfertigung als „Ausnahme“-Geschäft behandelt, das in Form einer Projektorganisation geplant und abgearbeitet wird. Damit ergeben sich einerseits Probleme bezüglich der Abstimmung mit dem Seriengeschäft, andererseits muss bei einem steigenden Anteil kundenindividueller Aufträge die Effizienz in der Auftragserfüllung verbessert werden. Die kundenintegrierte Auftragserfüllung für individualisierte Produkte muss als „Regelgeschäft“ im Unternehmen etabliert und mit angepassten Geschäftsprozess-Abläufen implementiert werden. Insgesamt resultiert derzeit aus kundenindividuellen Aufträgen ein erheblicher zeitlicher Aufwand verbunden mit nicht unerheblichen finanziellen Risiken. Der Einsatz durchgängiger Methoden und Systeme, v. a. für die Auftragsklärung, kann einen großen Teil dieses Aufwands vermeiden, wenn Standardabfragen automatisiert beantwortet werden, Sonderwünsche standardisiert weitergeleitet werden und die Daten direkt für die nachfolgenden Prozesse der Arbeitsvorbereitung verwendbar sind. Die kundenintegrierte Produktion erfordert eine Auftragsabwicklungskette, die es ermöglicht, ein Produkt über eine Variantenkonfiguration hinausgehend zu spezifizieren und während der Auftragsabwicklung noch zu verändern. Hierzu sind möglichst einfache, kostengünstige und durchgängige Methoden und Planungshilfsmittel zur Verbesserung und Beschleunigung der Prozesse ausgehend vom Kunden über Vertrieb, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Montageplanung sowie Montage bis hin zur Auftragsauslieferung notwendig. Anteile aus dem Produktentwicklungsprozess (wie Anpassungskonstruktion, Arbeitsplanerstellung, Bereitstellung von auftragsspezifischen Dokumenten sowie Qualitätssicherung) müssen in die kundenspezifische Auftragsabwicklungskette verlagert werden und die Information und Kommunikation zwischen diesen Vorgängen sichergestellt und beschleunigt werden.
21
Die Anforderung der stärkeren Kundenintegration in den Auftragsabwicklungsprozess erfordert eine völlige Neugestaltung der Geschäftsprozesse im Unternehmen. Die notwendige Arbeitsorganisation muss sich an diesen kundengetriebenen Anforderungen und weiteren Rahmenbedingungen orientieren. So erfolgt eine unternehmensspezifische Gestaltung der Teams und ihrer Aufgaben, der Mitarbeiter-Qualifikation, der Informations- und Kommunikationskonzepte, der Kooperationen mit dem Kunden und internen Bereichen (z. B. Vertrieb, Konstruktion und Arbeitsvorbereitung), des Führungsmodells, der Entscheidungskompetenzen und sonstiger Rahmenbedingungen (z. B. Arbeitszeitmodelle und Entgeltsysteme). Unternehmen, die die Kundenintegration in ihre Prozesse beherrschen, können individualisierte Produkte zu günstigen Preisen und mit kurzen Lieferzeiten anbieten und damit nachhaltige Wettbewerbsvorteile im globalen Markt realisieren. Spezialisierte und formalisierte Organisationen beeinflussen die Kundennähe negativ, wohingegen Entscheidungsdelegation, die Bildung interner Märkte sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiter bei Entscheidungen, die sie selbst betreffen, sich positiv auswirken [42].
Erfolgsfaktor der Arbeitsorganisation: Der Mensch Neue Arbeitsorganisationen wurden häufig unter dem Aspekt der Kostensenkung in Unternehmen eingeführt. Erforderlich war dies z. B. durch anhaltende Wechsel im wirtschaftlichen Umfeld, strukturelle Veränderungen, Krisen oder unternehmensinterne Probleme. Inzwischen werden neue Arbeitsorganisationen gesucht, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens steigern, indem die Kundennähe verbessert wird, die Arbeitseffizienz erhöht wird, die Innovationsfähigkeit steigt und neue Technologien besser genutzt werden [43]. Es steht fest: Der Traum von der mannlosen Fabrik ist ausgeträumt. Der Mensch wird nach wie vor kreativer Leistungsträger in der Produktion sein. Zwar wurden in der Vernetzung der Daten verarbeitenden Systeme Fortschritte erzielt, der Mensch wird aber auch in Zukunft insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen an die Mengen- und Variantenflexibilität als Leistungsträger im Mittelpunkt stehen [44]. Dies gilt auch für Produktionen, in denen
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1 Grundlagen der Organisationsgestaltung
die Arbeit überwiegend von Maschinen und Robotern ausgeführt wird. Die Sicherstellung der zuverlässigen Funktion, die Umrüstung auf andere Typen und Varianten sowie die schnelle Behebung von Störungen sind dann der Schlüssel zu einer hohen Produktivität. Die menschliche Leistung ist das Produkt aus „Können × Dürfen × Wollen“ (Abb. 1.13). Der Faktor „Können“ schließt zum einen den Aspekt „Fähigkeit“ ein, der sich durch Ausbildung und betriebliche Qualifizierung einstellt, und zum anderen den Aspekt „befähigt sein“, der u. a. einen geeignete Informationsversorgung des Mitarbeiters erfordert. Zur Aufgabenerfüllung ist er häufig auf zeitnahe Informationen angewiesen, die an anderen Stellen des Unternehmens eingehen und gepflegt werden, wie z. B. Kennzahlen über Produktivität und Qualität. Rechnerbasierte Werkzeuge unterstützen durch Visualisierung, Kommunikation und Wissensaustausch die täglichen Entscheidungs- und Verantwortungssituationen. Der Faktor „Dürfen“ wird über Organisationsstrukturen und Kompetenzregelungen abgedeckt. Der Faktor „Wollen“ hängt von der Motivation ab, auf die viele Faktoren einwirken, welche teilweise außerhalb der Gestaltungsmöglichkeiten liegen. Da die Leistung ein Produkt der drei genannten Faktoren ist, wird sie Null, sobald einer der Faktoren Null ist. Die Zusammenfassung von planenden, steuernden, ausführenden, kontrollierenden und unterstützenden Tätigkeiten in dezentralen Einheiten führt zum Prinzip der Gruppenarbeit. In Gruppen arbeiten i. d. R. mehrere Mitarbeiter mit gleicher oder ähnlicher Qualifikation an einer Aufgabe. Teams werden interdisziplinär besetzt. Die Teammitglieder entwickeln in der Zusammenarbeit eine T-Qualifikation – sie überblicken einerseits den gesamten Prozess ihres Teams und sind andererseits Experten für spezifische Aufgaben. Die Übergänge zwischen „Gruppe“ und „Team“ sind fließend. In Anlehnung an die betriebliche Praxis sollen die Begriffe hier als gleichbedeutend betrachtet werden. Den Mitarbeiter zum Mit-Unternehmer machen!
– Qualifikation – Information
x
Dürfen
– Arbeitsaufgabe – Entscheidungskompetenz
x
Abb. 1.13 Produkt der menschlichen Leistung
Wollen
– Innere Motivation – Anreize von außen
Unternehmenskultur entwickeln
Können
Organisation gestalten
=
Mitarbeiter fördern
Leistung
Gruppenarbeit erfordert ein Maß an Selbstorganisation und Entscheidungsspielraum. Mitarbeiter müssen zu „Mitunternehmern“ werden, was eine Grundqualifikation in den relevanten wirtschaftlichen Zusammenhängen und eine andere Qualität der Information erfordert. Die extreme Ausprägung von Gruppen, die autonom ohne jede Vorgabe arbeiten, ist jedoch unrealistisch – ein Maß an zentraler Steuerung ist erforderlich [6]. Die Gruppen müssen aber initiativ und eigenverantwortlich planen und handeln. Kontinuierliche Verbesserungsprozesse müssen selbstständig erbracht werden, da eine wirtschaftliche Lernkurve erwartet wird und Teil der Geschäftsgrundlage ist. Diese Übernahme von Verantwortung sollte sich auch im unternehmerischen Verhalten der Mitarbeiter widerspiegeln. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die lokale Transparenz des wirtschaftlichen Beitrags der Arbeitsgruppen. Eine strukturierte, verursachungszugeordnete Darstellung des wirtschaftlichen Ergebnisses eines abgegrenzten Produktionsbereichs („Ergebnis-Element“) ist dazu Voraussetzung. Ein „Finite-Ergebnis-Element“-Ansatz für das Management solcher dezentraler Einheiten, z. B. für das Rechnungswesen oder das strategische Controlling, kann hierbei eine bilaterale Informationsversorgung gewährleisten und ermöglicht lokale Leistungsbemessung und –austausch unter mehreren Gruppen. Das Konzept der adaptiven, unternehmerischen Arbeitsorganisation integriert die genannten Forderungen [44]. Sie ist geprägt durch dezentrale Organisationseinheiten, die methodisch unterstützt werden und hochautonom agieren, so dass sie – ähnlich ProfitCentern – Ergebnisverantwortung übernehmen und erfolgreich Ergebnisoptimierung betreiben können. Zu den Elementen der adaptiven, unternehmerischen Arbeitsorganisation gehören eine dezentrale Planungsintegration, eine angepasste Auftragsplanung, Steuerungswerkzeuge, Verbesserungs- und Innovationsaufgaben, erfolgsorientierte, unternehmerische Mitarbeiter-Beteiligungssysteme, hochflexible Arbeitszeitsysteme und eine erweiterte Mitarbeitermobilität. Einige Aspekte sollen kurz ausgeführt werden: Die adaptive, unternehmerische Arbeitsorganisation erfordert eine dezentrale Planung. Um die Planungsaufgabe wahrnehmen zu können, müssen die Kompetenzen und benötigten Informationen vor Ort vorhanden sein. So können die Mitarbeiter ihr Ergeb-
Literatur
nis verursachungsgerecht strukturieren und Ergebnisverantwortung übernehmen [44]. Die Einplanung von zentral akquirierten Kundenaufträgen auf die dezentral agierenden Teams benötigt eine Auftragsplanung, welche u. a. eine gleichmäßig hohe Auslastung der dezentralen Einheiten gewährleistet. Restriktionen durch unterschiedliche Standorte und definierte Prioritäten bei der Auftragsvergabe oder -bearbeitung sind dabei zu beachten. Zu Planungsintegration und Ergebnisverantwortung müssen Steuerungsmechanismen eingeführt werden. Im Sinne eines Profit-Centers müssen der Organisationseinheit externe oder interne Märkte zugeordnet werden. Neben den üblichen Verbesserungsaufgaben sollen die Mitarbeiter auch Innovationsaufgaben wahrnehmen. Bei der Dezentralisierung wird die Aufgabe der Innovation ebenfalls in den operativen Bereich verlagert. Hier arbeitet schließlich das Expertenteam. Die Mitarbeiter in den dezentralen Gruppen sollen in der Lage sein, ihre Prozesse, Prozesskennzahlen und Ergebnisse zu überwachen und ihre Arbeitsorganisation anzupassen und zu optimieren. Es ist aber darauf zu achten, dass die Mitarbeiter mit diesen neuen Anforderungen nicht überfordert werden, denn dann droht ein Produktivitätsrückgang [45].
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9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
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2
Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Inhaltsangabe 2.1
2.4.4
Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Selbstverständnis der Produktion . . . . . . . . 2.1.2 Produktionsstrukturen im Wandel . . . . . . . . 2.1.3 Methoden für ein ganzheitliches Management der Produktion . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Planen und Fertigen in virtueller Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 I&K-Technologien für das Management der Fertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
2.2
Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Charakteristika des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Nationale Determinanten . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3
26 26 27 28
38 38 38 42 45 46
56
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Prinzipielle Aspekte technischer Normen . 2.4.2 Die Wesensmerkmale der überbetrieblichen technischen Normung . . 2.4.3 Die Entwicklungsbegleitende Normung (EBN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5
34
Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Bedeutung des tertiären Sektors für den Wirtschaftsstandort Deutschland . . 2.3.2 Der zukünftige Bedarf an Dienstleistungen 2.3.3 Wettbewerbsvorteile durch qualifizierte Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Konsequenzen für die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . . . . .
2.4
2.4.5 2.4.6
47 47 49 53
59 59 60 62
Normung in Europa: der europäische Binnenmarkt . . . . . . . . . . . Technik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften beim Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft . . . . . . 2.5.1 Ansatzpunkte einer Innovationsstrategie . . 2.5.2 Innovationsbarrieren als Vermächtnisse des industriellen Zeitalters . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Förderung der Innovatoren als Ansatz künftiger Innovationspolitik . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Unsere Organisationen sind dysfunktionale Umgebungen für Wissensarbeiter . . . . . . . . 2.5.5 Machtausübung als zentraler Misserfolgsfaktor für Innovationen . . . . . . . 2.5.6 Technikzentriertes Denken als eine Schwäche vieler Unternehmen . . . . . . . . . . 2.5.7 Unternehmenskultur als Wettbewerbs- und Kostenfaktor . . . . . . . . . 2.5.8 Neue Organisationsformen als Voraussetzung für eine innovationsfördernde Unternehmenskultur 2.5.9 Wachsende Diskrepanzen zwischen Individuen und Organisationen . . . . . . . . . . 2.5.10 Neue Öffentlichkeiten als Wegbereiter einer neuen Wirtschaftsweise . . . . . . . . . . . 2.5.11 Open-Source als Modell zur Demokratisierung von Innovation . . . . . 2.5.12 Konsumenten als Ideenlieferanten und Mitentwickler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.13 Innovationsfördernde Organisationsformen als Ansatz für Win-Win-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.14 Innovation und neue Organisationsformen als Thema von Gewerkschaften . . . . . . . . . .
64 68 68 71
71 72 73 77 77 78 79 79
80 81 82 82 83
84 84 25
26 2.6
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Entwicklung der Unternehmenskonzepte . . 2.6.2 Entwicklung der Wandlungsfähigkeit . . . . . 2.6.3 Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87 88 91 96
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
die produktionsnahen Dienstleistungen und die Ausrüstung der Produktion. Es wird dabei von einem ganzheitlichen Ansatz ausgegangen, welcher der zunehmenden Integration und Verflechtung in der Zukunft Rechnung trägt. Der Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der gesamten direkten Wertschöpfung setzt eine permanente Innovations- und Wandlungsfähigkeit sowie leistungsfähige Konzepte und Strukturen der Produktion voraus.
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
2.1.1 Selbstverständnis der Produktion
Die Produktion trägt entscheidend zur gesamten Wertschöpfung des Landes mit mehr als einem Drittel aller Beschäftigten bei. Die direkte Wertschöpfung ist dabei für ein rohstoff- und energiearmes Land allein durch Veredelung und technisches Know-how sowie durch die Herstellung von Produkten für den Binnenund Weltmarkt möglich. Die Produktion hat die zentrale Aufgabe, die primären Bedarfe der Haushalte sowie die sekundären Bedarfe der produzierenden Unternehmen an Produkten und Dienstleistungen zu decken (vgl. Abb. 2.1). Der primäre Bedarf entsteht in den Haushalten. Sie benötigen Nahrung und Energie, Dienstleistungen und industriell oder handwerklich hergestellte Produkte. Die Produktion versteht sich in diesem Kontext als Lieferant von Produkten und Leistungen an die Haushalte wie an die produzierenden Unternehmen. Das „Management der Produktion“ umfasst dabei nicht den primären Bereich, sondern die industrielle und handwerkliche Produktion, den Materialbereich,
Die Produktion versteht sich als ein komplexes System, welches der Deckung des Bedarfes von Haushalten, Dienstleistern und Herstellern mit materiellen und immateriellen Produkten dient. Ausgangspunkt und Endpunkt der Kette der zu durchlaufenden Prozesse der Produktion ist der Markt oder der spezielle Kunde. In diese Kette der Produktion fließt die Optimierung des Lebenszyklusses der Produkte im Sinne der Kreislaufwirtschaft ebenso ein, wie die Verfolgung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ziele aller an den Prozessen der Produktion Beteiligten ein. Die Produktion entwickelt sich vom Hersteller von technischen Produkten zum Lieferanten von Nutzwerten für die Kunden. Die Produkte verbleiben im Netz des Herstellers bis zu ihrem Ende. Daraus leitet die Produktion neue zusätzliche Wertschöpfungspotenziale ab. Das Management dieser gesamten Prozessketten steht im Mittelpunkt zukünftiger Anstrengungen zur Optimierung von Unternehmen. Die Erschließung die-
Dienstleistung für die Haushalte
Primärer Bereich
Haushalte
• Land-, Forstwirtschaft • Fischerei
• Bedarf • Verbrauch
Energie Abb. 2.1 Die Produktion in der Wertschöpfungskette
Dienstleistung für die Produktion
Material
Produktion • Be- und Verarbeitung • Montage
Produktionsausrüstung
• Urproduktion • Veredelung
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
ser Potenziale schließt alle mit dem Management verbundenen strategischen, operativen und methodischen Fragestellungen ein. Dieses neue Paradigma postuliert nicht mehr allein den spezifischen ökonomischen Nutzen der Herstellung einzelner Produkte, sondern den maximalen Nutzen der Produkte über die gesamte Prozesskette. Das bedeutet, dass durch eine Zusammenarbeit von • • • • •
Entwicklung und Vertrieb, Herstellung und Logistik, Ökonomie und Ökologie, Informations- und Kommunikationstechnik, Recycling und Wiederaufbereitung
eine ganzheitliche Optimierung der Produktion unter Berücksichtigung aller beteiligten Geschäftsprozesse erreicht werden soll. Diese Ausrichtung steht in Übereinstimmung mit der erwarteten Entwicklung der Wirtschaft und der Unternehmensstrukturen. Kennzeichnend dafür sind: • • • • •
Simultaneous und Concurrend Engineering, Produktionsnetzwerke, Life Cycle Management, Betreibermodelle, Recycling.
Neue Strategien zielen auf die Aktivierung neuer Wertschöpfungspotenziale im Produktlebenszyklus sowie auf die Integration von Vertriebs-, Produktionsund Beschaffungslogistik. Die zur Unterstützung des Managements eingesetzten Techniken, welche maßgeblich durch Entwicklungen auf den Gebieten der Elektronik und Informatik beeinflusst werden, zielen auf die vollständige Integration der Informationsflüsse. Produkte der Zukunft verfügen über eine höhere technische Intelligenz, welche es dem Produzenten möglich macht, sie im Informationsnetzwerk zu behalten und permanent bis zu ihrem Lebensende zu betreuen.
2.1.2 Produktionsstrukturen im Wandel Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit verfolgt die Produktion das Ziel, Produkte und Leistungen bedarfsgerecht, wirtschaftlich und termingerecht mit der erforderlichen Qualität herzustellen. Folgende Linien kennzeichnen dabei die zukünftigen Entwicklungen:
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• Optimierung des Kundennutzens, Kundennähe und Kundenorientierung, • Produkte und Leistungen mit hohem Wertschöpfungspotenzial, • Beherrschen der technischen und wirtschaftlichen Grenzbereiche, • Synergie durch Vernetzung und Kooperation, • Internationalisierung, Globalisierung • Harmonisierung von Arbeit, Technik und Umwelt. Die Verfolgung dieser Entwicklungen geschieht in einem als turbulent zu bezeichnenden Umfeld. Turbulenzen entstehen durch hohe Innovationsraten, durch die abnehmende Planbarkeit der Prozesse und durch die Wettbewerbssituation sowie durch die Rahmenbedingungen des Standortes Deutschland. Allein durch die Optimierung des Kundennutzens lassen sich nachhaltige Entwicklungen initiieren, welche durch eine enge Beziehung zwischen den Herstellern und den Anwendern geprägt sind (vgl. Abb. 2.2). In diesem Zusammenhang kommen neuen Technologien der Informations- und Kommunikationstechnik und deren Nutzung für Produkt- wie für Prozessinnovationen eine extreme Bedeutung zu. Informationsund Kommunikationssysteme verkürzen die Wege zwischen Hersteller und Kunde. Sie führen damit zu einer stärkeren Vernetzung der Produktion und der Aktivierung von Synergien in den Netzwerken der Produktion. Darüber hinaus sind sie die Grundlage des zukünftigen Managements in allen Geschäftsprozessen. Aus dem Ansatz einer ganzheitlichen Optimierung der Prozessketten der Produktion vom Kunden zum Kunden lassen sich neue Schwerpunkte für die Entwicklung von Managementkonzepten auf der Basis der Integration der gesamten Prozesskette ableiten. Das Management der Produktion ist die integrierende Klammer aller dieser Prozessketten. Ihre Schwerpunkte sind demnach: • • • •
Management der Auftragsabwicklung (PPS etc.), Management der Ressourcen, Life Cycle Management, Management des Wissens,
mit den Zielen der Wandlungs- und Innovationsfähigkeit durch die Entwicklung und Anwendung innovativer Prozesse und Methoden.
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Produktentwicklung Produkt Management
Manufacturing on Demand Logistik B2B
Produktion
Zulieferer
Kunde/Markt
Electronic Commerce
E-Services Facility Management Produktionsausrüster
Abb. 2.2 Ganzheitliches Management und Organisation der Produktion
2.1.3 Methoden für ein ganzheitliches Management der Produktion Vor fast einem Jahrhundert begann die Industrialisierung der Herstellung technischer Produkte. Sehr früh wurde erkannt, dass Technik und Organisation aufeinander abzustimmen sind, um eine höhere Effizienz zu erreichen. Heute stehen uns eine Vielzahl von Methoden, Techniken und Erfahrungen zur Verfügung, mit denen sich eine systematische Optimierung der Produktion im Hinblick auf Leistungs- und Qualitätsziele erreichen lassen. Dennoch stellt die Optimierung einer industriellen Produktion eine ständige neue Herausforderung an die Ingenieure, Techniker und das Management. Fabriken befinden sich in einer ständigen Veränderung, die nicht allein durch Technologien getrieben werden, sondern vor allem auch durch die Vielzahl von Innovationen im Umfeld des gesamten sozio-technischen Systems der Produktion. Es sind vor allem die Innovationen auf dem Sektor der Informations- und Kommunikationstechniken, welche den strukturellen Veränderungsprozess fördern und welche im Zusammenwirken mit Technik und Organisation zu neuen Lösungen führen.
rung. Er ging davon aus, dass durch eine wissenschaftlich fundierte Analyse der Arbeit und durch Planung ein hohes Rationalisierungspotenzial erschlossen werden kann, was zweifellos gelungen ist. Die Analyse auf der Basis elementarer Arbeitselemente sollte mit Anweisungen an die Mitarbeiter verbunden sein, damit diese ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend eine optimale Leistung erbringen können (Abb. 2.3). „Wenigstens einen Tag vorher aufs genaueste ausgedacht und festgelegt. . . “ heißt es in seinen Schriften. Taylor richtete seine Gedanken insbesondere an das Management der Produktion und forderte im Grundsatz eine Planung der Fertigung auf der Basis wissenschaftlicher Methoden: „das Hauptaugenmerk ei-
Wissenschaftliche Methoden
Scientific Management (Planung)
Analyse
Der Taylorismus – gestern und heute Taylor formulierte vor nahezu 80 Jahren seine grundlegenden Thesen zur wissenschaftlichen Betriebsfüh-
Anweisung
Arbeiter Maschine
Arbeitsteilung bis auf elementare Prozesse
Abb. 2.3 Das Taylorsche Prinzip der wissenschaftlichen Betriebsführung
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
nes Managements sollte darauf gerichtet sein, gleichzeitig eine hohe Prosperität des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers herbeizuführen“ und „die größte Prosperität ist das Resultat einer möglichst hohen Ausnutzung des Arbeiters und der Maschinen“. Taylor spricht von dem „scientific management“ und versteht darunter die Anwendung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse und Methoden zur Optimierung der Arbeit. Aus diesen Gedanken heraus entwickelte sich eine Methodenlehre und eine Arbeitsvorbereitung, die vor allem den Arbeiter und die Maschinen in den Mittelpunkt der Optimierung rückten. Es entstanden ausgeklügelte Zeit- und Lohnsysteme, Kalkulations- und Controlingverfahren sowie neue Formen der Organisation, die wir heute als Taylorismus bezeichnen. Zweifellos förderte der Taylorismus die Entwicklung und Anwendung neuer wissenschaftlich begründeter Methoden und trug maßgeblich zum Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei. Ist aber dieser Taylorismus noch zeitgemäß? In einer Zeit des globalen Wettbewerbs und turbulenter Einflussfaktoren auf die Produktion, einer verteilten und vernetzten Fertigung mit hochautomatisierten und integrierten Maschinen sowie extremen Anforderungen an Qualität und Präzision stellt sich die Frage, ob moderne Fertigungskonzepte noch nach taylorschen Prinzipien aufgebaut sein können. Insbesondere aber stehen heute andere Methoden der Planung zur Verfügung und das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter ist weit höher als noch vor Jahrzehnten. Es hat eine Vielzahl von mehr oder weniger erfolgreichen Ansätzen zum Ersatz alter tayloristischer Organisationen gegeben. Insbesondere sind zu nennen: Fertigungszellen mit Gruppenarbeit, fraktale Organisation, lernende Organisation u. a. In all diesen Organisationen wurden keine grundlegenden Änderungen an dem taylorschen Prinzip der Optimierung durch wissenschaftlich begründete Methoden vorgenommen, sondern lediglich die Arbeitsinhalte anders verteilt und zugeordnet. In vielen Unternehmen wurden die Arbeitsvorbereitungen drastisch verkleinert. Veränderungen der Arbeitsinhalte sind heute im kurz- und mittelfristigen Bereich festzustellen. Dies zeigt sich beispielhaft an den in Abb. 2.4 dargestellten Tendenzen. Wir verfügen über eine Hochleistungstechnik und über hochqualifizierte Mitarbeiter. Integrierte Planungssysteme bis hin zur digitalen Fabrik, adaptive technische Systeme mit hoher interner technischer Intelligenz, Operation in Genauigkeits- und
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Integrierte Planungssysteme CNC-Systeme
programmierte Abläufe geringere Eingriffshäufigkeiten sichere Prozesse
Komplexere Maschinen
Höhere spezifische Kenntnisse zum Betrieb und zur Instandhaltung
High Speed, High Volume
Engere Prozessfenster Kürzere Haupt- und Nebenzeiten Spezifische Fachkenntnisse
Neue Fertigungstechnologien Komplexere Produkte
Höhere Anforderungen an die Prozesse und Prozessfolgen
Kleinere Losgrößen Höhere Variantenzahl
Höherer Anteil an Umrüstkosten
Abb. 2.4 Veränderung der Arbeitsinhalte durch neue Techniken
Geschwindigkeitsbereichen, die sich der menschlichen Wahrnehmung entziehen, stehen zur Verfügung. Andererseits kennzeichnen schnell wechselnde Fertigungsaufgaben kleiner Stückzahlen und kooperative Arbeitsteilung mit peripheren, selbständigen Unternehmen die hohe Dynamik in der industriellen Fertigung. Trotz der umfangreichen Erfahrungen und hervorragenden Methoden erreichen viele Unternehmen dennoch nicht die erwartete Effizienz, weil ihre Organisation noch immer viel zu stark durch traditionelle Formen und Methoden geprägt ist und Veränderungen nur reaktiv vollzogen werden. Als Beispiel einer modernen Technik lässt sich die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung anführen. Dazu stehen Maschinen mit entsprechender Technik und integrierter Qualitätsprüfung bereit (Abb. 2.5). Derartige Maschinen verfügen über eine integrierte Sensorik und Aktorik, welche das sichere Arbeiten an den Leistungsgrenzen der Prozesse möglich macht. Sie enthalten einen Kern, der als mechatronisches und informationstechnisches System bezeichnet werden kann. Die Steuerungen können mit Werkzeugen zur Führung der Prozesse, zum eigenständigen Lernen des Qualitätsverhaltens zur Diagnose und Simulation erweitert werden. Beispiele haben gezeigt, dass sich mit derartigen Maschinenkonzepten überdurchschnittliche Leistungen erzielen lassen. Sie verlangen aber auch Systemschnittstellen und eine Visualisierung des Geschehens, welche den menschlichen Fähigkeiten entspricht und dem Bediener einen ausreichenden Komfort gibt, die Prozesse mit seinen taktilen Fähigkeiten zu führen. Bei der Anwendung neuer Maschinen kann der Bediener nicht mehr nach tayloristischen Anweisungen operieren. Er wird zum Manager des Systems.
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
In-Situ-Simulation Kommunikation
Offene Steuerung Lernkomponenten • Prozessführung • Qualität • Konfiguration • Diagnose
PC-Basis
Material Energie Betriebsmittel Betriebsstoffe
Kräfte Beschleunigung Körperschall Temperatur Maß, Form Oberflächen Funktionen
Antriebe/Aktorik/Sensorik Maschine/Prozess Betriebsstoff Aufbereitung
Abb. 2.5 Maschinensystem mit integrierter technischer Intelligenz
Konventionelle Zeit- und Lohnsysteme werden den Arbeitsinhalten der Maschinenbediener nicht mehr gerecht und müssen durch andere leistungsfördernde Systeme ersetzt werden. Ebenso ist festzustellen, dass der Wirkungsgrad der Hochleistungsmaschinen nicht allein vom Maschinenbediener sondern von einer größeren Anzahl Mitarbeitern – den sogenannten indirekten Mitarbeitern – in der Planung, Logistik, und Ver- und Entsorgung beeinflusst wird. Auf nahezu alle diese Tätigkeiten und ihr Zusammenwirken lässt sich das taylorsche Prinzip der Analyse durch Gliederung der Tätigkeiten in elementare Vorgänge, der Synthese und detaillierten Vorgabe der Ausführung nicht mehr wirtschaftlich anwenden. Automatisierung und Integration erfordert Taylorismus
Dennoch soll eine auf taylorschen Prinzipien beruhende These aufgestellt werden. Nach Taylor können durch eine wissenschaftlich fundierte Analyse und Synthese Rationalisierungspotenziale erschlossen werden. Dies gilt in besonderem Maße für die maschinelle Arbeit und trägt der Veränderung der manuellen Arbeit durch die moderne Technik Rechnung (Abb. 2.6). Deshalb lautet die These: • Maschinelle Arbeit erfordert ein elementares auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhendes Studium der Prozesse und Abläufe (Programme). • Die verbleibende manuelle Arbeit erfordert von Mitarbeitern ein „Scientific Management“ um extreme Leistungen mit den Maschinen zu erzielen. Manuelle Arbeit erfordert Scientific Management
Informationsmaschine Detaillierung und Elementarisierung der Arbeitselemente durch spezialisierte Systeme
Bauteilkonstruktion Arbeitsfolgen
Planen Programmieren Optimieren
Arbeitsoperationen Programme
Ausführung nach Anweisung (Programme)
Einstellen Rüsten Überwachen Pflegen Warten Instandhalten
Abb. 2.6 Der neue Taylorismus: Analytik für die Maschinen – Scientific Management für die Mitarbeiter
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
• Das „scientific management“ bedarf eines expliziten und impliziten Wissens, das auf die konkreten Fertigungsaufgaben und Gegebenheiten vor dem Beginn der Fertigung anzuwenden ist. Die These soll noch um einen systemtechnischen Aspekt ergänzt werden: • Nicht allein die Leistung einzelner Maschinen sondern die Leistung des Produktionssystems ist relevant für das Optimum an Effizienz. In Abweichung zu den taylorschen Prinzipien der Optimierung auf der Basis von Arbeitselementen sind wir in Teilbereichen der Fertigung bereits in der Lage auf atomarer Ebene Prozesse zu analysieren und zu optimieren. Prozessmodelle beinhalten das explizite Wissen um die Wirkzusammenhänge. Es gelingt uns in der technologischen Forschung von der früheren rein experimentellen Forschung zu einer Analytik und Synthese von Prozessen zu gelangen, die auf grundlegenden naturwissenschaftlichen Phänomenen und Gesetzten beruht. Ohne dieses Wissen könnten wir heute nicht in die technologischen Grenzbereiche von Leistung und Präzision vorstoßen. Modelle sind die Basis für Simulationen. Durch Simulation nehmen wir das detaillierte Studium der Arbeitsabläufe vorweg und optimieren im Hinblick auf die relevanten Zielkriterien. Modellierung, Simulation und Programmierung entsprechen dann den grundlegenden taylorschen Prinzipien, wenn sie auf wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen aufbauen. Der Automatisierungsgrad der Fertigung steigt – trotz aller gegenteiligen Meinungen weiter an. Hinweise ergeben sich aus den Investitionen in Maschinen und Anlagen. Beispielsweise ist die Anzahl der in der Fertigung eingesetzten Roboter in den vergangenen Jahren überproportional zum allgemeinen Wachstum auch in Krisenzeiten gewachsen. Die Automatisierungstechnik ist robuster, vielseitiger, sicherer und vor allem insgesamt billiger geworden. Die Prognosen weisen auf weiteres Wachstum hin. Allerdings haben Unternehmen gelernt, diese Technik vor allem auf die Kernprozesse der Fertigung zu konzentrieren. Automatisierte Prozesse finden sich aber nicht nur in der Werkstatt sondern an allen Arbeitsplätzen, an denen Computer eingesetzt werden. Innerhalb der Computer laufen die Prozesse auf elementarer Basis ab. Die Mitarbeiter werden auch hier zum Systemmanager. Wir sollten dem Aspekt der Optimierung der technischen Prozesse mit wissenschaftlichen Methoden
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besonders Rechnung tragen und auch die Erkenntnisse der Systemtheorien berücksichtigen. Die unmittelbar mit der Maschinenbedienung beauftragten Mitarbeiter sind eher die Manager der Prozesse als Betreiber, Planer, Logistiker, Evaluator etc. Die Betreiber sorgen für die optimale Einstellung der Maschinen, die Verfügbarkeit, die Einrichtung und die Einbindung in das Gesamtsystem – wie Taylor das vom Management gefordert hat. Hier setzt auch das moderne Wissensmanagement an. Es hebt zunächst auf das implizite Wissen – also das gelernte Wissen der Mitarbeiter ab. Die Betreiber und Planer an modernen Werkzeugmaschinen müssen heute entsprechend geschult sein, um Höchstleistungen in Bezug auf Kosten und Effizienz sowie Qualität zu erzielen. Sie werden zur permanenten Verbesserung aufgefordert und erhalten dazu Lohnanreize. Das Wissen, das sie unmittelbar zur Planung und zum Betrieb der Maschinen und Anlagen benötigen, haben sie gelernt oder lernen es permanent. Explizites Wissen kann ihnen der Einsatz moderner IV-Techniken beschaffen. Informations- und Kommunikationssysteme erreichen heute jeden Arbeitsplatz zu jedem Zeitpunkt. Sie können also mitsamt der gesamten Bandbreite multimedialer Techniken (Text, Graphik, Video, Audio, Sprache) zum Zweck der Optimierung der einzelnen Operationen und der Fertigungssysteme eingesetzt werden. Die Gestaltung und der Betrieb der dazu passenden Organisation ist eine herausragende neue Aufgabenstellung des „scientific management“ nach Taylor mit heutigen und zukünftigen Techniken.
Systemtechnik als Basis der Optimierung der Produktion Eine industrielle Fertigung kann heute nur unter Verwendung systemtechnischer Ansätze optimiert werden (Abb. 2.7). Sie muss, den heutigen Anforderungen entsprechend durch Grundprinzipien der Selbstorganisation, der Selbstoptimierung und Zielorientierung geprägt sein, um die erforderliche Dynamik und Wandlungsfähigkeit unter turbulenten Einflüssen zu gewährleisten. Die Systemtheorie liefert hervorragende Ansätze zur Modellierung komplexer Produktionssysteme. Als Systemgrenzen – auch Leistungseinheiten der Produktion genannt – werden in der Regel die Prozesse definiert, mit denen sich von einem definierten Ausgangs-
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Teilautonomie Systemkompetenz
P1 BearbeitungsP2 system Pn
Betriebsmittellogistik
Materiallogistik
Informationssystem
Betriebsstoffe
• Selbstorganisation • Selbstoptimierung • Selbstcontrolling • Zielorientierung • Dynamik Zusammenarbeit von • Planung, Disposition, Controlling • Bearbeitung, Prüfung • Logistik • Peripherie • Instandhaltung
P1, P2, Pn: Prozesse Abb. 2.7 Moderne Produktionskonzepte folgen der Systemtheorie
material ein definierter und prüfbarer Endzustand erzeugen lässt. Die Strukturierung der Leistungseinheiten der Produktion erhält vor dem Hintergrund einer vernetzten und verteilten Fertigung eine besondere Bedeutung. Durch die Anwendung einer strikten KundenLieferanten-Beziehung lassen sich Schnittstellen bereinigen. Damit schließen Leistungseinheiten alle Fertigungsprozesse ein, die von einem Rohteil oder Rohmaterial zum einbaufähigen Bauteil führen. Diese Leistungseinheiten lassen sich in einer mehrstufigen Skala in Teilsysteme, und Subsysteme gliedern, deren unterste Ebene physikalische Prozesse sind. Grundkonzeption In einem Fertigungssystem wirken die verschiedenartigsten Ressourcen zusammen: Maschinen, Material, Betriebsmittel, Betriebsstoffe, Informationen, Mitarbeiter. Ihr gesamter Wirkungsgrad hängt zweifellos vom Wirkungsgrad der einzelnen Elemente und ihrer Verknüpfung im System ab. Es gelten dabei grundlegende Gesetzmäßigkeiten wie beispielsweise das Gesetz des Minimums: • fehlt eine Ressource, so treten Auslastungsverluste auf • Überschüssige Ressourcen verbessern den Wirkungsgrad nicht. Bei der Optimierung eines Fertigungssystems müssen folglich alle Prozesse mit ihrem Zusammenwir-
ken in den Teil- und Subsystemen betrachtet werden und überflüssige Elemente eliminiert werden. Die Optimierung des Systems der Fertigung erfordert deshalb eine enge Kooperation der durchführenden Bereiche, der Planung, Disposition und des Controlling sowie der peripheren Bereiche im Werkzeug und Betriebsmittelwesen, der Instandhaltung sowie der Medienversorgung. Alle diese sollten – auch entsprechend den o. g. Prinzipien des Wissensmanagements – unmittelbar am realen Geschehen beteiligt sein. Gruppenund Teamarbeit unter Einschluss aller zur Optimierung benötigten Fähigkeiten sind deshalb unverzichtbare Merkmale einer effizienten Organisation moderner Produktionskonzepte. Ginge es darum, eine Produktion nur einmalig vorzubereiten und permanent die Abläufe zu reproduzieren, so könnte die Planung mit hohem Detaillierungsgrad und sogar sequentiell erfolgen. Tatsache ist aber, dass sich die Produktionsaufgaben permanent verändern. Stückzahlen und Losgrößen nehmen ab und die Variantenvielfalt nimmt zu. Dies erfordert eine permanente Anpassung des Produktionssystems. Systemtechnik und Wandlungsfähigkeit In der Vergangenheit wurden Fertigungskonzepte auf ein mittelfristiges Teilespektrum ausgelegt. Bei diesem Prinzip wird man im kurzfristigen Bereich der Operations feststellen, dass das vorhandene System nur selten den systemtechnisch optimalen Betriebspunkt erreichen kann und damit grundlegende Ineffizienzen verursacht. Abhilfe versprechen allein rekonfigurierbare und an die kurzfristige Situation anpassbare Systeme sowie eine schnelle und partizipative Planung. Die Planung der Konfiguration eines Produktionssystems sollte kurz vor Beginn einer Produktion erfolgen und die tatsächliche Situation berücksichtigen. Zu diesem Zweck haben wir ein neues Verfahren der partizipativen Planung entwickelt (Abb. 2.8), in dessen Mittelpunkt ein Planungstisch steht. Auf einen normalen Arbeitstisch (2 Dimensionen) wird ein Layout der Produktion projiziert. Eine Ansicht in der dritten Dimension kann auf eine Wand projiziert werden. Alle am Planungs- und Veränderungsprozess einer Fertigung beteiligten Personen arbeiten interaktiv mit den Planungssystemen auf der Basis eines digitalen Abbildes der Fertigung zusammen. Veränderungen werden sofort visualisiert. Das Systemverhalten
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
3-D Projektion Parallel dazu wird eine dimensionale Ansicht des Planungsbereichs an die Wand projeziert
Rückführung der Bildinformationen 3-D Abbild 2-D Projektion
2-D Projektion Über einen marktüblichen Beamer wird ein Abbild des zu planenden Bereichs auf einen herkömmlichen Tisch geworfen
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Rückführung Die Rückführung der Bildinformation erfolgt über eine neben dem Beamer angebrachte Kamera Abb. 2.8 Planungstisch zur partizipativen Fabrikplanung und -optimierung
Virtuelle Produktion Aufwand/Stück
kann unmittelbar mit Hilfe von Simulationen evaluiert werden. Es ist das Ziel der Entwicklung, Veränderungen in den Prozessen und der Konfiguration der Fertigung in kürzester Zeit vorzubereiten und zu realisieren. Ein Gesamtoptimum der Fertigung unter Einbeziehung technischer Entwicklungen und Neuerungen verlangt ebenfalls die Berücksichtigung der systemtechnischen Zusammenhänge. Dies wurde durch eine Planung bestätigt, die wir in der Fertigung eines Maschinenbau-Unternehmens durchführen konnten. Der Einsatz neuartiger Werkzeugmaschinen erbrachte ein überdurchschnittliches Einsparungspotenzial an Zeit und Kosten. Ebenso ließ sich durch neuartige Werkzeuge eine hohe Kostenersparnis nachweisen. Die Simulation der betriebliche Abläufe zeigte sehr deutliche Veränderungen im Verhältnis von Haupt-, Neben-, und Rüstzeiten. Es zeigte sich, dass eine Beibehaltung des heutigen Organisationskonzeptes alle diese Vorteile wieder zunichte gemacht hätte, wenn die Organisation des Systems nicht verändert worden wäre. Es wurden deshalb detaillierte Untersuchungen hinsichtlich der Organisation durchgeführt, die eine hohe Dynamik und Anpassungsfähigkeit besitzt. Es erwies sich als notwendig, die Arbeitsverteilung zwischen Einrichtern, Maschinenbedienern und Logistikern zu verändern. Dies war auch eine Folge der Veränderung der Bearbeitungsund Operationszeiten sowie der veränderten Qualitätsanforderungen. Ein weiterer Aspekt war die Integration bisheriger peripherer Bereiche wie z. B. des Betriebsmittelwesens, der Planung und Dispo-
Reale Produktion
Virtual Engineering
Modelle Simulation Planungsmethoden
Scientific Management
Fertigung/Montage
Zeit
Abb. 2.9 Industrielles Lernen in virtueller Umgebung
sition, des Qualitätswesens u. a. Es zeigte sich, dass eine an die Technik angepasste Organisation nach den Grundprinzipien der • • • •
Selbstorganisation, Selbstoptimierung, Selbstcontrolling und Zielorientierung
geeignet erschien, die technischen Potenziale auch zu aktivieren. In der Zukunft müssen dazu auch noch die Methoden des Managements von Wissen adaptiert werden. In Kenntnis detaillierter Abläufe und unter Nutzung robuster Werkzeuge können Mitarbeiter maßgeblich zur Nutzung technologischer Potenziale beitragen. Dazu zählen insbesondere die Kompetenzen zur Beherrschung komplexer Systeme und die Veränderung der Arbeitsinhalte. In diesem Zusammen-
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Multimedia
Visualisierung von Produkt und Prozess
Virtual Reality
Konfiguration von Arbeitssystemen und Prozessen
• Internet/Intranet/Mobilfunk zur Kommunikation nach innen und außen, • Neue Softwaretechniken wie die Signalanalytik, genetische Algorithmen, Agentensysteme für intelligente IV-Systeme.
Als Beispiel dieser Techniken sei die Anwendung der VR-Technik genannt, mit der sich das reale Verhalten eines Produktionssystems in drei Dimensionen abbilMobile InformationsschnittMobilfunk den lässt (Abb. 2.11). Das Beispiel zeigt die Simulastellen – überall erreichbar tion eines komplexen Montageprozesses im AutomoLernfähige, intelligente Software bilbau. Die Bewegungen der Roboter entsprechen dem DV-Systeme tatsächlich programmierten Ablauf. Die Programme Abb. 2.10 Neue Technologien ermöglichen neue Lösungen für lassen sich interaktiv verändern und korrigieren. Die die Organisation Grundfunktionen der Visualisierung komplexer Abläufe, der Animation und Interaktion lassen sich bereits auf PCs nachbilden. hang spielt die Anwendung moderner Medien in der Uns hat diese Entwicklung dahingehend inspiriert, Fertigung eine immer größere Rolle. Im Hinblick sogenannte virtuelle Arbeitsplätze zu realisieren. Das auf die Effizienz des Gesamtsystems einer Fertigung VR-System wird nicht mit einem Simulator, sondern kommt es entscheidend darauf an, diese Fähigkeiten mit einer realen Maschine verknüpft. Das VR-System vor der Nutzung der technischen Ressourcen einzusetkann über große Entfernungen – über Festnetze – den zen (Abb. 2.9). Diesen Prozess kann man als ein virmomentanen Ablauf an den Arbeitsplätzen darstellen. tuelles Lernen bezeichnen. Er folgt in seinem GrundDurch Umschaltung auf Simulation lassen sich komcharakter aber Taylors Ansatz mit einer noch tiefemende Operationen vorbereiten und ein Tuning der ren Gliederung der Arbeitselemente und weit größeren Prozesse vornehmen. Zusätzlich lassen sich aus dem Skalen. Betrieb weitere Informationen der Maschine oder der Betriebsmittel in der VR-Welt abbilden. Ein Planer erhält damit Zugriff auf das reale Geschehen und kann 2.1.4 Planen und Fertigen selbst über große Distanzen an der Optimierung der Systeme mitwirken. in virtueller Umgebung Für diese telebasierten Operationen bieten sich folgende Dienste (Wissensmanagement) an: Alles das, was nicht real ist kann als virtuell bezeichnet werden. Eine virtuelle Fertigung ist demnach le• Veränderung der Maschineneinstellungen und Kadiglich ein Abbild der realen Fertigung. Die Aufgabe librierung, des Scientific Management moderner Art ist es des• Erstellung, Evaluation und Adaption von Programhalb, eine Fertigung mitsamt ihrer komplexen Systeme men, im Vorfeld vor deren Beginn zu optimieren. In der vir• Veränderung der maschinennahen Prozess- und tuellen Welt lassen sich Abläufe durch Modelle festleQualitätsmodelle, gen und simulieren sowie wissenschaftlich begründete • Support bei Einstellungen für neue Werkzeuge, Methoden einsetzen. Uns stehen dazu leistungsfähige • Prozess- und Systemdiagnostik, IV-Techniken zur Verfügung, deren Einsatz zu neuen • In-Situ-Simulation, Lösungen beitragen wird (Abb. 2.10). • Training von Mitarbeitern. Als besondere für die Planung und Vorbereitung der Fertigung zu nennende Techniken stehen bereit: Das gesamte Gebiet des Teleservice entwickelt sich
Intranet – Internet
Informationen flächendeckend verfügbar
• Multimedia zur Visualisierung, • Virtual Reality zur Konfiguration von Maschinen, Einrichtungen sowie zur Evaluation von Arbeitsabläufen,
zur Zeit sehr erfolgreich. Es entstehen Lösungen, welche durch den Einsatz einfacher bzw. preiswerter Techniken wirksame Verbesserungen erzielen lassen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Digitalkameras
2.1 Wandlungsfähige Organisation und Fertigung in dynamischen Umfeldern
Virtuelle Fertigung
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Reale Fertigung
Video Audio
Video Audio Voice over IP
Virtual
Internet Intranet PC
PC
5-Achsen-HochgeschwindigkeitsBearbeitungszentrum
CNC
Reality
Sensor Signale Virtueller Arbeitsplatz
Wide Area Network
Abb. 2.11 Virtuelle Arbeitsplätze und Remote-Betrieb
zur Dokumentation und Analyse von Befundungen bei Qualitätsabweichungen, um schnell Ursachen ermitteln zu können. Andere unterstützen die Instandhaltung oder das Management der Ersatzteile und Dokumentation. Aus diesen Ansätzen heraus können Unternehmen neue Synergieeffekte in der Relation der Beziehungen zwischen Herstellern und Anwendern erzeugen und neue Bereiche zusätzlicher Wertschöpfung durch produktionsnahe Dienstleistungen entwickeln. Der Betreiber von Fertigungssystemen erhält durch den Einsatz derartiger Techniken eine online Hilfe zur Lösung aktueller Probleme (Abb. 2.12). Das Bild
technisches Wissen
zeigt schematisch die Kommunikationsbeziehungen zwischen dem Betreiber und internen wie externen Leistungsträgern. Er kann sozusagen „on demand“ auf Expertenwissen zurückgreifen, das im eigenen Unternehmen und bei externen Dienstleistern verfügbar ist. Alle Beteiligten haben einen Zugriff auf das aktuelle Geschehen. Die dazu erforderlichen Techniken stehen über das Internet und Intranet praktisch zur Verfügung. Die Strukturierung der Informationen, die Verwendung geeigneter Suchmaschinen und die Evaluation des verfügbaren Wissens bedürfen in der Zukunft jedoch noch einer intensiven wissenschaftlichen Grundlagenforschung.
Planung, Steuerung
Wartung, Instandhaltung
Betriebsmittel Präsenz des Zustands
Material, Logistik
Verwaltung
Fertigungsprozesse
Produktionssystem
Kunde
Abb. 2.12 Internet am Arbeitsplatz – Management des expliziten Wissens
Internet/ Intranet
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
2.1.5 I&K-Technologien für das Management der Fertigung Im Zuge der Entwicklung flexibler Fertigungssysteme entstanden in den Unternehmen Leit- und Informationssysteme, die in ihrer Architektur durch zentrale Elemente gekennzeichnet waren. Folgt man dem Gedanken der flexiblen Kooperation autonomer Subsysteme, so entstehen neuartige Architekturen der Informationsverarbeitung in der Fertigung. Diese basieren auf der sogenannten Agententheorie. Das folgende Bild (Abb. 2.13) stellt die grundlegende Architektur von Agentensystemen in der Produktion dar. Agenten sind Teilsysteme der Fertigung wie Maschinen, Transport- und Lagersysteme oder Betriebsmittel, die miteinander kooperieren. Nicht nur technische Subsysteme sondern auch Software-Bausteine können die Merkmale teilautonomer Agenten erfüllen. Es handelt sich dabei um die sog. Software-Agenten. Agentensysteme für die Produktion lassen sich hierarchisch aufbauen. In der unteren Stufe führen sie einzelne Prozesse nach Maßgabe der Prozesssteuerung aus. Sie können über die Produktions- und Betriebsleitebene bis hinauf in die Unternehmensleitebene zur Verbindung mit den PPS- und Controlling-Systemen geführt werden. Im Gegensatz zu bisherigen Lösungen lassen sich damit offen Strukturen der Informationsverarbeitung aufbauen, die einerseits den Skalen der
Unternehmensleitebene Betriebsleitebene Produktionsleitebene Prozessführungsebene Prozesssteuerungsebene Prozessebene
Agentenplattform Software Agent
Verbindungen Technischer Agent
Abb. 2.13 Agentensysteme für das Management der Produktion
Organisation und andererseits den zeitlichen Skalen gerecht werden können. Das abschließende Bild (Abb. 2.14) zeigt beispielhaft den Einsatz eines Agentensystems in der Produktion, das zur Zeit im Rahmen eines Forschungsprojektes realisiert wird. Als Plattform wurde ein System gewählt, das die gesamte Bandbreite der Kommunikationstechnik unterstützt. Ferner wurden darin Kooperationsmechanismen aufgenommen, die das Ziel der selbständigen Optimierung aller Agenten unterstützen. Protokolle basieren auf herkömmlichen und neuen Standards der LAN-Technik (TCP/IP, XML). Damit kann den Belangen einer permanenten und flexiblen Konfiguration eines Produktionssystems, der Integration teilautonomer Betriebsbereiche und auch der Telekommunikation ein neuer aussichtsreicher Lösungsweg geboten werden.
2.1.6 Zusammenfassung In diesem Beitrag wurden Veränderungen und neue Lösungswege für wandlungsfähige Organisationen in dynamischen Umfeldern diskutiert. Die Organisationsstrukturen und ein ganzheitlicher Ansatz zum Management der Produktion sind dabei eng verzahnt. Die Grundprinzipien der tayloristischen Organisation sind mehr als je zuvor notwendige Voraussetzungen zur Optimierung der technischen Prozesse. Es wandelt sich die Rolle der Mitarbeiter im taylorschen Sinne zum Scientific Manager. Dieser lernt, Systeme zu organisieren, zu betreiben, zu verändern und zu optimieren. Dazu benötigt er wirksame Instrumente, die ihm die Optimierung auf elementarer Ebene erlauben (Prozessmodelle) und mit denen er die Operationen und Veränderungen vorbereiten kann. Die VR-Technik und die Simulationstechnik tragen zum Studium der Auswirkungen maßgeblich bei. Ein zentrales Instrument ist dabei das Management des expliziten und impliziten Wissens. In der Organisation stehen ihm mit der Internet-/Intranet-Technik leistungsfähige Werkzeuge zur Verfügung, um „on demand“ das erforderliche Wissen bei internen wie externen Leistungsträgern zu beschaffen. Darüber hinaus bieten neuartige Agententheorien Ansatzpunkte für die Architektur offener betrieblicher Informationssysteme, welche insbesondere den Aspekten der Teilautonomie Rechnung tra-
Literatur
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TA n+1
TA 1
Fertigungszelle m
Fertigungszelle m+1 TA 2
Lager Station Übergabestation
Kooperation
XWAY
FIPA-ACL XML
XML
Agentenplattform „Fertigungszelle“
DCOM
Drehtisch Transportbandelement
Agentenplattform „Mobile TA“
Socket
CORBA
Abb. 2.14 Leitsysteme mit Agenten
gen können. Wir stehen heute am Beginn einer neuen Generation der I&K unterstützten Fertigung, welche die Chance hat, die Gesamtleistung des Systems Fertigung permanent auf einem optimalen Betriebspunkt zu führen.
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes 2.2.1 Einleitung Im Zuge der fortschreitenden Integration Europas haben sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Haushalte erheblich verändert. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der infolge von Meinungsverschiedenheiten der Mitgliedstaaten zwar immer wieder ins Stocken gerät, aber letztlich in Schüben vorankommt. Ein wichtiger Schritt war die Vollendung des Binnenmarktes, die in einem Weißbuch Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts von der Europäischen Kommission vorgeschlagen worden war und 1987 mit der Einheitlichen Europäischen Akte als Gemeinschaftsrecht vertraglich vereinbart wurde. Danach sollte der Binnenmarkt bis zum 31.12.1992 vollendet sein.1 Freilich wurde bereits frühzeitig gesehen, dass es sich beim Binnenmarkt um einen dynamischen Prozess handelt, der vor immer neuen Herausforderungen steht. Eine „endgültige“ Vollendung kann es danach nicht geben, sondern eine ständige Weiterentwicklung, in der jeweils wieder neue Schwerpunkte gesetzt werden. Gleichwohl gibt es wichtige Meilensteine auf dem Weg zum vollendeten Binnenmarkt, die für die Wirtschaft von besonderer Bedeutung sind oder sein werden. Dazu zählen unumstritten neben dem Binnenmarktprogramm der neunziger Jahre, das die Realisierung der vier Grundfreiheiten zum Ziel hatte, die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und die schrittweise Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und Süden. Die Bedingungen des Binnenmarktes sind für die Unternehmen von immer größerer Wichtigkeit. Denn die Europäische Union gewinnt im Zusammenspiel der Kompetenzen, Rechtsetzungen und Regulierungen gegenüber den nationalen politischen und rechtlichen Instanzen eine immer größere Bedeutung. Dies gilt für die Wettbewerbspolitik, beispielsweise im Rahmen der Beihilfen- und Fusionskontrolle, für die Liberalisierung ganzer Wirtschaftsbereiche, die traditionell stark reguliert waren – wie die Bereiche Verkehr, Energie und Telekommunikation –, für strukturpolitische 1
Art. 14 der konsolidierten Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 24.12.2002.
Eingriffe oder allgemein für die Beseitigung technischer Schranken, die für den innereuropäischen Handel ein Hindernis darstellten. Für die deutsche Wirtschaft, die in überdurchschnittlich starkem Maße exportorientiert ist, hat der europäische Binnenmarkt eine besondere Bedeutung. Denn der überwiegende Teil des Außenhandels wird mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union abgewickelt. Der europäische Binnenmarkt schafft hier einheitliche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in den Mitgliedstaaten. Damit stehen aber auch die national bestimmten Rahmenbedingungen im Vergleich zu denen anderer Mitgliedstaaten stärker auf dem Prüfstand. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Vorteile und Nachteile für den deutschen Standort in diesem Rahmen zu sehen sind.
2.2.2 Charakteristika des europäischen Binnenmarktes 2.2.2.1 Die vier Grundfreiheiten Das wichtigste Anliegen für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes war es, die vier Grundfreiheiten – ungehinderter Warenverkehr, freier Kapitalverkehr, unbeschränkter Personenverkehr und freier Austausch von Dienstleistungen – in der Europäischen Union zu gewährleisten. Zwar war dies bereits in den Römischen Verträgen verankert, Ende der achtziger Jahre bestanden aber noch erhebliche Hemmnisse. Dazu gehörten vor allem die nicht-tarifären Handelshemmnisse in Form von unterschiedlichen nationalen technischen Standards, von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf Zulassungsverfahren für Anbieter von Dienstleistungen und Benachteiligungen von ausländischen Anbietern bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Das Programm bestand im Wesentlichen aus knapp 300 Richtlinien, die nach und nach beschlossen worden sind, wenn auch mit zeitlichen Verzögerungen. So waren ein halbes Jahr nach dem anvisierten Termin 31.12.1992 erst knapp 94% der Richtlinien durch den Ministerrat der Europäischen Union verabschiedet worden und knapp 93% als Gemeinschaftsrecht in Kraft getreten (Schreiber 1994). Es brauchte darüber hinaus deutlich mehr Zeit, die Richtlinien als nationales Recht zu verankern. Ende 1999 waren knapp 13% der Richtlinien
2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes
nicht in allen Mitgliedstaaten umgesetzt; zu den größten Nachzüglern zählten Frankreich, Luxemburg und Griechenland, während die skandinavischen Länder Spitzenreiter bei der Umsetzung waren (Nienhaus u. Busche 2000). Im Juli 2007 betrug das Umsetzungsdefizit nach Angaben der Europäischen Kommission 1,6% (KOM(2007) 1521). Verschiedene Aspekte hatten zu einer Beschleunigung der Integrationsfortschritte geführt. Einmal wurde für viele Bereiche zu Mehrheitsentscheidungen übergegangen. Zum anderen wurden nur in Ausnahmefällen, bei denen ein besonderes Schutzbedürfnis vorliegt, noch detaillierte europäische Produktstandards entwickelt, die dann einheitlich in allen Mitgliedstaaten zu gelten haben. Stattdessen wurde von dem Instrument der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Normen und Standards stärker Gebrauch gemacht; dieser Weg war durch das Cassis de DijonUrteil des Europäischen Gerichtshofes eröffnet worden.2 In den übrigen Fällen wird durch die Union nur ein Rahmen für die wichtigen Anforderungen an Produkte und Produktgruppen vorgegeben, der von den europäischen Normungsinstituten3 durch Normen ausgefüllt wird. Wenn das Produkt die europäische Norm erfüllt, ist seine Marktgängigkeit für den gesamten Binnenmarkt sichergestellt. Alles dies hat die Freiheit des Warenverkehrs weitgehend gewährleistet. Dies war auch mit einer tiefgreifenden Liberalisierung vormals stark regulierter Bereiche verbunden, die sich vielfach in öffentlicher Hand befanden oder an denen die öffentliche Hand Mehrheitsbeteiligungen hielten, darunter vor allem die Bereiche Verkehr, Energie, Post und Telekommunikation. Mit den technischen Schranken, die für den Warenverkehr fast vollständig abgebaut wurden, sind seit dem 1.1.1993 im Zuge der Harmonisierung der Mehrwertsteuer auch die materiellen Schranken, d. h. die innergemeinschaftlichen Grenzkontrollen, entfallen. Dies gilt nach der Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen auch für den völlig ungehinderten Kapitalverkehr. 2 Urteil des Gerichtshofes vom 20.2.1979, nach dem ein Likör, der in einem Mitgliedstaat nicht als gesundheitsschädlich gilt, auch in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden darf. Dabei kommt es nicht auf die nationalen Normen für die Likörproduktion an. Rechtssache 120-78. http://europa.eu.int/servlet/portail/RenderServlet. 3 Dazu gehören vor allem CEN (Europäisches Komitee für Normung) und Cenelec (Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung).
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Mit dem schrittweisen Inkrafttreten des Schengener Abkommens sind zwar auch die Personenkontrollen an den Binnengrenzen beseitigt, die Freizügigkeit der Bürger und Bürgerinnen der Union ist gleichwohl nicht unumschränkt gewährleistet. Bei Arbeitnehmern und Selbständigen gibt es kaum Beschränkungen, sie liegen in den Unterschieden der Ausbildungssysteme, die eine gegenseitige Anerkennung der Berufsabschlüsse – insbesondere bei Akademikern – schwierig macht. Hier gab es 2007 entscheidende Fortschritte bei der Rechtsangleichung. Personen, die nicht erwerbstätig sind – dazu gehören auch Studenten und Rentner –, wird ein generelles Aufenthaltsrecht aber nur dann zugestanden, wenn sie dem Staat nicht zur Last fallen, also nicht das Sozialtransfersystem in Anspruch nehmen. Handlungsbedarf besteht vor allem noch für die Herstellung der Dienstleistungsfreiheit. Zwar hat sich auch hier die gegenseitige Anerkennung bei der Zulassung der Geschäftstätigkeit von Dienstleistungsunternehmen durchgesetzt, so dass solche Unternehmen ihre Leistungen auch über die Landesgrenzen ihres Firmensitzes hinaus in der Union anbieten können. Mit der Dienstleistungsrichtlinie vom Dezember 2006, die bis Ende 2009 in nationales Recht umgesetzt sein soll, ist hier auch ein wichtiger Schritt vorwärts gemacht worden (Richtlinie 2006/123/EG, ABl. L 376 v. 27.12.2006). Gleichwohl werden auch dann noch gravierende Hindernisse bestehen, nicht zuletzt aus Gründen des Schutzes für Sicherheit, Gesundheit und öffentliche Ordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Auch stößt die Rechtsangleichung bei inzwischen 27 Mitgliedern an Grenzen (Mickel, Bergmann 2005). Ohne Zweifel hat die bessere Gewährleistung der vier Grundfreiheiten für die Wirtschaft große Vorteile gebracht. Sie sind in dem ungehinderten Zugang zu den zuvor teilweise abgeschotteten nationalen Märkten der Mitgliedstaaten zu sehen. Dies erlaubt die Produktion in größeren Serien, senkt die Kosten der Distribution von Wirtschaftsgütern, vermindert die unternehmerischen Risiken, sich neue Absatzmärkte innerhalb der Gemeinschaft zu erschließen, und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auch gegenüber Ländern außerhalb der Europäischen Union. Das Binnenmarktprogramm zielt auf einheitliche Wettbewerbsbedingungen im gesamten Wirtschaftsraum der EU. Insofern begünstigt es nicht einzelne Standorte in besonderer Weise. Da die Hemmnisse, die beseitigt wurden, die heimischen Märkte schützten,
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
steht für die Unternehmen dem Vorteil, einen besseren Zugang zu Auslandsmärkten zu erhalten, der Nachteil gegenüber, auf dem heimischen Markt mit weiteren Konkurrenten rechnen zu müssen. Generell nehmen Wettbewerbsdruck und Konkurrenz in einem einheitlichen Binnenmarkt zu. Dies führt letztlich zu mehr gesamtwirtschaftlicher Effizienz, erzwingt aber auch mehr Strukturwandel und Anpassung. Deutschland ist traditionell besonders exportorientiert. Insofern könnte es durch den vereinfachten Zugang zu den Märkten der anderen Mitgliedstaaten auch in besonderer Weise profitiert haben, zumal die deutsche Wirtschaftspolitik schon frühzeitig auf einen freien Welthandel gesetzt und für das Ausland einen verhältnismäßig ungehinderten Zugang zum deutschen Inlandsmarkt geschaffen hatte und deshalb nicht durch die Vollendung des Binnenmarktes unter starken Wettbewerbsdruck geraten musste. Eindeutige empirische Belege gibt es freilich nicht dafür.
2.2.2.2 Abbau von Steuergrenzen Ein wichtiger Bestandteil des Binnenmarktprogramms war auch der Abbau der Steuergrenzen innerhalb der Europäischen Union. Dies war eine Voraussetzung, um die Grenzkontrollen beim Warenverkehr entfallen zu lassen. Direktkäufe von Verbrauchern waren streng reglementiert; es galten Höchstgrenzen im Hinblick auf Mengen und den Wert, damit die Besteuerung im Bestimmungsland des Verbrauches nicht unterlaufen werden konnte. Dafür sprach angesichts der großen Unterschiede in den Sätzen bei der Mehrwertsteuer, aber auch bei den Sonderverbrauchsteuern auf Genussmittel und auf Mineralölprodukte, neben Aspekten des fairen Wettbewerbs nicht zuletzt das fiskalische Interesse der Staaten. Für die indirekten Steuern sieht der EG-Vertrag die Harmonisierung vor, soweit dies für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist.4 In der Tat können nationale Unterschiede bei den indirekten Steuern, die auf die Preise aufgeschlagen werden (sollen), den Wettbewerb beeinträchtigen, weil dies bei sonst gleichen Kostenstrukturen zu entsprechend unterschiedlichen Angebotspreisen oder unterschiedlichen Gewinnmargen führen muss. Zu einer vollständigen An4 Artikel 93 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 29.12.2006.
gleichung der Steuersätze waren die Mitgliedstaaten allerdings nicht bereit, so dass es zu der Einführung von Mindestsätzen kam, die bei der Mehrwertsteuer für normal besteuerte Umsätze auf 15%, für ermäßigt besteuerte Umsätze auf 5% festgelegt wurden. Bei den Sonderverbrauchsteuern sind dies nach einzelnen Produkten differenzierte Mindestsätze, auf der Basis einer Mengensteuer oder einer Kombination von Mengenund Wertsteuerelementen. Insgesamt wurde am Bestimmungsland festgehalten. Damit sind faktisch die nationalen Steuergrenzen aufrechterhalten worden, wenn auch die Kontrolle über die Einhaltung der Besteuerungsgrundsätze nicht mehr an den Landesgrenzen, sondern durch die Finanzämter auf der Basis von Meldungen der Unternehmen erfolgt. So bleiben freilich weitgehend die Anreize erhalten, Steuersatzunterschiede im Binnenmarkt auszunutzen und das Bestimmungslandprinzip zu unterlaufen. Um dies einzudämmen, wurden die Möglichkeiten privater Haushalte, im Wege des Versandhandels Lieferungen aus anderen EU-Ländern zu bestellen und so von den dort niedrigeren Steuersätzen zu profitieren, begrenzt. Gleiches gilt für Automobile, selbst wenn sie direkt vom Kunden im Ausland gekauft werden; hier wird im Rahmen der heimischen Zulassung eine Nachversteuerung5 vorgenommen. Auch hat sich das Bestimmungslandprinzip, das als Übergangslösung vorgesehen war, als missbrauchsanfällig erwiesen, vor allem im Hinblick auf den Vorsteuerabzugsbetrug (Bach et al. 2001). Neue Herausforderungen für den Fiskus erwachsen aus der Verbreitung des elektronischen Handels, der die ordnungsgemäße Besteuerung von Umsätzen zunehmend schwieriger macht. Alles in allem hat die europäische Harmonisierung der indirekten Besteuerung wenig Vorteile für die Unternehmen gebracht, im Gegenteil: Die Bilanz fällt überwiegend negativ aus. Denn der Wegfall der Grenzkontrollen wurde mit der Einführung von komplizierten materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen und mit einem hohen Verwaltungsaufwand in den Unternehmen „erkauft“ (Ursprungslandkommission 1994). Allerdings ist auch hier der Standort Deutschland nicht spezifisch betroffen, denn die Regeln und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die Unternehmen gelten – von Unterschieden in der natio5
Im Wege der Entlastung von Umsatzsteuern des Herkunftslandes und der Belastung mit der heimischen Umsatzsteuer.
2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes
nalen Verwaltungspraxis einmal abgesehen – europaweit.
2.2.2.3 Europäische Wirtschaftsund Währungsunion Eine einschneidende Veränderung der Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaften war die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zum 1.1.1999, der die meisten der damaligen 15 Mitgliedstaaten beitraten. Griechenland erfüllte anfangs nicht die fiskalischen und Stabilitätskriterien und trat der EWU mit zwei Jahren Verspätung bei. In Schweden gibt es unter anderem institutionellen Defizite, darüber hinaus aber auch einen Parlamentsbeschluss, nicht von Beginn an der EWU anzugehören. Dänemark und Großbritannien hatten sich eine opting-out Klausel vertraglich ausbedungen und entschieden sich aus zumeist innenpolitischen Gründen gegen die Mitgliedschaft, obwohl sie die Kriterien erfüllten. Von den neuen EU-Mitgliedstaaten gehören Malta, Slowenien und Zypern zur EWU. In der EWU wurden die Wechselkurse der teilnehmenden Länder untereinander unwiderruflich festgelegt, von Beginn des Jahres 2002 an gibt es für alle wirtschaftlichen Transaktionen nur noch die gemeinschaftliche Währung Euro. Für die Geldpolitik ist Europäische Zentralbank (EZB) verantwortlich, sie ist unabhängig, vorrangig der Geldwertstabilität verpflichtet und soll dabei die Wirtschaftpolitik unterstützen. Für die Unternehmen spricht eine Reihe von Vorteilen für eine EWU. So entfallen mit einer einheitlichen Währung Transaktionskosten, darunter auch Kosten zur Kurssicherung gegen das Risiko von Wechselkursänderungen, und es besteht eine größere Planungssicherheit für den Außenhandel und die Investitionen. Freilich gab es gerade von deutscher Seite anfänglich Vorbehalte dagegen, die D-Mark, die weltweit als stabile Währung angesehen wurde und wohl auch deshalb neben dem US-Dollar als Reservewährung genutzt worden war, für den Euro aufzugeben, der sich seine internationale Reputation erst erarbeiten musste. Die Kursentwicklung des Euro gegenüber dem Dollar schien den Skeptikern zunächst Recht zu geben, denn der Euro war nach der Einführung erst einmal von Schwäche geprägt. Aus diesem kritischen Blickwinkel wird allerdings übersehen, dass ein schwacher Eu-
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ro die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum eher begünstigt. Zwar hatten sich in der Einführungsphase wechselkursbedingt die Importe von außerhalb des Euroraumes verteuert, allerdings ohne dass es zu inflationären Schüben gekommen war. Die Ausfuhren in Drittstaaten wurden aber merklich gestützt, und so wurden Wachstumsimpulse gegeben, als die binnenwirtschaftliche Entwicklung noch nicht dynamisch genug war, um den Abbau der hohen Arbeitslosigkeit entscheidend voranzubringen. Davon haben die deutschen Unternehmen in besonderem Maße profitiert. Inzwischen hat der Euro erheblich an Stärke gewonnen, was der Exportwirtschaft nun das Geschäft auf außereuropäischen Märkten erschwert, aber für importierte Vorleistungen, insbesondere für Mineralöl, den Preisanstieg etwas gedämpft hat. Die Einführung des Euro brachte für die einzelnen Mitgliedstaaten eine einschneidende Veränderung: Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, der in einem Land etwa mit stabilitätswidrigen Lohnerhöhungen einhergeht, kann nicht mehr durch eine Abwertung der heimischen Währung ausgeglichen werden – ein bei flexiblen Kursen durchaus üblicher Anpassungsmechanismus. Vielmehr ist nun die Lohnpolitik stärker gefordert, um die Schieflage durch moderate Lohnsteigerungen zu korrigieren. Zur Orientierung kann die Entwicklung der Lohnstückkosten dienen. Diese geben das Zusammenspiel von Produktivitätsentwicklung und Lohnentwicklung wieder. Bleibt die Lohnstückkostenentwicklung eines Landes auf einem Pfad, der dem der wichtigsten Handelspartner entspricht, bleibt die preisliche Wettbewerbsfähigkeit grosso modo gewahrt. Liegt sie darüber, so verliert das Land an Wettbewerbsfähigkeit und vice versa.
2.2.2.4 EU-Erweiterung Eines der anspruchsvollsten Vorhaben der Europäischen Union ist die Erweiterung der Gemeinschaft nach Osten. Acht der zehn Beitrittsbewerber aus Mittel- und Osteuropa wurden nach schwierigen Verhandlungen zusammen mit Zypern und Malta zum 1.4.2004 in die EU als Vollmitglieder aufgenommen. Bulgarien und Rumänien sind 2007 beigetreten, Kroatien, Mazedonien und die Türkei sind weitere Beitrittskandidaten. Den übrigen Balkanstaaten stehen die Perspektiven eines EU-Beitritts offen. Die größere Zahl an Mitgliedsländern macht institutionelle Re-
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
formen notwendig, die erst in Ansätzen durchgeführt worden sind (Lippert 2000) und nur schwer vorankommen. Reformen sind aber auch in der materiellen Politik der Union erforderlich, vornehmlich in der Agrarpolitik und der regionalen Strukturpolitik. Denn es handelt es sich bei den neuen Mitgliedsländern und den Beitrittskandidaten zumeist um Länder, die zur Europäischen Union ein enormes Wohlstandsgefälle aufweisen, so dass hier Konvergenzprozesse eingeleitet werden müssen, die beim gegebenen Zuschnitt der gemeinsamen Politik leicht die Union finanziell überfordern könnte (Weise 2001a; 2001b). Die Lage hat sich zuletzt eher zugespitzt, da die Finanzpolitik in den meisten Mitgliedstaaten noch von Konsolidierungszwängen beherrscht wird, so dass gerade die großen EU-Länder zu einer Aufstockung der Mittel des EU-Haushaltes kaum bereit sind, sondern eher noch den Rotstift ansetzen wollen. Die Osterweiterung hat die geopolitische Lage der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich verändert. Deutschland, das die Grenze nach Osten bildete, rückt in einer erweiterten Gemeinschaft in den geografischen Mittelpunkt. Dies bietet Chancen und Risiken zugleich. Chancen ergeben sich dadurch, dass sich wachsende Absatzmärkte für die deutsche Wirtschaft nun in unmittelbarer Nähe befindet, ein Vorteil, den Deutschland nur noch mit Österreich teilt. Zwar wurden die Märkte durch die Handels- und Kooperationsabkommen sowie die Europaabkommen mit den künftigen Mitgliedstaaten im Laufe der 90er Jahre schrittweise geöffnet, der Handelsaustausch wird sich aber mit fortschreitender Integration dieser Länder vertiefen. Dies bietet nicht nur Absatzchancen, sondern könnte Deutschland auch zur Drehscheibe des Handels zwischen West und Ost werden lassen. Das Muster, nach dem sich bisher die Arbeitsteilung im Handel zwischen den EU-Staaten und den Beitrittsländern entwickelt hat, zeigt eine Spezialisierung der künftigen Mitgliedsländer auf rohstoff- und arbeitsintensive Produkte, auch im Wege der Lohnveredlung (Dauderstädt 2000). Damit entsteht zunächst für die südeuropäischen Mitgliedsländer, so Portugal und Spanien, ein größerer Konkurrenzdruck, während beispielsweise Deutschland mit seinen Stärken vor allem bei kapitalund zunehmend auch wissensintensiven Investitionsgütern auf eine zusätzliche Nachfrage trifft, zumal im Aufholprozess in diesen Ländern ein großer Bedarf an Sachkapitalinvestitionen besteht (Brenton 1999).
Aus der regionalen Nähe erwachsen freilich auch Risiken. Denn hier grenzen Länder aneinander, die von einem starken Wohlstandsgefälle und entsprechend großen Unterschieden im Lohnniveau gekennzeichnet sind. Zugleich weisen die Erwerbstätigen der postsozialistischen Staaten mit langer Tradition einer industriellen Produktion vergleichsweise gute berufliche Qualifikationen auf. Unternehmen, die vor allem für regionale Märkte produzieren und dabei einfache und mittlere Technologien anwenden, können daher unter erheblichen Wettbewerbsdruck geraten. Ein erfolgreicher Aufholprozess erfordert aber auch, dass die Beitrittsländer auch in Bereichen wettbewerbsfähig werden, in denen hohe Einkommen erzielt werden können. Dies wird wiederum in den weiter vorangeschrittenen EU-Ländern zu Anpassungsdruck und Strukturwandel führen, darunter auch in Deutschland.
2.2.3 Nationale Determinanten Im Vorangegangenen wurde gezeigt, dass die Regelungen für den europäischen Binnenmarkt darauf angelegt sind, einheitliche Bedingungen für den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union zu schaffen. Dies bringt Erleichterungen für die Unternehmen beim Marktzugang, beseitigt Vorzugsstellungen, beschränkt die nationalen Interventionsmöglichkeiten von Seiten der Regierungen der Mitgliedstaaten zu Gunsten der Wirtschaft und verschafft der europäischen Ebene bei der Durchsetzung der einschlägigen Normen und Bestimmungen einen größeren Einfluss. Allerdings richtet sich das Binnenmarktprogramm nicht an einzelne Mitgliedstaaten oder gar Gruppen von Unternehmen. Dies schließt nicht aus, dass einzelne Regionen oder Branchen davon besonders betroffen sind. Denn es entfällt zugleich die Schutzfunktion, die verschiedene Regulierungen, u. a. Zulassungsbeschränkungen, Behinderungen im Außenhandel, Akzeptanz regionaler oder nationaler Monopolstellungen, für die nationale Wirtschaft hatten. Hier entsteht ein nicht unerheblicher Wettbewerbsdruck. Dies gilt insbesondere für Länder, die von solchen Regelungen stärker als anderer Gebrauch gemacht hatten. Zu diesen zählt Deutschland nach allgemeiner Auffassung unter den Ländern der Europäischen Union eher nicht, so dass die Bilanz hinsichtlich des Binnenmarktprogramms – für sich genommen – positiv ausfällt.
2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes
Die Schaffung europaweit einheitlicher Wettbewerbsbedingungen führt jedoch dazu, dass die Eigenheiten bei den nationalen Rahmenbedingungen für die Konkurrenzsituation der Unternehmen aus den verschiedenen Ländern stärker ins Gewicht fallen, da sie nun nicht mehr über geldpolitische, finanzpolitische oder auch ordnungspolitische Maßnahmen abgefedert werden können. Die wichtigsten Bereiche, die den Rahmen für unternehmerische Entscheidungen prägen und nach wie vor national bestimmt werden, sind die Steuerpolitik, die Gestaltung der sozialen Sicherung und die Lohnbildungsprozesse.
2.2.3.1 Steuer- und Finanzpolitik Wie bereits geschildert, hat auf der europäischen Ebene eine Harmonisierung hauptsächlich bei den indirekten Steuern stattgefunden. Aus den Verträgen ließe sich eine weitergehende Harmonisierung – etwa im Bereich der direkten Steuern - nur insoweit ableiten, als dies für die Gewährleistung der vier Grundfreiheiten erforderlich ist, nicht aber um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung im europäischen Binnenmarkt zu erreichen (Weise et al. 1998; Birk 1996). Infolgedessen ist die Besteuerung der Unternehmen und Personen in der Europäischen Union von merklichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Vielfach wird die Steuerbelastung der Unternehmen als ein wichtiger Standortfaktor gesehen. Insbesondere bieten multinationale Verflechtungen ideale Möglichkeiten, die Belastungsunterschiede im Wege der Gestaltung von Geschäftsbeziehungen innerhalb des Konzerns auszunutzen. Dies gilt insbesondere für das Finanzkapital (Weise et al. 1998). Infolgedessen fällt es den nationalen Steuerbehörden schwerer, mobile Produktionsfaktoren wie unternehmerische Tätigkeit, Kapital und freie Berufe, zu besteuern. Dies hat in den letzten Jahren auch zu einem gewissen Steuerwettbewerb geführt. Von der Mitte der achtziger Jahre an wurden in vielen Ländern der EU und darüber hinaus die Unternehmenssteuern, vor allem die Körperschaftsteuer gesenkt. Auch kam es zur Gewährung von Steuervergünstigungen im Rahmen der regionalen oder sektoralen Wirtschaftsförderung, mit denen gezielt Finanzkapital, dazugehörige Dienstleistungen sowie einkommensstarke und vermögende Privathaushalte angesprochen werden sollten. Dies hat die Europäische Kommission veranlasst, sich wieder stärker
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der Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der Union zuzuwenden (Döring, Fromm 1995, Kommission 1996). Ende 1997 haben sich die Mitgliedstaaten auf einen Verhaltenskodex zur Vermeidung eines unfairen Steuerwettbewerbs verständigt, der die Abschaffung eines ganzen Katalogs an diskriminierenden steuerlichen Praktiken vorsieht. Seit dem 1.7.2005 sind die Finanzinstitutionen der Mitgliedstaaten verpflichtet, sich gegenseitig über die Zinserträge Gebietsfremder zu informieren, um Schlupflöcher bei der Einkommensbesteuerung zu schließen. Im Übergang auf dieses Informationssystem können Belgien, Luxemburg und Österreich zunächst eine Quellensteuer auf Zinserträge erheben. Innerhalb der OECD gibt es ebenfalls vergleichbare Bemühungen gegen unfairen Steuerwettbewerb und Steuerschlupflöcher. Insgesamt ist freilich die Besteuerung von Unternehmensgewinnen und von Einkommen privater Haushalte international nach wie vor sehr unterschiedlich. Für die Unternehmensbesteuerung gilt dies nicht nur in Bezug auf die Steuersätze, sondern auch im Hinblick auf die Bemessungsgrundlagen und Gewinnermittlungsvorschriften. Auch unterscheiden sich die Körperschaftsteuersysteme in der Behandlung der ausgeschütteten Gewinne bei der Einkommensbesteuerung. Hier stehen Doppelbesteuerungen, z. T. mit Tarifermäßigungen, und Teil- oder Vollanrechnungen nebeneinander. Ein erster Schritt wäre die Einführung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, was die EU-Kommission anstrebt. Im Zuge der jüngsten Steuerreformen hat sich die Position Deutschlands im internationalen Vergleich bei der Unternehmensbesteuerung deutlich verbessert. Infolge der in vielen Ländern in den achtziger und neunziger Jahren durchgeführten Steuersenkungen bei der Körperschaftsteuer war Deutschland, das Ende der achtziger Jahre noch im Mittelfeld gelegen hatte (Seidel et al. 1989), zu einem Hochsteuerland geworden. Mehrere Steuerreformen, zuletzt die von 2008 an wirksame Unternehmenssteuerreform, haben dafür gesorgt, dass Steuertarife nun international gesehen eher im mittleren bis unteren Bereich liegen. Die Standortbedingungen sind infolgedessen aus steuerlicher Sicht für die Unternehmen insgesamt positiv zu beurteilen. Freilich ist die Besteuerung nur die eine Seite der Medaille staatlicher Eingriffe. Für die Standortbedingungen kommt es aber auch darauf an, wie der Staat die Mittel, die er über Steuern einnimmt, verwendet. Für die Unternehmen ist hierbei die Bereitstellung
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von Infrastruktur von großer Bedeutung. Dazu gehören nicht nur die verkehrliche Erschließung sowie die Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen, sondern auch ein leistungsfähiges Bildungssystem und eine effiziente Wissenschafts- und Forschungslandschaft, die den Unternehmen ein hohes Innovationspotential bietet. Deutschland gilt auch hier unter den Ländern der Europäischen Union durchaus als führend.
2.2.3.2 Soziale Sicherung In den letzten Jahren ist auch die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme intensiv diskutiert worden. Das kontinentaleuropäische Modell ist auf eine staatlich garantierte Pflichtversicherung nach dem Umlageverfahren aufgebaut. Dies ist mit einer Umverteilung von Einkommen zwischen den Beitragszahlern und den Leistungsempfängern verbunden; in dem Maße, in dem der Leistungsanspruch nicht unmittelbar nach den gezahlten Beiträgen bemessen wird, kommt es darüber hinaus zu Umverteilungseffekten. Sie sind im Vergleich zu privaten Versicherungssystemen den Sozialsystemen inhärent. Der Umfang, in dem solche Verteilungswirkungen angelegt sind, ist von Land zu Land unterschiedlich. Die Akzeptanz der Systeme in der Bevölkerung ist durchaus damit verbunden, wie weit eine angemessene Absicherung mit den eigenen Beiträgen auch längerfristig erwartet werden kann. Je höher die Pflichtbeiträge sind und je mehr versicherungsfremde Leistungselemente vom System abgedeckt werden, desto größere Probleme entstehen hinsichtlich der Akzeptanz des Systems. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Gesellschaften der hoch entwickelten Industriestaaten zunehmend altern, so dass bei der Altersversorgung immer mehr Rentner immer weniger Beitragszahlern gegenüberstehen. Bei unverändertem Leistungsniveau bedeutet dieser steigende Beitragssatz damit aber auch höhere Lohnkosten für die Arbeitgeber, denn die Pflichtbeiträge werden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragen. Die durchgängig hälftige Aufteilung, die in Deutschland üblich ist, findet man nur in wenigen Ländern. In den europäischen Partnerländern ist der Arbeitgeberbeitrag zumeist deutlich höher als der Teil, den die Arbeitnehmer aus ihrem Bruttoentgelt zu leisten haben. Insgesamt haben die Sozialbeiträge in Deutschland ein beträchtliches Gewicht; im Jahr 2007 wa-
ren es 16,5% des Bruttoinlandsproduktes. Eine ähnliche Größenordnung hatten sie in Frankreich, in den anderen großen EU-Ländern war die Relation niedriger. Freilich spielt bei diesem Vergleich eine Rolle, dass das Gesundheitssystem in anderen Ländern z. T. staatlich organisiert ist und durch Steuern finanziert wird. Zum Teil deckt die Altersvorsorge auch nur eine Grundsicherung ab, so dass die Versicherten zur Lebensstandardsicherung zusätzlich beträchtliche eigene Leistungen aufwenden müssen. Bezieht man daher in den Vergleich auch die Steuerlast mit ein, so ist das Bild im Vergleich der EU-Länder deutlich ausgewogener. Insgesamt ist in den meisten Ländern, so auch in Deutschland, eine Tendenz zu beobachten, die Beitragssätze zu den Sozialversicherungen zumindest zu stabilisieren – wenn nicht zu senken –, um die Systeme nicht zu überfordern, und zwar sowohl hinsichtlich der Belastung, die mit der Alterung der Gesellschaft einhergeht, als auch mit Blick auf die Lohnkosten. Hier besteht auch in Deutschland noch Reformbedarf. Insbesondere die Entlastung der Sozialbeiträge von den versicherungsfremden Leistungen sollte dabei im Vordergrund stehen. Damit könnten die Lohnnebenkosten wirksam gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen weiter gestärkt werden.
2.2.3.3 Lohnpolitik Ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist das herrschende Lohn- und Produktivitätsniveau. Dies gilt im europäischen Binnenmarkt umso mehr, als durch die Einführung des Euro und damit die unumkehrbare Festschreibung der zuvor nationalen Wechselkurse in der Wirtschafts- und Währungsunion ein wichtiger Anpassungsmechanismus, der den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kompensieren, aber auch den Gewinn an Wettbewerbsfähigkeit wieder zunichte machen kann, verloren gegangen ist.6 Wichtige Bestimmungsgründe bei der Lohnfindung sind die wirtschaftliche Entwicklung und der damit einhergehende Produktivitätsfortschritt sowie die jeweilige Situation am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus spielen aber auch die institutionellen Rahmenbedingungen für die Lohnfindung eine wesentliche Rolle (Horn et al. 1999). Für die Wettbewerbsfähigkeit 6
Vgl. auch Abschn. 2.2.2.3.
2.2 Standort Deutschland im Kontext des europäischen Binnenmarktes
ist es von zentraler Bedeutung, dass der gesamtwirtschaftliche Spielraum nicht überzogen wird. Dieser ist durch den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und eine unvermeidbare Preissteigerungsrate gegeben. Sind die Tarifverhandlungen von Verteilungskonflikten geprägt, orientieren sich die Lohnforderungen der Gewerkschaften an den hochproduktiven Bereichen, in denen folglich hohe Lohnsteigerungen verkraftet werden können, oder konkurrieren Richtungsgewerkschaften mit unterschiedlicher ideologischer Prägung über ihre Erfolge bei den Lohnverhandlungen um Mitglieder, dann ist die Gefahr groß, dass im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt zu hohe Lohnsteigerungen resultieren und eine Lohn-PreisSpirale auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit in Gang setzen. In einzelnen Ländern der Europäischen Union, so in Spanien, sind die Löhne zudem an Preissteigerungsraten gebunden. Hier war damit ursprünglich beabsichtigt, die Lohndynamik zu bremsen, indem die Lohnfindung von den Erwartungen über die Preissteigerungsraten – sie orientieren sich üblicherweise an den aktuellen Raten – abgekoppelt wurde. Der Stopp bei der Lohn-Preis-Spirale gelang in den neunziger Jahren auch in einem Umfeld stark nachlassender Preisdynamik. Wenn aber die Inflationsraten im Zusammenhang mit externen Schocks, wie den kräftig gestiegenen Erdölpreisen und der Angebotsverknappung bei agrarischen Rohstoffen, wieder zunehmen, ist die Indexierung ein untaugliches Instrument, weil sie die Lohn-Preis-Spirale wieder in Gang setzt (Rietzler u. Lommatzsch 2001). Deutschland hat hier im Vergleich zu den anderen Ländern, die dem Euroraum angehören, merkliche Standortvorteile. Denn die institutionellen Rahmenbedingungen für die Lohnfindung tragen zu einer eher moderaten Lohnpolitik bei. Gegliederte Einheitsgewerkschaften und Flächentarifverträge bedingen, dass die Lohnforderungen sich merklich an der gesamtwirtschaftlichen Rationalität orientieren. Dies zeigt das Ergebnis der Lohnverhandlungen über einen längeren Zeitraum, auch im internationalen Vergleich. Die Preissteigerungen, die in Deutschland im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen waren, waren vergleichsweise gering, die Lohnsteigerungen waren im Durchschnitt moderat, und die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten blieb deutlich unter der wichtiger Handelspartner in der Europäischen Union und darüber hinaus (Horn et al. 2007). Die preisliche
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Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft konnte von daher nicht nur behauptet, sondern tendenziell sogar ausgebaut werden. Dies galt schon zu Zeiten flexibler Wechselkurse. Hier folgte dem Wettbewerbsvorteil unterdurchschnittlich zunehmender Lohnstückkosten häufig jedoch die Aufwertung der D-Mark. Da die Kurse in dem damals herrschenden Wechselkursregime7 zum Überschießen neigten, wenn es zu Korrekturen der Kurse kam, gingen für Deutschland die Wettbewerbsvorteile nicht nur immer wieder verloren, sondern es kam zwischenzeitlich sogar zu Wettbewerbsnachteilen aus überzogenen Aufwertungen. Bei der herrschenden stabilitätsorientierten Lohnpolitik profitiert infolgedessen die deutsche Wirtschaft im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit im Besonderen von der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
2.2.4 Fazit Der europäische Binnenmarkt und die im Gefolge des Binnenmarktes erzielten gewichtige Integrationsfortschritte innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus haben für die Unternehmen neue Rahmenbedingungen geschaffen. Diese formen eine einheitliche Grundlage für den Wettbewerb der Unternehmen untereinander; der Einfluss nationaler Wirtschaftspolitik hat demgegenüber an Bedeutung verloren. Damit entfallen aber auch zu einem merklichen Teil die Möglichkeiten der Begünstigung der heimischen Wirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz; der Wettbewerb ist insofern härter geworden. Dies fördert die wettbewerbstarken Unternehmen, auch zugunsten der Verbraucher. In dieser Situation machen sich Unterschiede in den nationalen Rahmenbedingungen für die nationale Wettbewerbsposition stärker bemerkbar. Neben den Steuer- und Abgabenbelastung und der produktiven Verwendung der Steuermittel spielt die Lohnpolitik hier eine zentrale Rolle. Im Zusammenspiel europäischer Wettbewerbsbedingungen und nationaler Politikspielräume hat die deutsche Wirtschaft innerhalb der Europäischen Union eine wettbewerbsstarke Position. Sie profitiert als eine traditionell stark auf Auslandsmärkte 7 Die Länder innerhalb der EU hatten vereinbart, den Außenwert ihrer Währungen innerhalb bestimmter Spannbreiten schwanken zu lassen.
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ausgerichtete Wirtschaft in besonderem Maße von dem leichteren Zugang zu den Märkten der anderen EU-Mitgliedstaaten. Darüber hinaus sind viele für die Wettbewerbsfähigkeit bedeutsame Faktoren im europäischen Vergleich als günstig einzuschätzen. Hierzu hat die Politik in Deutschland in den letzten Jahren auch die Weichen gestellt. Gleichwohl gibt es auch Risiken. Der Wettbewerbsstärke auf den Auslandsmärkten stand eine nur schwache Inlandsnachfrage gegenüber. Selbst im Konjunkturaufschwung in den Jahren 2004 bis 2007 blieb das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte nahezu unverändert und der private Verbrauch nahm nur geringfügig zu (Horn et al. 2008). Es bedarf zusätzlicher Impulse für den privaten Verbrauch, um die Wettbewerbsstärke der deutschen Wirtschaft in ein nachhaltiges dynamisches Wirtschaftswachstum umzusetzen. Dafür gilt es, die finanzpolitischen und die lohnpolitischen Weichen zu stellen.
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2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft Die Bedeutung von Dienstleistungen für die deutsche Wirtschaft nimmt ständig zu. Dies zeigt sich auch daran, dass Dienstleistungen immer häufiger zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft herangezogen werden. Gefördert wird der Trend zur „Dienstleistungsgesellschaft“ durch demographische, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen sowie durch Entwicklungen der Märkte und des Konsumentenverhaltens. Ein Wachstum des Dienstleistungsangebots gibt es nicht nur bei den „klassischen“ Dienstleistern, sondern immer häufiger auch bei produzierenden Unternehmen, die z. B. Dienstleistungen in Verbindung mit ihren Produkten anbieten. Diese produktbegleitenden Dienstleistungen bieten den Unternehmen vielfach auch eine Chance, die eigentliche Wertschöpfung zu erhalten und so auch langfristig die Existenz der Unternehmen zu sichern. Die Dienstleistungsorientierung hat starke Auswirkungen auf die Unternehmensorganisation und erfordert eine konsequente Kunden-, Qualitäts- und Prozessorientierung.
2.3.1 Bedeutung des tertiären Sektors für den Wirtschaftsstandort Deutschland Dienstleistungen gewinnen in der deutschen Wirtschaft – und darüber hinaus in allen industriell entwickelten Ländern – in zunehmendem Maße an Bedeutung. Gegenüber der Land- und Forstwirtschaft (primärer Sektor) und dem produzierenden Gewerbe (sekundärer Sektor) nimmt das Gewicht des tertiären Sektors (Handel und Verkehr, Dienstleistungsunternehmen, Staat, private Haushalte u. ä.) seit Jahrzehnten zu. Mit dem technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt geht in den „Industrie“-Ländern ein Wandel der Wirtschaftsstruktur weg vom produzierenden Gewerbe einher. Wurde in früheren Jahren z. B. die Stahlerzeugung pro Kopf der Bevölkerung als Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft angesehen, so ist heute vielmehr die Transport- bzw. Dienstleistungsintensität ein zeitgemäßer Indikator (z. B. Anzahl an Übernachtungen und Flugbuchungen,
47
Angebot an Fernsehprogrammen, Zahl der Mobilfunkteilnehmer). Abbildung 2.15 veranschaulicht diese Entwicklung an Hand der Zunahme des Anteils des tertiären Sektors an der Bruttowertschöpfung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Daten deuten auf eine besondere – nicht lineare – Dynamik hin: Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland kommt dem tertiären Sektor ein Anteil von 68% (2000) an der Bruttowertschöpfung zu. Der Anteil der Beschäftigung im tertiären Sektor stieg zwischen 1950 und 2000 von 32,9% auf 66,5% (Abb. 2.16). Dabei sind nach wie vor Zuwachsraten zu verzeichnen. Mit diesen Zahlen gehört Deutschland allerdings keineswegs zur Spitzengruppe der Länder mit einem besonders weit entwickelten Dienstleistungsbereich. In Kanada, den USA oder auch Australien sind bereits über 70% aller Beschäftigten im Dienstleistungsbereich angestellt, über 75% des Bruttosozialprodukts in den USA werden im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Die Facetten des häufig zitierten Weges in die „Dienstleistungsgesellschaft“ sind vielfältig. So zeigen sich zum einen deutliche Wachstumstendenzen bei den „klassischen“ Dienstleistern (Banken, Versicherungen, Tourismus etc.), zum anderen reichern auch traditionell produktionszentrierte Sachgüterhersteller ihre Leistungspalette um Dienstleistungs- und Serviceelemente an (Finanzierungsleistungen, Wartungsverträge etc., beispielsweise im Investitionsgüterbereich). In diesem Zusammenhang spricht man auch von industriellen Dienstleistungen oder auch Value Added Services. Aus Sicht der herstellenden Unternehmen sind diese Leistungen vielfach die wenigen Angebotsbereiche, in denen sich attraktive Erträge erwirtschaften lassen. Aus Sicht der Nachfrager entstehen so aus austauschbaren Gütern erst individuelle Problemlösungen [2]. Betrachtet man die Marktentwicklungen näher, so hat das Wachstum des tertiären Sektors noch eine weitere Facette. Durch die weit verbreitete Tendenz zum „Outsourcing“ von Leistungen fällt ein beträchtlicher Teil der ehedem unternehmensintern erstellten Wertschöpfung außerhalb des eigenen Unternehmens an. Auf diese Weise werden z. B. Transport- und Logistikleistungen eines Automobilherstellers, die früher in dessen Wertschöpfung – und damit gemäß der Kategorisierung des Unternehmens in der amtlichen Statistik in den sekundären Sektor – eingerechnet wurden,
48
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
100 % 80 % 60.6
59
55
46
38
32
62
68
1990
2000
60 % 40 % 20 % 0%
39.6
41
45
1950
1960
1970
tertiärer Sektor
54
1980
primärer und sekundärer Sektor
Abb. 2.15 Entwicklung des Anteils des tertiären Sektors an der Bruttowertschöpfung in Deutschland [1]
100 % 80 % 67.1
61.7
57.4
48.6
43.2
51.4
56.8
1980
1990
33.5
60 % 40 % 20 % 0%
32.9
38.3
42.6
1950
1960
1970
tertiärer Sektor
66.5
2000
primärer und sekundärer Sektor
Abb. 2.16 Entwicklung des Anteils der Beschäftigten im tertiären Sektor in Deutschland [1]
nun einem Speditionsunternehmen und damit einem Unternehmen des tertiären Sektors zugeordnet [3]. Rein sachlich hat sich an den erstellten Leistungen nichts geändert; in den Jahresberechnungen der Statistischen Ämter manifestiert sich allerdings einmal mehr eine Umgewichtung in der Struktur der Volkswirtschaft. Unabhängig von diesen rechnerischen Problemen findet die Bedeutungszunahme des tertiären Sektors vor allem auch real statt. Diese Entwicklung Deutschlands zu einer Dienstleistungsgesellschaft wird von
einigen Teilen der Bevölkerung als „Allheilmittel“ für die ökologischen Probleme eines dicht besiedelten Ballungsraumes angesehen. So gilt die Produktion von Dienstleistungen als „sauber“, zumindest als relativ sauber gegenüber der Herstellung von Sachgütern – Bankdienstleistungen führen z. B. zumindest nicht zu direkten Umweltbelastungen. Und auch innerhalb des Dienstleistungssektors werden Potenziale gesehen, um die Wirtschaft Deutschlands ökologisch umzubauen. Zu nennen sind hier z. B. moderne Informations- und Kommunikationssysteme, die Güter- und Personenbe-
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
wegungen substituieren können (Videokonferenzen, Internet-Recherchen etc.). Bei näherer Betrachtung müssen diese Vorteile jedoch relativiert werden. So ist die Erstellung von Dienstleistungen vielfach untrennbar mit Sachleistungskomponenten verbunden (z. B. Infrastruktur und Endgeräte eines Mobilfunknetzes), die Inanspruchnahme von Dienstleistungen führt an anderen Orten zu Belastungen (z. B. Tourismus) oder die Produktion der Leistung selbst verursacht beträchtliche Probleme (z. B. die Emissionen eines traditionellen Kraftwerkes oder die Störung des Landschaftsbildes durch Windkraftanlagen). Auch ist zu bezweifeln, dass Deutschland als klassisches Land der Hochtechnologie den heutigen Leistungsstandard der Wirtschaft ausschließlich durch ein Angebot von – wenn auch hochwertigen – Dienstleistungen aufrechterhalten kann [4]. Darüber hinaus können viele Effekte des Dienstleistungskonsums mit dem heutigen Wissen nur bedingt auf ihre ökologische Verträglichkeit hin beurteilt werden. So wird z. B. kontrovers über die gesundheitlichen Folgen der rasant wachsenden Mobilkommunikation diskutiert, und die Konsequenzen des Flugverkehrs für die Umwelt werden beispielsweise unterschiedlich bewertet. Auch besteht die Gefahr, die vielfach positiven Beschäftigungswirkungen einer fortschreitenden Tertiarisierung zu euphorisch darzustellen. Insbesondere in den USA, dem Land mit dem größten Dienstleistungsgewicht in der Volkswirtschaft, hat die Entwicklung in den Dienstleistungsmärkten nicht zu einem insgesamt höheren Wohlstand, sondern vielmehr zu einer verstärkten Polarisierung der Gesellschaft geführt. Das Dienstleistungskontinuum reicht hier von hoch bezahlten Spezialistenjobs in Beratungsunternehmen bis hin zu Aushilfsarbeiten in Fast-Food-Restaurants, von denen manche Menschen gezwungen sind, mehrere anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist auch nicht zu übersehen, dass es insbesondere die klassischen Dienstleistungsanbieter sind, die auf unterschiedlichen Wegen versuchen, die hohe Arbeitsintensität vieler Unternehmen zu verringern [5]. Direct-Banking-Angebote oder Internet Shopping sind hierbei nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, dass das Wachstum des tertiären Sektors nicht zwangsweise in Verbindung mit dem Abbau von Arbeitslosigkeit oder der Sicherung von Arbeitsplätzen gesehen werden darf.
49
So bleibt zu konstatieren, dass die stärkere Fokussierung in der Volkswirtschaft auf den Dienstleistungssektor zwar durchaus positiv – wohl kaum aber euphorisch – zu sehen ist.
2.3.2 Der zukünftige Bedarf an Dienstleistungen Führt man sich die weltweite Nachfrageentwicklung nach Dienstleistungen der vergangenen Jahre vor Augen, so ist für Deutschland zumindest kurz- bis mittelfristig mit einem weiter steigenden Bedarf an Dienstleistungen zu rechnen. In vielen Bereichen vollzieht Deutschland dabei – mit anderen Schwerpunkten – Entwicklungen nach, die in anderen Ländern bereits zu beobachten waren. Ein Beispiel hierfür ist der Convenience-Trend, der in den USA schon viel früher begonnen hat. Es geht hierbei darum, dass sich die Menschen ihr Leben immer angenehmer gestalten wollen. Dies bedeutet für Dienstleistungsanbieter, den Kunden noch mehr entgegenzukommen und ihre Bedürfnisse besser als bisher zu erfüllen. So gibt es beispielsweise immer mehr Convenience Shops, die sich durch folgende Merkmale auszeichnen: günstiger Standort, „sichere Kundschaft“ (alte Menschen, Autofahrer, Berufstätige mit wenig Zeit etc.) sowie eine Kombination aus einem „Standardangebot“ und Dingen des täglichen Bedarfs mit großer Sortimentsbreite und geringer -tiefe. Ein typisches Beispiel stellt die Erweiterung von immer mehr Tankstellen zu Convenience-Shops dar. Der wachsende Dienstleistungsbedarf erklärt sich dabei sowohl aus der Nachfrage von privaten Haushalten als auch Unternehmen bzw. staatlichen Institutionen. Untersucht man die für die wachsende Dienstleistungsnachfrage relevanten Faktoren, so lassen sich fünf interdependente Kategorien unterscheiden (Abb. 2.17).
2.3.2.1 Demographische Entwicklungen Die Entwicklungen der Altersstruktur in Deutschland mit einem relativ hohen Anteil älterer Menschen bei einer insgesamt steigenden Lebenserwartung werden dazu führen, dass immer mehr Menschen immer länger Dienstleistungen nachfragen werden. Auf Grund
50
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Demographische Entwicklungen • Altersstruktur der Gesellschaft • Steigende Lebenserwartung • Nachfragepotenzial von Ausländern der 2. und 3. Generation Klassische Dienstleistungen Technologische Entwicklungen • Angebotsinduzierte Bedarfsweckung • Komplexität moderner Sachgüter
Entwicklungen des Konsumentenverhaltens • Streben nach Convenience • Steigende Ansprüche an Dienstleistungsangebote
Steigender Dienstleistungsbedarf
Produktbegleitende Dienstleistungen Gesellschaftliche Entwicklungen • Höherer Anteil erwerbstätiger Frauen • Kürzere Arbeitszeiten • Dislozierung von geschäftlichen und privaten Kontakten
Entwicklungen der Märkte • Internationale Wirtschaftsverflechtungen • Spezialisierung • Outsourcing • Rechtsdynamik
Abb. 2.17 Determinanten der wachsenden Dienstleistungsnachfrage
der hohen Kaufkraft der älteren Bevölkerung ist die Bereitschaft, die Zeit nach dem Berufsleben angenehm zu gestalten, besonders ausgeprägt. Ob aus der Motivation heraus, durch Reisen und andere Freizeitaktivitäten sich selbst für das Arbeitsleben zu belohnen oder einfach den gewohnten Lebensstandard im Alter halten zu wollen: In jedem Fall zeigt das „goldene Segment“ die Bereitschaft, hochwertige Dienstleistungen in Tourismus, Fitness etc. nachzufragen und auch entsprechend zu bezahlen. Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auch die wachsende Nachfrage nach Pflegeleistungen, die schon heute beträchtliche Wachstumsraten aufweisen. Zusätzlich führt die Etablierung von Ausländern der zweiten und dritten Generation in Zusammenhang mit höheren verfügbaren Einkommen und einer schrittweisen Adaption der Konsumgewohnheiten dazu, dass auch von dieser Bevölkerungsgruppe Impulse für eine wachsende Dienstleistungsnachfrage ausgehen.
2.3.2.2 Gesellschaftliche Entwicklungen Die Zunahme der Berufstätigkeit der Frauen gehört zu jenen gesellschaftlichen Entwicklungen, die ein weiteres Wachstum des tertiären Sektors begünstigen. Für
Leistungen, die von früheren Generationen innerhalb des Haushalts erledigt wurden, wird mit steigender Tendenz eine Form des privaten „Outsourcing“ betrieben, die insbesondere die Dienstleistungen rund um Haus, Wohnung und Haushalt betrifft. Kürzere Arbeitszeiten sorgen ebenfalls dafür, dass das zur Verfügung stehende Zeitbudget im Freizeitbereich in weiten Teilen der Bevölkerung stetig vergrößert wird. Dies äußert sich sowohl in kürzer werdenden Lebensarbeitszeiten als auch in kürzeren Arbeitszeiten pro Tag. Auch diese Tendenzen begünstigen die Nachfrage nach Dienstleistungen im Tourismus- und Freizeitbereich, wie beispielsweise Reisen oder Freizeitangebote im Sportbereich. Auch führen die Dislozierung privater und geschäftlicher Kontakte und die hieraus resultierende Notwendigkeit zur Überbrückung von immer größeren Distanzen zu einer steigenden Nachfrage im beruflich bzw. privat veranlassten Reisebereich, nach Beratungsleistungen oder auch Leistungen der Telekommunikation (z. B. Videokonferenzen, Datennetze). Gehört im beruflich veranlassten Bereich die Internationalisierung von Unternehmen bzw. Unternehmenskontakten zu den zugrunde liegenden Einflussfaktoren, so sind es im privaten Bereich auch Entwicklungen des Dienstleistungsangebotes, die erst die Voraussetzungen für die wachsende Nachfrage schaffen. Als
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
51
Beispiel seien hier die sinkenden Telefongebühren für internationale Gespräche genannt.
ne quantitativ wie qualitativ höhere Nachfrage entsteht [6].
2.3.2.3 Technologische Entwicklungen
2.3.2.4 Entwicklungen des Konsumentenverhaltens
Steigerungen der Dienstleistungsnachfrage werden vielfach erst durch technologische Entwicklungen ermöglicht, die es erlauben, die zur Bereitstellung der Dienste erforderliche Hardware in einem entsprechenden Umfang und zu angemessenen Preisen breiteren Kreisen zur Verfügung zu stellen. Beispiele einer solchen angebotsinduzierten Dienstleistungsnachfrage sind Leistungen im Bereich der Mobilkommunikation (Funknetze, Handys etc.). Darüber hinaus bedingen die zunehmende Komplexität von Sachgütern und die Angebotsentwicklungen im Dienstleistungsbereich selbst eine wiederum steigende Nachfrage nach Dienstleistungen. Viele Produkte überfordern ihre (potenziellen) Nutzer, so dass der sinnvolle Einsatz vieler moderner Sachleistungen begleitende Dienstleistungen vor, während oder nach dem Ge-/Verbrauch notwendig macht (z. B. Beratung vor dem PC-Kauf, Installation der Hardware und Einweisung, Entsorgung). Auf Grund der Vielzahl von Angeboten und der Unübersichtlichkeit der Märkte für den einzelnen – sowohl im Sach- als auch im Dienstleistungsbereich – entsteht hier vielfach weiterer Dienstleistungsbedarf. Preisagenturen, Allfinanzmakler oder Broker für Informationen aller Art sind nur einige Beispiele, die verdeutlichen, dass die Marktkomplexität selbst wieder der Auslöser für weitere Angebote und weitere Nachfrage ist. Zu den Einflussfaktoren der angebotsinduzierten Nachfragesteigerung auf den Dienstleistungsmärkten gehört auch die zunehmende Austauschbarkeit der Kernleistungen. Viele Sach- und Dienstleistungen sind im Grunde so homogen, dass die Angebote im Prinzip problemlos ersetzt werden könnten, wenn die Anbieter nicht durch Value Added Services in der Wahrnehmung der Verbraucher eine besondere Position erreichen würden. Die wachsende Dienstleistungsnachfrage ist somit auch das Ergebnis eines aus Positionierungsproblemen heraus entstandenen „Wettlaufs“ im Angebot von „Services“ rund um die eigentliche Sach- oder Dienstleistung. Die Konsumenten fragen diese „Problemlösungspakete“ gegenüber der reinen Kernleistung verstärkt nach, so dass auch hieraus ei-
Wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Dienstleistungsnachfrage hat schließlich das Verhalten der Konsumenten. So manifestiert sich das Streben nach Convenience in einem Dienstleistungskonsum, der das Ergebnis eines allgemeinen Wertetrends zu einem Mehr an Komfort und Bequemlichkeit ist. Im Rahmen der Studie Dialoge 4 [7] wurde beispielsweise festgestellt, dass der Anteil jener Personen in Deutschland, die dem Aspekt „Lebensgenuss“ „sehr große Bedeutung“ beimessen, von 25% (1986) auf 41% (1995) gestiegen ist. Die Konsumenten sehen dabei ein einmal erlebtes Maß an Service und Dienstleistung auch bei anderen Angeboten schnell als selbstverständlich an; die Erwartungen an zukünftige Dienstleistungsprozesse steigen. Welche Relevanz Dienstleistungen auch für „klassische“ Sachgüterhersteller aufweisen, wird deutlich, wenn man sich das aktuelle Selbstverständnis des Fahrtreppen- und Aufzugsherstellers Schindler (Luzern) vor Augen führt. Ausgehend von einer traditionellen produkt- und technikorientierten Perspektive stehen heute nicht mehr Aufzüge, Rolltreppen, Waggons oder Computer im Vordergrund, sondern vielmehr dienstleistungsfokussierte Aspekte wie Komfort, Sicherheit, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit. Das Unternehmen baut somit nicht mehr nur Aufzüge, sondern versteht sich als Problemlöser: Schindler ist Anbieter einer spezifischen Form der Mobilität: 54% der Mitarbeiter arbeiten in den Bereichen Wartung, Service und Montage, weitere 23% im Verkauf.
2.3.2.5 Entwicklungen der Märkte Insgesamt weisen die Kennzahlen zur Bedeutung des Dienstleistungssektors in der deutschen Wirtschaft zwar bereits absolut gesehen hohe Werte auf, doch wäre es verfehlt, aus diesen Zahlen nachlassende Wachstumspotenziale für die kommenden Jahre abzuleiten. Bereits der Vergleich mit den Werten in anderen hochentwickelten Ländern macht deutlich,
52
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
dass Deutschland bei weitem nicht zur Spitzengruppe bei der Entwicklung der Dienstleistungsmärkte gehört. Das Wachstum im Dienstleistungsbereich ist dabei in keinem Fall nur unter quantitativen Aspekten zu betrachten. Der Erfolg des Standortes Deutschland in einem weltweiten Dienstleistungsnetzwerk kann nur dann gesichert werden, wenn die quantitative Entwicklung von entsprechenden qualitativen Fortschritten begleitet wird. In vielen Dienstleistungsmärkten ist ein qualitatives Wachstum die Grundvoraussetzung für ein entsprechendes quantitatives Wachstum. Mangelhafte Dienstleistungsqualität gehört allerdings noch immer in vielen Lebensbereichen zum Alltag. Kundenorientierung und Servicebereitschaft sind in vielen Unternehmen reine Lippenbekenntnisse, eine Umsetzung der in Seminaren und Schulungen der Mitarbeiter vermittelten Inhalte findet nicht statt, wird bisweilen von direkten Vorgesetzten oder Kollegen sogar aktiv behindert. Eine branchenübergreifende Studie von Droege & Comp. [8] aus dem Jahr 2000, die die Kundenorientierung als zentrale Determinante der Qualitätswahrnehmung von Dienstleistungsunternehmen untersuchte, zeigt diesbezüglich zwei grundsätzliche Probleme vieler Dienstleistungsunternehmen auf: • Zum einen wird Kundenorientierung nach Einschätzung der Kunden bei der Mehrzahl der betrachteten Dienstleistungsbranchen nur in ca. 50% der Unternehmen umgesetzt. Bei einer schlechten Beurteilung spielen dabei meist vor allem unfreundliches Personal, mangelnde Hilfsbereitschaft, lange Wartezeiten und geringe Kulanz bei Beschwerden eine Rolle. • Zum anderen besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Unternehmen und der Einschätzung der Kunden. Das Problem des aus diesem Ergebnis resultierenden mangelnden Bewusstseins über die eigenen Schwächen verdeutlicht zusätzlich die Notwendigkeit einer Beurteilung der Dienstleistungsqualität und der wahrgenommenen Kundenorientierung aus Sicht der Kunden. So ist der Sicherstellung der Dienstleistungs- bzw. Servicequalität in den kommenden Jahren – insbesondere in Deutschland – besondere Beachtung zu schenken. Unterstrichen wird die Bedeutung der Dienstleistungs-
bzw. Servicequalität von verschiedenen Entwicklungen [9]: • Die fehlerfreie Funktion von technischen Produkten bzw. Sachgütern wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Von Unternehmen, die ihr Sachleistungsangebot durch die Verknüpfung mit Serviceelementen aufwerten, wird eine konstant hohe Produktqualität grundsätzlich erwartet. Eine Differenzierung vom Wettbewerb ist nur über die Qualität der zusätzlich angebotenen Serviceleistungen nachhaltig möglich, und gerade in diesem Bereich wachsen die Kundenerwartungen ganz beträchtlich. • Im Streben nach Convenience möchten die Konsumenten ihre in vielen Fällen wachsenden Freizeitanteile im Zeitbudget möglichst angenehm gestalten. Dienstleistungsunternehmen, die den Konsumenten auf Grund höherer Serviceorientierung zu mehr Lebensqualität verhelfen, weisen überdurchschnittliches Wachstum auf. • Der Konkurrenzdruck verschärft sich auch im Dienstleistungsbereich zunehmend. Nicht nur im Bereich der produktnahen, unterstützenden Dienstleistungen wird die Zahl der konkurrierenden Anbieter größer, auch die Wettbewerbsintensität in den „klassischen“ Dienstleistungsmärkten (Finanzdienstleistungsgewerbe, Tourismusbranche, Verkehrsbetriebe etc.) steigt kontinuierlich an. • Die Internationalisierung des Dienstleistungswettbewerbs konfrontiert die Unternehmen mit unterschiedlichen Kundenerwartungen [10], in deren Zentrum allerdings immer wieder die Dienstleistungsqualität steht. Eigene Internationalisierungsbestrebungen und der nationale Markteintritt ausländischer Anbieter geben der Dienstleistungsqualität in diesem Zusammenhang ein noch höheres Gewicht. All jene Entwicklungen machen transparent, dass die Komplexität in den Dienstleistungsmärkten in absehbarer Zukunft zunehmen wird. Weder das „nackte“ Angebot von Sachleistungen noch das undifferenzierte Angebot von Standard-Dienstleistungen werden in Zukunft ausreichen, um ein Unternehmen im Wettbewerb zu differenzieren und damit den Unternehmensbestand langfristig zu sichern. Dies gilt zunehmend auch für Nonprofit-Organisationen, die sich ei-
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
nem verstärkten Wettbewerb um Spenden und einer sinkenden öffentlichen Finanzierung ausgesetzt sehen [11].
2.3.3 Wettbewerbsvorteile durch qualifizierte Dienstleistungen Intelligente und innovative Dienstleistungen sind in vielen Märkten ein Motor des Wachstums – sowohl für das einzelne anbietende Unternehmen als auch für die Branche insgesamt – und dienen zur Sicherung sowie zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. Sie eröffnen den Unternehmen Differenzierungspotenziale und damit Chancen zur Sicherung der Wertschöpfung und des langfristigen Unternehmensbestands.
2.3.3.1 Wertkette als Ausgangspunkt Als ein häufig eingesetztes Planungs- und Analyseinstrument zur Schaffung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen hat sich die von Porter eingeführte Wertkettenanalyse etabliert [12–15]. Grundlage ist die Abbildung der zentralen betrieblichen Funktionen, die ihrerseits die wesentlichen Facetten des gesamten Unternehmens repräsentieren. Unterschieden werden dabei primäre Aktivitäten, die den eigentlichen Leistungserstellungsprozess darstellen, sowie unterstützende (sekundäre) Aktivitäten, die Einfluss auf die primäre Wertschöpfung haben. Im Streben nach Erreichung von Wettbewerbsvorteilen durch qualifizierte Dienstleistungen werden zwei grundlegende Perspektiven unterschieden: (a) die Ausgestaltung des Angebots von Kerndienstleistungen einerseits und (b) die Anreicherung der Kernleistung um produktbegleitende Dienstleistungen (Value Added Services) andererseits. Diese Unterscheidung ist für die gezielte Suche und den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen von zentraler Bedeutung. Stehen bei klassischen Dienstleistungen hauptsächlich die Bereiche Qualitätsmanagement und Effizienzoptimierung im Mittelpunkt der Betrachtung – und damit die gesamte Wertkette –, so sind die Schwerpunkte für produktbegleitende Value Added Services anderweitig zu legen. Die Schaffung und Bewahrung von Wettbewerbsvorteilen ist hier vor allem eine Frage der Innovationsfähigkeit und -bereitschaft
53
des jeweiligen Unternehmens. Aufbauend auf einer wertkettenorientierten Betrachtung ist hier der Servicebereich am Ende der Wertkette von besonderer Bedeutung. Die Forderung von Porter nach einer ganzheitlichen Analyse macht dabei deutlich, dass es nicht zielführend sein kann, in einzelnen Unternehmensbereichen Kompromisse hinsichtlich der Qualität oder Innovationsleistung einzugehen [13]. So werden Schwächen in einzelnen Bereichen des Leistungsprozesses von den Konsumenten auf Grund der Angebotsdichte in den meisten Märkten nur bedingt toleriert. Im Sinne einer gesamtheitlichen Optimierung ist somit eine Leistung anzustreben, die in allen Facetten – im Minimalfall – das Branchenniveau erreicht und bei einzelnen Kriterien als überdurchschnittlich zu bezeichnen ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die meisten Sachgüter und auch Dienstleistungen im Grunde homogene Produkte sind, die im Hinblick auf die freie Verfügbarkeit von Technologien mehr oder weniger problemlos kopiert werden können. Nicht bzw. nur schwer kopieren kann ein konkurrierender Anbieter jedoch die Art der Leistungserbringung und die Menschen, die in der direkten Interaktion das Unternehmen repräsentieren bzw. die im Hintergrund ablaufenden unternehmensinternen Prozesse bestimmen [17].
2.3.3.2 Konsequenzen für klassische Dienstleistungen Viele klassische Dienstleistungsmärkte befinden sich bereits in einer späten Lebenszyklusphase der Sättigung bzw. der Stagnation, und es gibt zahlreiche konkurrierende Angebote. Um den Anforderungen der anspruchsvoller werdenden Kunden in Märkten mit intensivem Wettbewerb gerecht zu werden, muss die Qualitätsführerschaft als die zentrale Erfolgsstrategie verstanden werden, wenn das Unternehmen die Erlangung bzw. Verteidigung eines Konkurrenzvorsprunges anstrebt. „Gute“ Dienstleistungsqualität entsteht dabei sicherlich nicht von selbst, sie wird vielmehr im Rahmen eines „konsequenten Qualitätsmanagements geplant, implementiert und kontrolliert“ [16]. Die Messung der Anforderungen an die Dienstleistungsqualität steht somit an der Schnittstelle zwischen dem leistungserstellenden, „qualitätsproduzierenden“ Unternehmen und den leistungsempfangenden, „qualitätswahrnehmenden“ Kunden [16].
54
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Auf Grund der Spezifika von Dienstleistungen führt eine weite Auffassung des Qualitätsbegriffs aus Kundensicht unter angemessener Berücksichtigung der Wettbewerbs- und Unternehmensperspektive am weitesten. So können Dienstleistungen zwar grundsätzlich die an sie gestellten Anforderungen – produktbezogen – erfüllen; werden sie jedoch anderen Erfordernissen aus Kundensicht nicht gerecht, kann nicht von einer „guten“ Dienstleistungsqualität gesprochen werden. Ein aus technischer und fliegerischer Hinsicht perfekter Flug kann für einen Geschäftsreisenden von unzureichender Qualität – und damit vollkommen wertlos – sein, wenn er auf Grund einer Verspätung einen vereinbarten Termin nicht erreichen kann [3]. Für die Messung der Dienstleistungsqualität ist die Verknüpfung von produkt- und kundenorientiertem Qualitätsverständnis am hilfreichsten. Die hier erzielten Ergebnisse sind Ausgangspunkt der Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität, für deren organisatorischen Hintergrund ein ausgebautes Qualitätsmanagement notwendig ist. Unter Qualitätsmanagement wird dabei die „Gesamtheit der qualitätsbezogenen Tätigkeiten und Zielsetzungen“ verstanden [18]. Bei einer starken organisatorischen Verankerung des Qualitätsmanagements im Unternehmen können verschiedene Stufen im Qualitätsmanagementprozess unterschieden werden, die die Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätsprüfung und Qualitätsmanagementdarlegung umfassen [19]. Die Befriedigung der heterogenen Kundenerwartungen und die Gewährleistung einer – gleichbleibend – hohen Dienstleistungsqualität sind dabei als die zentralen Aufgaben des Marketing für klassische
Dienstleistungen anzusehen. Die Wichtigkeit des Qualitätsaspektes ist dabei allerdings nicht in der Weise fehlzudeuten, dass die einzige Möglichkeit zur Kundengewinnung und -bindung in der Realisierung eines Maximums an Dienstleistungsqualität besteht. Qualität ist ein zentraler Erfolgsfaktor – sowohl für Sach- als auch für Dienstleistungen. Dies belegen die Ergebnisse der PIMS-Datenbank (Profit Impact of Market Strategies) [20]. Dennoch ist wichtig, dass das unternehmerische Management über der Vielzahl der Instrumente und Verfahren zur Qualitätssicherung und -förderung nicht den Kontakt zu den eigentlichen Kundenanforderungen verliert. Die Kundenerwartungen geben einen Qualitätsbereich vor, dessen Unterschreitung hart sanktioniert, dessen erhebliche Überschreitung aber nur unterdurchschnittlich belohnt wird. Eine Verselbständigung im Streben nach Qualität bzw. eine Qualitätsmaximierung im Sinne einer beträchtlichen – für die Kunden u. U. nicht nachvollziehbaren – Übererfüllung der Erwartungen führt – wenn überhaupt – zu marginalen Wettbewerbsvorteilen. Unter Effizienzgesichtspunkten ist eine Strategie der Qualitätsoptimierung über alle Elemente der Wertschöpfungskette anzustreben (Abb. 2.18). Optimierung wird dabei als die möglichst exakte Ausrichtung der Qualitätsmaßstäbe des Unternehmens an den Kundenbedürfnissen gesehen. Soweit die Kunden die besondere Qualitätsstellung des Unternehmens nicht mehr wahrnehmen bzw. beurteilen können, ist die Übererfüllung der Kundenerwartungen aus Kostenund Ertragsgesichtspunkten kontraproduktiv. So führen ab einem bestimmten, individuell zu bestimmenden Qualitätsniveau Verbesserungen der Dienstleis-
Unternehmensinfrastruktur Technologieentwicklung Gestaltung der Ablaufprozesse
Beziehungsmanagement
Interaktive Operationen
Marketing/ Vertrieb
Leistungsbereite Potenzialfaktoren
Interne Operationen
Qualitätsmanagement Ressourcenakquisition
Primäre Aktivitäten
Unterstützende Aktivitäten
Personalmanagement
Abb. 2.18 Wertkettenbasierte Erfolgssicherung für klassische Dienstleistungen
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
55
tungsqualität zu überproportionalen Kostensteigerungen. Ein besonders hoher Qualitätsstandard wird vom Kunden aber lediglich bedingt über eine erhöhte Preisbereitschaft honoriert.
2.3.3.3 Konsequenzen für produktbegleitende Dienstleistungen Bei der Unterscheidung nach klassischen und produktbegleitenden Dienstleistungen soll nicht angenommen werden, dass Qualitätsfragen für Value Added Services keine Bedeutung hätten. Notwendige Voraussetzung für den Unternehmenserfolg in diesem Bereich ist jedoch vor allem die Fähigkeit und die Bereitschaft, die teilweise recht dynamischen Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu analysieren sowie in entsprechende Angebote des eigenen Unternehmens umzusetzen. Produktbegleitende Dienstleistungen stehen grundsätzlich in enger Beziehung zum bisherigen Sachoder Dienstleistungsangebot des Unternehmens. Welche Leistungen in diesem Zusammenhang besonders erfolgversprechend sind, ergibt sich einmal mehr aus der Wahrnehmung der Kunden. Erfolgreiche Unternehmen bieten so exakt jene Leistungen an, die in der Wahrnehmung der Kunden den Unterschied zwischen reinem Verkaufen und dem Anbieten einer Problemlösung ausmachen. Produktbegleitende Dienstleistungen führen das Unternehmen dabei aus der Vergleichbarkeit des direkten Wettbewerbsumfelds hin zu einer Alleinstellungsposition, die aus der Kundenperspektive nur bedingt verglichen werden kann.
• Trendbeobachtung: Aktuelle Entwicklungen des Nachfrageverhaltens und des marktlichen Umfeldes sind im Hinblick auf die Relevanz für das eigene Unternehmen sorgfältig und umfassend zu beobachten und zu analysieren. • Betroffenheitsanalysen: Unternehmen werden sich zukünftig vermehrt mit dem Einfluss und dem potenziellen Nutzen neuer Entwicklungen auseinanderzusetzen haben. Noch immer werden Modetrends all-zu schnell aufgegriffen, ohne die Relevanz für die Aktivitäten des eigenen Unternehmens zu überprüfen (z. B. Outsourcing, Multimedia). • Schnelligkeit: Wird die Erweiterung des Angebots um bestimmte Leistungskomponenten als sinnvoll und notwendig erachtet, sind die entsprechenden Maßnahmen schnell und effizient umzusetzen. • Mitarbeiter: Der Erfolg einer Erweiterung des Leistungsangebots durch produktbegleitende Dienstleistungen ist in vielfältiger Weise abhängig von den Mitarbeitern. Einerseits können sie als sensibler Teil der unternehmerischen Frühaufklärung agieren, andererseits sind es die Mitarbeiter, die die erweiterten Leistungen im Markt kompetent umzusetzen haben.
Unternehmensinfrastruktur
Unterstützende Aktivitäten
Personalmanagement Forschung & Entwicklung
Kundendienst
Ausgangslogistik
Marketing & Vertrieb
Operationen
Beschaffung Eingangslogistik
Primäre Aktivitäten
Wie Abb. 2.19 zeigt, finden sich die Möglichkeiten zum Angebot produktbegleitender Dienstleistungen innerhalb der Wertkette vor allem im Servicebereich. Die Idee, bestimmte Zusatzleistungen als erstes Unternehmen einer Branche einzuführen, stellt dabei bestimmte Anforderungen an das Marketing:
Differenzierungspotenzial durch Value Added Services Abb. 2.19 Wertkettenbasierte Erfolgssicherung durch Value Added Services
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Über diese Maßnahmen der Erweiterung des Leistungsangebotes hinaus sind es vor allem Fragen der Beziehungspflege zum Kunden, die den Unternehmenserfolg in der Zukunft bestimmen werden. Leistungsangebote und auch umfassende Problemlösungen sind in den einzelnen Märkten auf Dauer kaum schützbare Wettbewerbsvorteile. So wird die Beziehungspflege auch außerhalb des Investitionsgüterbereichs in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Erfolgreich sind dabei jene Unternehmen, denen es gelingt, ein umfassendes Beziehungsmarketing zu implementieren, um eine langfristig stabile Bindung ihrer Kunden über eine besondere Beziehungsqualität zu etablieren [21, 23, 24].
2.3.4 Konsequenzen für die Unternehmensorganisation Die Auseinandersetzung mit den unternehmerischen Erfolgsfaktoren hat sowohl für Sachgüter- als auch Dienstleistungsanbieter in den vergangenen Jahren eine Reihe von Ansätzen, Methoden und Verfahren hervorgebracht, die jeweils maßgeblich für die Sicherung des Unternehmenserfolges in der Zukunft verantwortlich gemacht werden. Um im sich ständig verschärfenden Wettbewerb bestehen zu können, werden verschiedene Konzepte diskutiert, die die Wettbewerbsposition der Unternehmen stärken sollen. In diesem Zusammenhang wird z. B. das Lean Management diskutiert. Auf dem Wege einer Abflachung von Hierarchien und damit einer Verkürzung von Entscheidungs- und Koordinationswegen werden Prozesse u. a. mit dem Ziel beschleunigt, gegenüber den Wettbewerbern Zeitvorteile realisieren zu können. Reengineering-Konzepte fokussieren demgegenüber auf eine tiefgreifende Restrukturierung des gesamten Unternehmens, wobei eine weitgehende Neubestimmung der Wettbewerbsposition vorzunehmen ist. Im Mittelpunkt stehen hier nicht inkrementale Verbesserungen und Entwicklungen im Sinne einer Evolution, sondern fundamentale Neuanfänge, so dass das Konzept auch nur bei tatsächlich existenzbedrohenden Krisen sinnvoll ist [22]. Zu den Determinanten einer zukünftig erfolgreichen Unternehmensorganisation zählen vor allem auch die Qualitätsanforderungen, die von verschiedenen
Seiten auf ein Unternehmen wirken. Kunden, Mitarbeiter, Staat und Gesellschaft formieren dabei die vier wesentlichen Bereiche, aus denen Qualitätsanforderungen an ein Unternehmen herangetragen werden. Haben Kunden und Mitarbeiter als direkt involvierte Transaktionspartner naturgemäß für den Aufbau des unternehmerischen Qualitätsmanagements im Dienstleistungsbereich erste Priorität, so sind die Anforderungen aus Sicht von Staat und Gesellschaft keinesfalls als weniger bedeutsam einzustufen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass jedes Unternehmen unter Berücksichtigung seiner konkreten Unternehmens-, Wettbewerbs- und Kundensituation sein eigenes Verständnis von Qualität entwickelt. Sind die klassischen Dienstleistungsanbieter auf Grund der Spezifika von Dienstleistungen seit jeher mit dem Problem der Messung der Dienstleistungsqualität konfrontiert, so ist insbesondere in den ehemals rein produktionsorientierten Unternehmen eine andere Qualitätsperspektive erforderlich [25]. Qualität muss zukünftig primär kundenbezogen subjektiv und weniger sachbezogen objektiv definiert werden, wobei die Besonderheiten der Immaterialität vieler Leistungen neue Anforderungen an das Qualitätsmanagement definieren. Führt man die Ansätze des Lean Management, des Reengineering und der Qualitätsdiskussion zusammen, so wird deutlich, dass die gemeinsame Basis all dieser Konzepte in der Betrachtung von Prozessen und Beziehungen zu finden ist. Jede zukünftige Unternehmensorganisation und -führung wird der Notwendigkeit einer Abkehr von der bislang allzu statischen Orientierung an Strukturen und Elementen durch eine verstärkte Prozessorientierung Rechnung zu tragen haben. Unternehmenserfolg in der Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft hat dabei verschiedene Voraussetzungen [26]: • Die Gesamtheit der Mitarbeiter kennt und akzeptiert die Ziele und Strategien des Unternehmens, • die Mitarbeiter werden als interne Kunden betrachtet, • interne Austauschprozesse werden als Prozesse zwischen Kunden und Lieferanten den externen Prozessen gleichgestellt und • es wird ein internes Marketingverständnis geschaffen, um die Gesamtzielerreichung des Unternehmens zu verbessern.
2.3 Das Unternehmen in der Dienstleistungsgesellschaft
Diese Forderungen sind Teil des Konzepts Internes Marketing, das die systematische Optimierung unternehmensinterner Prozesse mit Instrumenten des Marketing- und Personalmanagements zum Ziel hat, um durch eine konsequente und gleichzeitige Kundenund Mitarbeiterorientierung das Marketing als interne Denkhaltung durchzusetzen, damit die marktgerichteten Unternehmensziele effizienter erreicht werden können [26]. Die Innovation des Internen Marketing ist in der integrativen Perspektive des Konzeptes zu sehen, die die Schnittstellen vom Marketing- und Personalbereich und die Verbindung der externen mit der internen Kundenorientierung betont [27]. Internes Marketing hat die gesamtheitliche Optimierung der Wertschöpfungskette zum Ziel – unter der Prämisse, die (extern) marktgerichteten Ziele des Unternehmens effizienter zu erreichen. Grundlage dieser Optimierung ist die Betrachtung der den unternehmerischen Abläufen zugrunde liegenden Prozesse unter Überwindung des klassischen Bereichs- bzw. Abteilungsdenkens. Auf Grund des enger werdenden wettbewerblichen Umfeldes in allen Branchen wird Internes Marketing als Ansatz der Betriebswirtschaftslehre und als Konzept zur Sicherung des Unternehmenserfolges zukünftig an Bedeutung gewinnen. Die Optimierung der Schnittstelle zwischen dem Personal- und Marketingmanagement wird so zu einer der organisatorischen Hauptaufgaben der kommenden Jahre werden [26]. Die Entwicklungen, die im Sachgüterbereich bereits vor geraumer Zeit zu beobachten waren, werden sich auch im Dienstleistungsbereich mit wachsender Intensität zeigen. Eine Differenzierung über das Kernprodukt oder die Kernleistung wird vielfach nicht mehr möglich sein. Leistungsumfang und Leistungsqualität werden Fixpunkte sein, die eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Unternehmenserfolg sind. Wettbewerbsentscheidend wird unternehmensintern und -extern die Art und Weise der Leistungserstellung sein. Diese hängt weitgehend von den Menschen ab, die diese Leistungen erstellen. Mitarbeiter, die ihre Aufgabe lediglich als rein ausführendes Organ darin sehen, jene Leistung abzunehmen, die eine vorgelagerte Wertschöpfungsstufe oder das Management als ausreichend erachten, werden auch gegenüber ihren Kunden, seien sie unternehmensintern oder -extern, ein nicht optimales Leis-
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tungsniveau bieten. Es ist daher erforderlich, das Verständnis von Kunden-Lieferanten-Beziehungen im gesamten Unternehmen zu verankern – nicht nur unter Einbeziehung der Mitarbeiter im direkten Kundenkontakt, sondern vielmehr auch der Mitarbeiter im Backoffice. Internes Marketing und Qualitätsmanagement dürfen in diesem Zusammenhang konsequenterweise nicht voneinander getrennt werden. Effizienz im externen Marktauftritt und deren Absicherung durch unternehmensinterne Strategien bedingt, dass interne Kunden-Lieferanten-Beziehungen durch Qualitätsvereinbarungen abgesichert werden [25, 26]. Fehler im internen Leistungserstellungsprozess sind so frühzeitig wie möglich zu erkennen und so umfassend wie möglich zu verhindern. Schlechte interne Leistungen schränken das Leistungsvermögen des internen Kunden ein, erhöhen seinen Anteil an unproduktiver Arbeit und haben darüber hinaus Demotivations- und Frustrationseffekte. Zahlreiche unternehmensinterne Fehlwahrnehmungen und Vertrauensverluste haben dabei als Ursache Kommunikationsdefizite. Auch die Gründe für eine nicht ausreichende Qualitätserstellung im Markt basieren in sehr starkem Maße auf Defiziten in der Kommunikation [28]. Deshalb benötigen Unternehmen eine interne Kommunikationsinfrastruktur auf der Grundlage vielfältiger Medien und Kommunikationsformen [29, 30]. Im Vordergrund stehen dabei persönliche Formen sowie auch symbolische Formen der Kommunikation, um Vertrauen zu schaffen und zu dokumentieren. Insellösungen mit einer dem Internen Marketing vergleichbaren Kultur bilden sich insbesondere in großen Unternehmen stellenweise von selbst. Doch auch für das Interne Marketing gilt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Seine volle Leistungsfähigkeit kann Internes Marketing nur dann entfalten, wenn es als Maxime über Abteilungs- und Spartengrenzen hinweg gilt. Dieses Grundverständnis ist in den Unternehmensund Führungsgrundsätzen zu dokumentieren und im täglichen Umgang zu leben. Partizipative Führung, erweiterte Handlungs- und Entscheidungsspielräume für die Mitarbeiter sowie die kommunikative Vernetzung in einem System der integrierten Unternehmenskommunikation haben die Wertschätzung des Managements für die Mitarbeiter tagtäglich unter Beweis zu stellen. Mitarbeiter, die Vertrauen zu sich selbst,
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
zu ihren Kollegen und zur Unternehmensleitung haben, werden dem Anspruch einer Optimierung externer wie interner Zielsetzungen in stärkerem Ausmaß gerecht. Darüber hinaus kann die Fluktuationsrate qualifizierter Mitarbeiter gesenkt und damit die Rentabilität von Maßnahmen der Personalentwicklung erhöht werden [26]. Die angeführten Maßnahmen und Konzepte im Leistungsbereich der Unternehmen einerseits sowie im zugrunde liegenden Prozessbereich andererseits eignen sich in besonderem Maße zur Stärkung der Positionen im Dienstleistungswettbewerb. Deutsche Unternehmen werden sich gezwungenermaßen in Zukunft verstärkt mit Fragestellungen in den Bereichen Organisation, Personal und Führung sowie deren Vernetzung mit dem Marketing auseinandersetzen und die entsprechenden Implementierungsaufgaben lösen, um sowohl durch klassische als auch durch industrielle Dienstleistungen in der Mikroperspektive die eigene Position und in der Makroperspektive die Stellung des Standortes Deutschland insgesamt zu verbessern.
Literatur 1. Statistisches Bundesamt: http://www.statistisches-bundesamt.de, 2001 2. Bruhn, M.: Qualitätssicherung im Dienstleistungsmarketing – Eine Einführung in die theoretischen und praktischen Probleme. In: Bruhn, M.; Stauss, B. (Hrsg.): Dienstleistungsqualität. Grundlagen, Konzepte, Methoden. 3. Aufl., Wiesbaden 2000, S. 21–48 3. Bruhn, M.: Qualitätsmanagement für Dienstleistungen. Grundlagen, Konzepte, Methoden. 5. Aufl., Heidelberg 2006 4. Wolf-Doettinchen, L.; Kolf, F.; Siems, D.: Kern der Diskussion. In: Wirtschaftswoche, Nr. 3, 1995, S. 14–18 5. Lehmann, A.: Dienstleistungsmanagement. Strategien und Ansatzpunkte zur Schaffung von Servicequalität. 2. Aufl., Stuttgart, 1995 6. Simon, H.: Industrielle Dienstleistungen. Stuttgart 1993 7. Gruner & Jahr: Dialoge 4. Gesellschaft – Wirtschaft – Konsum. Zukunftsgerichtete Unternehmensführung durch werteorientiertes Marketing. Hamburg 1995 8. Droege & Camp. (Hrsg.): Triebfeder Kunde IV. Eine Zeitverlaufsstudie zur Kundenorientierung deutscher und internationaler Unternehmen. Düsseldorf 2000 9. Haist, F.; Fromm, H.: Qualität im Unternehmen. Prinzipien, Methoden, Techniken. 2. Aufl., München/Wien 1991 10. Stauss, B.: Internationales Dienstleistungsmarketing. In: Hermanns, A.; Wissmeier, U.K. (Hrsg.): Internationales Marketingmanagement. Grundlagen, Strategien, Instrumente, Kontrolle und Organisation. München 1995, S. 437– 474
11. Bruhn: Marketing für Nonprofit-Organisationen. Grundlagen – Konzepte – Instrumente. Stuttgart 2005 12. Porter, M.E.: Competitive Advantage. London/New York 1985 13. Porter, M.E.: Wettbewerbsstrategie. Frankfurt am Main/New York 1992 14. Meffert, H.: Marketing-Management. Analyse, Strategie, Implementierung. Wiesbaden 1994 15. Meffert, H.; Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing. Grundlagen, Konzepte, Methoden. 5. Aufl., Wiesbaden 2006 16. Hentschel, B.: Multiattributive Messung von Dienstleistungsqualität. In: Bruhn, M.; Stauss, B. (Hrsg.): Dienstleistungsqualität. Grundlagen, Konzepte, Methoden. 3. Aufl., Wiesbaden 2000, S. 289–320 17. Bruhn, M.; Georgi, D.: Services Marketing. Managing the Service Value Chain. Harlow/England 2006 18. DGQ Deutsche Gesellschaft für Qualität e. V.: Begriffe zum Qualitätsmanagement, DGQ-Schrift, Nr. 11–04, 6. Aufl., Frankfurt am Main 1995 19. Norm DIN-ISO 9004 20. Armistead, C.G.; Clark, G.: Customer Service and Support. Implementing Effective Strategies. London 1992 21. Bruhn, M.: Relationship Marketing. Das Management von Kundenbeziehungen. München 2001 22. Hammer, M.; Champy, J.: Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen. 5. Aufl., Frankfurt, New York 1995 23. Georgi, D.: Entwicklung von Kundenbeziehungen. Wiesbaden 2000 24. Hadwich, K.: Beziehungsqualität im Relationship Marketing. Konzeption und empirische Analyse eines Wirkungsmodells. Wiesbaden 2003 25. Bruhn, M.: Verfahren zur Messung der Qualität interner Dienstleistungen. Ansätze für einen Methodentransfer aus dem (externen) Dienstleistungsmarketing. In: Bruhn, M. (Hrsg.): Internes Marketing. Integration der Kundenund Mitarbeiterorientierung. Grundlagen, Implementierung, Praxisbeispiele. 2. Aufl., Wiesbaden 1999, S. 537– 576 26. Bruhn, M.: Internes Marketing als Forschungsgebiet der Marketingwissenschaft. Eine Einführung in die theoretischen und praktischen Probleme. In: Bruhn, M. (Hrsg.): Internes Marketing. Integration der Kunden- und Mitarbeiterorientierung. Grundlagen, Implementierung, Praxisbeispiele. 2. Aufl., Wiesbaden 1999, S. 15–44 27. Bruhn, M.: Integrierte Kundenorientierung. Implementierung einer kundenorientierten Unternehmensführung. Wiesbaden 2002 28. Zeithaml, V.A.; Berry, L.L.; Parasuraman, A.: Communication and Control Processes in the Delivery of Service Quality. In: Journal of Marketing, Vol. 52, No. 4, 1988, S. 35–48 29. Bruhn, M.: Sicherstellung der Dienstleistungsqualität durch integrierte Kommunikation. In: Bruhn, M.; Stauss, B. (Hrsg.): Dienstleistungsqualität. 3. Aufl., Wiesbaden 2000, S. 405–432 30. Bruhn, M.: Techniken und Methoden zur Sicherstellung und Förderung der Dienstleistungsqualität. In: Hansen, W.; Jansen, H.H.; Kamiske, G.F. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Unternehmen. Grundlagen, Methoden und Werkzeuge, Praxisbeispiele. Loseblatt-Sammlung, Kapitel 09.03, Berlin 1995, S. 1–31
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung Ein wesentliches Merkmal der Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland ist das hohe Maß an Selbstverwaltung, so wie es im Rahmen der technischen Regelsetzung praktiziert wird. In diesem Zusammenhang spielen die privatrechtlich organisierte technische Regelsetzung und in ihrem Zentrum die vom DIN Deutsches Institut für Normung e. V., kurz DIN genannt, herausgegebenen technischen Normen, die DIN-Normen, eine wichtige Rolle. Einerseits wird durch technische Normen eine Kompatibilisierung der erfassten Teile, Produkte, Verfahrens- und Produktionsschritte sichergestellt. Andererseits wird durch eine moderne Schnittstellennormung, der Normung von Prozess-Strukturen und eindeutigen Beschreibungssystemen (z. B. Merkmallexikon) der ECommerce ermöglicht, der zu neuen Märkten führt. Diese Normungsarten sind Voraussetzungen für die arbeitsteiligen, hochgradig spezialisierten Produktionsund Dienstleistungsformen einer modernen entwickelten Industriegesellschaft. Rechtliche Bedeutung erlangen technische Normen, wenn sie von Behörden und Gerichten als Erkenntnisquellen für ihre Entscheidungen benutzt werden und wenn auf sie in Gesetzen und Verordnungen im Wege der Verweisung Bezug genommen wird, bzw. wenn sie der Konkretisierung gesetzlich vorgegebener Rahmenbedingungen dienen wie bei der technischen Konkretisierung von EG-Richtlinien zum Abbau von Handelshemmnissen bzw. Schaffung eines einheitlich europäischen Binnenmarktes. 85% der Normungsarbeit des DIN ist heute europäisch und international ausgerichtet, insbesondere zu erkennen an der Identifizierungsnummer der Normen, die national mit „DIN“ beginnen, europäisch mit „DIN EN“ und international mit „DIN EN ISO (IEC)“. Die Begriffe „Norm/Normung“ werden verwendet, wenn es sich um konsensbasierte Arbeitsergebnisse, wie beim DIN, handelt. Die Begriffe „Standard/Standardisierung“ werden im deutschen Sprachraum benutzt, wenn es sich um nicht konsensbasierte Ergebnisse handelt. Als zukunftsorientierte Handlungsanweisung ist im DIN im Jahre 2004 durch alle interessierten Kreise die „Deutsche Normungsstrategie (DN)“ erarbeitet worden gemäß der Vision:
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Normung und Standardisierung in Deutschland dienen Wirtschaft und Gesellschaft zur Stärkung, Gestaltung und Erschließung regionaler und globaler Märkte [1].
2.4.1 Prinzipielle Aspekte technischer Normen Nach neuesten Untersuchungen [2] beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen der Normung ca. 15 Milliarden Euro pro Jahr. Ferner wurde festgestellt, dass zum durchschnittlichen jährlichen nationalen Wirtschaftswachstum von 3,3% (Zeitraum: 1960 bis 1990) bezogen auf die Bruttowertschöpfung im Unternehmenssektor, die Normung zu einem Drittel beitrug. Die den Unternehmen aufgrund des Wettbewerbs auferlegte Sorgfaltspflicht fördert die Eigeninitiative der Unternehmungen bei der Suche nach besseren, wirtschaftlicheren und sozialverträglichen Lösungen. Dies wirkt den stets vorhandenen Rufen nach staatlichen Eingriffen, Reglementierungen und der damit einhergehenden verstärkten Bürokratisierung entgegen. Technische Normen sorgen als ein wesentlicher Ordnungsfaktor der Technik für die Vergleichbarkeit von Produkten, Dienstleistungen, Verfahren etc. Mit ihrer Hilfe können wesentliche Eigenschaften wie Handhabbarkeit, Gebrauchstauglichkeit, Ausstattungsmerkmale oder die Qualität bestimmter Produkte oder Dienstleistungen identifiziert und überprüfbar gemacht werden. Normen schaffen damit die Voraussetzung für ein Mehr an Markttransparenz, nicht nur in nationalen, sondern auch in internationalen Märkten. Durch die „Neue Konzeption“ (New Approach) der EU-Normungspolitik sind aus ca. 150 000 nationalen Normen der Mitgliedsländer der EU seit Anfang der 90er Jahre bis heute (2007) ca. 8 000 europäische Normen (EN) entstanden. Man erwartet, dass ein einheitliches europäisches Normenwerk ca. 20 000 Normen umfasst. Um im Bereich technischer Systeme mit einem besonders hohen Grad technischer Innovation der Forschung und Entwicklung in den Unternehmen erste grundlegende Orientierungen und Strukturbedingungen aufzeigen zu können, wurde eine Form der Normung, die „Entwicklungsbegleitende Normung
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
(EBN)“ gefunden, die sich kurzfristig und dynamisch fortschreiben lässt. Im Rahmen der europäischen Einigung und des europäischen Binnenmarktes sowie im Zeichen der rasant zunehmenden Internationalisierung der Märkte und Globalisierung der Produktion, die hierbei den schnellen Entwicklungszyklen der Hochtechnologie folgen muss, reagiert die Normung mit einem Mehr an Flexibilität, an problemorientierter Differenzierung und konzeptioneller Systematisierung und bildet somit ein Spiegelbild des technischen Wandels. Technische Normen sind Empfehlungen der Fachwelt für technisch ordnungsgemäßes Verhalten im Regelfall. Die in den Normen enthaltenen qualifizierten Erfahrungssätze sind zur freiwilligen Anwendung bestimmt. Die breite Akzeptanz erfahren Normen durch ihr Erstellungsverfahren durch alle interessierten Kreise im Konsensverfahren. Aufgrund der Art und Weise dieses Zustandekommens geht von solchen Normen ein starker faktischer Befolgungszwang aus. Eine Pflicht zur Anwendung von DIN-Normen kann sich aufgrund von Verträgen sowie aufgrund von Rechtsund Verwaltungsvorschriften ergeben. Noch stärkere rechtliche Bedeutung erlangen technische Normen, wenn sie von Behörden und Gerichten als Erkenntnisquellen für ihre Entscheidungen benutzt werden und wenn sie von Gesetzen und Verordnungen im Wege der Verweisung in Bezug genommen werden bzw. der Konkretisierung gesetzlich vorgegebener Rahmenbedingungen dienen. Das der deutschen Wirtschaft eigene beachtliche Organisationsvermögen begünstigt nicht nur die Umsetzung von Innovationen in die Praxis, sondern wirkt sich auch auf die Fähigkeit der Wirtschaft aus, gesellschaftspolitisch z. B. aufgrund eines Wertewandels entstandene Zwänge bei der Entwicklung von Produkten zu berücksichtigen. Auch in dieser Hinsicht bilden die Normen eine wichtige Erkenntnisquelle und bieten darüber hinaus die Möglichkeit der Einflussnahme, der Mitgestaltung und Mitverantwortung der neuen Rahmenbedingungen. So werden mit Hilfe der DINNormen negative externe Effekte der industriellen Produkte und Produktionen in Grenzen gehalten. Die in den Normen enthaltenen außertechnischen Wertbezüge, so wie sie z. B. in Sicherheitsnormen für jedermann nachvollziehbar einfließen, dienen dem Schutz von Leben, Gesundheit, Umwelt und Sachgütern vor den potentiellen Gefahren der Technik. Die Risiken der Technik werden gemindert.
Das was hier zunächst als Nachteil, als zusätzliche, hemmende Auflage empfunden wird, kehrt sich um und bietet die Chance, Wettbewerbsvorteile zu erlangen. So ist beispielsweise das in Deutschland recht hoch entwickelte Umweltbewusstsein und das sich schon frühzeitig entwickelnde technische Regelwerk auf diesem Gebiet ein Grund dafür, dass umweltverträgliche Produkte von deutschen Herstellern eher angeboten werden als von ausländischen Konkurrenten.
2.4.2 Die Wesensmerkmale der überbetrieblichen technischen Normung Das DIN ist die für die Bundesrepublik Deutschland zuständige Normungsinstitution. Dies wurde erstmals anerkannt durch den mit der Bundesrepublik Deutschland 1975 abgeschlossenen Normenvertrag. Das DIN nimmt die entsprechenden Aufgaben in den europäischen und internationalen Normenorganisationen wahr. Entsprechend seiner Satzung erarbeitet das DIN durch Gemeinschaftsarbeit der interessierten Kreise zum Nutzen der Allgemeinheit nationale, europäische und internationale Normen. Diese technischen Normen dienen der Rationalisierung, der Qualitätssicherung, der Verständigung und dem Abbau von Handelshemmnissen. Aus seiner betriebswirtschaftlichen Einengung befreit, bedeutet Rationalisierung hier die Optimierung verschiedener Zielwerte, darunter auch solcher, die auf den ersten Blick nicht unter „technischer Normung“ subsumiert werden, wie Arbeits- und Energieeinsatz, Sicherheit, Gesundheit und Umwelt. Sicherheit steht hierbei ganz allgemein für den Schutz vor unerwünschten Nebenwirkungen der Technik bzw. für die Minimierung von negativen externen Effekten der industriellen Produkte und deren Produktionen. So werden in der Normung seit Jahren Fragen des Arbeitsschutzes, des Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes behandelt. Bei der Optimierung von verschiedenen Zielwerten geht es auch um miteinander konkurrierende Zielwerte, wie „sicher und billig“ oder „Sicherheit kostet i. d. R. Geld“. Die Lösung für die zu bewältigenden Zielkonflikte liegt in einem Konsens, der für alle tragfähig ist und im Einzelfall gesellschaftspolitisch
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
61
– Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit
– Internationalität
– Öffentlichkeit
– Ausrichten am Stand von Wissenschaft und Technik
– Beteiligung aller interessierten Kreise
– Ausrichten an den wirtschaftlichen Gegebenheiten
– Konsens
– Ausrichten am allgemeinen Nutzen
– Freiwilligkeit
– Sachbezogenheit
Abb. 2.20 Grundsätze der Normungsarbeit
anerkannt wird. Voraussetzung dafür ist, dass bei der Normungsarbeit bestimmte, definierte, allgemein anerkannte Grundsätze (siehe Abb. 2.20, Grundsätze der Normung) beachtet werden. An einigen wird (wie nachfolgend zu sehen ist) besonders deutlich, inwieweit die technische Normung hilft, z. B. einzelne Strukturbedingungen des Marktes nicht nur zu erkennen, sondern aktiv mit zu gestalten sowie gesetzlich vorgegebene Rahmenbedingungen oder Auflagen zu erfassen und zu konkretisieren. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die innerbetriebliche Planung und Organisation für die Produkte und die Produktion marktkonform und sozialverträglich in strategischer Form vorangetrieben werden kann. Die allzeit zugänglichen Informationen über Entwicklungen der technischen Normung erschließen jedem die gesammelten Erfahrungssätze der Fachwelt und geben damit Einblick in den jeweils aktuellen Stand der Technik in den einzelnen Fachgebieten. Folgende wichtige Grundsätze technischer Normung sind charakteristisch:
Öffentlichkeit Alle Normungsvorhaben und alle Entwürfe zu DINNormen werden öffentlich bekannt gemacht und vor ihrer endgültigen Festlegung der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt. Kritiker werden an den Verhandlungstisch gebeten. Die Kontrolle, ob eine beabsichtigte Norm z. B. den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik, die wirtschaftlichen Gegebenheiten und gegebenenfalls die einzufordernden außertechnischen Wertbezüge in hinreichendem Maße be-
rücksichtigt und auch nicht den Markt behindert, ist absichtlich keinem DIN-internen Gremium, sondern der Fachöffentlichkeit vorbehalten.
Beteiligung aller interessierten Kreise DIN-Normen werden in Arbeitsausschüssen von Fachleuten der interessierten Kreise erarbeitet. Jedermann (Hersteller, Handel, Handwerk, Wissenschaft, Verbraucher, Interessenverbände z. B. der Klein- und Mittelunternehmen, technische Überwachung, Sozialpartner, öffentliche Hand etc.) kann sein Interesse einbringen. Die Schlichtungs- und Schiedsverfahren sichern jeweils die Rechte von Minderheiten.
Sachbezogenheit Das DIN normt keine Weltanschauung. DIN-Normen sind ein Spiegelbild der Wirklichkeit. Definitionsgemäß müssen dabei technische Normen Fragen des Gemeinwohls einbeziehen. Sie spiegeln deshalb nicht nur das technisch Machbare, sondern auch das gesellschaftlich Akzeptierte wider. Die Normen bieten damit eine Grundlage für das Einschätzen möglicher Marktrisiken oder das Erkennen von Chancen z. B. für einen bestimmten Teilmarkt und sind somit ein Indikator für Investitionsentscheidungen. Der Nutzen der Normung kann wie folgt charakterisiert werden: • Senkung von Transaktionskosten, • Stützung von Exportstrategien,
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
• Erzeugung von Kosten- und Wettbewerbsvorteile, • Intensivierung des Außenhandels, • Reduzierung von Forschungsrisiken und Entwicklungskosten, • Generierung eines Wissens- und Zeitvorsprungs bei innovativen Entwicklungen, • Reduzierung von Produkthaftungsrisiken.
Internationalität Die Normungsarbeit des DIN unterstützt das volkswirtschaftliche Ziel eines von technischen Hemmnissen freien Welthandels und des europäischen Binnenmarktes. Das erfordert als Richtschnur Internationale und hinsichtlich des europäischen Binnenmarktes in starkem Maße Europäische Normen. Harmonisierte Internationale und Europäische Normen, insbesondere in Bereichen wie Sicherheit, Gesundheit, Umweltund Verbraucherschutz, die Teil des nationalen Normenwerkes sind, helfen aufgrund der in wichtigen Fragen vergleichbaren Ausgangssituation, Auslandsmärkte zu erschließen. Sie sind auch Grundvoraussetzung für weltweit anerkannte Zertifizierungssysteme.
2.4.3 Die Entwicklungsbegleitende Normung (EBN) Die traditionelle, konventionelle Normung bildete sich als eine der Entwicklung nachgeschaltete, den Stand der Technik repräsentierende und auf Erprobung und Erfahrung, also Bewährung, basierende Vereinheitlichung heraus. Ihre besondere Bedeutung lag in der zunächst sehr eng ausgelegten Rationalisierung (z. B. einheitliche Messbedingungen, Typenreduzierung) der stark tayloristisch ausgeprägten Produktionstechnik. Mit der zunehmenden Verbreitung der modernen Systemtechniken, insbesondere der Informationstechnik, und deren flächendeckender Anwendung in allen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens kam es zu technischen Entwicklungen, bei denen sich die an eine Vielzahl bestimmter Verfahrensschritte gebundene und damit nicht problemorientiert steuerbare Dynamik der traditionellen Normung als Hemmschuh erwies. Dies führte dazu, die Dienstleistung des DIN für den Bereich der schnellen Innovationen im Sinne einer zielgerichteten, problemorientier-
ten Erneuerung auszuweiten und nach neuen Wegen für die Normung zu suchen. Im Ergebnis entstand die „Entwicklungsbegleitende Normung (EBN)“. Sie ist eine Dienstleistung zur Dynamisierung der traditionellen Normung und umfasst alle Aktivitäten, die darauf abzielen, das Standardisierungspotential von strategischen, grundlegend innovativen Produkten und Dienstleistungen, Systemen und Basistechnologien (Schlüsselinnovationen) so frühzeitig wie möglich zu erkennen, zu beschreiben, Standardisierungsprozesse einzuleiten sowie die Ergebnisse dieser Prozesse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In den letzten Jahren weitete sich das Feld der Standardisierung aus. Wurde über Jahrzehnte hauptsächlich der technische Sektor im Rahmen der technischen Regelsetzung betrachtet, wird zunehmend der Dienstleistungsbereich im Rahmen der Forschung thematisiert und damit zum Gegenstandsbereich der Entwicklungsbegleitenden Normung (EBN). Dienstleistungen machen einen bedeutenden Anteil am Weltbruttosozialprodukt aus – nach Angaben der WTO über 60%; vergleichbare Zahlen gelten auch für die einzelnen Wirtschaftsräume der industrialisierten Welt. Der Anteil der Dienstleistungen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung steigt in nahezu allen entwickelten Volkswirtschaften kontinuierlich, hier werden auch die größten Wachstumspotentiale gesehen. Dementsprechend hat sich auch in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren eine umfangreiche, intensive und fundierte Diskussion um die Weiterentwicklung der Dienstleistungswirtschaft entwickelt. Im Gegensatz zum hohen Anteil von Dienstleistungen am Weltbruttosozialprodukt beträgt der Handel mit Dienstleistungen nur ca. 20% des Welthandels – Dienstleistungen sind also weltweit als Handelsund Exportgüter unterrepräsentiert. Dieses Defizit beruht sicherlich auf der einen Seite auf unzureichenden Rahmenbedingungen, wie Markteintrittsbarrieren, Handelshemmnissen oder rechtlichen Beschränkungen. Ein wesentlicher Grund für dieses Defizit wird auch in fehlenden oder unzureichenden Standards und Normen in der Wirtschaft gesehen, die es ermöglichen, Dienstleistungen wie Sachgüter zu exportieren und zu handeln. Die noch in den ersten Anfängen steckende Normung im Dienstleistungsbereich resultiert sicherlich auch aus einem mangelnden Verständnis des Produkts „Dienstleistung“, da – außer für ganz bestimm-
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
te Branchen – die notwendigen Begriffsbildungen und Terminologien fehlen. Ergänzend dazu wird im Dienstleistungsbereich sowohl in den Themenfeldern Klassifikation, Spezifikation und Qualitätsbewertung von Dienstleistungen als auch zu den branchenspezifischen Themenfeldern E-Commerce, Infrastruktur-Dienstleistungen, Öffentliche Dienstleistungen (E-Government), Finanzdienstleistungen oder Weiterbildung (E-Learning) vordringlich Handlungsbedarf für Maßnahmen zur Entwicklungsbegleitenden Normung gesehen. Bei E-Commerce beispielsweise geht es darum, für die elektronische und automatisierte Beschaffung und innerbetriebliche Abwicklung einheitliche Strukturen wie z. B. Klassifikationen und Merkmale zu schaffen. Bei E-Government liegen z. Z. die Schwerpunkte darin, die Virtuelle Stadt – mit „elektronischem Rathaus“ und „virtuellem Marktplatz“ – modellhaft zu entwickeln und zu erforschen. Durch Maßnahmen der EBN wird die Übertragbarkeit der Lösungen unterstützt und die Einbeziehung von Ergebnissen und Anforderungen weiterer interessierter Kreise gewährleistet. Durch einheitliche Lösungen sollen die Entwicklungen und Umsetzungen beschleunigt und die Akzeptanz gesteigert werden. Durch die Initiative des DIN werden hier neue Kooperationsformen im kommunalen Sektor, der bisher in sich eher geschlossen war, erprobt. Im Rahmen der Standardisierungsarbeit erfolgt eine intensive Zusammenarbeit kommunaler Stellen und der Privatwirtschaft beispielsweise bei der Definition übergreifender Objekte oder der Beschreibung und Vereinheitlichung kommunaler Geschäftsprozesse. Der Markt für E-Learning-Kurse und E-LearningProdukte boomt derzeit, während viele Fragen im Zusammenhang damit ungeklärt sind: was ist ein gutes E-Learning-Produkt und wer beurteilt dies? Was ist eine gute Lernplattform, welches sind die entscheidenden Kriterien und wer hat diese festgelegt? Wie bringt man Inhalte ein und nach welchen Regeln soll dies erfolgen, etc.? Diese Fragen stehen insbesondere für Anwender und Nutzer von E-Learning im offenen Raum; die Entwickler suchen unabhängig voneinander nach Antworten und Lösungen, da der Markt derzeit so groß ist, dass viele Angebote nebeneinander bestehen können, ohne dass gemeinsame Ansätze notwendig wären. Die Kommunikation zu den o. a. Fragen findet derzeit nicht in einem koordinierten Forum der beteiligten Kreise statt. Daher hat das DIN im Rahmen der
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EBN Initiativen gestartet, um diese Fragen zu beantworten. Die Entwicklungsbegleitende Normung ist speziell ausgerichtet auf die neuen Wettbewerbsfaktoren der Wirtschaft: Schnelligkeit, Internationalität, Eindeutigkeit (im Hinblick auf Objektivierung), Systemdefinition und -strukturierung, Interdisziplinarität und Flexibilität. Mit diesen neuen Ausrichtungen verschieben sich bestimmte Bereiche der Normung von der überwiegend traditionellen, operativen Ebene hin zur strategischen Ebene. In der traditionellen Normung gilt das Praxisprinzip („Graswurzelprinzip“), d. h. die Notwendigkeit neuer Normungsvorhaben ergibt sich aus dem täglichen operativen Geschäft, z. B. indem ein noch nicht geregelter Sachverhalt die rationelle Erfüllung einer Aufgabe behindert. Die Entwicklungsbegleitende Normung als strategisches Mittel der Innovationen wird auf operativer Ebene nicht als vordringlich erkannt. Hier bedarf es der Einschaltung der strategischen, also der Managementebene. Die Entwicklungsbegleitende Normung hat eine „Spagataufgabe“ zu lösen. Einerseits muss sich eine optionale Vereinheitlichung auf reale, praxisbezogene Technikdaten beziehen und andererseits sind ohne die intensive Mitarbeit der Forschungs- und Entwicklungsebenen keine schnellen, in die Zukunft gerichteten Lösungen denkbar. Hierbei wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit zukünftig eine besondere Betonung erhalten, auch unter den Aspekten Public Private Partnership, Berücksichtigung sozialpartnerschaftlicher Aspekte, Ökoeffizienz, Qualitätsmanagement oder Sozialverträglichkeit bei der Formulierung von Ordnungsrahmen für neue Technologien. Nur ein frühzeitiger Diskurs aller Gesellschaftsbereiche kann zu einer allgemein anerkannten Zielprojektion führen. Der traditionelle „runde Tisch“ des DIN, der alle interessierten Kreise unter dem Blickwinkel der Gemeinwohlorientierung zusammenführt, bietet sich im Rahmen der Entwicklungsbegleitenden Normung für diesen frühzeitigen Diskurs an. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in den Fachgebieten, in denen die Normung Tradition hat (z. B. Maschinenbau oder Elektrotechnik), der Gedanke der Entwicklungsbegleitenden Normung auf fruchtbaren Boden fiel und angenommen wurde. Fachgebiete, die traditionell der Normenpraxis nicht so nahe stehen, wie die Naturwissenschaften Physik, Biologie, Chemie (u. a. die physikorientierte Lasertechnik), taten sich erheblich schwerer mit der Akzeptanz dieser
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
neuen Normungsmethode. Hier wurden anfänglich Befürchtungen im Hinblick auf eine zu frühzeitige „endgültige“ technische Festlegung geäußert, weil man damit die Gefahr der Behinderung von Entwicklungsmöglichkeiten verbunden sah. Verkannt wird z. T., dass es bei der Entwicklungsbegleitenden Normung um Schnittstellen-, Systemstruktur-, Prüf-, Mess-, Sicherheits- und Terminologie-Normen geht, also um die Festlegung von notwendigen Rahmenbedingungen für neue Systemtechnologien und nicht um die Festlegung nicht erprobter technischer Aspekte. Auch für Fachgebiete, die zwar nicht ohne Standardisierung auskommen, die Probleme jedoch eher in Konsortien statt am runden Tisch des DIN lösen, wie es häufig im IT-Sektor der Fall ist, gilt es die Vorteile des DIN herauszustellen und Motivationsarbeit zu leisten, die Möglichkeiten, die sich durch die offizielle Normung bieten, zu nutzen. Dabei ist besonders der Zugang zum internationalen Markt herauszustellen, der durch die Mitarbeit im DIN – das DIN ist das offizielle deutsche Mitglied der Internationalen Normungsorganisationen ISO/IEC – ermöglicht wird. Aktuell verlangt die Fachöffentlichkeit – insbesondere auf Gebieten wie der Informations- und Kommunikationstechnik – nach noch schnelleren Verfahren und Publikationsarten. Auf deutscher und internationaler Ebene wurde die „Publicly Available Specification“ (PAS), auf europäischer Ebene das „CEN Workshop Agreement“ (CWA). Dies sind Dokumentarten, die nur noch auf dem begrenzten Konsens eines ad hoc zusammengekommenen Interessentenkreises beruhen. PAS und CWA liegen auf der Grenze zwischen Werknorm und DIN-Norm, gleichgültig, ob deutschen, europäischen oder internationalen Ursprungs. Es geht um eine abgestufte Palette verschiedener Arbeitsergebnisse, nicht nur Normen und Vornormen, sondern auch Fachberichte und öffentlich verfügbare Spezifikationen (PAS). Es geht um marktbestimmende Produkt- und Systementwicklung. Auf internationaler und nationaler Ebene laufen Bestrebungen, alle nicht konsensbasierten Dokumente zu einem Dokument zusammen zu fassen. Auf nationaler (deutscher) Ebene würde es dazu führen, dass die PAS, die CWA, die Vornorm und der Fachbericht zukünftig unter dem Begriff DIN SPEC vermarktet werden. Das würde bedeuten, dass es neben der traditionellen (konsensbasierten) Norm zukünftig nur noch ein zweites Dokument vom DIN geben wird.
Angesichts der Globalisierung der Märkte werden PAS und CWA nicht nur auf nationaler und europäischer, sondern ausdrücklich auch auf internationaler Ebene erarbeitet. PAS und CWA kommt i. d. R. nur temporäre Bedeutung zu. Sie sind nicht geeignet, eine Vermutungswirkung der Konformität mit Rechtsvorschriften zu entfalten. Aber für den weiten Bereich marktnaher, gesetzlich nicht geregelter unternehmerischer Tätigkeit sind die Normungsorganisationen gefordert, Verfahren und Mechanismen zur Verfügung zu stellen, um solche Bestrebungen aufzufangen, um kurzfristig auf mögliche Systembrüche aufmerksam zu machen und langfristig die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit des zu beachtenden technischen Regelwerks zu bewahren. Es kann festgestellt werden, dass heutige Innovationen ohne entsprechende Strukturbedingungen (Prüfund Messtechniken, mechanische und elektronische Schnittstellen, Sicherheitssysteme, Merkmalbeschreibungen, Klassifikation, Spezifikation und Qualitätsbewertung etc.) nicht effektiv am Markt durchsetzbar sind. Als Beispiel kann der Einsatz der Lasertechnik in der Medizin angeführt werden, der ohne ausgewogene, vor allem durch die interessierten Kreise anerkannte Sicherheitsnormen nur bedingt einsatzfähig wäre. Es ist sehr wichtig, die interessierten Kreise nicht nur frühzeitig, sondern ausgewogen an einem „neutralen Tisch“ zu versammeln. Hierdurch läuft man nicht Gefahr, dass Standards, die außerhalb dieses Kreises erarbeitet wurden, nachträglich in Doppelarbeit und mit Zeitverzug angepasst werden müssen oder überhaupt nicht realisiert werden können. Mit der Entwicklungsbegleitenden Normung ergänzt das DIN die traditionelle Normung um ein wirksames Instrument für die Bereiche mit schneller Innovation. Die Entwicklungsbegleitende Normung schafft strategische Infrastrukturen und leistet so einen effektiven Beitrag für die Forschung und Entwicklung und Einführung innovativer Produkte und Dienstleistungen am Markt.
2.4.4 Normung in Europa: der europäische Binnenmarkt Normung ist kein Selbstzweck. Dieser Grundsatz gilt für alle Normungsebenen – national, europäisch und
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
international. Demnach müssen auch die europäischen Normungsarbeiten an den Bedürfnissen der interessierten Kreise ausgerichtet werden. Einheitliche Europäische Normen, die von den Marktteilnehmern akzeptiert werden, sind eine wichtige Voraussetzung für den Binnenmarkt. Normen setzen darüber hinaus Maßstäbe für das rechtlich einwandfreie technische Verhalten. Das gilt insbesondere dann, wenn sie im Zusammenhang mit allgemein formulierten Rechtsvorschriften stehen und es dem Hersteller eines Produktes ermöglichen, durch Beachtung der genormten Anforderungen die Konformität des Produktes mit den Rechtsvorschriften nachzuweisen. Die Bezugnahme auf Normen in Rechtsvorschriften hat zahlreiche Vorteile: • Entlastung der Rechtsvorschriften von unnötigen Details, • Hohe Flexibilität in der Anwendung, da die gesetzgeberischen Ziele (grundlegenden Anforderungen) in der Norm nicht abschließend, sondern nur beispielhaft konkretisiert werden und andere Lösungsmöglichkeiten (Innovationen) offen bleiben, • Aktualität gesetzlicher Regelungen durch Verweis auf den „Stand der Technik“, • Positive Motivation zur Anwendung der Normen, da die interessierten Kreise am Normungsprozess beteiligt sind. • Das DIN bejaht die europäische Einigung und stellt nationale Sonderinteressen hinter die Zielsetzungen für ein gemeinsames Europa. In diesem Sinne wurde in den vergangenen Jahren das traditionsreiche deutsche Normenwerk in den europäischen Einigungsprozess eingebracht. Neben der europäischen Normung bildet die internationale Normung einen weiteren Schwerpunkt der Arbeiten des DIN. Internationale Normen von ISO und IEC sind eine wesentliche Voraussetzung für den freien Welthandel. Sie tragen zum Abbau von technischen Handelshemmnissen bei. Zugleich unterstützen sie damit die Umsetzung der von den Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarten politischen Ziele. Das ist insbesondere für die exportorientierten Industrien ein entscheidender Vorteil. Nicht ohne Grund haben sich die Mitgliedsstaaten der WTO und die Europäische Union um Rahmen
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des TBT8 -Abkommens verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Internationale Normen anzuwenden. Staat und Wirtschaft brauchen international abgestimmte Normen. Das DIN setzt sich dafür ein, dass – wann immer es möglich ist – Internationale Normen erarbeitet werden, die dann unverändert als regionale und nationale Normen übernommen werden können. Wichtig ist allerdings auch, dass bei Annahme einer Internationalen Norm die entgegenstehenden nationalen Normen zurückgezogen werden. In Europa werden Internationale Normen systematisch als Europäische Normen übernommen. Das geschieht vorzugsweise durch das parallele Annahmeverfahren, wie es in den Vereinbarungen von Dresden (IEC/CENELEC) und Wien (ISO/CEN) festgelegt ist. Die europäische Normung ist Bestandteil des europäischen Integrationsprozesses und kann deshalb nicht von den politischen Realitäten in Europa losgelöst werden. Die Europäische Union ist kein Bundesstaat; sie lebt aus der aktiven Beteiligung ihrer Mitglieder. Die dezentrale Organisation der Institutionen der europäischen Normung bietet den Arbeitsgremien ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Flexibilität. Zugleich ergibt sich daraus die Pflicht, die vereinbarten Zielvorgaben einzuhalten. Es ist Aufgabe der Lenkungsgremien der Normungsorganisationen, inhaltliche und zeitliche Ziele vorzugeben, Abweichungen von den Zielvorgaben zu erkennen und gemeinsam mit den betroffenen Arbeitsgremien Korrekturmaßnahmen einzuleiten. CEN und CENELEC sind Instrumente, die sich die nationalen Normungsinstitute geschaffen haben, und deren Verhältnis zu den nationalen Normungsorganisationen durch Partnerschaft, nicht durch den Wettbewerb geprägt ist. Auch in der europäischen Normung behalten das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der nationalen Delegation ihre herausragende Bedeutung. Die nationalen Normungsinstitutionen bleiben die konstitutiven Grundsteine des Systems der europäischen Normung in CEN und CENELEC: • Sie informieren die nationale Fachwelt über alle wichtigen Entwicklungen der technischen Regelsetzung in Europa. • Sie sorgen durch ihre Mitarbeit bei ISO/IEC dafür, dass Internationale Normen im Konsens mit den eu8
TBT = Technical Barriers to Trade
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
ropäischen Interessen entstehen und deshalb unverändert als Europäische Normen und damit als nationale Normen übernommen werden können. Sie führen das öffentliche Einspruchsverfahren auf nationaler Ebene durch und sorgen für nationalen Konsens und für nationale Akzeptanz. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Beteiligung von jedermann und damit zur demokratischen Legitimation der technischen Normung, die in weiten Breichen mit europäisch zentralisierten Verfahren nicht erreichbar ist. Sie bilden insbesondere ein Forum für kleine und mittlere Unternehmen, die sich aus Sprach- und Kostengründen nur an der nationalen Konsensfindung beteiligen können. Sie stellen die notwendigen Sprachfassungen der Europäischen Normen bereit. Sie sorgen für eine rasche Übernahme der Europäischen Normen ins nationale Normenwerk und für die Zurückziehung entgegenstehender nationaler Normen. Sie bieten ein umfassendes Dienstleistungsangebot für die Normenanwender.
Auch der künftige Trend hin zu globalen Lösungen schmälert nicht die Bedeutung der nationalen Institute, da diese sämtlich auch Mitglieder in ISO und IEC sind. Als eigentliche „Eigentümer“ des CEN und des CENELEC sind sie integraler Bestandteil des europäischen Normungssystems. Die Institutionen der europäischen Normung haben in dem vergangenen Jahrzehnt eine Phase starken Wachstums hinter sich. In Zukunft kommt es darauf an, die Produktivität, die Effizienz und die Transparenz der Normung zu steigern und vor allem die Bearbeitungszeiten noch weiter zu verkürzen. Das darf jedoch nicht zu einem Verlust an Qualität und an Konsens führen. Insbesondere muss hervorgehoben werden, dass der weitaus überwiegende Zeitbedarf im Normungsprozess für die Erarbeitung der technischen Inhalte und den Konsensbildungsprozess benötigt wird. In erster Linie sind somit die betroffenen Kreise aufgefordert, die hierfür erforderliche Expertenkapazität mit den notwendigen Zielvorgaben zur Verfügung zu stellen. Zur Erzielung hoher Effizienz bei der Erarbeitung Europäischer Normen im Rahmen des Neuen Konzepts ist aber auch unerlässlich, dass
• Rechtsvorschriften hinreichend klar formuliert sind, • Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation grundlegender Anforderungen rasch geklärt werden, • Nationale Behörden sich an der Facharbeit beteiligen und nicht erst nach deren Abschluss versuchen (z. B. durch Androhung von Schutzklauselverfahren), das Ergebnis der europäischen Konsensbildung in Frage zu stellen. Die Anforderungen an die europäische Normung unterliegen einem ständigen Wandel und erfordern eine regelmäßige Überprüfung der strategischen Ziele. Die Neuausrichtung der CEN-Strategie umfasst insbesondere die folgenden Kernpunkte: • Durch die Erweiterung der Europäischen Union hat sich die Anzahl der CEN-Mitglieder in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Deshalb müssen die Lenkungs- und Entscheidungsstrukturen reformiert werden, um auch weiterhin schnell und flexibel reagieren zu können. • Die wichtigsten Träger des CEN werden auch in Zukunft die nationalen Normungsinstitute der EUund EFTA-Länder sein. Zusätzlich erhalten europäische Organisationen die Möglichkeit, dem CEN als assoziierte Mitglieder beizutreten und dabei insbesondere fach- und gruppenspezifische Aspekte in die Normung einzubringen. • Den besonderen Bedürfnissen einzelner Sektoren soll in stärkerem Maße Rechnung getragen werden. Das CEN ist dazu bereit, Sektorstrukturen einzurichten, wenn die interessierten Kreise dieses wünschen und auch zu deren Finanzierung beitragen. • Der Anteil der mandatierten Normungsarbeiten und die damit verbundene Finanzierung durch Mittel der Europäischen Kommission werden in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen. Aus allen dargestellten Faktoren lassen sich nun folgende Schlussfolgerungen ziehen: 1. Rolle der Normung in Europa • Die Neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung hat sich bewährt. • Die Erarbeitung freiwilliger Europäischer Normen unter Beteiligung aller interessierten Kreise zur beispielhaften Konkretisierung
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
allgemein gehaltener Rechtsvorschriften entlastet den Staat und ermöglicht eine flexible Fortschreibung des Standes der Technik. • Europäische Normen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Vollendung des Binnenmarktes und zum Abbau von technischen Handelshemmnissen. 2. Beziehungen zwischen europäischer und internationaler Normung • Die Europäische Union unterstützt den freien Welthandel und richtet ihre Politik an den Zielen der WTO-Vereinbarungen aus. • Vorrang hat die Erarbeitung Internationaler Normen, die unter aktiver Mitwirkung der europäischen ISO/IEC-Mitglieder entstehen und die den europäischen Interessen in angemessener Weise Rechnung tragen. • Durch die Vereinbarungen von Wien (ISO/ CEN) und Dresden (IEC/CENELEC) wird unnötige Doppelarbeit vermieden. Diese Vereinbarungen haben sich in der Praxis bewährt. • Ziel ist es, Internationale Normen unverändert als Europäische und demnach auch als nationale Normen zu übernehmen und entgegenstehende regionale und nationale Normen zurückzuziehen. Die Europäische Union setzt sich dafür ein, dass dieser Grundsatz auch von den anderen Wirtschaftsregionen umgesetzt wird. 3. Organisationsstrukturen • Die derzeitigen Organisationsstrukturen tragen insgesamt in angemessener Weise den europäischen Normungsbedürfnissen Rechnung. • Die Vielfalt spezifischer Rahmenbedingungen für die einzelnen Arbeitsgebiete erfordert maßgeschneiderte Lösungen. Das betrifft gleichermaßen Strukturen, Verfahren und Arbeitsergebnisse. Die bereits eingeleiteten Initiativen der Europäischen Normungsorganisationen zur Erfüllung sektorspezifischer Normungsbedürfnisse werden begrüßt. • Das nationale Delegationsprinzip und das öffentliche Einspruchsverfahren auf nationaler Ebene sind die tragenden Elemente der europäischen Konsensbildung. Sie ermöglichen die Beteiligung aller interessierten Kreise am Meinungsbildungsprozess und schaffen damit
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die notwendige Legitimierung der Arbeitsergebnisse. 4. Beteiligung • Die Anwendung der Normen ist freiwillig. Sie benötigen die Akzeptanz und Unterstützung aller interessierten Kreise. Deshalb ist der Normungsprozess offen und transparent. Auf diese Weise können die Bedürfnisse der Praxis angemessen berücksichtigt werden. • Das Konsensprinzip ist ein wichtiger Normungsgrundsatz und fördert zugleich die Akzeptanz. Mehrheitsentscheidungen führen dagegen häufig zur Ausgrenzung einzelner interessierter Kreise. 5. Rolle der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission • Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und Normungsorganisationen ermöglicht es, den öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen und zugleich mit einem flexiblen Instrumentarium den Stand der Technik fortzuschreiben. Die Neue Konzeption trägt diesem Gedanken Rechnung. • Der Staat trägt die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit seiner Bürger. In diesem Sinne ist es seine Aufgabe, die Schutzziele in Form von grundlegenden Anforderungen zu definieren und möglichst klare Normungsaufträge zu formulieren. • Die aktive Mitwirkung von Behördenvertretern ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Europäischen Normen in angemessener Weise den öffentlichen Interessen Rechnung tragen. • Die Effizienz des Normungsprozesses darf durch die EU-Kommission und durch die Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden. Deshalb ist es erforderlich, staatliche Interessen frühzeitig in die Facharbeit und in den Konsensbildungsprozess einzubringen. Eine nachträgliche Beurteilung der im Konsens verabschiedeten Europäischen Normen durch staatliche Stellen führt zu unnötigen Verzögerungen und zur Unzufriedenheit der interessierten Kreise, die diese Normen mit hohem Aufwand erstellt haben. • Das Schutzklausel-Verfahren ermöglicht es den Mitgliedsstaaten, eventuelle Mängel der
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Europäischen Normen geltend zu machen und eine objektive Überprüfung zu veranlassen. Dieses Instrumentarium sollte jedoch nicht dazu missbraucht werden, nachträglich einzelstaatliche Positionen geltend zu machen, die während des Konsensbildungsprozesses nicht die notwendige Unterstützung gefunden haben.
2.4.5 Technik und Recht Die technische Entwicklung und die Entwicklung des Rechts stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis. Das auf die Wahrung des Rechtszustandes ausgerichtete Denken der Juristen steht im Gegensatz zu dem zukunftsorientierten, auf Änderung und Dynamik bedachten Denken des Naturwissenschaftlers und Ingenieurs. Vorhandene juristische Mittel versagen bei der Einschätzung eines komplexen oder neuen technischen Sachverhalts. Die Gefahr einer Fehlanwendung und Fehlinterpretation technischer Regelungen im Rechtsstreit steigt. Langwierige behördliche und gerichtliche Genehmigungsverfahren verhindern zügige Planungsfortschritte. Dies alles hemmt die Innovationskraft und die Risikobereitschaft der Unternehmen. Mögliche technische Fortschritte werden unter Umständen sogar bewusst unterlassen. Trotzdem bleibt festzustellen, dass insbesondere die technischen Normenwerke in der Lage sind, auf der Grundlage des empfindlichen, von starken Interessengegensätzen gekennzeichneten Spannungsfeldes zwischen technischem Fortschritt und rechtsstaatlichem Ordnungsbedürfnis ein weitgehendes Einvernehmen herzustellen. Diese Vermittlerrolle der technischen Normung bewirkt, dass der Wirkungsgrad der technischen Normen sich mit dem der Rechtsnormen durchaus messen kann. Sie haben weitreichenden und chancenteilenden Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen. Sie liefern einen wichtigen Beitrag zu technischen Lösungen, die helfen, Leben und Gesundheit des Bürgers gegen die Gefahren des technischen Fortschritts zu schützen. Damit gerät die technische Norm zwangsläufig in ein besonderes Verhältnis zu den Gewährleistungsfunktionen des Staates. Der Staat trägt die Verantwortung für den Schutz wichtiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit.
Stehen in diesem Zusammenhang technische Sachverhalte in Frage, beschränkt sich der Gesetz- und Verordnungsgeber im Regelfall auf die Festlegung der eigentlichen Schutzziele bzw. der grundlegenden Anforderungen und überlässt deren Konkretisierung bzw. weitere Ausgestaltung den technischen Normen. Dies trifft sowohl für die nationale Ebene als auch für die europäische Ebene im Zusammenhang mit den EG-Richtlinien zu. Damit helfen technische Normen, den Konflikt zwischen dem Beharren der Rechtsnormen und der Dynamik der technischen Entwicklung zu überwinden. Herstellern und Anbietern wird jeweils aktuell die Möglichkeit geboten, sich über die in Gesetzen und Verordnungen festgelegten grundlegenden Anforderungen sowie insbesondere über deren allgemein anerkannte technische Spezifikationen zu informieren. Die Produktenwicklung kann so gesetzund marktkonform gesteuert werden. Für den Produktanwender (Nachfrager) werden die Verwendungsmöglichkeiten neuer Produkte schneller transparent. Allen Marktteilnehmern wird mit Hilfe der technischen Normung ein Maßstab für technisch einwandfreies Verhalten zugänglich gemacht. Damit verringert sich u. a. auch das Haftungsrisiko im Schadensfall. Grundsätzlich gilt es festzuhalten: • Gesetze sind für alle verbindlich, • Normen sind Empfehlungen der Fachwelt für ein ordnungsgemäßes Verhalten, • Werknormen sind verbindliche Vorgaben auf der Ebene der Unternehmen, • Öffentlich verfügbare Spezifikationen (Publicly Available Specification = PAS) sind öffentlich verfügbare Vereinbarungen. Abbildung 2.21 zeigt die hierarchische Stellung dieser technischen Regeln zueinander.
2.4.6 Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung Die vorstehenden Darstellungen von Normen und Standards haben gezeigt, dass diese Felder ein wichtiges strategisches Instrument für Unternehmen sind und somit eine weitreichende Bedeutung auch für die Volkswirtschaft eines Landes darstellen.
2.4 Strategische Bedeutung der Normung/Standardisierung
Gesetze
Verordnungen und Erlasse
Normen PAS Werknormen
Abb. 2.21 Hierarchie der technischen Regeln
Im Jahre 2000 wurde eine Gemeinschaftsstudie zum Nutzen der Normung in den Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz parallel durchgeführt. Das DIN Deutsches Institut für Normung e. V. war federführend und hat die Studien bei den Lehrstühlen für Marktorientierte Unternehmensführung und für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der TU Dresden sowie dem Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (FhG-ISI), Karlsruhe, in Auftrag gegeben. Dabei wurden „Wirkungen von Normen: Ergebnisse der Unternehmensbefragung und der Experteninterviews“ von der TU Dresden und „Zusammenhang zwischen Normung und technischem Wandel, ihr Einfluss auf die Gesamtwirtschaft und den Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland“ vom FhG-ISI untersucht. Die Erarbeitung von Normen durch privatwirtschaftliche Institutionen stellt ein wesentliches Element der technisch-ökonomischen Infrastruktur eines Landes dar und beeinflusst deshalb die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft und die strategische Ausrichtung von Unternehmen. Die nächsten Absätze geben die Kernaussagen der o. g. Studie wieder:
Unternehmerischer Nutzen
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orientieren sich an Normen. Um mögliche Umstellkosten zu minimieren, engagieren sich 75% der Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in der Erarbeitung europäischer und internationaler Normen. Unternehmen, die sich aktiv an der Normungsarbeit beteiligen, realisieren Vorteile in Bezug auf Kosten und Wettbewerb. Kosten für die Anpassung an veränderte Normen verringern sich, da durch eine Beteiligung an der Normungsarbeit dieser Wissensvorsprung genutzt werden kann. Normen wirken deregulierend, in dem der Staat zur Beschreibung einzelner Fakten, z. B. technische Inhalte, auf Überbetriebliche Normen zurückgreift. Der Staat wirkt dabei als einer der interessierten Kreise i. d. R. an der Erarbeitung mit. Standards in globalen Märkten Unternehmen werden auf ausländischen Märkten mit anderen Normen und Spezifikationen konfrontiert. 84% der befragten Unternehmen verwenden europäische und internationale Normen, um sich an diese anzupassen. Ein Drittel der Unternehmen setzt sich auf dem Exportmarkt mit Erzeugnissen durch, die eigene nationale Normen beinhalten, und 27% passen die inländische Leistungserstellung an ausländische Normen an. Ein einheitliches europäisches und internationales Normenwerk führt dazu, dass die Unternehmen ihre Handelskosten reduzieren können. Kostenersparnisse werden erzielt, da die Anpassungskosten bei Exportgeschäften entfallen. Positiv wirken sich bessere Kooperationsmöglichkeiten und ein größeres Angebot an Zulieferern aus, da sich die Plattform der Kooperationspartner und Zulieferer vergrößert. Normen in der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung Die Abhängigkeit eines Unternehmens von nur einem Zulieferer wird mittels Normung verringert. Dadurch entsteht ein breiteres Angebot für das jeweilige Unternehmen und der Wettbewerb auf der Zulieferseite wird gefördert bei gleichzeitiger Qualitätssicherung.
Strategische Bedeutung der Standardisierung Europäische und Internationale Normen spielen eine hervorragende Rolle auf den Exportmärkten. Die Unternehmen stellen ihre Exportstrategien darauf ein und
Normen und die Bildung von strategischen Allianzen Überbetriebliche Normen bilden ein einheitliches technisches Regelwerk. Diese „Codierung“ von
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Wissen erleichtert den Unternehmen die Zusammenarbeit bzw. die Bildung von strategischen Allianzen. Für die Unternehmen ist eine Zusammenarbeit auf normativer Ebene sinnvoll, da hierbei durch Synergieeffekte Kostensenkungspotentiale und damit größere Ertragsmöglichkeiten entstehen.
Sicherheit Sicherheitsnormen leisten einen Beitrag zum Rückgang der Unfallzahlen in Unternehmen, da sich in ihnen der Fachverstand aller interessierten Kreise fokussiert. Öffentliches Interesse
Normen in Forschung und Entwicklung Innovationsprojekte werden von Normen nicht behindert. Verzögerungsfaktoren sind vielmehr lange Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren oder das wirtschaftliche Risiko der Projekte. In Unternehmen wird das wirtschaftliche Risiko der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit durch die Teilnahme am Normungsprozess vermindert. Man schätzt das Risiko, bei Teilnahme in eine nicht-wettbewerbsfähige Technologie zu investieren, als gering ein. Diese Risikoreduzierung ergibt sich daraus, dass die Unternehmen die Ergebnisse in Normen zu ihren Gunsten beeinflussen können. Unternehmen können durch die Teilnahme am Normungsprozess die eigenen Forschungs- und Entwicklungskosten senken. Diese Reduzierung des F&E-Aufwands kann dadurch erreicht werden, dass die anderen Teilnehmer ihre Forschungs- und Entwicklungsergebnisse aus strategischen Gründen für den Teilnehmerkreis zur Verfügung stellen. Dieses Wissen muss damit nicht mehr im eigenen Unternehmen erarbeitet werden. Im Rahmen schneller Entwicklungen hat sich das Konzept der „Entwicklungsbegleitenden Normung (EBN)“ bewährt, also die schnelle Entwicklung normativer Strukturen (Normen und Standards) in hochinnovativen Gebieten. Reaktionsgeschwindigkeit der Normung Unternehmen erhalten durch die Teilnahme am Normungsprozess wichtige Hinweise und Sicherheiten zu ihrem Investitionsverhalten. Wird ein Thema in den Arbeitsgremien behandelt, kann man von einer gewissen Stabilität dieses „Standes der Technik“ ausgehen. Dies schafft Investitionssicherheit, die besonders für KMU auf Grund ihrer begrenzten Finanzmittel von großer Bedeutung ist.
Mit der Verwendung von Normen reduziert sich für ein Unternehmen das Haftungsrisiko, da Normen den aktuellen Stand der Technik definieren. Der Gesetzgeber greift in Haftungsfragen auf Normen zurück. So fordert beispielsweise das Gesetz die Beschaffenheit technischer Arbeitsmittel nach den anerkannten Regeln der Technik, und dies sind dann u. a. vom Gesetzgeber bezeichnete Normen [3]. Normen tragen somit zur Entlastung des Staates bei, da sie durch das Expertenwissen der interessierten Kreise in den Unternehmen bereitgestellt werden und der Staat auf sie in Gesetzen verweisen kann [4]. Normungsinstitut 80% der Unternehmen würden zusätzliche Kosten entstehen, wenn kein nationales Normungsinstitut mehr existieren würde. Die Kosten werden im Durchschnitt mit ca. 20 000 e pro Jahr pro Unternehmen beziffert. Selbst wenn national eigene Vorschriften erlassen werden dürfen, ist ein nationales Normungsinstitut notwendig, um Einfluss und Einflussmöglichkeiten auf die europäische und internationale Normung zu leisten und zu nehmen [5].
Volkswirtschaftlicher Nutzen Standardisierung und technischer Wandel In innovativen Feldern werden häufig neue Normen und Standards entwickelt. Das deutsche Normungswesen passt sich den Bedürfnissen des technischen Wandels adäquat an. Die Lebensdauer der genannten Dokumente reduziert sich mit steigender Dynamik des technischen Wandels. Neue Standards bzw. die in den meisten Fachgruppen zunehmenden Bestände an Normen wirken sich positiv auf das Innovationspotential in Deutschland aus.
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
Wegen der engen Verbindung zwischen Innovation und Anwendung der Standards muss man sich bei der Wahl der Fachfelder eng am technischen Wandel und am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik orientieren [6]. Bedeutung der Normung in einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion Das Wirtschaftswachstum wird durch Normen stärker beeinflusst als durch Patente und Lizenzen. Zum durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 3,3% (für den Zeitraum 1960 bis 1990, bezogen auf die Bruttowertschöpfung im Unternehmenssektor) trug die Normung zu einem Drittel bei.
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Literatur 1. Die Deutsche Normungsstrategie (DIN) 2004 2. Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung – Abschlussdokumentation – Darstellung der Forschungsergebnisse. CD-ROM, Berlin: Beuth 2001 3. Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung – Auswertung der Experteninterviews – Arbeits-, Verbraucher-, Umweltschutz, Wirtschaftsverbände, Öffentliches Interesse. Berlin: Beuth 2000 4. Klein, M.: Einführung in die DIN-Normen. 14. Aufl. Berlin: Beuth 2007 5. DIN (Hrsg.): Grundlagen der Normungsarbeit des DIN. Normenheft 10, 7. Aufl. Berlin: Beuth 2001 6. DIN (Hrsg.): Normen und Wettbewerb. Berlin: Beuth 2002
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften Bedeutung von Normen für den Außenhandel beim Übergang von der IndustrieAllein das Bestehen von Normen ist positiv, weil zur Wissensgesellschaft sie insbesondere für ausländische Produzenten und Konsumenten die Transparenz der Eigenschaften der inländischen Investitions- und Konsumgüter erhöhen. Aber auch die Übernahme von Normen durch ausländische Zulieferer kann zu Kosteneinsparungen führen, wenn Vor- und Zwischenprodukte billiger aus dem Ausland importiert werden können. Internationale Normen fördern stärker als nationale Normen den intra-industriellen Handel. Internationale Normen führen zu Wettbewerbsvorteilen für die inländischen Produzenten. Makroökonomische Bedeutung von Normen 1998 betrug der Nutzen der Normung pro Jahr über 15 Mrd. e. Das entsprach einem volkswirtschaftlichen Nutzen der Normung in Höhe von ca. 1% des Bruttosozialprodukts. Die positiven volkswirtschaftlichen Wirkungen, die weit über die Summe der einzelwirtschaftlichen Nutzen hinausreichen, und die staatsentlastenden Implikationen technischer Normen legitimieren eine Förderung der Normung mit öffentlichen Geldern und verleihen der Normung somit einen festen Platz sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch in der Forschungsbzw. Innovationspolitik.
Seit einer Reihe von Jahren häufen sich in Deutschland die Hiobsbotschaften über Firmenpleiten, Massenentlassungen, Standortverlagerungen und ähnliches. Kommentatoren sind dann meist rasch mit Erklärungen zur Stelle: das Management von Agfa (oder Kodak) habe die Digitaltechnik, Siemens die Trends im Handy-Markt, Sony die MP3-Technik und die Firmen X oder Y den Dieselrußfilter oder irgendeine andere Innovation „verschlafen.“ Und ähnlich oft heißt es, ein Unternehmen habe zu wenig in Forschung und Entwicklung (F+E) investiert und deshalb den Anschluss verpasst. Wer sich jedoch eingehender mit dem Thema „Innovation“ befasst, stellt bald fest, dass solch plausibel klingende Erklärungen häufig an der betrieblichen Realität vorbeigehen. Denn Innovationen werden in der Regel nicht „verschlafen“ – sie werden vielfach nicht gewollt. Und dass auch die Höhe des F+E-Etats kein Garant für Erfolg ist, wurde durch jährliche weltweite Studien bestätigt. Darin wurden die 1000 Unternehmen mit den weltweit größten F+E-Etats über einen Zeitraum von sechs Jahren miteinander verglichen. Ergebnis: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Ausgaben für F+E (oder auch der Zahl der Patente) und dem Unternehmenserfolg
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
(gemessen am Umsatzwachstum, Gewinn und Börsenwert).9 Zweifellos sind Forschung und Entwicklung notwendig für viele Arten von Innovation – Etatkürzungen wären also die falsche Antwort. Aber sie sind nicht hinreichend, denn letztlich kommt es natürlich darauf an, ob die Ergebnisse aus der Forschung auch praktisch umgesetzt werden. Jedoch genau dies geschieht sehr oft nicht – dafür gibt es zahllose Beispiele. Ein besonders prominentes stammt vom XeroxKonzern, der mit dem PARC (Palo Alto Research Center) lange Zeit über das wohl beste Forschungslabor der Welt verfügte. Fast alle Erfindungen, die für den Siegeszug der PCs bedeutsam waren, stammen nicht etwa von Microsoft oder Apple, sondern wurden schon in 70er Jahren im PARC entwickelt (Maus, „Windows“, Grafische Arbeitsplatzstationen, Laserdrucker, Netzwerke und vieles mehr). Doch die Topmanager von Xerox konnten den ungeheuren Wert dieser Erfindungen gar nicht erkennen, weil sie von mittleren Managern des Konzerns – die diese Erfindungen als Gefahr für ihre (Kopierer-)Bereiche und für ihre Machtpositionen ansahen – systematisch falsch informiert wurden.10 Dieser Fall steht für viele Fälle und zeigt: Auch der größte F+E-Etat und das beste Forschungspersonal nützen wenig, wenn die Entscheidenden neue Ideen und Entwicklungen verkennen, weil sie in Strukturen und Prozessen gefangen sind, die neue Erkenntnisse kaum durchlassen. Beim Thema Innovation zählt nicht Menge, sondern nur Qualität. Deshalb ist letztlich nicht die Quantität der Mittel, sondern die Qualität von Ideen und der Umgang mit den Ideenträgern, also die Qualität der betrieblichen Prozesse entscheidend für den Erfolg. Genau an diesen beiden Punkten muss eine Strategie ansetzen, die mehr und bessere Innovationen zum Ziel hat. 9
Booz-Allen-Hamilton Inc.: Global Innovation 1000 – Money isn’t Everything. 2005 und 2006 10 Smith, D. und Alexander, R.: Fumbling the Future: How Xerox Invented, Then Ignored, the First Personal Computer. New York 1988
2.5.1 Ansatzpunkte einer Innovationsstrategie Innovationen sind das Ergebnis komplexer sozialer Prozesse, in denen ökonomische Interessen, gesellschaftliche und betriebliche Kräfteverhältnisse, kulturelle Normen und Wertvorstellungen sowie andere „weiche“ Faktoren die entscheidende Rolle spielen. Die Quelle einer jeden Invention, also der Idee, die zur Innovation führt, ist stets der einzelne Mensch. Obgleich dies eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte, stellte der Innovationsforscher Erich Staudt hierzu fest: „In der Vernachlässigung dieser Grundvoraussetzung liegt die wesentliche Ursache für die expandierende Innovationsschwäche am Standort Deutschland.“11 Menschen handeln innovativ, wenn sie es können, wollen und dürfen – wenn Fähigkeiten, Motivation, Kommunikation, Beteiligungsmöglichkeiten und Freiräume stimmen. Es kommt also darauf an, die Bedingungen für die Entwicklung guter Ideen und für deren Umsetzung in Innovationen zu verbessern. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: Erstens durch Investitionen in die Quellen – in das „Humankapital“. Ein rohstoffarmes Land lebt von dem, was in den Köpfen der Menschen entsteht. Je mehr Menschen und Unternehmen sich an der Suche nach neuen Möglichkeiten beteiligen, desto größer ist die Überlebenskraft der Gesamtwirtschaft. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt im Elternhaus, Kindergarten und Klassenzimmer. Zahlreiche Vergleiche zwischen Bildungssystemen und -einrichtungen zeigen, dass in Deutschland auf allen Ebenen von Erziehung, Bildung, Ausbildung und Fortbildung Verbesserungen möglich und teilweise dringend nötig sind. Andere Länder haben uns beim Humankapital inzwischen überholt: Bei der Akademikerquote liegt Deutschland nunmehr auf einem der letzten Plätze in der OECD. Während im OECD-Durchschnitt knapp 60 Prozent der 15-jährigen ein Hochschulstudium an11
Staudt, E.; Kottmann, M.: Deutschland gehen die Innovatoren aus, Frankfurt/M. 2001, S. 33
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
streben, sind dies bei uns nur noch 21 Prozent – damit ist weiterer Abstieg quasi vorprogrammiert. Nicht nur in quantitativer, vor allem auch in qualitativer Hinsicht sind Korrekturen im Bildungswesen angezeigt. Denn bei uns sind Erziehungsmethoden und Bildungsinhalte noch stark an industriegesellschaftlichen Werten und Arbeitsweisen orientiert. Deshalb werden vielfach noch immer Fertigkeiten und Fähigkeiten vermittelt, in denen Computer uns zunehmend überlegen sind. Wo Routinetätigkeiten mehr und mehr technisiert werden, wird aber genau das wichtiger, was man Computern (noch) nicht beibringen kann: nämlich Kreativität und die Fähigkeit, intelligent mit Unvorhersehbarem umzugehen. Das jedoch erfordert ganz andere Formen von Erziehung und Ausbildung. Denn wer noch lernt, dass man mit Anpassung und Ausdauer besonders weit kommt und Fehler stets bestraft werden, bleibt später lieber auf der (scheinbar) sicheren Seite des Altvertrauten, als mutig Neuland zu betreten und forsch Ideen zu entwickeln. Einige skandinavische Länder sind im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Bildungssystemen für die Bedingungen einer Wissensgesellschaft wesentlich weiter als die schwerfällige deutsche Kultusbürokratie, hier wird vor allem genau das, was Menschen von Maschinen unterscheidet – zum Beispiel Individualität und Kreativität – inzwischen weitaus besser gefördert als bei uns. Bildung, Qualifizierung und Kreativität sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für Innovation. Denn oft arbeiten Menschen in Umgebungen, in denen sie nur Bruchteile ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten nutzen können und dürfen (laut IAB/BIBB werden bei uns nur 56 Prozent der Erwerbstätigen entsprechend ihrer Fähigkeiten eingesetzt). Das bedeutsamste Wachstumsreservoir in Deutschland steckt also in bislang brachliegender Arbeitskraft, in ungenutzten Fähigkeiten, Erfahrungen, Qualifikationen und all den anderen menschlichen Potenzialen. Deshalb müssen zweitens die Bedingungen so verbessert werden, dass sich menschliche Potenziale im Arbeitsalltag tatsächlich entfalten können. Hier liegt die Schnittstelle zu den Gewerkschaften – die Verbesserung von Arbeitsbedingungen ist seit jeher ein gewerkschaftliches Handlungsfeld. Im Licht der Innovationsdebatte erhält es nun zusätzliche Bedeutung: durch die bessere Gestaltung der Arbeit verbessern sich auch die Aussichten auf neue Ar-
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beit(splätze). Erfolgreiche, innovative Unternehmen unterscheiden sich von weniger erfolgreichen vor allem in der Gestaltung ihrer Arbeitsstrukturen und -Prozesse. Das Thema Innovationsfähigkeit verbindet so die Themen Arbeitsqualität und Beschäftigung und gehört deshalb in das Zentrum einer gewerkschaftlichen Offensivstrategie.
2.5.2 Innovationsbarrieren als Vermächtnisse des industriellen Zeitalters Innovationen lassen sich nicht systematisch erzeugen, sondern sind auf ein bestimmtes Klima angewiesen, in dem Menschen miteinander umgehen: Die jeweilige Unternehmenskultur ist der Nährboden, auf dem neue Ideen und Innovationen wachsen – oder auch nicht. Genau hier liegt das Problem: In deutschen Unternehmen bleiben gute Ideen oft auf der Strecke. Denn die Verhaltensmuster und das Menschenbild vieler Führungskräfte stammen oft noch aus einer Zeit, als Militär und Kirche die Vorbilder für Entscheidungsstile lieferten. Dass Innovationsbarrieren als Vermächtnisse des industriellen Zeitalters eine zentrale Schwachstelle im Wettbewerb sind, wird besonders dann deutlich, wenn man einmal einigen der zahlreichen Fälle nachgeht, bei denen in Deutschland geborene Erfindungen nicht bei uns, sondern zuerst in anderen Ländern zu erfolgreichen Produkten weiterentwickelt wurden. Ob Computer oder Mikroprozessor, ob Tintenstrahldrucker oder Telefax, wesentliche Elemente all dieser und vieler anderer Erfindungen stammen ursprünglich aus deutschen Labors, vielfach sind mittlerweile hieraus Milliardenmärkte erwachsen, die jedoch nicht bei uns, sondern insbesondere in den USA und Asien für zahllose neue Jobs und Prosperität sorgen. Ein typisches Beispiel ist der erfolgreiche „iPod“: Die technische Basiserfindung MP3 stammt aus Deutschland, sie wurde in den USA zu einer Produktinnovation umgesetzt, die wiederum in Asien millionenfach produziert wird. Angesichts einer sehr langen Liste von bei uns nicht umgesetzten Inventionen stellt sich die Frage: Woran liegt es, dass bei uns gute Ideen und Erfindungen so oft keine Chance bekommen?
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Beispiele aus der Praxis: Wie Erfindungen ignoriert und Unternehmen ruiniert werden . . . Einige selbst erlebte Beispiele zeigen, wo bei uns die Umsetzung von Ideen zu Innovationen typischerweise auf Hindernisse stößt: 1. Mitte der 70er Jahre arbeitete der Verfasser in einem kleinen Team im Forschungszentrum der Nixdorf Computer AG am Konzept eines „Persönlichen Computers“. Wir hatten zuvor in den Labors der TU Berlin einen frühen Mikrocomputer realisiert. Die Ideen dazu kamen aus der kalifornischen Subkultur des legendären „Homebrew Computer Club“, einer Gruppe junger Bastler, die später zu Gründern der PC-Industrie wurden. Deren Motto – „Computer for the people!“ – und der Gedanke, diese Technologie zur Demokratisierung der Wissensvermittlung nutzen zu können, hatte uns „68er“ elektrisiert. Heinz Nixdorf, der patriarchalische Firmengründer, verwarf allerdings diese Konzepte allesamt als Spinnerei – seine Position: „Wir bauen Lastwagen und keine Mopeds!“ Damals gab es in Deutschland noch mehr als ein Dutzend Computerhersteller. Sie sind allesamt längst verschwunden, weil sie – wie Nixdorf – die ursprünglich von Bastlern stammende „Graswurzel“Innovation „Personal-Computer“ anfänglich nicht ernst nahmen. 2. Gegen Ende der 70er Jahre entwickelte unsere Forschungsgruppe für Prozessdatenverarbeitung (Hamburg) ein Computersystem zur Steuerung von Werkzeugmaschinen, das ein Facharbeiter selbst programmieren konnte und das so in der Werkstatt Hand- und Kopfarbeit wieder vereinte. Unser industrieller Projektpartner war damals noch der Weltmarktführer für Drehmaschinen. Weil zu jener Zeit in typischen Maschinenbaufirmen das meiste noch fest „verdrahtet“ wurde und Softwarekenntnisse praktisch nicht vorhanden waren, stieß aber allein schon die Idee, eine Drehbank mit Bildschirm auszustatten,
beim Management auf heftige Widerstände. Es hieß: „Eine Werkstatt ist doch keine Videospielhölle!“ Als einige Jahre später japanische Hersteller mit genau solchen Maschinensteuerungen auf den Markt kamen, konnte das traditionsreiche deutsche Unternehmen dem wenig entgegensetzen und ging bald darauf in Konkurs. 3. Ähnliches geschah, als – ebenfalls in der Anfangszeit der Mikroelektronik – ein deutscher Konzern in Norddeutschland auf Standortsuche für eine frühe Chipfabrik war. Er stieß damals bei Lokalpolitikern allseits auf Ablehnung und Unverständnis: „Was sollen wir hier mit „Mikro. . . ? Wir brauchen richtige Industrie mit Schornsteinen, wo was rauskommt.“ Zu jener Zeit planten die Industriepolitiker an der Unterelbe noch ein Dutzend Atomkraftwerke für den Ausbau stromintensiver Grundstoff-Industrien. So verschmäht, ging das Unternehmen nach Bayern, weil dort einige Politiker die Bedeutung der Informationstechnik früher erkannt hatten und damit den Grundstein für den späteren Boom des Großraums München legten. 4. Anfang der 90er Jahre erlebte der Verfasser in einem großen Bürokommunikationsprojekt, wie die Einführung innovativer Informationstechnik und damit auch zeitgemäße Organisationsentwicklung sogar systematisch verhindert wurde. Von Seiten des Managements hieß es damals: „PersonalComputer, grafische Oberflächen und Mäuse sind Spielzeug – so etwas hat im Büro nichts zu suchen!“ Alle Chancen für eine Realisierung innovativer Arbeitsformen und Organisationsstrukturen wurden vertan, weil man weiterhin in starre, zentralistischtayloristische EDV-Systeme im Stil der 70er Jahre investierte. Weil deren Software lediglich unflexible Arbeitsprozesse zementierte, trat als Effekt das vielzitierte „ITProduktivitätsparadox“ auf. Solche Produktivitätseinbußen als Folge einer schlichten Technisierung vollkommen überholter Arbeitsstrukturen sind ein in Deutsch-
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
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land auch heute noch weit verbreitetes Problem.12
vorhandener Industrien zum Ziel hat, häufig als eine besonders schwer zu überwindende Barriere im Strukturwandel. Begreift man Innovation nicht nur in technischen Kategorien, sondern als „Prozess schöpferischer Zerstörung“ (Joseph Schumpeter), dann heißt Innovation auch, sich beizeiten von Bereichen zu trennen, in denen aufgrund des Strukturwandels die Margen schrumpfen. Durch diesen Abbau kann man freie Kapazitäten gewinnen, um neue Felder mit höherer Wertschöpfung zu erschließen. 4. Vertuschung von Fehlern aus Angst vor Sanktionen. Oftmals werden Innovationen behindert, weil man sie als bedrohliche Hinweise auf mögliche eigene Fehler empfindet. Da im geschilderten Fall mittlere Führungskräfte befürchteten, zugeben zu müssen, hohe Millionenbeträge in technische Sackgassen investiert zu haben, wurden innovative Alternativen so lange wie möglich unterdrückt. Die dazu nötige oft jahrelange Irreführung von Vorständen ist vielerorts gang und gäbe, da insbesondere dem mittleren Management der Erhalt persönlicher Machtpositionen meist weitaus wichtiger ist als das Wohlergehen des ganzen Unternehmens. Ein solch unproduktiver Umgang mit Fehlern ist eines der verbreitetsten Innovationshindernisse überhaupt. Es ist typisch für hierarchische Verwaltungen, dass hier, um Fehler nicht zugeben zu müssen, diese oft mit immer neuen Fehlern kaschiert werden. „Aus Schaden dumm werden“ nannte dies der Soziologe Friedrich Weltz, als er die Ursachen der phänomenalen Lernschwäche von Verwaltungen untersuchte.13
Die vier Beispiele zeigen typische Innovationsbarrieren: 1. Erfolge von gestern machen blind für Erfolge von morgen. Heinz Nixdorf war zu jener Zeit ein erfolgreicher, vielfach ausgezeichneter Vorzeigeunternehmer. Frühere Erfolge und das dadurch geprägte Denken erweisen sich aber oft als Innovationsbarrieren. Alte Ideen zu vergessen ist oft noch schwieriger als neue zu akzeptieren. Aus der Perspektive früherer Erfolge kann man die Chancen des Neuen oft gar nicht erkennen. Typisch hierfür ist auch der Fall eines namhaften deutschen Schreibmaschinenherstellers, dessen Management die dort bereits in den 70er Jahren entwickelte Tintenstrahldrucktechnik verwarf, „weil man damit keine Durchschläge machen kann“. Heute ist diese Technologie ein Milliardengeschäft und das deutsche Unternehmen längst bankrott. 2. Kompetenzdefizite bei kleineren und mittleren Unternehmen. Der Maschinenbauer war ein typisches mittleres Unternehmen (KMU), dem es an hoch qualifizierten Fachleuten mangelte, um die Chancen neuer technischer Entwicklungen rechtzeitig erkennen zu können. KMU haben im Wettbewerb um hoch qualifizierte Arbeitskräfte gegenüber Großunternehmen oft das Nachsehen. Dies hat gravierende Folgen für das Innovationsgeschehen: Laut BMBF mussten Ende der 90er Jahre etwa 10 000 deutsche KMU mangels geeigneter Fachkräfte ihre Innovationsprojekte abbrechen oder verlängern, weitere rund 6 000 Unternehmen konnten gar nicht erst beginnen. 3. Angst vor (Zer-)Störung des Bestehenden. Wo Innovationen als Gefahr für Bestehendes wahrgenommen werden, wirkt die sog. Industriepolitik, die den Ausbau und Erhalt
Insgesamt gesehen zeigen diese und zahllose ähnliche Beispiele: Das alles Entscheidende ist die Kom12
vgl. Klotz, U.: Ausweg aus dem Produktivitäts-Paradoxon, zfo – Zeitschrift Führung + Organisation (1993) 6, S. 404–410 und (1994) 1, S. 18–26, sowie Klotz, U.: Die zweite Ära der Informationstechnik. HARVARDmanager (1991) 2, S. 101–112 13 Weltz, F.: Aus Schaden dumm werden. Zur Lernschwäche von Verwaltungen. Office Management (1986) 5, S. 532–534
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
petenz, um die Potenziale und Wirkungen neuer Technologien frühzeitig genug erkennen zu können – und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft. Menschen sind offener gegenüber Veränderungen, wenn sie diese auch verstehen. Wo solche Kenntnisse unterentwickelt sind und deshalb jede Neuigkeit zunächst Kassandrarufe auslöst, hat verzögerter Strukturwandel oft genau das zur Folge, was die Warner eigentlich verhindern wollten. Die Tatsache, dass Deutschland bei Wachstum, Produktivität, Pro-Kopf-Einkommen, Beschäftigungsquote und Bildungsniveau gegenüber einigen anderen Ländern zurückfällt, ist nicht zuletzt eine Spätfolge der während der 70er bis 90er Jahre bei uns vorherrschenden Fehleinschätzungen über die Bedeutung und Wirkungen der Informationstechnik (Computer als „Jobkiller“), die insbesondere in unserem Bildungssystem tiefe Spuren hinterlassen haben.14 Zwar verzeichnet die deutsche Wirtschaft nach wie vor große Exporterfolge, jedoch erzielen wir diese häufig mit Erzeugnissen sog. „reifer“ Industrien, die durch schrumpfende Margen und tendenziell sinkende Wertschöpfung gekennzeichnet sind. Die Industriezweige, die heute das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden – Automobil- und Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie –, gründen sich im Kern auf Basis-Innovationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Hingegen sind deutsche Unternehmen in vielen besonders dynamischen und lukrativen Wachstumsmärkten, die auf erst nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Innovationen basieren, nur unzureichend oder gar nicht vertreten. Vor allem deshalb ist Deutschland auf der internationalen Wohlstandsskala ins Mittelfeld zurückgefallen. Das Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftbereinigtes BIP/Person) ist in den USA inzwischen rund ein Drittel höher als bei uns. Während normalerweise solche Produktivitätsunterschiede schrumpfen, weil früher oder später hier wie dort mit den gleichen Mitteln und Methoden gearbeitet wird, fällt Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre sogar immer weiter zurück. Diese Wohlstandslücke ist kein Konjunkturphänomen, sondern Folge des unterschiedlich rasch verlaufenden Strukturwandels und der sich verändernden Kaufkraftrelationen zwischen klassischen Industriegü14
vgl. OECD-Studie zum Zusammenhang von Computernutzung und Bildungserfolg: Are students ready for a technologyrich world? Paris 2006, www.oecd.org.
tern und wissensintensiven Dienstleistungen: „Ähnlich wie die Kaufkraft von Agrarprodukten gemessen an Industriegütern im Lauf von etwa 100 Jahren auf etwa ein Drittel ihres Wertes sank, so sinkt seit einigen Jahrzehnten die relative Kaufkraft von Industriegütern gegenüber wissensintensiven Dienstleistungen. . . . Industriegüter hatten im Jahr 2000 gemessen an den Wissensgütern – zum Beispiel Gesundheitsfürsorge und Bildung – nur noch ein Fünftel der Kaufkraft, die sie noch 1960 hatten.“15 Arbeitslosigkeit, Einkommenseinbußen und Sozialabbau sind bei uns also weniger eine Folge des Strukturwandels, als vielmehr eine Konsequenz unterlassenen Strukturwandels, bzw. letztlich – wie auch die Fallbeispiele zeigen – unterlassener oder verhinderter Innovation. Wohlstand basiert auf wachsender Produktivität durch permanente Innovation. Es gilt somit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Insbesondere Gewerkschaften sind gut beraten, aktiv die Chancen aufzugreifen, die der Strukturwandel bietet und sich an der Entwicklung von Strukturen und Prozessen zu beteiligen, die Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen. Früher oder später zwingt der tiefgreifende Wandel in den Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen hoch entwickelter Volkswirtschaften, der heute mit Begriffen wie ‚Wissensökonomie‘ oder ‚Wissensgesellschaft‘ umrissen wird, ohnehin alle Institutionen, deren Handeln sich noch auf industriell geprägte Arbeitsformen bezieht, zum Umdenken.16 Je eher dies geschieht, desto besser. Allem voran kommt es auf die Fähigkeit an, frühzeitig zu erkennen, in welcher Weise technische Innovationen Wertschöpfungsprozesse, Unternehmensstrukturen und damit die Arbeitswelt umwälzen und wie sich damit auch die Bedingungen für Gewerkschaften grundlegend wandeln.17 In einer immer stärker durch Technologie geprägten Welt wird diese Fähigkeit für viele gesellschaftliche Institutionen überlebenswichtig. Zugleich ist sie die notwendige Voraussetzung, um Innovationsprozesse verstehen und erfolgreich beeinflussen zu können.
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Drucker, P.: Was ist Management? München 2002, S. 398 siehe hierzu Klotz, U.: Die Neue Ökonomie. Artikelserie. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.4.2000, S. 31; 8.5.2000, S. 33; 29.5.2000, S. 33; 3.7.2000, S. 30; 24.7.2000, S. 28; 11.9.2000, S. 30 17 vgl. Malone, T.: The Future of Work. Boston 2004 16
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
2.5.3 Förderung der Innovatoren als Ansatz künftiger Innovationspolitik In einer globalisierten und hochgradig vernetzten Weltwirtschaft hängt die Innovationskraft eines Wirtschaftsstandorts weniger von der nationalen Verfügbarkeit innovativer Technologien ab als vielmehr von ihrem Potenzial an innovationsfähigen und innovationsbereiten Menschen. In der Praxis zeigt sich, dass der heute alles entscheidende Engpass die in den Unternehmen vorhandene Kompetenz ist, um in der wachsenden Flut an Forschungsergebnissen die Möglichkeiten neuer Technologien rechtzeitig identifizieren und diese auch nutzen zu können – das betrifft besonders kleine und mittlere Unternehmen. Auch die beste Forschungs- und Technologiepolitik kann wenig erreichen, wenn Bildungspolitik den Arbeitskräften nicht die Qualifikationen vermittelt, die überhaupt erst die Voraussetzungen schaffen, um neues technisches Wissen erfolgreich entwickeln und anwenden zu können.18 Ausgehend von diesen Erkenntnissen haben einige Länder in der Forschungspolitik ihren Fokus von der direkten Förderung von Technologien auf die Förderung von Innovatoren verlagert und können seither beträchtliche Erfolge verzeichnen.19 Wenn wir nicht weiter zurückfallen wollen, muss auch in Deutschland ein solcher Strategiewechsel stattfinden. Dies betrifft nicht nur die Ebene staatlicher Aktivitäten, sondern vor allem auch die Gestaltung von Strukturen und Innovationsprozessen in den Unternehmen. Innovation ist das Erdenken und Ausprobieren des heute noch Unbekannten. Was man noch nicht kennt, kann man auch nicht „managen“. Innovationen erhält man nicht mit Zielvereinbarungen. Unternehmenskultur und Kreativität kann man nicht verordnen, das Neue lässt sich auch mit noch so viel Aufwand nicht erzwingen – Ideen lassen sich weder befehlen noch gibt es sie für Geld. Deshalb verpuffen auch viele „Innovationsoffensiven“, „Innovationspreise“, „Innovationsmanagementseminare“ und andere Innovationsvehikel als folgenlose Schauveranstaltungen. „Menschen 18
Klodt, H.: Grundlagen der Forschungs- und Technologiepolitik. München 1995 19 vgl. etwa Finnland: Schienstock, G.: From direct Technology Policy towards Conditions-Enabling Innovation Policy. In: Schienstock, G.; Kuusi, O. (Hrsg.): Transformation Towards a Learning Society. The Challenge for the Finnish Innovation System. Helsinki SITRA 1999
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streben von Natur aus nach Neuem“ schrieb schon Aristoteles. Diese Entdecker-Neugier kann man eigentlich nur behindern. Und genau das passiert in vielen Unternehmen: „Die Historie von Innovationen ist eine unendliche Geschichte des Widerstandes gegen sie.“20 Management (und Politik) kann Innovationen nicht durch Beschlüsse und Incentives forcieren, sondern allenfalls die Bedingungen so verändern, dass Innovationen wahrscheinlicher werden. Wer wirklich Neues will, sollte deshalb nicht mit Belohnungen winken, sondern vor allem danach fragen, was Innovation behindert.
2.5.4 Unsere Organisationen sind dysfunktionale Umgebungen für Wissensarbeiter Eines unserer Schlüsselprobleme ist die Tatsache, dass vielerorts die Entwicklung unserer Organisations- und Arbeitsformen nicht Schritt gehalten hat mit der rapiden Zunahme der Bedeutung des Wissens auf allen Gebieten. Weil die Wirkungen der Informatisierung bis heute oftmals nicht begriffen wurden, arbeiten bei uns die meisten Menschen noch immer in industriegesellschaftlichen Formen, die auch „tayloristisch“ genannt werden, weil sie vom Konzept der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ Frederick W. Taylors (1856–1915) geprägt sind. Organisationen nach Taylor sind hierarchisch und funktional-arbeitsteilig gegliedert. Nach dem Prinzip „Wissen ist Macht“ sind Entscheidung und Ausführung strikt getrennt. Alle Planung und Veränderung – und damit auch jegliche Innovation – ist der Firmenleitung vorbehalten. Hingegen sind neue Ideen bei den Ausführenden der Arbeit unerwünscht, weil sie den streng geplanten Betriebsablauf stören könnten. Dass Taylor mit seinem Prinzip der Trennung von Hand- und Kopfarbeit weit über das Ziel sinnvoller Organisation hinausgeschossen war, wurde aber schon bald selbst bei relativ einfachen Arbeiten sichtbar. Denn es stellte sich heraus, dass praktisch alle Arbeiten produktiver erledigt werden, wenn man den Arbeitenden mehr Selbstständigkeit und größere Handlungsspielräume gewährt, so dass sie im 20
Hauschildt, J.: Innovationsmanagement. München 1993, S. 89
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
täglichen Learning-by-Doing ihre Tätigkeiten optimieren können. Wer alltäglich seine Arbeit macht, lernt darüber mehr als alle Spezialisten und Vorgesetzten, die sich nur gelegentlich damit befassen können. Mit der Informatisierung aller Prozesse nimmt die Bedeutung dieses Learning-by-Doing rasant zu. Denn was mit der Erfindung von Schrift, Buchdruck, Telefon und Rundfunk begann, wird heute durch den PC und das Internet potenziert: Wissen tritt immer stärker spezialisiert auf. Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft, also auch für alle Bereiche eines Unternehmens. Auf diesem Hintergrund prägte Peter F. Drucker, der Begründer moderner post-tayloristischer Managementlehre, bereits 1959 den Begriff des „Wissensarbeiters“: „Ein Wissensarbeiter ist jemand, der mehr über seine Tätigkeit weiß als jeder andere in der Organisation.“21 Wissensarbeiter sind also nicht zwangsläufig Wissenschaftler, wie oft assoziiert wird, sondern wir finden sie heute überall: der Arbeiter in der Produktion, der Fertigungsprobleme selbständig analysiert und löst, der Wartungstechniker, der seinen Arbeitstag selbst plant, oder der Lagerverwalter, der die Leistungsfähigkeit von Lieferanten bewertet – sie sind allesamt zumindest teilweise Wissensarbeiter. Solche Tätigkeiten sind heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Weil auch Vorgesetzte nur noch in seltenen Fällen die Arbeit ihrer Mitarbeiter aus eigener Erfahrung kennen, sind bei uns die meisten Menschen inzwischen „Wissensarbeiter“. Wissensintensive Produktion ist zunehmend auf Spezialisten angewiesen. Und diese wiederum sind auf Organisationen angewiesen, in denen sie ihr Knowhow optimal mit den Kenntnissen anderer Spezialisten verbinden und zu neuem Wissen umsetzen können. Dafür sind hierarchische Organisationen jedoch denkbar ungeeignet, weil Wissen nicht hierarchisch strukturiert, sondern immer nur situationsabhängig entweder relevant oder irrelevant ist. Beispielsweise haben Herzchirurgen zwar einen höheren sozialen Status als Logopäden und werden auch besser bezahlt, doch wenn es um die Rehabilitation eines Schlaganfallpatienten geht, ist das Wissen des Logopäden dem des Chirurgen weit überlegen. Organisationen für Wissensarbeit müssen diesem Sachverhalt Rechnung tra-
gen, etwa in Form einer „Adhocratie“ (Alvin Toffler): Darunter versteht man Netzwerke, die situationsabhängig den Trägern des jeweils benötigten Wissens zeitweilige Entscheidungs- und Koordinationsbefugnis geben.
2.5.5 Machtausübung als zentraler Misserfolgsfaktor für Innovationen Auch in einer Hierarchie wünschen sich die Führungskräfte viele Ideen, doch was passiert, wenn sie diese dann bekommen? Wenn Vorgesetzte über Ideen ihrer Mitarbeiter urteilen, wird das Prinzip „Wissen ist Macht“ häufig ins Gegenteil verkehrt: Macht wird dann zur Möglichkeit, bessere Argumente zu ignorieren. Weil neues Wissen stets altes Wissen entwertet und damit auch bestehende Machtverhältnisse angreift, werden neue Ideen oft vorschnell verworfen. „Machtausübung ist der zentrale Misserfolgsfaktor für Innovationen, da sie den argumentativen Austausch und damit den Wissenszuwachs behindert.“22 Hierarchien fördern intern vor allem Anpassung, also das Gegenteil von Innovation. Deshalb werden sie in einer sich rasch wandelnden Umwelt früher oder später Opfer ihrer selbst erzeugten Verhaltensmuster, wie der US-Ökonom Canice Prendergast in seiner „Theory of Yes Men“23 bewies: Wo das eigene Fortkommen vom Urteil eines Vorgesetzen abhängt, ist die Führung früher oder später vorwiegend von pflegeleichten Jasagern umgeben. Wenn in der Folge dann vielfach Opportunismus zum Qualifikationsersatz wird, ist es zum „Management by Potemkin“ (Friedrich Weltz), dem Aufbau schöner Scheinwelten, meist nicht mehr weit. Da insbesondere die mittleren Ebenen gefilterte und schön gefärbte Informationen nach oben weiterleiten, geht die Organisation zunehmend ihrer eigenen Selbstdarstellung auf den Leim und die Spitzen verlieren mehr und mehr den Kontakt zur Realität. Am Ende steht dann vielfach der Konkurs. Nixdorf, AEG, Grundig, Borgward und Coop, aber auch planwirtschaftliche Systeme vom Typ DDR sind typische Beispiele für solche Entwicklungen. 22
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Drucker, P.: Die postkapitalistische Gesellschaft. Düsseldorf/Wien u. a. 1993, S.155
Scholl, W.: Innovation und Information. Göttingen 2004 Prendergast, C.: A Theory of „Yes Men“. American Economic Review (1993) 9, S. 757–770
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2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
2.5.6 Technikzentriertes Denken als eine Schwäche vieler Unternehmen In Deutschland arbeiten noch viele Unternehmen nach Effizienzregeln, die nach innen fokussiert sind und sich allein nach den Interessen der Manager richten. Deshalb findet bei uns Innovation vorwiegend top-down und technologie- statt marktgetrieben statt. Zwar werden auch bei uns Dienstleistungen immer bedeutsamer, doch unsere Innovationsprozesse orientieren sich nach wie vor an der Entwicklung materieller Produkte. Deshalb sind deutsche Unternehmen vor allem bei Investitionsgütern und solchen Industrieprodukten relativ stark, bei denen technische Leistungsmerkmale kaufentscheidend sind. Jedoch sind heute bei vielen Konsumgütern kulturell geprägte, subjektive Werte weitaus wichtiger als die bloße Funktionalität. Markenimage, Design, Individualität, Support und Event-Charakter zählen oft mehr als Megahertz, Gigabyte, Watt oder PS. Unter derart veränderten Bedingungen werden alte deutsche Erfolgsrezepte vielfach sogar zum Handicap. Technikzentrierte Denkweisen haben bei uns eine lange Tradition. Beispielsweise erfand der deutsche Philipp Reis 1860 das Telefon. Der Amerikaner Graham Bell erfand hingegen 1876 die Telefonie. Weil der deutsche Erfinder nur in technischen Kategorien, der Amerikaner hingegen in potentiellen Anwendungen und Märkten dachte, ging der weltweite Siegeszug des Telefons von den USA aus. Wie damals, so auch heute: Die Tatsache, dass Siemens als ansonsten durchaus erfolgreicher Technologiekonzern auf dem boomenden Mobiltelefonmarkt scheiterte, ist kennzeichnend für die Achillesferse vieler deutscher Unternehmen. Eine zentral gesteuerte Planung und Entwicklung vermag zwar technisch anspruchsvolle Produkte hervorzubringen, sie ist aber zu schwerfällig, um komplexe Signale aus turbulenten, unberechenbaren Käufermärkten rasch genug zu verarbeiten. Diese Schwäche vieler deutscher Firmen bei „trendigen“ Konsumgütern, zeigt, dass wir bei der Betrachtung von Innovationen einen grundlegenden Perspektivwechsel brauchen, wie ihn Ulrich Wengenroth anmahnt, der die Geschichte von Innovation in Deutschland erforscht: „Eine Innovationsforschung, die nicht nur das technische Angebot vermessen, sondern die
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Bedingungen des Innovationserfolges am Markt verstehen will, muss darum das Paradigma des Innovationssystems aufgeben und sich auf das schwierigere, aber der heutigen Welt adäquatere der Innovationskultur einlassen.“24
2.5.7 Unternehmenskultur als Wettbewerbs- und Kostenfaktor Zwar hat man weithin begriffen, dass letztlich nicht die bessere Technologie, sondern der Erfolg am Markt zählt, zwar sind facettenreiche Begriffe wie „Innovations“- oder „Unternehmens-Kultur“ inzwischen recht populär, gleichwohl denken beim Thema Innovation noch immer viele nur an die Arbeit in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Doch Innovation ist etwas, was jederzeit und überall stattfindet – nämlich überall dort, wo jemand etwas anders macht, als er es gestern machte, wo jemand mehr tut als er muss oder etwas anderes tut, als er sollte. Auf die Summe all dieser kleinen Veränderungen kommt es letztlich an, hieran entscheidet sich, wie beweglich und erfolgreich ein Unternehmen oder die Gesellschaft insgesamt ist. Diese Beweglichkeit ist eine Frage der „weichen Faktoren“, die im Betriebsalltag vielerorts noch immer sträflich unterschätzt werden. Und genau deshalb haben wir zunehmende Probleme bei den „harten“ ökonomischen Tatsachen. Wo etwa eine Idee qua Befehl und Gehorsam vorschnell verworfen wird, bleibt nicht nur eine Chance für neue Arbeitsplätze, sondern stets auch ein Stück Motivation auf der Strecke. Viele deutsche Unternehmen erzielen in internationalen Vergleichen der Mitarbeiter-Motivation inzwischen Negativrekorde. Die Forscher von Gallup beziffern für Deutschland die Kosten von Produktivitätsverlusten aufgrund autoritärer, demotivierender Führungsstile – zum Beispiel durch hohe Fluktuation und Krankenstände – auf jährlich 245 Milliarden Euro. Mithin ein Schaden in der Größenordnung des Bundeshaushaltes.25 Zu ähnlichen Resultaten kommen die globalen Studien von 24
Wengenroth, U.: Vom Innovationsystem zur Innovationskultur. Perspektivwechsel in der Innovationsforschung. In: Abele, J. u. a. (Hrsg.): Innovationskulturen und Fortschrittserwartungen im geteilten Deutschland. Köln 2001, S.23-32 25 The Gallup Organization: Gallup Engagement Index 2005. Princeton/Potsdam 2005
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Proudfoot Consulting: Danach gehen in Deutschland aufgrund veralteter Managementkonzepte und verbreiteter Managementfehler pro Mitarbeiter und Jahr 84 Arbeitstage verloren: das entspricht 37 Prozent der Arbeitszeit oder einem Schaden von 219 Milliarden Euro (9,7 Prozent des BIP).26 Angesichts solcher Dimensionen wirken Debatten über die Streichung einzelner Feiertage oder Arbeitspausen geradezu absurd. Zwar können derartige Zahlen nur grobe Anhaltspunkte sein – auf jeden Fall sind sie aber ein weiteres Indiz dafür, dass Beziehungen zwischen Menschen (bzw. das was man „Unternehmenskultur“ nennt) der wichtigste Wettbewerbsfaktor und zugleich unsere derzeit größte Wachstumsbarriere sind. Innovationen gedeihen am besten in einer möglichst offenen Unternehmenskultur, in der Minderheiten, abweichende Meinungen und Querdenker als wertvolles Ideenpotential akzeptiert werden und Schutz, Freiräume und Förderung genießen. Eine möglichst bunte Mischung unterschiedlicher Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Erfahrungen, Traditionen, Kulturen und Ansichten ist der beste Nährboden für Ideen. Wie in der Natur, so auch im Wirtschaftsleben: Vielfalt ist eine Voraussetzung für Evolution. Wettbewerb fördert die zügige Verbreitung erfolgreicher Innovationen (Mutationen) und damit das Produktivitätswachstum. Wo hingegen alle gleich oder einer Meinung sind, herrscht Stillstand. Vor allem dort, wo es durch kluge Alters- und Geschlechtermischung bei der Teambildung gelingt, Ideenfülle mit Erfahrungswissen zu kombinieren, stehen die Chancen gut, dass die hier entstehenden Innovationen auch tatsächlich von der Gesellschaft angenommen werden und am Markt erfolgreich sind.
2.5.8 Neue Organisationsformen als Voraussetzung für eine innovationsfördernde Unternehmenskultur Unternehmenskultur und unternehmensspezifische Verhaltensmuster sind wesentlich durch die jeweilige 26
Proudfoot Consulting: Produktivitätsstudie 2005/06 – Eine internationale Untersuchung der Produktivität auf Unternehmensebene. London 2005
Organisationsstruktur beeinflusst – und umgekehrt. Kulturen kann man nicht einfach verändern, Strukturen schon eher. Oft ist eine ernsthafte Unternehmenskrise die Voraussetzung dafür, dass die Unternehmensspitze die Notwendigkeit eines Strukturwandels erkennt und diesen auch durchsetzen kann. Gelingt dieser, dann ändert sich auch die Kultur – also die Art und Weise, wie Menschen in einer Organisation miteinander umgehen. Mustergültig kann man einen solchen Wandlungsprozess bei dem weltweit tätigen dänischen Hörgerätehersteller Oticon (4 600 Mitarbeiter) verfolgen. Als die ersten digitalen Im-Ohr-Hörgeräte auf den Markt kamen, geriet Oticon zunächst an den Rand des Bankrotts. Erst nach einem radikalen Strukturumbau bewältigte das Unternehmen den typischen technologischen Wandel vom standardisierten Massenprodukt zu hochgradig individualisierbaren Systemen, bei denen Wertschöpfung vorwiegend aus Software und Service stammt. Dabei wurden alle Hierarchiestufen, Abteilungen, Statussymbole und sonstige Relikte der Taylor-Ära abgeschafft, heute gibt es bei Oticon auch keine Planstellen mehr, sondern eine offene und flexible Projektorganisation, die unter dem Begriff „Spaghetti-Organisation“ Wirtschaftsgeschichte schrieb. Damit wurde ein phänomenaler Kulturwandel eingeleitet, aufgrund dessen Oticon heute die Innovationspotenziale aller Mitarbeiter viel besser ausschöpft als zuvor – weit über dem Branchendurchschnitt liegende Ergebnisse sprechen für sich und zeigen, dass radikaler Hierarchieabbau die vielleicht effektivste Form des „Innovationsmanagements“ ist. Im Jahr 2003 wurde Oticon mit dem begehrten Wirtschaftspreis „Europäisches Unternehmen des Jahres“ ausgezeichnet. Ähnlich lehrreich ist das Beispiel Toyota. Dieses Unternehmen ist heute auf dem Weg an die Spitze der weltweiten Autoindustrie, weil man hier früh erkannte, dass die Beschäftigten die besten Experten ihrer Arbeit sind und dass man deren Potenziale viel besser ausschöpft, wenn man jeden einzelnen Mitarbeiter nicht als ausführendes „Werkzeug“, sondern als kompetenten Problemlöser vor Ort (oder als Wissensarbeiter im Sinne Druckers) betrachtet und auch so behandelt. Nicht das Management, sondern die Mitarbeiter vor Ort werden als das Zentrum der Problemlösungskompetenz angesehen. Deshalb haben Manager bei Toyota ein anderes Selbstverständnis und eine andere Rolle als in tay-
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loristischen Organisationen. Manager sind weniger Vorgesetzte, die Mitarbeitern Weisungen erteilen und sie kontrollieren, sondern eher Coaches, die die Arbeiter in der Produktion zu ständiger Optimierung von Produkt und Prozess ermuntern und bei der Umsetzung ihrer Vorschläge unterstützen.27 So haben die 60 000 japanischen Fabrikarbeiter von Toyota im Jahr 2001 rund 650 000 Verbesserungsvorschläge gemacht, von denen 99 Prozent umgesetzt wurden.28 Hohe Wertschätzung der Mitarbeiter(Vorschläge) führt so zu hoher Wertschöpfung. Dass Menschen, die in ihrer Arbeit Anerkennung und Förderung genießen, dann auch hoch motiviert sind, lässt sich nicht zuletzt an den weit über dem Branchendurchschnitt liegenden Resultaten bei Produktqualität und Produktivität ablesen. Bei Toyota hat man zudem früh begriffen, dass Wissen ein besonderer „Rohstoff“ ist, der sich bei Gebrauch nicht erschöpft, sondern sogar vermehrt. Deshalb praktiziert das Unternehmen einen ungewöhnlich offenen Informationsaustausch mit sämtlichen Zulieferern. Diese Offenheit bringt allen Beteiligten Vorteile – ganz anders als dort, wo alles Innovative zunächst ängstlich als Firmengeheimnis gehütet wird. Die Resultate, die Toyota mit durchaus üblicher Produktionstechnik auch an ausländischen Produktionsstandorten erzielt, zeigen: Nicht Technik oder Tarifvertrag, sondern Unternehmenskultur und Umgangsformen sind die wichtigsten Faktoren im Wettbewerb. Allerdings zeigt das relativ intensiv erforschte Beispiel Toyota auch, dass man zwar Produkte und Produktionsprozesse kopieren kann, nicht aber eine Unternehmenskultur – Kulturen wachsen, wie alles Lebendige. Firmen wie Oticon oder Toyota sind heute erfolgreicher als andere, weil sie den Innovationsprozess partiell demokratisiert haben. Weil hier alle Mitarbeiter nicht nur Mit-Arbeiter, sondern zugleich auch MitDenker und Mit-Entscheider sind, werden innovative Potenziale weitaus besser ausgeschöpft. Fehlerhinweise oder Kundenwünsche haben somit raschere und effektivere Veränderungen von Strukturen, Prozessen und Produkten zur Folge.
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2.5.9 Wachsende Diskrepanzen zwischen Individuen und Organisationen
Dass eine stärkere Demokratisierung von Wissen und Macht durch Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen die Fähigkeit zur Innovation erheblich verbessert, lässt sich mit einem vereinfachten Gegensatz verdeutlichen: In einer idealtypischen Hierarchie ist Innovation allein Chefsache. In Zeiten, in denen die Nachfrage die Produktionskapazitäten übersteigt, kann solch ein System wegen seiner niedrigen Koordinationskosten durchaus erfolgreich sein, wie es beispielsweise Henry Ford zeigte („bei uns können sie jede Farbe erhalten, solange sie schwarz ist“) – 1918 war jedes zweite Auto in den USA ein schwarzer Ford Modell T. Auf dynamischen Käufermärkten sind solche zentralistischen Plansysteme wegen ihres geringen Innovationspotenzials hingegen chancenlos. Das Gegenstück zum Top-Down-Plansystem ist ein Basar29 , in dem jeder mit jedem kommunizieren und auch selbst Entscheidungen treffen kann. Hier können sich alle Beteiligten, egal ob Produzent oder Konsument, auch als Innovatoren betätigen. Aufgrund des ungleich größeren Innovationspotenzials und der hohen Kommunikationsdichte führen hier neue Kundenwünsche sehr rasch zu innovativen Antworten und vielfältigen Lösungen, allerdings wächst auch der Kommunikationsaufwand mit steigender Teilnehmerzahl exponentiell. In der Praxis spielt sich Organisationsgestaltung zwischen diesen beiden Extremen ab. Wo genau, darauf kommt es an. Denn Individuen verändern sich beständig und die entscheidende Frage ist, ob die Organisationen, von denen ihr Wohlbefinden abhängt, mit diesem Veränderungstempo Schritt halten können. Vor allem in hierarchischen Strukturen lernen Individuen meist weit schneller als die Organisation, der sie angehören, da in Hierarchien der Wissensaustausch vielfältig behindert wird. Deshalb sind sowohl die Mitarbeiter wie auch die Kunden derartiger Organisationen ständig frustriert: Mitarbeiter dürfen nicht das tun, was sie können und die Kunden erhalten nicht das, was sie wollen.
27
Spear, St.: Learning to lead at Toyota. Harvard Business Review (2004) 5, S. 78–86 28 Sackmann, S.: Toyota Motor Corporation – eine Fallstudie aus unternehmenskultureller Perspektive. Gütersloh 2005
29 Begriffswahl in Anlehnung an den wohl populärsten Essay über Open-Source: Raymond, E.: The Cathedral & the Bazaar. Cambrigde u. a. 2001
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
2.5.10 Neue Öffentlichkeiten als Wegbereiter einer neuen Wirtschaftsweise Inzwischen spitzen sich solche Probleme vielerorts massiv zu, weil individuelle Lernprozesse durch elektronische Kommunikation und neue Formen von Öffentlichkeit wie „Blogging“ und „Podcasting“ immens beschleunigt werden. Alte Institutionen sind dieser Dynamik oftmals nicht gewachsen. Ob Buchdruck, Telefon, Radio, Fernsehen oder Internet – neue Kommunikationsmöglichkeiten führen stets zu gesellschaftlichen Umbrüchen, wie Marshall McLuhan vor vierzig Jahren schrieb: „Die Ausbreitung neuer Medien führte stets auch zum Untergang sozialer Formen und Institutionen und zur Entstehung neuer . . . Vor allem die Teile der Gesellschaft, die die langfristigen Wirkungen des neuen Mediums zu spät erkannten, mussten dies mit ihrem Untergang bezahlen.“30 Da sich der technologische Wandel mit der oder gegen die Politik durchsetzen wird, kommt es darauf an, dem Wandel offen zu begegnen, um dessen Möglichkeiten und Wirkungen frühzeitig erkennen und nötigenfalls beeinflussen zu können. Dabei gilt es vor allem, einen grundlegenden Umbau unserer Institutionen zu forcieren. Denn nur dort, wo es gelingt, die tayloristischen Strukturen aufzubrechen, in denen Menschen an der Entfaltung ihrer Fähigkeiten gehindert werden, besteht die Chance eines Überlebens in einer Welt, in der es sich Organisationen einfach nicht mehr leisten können, ihre wertvollste Ressource in großem Stil brachliegen zu lassen. Ob sich nun alte Strukturen wandeln oder völlig neue entstehen – auf jeden Fall liegt in den rasant wachsenden Diskrepanzen zwischen Individuum und Organisation und den daraus resultierenden Frustrationen der Schlüssel für das Entstehen einer völlig neuen Wirtschaftsweise.31 30
McLuhan, M.: Understanding Media. (1964) Dt. Neuausgabe: Die magischen Kanäle. Dresden 1994 31 vgl. Zuboff, S., Maxmin, J.: The Support Economy. New York 2002
2.5.11 Open-Source als Modell zur Demokratisierung von Innovation Die Vorboten einer neuen Wirtschaftsweise sind heute vor allem die im Internet agierenden Communities, wie die Open-Source-Bewegung und die zahllosen anderen Gruppen, in denen Menschen sich gegenseitig Hinweise geben und gemeinsam Probleme lösen. Die Erfolge von Linux, Apache, Mozilla, Wikipedia und vielen anderen zeigen, dass diese (Netzwerk-)Koordinationsformen geeignet sind, um komplexe Produkte zu realisieren und dass neue Erkenntnisse hier in besonders kurzer Zeit zu Innovationen umgesetzt werden.32 Die elektronischen Basare sind nicht nur deshalb so erfolgreich, weil sich dort Wissen technisch sehr rasch verbreiten kann. Sondern vor allem deshalb, weil hier die kulturellen Voraussetzungen des Wissensaustauschs ungleich besser sind als in den alten Organisationen. Denn die Bereitschaft von Menschen, ihr Wissen anderen oder einer Organisation zur Verfügung zu stellen, hängt ja nicht von den technischen Möglichkeiten ab, sondern von weichen Faktoren wie Vertrauen, Respekt, Anerkennung, Freiheit, Fairness und Toleranz. Dagegen sind die Konzepte des betrieblichen Vorschlagswesens häufig eher Indizien für Misstrauenskulturen und ein Menschenbild, das noch aus der Welt der Handarbeit stammt – man glaubt, dass Mitarbeiter ihre Ideen nur gegen eine Prämie preisgeben. Solange der Mensch in den Bilanzen nur als Kostenfaktor auftaucht und auch so behandelt wird, dürften solche Irrwege allerdings fortbestehen. Eine neue Art der Bewertung und Bilanzierung von Unternehmen nach ihrem intellektuellen Kapital wäre sicherlich eine weit wirksamere Methode zur Förderung von Innovatoren und Innovationen als jedes noch so ausgeklügelte Incentive-System. Das phänomenale Engagement der Menschen in den Communities zeigt hingegen, wie die zeitgemäße Erfolgsformel lautet: Leistung und Ideen gegen Sinn und Anerkennung. Die Wissensarbeiter haben begriffen, dass Wissensarbeit kein Nullsummenspiel 32
Bärwolff, M. u. a.: Open Source Jahrbuch 2005. Berlin 2005
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
ist, denn Ideen und Informationen sind wunderbare Tauschobjekte: Man kann sie weitergeben und trotzdem behalten. Deshalb profitieren alle Beteiligten von dem beständigen Wettbewerb der Ideen und den daraus entstehenden Innovationen. Ein großer Vorteil des „Innovations-Basars“ liegt in der Tatsache, dass hier Ideen faire Chancen erhalten, weil sie von Personen bewertet werden, die selbst im jeweiligen Thema zu Hause sind. Im Internet zählen keine Titel, Positionen und Statussymbole, sondern einzig die Brillanz einer Idee und die persönliche Leistung. Entscheidungsautorität, die es natürlich auch hier für viele komplexe Koordinationsaufgaben braucht, beruht im Netz in der Regel auf Kommunikations- und Sachkompetenz. Führungsfunktionen gibt es immer nur vorübergehend und auf ein Thema oder Projekt beschränkt. Das Organisationsmodell ähnelt eher dem einer Jazzband, wo einfühlsame Führungswechsel ungeahnte Synergien erwecken können.33 Da in praktisch allen Wirtschaftsbereichen Innovationen mehr und mehr von immer besser informierten Kunden ausgehen, ist diese Form einer Kultur, in der mit Ideen und Informationen offen und sachkundig umgegangen wird, auch für die Anbieter konventioneller Produkte und Dienstleistungen äußerst lehrreich. Wie in der Open-Source-Bewegung, so sind auch in anderen Bereichen Nutzer und Kunden durchaus motiviert, um mit oft großem Engagement an Innovationen und Verbesserungen mitzuwirken, da sie sich selbst davon Vorteile und individuelle Problemlösungen erhoffen.34 Wenn nicht nur die Produzenten, sondern auch die Konsumenten aktiv beteiligt sind, ist die nächste Stufe in der Demokratisierung von Innovationsprozessen erreicht, wie es Eric von Hippel nennt, der am MIT kundengetriebene Innovation seit 30 Jahren erforscht35. Kürzere Innovationszyklen und komplexere Produkte zwingen die Unternehmen ohnehin, sich vom alten Pipeline-Modell der Innovation zu verabschieden. Weltweit arbeiten viele Firmen längst mit Kunden, anderen Firmen und sogar der Konkurrenz zusammen, um komplexe Innovationen zu realisieren. 33 vgl. Kao, J.: Jamming. The Art & Discipline of Business Creativity. London 1997 34 siehe hierzu: Reichwald, R.; Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, Wiesbaden 2006 35 von Hippel, E.: Democratizing Innovation. Cambrigde/MA: MIT-Press 2005
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2.5.12 Konsumenten als Ideenlieferanten und Mitentwickler Die klassische Vorstellung, Wertschöpfung vollziehe sich allein intern im Unternehmen, ist längst überholt. Mehr und mehr Firmen erkennen, dass die Nutzer von Produkten eine der wichtigsten Innovationsquellen der Zukunft sind. Ungezählte kleine Innovationen wie etwa die SMS, aber auch bahnbrechende Entwicklungen wie das „World-Wide-Web“ entstammen nicht den Labors der Industrie, sondern sind Erfindungen von Nutzern. Inzwischen nutzt jedes vierte Unternehmen die Konsumenten systematisch als Ideenlieferanten und Mitentwickler von Produkten, zum Beispiel, in dem sie Kunden in ausgewählten Online-Communities gezielt ansprechen. Eric von Hippel hat dies zu einer systematischen Vorgehensweise weiterentwickelt, der „Lead-User-Methode“, bei der Pionieranwender Produkte für ihre speziellen Bedürfnisse weiterentwickeln und auf diese Weise Ideen einbringen, die sich in der Praxis meist als besonders pfiffig und erfolgreich erweisen. Software ist also nur der Anfang. Die OpenSource-Konzepte sind für die „Massen-Innovation“ das, was das Fließband für die Massen-Produktion war. Offene Innovationsbörsen im Internet (z. B. www.innocentive.com) und der Begriff „Open Innovation“ machen zu Recht Furore, denn offene Netzwerke sind eine gute, wenn nicht sogar die optimale Koordinationsform, um das Wissen und die Ideen möglichst vieler Menschen in Wohlstand zu verwandeln.36 Natürlich werden gewachsene Unternehmen nicht von heute auf morgen zu Communities, für manche Produkte und Dienstleistungen wäre dies wohl auch kaum sinnvoll. Andererseits findet sich manches, was 36 Eine Frage ist allerdings, wie lange man noch von „Open Innovation“ sprechen kann. Denn es gibt massive Bestrebungen, den Informationsaustausch einzuschränken, um so („ClosedSource“) verknapptes Wissen lukrativer verkaufen zu können. Die Fähigkeit zur Innovation wird nachhaltig beeinflusst von den Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, das reicht von Patenten und Urheberrechten bis hin zum Schutz von Software und Datenbanken. Angeführt von den USA tobt gegenwärtig eine Schlacht um eine Ausdehnung der Schutzbereiche. Lawrence Lessig (Stanford) und andere warnen vor der Gefahr, dass der Ausbau individueller Rechtpositionen Wettbewerbsprozesse und die kulturelle Entwicklung massiv behindern kann. Vgl. Lessig, L.: Free Culture. How Big Media uses Technology and the Law to Lock down Culture and Control Creativity. New York 2004
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
den Erfolg der Open-Source-Kultur ausmacht, heute auch im fortschrittlichen Management. So entscheiden in manchen Unternehmen heute fachkompetente Mitarbeiter und nicht nur Vorgesetzte über die Ideen ihrer Kollegen, die diese (mitunter anonym) in „Ideenboxen“ ins firmeneigene Intranet gestellt haben. Andere Firmen eröffnen ihren Mitarbeitern größere Freiräume für informelle Kommunikation, weil man erkannt hat, dass hierarchiefreier Wissensaustausch produktiver und innovationsträchtiger ist als formelle Meetings, die oft nur Zeit und Nerven rauben. Und manche Firmen fördern heute systematisch „Corporate Storytelling“, weil das wertvolle implizite Wissen – das „gewußt-wie“ – nicht via Datenbank, sondern durch Geschichten transportiert wird, die sich Menschen erzählen. Eine hohe Dichte solchen informellen Austauschs gepaart mit kultureller Vielfalt (und Stanford) sind beispielsweise die Erfolgsfaktoren von hochinnovativen Regionen wie dem Silicon Valley. Vor diesem Hintergrund ist heute eine wachsende Polarisierung zwischen innovativen und wenig innovativen Unternehmen zu beobachten. Firmen, die durch eine intelligentere Arbeitsgestaltung attraktiv für talentierte Menschen sind, werden durch deren Erfolge noch attraktiver. Talente gehen dahin, wo sie gut behandelt werden. Ein solches Beispiel ist BMW. Hier zahlt sich heute aus, dass man bereits in den achtziger Jahren mit Hilfe des BMFT-Programms „Arbeit und Technik“ große Projekte durchführte, um zum Beispiel durch Hierarchieabbau gezielt die Arbeitsbedingungen der Wissensarbeiter zu verbessern. Heute verwendet BMW auch spezielle Toolkits und virtuelle Werkzeugsätze, um kreative Kunden via Internet systematisch am Innovationsgeschehen zu beteiligen.
2.5.13 Innovationsfördernde Organisationsformen als Ansatz für Win-Win-Strategien Was innovationsfördernde Arbeits- und Organisationsformen sind, lässt sich aus vielen betrieblichen PositivBeispielen ableiten. Um dies in nur wenigen Stichworten zusammenzufassen: ganzheitliche Aufgabenzuschnitte, Freiräume für Eigeninitiativen der Mitarbeiter, Toleranz gegenüber Fehlschlägen und abweichenden Meinungen, Sicherheit für die Mitarbeiter,
bereichsübergreifende Teams und Netzwerke mit Rotation, vielfältig zusammengesetzte Teams (bunte Mischung von Alter, Geschlecht, Herkunft, Kultur usw.), keine Ausrichtung an Abteilungs- oder Bereichszielen, keine Statussymbole, horizontale statt vertikaler Karrieremodelle, Offenheit und Transparenz statt Informationsfilterung sowie nicht zuletzt eine besonders intensive informelle Kommunikation. Aus der Erkenntnis, dass Arbeits- und Organisationsgestaltung die Schlüsselfaktoren für den Markterfolg von Innovationen sind, lassen sich Win-WinStrategien entwickeln, die sowohl den Unternehmen wie auch den Beschäftigten und ihren Organisationen nützen. Damit eröffnen sich für Gewerkschaften und Betriebsräte neue Ansatzpunkte, um Innovationsprozesse zu demokratisieren und so die alltäglichen Frustrationen vieler Mitarbeiter (wie auch Kunden) zu mindern.
2.5.14 Innovation und neue Organisationsformen als Thema von Gewerkschaften Für Gewerkschaften birgt der Spagat zwischen den Anforderungen klassischer Industriearbeit – die zwar schrumpft, aber fortbestehen wird – und denen der Wissens- oder Innovationsarbeit besondere Herausforderungen. Menschen sind nur dann innovativ, wenn man sie gewähren lässt. Wenn aber neue Arbeitsformen größere Freiheiten gewähren, brauchen nicht wenige Menschen Unterstützung, damit sie ihre Arbeit auch mit dem übrigen Leben in Einklang bringen können. Kopfarbeit ist nun einmal Arbeit ohne räumliche und zeitliche Grenzen, denn das wichtigste „Werkzeug“ ist ständig parat: Das Gehirn hat keinen Netzschalter. Um bei wissensintensiven Arbeitsformen eine vernünftige Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu halten, bedarf es größerer Freiheiten zur individuellen Gestaltung verschiedener Lebensphasen sowie eines tariflichen Rahmensystems für neue zeitliche, räumliche und soziale Arrangements von Arbeits-, Lern- und Lebenswelt. Beispielsweise können Sabbaticals, Langzeitkonten, Weiterbildungs-, Erziehungsund Pflegephasen helfen, demografische Probleme zu entschärfen und die Abwanderung von Fachkräften in Länder mit attraktiveren Arbeitsbedingungen zu bremsen.
2.5 Innovationsprozesse als Handlungsfeld von Gewerkschaften
Für die Gestaltung der Arbeitswelt von morgen liefern nicht zuletzt die von Gewerkschaften seit vielen Jahren aktiv begleiteten Förderprogramme des Forschungsministeriums: „Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“, „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ sowie deren Vorläufer: „Humanisierung des Arbeitslebens“ und „Arbeit und Technik“ mit ihren vielen tausend Projekten eine Fülle konkreter Hinweise. Noch ergiebiger sind thematisch verwandte skandinavische Programme. Länder wie Schweden und Finnland sind heute auch deshalb erfolgreicher, weil sie für Projekte zur Arbeits- und Organisationsgestaltung seit Jahrzehnten rund zehnmal mehr pro Kopf aufwenden als wir und auch die Ergebnisse aus der Arbeitsforschung ungleich konsequenter umsetzen.37 Insbesondere für Gewerkschaften lohnt es, durch aktive Beteiligung an solchen Programmen38 die Realisierung innovativer Arbeitsformen offensiv voran zu treiben, zumal diese auch helfen, Managementfehler und Massenentlassungen von vornherein zu vermeiden. Bildlich gesprochen: Es ist zweckmäßiger, sich aktiv an der Konstruktion von Brunnen zu beteiligen, als ständig in kräftezehrenden Rettungsaktionen zu versuchen, den bereits hineingefallenen Kindern zu helfen. Ausgehend von solchen Überlegungen und einem erweiterten Innovationsbegriff – in dem neben technischen auch soziale und ökologische Aspekte stärker berücksichtigt werden – befassen sich Gewerkschaften vereinzelt bereits seit den siebziger Jahren mit dem Thema „Innovation“, wobei sich die Akteure zunächst meist auf Produkt-Innovationen konzentrierten. Damals gründete die IG Metall als Reaktion auf die „Uhrenkrise“ sogar eigene InnovationsBeratungsstellen in einigen von Strukturwandel besonders heftig gebeutelten Regionen. Mit deren Hilfe wurden regionale Entwicklungskooperationen (heute „Cluster“) initiiert, in denen sich Techniker, Betriebsräte, Verbraucherorganisationen und Kommunalpolitiker gezielt für solche Produkt-Innovationen engagierten, die zu jener Zeit absehbare Engpässe und Problemfelder antizipierten. Da seinerzeit die Umweltde37
vgl. etwa: Arnkil, R. u. a.: The Finnish Workplace Development Programme – A Small Giant? Helsinki 2003 38 Das BMBF-Förderprogramm: „Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“ (BMBF, Okt. 2005) greift zwar einige dieser Ansätze auf, ist aber zu klein, um flächendeckende Wirkungen entfalten zu können.
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batte ihren ersten Höhepunkt hatte – es war die Geburtsstunde der Partei der „Grünen“ – standen vor allem Techniken zum intelligenteren Umgang mit endlichen Ressourcen (Energie, Wasser) im Mittelpunkt. Das große Engagement der Beteiligten spiegelte sich vor allem in der Realisierung früher Prototypen bei Solar-, Wärme-Kraft-Kopplungs- und BrauchwasserTechniken wider. Daneben wurden frühe Modellentwicklungen auf dem Gebiet der benutzer- und altersgerechten Gestaltung von Software für unterschiedlichste Anwendungsfelder initiiert, weil sich die zu jener Zeit sehr kritische Debatte über die Auswirkungen der Computertechnik vor allem aus der mangelhaften Gestaltungsfähigkeit und -willigkeit des damaligen EDV-Establishments speiste, das technisches Wissen vielfach als Herrschaftswissen hütete. So wurde zu Beginn der achtziger Jahre sichtbar, welche Innovationsfelder mit sozialem und ökologischem Nutzen aus gewerkschaftlicher Sicht zu bevorzugen sind und welche zugleich das Potenzial zur Schaffung von vielen hunderttausend Arbeitsplätzen bieten – richtige Rahmenbedingungen vorausgesetzt.39 Dass ein solcher Ansatz insbesondere für Techniker und Ingenieure attraktiv ist, zeigte die erfolgreiche Mitgliedergewinnung im Rahmen der Arbeit der Innovations-Beratungsstellen und ihrer vielfältigen Arbeitskreise. Zugleich wurden hier aber auch früh die Grenzen von vorwiegend technikorientierten Ansätzen deutlich. Es wurde klar, dass es nicht reicht, Innovationsprozessen eine „richtige“, zum Beispiel auf Nachhaltigkeit zielende Richtung zu geben. Letztlich ist entscheidend, ob eine Innovation auch von der Gesellschaft angenommen wird und sich am Markt durchsetzen kann. Von bloßen Ideen und guten Absichten entstehen noch keine neuen Arbeitsplätze. Wie unter anderem die eingangs skizzierten Fallbeispiele zeigen, können auch die besten Ideen bei ihrer Umsetzung an innerorganisatorischen Barrieren und politischen Widerständen scheitern. Den meisten Vorschlägen der IGM-Innovationsberatung erging es nicht anders. Insbesondere Produktideen aus dem Bereich der effizienten Energienutzung und der regenerativen Energiequellen stießen damals noch auf heftige Widerstände und konnten sich deshalb teilweise erst mit jahrzehntelanger Verzögerung durchsetzen. 39
Klotz, U.: Innovations- und Technologieberatung als Teil eines gewerkschaftlichen Offensivkonzepts In: Kreuder, T.; Loewy, W. (Hrsg.): Konservatismus in der Strukturkrise. Frankfurt 1987, S. 440–461
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Ausgehend von den in der Innovationsförderung gesammelten Erfahrungen erscheint es deshalb sinnvoll, dass sich Gewerkschaften beim Thema Innovation vor allem auf die Gestaltung von Strukturen und Prozessen in den Unternehmen konzentrieren, weil die Überwindung und Beseitigung bestehender Innovationshindernisse eine notwendige Erfolgsvoraussetzung für jedwede Art von Innovation ist. Darüber hinaus können Gewerkschaften bei der Gestaltung politischer Rahmenbedingungen Beiträge zur Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft leisten. Das betrifft zum Beispiel das gesamte Terrain der Bildungs-, Forschungs- und Technologiepolitik, auf dem es gilt, einen grundlegenden Strategiewechsel hin zu einer offenen Innovationspolitik zu befördern, wie ihn beispielsweise Finnland erfolgreich vollzogen hat.40 Ausgangspunkt dieser Umorientierung war die Erkenntnis, dass es darauf ankommt, alle Faktoren, die den Innovationsprozess beeinflussen, gleichzeitig zu entwickeln, statt lediglich einzelne Technikanwendungsfelder zu fördern. Es gilt insbesondere, die überholten Konzepte einer sog. Industrie- oder Technologiepolitik über Bord zu werfen, also solche Politikansätze, die im Kern davon ausgehen, dass staatliche Institutionen und Beratergremien technologische und wirtschaftliche Erfolge identifizieren könnten, die in einer noch unbekannten Zukunft liegen. Da Innovation das Erdenken und Ausprobieren des heute noch Unbekannten ist, kann sie schon aus Gründen der Logik nicht Gegenstand eines politischen Beschlusses sein. Im Gegenteil: Da politische Entscheidungen auf der Grundlage verfügbaren Wissens gefällt werden, neigen sie dazu, den Forschungsstand zu zementieren, statt ihn zu erweitern. Jede Entscheidung zugunsten einer bestimmten Entwicklung oder Technologie ist zugleich immer auch eine Entscheidung gegen viele andere mögliche Entwicklungen. Maßnahmen, die die Weiterentwicklung dessen subventionieren, was bereits bekannt ist, konservieren eher bestehende Strukturen, als dass sie wirkliche Innovationen fördern: Das elektrische Licht wurde nicht durch stetiges Verbessern der Kerze erfunden. 40
Siehe hierzu Klotz, U.: Der Strategiewechsel. Deutschland braucht eine neue Innovationspolitik. Berliner Republik (2005) 5, S. 62–73 u. (2006) 1, S. 56–65
Statt also selektiv bestimmte Technologien und Industriezweige zu fördern, ist es weitaus sinnvoller, Rahmenbedingungen vorausschauend zu gestalten, so dass dadurch Innovationsprozesse beschleunigt werden. Wer etwa heute schon durch eine frühzeitige Steigerung des Kostendrucks bei endlichen Ressourcen (etwa durch Ressourcensteuern oder Umweltauflagen) veranlasst wird, Technologien für einen intelligenteren Umgang mit Energie zu entwickeln, der ist spätestens dann im Vorteil, wenn zunehmender Rohstoffmangel neue Lösungen erzwingt. Es ist eine Aufgabe des Staates, Probleme und Engpässe zu antizipieren und vorsorgliche Rahmenbedingungen auch gegen vielfältige Lobby-Interessen durchzusetzen. Dass dies oft nicht so zügig geschieht, wie es volkswirtschaftlich wünschenswert wäre, zeigt nur, dass auch die oft schwerfälligen staatlichen Institutionen neuer Organisations- und Arbeitsformen bedürfen, wie sie in innovativen Unternehmen bereits Alltag sind. Mit dem Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft werden Gewerkschaften mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Manchen traditionsreichen Handlungsfeldern werden durch den Wandel in der Arbeitswelt allmählich die Grundlagen entzogen. Gleichzeitig entstehen aber auch vielfältige neue Chancen für konstruktive Politikkonzepte. Gelingt es den Gewerkschaften, ihre eigenen Arbeitsund Organisationsformen durch zeitgemäßere Strukturen und Prozesse zu ersetzen, können sie sich künftig verstärkt als Anwälte innovativer Ideen einbringen, zumal sie wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppierung die Produzenten- und die Konsumentenperspektive integrieren. Wo Gewerkschaften und Betriebsräte organisatorische Innovation wie beispielsweise bei Oticon selbst aktiv vorantreiben, können sie vorbeugend die Qualität und die Sicherheit der Arbeitsplätze ihrer Kolleginnen und Kollegen beträchtlich erhöhen. Die aktuelle ‚Besser-stattbilliger‘-Kampagne des IG Metall-Bezirks NordrheinWestfalen41 steht hierfür als positives Beispiel und zeigt zugleich, dass solche Modernisierungsoffensiven ein erfolgreicher Weg sind, um neue Mitglieder zu gewinnen. 41
http://www.besser-statt-billiger.de
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
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• Lange Durchlaufzeiten, sowohl in den indirekten als auch direkten Bereichen • UnzureichendeTermintreue • Extrem hohe Bestände • Zu lange Innovationszyklen für Neuprodukte • Zahlreiche Schnittstellen mit enormen Reibungsverlusten • Unklare Kompetenzen und Verantwortungen •…
Abb. 2.22 Hauptproblemfelder fehlender Dezentralisierung und Prozessorientierung
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder Dynamische Umfelder, insbesondere sich häufig verändernde, schwer prognostizierbare Marktanforderungen zwingen heute viele Unternehmen zu immer kürzeren Reaktionszeiten und zu internem Wandel. Unternehmen unterliegen durch die marktgetriebenen Veränderungen der letzten Jahre und mehr noch durch absehbare Veränderungen in der Zukunft stark modifizierten Anforderungen an ihre Organisation und an ihre personellen Kompetenzen. Um die steigende Außenkomplexität zu bewältigen, werden auf der organisatorischen Ebene daher vielfältige Wege der Dezentralisierung, der Funktionsintegration, der Dynamisierung und der Standardisierung mit dem Ziel beschritten, überlebens- und reaktionsfähige Prozesse der Leistungserstellung zu generieren (Abb. 2.22). Aus diesem Trend resultieren: • häufigere, tiefergehende und schnellere Veränderungsprozesse, • erhöhte und komplexere Kooperationsanforderungen, • erhöhte und veränderte Anforderungen an Lernen und Wissen. In den vergangenen Jahren wurden viele unternehmensweite und bereichsbezogene Re-Organisationskonzepte diskutiert und erprobt. Ihnen allen war in unterschiedlichem Ausmaß der Ansatz der Dezentralisierung und des aktiven Einbezugs der Mitarbeiter gemeinsam. In sich dezentralisierenden Unternehmen
bzw. in dezentralisierten Leistungseinheiten (Teams, Center, Prozesse, Segmente, Inseln) besteht ein erheblicher Spielraum für die Veränderung, Entwicklung und Gestaltung organisationaler Strukturen und Abläufe. Bezüglich der hierbei relevanten unternehmensinternen Gestaltungsfelder sind hervorzuheben: • die Gestaltung prozessorientierter Abläufe, • der Abbau von hierarchischen Schranken und abteilungsbezogenen Schnittstellen, • die Delegation von Verantwortung an kompetente und selbständig agierende Mitarbeiter, • die Organisation der Zunahme von kooperationsund wissensintensiver Arbeit, • die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Unter der Voraussetzung sich verkürzender Innovationszyklen und steigender Kundenindividualität der Aufträge erhöhen sich die Anforderungen an Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Ein langfristiger Wettbewerbsvorteil kann nicht nur durch die Neuorganisation der Strukturen und Prozesse, sondern auch durch die systematische Entwicklung der Humanressourcen erlangt werden. Leistungsvorteile durch qualifizierte und engagierte Mitarbeiter sind durch Wettbewerber schwer zu imitieren. Unternehmens- und Organisationsentwicklung erfordern in diesem Sinne immer auch eine komplementäre Personalentwicklung. Die beiden Gestaltungsfelder rücken enger zusammen. Integrierte, ganzheitliche Konzepte werden erforderlich. Abschnitt 2.6.1 gibt einen Überblick über die Entstehungsgeschichte aktueller Leitbilder und Konzepte. Im Anschluss an eine Beschreibung der vielfälti-
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Wissensintensives Unternehmen
Anforderungen
Wissen, Wandlungsfähiges Dienstleistung Unternehmen
Schnelles Unternehmen
Wandel, Lernen
Wandel, Lernen
Flexibles Unternehmen
Zeit
Zeit
Zeit
Qualitätsunternehmen
Flexibilität
Flexibilität
Flexibilität
Flexibilität
Wirtschaftliches Unternehmen
Produktqualität
Produktqualität
Produktqualität
Produktqualität
Produktqualität
Preis, Produktivität
Preis, Produktivität
Preis, Produktivität
Preis, Produktivität
Preis, Produktivität
Preis, Produktivität
Geschichtliche Entwicklung Abb. 2.23 Zunahme der Anforderungen an Unternehmen. Grundidee bei [2]
gen Anforderungen an Produktionsunternehmen wird in Abschn. 2.6.2 beschrieben, wie sie ihre Wandlungsfähigkeit beeinflussen und stärken können. Abschnitt 2.6.3 beschreibt ausgewählte Entwicklungslinien im Bereich der Arbeitsorganisation und Gestaltungsansätze für wandlungsfähige Arbeitssysteme.
2.6.1 Entwicklung der Unternehmenskonzepte „Organisations- oder spezielle Unternehmenskonzepte sind mehr oder weniger explizit ausformulierte Leitprinzipien für das Funktionieren eines Unternehmens“ [1]. Die Entwicklung der Unternehmensorganisation ist eine Geschichte von immer umfassenderen Antworten auf ständig steigende und veränderte Anforderungen. Im Kern geht es jenseits aller Metaphern und Moden bei zunehmender Umweltkomplexität um die Flexibilisierung und Dynamisierung der Organisationsstrukturen. Abbildung 2.23 zeigt eine idealisierte Typisierung ständig neu hinzu kommender Anforderungen, welche sich in den jeweils aktuellen Unternehmenskonzepten niederschlagen. Im 20. Jahrhundert herrschte in der Produktion vor allem die von Taylor (1856–1915) entwickelte Denkweise der wissenschaftlichen Betriebsführung vor. Ziel war und ist es, durch Arbeitsteilung eine möglichst hohe Produktivität zu erreichen. Das Prinzip der Arbeitsteilung ist bis heute ein prägendes Merkmal der industriellen Arbeit, wobei abhängig vom Produktionskonzept die jeweilige Intensität variiert.
Mit der Zunahme der Kundenansprüche an die Qualität der Produkte setzte die qualitätsbewusste Produktion ein. Der Fokus war am Anfang auf die Qualität der Produkte beschränkt. Der Qualitätsgedanke wurde später auch auf die Gestaltung der Prozesse und auf das ganze Unternehmen angewandt (Total Quality Management). Aus der wachsenden Individualisierung der Kundenwünsche und den damit einhergehenden höheren Anforderungen an die Flexibilität der Unternehmen ergab sich die Notwendigkeit zur besseren Integration betrieblicher Funktionen. Die zu Beginn der neunziger Jahre einsetzende Rezession machte bei den meisten deutschen Produktionsunternehmen Defizite deutlich und löste die Welle des Lean-Managements aus. Kundennähe und Reaktionszeit wurden zu den obersten Maximen der Unternehmensorganisation. Entscheidend wurde die Schnelligkeit, mit der Unternehmen ihre Kunden beliefern und mit der sie ihre neuen Produkte zur Marktreife bringen können. Dazu müssen Prozesse und Strukturen konsequent auf den Markt ausgerichtet werden. Das Konzept des Lernenden Unternehmens oder der Lernenden Organisation speist sich aus den unterschiedlichsten Quellen. Lernende Organisationen werden vorrangig als Systeme konzipiert, die zur bewussten und erfolgreichen Veränderung ihrer wesentlichen Merkmale fähig sind, wenn sie individuelles und kollektives Lernen miteinander verknüpfen. Der Begriff des organisationalen Lernens wird oft mit organisationalem Wandel in Verbindung gebracht bzw. sogar synonym verwendet. Obwohl die Notwendigkeit des organisationalen Lernens unbestritten ist, liegen ein all-
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
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Kernkompetenz A Virtuelles Unternehmen • Gemeinsamer Marktauftritt • Anbieten kompletter Lösungen statt einzelner Produkte • Zusammenführung komplementärer Kernkompetenzen • Teilen von Infrastruktur Kernund Risiko kompetenz C • Flexibilität im Zugriff auf Ressourcen Unternehmen C
Unternehmen A
Kernkompetenz B Unternehmen B
Abb. 2.24 Charakteristika virtueller Unternehmen
gemein akzeptiertes Modell, eine anerkannte Definition und eine ernstzunehmende empirische Basis derzeit allerdings nicht vor [3, 4]. Das Hauptproblem besteht in einer Verknüpfung des individuellen Lernens mit dem Lernen der Organisation, z. B. über eine gemeinsame Wissensbasis. Aktuell konzentriert sich die Diskussion auf die grundsätzliche Wandlungsfähigkeit von Unternehmen [5]. Schnelle Anpassungsfähigkeit der Strukturen und Prozesse an die steigende Komplexität und Dynamik des Umfeldes wird zur überlebenswichtigen Fähigkeit. Konzepte wie die Fraktale Fabrik [6] postulieren eine erhöhte Leistungsfähigkeit und Flexibilität
Zentrale Handlungsfelder: • Permanente Aktualisierung der Wissensbasis des Unternehmens • Optimierung wissensintensiver Prozesse Organisations• Intelligente Arbeitsteilung strukturen • Qualifizierung für wissensvertikal wie horizontal intensive Aufgaben wenig ausgeprägt • Gestaltung der Personalbeziehungen
durch Selbstorganisation. Die stärkere Berücksichtigung selbstorganisatorischer Prozesse in Unternehmen gewinnt unter den Bedingungen des kaum vorplanbaren Wandels an Bedeutung. Insbesondere sind Fähigkeiten zur Beherrschung und Mitgestaltung des Wandels gefragt, die sich in den Handlungs- und Entscheidungsspielräumen dezentralisierter Unternehmen besonders gut entwickeln können. Das Konzept Virtueller Unternehmen stellt die Verknüpfung des Einzelunternehmens mit anderen Unternehmen in den Vordergrund, wobei der Netzwerkgedanken seinen pointierten Ausdruck findet (Abb. 2.24).
Strategieentwicklung wichtige Impulse entstehen an der Basis
Wissen als Ressource & Produkt
Charakteristische Merkmale wissensintensiver Unternehmen
Dienstleistungsprozesse kaum standardisiert, schlecht bewertbar, ganzheitlich
Qualität wichtiger als Quantität
Mitarbeiter qualifiziert, stressresistent, unabhängig
Abb. 2.25 Wissensintensive Unternehmen funktionieren nach anderen Regeln
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2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Das Virtuelle Unternehmen besteht aus einem Netzwerk von Betrieben, welche sich zusammenschließen und als Verbund am Markt tätig sind, um der Verschärfung der Wettbewerbssituation und der Globalisierung der Märkte begegnen zu können. Die Partner teilen Kosten, Risiken und Wissen. Im Gegensatz zu den Systemgrenzen traditioneller Unternehmen wirken betriebsübergreifende Produkte, Dienstleistungen oder Projekte identitätsstiftend. Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg solcher Netzwerke besteht in einer hochentwickelten Informationsinfrastruktur und in einer ausgeprägten Kooperationskompetenz. Wissensintensive Unternehmen verkaufen ihr Know-how als Produkt und Dienstleistung an ihre Kunden. Sie sind im Vergleich zu anderen Unternehmen eher lern- als kapitalintensiv. Bei ihnen gibt es vertikal wie horizontal selten klare Organisationsstrukturen. Inner- und überbetrieblich wird in offenen Netzwerkstrukturen gearbeitet. Kooperationskompetenz wird damit nicht nur auf Mitarbeiterebene unverzichtbar. Die Prozesse und Abläufe sind weniger standardisiert bzw. standardisierbar und eine Arbeitsteilung nach Funktionen ist kaum möglich. Dies stellt besondere Anforderungen an die Kreativität, Lernbereitschaft, Selbstorganisationsfähigkeit und Frus-
Dezentralisation Konzentration Outsorcing Kostenführerschaft Kooperation Flexibilisierung Aufbau von Puffern Externes Wachstum Autonomie Cost Cutting Hierarchie Kernkompetenzen Flexible Kleinheit
trationstoleranz der Mitarbeiter [7]. “A knowledgeintensive firm does not work properly as a structured, departmentalized, hierarchical organization. It is at its best as a process/ network/ culture/ marketplace for mutual learning and knowledge” [8] (Abb. 2.25). Kennzeichnend für die Widersprüchlichkeiten, denen sich Unternehmen ausgesetzt sehen, sind nach Littmann und Jansen [9] die teilweise paradoxen Anforderungen, die sie zu bewältigen haben. Eine Entscheidung für zentrale Strukturen ist offensichtlich mit einem Verlust an Geschwindigkeit und dezentraler Intelligenz verbunden. Dagegen sind bei einer dezentralen Organisation enorme Integrationsleistungen zu erbringen, d. h. die Verpflichtung auf das Ganze und die Vermeidung von Redundanzen oder Doppelaktivitäten wird notwendig. Die Herausforderung besteht darin, zwischen den Ausprägungen Zentralisierung und Dezentralisierung, Globalisierung und Lokalisierung oder Hierarchisierung und innovativen Netzwerkstrukturen je nach Situation oszillieren zu können (Abb. 2.26). Wie in Abschn. 2.6.2 beschrieben, stehen Unternehmen heute vor dem Problem, wechselnde, schwer vorhersehbare und widersprüchliche Anforderungen zu bewältigen. Das Selbstverständnis der Unternehmens- und Organisationsentwicklung wird
Zentralisierung Diversifikation Insourcing Differenzierung Wettbewerb Economies of Scale Rationalisierung Organisches Wachstum Dependenz Wachstum Heterarchie Vertikale integration Mächtige Größe
Abb. 2.26 Paradoxien der Organisation. Nach Littmann und Jansen [9]
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
sich dahingehend verändern, dass nichts beständiger ist als der Wandel. Strukturen und Prozesse sind als veränderbar und Managemententscheidungen bei Veränderung der Rahmenbedingungen als revidierbar zu begreifen.
2.6.2 Entwicklung der Wandlungsfähigkeit 2.6.2.1 Anforderungen an die Wandlungsfähigkeit von Produktionsunternehmen Unternehmen müssen sich mit einem ganzen Bündel wechselnder Herausforderungen (Preis, Zeit, etc.) gleichzeitig auseinander setzen. Sie können es sich nicht erlauben, ihre Fähigkeiten auf nur eine dieser Herausforderungen zu konzentrieren [10]. Wesentliche Anforderungen sind: • Der am Markt zu erzielende Preis wird durch den globalen Wettbewerb bestimmt. • Die zu liefernden Mengen unterliegen immer stärkeren, nicht prognostizierbaren Kapazitätsschwankungen (Mengenflexibilität). • Aufgrund immer kürzerer Innovationszyklen wird die schnelle Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen bis zur Markteinführung (time to market) zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
• Produkte müssen bei kürzerer Lebensdauer immer kundenspezifischer werden. • Kundenwünsche nach Komplettlösungen beschleunigen die Integration von Dienstleistungen und Sachgütern (hybride Produkte) (Abb. 2.27). Veränderungsprojekte werden i. d. R. durch Marktveränderungen oder durch die Wettbewerbssituation angestoßen. Als Turbulenzfaktoren sind insbesondere wechselnde Auftragsvolumina, stark schwankende Stückzahlen, kleiner werdende oder wechselnde Losgrößen, die verstärkte Kundenspezifik der Produkte sowie die steigende Typen- und Variantenvielfalt zu nennen. Immer heterogenere Produktvarianten müssen konstruiert, immer kürzere Lieferfristen eingehalten und immer kleinere Auftragsmengen produziert werden. Die konsequente Ausrichtung auf den Kundennutzen und die damit einhergehende Umstrukturierung von Geschäftsfeldern, Prozessen und Strukturen bedeutet für die Beteiligten oft den Abschied von vertrauten Verhältnissen. Parallel dazu stellt die Einführung neuer Produktions- und Arbeitssysteme für das Unternehmen eine interne Turbulenz dar, deren Bewältigung die ohnehin knappen Ressourcen oftmals überfordert. Aus den Ergebnissen der Anfang 2002 mit 290 produzierenden Unternehmen durchgeführten empirischen Studie „Wandel aktiv gestalten – Wandlungsfähigkeit stärken“ des Fraunhofer IAO [11] lässt sich ablesen, dass sich die verschärften Marktanforderungen in einer Vielzahl von parallel laufenden Verän-
Umwelt Bewältigung ständig wechselnder mehrdimensionaler Anforderungen Zeit Mengen Produkt • kürzere Lieferfristen • kurze Einführung neuer Produkte • späte Festlegung der Produktkonfiguration
• schwankende Stückzahlen • wechselnde Losgrößen • geringere Auftragsbestände • veränderte Auftragszusammensetzung
• ständige Änderungen im laufenden Produktprogramm • ständige Produktinnovation • steigende Varianten- und Typenvielfalt • steigende Komplexität der Produkte
Kontinuierliche Umplanung und Neustrukturierung der Produktionssysteme Erfordernisse: • marktadäquate Rekonfiguration der Wertschöpfungsstruktur • permanente Konfiguration von Produktionseinheiten und Netzwerken • drastische Reduzierung der Planungs- und Umrüstzeiten • Verkürzung der logistischen und informationstechnischen Wege • strukturvariable und technische Konzepte • etc. Abb. 2.27 Marktgetriebene Turbulenz bei Produktionsbetrieben
91
92
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
derungsprojekten unterschiedlichen Inhalts niedergeschlagen haben. Beantwortet wurde der Fragebogen von Produktionsleitern, Geschäftsführern und Personalleitern produzierender Betriebe aller Branchen ab einer Größe von 100 Mitarbeitern. Branchenschwerpunkte waren Maschinen- und Anlagenbau, elektrotechnische und metallverarbeitende Industrie. Bedarf nach Wandlungsfähigkeit Unternehmen stehen im Veränderungsprozess vor einer doppelten Aufgabe: ihre Wandlungs- und Lernfähigkeit aufzubauen und ihre Stabilität abzusichern. Organisationaler Wandel lässt sich anhand dreier zentraler Klassifikationskriterien gliedern: • Objekte – Was ändert sich, was wird verändert? • Verlaufsformen, Dynamik – Wie verläuft Wandel? • Erklärungsmechanismen – Warum entsteht Wandel bzw. warum nicht? Pfeffer [12] unterstreicht die Notwendigkeit, Inhalte (content of change) und Verläufe (process of change) von Veränderungsprozessen konzeptionell miteinander zu verbinden. Trotz gutem Informationsstand (knowledge) von Individuen und Organisationen gelingt nach seiner Meinung eine Umsetzung (action) oftmals nicht. Genau durch dieses Umsetzen von Wissen und Erlerntem konstituiert sich jedoch erst Wandel. Dieser Umsetzungsprozess ist jedoch bei stei-
gender Komplexität von Marktanforderungen durch eine Verknappung der Ressourcen Zeit und Geld gekennzeichnet. Sorgfältig entwickelte Strategien und Feinplanungen sind oftmals schon überholt, bevor mit der Realisierung bzw. Umsetzung begonnen werden kann (Abb. 2.28). Prioritäten in der Unternehmensentwicklung hängen allerdings von der Lebensphase ab, in der sich ein Unternehmen befindet. Junge und wachsende Unternehmen stehen eher vor der Herausforderung, ihr Wachstum zu beherrschen, d. h., organisatorisches (aber auch kreativitätsstiftendes) Chaos zu bewältigen und effiziente Abläufe aufzubauen. Bei vielen dieser jungen Unternehmen entsteht im Wachstumsprozess die Notwendigkeit, informelles Agieren durch formelle Strukturen und geplante Prozesse zu ersetzen. Bereits etablierte Unternehmen befinden sich allerdings oft in der Gefahr zu verkrusten und an ihren einstmals erfolgreichen Konzepten festzuhalten. Um dieser Falle zu entgehen, müssen diese reiferen Unternehmen ihre Strukturen dynamisieren und ihre Fähigkeit zur systematischen Selbstveränderung wieder aktivieren und steigern. Das Thema „Wandlungsfähigkeit stärken“ betrifft nicht alle Unternehmen gleichermaßen. Wie bereits beschrieben, kommt es auf die Phase der Unternehmensentwicklung, auf den Grad der Etablierung an. Ebenso relevant ist die spezifische Markt- und Wettbewerbssituation. Turbulenzen entstehen, wenn ein Ungleichgewicht zwischen externem Wandlungsdruck
Phase IV Auflösung
Phase I Gründung
Phase II Entwicklung Wachstum beherrschen
Phase III Etablierung Wandlungsfähigkeit stärken
Vom informellen Agieren zu formellen, flexiblen und effizienten Strukturen
Soviel formale Strukturen und geplante Prozesse wie nötig – so wenig wie möglich Abb. 2.28 Phasen der Unternehmensentwicklung
Formelle Strukturen dynamisieren, flexibel und effizient erhalten
Die Fähigkeit eines Unternehmens zur systematischen Selbstveränderung
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
Externer Wandlungsdruck
Markt
hoch
A
93
B
Handlungsbedarf wegen extern induzierter Turbulenz C
Beherrschung des Wandels
D
Kein aktueller Handlungsbedarf
Wandlungspotenzial vorhanden
niedrig niedrig
Interne Wandlungsfähigkeit
hoch
Unternehmen Abb. 2.29 Positionierung im Spannungsfeld von Wandlungsdruck und Wandlungsfähigkeit [13]
(Anforderungen) und interner Wandlungsfähigkeit (Kompetenzen und Ressourcen) auftritt. Besonderen Bedarf nach Stärkung der Wandlungsfähigkeit haben diejenigen, die unter einem hohen externen Wandlungsdruck von Seiten des Marktes oder der Konkurrenz stehen und ihre internen Veränderungspotenziale nicht genügend aufgebaut haben (Abb. 2.29). Als Verursacher von Wandlungsdruck nehmen im Urteil der 290 befragten deutschen Produktionsbetriebe [11] Kunden und Konkurrenten eine Spitzenstellung ein. Die wichtigsten Ziele von internen Veränderungsprozessen liegen im Bereich der Kostenreduzierung, der Termintreue, der Flexibilitäts- und der Qualitätssteigerung.
2.6.2.2 Wandlungskompetenz stärken Die Wandlungsfähigkeit eines Unternehmens kann von verschiedenen Faktoren unterstützt, aber auch gehemmt werden. Neben flexiblen Technologien, welche die Grundvoraussetzung für eine wandlungsfähige Produktion sind, kommt es zunehmend auf die Wandlungskompetenz der Humanressourcen an – und damit auf die Gestaltungskompetenzen, die es Mitarbeitern und Führungskräften ermöglichen, unter sich verändernden Bedingungen selbständig zu entschei-
den und zu handeln. Welche Ansatzpunkte haben sich zur Stärkung der betrieblichen Wandlungskompetenz herauskristallisiert? • Der erste betrifft die Barrieren für Veränderungsprozesse, die sich sowohl auf der organisationalen (struktur- und prozessbezogenen) als auch auf der personalen (humanressourcen-bezogenen) Ebene ergeben können. So wirken sich z. B. mangelnde Veränderungsbereitschaft auf der einen Seite als auch fehlende Qualifikationen auf der anderen Seite blockierend auf den Wandel aus. • Der zweite Ansatzpunkt konzentriert sich auf die Fähigkeit von Betrieben, Win-Win-Situationen herzustellen, um Veränderungsprozesse schneller bewältigen zu können. Vor- und Nachteile, welche die innerbetrieblichen Akteure (z. B. Führungskräfte, Mitarbeiter) mit dem Wandel verbinden, werden selten offen verhandelt. Die unterschiedliche Bewertung von Gestaltungsoptionen und Veränderungsschritten wird oftmals nur scheinbar auf der Sachebene ausgetragen. Ziel muss es sein, die Aushandlungsprozesse zwischen den betrieblichen Parteien und Hierarchieebenen transparenter zu gestalten, um „unsichtbare Widerstände“ bearbeiten zu können.
94
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
• Der dritte Ansatzpunkt ergibt sich aus der Bedeutung, welche die Beteiligung der unterschiedlichen betrieblichen Akteure im Veränderungsprozess besitzt. Die optimale Gestaltung der Partizipationstiefe, d. h. wer zu welchem Zeitpunkt in welchem Umfang an dem Projekt beteiligt sein soll, trägt entscheidend zum Gelingen von Wandlungsprozessen bei. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass ein Gleichgewicht zwischen effektiver Ressourcennutzung (z. B. Bestimmung der notwendigen Anzahl gemeinsamer Meetings) und frühzeitiger Einbindung der betroffenen Mitarbeiter hergestellt wird. Das langfristige Ziel muss darin bestehen, nicht nur einzelne Veränderungsprozesse erfolgreich durchzuführen, sondern nachhaltige Wandlungskompetenz aufzubauen, um die Fähigkeit zur systematischen Selbstveränderung zu steigern und um ungeplante Turbulenzen ohne langen Vorlauf bewältigen zu können.
Organisationale und personale Barrieren Es bleibt oft undeutlich, wie die Unternehmen zur Wahrnehmung und Bewertung der veränderten Marktanforderungen gelangen, wie Veränderungsabsichten tatsächlich von den Mitarbeitern angenommen und wie Entscheidungen getroffen werden. Aus nachvollziehbaren Gründen werden anschauliche Beispiele für ein Scheitern von Wandlungsprozessen oder für konkrete Wandlungsblockaden kaum dokumentiert. Unabhängig von der Spezifik einzelner Unternehmensbeispiele wird allerdings immer wieder folgende Konstellation dargestellt: Strukturelle Veränderungen und Reorganisationsprojekte werden von der oberen Führungsschicht initiiert, während die Akzeptanz und Umsetzungsbereitschaft der Mitarbeiter als zentraler Engpassfaktor im Veränderungsprozess beschrieben bzw. beklagt wird. Aus den Ergebnissen der Fragebogenstudie „Wandel aktiv gestalten – Wandlungsfähigkeit stärken“ [11] lassen sich mehrere kritische Barrieren für die Umsetzung von Veränderungsprozessen ableiten: • mangelnde Veränderungsbereitschaft und fehlende Sensibilität für Veränderungsbedarf, sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Führungskräften,
• unzureichende Verantwortungsübernahme und Selbständigkeit der Mitarbeiter, • mangelnder Erhalt und fehlende Entwicklung von Qualifikationen sowie Fachkräftemangel, • Defizite bei der Sicherstellung von Kommunikation und Information, • unzureichendes Projektmanagement. Typische Barrieren treten in den einzelnen Betrieben und je nach Art der Veränderung in unterschiedlicher Konstellation auf. Befindet man sich mitten im Veränderungsprozess – und das ist für viele Unternehmen angesichts parallel laufender Wandlungsprojekte der Dauerfall –, fällt die Trennung zwischen Sachund Beziehungsebene oft schwer. Gerade in Hinsicht auf die Humanressourcen sind viele Barrieren auf den ersten Blick nicht eindeutig zu identifizieren. So können sich z. B. hinter der Nichterreichung eines Veränderungsziels durch eine Arbeitsgruppe motivations-, qualifikations-, organisations- oder informationsbedingte Ursachen verbergen. Angesichts knapper Zeitressourcen sollte deshalb die Frage nach der Priorität der anzugehenden Barrieren an erster Stelle stehen. Grundsätzlich müssen die betrieblichen Organisationsstrukturen Veränderungsprozesse systematisch unterstützen und es müssen hierfür die notwendigen Qualifikationen und zeitlichen Ressourcen vorhanden sein. Wandel kann nicht als „Nebengeschäft“ oder nach Feierabend durchgeführt werden. Schlecht abgestimmte und mangelhaft kommunizierte Veränderungsprozesse scheitern oftmals daran, dass Organisationsmitglieder an ehemals bewährten Denk- und Handlungsmustern festhalten, da für sie der subjektive Nutzen der verordneten Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen nicht nachvollziehbar ist. Aufgrund des begrenzten Erfolgs vergangener Veränderungsansätze haben in den aktuellen Business- oder Performance-Excellence-Konzepten die Mitarbeiterorientierung und die Erschließung von Mitarbeiterpotenzialen eine herausragende Bedeutung bekommen.
Herstellen von Win-Win-Situationen Der Erfolg von Veränderungsprojekten hängt nicht nur von der Motivation und Information Einzelner, sondern entscheidend von der Schaffung von Win-Win-Situationen ab [14]. Einseitige Top-Down-
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
Anweisungen versanden erfahrungsgemäß. Sowohl Planer wie auch Umsetzer müssen motiviert sein, den Veränderungsprozess mitzutragen. Es reicht heutzutage nicht mehr aus, bestimmte Rationalisierungsmethoden oder Gestaltungsansätze aus dem Werkzeugkasten zu holen. Grundsätzliche Reorganisationskonzepte setzen sich nur im Rahmen innerbetrieblicher Interessenauseinandersetzungen durch. Bestehende Spielregeln werden aufgehoben und neue Spielregeln werden kreiert, neu verhandelt bzw. durchgesetzt. Diese Aushandlungsprozesse müssen selbst zum Thema der Reflexion werden. Reorganisationsprozesse werden in Angriff genommen, weil zentrale Akteure (z. B. die Geschäftsführung) überzeugt sind, dass eine strukturelle Veränderung zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich ist. Akteur [15] ist, wer über Definitionsmacht im Veränderungs- bzw. Modernisierungsprozess verfügt. Diese Akteure legen in Verhandlungen Regeln sowie Rahmenbedingungen fest und verteilen Ressourcen. Die Aushandlungsprozesse dieser Akteure können sowohl konfliktär als auch kooperativ ablaufen. Die Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen hängt also nicht nur von der fachlichen Qualifikation der Beteiligten ab, sondern in einem ebenso großen Ausmaß von ihrer Fähigkeit gezielt und geplant zusammen zu arbeiten, auch bei unterschiedlichen Interessen (strategische Kooperation). Für die Veränderung von Arbeitssystemen stellt ökonomischer Druck durch den Markt nur einen mehr oder weniger unspezifischen Auslöser dar. Dieser Druck muss erst durch organisationsinterne Prozesse der Problemwahrnehmung, -anerkennung und -definition in einen anerkannten Handlungsbedarf und schließlich in Entscheidungen übersetzt werden. Beispielsweise führten bei einem Fahrzeughersteller die individueller werdenden Kundenwünsche zu immer mehr Typen und Varianten in der Produktion. An den getakteten Bändern wurde immer mehr Flexibilität benötigt. Die vom Management vorgeschlagene Gruppenarbeit mit Funktionsintegration wurde im Projektteam mit Vertretern der Mitarbeiter über mehr als ein Jahr diskutiert. Die Bedenken der Mitarbeiter, dass Stress und Arbeitsbelastung zunehmen würden, verhinderten eine Umsetzung. Erst als mehr personelle Kapazitäten für die zusätzlichen Funktionen wie Qualitätssicherung und Teilebestellung zugesagt wurden und mit der Qualifizierung auch höhere Lohnstufen zu erreichen waren, kam es zu einer problemlosen und
95
schnellen Einführung des Gruppenarbeitskonzeptes. Die dringend benötigte Flexibilität zur Bewältigung der Typen- und Variantenvielfalt wurde erreicht. Es stellt sich die Frage, ob es unter Wettbewerbsgesichtspunkten zu vertreten ist, Reorganisationsprojekte längere Zeit in der Schwebe zu lassen oder ob ein rationaler und frühzeitiger Interessenausgleich nicht zu Geschwindigkeitsvorteilen bei der Wandlungsfähigkeit führen kann.
Beteiligung am Veränderungsprozess Typischerweise werden nur selten alle relevanten Akteure des Wandels adäquat in die Veränderungsprojekte einbezogen. Ansätze der Organisationsentwicklung konzentrieren sich entweder zu stark auf das Management als Initiator und Treiber des Wandels oder zu stark auf die Beteiligung der Mitarbeiter als Umsetzer von Wandlungsvorhaben. In der Fraunhofer-IAO-Studie [11] wurde die Beteiligung der unterschiedlichen betrieblichen Akteure in den jeweiligen Phasen der Veränderungsprozesse abgefragt. Es zeigte sich, dass von einer breiten Einflussnahme aller relevanten Akteure nicht die Rede sein kann: • Geschäftsführer beteiligen sich vorrangig in den Phasen Erkennen des Wandlungsbedarfs, Zielsetzung, Entscheidung über die Durchführung des Projektes und Bewertung sowie Kommunikation der Ergebnisse. • Produktionsleiter sind überproportional an allen Phasen der Veränderungsprozesse beteiligt. • Es überrascht nicht, dass die Planer vorrangig in die Phasen der Grobkonzeption und der Feinplanung eingebunden werden. Wenn externe Berater engagiert werden, sind sie meist in die Konzeptionsphase involviert. • In einem nennenswerten Ausmaß erfolgt die Beteiligung von Betriebsrat, Meistern und Mitarbeitern erstmals in der Phase „Kommunikation der Projektziele“, nachdem die grundsätzliche Entscheidung über die Projektdurchführung gefallen ist. • In deutlich mehr als der Hälfte der Betriebe sind Meister/Vorarbeiter und Mitarbeiter immerhin an der Umsetzungsphase beteiligt. • Die Kunden spielen in der Regel keine nennenswerte Rolle bei den Veränderungsprojekten. Sie wer-
96
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
den noch am ehesten einbezogen, wenn es darum geht, Veränderungsbedarf zu erkennen. Um eine möglichst hohe Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit im Wandel zu erreichen, kann es nicht darum gehen, alle Akteursgruppen in jeder Phase des Veränderungsprozesses zu beteiligen. Hierzu reichen die vorhandenen personellen und zeitlichen Ressourcen in der Regel nicht aus. Es gilt aber auch, dass zur Lösung komplexer Probleme die Zusammenarbeit verschiedener spezialisierter Mitarbeiter und Hierarchieebenen notwendig ist. Um das im Betrieb vorliegende Wissens- und Erfahrungspotenzial optimal auszunutzen, ist eine hierarchie- und funktionsübergreifende Kooperation zwischen allen relevanten Akteuren notwendig. Es kommt also darauf an, einen sinnvollen Kompromiss zwischen Ressourcenschonung und aktiver Partizipation zu finden. Unabhängig von der Art des Veränderungsprozesses beeinflusst allerdings die frühzeitige Information und die rechtzeitige Einbindung der betroffenen Mitarbeiter den Erfolg und die Vollständigkeit der Umsetzung von Veränderungsprojekten.
2.6.3 Arbeitsorganisation Die betrieblichen Aufgaben können nach unterschiedlichen Prinzipien organisiert und auf einzelne Organisationseinheiten, Arbeitsgruppen und Individuen verteilt werden. „Zur Arbeitsorganisation gehört die Art der Beteiligung an der Planung, das Ausmaß an Festlegung der Vorgehensweisen, das Verhältnis von Einzelund Teamarbeit und die entsprechende Entlohnung und der Grad und die Art der Arbeitsteilung bzw. kombination unter Einschluss der betrieblichen Gesamtarbeit“ [1]. Arbeitsorganisationen sind letztendlich soziotechnische Systeme, die von Menschen eingerichtet und verändert werden, um ausgehandelte und sich verändernde Ziele zu erreichen.
Human-Relation-Ansatz E. Mayo und seine Forschergruppe kamen Ende der 1920er Jahre durch die Hawthorne-Studien zu dem Ergebnis, dass sich Organisationsmitglieder nie rein individualistisch verhalten. Sie werden von einer informellen Gruppe geprägt, die einen starken Einfluss auf die Einstellungen und Verhaltensweisen ausübt und die Leistung determiniert. Zudem stellten Mayo et. al. fest, dass Zufriedenheit eine wichtige Voraussetzung für die Arbeitsleistung ist. In weiteren Experimenten wurde die besondere Rolle der Vorgesetzten bei der Entwicklung informeller sozialer Gruppenbeziehungen untersucht. Trotz aller Kritik an den HumanRelation-Konzepten kann zusammenfassend konstatiert werden, dass die von dieser Forschergruppe erarbeiteten Erkenntnisse und Grundlagen zu sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz bestimmend für die weiteren organisationspsychologischen Arbeiten und die Entdeckung der Wichtigkeit der Kongruenz formaler und informaler Organisationen waren. Eine andere Forschergruppe um Roethlisberger und Dickson (1949) erweiterte den Ansatz Mayos um viele Kontextvariablen, so dass auch das Umfeld der Organisation berücksichtigt wurde. Variablen wie Ideen und Visionen, die Einstellung der Mitarbeiter zum Zielsystem des Unternehmens und zu den Kosten, die Effizienz der technischen Organisation, aber auch die bestehenden Vorstellungen von einer humanen Organisation haben einen enormen Einfluss auf die Effizienz von kooperativen Organisationen. Die Autoren betonen die Priorität der informalen Organisation vor der formalen Organisation und leiten daraus Implikationen für die Personal- und Managementpraxis ab. Das Management ist angehalten, die gemeinsame Zielerreichung der formalen und der sozialen Organisation abzusichern. Die Herstellung eines Gleichgewichts scheint dann besonders elementar zu sein, wenn es um die Einführung technologischer Veränderungen geht. Abrupte Veränderung, ohne ausreichende Berücksichtigung persönlicher Einstellungen, erzeugt Widerstand gegen neue Technologien und erklärt deren unzureichende Nutzung.
2.6.3.1 Historische Grundlagen der Arbeitsorganisation Soziotechnische Ansätze Im Folgenden wird auf die Human-Relation-Ansätze, die soziotechnischen Ansätze des Tavistock-Instituts und die Erfahrungen mit Gruppenarbeit eingegangen.
Die soziotechnischen Ansätze – in der Forschungslandschaft, verbunden mit dem Tavistock-Institut – se-
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
Technisches Teilsystem
Eigenschaften: Dynamik: Gestaltungsziele: Gestaltungsprinzipien:
Systemaufgaben
97
Sozio-organisatorisches Teilsystem
• offen, zielgerichtet, dynamisch • sozio-technische Systeme unterliegen Umweltveränderungen, denen sie sich anpassen müssen • Verbesserung der Anpassungsfähigkeit der Organisation an veränderte Anforderungen oder Störungen • Einheit von Produkt und Organisation • Innerer Aufgabenzusammenhang in einer Organisationseinheit • Bildung relativ unabhängiger Organisationseinheiten
Abb. 2.30 Merkmale soziotechnischer Systeme
hen das Individuum in den Kontext einer Gruppe bzw. in organisatorisch-technische Beziehungen eingebunden. Es geht darum, Anforderungen für die Gestaltung optimaler Arbeitssysteme zu definieren. Unter soziotechnischen Systemen versteht man in diesem Zusammenhang offene und dynamische Systeme, die Inputs aus der Umwelt erhalten und Outputs in die Umwelt abgeben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie relativ unabhängige, dezentral organisierte Organisationseinheiten darstellen, denen eine ganzheitliche Aufgabe zur Lösung oder Bearbeitung übertragen wird (Abb. 2.30). Primäre Arbeitssysteme sind abgrenzbare Organisationseinheiten, z. B. eine Fertigungsgruppe, deren Mitglieder durch ein gemeinsames Arbeitsziel verbunden sind. Diese Einheiten weisen gemeinsame Aufgaben auf, die den Mitarbeitern Kooperationen abverlangen. Das einzelne Arbeitssystem ist durch die Einheit von Produkt und Organisation gekennzeichnet. Es besteht aus einem technischen und einem sozialen Teilsystem. Das soziale Teilsystem beschreibt die Bedürfnisse der Gruppe und ihrer Mitglieder sowie ihre Ansprüche an die Arbeit, ihre Kenntnisse und ihre Fähigkeiten. Das technische Teilsystem besteht aus den Betriebs- und Arbeitsmitteln und deren Layout. Beide Teilsysteme sind über die Mensch-MaschineFunktionsteilung miteinander verzahnt, die definiert, welche einzelnen Aufgaben die Maschine und welche die Mitarbeiter ausführen. Technik, Arbeitsorganisation und Humanressourcen werden dem Ansatz zufolge wechselseitig als gestaltbar angesehen. Ziel der soziotechnischen Gestaltung ist es, Fehlplanungen bei der Einführung technischer Systeme zu verhindern und durch soziale Opti-
mierung die Verfügbarkeit des Gesamtsystems zu erhöhen. Beispielsweise ist eine negative Beeinflussung des technischen Systems immer dann gegeben, wenn nicht oder falsch oder zu spät qualifizierte Mitarbeiter die neue Technik bedienen.
Gruppenarbeit Die Ideen, die den Gruppenarbeitskonzepten prinzipiell zugrunde liegen, zielen auf ein in Eigensteuerung erzieltes, gemeinschaftlich getragenes Arbeitsergebnis mit hoher Kompetenz und Verantwortung am Ort der Produktentstehung. Angesprochen sind hierbei Gestaltungsprinzipien der Entkopplung, Aufgabenintegration sowie die Gestaltung der Kooperation und Kommunikation, die allerdings nur dann Früchte tragen, wenn die entsprechende technische und logistische Ausgestaltung des Produktionssystems genügend Freiräume bietet. Derartige Überlegungen lassen sich nur mit Erfolg durchsetzen, wenn gleichzeitig unterstützende gesamtbetriebliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Je nach Branche und Betrieb finden sich unterschiedliche Vorstellungen, Begrifflichkeiten und Realisierungsformen der Gruppenarbeit. Das Aufsetzen des Konzeptes der Gruppenarbeit auf bestehende Strukturen der Arbeits- und Produktionsorganisation führt zu jeweils unterschiedlichen Varianten mit betriebsspezifischer Prägung. Das einzelne Unternehmen greift im Zuge seiner Umsetzungen aus dem allgemein geläufigen Merkmalsspektrum einzelne Faktoren heraus und realisiert diese im Rahmen seiner Zielsetzungen und seiner Veränderungsfähig-
98
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
keit. Diese Varianz in den Lösungen erklärt sich aus den unterschiedlichen Marktanforderungen und den unterschiedlichen kulturellen und organisatorischen Kontexten in denen Gruppenarbeit entwickelt wird. Es erfordert also eine erhebliche Abstraktionsleistung, wenn man von „der Gruppenarbeit“ spricht. Auf der Grundlage von Fallstudien wurden vom SOFI, Göttingen zwei gegensätzlich angelegte Typen der Gruppenarbeit herausgearbeitet. Das strukturkonservative Gruppenarbeitskonzept zeichnet sich durch die Zementierung tayloristischer Organisationsformen und Betriebsstrukturen aus. An den bisherigen Prinzipien von Arbeitskrafteinsatz und -nutzung wird festgehalten. Hohe Leistungsgrade sollen vor allem über Routinisierung und Standardisierung der Arbeit erreicht werden. „Der Zielsetzung einer von der Produktionsebene selbst getragenen Optimierung der Fertigungsprozesse dürften die Betriebe mit strukturkonservativen Konzepten keinen Schritt näher kommen“ [16]. Nur wenige Beschäftigte arbeiten heute in einer Arbeitsorganisation, die teilautonomer Gruppenarbeit nahekommt. Gruppen mit hohem Autonomiegrad und Partizipationsmöglichkeiten an betrieblichen Entscheidungen finden sich in erster Linie unter hochqualifizierten Angestellten im Dienstleistungsbereich. Ein wesentlicher Grund für die geringe Verbreitung liegt in den Problemen der Einführung und nachhaltigen Stabilisierung dieser Form der Arbeitsorganisation. Üblicherweise werden aber notwendige arbeitsorganisatorische Veränderungen erst erkannt und angegangen, wenn sich Defizite manifestieren oder größere Probleme auftreten (krisengetriebene VorgeMarktanforderungen
hensweise). Anlass für die Einführung von Gruppenund Teamarbeit sind deshalb oftmals Krisensituationen. Aus dieser Konstellation heraus werden an Gruppen- und Teamarbeitskonzepte oftmals überzogene und unrealistische Erwartungen herangetragen: sie sollen gleichzeitig die Kosten senken, die Flexibilität erhöhen, die Qualität verbessern, Hierarchiestufen einsparen und das Management entlasten. Die erfolgreiche Umsetzung von arbeitsorganisatorischen Veränderungen hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, seine Ziele zu bestimmen, diese zu gewichten und eine Strategie, mit der das Ziel der Veränderung erreicht werden soll, zu entwickeln.
2.6.3.2 Einbindung der Arbeitsorganisation in die Markt- und Unternehmensentwicklung Markt- und Kundenorientierung – als zentrale Determinanten zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – erfordern nicht nur eine Öffnung und immer wiederkehrende Neuausrichtung der gesamten Unternehmensorganisation, sondern auch der einzelnen Organisationseinheiten. Es bedarf einer gesteigerten Reaktionsfähigkeit gegenüber Marktveränderungen auf allen Ebenen der betrieblichen Organisation. Die Entwicklung der Arbeitsorganisation in einzelnen Organisationseinheiten kann deshalb nicht unabhängig von der Unternehmensentwicklung betrieben werden (Abb. 2.31). Vielen Unternehmen gelingt es nur unzureichend, einen durchgängigen Prozess zu installieren, der von
z.B. Alleinstellungsmerkmale
Strategische Positionierung
z.B. Qualitätswissen
Qualifikation, Kompetenz
Entwicklung einer einzigartigen Lösung durch verzahnte Aktivitäten
Produktionsstruktur z.B. Segmentierung
Arbeitsorganisation z.B. Teamarbeit
Abb. 2.31 Einbindung der Arbeitsorganisation in die Unternehmensentwicklung
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
99
der Erfassung der Marktanforderungen, über die strategische Positionierung am Markt bis hin zur konsequenten internen Reorganisation reicht. Strategisches Denken impliziert, dass alle betrieblichen Aktivitäten aufeinander abzustimmen sind. „Strategie ist das Kreieren aufeinander abgestimmter Tätigkeiten in einem Unternehmen. Ihr Erfolg hängt davon ab, dass viele Dinge – nicht nur einige wenige – gut gemacht werden, in wechselseitiger Ergänzung“ [17]. Im Endeffekt ist es für die Wettbewerber schwieriger, eine Folge von miteinander verzahnten Aktivitäten zu imitieren, statt lediglich einzelne spezielle Vorgehensweisen oder gewisse Organisationsmerkmale zu kopieren. Durch eine solche strategieorientierte Abstimmung der Aktivitäten wird eine schnelle Nachahmung erschwert. Je nach Produkt- und Marktsegment wird die interne Organisation – basierend auf der strategischen Ausrichtung des Unternehmens – unterschiedlich gestaltet sein müssen, um den externen Anforderungen mit kostengerechten internen Abläufen entsprechen zu können. Es gibt also keine „gute“ oder „schlechte“ Arbeitsorganisation an sich, sondern immer nur eine mehr oder weniger zweckmäßige Arbeitsorganisation in Bezug auf die Erfüllung der aus dem Markt abgeleiteten Ziele und Kriterien und in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen.
dung der Mitarbeiter in den Planungs- und Umsetzungsprozess. Je stärker die Reorganisation von den Betroffenen getragen und beeinflusst wird, desto höher ist die Akzeptanz bzw. Identifikation mit den notwendigen Veränderungen (Abb. 2.32). Bei kontinuierlicher Unterstützung durch das Management entstehen durch die vertikale Kooperation mehrerer Hierarchieebenen lern- und entwicklungsfähige Organisationsstrukturen in der Produktion, die sich flexibel an veränderte Anforderungen anpassen können. Bei der Neugestaltung der Arbeitsorganisation sind
Verzahnung betrieblicher Ebenen
2.6.3.3 Entwicklung der Arbeitsorganisation
Die Entwicklung einer lebensfähigen Arbeitsorganisation erfordert nicht nur ein klares Commitment des Managements, sondern auch eine frühzeitige Einbin-
Bei steigenden Anforderungen an Marktorientierung und Dynamik stoßen klassisch arbeitsteilige Produktionskonzepte zunehmend an ihre Grenzen. Das Ziel,
• Personalentwicklung, • Teamentwicklung und • Organisationsentwicklung unter Beteiligung verschiedener Abteilungen und Hierarchiestufen aufeinander abzustimmen [18]. Entscheidend sind die kontinuierliche Einbindung des Top-Managements und die kompatible Neubestimmung der Rollen des mittleren und unteren Managements, um den Einführungsprozess zu unterstützen und zu stabilisieren. Je stärker die Reorganisation von den Betroffenen getragen und beeinflusst wird, desto höher ist die Akzeptanz bzw. Identifikation mit den notwendigen Veränderungen.
Vision entwickeln, strategische Ziele festlegen
Konkrete Ziele vereinbaren, Erwartungen offenlegen
Entwicklungsprozess unterstützen, Feedback geben
Organisation
Verantwortlichkeiten definieren, Teamentlohnung festlegen
Prozessbehindernde Schnittstellen beseitigen
Kunden-LieferantenBeziehungen vereinbaren
Arbeitssystem
Produktbezogene Gesamtverantwortung definieren und übertragen
Aufgaben gestalten, Qualifikationsanforderungen bestimmen
Informationsfluss optimieren
Team, Gruppe
Freiräume für Gestaltungsund Entsheidungsmöglichkeiten gewähren
Spielregeln der Zusammenarbeit festlegen
Konflikte bewältigen
Entwicklungsperspektiven, Chancen aufzeigen
Qualifikationen entwickeln
Individuelle Unterschiede berücksichtigen
Führung
Mitarbeiter
Zeit Abb. 2.32 Verzahnung der Organisationsebenen bei der Einführung von Gruppenarbeit
100
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Kundennähe zu erreichen, erfordert vor allem flexible Organisationsstrukturen und kompetente Mitarbeiter. Rasch wechselnde Kundenanforderungen machen es notwendig, über ein Maximum an Gestaltungsspielraum in der Produktion zu verfügen. Zentralisierte Entscheidungs- und Planungsprozesse würden hierfür oftmals zuviel Zeit beanspruchen. Durch die Schaffung dezentraler Verantwortungsbereiche und entwicklungsfähiger Strukturen sollen Potenziale zur schnelleren Bewältigung einer zunehmenden Vielfalt sich rasch ändernder Aufgaben geschaffen werden. Folgende Gestaltungskriterien sollten hierbei berücksichtigt werden (Abb. 2.33): • ganzheitliche Arbeits- und Aufgabengestaltung, um qualitätssichernde Regelkreise und die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme zu gewährleisten, • Gestaltung anspruchsvoller Qualifikationsanforderungen zum Erhalt der Lernfähigkeit und zur Gewährleistung der Personaleinsatzflexibilität, • Kooperation im Team, um sich gegenseitig zu unterstützen und Wissen zu transferieren, • Kooperation zwischen Teams über KundenLieferanten-Vereinbarungen für schnellere Durchlaufzeiten. In sich dezentralisierenden Unternehmen bzw. in dezentralisierten Produktionseinheiten (Center, Prozesse, Segmente, Inseln) besteht ein erheblicher Spielraum für die Veränderung, Entwicklung und Gestaltung organisationaler Strukturen und Abläufe. Arbeits-
systeme sind als wandlungsfähig zu bezeichnen, wenn es ihnen in vergleichsweise kurzen Zeiträumen gelingt, adaptiv und flexibel Marktanforderungen sowie Produkt- und Prozessinnovationen zu bewältigen. Solche Arbeitssysteme müssen über ausreichende soziale und qualifikatorische Ressourcen, über ganzheitliche Aufgabenprofile und über rückmeldefähige Regelkreise verfügen. Sie sind somit in der Lage, mit Neuheit, Unsicherheit, Komplexität und Konflikten umzugehen, ohne ihre Effizienz zu verlieren. Neben dem Umfang der Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowie der Kompetenz der Mitarbeiter zur Nutzung dieser Freiräume sind wandlungsförderliche Arbeitssysteme durch folgende Merkmale charakterisiert: • eine veränderliche Mensch-Maschine-Funktionsteilung, • revidierbare Strukturen und Prozesse, • eine geringe Betonung detaillierter interner Aufgabenbeschreibungen, • eine erhebliche (Re-)Integration planerischer Aufgaben, • rückmeldefähige Regelkreise, • eine Vermeidung unnötiger Schnittstellen, • eine Zuordnung organisatorischer Befugnisse zur inhaltlichen Arbeit, • eine hohe Personaleinsatzflexibilität, • einen ungehinderten Informations- und Kommunikationsfluss, • ein erhebliches Kooperations- und Selbststeuerungspotenzial,
Management • Zielvereinbarung • Feedback
Gruppe x
KundenLieferantenBeziehung
Rückmelden Warten, Instandhalten
KundenLieferantenBeziehung
Gruppe y
Kooperieren Input
Planen Organisieren
Prüfen Nachbearbeiten
• Material • Informationen
• Produkt • Baugruppe • Service
Lernen Vorbereiten Ausführen
Abb. 2.33 Regelkreise eines Arbeitssystems
Output
Arbeitssystem
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
• Möglichkeiten des arbeitsnahen, wechselseitigen Lernens.
Betriebliches Beispiel für die Entwicklung der Arbeitsorganisation Integrierte Organisationsgestaltung und Personalentwicklung ermöglichen es oftmals, hochgesteckte Zielvorgaben in der Produktion zu erreichen. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Mobilisierung und Weiterentwicklung der Mitarbeiterkompetenzen. Das folgende Praxisbeispiel zeigt, welche mitarbeiterbezogenen Vorgehensweisen und organisatorischen Veränderungen dies erfordert: Ein Unternehmen aus der Elektroindustrie suchte für seine Montagebereiche mit Klein- und Mittelserien und steigender Kundenauftragsorientierung ein neues flexibles und wirtschaftliches Montagekonzept. Die vorhandenen Montagelinien waren stark arbeitsteilig und führten bei zunehmenden Kleinstserien zu steigenden Rüst- und Koordinationsaufwänden. Die neue dezentrale Montageorganisation sollte nun in Kombination mit einer höheren Personaleinsatzflexibilität die angestrebten wirtschaftlichen und logistischen Ziele erreichen. Das ursprüngliche Montagesystem war durch eine klassische Arbeitsteilung an getakteten Arbeitsplätzen gekennzeichnet. Für die Mitarbeiter bestanden zwei deutlich unterschiedliche Anforderungsprofile: Das typische Aufgabenprofil der Montagewerker (Montieren, Prüfen oder Verpacken) unterforderte die im System eingesetzten Facharbeiter qualifikatorisch deutlich. Hingegen hatte der Vorarbeiter, der alle dis-
positiven und organisierenden Aufgaben bearbeitete, eindeutig lernförderliche Arbeitsbedingungen, die aber schon in den Bereich der quantitativen Überforderung tendierten (Abb. 2.34). Für die zukünftige Arbeitsorganisation wurde Folgendes festgelegt (Abb. 2.35): • Es sollten neben der Linie zusätzliche Komplettmontagearbeitsplätze mit umfangreicheren Arbeitsinhalten eingerichtet und zusätzliche Tätigkeiten integriert werden. • Die dispositiven und organisierenden Aufgaben sollten im wöchentlichen Wechsel von mehreren Mitarbeitern wahrgenommen werden (Disponent). • Die Montage-, Prüf- und Verpacktätigkeiten sollten im Rotationsprinzip bearbeitet werden (Montagewerker). In das neue Arbeitssystem wurden alle notwendigen Entscheidungskompetenzen zur kompletten Produkterstellung integriert. Die Ziele hinsichtlich Flexibilität und Reaktionsfähigkeit, Bestandsgrößen und Qualität wurden erreicht. Dafür waren jedoch die Schaffung einer hohen Personaleinsatzflexibilität und eines begleitenden Qualifikationsentwicklungskonzepts erforderlich. Generell wurde für die Montagewerker ein deutlich breiteres Aufgabenprofil als im ursprünglichen Montagesystem realisiert. Ihre Qualifikationsanforderungen haben sich deutlich erhöht, so dass die eingesetzten Facharbeiter nicht mehr befürchten müssen, langfristig ihre Ausgangsqualifikation zu verlieren. Da die dispositiven Aufgaben im wöchentlichen Rotationsverfahren wahrgenommen werden, ist die psychische Be-
Plätze einrichten und umrüsten
Absprachen andere Abteilungen
MA einteilen und anlernen
Material am AP bereitstellen
Stücklisten prüfen
0-Serie montieren
Nacharbeit
Teile disponieren Vorarbeiter
Zentraler Transport
Linienmontage Vormontagen
Prüfen
101
Verpacken
Zentraler Transport
Aufgaben der Montagewerker
Abb. 2.34 Konzentration planender und problemlösender Aufgaben im Ausgangszustand
102
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
MA koordinieren und qualifizieren
Absprachen andere Abteilungen
Aufträge und Teile disponieren
Material am AP bereitstellen
Stücklisten überprüfen
0-Serie montieren
Rotation Disponent Linienmontage
Prüfen
Verpacken
Vormontagen
Rotation Mitarbeiter Teilnahme Audit und Nacharbeit
Plätze einrichten u. umrüsten Zentraler Transport
Komplettmontage
Prüfen
Zentraler Transport
Verpacken
Abb. 2.35 Rotation über die Aufgaben im reorganisierten System
lastung der ehemaligen Vorarbeiterrolle auf mehrere Köpfe verteilt worden. Diese Mitarbeiter bearbeiten auch alle anderen im System anfallenden Aufgaben, so dass eine deutlich verbesserte Integration der Disponenten in die Gruppe gewährleistet ist. Das Unternehmen ist nicht mehr von der Verfügbarkeit des einen Vorarbeiters abhängig, sein Know-how wurde durch arbeitsnahe Qualifizierung weitergegeben. Neben der generell höheren Personaleinsatzflexibilität war auch eine wesentlich höhere Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitssystem und damit eine bis dahin nicht gekannte aktive Verantwortungsübernahme zu verzeichnen. 2.6.3.4 Die Vision wandlungsfähiger Leistungseinheiten Die Vision einer systemimmanenten Wandlungsfähigkeit von Leistungseinheiten bei weitgehend unbekannten Umweltanforderungen impliziert, dass diese Arbeitssysteme ein höheres und breiteres Leistungsspektrum besitzen müssten, als starre oder flexible Arbeitssysteme. Ziel müsste es sein, bei einer hohen Komplexität der Umweltanforderungen die Reaktionszeiten zu verkürzen [19]. Die Ausgestaltung von Produktionseinheiten orientiert sich am Grad ihrer Umweltturbulenz. Nicht jedes Produktionssystem ist den gleichen Anforderungen bezüglich Geschwindigkeit, Häufigkeit, Intensität und Umfang ihrer Veränderungen ausgesetzt. In stabilen Märkten mit einer stetigen Nachfrage ist es sinnvoll gewesen und ist es heute noch sinnvoll, Veränderungspotenziale zugunsten hoher Effizienz und nied-
riger Fixkosten gering zu halten. Das Leistungsspektrum dieser hoch spezialisierten Produktionseinheiten ist auf die Beherrschung einer überschaubaren Anzahl von Varianten und Typen ausgerichtet. Bei Modellwechseln ist in der Regel eine Neuplanung des Produktionssystems erforderlich mit entsprechend langen und schwierigen Anlaufphasen (Abb. 2.36). • Unter starren Leistungseinheiten werden traditionelle Arbeitssysteme verstanden, z. B. die Produktion mittels Fließband. Bei bekannten Umweltanforderungen können diese bei geringen Fixkosten hocheffizient eingesetzt werden. Diese Leistungseinheiten sind hochspezialisiert, besitzen aber nur eine geringe Anpassungsbreite für etwaige Systemzustandsveränderungen. • Unter flexiblen Leistungseinheiten werden Arbeitssysteme verstanden, z. B. die Inselfertigung. Bei unscharfen Umweltanforderungen lassen sich flexible Leistungseinheiten effizient einsetzen. Diese Leistungseinheiten besitzen somit eine hohe Anpassungsbreite für etwaige Systemzustandsveränderungen. Sie zeichnen sich aber durch relativ hohe Fixkosten aus, da sie für die Bewältigung sehr unterschiedlicher Anforderungen konzipiert werden. • Unter wandlungsfähigen Leistungseinheiten soll eine Vision von Arbeitssystemen verstanden werden, die trotz unbekannter Umweltanforderungen bei geringen Fixkosten ein sehr hohes Leistungsspektrum aufweisen. Wandel ist hier immanent angelegt und führt nicht zu einer prinzipiellen Veränderung der Strukturlogik des Systems. Diese Systeme sind typischerweise von Selbstcontrolling gekenn-
2.6 Aktuelle Unternehmenskonzepte und die Entwicklung der Arbeitsorganisation – Visionen und Leitbilder
Produktionseinheit
Merkmale
Einsatzgebiet
103
gravierende Umweltänderung
starr, spezialisiert z.B. Fließband
• geringe Fixkosten • geringes Leistungsspektrum
stabile Umwelt
Neuplanung erforderlich
flexibel z.B. Inselfertigung
• hohe Fixkosten • hohes, festgelegtes Leistungsspektrum
instabile Umwelt
Neuplanung selten erforderlich
wandlungsfähige Leistungseinheit
• geringe Fixkosten • hohes, veränderliches Leistungsspektrum
turbulente Umwelt
Wandel systemimmanent
Abb. 2.36 Ausgestaltung von Produktionseinheiten in Abhängigkeit von der Umwelt
zeichnet. Dies bedeutet, dass die einzelne Einheit neben den Zielen auch die Maßnahmen und Ressourcen zur Zielerreichung koordiniert sowie ihre Systeme zur Planung, Kontrolle und Informationsversorgung selbst gestaltet. Eine wandlungsfähige Leistungseinheit hat die Fähigkeit zur aktiven und schnellen Anpassung ihrer Strukturen und Ressourcen auf kurzfristig nicht vorhersehbar wechselnde Aufgaben sowie die Fähigkeit zur evo-
lutionären Entwicklung ihrer Strukturen und Kompetenzen bei längerfristig vorhersehbaren wechselnden Anforderungen [20] (Abb. 2.37). Produktionssysteme erfahren den Wandel in ihrem Umfeld zunächst in den Beziehungen zu ihren internen und externen Kunden. Um in der Lage zu sein, die sich ständig verändernden Anforderungen auch in Zukunft erfüllen zu können, werden in der Praxis verschiedene Strategien verfolgt: Bisher war es in der Regel möglich, durch frühzeitiges Erkennen zukünftiger
nwahrnehmung Auße nwahrnehmung Inne
U ford mwe eru ltannge n
Führung Hauptprozesse
Input
unterstützende Prozesse Aufgaben
Schnittstellen
Technologie
r ktu u r t S Mitarbeiter
ltan en e w g Um erun d for Abb. 2.37 Strukturmerkmale einer wandlungsfähigen Leistungseinheit
Output
104
2 Rahmen, Herausforderungen und Visonen für die Unternehmensorganisation
Umweltveränderungen rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Leistungsadaption zu ergreifen. Je häufiger jedoch Diskontinuitäten in der Umweltentwicklung auftreten, umso schwieriger wird das Bestimmen einer konkreten Strategie. Das Bestreben des Managements muss sich folglich dahin verschieben, zukünftige Handlungsräume zu öffnen und die Innovations- und Wandlungsfähigkeit der Unternehmung zu erhöhen, ohne von vornherein konkret festlegen zu wollen, wie diese genutzt werden sollen. Um dieses Ziel der „spontanen Adaption“ jedoch erreichen zu können, muss die Unternehmensführung den Markt in das Unternehmen hineinlassen und möglichst ungefiltert an die weitestgehend selbständigen Leistungseinheiten weiterleiten. Nur so können diese die Anforderungen und Bedarfe des Marktes erkennen und darauf reagieren.
Mitarbeiter – Die Betreiber wandlungsfähiger Strukturen Aus der Kombination von externem Veränderungsdruck und interner Reorganisation ergeben sich erhöhte Kooperationsanforderungen. Veränderungsprozesse lassen sich nur dann schnell und erfolgreich durchführen, wenn sie miteinander und nicht gegeneinander bearbeitet werden. Neben der hierfür notwendigen Kooperations- und Teamfähigkeit werden generell die Qualifikationen, das Wissen und die kreativen Potenziale der betrieblichen Akteure (Führungskräfte und Mitarbeiter) als wettbewerbsentscheidender Erfolgsfaktor zunehmend ernst genommen. Im Zuge organisatorischer Restrukturierungen verändern sich Qualifikationsanforderungen formal und inhaltlich in allen Funktions- und Tätigkeitsbereichen. Es gibt deutliche Anzeichen, dass sich im Rahmen betrieblicher Reorganisationsprozesse, welche auf marktgesteuerte Dezentralisierung, Selbstorganisation und internes Unternehmertum setzen, erhebliche Veränderungen in den Rollen und in den Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte zu verzeichnen sind. Im organisatorischen Wandel werden Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse verstärkt sowohl auf die mittleren und unteren Führungskräfte wie auch auf die direkten Mitarbeiter ausgeweitet. Unternehmen sind verstärkt auf Mitarbeiter angewiesen, die über den Tellerrand ihrer eigenen beruflichen Qualifikation hinausschauen, neuartige Aufga-
ben selbständig bearbeiten und zwischen unterschiedlichen Aufgaben wechseln können. Die Einführung neuer Technologien, die Arbeit in inner- und überbetrieblichen Projekten und die intensivere Integration von Kunden in den Leistungserstellungs- und -erbringungsprozess sind Ursachen dafür, dass Mitarbeiter nicht nur Fachspezialisten, sondern auch immer mehr Problemlöser sein müssen. Nur wer mit anspruchsvollen Problemen konfrontiert wird, hat die Chance zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Die Herausforderung an die Arbeitsgestaltung besteht deshalb darin, zum Wohle der Beschäftigten und des Unternehmens, das richtige Maß an Aufgabenkomplexität zu finden. Die Erwerbstätigen stehen vor der Aufgabe, sich nicht nur die notwendigen fachlichen Qualifikationen anzueignen, sondern auch mehr Verantwortung für ihre persönliche Entwicklung zu übernehmen. Auf der Suche nach dauerhaften Wettbewerbsvorteilen wird immer mehr die Notwendigkeit einer konsequenten Nutzung und Entwicklung der Humanressourcen betont. Als angemessene Reaktionen auf den Wandel des Wettbewerbs sind folgende Aktionsbereiche zu nennen: • die Entwicklung der Gesamtkompetenz des Menschen, • das lebenslange Lernen, • die Entwicklung einer offenen Lernkultur im Unternehmen. Die Diskussion um lernende Organisationen und lebenslanges Lernen baut allerdings auf der Voraussetzung auf, dass es am Arbeitsplatz und im Arbeitsprozess Lernanreize gibt. „Das größte Lernhindernis ist eine Tätigkeit, in der es objektiv nichts zu lernen gibt“ [21].
Literatur 1. Hacker, W.: Allgemeine Arbeitspsychologie. Bern: Huber 1998 2. Greschner, J.; Weidler, A.: Simulations- und Lernmodelle zur Entscheidungsunterstützung in der flexiblen Montage. In: Warnecke, H.-J. (Hrsg.): Die Montage im flexiblen Produktionsbetrieb. Technik, Organisation, Betriebswirtschaft. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1996, S. 438 3. Wiegand, M.: Prozesse organisationalen Lernens. Wiesbaden: Gabler 1996
Literatur 4. Strauß, R.: Determinanten und Dynamik des Organizational Learning. Wiesbaden: Deutscher Universitäts Verlag 1996 5. Sonderforschungsbereich 467: Wandlungsfähige Unternehmensstrukturen für die variantenreiche Serienproduktion: http://www.sfb467.uni-stuttgart.de/ 6. Warnecke, H.-J.: Die fraktale Fabrik. Revolution der Unternehmenskultur. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996 7. Ganz, W.; Hermann, S.: Vom Umgang mit der Zukunftsressource Wissen. In: Bullinger H.-J.; Hermann, S. (Hrsg.): Wettbewerbsfaktor Kreativität. Strategien, Konzepte und Werkzeuge zur Steigerung der Dienstleistungsperformance. Wiesbaden: Gabler 2000, S. 111–133 8. Nurmi, R.: Knowledge-Intensive Firms. In: Cortada, J. W.; Woods, J. A. (Ed.): The Knowledge Management Yearbook 1999–2000. Boston u. a.: Butterworth-Heinemann 1999, S. 177 9. Littmann, P.; Jansen, St.: Oszillodox. Virtualisierung – die permanente Neuerfindung der Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta 2000 10. Westkämper, E.: Die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen. wt werkstattstechnik 89 (1999)4, S. 131–140 11. Spath, D.; Buck, H.; Kremer, D.: Wandel aktiv gestalten – Wandlungsfähigkeit stärken. Aktivierung der Humanressourcen in Veränderungsprozessen. Ergebnisse der Studie zur Wandlungsfähigkeit produzierender Unternehmen. Stuttgart: IRB-Verlag 2003 12. Pfeffer, J.: New Directions For Organization Theory. Problems and Prospects. New York/Oxford: Oxford University Press 1997
105 13. Zahn, E.; Gagsch, B.; Herbst, C.: Strategische Optionen zur Führung wandlungsfähiger Produktionsnetzwerke. In: Industrie Management, 16, 2000 14. Buck, H.: Organisationaler Wandel und innerbetriebliche Kooperation. In: GfA (Hrsg.): Arbeitsgestaltung, Flexibilisierung, Kompetenzentwicklung. 47. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft. Dortmund: GfA Press 2001, S. 369–373 15. Bogumil, J.; Kißler, L.: Die Beschäftigten im Modernisierungsprozeß – Akteure oder Agierende. Industrielle Beziehungen 5 (1998) 3, S. 298–321 16. Gerst, D. et al.: Gruppenarbeit in den 90ern: Zwischen strukturkonservativer und strukturinnovativer Gestaltungsvariante. SOFI Mitteilungen 22 (1995) 17. Porter, M.: Nur Strategie sichert auf Dauer hohe Erträge. Harvard Business Manager 19 (1997) 3, S. 42–58 18. Buck, H.: Entwicklungsfähige Arbeitsorganisation in der Montage. In: Westkämper, E. et al. (Hrsg.): Montageplanung – effizient und marktgerecht. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2001, S. 113–135 19. Arbeitskreis 4 des SFB 467: Wandlungsfähige soziotechnische Leistungseinheiten 20. Hartmann, M.: Merkmale zur Wandlungsfähigkeit von Produktionssystemen bei turbulenten Aufgaben. Diss. Univ. Magdeburg 1995, S. 18 21. Hacker, W.; Richter, P.: Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten. Ein Konzept in Entwicklung. In: Frei, F.; Udris, I. (Hrsg.): Das Bild der Arbeit. Bern: Huber 1990
Teil Strategische Ausrichtung der Unternehmensorganisation
II
Neues Denken in der Unternehmensführung
Inhaltsangabe 3.1
Führungskonzepte im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Veränderte Anforderungen an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Neue Herausforderungen an die Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Neue Anforderungen an Führungskräfte und Führungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 112 122
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.2
Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Technologiemanagement als zentraler Teil der Unternehmensstrategie . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Dimensionen und Elemente des Technologiemanagements . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Vorgehen bei der Strategieplanung . . . . . . . . 3.2.4 Ausblick auf zukünftige Entwicklungen . . . .
3.5.1 Komplexitätsbewältigung als Auftrag eines Integrationsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Dimensionen eines Konzepts integrierten Managements . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Die integrierende Kraft einer Managementphilosophie . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Die dynamische Integration der Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 154 161 162
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3.6
126 126 130 133 139
Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Unternehmenskultur – ein Konzept etabliert sich . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Gezielte Veränderung von Unternehmenskultur: Erfahrungen aus der theoriegestützten Praxis . . . . . . . . . . . 3.6.3 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 165
174 179
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.3
Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Vorausdenken der Unternehmenszukunft . . . 3.3.2 Grundlagen der Szenario-Technik . . . . . . . . . 3.3.3 Vorgehen bei der Szenario-Technik . . . . . . . . 3.3.4 Online-Wissensbasis zur Markt- und Umfeldprognose . . . . . . . . . . 3.3.5 Entwicklung von Gestaltungsfeldszenarien als Grundlage für Geschäftsstrategien (VITOSTRA® ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Szenario-Management im Prozess der strategischen Führung . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Strategisch planen mit dem Internet-Portal innovations-wissen.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.7
140 140 141 142 144
145 147
182 182 184 185 188 192
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3.8
148
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3.4
Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 Dezentralisierung als Leitlinie im organisatorischen Gestaltungsprozess . . . 3.7.2 Betrachtungsebenen der Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung . . . . . . . 3.7.3 Gestaltungsaspekte auf Unternehmensebene 3.7.4 Gestaltungsaspekte auf Betriebsebene . . . . . 3.7.5 Gestaltungsaspekte auf Arbeitsorganisationsebene . . . . . . . . . . . .
Qualität als entscheidender Wettbewerbsfaktor . 150
Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung . . 3.8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2 Veränderte Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . 3.8.3 Mitarbeiterorientierte Steuerungssysteme . . 3.8.4 Konsequenzen für die Unternehmensführung 3.8.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 197 198 204 210 211
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
3.5
3.9
Integrationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
Gruppen- und Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 109
3
110
3 Neues Denken in der Unternehmensführung 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4 3.9.5 3.9.6 3.9.7 3.9.8
Zum Begriff der Gruppen- und Teamarbeit . Konzepte der Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . Klassische Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . Fertigungsteams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilautonome Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . Effektivität von Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . Einführung von Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 214 214 215 216 217 218 220
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
3.1 Führungskonzepte im Wandel Tiefgreifende und turbulente Veränderungen im Aufgabenumfeld schaffen neue, kritische Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Unternehmensführer sind herausgefordert, das vorherrschende Geschäftsverständnis zu hinterfragen, neue Quellen der Wirtschaftlichkeit zu erschließen, ihre Unternehmen beweglicher und lernfähiger zu gestalten sowie mehrere Strategiehebel gleichzeitig zu bedienen. Als Vorlage zur notwendigen Transformation von Unternehmen aus starren, mechanistischen in bewegliche, lernfähige Organisationen kann die „Idee des wandlungsfähigen Unternehmens“ oder das Konzept der „kreativen Compartments“ dienen. Mit diesem Wandel der Unternehmen verändert sich das Rollenverständnis der Führungskräfte. An die Führungsinstrumente werden neue Anforderungen gestellt. Unternehmenssteuerung in einer sich entwickelnden „Wissens-Wirtschaft“ erfordert neben ergebnisorientierten Informationssystemen umfassende Wissenssysteme. Planung und Kontrolle müssen ihren mechanistisch-instrumentellen Charakter ablegen und mehr zu Prozessen des Lernens und Verlernens werden.
3.1.1 Veränderte Anforderungen an Unternehmen Laufende Veränderungen in der Umwelt bedingen für die Unternehmen immer neue, mehr oder weniger
kritische Leistungsanforderungen. Um diese rechtzeitig und richtig erfüllen zu können, sind Kenntnisse über deren Inhalte sowie über Art, Quellen und Entwicklungsverläufe der sie bewirkenden Veränderungen erforderlich. Hilfreich ist dabei ein grundsätzliches Verständnis der Möglichkeiten zur Beherrschung des Wandels. Solches, über begrenztes Trendwissen hinausreichendes Verstehenswissen ist wichtig, da der gegenwärtig in den verschiedenen Bereichen der unternehmensrelevanten Umwelt zu beobachtende Wandel sich offenbar vom Muster der üblichen Veränderungen unterscheidet. Es hat den Anschein, dass sich hinter diesem Wandel grundsätzliche, unwiderrufliche Veränderungen verbergen. Sie zu beherrschen und zum eigenen Vorteil zu nutzen, muss heute in den meisten Unternehmen als die hauptsächliche Herausforderung begriffen werden.
3.1.1.1 Generelle Anmerkungen zum Management des Wandels Unternehmen sind offene Systeme, die vielfältige materielle und immaterielle Austauschbeziehungen (in Form von Gütern, Geld und Informationen) mit ihrer Aufgabenumwelt unterhalten. Beide sind komplexe, multidimensionale und vor allem dynamische Gebilde, die sich im Sinne autopoietischer Systeme selbst gestalten (im Gegensatz zu allopoietischen Systemen, wie z. B. Maschinen, können autopoietische Systeme, wie Lebewesen, sich selbst erzeugen [1]) und gleichzeitig wechselseitig beeinflussen. Unternehmen können einerseits in einem gewissen Ausmaß auf bestimmte Bereiche ihrer Aufgabenumwelt, vor allem auf Markt und Wettbewerb, einwirken und durch kreative Erneuerung ihre Zukunft entscheidend mitbestimmen. Andererseits müssen sie sich im Überlebensinteresse an Veränderungen in ihrer Aufgabenumwelt anpassen, was reaktiv oder aktiv geschehen kann. Diese kreativen, proaktiven und reaktiven Handlungspotenziale sind Voraussetzung für eine mit dem Wandel der Aufgabenumwelt koevolutive Unternehmensentwicklung. Wandlungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit zum Aufbau und zur Nutzung solcher Potenziale, wirkt den Gefahren des Scheiterns im Sinne der natürlichen Selektion entgegen (vgl. [2]). Diese Fähigkeit wird von Unternehmen immer, aber besonders in Zeiten tiefgreifender, umbrucharti-
3.1 Führungskonzepte im Wandel
ger Veränderungen in der Aufgabenumwelt gefordert. Hier sind die Folgen aus Ereignissen und Entwicklungen in der Aufgabenumwelt und aus Aktionen oder Reaktionen der Unternehmen kaum prognostizierbar. Mit anderen Worten: Der Wandel ist in seinen Konsequenzen offen. Alles, was in der Geschäftswelt weitab in der Zukunft liegt, ist grundsätzlich noch offen und nicht vorhersehbar. In Phasen schneller und turbulenter Veränderungen ist offener Wandel jedoch bereits in der unmittelbaren Zukunft typisches Merkmal der Veränderungsdynamik. Offener Wandel hat für die Handelnden fundamental andere, kritischere Implikationen als sicherer und abschätzbarer Wandel [3]. Hohe Ungewissheit erschwert die Entscheidung über Ziele und Strategien. Das Management des Wandels kann sich hier nicht auf reaktives, faktenwissenbasiertes und auch nicht auf proaktives, trendwissenbasiertes Handeln reduzieren. Es erfordert auch und vor allem kreatives Antwortverhalten, wozu systemisches Strukturwissen bzw. ganzheitliches Problemverständnis einerseits und visionäre Vorstellungskraft andererseits erforderlich sind [4]. Wandel kann hier nicht in eingefahrenen Bahnen, sondern nur durch Erneuerung bewältigt werden. Formale Analysen sind dabei lediglich begrenzt brauchbar. Gefragt sind vielmehr Fähigkeiten zu situativem Erforschen, schnellem Interagieren und kollektivem Lernen. Bewährte Ordnungen, Prinzipien und Grundhaltungen müssen kritisch hinterfragt und modifiziert oder durch neue ersetzt werden. Neue Spielregeln im Wettbewerb müssen rechtzeitig erkannt und schnell verinnerlicht werden, d. h., dass Unternehmen lernen müssen, ein neues Spiel zu spielen.
3.1.1.2 Neue Leistungsanforderungen durch fundamentale Veränderungen im Wettbewerb Die gegenwärtige Aufgabenumwelt der Unternehmen ist in den meisten Branchen durch eine hohe Veränderungsdynamik gekennzeichnet. Diese äußert sich • im Auftreten fundamentaler Geschehnisse, wie der Entstehung neuer Handelsblöcke und der Transformation von Plan- inMarktwirtschaften, • im Verstärken neuer Trends, wie inter- und intraindustriellen Strukturveränderungen, der Deregulierung und Privatisierung wichtiger Märkte und In-
111
•
•
•
•
frastrukturbereiche sowie der Globalisierung und Intensivierung des Wettbewerbs, in einer fortschreitenden Segmentierung der Märkte auf Grund einer zunehmenden Individualisierung der Kundenwünsche, in einer Veränderung der Ansprüche der verschiedenen Interessenhalter, insbesondere der Kunden, aber auch der Mitarbeiter, in der verbreiteten Anwendung neuer sowie zunehmend konvergierender Technologien und damit in der wachsenden Notwendigkeit zur Entwicklung einer breiten Technologiebasis zur Beherrschung von Systemgeschäften und nicht zuletzt in einer schnellen Diffusion moderner, allerdings nicht immer neuer und besserer Führungskonzepte und Managementmethoden.
Diese und andere Aspekte des aktuellen Wandels haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Anforderungen der Märkte, an die Leistungen der Unternehmen sowie auf die Art und Weise wie Unternehmen Wettbewerb betreiben. In Abb. 3.1 ist eine wesentliche Strömung im Wandel des Wettbewerbs anhand der Evolution strategischer Geschäftsmodelle grob vereinfacht skizziert. Typisch für die alte Realität des Wettbewerbs ist das Zusammenspiel von Pionierunternehmen, die Durchbruchsinnovationen hervorbringen, und Massenfertigern, welche die neuen Produkte zur kostengünstigen Herstellung möglichst schnell standardisieren und auf relativ homogenen Märkten anbieten. Dominanter Wettbewerbsparameter bei den Pionieren ist die (radikale) Produktinnovation, bei den Massenfertigern der Preis unter der Bedingung gleichbleibender, unterschiedlich hoher Qualitätsstandards für verschiedene Marktsegmente. Prozessinnovationen werden als Hebel zur Preisführerschaft genutzt, und Produktvarianten mit zusätzlichen Attributen dienen der Differenzierung. Japanische Unternehmen haben vor allem zu Beginn der 90er Jahre über ihre Erfolge durch kontinuierliche Verbesserung in Verbindung mit Total Quality Management, Just-in-Time-Belieferung und konsequenter Kundenorientierung dem Wettbewerb eine neue Dimension gegeben. Sie haben auf diese Weise das Tor in eine neue Realität des Wettbewerbs geöffnet. Gleichzeitig haben sie damit die Schwächen der lange Zeit gut funktionierenden „alten Welt“ des Wettbewerbs schonungslos offengelegt. Diese manifestieren sich u. a.
112
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Vier Wege zum Erfolg eine Evolution strategischer Geschäftsmodelle Innovator • Produkt-/Prozessinnovation • Wettbewerb mittels Differenzierung
Evolution
Massenproduktion • stabile, auf Dauer ausgelegte Strukturen • Produkt-/Prozessverbesserungen Abhängigkeit • „economics of scale“ • Erfahrungskurveneffekt • hierarchische, bürokratische Die alte Realität des Wettbewerbs Organisation
Mass Customization • dynamisch-stabile Organisation • permanenter Fluss von Produkten und Dienstleistungen • Befriedigung individueller Bedürfnisse • funktionsübergreifende Teams • horizontaler Prozessfokus • intensive Kommunikation • modularisierte Prozesse • dynamische Netzwerke • Fähigkeit zur Erneuerung • bewegliche agile flexible Organisation
Kontinuierliche Verbesserung • TQM • Benchmarking • Messen von Kundenzufriedenheit • Prozessmanagement
Evolution
Die neue Realität des Wettbewerbs
Abb. 3.1 Wandel im Wettbewerb und Evolution strategischer Geschäftsprozesse
• in unbeweglichen Bürokratien, • in tayloristischer Arbeitsteilung, vor allem zwischen Denkern und Tuern, • in wuchernden Gemeinkosten, • in mangelndem Unternehmertum, • in unflexibler Produktion mit hohen Lagerbeständen und progressiv steigenden Variantenkosten, • im Fehlen inkrementaler Innovationen, • in isolierten F+E-Tätigkeiten, • in langen Zykluszeiten, • in mangelnder Kundenorientierung, • in der Vernachlässigung von Mitarbeitermotivation und -qualifikation, • in der Vernachlässigung von Kulturentwicklung und Organisationslernen sowie nicht zuletzt • in einer betont kurzfristigen Erfolgsorientierung.
Die amerikanische Antwort auf die japanische Herausforderung heißt Mass Customization [5]. Diese „maßgeschneiderte Massenfertigung“ ist ein weiterführender Schritt in die „neue Realität“ des Wettbewerbs. Mass Customization kann viele Nachteile der „alten Realität“ des Wettbewerbs beseitigen. Sie kann alte mit neuen Tugenden verbinden, etwa durch das gleichzeitige Bemühen um Durchbruchs- und Inkrementalinnovationen oder durch kostengünstige modulare Produktgestaltung und Einbeziehung des Kunden in die Leistungsindividualisierung. Eine Fertigung ohne Schwächen wird jedoch nicht garantiert. Dennoch kann Mass Customization als Modell zur konzeptionellen Neugestaltung und strategischen Neuausrichtung von Unternehmen dienen. Schwerpunktthemen dabei sind: • die Entwicklung von Gemeinschaftssinn und Fähigkeiten zum kollektiven Lernen, • die Integration von Denken und Tun sowie von Aktivitäten über Funktionsbereichs- und Abteilungsgrenzen hinweg, • die Verflechtung von Lieferanten, • die rasche Reaktion auf veränderliche Kundenwünsche und die Einbeziehung der Kunden in die Definition und Realisierung von Produkten/Dienstleistungen, • das Management von Allianzen und die Kombination von Wettbewerb und Kooperation, • die Überwindung des Gegensatzes von Kosten- und Qualitätsführerschaft und die Erschließung neuer strategischer Hebel zur Erzielung von „Weltklasseleistungen“ sowie • die Erneuerung des Unternehmens, • das Schaffen von Märkten und • das Gewinnen der Kontrolle über Branchen.
3.1.2 Neue Herausforderungen an die Unternehmensführung Diese Themen implizieren für die Unternehmensführung eine Menge neuer, kritischer Herausforderungen. Ihre Bewältigung erfordert Antworten auf Fragen nach der Relevanz des vorherrschenden Geschäftsverständnisses, einschließlich der dominanten Quellen der Wirtschaftlichkeit, nach den geeigneten Gestaltungskonzepten für eine bewegliche, intelligente und
3.1 Führungskonzepte im Wandel
113
lernfähige Organisation sowie nach der Identifikation und Nutzung wirksamer strategischer Stellschrauben, um das Unternehmen im „Wettlauf um die Zukunft“ [6] in eine günstige Position zu bringen.
3.1.2.1 Hinterfragen des vorherrschenden Geschäftsverständnisses Überlebensbedrohende Schwierigkeiten, mit denen heute viele, vor allem große und vormals sehr erfolgreiche Unternehmen zu kämpfen haben, sind gewöhnlich darauf zurückzuführen, dass das vorherrschende Geschäftsverständnis nicht mehr mit der veränderten Geschäftsrealität übereinstimmt. Verstärkte Bemühungen, „die richtigen Dinge richtiger zu tun“ fruchten nicht, weil die aus der konventionellen Sicht getroffenen Annahmen nicht mehr gültig sind (in [7] wird von der „Theorie des Geschäftes“ und in [8] von der „dominanten Logik“ gesprochen). Das vorherrschende Geschäftsverständnis fungiert gleichsam wie ein Torwächter. Ebenso wie dieser von außen nur herein lässt, was dem ihm irgendwann gegebenen Auftrag entspricht, richtet sich die Aufmerksamkeit der Unternehmensführung nur auf solche Umweltänderungen und Unternehmensantworten, die aus der Sicht des vorherrschenden Geschäftsverständnisses als relevant erscheinen. Hier liegt auch der Grund dafür, weshalb man sich in vielen Unternehmen mit Veränderungen schwer tut, und zwar selbst dann noch, wenn die Notwendigkeit dazu von der Unternehmensführung erkannt wird. Die durch mangelnde Übereinstimmung von vorherrschender Geschäftssicht und veränderter
Realität bewirkte Frustrationsspirale kann nur abgebrochen werden, wenn das alte Geschäftsverständnis verlernt und ein neues erlernt wird. In der Fähigkeit zu solchen Prozessen des kollektiven Lernens und Verlernens, die sich hier auf Strategien, Leistungskriterien, Werte, Erwartungen und Anreizsysteme beziehen, spiegelt sich die „Intelligenz“ eines Unternehmens wider [9]. Ihre Entwicklung ist die vielleicht kritischste Herausforderung an die Unternehmensführung in der Gegenwart. Die „organisationale Intelligenz“ bestimmt auch den Fokus des Wirtschaftlichkeitsdenkens im Unternehmen und die Bemühungen, neue Quellen der Wirtschaftlichkeit (vgl. auch [9]) zu erschließen (Abb. 3.2). Unter den Bedingungen der tayloristischen Arbeitsteilung und der Produktion nach dem büchnerschen Gesetz der Massenfertigung dominierte das Prinzip der Economies of Scale (Mengenwirtschaftlichkeit). Wettbewerbsfähigkeit wurde hier durch Mengenwachstum von Produktion und Absatz erreicht. Dazu sind einerseits Potenziale der Größendegression auf Grund von Lern- und Erfahrungskurveneffekten und andererseits unterversorgte und wachsende, weitgehend homogene Märkte erforderlich. Beide zusammen erlauben eine wachstumsorientierte Wettbewerbsstrategie nach der Logik eines Regelkreises mit positiver Rückführung: Marktanteilswachstum gestattet mehr Massenfertigung, beide verbessern die Chancen zur Produktstandardisierung und Produktionsautomatisierung. Diese wiederum resultieren in Kostensenkungen, die ihrerseits niedrigere Wettbewerbspreise zur Erzielung noch höherer Marktanteile ermöglichen.
Quelle der Wirtschaftlichkeit
Economies of Depth Economies of Learning Economies of Competence Economies of Timing Economies of Speed Economies of Fokus Economies of Scope Economies of Scale Zeit Abb. 3.2 Wandel der Managementprinzipien bei der Suche nach Wettbewerbsvorteilen
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Die bereits in den 70er Jahren eingetretenen Veränderungen, insbesondere in Gestalt zunehmender Marktsättigungen einerseits und kundenwunschbezogener Produktindividualisierungen andererseits, haben dieser Logik den Boden entzogen und einer neuen Logik, den Economies of Scope [10], zum Durchbruch verholfen. Die gleichzeitige Forderung nach niedrigeren Kosten, besserer Qualität und höherer Flexibilität erzwingt eine größere marktbezogene Reaktionsfähigkeit und kundenbezogene Produktindividualisierung. Die damit verbundene, wachsende Nachfrage nach mehr Produktvarianten und personifizierten Produkten bedingt eine neue Produkt- und Fertigungsphilosophie. Schlüssel zum Erfolg sind bei der Produktneuentwicklung universell anwendbare „Plattformdesignkonzepte“, auf deren Basis schnell individuelle Produktvarianten gestaltet werden können, und Mehrzweckanlagen in der Fertigung, die sich zur kostengünstigen Herstellung unterschiedlicher, aber modularisierter Produkte eignen. Weitere Voraussetzungen für solche „maßgeschneiderten Massenfertigungen“ sind eine starke Integration in der Fertigung sowie von Fertigung, Entwicklung und Vertrieb, mehr Teamarbeit, die gezielte Anwendung von intelligenter Technologie und Bemühungen um kontinuierliche Verbesserung in allen Gliedern der Wertschöpfungskette. Der Wunsch nach Vielfalt darf allerdings nicht zur Verzettelung verleiten. Damit dies nicht geschieht, müssen die Anstrengungen zur Erhöhung der Leistungs- und damit der Wettbewerbsfähigkeit auf Kernmärkte, -geschäfte, -kunden und -produkte konzentriert werden. Unternehmen, die nach solchen Economies of Focus handeln, konzentrieren sich auf das, was sie am besten können und verlagern alle nicht zu ihren Kernaktivitäten gehörenden Tätigkeiten auf Lieferanten. Mit diesen und anderen Bündnispartnern bilden sie Netzwerke, die als „virtuelle Unternehmen“ von temporärer Dauer sein können. Derartige Unternehmensnetzwerke sind, wenn sie auf gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamem Lernen basieren, ein wirksames Mittel zur Erfüllung sich rasch verändernder und komplexer werdender Leistungsanforderungen. In Zeiten schnellen Wandels ist Geschwindigkeit wichtiger als Größe. Economies of Speed werden denn auch in jüngerer Zeit als potente Quelle für Produktivitätsverbesserungen und Wettbewerbsvorteile genutzt [11]. Geschwindigkeit, heute als „ein
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
neues Produktivitätsparadigma“ gefordert [12], wurde bereits Ende der 50er Jahre von Jay Forrester [12] als Quelle für Produktivitätssteigerungen entdeckt. Mit einer Halbierung der Zykluszeiten lässt sich theoretisch eine Verdoppelung der Produktivität erreichen. Geschwindigkeit kann aber auch zur Hektik ausarten. Modernes Zeitmanagement richtet sich deshalb nicht auf Geschwindigkeitserhöhung um jeden Preis, sondern auf Elimination unnötiger Verzögerungen durch optimale Gestaltung und wechselseitige Abstimmung, auch Parallelisierung und Synchronisierung, von Prozessen. Durch koordiniertes Vorgehen lassen sich Economies of Timing erzielen. Diese sind in besonderem Ausmaß ergebniswirksam, wenn es auf rechtzeitiges Handeln, etwa im Falle zeitlich eng begrenzter Innovationsfenster, ankommt. In einer Welt des Wettbewerbs, in welcher der Erfolg maßgeblich von der Reaktions- und Innovationsfähigkeit abhängt, gewinnen Economies of Competence an Bedeutung. Hinter diesen verbergen sich die Fähigkeiten der Menschen in Unternehmen, und zwar von Mitarbeitern und Führungskräften gleichermaßen, sowie von Organisationen, einzelne sachbezogene (z. B. technische) Kompetenzen zu Kernkompetenzen zu verschmelzen und diese in überlegene Kern- und Endprodukte zu integrieren. Wettbewerbsfähige Produkte erfordern heute mehr denn je die Integration von Wissen aus einem breiten Spektrum technologischer Felder. Insbesondere Großunternehmen oder Unternehmen, die sich zu Wertschöpfungspartnerschaften zusammenschließen, müssen deshalb auf vielen Technologiefeldern, die über ihre eigenen Kerngeschäfte hinausreichen, kompetent sein. Zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit müssen technologieintensive Unternehmen heute auf Gebieten Wissen generieren, die für ihre Geschäfte von morgen wichtig sind. Dazu müssen sie auch versuchen, vom Wissen aus angrenzenden Gebieten zu profitieren und Wissen anderer zu akquirieren. Mit derartigen Fähigkeiten zur Akkumulation und Transformation von Wissen erschließen sie sich Quellen der Economies of Learning und erzielen (sie) Economies of Depth (vgl. [13]). Letztere beziehen sich auf die Erfahrung und das Engagement auf einem Gebiet, welche hier notwendig sind, um selbst neues Wissen zu generieren und vom Wissen angrenzender Gebiete zu profitieren.
3.1 Führungskonzepte im Wandel
Die Erschließung der neuen Quellen der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit setzt die Erfüllung einer Reihe von Bedingungen voraus. Dazu zählen: • • • • • •
die Entwicklung von Gemeinschaftssinn, offene Kommunikation, kollektives Lernen, Rationalisierung von Abläufen, Abbauen von Widerständen, Beseitigen von Ängsten und Schaffen von Vertrauen sowie • Teamarbeit. Diese Aspekte können als Maßnahmen zur Gestaltung von lernenden Unternehmen aufgefasst werden. Solche Unternehmen bedenken ein breites Spektrum des Wissenserwerbs mit den Optionen Kompetenzentwicklung durch Experimentieren, durch Akquisition und Integration von Kompetenz, durch kontinuierliche Verbesserung sowie durch laufende Beobachtung und systematisches Benchmarking von aktuellen und potenziellen Wettbewerbern.
3.1.2.2 Gestaltung beweglicher und lernfähiger Unternehmen Eine zweite aktuelle Herausforderung an die Unternehmensführung betrifft die Gestaltung intelligenter, wandlungsfähiger Unternehmen bzw. die Transformation starrer, bürokratischer in bewegliche und lernfähige Unternehmen. Unternehmen sind wandlungsfähig, wenn sie es verstehen, durch Lern- und Erneuerungsprozesse ihre Wissens- bzw. Kompetenzbasis zu erweitern und diese in neue, marktfähige Problemlösungen zu überführen [14]. Sie verhalten sich dabei intelligent, wenn sie das Kreativitätspotenzial möglichst aller Mitarbeiter nutzen und wenn sie sich auf überlegen beherrschte Leistungsprozesse konzentrieren. Hoher Leidensdruck hat in jüngerer Zeit viele Unternehmen quer durch fast alle Branchen zu oft extremen Schlankheitskuren veranlasst. Mit Maßnahmen wie Outsourcing, Down- bzw. Right-Sizing, Total Quality Management und Business Process Reengineering wurde Ballast abgeworfen und versucht, Unternehmen wieder beweglicher zu machen. Dabei wurde nicht selten übereifrig vorgegangen und übersehen, dass mager nicht gleich fit, sondern eher das Gegenteil bedeutet [15].
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Grundsätzlichere Lösungen zur Fitnessverbesserung als Voraussetzung zur schnellen Anpassung an nicht vorhersehbare Marktentwicklungen werden mit Konzeptionen wie dem „Agile Manufacturing“, dem „Bionic Manufacturing“ und der „Fraktalen Fabrik“ angestrebt. Der Terminus Agile Manufacturing taucht erstmals in dem 1991 vom „Iacocca Institute“ veröffentlichten Bericht „21st Century Manufacturing Enterprise Strategy“ [16] auf. Er steht für einen interdisziplinären Ansatz zur visionsgetriebenen Integration von hochmotivierten, kompetenten und teamfähigen Menschen, Eigeninitiative und Innovationen fördernden Managementsystemen und Organisationsstrukturen sowie flexiblen und intelligenten Technologien. Agile Unternehmen sollen schnell auf Veränderungen in den Kundenwünschen reagieren und auf vielfältige Art und Weise mit Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern interagieren können. Sie stützen ihre Wettbewerbsfähigkeit auf kontinuierlichen Wandel, schnelle Anpassungsfähigkeit, Qualitätsverbesserung, soziale Verantwortung und totalen Kundenfokus. Ihre charakteristischen Merkmale sind u. a. • ein hoher Integrationsgrad, der auf einem Netzwerk „natürlicher Gruppen“ von immer besser befähigten Menschen besteht, • ein Fokus auf Kernkompetenzen, • eine Kultur, die Experimentieren, Lernen und Innovation fördert, • mehr Handlungsspielräume für alle Menschen im Unternehmen, die vornehmlich in Teams zusammenarbeiten sowie • der Einsatz von fortschrittlichen Informations- und Kommunikationstechnologien, welche die Entwicklung von Fähigkeiten und die Akkumulation von Wissen fördern. Der Ansatz des „Agile Manufacturing“ verlangt im Grunde nichts anderes als die geschickte Kombination moderner Managementphilosophien und Organisationsmethoden. Er ist deshalb auf der konzeptionellen Ebene schon weitgehend ausgearbeitet. Für die praktische Umsetzung liefert er jedoch nur einen groben, generischen Rahmen. Dieser muss für die konkrete Anwendung maßgeschneidert werden. Hierzu liegen eine Reihe nützlicher allgemeiner Gestaltungsempfehlungen vor [17]. Herkömmliche flexible Fertigungssysteme haben, nicht zuletzt technologiebedingt, relativ starre, anpas-
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sungsträge Systemkonfigurationen. Außerdem können sie menschliche Flexibilität und Lernfähigkeit nur ungenügend in das Produktionssystem einbringen. In Japan wird deshalb ebenfalls nach Wegen der Dynamisierung von Fertigungssystemen gesucht. Ein Teil dieser Bemühungen, die sich auf Gestaltungsprinzipien aus der Biologie stützen, firmiert unter der Bezeichnung Bionic Manufacturing Systems [18]. Über bislang erzielte Erkenntnisfortschritte und praktische Gestaltungsempfehlungen liegen allerdings nur spärliche Informationen vor. Die Konzeption der Fraktalen Fabrik [19] ist „eine“ deutsche Antwort auf die Unternehmensherausforderungen aus turbulenten Aufgabenumwelten. Nach diesem Produktionsmodell besteht die Fabrik aus autonomen, selbstähnlichen, dynamischen Gebilden. Diese Fraktale beruhen auf Prinzipien der Selbstorganisation, Selbstoptimierung und Selbststeuerung, agieren weitgehend eigenständig und im Verbund mit anderen Fraktalen nach Regeln des Wettbewerbs und der Kooperation, richten ihre Ziele an übergeordneten Unternehmenszielen aus und wirken an ihrer Entstehung, Veränderung und Auflösung aktiv mit. Fraktale und agile Unternehmen haben denselben Zweck: schnelles, flexibles, kundennahes Handeln. Für ihre Gestaltung und Ausgestaltung eignen sich weitgehend die gleichen Designmethoden und Bausteine. Organisationsexperimente in einer Reihe von Unternehmen [20] lassen die Konzeption des fraktalen Unternehmens als eine realisierbare Utopie erscheinen. Ein klares und überzeugendes Bild liefern die durchaus ermutigenden Ergebnisse allerdings noch nicht. Für verläßliche Empfehlungen zur organisationalen Tranformation von Unternehmen hin zu einem neuen Denken und Handeln ist die verfügbare theoretische Basis noch nicht hinreichend ergiebig. Als fruchtbares Denkmodell für weitere Fortschritte könnte sich das Konzept des „Wandlungsfähigen Unternehmens“ [21] (Abb. 3.3) erweisen. Dieses im Rahmen des SFB 467 entwickelte Konzept geht davon aus, dass die Wandlungsfähigkeit eines Unternehmens in erster Linie durch die Konfiguration unternehmensinterner Gestaltungsfelder geprägt wird. Das Konzept des wandlungsfähigen Unternehmens unterscheidet insbesondere die vier Gestaltungsfelder Strategie, Struktur, Ressourcen und Mitarbeiter. Das Ziel im Rahmen eines Managements wandlungsfähiger Unternehmen lässt sich als eine situationsspezifische Konfiguration dieser Gestaltungsfelder beschreiben.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Dabei muss jedes Gestaltungsfeld einen eigenständigen Beitrag zur Wandlungsfähigkeit des gesamten Unternehmens leisten. Der Ausgangspunkt in jedem Gestaltungsfeld kann als eine „Quelle“ der Wandlungsfähigkeit verstanden werden (Abb. 3.3): Strategiekompetenz ist demnach die Quelle für strategische Beweglichkeit; mehrdimensionale Strukturen speisen die strukturelle Anpassungsfähigkeit; ohne Slack Resources kann keine ressourcenseitige Wandelbarkeit entstehen. Entscheidend für die Wandlungsfähigkeit ist aber die Quelle des Gestaltungsfeldes „Mitarbeiter“ – mentale Beweglichkeit. Sie impliziert das wohl größte Erneuerungspotenzial eines Unternehmens, das es insbesondere in Phasen radikalen Wandels zu nutzen gilt. Für die laufende Erneuerung von Unternehmen reicht es allerdings nicht aus, allein dafür Sorge zu tragen, dass die genannten vier Quellen der Wandlungsfähigkeit eines Unternehmens nicht versiegen. Sie sind lediglich als notwendige, nicht jedoch als hinreichende Bedingung für Wandlungsfähigkeit zu verstehen. Ebenso wichtig ist es, die konsequente und zielbewusste Nutzung der Potenziale sicherzustellen. Das betrifft ein Inganghalten der Ströme von Erneuerungsbedingungen und -aktivitäten von jeder Quelle in Richtung Wandlungsfähigkeit. Dabei ist keiner der vier Ströme bzw. Pfade zur Wandlungsfähigkeit wirklich endlich. Vielmehr muss jeder Pfad immer wieder von neuem hinterfragt, verbessert oder neu gebahnt werden. Das Bestreben sollte darin bestehen, die vier Quellen so zu kanalisieren, dass sie tatsächlich zu unternehmensinterner Wandlungsfähigkeit führen, ohne dass dabei zu viele Potenziale im Unternehmen ungenutzt versickern. So sollte bei hoher Unsicherheit und Ambiguität die im Unternehmen vorhandene Strategiekompetenz, als eine Quelle der Wandlungsfähigkeit, nicht zu früh in der Formierung singulärer Strategien münden. Zweckmäßiger ist unter derartigen Bedingungen ein mehrgleisiges Vorgehen, das über Optionenbündel parallele Suchaktivitäten zur Erneuerung ermöglicht und so den Handlungsspielraum des Unternehmens erweitert statt einengt. Nur auf diese Weise können dynamische Strategien verwirklicht werden, die sowohl für die aktuellen als auch für entstehende Marktanforderungen geeignet sind (Strategien für heute und Strategien für morgen). In ähnlicher Form muss auch die zweite Quelle der Wandlungsfähigkeit – mehrdimensionale Strukturen –
3.1 Führungskonzepte im Wandel
117
Struktur Mehrdimensionale Strukturen Organizational Paradox Organisationale Fluidität
Ressourcen
Slack Resources
Rekonfigurierbarkeit
Flexible Commitments
Strategische Beweglichkeit
Dynamische Strategien
Strategische Mehrgleisigkeit
Strategiekompetenz
Strategie
Wandlungsfähigkeit
Ressourcenseitige Wandelbarkeit
Strukturelle Anpassungsfähigkeit
Mitarbeiterbedingte Vielseitigkeit Empowerment der Mitarbeiter Wandlungsbereitschaft Mentale Beweglichkeit
Mitarbeiter Abb. 3.3 Quellen und Wege der Wandlungsfähigkeit
erschlossen werden. Die auf Grund der Mehrdimensionalität zwangsläufig entstehenden Spannungsfelder und Widersprüche (Organizational Paradox) sind in einer geeigneten Kombination aus „Beherrschung“ und „Tolerierung“ so zu nutzen, dass situationsgerechte Mischungsverhältnisse der Strukturparameter entstehen. Nur dann lässt sich organisationale Fluidität im Sinne dynamisch fließender Strukturen erzeugen. Organisationale Fluidität ist somit eine Gegenkraft zu den immerwährenden Verkrustungstendenzen. Als dritte Quelle der Wandlungsfähigkeit können Slack Resources verstanden werden. Auch sie leisten erst dann einen Beitrag zur Wandlungsfähigkeit, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Ihre Rekonfigurierbarkeit beeinflusst die Vielseitigkeit und damit die Wandelbarkeit der Ressourcenbasis im Unternehmen. Je höher das Ausmaß der Rekonfigurierung ist, desto eher lassen sich Flexible Commitments realisieren, die das Unternehmen davor bewahren, sich all-
zu frühzeitig auf bestimmte Entwicklungspfade festzulegen. Eine Quelle der Wandlungsfähigkeit des Unternehmens manifestiert sich schließlich in der mentalen Beweglichkeit seiner Mitarbeiter. Sie ist letztlich auch Voraussetzung für die zielbewusste Konfiguration der übrigen Gestaltungsfelder. Vordringliche Aufgabe eines Managements von Wandlungsfähigkeit ist es, die mentalen Potenziale der Mitarbeiter zu erschließen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Intelligenz und Kreativität in das Unternehmen einfließen zu lassen. Das kann nur gelingen, wenn ihre Wandlungsbereitschaft mit Hilfe geeigneter Motivationsmaßnahmen in einem durch gegenseitiges Vertrauen geprägten Umfeld stimuliert wird. Wandlungsbereitschaft erfordert den Unternehmer-Mitarbeiter, der Verantwortung sucht und auch erhält, der eigene Ideen einbringen und realisieren darf, der Bedingungen erhält, unter denen er seine Kräfte entfalten kann (Empowerment).
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Trotz der offensichtlich herausragenden Bedeutung des Faktors „Mensch“ für die Wandlungsfähigkeit eines Unternehmens darf indes keines der beschriebenen Gestaltungsfelder vernachlässigt werden. Die Gesamtwirkung und damit der Erfolg resultiert wesentlich aus dem Zusammenklang der einzelnen Konfigurationen – mit Krüger gesprochen aus ihrer „Orchestrierung“ [22]. Welche der genannten Maßnahmen in einer konkreten Situation tatsächlich Erfolg-versprechend sind, hängt primär von der aktuellen Konfiguration der Gestaltungsfelder ab. In den seltensten Fällen wird es zielführend sein, in allen Gestaltungsfeldern in gleichem Maße aktiv zu werden. Sinnvoller erscheint es, zunächst die spezifischen Defizite einzelner Gestaltungsfelder zu analysieren und auf ihre Wirkungszusammenhänge zu Elementen anderer Gestaltungsfelder hin zu untersuchen. Auf dieser Basis lassen sich anschließend wandelhemmende Bereiche von übergeordneter Bedeutung ermitteln, die dann in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Rekonfigurationen in solchen Bereichen bewirken in einem ersten Schritt, bestehende Unterschiede in den Ausmaßen der Wandlungsfähigkeit innerhalb des Unternehmens auszugleichen und damit Wandlungsfähigkeit über das Unternehmen hinweg gleichmäßig zu verteilen. Erst wenn anschließend weiterer Handlungsbedarf erkannt wird, sollten in einem zweiten Schritt Maßnahmen zur harmonisch abgestimmten Steigerung der Wandlungsfähigkeit in allen Gestaltungsfeldern ergriffen werden. Ein wandlungsfähiges Unternehmen und ebenso Unternehmensnetzwerke werden als Ganzes umso stärker sein, je besser ihr Beziehungsnetzwerk funktioniert, d. h. je erfolgreicher die autonomen Einheiten kooperieren. Gleichzeitig müssen die einzelnen Einheiten ihre individuellen Interessen verfolgen und dabei etwa um knappe Ressourcen, um neue, zwischen ihren Geschäften liegenden Chancen oder auch um Kunden konkurrieren. Die Bedeutung beider Aspekte liefert den Grund für ein konstruktives Zusammenwirken von Wettbewerb und Kooperation. Für die Reorganisation von Unternehmen nach dem Prinzip der „Compartmentation“ schlägt Fairtlough [23] ein mehrstufiges Vorgehen vor: • die Entwicklung von Fähigkeiten in interpersonellen Prozessen z. B. der Kommunikation und Zielfindung,
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
• die Identifikation von Aufgabenbereichen für die Bildung autonomer Einheiten, • die Gestaltung der Zusammenarbeit dieser Einheiten und die Steuerung des daraus entstehenden Netzwerks (z. B. über Budgets, Ziele und Leistungsstandards) sowie u. U. • die Gründung rechtlich selbständiger Unternehmen. Die Umgestaltung von Unternehmen muss nicht durch einen einmaligen Kraftakt erfolgen, zumal hier die Gefahren des Widerstandes und damit des Scheiterns groß sind. Zweckmäßiger erscheint ein Vorgehen in überschaubaren Schritten, die nicht unbedingt in der hier skizzierten Reihenfolge gegangen werden müssen. Je nach den herrschenden Bedingungen können die einzelnen Schritte mehr oder weniger schnell ausgeführt werden. Pausen zwischen den Schritten sind notwendig, damit Führungskräfte lernen, die neue Organisation mit Leben zu erfüllen, und damit sich alle Mitarbeiter an die neuen Bedingungen gewöhnen können. Außerdem muss die Unternehmensführung noch Zeit für andere wesentliche Tätigkeiten, insbesondere für die strategische Ausrichtung des Unternehmens, haben. Für ein allmähliches Voranschreiten sind jedoch rechtzeitiges Beginnen und Einsehen in die Notwendigkeit einer organisationalen Transformation erforderlich. Einmalige Kraftakte, auch im Sinne von „Feuerwehraktionen“, erfordern dagegen spürbaren Leidensdruck, der alle Motive des Widerstands bedeutungslos macht.
3.1.2.3 Betätigen aller Strategiehebel Jede strategische Initiative muss die Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zum Ziel haben. Sie ist in diesem Sinne dann erfolgreich • wenn durch sie die vorhandenen Kunden besser befriedigt, neue Kundenwünsche erschlossen und neue Kunden gewonnen werden können, • wenn mit ihrer Hilfe ein Aufschließen zur oder Überholen der und Absetzen von der Konkurrenz möglich wird und • wenn sich über sie überlegene Fähigkeiten aufbauen und letztlich der Unternehmenswert mehren lässt (Abb. 3.4). In Zeiten schneller und tiefgreifender Markt-, Wettbewerbs- und Branchenveränderungen sind dau-
3.1 Führungskonzepte im Wandel
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unbefriedigte Kundenwünsche entdecken Kundennutzen steigern Kunden
Strategie
Unternehmen
Konkurrenten
Unternehmenswert mehren
Wettbewerbsvorteile erringen
überlegene Fähigkeiten aufbauen
Verwundbarkeit der Konkurenten aufspüren
Abb. 3.4 Ziele strategischer Initiativen
erhaftere Wettbewerbsvorteile kaum möglich. Oft mühsam erreichte Wettbewerbsvorteile zerrinnen hier häufig wieder schnell. Die Konzentration auf Verteidigung der einmal erreichten Positionen erweist sich dann nicht nur als nutzlos, sondern auch als gefährlich, wenn dabei gleichzeitig andere strategische Optionen vernachlässigt werden. Unter derartigen Bedingungen müssen mehrere Strategiehebel [24] gleichzeitig betätigt und orchestriert werden (Abb. 3.5).
Wettbewerbserfolg in der Gegenwart äußert sich immer in Überlegenheit auf der Produkt-/MarktEbene. Eine Konzentration der strategischen Bemühungen auf die Erhaltung und Verbesserung bestehender Produkte und Geschäfte ist jedoch nur dann Erfolgversprechend, wenn die Zukunft lediglich eine lineare Verlängerung der Vergangenheit ist. Bei turbulenten Markt-/Wettbewerbsveränderungen geraten solche auf Dauer angelegten Spiele schnell in
Streben nach Wettbewerbsfähigkeit
Umstrukturierung der Produkt-/ Geschäftsportfolios
Reorganisation der Geschäftsprozesse
Entwicklung von Kernkompetenzen
Management der Kontexte Abb. 3.5 Strategiehebel zur Wettbewerbsfähigkeit
Neuerfindung der Industrie
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eine Endspielsituation [24]. Diese leidvolle Erfahrung mussten viele Unternehmen in den 90er Jahren machen. Sie mussten mit ansehen, wie ihre noch in den 80er Jahren unangefochtenen Positionen durch verschiedene Veränderungen im Aufgabenumfeld ausgehöhlt oder sogar zerstört wurden. Als Antwort darauf wurden Produktportfolios bereinigt und Geschäfte umstrukturiert oder aufgegeben. Viele dieser Maßnahmen führten im Ergebnis zu Verringerungen der Leistungsbreite und -tiefe sowie zu Kostensenkungen. Sie waren und sie sind weiterhin notwendig, aber nicht ausreichend. Oft machen sie Unternehmen nur kleiner, aber nicht besser. Diese Einsicht führte zur Suche nach einem neuen Strategiehebel, der in der Reorganisation der Geschäftsprozesse gefunden wurde. Stoßrichtungen solcher Initiativen sind einerseits die Eliminierung unnötiger Tätigkeiten und andererseits die Ausrichtung aller Prozesse auf den Kunden. Dabei ist herauszufinden, mit welchen Aktivitäten sich das Unternehmen im Wettbewerb differenzieren kann und welche sich nicht dazu eignen. Es muss auch untersucht werden, welche Aktivitäten andere Unternehmen (z. B. Lieferanten und Outsourcing-Partner) besser beherrschen und deshalb zu diesen ausgelagert werden können. Des Weiteren sind detaillierte Antworten auf Fragen nach den aktuellen und potenziellen Bedürfnissen der bereits bedienten und der möglichen Kunden zu finden. Durch geschickte Reorganisation ihrer Prozesse können Unternehmen effizienter, schneller und bei gleichzeitiger Konzentration auf „Total Quality Management“ und „Continuous Improvement“ auch besser werden. Letztlich kann über diesen Strategiehebel aber kaum mehr erreicht werden als einen Rückstand aufzuholen oder verlorenes Terrain zurückzuerobern. Damit ist zweifellos viel, jedoch noch keine überlegene Führungsposition gewonnen. Ein Strategieverständnis, das sich auf die Strategiehebel Umstrukturierung der Produkt-/Geschäftsportfolios und Reorganisation der Geschäftsprozesse konzentriert, stellt Fragen nach den Inhalten der gegenwärtigen Geschäfte und nach der Art, wie diese betrieben werden, in den Vordergrund. Es vernachlässigt dabei gleichzeitig Fragen nach weiteren, tieferliegenden Treibern der Wettbewerbsfähigkeit. Um im Geschäft zu bleiben, müssen Unternehmen nämlich Märkten nicht nur folgen, sondern auch Märkte schaffen können. Dies wird ihnen umso besser gelingen, je solider und ergiebiger ihre Basis an einzigartigen
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Ressourcen und Kompetenzen ist. Der Strategiehebel Kompetenz impliziert selbst mehrere Wettbewerbsebenen: die Aneignung grundlegender Fähigkeiten und Technologien, ihre Verschmelzung zu Kernkompetenzen, die Entwicklung von Kernprodukten sowie die Vergrößerung von diesbezüglichen Marktanteilen und die Dominierung attraktiver Endproduktmärkte [24]. Mit der Pflege vorhandener und mit dem Aufbau neuer Kernkompetenzen können Unternehmen ihre Positionen auf bestehenden Märkten verbessern und schützen, noch nicht besetzte Märkte erschließen und Voraussetzungen für die Mitgestaltung und die Besetzung von Zukunftsmärkten schaffen. Der kompetenzbasierte Strategieansatz [25] verbessert die Möglichkeiten, nicht wahrgenommene Chancen, die sich etwa aus unartikulierten Bedürfnissen bedienter und nicht bedienter Kunden ergeben, zu nutzen und damit über die aktuelle Kundenorientierung hinauszugehen. Die Zukunft ist immer das Ergebnis von Entscheidungen in der Gegenwart. Ihre Mitgestaltung ist eine größere Herausforderung, als einen vorgezeichneten Weg in die Zukunft zu beschreiten. Hier muss der Weg erst gefunden werden. Die Bewältigung dieser Herausforderungen, die einer Neuerfindung der eigenen Industrie bzw. Branche entspricht, bedeutet die Betätigung eines sehr komplizierten, aber auch sehr wirksamen Strategiehebels. Er richtet die strategischen Bemühungen auf den „Wettlauf um die Zukunft“ aus. Hamel und Prahalad [6] sehen in ihrem so betitelten Buch für diesen Hebel drei Stellungen, die gleichsam für die drei Phasen dieses Wettrennens stehen (Abb. 3.6). Die skizzierten Strategiehebel bilden (in Abb. 3.5 von links nach rechts gelesen) ein aufeinander aufbauendes System des Mehrebenen-Wettbewerbs, das (in Abb. 3.5 von rechts nach links gelesen) jeweils tieferliegendere, fundamentalere Treiber der Wettbewerbsfähigkeit erkennen lässt. Die Art und Weise, in der die Stellschrauben der Wettbewerbsfähigkeit ausgestaltet und genutzt werden, hängt von der Qualität der Führung ab. Diese manifestiert sich neben dem Aufzeigen von Entwicklungsrichtungen durch Visionen insbesondere in der Kreation und Erneuerung organisationaler Kontexte. Die heute vielleicht wichtigste Frage, die ein Kontextmanagement zu beantworten hat, ist die nach der Gestaltung eines lernenden Unternehmens. Ghosal und Bartlett [26] machen dazu einen konkreten Vorschlag (Abb. 3.7). Danach resultiert organisationales bzw. kollektives Lernen aus einer Kombination von über das gan-
3.1 Führungskonzepte im Wandel
121
Intellektuelle Führung
Management der Transformationsschritte
Wettbewerb um Marktanteile
Vorausblick auf die Zukunft der Industrie durch sorgfältige Erforschung der Antriebsfaktoren der Industrie
Präventiver Aufbau von Kernkompetenzen, Entwicklung alternativer Produktkonzepte und Neugestaltung der Kundenschnittstelle Aufbau und Führung des notwendigen Bündnisses von Mitanbietern
Aufbau eines weltweiten Zuliefernetzes
Entwicklung einer kreativen Vorstellung hinsichtlich der möglichen Entwicklung von • Funktion • Kernkompetenzen • Kundenschnittstelle Zusammenfassung dieser Vorstellung in einer „strategischen Architektur“
Abdrängen der Konkurrenten auf längere und teuerere Transformationspfade
Ausarbeitung einer geeigneten Strategie zur Marktpositionierung Konkurrenten in entscheidenden Märkten zuvorkommen Maximierung von Effizienz und Produktivität Management der Wettbewerbsinteraktion
Abb. 3.6 Die drei Phasen des Wettlaufs um die Zukunft [26]
Gemeinsame Ambitionen kollektive Identität
Zielausrichtung
verbreitetes Zielverständnis Leistungsstandard schnelle Regelkreise
Disziplin
vertiefte Initiativen
konsistente Sanktionen
kollektives Lernen
Gleichbehandlung Beteiligung
Vertrauen
spontane Kooperation
Kompetenz Ressourcenverfügbarkeit Autonomie
Unterstützung
Anleitung und Hilfe Abb. 3.7 Einflussfaktoren auf die Qualität des Managements [26]
ze Unternehmen verteilten Initiativen und freiwilligen, spontanen Kooperationen. Diese wiederum erfordern als notwendige Bedingungen des organisationalen Kontexts
• Zielausrichtung und -erweiterung auf der Grundlage gemeinsamer Ambitionen, kollektiver Identität und eines unter den Mitarbeitern weit verbreiteten Zielverständnisses,
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• Disziplin im Handeln durch klare Leistungsstandards, schnelle Regelkreise zur Kommunikation aktueller Leistungen und konsistente Sanktionen bei schwachen Leistungen, • Vertrauen auf der Basis von Gleichbehandlung und Fairness in kollektiven Entscheidungsprozessen von Beteiligung an Schlüsselaktivitäten und von verbesserter individueller Kompetenz auf allen Unternehmensebenen sowie • Unterstützung durch bessere Ressourcenverfügbarkeit, größere Autonomie sowie Anleitung zu und Hilfen für unternehmerische Initiativen auf den unteren Ebenen. Diese Aspekte können als Kriterien zur Beurteilung der Managementqualität in Unternehmen benutzt werden.
3.1.3 Neue Anforderungen an Führungskräfte und Führungsinstrumente Unternehmensführung in turbulenten Aufgabenumwelten bedingt auch neue Anforderungen an die Führungskräfte auf allen Ebenen der Organisation sowie an die verschiedenen Instrumente der Führung.
3.1.3.1 Wandel im Rollenverständnis der Führungskräfte Tiefgreifende, nachhaltige Veränderungen in der Aufgabenumwelt zwingen vor allem große Unternehmen zu fundamentalen Transformationen durch Restrukturierung, Reorientierung und Erneuerung. Mit diesem Wandel entsteht eine neue Organisationsform, die sich grundsätzlich von der konventionellen unterscheidet. Während die in den 20er Jahren entstandene multidivisionale Organisation, die sog. klassische M-Form, auf dem Prinzip der Hierarchie sowie auf den strategischen Schlüsselfaktoren Kapital und Größe basiert, setzt die neue, auch als N-Form [13, 27] bezeichnete Organisation auf das Prinzip der Heterarchie sowie auf Wissen und Organisationslernen als strategische Erfolgsfaktoren. Die neue Organisation verbindet (etwa in Gestalt bereichs- und funktionsintegrierender Teams oder integrierender Netzwerke), wo die alte trennt (durch
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Dekomposition in isolierte Profit-Center). Sie setzt mehr auf temporäre, flexible als auf permanente, starre Strukturen sowie auf horizontalen und lateralen Dialog als auf vertikale Anordnungs-/Berichtssysteme. Eigeninitiative und Unternehmertum haben in ihr einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig wird Zusammenhalt angestrebt, und zwar nicht zuletzt durch Konzentration auf Aufgabenfelder mit großen Potenzialen zur Wissensintegration. Dagegen impliziert die multidivisionale Organisation einen Fokus auf Diversifikation der Aktivitäten und auf Zersplitterung der Unternehmen in „teil-unabhängige“ Einheiten. Mit diesem Wandel der Organisation geht ein Wandel im Rollenverständnis der Führungskräfte einher (Abb. 3.8). Im „alten Modell“ der Organisation haben Top-Manager die Rolle des Unternehmers und Ressourcenverteilers. Sie entscheiden über den strukturellen Kontext und über die Regeln für das operative Handeln. In einer idealisierten, heroischen Sicht, die durch Autobiographien charismatischer Führer, wie Lee Iacocca, genährt werden, erscheint die Person an der Unternehmenspitze als omnipotente Supergestalt, als Vordenker, Stategieentwerfer, Strukturarchitekt und Systemerbauer. Den Führungskräften der mittleren Ebenen kommen die Rollen als administrativer Controller, vertikaler Informationsbroker und Anwalt der Interessen untergeordneter Einheiten zu. Die Führungskräfte auf der unteren Ebene sind operative Implementierer und Problemlöser. Wenn Veränderungen von unten eingefordert und/oder ausgelöst werden, dann nehmen sie auch die Rolle von Initiatoren ein. Im „neuen Modell“ der Organisation sind die Führungskräfte auf der unteren Ebene, der Ebene des Frontlinien-Managements, die eigentlichen Unternehmer und Leistungstreiber. Eine sehr wichtige Funktion für den Zusammenhalt des Unternehmens und für das Erzielen von Synergien durch Integration kommt den Führungskräften der mittleren Ebene zu. Sie fungieren hier als horizontale Informationsbroker und Integratoren von Fähigkeiten. Die Bedeutung dieser für die kreative Unternehmenserneuerung so eminent wichtigen Rolle ist bei so mancher Leanmanagement-Kur sträflich übersehen worden. Damit die Kräfte des internen Unternehmertums das Unternehmensganze in Analogie zu einer Sternenexplosion nicht auflösen, sondern damit diese gegenseitig verstärkend zusammenwirken, müssen für die Unternehmensteile ein integrierender Zweck
3.1 Führungskonzepte im Wandel
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Führungsebenen
altes Modell der Organisation
neues Modell der Organisation
Top-Management
Unternehmer, Ressourcenverteiler, Architekt, Konfliktlöser
Visionär und Kritiker
Mittel-Management
administrativer Controller, vertikaler Informationsbroker
horizontaler Informationsverteiler und Fähigkeitenintegrator
Frontlinien-Management (unteres Management)
Umsetzer, Initiator, Problemlöser
Unternehmer und Leistungstreiber
Abb. 3.8 Rollen und Aufgaben der Führungskräfte [28]
und eine gemeinsame Entwicklungstendenz vorgegeben werden. Diese Aufgaben und das permanente kritische Hinterfragen des Status quo bestimmen die Rollen des Top-Managements. Unternehmensführung im Wandel fordert diese Rollen in besonderem Maße. Hier gilt es, Sinn für die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Veränderungen zu vermitteln sowie die Widerstände zu überwinden und Ängste abzubauen. Starke Koalitionen, die den Wandel vorantreiben, müssen gebildet werden. Um dem Wandel Richtung zu geben, müssen überzeugende Visionen geschaffen und verständlich kommuniziert werden. Außerdem müssen durch entsprechende Kontextgestaltungen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen an der Verwirklichung der Vision arbeiten können [29]. Solche kontextbildenden Maßnahmen, die das individuelle Verhalten bestimmen, müssen dafür Sorge tragen, dass Trägheit zugunsten von Lernbereitschaft, Opportunismus zugunsten von Mitarbeit sowie „Trittbrettfahren“ und „Drückebergertum“ zugunsten von Eigeninitiative und Kreativität überwunden werden [28].
Diese Eigenschaften können sich in multidivisionalen Unternehmen nur schlecht entwickeln. Hier dominiert eine vertikale Logik der Kommunikation „topdown“ und „bottom-up“. Es besteht eine Tendenz zur Zersplitterung der Kräfte. Die Geschäftseinheiten sind weitgehend isoliert und können deshalb kaum voneinander profitieren. Das Unternehmen als Ganzes ist auf Grund seiner bürokratischen Struktur anpassungsträge. Bessere Voraussetzungen für die Bewältigung des Wandels haben dagegen offenbar Unternehmen, die als ein Portfolio von Prozessen begriffen werden. Auf der Grundlage des Studiums von rund 20 Unternehmen (in Europa, Japan und den USA), die den Wandel bisher besonders erfolgreich bewältigt haben, identifizieren Ghoshal und Bartlett [30] drei Schlüsselprozesse, welche die vertikalen, autoritätsbasierten Prozesse der hierarchischen Struktur überlagern und oft dominieren (Abb. 3.9). Der Unternehmensprozess wird vor allem von den Frontlinien-Managern getragen. Ihre Hauptaufgabe ist es, Chancen zu erkennen, zu schaffen und zu nutzen. Das mittlere Management hat die tragende Rolle im Integrationsprozess. Hier liegt der Schwerpunkt
Erneuerungsprozess Management der Spannung zwischen kurzfristigen Leistungszielen und langfristigen Absichten
Schaffen und Erhalten organisationalen Vertrauens
Formen und Verinnerlichen von Unternehmenszielen/-visionen
Management operativer Interdependenzen und personaler Netzwerke
Verbinden von Fähigkeiten, Wissen und Ressourcen
Schaffen und Verfolgen von Chancen
Überprüfen entwickelter und unterstützter Initiativen
Formulieren strategischer Missionen und Leistungsstandards
„Frontlinien-Management“
Mittleres Management
Top-Management
Integrationsprozess Entwickeln und Nähren organisationaler Werte
Unternehmerprozess
Schlüsselstellung im jeweiligen Prozess
Abb. 3.9 Schlüsselprozesse und Managementebenen [28]
124
auf der Kompetenzentwicklung durch das Verbinden von Fähigkeiten, Wissen und Ressourcen der verschiedenen Unternehmensteile. Das Topmanagement ist für den Erneuerungsprozess verantwortlich. Seine diesbezüglichen Kernaufgaben sind das Formieren und Verinnerlichen von Visionen sowie das kritische Hinterfragen des vorherrschenden Geschäftsverständnisses und das Verändern tradierter Verhaltensweisen. Unternehmen, die in turbulenten Aufgabenumwelten operieren, sind auf Kreativität und Kompetenz in allen Arbeitsbereichen und auf allen Managementebenen angewiesen. Die Herausforderung besteht hier nicht in der optimalen Aufteilung von gegebenen Aufgaben zur Erzielung einer maximalen Wirtschaftlichkeit, sondern in der Ausrichtung des Unternehmens auf eine neue Aufgabe. Dazu bieten Organisationsformen Vorteile, die unternehmerische Initiative, Kompetenzentwicklung sowie Kreativität und Innovation fördern.
3.1.3.2 Wandel der Führungsinstrumente Mit der Notwendigkeit zur Bewältigung neuer Herausforderungen durch die Unternehmensführung ergeben sich neue Anforderungen an die Führungsinstrumente. Diese müssen ebenfalls „mit der Zeit gehen“, dazu kritisch überprüft und kreativ weiterentwickelt werden. Unternehmen, die auf überraschend entstehende, deshalb unvorhersehbare Markt-/Wettbewerbserfordernisse antworten müssen und die sich einen neuen Weg in eine höchst ungewisse Zukunft bahnen müssen, stellt sich weniger die Herausforderung der Nutzung bestehender, sondern mehr der Erforschung neuer Geschäftspotenziale. Sie müssen dynamisch stabil, lernfähig und innovativ sein. Dazu benötigen sie geeignete Informations-, Planungs- und Steuerungssysteme. Die verfügbaren Instrumente können, soweit sie mechanistisch und zentralistisch konzipiert sind, den Forderungen nach einer aufgeklärten, kreativen und aktiven Organisation nicht entsprechen. Durch das Voranschreiten der „Wissensökonomie“ wird zu Kernkompetenzen akkumuliertes Wissen zum vielleicht entscheidenden Strategiehebel für die Verteidigung bestehender und für die Entwicklung neuer Geschäfte. Für die erfolgreiche Planung und
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Steuerung dieser Geschäfte muss das Management sich ein Bild über das vorhandene Produkt- und Prozesswissen sowie über die Notwendigkeit und Möglichkeit seiner Erweiterung machen können. Es muss wissen, wie es das Unternehmen auf veränderte Markt-/Wettbewerbsbedingungen einstellen und wie es sich Informationen über diesbezügliche Markt-/ Wettbewerbsveränderungen beschaffen kann. Dazu muss es auch in der Lage sein, die im Unternehmen verteilten Kenntnisse und Erfahrungen so zu bündeln, dass schnell, flexibel und effizient auf die veränderten Anforderungen geantwortet werden kann. Für diese Zwecke werden drei Arten von Informationssystemen benötigt [31]: Das sind erstens Systeme, die, als Wissensspeicher und Wissenskanäle ausgelegt, über unternehmenseigene produkt- und prozessbezogene Kompetenzen und Erfahrungen informieren. Sie müssen aber auch diesbezügliche Aufschlüsse über die Konkurrenz geben und Managern schnellen Zugang zu den einzelnen Informationen gewähren. Diese Systeme sollten im Interesse ihrer intensiven Nutzung gleichzeitig Spielraum für individuelle Ausgestaltungen gewähren und ein breites Spektrum von Informationsbedürfnissen befriedigen können. Eine zweite Kategorie ebenfalls wissensbetonter Informationssysteme dient der schnellen Versorgung mit aktuellen Informationen über Markt- und Wettbewerbsentwicklungen einerseits und über unternehmensbezogene Reaktionsmöglichkeiten andererseits. Auf der Grundlage solcher Informationen können die verantwortlichen Manager rechtzeitig z. B. über kundengerechte Produkteigenschaften, erforderliche Prozessfähigkeiten und notwendige Serviceleistungen entscheiden. Diese Informationssysteme sollten relevante Veränderungen schnell anzeigen können und deshalb nur den wirklich verantwortlichen Entscheidungsträgern unmittelbaren Zugang gewähren. Schnelles, flexibles Handeln erfordert eine dritte Art von Informationssystemen, um verfügbares Handlungswissen quer über Funktionen und Abteilungen sowie entlang der Wertschöpfungskette zu koordinieren und zu steuern. Dazu werden Systeme erforderlich, welche die verschiedenen Wissensquellen verbinden können. Sie sollten nach einer einzigen Systemarchitektur konzipiert, modular aufgebaut und für Erweiterungen offen gestaltet sein.
Literatur
Unternehmen, die im Wettlauf um die Zukunft ihre Geschäfte neu erfinden wollen, benötigen ein Strategieverständnis, das über das Besetzen von und Manövrieren in attraktiven Produkt-/Marktarenen hinausgeht und sich in der Dynamik eines kreativen Unternehmensverhaltens manifestiert. Planung wird hier zum Prozess des Lernens und Verlernens. Dieser bedeutet allerdings mehr als das Entdecken neuer Wege für das Anwenden vorhandenen Wissens, wie z. B. im Falle kontinuierlicher Verbesserungsprozesse. Er erfolgt auch nicht reaktiv, etwa im Sinne von durch Krisen ausgelösten Verhaltensänderungen. Das implizite Lernmodell der Planung bezieht sich vielmehr auf antizipatorisches Lernen [32], d. h. genauer auf das Verstehenlernen der langfristigen Wirkungen aus alternativen strategischen Entscheidungen einerseits und auf das Erlernen von besten Wegen für die Entwicklung des Unternehmens in die Zukunft andererseits. Es erlaubt die Konfrontation, Beurteilung und Verbindung von vorhergesagter und erfundener Zukunft. Beide Zukunftsbilder finden in einer modernen szenariobasierten Planung, wie sie beispielsweise bei Royal Dutch Shell betrieben wird, Berücksichtigung. Planen nach dem Modell des antizipatorischen Lernens unterstützt die Entwicklung einer visionären Strategie des Wandels und die Anpassung dieser Strategie entsprechend den entstehenden Herausforderungen aus Veränderungen in der Aufgabenumwelt. Der Planer hat hier die Rolle des Erforschers und Entdeckers, der auf dem Weg des Unternehmens in die Zukunft gleichzeitig Vor- und Rückschau betreiben muss. Er muss dabei als Katalysator wirken, der den Strategiefindungsprozess durch seine Analysen unterstützt, indem er Manager zum strategischen Denken ermutigt [33]. Dieses Planungsverständnis schlägt auch auf das Verständnis von Controlling durch. In der konventionellen, mechanistisch geprägten Vorstellung funktioniert Controlling nach einem klaren Regelkreisschema, was unter den Bedingungen von sicherem und wahrscheinlichem Wandel im Sinne einer erkennbaren Zukunft ausreichend ist. Bei unsicherem Wandel und der Erfindung von Zukunft wird auch Controlling zu einem komplexen Prozess des Lernens und Verlernens. Entdeckte Ereignisse und Trends müssen zuerst interpretiert, reflektiert und mit Bedeutung versehen werden. Sie erhalten aber erst den Status wichtiger Themen, wenn sie nach dem vorherrschenden Geschäftsverständnis als relevant erscheinen oder wenn sie zu
125
einer Anpassung desselben führen. Erfolgreiche Entwicklungen werden durch Ressourcen verstärkt und wirken auf das zurück, was als wichtig erkannt und so behandelt wird. Damit dadurch kein Scheuklappeneffekt entsteht, ist weiterhin erforschendes Handeln erforderlich. Um zu verhindern, dass das Unternehmen immer nur durch den Rückspiegel gesteuert wird, benötigt das Management eine umfassendere Sicht auf das Unternehmen und seine Entwicklung. Diese beinhaltet neben der rückwärtsgerichteten Perspektive des Rechnungswesens, die Markt- und Kundenperspektive, die interne Prozessperspektive sowie die Lern- und Innovationsperspektive, womit das Geschehen in der Gegenwart besser erfasst und der Blick gleichzeitig auf einer breiteren Wissensbasis in die Zukunft gerichtet werden kann. Kaplan und Norton [34] schlagen zur Abbildung dieser Perspektiven die „Balanced Score-Card“ vor. Dabei handelt es sich um ein interdependentes System von Maßzahlen, das dem Management gleichzeitig ein System von Stellschrauben zur Verbesserung von Unternehmensleistungen aufzeigt.
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen 3.2.1 Technologiemanagement als zentraler Teil der Unternehmensstrategie Die immer rascher werdende Abfolge technologischer Innovationen stellt viele Unternehmen heute unter einen extremen Wettbewerbsdruck. Begreift man neue technologische Erkenntnisse jedoch weniger als Bedrohung denn als Chance, dann lassen sich die eigene Wettbewerbsposition und der daraus resultierende Unternehmenserfolg auch unter diesen Bedingungen sichern und ausbauen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Technologiestrategie eines Unternehmens [1]. Demzufolge ist es unabdingbar, dass ein Unternehmen seine Technologiekompetenz, d. h. seine Fähigkeiten zum frühzeitigen Erkennen, Entwickeln, Anwenden und Sichern wegweisender Technologien, kontinuierlich ausbaut. „Für das konkrete Management im Unternehmen bedeutet dies, die technologische Innovationsfähigkeit in den Mittelpunkt zu stellen“ [2]. Ein „richtig“ konzipiertes Technologiemanagement ist somit ein kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen der Unternehmensstrategie [1, 3, 4]. Bevor jedoch auf die Aufgaben, Dimensionen und Elemente des Technologiemanagements eingegangen wird, sind ein paar begriffliche Abgrenzungen vorzunehmen. Management wird hier als das Gestalten, Lenken und Entwickeln von Systemen [5] verstanden. Technologie umfasst „spezifisches individuelles und kollektives Wissen in expliziter und impliziter Form zur produkt-, prozess- und systemorientierten Nutzung von natur-, sozial- und ingenieurwissenschaftlichen Erkenntnissen“ [6]. Die so verstandene Technologie wird damit im Vorliegenden explizit zum Objekt der Managementaufgabe produzierender Unternehmen erhoben. Zusammenfassend lässt sich definieren, dass Technologiemanagement die Organisation der frühzeitigen und zuverlässigen Anwendung neuer technologischer Erkenntnisse zur Unterstützung der Ziele und Strategien der Unternehmen umfasst. Neue Technologien besitzen zwar grundsätzlich ein hohes Potenzial zur Leistungssteigerung eines Unternehmens; zu dessen Aktivierung müssen sie jedoch auch in entsprechende Organisationsstrukturen
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
eingebettet werden. So bedarf beispielsweise die häufig marktgetriebene Produktentwicklung unabdingbar einer Synchronisation mit der Entwicklung neuer Fertigungsstrukturen und -verfahren. Der Zuständigkeitsbereich des Technologiemanagements reicht demnach von strategischen über entwicklungsspezifische bis hin zu servicebezogenen Überlegungen, deren jeweilige Ergebnisse konkret in den Produkt/Produktionslebenslauf einfließen. Der Zusammenhang zwischen den Aufgaben des Technologiemanagements und den verschiedenen Prozessschritten der Leistungserstellung ist in Abb. 3.10 dargestellt. Das Ausbilden einer Strategie im Rahmen des Technologiemanagements beginnt bereits beim frühzeitigen Erkennen zukunftsweisender, innovativer Technologien. Diese werden im Stadium der Produktvorentwicklung zunächst Machbarkeitsstudien unterzogen und in potentielle innovative Fertigungskonzepte eingegliedert. Da jedoch nicht das gesamte bestehende oder sich in Entwicklung befindliche Technologieangebot in der Praxis ausgetestet werden kann, kommt es auf ein zuverlässiges Einschätzen dessen Potenzials nach den Kriterien der Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualität an. Aussagekräftige und unternehmensspezifische Kennzahlensysteme unterstützen hierbei die endgültige Entscheidungsfindung, die dann in die Entwicklungs- und Konstruktionsarbeit richtungweisend einfließt. In Hinblick auf die technische Umsetzung der entwickelten Produkt- und Produktionstechnologien stellt sich die Frage nach der entsprechenden Fertigungs-
127
strukturierung. Methoden und Technologien müssen in der Fertigungsplanung zu effizienten Systemen vernetzt werden, wobei gerade ein aussagekräftiges Benchmarking eine große Hilfe sein kann. Das kontinuierliche Vergleichen mit den besten Wettbewerbern stellt einen zentralen Impuls für das Auslösen von Optimierungsprozessen in der Fertigung dar. Nach einer eingehenden Evaluation der Stärken und Schwächen der zugrunde liegenden Planung sollten Optimierungsmaßnahmen sowohl auf organisatorischer als auch auf prozessualer Ebene eingeleitet werden. Zusätzlich muss an dieser Stelle dem After-SalesBereich ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Heutzutage zeichnen sich führende Unternehmen gerade dadurch aus, dass sie sich nicht nur auf den Verkauf eines Produktes beschränken, sondern den Abnehmern, ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechend, vollständige Lösungspakete anbieten. Als Beispiele seien Dienstleistungen zur Lösung von Qualitätsproblemen und zur Fernprogrammierung, die Rekonfiguration von Systemen sowie die Bereitstellung von Planungsleistungen genannt. Das Servicemanagement muss jedoch auch in der Montage Berücksichtigung finden. Die Entwicklung von Servicemodellen geht in zweierlei Hinsicht in die abschließende Phase der Produktion ein: Erstens muss dem präventiven Qualitätsmanagement ein hinreichend großer Platz eingeräumt werden; zweitens müssen grundlegende Entscheidungen darüber, welche der angebotenen Serviceleistungen vom Unternehmen selbst übernommen und welche bei Fremdunter-
Technologiemanagement Strategie Strategie
• Innovative Technologien • Fertigungskonzepte • Feasibility Studien
Produktvorentwicklung
• Technologieangebote • Beratung Machbarkeit Wirtschaftlichkeit Qualität
Entwicklung Entwicklung
• Methoden • Technologien • Systemtechnik • Benchmarking
Service Service
• Optimierung Prozesse Organisation
• Evaluation • Service
• Struktur • Make or Buy • Präventives Qualitätsmanagement
• Kennzahlen Entwicklung, Konstruktion
Fertigungsplanung
Feed-Back Produktions-Know-how
Abb. 3.10 Aufgaben des Technologiemanagements
Fertigung
Montage
128
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
nehmen in Anspruch genommen werden, frühzeitig in die Planungsarbeiten mit einbezogen werden. Von maßgeblicher Bedeutung sind in diesem gesamten Ablauf die Weitergabe und das Feedback von neugewonnenem Produktions-Know-how. Nur durch die Integration eines adäquaten Wissensmanagements in das Technologiemanagement kann gesichertes Erfahrungswissen in die Entwicklung gänzlich neuer Produkte oder in eine Umplanung des Produktionsablaufs einfließen. Erfolgreiches Technologiemanagement zeichnet sich – in letzter Konsequenz – durch die Geschwindigkeit und Effizienz aus, mit der es gelingt, zukunftsträchtige Technologien zu identifizieren, zu implementieren und die sich daraus ergebenden Produkte möglichst gewinnbringend zu vermarkten [7]. Die zugrunde liegende Haltung eines Unternehmens gegenüber neuen Technologien, den damit verbundenen Entwicklungs- und Investitionsprojekten sowie Kapazitäts- und Strukturbereitstellungen, wird durch dessen Technologiestrategie ausgedrückt, die sich wiederum in spezifischen Produktionsstrategien, Produktentwicklungsstrategien und den entsprechenden Vertriebs- und Marketingstrategien niederschlägt (Abb. 3.11). Diese drei Dimensionen des Technologiemanagements dürfen keinesfalls als einzelne, voneinander unabhängige Momente angesehen werden, sondern sie beeinflussen und bedingen sich gegenseitig [8]. Ihre inhaltliche und zeitliche Synchronisation ist daher Dreh- und Angelpunkt eines erfolgreichen Technologiemanagements. Hinzu kommt, dass die
Heutige
Gesamtrahmen: - Entwicklungsprojekte - Neue Technologien - Investitionsprojekte - Kapazitäten und Strukturen
Produkte Märkte
Unternehmensstrategie
Unternehmensstrategie schließlich wirkungslos bleiben muss, wenn die ihr unterlagerten Teilstrategien (Produktions-, Produktentwicklungs- und Vertriebs-/ Marketingstrategie) die Gesamtstrategie nicht konsequent unterstützen. Letztere sichert die langfristige Behauptung des Unternehmens, indem sie Handlungsweisen, Konzepte und Maßnahmen festlegt, die dessen Entwicklung von den gegenwärtigen Produkten und Märkten zu den Produkten und Märkten der Zukunft vorantreibt. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass sich Technologiemanagement auf mehrere Zeithorizonte erstrecken muss, wobei im vorliegenden Beitrag schwerpunktmäßig auf den mittel- bis langfristigen Aspekt eingegangen wird. Dieser reicht von der Vorentwicklung bis zur Einführungsplanung innovativer Produkt- und Produktionstechnologien in produzierenden Unternehmen. Die individuell zu verfolgende Strategie wird maßgeblich von der Position des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld einerseits sowie von dessen bisheriger Technologiekompetenz andererseits bestimmt. Strategie wird hierbei als Oberbegriff für all diejenigen Konzepte, Handlungsweisen und Maßnahmen, welche die Erreichung langfristiger Ziele eines Unternehmens ermöglichen, verstanden. Als methodische Hilfsmittel zur Positionierung und Neuausrichtung kommen hier insbesondere die Methode der Technologie-PortfolioAnalyse und die Betrachtung des Lebenszyklus einer Technologie zum Einsatz [9, 10]. Technologie-Lebenszyklusmodelle visualisieren für jede Technologie die dynamischen VeränderunProdukte Märkte
Produktionsstrategien
Produktentwicklungsstrategien
Vertriebs- und Vertriebs Marketingstrategien
Abb. 3.11 Beiträge des Technologiemanagements zur Unternehmensstrategie
der Zukunft
Gesamtstrategie: Handlungsweise, Konzept und Durchführung von Maßnahmen, um langfristige Ziele zu erreichen
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
Technologische Potentiale
Grenze neuer Technologie
Grenze alter Technologie
Technolog. Leistungsfähigkeit L tech
Technolog. Leistungsfähigkeit L tech
gen ihrer strategischen Bedeutung über eine bestimmte, begrenzte Lebensdauer hinweg [11–13]. Man unterscheidet klassisch vier Lebensphasen (Abb. 3.12): entsprechend der Entstehungs- (1), Wachstums- (2), Reife- (3) und Alterungs- oder Verfalls-/Degenerationsphase (4) wird der Technologie jeweils die Rolle einer Schrittmacher-, Schlüssel-, Basistechnologie und verdrängten Technologie zugeordnet. Schrittmachertechnologien befinden sich im Anfangsstadium und sind daher durch ein hohes Entwicklungspotenzial, aber auch durch hohe technische Risiken bei einer noch unbekannten Anzahl von Anwendungsgebieten gekennzeichnet. Unternehmen, die auf Schrittmachertechnologien setzen, die sich später als Schlüsseltechnologien erweisen, erzielen häufig einen signifikanten Wettbewerbsvorsprung. Das damit einhergehende technische Risiko verringert sich zunehmend mit der Integration in den Fertigungsablauf und durch entsprechende Investitionen im F&E-Bereich können sich dabei Wettbewerbsverhältnisse grundlegend verändern. Basistechnologien schließlich bilden die grundlegende Voraussetzung für die Produkt- und Produktionsprozesse einer Branche; sowohl ihr technisches Risiko als auch ihr Entwicklungs- und Wettbewerbspotenzial sind minimal. Technologien haben in dieser Phase eine Sättigungsgrenze erreicht, an der auch mit wesentlichem F&E-Investitionsaufwand keine nennenswerten Leistungssteigerungen mehr erzielbar sind. Ihre Substitution durch entwicklungsfähigere Technologien bahnt sich an.
129
Vor diesem Hintergrund können grundsätzlich vier Strategien für das Technologiemanagement unterschieden werden: die Pionier-, die Imitations-, die Nischen- und die Kooperationsstrategie [1, 12]. Da tiefgehendere Ausführungen hierzu den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen würden, soll an dieser Stelle nur auf die Chancen und Risiken einer Technologieführer- und einer Technologiefolgerposition eingegangen werden. Als Technologieführer wird ein Unternehmen bezeichnet, das danach strebt, sowohl produktals auch produktionstechnologische Innovationen als Erster auf den Markt zu bringen. Es gewinnt dadurch das Ansehen eines bahnbrechenden Wegweisers und schafft sich längerfristig Imagevorteile, die durch Wettbewerber nur schwer zu kompensieren sind. Der begünstigte Zugang zu knappen Ressourcen und Betriebsstätten, die erstmalige Ausnutzung von Lern- und Erfahrungskurven sowie die freie Wahl der günstigsten Distributionskanäle ermöglicht das frühzeitige Besetzen attraktiver Produkt-Markt-Positionen und die Errichtung außerbetrieblicher Barrieren (z. B. durch Patente) gegen Imitatoren. Ein effektives Marketing und eine adäquate Preispolitik können zudem die Bindung der Anwender mit den höchsten Umstellungskosten begünstigen. Allerdings sind die Kosten eines Pioniervorhabens erheblich; es ist abzuwägen, welches Verhältnis zwischen dem notwendigen kapazitiven und finanziellen Aufwand sowie dem daraus resultierenden Nut-
Zukünftiger Branchenführer in neuer Technologie
Grenze neuer Technologie
Grenze alter Technologie
derzeitiger Branchenführer eigene Position
t1
Phase
1
2
3
4
kumulierter F&E-Aufwand nach McKinsey
Abb. 3.12 Technologielebenszyklus-Modell
t1
Zeit t
gegenwärtiger Zeitpunkt nach Burgstahler
130
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
zen besteht. Die Nachfrage nach neu entwickelten Produkten und Produktionsprozessen sowie die weitere Entwicklung der Abnehmerbedürfnisse sind außerdem höchst risikobehaftet. Im Wettbewerb drohen Gefahren durch kostengünstige Imitationen oder durch eine diskontinuierliche Entwicklung der Technologie. Eine Technologiefolgerstrategie ermöglicht hingegen die Ausnutzung aktueller und bewährter Erkenntnisse: Anlagen und Systeme sind soweit ausgereift, dass die Technologie beherrscht wird und sich das Aufwand/Nutzen-Verhältnis auf einem günstigen Niveau stabilisiert hat. Allerdings werden die abnehmenden Risiken häufig mit Imageverlust, schärferem Kostenwettbewerb und einer wahrscheinlich raschen Überholung durch fortschrittlichere Technologien bezahlt. Vor diesem Hintergrund ist daher aus Sicht eines innovativen Produktionsunternehmens häufig ein früher Einstieg in zukunftsträchtige Technologien anzustreben. Eine umfassende Analyse der Technologievorhaben und die strategische Planung ihrer Umsetzung können dabei Risiken minimieren und den Weg zu einer dauerhaften Behauptung des technologischen Vorsprungs ebnen. Gleichermaßen ausschlaggebend sind in diesem Sinne Bemühungen um eine kontinuierliche Weiterentwicklung ebenfalls im Unternehmen vorhandener Basistechnologien.
3.2.2 Dimensionen und Elemente des Technologiemanagements 3.2.2.1 Überblick „Die Qualität der Integration des Technologiemanagements in die strategische Unternehmensführung bestimmt letztlich die Wettbewerbfähigkeit des Unternehmens auf den Weltmärkten“ [4]. Von einem ganzheitlichen und synchronisierten Technologiemanagement kann jedoch erst dann gesprochen werden, wenn die drei Dimensionen Produktentwicklung, Produktionsentwicklung sowie Vertriebs- und Marketingentwicklung vor dem Hintergrund der übergeordneten Unternehmensstrategie aufeinander abgestimmt werden. Dabei sind auch Elemente des Unternehmensumfelds, wie Kunden, Märkte, Gesellschaft, Anteilseigner, Partner und Zulieferer integrierend in die Betrachtung mit aufzunehmen, wie Abb. 3.13 zeigt. Die gezeigte Beziehung zwischen Produktentwicklung und Vertriebsstrategie ist evident und findet heutzutage in der betrieblichen Praxis große Beachtung. Defizite sind allerdings bezüglich der Ausnutzung von Synergien zwischen Produkt- und Produktionstechnologien zu verzeichnen. Einerseits erfordert die Entwicklung neuer Produkte unausweichlich die Entwicklung neuer oder die Rekombination bereits zur Verfügung stehender Produktionstechnologien.
Anteilseigner
Kunde
Markt
Produkt Produkt-technologie technologie Kundennutzen, , Kundennutzen Marktchancen
Vertriebs- und Marktentwicklung
Produktentwicklung
Unternehmensstrategie Unternehmensstrategie
Synchronisiertes Technologiemanagement
Produkt- Produkt technologie
Partner Produktions Produktions-technologie technologie
Produktionsstrukturentwicklung
Gesellschaft Abb. 3.13 Dimensionen eines ganzheitlichen Technologiemanagements
Zulieferer
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
Im Gegenzug fließen erkannte Potenziale neuer Produktionstechnologien aus der Prozessentwicklung wiederum in die Produkte ein und ermöglichen innovative Formen der Produktgestaltung. Darüber hinaus begünstigen neue Produktionstechnologien unweigerlich die Entwicklung neuer Produktionsstrukturen. In einer Zeit, in der die Bildung von Produktionsnetzwerken zunehmend ortsunabhängig erfolgt, ist mehr denn je die Struktur der Produktion aus der Produktstruktur abzuleiten. Eine systemtechnische Strukturierung von Produkt und Produktion, bei der funktionale Teilsysteme eindeutig fertigenden oder montierenden Leistungseinheiten zugeordnet werden können, wird damit unumgänglich [14]. Dennoch wird – und darin liegt heute häufig ein großes Versäumnis – die Entwicklung und Strukturierung der Produktion nicht in die Phase der Strategieplanung aufgenommen, sondern erst in Form eines reaktiven Planungsansatzes aufgegriffen [15]. Die sich zwischen Produktions- und Produktentwicklung ergebenden Synergien finden somit nur in unzureichendem Maße im Tätigkeitshorizont des Technologiemanagements Beachtung.
131
durch verstärkte Kundennachfrage in einem bestimmten Technologiebereich, der zu diesem Zeitpunkt von den vorhandenen Produkttechnologien noch nicht oder nicht im geforderten Umfang abgedeckt ist. Sobald auf dem Absatzmarkt technologische Lücken ersichtlich werden und sich neue Bedürfnisse offenbaren, gilt dies dem Marketing als Aufforderung, entsprechende Produktentwicklungen zu initiieren. In der Regel tritt diese zweite, von Markt und Kunde motivierte Produktentwicklung häufiger als der erste Fall auf. Auch von den Unternehmen wird die zweite Beeinflussungsrichtung – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Implikationen, die sich aus den erhöhten Marktchancen, verbunden mit einem relativ gut abschätzbaren Risiko von Fehlentwicklungen, ergeben – stärker berücksichtigt. Interdependenzen zwischen der Produktionsstruktur sowie der Vertriebs- und Marketingstrategie sind primär von den Anforderungen an neue Produkttechnologien sowie von den logistischen Randbedingungen abzuleiten. So eröffnet die Produktionsentwicklung der Vertriebs- und Marketingstrategie neue Handlungsfelder, der Markt bestimmt seinerseits wiederum mittelbar die Entwicklungsrichtung der Produktionsstrukturen [13].
3.2.2.2 Vertriebs- und Marketingstrategie Unter einer Vertriebs- und Marketingstrategie ist der langfristig angelegte Entwicklungsplan eines Unternehmens zu verstehen, in den produkt-, preis-, kommunikations- und distributionspolitische Erwägungen sowie die Definition eines oder mehrerer Zielmärkte einfließen [16]. Die Interdependenz zwischen der Produktentwicklung sowie der Vertriebs- und Marketingentwicklung ist durch ein technologieorientiertes „Push“- oder ein marktorientiertes „Pull“-Konzept definiert [3]. Ersteres nutzt das Potenzial von neuen Produkttechnologien, im Kunden latente Bedürfnisse manifest aufkommen zu lassen. Dabei kann es sich sowohl um im Entwicklungsstadium befindliche als auch um bereits anwendungsreife Technologien handeln. Eine derartige Technologieinduzierung durch neue produkttechnologische Möglichkeiten erfordert gleichzeitig die Entwicklung eines gezielten Marketing- und Vertriebskonzepts, das sowohl auf die Verbreitung bereits vereinzelt auftretender als auch auf die Anregung noch unerkannter Bedürfnisse auf dem Markt abzielt. Bedarfsinduzierung hingegen, Market pull, ergibt sich
3.2.2.3 Produkttechnologie Obwohl eine exakte Abgrenzung zwischen Produktund Produktionstechnologie nicht immer eindeutig möglich ist [17], lassen sich die beiden Bereiche in Hinblick auf ihr Anwendungsgebiet unterscheiden. Demnach bezeichnet man als Produkttechnologie dasjenige technologische Know-how, welches ein Produkt unmittelbar prägt. Dabei sind Produkte das Ergebnis stofflicher und beschaffungsbezogener Transformationen, die im Produktionsprozess durchgeführt werden und den Bedürfnissen des Absatzmarktes entsprechen [18]. Produkttechnologien fließen im Bereich der Werkstofftechnik beispielsweise in die Entwicklung spezifisch-funktionaler Werkstoffe ein, die durch signifikant verbesserte, auf ein bestimmtes Einsatzgebiet ausgerichtete Eigenschaften neue Bauweisen ermöglichen. In diesem Zusammenhang sei auf die Tendenz zur Optimierung der Konstruktion durch ein genau definiertes Verhältnis zwischen Leichtigkeit und Steifigkeit der Bauteile und zur Erhöhung der
132
Korrosionsbeständigkeit der Werkstoffe zum Beispiel durch neue Schichttechniken hingewiesen. Auf dem Gebiet der Elektronik, Mikrotechnik, Sensorik und Aktorik werden in der produkttechnologischen Entwicklung Schwerpunkte zunehmend dahingehend gesetzt, intelligente Maschinen und Systeme zu gestalten. Die Produkte der Zukunft enthalten einen immer höheren Grad an technischer Intelligenz, um ein Maximum an Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit bei einer gleichzeitig immer längeren Lebensdauer zu erreichen. Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik (Internet, Multimedia usw.) ermöglichen den Aufbau vernetzter, kooperativer Systeme zur Ferndiagnose, welche die Wege zwischen Anwender und Hersteller signifikant verkürzen. Auch in der Umwelttechnik verbucht die Forschung durch die Entwicklung umweltverträglicher Produktionssysteme zur Realisierung geschlossener Stoffkreisläufe Erfolge; die Energietechnik hingegen bemüht sich um den Einsatz von Technologien für energiesparende Antriebe. Auch bezüglich der Produktentwicklung sind Innovationstrends zu verzeichnen, die insbesondere in den verschärften Anforderungen an die Unternehmen in finanzieller, qualitativer und zeitlicher Hinsicht begründet sind. Integration und Parallelisierung sind die Stichworte, nach denen der Produktentwicklungsprozess optimiert wird. Ziel muss es sein, „bereits bei der strategischen Unternehmensplanung die Wirkungszusammenhänge zwischen Produkt- und Produktionstechnologie zu berücksichtigen und ihre Auswirkungen auf die Veränderungen der Produktionsstrukturen abzuleiten“ [15]. Die Koordination der Produkt- und Prozessgestaltung durch Simultaneous Engineering bis hin zur Planung von durchgängig digitalen Fabriken kann durch Kopplung von CAD (Computer Aided Design) und CAM (Computer Aided Manufacturing)-Systemen wirkungsvoll unterstützt werden. Virtual Reality kann zur Evaluation von Produktkonzepten herangezogen werden, insofern damit die Auswirkungen veränderlicher Parameter am Modell untersucht und simuliert werden können. Dadurch werden bereits in frühen Phasen der Entwicklungsarbeit mögliche Problemfelder erkannt, deren Behebung zu einem fortgeschritteneren Zeitpunkt mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden wäre. Eine sinnvolle Ergänzung zur Virtual Reality stellt das
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Rapid Prototyping als generatives Fertigungsverfahren dar. Die Zeit- und Kostenersparnis, die durch dieses Vorgehen in der Entwicklungsphase erzielt werden kann, ist erheblich und kommt direkt der Gestaltung des Produktionsprozesses zugute [17].
3.2.2.4 Produktionstechnologie Unter dem Begriff der Produktionstechnologie werden diejenigen Technologien verstanden, „die im Rahmen der Leistungserstellung innerhalb von Produktionsbetrieben zum Einsatz“ kommen [19]. Dass dabei die Produkttechnologien nicht eindeutig ausgegrenzt werden können, wurde bereits eingeräumt. Der Fokus wird jedoch an dieser Stelle insbesondere auf Innovationen gesetzt, die das Potenzial in sich bergen, die Wertschöpfungskette eines Unternehmens auf materiell-technischer Ebene zu optimieren. Abbildung 3.14 stellt hierzu die grundlegenden Innovationsfelder der Produktion samt ihrer multikausalen Interdependenzen dar. Veränderungen in einem der dargestellten Bereiche ziehen unweigerlich Umgestaltungen der übrigen nach sich. Dies soll im Folgenden exemplarisch, ausgehend von der Entwicklung neuer Werkstoffe und Bauweisen, verdeutlicht werden. Einerseits ermöglichen neue Werkstoffe und Bauweisen die Ausbildung spezifisch funktionaler Strukturen, die sowohl direkt in der Produktgestaltung als auch in der Entwicklung neuer Maschinen und Anlagen – insofern in die Produkte von Anlagenherstellern – Aufnahme finden. Andererseits erfordern sie zu ihrem Einsatz neue Verfahren und Prozesse, mit denen neue Leistungspotenziale auch in den Grenzbereichen von Leistung und Präzision erschlossen werden können (High Speed, High Precision). Dabei sind primär Hochleistungs- (HPC – High Performance Coatings) sowie Hochgeschwindigkeitsverfahren (HSC – High Speed Cutting), Präzisionsbearbeitungs- (z. B. Feinstdrehen, Feinschleifen) und Strahlbearbeitungsverfahren (z. B. Laserschneiden, Wasser- und Plasmastrahlen) zu nennen, die der zunehmenden Miniaturisierung von Formen und Formelementen entgegenkommen. Zur Umsetzung dieser innovativen Produktionsmethoden bedarf es allerdings gleichzeitig der Bereitstellung – ggf. der Planung und Konstruktion – neuer Maschinen und Anlagen, die durch den zunehmen-
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
133
Neue Werkstoffe und Bauweisen Spezifisch funktionale Strukturen
Neue Verfahren und Prozesse
Neue Produktionssysteme
Leistungen im Grenzbereich
Wandlungsfähigkeit
Neue Maschinen und Anlagen Technische Intelligenz
Abb. 3.14 Innovationsfelder in der Produktion
den Einsatz technischer Intelligenz und Lernfähigkeit den Anforderungen der Zukunft gewachsen sind. HSC beispielsweise erfordert hochdynamische Maschinen, welche hohe Geschwindigkeiten auch auf komplexen Oberflächen halten können. In Hinblick auf zukunftsträchtige Komplettbearbeitungskonzepte sind überdies Anlagen zum prozessnahen Prüfen und zur integrierten Fehlerkompensation zu berücksichtigen. Maschinen und Anlagen sind schließlich in dynamische Produktionsstrukturen zu integrieren. Sie müssen außerdem immer stärker auf Anpassungen wie abnehmende Stückzahlen und Losgrößen durch kürzere Produktlebenszyklen und eine hohe Änderungsdynamik ausgerichtet werden. Damit ist Wandlungsfähigkeit das zentrale Charakteristikum, das von den Produktionssystemen der Zukunft verlangt wird. Ein System wird dabei als wandlungsfähig bezeichnet, wenn es aus sich selbst heraus über gezielt einsetzbare Prozess- und Strukturvariabilität sowie Verhaltensvariabilität verfügt. Ein wandlungsfähiges Produktionssystem erkennt somit rechtzeitig Anforderungsveränderungen in seinem Umfeld, interpretiert deren Relevanz für sich selbst und ist aus sich selbst heraus in der Lage, neue Aufbau- und Ablaufstrukturen zu entwickeln und umzusetzen [20]. Es stellt sich nun die Frage, in welchem Maße die Synergien im Dreieck zwischen Produkt, Produktion und Markt bei sich verkürzenden Technologielebenszyklen effektiv ausgenutzt werden können. Im folgenden Abschn. wird besprochen, wie bei der Konzeption einer Technologiestrategie zweckmäßigerweise vorgegangen wird.
3.2.3 Vorgehen bei der Strategieplanung Im Bewusstsein um die zentrale Bedeutung des Technologiemanagements für die gesamte Unternehmensstrategie ist die technologiebezogene Strategieplanung grundsätzlich langfristig anzusetzen [3]. In Bezug auf den Außenraum nimmt der zielgerichtete Einsatz von Technologien die Rolle eines strategischen Wettbewerbsinstruments ein [13]. Auch ist unbestreitbar, dass „die Kenntnis über zukünftige Technologietrends und -entwicklungen einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren ist, um die Produktionsprozesse sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter zeitlichen und qualitätsmäßigen Gesichtspunkten optimal zu gestalten“ [21]. Umso wichtiger ist es, Trendbrüche und Diskontinuitäten in der Technologieentwicklung zu antizipieren [22]. Die kontinuierliche Wissensakquisition bezüglich der Faktoren, welche die langfristige technologische Entwicklung kennzeichnen werden, erfolgt sowohl durch unternehmensinterne als auch -externe Quellen und umfasst schwache sowie starke Signale [12, 21]. Dabei gelten als interne Quellen die Ergebnisse der unternehmenseigenen F&E-Aktivitäten, die Auftragsentwicklung sowie festegestellte Zielabweichungen von prognostizierten Tendenzen. Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, aber auch Universitäten, Forschungsinstitute, Berater, Fachtagungen, Veröffentlichungen und Patentanmeldungen dienen als externe Informationsquellen. Schwache Signale sind unscharf definierte Hinweise auf untergründige Entwicklungstrends, die nur qualitativ etwas über das Potenzial einer Technologie aussagen. Starke Signa-
134
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
1
Entwicklung einer Vision
Leitbilder Entwicklungsrichtlinien
2
Zielsetzung
Quantifizierte Ziele Nicht quantifizierte Ziele
3
Technologische Ausrichtung
4
Maßnahmenplanung
Technische Strukturen, Prozesse, Organisation
5
Ressourcenplanung
Investitionen in F&E, Produktion, Personal
Märkte/Produkte Technologiekalender
langfristig mittelfristig kurzfristig
Planungsobjekt
Überprüfung der Zielerreichung
Technologische Frühaufklärung
Planungsschritt
Abb. 3.15 Vorgehen bei der Strategieplanung
le, wie beispielsweise die Anmeldung eines Patents, liefern hingegen wesentlich konkretere, quantitative Aussagen; sie sind allerdings dem gesamten Wettbewerb zugänglich. Daher ist mit verschärfter Sensibilität auf Erstere zu achten, um den Zeitraum bis zum Durchbruch der Veränderungstendenz als manifestes starkes Signal für die Einleitung präventiver Maßnahmen zu nutzen [12, 13]. Die durch kontinuierliche technologische Frühaufklärung ausgemachten Technologien müssen schließlich in Hinblick auf ihre Bedeutung für das Unternehmen im Wettbewerb analysiert und evaluiert werden. Als Methoden hierzu, auf die an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen werden soll, haben sich Technologie-Portfolio-Analysen wie beispielsweise das Modell Pfeiffers bewährt [13]. Die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen ist in dieser Phase noch nicht relevant, da die Frage der Finanzierbarkeit einzig und alleine vom potentiellen Returnon-Investment-Zeitraum bestimmt wird [13, 15]. Im Folgenden wird nun ein Vorgehenskonzept in fünf Schritten vorgestellt, mit dessen Hilfe ein Unternehmen seine spezifische, über die kontinuierliche Frühaufklärung hinausgehende Technologiestrategie bestimmen kann (Abb. 3.15).
sion einzuordnen und darauf abzustimmen. Ihre Aufgabe besteht darin, den Handlungsträgern einen erstrebenswerten, in der Zukunft liegenden Zustand vor Augen zu führen und dadurch dessen Konkretisierung voranzutreiben. Sie gilt nicht als Ziel, sondern als Entwicklungsrichtlinie, an der sich die Anstrengungen auf strategischer als auch auf operativer Ebene bezüglich der Verbesserung der Technologiekompetenz des Unternehmens orientieren sollen [4, 9]. Aufgrund der in Aussicht gestellten Erreichbarkeit der Vision sind alle Unternehmensbereiche verstärkt dazu motiviert, am erfolgreichen Voranschreiten des Strategiebildungsprozesses mitzuwirken. Die Kernpunkte der technologischen Vision werden durch ein Technologieleitbild verkörpert und in wenigen Leitsätzen formuliert; sie bilden die Grundlage zur Entstehung einer innerbetrieblichen Technologiekultur. Gerade in wettbewerbsführenden Technologieunternehmen ist eine verbreitete Technologiebegeisterung zu verzeichnen, die sich ausnahmslos über alle Bereiche des Betriebs erstreckt, wobei gleichzeitig das Verständnis und der Anwendungsnutzen neuer Technologien im Mittelpunkt stehen [4]. Unweigerlich sichert eine solide innere Kultur auch die Überlebensund Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens in turbulenten Wettbewerbsfeldern.
3.2.3.1 Entwicklung einer Vision 3.2.3.2 Zielsetzung Ziel dieses ersten Schritts ist es, eine technologische Vision zu entwickeln, die langfristig als Leitmotiv für die Technologiestrategie des Unternehmens fungieren kann [9]. Diese Vision ist als zentrales Element in den Gesamtrahmen der übergeordneten Unternehmensvi-
Ausgehend von der zugrunde liegenden Unternehmenskultur sind im zweiten Schritt konkrete Ziele herauszuarbeiten und zu formulieren, die auf eine Verwirklichung der technologischen Vision hinarbeiten.
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
Formal dient das Zielsystem als Richt- und Orientierungsgröße bei der umfassenden Beschreibung des zu erreichenden Soll-Zustandes, der von autorisierten Entscheidungsträgern für das gesamte Unternehmen verbindlich festgehalten wird [23]. Strukturell leiten sich direkt aus dem Unternehmensleitbild grobe Oberziele ab, die in untergeordnete Bereichsziele – Produktions-, Produktentwicklungs- sowie Vertriebsund Marketingziele – detailliert werden (s. Abb. 3.11). Die Produktion hat dabei eine Steigerung von Produktivität und Wandelbarkeit des Produktionssystems vor Augen, die Produktentwicklung eine Verbesserung der sich auf den Kundennutzen auswirkenden technischen Produktmerkmale und das Marketing selbstverständlich eine Erhöhung des Umsatzes. In Hinblick auf ein synchronisiertes Technologiemanagement nimmt in diesem Zusammenhang insbesondere die Koordination der einzelnen Bereichsziele samt deren Unterziele eine zentrale Bedeutung ein. Die Zielbildung wird dabei als iterativer Prozess verstanden, der kontinuierliche Präzisierungen infolge der internen und externen Feed-backs zulässt, ja sogar einfordert, um sich mit maximaler Effektivität an die unternehmensinternen und -externen Veränderungen anzugleichen [13]. Zur Überprüfung der Zielerreichung sind des Weiteren geeignete Zielmaßstäbe und Kennzahlensysteme aufzustellen, wobei der höhere Operationalisierungsaufwand bei der Überführung nicht quantifizierter Ziele in quantifizierte zu berücksichtigen ist. In Anbetracht des zunehmenden Qualitätsbewusstseins der Kunden ist allerdings schon bei der Zielsetzung ein Ansatz zum Qualitätsmanagement zu integrieren, der über die bisherigen normativen Kontrollmodelle (DIN ISO 9 000ff.) hinausgeht. Einen vielversprechenden Weg zur Business Excellence beschreitet beispielsweise das EFQM Excellence Modell der European Foundation for Quality Management. Es betont die Notwendigkeit einer umfassenden, ganzheitlichen Betrachtung der Unternehmensprozesse unter dem Blickwinkel der Qualität, wobei der Fokus bei den Bedürfnissen der Kunden, Mitarbeiter und der Gesellschaft, d. h. verstärkt unternehmensextern liegt. Das EFQM Excellence Modell ist kein starres Qualitätsüberprüfungssystem, sondern zielt auf eine dynamische, kontinuierliche Optimierung der Prozesse und Strukturen durch geeignete Rückkopplungsmechanismen auf allen Ebenen ab. Ein Unternehmen darf sein Zielsystem nicht von seinem Umfeld losgelöst festlegen. Von mindestens
135
ebenso großer Bedeutung ist der Vergleich mit den Wettbewerbern. Kontinuierliches Benchmarking ist im Zielsetzungsprozess in Bezug auf Faktoren, die für die Leistungsfähigkeit der Produktion entscheidend sind, unabdingbar. Die Gegenüberstellung der eigenen Position und der des derzeitigen Best of Class, des Branchenprimus – beispielsweise für die Ausführungszeiten, Herstellkosten oder Qualität der Produktion – ermöglicht es, eigene Defizite aufzudecken und das zur Verbesserung erforderliche Potenzial im Unternehmen zu ermitteln (Abb. 3.16). Dadurch sind konventionelle Verbesserungen (KVP) erreichbar (Weg von Position 1 zu 1 ), die jedoch noch nicht ausreichen, um im Wettbewerb eine führende Rolle einzunehmen. Momentaufnahmen weisen aufgrund ihrer Statik einen Defekt auf, der sich bereits nach kurzer Zeit als gravierende Innovationslücke erweisen kann: Sobald der prognostizierte zukünftige Stand der eigenen Produktion (Position 1 ) durch KVP erreicht ist, liegt der leistungsstärkste vergleichbare Wettbewerber immer noch über dem eigenen technologischen Leistungspotenzial (Position 3). Statisches Benchmarking kann also bestenfalls kurzfristige Maßnahmen auf operativer Ebene unterstützen, ist jedoch angesichts der geschilderten „Moving Target“-Problematik für strategische Zwecke nicht geeignet. In der langfristigen Ausrichtung des Unternehmens ist vielmehr ein hoher Grad an Dynamik gefragt. „Vor diesem Hintergrund wird heute eine konsequente Rückwärtsplanung vom dynamisierten Zustand auf den heutigen Ausgangszustand verfolgt“ [21]. Der aus dynamischem Benchmarking resultierende Innovationspfad beschreibt in überschaubaren Abständen in Angriff zu nehmende Teilschritte. Dabei gilt nicht die gegenwärtige, sondern die für den entsprechenden Zeitpunkt im Idealfall prognostizierte Lage (Position 3) als Zielpunkt, wobei der zukünftige Branchenführer nicht zwangsweise mit dem gegenwärtigen Branchenführer identisch sein muss. Die Teilziele auf dem zu beschreitenden Weg werden zu Fixed Targets, deren Erreichung verbindlich und durch gezieltes Controlling überwachbar ist. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Chancen und Risiken einer derartigen technologischen Aufholjagd in direkter Abhängigkeit zum Reife- bzw. Sättigungsgrad des Marktes stehen. Selbstverständlich ist der Rahmen für mögliche Verbesserungen der eigenen Wettbewerbsposition bei reiferen Märkten, auf denen die Technologien in absehbarer Zukunft an die
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Zielmaßstäbe für die Leistungsfähigkeit der Produktion: • • • • • • • • •
Ausführungszeit Herstellkosten Qualität Auslastung Durchlaufzeit Bestände Termintreue Humanfaktoren Weiche Ziele
Technolog. Leistungsfähigkeit L tech
136
Legende: 1 2 3 1’1’
Dynamisches Benchmarking
Innovationspfad
3 2 1’ 1
Bereich konventioneller Verbesserungen t1
t0
Zeit
Ist-Stand der eigenen Produktion zum Zeitpunkt t 0 Ist Ist-Stand der besten vergleichbaren Produktion zum Zeitpunkt t0 Prognostizierter Stand der besten vergleichbaren Produktion zum Zeitpunkt t 1 Prognostizierter Stand der eigenen Produktion zum Zeitpunkt t1 mit KVP
Abb. 3.16 Zielplanung der Produktion
Grenze ihres technologischen Potenzials stoßen, wesentlich enger gesteckt als auf entstehenden Märkten. Entsprechend den festgesetzten Zielen können in den darauf folgenden Schritten konkrete Strategien zu deren Erreichung formuliert, im Detail Maßnahmen geplant und den einzelnen Technologieprogrammen angemessene Ressourcen zugewiesen werden.
3.2.3.3 Technologische Ausrichtung Die Definition einer Technologiestrategie als maßgebende, in die Zukunft weisende Handlungsrichtlinie für die Entwicklung und den Einsatz von Technologien, spiegelt im Wesentlichen die technologische Ausrichtung des gesamten Unternehmens wider und zielt auf die Zunahme des Unternehmenserfolgs ab. Eng damit verbunden ist die Verankerung der eigenen technologischen Position im Wettbewerb – z. B. als Technologieführer oder -folger –, die in Bezug auf gezielte Technologievorhaben angestrebt wird und zu der alle Entscheidungen, die in diesem Bereich getroffen werden, beitragen. Aus der Kenntnis des eigenen Standpunkts hinsichtlich der beiden Aspekte technologische Ausrichtung und Positionierung heraus kann die Integration innovativer Technologien als Technologiestrategie in die Unternehmensstrategie in Angriff genommen werden. Diejenigen Technologien, die durch kontinuierli-
che Frühaufklärung ausgemacht und in Analyse- und Evaluationsverfahren als positiv bewertet werden, sind daher zwecks Ausnutzung der sich ergebenden Synergiepotenziale einer Cross-Impact-Analyse zu unterziehen. Ergebnis sind Technologie-Cluster, in denen die produktions-, absatz- und finanzwirtschaftlichen Interdependenzen besonders vorteilhaft ausgeprägt sind. An dieser Stelle bedarf es ferner eines geeigneten Hilfsmittels, um die zeitliche Dimension in den Integrations- und Umsetzungsprozess der Technologien mit einzubeziehen. Hier hat sich das Konzept des Technologiekalenders bewährt [13, 15]. Dieser synchronisiert die unternehmensstrategischen Produktprogramme mit den dazugehörigen Produktund Produktionstechnologien sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht. Ausgangspunkt ist somit das von der Markt- und Unternehmenssituation geprägte Programm, das die Entwicklung von den heutigen Produkten und Märkten zu den Produkten und Märkten der Zukunft beschreibt und sich auf ein Spektrum neu einzuführender Produkte reduzieren lässt. Letztere stellen mit den Zeitpunkten ihres Entwicklungsbeginns und ihrer Serienreife die oberste Zeile im Technologiekalender dar (Abb. 3.17). Die Eintragung von Produkt- sowie Produktionstechnologien richtet sich folglich nach den Entwicklungszeitrahmen der geplanten Produkte. Allerdings sind dabei die unterschiedlichen Zeitpunkte der Verfügbarkeit bzw. der Anwendungsreife von Einzel-
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
heutige Produkte heutige Märkte
Aus Markt- und Unternehmenssituation abgeleitete Zielvorgaben
zukünftige Produkte zukünftige Märkte
Unternehmensstrategie kurzfristig
Produkte
137
mittelfristig
langfristig
Produktplan
Typ Menge
Produkttechnologien
Werkstoffe Bauweisen Komponenten Eigenschaften
F & E-Plan
Produktionstechnologien
Verfahren F-Konzepte Standorte Organisation
Produktionsentwicklungsplan
Betriebswirtschaftliche Bewertung des Ressourceneinsatzes
Forschung & Entwicklung Produktionsinvestitionen Personal & Beschäftigung
Abb. 3.17 Technologiekalender zur Synchronisation von Produkt- und Produktionsentwicklung
technologien zu berücksichtigen. Technologie-Cluster sind in dieser Hinsicht in sich bereits so abzustimmen, dass sie gleichzeitig zur Anwendungsreife kommen. Eine direkte zeitliche Produkt-TechnologieVerknüpfung kann unter diesen Voraussetzungen ausschließlich dem Kriterium folgen, dass zu Entwicklungsbeginn die Tragfähigkeit der Technologie und zu Serienbeginn dessen Anwendungsreife sichergestellt werden muss. Prioritäten in der Übernahme einzelner Technologievorhaben resultieren primär aus deren Bewertung in der vorangegangenen Evaluationsphase. Vom Produktplan ausgehend unterliegen letztlich sowohl die Produkt- als auch die Produktionsentwicklungsplanung einer ereignisorientierten Rückwärtsterminierung. Bei einer überschaubaren Anzahl von Produkten werden daraufhin die Produktprogrammphasen sowie die Einführungszeitpunkte aller Technologien in einem einzigen, unternehmensweiten Kalender zeitlich überlagert; bei einem ausgesprochen umfassenden Produktspektrum ist eine Unterteilung in einzelne Anwendungsbereiche erforderlich. Angesichts des somit aufgespannten Zeithorizonts ergeben sich jedoch nicht nur kurz- bis mittelfristige Handlungsmaßnahmen, die sich auf taktischoperativer Ebene als definierte Technologieprojekte konkretisieren lassen, sondern auch längerfristige Richtlinien für die Produkt-, die F&E- und die Produktionsentwicklungsplanung des Unternehmens. Es sind somit die Voraussetzungen für die Produkte und Produktionskonzepte der Zukunft sowie für die dazu
unerlässlichen Produkt- und Produktionstechnologien geschaffen. Dieser Ansatz eines Technologiekalenders ist deshalb als strategisches Planungsinstrument rollierend einzusetzen; als revolvierende Methodik erfordert sie im Falle unvorhergesehener Veränderungen in den Informationsgrundlagen eine Revidierung der Zusammensetzung der Technologieprogramme sowie deren terminlicher Koordination. Der Handlungsbedarf umfasst jedoch lediglich periodische Strategieanpassungen und nicht deren grundlegende Neudefinition, so dass sich der strategische Planungsaufwand in seiner Gesamtheit in Grenzen hält und zyklisch an die Unternehmensstrategie angeglichen werden kann. Der Vollständigkeit halber sei abschließend noch auf zwei weitere Ansätze zur Ausgestaltung des Technologiekalender-Konzepts hingewiesen, die sich sowohl bezüglich ihrer inhaltlichen Schwerpunkte als auch des zeitlichen Horizonts von dem vorgestellten Ansatz unterscheiden: Ersterer geht von einem bestehenden Produktprogramm aus und dient der Optimierung der Fertigungsverfahren (vorwiegend für mechanische Produktkomponenten), die hinsichtlich ihrer technologischen und wirtschaftlichen Brauchbarkeit sowie der organisatorischen Umsetzbarkeit bewertet werden [24, 25]. Die positiv beurteilten sind in Verknüpfung mit den entsprechenden Produktteilen zeitlich in einen Technologiekalender einzutragen, der somit sowohl eine Grundlage für Investitionsentscheidungen darstellt als auch unternehmensintern den Ausbau technologischer Entwicklungsaktivitäten
138
vorantreibt. Es ist ersichtlich, dass dieser Ansatz insbesondere auf taktisch-operativer Ebene zum Einsatz kommt. Der zweite Ansatz hingegen betont den finanziellen Aspekt technologiestrategischer Vorhaben [26]. Ziel ist es, aus der Gegenüberstellung alternativer Investitionsprogramme im Technologiekalender mittels Szenariotechnik und unter Berücksichtigung sämtlicher Planungsgrößen wie Werkstoffe, Kapazitäten und Durchlaufzeiten, das vorteilhafteste Technologieprogramm zu identifizieren und dementsprechende Investitionsempfehlungen abzuleiten. Diese Methodik ist zeitlich im strategischen Bereich anzusiedeln und hat ihre Grenzen bei der konkreten Definition von Maßnahmen.
3.2.3.4 Maßnahmenplanung Zur Operationalisierung der Technologieprogramme, die sich im Technologiekalender auf strategischer Ebene abzeichnen, sind konkrete Maßnahmen erforderlich, welche auf die technologischen sowie unternehmensweiten Zielsetzungen abgestimmt sind. In diesen Rahmen ordnen sich Unterziele ein, die von den Bereichszielen der Produktentwicklungs-, Produktions- sowie der Vertriebs- und Marketingziele abzuleiten sind. Die Verantwortung, selbstständig die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen festzusetzen und durchzuführen, liegt dabei bei den einzelnen Bereichen. Aus diesem Grund sind die drei Dimension bereits im Technologiekalender in anwendungsorientierte Segmente (z. B. Werkstoffe, Bauweisen, Komponenten und Eigenschaften im Bereich der Produkttechnologien) aufgeschlüsselt, um eine eindeutige Zuordnung zu Fachabteilungen und Kompetenzzentren zu erleichtern. Zur Messung des Umsetzungserfolgs übernimmt dennoch ein zentrales Technologiecontrolling prozessbegleitend eine überwachende Funktion [13]. Dieser wird dabei in nicht unerheblichem Maße von der Einbeziehung unternehmens- und situationsspezifischen Know-hows und der Erfahrung der Fachexperten in den Segmenten beeinflusst. Allein in Anbetracht der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeitsanalysen, die als Voraussetzung jeder Maßnahmenplanung unumgänglich sind, wird die Bedeutung der Nutzung interner Wissensquellen deutlich.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Aufgrund der Tatsache, dass die Einführung innovativer Technologien auch grundlegende Veränderungen der Unternehmensstruktur erfordert, berücksichtigt die Maßnahmenplanung nicht nur den technischen Aspekt der Produkt- und Produktionskonzepte, sondern reicht bis in das Organisatorische sowie in die Gestaltung der Gebäude und Infrastruktur des Unternehmens. Der Veränderungsprozess selbst wird durch Strategie-Implementierungsprogramme veranlasst, welche die technologieinduzierten Maßnahmen zusammenfassen, dabei geeignete Erfolgs- und Kontrollmaßstäbe festlegen und als Bindeglied zwischen der strategischen und operativen Ebene fungieren [3]. Die strategischen Handlungsrichtlinien werden darin bis zum nötigen Grad detailliert und den konkreten internen Umfeldbedingungen zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Implementierung angepasst. Hilfsmittel, um bei der Maßnahmenplanung zeitliche und strukturelle Verknüpfungen angemessen zu berücksichtigen, stellen beispielsweise Netzpläne und GanttDiagramme dar. Was Veränderungen im technischen Bereich angeht, so können Maßnahmen die konkrete Ausgestaltung der Produktionsverfahren sowie daraus abgeleitete Konsequenzen für die erforderlichen Betriebsmittel betreffen. Im Organisatorischen hingegen werden beispielsweise der Ablauf der Planung, Beantragung und Genehmigung von F&E-Projekten sowie das Vorgehen beim Controlling festgelegt.
3.2.3.5 Ressourcenplanung Wie bereits bei der Erstellung des Technologiekalenders, bei dem man rückwärtsterminierend von festgesetzten Zielterminen ausgeht, oder bei der Maßnahmenplanung, die sich stark am technologischen sowie unternehmensweiten Zielsystem orientiert, stellen auch bei der Ressourcenzuweisung die angestrebten Ziele den Ausgang des Planungsvorhabens dar. Vor dem Hintergrund der übergeordneten Unternehmensziele ist der Budgetumfang für das Gesamtvolumen aller geplanten, zur Zielerreichung unumgänglichen Innovationsvorhaben zu veranschlagen. Das Zeitraster, das dem Technologiekalender zugrunde liegt, unterstützt in einem darauffolgenden Schritt die Detaillierung der Ressourcenallokation hinsichtlich der sich in den einzelnen Perioden verdichtenden Technologieprogramme (s. Abb. 3.17).
3.2 Technologiemanagement in produzierenden Unternehmen
Der Betrachtungsfokus kann dabei entweder auf einen ausgewählten Zeitabschnitt oder auf ein bestimmtes Technologieprogramm bzw. eine Abteilung gesetzt werden. Eine Bewertung der parallelen Produkt-, Produktentwicklungs- und Produktionsentwicklungsprogramme aus betriebswirtschaftlicher Sicht ermöglicht die simultane Festlegung des Ressourcenbedarfs, wobei die langfristig angesetzten Budgetgrenzen nicht gesprengt werden dürfen. Ein diskontinuierliches Ressourcenbedarfsprofil mit signifikanten Belastungsspitzen kann dabei durch die Variation des Einsatzzeitpunkts der einzelnen Technologieprogramme im Technologiekalender ausgeglichen werden [15]. Zyklische Revidierungen der Ressourcenzuweisungen mit dem Ziel, den Ressourceneinsatz in Anbetracht der zahlreichen dynamischen Einflussfaktoren zu optimieren, sind unerlässlich. Die Einbindung fachspezifischen Know-hows ist auch an dieser Stelle, wie bereits im Rahmen der Maßnahmenfestlegung, zur Abschätzung des Investitionsaufwands von Einzelmaßnahmen angebracht. Die relevantesten Engpässe in der Ressourcenplanung ergeben sich aus den begrenzten monetären und personellen, sowohl internen als auch externen Ressourcen einerseits und den zuvor schon festgesetzten Terminen für das Projektende und die Produkteinführung auf dem Markt andererseits. Die Tatsache, dass die Hauptlast der Kosten erst in der Phase der Serienvorbereitung aufkommt und erst gegen Ende der Forschungs- und Entwicklungsphase zuverlässig abgeschätzt werden kann, ist ebenfalls nicht unproblematisch. Eine zu frühe Mittelbeschränkung wäre daher nicht zielführend.
3.2.4 Ausblick auf zukünftige Entwicklungen Das vorgestellte Konzept zur Planung, Entwicklung und Umsetzung strategisch relevanter Technologieprogramme auf Basis eines ganzheitlichen Technologiemanagements wird gerade im globalisierten und stark dynamisierten Wettbewerbsumfeld seine Stärken zur Geltung bringen. Technologiemanagement darf jedoch nicht an den eigenen rechtlichen Unternehmensgrenzen Halt machen. Ferner wird der Frage nach Technologiemanagement bei virtualisierten Unternehmensformen, Unternehmenszusammenschlüssen oder bei
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den sog. dot.coms des E-Business in den nächsten Jahren zweifelsohne eine gesteigerte Bedeutung zukommen. Analog zu einem zunehmenden Production on Demand ist ein Knowledgemanagement on Demand gefragt, das beispielsweise in die Erstellung des Technologiekalenders unterstützend integriert werden kann. Gefordert ist hier das Erstellen einer technologieorientierten Wissensplattform im Unternehmen, auf die alle Handlungs- und Entscheidungsträger Zugriff haben und durch die eine konzertierte Bewertung und Extrapolation von Technologiepotenzialen ermöglicht wird. Es ist jedoch nicht nur eine Vernetzung der individuellen Wissenskomponenten erforderlich. Die Ansprüche an die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit der Produktion, die bei einem technologisch führenden Unternehmen durch die fortdauernde Integration neuer Technologien um ein Vielfaches gesteigert sind, bedürfen einer Vernetzung aller Geschäftsprozesse sowie des verteilten Arbeitens im gesamten Auftragsdurchlauf. Der anhaltende Trend zum Outsourcing zielt dabei auf eine schnellere Umstellung der Produktion, eine bessere Beherrschung des eigenen Produktionssystems sowie auf Effizienz- und Produktivitätssteigerungen ab. Innovationen in der Simulationstechnik gestatten nicht nur Animation, sondern auch Interaktion in der virtuellen Realität und ermöglichen eine durchgängig softwarebasierte Fabrik- und Produktionsprozessplanung bis hin zum Studium einzelner Arbeitsabläufe und der Bereitstellung multimedialer Arbeitsanweisungen an den Arbeitsplätzen. Gesamte Produktionsbetriebe können dabei sowohl statisch als auch in ihrer Prozessdynamik bereits während der Planungsphase abgebildet werden. Hochaktuell sind hier insbesondere Bemühungen zur Entwicklung mehrskaliger Simulation, bei der zeitliche Skalen in Sekunden, Minuten und Stunden bis hin zu mehreren Jahren in teils komplexen, teils verteilten Modellen hinterlegt werden. Die Simulation der Auswirkungen eines spezifischen Technologieeinsatzes erlaubt es somit, unvorhergesehene Ereignisse in der Implementierung zu minimieren und den Weg zu einer Pionierhaltung angesichts des verbesserten Aufwand/Nutzen-Verhältnisses erheblich zu ebnen. Im After-Sales-Bereich schließlich unterstützen Teleservice und Telepräsenz die effiziente Problemlösung bei der Einführung neuer Produkte auf dem Markt, zu der die jüngsten Verbesserungen in der Mobilfunktechnik maßgeblich beigetragen haben.
140
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der jüngeren Zeit liegt ferner in der neuen Sicht von Wertschöpfung über das gesamte Leben einzelner technischer Produkte. Geht man von der technischen Möglichkeit aus, dass jedes technische Produkt bis zu seinem Ende im (IT-)Netzwerk der Hersteller und Betreiber verbleibt, so kann das grundlegende Paradigma der Unternehmen auch dahingehend verändert werden, dass es nicht mehr alleiniges Ziel der Unternehmen ist, mit den eingesetzten Ressourcen Gewinne zu erzielen, sondern für jedes Produkt einen maximalen Gesamtnutzen und Gewinn am Lebensende zu erreichen. Möglicherweise lassen sich auf diesem Weg auch die Aspekte der Ökonomie und Ökologie am sinnvollsten in das Technologiemanagement integrieren.
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung 14. Handke, S.: Konzept zur Strukturplanung komplexer technischer Systeme – Systematische Produktstrukturierung zur Vereinfachung technischer und organisatorischer Schnittstellen im Produktentstehungsprozess. Heimsheim: JostJetter 2000 15. Westkämper, E.; Burgstahler, B.; Korn, G.: Synchronisation der Produkt- und Produktionsentwicklung mit Hilfe eines Technologiekalenders. wt – Produktion und Management 85 (1995) 16. Srnka, K.J.; Reisinger, H.: Kleines Lexikon der Marketingbegriffe. Universität Wien; Lehrstuhl für Marketing; 1999 – www.bwl.univie.ac.at/bwl/mark/lexikon.htm, 14.08.2001 17. Zanger, C.: Produkt- und Prozessentwicklung. In: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 7: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft. Stuttgart: SchäfferPoeschel 1996 18. Stepan, A.: Produktion und Technologie. In: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 1993 19. Seeler, K. J.: Marktstrukturelle Auswirkungen neuer Produktionstechnologien – Eine Analyse am Beispiel der Computerintegrierten Produktionstechnologien (CIM). Baden-Baden 1993 20. Westkämper, E.; Zahn, E.; Balve, P.; Tilebein, M.: Ansätze zur Wandlungsfähigkeit von Produktionsunternehmen. wt – Produktion und Management 90 (2000) 1/2 21. Haller, E., Haepp, H. J.: Technologie- und Managementveränderungen in der Automobilindustrie. In: Stuttgarter Impulse: Technologien für die Zukunft/ FTK 2000; Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2000 22. Schuh, G., Friedli, T., Kunz, P.: Diskontinuitäten auf dem Weg zur Produktion der Zukunft. Industrie Management (2000) 5 23. Bleicher, K.: Normatives Management. In: Produktion und Management 1, Integriertes Management. Berlin: Springer 1999 24. Eversheim, W. u. a.: Innovativer mit dem Technologiekalender. Harvard Business Manager (1996) 1 25. Schuh, G. u. a.: Planung technologischer Innovationen mit einem Technologiekalender. io Management (1992) 3 26. Wildemann, H.: Fertigungsstrategien – Reorganisationskonzepte für eine schlanke Produktion und Zulieferung. München: Transfer-Centrum-Verlag 1994
3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management 3.3.1 Vorausdenken der Unternehmenszukunft Die Anforderungen an Unternehmen nehmen stetig zu: Die Produkte werden komplexer; die Produktlebenszyklen kürzer; fortschreitende Globalisierung und technologischer Wandel führen dazu, dass neue Wettbewerber in den Markt eintreten und Ertragspotenzia-
3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management
le schneller und konsequenter genutzt werden müssen. Einen Vorteil hat der, der die Produkte für die Märkte von morgen frühzeitig entwickelt und seine Geschäftsmodelle rechtzeitig erneuert. Nur wer so die Zukunftsfähigkeit schafft und erhält, wird unter den Bedingungen des verschärften Wettbewerbs nachhaltig erfolgreich sein. Jedes erfolgreiche Unternehmen ist daraus entstanden, dass jemand eine Chance oder ein Risiko früher als andere erkannt hat. Im Verlauf des Unternehmenslebens entsteht jeder Misserfolg aus spät erkannten Risiken und jeder Erfolg aus früh erkannten Chancen. Je eher Chancen und Risiken von der Unternehmensführung erkannt werden, desto größer ist der zur Verfügung stehende Handlungsspielraum des Unternehmens. Eine Voraussetzung für erfolgreiches strategisches Denken und Handeln ist das Vorausdenken der Zukunft. Allerdings verhindern viele Argumente eine notwendige Auseinandersetzung mit der Unternehmenszukunft: die Erfolge der Vergangenheit, das Tagesgeschäft, die Neigung, die Zukunft als Extrapolation der Gegenwart anzusehen, ihre „Unvorhersagbarkeit“ oder schlicht die Angst vor der Zukunft und das Verdrängen unangenehmer Maßnahmen. Dennoch bleibt es notwendig, zukünftige Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Zukunft basiert auf fünf Prämissen [1]: 1. Die Zukunft ist anders als die Vergangenheit – daher brauchen wir eine konsequente Auseinandersetzung mit zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten, 2. Veränderungen sind wahrnehmbar; die entsprechenden Indikatoren werden in der Praxis aber gern ignoriert, 3. Zukünftige Entwicklungen sind keine Fortschreibungen aktueller Trends, sondern können erheblich von Diskontinuitäten beeinflusst werden, 4. Eine Vorausschau zukünftiger Entwicklungen ist notwendig, weil der Handlungsspielraum mit fortschreitender Zeit immer stärker eingeengt wird und der Aufwand für wirkungsvolle Maßnahmen steigt, 5. Die Auseinandersetzung mit der Zukunft ist nachvollziehbare Denkarbeit. Im Folgenden stellen wir mit der Szenario-Technik eine bewährte Methode vor, um fundierte Vorstellungen
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von der Zukunft zu gewinnen und somit die Chancen für das Geschäft von morgen, aber auch die Bedrohungen für das etablierte Geschäft von heute frühzeitig zu erkennen. Es geht – nach K. S ONTHEIMER – bei der Szenario-Technik weniger um das Vorhersagen der Zukunft, sondern mehr um das Vorausdenken der Zukunft.
3.3.2 Grundlagen der Szenario-Technik Szenarien sind allgemeinverständliche und nachvollziehbare Beschreibungen möglicher Situationen von Märkten und Umfeldern in der Zukunft, in die das eigene Geschäft zu positionieren ist. Zukunftsszenarien beruhen auf einem vernetzten System von Einflussfaktoren, wobei für jeden Einflussfaktor mehrere denkbare zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten ins Kalkül gezogen werden können. Die Nutzung von Szenarien in der strategischen Führung bezeichnen wir als Szenario-Management [2, 3]. Das Denken in Szenarien basiert auf zwei Grundprinzipien: vernetztes Denken und multiple Zukunft (Abb. 3.18). Vernetztes Denken: Unternehmen sind als Teil eines Gesamtsystems in ein komplexes Netz von Einflussfaktoren eingebettet. Die Komplexität dieses Netzwerks nimmt fortwährend zu. Wechselwirkungen zwischen den Einflussfaktoren spielen eine immer größere Rolle und zwingen die Unternehmen in Systemen von vernetzten Einflussgrößen zu denken. Multiple Zukunft: Auf Grund der zunehmenden Dynamik des Wandels lässt sich die Zukunft immer weniger exakt vorhersagen. Die Anzahl der Fehlprognosen steigt. Daher müssen Unternehmen heute auf der Basis alternativer Entwicklungsmöglichkeiten – d. h. mehrerer „Zukünfte“ planen. Dies bringt der Begriff „multiple Zukunft“ zum Ausdruck. Die mit der Szenario-Technik zu unterstützenden Entscheidungen beziehen sich auf einen konkreten Gegenstand – z. B. auf ein Unternehmen oder eine Geschäftseinheit (Gestaltungsfeld). Die Entwicklungsmöglichkeiten des Umfelds (Szenariofeld) dieses konkreten Betrachtungsgegenstandes sollen anhand der entwickelten Szenarien erklärt werden.
142
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Abb. 3.18 Grundlagen der Szenario-Technik: Vernetztes Denken und multiple Zukunft
3.3.3 Vorgehen bei der Szenario-Technik Die Entwicklung von Szenarien erfolgt in drei wesentlichen Phasen (Abb. 3.19): • Szenariofeld-Analyse (Phase 1): Zunächst wird das Szenariofeld in geeignete Einflussbereiche zerlegt (z. B. ökonomisches, gesellschaftliches und technologisches Umfeld). Anschließend werden für diese Bereiche konkrete Einflussfaktoren definiert. Mit Hilfe der Einfluss- sowie der Relevanzanalyse werden die sog. Schlüsselfaktoren bestimmt. Die Einflussanalyse liefert eine Aussage über die Vernetzung der Faktoren im Gesamtsystem. Die Einflussfaktoren werden in die Zeilen und Spalten einer Einflussmatrix eingetragen und die Beeinflussungen zwischen den Faktoren bewertet. Die Auswertung der Matrix, die auch die indirekten Beeinflussungen berücksichtigt, liefert je Faktor eine Aktiv- und Passivsumme. Die Aktivsumme drückt aus, wie stark ein Faktor auf das Gefüge der Faktoren wirkt. Die Passivsumme zeigt, wie stark ein Faktor von den übrigen beeinflusst wird. Die Relevanzanalyse beruht auf einem paarweisen Vergleich der Einflussfaktoren. Hier steht die Frage im Vordergrund: Ist der Einflussfaktor A in der Zeile wichtiger für den Untersuchungsgegenstand
als der Einflussfaktor B in der Spalte? [4] Die Summen sind ein Maß für die Bedeutung eines Einflussfaktors für den Untersuchungsgegenstand. Einfluss- und Relevanzanalyse unterstützen die Auswahl der Schlüsselfaktoren. Aus einer Menge von 50–100 Einflussfaktoren werden ca. 20 Schlüsselfaktoren bestimmt, die die Zukunft des Untersuchungsgegenstands am stärksten prägen. • Szenario-Prognostik (Phase 2): Mit der SzenarioPrognostik erfolgt der eigentliche „Blick in die Zukunft“. Je Schlüsselfaktor sind charakteristische Entwicklungen mit einem festgelegten Zeithorizont zu erarbeiten. Diese Zukunftsprojektionen bilden die Grundlage für die zu bestimmenden Zukunftsszenarien. • Szenario-Bildung (Phase 3): Ziel dieser Phase ist die Entwicklung von Szenarien auf Basis der erstellten Zukunftsprojektionen. Eine paarweise Bewertung der Konsistenz der Zukunftsprojektionen (Konsistenzanalyse) ergibt die Basis für die Berechnung der Szenarien. Im Prinzip ist dabei die Frage zu beantworten: Wie plausibel ist das Auftreten der zwei Zukunftsprojektionen in einem in sich schlüssigen Zukunftsbild? Auf Basis dieser paarweisen Konsistenzbewertung werden automatisch hochkonsistente Kombinationen von Zukunftspro-
3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management
143
Abb. 3.19 Grundsätzliches Vorgehen bei der Szenario-Erstellung
Abb. 3.20 Auswahl von Einflussfaktoren aus der Wissensbasis und Bestimmung der Schlüsselfaktoren für ein Szenario-Projekt
jektionen ermittelt, die so genannten Projektionsbündel. In einem Bündel ist von jedem Schlüsselfaktor genau eine Projektion enthalten. Bündel, die einander ähneln, werden mittels Clusteranalyse zusammengefasst [5]. Dementsprechend ist ein Szenario ein Cluster von Zukunftsprojektionen, die gut zusammenpassen.
Die Übertragung der Szenarien auf die Entscheidungsprozesse der strategischen Unternehmensführung wird als Szenario-Transfer bezeichnet. In Abschn. 3.3.6 ist dargestellt, wie die hier betrachteten Markt- und Umfeldszenarien in den Prozess der strategischen Führung eingebettet sind.
144
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Abb. 3.21 Bearbeiten von Schlüsselfaktoren und Zukunftsprojektionen
3.3.4 Online-Wissensbasis zur Markt- und Umfeldprognose Die Erfahrung zeigt, dass ein erheblicher Teil von Einflussfaktoren und Zukunftsprojektionen für eine Branche weitgehend gleich ist. Daher liegt es nahe, diese
Abb. 3.22 Ermitteln konsistenter Zukunftsbilder
für eine Branche zu erfassen, aufzubereiten und regelmäßig zu aktualisieren. Eine solche Wissensbasis dient zur Unterstützung der Szenario-Entwicklung. Die Wissensbasis stellt einen Leitfaden zur systematischen Prognose der Entwicklung von Märkten und Geschäftsumfeldern zur Verfügung. Sie enthält im Wesentlichen Einflussfaktoren, deren Zukunftsprojek-
3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management
tionen und entsprechende Indikatoren. Ferner enthält die Wissensbasis Technologietrends. Auch hier gibt es einen erheblichen Teil, der branchenweit von Interesse ist, und einen weiteren Teil, der unternehmensspezifisch zu behandeln ist. Durch diese Wissensbasis entsteht den Unternehmen ein erheblicher Nutzen, weil ein wesentlicher Teil der Informationen, die ein Unternehmen benötigt, um eine Geschäfts- oder Produktstrategie zu erarbeiten, leicht zugänglich ist. Für ein einzelnes Unternehmen können die branchenbezogenen Einflussfaktoren und Projektionen um unternehmensspezifische ergänzt werden. Im Folgenden gehen wir auf die Nutzung der Wissensbasis in einem Szenario-Projekt ein. In einem ersten Schritt werden aus der Wissensbasis die Einflussfaktoren ausgewählt, die für ein konkretes Szenario-Projekt relevant sind. Für jeden Faktor, der in der Wissensbasis enthalten ist, wurde die Ist-Situation recherchiert und in einem Steckbrief präzise beschrieben. Die fundierte und präzise Darstellung der heutigen Situation basiert auf Indikatoren, die ebenfalls in der Wissensbasis bereitgestellt werden. Sie sind mit dem jeweiligen Faktor verknüpft. Die Indikatoren sind Größen, die direkt erhoben werden und eine Einschätzung der Entwicklung des zugehörigen Faktors erlauben. Die denkbaren Entwicklungen der Faktoren, die Projektionen, sind ebenfalls in den jeweiligen Steckbriefen enthalten. Die Auswahl an Faktoren aus der Wissensbasis wird um Faktoren ergänzt, die für die spezifische Fragestellung des Projektes erforderlich sind. Für diese Zusammenstellung müssen dann die Einfluss- und die Relevanzanalyse durchgeführt werden. Hierfür kann ein Unternehmen die in der Wissensbasis hinterlegten Bewertungen nutzen. Eine Möglichkeit besteht darin, die vorhandenen Bewertungen über eine Schnittstelle in die Scenario-Software (UNITY AG) zu importieren. Die Software befüllt eine Einfluss- und eine Relevanzmatrix mit den übermittelten Daten. Die fehlenden Bewertungen können direkt über die Benutzeroberfläche eingegeben werden. Einfluss- und Relevanzanalysen liefern Aussagen über die Vernetzung der Faktoren im Gesamtsystem und zur Bedeutung hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands. Auf dieser Grundlage erfolgt die systematische Auswahl der Schlüsselfaktoren für das Projekt. In Abb. 3.20 sind die Schritte dargestellt. Für die ausgewählten Schlüsselfaktoren aus der Wissensbasis können die vorhandenen Beschreibun-
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gen sowie die hinterlegten Zukunftsprojektionen genutzt, aber auch modifiziert werden. Für die spezifischen Faktoren und Zukunftsprojektionen sind die Beschreibungen zu ergänzen. Die Ergebnisse dieser Arbeitsschritte können in Form eines sog. Projektionskatalogs und als Datei zur weiteren Bearbeitung in der Scenario-Software ausgegeben werden (Abb. 3.21). Es folgt die Kombination der Zukunftsprojektionen zu in sich schlüssigen Szenarien. Hierzu wird die Konsistenzanalyse verwendet. Auch hier besteht die Möglichkeit, die Scenario-Software zu nutzen. Die Datei wird in die Software importiert. Hier wird eine Konsistenzmatrix mit den Faktoren und Zukunftsprojektionen befüllt. Vorhandene Bewertungen können überprüft, geändert oder einfach übernommen werden. Die fehlenden Bewertungen sind zu ergänzen. Die Software ermittelt hochkonsistente Projektionsbündel und fasst diese mittels Clusteranalyse zu sog. Rohszenarien zusammen. Die Rohszenarien werden später auf der Basis der Beschreibungen der Zukunftsprojektionen in Prosa beschrieben. Die multidimensionale Skalierung visualisiert die Szenarien (Abb. 3.22).
3.3.5 Entwicklung von Gestaltungsfeldszenarien als Grundlage für Geschäftsstrategien (VITOSTRA® ) Eine Strategie soll ein Unternehmen im Wettbewerb vorteilhaft positionieren. So hat P ORTER beispielsweise beobachtet, dass erfolgreiche Unternehmen Kombinationen von Tätigkeiten durchführen, die bei Konkurrenten nicht üblich sind, bzw. dort übliche Tätigkeiten auf eine ganz andere Weise ausführen und sich so einzigartige Positionierungen im Wettbewerb geschaffen haben [6]. M ARKIDES stellt fest, dass erfolgreiche Unternehmen nicht versuchen, die Strategien ihrer Konkurrenten zu kopieren oder zu übertrumpfen. Stattdessen haben sie einmalige Positionen eingenommen, die es ihnen ermöglichen, ein ganz anderes Spiel als die Konkurrenz zu spielen. Damit können sie einem direkten Effizienzwettbewerb ausweichen [7]. Offensichtlich kommt es darauf an, eine innovative Strategie zu finden, was jedoch einfacher gesagt als getan ist. In der Regel wird die Strategie eines Unternehmens von dem geprägt, was in der Branche gerade „en vogue“ ist.
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Eine Strategie ist eine spezifische Kombination von Einzelentscheidungen. Die Stellschrauben, über die ein Unternehmen solche strategischen Einzelentscheidungen treffen kann, sind die strategischen Variablen. Eine strategische Variable ist beispielsweise die Fertigungstiefe oder die Breite des Produktprogramms. Für jede strategische Variable bieten sich in der Regel alternative Handlungsoptionen an. Bezüglich der Fertigungstiefe kann sich ein Unternehmen zum Beispiel für eine hohe oder für eine geringe Fertigungstiefe entscheiden. Selbstredend sind die Ausprägungen präzis zu spezifizieren, so dass – wenn auch grob – es möglich ist, den Zeitaufwand und die Kosten für den Wechsel von einer Ausprägung auf eine andere Ausprägung abzuschätzen. Wie bei der Erarbeitung von Markt- und Umfeldszenarien werden auch hier die Kombinationen von Ausprägungen ermittelt, die in sich sehr konsistent sind. Der Unterschied ist lediglich der, dass wir bei Markt- und Umfeldszenarien mit Einflussfaktoren arbeiten, die von außen gegeben sind, und es sich bei den strategischen Variablen um Gestaltungsparameter handelt. Erstere lassen sich vom Unternehmen nicht beeinflussen; das Unternehmen muss versuchen, ihnen gerecht zu werden. Letztere sind die Stellgrößen des Managements.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Um die konsistenten Kombinationen von Ausprägungen der strategischen Variablen zu ermitteln, erfolgt eine Konsistenzanalyse. Diese beruht ebenfalls auf einer paarweisen Beurteilung der Konsistenz in einer Konsistenzmatrix. Das Ergebnis sind konsistente Kombinationen von Handlungsoptionen. Eine derartige Kombination ist eine in sich schlüssige Strategie, die je strategischer Variable genau eine Ausprägung beinhaltet. Wir bezeichnen solche hochkonsistenten Kombinationen als Idealstrategien bzw. Strategiealternativen. Damit wird aber noch keine Aussage getroffen, ob diese Strategien für das betrachtete Unternehmen zu empfehlen sind. Um dies bewerten zu können, ist die Ermittlung der Positionen der Mitbewerber und der Position des betrachteten Unternehmens erforderlich. Die Idealstrategien sowie die Positionen der Mitbewerber und die Position des betrachteten Unternehmens werden mit Hilfe der multidimensionalen Skalierung visualisiert (Abb. 3.23). Danach liegen Strategien, die sehr unterschiedlich sind, weit auseinander. Sehr ähnliche Strategien liegen nah beieinander [8]. Der Abstand ist ein grobes Maß für den monetären und zeitlichen Aufwand, um von einer Strategie auf eine andere zu wechseln. In der Regel gruppieren sich die Mitbewerber um eine Idealstrategie, wie das ja auch für das Cluster um
Abb. 3.23 Visualisierung von Idealstrategien und der Positionen der Mitbewerber sowie der Position des betrachteten Unternehmens mit Hilfe der multidimensionalen Skalierung (MDS)
3.3 Strategische Unternehmensführung mit Szenario-Management
die Idealstrategie I der Fall ist. Das betrachtete Unternehmen und auch einige andere wie K1, K7 und K8 verfolgen offensichtlich Handlungen, die zumindest partiell inkonsistent sind. Hier drängt sich besonders auf, den Mix der Handlungen zu überprüfen. Ziel ist nun, die Strategiealternative mit dem höchsten Erfolgspotenzial für das betrachtete Unternehmen zu identifizieren. Hierbei sind folgende zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: • Erreichbarkeit der Strategiealternativen: Die Erreichbarkeit berücksichtigt den finanziellen und zeitlichen Aufwand der mit einem Strategiewechsel einhergeht und beachtet zusätzlich mögliche Eintrittsbarrieren. • Attraktivität der Strategiealternativen: Sie resultiert aus dem Marktpotenzial, zu welchem das Unternehmen in einer solchen Positionierung Zugang hat, der erwarteten Wettbewerbsintensität, der Erschließung der in der strategischen Analyse und Prognose ermittelten Nutzenpotenziale sowie der Übereinstimmung mit unternehmensindividuellen Zielen. Je größer die Attraktivität einer Strategiealternative ist und je leichter sie für ein Unternehmen erreichbar ist, desto höher ist ihr Erfolgspotenzial.
3.3.6 Szenario-Management im Prozess der strategischen Führung Aus unserer langjährigen Erfahrung in Beratungsprojekten haben wir den in Abb. 3.24 dargestellten Prozess der strategischen Führung entwickelt. Dieser besteht aus den vier klassischen Phasen Analyse, Prognose, Strategieentwicklung und Strategieumsetzung. Jede der vier Phasen ist mit einer grundsätzlichen Frage verknüpft, die zu beantworten ist: 1. Analyse: Wo stehen wir und welche Handlungsmöglichkeiten haben wir heute? Zunächst ist es notwendig, festzustellen, wo man selbst – als Unternehmen, Geschäfts- oder Funktionsbereich – derzeit steht. Diese Analysephase lässt sich in eine (interne) Unternehmensanalyse und eine (externe) Markt- und Wettbewerbsanalyse gliedern. Als Ergebnis liefert diese Charakterisierung der Ausgangssituation die gegenwärtigen Stärken und
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Schwächen des Unternehmens im Wettbewerb und die aktuellen Ansatzpunkte, die Position im Wettbewerb zu verbessern. 2. Prognose: Welche Handlungsoptionen haben wir in der Zukunft? Hier geht es um den Blick in die Zukunft. Zur Ausleuchtung des Zukunftsraums verwenden wir die vorgestellten Methoden Szenario-Technik und VITOSTRA® . Dieser systematische Blick in die Zukunft umfasst damit sowohl die Zukunft des Unternehmens (Lenkungsszenarien, VITOSTRA® ) als auch die Zukunft des Unternehmensumfeldes (Markt- und Umfeldszenarien). 3. Strategieentwicklung: Welchen Plan verfolgen wir warum? Hier erfolgen die Entwicklung der unternehmerischen Vision und die Beschreibung des Weges, diese zu verwirklichen. Die unternehmerische Vision umfasst • eine grundsätzliche Zieldefinition in Form eines Leitbildes, • die Festlegung der wichtigsten Fähigkeiten in Form von strategischen Kompetenzen bzw. strategischen Erfolgspositionen sowie • die strategische Positionierung durch Festlegung der Wettbewerbsarena sowie der darin auszuführenden Wettbewerbsstrategien. Aus allen drei Elementen der unternehmerischen Vision ergeben sich wiederum Handlungsoptionen, die die Möglichkeiten beschreiben, wie das Unternehmen dieses grundsätzliche Ziel erreichen könnte. Mit der Auswahl und Zusammenstellung geeigneter Handlungsoptionen entstehen strategische Programme sowie Konsequenzen und Maßnahmen, die die Strategie komplettieren. 4. Strategieumsetzung: Liegen wir auf Kurs und gelten die Annahmen noch? Dies ist „die vergessene Phase“, denn die Vernachlässigung der Umsetzung hat die strategische Führung der 70er und 80er Jahre häufig in Misskredit gebracht. Es geht hier • um die konsequente Umsetzung der in der Strategie formulierten Maßnahmen bspw. mit der Balanced Scorecard (Umsetzungscontrolling), • um die Kontrolle des Erfolgs der entwickelten Strategien (strategisches Controlling) sowie
148
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Abb. 3.24 Prozess der strategischen Führung
• um ein regelmäßiges Umfeld-Monitoring im Sinne eines Prämissencontrollings. Dabei können Veränderungen in den Märkten und Umfeldern leicht durch die in der vorgestellten Wissensbasis abgelegten Indikatoren wahrgenommen werden. Diese messbaren Größen zeigen auf, ob die Annahmen, die den Szenarien zugrunde liegen, noch gelten.
3.3.7 Strategisch planen mit dem Internet-Portal innovations-wissen.de Im Rahmen des BMBF-Verbundprojekts „Strategische Produkt- und Prozessplanung (SPP)“ wurden in sechs Mitgliedsfirmen des VDMA das SzenarioManagement sowie weitere Methoden und Werkzeuge der strategischen Planung erfolgreich eingeführt [9].
In diesem Zusammenhang entstand eine Wissensbasis, die Leitfäden, Prozessschritte, Methoden, Vorlagen, Checklisten und Beispiele enthält. Die Projektpartner, das Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn (Prof. Gausemeier), das Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen (Prof. Schuh), der Lehrstuhl für Produktentwicklung der TU München (Prof. Lindemann) sowie die UNITY AG, haben die Wissensbasis zum Internet-Portal für Strategie- und Innovationswissen weiterentwickelt (http://www.innovationswissen.de). Das Portal enthält aktuell 65 speziell im Kontext strategischer Planung beschriebene Methoden. Diese sind prägnant erläutert und anhand eines aussagekräftigen Bildes visualisiert (Abb. 8, mittlerer Teil). Daneben gibt es zu den meisten Methoden Fallbeispiele aus den beteiligten Unternehmen des Verbundprojekts. Der besondere Clou ist jedoch, dass zu jeder Methode gleich die passenden Arbeitsblätter (ExcelVorlagen, Checklisten etc.) hinterlegt sind. Im rech-
Literatur
149
Abb. 3.25 Das Fachportal innovations-wissen.de
ten Teil von Abb. 3.25 ist ein Beispiel für eine ExcelVorlage dargestellt. Wird die Szenario-Technik als Methode zur Vorausschau verwendet, so hat der Benutzer auch Zugriff auf die oben erläuterte Wissensbasis mit den Einflussfaktoren, die an das Portal angebunden ist. Zusammen mit den bereitgestellten Vorlagen und Beschreibungen von innovations-wissen.de entsteht ein leistungsstarkes Instrumentarium zur Vorausschau, das die rasche und effiziente Erstellung von Szenarien ermöglicht. Als eine weitere Möglichkeit des Einstiegs in die praktische Arbeit mit dem Portal wird eine strategische Kurzanalyse angeboten. Anhand einer kurzen Fragesystematik hinsichtlich der Unternehmenssituation wird dem Anwender eine von fünf strategischen Stoßrichtungen (Marktdurchdringung, Marktinnovation, Produktinnovation, Markt-Produkt-Innovation und Technologieinnovation) vorgeschlagen. Jeder strategischen Stoßrichtung ist ein Leitfaden zugeordnet. In Abb. 3.25 (linker Teil) ist exemplarisch der Leitfaden Marktdurchdringung dargestellt. Jedem Prozessschritt
sind Methodenalternativen zugeordnet und Hinweise zur Methodenauswahl (Aufwand, Methodenkenntnis etc.) hinterlegt. Der Anwender kann die Methoden für die entsprechende Aufgabe individuell zusammenstellen und unter „My Innovation“ abspeichern.
Literatur 1. Gausemeier, J.; Ebbesmeyer, P.; Kallmeyer, F.: Produktinnovation – Strategische Planung und Entwicklung der Produkte von morgen. München/Wien: Hanser 2001 2. Gausemeier, J.; Plass, C.; Wenzelmann, C.: Zukunftsorientierte Unternehmensgestaltung – Strategien, Geschäftsprozesse und IT-Systeme für die Produktion von morgen. München/Wien: Hanser 2008 3. Fink, A.; Siebe, A.: Handbuch Zukunftsmanagement – Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. Frankfurt am Main/New York: Campus 2006 4. Grienitz, V.: Technologieszenarien – Eine Methodik zur Erstellung von Technologieszenarien für die strategische Technologieplanung. Dissertation, Fakultät für Maschi-
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5.
6. 7.
8.
9.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung nenbau, Universität Paderborn, HNI-Verlagsschriftenreihe, Band 151, Paderborn 2004 Backhaus, K.; Erichson, B.; Plinke, W.; Weiber, R.: Multivariate Analysemethoden – eine anwendungsorientierte Einführung. 10. Aufl. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2003 Porter, M. E.: Nur Strategie sichert auf Dauer hohe Erträge: Harvard Business Manager (1997) 3, S. 42–58 Markides, C.: So wird Ihr Unternehmen einzigartig: Ein Praxisleitfaden für professionelle Strategieentwicklung. Frankfurt am Main/New York: Campus 2002 Bätzel, D.: Methode zur Ermittlung und Bewertung von Strategiealternativen im Kontext Fertigungstechnik. Dissertation, Fakultät für Maschinenbau, Universität Paderborn, HNI-Verlagsschriftenreihe, Band 141, Paderborn, 2004 Gausemeier, J.; Lindemann, U.; Schuh, G.: Planung der Produkte und Fertigungssysteme für die Märkte von morgen – Ein praktischer Leitfaden für mittelständische Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus. Frankfurt am Main: VDMA Verlag 2004
3.4 Qualität als entscheidender Wettbewerbsfaktor Kann in einer Zeit, in der Slogans wie „geiz ist geil“ salonfähig geworden sind, überhaupt noch die Qualität als entscheidender Wettbewerbsfaktor gelten? Muss der eherne Qualitätsanspruch nicht der Globalisierung und dem Kostendruck auf die Unternehmen weichen? Oder entscheidet gerade aus diesen Gründen die Qualität über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens? Zuerst sollte die Herkunft des Wortes „Qualität“ geklärt sein. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen, von qualitas: das bedeutet Eigenschaft oder Beschaffenheit. „Qualität“ zielt somit nicht nur auf das Endprodukt oder die Dienstleistung ab, sondern kann auch Bereiche wie Unternehmensorganisation, Service, Marketing oder den Verkaufspreis umfassen. Obwohl der Begriff „Qualität“ im umgangssprachlichen Gebrauch oft automatisch mit „hochwertig“ in Verbindung gebracht wird, ist er im eigentlichen Sinn wertneutral. Wer entscheidet also darüber, welche Qualität ein Produkt oder eine Leistung hat? Letztendlich entscheidet es der Kunde, indem er zufrieden ist oder unzufrieden. Folglich bestimmt er auch, ob Qualität ein entscheidender Wettbewerbsfaktor ist, oder anders ausgedrückt, welche Qualitätsmerkmale einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen.
Abbildung 3.26 veranschaulicht, wie sich Wettbewerbsvorteile im Laufe der Zeit geändert haben. Dabei ist entscheidend, dass sich die Begriffe nicht ablösen, sondern aufeinander aufbauen. War es bis in die 70er Jahre noch ein Vorteil, eine möglichst hohe Produktivität zu erzielen, erkannten fortschrittliche Unternehmen bereits, dass dies zukünftig nicht ausreichen wird. Die Bindung der Kunden an das Unternehmen sichert weitere Geschäfte. Die Produktivität wurde zur notwendigen Bedingung. Auch die Kundenbindung reichte bald nicht mehr aus. Um am Markt bestehen zu können, mussten die Unternehmen ihre Prozesse effizienter gestalten und neue Wege im Management betreten. In dieser Phase unterstützte die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen und Managementmodellen, wie die ISO 9 000-Familie und das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM), die organisatorische Entwicklung der Unternehmen. Die Top-Unternehmen konnten sich so untereinander in unterschiedlichen Qualitätswettbewerben messen und vergleichen, in Deutschland zum Beispiel durch den Ludwig Erhard Preis. Derzeit findet der Übergang zwischen Business Excellence und Nachhaltigkeit statt. Die Erfahrungen aus dem Niedergang der „new economy“ haben eines deutlich gemacht: es kann nicht das Ziel sein, kurzfristige Werte zu generieren. Die unternehmerische Verantwortung gebietet es auch, diese Werte über einen langen Zeitraum zu erhalten. Dazu zählen Börsenwerte ebenso wie umwelt- oder gesellschaftsbezogene Werte. Nicht zuletzt sind viele Arbeitnehmer und private Kleinanleger durch den Kollaps einer ganzen Branche in existenzielle Nöte gelangt.
Abb. 3.26 Entwicklung der Wettbewerbsvorteile
3.4 Qualität als entscheidender Wettbewerbsfaktor
Welche Entwicklung sich an die Nachhaltigkeit anschließt, ist derzeit noch offen. Bereits heute wird prognostiziert, dass die zukünftigen Herausforderungen im Bereich Ressourcenverwendung liegen. Der steigende Rohstoffverbrauch zusammen mit der ständig wachsenden Weltbevölkerung unterstützt diese These. Die Unternehmen, die schon heute diese Herausforderungen angehen und sich Wege und Methoden überlegen, wie sich unter diesen Randbedingungen Produkte entwickeln, produzieren, verkaufen und in den Kreislauf zurückführen lassen, werden zukünftig einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben. Abbildung 3.27 verdeutlicht, dass es nicht mehr ausreichen wird, allein die Produktions- und Entstehungskosten eines Produktes in den Fokus zu nehmen. Zunehmenden Einfluss gewinnen die Phasen nach der Nutzung. Hier ist zu beachten, welche Kosten ein Produkt in der Recyclingphase verursachen wird. Die Hersteller werden mehr und mehr in die Verantwortung genommen, indem sie zur Zurücknahme ihrer Produkte verpflichtet werden. Die Altfahrzeugverordnung (AltfzgV, seit 28.06.2002 gültig) und das Elektroaltgerätegesetz (ElektroG, seit 24.03.06 gültig) sind Beispiele dafür. Die dabei entstehenden Kosten werden sich auf den Profit negativ auswirken. Also müssen sich zukunftsorientierte Unternehmen schon heute Gedanken machen, wie sie ihre Produkte nach der Nutzungsphase wieder verwenden oder recyclen wollen. Großen Einfluss auf die Recyclefähigkeit eines Produktes hat die Auswahl der Rohstoffe und Herstellungsverfahren. Demnach liegt bei der Entwicklung
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von Produkten – in den Phasen zwischen Innovation und Produktionsplanung – noch Potenzial. Die Festlegungen, die hier getroffen werden, wirken sich nachhaltig im Produktlebenszyklus aus und sorgen somit für den Wettbewerbserfolg. Auch bei den Managementsystemen haben sich bereits Entwicklungen ergeben, mit denen auf die kommenden Situationen reagiert werden kann. Das Life Cycle Management (LCM) ist ein Ansatz, mit dem der gesamte Produktlebenszyklus abgebildet werden kann. Unternehmen bewegen sich klassisch in dem bekannten Spannungsfeld zwischen Kosten, Qualität und Zeit. Sie können sich bestimmter Mechanismen bedienen, z. B. der Unterstützung durch EDV-Lösungen, der Anwendung von Methoden oder der Gestaltung von Prozessen und Systemen. Die Schwierigkeit liegt darin, diese Felder sinnvoll in Einklang zu bringen. Dazu ist ein neuer und praktikabler Ansatz bekannt. Wie in Abb. 3.29 gezeigt, ist es möglich, die Produktlebenszeit gepaart mit den Regelungsmöglichkeiten eines Unternehmens in einem Schaubild darzustellen. Hierin finden alle wesentlichen Einflussbereiche eines Unternehmens über die zeitliche Entwicklungsschiene eines Produktes Beachtung. Diese Darstellungsform bietet einen wesentlichen Vorteil. Ein Unternehmen kann im Schaubild darstellen, über welche Kompetenzen es innerhalb der Würfel verfügt, z. B., welche Methoden es anwenden kann, um hinsichtlich Kosten, Zeit und Qualität in einer definierten Produktlebensphase ein unternehmerisches Optimum zu erreichen. Darüber hinaus wird erkennbar, welche Kompetenzen miteinander kombiniert werden können, um Synergieeffekte zu erzielen. Des Weiteren kann auch der Umkehrschluss gezogen werden. Über das Schaubild kann offen gelegt werden, welche Defizite ein Unternehmen auf dem
Qualität
Kosten Abb. 3.27 Produktkostenbetrachtung nach Westkämper
Zeit
Abb. 3.28 Das Qualitätsdreieck
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Abb. 3.29 Life Cycle Cube nach Schloske
Abb. 3.30 Kombinationsmöglichkeiten im LCM
Gebiet des Life Cycle Managements hat. Wo fehlen Kompetenzen, wo mangelt es an organisatorischem Wissen? Aus dieser Erkenntnis lassen sich wichtige strategische Entscheidungen für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens ableiten. Sicherlich ist es aus heutiger Sicht zu kostspielig und riskant, komplett neue Wege zu erforschen. Schnellere Erfolge können unter Zuhilfenahme bereits bekannter Vorgehensweisen erreicht werden. Jedes Unternehmen verfügt über Erfahrungen bei der Anwendung von Methoden oder Strategien. Diese können genutzt werden, indem sie, je nach Aufgabenfeld, neu kombiniert werden. Die so modifizierten Methoden können dann für einen neuen Anwendungsfall eingesetzt werden. Durch geschicktes Kombinieren von organisatorischem Wissen und Kompetenzen können wesentliche Vorteile im Bereich Qualität, Zeit und Kosten erzielt werden. Zudem wird die Planungssicherheit bei Neu-
entwicklungen gesteigert. Aus diesen Faktoren lassen sich mit Sicherheit Vorteile erzielen. Qualität ist und bleibt ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Qualität nicht im Einzelnen, sondern in der Gesamtheit. Zukünftig wird der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch über die Produkt- und Organisationsqualität hinaus Bedeutung finden. Als Qualität wird dann auch bewertet, wie sich ein Produkt im gesamten Lebenszyklus verhält. Der Kunde wird messen, welchen Ressourcenverbrauch ein Produkt in der Entstehungs-, Nutzungs- und Recyclingphase hat und entsprechend entscheiden. Um im Zuge der Globalisierung und den knapper werdenden Rohstoffen den Wettbewerbern die entscheidende „Nasenlänge“ voraus zu sein, müssen sich die Unternehmen darauf konzentrieren, wie sie diesen neuen Kundenforderungen gerecht werden können, ohne ihre Produkte teurer zu machen und damit unattraktiv werden zu lassen.
3.5 Integrationsmanagement
Literatur 1. Zink, K. J.: TQM als integratives Managementkonzept: das Europäische Qualitätsmodell und seine Umsetzung. München: Hanser 1995 2. Linß, G.: Qualitätsmanagement für Ingenieure mit Handbuch Qualitätsmanagement auf CD-ROM. 2. Aufl. München: Hanser 2005
3.5 Integrationsmanagement Die Gestaltung und Lenkung einer zukunftsführenden Unternehmensentwicklung bedarf integrativer Konzepte des Managements. Damit sollen Fehlentwicklungen vermieden werden, wie sie bei vielen Unternehmen zu beobachten sind, die mit unverbundenen Teilansätzen und -lösungen der wachsenden Komplexität unternehmerischer Herausforderungen entgegentreten. Es entstehen hier durch vielfältige Insellösungen, die wenig zueinander passen und in der Folge außerordentlicher Anstrengungen bedürfen, um sie einigermaßen beherrschen zu können. Traditionelle hierarchisch-bürokratische und technokratische Koordinationsmuster versagen dabei ihren Dienst vor dem Hintergrund ihres zumeist inakzeptabel langen Zeitanspruchs zur Problembewältigung und der sich verändernden Werthaltungen der Betroffenen. Es ist daher eine vordringliche Aufgabe, dem Management Konzepte anzubieten, die eine Integration bereits per se und nicht erst über aufwendige Nachbesserungen durch vielfältige Koordinationsmaßnahmen ermöglichen. Dies ist zugleich die Funktion, die mit der Entwicklung des St. Galler Management-Konzepts, das diesem Kapitel zu Grunde liegt, angestrebt wird.
3.5.1 Komplexitätsbewältigung als Auftrag eines Integrationsmanagements Unternehmen treffen mit ihrer Zwecksetzung, die eine große Vielfalt von Aktivitäten bei ihren Mitarbeitern auslöst, auf ein extrem komplexes vernetztes Umfeld. Die stark gestiegene umweltbedingte Komplexität versuchen sie organisatorisch dadurch zu bewältigen, dass sie diese von außen auf sie zukommende Komplexität in ihrem Inneren über die Entwicklung von Mana-
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gementsystemen abfangen. Diese sollen eine Arbeitsteiligkeit der Beiträge vieler Mitarbeiter ermöglichen und diese zugleich auch in Ausrichtung auf den Unternehmenszweck koordinieren. Mit der Entwicklung, Gestaltung und Lenkung von Unternehmen in institutioneller, funktioneller und personeller Hinsicht leistet das Management damit einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung von Komplexität im Ausgleich von externen und internen Entwicklungsströmen. Jeder durch Zentrifugalkräfte der arbeitsteiligen Glieder im Inneren eines Systems bedingte „Misfit“ und jede Unausgeglichenheit mit den Anforderungen der Umwelt bedingt Störungen und Ergebniseinbrüche. Derartige unintegrierte Entwicklungen sind die Ursachen für vielfältige kritische Situationen, die vor dem Hintergrund der sich beschleunigenden Dynamik dann, wenn sie nachhaltig auftreten, die Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit eines Unternehmens gefährden können. Eine besondere Anforderung an ein auf Integration ausgerichtetes Management ergibt sich damit durch die Bewältigung des Wandels. Hier scheint sich eine zunehmende Lücke in den menschlichen Möglichkeiten zum Umgang mit der Dynamik bei seiner Bewältigung aufzutun. Die gegenwärtigen Symptome gesellschaftlicher Instabilität machen eine zunehmende Verunsicherung der Menschen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung deutlich. „Volatility“, die zunehmende Schwankungsbreite vor allem ökonomischer Größen, und „instability“ der systemischen Zusammenhänge kennzeichnen schlagwortartig den kritischen Zustand unserer Umwelt, dem sich ein Management stellen muss. Hinzu tritt die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich diskontinuierlich verlaufende Entwicklungen gegenseitig aufschaukeln und sich zu Turbulenzen verdichten, die uns vor Herausforderungen stellen werden, auf die wir auf Grund der zahllosen interdependenten Verflechtungen unserer Welt nur mangelhaft vorbereitet sind. Eine Art „Zeitschere“ scheint sich geöffnet zu haben, die eine deutliche Lücke in der Komplexitätsverarbeitung von Unternehmen bei einer sich beschleunigenden Dynamik zeigt. Auf der einen Seite besteht eine Nachfrage nach einer sich laufend erhöhenden Reaktionsgeschwindigkeit von Unternehmen. Auf der anderen Seite verhält sich das Angebot an Problembewältigungszeiten insbesondere seitens größerer und älterer Unternehmen eher gegenläufig (Abb. 3.31). Strukturelle und kulturelle Erstarrungstendenzen sind dafür genauso verantwortlich zu
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Anpassungszeit
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Benötigte Reaktionszeit bei wachsender Komplexität Verfügbare Reaktionszeit bei zunehmender Dynamik
1900
Wachsende Komplexität und Dynamik
2000
Abb. 3.31 Die Zeitschere
machen wie das Festhalten an bislang bewährten Führungsmethoden, die sich allerdings unter dem Einfluss einer zunehmenden Dynamik vielfach als obsolet erweisen. Zukunftsweisende Strukturen und Kulturen, die geeignet sein sollen, einen schnellen Wandel zu bewältigen, müssen vor allem den Kriterien der Offenheit und Dynamik genügen. Für die konzeptionelle Durchdringung der dabei auftretenden Interdependenzen bedarf es eines Bezugsrahmens, der Orientierung und Transparenz für die Integrationsnotwendigkeiten arbeitsteilig differenzierter Systeme schafft. Die folgenden Ausführungen greifen auf einen derartigen Ansatz zurück, indem sie das Integrationsmanagement anhand des vom Verfasser mitgestalteten St. Galler Management-Konzepts darstellen. Als „Lebenshilfe“ bei der Bewältigung von Führungsproblemen in Theorie und Praxis wird mit diesem Ansatz versucht, nicht nur vielfältige Beiträge der Managementlehre zu strukturieren, sondern auch situationsbezogen Problemerkenntnis und -lösung zu vermitteln. Dies sollte insbesondere den praktizierenden Manager ansprechen, der sich in einer Zeit zunehmender Veränderungen und unter dem Eindruck der Vielfalt angebotener Management-Instrumente häufig überfordert fühlen mag. Der vermittelte Bezugsrahmen und das darauf abgestimmte Vorgehenskonzept sollen ihn auf das Wesentliche hinführen, ihm eine Hilfe für das Erkennen seiner Integrationslücken geben und ihm eine Definition wesentlicher Anpas-
sungsschwerpunkte an den sich vollziehenden Wandel ermöglichen. Die erkennbaren Veränderungen in Theorie und Praxis des Managements betreffen vor allem die veränderte Positionierung von heute deutlicher erkennbaren Inhalten des normativen und strategischen Managements und die Neigung zu verstärkt integrativen Ansätzen im Management.
3.5.2 Dimensionen eines Konzepts integrierten Managements Auf der Suche nach neuen Denkansätzen, die es gestatten, differenzierte Lösungen für die dargestellten gewachsenen Herausforderungen an das Management zu erarbeiten, empfiehlt es sich, drei Dimensionen zu unterscheiden [1], eine normative, strategische und operative Dimension. Sie akzentuieren logisch voneinander abgenzbare Problemfelder, die durch das Management zu bearbeiten sind. Eine derartige Unterscheidung wäre jedoch fehlverstanden, wenn sie zur Grundlage arbeitsteiliger Zuständigkeitsverteilungen für unterschiedliche Kategorien des Managements verwendet werden würde. Im Sinne einer integrierten Managementbetrachtung ist daher von der gegenseitigen Durchdringung aller im Folgenden zu differenzierenden Dimensionen auszugehen. Mag die vorgängige Strukturierung wesentlicher Sachverhalte zunächst den vordergründigen Eindruck einer skeletthaften Strukturierung erwecken, so akzentuiert sie jedoch die zu analysierende, zu beurteilende und zu gestaltende Interdependenz einzelner Sachverhalte im Rahmen vernetzter Beziehungen [2]. 3.5.2.1 Normatives und strategisches Management gestaltet, operatives Management lenkt die Unternehmensentwicklung Normatives und strategisches Management einerseits und das operative Management andererseits bilden gleichsam die beiden Seiten einer Medaille. Auf Konzeptionen fußend sind erstere auf die Rahmengestaltung ausgerichtet, in dem der operative Vollzug des situativen Führungsgeschehens im „Day to Day Business“ geschieht. Während dem Normativen und Strategischen eher eine Gestaltungsfunktion zukommt, ist es
3.5 Integrationsmanagement
Aufgabe des operativen Managements, lenkend in die Unternehmensentwicklung einzugreifen. Da die Bezeichnung St. Galler Management-Konzept im Grunde genommen nur für die normative und strategische Dimension gilt, denn im operativen Management geht es um den konzeptgeleiteten Vollzug, werden in diesem Beitrag lediglich die Beziehungen der normativen und strategischen Beziehungen zum Operativen betrachtet, ohne auf diese Vollzugsdimension selbst einzugehen. Diese Dimensionen sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Zwischen ihnen vollziehen sich vielfältige Vor- und Rückkopplungsprozesse. Einerseits werden konzeptionelle Vorgaben normativer und strategischer Art wegweisend für operative Dispositionen. Andererseits werden unplanbare Ereignisse als Hindernisse für die Realisierung von Vorgaben erkennbar, die eine Veränderung von Zukunftsvorstellungen und Strategien zu ihrer Umsetzung bedingen.
Normatives Management Die Ebene des normativen Managements beschäftigt sich mit den generellen Zielen des Unternehmens, mit Prinzipien, Normen und Strategien, die darauf ausgerichtet sind, die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen (vgl. [3]). Die Notwendigkeit, die Lebensfähigkeit eines Unternehmens über eine Gewährleistung ihrer Identität sicherzustellen, wird überlagert durch das Streben, Voraussetzungen für die Fähigkeit zur Unternehmensentwicklung zu schaffen. Entwicklungsfähigkeit umschließt auch eine qualifizierte Veränderung in Richtung eines positiven, sinnvollen Wandels. Ausgehend von einer unternehmerischen Vision ist unternehmenspolitisches Handeln und Verhalten zentraler Inhalt des normativen Managements. Unternehmenspolitik wird durch die Unternehmensverfassung wie durch die Unternehmenskultur getragen. Die Legitimität des Unternehmens wird zum Maßstab für das normative Management. Das normative Management richtet sich auf die Entwicklung von Nutzenpotenzialen für Bezugsgruppen aus. Sie definieren die Zwecke des Unternehmens im Umfeld der Gesellschaft und Wirtschaft und vermitteln den Mitgliedern des sozialen Systems Sinn und Identität im Inneren und Äußeren. Das normative Management wirkt in seiner konstitutiven Rolle begründend für die Aktivitäten des Managements.
155
Strategisches Management Das strategische Management leitet sich von den Missionen des normativen Managements ab. Im Mittelpunkt strategischer Überlegungen stehen verschiedene Betrachtungsobjekte. Zum einen sind die zu verfolgenden Produkt- und Regionalprogramme sowie Funktional-(entlang der Wertschöpfungskette) und Ressourcenprogramme von großer Bedeutung. Zum anderen die grundsätzliche Auslegung von Strukturen und Systemen sowie des lernenden Problemlösungsverhaltens ihrer Träger. Die Lernfähigkeit eines Systems wird dabei zum Schlüssel für die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens. Strategisches Management ist auf den Aufbau, die Pflege und die Ausbeutung von Erfolgspositionen gerichtet, denen Ressourcen gewidmet werden müssen. Aloys Gälweiler [4], auf den der Begriff des Erfolgspotenzials zurückgeht, definierte Erfolgspotenziale als „das gesamte Gefüge aller jeweils produkt- und marktspezifischen erfolgsrelevanten Voraussetzungen, die spätestens dann bestehen müssen, wenn es um die Realisierung geht“. Diese Definition wurde durch Cuno Pümpin unter der Bezeichnung strategische Erfolgspotenziale SEPot [5] über die reine Betrachtung von produkt- und marktspezifischen Aspekten hinaus und in Beziehung zu wesentlichen wettbewerbsrelevanten Aspekten des Unternehmens erweitert. Bestehende Erfolgspositionen drücken die im Zeitablauf gewonnenen Erfahrungen eines Unternehmens mit Märkten, Technologien und sozialen Strukturen sowie Prozessen aus. Sie schlagen sich in der Marktposition nieder. Neue Erfolgspositionen stellen auf die Entwicklung von Bedingungen ab, die zukünftig geeignet sind, entsprechenden Nutzen aus Vorsprüngen gegenüber dem Wettbewerb zu erzielen. Eine starke Prägung eines Unternehmens durch gegebene, herausragende Erfolgspositionen sagt nichts darüber aus, ob auch hinreichende Anstrengungen zum Aufbau neuer, zukunftsführender Erfolgspositionen unternommen werden. Die Bezugsgröße des strategischen Managements leitet sich von denen des normativen Managements (Unternehmenspolitik) – also von der Vorstellung einer Sicherung von Entwicklungs- und Lebensfähigkeit – ab. Im Mittelpunkt strategischer Überlegung steht neben Programmen die grundsätzliche Auslegung von Strukturen und Systemen des Managements sowie das Problemlösungsverhalten ihrer Träger.
156
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Während das normative Management begründend für Aktivitäten wirkt, ist es Aufgabe des strategischen Managements, ausrichtend auf Aktivitäten einzuwirken. Operatives Management Normatives und strategisches Management finden ihre Umsetzung im operativen Führungshandeln, das im Ökonomischen auf leistungs-, finanz- und informationswirtschaftliche Prozesse ausgerichtet ist. Zu dem Aspekt der wirtschaftlichen Effizienz operativen Managements tritt die Effektivität des Führungshandelns im sozialen Zusammenhang des Mitarbeiterverhaltens. Sie drückt sich vor allem in der Kooperation und vertikaler wie horizontaler Kommunikation von sozial relevanten Inhalten aus. Die Funktion des operativen Managements besteht darin, die normativen und strategischen Vorgaben vollziehend in Operationen umzusetzen. Abbildung 3.32 fasst diesen grundsätzlichen Zusammenhang von normativem, strategischem und operativem Management zusammen.
3.5.2.2 Aktivitäten, Strukturen und Verhalten wirken auf die Unternehmensentwicklung ein Die dargestellten Dimensionen sind – wie im Aspekt der Vor- und Rückkopplung zwischen ihnen jeweils angedeutet – auch in vertikaler Sicht zu betrachten. Dabei durchziehen drei Aspekte die Dimensionen des Normativen, Strategischen und Operativen. Sie problematisieren wesentliche Integrationsaspekte zwischen konzeptionell-gestalterischem Wollen und führungsmäßiger Umsetzung des Erstrebten. Dies geschieht zunächst durch die Konkretisierung von Normen über Missionen zu Programmen, die schließlich in Aufträge durch Vorgaben für Aktivitäten umgesetzt werden. Ein weiterer Aspekt umfasst strukturelle Führungshandlungen, die über alle drei Dimensionen mittels der Organisations- und Managementsysteme sowie Dispositionssysteme konkretisiert werden. Letztlich dienen beide Aspekte der Beeinflussung menschlichen Verhaltens im Wechselspiel von Werthaltungen, strategischem Denken und Lernen wie der Leistungsorientiertheit im operativen Sinne.
Management Philosophie Normatives Management
Vertikale Integration
Unternehmensverfassung
Organisationsstrukturen Managementsysteme Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme
Unternehmenspolitik Missionen Strategisches Management Programme Operatives Management Aufträge
Unternehmenskultur
Problemverhalten
Horizontale Integration
Leistungsund Kooperationsverhalten Verhalten
Strukturen Aktivitäten Innere UE
Unternehmensentwicklung Innere und Äußere UE Äußere UE
Abb. 3.32 Zusammenhang von normativem, strategischem und operativem Management
3.5 Integrationsmanagement
157
Integration durch Aktivitäten Unter dem Aspekt der Handlungsaufforderung sind aus der normativen Dimension heraus unternehmenspolitische „policies“ der Entwicklung von Nutzenpotenzialen als Vorgaben für das strategische und operative Vorgehen der Zweckerfüllung des Unternehmens zu entwickeln. Derartige Missionen werden in der strategischen Dimension durch Programme konkretisiert, die Handlungsträgern zugeordnet werden. Sie gelten für längere Zeiträume und umfassen vielfältige Teilaspekte zum Aufbau, zur Nutzung und Pflege strategischer Erfolgspositionen. Die daraus ableitbaren Einzelhandlungen erfahren in der operativen Dimension in Form von Aufträgen und Projekten eine weitere handlungsauffordernde Konkretisierung. Als Integrationsproblem stellt sich die gegenseitige Abstimmung von unternehmenspolitischem Wollen, strategischen Programmen und operativen Aufträgen, die getragen sind vom operativ Machbaren.
Integration durch Strukturen Das Managementhandeln wird in der normativen Dimension von der Unternehmensverfassung legitimiert und kanalisiert. Dieser strukturelle Aspekt erfährt in der strategischen Dimension in der Gestaltung der Organisation und von Managementsystemen eine weitere Konkretisierung. Im Operativen drückt sich
Umwelt
Shareholder
der strukturelle Aspekt im raum-zeitlich gebundenen Ablauf von Prozessen aus, die durch Dispositionssysteme gesteuert werden. Über eine wechselbezügliche Gestaltung • • • •
von Normen der Unternehmensverfassung, der Aufbauorganisation, von Managementsystemen, der operativen Ausrichtung von Prozessorganisationen und • Dispositionssystemen erfolgt eine strukturelle Integration. Integration durch Verhalten Die vergangenheitsgeprägten Unternehmenskulturen bestimmen in der normativen Dimension das Zukunftsverhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens im strategischen und normativen Handeln. Während in der normativen Dimension die Verhaltensbegründung im Mittelpunkt des politischen Prozesses des Unternehmens steht, erfolgt in der strategischen Dimension eine Konkretisierung des erstrebten Verhaltens im Hinblick auf die Rollen der Träger und ihres Führungs- und Lernverhaltens. In dieser Weise ist es Aufgabe des strategischen Managements, verhaltensleitend zu wirken. Die operative Dimension wirkt sodann auf das Leistungsverhalten im Arbeitsprozess ein, das durch die Führung zu fördern ist. Ihr kommt die Funktion zu, verhaltensrealisierend zu wirken.
Arbeitsmarkt
Zulieferer
Staat Markt Wettbewerber Fremdkapitalgeber Unternehmen
Kunden Sonstige
Abb. 3.33 Systembezug von Potenzialen
158
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
3.5.2.4 Integration der Dimensionen des Managements vor dem Hintergrund der Unternehmensentwicklung
3.5.2.3 Integration durch Potenzialbildung
Die Darstellung von Modulen eines integrativen Managements lässt sich – wie eingangs dargestellt – im Sinne der „Corporate Dynamics“ als gestaltender und lenkender Einfluss auf die Unternehmensentwicklung
Management Philosophie Normatives Management
Unternehmensverfassung
Unternehmenspolitik Missionen
Operatives Management Organisatorische Leistungs- und Prozesse KooperationsAufträge Dispositionsverhalten systeme Strukturen Verhalten
SEPos
SEPot Bündelung
strategisch operativ
NUP g tun h c i sr Au
Wettbewerbspositionierung
Fähigkeiten Unternehmen
Objekt
Begründend
Nutzenstiftung für Bezugsgruppen
Nutzenpotenziale
Ausrichtend
Entwicklung von Bedingungen für zukünftige Wettbewerbsvorteile
Strategische Erfolgspotenziale, Strategische Erfolgspositionen
Vollziehend
Konzeptgeleitete Lenkung der Unternehmensentwicklung
Fähigkeiten
Unternehmensentwicklung
Abb. 3.34 Bezug von Potenzialen zu Managementdimensionen
Umwelt
Abb. 3.35 Brückenfunktion strategischer Erfolgspositionen und strategischer Erfolgspotenziale
Bezugsgröße
Aktivitäten
Markt Systembezug
Funktion
Unternehmenskultur
Organi- Strategisches Management sationsProblemProgramme strukturen verhalten Managementsysteme
Managementdimension
Strategische Erfolgspotenziale (SEPot) beruhen auf der integrierten Entwicklung von (Kern-)Fähigkeiten des Unternehmens durch das Management unter Nutzung von vorhandenen oder bereitzustellenden Ressourcen. Strategische Erfolgspotenziale bilden wiederum die Voraussetzung für den Aufbau von Nutzenpotenzialen für Bezugsgruppen, wie aus Abb. 3.33 und 3.34 hervorgeht. Strategische Erfolgspositionen (SEPos) richten folglich den von unternehmensspezifischen Fähigkeiten getragenen operativen Leistungserstellungsprozess auf die Ausschöpfung definierter Nutzenpotenziale (NUP) aus. Ihnen kommt damit eine wesentliche Integrationsfunktion des von Unternehmensfähigkeiten getragenen Prozesses der Leistungserstellung und der potenziellen Nutzenstiftung für relevante Umsysteme zu (Abb. 3.35). Aus dem Kreis möglicher Potenziale ragen bedeutungsmäßig drei strategische Potenzialkategorien heraus: Marktbeziehungs-, Technologie- und das diese attributierende Managementpotenzial als Teil eines umfassenderen Humanpotenzials des Unternehmens (Abb. 3.36).
normativ
Insgesamt ist über alle drei Dimensionen hinweg eine Verhaltensintegration herbeizuführen.
Analytisch
Dezionistisch
Welche Möglichkeiten haben wir ?
Was wollen wir ?
KF
Fähigkeiten
Potenzialorientierte Programmwidmung
Potenziale
KF
Anforderungen Reduktion
Nutzenentwicklung
159
KF
Ressourcen
3.5 Integrationsmanagement
Strategie Operationalisierung 2. Integration 1. Integration Perzeptionen Synthetisierend
Evolution
Präferenzen Reduktionistisch
Inhalte Q K D Z
Nutzenentwicklung Wertsteigerung Sinnstiftung
Normativ
Potenzial-Harmonisierung
Humanpotenzial Technologiepotenzial
Marktbeziehungspotenzial
Ressourcen
Strategisch
Fähigkeiten
Operativ
4
3
2
1
Rückkopplung
Abb. 3.36 Potenzialarten und deren Konstituierung und Verknüpfung
in der Zeit begreifen. Je nach Phase der Entwicklung, in der sich ein Unternehmen befindet, ergeben sich dabei unterschiedliche Probleme und Lösungsrichtungen für das normative, strategische und operative Management (Abb. 3.37).
Krisenhafte Schwellenübergänge von einer Phase in eine andere lassen sich nur durch eine vorauseilende Veränderung von Aktivitäts-, Strukturund Verhaltensprofilen bewältigen, soll nicht eine Restrukturierung einen Rückfall in frühere Entwick-
160
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Krise
Umsatz
2 ?
1
Krise
Y
?
Krise X
C
B Krise
A
Krise t Pionierphase
Markterschließung
Diversifikation
Akquisition
Kooperation
äußere Unternehmensentwicklung
innere Unternehmensentwicklung
Restrukturierung innere und äußere UE
* konsolidierende Schrumpfung * Repositionierung * Fusion * Verkauf
* Joint-Venture * Strategische Allianzen
* strategisches Programm-Portfolio * Führung von Tochtergesellschaften * Internationalisierung
* Controlling * Divisionale Reorganisation * Zentralbereiche: Zentral vs. dezentral
*Markterschließung * Funktionale Organisation * Überbelastung der Spitze * Führungssysteme
* Technologie-Beherrschung * Produktgestaltung
Erhöhung der Komplexität durch:
Abb. 3.37 Phasen der Unternehmensentwicklung
lungsphasen oder gar die Aufgabe des Unternehmens notwendig machen. Dies wirft die Frage nach einem zweckmäßigen Management of Change auf, dem Übergang von einem ineffektiven Vorgehen zu einem zukunftsträchtigen neuen Profil durch ein gezieltes Innovationsmanagement. Dabei sind soziale Systeme in ihrer Anpassungsfähigkeit leicht überfordert. Dies führt, anstatt Neues zu erarbeiten, im Wandel häufig zu vielfältigen Akzeptanzproblemen, zu einem Zurückziehen auf ein Sicherheit suchendes und versprechendes Verhalten. Es ist daher im Rahmen unternehmerischer Dynamik ratsam, derartige Überforderungssituationen zu vermeiden und Veränderungs- und Beharrungszyklen
wechseln zu lassen. Ein derartiges Vorgehen gewährleistet nach einer Lernetappe eine effiziente Nutzung des Erlernten. Es muss jedoch begleitet sein von einer langfristigen Zeitperspektive der Beteiligten, ohne die ein Verständnis für die von Zeit zu Zeit notwendigen Anpassungsmaßnahmen nicht erwachsen kann. Ein derartiger Wechsel von Veränderung und Beharrung ist zudem durch unternehmenspolitische und strategische Fragestellungen einer Unternehmensentwicklung als normal einzustufen: Zwischen sich verdichtenden Knoten einer Unternehmensentwicklung, die ein grundsätzliches Umdenken in allen Dimensionen des Unternehmensgeschehens verlangen
3.5 Integrationsmanagement
(Restrukturierung), ergeben sich mehr oder weniger lange Strecken eines durchaus positiv zu sehenden Gleichlaufs. Dieser wird zumeist von der effizienten Multiplikation einer sich am Markt bewährenden unternehmerischen Idee getragen. Unternehmen allerdings, die wenig visionär und langfristig an ihre normativen und strategischen Aufgaben herangehen, sehen sich nicht selten vor Situationen gestellt, in denen sich verpasste Anpassungsmaßnahmen plötzlich zu bedrohlichen Konstellationen „aufschaukeln“, ohne dass ausreichend Zeit für eine planvolle und integrierte Vorgehensweise verbleibt. Dies sind typische Anlässe, die zu einem Krisenmanagement mit meist radikalen Eingriffen in die Unternehmensentwicklung führen [6].
3.5.3 Die integrierende Kraft einer Managementphilosophie Durch die spezifischen Kontexte und Situationen, die einzelne Etappen einer Unternehmensentwicklung als Herausforderungen an das Management stellen, werden unterschiedliche Führungsprobleme akzentuiert. Dennoch bleiben breite Kanäle für deren Lösung, in denen das Management eine konkrete Kursbestimmung für das Verhalten der Mitarbeiter vornehmen muss. Hierzu bedarf es einer Leitidee, welche die Wahl unter alternativen Verhaltenskursen erleichtert. Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass jede Führungskraft in ihrem Denken und Handeln von derartigen erziehungs- und erfahrungsmäßig geprägten „Modell“ vorstellungen über Zusammenhänge und einem ihnen gerecht werdenden Verhalten getragen wird. Unreflektiert und nicht kommuniziert bilden gerade diese grundlegenden Annahmen [7] eine Quelle von Missverständnissen und Konflikten, deren tieferliegende Ursachen kaum hinterfragt werden. Wesentliche Voraussetzung einer Integration durch das Management ist daher die Klärung von Wesen und Inhalten einer Managementphilosophie als Ausgangspunkt für das Gewinnen von Transparenz über die paradigmatischen Grundlagen des Handelns. Unter einer Management-Philosophie werden dabei „ . . . die grundlegenden Einstellungen, Überzeugungen, Werthaltungen verstanden, welche das Denken und Handeln der maßgeblichen Führungskräfte in einem Un-
161
ternehmen beeinflussen. Bei diesen Grundhaltungen handelt es sich stets um Normen, um Werturteile, die aus den verschiedensten Quellen stammen und ebenso geprägt sein können durch ethische und religiöse Überzeugungen wie auch durch die Erfahrungen in der bisherigen Laufbahn einer Führungskraft“ [1]. Zwei Aspekte kennzeichnen eine Managementphilosophie: Zunächst geht es im inhaltlichen Kern um grundlegende Annahmen über Werte und ein ihnen entsprechendes Verhalten. Damit Erkenntnisse über diesen paradigmatischen Kern einer Managementphilosophie auch kommunizierbar werden, um Prozesse einer Wertentwicklung möglich zu machen, die letztlich eine Werte-Integration und gemeinsame Sinnfindung gestatten, bedarf es der Wert-Erhellung. In ihrem Ergebnis stellt eine Managementphilosophie eine alle Dimensionen des Unternehmens durchdringende Wert-Erhellung, Wert-Bekundung und Wert-Entwicklung dar [8]. Alle Mitarbeiter müssen sich in ihrem Verhalten an diesen in der Managementphilosophie zum Ausdruck kommenden Werten messen lassen. Der Wert einer Managementphilosophie wird durch eine nicht prinzipiengetreue Umsetzung im Normativen, Strategischen und Operativen des Managements geschmälert. Es enthüllt sich zugleich die untrennbare Verknüpfung von ganzheitlicher Integration in der Managementphilosophie und den Möglichkeiten einer Sinnfindung von Menschen im Unternehmen. Aus einer grundsätzlichen Gegenüberstellung unterschiedlicher Verpflichtungsgrade ergeben sich erste Ansätze einer Unterscheidung einer opportunistischen und einer Verpflichtungspolitik in der normativen Dimension einer Unternehmenspolitik, aus der managementphilosophische Konsequenzen im Strategischen und Operativen erwachsen. Im Bereich des strategischen Managements ist es die Programm- und Strukturplanung und die intendierte Entwicklung des Problem- und Lernverhaltens im Spannungsfeld von Stabilisierung und Veränderung. Von dieser konzeptuellen Prägung ist schließlich die Art des operativen Vollzugs in Projekten und Prozessen abhängig. In der hocharbeitsteiligen Welt moderner Organisationen ist weder die inhaltliche noch die formellverfahrensmäßige Generierung sozialethischen Verhaltens • im Verhältnis von Unternehmen zu Institutionen und Individuen der Umwelt,
162
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
• zwischen Individuen untereinander und • zur Institution „Unternehmen“
3.5.4 Die dynamische Integration der Dimensionen
selbstverständlich. Eine Unternehmensphilosophie als „moralische Willensbekundung“ [9] sollte daher als allgemeiner Mantel für eine Managementphilosophie helfen, diese Lücke zu schließen. Zukunftsführende Managementphilosophien werden in denjenigen Zeiten bedeutsamer und gesuchter, in denen unsere mangelnde Kapazität zur Problembewältigung ideologische und geistige Krisen heraufzubeschwören scheint. Dies sind zugleich Zeiten, in denen verengte Perspektiven, mangelndes ganzheitliches Denken, einseitige Ausrichtung an materialistisch-utilitaristischen Zielgrößen und die institutionalisierte Kurzfristigkeit des Denkens von Politikern und Managern auch eine Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit und Konsistenz des sozialethischen Wollens und Verhaltens von Unternehmen und Managern darbieten. Eine derartige Managementphilosophie hat zum Ziel, aus dem Kosmos unterschiedlicher Verhaltensmöglichkeiten der Mitglieder eines Systems diejenigen Verhaltensmöglichkeiten herauszufiltern, die als erstrebenswert gelten können und die die Grenzen inakzeptablen Verhaltens definieren. Mit dieser erstrebten Verhaltensreduktion wird ein erster prinzipieller Schritt zur Herbeiführung eines integrativen Vorgehens des Managements durch das Management gemacht. Die Integration zu einem von der Unternehmensphilosophie geleiteten Unternehmenskonzept bedeutet aber nicht nur eine ganzheitliche sachlogische Verknüpfung einzelner Module, sondern betrifft auch und vor allem die sozio-kulturelle Dimension des dialogischen Prozesses von Betroffenen und Beteiligten. Im Ergebnis bilden sich im Laufe der Zeit Verständigungspotenziale heraus, die es gestatten, eine Integration vor allem von Nutzenpotenzialen zu bewirken. Sie bilden „Voraussetzungen für die argumentative Konsensbildung über konfligierende Wertvorstellungen und Interessen in allen Gruppen, auf deren Zusammenarbeit oder Unterstützung das Unternehmen direkt oder indirekt angewiesen ist, zur vorausblickenden Sicherung ihrer Kooperationsbereitschaft“ [10]. Dies schließt innerorganisatorische Gruppen genauso ein wie Gruppen, die außerhalb des Unternehmens stehen, nämlich Kunden, Lieferanten, Partner und Vertreter anderer Interessengruppen.
3.5.4.1 Ganzheitliches Denken in vernetzten Systemzusammenhängen Einen weiteren Schritt stellt die Hinwendung des Denkens und Handelns des Managements auf ganzheitliche Problemlösungen im dargestellten dimensionalen Bezugsrahmen dar. Hierzu ist das Erkennen der vernetzten Beziehungszusammenhänge zwischen den Profilen einzelner Dimensionen eine wesentliche Voraussetzung (Abb. 3.38). Ganzheitliches Denken als Verhaltensprogramm eines integrierten Managements [11] sollte im Rahmen des durch die Management-Philosophie vorgezeichneten Verhaltenskanals einen Beitrag zur integrierten Problemlösung bewirken. Innerhalb des Gesamtkonzepts gilt es zunächst, in den einzelnen Modulen einen Ausgleich der unterschiedlichen Parameter zu finden. Diese sind sodann horizontal abzustimmen (horizontaler „Fit“), so z. B. auf der Ebene der strategischen Dimension zwischen • strategischen Programmen, • den Organisationsstrukturen und Managementsystemen zu ihrer Unterstützung und • dem zur Verwirklichung der strategischen Vorhaben notwendigen Problem- und Lernverhalten der Mitarbeiter. Damit werden die Profile der • Aktivitäts-, • Struktur- und • Verhaltensdimensionen inhaltlich miteinander abgestimmt. Vertikal gilt es die normativen Vorgaben mit der strategischen Ausrichtung und dem operativen Vollzug abzustimmen. Im Vorgehen sollten bei der Erarbeitung Ideen im Gleichschritt wachsen. Jeder segmentiellen Arbeitsweise steht der dabei implizit vorhandene Reduktionismus entgegen, der mit einer Komplexitätsverarbeitung einhergeht: In jedem Schritt werden Prämissen definiert, Ideen und Argumente verworfen sowie Einengungen in alternativen Denkweisen vorgenommen, um schließlich zu einem eng kanalisierten Ergebnis zu gelangen. Dabei wird zumeist das für ein ganz-
163
normative Dimension
normative Dimension
U.pol. Mission 1-8 U.pol. Mission U. verfass. U. kultur
strategische Dimension Struktur
Strat. Progr. Org.
Mgmt. sys. Prob. verh.
Unternehmungsentwicklung Kontext
U. verfass. 1-8
U. kultur 1-8
Unternehmensentwicklung Kontext
3.5 Integrationsmanagement strategische Dimension Strat. Progr. 1-8
Stuktur Probl. Org. Mgmtsy. verh. 1-8 1-8 1-8
1 2 3 4 5 6
1 8 1 8 1 8 1 8 1 8 1 8 1 8 1 2 3 4 5 6
Abb. 3.38 Beziehungsnetzwerk im Interdependenz-Zusammenhang des Konzepts
I Personenorientiert VIII
II
Eigenleistung und -Lenkung
Informal
VII
Fremdgestaltung und Lenkung SachSoll-Skalierung orienIst-Skalierung tiert DifferenStandardiFormal zierung sierung Steile EinzelfallRoutinisiert Konfiguspezifisch Starr ration Flexibel Zentral Organisation auf Dauer Flache Konfiguration Organisation auf Zeit VI IV Dezentral V
Abb. 3.39 Beispiel eines erarbeiteten Strukturprofils
III
164
heitliches Denken wesentliche Rückkopplungsprinzip verletzt: Die laterale Kommunikation möglichst vieler Ideen auf einem vernetzten Plateau sich gegenseitig anstoßender Denkvorgänge, um zu einer kreativen Gesamtschau eines erstrebenswerten Zukunftszustandes zu gelangen.
3.5.4.2 Die kooperative Erarbeitung ganzheitlicher Vorgehensprogramme Weiter ist zur Durchdringung wesentlicher Probleme eines integrierten Managements ein Vorgehensprogramm vorzusehen, das dem Management Wege zur Integration aufzeigt. Im Dialog und in Workshops lassen sich Fragestellungen problemspezifisch bearbeiten und in Maßnahmenpakete umsetzen. Jede dabei entdeckte Schwäche der feststellbaren Ist-Situation eines Unternehmens leitet dabei unmittelbar zu grundsätzlichen programmatischen und maßnahmenbezogenen Überlegungen über, um zu einer erforderlichen Neuorientierung zu gelangen. In Abb. 3.39 wird beispielhaft das Ergebnis eines Struktur-Workshops wiedergegeben, indem – hier in vereinfachter Darstellung – die Ist- und die Soll-Positionierung eines Geschäftsbereiches erfasst wird. Diese führt in einem nächsten Schritt zur Erarbeitung von Maßnahmen zur Überwindung der wesentlichsten Abweichungen. Maßgeblich aber ist, dass mit dem gleichen Ansatz Strategie- und Verhaltensprofile – neben anderen – erarbeitet und zur Deckung gebracht werden. Mit diesem Ansatz soll dem Manager eine Systematik für seine Gedankenführung an die Hand gegeben werden, die es ihm erleichtert, von isolierten Teillösungen Abstand zu nehmen, indem er anhand einer vorgegebenen Struktur für seinen Denk- und Dialogprozess Gesamtzusammenhänge erkennt und Interdependenzen von Entscheidungen in seine Überlegungen einbezieht. Diese Einsicht in die Gesamthaftigkeit auch isolierter Entscheidungen möge ihn zu Korrekturen bei seinem Vorgehen veranlassen, um damit einen konkreten Beitrag zur Entwicklung eines integrierten Managements leisten zu können. Denn letztlich sind es die ManagementFähigkeiten, die in einer Zeit hochdynamischer Veränderungen zum kritischen Wettbewerbsfaktor werden.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Literatur 1. Ulrich, H.: Management – Gesammelte Beiträge. Bern und Stuttgart: Haupt 1984 2. Gomez, P.: Modelle und Methoden des systemorientierten Managements. Bern und Stuttgart: Haupt 1981 3. Bleicher, K.: Normatives Management. Politik, Verfassung und Philosophie des Unternehmens. Frankfurt/M., New York: Campus 1994 4. Gälweiler, A.: Strategische Unternehmensführung. Frankfurt/M.: Campus 1987 5. Pümpin, C.: Management strategischer Erfolgspositionen. 3. Aufl., Bern und Stuttgart: Haupt 1986 6. Krystek, U.: Unternehmungskrisen. Wiesbaden: Gabler 1987 7. Schein, E.: Coming to a New Awareness of Organizational Culture. Sloan Management Review, (1984), S. 3–16 8. Probst, G.: Variationen zum Thema Managementphilosophie. Die Unternehmung, 37(1983)4, S. 322–332 9. Ulrich, H.: Unternehmungspolitik. 2. Aufl., Bern und Stuttgart: Haupt 1987 10. Ulrich, P.: Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft. Bern und Stuttgart: Haupt 1987 11. Ulrich, H.; Probst, G.: Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln. Ein Brevier für Führungskräfte. Bern und Stuttgart: Haupt 1988
Weiterführende Literatur Bleicher, K.: Das Konzept Integriertes Management. Frankfurt/M., New York: Campus 7. Aufl. 2004 und weitere folgende Schriften Gomez, P.; Zimmermann, T.: Unternehmensorganisation, Profile, Dynamik, Methodik. Frankfurt/M., New York: Campus 1992 Müller-Stelsens, G.; Lechner, Ch.: Strategisches Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2001 Pümpin, C.; Prange, T.: Management der Unternehmensentwicklung. Frankfurt/M., New York: Campus 1991 Schwaninger, M.: Managementsysteme. Frankfurt/M., New York: Campus 1994
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur Kultur ist eines der zentralen Elemente unserer Organisationen. Ob Unternehmen, Gewerkschaften, Parteien, Ministerien oder soziale Bewegungen, sie alle haben – außer in Phasen von Auflösung oder Niedergang – eine eigene und für sie charakteristische Kultur. Umgangssprachliche Vorstellungen wie: „Dieses
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
165
Denken, jene Ziele, diese Sichtweisen oder jenes Verhalten sind typisch für . . . “ und dann kommt der Name oder die Bezeichnung der Organisation . . . weisen darauf hin, wie tief verankert Vorstellungen von Organisationen als Kulturen [1] sind und wie verbreitet diese im alltäglichen Leben immer wieder bestätigt und verstärkt werden. Kultur ist aber mehr als Alltagserfahrung. Kultur ist ein theoretisches Konzept, das in vielen Bereichen hilft, Denkweisen, Wahrnehmungen, Ziele und Verhalten von Organisation als Ganzem oder einzelner ihrer Teile zu interpretieren, zu verstehen und in einen Kontext zu setzen. Kultur wird oft – in der akademischen Literatur wie auch im Alltagsleben – als zentraler Faktor für den Erfolg oder Nichterfolg von Unternehmen und anderen Organisationen angesehen.
der Wertorientierungen auseinandersetzen, die gemeinhin mit Wandel von den für die traditionelle Arbeitsgestaltung so wichtigen Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten umschrieben wird [6]. • Seit einigen Jahren hat sich der globale Wettbewerb immer weiter verschärft. Aus Sorge um die Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit richteten die Unternehmen ihr Interesse zunächst auf neue Produktions- und Organisationskonzepte. • Angesichts der damaligen Stärke der japanischen Wirtschaft begannen amerikanische wie auch europäische Unternehmen in den 80er Jahren, gezielt nach den Ursachen dieses Erfolges zu suchen. Hierbei wurden Faktoren identifiziert, die bislang in der vorherrschenden Managementliteratur kaum Beachtung gefunden hatten [7]. • Die technokratischen und rationalen Führungskonzepte, die in den 70er Jahren in den Unternehmen präferiert wurden, hatten die in sie gesetzten hohen Erwartungen enttäuscht und wurden mehr und mehr in Zweifel gezogen [8].
3.6.1 Unternehmenskultur – ein Konzept etabliert sich 3.6.1.1 Die „Kulturbeflissenheit“ der 80er/90er Jahre Wie so oft in der Managementforschung kam auch der Anstoß zur Diskussion über Organisationskultur aus den USA. Dort wurde das Thema in den frühen 80er Jahren „entdeckt“, und es fand kurze Zeit später Eingang in die deutschsprachige Managementliteratur. Entsprechend der instrumentalistischen Sichtweise vieler populärwissenschaftlicher Werke der ersten Jahre, so vor allem von Deal and Kennedy [2] und Peters and Waterman [3] wurden die Inhalte des Unternehmenskulturansatzes auch in Deutschland zunächst in rezepthaften Handlungsanweisungen oder als „neues Leistungsangebot des Consulting-Bereiches“ umgesetzt [4]. Unternehmenskultur galt als Managementinstrument. In dieser Form – und hier liegt bei aller Kritik sicherlich ein Verdienst dieser populären Abhandlungen – löste das Konzept der Unternehmenskultur in der Praxis großes und breit gefächertes Interesse aus. Die Gründe für diese Aufmerksamkeit sind vielfältig. Es sind insbesondere folgende Faktoren, die Unternehmenspraktiker in den ersten Jahren zu einer Auseinandersetzung mit dem Konzept der Organisationskultur veranlasst haben [5]: • In den westlichen Industriegesellschaften mussten sich die Unternehmen mit einer Veränderung
In dieser Situation zeigte sich, „dass mit den Rezepten der Vergangenheit die Probleme der Gegenwart und Zukunft nicht mehr zu lösen“ [9] waren; die Grenzen selbst einer hochentwickelten strategischen Planung traten zutage und lenkten das Interesse auf die Gestaltung der menschlichen Beziehungen im Betrieb [10]. Die kulturelle Dimension der Organisation wurde entdeckt oder – besser gesagt – wieder entdeckt; Konzepte wie Mythen, Legenden, Symbole und Rituale hielten Einzug in den Wortschatz von Organisationsforschern und Praktikern und dienten zur Beschreibung wie auch Analyse des Organisationsgeschehens. Dies ging bis zu oft übereifriger und wenig reflektierter Aneignung anthropologischer Kulturkonzepte. Der unrühmliche Abgang eines Firmenchefs, der öffentlich Fehler und Versäumnisse eingesteht, wird als Opferritual bezeichnet, Betriebsfeiern werden mit Fruchtbarkeitsritualen, Motivationsmeetings mit Regenbeschwörungen verglichen [11]. Trotz der Kritik von ethnologischer Seite an derartig plakativen Übertragungen [12] und der Warnungen vor einem RezeptbuchVerständnis von Unternehmenskultur [13] breitete sich der Glaube an den Erfolgsfaktor Kultur und dessen „Machbarkeit“ schnell und umfassend aus. So glaubten Peters und Waterman, im Widerspruch zu einigen von ihnen befragten Managern, acht spezifische Kul-
166
turelemente als entscheidende Erfolgsfaktoren identifizieren zu können [3], die bisher oder momentan erfolglose Unternehmen nur noch „nachbauen“ müssen. Unternehmenskultur wird damit als erfolgswirksames Instrument charakterisiert [14]. Ein derart instrumentalisiertes „Management-by-culture“ ließ Enttäuschungen wohl unvermeidlich werden [15]. Auch wenn Titel wie z. B. „Unternehmenskultur: ein Weg zum Markterfolg“ [16] oder „Organisationskultur – Die vier Erfolgsprinzipien“ [17] die Hoffnung nahe legen, dass „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ – so der deutsche Titel des Erfolgsbuches von Peters und Waterman – nun mit der Unternehmenskultur der Erfolgsfaktor gefunden sei, so widersprechen nicht nur konzeptionelle Bedenken, sondern auch empirische Ergebnisse der Vorstellung vom alleinigen Erfolgsfaktor Kultur (vgl. [18, 19], ebenso [20]). Realistischerweise sollte das Konzept der Organisationskultur als ein wichtiger Erklärungsansatz in der Organisationsforschung angesehen werden [1]. Er liefert Anhaltspunkte für die Analyse von Unternehmensverhalten und -Strategien, ergänzt also die traditionellen Ansätze und ist vielfältig mit ihnen verknüpft (vgl. [10, 21]). Hierbei ist die Einbeziehung der Anthropologie und ihrer Ansätze, Methoden und Ergebnisse ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine multi- wie interdisziplinäre Organisationsforschung (einen Überblick vermittelt die Bibliographie [22]; vgl. auch [12, 14, 23]). Nach mehr als zwanzigjähriger empirischer Forschung und konzeptioneller Entwicklung wird es sicherlich schwer fallen, die Diskussion um Unternehmenskultur als Modeerscheinung abzutun. Doch so grundlegend neu, wie es die dem Konzept in den 80er Jahren gewidmete Aufmerksamkeit vermuten ließe, sind die dahinter stehenden Ideen nicht. Das Interesse an den sozialen Zusammenhängen im Unternehmen und damit auch an Konzepten, die die Organisation aus einer kulturellen Perspektive analysieren, nahm vielmehr in der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre gerade im deutschsprachigen Raum einen wellenförmigen Verlauf. Neuberger und Kompa sehen im Kulturansatz eine „modernisierte Neuauflage der HumanRelations-Bewegung der 30er Jahre“ [24]. Ebenso wie jene in den Unzulänglichkeiten des Scientific Management wurzelt, ist der Unternehmenskulturansatz mit dem schwindenden Vertrauen in technokratische Managementmodelle verbunden. Einen weiteren Höhepunkt erlebte die Betrachtung innerbetrieblicher so-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
zialer Beziehungen in den 50er Jahren, als sich im angelsächsischen Raum die zweite Human-RelationsBewegung sowie verhaltenswissenschaftliche Ansätze dieses Themas annahmen [7]. Zu dieser Zeit fand mit dem 1951 von Jaques veröffentlichten Werk „The Changing Culture of a Factory“ [25] dann auch der Begriff „Kultur“ Eingang in die Diskussion der Organisationsforschung [5]. In Deutschland dominierte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Betriebswirtschaftslehre, die weitgehend die Produktivitätsbeziehungen und nicht den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt (Kurzübersicht z. B. bei [26]). Dieser Ansatz bediente sich vornehmlich quantifizierbarer mathematischer Methoden. Die Bevorzugung solcher häufig als „wertfrei“ bezeichneter Forschungsrichtungen kann u. a. auf geschichtliche Ursachen zurückgeführt werden. Ein Blick auf die Traditionslinien der „wertorientierten“ Betriebswirtschaftslehre in Deutschland weist auf eine mögliche Gefahr hin, die in einer überzogenen Wertebegeisterung liegen kann: In den 20er Jahren erlangte die ethisch-normative Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftliches Konzept in Deutschland hohe Bedeutung. Einen zentralen Punkt dieses Ansatzes bildete „die Idee der ,Betriebsgemeinschaft‘, die sich aus der damaligen gesellschaftlichen Forderung nach ,Gemeinwirtschaft‘“ ergab [7]. In überzogener Form und ideologischer Übersteigerung wurden diese Vorstellungen von der nationalsozialistischen Gemeinschaftsideologie vereinnahmt. Aus solchen „spezifisch deutschen Erfahrungen mit Wertebezug und Gruppenorientierung“ [4] resultierte nach dem Zweiten Weltkrieg eine tiefe Skepsis gegenüber ethisch-normativen Ansätzen, die auch heute noch nachwirkt. Krell sieht in verschiedener Hinsicht Parallelen zwischen dem Konzept der Betriebsgemeinschaft und dem der Organisationskultur. So sind nach ihrer Meinung beide Konzepte aus krisenhaften Situationen heraus entstanden, beide werden erlebt und gefühlt und damit „eher intuitiv erfasst“ und beiden ist ein Streben nach ganzheitlicher Betrachtung zu Eigen [27]. Solche Vergleiche sollten jedoch nicht zu einer generellen Abwendung vom Kulturansatz führen, sondern lediglich zu seiner Relativierung beitragen. Damit liegt denn auch das Verdienst des Unternehmenskulturansatzes vor allem darin, „das Menschliche“ wieder in den Blickpunkt der Organisationsforschung gebracht zu haben [5]. Interessanterweise ist in den beginnenden 90er Jahren ein Rückgang des Interesses an Organisa-
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
167
tionskultur in den relevanten Wissenschaften wie auch den Diskussionen der Wirtschaftspraxis festzustellen. Neue Konzepte – häufig als kurzfristige Moden schon wieder in den Hintergrund getreten wie Re-engineering, kurzfristiger Shareholder Value, Kernkompetenzen, aber auch die Wiederentdeckung von Fragen der Unternehmensverfassung unter dem Schlagwort „Corporate Governance“ – lösten die zentrale Stellung, die die Forschung zur Organisationskultur und ihrer Nutzung in der Praxis hatte, ab. Dies scheint sich jedoch seit den letzten Jahren wiederum zu verändern: Nicht nur sind viele Konzepte der 90er Jahre – als modisch und kurzatmig erkannt – wieder in den Hintergrund getreten; es lässt sich vielmehr eine Renaissance des Interesses an Organisationskultur erkennen. Drei Faktoren dürften hierfür ausschlaggebend gewesen sein:
Insofern sind Fragen der Unternehmenskultur in ihrer theoretisch-konzeptionellen Dimension wie aber auch in ihrem praktischen Nutzen wiederum eine zentrale Frage der Grundlagenforschung wie auch der Diskussionen und Experimente in der Praxis. Sie sind eingebettet in weitere Kontexte, vor allem des Lernens und des Wissensmanagements in Organisationen (siehe beispielsweise [22, 32, 33]) und haben die suchende Aufgeregtheit der Diskussion der 80er Jahre, ihrer letzten Boomphase, letztlich sicherlich zu ihrem eigenen Vorteil verloren.
• die Herausbildung der sog. New Economy, der von unterschiedlichen Seiten, insbesondere durch die in ihr arbeitenden Menschen, eine ganz andere Organisationskultur zugesprochen wird als sie die Old Economy auszeichnete [28] – eine Kultur, die in Teilen, wenigstens von den Unternehmen der Old Economy als attraktiv und damit übertragenswert angesehen wurde und somit entsprechende Forschungen stimulierte; • die an Zahl und Umfang immer mehr zunehmenden globalen und regionalen Fusionen und Unternehmensübernahmen, von denen generalisierend gesagt wird, dass „83% of all mergers and acquisitions produce no benefit for the shareholders. Interviews (. . . ) reveal that the overwhelming cause for failure is the people and the cultural differences“ [29]; „60% to 80% of all business combinations undergo a slow, painful demise“ [30]. • die wissenschaftliche Grundlagenforschung, die den Komplex von Organisationskultur zusammen mit Strukturkonzepten, Führungsverhalten und Leitbildern in einen umfassenden Erklärungsrahmen für die Fähigkeit von Organisationen zu lernen, Chancen und Risiken in ihrem Feld zu erkennen und Wissensressourcen zu mobilisieren, integriert. Organisationskultur wird so in ein umfassenderes Modell der lernenden Organisationen eingefügt, das wiederum angesichts des starken Wandels im Umfeld der Unternehmen hohe Aufmerksamkeit erfährt [20, 31].
3.6.1.2 Was ist Unternehmenskultur? Der Versuch einer umfassenden Definition Das hohe Interesse, das damit auch heute noch dem Konzept Unternehmenskultur entgegengebracht wird, hat zwar seiner Verbreitung genutzt, doch auch viel Verwirrung gestiftet. Sicherlich ist es positiv zu bewerten, dass sich sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an der Erarbeitung dieses Ansatzes beteiligten. Doch die unterschiedlichen disziplinären Forschungsperspektiven sowie die häufig zu kurz gegriffene Praxisorientierung haben neben der Vielfalt auch die inhaltliche Unklarheit des Konzeptes vergrößert [34]. Hieraus resultieren differierende und z. T. immer noch recht vage Definitionen. Erschwerend für die begriffliche Abgrenzung kommt hinzu, dass sich das Konzept der Unternehmenskultur leicht mit einem vorwissenschaftlichen Verständnis füllen lässt [35]. Die Gefahr besteht dann darin, dass in der Annahme zu wissen, was gemeint ist, an der Erforschung eines begrifflich nur unzureichend geklärten Phänomens gearbeitet wird. Spätestens an diesem Punkt des Diskurses wird die Wichtigkeit eines inhaltlichen Konsenses und einer Abgrenzung des Phänomens Unternehmenskultur deutlich [35]. Trotz der Unterschiede, die die einzelnen Versuche zur begrifflichen Klärung von Organisations- bzw. Unternehmenskultur aufweisen, lassen sich doch grundlegende Gemeinsamkeiten finden [36]. Sprachlich manifestieren sie sich in Begriffen wie „Werte, Grundannahmen, Kognitionen, Handlungsmuster“, die in den Definitionen immer wieder auftauchen [24]. Inhaltliche Gemeinsamkeiten zeigen sich darin, dass Kultur „gewöhnlich als soziales oder normatives Bindemittel definiert [wird], welches eine Organisation zusammenhält“ [37], bzw. dass Unternehmenskulturen als
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„geteilte Wahrnehmungs-, Denk-, Entscheidungs- und Verhaltensmuster“ verstanden werden [38]. In diesen Rahmen passt denn auch die Definition von Schein, die in der Literatur sehr weite Verbreitung gefunden hat. Er beschreibt Organisationskultur als „. . . the pattern of basic assumptions that a given group has invented, discovered, or developed in learning to cope with its problems of external adaptations and internal integration, and that have worked well enough to be considered valid, and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems“ [39]. Kurz und prägnant lautet dies bei Hofstede: „collective programming of the mind“ [40]. Allen diesen Definitionen liegt zugrunde, dass eine Gruppe von Individuen definiert werden kann, die die Organisation bildet: „If one cannot define the group, then one cannot define the culture of that group“ [41]. Diese Gruppe muss folgende Voraussetzungen erfüllen: • Sie muss gemeinsame Erfahrungen vorweisen. • Ihre Mitgliedschaft muss stabil sein, sodass die Erfahrungen von der Mehrzahl der Mitglieder geteilt werden. Kultur ist damit das, was als Erfolgserfahrung interpretiert und geteilt wird. Organisationskultur äußert sich sowohl in „hard facts“ als auch in „soft facts“. Sie drückt sich aus in der Architektur der Gebäude, der Organisationsstruktur oder der Gestaltung des Rechnungswesens, ebenso wie in den Firmenlegenden, den Zukunftsvisionen oder der Art der Mitarbeiterführung [42]. Die unterschiedliche Erkennbarkeit der unternehmenskulturellen Prägung verdeutlicht Schein in seinem Dreiebenen-Schema der Organisationskultur (Abb. 3.40), in dem der unterschiedliche „Bewusstseins-Grad“ der verschiedenen kulturtragenden Elemente deutlich wird [39]. • Auf der ersten Ebene liegen die sicht- und fühlbaren Ausprägungen der Unternehmenskultur (Artefakte), wie die Gebäude, die Raumeinrichtungen oder auch die Geschichten, die im Unternehmen erzählt werden. Anhand dieser Phänomene kann das Was und Wie einer Organisation beschrieben werden, jedoch die dahinterstehende Logik – das Warum – ist häufig nicht zu verstehen. • Die nächste Ebene bilden die Werte. Sie geben Aufschluss über das Warum, sind aber kaum direkt be-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Artefakte Technologie
Sichtbar, aber oft nicht zu entschlüsseln
Kunst sicht und hörbare sichtVerhaltensmuster
Werte
höhere Bewusstseinsebene
Grundannahmen Beziehung zur Umwelt Natur von Realität, Zeit und Raum
- unantastbar - unsichtbar - unbewusst
Natur der menschlichen Natur Natur der menschlichen Aktivitäten Natur der Beziehung zwischen Menschen Abb. 3.40 Bewusstseinsebenen von Kultur [39]
obachtbar. Meist müssen sie aus Interviewaussagen oder aus der Analyse schriftlichen Materials abgeleitet werden. Häufig werden hier nur die als erwünscht gelten den Werte wiedergegeben und als Handlungsgrundlage genannt. • Auf der dritten Ebene befinden sich die – typischerweise unbewussten – Grundannahmen, die die Wahrnehmung, das Denken und das Fühlen der Mitarbeiter bestimmen. Sie umfassen z. B. Annahmen über die Beziehung zur Umwelt, das Wesen des Menschen oder die Art der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die drei Ebenen stehen in Wechselbeziehungen zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Solche durch Erfolg gewachsene und in diesen Ebenen verankerte Ausprägungen einer Kultur werden von den Organisationsmitgliedern als gegeben angenommen und selten bewusst gemacht oder gar hinterfragt. Sie „wirken als eine Brille, durch die Situationen in einer bestimmten Weise gesehen (oder auch übersehen) und interpre-
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
169
tiert werden“ [43]. Organisationskultur kann als Filter verstanden werden, von dessen Durchlässigkeit die Sensibilität eines Unternehmens im Umgang mit internen und externen Anforderungen abhängt und die bestimmt, welche Handlungsalternativen als „richtig“ oder „falsch“ gelten. Unternehmenskultur stellt also nicht nur ein Bindeglied dar, sondern ist auch eine Einengung des Blickfeldes und eine Einschränkung von Handlungsalternativen [44]. Geht man prinzipiell davon aus, dass zwischen der Kultur eines Unternehmens und seiner Leistungsfähigkeit ein Zusammenhang besteht – wenn auch nicht so einfach wie in der populärwissenschaftlichen Literatur dargestellt –, so liegt in diesem Filtereffekt eine kritische Komponente von Organisationskultur. Gerade in komplexen und unübersichtlichen Situationen nehmen handlungsleitende Wertvorstellungen in hohem Maße Einfluss auf Managemententscheidungen. Auf die Vorteile einer solchen Unternehmenssteuerung durch Werte und Normen weisen z. B. Wilkins und Ouchi [45] hin. Ausgehend von der Transaktionskostentheorie argumentieren sie, dass Kultur – von ihnen verstanden als tief greifender Wert-, Wahrnehmungs- und Verhaltenskonsens – gerade dann anderen Steuerungsmechanismen überlegen ist, wenn die Rahmenbedingungen durch hohe Unsicherheit, hohe Komplexität und vielschichtige Interaktionsbeziehungen gekennzeichnet sind. Dann liegen die Kosten der Konsensbzw. Entscheidungsfindung durch eine auf Normen und Werten basierende Steuerung unter denen einer marktlichen oder bürokratischen Lenkung [45, 46]]. Ein solches „wertvolles“ Führungssystem stellt kein Problem dar, solange das „normative Gerüst“ des Unternehmens mit den Umfeldbedingungen harmoniert. In dieser Situation bietet die Unternehmenskultur eine wichtige Hilfe für die schnelle und kompetente Strategienbildung [47]. Doch im Gegenzug können tradierte Werte und Normen in einem sich schnell und dynamisch wandelnden Umfeld zu geradezu dramatischen Fehlentscheidungen führen. Die organisationskulturell bedingte Blickverengung verhindert häufig eine schnelle Anpassung an geänderte Anforderungen. Dies sollte, insbesondere im Hinblick auf die in der Literatur so gern behauptete Kausalität zwischen „starker“ Kultur und hoher Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, Anlass zur Vorsicht geben, zumal sich eine solche Beziehung wissenschaftlich nicht sicher nachweisen lässt [34]. Nach Scholz handelt es sich bei der Formulierung eines solchen Zusammenhangs
um einen Trugschluss [48]. In Repräsentativerhebungen zeigt es sich aber immer wieder, dass eine Mehrzahl der Führungskräfte eine starke oder ziemlich starke Ausprägung und Wertstetigkeit der Unternehmenskultur in ihrem Unternehmen konstatieren [19, 49]]. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die meisten Unternehmen heute kämpfen, lässt eine solch hohe Zahl kulturstarker Unternehmen allerdings Zweifel an einer unmittelbaren Kausalität von „starker“ Kultur und kurzfristigem wirtschaftlichen Erfolg aufkommen. Schein steht einer solchen Typologisierung von Kultur grundsätzlich kritisch gegenüber und hebt hervor, dass die „Stärke“ oder „Richtigkeit“ einer Kultur von der Beziehung zwischen ihren Grundannahmen und den Umfeldbedingungen abhängt [50]. In diese Richtung weisen auch die Ergebnisse empirischer Untersuchungen, wonach Kultur selektiv ist, das heißt, „dass eine bestimmte Unternehmenskultur für bestimmte Entwicklungslinien sensibilisiert [ist] und eine leichte und schnelle Zielfindung und -Durchsetzung in diesem Bereich ermöglicht, während sie in anderen Bereichen auf Handlungsnotwendigkeiten erheblich schwerfälliger reagiert“ [18, 37, 38]. Darüber hinaus zeigen empirische Ergebnisse auch, dass der langfristige Erfolg eines Unternehmens weniger von der Art der Unternehmenskultur abhängt als vielmehr von der Konsistenz zwischen der Kultur eines Unternehmens, seiner Führung sowie seinen Entscheidungs-, Kommunikations- und Informationsstrukturen [19]. Der Zusammenhang zwischen Kultur und Erfolg ist also ausgesprochen komplex. Zeitverzögerungen können etwa dazu führen, dass der Erfolg einer früheren und nicht der derzeitigen Strategie zugerechnet werden muss. Auch kann die Beziehung zwischen Kultur und Erfolg eher indirekt sein, wenn etwa ein Unternehmen aus ökologisch motiviertem Einsatz einer neuen Technik auch wirtschaftlichen Vorteil zieht. Ein weiteres Zurechnungsproblem ergibt sich, wenn eine Unternehmensstrategie der zu bewältigenden Anforderung zwar nicht ganz, aber doch in Teilen gerecht wird.
3.6.1.3 Entwicklung von Unternehmenskulturen Organisationskulturen erwachsen aus einem historischen Prozess [14], der verschiedene Phasen durchläuft [51]. Sie sind das Ergebnis von langwierigen Lern- und Selektionsprozessen [36]. Den Ausgangs-
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
punkt bilden Werte, Ziele, Wahrnehmungen, und Leitbilder, die von der Gründergeneration oder einer charismatischen Führungspersönlichkeit geprägt sind. Beispiele hierfür sind in Deutschland etwa Ludwig Bölkow, Robert Bosch oder Heinz Nixdorf [48]. Sie werden oft zu legendären Persönlichkeiten, auf die manchmal auch noch ein Jahrhundert später Bezug genommen wird (vgl. [18,19]). Insgesamt – so behauptet Uttal aufgrund seiner Untersuchungen – lassen sich etwa die Hälfte der Unternehmenswerte auf herausragende Persönlichkeiten des Unternehmens zurückführen. Die übrigen Normen und Werte entwickelten sich durch den Einfluss des Unternehmensumfeldes bzw. aus dem Wunsch der Mitarbeiter, ihrer Arbeit einen Sinn zuzuschreiben [10]. Diese wie nun auch immer gebildeten „Ausgangswerte“ bestimmen die Wahrnehmung und das Handeln der Unternehmensmitglieder. Sie beinhalten Annahmen über den Zusammenhang zwischen Verhalten bzw. gewählter Strategie und Erfolg. Der der Strategie zugerechneten Erfolg führt zu einer Verfestigung der zugrunde liegenden Werte. Die Werte, die Bestätigung erfahren, werden so im Laufe der Zeit als Selbstverständlichkeit verinnerlicht. Sie
werden zu Referenzpunkten für das zukünftige Verhalten der Unternehmensmitglieder. Handlungen der Mitarbeiter, die diesen Werten entsprechen, werden im Unternehmen als legitim angesehen. In der nun folgenden dritten Stufe der Kulturentwicklung tritt das Wissen um die Effekte des Verhaltens immer weiter zurück. Das Verhalten selbst oder die spezifische Strategie schreiben sich so tief bei den Mitarbeitern ein, dass sie als unternehmenstypisch und der Umwelt angemessen gelten. Sie bilden damit eine Grundannahme im Sinne Scheins. Diese Herausbildung von Grundannahmen wird durch Untersuchungen über das Lernen und Vergessen in und von Organisationen weitgehend bestätigt [52]. Der Entwicklungsprozess und seine Rolle für die Entstehung der Kultur einer Organisation nach Gagliardi ist in Abb. 3.41 dargestellt; den Zusammenhang der zentralen Faktoren nach Weber stellt Abb. 3.42 dar. So sehr die meisten Autoren hervorheben, dass die Lern- und Selektionsprozesse bei der Entwicklung einer Organisationskultur Zeit brauchen, so wenig werden jedoch klare Aussagen über den tatsächlichen Zeitbedarf unter unterschiedlichen Bedingungen im
Idealisierung der Erfolgserlebnisse Mystifizierung der neuen Kompetenz Idealisierung von Strategien Integration neuer Werte in alte Grundannahmen
innerorganisatorischer Zusammenhalt und Effizienz
Stabilisierung von Werten und Schaffung von Symbolen
kollektive Erfolgserlebnisse
innerorganisatorischer Zusammenhalt und Effizienz
kollektive Erfolgserlebnisse
Ausübung organisationsspezifischer Kompetenzen Erprobung neuer Kompetenzen
Konsolidierung neuer Kompetenzen
Abb. 3.41 Der Entwicklungsprozess und seine Rolle für die Entstehung und Veränderung der Kultur einer Organisation [51]
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
171
EXTERNE EINFLÜSSE, UMFELDBEDINGUNGEN
eigene Werte, Normen etc.
Individual-, Gruppenlernen
Individuen:
Erfahrungslernen auf Basis vorgegebener Lösungswege
Erfahrungen, Problemlösungsverhalten, Visionen
Individuen:
eigene Werte, Normen etc.
Individual-, Gruppenlernen
gezielter bzw. unbewusster Einsatz von Mechanismen zur Kulturverankerung
geteilte Erfolge
GRÜNDER/ FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEITEN
KLIMA
gezielte Artikulierung und Bekräftigung der verankerten Werte etc.
Lernen durch Angstvermeidung Lernen durch Angstvermeidung
gemeinsame geteilte Erfolgserlebnisse
Positives Verstärkungs -Lernen Positives Verstärkungs-Lernen Werte, Normen, Einstellungen
KULTUR
Erfahrungslernen ausschließlich auf Basis eigener Lösungsmuster Zeit
Kulturentstehung
Kulturentwicklung
Abb. 3.42 Kulturentstehung als evolutionärer Prozess des Gruppenlernens [86]
Rahmen konzeptioneller Abhandlungen oder auch auf der Basis empirischer Untersuchungen gemacht. Eine Ausnahme bildet hier Scholz. Nach ihm benötigt die Herausbildung einer Unternehmenskultur einen Zeitraum von etwa sieben Jahren; Alterungserscheinungen konstatiert er nach etwa 30 Jahren [48]. Doch muss die erste Aussage wohl zumindest situationsbezogen gesehen werden [53]; wogegen bei der zweiten der Grad der Stabilität des Umfeldes eine große Rolle spielen dürfte. Unternehmen, die in schnellen und sich tiefgreifend verändernden Umwelten agieren, müssen oft einen kürzerfristigen Kulturwandel durchleben und damit Anpassungen, Flexibilität und Lernen zum zentralen Element der Kultur machen. Die bislang empirisch nur wenig untersuchte Form des DeuteroLernens versucht dieses Phänomen konzeptionell zu erfassen [54].
3.6.1.4 Funktionen und Wirkungsweisen von Unternehmenskulturen Das hier dargelegte Konzept von Unternehmenskultur verdeutlicht einige ihrer Charakteristika, die im Gegensatz zu vielen populärwissenschaftlichen Abhandlungen stehen [35]:
• Die Kultur eines jeden Unternehmens ist aus seiner Geschichte, seiner Umwelt und seinen führenden Persönlichkeiten entstanden und damit einzigartig. Jedes Unternehmen hat seine typische und charakteristische Kultur, deren Ausprägungstiefe von der Dauer des Zusammenseins und der Homogenität der Ausgangsbasis bestimmt wird [28]. Daher können auch keine allgemeinen Prinzipien für mehr oder weniger erfolgreiche Kulturen entwickelt werden, wie dies viele populärwissenschaftliche Abhandlungen, an prominentester Stelle Peters und Waterman [3], versucht haben. Nur wenn in Ausnahmefällen ähnliche Erfahrungen gemacht und damit auch ähnliche Grundannahmen herausgebildet wurden, könnte unter stabilen Umweltbedingungen eine Imitation von Kulturen erfolgreich sein. Doch selbst unter diesen Bedingungen bleibt äußerst fragwürdig, ob ein solches „Nachmachen“ tatsächlich die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens erhöht. • Unternehmenskulturen sind keineswegs homogen. Unternehmen sind in größere kulturelle Zusammenhänge eingebettet und begünstigen auch durch organisationsinterne Gestaltungsmerkmale die Entstehung von Subkulturen [55, 56]. Auf der einen Seite bewirken auch die vielfältigen kulturellen Zusammenhänge, in denen die Mitarbeiter stehen,
172
dass sich Subkulturen herausbilden: Die Zugehörigkeit zu einer Nation, zu einer Branche oder zu einer Berufsgruppe prägen in vielfältiger Weise die Sichtweisen der Mitarbeiter und wirken diversifizierend auf die Unternehmenskultur [57]. Weiter trägt z. B. die organisatorische Gliederung im Unternehmen selbst zur Entstehung von Subkulturen bei, etwa in der Art von werks-, betriebs- oder bereichsbezogenem Denken. Die Beständigkeit von Subkulturen wurde in einer Vielzahl empirischer Untersuchungen deutlich (vgl. [18,21,58]). Die Unternehmenskultur hat eine wichtige Integrationsfunktion. Sie bestimmt wesentlich, wie die Subkulturen aufeinandertreffen, ob sie sich eher reibungslos in die umfassende Unternehmenskultur integrieren oder ob sie das Bild einer „einheitlichen“ Unternehmenskultur zugunsten vieler starker Einzelkulturen, die unter Umständen hohe Reibungsverluste produzieren, zerstören. • Die Kultur prägt die Wahrnehmungsfilter, mit denen die Unternehmen ihr Umfeld analysieren. Wenn durch die Spezifik dieser Filter wichtige Veränderungen im Umfeld des Unternehmens nicht erkannt werden, kann Kultur den Erfolg eines Unternehmens damit langfristig sehr stark beeinträchtigen [31]. Wie beispielsweise eine Langzeit-Fallstudie gezeigt hat, führt das Zusammenspiel einzelner, aber gleichgerichteter Kulturelemente im Unternehmen zu einer besonderen Aufnahmefähigkeit für spezielle Themen im Umfeld. Doch im Vergleich zur Wahrnehmung und zu den entsprechenden Veränderungen in der Unternehmensumwelt finden Umfeldanforderungen, die einer Mehrzahl von Elementen der Unternehmenskultur entgegenstehen, nur sehr zeitverzögert einen Niederschlag im Unternehmen [18]. • Die Unternehmenskultur bestimmt, wie und welche Entscheidungen für die Zukunft gefällt werden, da die Entscheidungsträger wie jeder einzelne Mitarbeiter durch die im Unternehmen gemeinsam gemachten und über Generationen weitergegebenen Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen geprägt sind. Die dadurch entstandene Kultur ist in den emotionalen und motivationalen Potentialen der Menschen verankert [59] und übt so einen Einfluss auf die individuellen Denk- und Verhaltensmuster, die persönlichen Erkenntnis- und Entscheidungsmuster und die eingeübten Konflikt- und Kooperationsstrategien jedes einzelnen Mitarbeiters aus [60]. So be-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
einflusst sie beispielsweise nicht unwesentlich den in einem Unternehmen vorhandenen Grad an Risikofreudigkeit und die damit verbundene Bereitschaft, Neues und Unkonventionelles zu akzeptieren und auch risikobelastete Zukunftsentscheidungen zu treffen. Dieses pflanzt sich von der Unternehmensleitung und deren Haltung gegenüber unkonventionellen Ideen bis in die kleinste Einheit fort. Wie unterschiedlich solch eine Einstellung sein kann, wird deutlich, wenn man sich die Gegensätzlichkeit der beiden Wertecluster vergegenwärtigt, in die sich Unternehmenskulturen unterschiedlichster Firmen einordnen lassen [20]: Während in der einen Gruppe die Unternehmenskulturen über Werte wie solide, stabil, geradlinig, bodenständig, zuverlässig, stetig und seriös beschrieben werden, lässt sich die andere Gruppe durch Wertnennungen wie Offenheit, partnerschaftliches Denken, teamorientiert, ehrgeizig, kreativ, kommunikativ-konsensförderndes Klima und Flexibilität deutlich von der ersten Gruppe abgrenzen [19]. Diese geradezu extreme Gegensätzlichkeit zeigt, wie die handlungsanleitende Wirkung, die jedes dieser Wertecluster hat, eine ganz andere Ausrichtung des Unternehmens in Struktur und Strategie nach sich ziehen muss. In diesem Sinne lässt sich der Satz: „structure follows strategy“ (vgl. [61, 62]) fortführen mit „strategy follows culture“, aber langfristig auch „strategy shapes culture“. • Natürlich ist die Unternehmenskultur allein nicht für den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens verantwortlich zu machen, sondern funktioniert als ein Element in einem System. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist, dass die Elemente harmonisch aufeinander abgestimmt sind. Die Unternehmenskultur muss mit den vorhandenen Unternehmensstrukturen, den Informations- und Kommunikationsstrukturen und dem im Unternehmen vorherrschenden Menschenbild, welches den Umgang der Menschen im Unternehmen miteinander bestimmt, harmonisch zusammenpassen [19]. Aber nur selten beziehen Unternehmensleitungen und auch -Berater die Unternehmenskultur in ihre Veränderungs-, Maßnahme- und Geschäftspläne mit ein oder beachten auch nur die Forderung nach einer langfristig harmonischen Abstimmung
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
173
zwischen den oben genannten Elementen. So haben viele Transformationsprozesse, die von der Führung eines Unternehmens beschlossen werden, beispielsweise lediglich eine Veränderung der Strukturen zum Ziel, ein Mangel, der auch einigen Konzepten des Lean Management anhaftet [19]. Nur wenige Entscheidungsträger beachten, ob etwa bei einer Dezentralisierung die notwendige Autonomie der dezentralen Einheiten auch durch die Kultur getragen ist. Ähnliches gilt für die Schulung von Mitarbeitern, die nach einer höheren Qualifizierung häufig den Anspruch an das Unternehmen und ihre Vorgesetzten entwickeln, das erworbene Wissen auch einsetzen zu können. Diese Erwartung scheitert aber oft an der mangelnden Bereitschaft von Vorgesetzten oder auch an ihrer Unfähigkeit, die über Jahre entwickelte Haltung gegenüber Mitarbeitern zu überdenken und deren Freiheitsgrade zu erhöhen. Die Gründe für das Scheitern dieser Prozesse und vieler ähnlicher Bemühungen liegen unter anderem in den nicht beachteten Kulturelementen [63]. Solche Veränderungen werden häufig von den Mitarbeitern als eine „künstliche Überstülpung neuer Strukturen“ wahrgenommen, die keine Verbindung zur existierenden Kultur haben, nicht ernst genommen werden und somit langfristig nicht Fuß fassen können [19]. In vielen Fällen erkennen die Verantwortlichen nicht, dass eine veränderte Struktur auch veränderte Werte und Verhaltensweisen erfordert, um richtig gelebt werden zu können [64].
cher zu stellen, müssen in ihr solche Elemente verankert sein, die die Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen und die Offenheit für einen Kulturwandel fördern. Wandel muss vom Unternehmen positiv bewertet werden. Andererseits muss die Organisationskultur genügend dauerhafte Elemente enthalten, die den Mitarbeitern gerade in komplexen und dynamischen Situationen als Leitlinie dienen können. Hier muss ein Balanceakt zwischen beiden Polen stattfinden [65]. Wird jedoch die Kultur eines Unternehmens durch seine Mitarbeiter, und hier vor allem durch die leitenden Persönlichkeiten, entwickelt und verändert sie sich im Zeitablauf durch den Einfluss anderer interner sowie externer Faktoren, dann muss es auch tendenziell und auf lange Sicht möglich sein, Unternehmenskultur zu gestalten oder wenigstens zu beeinflussen. Auch aus Sicht der Ethnologie ist die Gestaltbarkeit plausibel. Anders als bei Ethnien (Völkern) werden Menschen in Unternehmenskulturen nicht hineingeboren. Integration in eine Unternehmenskultur stellt damit eine sekundäre Sozialisation dar zu einem Zeitpunkt, an dem der Mensch seine grundlegenden Werte im Zuge der primären Sozialisation bereits erfahren hat. Des Weiteren sind Unternehmenskulturen nicht wie viele Stammes-, Regional- oder Nationalkulturen in jahrtausendelangen Prozessen herausgebildet worden. Hinzu kommt, dass die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen auch zeitlich in zweifacher Hinsicht begrenzt ist: Sie umfasst weder die gesamte Lebensspanne noch den ganzen Tag. Alle diese Unterschiede bewirken, dass unternehmenskulturelle Werte i. d. R. weniger stark im Menschen verwurzelt sein dürften als seine ethnische Kultur, weshalb Unternehmenskulturen gestaltbarer sind als Ethnien (vgl. [14, 42]). Allerdings wird dieser Wandel sicherlich nur in einem begrenzten Rahmen und über längere Zeiträume hinweg geschehen können. Ein solcher Kulturwandel von Unternehmenskulturen vollzieht sich damit auch nicht durch eine abrupte Ablösung eines Elementes durch ein neues, sondern eher durch eine Überlagerung der alten durch neue Kulturbestandteile [18]. Veränderungsprozesse bei Kulturen können sich auf zwei Arten gestalten:
3.6.1.5 Wandel von Unternehmenskultur Unternehmenskultur ist nicht statisch, sie verändert sich unter dem Einfluss sich wandelnder Umfeldbedingungen oder neuer Führungsgenerationen. Da aber Unternehmenskulturen in einem historischen Prozess geschaffen und durch Erfolge stabilisiert, gleichzeitig aber durch die Verinnerlichung dieser Erfolgsmuster Sicht- und Verhaltensweisen eingeschränkt werden, zeichnen sie sich durch ein hohes Beharrungsvermögen aus. Veränderungsprozesse gehen i. d. R. nur sehr langsam vonstatten. Doch ein Wandel des gesellschaftlichen Normensystems, mit dem die Anpassung der organisationsinternen Werte nicht Schritt hält, birgt ein hohes Konfliktpotential [43]. Um eine ausreichende Anpassungsfähigkeit der Organisationskultur si-
• Als ein sich kontinuierlich vollziehender Wandel, der im Rahmen von Mitarbeiterfluktuation und aufgrund von Veränderungen in der Unternehmensumwelt vonstatten geht. Solcher Wandel wird nicht
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von den Individuen in einem Unternehmen bewusst gestaltet, sondern entwickelt sich eigendynamisch. • Als ein gezielt geplanter, häufig von der Unternehmensleitung in Gang gesetzter Prozess. Gründe für einen sich kontinuierlich vollziehenden Kulturwandel können unterschiedlicher Natur sein: • Der Wertewandel in der Gesellschaft spiegelt sich über die Mitarbeiter auch im Unternehmen wider. Hier kann ein von den Mitarbeitern ausgehender Druck genauso eine „sanfte“ Kulturveränderung mit sich bringen wie beispielsweise ein Generationenwechsel oder eine hohe Mitarbeiterfluktuation. • Das Unternehmensumfeld kann sich so verändern, dass ein Unternehmen, will es überleben, seine Wahrnehmungen, Denk- und Verhaltensweisen verändern muss. Dieser von außen „erzwungene“ Werte- und Kulturwandel kann sich in einem Unternehmen als ein unbewusster Prozess gestalten, wenn sich eine neue Orientierung sozusagen evolutorisch durch praktisches Erleben und Erfahren etabliert. Allerdings sei hier darauf hingewiesen, wie viel schwieriger dieser Ablösungsprozess von alten und neuen Werten ohne bewusste Forcierung ist, wenn er nicht gar ganz unmöglich für solche neuen Wertorientierungen wird, die den alten entgegenstehen.
3.6.2 Gezielte Veränderung von Unternehmenskultur: Erfahrungen aus der theoriegestützten Praxis Neben der sich kontinuierlich und teilweise ungesteuert weiterentwickelnden Unternehmenskultur gibt es auch Prozesse, in denen eine Kulturveränderung bewusst vom Management forciert wird [66, 67]. Die wesentlichen Auslöser für solche Prozesse sind vor allem Neubesetzung von Positionen in der Unternehmensleitung, starke Persönlichkeiten in Unternehmen, klare Visionen von Entscheidungsträgern sowie fast immer auch Krisen, die Unternehmensleitungen dazu bewegen, Kulturveränderungsprozesse bewusst in Gang zu setzen [19]. Allerdings sind Chancenerkennung wie auch Visionen und damit antizipative Maßnahmen eher eine Seltenheit in der Unternehmenspraxis. Häufig sind Unternehmensleitungen erst bereit,
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sich auch offiziell mit dem Thema „Unternehmenskultur“ und der Frage, in welchem Ausmaß diese einer veränderten Umwelt entspricht, auseinander zu setzen, wenn für sie schon ein schmerzhaftes Stadium erreicht ist und sie keine andere Erklärung für das Scheitern geplanter Projekte mehr finden. Unternehmensleitungen verkennen in vielen Fällen, dass jede Veränderung in einer Organisation, unabhängig davon, ob es sich um strukturelle, qualifikatorische oder auch personelle Veränderungen handelt, Gefahr läuft, mit der bisherigen Kultur in Widerstreit zu geraten. Beispiele findet man hier bei etlichen Kooperationen und Fusionen, wo zwei oder mehrere Unternehmenskulturen aufeinanderstoßen. Nur selten wird dieses Problem von den Verantwortlichen antizipativ erkannt und diesem Phänomen bewusst entgegengewirkt. Das Wissen um eine notwendige Umstrukturierung oder beispielsweise die Änderung der Eignerstruktur ist oft ebenfalls Anlass, sich frühzeitig mit einer Veränderung der Unternehmenskultur zu beschäftigen. Die Umwandlung von einem familiengeführten Unternehmen zu einem vom angestellten Management geführten Unternehmen oder auch von einem genossenschaftlich zu einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen erfordert meist ebenso eine Veränderung der Unternehmenskultur wie die Privatisierung staatlicher Unternehmen [19]. Veränderungen im Umfeld können nicht nur Auslöser für einen evolutorischen, sondern auch für einen geplanten Kulturwandel sein. Beispielsweise hat die Intensivierung der Konkurrenz auf den Weltmärkten viele deutsche Unternehmen dazu bewegt, ihre Unternehmensleitsätze so umzuformulieren, dass der Schwerpunkt nicht mehr auf einer perfektionistischen Qualität und der technischen Entwicklung liegt, sondern auf einer größeren Kundenorientierung. Aber auch hier finden sich in der Praxis einige Beispiele, in denen die Unternehmensleitungen nicht erkannt haben, dass die Veränderung von Worten nur ein Anfang sein kann. Für eine echte Umsetzung solcher Botschaften müssen diese glaubhaft vorgelebt werden, bis die neuen Inhalte wieder zu einer der zentralen Grundannahmen im Unternehmen geworden sind. Ein Kulturveränderungsprozess lässt sich vereinfacht in drei Schritten darstellen [60]: 1. Der erste Schritt zu einer gezielten Kulturveränderung muss wie bei jedem bewusst angestrebten Veränderungsprozess ein Soll-Ist-Vergleich sein.
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Dafür wird die existierende Kultur erhoben und eine Idee für die zu erreichende Kultur (Leitbild) erstellt [54, 68]. 2. Im zweiten Schritt müssen, soweit es möglich ist, Maßnahmen getroffen werden, die die Umsetzung des Leitbildes beinhalten und damit die Grundlagen einer neuen Kultur zu entwickeln [67]. 3. Schließlich sollte dieser einmal ins Leben gerufene Prozess auch ob seiner Ergebnisse im Auge behalten werden [67].
zentrale Rolle. Sie hängt von Faktoren „such as curiosity, playfulness, willingness to experiment and analytical skills“ [71], kurz: von der Lernfähigkeit des Unternehmens ab. Grundsätzlich lassen sich zwei Quellen unterscheiden, aus denen sich die Idee für eine neue Kultur ergeben kann:
Noch mehr als bei anderen Prozessen scheitert eine rein mechanistische Betrachtungs- und Vorgehensweise aber häufig an der Natur der Unternehmenskultur als von Menschen gelebtes und erzeugtes Phänomen.
3.6.2.1 Der erste Schritt: Das Erkennen der vorhandenen Kultur Für das Erkennen der eigenen Kultur gibt es inzwischen eine weit reichende Literatur, die „Handwerksinstrumente“ liefert (vgl. [48, 64, 69]). Diese Instrumente können zwar Hilfestellungen zur Bewusstmachung einiger Kulturelemente leisten, aber gerade der unbewusste Teil einer Unternehmenskultur – die Grundannahmen [50] – wird einer solchen nur wenig zugänglich sein. Hierfür ist ein entsprechendes Bewusstsein für die wichtige Rolle der Unternehmenskultur, ein Gespür für den informellen und inoffiziellen Ablauf in einem Unternehmen und eine entsprechende Sensibilität für die Probleme des zwischenmenschlichen miteinander Umgehens unumgänglich. In der Frage, ob dieses Gespür und eine Sensibilität für Kulturfragen erlernt werden können oder Gaben sind, wiederholt sich die Diskussion, in wieweit Führungsfähigkeiten erlernbar sind [70].
3.6.2.2 Unternehmensleitbilder: Entwicklung von Vorstellungen über die anzustrebende Kultur Die Erkenntnisse über die eigene Ist-Kultur, die im ersten Schritt gewonnen werden, müssen dann einer neuen Soll-Kultur gegenübergestellt werden, die sich aus den Notwendigkeiten der Anpassung an eine veränderte Umwelt oder den Chancen, die eine solche bietet, ergeben. die Fähigkeit des Unternehmens, Veränderungen im Umfeld zu erkennen, spielt hier eine
• Der Kulturveränderungsprozess kann bewusst von einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe initiiert werden. Oft handelt es sich hierbei um eine starke Führungspersönlichkeit, die eine klare Vorstellung von der anzustrebenden Kultur hat. Durch entsprechende Vorgaben sowie den Vorbildcharakter einer solchen Führungskraft kann ein wesentlicher Einfluss auf die Entstehung der neuen Kultur genommen werden. • Der andere Weg ist eher als partizipativ zu bezeichnen. Hier wird eine Zukunftsvorstellung für das Unternehmen unter Beteiligung vieler Mitarbeiter entwickelt [63]. In diesem Fall kann sich der Entwurf eines neuen Leitbildes für das Unternehmen als sehr hilfreich erweisen. In einem breit angelegten und transparenten Prozess werden in Arbeitsgruppen, die die gesamte Unternehmensbelegschaft repräsentieren, ausgehend von der Bewusstmachung des existierenden Leitbildes und der existierenden Kultur, zukunftsfähige Leitbilder entwickelt und deren Umsetzung in entsprechende Kulturelemente abgeleitet [72].
3.6.2.3 Der zentrale Schritt: Prozesse der Kulturveränderung In der Literatur gibt es eine Fülle „handwerklicher“ Anleitungen, wie eine Kultur zu verändern ist. Wie im ersten Teil aber schon deutlich gemacht wurde, sollte man allgemeingültigen Anleitungen für eine den Erfolg garantierende Gestaltung der Unternehmenskultur äußerst skeptisch gegenüberstehen. Um solchen generellen Rezepten zu gehorchen, ist die Unternehmenskultur zu sehr von den individuellen Gegebenheiten eines Unternehmens, seiner Geschichte, von den in ihm wirkenden Persönlichkeiten und seinem Umfeld abhängig. Dennoch kann hier auf Faktoren hingewiesen werden, die sich immer wieder und in den unterschiedlichsten Unternehmen als wesentliche Einflussfaktoren auf die Gestaltbarkeit der Unternehmenskultur ausgewiesen haben [19].
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Eine zentrale Rolle in Kulturveränderungsprozessen kommt häufig den erwähnten Einzelpersönlichkeiten zu [68], die insbesondere in der Anfangszeit von Unternehmen durch ihre Wertvorstellungen die Normen des Unternehmens wesentlich prägen (vgl. [50, 60]). Gleiches gilt für den Quasi-Neuanfang eines Unternehmens beispielsweise nach einer großen Krise oder bei der Nutzung von Chancen einer drastisch veränderten Umwelt, nämlich dass häufig einzelne Persönlichkeiten einen großen Einfluss nehmen. Darüber hinaus sind es meist solche starken Persönlichkeiten, die Visionen für die Zukunft des Unternehmens entwickeln und diese so kommunizieren, dass breite Teile des Unternehmens diese als Leitlinie für Entscheidungen und Handlungen übernehmen. Eine große Rolle spielen in diesem Prozess Außenseiter in der Organisation [68] und auch außerhalb derselben, die aber in enger Verbindung mit dem Unternehmen stehen [31, 73]]. „Smart parallel thinkers“ bezeichnet sie Frey [74], Verrückte im positiven Sinne nennen sie Berthoin Antal und Krebsbach-Gnath [75]. Querdenker ist das Etikett bei Sattelberger; er betont: „Sie sind mental nie in festen Grenzen: Il passadore – überall zu Hause, aber nirgends richtig beheimatet“ [76]. Und damit auch nach Friedman „a rare and endangered species“ [77]. Interne Außenseiter kann es auf allen Ebenen der Hierarchie geben: vom charismatischen Gründerunternehmer [78, 79]] über Mitglieder der oberen Führungsebene [80] bis zum mittleren Management, das besonders als Grenzgänger mit großem externen Netzwerk oft Veränderungsnotwendigkeiten früh erkennt und das – wenn entsprechend durch das obere Management gestützt – auch Veränderungsprozesse initiieren kann [31, 74]]. Wenn solche Außenseiter nicht in der Organisation vorhanden sind oder ihr nahe stehen [74], ist die Gefahr sehr groß, dass die Notwendigkeit für einen Wandel der Kultur nicht erkannt wird oder keine geeigneten Strategien entwickelt werden, die auf die veränderte Umwelt reagieren [81]. Eine angestrebte Kulturveränderung kann durch Weiterbildungsmaßnahmen von Mitarbeitern unterstützt werden. Diese Weiterbildungsmaßnahmen erfüllen eine wichtige Kommunikationsfunktion und können das Verständnis für das angestrebte Ziel und die zugrunde liegenden Motive vermitteln. So kann die Anzahl von Multiplikatoren erhöht werden. Allerdings kann eine Kultur nicht in Laborsituationen „gelehrt“ werden, da Kulturelemente i. d. R. eher langfristig
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in die Denk- und Verhaltensmuster der Individuen aufgenommen werden, wenn nicht bestimmte Akzelerationsfaktoren in Frage kommen [82]. Diese übliche Langwierigkeit eines angestrebten Kulturwandels müssen alle Möglichkeiten der Beeinflussung und Unterstützung dieses Prozesses Rechnung tragen. Besondere Beachtung verdienen dabei folgende Erkenntnisse [19]: • Solide Rezepte für die Wahl des Zeitpunktes, um einen als erforderlich angesehenen Kulturwandel zu beginnen, gibt es nicht. Eindeutig klar und vorausschauend zu wissen, wann ein altes Erfolgsrezept aufgegeben und eine neue Vision verfolgt werden muss, ist nahezu unmöglich. Sogar rundum erfolgreiche Prozesse des Kulturwandels zeigen im Nachhinein, dass die ersten Schritte des Unternehmens häufig entweder zu früh oder zu spät eingeleitet wurden. Zu früh, weil aus der Retrospektive das bisherige Leitbild mit seiner Kultur noch einige Perioden länger hätte verfolgt werden können, zu spät, weil ein Änderungsprozess einige Perioden früher aus einer stabileren „Noch-Erfolgs-Situation“ heraus hätte überlegter und durchdachter angelegt werden können. In Ermangelung der Möglichkeit, den optimalen Veränderungszeitpunkt ex ante festzustellen, bleibt allein die Erkenntnis, dass lernende Unternehmen sich eigentlich ständig in der Auseinandersetzung darüber befinden, ob Erfolgsstrategien noch weiter getragen werden können oder ob es im Interesse der Erhaltung des Unternehmens sinnvoll ist, diese aufzugeben und mit dem Verlernen bisheriger und dem Erlernen neuer Denk- und Verhaltensmuster zu beginnen. Erfolgreicher Kulturwandel enthält somit – wie andere gravierende Entscheidungen unter höchster Unsicherheit – eine hohe Zufalls- oder Glückskomponente. Neben der Erkenntnis der Situation, dem Wissen um die Einflussfaktoren des Änderungsprozesses, der Kooperationsbereitschaft, der Macht, der Zielbezogenheit und dem Durchhaltevermögen der den Änderungsprozess Betreibenden ist viel „Fortune“ erforderlich. • Das Beharrungsvermögen der Individuen muss überwunden werden: Eine Kulturveränderung verlangt ein Verlernen von Denk- und Verhaltensmustern, die über lange Zeit gewirkt haben und in denen sich Individuen häufig sicher fühlen. Viele Führungskräfte mit Erfahrungen aus weitreichen-
3.6 Theorie und praktischer Nutzen von Unternehmenskultur
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den Veränderungsprozessen in Unternehmen sind sich einig, dass Individuen nur in Grenzen lernund veränderungsfähig und -bereit sind [63]. Nur einem Drittel der Mitarbeiter in einem Unternehmen wird bei großen Veränderungen die Fähigkeit zugesprochen, sich den neuen Notwendigkeiten und Gegebenheiten gut anzupassen. Wiederum ein Drittel wird als echtes Hemmnis für Veränderungen wahrgenommen, sei es wegen Veränderungsunwilligkeit oder Unfähigkeit. Als Konsequenz muss man sich von diesen Mitarbeitern trennen oder sie zumindest „ruhig stellen“ [83]. Unabhängig davon, ob diese Größenordnungen der Realität gerecht werden oder nicht, liegt ein grundsätzliches Problem darin, dass Personalentscheidungen, -Versetzungen und -Entlassungen i. d. R. langwierige Verfahren erfordern. Deshalb wird in Unternehmen häufiger auf ein „Herauswachsen“ als Lösung hingewiesen, womit das Ausscheiden von zentralen bisherigen Kulturträgern gemeint ist, die mit ihren Erfahrungen aus vergangenen Zeiten und ihrer Machtposition häufig die von neuen oder jüngeren Mitarbeitern vorangetriebenen Veränderungsprozesse blockieren [19]. • Zur Überwindung dieses Beharrungsvermögens von Individuen spielen langfristig glaubhafte Vorbilder eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nichts erscheint schädlicher für Veränderungsprozesse als die Wechselhaftigkeit einer Führung in Aussagen, Zielen und Verhalten. Dieses gilt umso mehr für Kulturveränderungsprozesse, als die Kultur die Grundlage der gemeinsam in einem Unternehmen geteilten Verhaltenskodizes bildet. • Die Gefahr, dass Transformationsprozesse in Unternehmen mit der Erzeugung von Hochglanzbroschüren einen Abschluss finden und damit nie eine Umsetzung in die Alltagspraxis des Unternehmens durch eine Änderung in den Denk-, Entscheidungsund Verhaltensmustern der Mitarbeiter stattfindet, ist besonders hoch für breit angelegte Entwicklungsprozesse. Gerade solche Projekte bergen die Gefahr in sich, zu größtmöglichen Motivationskillern in Unternehmen zu avancieren, da hier – für alle Mitarbeiter erkenn- und einklagbar – Initiativen gestartet und damit Hoffnungen geweckt werden, die bei mangelnder Realisierung eine tiefe Vertrauenskrise zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern hervorrufen können. Der häufig beobachtbare Effekt ist, dass weiteren Initiativen – unabhän-
gig von ihrem Ziel – mit großem Misstrauen begegnet wird und diese nicht mehr ernst genommen werden. Auch für die Veränderung von Unternehmenskulturen muss hervorgehoben werden, was für die Lernund Veränderungsfähigkeit von Unternehmen grundsätzlich gilt: Veränderungen sind in jedem Fall schmerzhaft und gerade bei einer Kulturveränderung sind eintrainierte Wahrnehmungs-, Denk-, Entscheidungs- und Verhaltensmuster, die nicht nur über Jahre praktiziert, sondern die abgefordert und anerkannt wurden, nun zu verlernen [72]. Es ist offensichtlich, dass die hierbei auftretenden innerorganisatorischen Konflikte nicht unterschätzt werden dürfen, da Fragen nach der grundlegenden Notwendigkeit einer Neuorientierung in Unternehmen immer kontrovers diskutiert werden. Gerade die Leitungen von Unternehmen, in denen lang anhaltender Erfolg eine starke Internalisierung der grundlegenden Annahmen und Werte bewirkt hat und sichtbare Anzeichen einer mangelnden Umweltentsprechung der Kultur noch nicht vorliegen, sehen sich häufig mit einer Fülle von Widerständen konfrontiert [35]. Diese Widerstände begründen auch die häufig angeführte zentrale Rolle einer Krise für weit reichende Veränderungsprozesse [84]. Selbst wenn solche Prozesse schon vor dem Auftreten einer Krise geplant und diskutiert worden sind, ist es in vielen Fällen doch erst die Krise, die eine breite Akzeptanz für die Notwendigkeit der Transformationen schafft. Die Erfahrung, dass lang bewährte Kulturelemente nicht eindeutig zu Erfolgen führen, legt meist erst die Grundlage für ein weit reichendes Engagement breiter Schichten im Unternehmen, etwas verändern zu wollen [72]. Antizipative Strategien des Kulturwandels sind selten und erfordern meist eine spezifische Konstellation in der oberen Führung des Unternehmens [68]. Kulturveränderungen sind damit konfliktreiche Prozesse [85]. Sie umfassen Konflikte um das Ob und Was der Definition von Veränderungsnotwendigkeiten über solche um die hierfür erforderlichen Veränderungen im strategischen Leitbild des Unternehmens [54] bis hin zu Verschiebungen in der Organisationsstruktur im Rahmen der Implementation eines neuen strategischen Leitbildes mit allen damit verbundenen Konflikten zwischen Menschen und Organisationseinheiten um Macht, Einfluss und Lebenschancen [86].
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Kulturveränderungen können durch Machtpromotoren stark beschleunigt [82], sie können aber auch durch Macht im Keim ihrer Ansätze erstickt werden [86]. Ob bewusst initiierte Kulturveränderungen erfolgreich sind oder nicht, hängt von vielen der hier genannten Einflussfaktoren [85] und der Durchführung eines transparenten und partizipativen Veränderungsprozesses ab, in der die Führung Signale und Richtungsvorstellungen gibt [70,75] und Mitarbeitern in ihren Bereichen ermöglichen, die Notwendigkeiten der Veränderung zu erkennen und Veränderungsrichtung wie auch Ausmaß zu definieren [67]. Es gehört dazu jedoch als einer der wichtigsten Faktoren auch eine gehörige Portion Glück, d. h. das positive Wahrnehmen von Veränderungen im Umfeld als „window of opportunity“, eine hierfür geeignete und glaubhafte Führung, auch die Auswahl einer im Nachhinein dann als richtig angesehenen Strategie [56]. Nicht wenige Unternehmen vernachlässigen es aber gerade in Krisen, die Frage nach der zugrunde liegenden Unternehmenskultur und dem Ausmaß, in dem diese dem veränderten Unternehmensumfeld entspricht, zu stellen. Häufig herrscht in Führungskreisen immer noch die Meinung vor, dass man sich in Krisenzeiten um die „handfesten“ Probleme, wie fehlerhafte Strukturen oder fehlerhafte Ablauforganisationen kümmern muss, ohne dabei zu erkennen, dass das Problem vielleicht gerade in der Inkonsistenz der Kultur – also den grundlegenden Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen – mit den existierenden Strukturen oder Abläufen liegt. So wurde beispielsweise selten in der Diskussion um Lean Management hinterfragt, inwieweit dieses Konzept nur in den japanischen Unternehmen aufgrund der dort geteilten Denk- und Verhaltensmuster zu realisieren ist und wie weit deutsche Denk- und Verhaltensmuster sehr starke Modifikationen des japanischen Modells erfordern.
3.6.2.4 Der Schritt in die Zukunft: Die Kontrolle einer Kulturveränderung Der Ausdruck „Kontrolle“ wurde hier gewählt, weil er der Managementpraxis nahe steht und in Bereichen wie strategischer Unternehmensplanung zu einem festen Begriff geworden ist. Die Kultur eines Unternehmens lässt sich allerdings kaum in so quantitativer Form kontrollieren, wie dies bei einigen Unternehmenszielen möglich ist. Sie lässt sich nicht wie Zahlen
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abhaken. Doch trotz aller Unzulänglichkeiten, die einer Kontrolle der Kultur anhaften, sollten entsprechende Anstrengungen zu einer Überprüfung der bestehenden Kultur bzw. des Kulturwandels immer wieder unternommen werden. Für eine existierende Kultur erfordert dies ein bewusstes Umdenken, ob die bisher geltenden und gelebten Denk-, Werte- und Verhaltensmuster noch dem Umfeld und den dort stattfindenden Veränderungen gerecht werden können. Dieselbe Aufgabe besteht auch, wenn sich ein Unternehmen in einer Phase der Kulturveränderung befindet. Die entworfene „Sollkultur“ muss ebenfalls immer wieder daraufhin überdacht werden, ob sie den Anforderungen gerecht wird oder ob Modifizierungen des Leitbildes nötig sind. Dieser Prozess ist umso wichtiger, je dynamischer das Umfeld des Unternehmens ist. Schon zu Beginn des Veränderungsprozesses sollten Zeitpunkte festgelegt werden, an denen eine systematische Überprüfung des neuen Leitbildes ebenso stattfindet wie eine Analyse seiner bereits erreichten Umsetzung. Dies muss auf allen Ebenen des Unternehmens geschehen, um sicher zu stellen, dass der Prozess der Kulturveränderung das gesamte Unternehmen durchdringt. Eine solche begleitende Evaluation der Kulturveränderung ist auch deswegen erforderlich, weil Unternehmen bei der Entwicklung neuer strategischer Leitbilder nicht parallel, sondern nur konsekutiv experimentieren können. Sie müssen sich glaubhaft für ein Leitbild mit all seinen technischen, marktlichen, Struktur-Wert- und Verhaltenskomponenten entscheiden, dieses umsetzen und prüfen, ob hier ein erfolgreicher Pfad beschritten wird oder nicht. Wenn dieses neue Leitbild Erfolge zeigt, wird es sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in einer neuen Kultur des Unternehmens niederschlagen. Bei Misserfolg wird – solange die finanziellen, zeitlichen und intellektuellen Ressourcen des Unternehmens dies zulassen – ein neues strategisches Leitbild zu entwickeln sein, das sich wiederum dem Realitätstest und der damit verknüpften sorgfältigen Evaluation stellen muss [71]. Ohne solche wirksame Kontrolle fehlen Frühwarnungen, die einen Verlauf des Prozesses in eine nicht gewünschte Richtung anzeigen. Deshalb bedarf es einer permanenten Beobachtung des Wandels, damit Abweichungen nicht erst zu einem Zeitpunkt erkannt werden, an dem sie vielleicht schon nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Verantwortlichen für eine Kulturveränderung dürfen sich nicht damit zufrieden geben, den Wandel ins Leben zu rufen, sondern müs-
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sen bereit sein, ihn über Jahre hinweg „im Auge zu behalten“ und durch ihr Verhalten den Wandel überzeugend vorzuleben – eine Aufgabe, die häufig unterschätzt wird.
3.6.3 Resumée Der Zusammenhang zwischen der Kultur eines Unternehmens und seiner Leistungsfähigkeit erweist sich sowohl aus theoretisch-konzeptionellen Erwägungen als auch aus den Erfahrungen der Praxis heraus keineswegs als so eindeutig, wie es gerade die populäre Managementliteratur oft erhoffen lässt. Zeitverzögerungen und Mittelbarkeit der Zusammenhänge prägen unter anderem die Komplexität der Beziehung. Doch den Umgang mit sich kontinuierlich wandelnden Umfeldbedingungen können die Unternehmen letztlich nur durch eine Anpassung ihrer Kultur bewältigen. Wenn die in der Organisationskultur herausgebildeten Werte und Verhaltensweisen mit den Herausforderungen und Erwartungen des Umfeldes nicht mehr übereinstimmen oder wenn sie sich zum Erreichen der vom Unternehmen gesetzten Ziele als suboptimal erweisen, so muss das Unternehmen – wenn es weiterhin erfolgreich bleiben will – den langen, konfliktreichen und bezüglich Erfolg nicht prognostizierbaren Weg einer Kulturveränderung gehen. Dabei müssen sich die Initiatoren solcher Prozesse bewusst sein, dass dieser Weg i. d. R. einen langen Atem erfordert und unabhängig von kurzfristigen Erfolgs- oder Misserfolgserlebnissen – falls sich die dem Leitbild zugrunde liegende Langfriststrategie als gültig erweist – zu Ende gegangen werden muss. Das aber verlangt gerade von den Führungskräften eine lange und weit reichende Disziplin. Diese kann jedoch nur entwickelt werden, wenn die Verantwortlichen entweder über lange Zeiträume die Verantwortung für die gestarteten Prozesse tragen oder diese Verantwortung ohne große inhaltliche Modifikationen weiter gereicht werden kann. Es ist also ein schmaler Grad zwischen wünschenswertem Erfolg und Beharrungsvermögen sowie dauerhafter Führung und erwünschtem „neuen Blut“. Doch wenn ein solcher Wandel mit einem entsprechenden Bewusstsein von der Unternehmensführung initiiert und von den Mitarbeitern getragen wird, bestehen gute Chancen, diesen Prozess erfolgreich zu bewältigen.
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3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung Die Gestaltung wettbewerbsfähiger Unternehmensstrukturen stellt eine umfassende Organisationsaufgabe dar. Dabei darf der Aspekt der Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung nicht eindimensional betrachtet werden. Denn partielle Reorganisationsmaßnahmen, wie z. B. Einführung der Gruppenorganisation, reichen nicht aus. Vielmehr sind umfassende Reorganisationskonzepte notwendig und damit eine mehrdimensionale Betrachtungsweise der Dezentralisierungsdiskussion, die nicht nur auf strukturelle Änderungen abhebt, sondern gezielt Maßnahmen zur Verhaltensänderung in Organisationen beinhaltet [1]. Dies führt zu einer Organisationsgestaltung, die gleichzeitig kunden-, zeit-, innovations-, wertschöpfungs- und mitarbeiterorientiert ist sowie es erlaubt, die Position des Reagierens zu verlassen und zu einem wettbewerbsorientierten Agieren zu gelangen.
3.7.1 Dezentralisierung als Leitlinie im organisatorischen Gestaltungsprozess Die Diskussion um wettbewerbsfähige Unternehmensstrukturen hat vor dem Hintergrund steigenden Innovationsdrucks, der Globalisierung der Märkte, des Wertewandels in der Gesellschaft und des Auftretens neuer leistungsfähiger Anbieter zunehmend an
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Bedeutung gewonnen [2]. Es ist festzustellen, dass bei Reorganisationsformen weltweit die gleichen Ziele wie Steigerung der Produktivität, Verkürzung der Durchlauf- und Entwicklungszeiten und eine Steigerung der Qualität mit unterschiedlicher Prioritätssetzung angestrebt werden. Angesichts dieses Sachverhalts entfällt eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen, nämlich „Differenziertheit“. Nur das Unternehmen hat Wettbewerbsvorteile, das die Ziele schneller und besser als der Mitwettbewerber erreichen kann und seine Ziele entsprechend der Bedarfslage und den Kundenwünschen auszurichten versteht. Um Ziele schneller und besser als Mitwettbewerber zu erreichen, ist ein „Lernen der Organisation“ als Ganzes erforderlich. Da sich die Produkte und auch die maschinellen Ausrüstungen immer ähnlicher werden, ist eine Rückbesinnung auf weniger leicht imitierbare Strukturen der Innovations- und Wertschöpfungskette unter Einbeziehung der Zulieferanten sowie vor allem auf die Motivation und das Können der Mitarbeiter erforderlich [3]. Die Veränderung von Wertschöpfungsstrukturen und das Lernen in einer Organisation erfordern Zeit, die auch mit Crashprogrammen nicht beliebig reduzierbar ist. In der Vergangenheit wurde die Strategie der Produktivitätsorientierung verfolgt, die ihren Schwerpunkt auf die Rationalisierung von direkten Aufgaben legte und sich in einer hohen Arbeitsteilung und Spezialisierung in planende, ausführende sowie kontrollierende Tätigkeiten mit dem Effekt manifestierte, dass für eine Wertschöpfungsaktivität 10–15 indirekte Tätigkeiten notwendig waren. Das Dilemma „Produktivität versus Flexibilität“ wurde zugunsten der Produktivität aufgelöst. Empirische Erfahrungen haben gezeigt, dass dieses organisatorische Modell der Produktion zu einem „Organisationsversagen“ [4] führt. Dieses manifestiert sich in mangelnder Effizienz, langen Durchlauf- und Lieferzeiten, zu hohen Gemeinkosten, schlechten Qualitäten und durch wenig menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung. Zur zentralen Koordination der vielen Schnittstellen eines solchen komplexen Systems werden Planungs-, Steuerungs-, Informations- und Kontrollsysteme eingesetzt. Dadurch wird jedoch Eigenkomplexität erzeugt: das Verhalten der Organisationsmitglieder wird von den eigentlichen Zielen und Aufgaben der Wertschöpfung abgelenkt; und es besteht eine Tendenz zur Bürokratisierung [5]. Kurz, die Komplexitätskosten steigen und die Organisation ist bei
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
spezifischen Anforderungen zu inflexibel. Somit sehen sich Unternehmen im dem skizzierten Wettbewerbsumfeld mit einer doppelten Komplexitätsfalle konfrontiert. Zum einen lässt eine turbulente Umwelt Ungewissheit, Undurchschaubarkeit und Überraschung zu einem konstitutiven Element für jedes Unternehmen werden. Zum anderen gilt es, nicht mehr die Unternehmung als monolithischen Instanzenzug aufzufassen, sondern als soziales System, das sich als Verbund unterschiedlicher Erwartungen, Interessen, Orientierungen und Handlungsmuster zu entwickeln hat. Im Mittelpunkt der organisatorischen Gestaltung darf nicht mehr nur der Koordinationsaspekt stehen, sondern es muss gleichzeitig stärker der Verhaltensaspekt der Organisationsgestaltung berücksichtigt werden. Dabei gewinnt die Implementierung von Marktdruck in der Organisation eine herausragende Bedeutung. Marktdruck wird hierbei als Instrument zur Verhaltensbeeinflussung aufgefasst und soll die fehlende intrinsische Motivation durch eine extrinsische Motivation „Marktdruck“ ersetzen. Deshalb gewinnen zunehmend Strategien eine Bedeutung, welche die Schaffung effizienter und schlanker Organisationsstrukturen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen als aktive Gestaltungsaufgabe auffassen. In deren Mittelpunkt steht die Implementierung der doppelten organisatorischen Lernfähigkeit. Dies erfordert zum einen, dass das Unternehmen in die Lage versetzt werden muss, Veränderungen in seiner Umwelt rechtzeitig wahrzunehmen und in interne Zielund Maßnahmenbündel umzuwandeln. Zum anderen gilt es, unternehmensinterne Handlungspotenziale zu aktivieren, die einen permanenten Verbesserungsprozess zur Folge haben. Dies bedeutet, die Implementierung einer dynamischen Beweglichkeit als Fähigkeit, Produktivität und Qualität durch Verbesserung der Geschäftsprozesse und Innovationen am Produkt stetig zu steigern. Hieraus resultiert eine Abkehr von der Strategie des sukzessiven, nachträglichen Folgens struktureller Anpassung von Strategien und Strukturen. Notwendig ist eine „vorausschauende Reorganisation“, die es erlaubt, zukunftsweisende Strategien zu finden, zu formulieren und durchzusetzen. Somit wird die wettbewerbswirksame Adaption von Erfolgsfaktoren im Markt und deren Umsetzung in kundenrelevante Produkt-, Produktions- und Logistikmerkmale ermöglicht [6]. Die damit vorherrschende Strategie der Markt- und Kundenorientierung erfordert folglich
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die Schaffung von zeitsensiblen flexiblen Organisationsstrukturen, die darüber hinaus Wege zur Mobilisierung und Motivation der Mitarbeiter aufzeigen sowie die Kundenorientierung als Wettbewerbsstrategie mittels eines ganzheitlichen prozessorientierten Ansatzes umsetzen. Dies setzt eine verstärkte Organisationsgestaltung nach Produkten, Prozessen und Zielen unter Übertragung ganzheitlicher Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung voraus. Ziel ist die Bildung von Netzwerkstrukturen mit relativ autonomen Einheiten. Aus der Erkenntnis, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, richtet sich das Augenmerk besonders auf das Beziehungsgeflecht der Einheiten und die Struktur ihrer Abhängigkeiten. In diesem Zusammenhang lässt sich die von Frederic Vester [7] und von Gomez und Probst [8] auf Managementfragen übertragene strukturierte Vernetzung als Gestaltungsprinzip anwenden. Gelingt es, bestehende Organisationen in eine strukturierte Vernetzung zu überführen, so lassen sich eine deutliche Stabilisierung, Effizienzerhöhung sowie Steigerung der Reaktionsfähigkeit herbeiführen. Es gilt, selbstregulierende Subsysteme zu bilden, die untereinander eine reduzierte Anzahl von Verknüpfungen aufweisen und eine gute Verfolgbarkeit aller internen Aktivitäten ermöglichen. Die verbleibenden Verbindungen sind gleichzeitig durch eine besonders intensive wechselseitige Beziehung gekennzeichnet. Unter der Zielsetzung des optimalen Funktionierens des Gesamtsystems ist die Frage der Intensität der Verknüpfungen und des unternehmerischen Freiheitsraumes der einzelnen Einheiten und somit der zieladäquate Autonomiegrad zu bestimmen. Dabei geht es um die Operationalisierung des förderalistischen Prinzips, das bereits Sloan bei General Motors als Maxime zur Strukturierung diente [9]. Sein Organisationskonzept beruhte auf zwei Prinzipien: • Der jeweiligen organisatorischen Einheit sind alle zur Erfüllung und eigenständigen Weiterentwicklung ihres Geschäftes notwendigen Funktionen zu übertragen, wobei die dem jeweiligen Geschäftsleiter übertragene Verantwortung in keiner Weise eingeschränkt werden darf. • Für die Führung und Entwicklung des Gesamtunternehmens ist die Beibehaltung bestimmter zentraler Funktionen notwendig. Damit ist nicht mehr nur das Problem von Zentralisation versus Dezentralisation zu lösen, sondern die
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
organisatorische Aufgabe besteht in der zieladäquaten Gestaltung der Einflussparameter des Autonomiegrades in Abhängigkeit von der Umwelt und der internen Konstellation.
3.7.2 Betrachtungsebenen der Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung Für die systematische Gestaltung gilt es, drei Ebenen der Autonomie in Organisationen zu unterscheiden (Abb. 3.43). Die erste Ebene bildet die Unternehmensebene. Gestaltungsfelder bilden vor dem Hintergrund der Unternehmenskultur eine neue Führungsorganisation mit einem sich wandelnden Koordinationsinstrumentarium und Führungsstil zur Implementierung eines Netzwerk- und Wissensmanagements. Den Kristallisationspunkt der Autonomie bildet die Betriebsebene. Die organisatorische Strukturierung nach dem Objektprinzip führt zu „Fabriken in der Fabrik“, die Potenziale für Wettbewerbsvorteile insofern erschließen, als die kerngeschäftsrelevanten Ressourcen auf die spezifische Produktionsaufgabe konzentriert werden, wie sie sich aus den Wettbewerbsanforderungen und der strategischen Gesamtausrichtung des Unternehmens ergeben. Es sollen eigenverantwortlich agierende Einheiten geschaffen werden, die nur in zentralen, das Gesamtunternehmen betreffenden Fragen eine Einschränkung der Autonomie erfahren. Dies geht einher mit einer Aufhebung von horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung sowie geringerer interner Spezialisierung in den Einhei-
Gestaltungsebene
Autonomie
Unternehmensebene
Gestaltungsfelder Unternehmenskultur Führungsorganisation Koordination Netzwerk- und Wissensmanagement
Betriebsebene
Materialflußintegration Funktionsintegration Informationsintegration
Arbeitsorganisationsebene
Gruppenorganisation Qualifikation Entlohnung
Abb. 3.43 Betrachtungsebenen der Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
ten. Hierdurch wird die strukturelle Voraussetzung geschaffen, sich vom arbeitsteiligen Vertikalprinzip der Fremdorganisation zu lösen und einen neuen gestalterischen Weg zu gehen, der zu den auch in biologischen Systemen vorfindbaren Prinzipien der Selbstlenkung und Selbstorganisation führt. Diesem Vorgehen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Systeme über die Stärkung ihrer Feinstruktur an Elastizität gewinnen. Das Leitmotiv der segmentierten Fabrik bringt somit Organisationsformen hervor, die das Kreativitäts- und Innovationsklima fördern und ein selbständiges unternehmerisches Denken und Handeln der Mitarbeiter ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist die Delegation von Verantwortung. Unter Verantwortung ist die Pflicht einer Person zu verstehen, für die zielentsprechende Erfüllung einer Aufgabe persönlich Rechenschaft abzulegen [10]. Verantwortung ist demnach eine Schlüsselgröße der Verhaltenssteuerung in und von Organisationen [11]. Eine sinnvolle Delegation von Verantwortung erfordert die Ausgestaltung von drei Bedingungen. Erstens ist für jede Art und Gestaltung von Verantwortung die Existenz von optionalen Handlungszielen erforderlich, da der Verantwortungsmechanismus nur dann funktioniert, wenn Sach- und Formalziel so bestimmt sind, dass sie mess- und umsetzbar sind und somit das Maß der Zielerreichung als Grundlage zur Beurteilung des Verantwortlichen dienen kann. Zweitens setzt Verantwortung Handlungsfähigkeit voraus. Dies erfordert die Existenz von Kompetenz, Qualifikation und Unterstützungsleistung. Kompetenz verkörpert die formalen Mindestbedingungen organisatorischer Handlungsfähigkeit und beinhaltet sowohl die Zuständigkeit für Handlungen als auch die Durchsetzbarkeit von Handlungen. Kompetenzen als Handlungsrechte, die im Rahmen des unternehmensbezogenen Handlungsgeschehens eingesetzt und genutzt werden, lassen sich in folgende Kategorien einteilen: • Antragskompetenz als das Recht, handlungsinitiativ tätig zu werden, • Planungskompetenz als das Recht, Alternativen zu suchen und zu bewerten, • Entscheidungskompetenz als das Recht, eine Auswahl zwischen Alternativen zu treffen, • Mitsprachekompetenz mit dem Recht zur Entscheidungsmitwirkung bei anderen Stellen, • Anordnungskompetenz mit dem Recht zur Anweisung im Anschluss an Entscheidungen,
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
• Realisierungskompetenz als das Recht, Mittel und Ablauf im Rahmen einer gegebenen Aufgabenstellung selbständig zu bestimmen, • Kontrollkompetenz als das Recht zur Vertretung nach außen. Die erfolgreiche Umsetzung von übertragenen Kompetenzen erfordert das Vorhandensein einer ausreichenden Qualifikation, die sowohl berufsspezifische, intellektuelle, interaktive sowie methodische Fähigkeiten als auch fachliche und soziale Kompetenz umfasst. Unterstützungsleistungen als dritte Säule der Handlungsfähigkeit erfordern eine betriebliche Infrastruktur in Form der informatorischen und kommunikativen Einbettung sowie der sachgerechten Ausstattung mit personeller Kapazität. Drittens erfordert die Übertragung und Übernahme von Verantwortung neben den institutionell vorgegebenen Handlungszielen und der Handlungsfähigkeit noch einen situativ bestimmten Handlungsspielraum, der umso größer ist, je mehr Alternativen des Verhaltens bestehen und je weniger deren Auswahl sich auf Bewertungskanäle stützen lässt. Die Autonomie auf Betriebsebene steht im Spannungsfeld von einer durch Delegation von Verantwortung und durch Segmentierung bedingten Reduktion der Komplexität auf der einen Seite sowie der Synergie- und Schnittstellenproblematik im Sinne einer einheitlichen Ausrichtung der autonomen Einheiten auf die Unternehmensstrategie auf der anderen Seite. Als Gestaltungsfelder der Betriebsebene gilt es somit, den Integrationsgrad der logistischen Ketten, die Integration indirekter Funktionen sowie die Informationsintegration zu berücksichtigen. Autonomie betrifft aber ebenso die Arbeitsorganisationsebene. Als Gestaltungsfelder stehen hier die Ausweitung der Gruppenarbeit, Qualifikation und Entlohnung im Mittelpunkt.
3.7.3 Gestaltungsaspekte auf Unternehmensebene Führung in modularen Organisationsstrukturen bedeutet die Neugestaltung der Entscheidungskaskade, die bislang auf einem traditionellen Managementstil mit dem einseitig verstandenen Prinzip der Delegation basierte. Der obersten Hierarchieebene war das Setzen von Zielen und Vorgaben vorbehalten, die nächs-
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te Ebene wurde für die Kontrolle der Aufgabenausführung verantwortlich gemacht, während den untersten Ebenen ausschließlich die Ausführung oblag. Dieses Vertikalprinzip mit der Anordnungskompetenz von oben nach unten und einer Informationspflicht von unten nach oben wird durch das Horizontalprinzip abgelöst. In diesem erfolgt eine Abgrenzung und Vernetzung von strategischen und operativen Aufgaben mit einer konsequenten Delegation von Entscheidungskompetenz und Verantwortung. Die damit verbundene Autonomisierung von organisatorischen Einheiten entlastet die Unternehmensleitung von operativen Aufgaben und eröffnet die Möglichkeit zu einer verstärkten Ausrichtung auf die strategische Planung. Die strategische Unternehmensführung erstreckt sich somit auf einen Ausgleich von Kreativität und Freiheit der Module mit der Finanzstärke und Ressourcenbündelung im Verbund. Hierzu bedarf es der Formulierung von Leitbildern und Visionen, welche die Chance eröffnen, neue Werte, Prozesse und Produkte schaffen zu können, und die Abkehr von Altgewohntem und Sicherem bedeuten. Dabei soll jedoch eine integrierende Wirkung entfaltet werden, die alle Aktivitäten, Ressourcen und Strukturen auf das Fernziel ausrichtet und den Weg aufzeigt. Damit wird der Weg zum Ziel und unternehmerische Führung zur Dienstleistung, die alle Mitarbeiter zum „Organizational Learning“ befähigt und motiviert [13]. Es wird ein gemeinsamer Prozess koordiniert, der Unternehmen auf die Verwirklichung der Vision vorbereitet. Zusammenfassend beinhaltet Führung und Koordination in modularen Organisationsstrukturen damit folgende Aufgabenschwerpunkte (Abb. 3.44): • Formulierung von Leitbildern und Visionen, • Formulierung der Unternehmensstrategie, • Ressourcenallokation bezüglich Finanzmitteln und Managementkapazität, • Koordination von Querschnitts- und Schlüsseltechnologien, • Koordination zur Realisierung von Größen- und Synergieeffekten, • Koordination von Finanz-, Investitions- und Berichtswesen sowie • Überwachung der Geschäfts- und Ergebnisentwicklung. Diese Schwerpunktverlagerung des Aufgabenwesens der Unternehmensführung vom operativen Tagesgeschäft hin zu einer strategischen Ausrichtung des Un-
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Ressourcenallokation - Finanzmittel - Managementkapazität
Koordination von Finanz-, Investitions- und Berichtswesen
Überwachung der Geschäftsund Ergebnisentwicklung
Leitbild und Visionen Unternehmensstrategie
Führung und Koordination
Koordination von Querschnittsund Schlüsseltechnologien
Koordination zur Realisierung von Größen- und Synergieeffekten
Abb. 3.44 Führung und Koordination
ternehmens im Sinne einer Konzentration auf Auf- und Ausbau der Kernkompetenzen [14] sowie der Steigerung des Unternehmenswertes [15], findet auch ihren Niederschlag in der organisatorischen Neuausrichtung der Unternehmensführung. Diese Neuausrichtung beinhaltet zum einen die organisatorische Neugestaltung zentraler Unternehmensfunktionen und zum anderen Mechanismen zur Überwindung hierarchieorientierter Verhaltensweisen. Die autonome Gestaltung von Leistungscentern erfordert die Überwindung von überbetrieblichen Zentralisierungstendenzen, die sich in komplexen und großen Zentralfunktionen und Stäben manifestieren. Der Grund hierfür ist, dass diese schließlich zu Mehrkosten aufgrund • nicht bedürfnisgerechter zentraler Leistungen, • aufwändiger Koordinations- und Abstimmungserfordernisse, • zunehmender Kommunikations- und Fehlerkosten von Doppel- und Mehrarbeit sowie • abnehmenden Bewusstseins für wettbewerbsfähige Kosten/Leistungsverhältnisse in Zentralfunktionen führen. Deshalb bezieht die Implementierung von Leistungscentern die Reorganisation von Zentralfunktionen mit ein. Dabei werden alle kerngeschäftsrelevanten Funktionen, wie Forschung, Entwicklung, Konstruktion sowie Controlling, die für die wettbewerbsfähige Beeinflussung der jeweiligen Er-
folgsfaktoren und die Differenzierung gegenüber dem Mitwettbewerber notwendig sind, in die Leistungscenter verlagert. Dagegen werden Funktionen, die nicht unmittelbar kerngeschäftsrelevant für die Führung aus der Einheit des Ganzen heraus sowie für die langfristige Entwicklung des Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind, zentral organisiert. Für die organisatorische Ausgestaltung sind Formen anzuwenden, die auch in Zentralfunktionen marktwirtschaftliche Prinzipien zur Anwendung kommen lassen. So besteht die Möglichkeit, Aufgaben wie • strategische Führung, • zentrale Koordination, • Entwicklung der Unternehmenskultur und Netzwerkkompetenz, • Sicherung zentraler Finanzhoheit und • kontinuierliche Personalpolitik in einem Management-Center zu bündeln, während zentrale Funktionen mit Dienstleistungscharakter wie • Einkaufsmarketing, • Sicherstellung des Know-how-Transfers sowie • Forschung und Entwicklung in eigenständigen Einheiten wie Kompetenz-Centern und Service-Centern zusammenzufassen sind. Diese können wiederum über Cost- oder Profit-CenterPrinzipien gesteuert werden. Im Rahmen der Konzernorganisation kann dies zur Bildung von HoldingStrukturen führen, wobei insbesondere die Strukturform einer Management-Holding hervorzuheben ist, die sich von einer reinen Finanzholding unterscheidet [16]. Merkmale einer Management-Holding sind zum einen die Trennung zwischen Strategie und Operation, die der Holding-Führung folgende Aufgaben überträgt: • • • • • •
Entwicklung der Unternehmensstrategie, Ressourcenallokation, Realisierung von Größen- und Synergieeffekten, Beratung der autonomen Einheiten, Führungskräfteentwicklung sowie Überwachung der Geschäfts- und Ergebnisentwicklung,
während den autonomen organisatorischen Einheiten folgende Aufgaben obliegen [17]: • Entwicklung und Realisierung der Geschäftsstrategie,
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
• Wahrnehmung aller Funktionen des Tagesgeschäfts, • Entwicklung und Ausbau operativer Kernkompetenzen sowie • Ausbau der technologischen und organisatorischen Kompetenz. Zum anderen führt die Management-Holding zur Identität einer Rechts- und Organisationsstruktur, in der die Unternehmensleitung von einer rechtlich selbstständigen geschäftsführenden Holding wahrgenommen wird. Dieser sind wiederum Tochtergesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit unterstellt. Die Struktur der Weisungsbeziehungen entspricht dem Einliniensystem. Die hierarchischen Unterstellungsbeziehungen und die Kapitalverflechtungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften stimmen dabei überein und ermöglichen eindeutige Kompetenzzuordnungen. Als Koordinationsinstrumente kommen insbesondere die zentrale Finanzhoheit, Formen der Personalunion, Unternehmensverträge und Koordinationsgremien, wie Gesprächskreise und Komitees zur Anwendung. Insgesamt führt dies zu einem dezentralisierten Inhaltsmuster der Hierarchie mit partizipativen und durchgängig teamorientierten Gestaltungsformen. Diese lassen Organisationen mehr zu offenen Systemen von Teilhabern werden, in denen Vertrauen und unternehmerische Fähigkeiten Elemente mit zunehmender Bedeutung sind. Um kundengerechte Produkte bei hoher Qualität, kurzen Lieferzeiten, einer hohen Reaktionsfähigkeit auf Nachfrageänderungen sowie niedrigsten Kosten zu erreichen, sind außer strukturellen Veränderungen Verhaltensänderungen in der Führungs- und Controlling-Konzeption erforderlich. Traditionelle Denkkategorien, die ausschließlich an Kosten- und Produktivitätszielen ausgerichtet und vom Sicherheits- und Bestandsdenken geprägt waren, erscheinen zur Beurteilung der Effizienz des Leistungserstellungsprozesses nur begrenzt geeignet. Damit den heutigen Wettbewerbsanforderungen Rechnung getragen werden kann, ist das Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystem der Unternehmung um die Kategorien Qualität und Zeit zu erweitern. Erst eine konsequente Einbeziehung der Kriterien Kosten, Qualität und Zeit in das betriebliche Controlling ermöglicht die Überwindung bestehender „Trade Offs“ zwischen diesen Zielgrößen und gewährleistet, dass Fehlentscheidungen vermieden und Unternehmensressourcen effizient eingesetzt werden. Die Erhöhung der
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Kostenbeeinflussbarkeit und Erweiterung des unternehmerischen Handlungsspielraumes der autonomen Einheiten auf Betriebsebene erfordert ein geändertes Controllingverständnis [18]. Die operative Steuerung ist durch ein erweitertes Controlling zu ersetzen, indem durch Zielvereinbarung, laufende Soll/IstVergleiche mittels Kennzahlen und eine umfassende Auditierung der Fabrikmodule das Controlling zu einem Führungsinstrument ausgebaut wird. In der Auditierung wird durch eine umfassende Analyse von Bewertungskriterien der Zustand des Moduls ermittelt. Diesem auf weichen Faktoren basierenden Ergebnis wird das finanzwirtschaftliche Leistungsergebnis gegenübergestellt. Dabei wird auf eine Vergleichbarkeit der Fabrikmodule, die Sicherstellung eines einheitlichen Fabrikstandards, Know-how-Transfer und Erfahrungsaustausch sowie auf die Ableitung von Handlungsempfehlungen auf der Basis von Neustrategien für die Entwicklungsrichtung der Module abgezielt. Die mit der Einführung einer modularen Organisation verbundene Erhöhung des Autonomiegrades der Fabrikmodule erfordert im Sinne der Evolution des Unternehmens und der Ausschöpfung von Synergiepotenzialen die Entwicklung einer entsprechenden Netzwerkkompetenz. Dabei wird das gesamte Unternehmen mit Netzwerkstrukturen durchzogen, die die einzelnen autonomen Organisationseinheiten verbinden. Gestaltungsobjekte der Netzwerkkompetenz sind dabei zum einen Information als Grundlage zur Wissensvermehrung („Organizational Learning“) und zum anderen Know-how zur Ausschöpfung der Synergiepotenziale. Werden in funktionalen Organisationen Informationen als Machtbasis und hierarchische Strukturen als Instrument genutzt, um Informationen gezielt zu kanalisieren, so erfordert eine modulare Organisation die Förderung und den Ausbau von horizontalen Informations- und Kommunikationsstrukturen. Information wird dabei als Faktor betrachtet, der sich durch Austausch vermehrt und deshalb instrumental für das Entstehen eines unternehmensweiten Netzwerkes sowie der Wissens- und Erfahrungsakkumulation in einem Unternehmen ist. Wissens- und Erfahrungsakkumulation wiederum bilden die Voraussetzung für eine schnelle Reaktions- und Anpassungsfähigkeit und sind damit ein wesentlicher Erfolgsfaktor in einem sich stetig wandelnden Umfeld. Damit verbunden ist auch die Sicherstellung eines Know-how-Transfers, der sich sowohl auf technologisches als auch organisatorisches Wissen beziehen kann.
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Als Instrumente der Netzwerkkompetenz können die Bildung von Kompetenz-Centern, die Einrichtung von Audit-Teams und die Implementierung von Informations- und Kommunikationssystemen angesehen werden. Kompetenz-Center gewährleisten insbesondere die Wahrnehmung von Querschnittsfunktionen in Bezug auf Verfahrenstechnik, Informationstechnologie und Grundlagenentwicklung sowie zur Realisierung von Synergiepotenzialen. Um Innovationen zu identifizieren, zu transferieren und ihre Anwendung zu überwachen, bietet sich die Einrichtung von Audit-Teams an, die sich aus Führungskräften und Linienmitgliedern der jeweiligen Module rekrutieren und bei denen ein turnusmäßiger Wechsel in der Zusammensetzung vorzusehen ist. Bei der regelmäßigen Auditierung der einzelnen Module ist damit der Wissensaustausch ebenso gewährleistet wie die Nutzung von Spezialisierungsvorteilen bei der eigentlichen Durchführung. Basis für den horizontalen Informations- und Kommunikationsaustausch sind durchgängige Informations- und Kommunikationssysteme. Integrierte Rechner-, Netzwerk- und Datenstrukturen bilden dann die Brücken, über die Geschäftsprozesse quer durch die Unternehmen zu den Kunden und Zulieferern ablaufen können. Die Verknüpfung kann über heterogene Rechnersysteme erfolgen. Der Aufbau einer hohen Netzwerkkompetenz schafft die Voraussetzung sowohl für eine hochqualifizierte und motivierte Mannschaft als auch für eine effiziente Koordination der an verschiedenen Unternehmensstandorten stattfindenden Aktivitäten.
3.7.4 Gestaltungsaspekte auf Betriebsebene Als Organisationsprinzip auf der Betriebsebene steht nicht mehr die Verrichtungsorientierung, sondern die Objektorientierung, und damit die Realisierung einer durchgängigen Produktverantwortung, im Vordergrund. Grundgedanke ist das Prinzip der Zellteilung im Gegensatz zum Prinzip der Funktionsteilung, das einer verrichtungsorientierten Organisation zugrunde liegt. Ziel ist es, durch Entflechtung der Kapazitäten möglichst nach dem Fließprinzip gestaltete produktorientierte Einheiten zu schaffen [19]. Die flussorien-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
tierte Gestaltung der Wertschöpfungsketten führt zu einer Ausrichtung der Wertschöpfungsaktivitäten auf die unternehmerische Marktleistung. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr die Erzielung von Synergieund Wirtschaftlichkeitsvorteilen durch Spezialisierung auf Funktionsebene, sondern die Erzielung einer neuen Art von Synergie auf Produktebene durch ganzheitliche Aufgabenwahrnehmung und Verantwortung (Komplettverantwortung). Im Rahmen einer empirischen Analyse von 48 realisierten Fertigungssegmenten haben sich hinsichtlich der Materialflussintegration fünf Typen herauskristallisiert [12]. Den Schwerpunkt der Segmentierung bildete in fast allen Fällen die Montage. Hierin kommt deutlich zum Ausdruck, dass es stets das Ziel war, die Montage als kundennahe Organisationseinheit flexibel und produktspezifisch auszurichten. In 27% der Fälle (Typ A) konnten Segmente beobachtet werden, die alle Stufen der Materialflussstrecke integriert hatten. Weitere 36% (Typ B) hatten alle Stufen der logistischen Kette bis auf die logistischen Funktionen Wareneingang, Fertigerzeugnislager und Versand integriert. Der Typ C repräsentiert eine reine montageorientierte Integration, ohne Integration logistischer Funktionen. Als Argumente gegen eine Ausdehnung der Segmentierung auf den mechanischen Bereich und somit für einen durchgängig nach dem Fließprinzip gestalteten Materialfluss wurden vor allem technologische Restriktionen, Kapazitätsquerschnitte, Maschinenauslastung, Know-how-Verluste, aber auch strategische Aspekte wie die Verringerung der Fertigungstiefe genannt. In den Branchen Computer und Chemie ist Typ D anzusiedeln. Hier herrscht eine technologieabhängige prozessorientierte Integration vor, wobei in 10% der Fälle eine Integration der logistischen Funktionen und in 4% der Fälle keine Integration festzustellen war. In 4% der Fälle konnte Typ E beobachtet werden, d. h. es lag nur eine teilweise Integration im Vorfertigungsbereich vor. Insgesamt war folgender Realisierungspfad erkennbar: Den Ausgangspunkt bildet i. d. R. die Montage. In der Ausbreitungsphase werden dann sukzessive die mechanischen Bereiche mit einbezogen. Zuletzt integrierte man die logistischen Funktionen, wobei eine signifikante Beziehung zur Größe und Kundenorientierung des Segments besteht. Die indirekten Bereiche haben in den letzten Jahren in den meisten Unternehmen stark an Bedeutung zugenommen. Dies dokumentiert sich anhand des Personalkostenvolumens der indirekten Bereiche. Betrug im
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
189
Jahr 1960 das Mitarbeiterverhältnis indirekte/direkte etwa 1:2, so hat sich dieses Verhältnis, zugunsten der indirekten, beinahe umgekehrt. Vergleicht man die Gemeinkostenentwicklung im Verhältnis zur Gesamtkostenentwicklung, so ist eine Verdopplung des Gemeinkostenanteils auf nahezu 60% der Gesamtkosten festzustellen [11]. Diese überproportionale Zunahme indirekter Tätigkeiten ist Ausdruck der in der Vergangenheit in der Produktion vorherrschenden Produktivitätsorientierung. Im Rahmen der Strategie einer stärkeren Marktund Kundenorientierung lautet das Gestaltungsprinzip, Kongruenz von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung zu schaffen und somit unternehmerisches Handeln in der gesamten Hierarchiepyramide als Handlungsmaxime zu verankern. Bezüglich der Betriebsebene bedeutet dies die Verlagerung indirekter Funktionen in die Segmente und ihre prozessorientierte Gestaltung im Hinblick auf das oben genannte Gestaltungsprinzip. Zur systematischen Analyse der Verlagerung indirekter Bereiche wurden die indirekten Funktionen untergliedert in übergeordnete (z. B.
Controlling, Marketing), vorgelagerte (z. B. AV, Einkauf), fertigungsbegleitende (z. B. Instandhaltung, Rüsten) und nachgelagerte indirekte Funktionen (z. B. Versand, Kundendienst). Dabei zeigte sich, dass der Schwerpunkt der Integration bei den fertigungsbegleitenden indirekten Funktionen liegt (Abb. 3.45). Den Schwerpunkt bildet die Qualitätssicherung, in der die Strategie der Selbstkontrolle durch die Mitarbeiter überwiegt. Diese Qualitätssicherungsstrategie verfolgt das Ziel, die Qualitätssicherungskosten zu minimieren und eine Weitergabe fehlerhafter Teile zu vermeiden. Hierzu wird ein Problemlösungssystem installiert, das die Ursache für Fehler am Ort ihrer Entstehung erkennt und sofort beseitigt. Als ein weiterer Vorteil wird die mögliche Einsparung von Qualitätssicherungspersonal, die bis zu 80% gegenüber einem Fremdkontrollsystem betragen kann, angesehen. Weitere Kostensenkungspotenziale ergeben sich aus der möglichen Verringerung des Materialbestandes in der Produktion, da eine Zwischenlagerung für Zwecke der Qualitätssicherung entfallen kann. Ausschussfolgekosten können aufgrund der schnelleren Ursachen-
100% 90%
Übergeordnete indirekte Funktionen
80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%
Vorgelagerte indirekte Funktionen
100% 90% 80%
0%
0%
Führung
Rechnungswesen
8%
0%
0%
65%
70%
Controlling
Marketing
0% ∅2% Fkt . Personalwesen
100% 90%
60%
70%
50%
60%
Indirekte Funktionen
40% 30%
17%
20% 10% 0%
Nachgelagerte indirekte Funktionen
80%
58%
∅26%
17%
50%
42%
40% 30% 20%
0% Vertrieb
0% Entwicklung
Konstruktion
AV/ Dispo
Werk- Einkauf zeugvorrich100% tungs90% wesen 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Fertigungsbegleitende indirekte Funktionen 71% 61%
0%
0%
Kundendienst
Distribution
0%
Versand 100% 81%
79%
67%
∅67%
6% Material- Trans- Steuebereit- port rung stellung
Abb. 3.45 Funktionsintegration
∅14%
10%
Fkt .
Qual- Rüsten Instand- Beitätshaltung schafsichfung erung
Fkt .
Fkt .
190
diagnose gering gehalten werden, da Fehler unmittelbar nach ihrem Auftreten erkannt werden. Daraus resultieren eine Beschleunigung des Materialflusses und eine Verringerung der Durchlaufzeiten und Kapitalbindungskosten. Eine weitere Steigerung der Produktivität gegenüber Fremdkontrollsystemen ist auch durch eine positive Motivationswirkung auf die Mitarbeiter zu erwarten. Segmentexterne Kontrollen werden vor allen an kapitalintensiven Messinstrumenten vorgenommen. In den analysierten Fällen konnte eine Senkung der Qualitätskosten um bis zu 50% beobachtet werden. Ein weiterer Integrationsschwerpunkt liegt im Bereich der Rüsttätigkeiten. Um die Vorteile der Fliessfertigung auch in der Losfertigung zu verwirklichen, ist es notwendig, den Wechsel als Bestandteil des betrieblichen Ablaufs und damit als repetitives Element anzusehen. Gelingt es, die Unterbrechungsdauer des Wechsels zwischen den Arbeitsgängen gegen Null gehen zu lassen, so können durch Harmonisierung der Kapazitäten auch bei einer wechselnden Produktion durchgängige Materialflüsse erzielt werden. Um das Ziel einer Minimierung der erfolgwirksamen Unterbrechungszeit der Anlagen zu erreichen, wird als organisatorische Maßnahme eine Differenzierung der Rüstaufgaben in solche Anteile, die bei laufender Maschine durchgeführt werden können, und solche, die einen Stillstand der Anlage erfordern, vorgenommen. Somit können beispielsweise sämtliche vorbereitende Tätigkeiten, wie die Bereitstellung von Werkzeugen, Vorrichtungen und Befestigungselementen, vorgezogen werden. Falls diese Tätigkeiten durch den Mitarbeiter an der Maschine durchgeführt werden sollen, setzt dies eine Entkopplung der Mitarbeiter von der Maschinenlaufzeit voraus. Die Dauer dieser Entkopplung bestimmt den Umfang der zu übertragenden, parallel zur Maschinenlaufzeit durchführbaren Rüstzeiten. Durch Bildung spezieller Rüstteams kann zusätzlich die Wechselbereitschaft erhöht werden. Damit geht eine Erhöhung des Ausbildungsstandes der Mitarbeiter für Rüstaufgaben einher. Zielvorstellung der Dezentralisierung der Instandhaltungsfunktionen ist die Minimierung von Unterbrechungszeiten aufgrund von Störungen und die Eliminierung von Maschinenausfällen an der Quelle. So konnte in 79% der Fälle eine Verlagerung von Instandhaltungsaktivitäten in Fertigungssegmente beobachtet werden. Wesentliche Integrationsschwerpunkte konnten in den vorgelagerten Bereichen Arbeitsvorbereitung und
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Disposition sowie in dem nachgelagerten Bereich für die Funktion des Versandes festgestellt werden. Dabei lag die Zielvorstellung zugrunde, möglichst durchgängige Prozessketten in einem Verantwortungsbereich zu schaffen. Neben der Verlagerung der indirekten Funktionen war ihre organisatorische Ausgestaltung im Segment zu untersuchen, was anhand des Autonomiegrades der einzelnen Funktionen erfolgte. Dabei wurde nach einer Skalierung von „autonom“ über „informatorische und personelle Verflechtungen“ bis hin zu „zentraler Aufgabenwahrnehmung“ unterschieden. In Bezug auf die personelle Verflechtung wurde noch zwischen einer räumlich-disziplinarischen Integration und einer räumlich-funktionalen Integration unterschieden. Den höchsten Autonomiegrad wiesen dabei die Funktionen Steuerung, Transport und Materialbereitstellung auf, bei denen weitestgehend nur informatorische Verflechtungen bestehen (Abb. 3.46). Trotz hohen Integrationsgrades ist für Qualitätssicherung, Instandhaltung und Rüsten kein hoher Autonomiegrad festzustellen. Dies hängt vorwiegend damit zusammen, dass auf Spezialisten, Spezialwerkzeuge und -vorrichtungen zurückgegriffen werden muss. Somit sind starke personelle Verflechtungen festzustellen, die sich überwiegend in einer räumlichfunktionalen Integration widerspiegeln. Es zeigt sich auch, dass mit der Fertigungssegmentierung die Objektorientierung als vorherrschendes Organisationsprinzip zunehmend an Bedeutung gewinnt (Abb. 3.47). So herrscht in den Funktionen mit hohem Autonomiegrad nach der Segmentierung die objektbezogene Organisation vor. Aber auch in den gering verlagerten Funktionen, wie Beschaffung und Konstruktion/Entwicklung, sind organisatorische Änderungen in Richtung einer stärkeren Objektorientierung festzustellen. Als Planungs- und Steuerungsinstrument der indirekten Bereiche kommt dem Aufbau von internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen immer stärkere Bedeutung zu. Hierbei wird dem Gedanken Rechnung getragen, den indirekten Bereichen, vor dem Hintergrund strategischer Rahmenziele des Gesamtunternehmens, Spielräume unternehmerischen Handelns einzuräumen. Spielregeln sind dabei, dass „Kunde“ und „Lieferant“ eine eindeutige partnerschaftliche Leistungsvereinbarung erstellen und nach der Leistungserstellung eine Leistungsabnahme durchführen. Abweichungen von der Vereinbarung müssen zu Konsequen-
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung Autonomiegrad [%]
10
20
30
40
191
50
60
70
80
90
100
Funktionen Steuerung
70%
Transport
65%
Materialbereitstellung
60% 56%
Werkzeugwesen Rüsten
52%
Qualitätssicherung
52% 40%
Arbeitsvorbereitung Instandhaltung
40%
Disposition
26%
Entwicklung/ Konstruktion
22%
Beschaffung
8%
Einkauf
4%
Abb. 3.46 Autonomiegrad betrieblicher Funktionen
Funktionen Steuerung Transport Materialbereitstellung Werkzeugwesen Rüsten Qualitätssicherung Arbeitsvorbereitung Instandhaltung Disposition Entwicklung/ Konstruktion Beschaffung Einkauf
Autonomiegrad [%] 10
20
30
40
50
60
70
80
vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS vor FS nach FS
90
100
funktionale Organisation
objektbezogene Organisation
Abb. 3.47 Organisation betrieblicher Funktionen
zen führen, insbesondere wenn es sich um Kosten- und Qualitätsbeziehungen handelt. Die Kostenumlagen sind durch Leistungsverrechnungen zu ersetzen. Die strategischen Rahmenziele des Unternehmens und die daraus abgeleiteten Abteilungsziele und Spielregeln bilden den Handlungsrahmen für das gewünschte „unternehmerische Handeln“. Durch die Reorganisation der Wertschöpfungskette sowie der indirekten Funktionen werden wesentliche Strukturparameter der Organisation verändert. Daraus resultieren neue Anforderungen für die Ge-
staltung von Informations- und Kommunikationssystemen. Die Realisierung von Fließprinzipien im Informationsfluss erfordert sowohl die organisatorische als auch informationstechnische Integration einzelner Funktionen. Die Verfügbarkeit der Information beim Einsatz integrierter Informationsverarbeitung im Unternehmen löst den Zwang zur räumlichen Konzentration von Mitarbeitern, die auf die gleichen Daten zugreifen müssen, auf. Ein dezentraler Einsatz von Arbeitsplanern, Disponenten und Konstrukteuren ist denkbar.
192
Hierbei gewinnen objektorientierte Datenbanksysteme eine herausragende Bedeutung. Sie fördern kurze Informationsdurchlaufzeiten und ermöglichen eine Informationsverfügbarkeit am Ort des größten Nutzens. Information ist dabei nicht nur als wesentlicher Erfolgsfaktor im Zeitwettbewerb zu betrachten, sondern auch als wesentliches Element zur unternehmerischen Verhaltenssteuerung. Gegen die Dezentralisierung funktionsorientierter Unternehmensbereiche wird häufig eingewandt, dass Spezialisierungsvorteile und Synergieeffekte verloren gehen. In der betrieblichen Praxis zeigt sich jedoch, dass eine neue Dimension der Spezialisierung und der Synergie eintritt und erhebliche Rationalisierungspotenziale freisetzt. Spezialisierung ist bei integrierten Systemen nicht mehr als konzentrierte Ausrichtung auf eine Funktion, z. B. Konstruktion, zu verstehen. Die Spezialisierung erfolgt durch Ausrichtung auf einzelne Produkte, die durch EDV-Unterstützung von der Konstruktion bis zur NC-Programmierung betreut werden. Durch diese Art der Spezialisierung treten auch neue Synergien auf. Die integrierte Vorgehensweise über mehrere, bisher getrennte Funktionsbereiche, führt zu einem gemeinsamen Problemverständnis und zu einer Prozessoptimierung. Diese Synergieeffekte sind höher zu bewerten als die der zentralisierten Organisation, die lediglich zu einer Funktionsoptimierung beitragen.
3.7.5 Gestaltungsaspekte auf Arbeitsorganisationsebene Die zunehmende Dezentralisierung führt zu einer quantitativen und qualitativen Aufgabenverschiebung und somit zu veränderten Qualifikationsanforderungen. Die enge Ausrichtung der Mitarbeiter auf den Arbeitsplatz wird abgelöst durch das Mitdenken und Mithandeln im Sinne der Optimierung des gesamten Fertigungsablaufs (Kongruenz von Aufgabe und Verantwortung) [20]. Die ganzheitliche Aufgabenerfüllung wird in dreierlei Hinsicht zunehmen: • horizontal lassen sich verstreut wahrgenommene, gleichartige Aufgabenelemente in einer Stelle zusammenziehen, • vertikal gilt das Gleiche für arbeitsteilig wahrgenommene Planungs-, Entscheidungs-, Durchführungs- und Kontrollaufgaben,
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
• bislang ausgelagerte indirekte Funktionen werden in die Hauptaufgabe integriert. So beherrschen nach der Segmentierung 82% der Mitarbeiter zwei und mehr Arbeitsaufgaben, wobei der Schwerpunkt mit 38% bei der Beherrschung von drei Arbeitsaufgaben festzustellen ist (Abb. 3.48). Betroffen von der Aufgabenumgestaltung in der Produktion sind sowohl die ausführenden Mitarbeiter als auch die Führungskräfte. Die Arbeitselemente der Planungs-, Fertigungs- und Kontrollaufgaben werden so zusammengefasst, dass der Mitarbeiter eine größere Anzahl unterschiedlicher Arbeitsvorgänge ausführt und beispielsweise für die Qualitätskontrolle seiner Arbeit, für die Einrichtung und Instandhaltung seiner Maschine und für die Festlegung seiner Ausbringung selbst verantwortlich ist (Verantwortung für Menge, Qualität, Anlage). Neben der Erweiterung des Arbeitsinhaltes wird eine Beteiligung der ausführenden Mitarbeiter an dispositiven Tätigkeiten wie Arbeitsverteilung, Fertigungsfortschrittsüberwachung und Betriebsmittelprüfung erwartet. Bisher werden diese Funktionen primär vom Werkstattpersonal oder von speziellen Bereichen (z. B. Qualitätssicherung) durchgeführt, so dass den Mitarbeitern nur einfachere Tätigkeiten wie Verfügbarkeitskontrollen oder die Materialbereitstellung überlassen werden. Die Erhöhung des Automatisierungsgrades ermöglicht die Entkopplung von Mensch und Maschine, so dass die Betriebszeit durch Pausendurchlauf und mannlose Fertigung gesteigert werden kann [21]. In Verbindung mit der Nebenzeitreduktion durch automatischen Werkstückund Werkzeugwechsel ergibt sich eine Zunahme der Hauptnutzungszeiten der Anlagen. Hierdurch kann der zeitliche Spielraum der Mitarbeiter, die überwiegend Überwachungsaufgaben wahrnehmen, für dispositive Aufgaben und Instandhaltung genutzt werden. Die angeführten Entwicklungen führen zu einer Erhöhung des Qualifikationsniveaus im Produktionsbereich. So zeigt die empirische Analyse, dass der Anteil der Ungelernten in der Fertigung bei 10% lag, während ein Facharbeiteranteil von 41% zu beobachten ist, von dem wiederum ca. 82% eine Zusatz- oder Mehrfachqualifikation aufweisen (Abb. 3.48). Bei den befragten Unternehmen lagen die Schwerpunkte der auf die Fertigungsmitarbeiter übertragenen Arbeitsaufgaben bei der Qualitätskontrolle, bei den
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
193
Qualifikationsniveau der Mitarbeiter
41%
Ausmaß der Arbeitsteilung
10% 49%
Qualifikationsniveau der Facharbeiter
25% 38%
Anteil der Ungelernten
18% 19%
Anteil der Angelernten Anteil der Facharbeiter
38%
18%
44%
Mitarbeiter beherrschen 1 Arbeitsaufgabe Mitarbeiter beherrschen 2 Arbeitsaufgaben Mitarbeiter beherrschen 3 Arbeitsaufgaben Mitarbeiter beherrschen mehr als 3 Arbeitsaufgaben Abb. 3.48 Qualifikationsniveau
Rüst- und Instandhaltungstätigkeiten sowie bei den Steuerungsaufgaben. Die empirische Analyse zeigt, dass die Verlagerung fertigungsnaher indirekter Funktionen vorwiegend die Qualifikationsanforderungen an den Maschinenbediener verändert. So wurden ihm in 90% der Fälle Aufgaben der Qualitätskontrolle übertragen, während Rüstund Transporttätigkeiten mit 78% und 70% einen geringeren Anteil haben (Abb. 3.49). In der Hälfte der Fälle ist er auch für die Instandhaltung seiner Anlagen zuständig. Eine untergeordnete Bedeutung haben Materialbereitstellung und Steuerungsaufgaben. Die Implementierung von selbststeuernden Regelkreisen und des Holprinzips führen zu einer Anreicherung von Materialbereitstellungstätigkeiten um Steuerungs- und Dispositionsfunktionen. Die Übertragung von dispositiven Tätigkeiten auf Mitarbeiter bedeutet, dass diese Aufgaben übernehmen, die sich auf den gesamten Fertigungsprozess beziehen und nicht nur auf die eigenen Arbeitsgänge oder auf die für die Bearbeitung notwendigen Arbeits- und Betriebsmittel sowie Informationen. Voraussetzungen hierfür sind eine entsprechende Eignung der Mitarbeiter und eine transparente Gestaltung der Produktionsstruktur. Die Einführung einer neuen Form der Arbeitsorganisation verlangt nach einer Umgestaltung des
Anteil der Facharbeiter ohne Zusatzqualifikation Anteil der Facharbeiter mit Zusatzqualifikation Anteil der Facharbeiter mit Mehrfachqualifikation
Arbeitssystems, wobei zum Teil veränderte Informations- und Entscheidungshilfsmittel bereitgestellt werden. Von den Mitarbeitern selbst wird hierbei eine breitere Einsatzmöglichkeit durch Job Rotation oder Job Enlargement erwartet. Verbunden mit der Transformation von Erfahrungen durch das Personal von einem Arbeitsplatz zum anderen wächst das Problembewusstsein für Nachbarbereiche. Die oft anzutreffende informatorische Isolation innerhalb der Belegschaft wird durchbrochen. Dadurch ist es möglich, im Rahmen einer flexiblen Organisation „humane Reserven“ effizienter zu mobilisieren. Das Erkennen von Rationalisierungsansätzen, produkt- oder prozessbezogen, wie es systematisch durch die Wertanalyse betrieben wird, darf sich nicht auf den punktuellen Einsatz des Instrumentariums beschränken. Die Erfahrung zeigt, dass die Berücksichtigung und die Verwertung abgegebener Verbesserungsvorschläge schneller zu Lösungen führen und häufig erst auf Schwachstellen bzw. „Unwirtschaftlichkeiten“ aufmerksam machen. In diesem Zusammenhang erweist es sich als effizient, Organisationsformen zu schaffen, die es erlauben, Fehler frühzeitig zu erkennen. So bewirkt eine systematische Visualisierung mit Hilfe von Standard-Informationswänden, verbunden mit der Verpflichtung, Probleme zu veröffentlichen, dass die Vorgesetzten frühzeitig über vorhande-
194
3 Neues Denken in der Unternehmensführung Materialbereitstellung
Steuerungsaufgaben
[in %] 90
90 80
80 70
70 60
60 50
50 40
40 30
30 20
20 10
Transport 90
80
70
60
50
40
30
20
10
10
0
0 10
0
Instandhaltung 20
30
40
50
60
70
80
90
10 20
20
30 40 50 60 70 80
Rüsten
90
30 40 50 60 70 80 90
Qualitätskontrolle
Abb. 3.49 Arbeitsverteilung Maschinenbediener
ne Probleme informiert werden. Darüber hinaus sind sie wegen der Publizität bestrebt, rasch eine Lösung der Probleme herbeizuführen. Um Konsequenzen einer Höherqualifizierung breiterer Mitarbeiterschichten zu verdeutlichen, werden in Abb. 3.50 zwei Organisationsmodelle idealtypisch gegenübergestellt [22]. Im links dargestellten Organisationsmodell ist die Qualifizierung auf wenige Mitarbeiter begrenzt. Wenige sind für die Führung einer großen Anzahl von Mitarbeitern verantwortlich. Im Extremfall sind den Mitarbeitern ausschließlich manuelle Tätigkeiten übertragen. Demgegenüber wird in der rechts dargestellten Organisation einer Vielzahl von Mitarbeitern aufgrund ihrer Qualifizierung die Möglichkeit gegeben, sowohl ihre intellektuellen als auch ihre manuellen Fähigkeiten in den Wertschöpfungsprozess einzubringen. Die Mitarbeiter können in hohem Maße selbständig arbeiten. Dem Werkstattführungspersonal wird durch die Aufgabengestaltung ein großer Teil dispositiver Aufgaben entzogen, der aber durch Aufgaben der Koordination, der Betreuung, Beratung und Schulung von Mitarbeitern kompensiert wird. Die Integration indirekter Funktionen in den Produktionsbereich bildet nicht nur den Ausgangspunkt für die Schaffung neuer Tätigkeitsbilder und Qualifikationsstrukturen, sondern auch einen Ansatzpunkt zur Veränderung der
Arbeitsorganisation in Richtung Gruppenorganisation und Teamorientierung. Im Rahmen der Gruppenorganisation wird die Arbeitsaufgabe eines Arbeitssystems teilweise oder ganz durch mehrere Mitarbeiter erfüllt. Die Gruppenmitglieder erhalten eine ganzheitlich zu verantwortende Arbeitsaufgabe sowie die Kompetenz, die Teilaufgaben des Systems selbständig zu verteilen und damit auch die Kontrolle über die Arbeitsabläufe zu übernehmen (Abb. 3.51). Die Gruppenaufgaben weisen demnach zwei Dimensionen auf: 1. Arbeitsorganisatorische Dimension: • Verantwortung für Qualitätssicherung, Instandhaltung und Material, • Anlagenverantwortung, • Leistungsverantwortung und -regulierung im Sinne der Vorgabenerfüllung hinsichtlich Menge, Qualität und Termin sowie • Kostenverantwortung. 2. Personelle bzw. soziale Dimension: • • • • •
Vertretung der Gruppeninteressen, Fehlzeitenregelung, Personalrekrutierung/-ausleihungen Qualifizierung und Arbeitsplatzeinweisung.
3.7 Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung
195
Zentrale Organisation
Dezentrale Organisation
Anzahl der Mitarbeiter
Anzahl der Mitarbeiter
Abb. 3.50 Vergleich des Ausbildungsstandes in einer zentralen und dezentralen Organisation Strukturbildende Gestaltungsdimensionen
Partizipationsbestimmende Gestaltungsdimensionen Kooperation und Kommunikation
Funktions- und Aufgabenintegration
Ausführung Prozeßsicherheit Planung Kontrolle
Gruppenorganisation
Gruppenintern und -extern Kernaufgabe Wechselseitige Unterstützung
Selbstorganisation Qualifikation
Arbeitsaufgabe Arbeitszeit Qualifizierung Leistung Qualität
Methoden und Sozialkompetenz Bedarfsorientierte Zusatzqualifikation
Abb. 3.51 Konstruktive Dimensionen der Gruppenarbeit
Für eine effektive Einführung der Gruppenorganisation [23] sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Gestaltung einer möglichst gemeinsam durchführbaren Arbeitsaufgabe innerhalb eines inhaltlich abgegrenzten Tätigkeitsbereiches, • die Gruppenstruktur wird im Wesentlichen durch technische, räumliche, arbeitsorganisatorische und kommunikative Einflussgrößen bestimmt,
• Festlegung eines gemeinsamen und erweiterten Verantwortungs- und Kompetenzbereiches der Gruppe, • Rückkopplung bezüglich der vereinbarten Ziele und Zielerreichungsgrade sowie gemeinsame Zielfestlegung, • Kooperation, Koordination, Kreativitätspotenzial und Konfliktneigung spielen bei der Festlegung der Gruppengröße eine wichtige Rolle.
196
• Gruppengespräche zur Lösung organisatorischer, technischer und personeller Probleme sind vorzusehen, • in der Personalbedarfsermittlung sind integrierte indirekte Funktionen zu berücksichtigen, • geeignete Umfeldgestaltung, • Informationsbereitstellung, • Festlegung eines Gruppensprechers oder -koordinators, • die Gruppenarbeit muss den übergeordneten Zielen optimaler Betriebsmittelnutzungs- und Arbeitszeiten entsprechen sowie • zur Sicherung und Erweiterung der Qualifikation sind entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen vorzusehen. Mit wachsender Bedeutung der Gruppenorganisation nehmen nicht nur funktionale Qualifikationsanforderungen und die damit verbundene Fachkompetenz zu, vielmehr gewinnen extrafunktionale Qualifikationsanforderungen eine zunehmende Bedeutung. Extrafunktionale Qualifikationsanforderungen beziehen sich nicht unmittelbar auf den Tätigkeitsinhalt, sondern umfassen die Bereiche der Methodenkompetenz und Sozialkompetenz sowie Anforderungen hinsichtlich Lernfähigkeit und -bereitschaft. Die Bedeutung der Methodenkompetenz wächst mit steigender Autonomie, wobei die Mitglieder in die Lage versetzt werden sollen, die Komplexität von Problemen zu reduzieren, die wahren Problemursachen zu finden und Lösungswege systematisch aufzuzeigen und diese anderen Gruppenmitgliedern verständlich zu machen. Hierfür sind intensive Schulungen im Hinblick auf Visualisierungs-, Kreativitäts-, Problemlösungs- und Präsentationstechniken erforderlich. Daneben stellt die Gruppenorganisation gesteigerte Anforderungen im Hinblick auf die Sozialkompetenz. Hierzu bedarf es der Förderung gruppenorientierten Verhaltens sowie der Steigerung von Kommunikations-, Konfliktund Kooperationsfähigkeit durch Workshops, Erfahrungsaustausch und Rollenspiele. Insgesamt kann die Erweiterung dieser Kompetenzen nicht per Anweisung erreicht werden, sondern durch • eine kontinuierliche Verbreiterung der Wissensbasis, • den Aufbau von Erfahrungswissen, • die Förderung von Kommunikationsbeziehungen durch das Knüpfen von Netzwerken sowie • durch lebenslanges Lernen.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Auf diese Weise wird Qualifizierung zum integralen Bestandteil einer Organisationsentwicklung [24]. Mit zunehmender Dezentralisierung von Kompetenz und Verantwortung ändern sich die Anforderungen an die Entlohnungskonzepte [25]. Ziel der Gestaltung von Entlohnungssystemen ist es, zum einen die Leistungsbereitschaft („Wollen“) und zum anderen die Leistungsfähigkeit („Können“) der Mitarbeiter durch monetäre Anreize zu erhöhen. In Verbindung mit den einhergehenden Veränderungen in der Arbeitsorganisation, die auf eine Erhöhung der Leistungsmöglichkeiten („Dürfen“) abzielen, kommt Entlohnungssystemen eine unterstützende Funktion auch im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zu. Wesentliche Bedeutung erlangen leistungsorientierte Entgeltsysteme. Eine Berücksichtigung verschiedener Bezugsgrößen bei der Entgeltfindung ermöglichen kombinierte Prämienlohnkonzepte. Hierbei ist es möglich, zwischen der Prämienausgangsleistung und der Prämienendleistung ein differenziertes Bonussystem zu installieren, das unterschiedlich gewichtete Komponenten wie Menge, Qualität, Flexibilität, Qualifikation oder erfüllte Zielvereinbarung zulässt. Solche Entlohnungskonzepte lassen sich entsprechend auf die Gruppenentlohnung übertragen. In Verbindung mit Gruppenarbeit besteht die Möglichkeit, als variablen Anteil der Lohnform eine zielorientierte Gruppenzulage zu vereinbaren, die sich an Zielen wie Anlagennutzung, Durchlaufzeitsenkung und kurze Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter orientiert.
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197 Wildemann, H.: Lean Management. 3. Aufl., München 1996 Wildemann, H.: Entstörmanagement. 2. Aufl., München 1995 Wildemann, H.: Produktivitätsmanagement. 3. Aufl., München 1997 Wildemann, H.: Komplexität: Vermeiden oder beherrschen lernen. Harvard Business Manager 6 (1999), S. 30–45 Wildemann, H.: Vorsprung im globalen Wettbewerb durch flexible Personalstrukturen, München 1999 Wildemann, H.: Wissensmanagement, München 2002 Literaturhinweise und Fallbeispiele unter www.tcw.de
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung 3.8.1 Einleitung „Unsere Mitarbeiter sind unser Kapital“, „die Quelle unseres Erfolges“ und „wichtigste Ressource“ – derartige Aussagen finden sich heute oftmals in Geschäftsberichten und Firmenpräsentationen. Nahezu alle Unternehmen bekennen sich heute zum Erfolgsfaktor Mensch. Betrachtet man allerdings ihre Top-ManagementSitzungen, so dreht sich vieles immer noch ausschließlich um die Kapitalinvestitionen. Wenn von Mitarbeitern die Rede ist, dann als Kostenfaktor [1]. Ungeachtet ihrer Umsetzung beschreiben die Bekenntnisse eine neue Denkweise in der Unternehmensführung: Im heutigen, durch permanenten technologischen Wandel geprägten Informationszeitalter entscheiden nicht mehr Kapital und Technologien über Erfolg oder Misserfolg, sondern zunehmend die Mitarbeiter mit ihrem aktuellen Know-how, ihren Fähigkeiten sowie ihrer Befähigung, sich flexibel auf neue Situationen einzustellen [2]. Dies führte zur Anerkennung der Mitarbeiter bzw. des Human Capital als strategischen Erfolgsfaktor der Unternehmung [3]. Lee Iacocca brachte es auf den Punkt: „Letzten Endes kann man alle wirtschaftlichen Vorgänge auf drei Worte reduzieren: Menschen, Produkte und Profite. Die Menschen stehen dabei immer an erster Stelle. Wenn man kein gutes Team hat, kann man mit den beiden anderen nicht viel anfangen [4].“ Trotz dieser Erkenntnis werden viele Unternehmen immer noch anhand ihrer Finanzkraft und ihrer Umsätze oder ihrer materiellen Vermögenswerte bewertet. Diese im Industriezeitalter geprägten Maßstäbe beeinflussen unsere Einschätzung von Unternehmen bis
198
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
heute, obwohl sich die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Realitäten schon vor Jahrzehnten zu verändern begonnen haben. Vor allem der Übergang zur Dienstleistungs- bzw. Informationsgesellschaft brachte es mit sich, dass die immateriellen Vermögenswerte zunehmend an Bedeutung gewinnen und in großem Maße den Unternehmenswert bestimmen [5]. In diesem Beitrag soll die Notwendigkeit des Wandels hin zu einer ganzheitlichen Unternehmensführung dargestellt werden, deren zentraler Bestandteil die Mitarbeiterorientierung, d. h. die Anerkennung des Mitarbeiters als strategischen Erfolgsfaktor ist.
3.8.2 Veränderte Rahmenbedingungen 3.8.2.1 Entwicklung der Unternehmensführung Die Unternehmen befinden sich in einem revolutionären Veränderungsprozess. Die Wettbewerbssituation des Industriezeitalters verändert sich in die des Informationszeitalters. Damit sind die Anforderungen an die Unternehmensführung in der Vergangenheit ständig gestiegen und werden auch in Zukunft weiter zunehmen. Die Gründe dafür liegen in den fortschreitenden Veränderungen der ökonomischen, technologischen, sozio-kulturellen und rechtlich-politischen Rahmenbedingungen, unter denen die Unternehmen agieren und reagieren (vgl. Abb. 3.52). Diese Veränderungen implizieren für die Unternehmensführung eine Menge neuer, kritischer Herausforderungen, deren Bewältigung ein Überdenken des vorherrschenden Geschäftsverständnisses, einschließlich
Veränderung der Wettbewerbssituation • Internationalisierung der Märkte • Innovationsdynamik bei Produkten und Prozessen • Käufermärkte • Globalisierung • Demographische Entwicklung • Ressourcenverknappung
Innovationspotenziale der Informations- und Kommunikationstechnologie • Neue Produkte • Prozessinnovation • Neue Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung • Neue Unternehmensformen
der kritischen Erfolgsfaktoren im sich verschärfenden Wettbewerb, bedingt. Betrachtet man die Entwicklung der Unternehmensführung, so ergaben sich in Abhängigkeit der jeweiligen Wettbewerbssituation unterschiedliche Fokussierungen: • Technikorientierte Unternehmensführung: Diese Orientierung wurde maßgeblich geprägt durch das Scientific Management. Die relativ vorhersagbare und stabile Unternehmensumwelt sowie das Vorhandensein eines ungesättigten Verkäufermarkts ermöglichten es den Unternehmen, alle ihre Anstrengungen auf die Optimierung ihrer Leistungserstellungsprozesse zu richten. Es ging darum, möglichst effiziente und rationelle Prozesse zu schaffen, um die Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Dazu mussten die Inputfaktoren in optimaler Weise kombiniert und eingesetzt werden. Ein Produktionsfaktor war dabei die menschliche Arbeitsleistung. • Marktorientierte Unternehmensführung: Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen sich die Rahmenbedingungen zu verändern. Die Kundenwünsche wurden individueller und es trat eine Marktsättigung auf. Es entstand ein Käufermarkt. Insofern wurde es für die Unternehmen zunehmend wichtig, Kunden für ihre Produkte zu finden. Im Mittelpunkt der Unternehmensführung stand die gezielte Bearbeitung des Marktes zur Steigerung des Absatzes und die Befriedigung der individuellen Kundenwünsche. Das Marketing wurde zum zentralen Paradigma der Unternehmensführung. • Qualitätsorientierte Unternehmensführung: Mit den wachsenden Anforderungen der Kunden
Wertewandel in der Arbeitswelt und Gesellschaft • Einstellung zur Umwelt • Altersstruktur der Arbeitnehmer • Käuferverhalten • Qualitätsanspruch an den Arbeitsplatz
Herausforderung für die Unternehmen Abb. 3.52 Veränderte Rahmenbedingungen der Unternehmensführung [6]
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
wurde erkannt, dass eine neue Form der Qualitätsorientierung erforderlich ist. Es bedurfte einer aktiven, alle Strukturen und Prozesse durchdringenden Qualitätsorientierung. Diese Ansätze der umfassenden Qualitätsorientierung werden als Total Quality Management (TQM) bezeichnet. Die Markt- und Kundenorientierung wird hierbei auch auf die innerbetrieblichen Beziehungen übertragen. • Wertorientierte Unternehmensführung: Durch die Globalisierung der Kapitalmärkte, die Zunahme an international mobilem Kapital und der Bildung finanzkräftiger Investmentgesellschaften ist von den USA seit Anfang der 80er Jahre ein Trend zu erkennen, der die Maximierung des Unternehmenswertes zunehmend an Bedeutung gewinnen lässt. Dies führt dazu, dass die Unternehmen mit ihren Strategien und Prozessen darauf ausgerichtet sind, den Unternehmenswert zu steigern (Value-based Management). Zur zentralen Größe der Unternehmenssteuerung wurde der Shareholder Value [7]. • Aus der wettbewerbsentscheidenden Bedeutung der Human Resources folgt die Mitarbeiterorientierung als neue Dimension der Unternehmensführung. Der Begriff Mitarbeiterorientierung bezeichnet eine Grundhaltung innerhalb der Unternehmung, bei der jeder einzelne Mitarbeiter als bedeutendes Problemlösungs- und Kreativitätspotenzial betrachtet und dementsprechend behandelt wird [8]. Der Mitarbeiter wird als strategisches Erfolgspotenzial angesehen. Hauptanliegen der Unternehmen muss es sein, ihre vorhandenen Fähigkeiten und Talente wie Initiative, Kreativität bzw. Übernahme von Verantwortung auszuschöpfen. War früher in planbaren Umwelten auf ungesättigten Märkten und relativ homogenen Kundenbedürfnissen die ergebnisorientierte Führung anhand von finanziellen Kennzahlen noch möglich, so verlagert die zunehmende Komplexität und Turbulenz die strategischen Erfolgsfaktoren der Unternehmen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen von den traditionellen Faktoren wie Produkt- und Prozesstechnologie, Economies of Scale oder finanzielle Ressourcen in Richtung des Faktors Mensch bzw. Humanressourcen. Eine der dramatischsten Veränderungen im Managementdenken der letzten 15–20 Jahre besteht in der Sicht der veränderten Rolle der Mitarbeiter im Unternehmen [5]. Während die Humanressourcen aus
199
wissenschaftlicher Sicht lange Zeit als Kostenfaktor und potenzielle Quelle von Effizienzgewinnen gesehen wurden, wird neuerdings ihre Bedeutung als wertschöpfender Faktor und als Basis für dauerhafte Wettbewerbsvorteile betont. Zum Beispiel betonen Peters und Waterman in ihrer Studie „In Search of Excellence“ (1982) den Stellenwert der Mitarbeiter selbst, ihrer Fähigkeiten und des Führungsstils für den Unternehmenserfolg [9]. Es wurde erkannt, dass im Menschen ein schwer zu imitierendes, strategisch wichtiges Wettbewerbspotenzial liegt. Dies hat vor allem 2 Gründe [10]: 1. Qualifizierte und innovative Mitarbeiter werden zunehmend zum Engpassfaktor für einen erfolgreichen organisatorischen Wandel. Organisatorischer Wandel kann nur in dem Maße gelingen, in dem Mitarbeiter vorhanden sind, die den Wandel tragen und vorantreiben. Unternehmen sind unter den gegebenen Rahmenbedingungen mehr denn je auf die Kreativität und Innovationskraft ihrer Mitarbeiter angewiesen. 2. Die Bedeutung des Menschen steigt in der Beziehung zu Kunden und Märkten. Der Unternehmenserfolg hängt in vielen Branchen von der Fähigkeit ab, zusätzlichen Kundennutzen durch individuelle, speziell auf die Bedürfnisse des einzelnen Kunden abgestimmte Produkte und Problemlösungen zu schaffen. Zentrale Bedeutung hat hierbei der Mensch beim Aufbau von Kundenbeziehungen und bei der Lösung komplexer Kundenprobleme. Wenn die kommunikativen Möglichkeiten und die Flexibilität automatisierter Plattformen an ihre Grenzen stoßen, bleibt den Unternehmen zur langfristigen Kundenbindung und -loyalität nur die persönliche Beratung als Differenzierungsmerkmal. Betrachtet man verschiedene Konzepte und Programme der Führung und Motivation aus der Vergangenheit (z. B. Motivationstheorien, Führungstheorien wie z. B. das Harzburger Modell oder Management by Objectives (MbO)), stellt man fest, dass es offensichtlich schon früher eine Mitarbeiterorientierung gab. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht schon immer die Erkenntnis gab, dass der Mensch ein entscheidender Erfolgsfaktor im Unternehmen darstellt. Die Antwort liegt in der Betrachtungsweise des Erfolgsfaktors „Mensch“. Dass Mitarbeiterfluktuation und Unzufriedenheit bzw. mangelndes Leistungsver-
200
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
halten schwerwiegende Folgen für das Unternehmen bzw. den Unternehmenserfolg haben können, wurde zwar erkannt, bezeichnend war allerdings, dass man das Humankapital nicht als strategische Erfolgsgröße und Ansatzpunkt für das strategische Management anerkannte. Mitarbeiterorientierte Unternehmen belegen laut Ergebnissen diverser Untersuchungen Spitzenplätze bei Wachstum, Profitabilität und Innovation. Dabei entsteht ein Kreislauf: Wer die besten Mitarbeiter hat, der erzielt den größten Erfolg am Markt und kann dadurch wiederum die besten Mitarbeiter anziehen [11]. 3.8.2.2 Wandel des Menschenbilds Alle zuvor angesprochenen Wandlungsprozesse stellen an die beteiligten Menschen zum Teil völlig neue Anforderungen. Sie beruhen auf der Prämisse, dass die handelnden Menschen diese neuen Anforderungen erkennen und diesen gerecht werden können. Insofern geht mit den organisatorischen Wandlungen auch die Entwicklung des Menschen mit neuen Rollen im Unternehmen einher. Den Wahrnehmungen, Diagnosen und Urteilen der Führungskraft bezüglich ihrer Mitarbeiter liegen Annahmen über den Menschen zugrunde, die sowohl Erfahrungen als auch allgemeine Einstellungen und ein grobes Verständnis über die menschliche Natur widerspiegeln. Diese allgemeinen Einstellungen werden als Menschenbilder bezeichnet und stellen eine wesentliche Grundlage für die Mitarbeiterführung dar [12].
Die Entwicklung der Menschenbilder in Anlehnung an E. Schein ist in Abb. 3.53 dargestellt. • Der Homo Oeconomicus (rational man): Der erste umfassende Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Bewältigung menschlicher Probleme im Unternehmen zu nutzen, geht auf F.W. Taylor zurück. Taylors Menschenbild zeigt den Menschen als Einkommensmaximierer, der von Natur aus nicht arbeiten und keine Verantwortung übernehmen will. Der arbeitende Mensch lässt sich deshalb hauptsächlich durch ökonomische Anreize motivieren und bedarf ständiger Fremdkontrolle [13]. Ausgehend von diesem Menschenbild entwickelte Taylor die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ (Scientific Management). Der Mensch gleicht dabei einem maschinenähnlich funktionierenden Mechanismus, der wie die anderen Produktionsfaktoren in die fertigungstechnischen Abläufe eingeplant wurde und beliebig austauschbar war. • Der Soziale Mensch (social man): Als Gegenströmung zum Scientific Management entstand Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Human-Relations-Lehre, deren Menschenbild der „social man“ war. Dieses Menschenbild beschreibt den Menschen als Wesen, dem soziale Bedingungen und zwischenmenschliche Beziehungen das Wichtigste im Leben sind. Bezogen auf die Arbeitswelt sagt es aus, dass der Mensch am produktivsten arbeitet, wenn seine sozialen Bedürfnisse möglichst umfassend durch seine Arbeit bzw. während seiner Arbeit befriedigt werden und dadurch ei-
Entwicklung der Menschenbilder
Der Homo Oeconomicus
Der nach Selbstverwirklichung strebende Mensch
Der Soziale Mensch
Der Komplexe Mensch
Annahmen • Mitarbeiter als rationaler Einkommensmaximierer • Mitarbeiter ist passiv und muss manipuliert, motiviert und kontrolliert werden • Mensch als Produktionsfaktor
• Mitarbeiter ist durch soziale Bedürfnisse motiviert • Mitarbeiter orientiert sich an sozialen Normen • Die Arbeitsproduktivität kann durch die Erfüllung sozialer Bedürfnisse gesteigert werden
Abb. 3.53 Entwicklung der Menschenbilder
• Mensch hat mehrere Bedürfnisse • Mensch hat höhere Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, Selbstkontrolle
• Der Mitarbeiter ist wandlungs- und lernfähig • Motive und Bedürfnispräferenzen wandeln sich • Annahme der Situationstheorie
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
ne hohe Arbeitszufriedenheit erreicht wird. Zurück geht dieses Menschenbild auf die sog. „HawthorneExperimente“ [14]. Diese wollten ursprünglich die Beziehungen der Produktionsleistung und den Arbeitsbedingungen (insbesondere der Beleuchtungsart und -intensität aufzeigen. Die anfänglich ganz im Geiste des Scientific Management durchgeführten Experimente zeigten Ergebnisse, die mit den Annahmen Taylors nicht vereinbar waren. Weitere Untersuchungen belegten, dass die sozialen Faktoren einen stärkeren Einfluss auf das Verhalten und die Leistung des Menschen haben können als die ökonomischen Anreize bzw. die Arbeitsbedingungen. Organisationstheorien, die sich auf das Menschenbild des social man beziehen, berücksichtigen besonders die formellen und informellen Kommunikations- und Informationswege, den Aufbau und die Förderung von Gruppen innerhalb der Organisation und die soziale Anerkennung des einzelnen Mitarbeiters sowie der Gruppen durch das Management. Viele Konzepte der Unternehmensführung zu dieser Zeit waren hauptsächlich darauf gerichtet, die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter zu befriedigen und somit die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter zu fördern. Dies führte aber teilweise zu einer Überbetonung dieser Faktoren und einem naiven Harmoniedenken, welches dem eigentlichen Ziel der Human-Relations-Bewegung, der Steigerung der Produktivität, nicht immer förderlich war. Im Gegensatz zum Scientific Management hat die Human Relations Lehre aber aufgezeigt, dass der arbeitende Mensch nicht einen beliebig austauschbaren Produktionsfaktor darstellt [13]. • Der nach Selbstverwirklichung strebende Mensch (self-actualizing man): Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts veränderte sich das Menschenbild erneut. Es entstand das Menschenbild des „self-actualizing man“. Dieses Menschenbild legt zugrunde, dass der Mensch unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen versucht. Der self-actualizing man beschreibt den sich selbst entwickelnden und sich selbst verwirklichenden Menschen, der nach Autonomie strebt und motiviert ist, wenn er sich verwirklichen kann [15]. Folge des Menschenbildes und der darauf aufbauenden Motivationstheorien waren intensive Diskussionen über die Mitarbeiterführung hinsichtlich Partizipation, Delegation und Kooperation. Als Folge entstanden u. a. die zahlreichen „Management by“ Führungs-
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techniken, die Konzepte der (teil-)autonomen Gruppen- und Zirkelarbeitarbeit und nicht zuletzt neue Formen der Arbeitsstrukturierung wie z. B. job enrichment, job enlargement und job rotation. • Der Komplexe Mensch (complex man): Das Menschenbild des „complex man“ zeigt einen vielschichtigen, von den verschiedensten Faktoren beeinflussten Menschen. Er ist äußerst wandlungsfähig, die Dringlichkeit seiner (vielschichtigen) Bedürfnisse unterliegt einem ständigen Wandel, er ist lernfähig und erlernt neue Motive, die in unterschiedlichen Systemen unterschiedlich wirksam sind. Für Führung und Organisation bedeutet dies, dass erst auf Basis einer Analyse von Situation und Motivlage des Mitarbeiters eine sinnvolle Gestaltung der Arbeitsorganisation und ihrer Rahmenbedingungen stattfinden kann. Eine mitarbeiterorientierte Unternehmensführung, die den Faktor Mensch als wichtigsten Werthebel betrachtet, muss von einem Menschenbild ausgehen, das den neuen Anforderungen wie z. B. Lernbereitschaft, Wandlungsfähigkeit, Initiative und Verantwortungsbereitschaft gerecht wird.
3.8.2.3 Von den Human Resources zum Human Capital Im Rahmen der unternehmerischen Wertgenerierung lassen sich verschiedene Wertquellen unterscheiden. Dazu gehören neben dem Finanzkapital das Kundenkapital und das Humankapital. Als Human Capital wird die Summe der einem Unternehmen durch Arbeitsvertrag zur Verfügung gestellten Leistungspotenziale seiner Mitarbeiter verstanden [16]. Um den Wert der Mitarbeiter richtig begreifen zu können, sollte vom konventionellen Begriff „Human Resources“ zum Begriff „Human Capital“ übergegangen werden. Bereits der Begriff „Resources“ beinhaltet stillschweigend die Annahme, dass es sich um verfügbare, beliebig austauschbare Mittel handelt, die man bei Bedarf in Anspruch nehmen kann. Besser ist es, die Mitarbeiter als Kapital zu betrachten, das im Wert steigt oder fällt, je nachdem, wie viel man darin investiert [17]. Geprägt wurde der Begriff „Humankapital“ bzw. „Human Capital“ schon vor Jahrzehnten [18, 19]. Doch erst die Anerkennung der Human Resources als strategischen Erfolgsfaktor der Unternehmensführung
202
führte zu einer Renaissance des Begriffs in Theorie und Praxis. Investitionen in das Humankapital eines Unternehmens, also z. B. Investitionen in die Personalentwicklung oder Aufwendungen, um Einsatzbereitschaft, Ideen und Engagement der Mitarbeiter zu fördern, erhöhen die Prozess- und Produktinnovation und spiegeln sich in langfristiger Verbesserung der Unternehmensergebnisse wider. Der Mitarbeiter wird vom Kostenfaktor zur Investition und zum wesentlichen Bestandteil des Unternehmensvermögens. Heutzutage gilt das Human Capital als relevanteste Wertquelle im Unternehmen. Kritiker dieses Konzepts betonen allerdings immer wieder die problematische Messbarkeit und Bewertung des Human Capital [17]. Diese Bewertungsprobleme bestehen v. a. hinsichtlich der Qualität, Konstanz und Entwicklungspotenziale des Human Capital [20]. Diese Schwierigkeiten führten dazu, dass der Faktor Human Capital im traditionellen Rechnungswesen nur als Personalaufwand p. a. erfasst wird bzw. wurde und nicht als Aktivposten in der Bilanz auftaucht. Diese Behandlung wird der Bedeutung des Human Capital als Werttreiber bzw. strategischem Erfolgsfaktor nicht gerecht, sondern führt zu einer Überbetonung des reinen Kostenaspekts [20]. Um den Wert der Mitarbeiter richtig darzustellen, wird zunehmend die Möglichkeit gefordert, das Humankapital bilanziell ausweisen zu können. Dies ist vor allem in solchen Branchen sinnvoll, in denen der Wert der Mitarbeiter einen Großteil des Unternehmenskapitals ausmacht, wie es in den High-TechBranchen der New Economy häufig der Fall ist. In Deutschland behindern die geltenden Rechnungslegungsvorschriften jedoch solche Bestrebungen. Versuche diesbezüglich scheiterten bereits in den 1970er Jahren am Gesetzgeber. Die deutschen Rechnungslegungsvorschriften basieren auf dem Prinzip des Gläubigerschutzes, manifestiert durch das Vorsichts- bzw. Imparitätsprinzip. Da die Mitarbeiter keine veräußerbaren Vermögensgegenstände sind und das Unternehmen jederzeit verlassen können, sind Bestrebungen einer Aktivierung von Human Capital ohne Änderung der geltenden Vorschriften zum Scheitern verurteilt. Die besondere Bedeutung des Human Capital im Wertgenerierungsprozess zeigt sich in der Relation des Wertes des Human Capital zur Bilanzsumme (Buchwert) bzw. Marktkapitalisierung (Marktwert des eingesetzten Kapitals). Bei einer Untersuchung von 13 deutschen Großunter-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
nehmen ergab sich in beiden Fällen im 5-JahresDurchschnitt eine durchschnittliche Wert-Relation von ca. 5:1 von Humankapital/Bilanzsumme bzw. Humankapital/Marktkapitalisierung.1 Bei Berücksichtigung des Faktors Humankapital würde sich also die Bilanzsumme verfünffachen. Den Wandel können die Schwierigkeiten der Bewertung bzw. Messung allerdings nicht aufhalten. In die strategische Unternehmensführung fließen diese sog. „weichen Faktoren“ zunehmend ein. Mittlerweile finden sich in Theorie und Praxis zahlreiche Ansätze der Unternehmensbewertung und -steuerung, die den Wert des Human Capital berücksichtigen (vgl. Kap. 3.8.3) [21].1
3.8.2.4 Mängel der traditionellen Steuerungssysteme Das zentrale Interesse vieler Unternehmen heutzutage ist die Steigerung des Shareholder Value. Viele Unternehmen rühmen sich, ihre Wertsteigerung mit Hilfe wertorientierter Kennzahlen zu messen und aktiv zu managen. Diese Ausrichtung wird vom Kapitalmarkt verlangt und entsprechend honoriert [22]. Der Shareholder Value wird jedoch den schwer kalkulierbaren „Intangible Assets“ nicht gerecht. Nicht erst seit dem Ausbruch der New Economy bemerken Unternehmen zunehmend, dass die reine Kapitalorientierung nicht genügt, um die zukünftigen Entwicklungen zu beschrieben, sondern der Faktor Mensch im Wertmanagement eine immer wichtigere Rolle spielt. Dieser Werttreiber kommt in den weitverbreiteten kapitalorientierten Kennzahlen zur Unternehmenssteuerung wie Return on Investment (ROI), Economic Value Added (EVA) oder Cash Flow Return on Investment (CFROI) nicht vor. Hier zeigt sich das Dilemma, dass bisher personal- und gleichzeitig wertorientierte Steuerungskennzahlen weitgehend fehlen und damit Human Capital im Gegensatz zum investierten Kapital nicht adäquat gesteuert und die Wertschaffung des Unternehmens nicht angemessen erfasst wird [23]. In kapitalorientierten Kennzahlensystemen wird der Faktor Mensch als Kostenposition betrachtet, deren Abbau zu einer Steigerung der Kapitalrendite führt. Damit ergibt sich ein kurzfristiger Effekt der 1 V. a. im Bereich des Wissensmanagements finden sich zahlreiche Ansätze zur Messung und Bewertung der sog. „ Intangible Assets“ bzw. des Intellectual Capital.
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
Renditesteigerung. Die fehlende Abbildung des Zusammenhangs zwischen dem Werthebel Mensch und den damit möglichen Wertsteigerungen werden immer mehr zu Kritikpunkten des Wertmanagements. Eine europaweite Studie von Watson Wyatt hat gezeigt, dass Unternehmen mit strategisch orientiertem, professionell ausgerichtetem Human-ResourcesManagement 1999 eine achtmal höhere Steigerung ihres Shareholder Value erwirtschafteten als Unternehmen, die im Human-Resources-Bereich signifikante Schwächen aufwiesen. In der Studie wurde ermittelt, dass moderne Personalmanagement-Konzepte (z. B. strategisches Vergütungsmanagement, Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilung, Aktienoptionen) den Marktwert eines Unternehmens um bis zu 26% steigern können [24]. Als weiteres wichtiges Resultat der Studie wurde ermittelt, dass die Führungsstruktur und die Unternehmenskultur bedeutende Einflussgrößen auf den Shareholder Value darstellen. Der stärkste Zuwachs des Shareholder Value war bei solchen Unternehmen festzustellen, die von einem überholten (autoritären) Führungsstil und einer nicht mehr zeitgemäßen Unternehmenskultur Abstand genommen haben. Diese mitarbeiterorientierten Unternehmen bieten Entwicklungs- und Leistungsanreize, attraktive Karriereperspektiven, leistungsbezogene Vergütung und konzentrieren sich auf das Potenzial der Mitarbeiter, die laut der Studie, wenn sie gefordert und gefördert werden, eindeutig zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ergebnisse beitragen.
Unternehmen(1)
SAP Adidas-Salomon Siemens MAN Hoechst Karstadt Preussag Metro Schering Degussa Bayer Henkel
Verhältnis Personalkosten zu kapitalbezogene Kosten(2) 9:1 5:1 5:1 5:1 4:1 4:1 4:1 4:1 3:1 3:1 3:1 3:1
Unternehmen(1)
203
Der von Watson Wyatt entwickelte Human Capital Index (HCI) dient dabei als Indikator für die Qualität des Human-Resources-Managements. Der HCI gibt an, in welchem Maße ein Unternehmen sein HRManagement effektiv zur Steigerung des Shareholder Value einzusetzen versteht. Er weist laut Watson Wyatt eine klare statistische Korrelation zwischen dem Shareholder Value und der Qualität des betrieblichen Personalmanagements auf. Die Studienergebnisse zeigen deutlich den langfristigen Zusammenhang zwischen Human Capital Management und der Schaffung von Shareholder Value. So konnten während der vergangenen 5 Jahre Unternehmen mit hohem HCI (183%) in der Summe einen nahezu doppelt so hohen Shareholder Value wie die Unternehmen mit einem niedrigen HCI (107%) verzeichnen [24]. Der HCI fungiert in diesem Kontext als Schlüsselinstrument für Finanzanalysten. Er ermöglicht potenziellen Investoren Aussagen über das Human Capital Management des Unternehmens2 [25]. Je höher die Personalkosten im Vergleich zu den kapitalbezogenen Kosten sind, desto weniger können die herkömmlichen Kennzahlensysteme die Wertschaffung angemessen widerspiegeln [1]. In einer Un2
In der Studie „Measures what matters“ haben Ernst & Young herausgefunden, dass gerade den nicht-finanziellen Größen eine sehr große Bedeutung zugerechnet wird. Über 60% der befragten Investoren gaben an, dass der Einfluss der nicht-finanziellen Größen auf ihre Investitionsentscheidung zwischen 20 und 50% liegt. Im Durchschnitt wurde eine Beeinflussung von 35% festgestellt.
Verhältnis Personalkosten zu kapitalbezogene Kosten(2)
Linde Mannesmann Thyssen VW Deutsche Lufthansa RWE Viag BMW BASF Veba Deutsche Telekom
(1) Dax-30-Unternehmen (1998) ohne DaimlerChrysler und Finanzdienstleister (2) Ökonomische Abschreibungen plus Kapitalkosten auf die Bruttoinvestitionsbasis
Abb. 3.54 Verhältnis Personalkosten zu kapitalbezogenen Kosten [26]
3:1 3:1 3:1 2:1 2:1 2:1 2:1 2:1 2:1 2:1 1:1 Quelle: The Boston Consulting Group
204
tersuchung der Boston Consulting Group (BCG) wurde für die Dax-30-Unternehmen das Verhältnis Personalkosten zu kapitalbezogenen Kosten analysiert (Abb. 3.54). Das Ergebnis zeigt, dass in nahezu allen Unternehmen die Personalkosten überwiegen, somit sind für alle diese Unternehmen neue Steuerungsgrößen relevant, die den Wert des Human Capital berücksichtigen und steuern können. D. h. wenn der Mensch den entscheidenden Werthebel für den Shareholder Value darstellt, muss als Folge die kapitalorientierte Perspektive um das Human Capital und um mitarbeiterorientierte Steuerungssysteme ergänzt werden [1].
3.8.3 Mitarbeiterorientierte Steuerungssysteme „Wir treffen bei Firmen regelmäßig auf die Überzeugung, dass das Human Capital als der ausschlaggebende Faktor für den Unternehmenserfolg angesehen wird. Allerdings besteht oft ein Nachholbedarf an Konzepten für deren Steuerung und an der systematischen Umsetzung dieser HR-Konzepte.“ [24]3. Angesichts der Tatsache, dass die klassischen Steuerungs- und Bewertungssysteme in der neuen Ökonomie ihre Aussagekraft verlieren, wurden in Theorie und Praxis verschiedene neuartige Konzepte und Methoden der Unternehmensbewertung und Unternehmenssteuerung entwickelt, die den Humanressourcen bzw. dem Human Capital einen größeren Rang einräumen. „In der Konsequenz dürften diese und ähnliche Ansätze, sofern sie sich auf breiter Front durchsetzen, langfristig einen tief greifenden Wandel in der Unternehmensführung nach sich ziehen – möglicherweise von ähnlicher Bedeutung wie seinerzeit das Konzept des Scientific Managements von F.W. Taylor.“ [27].
3.8.3.1 Das Workonomics-Konzept (Boston Consulting Group) Das Konzept Workonomics der Boston Consulting Group (BCG) verbindet Shareholder Value mit Human Resources. 3
Thierry Hamon, Managing Consultant bei Watson Wyatt
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Die BCG hat mit ihrem Workonomics-Konzept ein Kennzahlensystem entwickelt, mit dem neben der Kapitaleffizienz auch die Effizienz des Personaleinsatzes für die Schaffung eines Shareholder Value ermittelt werden kann. Im Mittelpunkt steht der Mensch als entscheidender Werthebel, der zur Erhöhung des Unternehmenswertes beitragen kann. Ziel des Konzeptes ist es, einen vergleichbaren Grad an Transparenz und Struktur in das Human Capital zu bringen, wie dies den kapitalbasierten Systemen gelingt, und so beide zu verbinden. Den Überlegungen liegt ein Paradigmenwechsel in der Unternehmensführung zugrunde (Abb. 3.55). Im Workonomics-Konzept werden die traditionellen Finanzkennzahlen durch ein System personalorientierter Kennzahlen transformiert. Die Produktivitätsmessung erfolgt hierbei nicht mehr in den alten Kategorien Umsatz oder Gewinn pro Mitarbeiter, sondern geht von der Wertschöpfung nach Abzug einer marktüblichen Verzinsung des eingesetzten Kapitals als Kennzahl aus. Damit wird das traditionelle Bilanzkapital durch Kompetenzressourcen und Personalpotenziale erweitert. Die Mitarbeiter werden nicht mehr als Kostenfaktor angesehen sondern als Vermögenswert in die Bilanz aufgenommen [28]. Den Kern des Workonomics-Systems bildet der Value Added per Person (VAP). Er gibt die durchschnittliche Wertschöpfung der Mitarbeiter nach Abzug der Kapitalkosten an. Zieht man vom VAP noch die durchschnittlichen Personalkosten ab, so erhält man den „Übergewinn pro Mitarbeiter“, der, wenn man ihn mit der Zahl der Beschäftigten multipliziert, der traditionellen, kapitalorientierten Kennzahl Cash Value Added entspricht. Damit gibt der VAP dem Management Aufschluss über die Produktivität seiner
Paradigmenwechsel Alte Kapitalwelt Kapitalkosten
Mitarbeiterkosten
Kapitalrendite
Wertschöpfung pro Mitarbeiter
Investiertes Kapital (Bilanz) Kapital-Investitionsplan Kapitalallokation
Abb. 3.55 rung [1]
Neue Mitarbeiterwelt
Anzahl und Qualifizierung der Mitarbeiter (Mitarbeiterbilanz) Mitarbeiter-Entwicklungsplan Mitarbeiterallokation
Paradigmenwechsel in der Unternehmensfüh-
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
Mitarbeiter und über deren Beitrag zum Übergewinn des Unternehmens. Der Vorteil dieses Systems ist, dass es die Mitarbeiter als Erfolgsfaktor anerkennt. In den traditionellen Steuerungssystemen, in denen der Mensch als Kostenfaktor angesehen wurde, führt eine Reduzierung der Mitarbeiterzahl immer zu geringeren Personalkosten und damit grundsätzlich zu einer höheren Kapitalrendite. Der Abbau von Mitarbeitern und damit von Human Capital kann sich aber als falsch erweisen, v. a. dann, wenn durch den Abbau von produktiven Mitarbeitern die Aktienrendite sinkt. In der neuen Ökonomie sind die Beschäftigten und deren Ideen der zentrale Werttreiber der Aktienkurse. Workonomics liefert also eine Grundlage, um die richtigen Mitarbeiter einzustellen und zu halten, das Risiko der Aktionäre zu verringern und die Interessen von Mitarbeitern und Aktionären direkt zu verbinden [1]. Gerade für personalintensive Unternehmen ergibt sich damit die Möglichkeit, die entscheidenden Werttreiber im Human-Resources-Bereich zu identifizieren und zu steuern. Wertsteigerungen können in dieser Betrachtung durch Aktivierung von drei Hebeln erzielt werden [22]: • Erhöhung der Wertschöpfung pro Mitarbeiter (VAP): Dies kann durch konkrete Maßnahmen wie Prozessverbesserungen oder differenzierte Preiserhöhungen realisiert werden. Zusätzlich bildet diese Größe aber auch die zentrale Zielgröße für Personalentwicklung, Recruiting, Zielvereinbarung, etc. • Ausbau der Mitarbeiterbasis: Dies erfolgt durch die Einstellung von Mitarbeitern, deren prospektive Wertschaffung (VAP) höher ist als die jeweiligen Mitarbeiterkosten, • Reduktion der Personalkosten: Einerseits durch Senkung der Lohnnebenkosten als volkswirtschaftliche Aufgabe oder durch Verlagerung der Tätigkeiten in Niedriglohnländer, andererseits durch wertorientierte Vergütungssysteme.
3.8.3.2 Balanced Scorecard Die Konsequenz der zunehmenden Bedeutung der Humanressourcen ist eine Neuorientierung der Unternehmensführung. Gefordert ist eine ganzheitliche Unternehmensführung, die alle strategischen Erfolgspotenziale der Unternehmung, also neben dem Finanz-
205
und dem Kundenkapital auch das Human Capital, berücksichtigt. Dafür schlagen Kaplan und Norton das Konzept der Balanced Scorecard (BSC) vor. Mit dem Begriff BSC wird ein strategisches Managementsystem bezeichnet, das eine ganzheitliche Steuerung des Unternehmens durch ausgewogene Berücksichtigung aller erfolgsrelevanten Perspektiven bzw. Dimensionen ermöglicht. Damit bildet die BSC den Rahmen zur Umsetzung der Vision und Strategie in Aktionen [29]. Sie beinhaltet neben der Finanzperspektive die Markt- und Kundenperspektive, die interne Prozessperspektive sowie die Lern- und Entwicklungsperspektive. Es handelt es sich hierbei um ein System von Maßzahlen, das dem Management gleichzeitig ein System von Stellschrauben zur Verbesserung von Unternehmensleistungen aufzeigt. Das Konzept ist in den 1990er Jahren zu dem Instrument der strategischen Unternehmensführung avanciert. Durch die Betonung qualitativer und nichtmonetärer Größen (z. B. Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit) werden die bekannten Schwächen rein finanzieller Zielsysteme vermieden. Mit Hilfe einer Strategie versucht ein Unternehmen ausgehend von einer Vision, seine Stärken und die sich ihm bietenden Chancen bestmöglich zu nutzen sowie Schwächen und Gefahren zu vermeiden. Strategien für bessere Leistung verlangen signifikante Investitionen in Menschen, Systeme und Prozesse, welche die Unternehmenspotenziale überhaupt ausmachen [5]. Durch die Verbesserungen in der Lern- und Entwicklungsperspektive, der Prozessperspektive und der Kundenperspektive ist zu erwarten, dass sich die finanziellen Ergebnisse in der Finanzperspektive ebenfalls verbessern [30]. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge sind in Abb. 3.56 dargestellt. Die Verknüpfung der 4 Unternehmensperspektiven folgt nachstehender Logik [31]: • Die aus den Erwartungen der Kapitalgeber abgeleiteten finanziellen Ziele stehen an oberster Stelle. Typisch für diese Kategorie sind die branchenunabhängigen, auf die Steigerung des Unternehmenswertes ausgerichteten Größen wie z. B. der Shareholder Value oder Economic Value Added (EVA). • Bei der Kundenperspektive stellt sich die Frage, welche Kundenerwartungen zu erfüllen sind, um die finanziellen Ziele zu erreichen. Wichtige Kenn-
206
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
Ertragswachstum
Finanzielle Perspektive
Rentabilität führt zu
Kundenzufriedenheit
Kundenperspektive
Kundentreue/ -loyalität führt zu
Innovation
Servicelevel
Qualität
Prozessperspektive
Mitarbeiterbindung
Lern- und Entwicklungsperspektive
führt zu Mitarbeiterproduktivität
Mitarbeiterkreativität
Abb. 3.56 Ursache-Wirkungszusammenhänge in der BSC
größen hierfür sind die Kundenbindung bzw. Kundenzufriedenheit. • Die interne Prozessperspektive zeigt, in welchen Prozessen hervorragendes geleistet werden muss, um die Kunden zu begeistern. Nur wenn die Prozesse reibungslos ablaufen, kann auch das Kriterium der Pünktlichkeit erfüllt werden. Kunden- und Prozessperspektive sind somit eng miteinander verwoben. • Die Lern- und Entwicklungsperspektive schließlich greift Steuerungsgrößen auf, die die langfristigen Quellen des Unternehmenserfolgs darstellen. Hier steht die Frage im Vordergrund, wie Flexibilität und Fähigkeiten der Mitarbeiter zur laufenden Verbesserung gefördert und aufrechterhalten werden können. Eine Beziehung zwischen Lern- und Entwicklungsperspektive und der Kundenperspektive entsteht, wenn die motivierten und qualifizierten Mitarbeiter eine erhöhte Dienstleistungsqualität bewirken, die sich positiv auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Die Lern- und Entwicklungsperspektive bildet quasi den Schlussstein in der Architektur der BSC. In ihr findet die Bedeutung der Mitarbeiter als wichtigste Ressource im Unternehmen eine angemessene Berücksichtigung. Von ihr hängt entscheidend ab, ob und wie die Ziele der anderen BSC-Perspektiven erreicht werden können [29]. Innerhalb der Lern- und Entwicklungsperspektive wird das Gewinnen und Halten von High Potenzials durch eine starke innovative Unternehmenskultur gefördert. Entsprechend dem Ausspruch „People make the difference“ wird die Wettbe-
werbsposition zunehmend durch die Qualität der Mitarbeiter bestimmt. Die Lern- und Entwicklungsperspektive schafft die zur Erreichung der Ziele der drei anderen Perspektiven notwendige Infrastruktur. Kaplan und Norton unterscheiden 3 wesentliche Voraussetzungen, die vorhanden sein müssen, damit Ziele in den einzelnen BSC-Perspektiven bestmöglich erreicht werden können [5]: • Qualifizierte Mitarbeiter (Mitarbeiterpotenziale), • informierte Mitarbeiter (Potenziale von Informationssystemen), • Motivation, Empowerment und Zielausrichtung der Individuen, Teams und Organisationsentwicklung. Abbildung 3.57 zeigt die vermuteten Wirkungsmechanismen. Die dargestellten Verknüpfungen bzw. Wirkungszusammenhänge stützen sich mehr oder weniger auf empirische Forschungsergebnisse, z. T. aber auch auf Plausibilitätsüberlegungen, deren empirische Prüfung noch aussteht: 1. Mitarbeiterpotenziale wirken sich unmittelbar auf die Mitarbeitermotivation und die Mitarbeiterproduktivität aus. Erstere Verbindung ist darin zu sehen, dass eine ständige Qualifizierung das Streben nach Selbstentwicklung bzw. Selbstverwirklichung fördert. Dadurch verringert sich i. A. auch die Fluktuationsneigung [32]. Zudem fördert die ständige Weiterentwicklung des Mitarbeiters die Art und Weise seiner Arbeitsausführung. Dies kann zu erhöhter Mitarbeiterproduktivität führen.
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
Mitarbeiterpotenziale
Mitarbeitermotivation/ -zufriedenheit
Empowerment, Motivation, Zielausrichtung
Potenziale von Informationssystemen
207
Prozessverbesserung
Kundenorientierung
Bessere finanzielle Ergebnisse
Mitarbeiterproduktivität
Abb. 3.57 Vermutete Wirkungszusammenhänge im Konzept der BSC
2. Empowerment, Motivation und Zielausrichtung haben unmittelbare Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation durch die Delegation von Kompetenz und Verantwortung und der damit verbundenen Befriedigung der höheren Bedürfnisse. Da die Mitarbeiter mit mehr Kompetenz und Verantwortung ausgestattet werden, kann sich eine Optimierung der innerbetrieblichen Prozesse ergeben. „So könnte eine höhere Schulungsrate der Mitarbeiter zu qualitativ besseren Prozessen führen und damit zu höherer Kundenzufriedenheit, was sich letztlich in einer Erhöhung der Anzahl der Aufträge und damit der Verbesserung des finanziellen Ergebnisses widerspiegeln würde.“ [2] 3. Eine wesentliche Unterstützungsfunktion leistet die IuK-Technologie. Die Beziehung zur Prozessgestaltung zeigt sich darin, dass dadurch den qualifizierten und motivierten Mitarbeitern durch eine entsprechende Arbeitsorganisation und IuK-Technologie ermöglicht wird, die internen Prozesse zu verbessern. 4. Folgt man den Theorien der Arbeitszufriedenheit und Motivation, so zeigen motivierte und zufriedene Mitarbeiter tendenziell höhere Leistungen [33]. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist der wesentliche Treiber der Mitarbeitertreue und Mitarbeiterproduktivität. Wer die Mitarbeiterzufriedenheit positiv beeinflussen möchte, sollte bei den Leistungstreibern beginnen, also gezielt Weiterbildung, Information und Motivation verbessern [29]. Durch längere Ausbildungs- und Anlernzeiten sowie eine höherwertige Arbeitskräftequalifikation für die Bewältigung komplexerer Arbeiten ent-
stehen zwar höhere Lohnsätze und Lohnkosten, dafür sind Krankenstand und Arbeitsplatzwechsel (Fluktuation) erfahrungsgemäß niedriger [34]. 5. Die Mitarbeiterproduktivität führt einerseits z. B. durch mehr Fach- und Methodenkompetenz direkt zu einer Prozessverbesserung hinsichtlich Zeit, Kosten und Qualität. Daraus ergibt sich indirekt auch eine Verbesserung der Kundenorientierung. Ideen zur Verbesserung von Prozessen und Leistungen für die Kunden müssen von den Mitarbeitern an der Basis kommen, die viel direkter mit internen Prozessen und den Kunden zu tun haben [5]. 6. Motivation und Arbeitszufriedenheit tragen ebenso direkt zu besseren Prozessen durch Initiierung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses bei. Zudem ergibt sich eine direkte Verbindung mit der Kundenorientierung [35].4 Zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit besteht somit eine enge Beziehung: Wenn die Mitarbeiter emotional frieren, spüren das auch die Kunden [11,36].5 Auf der anderen Seite kann sich auch 4
Branchenübergreifend konnte 1995 in der Untersuchung „Das Deutsche Kundenbarometer“ eine hohe Korrelation zwischen der Freundlichkeit der Mitarbeiter (qualitative Arbeitsleistung) und der Kundenzufriedenheit aufgezeigt werden. Auch Zuverlässigkeit und fachliche Kompetenz der Mitarbeiter wurden hier als ausschlaggebende Gründe für die Kundenzufriedenheit genannt. 5 Um kundenorientiertes Verhalten zu erreichen, sollten die notwendigen Rahmenbedingungen (Systeme, Prozesse, Unternehmenskultur) geschaffen werden. Es bedarf neben den mitarbeiterbezogenen Faktoren wie Motivation und Leistung v. a. eines kundenorientierten Führungsverhaltens. Das kundenorientierte
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3 Neues Denken in der Unternehmensführung
das aus der Kundenzufriedenheit resultierende Kundenverhalten auf die Mitarbeiterzufriedenheit und das Mitarbeiterverhalten auswirken [32]. Untrennbar mit der Prozessorientierung verbunden ist die Kundenorientierung. Diese ergibt sich aus der zentralen Rolle des Abnehmers bei der Definition der Anforderungen an die Leistung und damit auch an den Prozess. Eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit kann daher mit einer erhöhten Kundentreue einhergehen, woraus sich eine Verbesserung der finanziellen Ergebnisse ergeben kann. Die Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterproduktivität stellen also zentrale Steuerungsgrößen zur Erreichung der Unternehmensziele dar. Die Balanced Scorecard betont damit die Wichtigkeit von Investitionen in die immateriellen Vermögenswerte, also deren Infrastruktur. Unternehmen müssen in Personal, Systeme und Prozesse investieren, um langfristige finanzielle Wachstumsziele erreichen zu können [5].
3.8.3.3 Skandia Navigator Skandia, ein schwedischer FinanzdienstleistungsKonzern, erkannte Anfang 1990, dass der Unterschied zwischen Marktwert und reinem Buchwert erheblich ist. Als Ursache dieser Differenz wurde das Wissen, welches in der Unternehmung akkumuliert war und sonstige nicht fassbare Werte (Intangible Assets), das sog. Intellectual Capital (IC) identifiziert. Dies führte zum Skandia Market Value Scheme, welches auch als Skandias IC-Modell bekannt ist [37]. Der Unternehmenswert nach Skandia besteht aus mehreren Komponenten, die geeignet sind, Wert zu schaffen: dem finanziellen Kapital und dem Intellectual Capital. In traditionellen Steuerungssystemen wird i. d. R. nur einer dieser Aspekte gemessen in Form des finanziellen Kapitals. Das Intellectual Capital setzt sich aus Human Capital und Structural Capital zusammen, wobei sich das Human Capital sich auf die Angestellten und ihre Fähigkeiten, ihre Eigenschaften und ihr Wissen bezieht. Es ist definiert als: „The accumulated value of investment in employee training, competence and future“ bzw. „. . . the employee’s competence, relationship ability and values“ [38]. Führungsverhalten spiegelt sich zum einen in eigenem Vorleben von Kundenorientierung und zum anderen durch das Fokussieren der Kundenorientierung im eigenen Verantwortungsbereich wider.
Im Rahmen des Intellectual Capital Management lässt sich erkennen, dass eine gleichzeitige Steigerung von Structural und Human Capital notwendig ist, um IC auf eine höhere Ebene zu bringen, und sich IC nur so entwickeln lässt [39]. Das impliziert, dass es für die Unternehmung die wichtigste Aufgabe sein muss, Human Capital möglichst schnell in Structural Capital zu überführen, um den Verlust aus dem Abgang von Human Capital (z. B. durch Kündigung eines Mitarbeiters) möglichst niedrig zu halten. So stellt Skandia folgerichtig fest: „It is therefore of central importance that the leadership in the organization facilitates work methods that promote the conversion of individual competence to organizational capital and thereby develop multiplicative effects within the organization“ [40]. Skandia betreibt einen qualitativen Ansatz der Wertermittlung des Human Capital. Hierfür werden mehrere Mitarbeiter-Kennzahlen summiert und mit Hilfe des Skandia-Navigators ein Gesamtbild erstellt (Abb. 3.58). Entstanden ist der Skandia Navigator laut Aussage von Henrik Danckwardt, Senior Vice President bei Skandia, aus dem Balanced-Scorecard-Konzept von Kaplan und Norton. Er ist kein Modell, um intellektuelles Kapital in harte Bilanzzahlen umzuwandeln sondern vielmehr ein Werkzeug des strategischen Managements. Für die Messung von Intellectual Capital kann er jedoch wichtige Anhaltspunkte liefern [41]. Der Skandia Navigator dient dazu, die Vision des Unternehmens herunterzubrechen auf konkrete Handlungen für jeden einzelnen Mitarbeiter. Dazu muss die persönliche Leistung mit den umfassenden Unternehmenszielen verknüpft sein. Dies geschieht im sog. Prozessmodell. Hier werden Vision und Strategie zu konkreten Aktivitäten transformiert. Diese Aktivitäten wiederum werden mit Indikatoren versehen, die deren Realisierung überprüfen helfen. Im Navigator werden dann auf Unternehmensebene die wichtigsten Indikatoren zusammengefasst. Er vermittelt einen ausgewogenen Blick auf Vergangenheit (Finanzfokus), Gegenwart (Kunden-, Mitarbeiter-, und Prozessfokus) und Zukunft (Erneuerungs- und Entwicklungsfokus). Er verdeutlich, ob die Fahrt des Unternehmensschiffes in die richtige Richtung geht [41]. Der Navigator erlaubt, das Erreichte zu kommentieren und zu kommunizieren. Um dieses zu fördern, gibt es bei Skandia den sog. Dolphin Navigator, eine Art Intranet-Version des Skandia Navigators, der des-
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
209
Schwerpunkt: Finanzen (Nettorendite, Betriebsergebnis, Wertschöpfung/Mitarbeiter)
Schwerpunkt: Interner Betriebsprozess
Schwerpunkt: Kunden
(Verträge/Mitarbeiter, Verwaltungskosten/ Bruttoprämie, Informations- und Verwaltungskosten)
Im Mittelpunkt: Der Mitarbeiter
Zahl der Verträge, Kündigungsrate, Points of Sale
Schwerpunkt: Erneuerung und Entwicklung (Steigerung der Nettoprämie, Prämie bei Neuprodukten, Kosten für die Geschäftsentwicklung)
Abb. 3.58 Der Skandia Navigator [5]
sen Funktionalitäten webbasiert abbildet. Damit können die Mitarbeiter z. B. einzelne Geschäftseinheiten eines Geschäftsbereichs vergleichen oder Schlüsselindikatoren für andere Anwender veröffentlichen. Das Dolphin System ist nicht nur ein Berichtssystem, sondern vielmehr ein Werkzeug für Kommunikation, Information und Lernen. Der Skandia Navigator erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit für alle von ihm benutzen Indizes. Edvinsson warnt zudem davor, diese Indizes gedankenlos auf andere Branchen zu übertragen, da sein System speziell für Skandia entwickelt wurde [39].
3.8.3.4 Personalrisikomanagement Am 1. Mai 1998 wurde das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im deutschen Bundestag verabschiedet. Es ist in §91 Abs. 2 AktG kodifiziert: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden.“ Durch die Einführung eines Risikomanagementsystems sollen mögliche Risiken frühzeitig erkannt werden. In der Konsequenz der Klärung solcher Risiken und deren Kommunikation nach außen soll dies zu mehr Transparenz zwischen Unternehmen und Anteilseignern führen. Auf den Fall des Human Capital übertragen, bedarf es auch hier einer geeigneten Risikovorsorge. Die Mitarbeiterperspektive in der BSC betont den Wert des Human Capital bzw. der Mitarbeiter. Be-
trachtet man das Konzept der BSC genauer, so kann man feststellen, dass die Mitarbeiterperspektive noch am schwächsten ausgebildet ist [42]. Das beginnt schon damit, dass die Bezeichnung der Perspektive uneinheitlich ist. Während die einen von „Lernen und Entwicklung“ reden, ziehen andere „Innovation und Mitarbeiter“ oder „Mitarbeiter und Lernen“ vor [42]. Immer geht es jedoch um die langfristige Sicherung des Human Capital als zentralen Erfolgsfaktor und die Schaffung der nötigen Infrastruktur zur Erreichung der Ziele der anderen Perspektiven. Die sich aus der Mitarbeiterorientierung durch Ursache-Wirkungszusammenhänge ergebenden Chancen für die Unternehmenszielerreichung sind die eine Seite. Auf der anderen Seite birgt eine fehlende oder unzureichende Mitarbeiterorientierung auch diverse Risiken in sich, die es zu bewältigen gilt. Die Bedeutung der Human Resources legt es nahe, die Personalrisiken ebenso fundiert anzugehen, wie dies für andere Risiken schon lange üblich ist [42]. Personalrisikomanagement bedeutet demnach, die Risiken sichtbar und damit voraussehbar zu gestalten. Dies ermöglicht, die Personalrisiken begrenzen oder sogar vermeiden zu können. Die Personalrisiken können nach Kobi in 4 Risikogruppen zusammengefasst werden [11]: • Wenn Leistungsträger fehlen, entspricht das einem Engpassrisiko. Es kann zwischen Bedarfslücken (funktionsbezogen) und Potenziallücken (personenbezogen) unterschieden werden. Fehlendes Potenzial kann intern entwickelt oder extern rekrutiert werden.
210
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
• Austritte von Leistungsträgern stellen ein hohes Risiko dar (Austrittsrisiko). Es gilt, die gefährdeten Mitarbeiter zu erkennen und durch gezielte Mitarbeiterbindungsmaßnahmen im Unternehmen zu halten. • Falsch qualifizierte Mitarbeiter stellen ein Anpassungsrisiko dar. Wenn Freistellungen vermieden werden sollen, sind präventive Um- und Neuqualifizierungen angesagt. • Zurückgehaltene Leistungen stellen ein Motivationsrisiko dar. Dazu gehören z. B. Mitarbeiter, die bereits innerlich gekündigt haben. Die Nichtbeachtung der Personalrisiken wirkt sich unmittelbar durch fehlende, falsch qualifizierte oder unmotivierte Mitarbeiter auf die Unternehmensergebnisse aus. Deshalb bedarf es eines integrierten Personalrisikomanagements mit den 4 Stufen Risikoidentifikation, Risikomessung, Risikosteuerung und Risikoüberwachung [11]. Abbildung 3.59 stellt die Zusammenhänge dar. Zur Performance-Messung kommen qualitative und quantitative Messgrößen zum Einsatz. Während sich die quantitativen Größen (z. B. Fluktuationsquote, Fehlzeiten) relativ einfach aus der Personalstatistik ermitteln lassen, bereitet die Erhebung qualitativer Daten größeren Aufwand. Die qualitativen Messgrößen können durch Mitarbeiterbefragungen gewonnen werden. Eine Mitarbeiterbefragung schafft eine ob-
Risik oüb erw
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zurückgehaltene Leistung (Motivationsrisiko)
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falsch qualifizierte Mitarbeitende (Anpassungsrisiko) gefährdete fehlende Leistungsträger Leistungsträger (Austrittsrisiko) (Engpassrisiko)
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Abb. 3.59 Personalrisikomanagement [42]
jektivierte Grundlage und macht Dinge diskutierbar. Außerdem schätzen es die Mitarbeiter erfahrungsgemäß, einbezogen zu werden. Die Ergebnisse lassen sich in einem sog. „HRCockpit“ für jeden Unternehmensbereich verdichten und ermöglichen den Führungskräften, bei negativen Abweichungen zum Standardwert einzugreifen.
3.8.4 Konsequenzen für die Unternehmensführung „Um es klar zu sagen: Die neue Bedeutung des Menschen als Erfolgsfaktor bedeutet keineswegs, dass irgendwelche sozialen Gesichtspunkten mehr Gewicht bekommen. Zunächst einmal setzt – nach wie vor – ein nüchternes Kosten-Nutzen-Denken ein. Nur geschieht dies nicht über das eingesetzte Kapital oder die hieraus erwirtschaftete Rendite, sondern die Bemessung erfolgt über den tatsächlich erbrachten Einsatz des Mitarbeiters und seinen Anteil am Unternehmenserfolg. Der Mensch, sein Erfolg und seine Leistung, werden herausgestellt und als Maßstab genommen. So wird letzten Endes auch die Unternehmenskultur zum Erfolgs- und Ertragsfaktor“ [4]. Zum aktiven Management des Human Capital ist es notwendig, die Werthebel im HR-Bereich zu verstehen und ihr Zusammenwirken darzustellen. Damit rückt die Bedeutung des Personalmanagements für den Unternehmenserfolg stärker in den Mittelpunkt des Interesses (vgl. hierzu die Ergebnisse der Studie von Watson Wyatt). Es sieht sich damit zunehmend gefordert, die reaktive Rolle eines Administrators abzulegen und eine aktive Gestalterrolle einzunehmen [2]. Unternehmen mit einem hohen HCI zeichnen sich gemäß der Watson-Wyatt-Studie im Bereich des Personalmanagements besonders durch folgende Aspekte aus [24]: 1. Fortschrittlicher Führungsstil und -praktiken, 2. Exzellenz in der Personalrekrutierung und Personalentwicklung, 3. zeitgemäße Anreizsysteme. Leif Edvinsson, einer der Entwickler des Skandia Navigators, macht sich für innovative Organisations- und Arbeitsformen stark, in denen Menschen bessere Möglichkeiten geboten werden, ihr intellektuelles Kapital,
3.8 Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung
ihre Fähigkeiten und ihr Wissen auch tatsächlich freizusetzen [28]. Der Wertbeitrag eines Mitarbeiters in neuen Organisationsformen dürfte höher ausfallen als in den traditionellen. Neue Formen wie z. B. teilautonome Arbeitsgruppen, Projektorganisation und die Lernende Organisation haben sich gerade deshalb herausgebildet, weil sie das Unternehmen in die Lage versetzen, das Leistungspotenzial ihrer Mitarbeiter besser auszuschöpfen [43]. Motivation und Engagement der Mitarbeiter werden durch Führungsstrukturen und -stile gezielt gesteuert [22]. Damit werden die sog. „soft facts“ wie „Fähigkeiten“ und „Führung“ zu wichtigen Steuerungsgrößen, da sie die Entwicklung des Unternehmenswertes direkt beeinflussen [22]. Schlagworte für eine solche Mitarbeiterführung sind: Delegation, Partizipation, flache Hierarchien, frühzeitige Übernahme von Führungsverantwortung und Zielvereinbarung. Konkrete Maßnahmen zur Erzielung eines optimalen Fähigkeitsprofils des Unternehmens sowie zur Realisierung einer wertschaffenden Unternehmenskultur sind Themen, die die Unternehmensleitung nicht mehr vernachlässigen darf. „Ein großartiges und spannendes Arbeitsumfeld stellt sich als die bisher oftmals vernachlässigte, aber bedeutungsvolle Verantwortung der Führungskräfte für Mitarbeitergewinnung, -bindung und damit Wertschöpfung heraus“ [22]. Qualifiziertes Personal wird zunehmend zum Erfolgsfaktor in der Dienstleistungsgesellschaft. Gerade diese sind heutzutage aber Mangelware. Aus diesem Grund bedarf es geeigneter, innovativer Personalbeschaffungs- und Personalmarketinginstrumente, um im „War for talents“ nicht leer auszugehen. Die verstärkte Einbindung der Mitarbeiter sowie die Nutzung ihres spezifischen Wissens bei der Gestaltung von Struktur und Prozessen werden heute als Erfolgsfaktor gesehen. Die Ausstattung der Mitarbeiter mit mehr Autonomie und Verantwortung bedingt erhöhte Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter und somit an die Personalentwicklung. Erfolgreich am Markt agieren werden demnach die Unternehmen, denen es gelingt, neben der Fachkompetenz auch die bisher vernachlässigten Kompetenzen bei Mitarbeitern und Führungskräften zielgerichtet zu fördern bzw. auszubauen [44]. Ohne geeignete Anreizsysteme wird die wertorientierte Unternehmensführung erfolglos bleiben. Diese Systeme müssen längerfristig angelegt sein und sich gleichermaßen an klassischen wie neuen Bezugsgrö-
211
ßen orientieren [45]. Die Notwendigkeit einer leistungskompatiblen Anreizstruktur zeigt sich darin, dass die traditionellen betriebswirtschaftlichen Steuerungsgrößen wie z. B. ROI, CFROI oder ROE Kennzahlen sind, die sich nur auf das in der Bilanz ausgewiesene Vermögen beziehen. Dies ist aber, wenn man von der oben ermittelten Wertrelation zum Humankapital ausgeht, nur 1/6 des faktisch eingesetzten Kapitals [20]. Noch spielen die Bemessungsgrößen für eine wirklich wertorientierte Unternehmensführung in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. Größen wie die Aktienkursentwicklung, die Höhe der Kapitalkosten und insbesondere die Shareholder Value-Spitzenkennzahl sollten in einem wertorientierten Vergütungssystem verstärkt Berücksichtigung finden [45].
3.8.5 Fazit Unternehmen wurden lange Zeit anhand ihrer Finanzkraft und ihrer Umsätze oder ihrer materiellen Vermögenswerte bewertet. Vor allem der Übergang zur Dienstleistungs- bzw. Informationsgesellschaft brachte es mit sich, dass die immateriellen Vermögenswerte zunehmend an Bedeutung gewannen. Der Erfolg eines Unternehmens hängt heute in besonderem Maße von der richtigen Auswahl, Entwicklung und Einsatz der menschlichen Ressourcen ab. Diese Entwicklung bedingt ein Umdenken in der Unternehmensführung in Richtung Mitarbeiterorientierung. Das Wissen um die Bedeutung des Menschen in der Unternehmensführung hat zu der Erkenntnis geführt, dass Strategien, die die Human Resources nicht einbeziehen, sich oftmals als wertlos erweisen. Wenn sich die traditionellen Steuerungssysteme blind gegenüber der Wertquelle Nummer 1 – dem Human Capital – zeigen, hat dies gravierende Folgen, da damit eine zukunftsorientierte Planung und Steuerung des Human Capital kaum möglich ist [1]. Die erfolgreichste Strategie dürfte deshalb darin bestehen, die Mitarbeiterorientierung als strategische Erfolgsposition zu besetzen und zu leben [11]. Der eigentliche Wettbewerb wird künftig immer mehr um die besten Mitarbeiter stattfinden. Qualifizierte Mitarbeiter werden mehr und mehr zum Engpassfaktor und bestimmen oftmals die Grenzen der Leistungsfähigkeit und des Wachstums der Unternehmen. Erfolgreich am Markt agieren werden die Un-
212
ternehmen, denen es gelingt, neben der Fachkompetenz auch die bisher vernachlässigten Kompetenzen bei Mitarbeitern und Führungskräften zielgerichtet zu fördern bzw. auszubauen. Die Identifikation und Integration dieser neuen Schlüsselqualifikationen wird somit zu einer zentralen Herausforderung der Unternehmen und Mitarbeiterorientierung ein wesentliches Element der ganzheitlichen Unternehmensführung [44].
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3.9 Gruppen- und Teamarbeit 39. Edvinsson, L., Malone, M. (1997): Intellectual Capital, The proven Way to establish your company’s real value by measuring its hidden brainpower, London 1997, S. 58ff. 40. Skandia (Hrsg., 1998): Intellectual Capital Prototype Report, o. O. 1998, S. 4 41. Danckwardt, H. (2001): Der Skandia Navigator steuert nicht nur das Unternehmensschiff, in: http://www.wissensmanagement.net/php/print.php, 08.12.2001 42. Kobi, J.-M. (2000): Die Mitarbeiterdimension in der Balanced Scorecard, in: controller magazin 3/2000, S. 255 43. Edvinsson, L., Malone, M. (2000): The Search for Corporate Longitude, in: http://www.unic.net/morenews.asp?id=1738, 22.11.2000 44. Grandke, S. (1998): in: http://w4.siemens.com/zt_pp/ erebnis/t_ak3_1.html, 31.08.01 45. Afri, S. Aders, C. (2001): Den Firmenwert dauerhaft steigern, in: Harvard Businessmanager, 3/2001, S. 10
213
bleibt i. d. R. unklar. Bei näherer Betrachtung stellt sich oft heraus, dass hinter diesen Versprechen sehr unterschiedliche Gruppenarbeitskonzepte stehen. Daher können Erfahrungswerte und Vorgehensweisen nicht pauschal, sondern müssen differenziert für die unterschiedlichen Gruppenarbeitskonzepte betrachtet werden. Bevor über die bisherigen Erfahrungen mit Gruppenarbeit berichtet und auf Einführungsstrategien eingegangen wird, sollen daher in aller Kürze das Konzept der Gruppen- und Teamarbeit dargestellt und die verschiedenen Gruppenarbeitsformen erläutert werden.
3.9.1 Zum Begriff der Gruppen- und Teamarbeit 3.9 Gruppen- und Teamarbeit Über die Vor- und Nachteile von Gruppen- und Teamarbeit wird bereits seit Beginn der Industrialisierung diskutiert. Allerdings standen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Konzepte im Mittelpunkt des Interesses. Um 1920 wurde bei Daimler-Benz „Gruppenfabrikation“ als eine Art Gruppenfertigung mit tayloristischen Arbeitsstrukturen erprobt. In den 30er und 40er Jahren rückten gruppendynamische Prozesse in den Mittelpunkt. In den 70er Jahren wurden vor allem in Skandinavien, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland teilautonome Arbeitsgruppen als Ansätze zur Humanisierung der Arbeit und zur Persönlichkeitsförderung der Mitarbeiter diskutiert. Zu Beginn der 80er Jahre begann die Ausbreitung von Qualitätszirkeln (QZ), mit denen die betriebliche Effizienz verbessert werden sollte, indem Mitarbeiter an der Lösung arbeitsbezogener Probleme beteiligt wurden. Anfang der 90er Jahre wurde im Rahmen von „Lean-Production“ Teamarbeit zur Optimierung von Entwicklungs- und Produktionsprozessen in Form von KVP- bzw. Kaizen-, Projekt- oder Fertigungsteams propagiert. Seit einigen Jahren stehen virtuelle Teams und Teams in Netzwerkorganisationen im Fokus. Gruppen- und Teamarbeit wurde auf diese Weise immer wieder einmal zu einem modischen Schlagwort. Mit ihrer Einführung, so die Versprechen zahlreicher Unternehmensberater und Buchautoren, könne die Produktivität verbessert, die Motivation und Arbeitszufriedenheit gesteigert werden. Was dabei allerdings unter Gruppenarbeit verstanden wird,
Nicht jede organisatorische Zusammenfassung von Beschäftigten führt zu Gruppenarbeit. Um von Gruppenarbeit sprechen zu können, muss einer Gruppe ein gemeinsamer Auftrag erteilt worden sein, der von ihr auch als gemeinsame Aufgabe übernommen wird [1]. Entsprechend wird unter Gruppenarbeit im Folgenden eine Arbeitsform verstanden, bei der mehrere Personen über eine gewisse Zeit nach gewissen Regeln und Normen eine aus mehreren Teilaufgaben bestehende Arbeitsaufgabe bearbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen, und die dabei unmittelbar zusammenarbeiten und sich als Gruppe fühlen [2]. Insbesondere in der Managementliteratur findet sich seit einiger Zeit der Begriff des Teams bzw. der Teamarbeit [3, 4]. Neben dem modischen Reiz und dem Umstand, dass in Organisationen der Gruppenbegriff auch für formale Zuordnungen von Stellen zu einem Vorgesetzten benutzt wird, ist es auch die im Vergleich zum Gruppenbegriff stärkere Konnotation funktionierender Kooperation und eines „Mannschaftsgeistes“, die die Wahl des Teambegriffs mitbegründet. Entsprechendes gilt für die Verwendung der Begriffe Gruppenarbeit und Teamarbeit. Eine scharfe Trennung zwischen den Begriffen Gruppe und Team bzw. Gruppenarbeit und Teamarbeit erscheint nicht möglich. Während Gruppe eher im Sinne der organisatorischen Zugehörigkeit zu einer Gruppe verstanden wird, schwingt bei Team eine Vorstellung hoher Kohäsion und gut funktionierender Kooperation mit. Im Folgenden werden die Begriffe synonym gebraucht.
214
3.9.2 Konzepte der Gruppenarbeit Als erste grobe Orientierung können Arbeitsgruppen danach unterschieden werden, ob sie integrierter Bestandteil der regulären Arbeitsorganisation sind und eine kontinuierliche Zusammenarbeit im Rahmen der täglichen Arbeit erfordern oder ob sie quasi parallel zur bestehenden Organisationsstruktur eingeführt werden und ihre Mitglieder nur von Zeit zu Zeit zusammenarbeiten [5]. Nicht in die reguläre Arbeitsorganisation integriert sind Qualitätszirkel und Projektteams. Qualitätszirkel sind kleine Gruppen von Mitarbeitern, primär der unteren Hierarchieebene, die sich regelmäßig auf freiwilliger Grundlage treffen, um selbst gewählte Probleme aus ihrem Arbeitsbereich zu bearbeiten und zu lösen [5, 6]. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Projektgruppen um Gruppen von Mitarbeitern bzw. Führungskräften, die aufgrund ihrer Fachkompetenz mit der Lösung einmaliger, inhaltlich und zeitlich abgegrenzter Problemstellungen beauftragt werden, die meist mehrere Funktionsbereiche betreffen. Allerdings können die Projektmitglieder bei sehr umfangreichen und wichtigen Projekten auch von ihren regulären Aufgaben frei gestellt sein [7, 8]. KVPTeams nehmen insofern eine Mittelstellung ein, als es sich meist um Gruppen handelt, in denen Mitarbeiter eines Arbeitsbereiches zusammen mit Fachexperten, z. B. aus dem Industrial Engineering, und Führungskräften im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) bzw. Kaizen [9] etwa im Rahmen eines mehrtägigen Workshops gezielt nach Verschwendungen suchen und Lösungen möglichst sofort vor Ort umsetzen sollen. Die Arbeitsgruppen, die Bestandteil der regulären Arbeitsorganisation sind und im Rahmen ihrer täglichen Arbeit kontinuierlich zusammenarbeiten, können danach unterschieden werden, welchen Handlungsspielraum sie haben. Unter Handlungsspielraum werden hierbei Art und Umfang direkter und indirekter Aufgaben, Entscheidungskompetenzen und Kooperationsanforderungen verstanden. Das Spektrum reicht von klassischen Arbeitsgruppen, die in jeglicher Hinsicht wenig Handlungsspielraum besitzen, über Fertigungsteams, die zumindest mehr direkte und indirekte Aufgaben haben, bis zu teilautonomen Arbeitsgruppen mit einem sehr weit reichenden Handlungsspielraum. Exakte Angaben zur Verbreitung dieser Konzepte sind mangels aktueller fundierter empirischer Da-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
ten kaum möglich. Die vorliegenden Untersuchungen können jedoch zur Ableitung von Trends genutzt werden [10–13]. Mitte der 90er Jahre wurden Projektgruppen von fast allen großen deutschen Industrieunternehmen genutzt. Deutlich weniger, aber immer noch knapp mehr als die Hälfte dieser Firmen setzten Qualitätszirkel ein. Dagegen fanden sich teilautonome Arbeitsgruppen erst bei einem knappen Drittel der befragten Betriebe [10]. In den Folgejahren stieg ihr Anteil jedoch deutlich an. Eine jüngste Untersuchung bei deutschen Produktionsunternehmen ergab, dass 63 Prozent Gruppenarbeit mit erweiterten direkten und indirekten Aufgaben, Entscheidungskompetenzen und Kooperationsanforderungen in der Produktion nutzen [12]. Sogar 69 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, insbesondere durch QZ oder ähnliche Gruppenkonzepte, Mitarbeiter an Prozessverbesserungen im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) zu beteiligen. Eine ähnliche Entwicklung scheint es auch in anderen europäischen Ländern und den USA gegeben zu haben, die z. T. zu einer noch weiteren Verbreitung von Gruppenarbeit führte [11, 12]. So stieg der Anteil von den Fortune 1000 Betrieben in den USA die Gruppenarbeit nutzen, von 27 Prozent im Jahre 1987 auf 78 Prozent im Jahre 1996 [12]. Eine zunehmende Verbreitung selbstregulierender Arbeitsgruppen zeichnet sich somit ab, auch wenn aus diesen Zahlen nicht geschlossen werden darf, dass sie für die jeweiligen Belegschaften die vorherrschende Form der Arbeitsorganisation darstellen [13]. Auf die in die Arbeitsorganisation integrierten Formen der Gruppenarbeit, insbesondere auf die aktuelle Diskussion um Fertigungsteams und teilautonome Arbeitsgruppen bzw. standardisierter und teilautonomer Gruppenarbeit soll im Folgenden näher eingegangen werden.
3.9.3 Klassische Arbeitsgruppen Unter klassischen Arbeitsgruppen werden Gruppen von Mitarbeitern verstanden, die eine gemeinsame Aufgabe stark funktions- und arbeitsteilig durchführen [14]. Die Arbeitsverteilung, die Feinsteuerung der Fertigung, die Personal- und Arbeitszeitplanung gehören zu den Aufgaben des Meisters. Er kontrolliert, ob die Mitarbeiter vorschriftsmäßig arbeiten und ist
3.9 Gruppen- und Teamarbeit
für die Lösung auftretender Probleme zuständig. Die Aufgaben der Mitarbeiter beschränken sich auf unmittelbar produzierende Tätigkeiten. Unterstützende Tätigkeiten wie Transport oder Wartung und Instandhaltung werden von anderen Funktionsbereichen ausgeführt. Dies gilt ebenfalls für planende, steuernde und kontrollierende Tätigkeiten. Da bei der klassischen Arbeitsgruppe jeder Mitarbeiter seine eigene Aufgabe hat, keine gemeinsame Gruppenaufgabe und keine gemeinsamen Ziele im engeren Sinne bestehen, erfüllen sie allenfalls rudimentär die hier genannten Kriterien für Gruppenarbeit.
3.9.4 Fertigungsteams Das Konzept der Fertigungsteams, wie es insbesondere von Toyota und anderen japanischen Unternehmen praktiziert wird, zeichnet sich durch eine bedingte Beibehaltung der tayloristischen Arbeitsteilung und durch eine Integration indirekter Funktionen in die Produktion aus [15–17]. Die durch die taktgebundene Fließfertigung verursachte technische Abhängigkeit der einzelnen Arbeitsstationen wird sogar noch durch das just-in-time Prinzip, d. h. die weitgehende Beseitigung jeglicher Puffer, weiter gesteigert. Auch die tayloristische Arbeitsteilung mit kurzen Arbeitszyklen, i. d. R. deutlich unter zwei Minuten, bleibt weiter bestehen. Die Fertigungsteams umfassen jeweils ca. 10 Mitglieder. Von ihnen wird erwartet, dass sie mindestens drei Stationen in ihrem Team beherrschen. Dies gewährleistet die notwendige personelle Flexibilität. Neben der Ausführung der direkten Tätigkeiten übernehmen die Teammitglieder auch die Verantwortung für die Qualität ihrer Arbeit. Sie führen hierzu eine Sichtkontrolle der von ihnen und von ihren Vorgängern ausgeführten Arbeitsschritte durch und beheben sofort etwaige Fehler, sofern es möglich ist. Um die Prozesssicherheit zu gewährleisten, wird von den Mitarbeitern eine strikte Einhaltung der vorgegebenen Arbeitsstandards erwartet. Jede Operation, jeder Handgriff ist in der vorgeschriebenen Weise auszuführen. Daher wird auch von standardisierter Gruppenarbeit gesprochen. Sollte eine Vorschrift eine effektivere Arbeitsausführung behindern, wird von dem Mitarbeiter erwartet, dass er dies meldet bzw. am besten gleich
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einen Verbesserungsvorschlag unterbreitet, der zu einem neuen, verbesserten Arbeitsstandard führt. Die Fertigungsteams werden von einem vom Meister ernannten Teamleiter betreut. Disziplinarischer Vorgesetzter von i. d. R. zwei Teams mit ca. 20 Mitarbeitern ist der Meister. Er hat im Vergleich zu der Meisterrolle tayloristisch-fordistisch strukturierter Unternehmen einen großen Kompetenz- und Verantwortungsbereich. Als Werkstattmanager teilt er nicht nur die Mitarbeiter den einzelnen Arbeitsstationen zu, sondern ist darüber hinaus für deren Ausbildung und Lohneinstufung sowie für die Arbeits- und Prozessgestaltung in seinem Verantwortungsbereich maßgeblich mitverantwortlich. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehören auch die Überwachung der Einhaltung der Arbeitsstandards und deren permanente Verbesserung. Die Motivation zur kontinuierlichen Verbesserung resultiert zum Großteil aus dem Prinzip der pufferlosen Fertigung, ständig wachsenden Ziel- bzw. Rationalisierungsvorgaben und knappen Ressourcen. Aufgrund des damit verbundenen unbegrenzten Leistungsdrucks auf Mitarbeiter und Management lassen sich selbst kleine Störungen nicht verdecken. Damit soll so viel Druck erzeugt werden, dass Störungen und deren Ursachen konsequent beseitigt werden. Die Verfolgung der Unternehmensziele steht bei diesem Vorgehen eindeutig im Vordergrund. Um diese trotz eventueller Störungen zu erreichen, stehen Zeitpuffer zwischen den Schichten zur Verfügung. Die i. d. R. im Zwei-Schichtbetrieb arbeitenden Unternehmen haben dadurch täglich zwei Stunden zwischen Früh- und Spätschicht sowie weitere Zeitpuffer im Anschluss an die Spätschicht zur Verfügung, um das Tagesproduktionsziel noch zu erreichen. In den Fertigungsteams sind die Mitarbeiter primär für die ihnen jeweils übertragene Arbeit verantwortlich. Die Regulation der Gruppe erfolgt durch den Teamleiter bzw. den Meister. Aus diesem Grunde erscheint es auch bei den Fertigungsteams nur bedingt gerechtfertigt von Gruppenarbeit zu sprechen. Da jedoch die Aufgaben und Ziele der Gruppe für den einzelnen Mitarbeiter stärker als bei klassischen Arbeitsgruppen im Vordergrund stehen, erscheint der Gruppenbegriff zumindest im Vergleich zu diesen eher gerechtfertigt. Die kooperative Ausführung einer gemeinsamen Aufgabe beschränkt sich in Fertigungsteams jedoch vorwiegend auf die Arbeit der Qualitätszirkel und KVP-Gruppen innerhalb der Fertigungsteams. Die eigenverantwortliche Bearbeitung einer ge-
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meinsamen Aufgabe steht dagegen im Mittelpunkt des Konzepts der teilautonomen Arbeitsgruppe, auf das im nächsten Kap. eingegangen werden soll.
3.9.5 Teilautonome Arbeitsgruppen In Deutschland wird mit dem Begriff der Gruppenarbeit i. d. R. noch immer das Modell der teilautonomen Arbeitsgruppen assoziiert, das durch die skandinavischen Experimente, insbesondere von Volvo bzw. Saab [18, 19], oder durch die Pilotprojekte im Rahmen des Programms zur Humanisierung des Arbeitslebens in der Bundesrepublik Deutschland bereits in den siebziger Jahren bekannt gemacht wurde [20, 21]. Allerdings haben sich in der aktuellen Diskussion die Zielprioritäten von der Humanisierung auf die Rationalisierung verschoben. Das Konzept teilautonomer Arbeitsgruppen verknüpft die Gedanken der Arbeitserweiterung, der Arbeitsbereicherung und des Arbeitswechsels und überträgt sie auf eine Gruppensituation. Auf diese Weise wird versucht, den kollektiven Handlungsspielraum der Gruppe zu vergrößern. Entsprechend versteht man unter einer teilautonomen oder selbstregulierenden Arbeitsgruppe (TAG) eine kleine Gruppe von Mitarbeitern, denen die Erstellung eines kompletten (Teil-) Produktes oder einer Dienstleistung mehr oder weniger verantwortlich übertragen wurde [22]. Innerhalb der Gruppen wird ein flexibler Arbeitseinsatz der Mitarbeiter angestrebt. Dies setzt voraus, dass sie für diese Tätigkeiten qualifiziert sind bzw. für sie qualifiziert werden. Die Weiterbildung der Gruppenmitglieder muss sowohl direkte wie indirekte Tätigkeiten umfassen. Inwieweit jeder Mitarbeiter für jede Tätigkeit in seiner Gruppe qualifiziert werden kann, ist wesentlich von der Heterogenität der verschiedenen Teilaufgaben der Gruppe und den Fähigkeiten der Mitarbeiter abhängig. Es ist ferner zu bedenken, dass das Ziel, alle Gruppenmitglieder für alle Arbeitsplätze zu qualifizieren, leicht zur Überforderung einzelner Mitarbeiter und zur Ausgrenzung leistungsschwächerer Mitarbeiter führen kann. Durch die Tätigkeit an unterschiedlichen Arbeitsplätzen können unterschiedliche körperliche und qualifikatorische Anforderungen an die Mitarbeiter gestellt werden. Dies kann zu einem positiven Belastungswechsel, zu einer als abwechslungsreicher
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
erlebten Arbeit und zu einer breiteren Qualifizierung der Mitarbeiter führen. Dies gilt insbesondere, wenn arbeitsteilige und kurzzyklische Aufgaben zu umfassenderen Tätigkeiten erweitert werden. Wesentliches Merkmal teilautonomer bzw. selbstregulierender Arbeitsgruppen ist die zumindest partiell selbstständige Planung, Steuerung und Kontrolle der übertragenen Aufgaben (Arbeitsbereicherung). Dies kann durch eine Funktionsintegration und durch die Selbstregulation der Gruppe erreicht werden. Im Rahmen der Integration indirekter Tätigkeiten können beispielsweise die Qualitätskontrolle, kleinere Wartungsund Reparaturarbeiten, die Materialdisposition, aber auch Reinigungs- und Transportarbeiten in die Gruppe verlagert werden. Als Möglichkeiten zur Selbstregulation der Gruppe können die interne Arbeitsverteilung, die Planung der Arbeitszeiten, die Feinsteuerung von Fertigungsaufträgen oder die Optimierung von Arbeitsbedingungen und -abläufen angesehen werden. Die Selbstregulation der Gruppe setzt voraus, dass auch tatsächlich Freiheitsgrade bei der Auftragsausführung bestehen. Diese stecken den Spielraum ab, innerhalb dessen die Gruppe sich selbst steuern kann. Die objektiven Freiheitsgrade werden nicht zuletzt durch die technische Verkopplung der Gruppe mit vorund nachgelagerten Gruppen beeinflusst. Nur in dem Maße, in dem die Gruppen voneinander unabhängig sind, können sie sich selbst regulieren. Dies ist leichter zu realisieren, wenn der kollektive Arbeitsumfang einer Gruppe ein komplettes (Teil-) Produkt oder eine Dienstleistung umfasst (ganzheitliche Aufgabe). Die Integration indirekter Aufgaben und die Selbstregulation der Gruppe verändert die horizontale und vertikale Funktions- und Arbeitsteilung in weiten Bereichen des Unternehmens. Dies betrifft nicht nur Aufgaben und Strukturen indirekter Abteilungen, wie der Qualitätssicherung und der Arbeitsvorbereitung, sondern auch die Führungsaufgaben, die Führungsstruktur und -kultur. Am stärksten sind hiervon die unmittelbaren Schnittstellenfunktionen betroffen. Beispielsweise wird bei der Integration von Qualitätssicherungsaufgaben die Funktion der klassischen Qualitätskontrolleure überflüssig oder die Aufgaben der Zeitwirtschaft wandeln sich, wenn die Gruppen Zeitbudgets zur Erfüllung der Produktionsziele erhalten. In Bezug auf Führungsaufgaben und -strukturen verlieren Einrichter ihre Vorgesetztenfunktion und i. d. R. ihren Sonderstatus, Vorarbeiter werden nicht mehr benötigt und auch die Aufgaben von Meistern oder Grup-
3.9 Gruppen- und Teamarbeit
penleitern verändern sich. Die eigenverantwortliche Aufgabenausführung und Selbstregulation der Gruppe verlangt eine zielorientierte und partizipative Führung [23–25] nicht nur bei den unmittelbaren Vorgesetzten, sondern im gesamten Management. Zur Unterstützung der täglichen internen und externen Koordination der Gruppen wird häufig ein Gruppensprecher von der Gruppe gewählt. Bisweilen wird er auch vom Management z. T. gemeinsam mit dem Betriebsrat vorgeschlagen. Er ist Ansprechpartner für die Vorgesetzten und andere gruppenexterne Stellen. Der Gruppensprecher moderiert i. d. R. auch die Gruppensitzungen. Gruppensitzungen können regelmäßig, z. B. eine Stunde pro Woche oder bei Bedarf, abgehalten werden und dienen der gemeinsamen Koordination und Planung. In den Gruppensitzungen können darüber hinaus auch aktuelle technische, organisatorische oder zwischenmenschliche Probleme bearbeitet werden. Die Besprechungen teilautonomer Arbeitsgruppen können auf diese Weise, ähnlich wie Qualitätszirkelsitzungen, zur Verbesserung der Qualität der Arbeit genutzt werden. Dies schließt natürlich nicht aus, dass Probleme auch innerhalb teilautonomer Arbeitsgruppen oder gruppenübergreifend durch Qualitätszirkel, KVP-Gruppen oder durch einzelne Mitarbeiter bearbeitet werden können. Im Unterschied zu Qualitätszirkeln und KVP-Gruppen besitzen teilautonome Arbeitsgruppen jedoch Entscheidungskompetenzen, so dass Verbesserungsideen innerhalb der jeweils vereinbarten Rahmenbedingungen unmittelbar umgesetzt werden können.
3.9.6 Effektivität von Gruppenarbeit In den meisten betrieblichen Fallstudien werden positive ökonomische und soziale Auswirkungen teilautonomer Arbeitsgruppen berichtet [2, 26–29]. Als Beispiel für eine bekannte, aber in Hinblick auf Gruppenarbeit methodisch wenig aussagekräftige Untersuchung kann die MIT-Studie angeführt werden. Die dort veröffentlichten ökonomischen Effizienzindikatoren sprechen auf den ersten Blick deutlich für die Überlegenheit japanischer Fertigungsteams gegenüber klassischen und selbstregulierenden Arbeitsgruppen. Sowohl die Produktivitätsindikatoren (Arbeitsstunden pro Kfz) als auch die Qualitätskennzahlen lie-
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gen deutlich besser [30–32]. Jedoch können wesentliche Ursachen auch in der effizienteren Entwicklungsarbeit und der stärkeren Integration der Zulieferer in den Entwicklungsprozess bei schlanken Unternehmen liegen [33, 34]. Industriesoziologische [35, 36] und arbeitspsychologische Arbeiten [37, 38] kritisieren die Auswirkungen japanischer Fertigungsteams auf die Belegschaft, als „Management by Stress“ [36], da weiterhin repetitive und monotone Arbeit unter hohem Zeit- und Leistungsdruck geleistet werden muss. Eine eher skeptische Haltung der betroffenen Belegschaftsmitglieder berichten auch die wenigen empirischen Untersuchungen. Insbesondere die Arbeitsbelastung wird als zu hoch kritisiert [35]. Als Folge würden nur knapp fünf Prozent der Mitglieder der japanischen Automobilarbeitergewerkschaft ihren Kindern einen Job in der Autoindustrie empfehlen [39]. Die systembedingt hohe Arbeitsbelastung wird auch für „Nummi“, ein Joint Venture Werk von General Motors und Toyota, bestätigt [40]. Allerdings seien trotzdem die Zufriedenheit und die Beteiligung am betrieblichen Vorschlagswesen von 1987 bis 1991 gestiegen. Erklärt wird dies durch die Mitsprachemöglichkeiten der Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitsmethoden und -prozesse im Rahmen des Kaizen-Prozesses, die trotz Standardisierung und hohen Leistungsforderungen zur Zufriedenheit der Mitarbeiter beitragen würden [41]. Die positive Wirkung der Mitsprachemöglichkeiten für Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse und -Standards belegt auch eine neuere Längsschnittstudie, bei der unterschiedliche Formen der Arbeitsorganisation verglichen wurden [42]. Zwar sank die Bindung an das Unternehmen mit der Einführung von Lean Production auch in Montageinseln, die an der Planung, Auditierung und Verbesserung ihrer Arbeitsprozesse beteiligt waren, doch war dieser Effekt deutlich geringer als bei Mitarbeitern am Fließband, die keine vergleichbaren Mitsprachemöglichkeiten besaßen. Letztere wurden zudem depressiver, waren weniger motiviert und weniger zuversichtlich, dass sie sich erfolgreich mit Ideen und Vorschlägen im Betrieb einbringen könnten. Die Studie konnte zudem die (zumindest partiell) vermittelnde Wirkung der wahrgenommenen Arbeitsanforderungen nachweisen, die sich in Bezug auf die Wahrnehmung der Partizipationsmöglichkeiten, der Zeitautonomie und Autonomie bei der Wahl der Arbeitsmethoden, sowie
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der Nutzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zeitablauf insbesondere bei den Mitarbeitern an den Montagelinien und mit Ausnahme der Partizipationsmöglichkeiten auch bei denen der Montageinseln verschlechterten. Vergleichbare quasi-experimentelle Längsschnittuntersuchungen zu den Auswirkungen teilautonomer Arbeitsgruppen berichten fast durchweg über steigende Arbeitskomplexität und Arbeitszufriedenheit. In Bezug auf Kriterien psychischer Gesundheit, der Arbeitsmotivation und der Produktivität fanden einige Studien positive Effekte, andere aber auch keine Auswirkungen. Entgegen den Erwartungen der Forscher stieg in einigen Studien sogar die Fehlzeiten- und Fluktuationsquote an. Keine Effekte waren in Hinblick auf Unfallquoten festzustellen [43–45]. Eine Erklärung für diese uneinheitlichen Befunde könnte darin liegen, dass sich die realisierten Gruppenarbeitsmodelle, die gestellten Anforderungen an die Gruppen und die betrieblichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen unterscheiden. Beispielsweise unterscheiden sich die Ausgangssituationen in Betrieben erheblich, was potentielle Produktivitätssteigerungen angeht. Wurden beispielsweise vor der Einführung von Gruppenarbeit andere Programme zur Produktivitätssteigerung durchgeführt, dürften weitere Effekte schwerer zu erreichen sein, als wenn dies nicht der Fall wäre. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass betriebliche Funktionsbereiche und -träger mit alternativen Rationalisierungsansätzen um Produktivitätssteigerungen konkurrieren [46]. Evaluationsstudien zur Gruppenarbeit geraten dadurch in Gefahr, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden, indem sie gezielt für Bereiche mit oder ohne Ergebnispotential beauftragt werden. Ergebnisunterschiede zwischen Untersuchungen können ferner auf unterschiedliche Gruppenmodelle zurückzuführen sein. So können steigende Leistungsanforderungen die positiven sozialen Auswirkungen von Gruppenarbeit insbesondere dann mindern und zu Zeitdruck und Fremdbestimmung führen, wenn die Gruppen geringe Handlungsspielräume haben. Umgekehrt können Gruppen, die technisch und organisatorisch unabhängig sind und ganzheitliche Aufgaben bearbeiten, wachsende Arbeitsanforderungen besser bewältigen [16, 47, 48]. In Summe ergibt sich somit, dass Aussagen zu Auswirkungen und Wirkungsmechanismen teilautonomer Arbeitsgruppen oder Fertigungsteams noch im-
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
mer auf wackligen Beinen stehen. Pauschale Aussagen zugunsten eines der beiden Konzepte erscheinen zurzeit voreilig. In der Praxis finden sich diese beiden Modelle in vielfältigen Zwischenstufen. Auf der Suche nach der effektivsten Form der Gruppenarbeit finden sich dabei insbesondere in den personalintensiven Montagen der Automobilindustrie unterschiedliche und z. T. wechselnde Entwicklungen, selbst innerhalb eines Konzerns, zwischen mehr und weniger restriktiven Modellen der Gruppenarbeit [48, 49]. Dies gilt jedoch nicht für andere Bereiche. Erfreulicherweise wächst seit geraumer Zeit die Zahl empirischer Studien und Belege für Einflussgrößen und Wirkungsmechanismen von Gruppenarbeit, die auf eine bessere Beurteilung dieser Fragen hoffen lassen. Eine wichtige Einflussgröße für den Erfolg von Arbeitsgruppen scheint dabei zu sein, inwieweit sie in ein umfassendes Konzept der Organisationsgestaltung eingebunden sind, das den wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Beteiligten und den jeweiligen kulturellen Rahmenbedingungen gerecht wird. Dies stellt hohe Anforderungen an den Einführungsprozess der Gruppenarbeit.
3.9.7 Einführung von Gruppenarbeit Die Einführung von Gruppenarbeit darf sich nicht auf die Durchführung struktureller und technischer Veränderungen allein beschränken. Nur wenn diese im Rahmen eines Personal- und Organisationsentwicklungskonzeptes vorgenommen werden, kann ein auf die spezifischen betrieblichen Anforderungen hin zugeschnittenes Konzept entwickelt werden, das von allen Beteiligten akzeptiert wird, auf das sie angemessen vorbereitet sind und in dem sie Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative ergreifen [50, 51]. Das hierzu erforderliche Vorgehen kann in einem Phasenmodell veranschaulicht werden, bei dem sechs Phasen z. T. mehrfach durchlaufen werden: 1. Sondierung des Themas innerhalb (Interessen-/ Kraftfeldanalyse) und außerhalb des Unternehmens (erprobte Modellprojekte besuchen) und Start des Projekts 2. Analyse der Ausgangssituation mit Hilfe einer sozio-technischen Systemanalyse bzw. Organisationsdiagnose
3.9 Gruppen- und Teamarbeit
3. Entwicklung einer gemeinsamen Vision für die Teamarbeit im Unternehmen und Vereinbarung der Ziele 4. Ausarbeitung des Teamkonzepts 5. Umsetzung 6. Kontrolle und Weiterentwicklung der Teamarbeit. Die Umsetzung dieses Modells kann nicht in Form von detaillierten Handlungsschritten vorgegeben, sondern soll anhand von vier Vorgehensregeln erörtert werden: 1. Heuristisches, partizipatives Vorgehen, 2. Frühzeitige Information und Qualifizierung aller Betroffenen, 3. Schaffung struktureller Voraussetzungen, 4. Entwicklung günstiger Rahmenbedingungen. Ad 1) Heuristisches, partizipatives Vorgehen Ein betriebsspezifisches Gruppenarbeitskonzept und eine entsprechende Einführungsstrategie sollten unter Beteiligung der betroffenen Vorgesetzten, Mitarbeiter und Gruppen, z. B. im Rahmen von Projektteams, in einer top-down Strategie erarbeitet werden. Top-down heißt, dass vom Top-Management lediglich die Spielregeln und Rahmenbedingungen festgelegt werden. Die Ausgestaltung des Gruppenarbeitsmodells und die konkreten Schritte zur Einführung erfolgen jedoch durch die jeweiligen Führungskräfte unter sukzessiver Einbeziehung der Mitarbeiter eines Bereichs. Grundlage dieser partizipativen Konzeptentwicklung sollte eine Diagnose der betrieblichen Ausgangssituation sein, um ein Stärken-Schwächen-Profil der Aufbau- und Ablauforganisation sowie Erwartungen und Befürchtungen der Belegschaft bezüglich der Einführung von Gruppenarbeit zu erfassen. In einer Betriebsvereinbarung sollten in dieser Phase der Einführung von Gruppenarbeit lediglich die Rahmenbedingungen und Spielregeln für das Vorgehen festgehalten werden. Dies schafft in einer Pilotphase den Spielraum, die erarbeiteten Vorstellungen zur Einführung von Gruppenarbeit zu erproben und gegebenenfalls zu modifizieren. Die im Rahmen einer solchen Pilotphase bewährten Einführungs- und Gruppenarbeitskonzepte können dann stufenweise in weiteren Bereichen des Unternehmens eingeführt werden. Die Einführung von Gruppenarbeit berührt zahlreiche Interessens-, Macht- und Einflusssphären eines Unternehmens. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, den Einführungsprozess durch ein Team interner und
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externer Berater begleiten zu lassen, die als neutrale Moderatoren frühzeitig latente Konflikte aufdecken und bearbeiten können. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, geeignete Führungskräfte und Mitarbeiter prozessbegleitend zu internen Beratern bzw. Prozessbegleitern zu entwickeln. Ad 2) Frühzeitige Information und Qualifizierung aller Betroffenen Im Sinne des Prinzips „Betroffene zu Beteiligten machen“ sind Führungskräfte und Mitarbeiter frühzeitig und kontinuierlich über die geplante Einführung der Gruppenarbeit zu informieren und zu beteiligen. Eine solche Informationspolitik kann mit einer allgemeinen Information über die Ziele von Gruppenarbeit und über die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitarbeiter beginnen, um dann kontinuierlich über den Projektfortschritt zu informieren. Ferner gilt es frühzeitig mit der Qualifizierung von allen Beteiligten (Teammitglieder, Führungskräfte, Mitarbeiter indirekter Bereiche) in Hinblick auf die neuen fachlichen, methodischen und sozialen Anforderungen zu beginnen. Insbesondere gilt es die Kompetenz der Führungskräfte zur Mitgestaltung des Einführungsprozesses und zur Entwicklung und Unterstützung der Gruppen zu entwickeln. Im Vordergrund sollten dabei ein projektbegleitendes und von den Betroffenen selbstverantwortetes und selbstgesteuertes Lernen stehen, das durch ein fachliches, methodisches und soziales Coaching unterstützt wird. Diese Maßnahmen können im Rahmen eines langfristigen und kontinuierlichen Qualifizierungsprozesses durch weitere klassische fachliche Schulungen, Team-Entwicklungstrainings, Gruppensprecher- und Führungskräfte-Trainings nach Bedarf ergänzt werden. Ad 3) Schaffung struktureller Voraussetzungen Für die Steuerung des Einführungsprozesses muss eine Projektstruktur und ein Projektmanagement mit Auftraggeber, Projektteam und -leiter und entsprechenden Ressourcen eingerichtet werden. Es empfiehlt sich, den Betriebsrat an diesen Projektgruppen zu beteiligen und zur aktiven Mitgestaltung zu ermutigen. In den Projektteams sollten die jeweiligen betrieblichen Vorgesetzten und Vertreter der Mitarbeiter sowie der tangierten indirekten Funktionen vertreten sein. Als weitere strukturelle Voraussetzung für die Einführung von Gruppenarbeit kann die Einrichtung gruppenarbeitsgerechter Planungs- und Steuerungssysteme angesehen werden, die gruppenbezogene Zielsetzun-
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gen und verständliche Rückmeldungen der jeweiligen Zielkriterien einer Gruppe erlauben. Zu den strukturellen Voraussetzungen können ferner ein gruppengerechtes Layout sowie gruppenarbeitsgerechte Entgeltund Arbeitszeitsysteme genannt werden [52]. Ad 4) Entwicklung günstiger Rahmenbedingungen Teilautonome Gruppenarbeit impliziert die Delegation von Verantwortung und Kompetenzen und die Selbstregulation der Gruppe innerhalb des übertragenen Verantwortungsbereiches. Diese Prinzipien können nur dann ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn sie nicht im Widerspruch zur Unternehmenskultur stehen. i. d. R. sind diese Prinzipien leichter in einer flachen Führungspyramide mit wenigen Hierarchieebenen und einer zielorientierten Führung der Arbeitsgruppen zu realisieren [53]. Es bietet sich an, auch in „Nicht-Produktionsbereichen“ die Einführung von Gruppenarbeit zu prüfen. Beispiele hierfür wären etwa die Einrichtung von Verwaltungsinseln bzw. Kundenteams zur Auftragsabwicklung. Auch der z. Z. in vielen Unternehmen zu beobachtende Trend in Richtung prozessorientierter Unternehmensstrukturen, von Cost- bzw. Profit-Centern, entspricht dem Gedanken der Dezentralisierung und Selbstregulation. Es liegt auf der Hand, dass Reibungsverluste zwischen Abteilungen und Bereichen verringert werden können, wenn diese nach ähnlichen Prinzipien aufgebaut sind und von einer gemeinsamen Philosophie getragen werden. Dennoch sollte die Vereinheitlichung nicht so weit getrieben werden, dass einheitliche Strukturen und Prinzipien um ihrer selbst willen durchgesetzt werden. Mit dem hier geforderten Vorgehen sollte dieses gerade vermieden und eine anforderungs- und problemgerechte Ausgestaltung von Strukturen und Abläufen ermöglicht werden.
3 Neues Denken in der Unternehmensführung
tät von verschiedenen Konzepten der Gruppenarbeit wenig sinnvoll sind. Vielmehr gilt es die zentralen Gestaltungsdimensionen und deren Ausprägung zu identifizieren und deren Auswirkung auf den Prozess und auf die Ergebnisse der Gruppenarbeit zu analysieren. In den letzten Jahren wurden in dieser Hinsicht zwar Fortschritte erzielt, doch bleibt der Forschung in der Theorieentwicklung und insbesondere in deren empirischen Prüfung noch viel zu tun. Für die Praxis ist dies insofern von Belang, als eine Vielzahl von „bewährten“ Methoden und Empfehlungen zur Gestaltung und Einführung von Gruppenarbeit (siehe oben) im günstigsten Fall zwar auf den Erfahrungen professioneller Akteure beruht, ihre methodisch fundierte empirische Prüfung aber noch aussteht. Im schlechtesten Fall folgt man lediglich einer populären Managementmode, die bald von der nächsten abgelöst wird. Die berichteten uneinheitlichen und widersprüchlichen Ergebnisse von Gruppenarbeit können als Beleg dafür gewertet werden, dass eine Reihe von Projekten und Maßnahmen nicht ihr Ziel erreichten. Da Wissenschaftler und Praktiker lieber Erfolge als Misserfolge berichten, dürfte die Dunkelziffer ganz oder teilweise gescheiterter Projekte noch deutlich höher liegen. Dies sollte jedoch nicht als Plädoyer gegen Gruppenarbeit missverstanden werden, da dies in ähnlicher Weise auch für andere Formen der Arbeits- und Organisationsgestaltung gilt. Vielmehr bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Wissenschaft und Praxis, um die bestehenden Lücken zu schließen und auf diese Weise mehr gesichertes Handlungswissen zu gewinnen. Dies gilt umso mehr für Felder, die – wie der Dienstleistungsbereich – bislang vernachlässigt wurden oder sich erst neu entwickeln, wie Teams in virtuellen oder Netzwerkorganisationen.
Literatur 3.9.8 Fazit Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich nicht zuletzt aufgrund der Anpassung der Konzepte der Gruppenarbeit an die betriebsspezifischen Anforderungen fließende Übergänge zwischen den hier dargestellten Modellen in der betrieblichen Praxis ergeben. Für den wirkungsvollen Einsatz von Arbeitsgruppen ist dieses Vorgehen eine wesentliche Voraussetzung. Daraus folgt jedoch, dass pauschale Vergleiche der Effektivi-
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Management des Produktlebenslaufs
Inhaltsangabe 4.1
Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung . . 4.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Ausrichtung der betrieblichen Funktionen auf die Optimierung des Produktlebenslaufes . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Den Nutzen Verkaufen – Product life time value . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Produkte haben mehrere Leben . . . . . . . . . . 4.1.5 Wandlungsfähige Strukturen – flexible Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . .
4.4.5 4.4.6 224 224
4.5
225 229 230 231 235
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4.2
Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung . . 4.2.1 Restriktionsgerechte Produktentwicklung . 4.2.2 Variantengerechte Produktentwicklung . . . 4.2.3 Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236 237 239 244
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4.3
IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Der Produktentwicklungsprozess im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Virtuelle Produktentwicklung . . . . . . . . . . . 4.3.3 IT-Lösungen für die Virtuelle Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Nutzenpotenziale der Virtuellen Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247 247 249 251
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4.4
Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Ziele neuer Produktnutzungskonzepte . . . . 4.4.2 Stationen der Wertschöpfung im Produktlebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Life-Time-Management . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Betreibermodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
260 260 261 264 266
Remanufacturing und Recycling . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Produktverantwortung gehört zum Selbstverständnis der produzierenden Wirtschaft . . . . . . . . . . . 4.5.2 Orientierung im Aufgabenfeld Recycling . 4.5.3 Aktuelle Organisationsstrukturen zum Recycling von „Hightech“-Großserien-Produkten . . . . . . . 4.5.4 Service Engineering für Großserienprodukte: gekonntes Recycling im Gebrauchszyklus . 4.5.5 Remanufacturing – zu deutsch: Refabrikation – erlebt einen Boom . . . . . . . 4.5.6 Refabrikation stützt sich auf fünf oder sechs Fertigungsschritte und erfasst faktisch sämtliche Märkte . . . . . . . . . . . . . . 4.5.7 Marktabdeckung und Qualitätsbewusstsein der Refabrikation wachsen . . . . . . . . . . . . . . 4.5.8 Erschließung des Geschäftsfeldes Refabrikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.9 „Equivalent-To-New“-Produkte und „Matching Quality Parts“ sind die kommenden Begriffe für Produkte aus der Refabrikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.10 Produktaufwertung statt Verwertung . . . . . .
273
273 276
279
282 284
287 291 292
293 293
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4.6
258 259
E-Services in der Produktion . . . . . . . . . . . . 268 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Vorteile einer lebenslaufumfassenden Erfolgsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Einsatzgebiete des Life Cycle Costings . . . 4.6.4 Phasen im Produktlebenslauf . . . . . . . . . . . . 4.6.5 Investitionskosten versus Betriebskosten – Trade offs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.6 Life Cycle Value Strategien . . . . . . . . . . . . . 4.6.7 Life Cycle Cost-Verträge . . . . . . . . . . . . . . .
294 294 294 296 297 300 302 302 223
224
4 Management des Produktlebenslaufs
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 4.7
Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Ziele und Vorgehensweise der Ökobilanz . 4.7.3 Definition des Untersuchungsrahmens . . . . 4.7.4 Sachbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.5 Wirkungsabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.6 Ökobilanzen am Beispiel eines Einhebelmischers . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.7 Kumulierter Energieaufwand am Beispiel von Verwertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 4.7.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307 307 308 309 309 310 312 313 315
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung 4.1.1 Einleitung Unternehmen in nachhaltig orientierten Gesellschaften können sich nicht mehr nur auf den ökonomischen Erfolg beschränken, sondern müssen ebenso die ökologischen und sozialen Folgen unternehmerischen Handelns einbeziehen. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung gilt die Konferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1992 in Rio de Janeiro. Seither gewinnt eine an den Erfordernissen von Ökologie, Ökonomie und sozialen Standards ausgerichtete Unternehmenspolitik zunehmend an Bedeutung. Ziel ist das „nachhaltige Unternehmen“. Mit Blick auf Teilprozesse bei der Entwicklung, der Herstellung, der Nutzung und der Entsorgung von Produkten werden lediglich Suboptima bei Wertschöpfungsprozessen erreicht. Ziel muss es sein, das Gesamtoptimum anzustreben. Dazu müssen künftig alle Akteure im Zusammenhang mit der Entwicklung, der Herstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung eines Produktes – also alle Lebenslaufpartner – zusammenarbeiten. Life Cycle Management (LCM) soll den Unternehmen ermöglichen, technische Produkte und Anlagen zukünftig über deren gesamten
Lebenslauf zu managen, um sowohl negative Umweltwirkungen von Produkten zu minimieren als auch die Wirtschaftlichkeit zu optimieren (Abb. 4.1). Das Konzept des Life Cycle Managements greift diese Problematik auf und betrachtet den Produktlebenslauf in einer durchgängigen Philosophie. Technische Produkte, Maschinen und Anlagen werden künftig über ihren gesamten Lebenslauf verfolgt. Die Hersteller und Entwickler bleiben „in der Verantwortung“ für ihre Produkte. Sie werden diese auch während der Nutzungsphase betreuen und haben für einen fehlerfreien Betrieb zu sorgen. Der fehlerfreie Betrieb von diesen komplexen Hochleistungssystemen wird entscheidend durch die Beherrschung der Systeme und Teilsysteme bestimmt. Das Ziel dieser komplexen technischen Systeme besteht darin, die Erhöhung der Gesamtrentabilität auch in den Grenzbereichen von Leistung und Präzision zu erreichen. Deshalb ist schon bei der Konzeptions- und Entwurfsphase die Einsatzleistung auf eine gleichzeitig hohe Präzision und Prozesssicherheit auszulegen. Ein wichtiger Aspekt ist die Ergänzung des traditionellen Rechnungswesens mit Methoden der Kostenverrechnung, bei denen Anlagenkonzepte bezüglich der lebenslaufübergreifenden Wirtschaftlichkeit zu bewerten sind. Die Qualität und Lebensdauer technischer Anlagen wird zunehmend nicht so sehr durch Verschleiß, als vielmehr durch technische Überalterung begrenzt. Zur Erfüllung der Anforderungen vor allem in der Gebrauchsphase ist eine moderne Anlage ständig aktuell zu halten, um eventuell entstehende Opportunitätskosten durch die fortschreitende technische und technologische Entwick-
?
Aufwand IPA 000_0466
4.6.9
Von Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling . . . . . . . . . . . . . 304 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Kumulierter Aufwand und Nutzen
4.6.8
Nutzen Entstehung
Gebrauch und Service
Aufarbeitung und Recycling
Zeit
Abb. 4.1 Zentrale Fragestellung im Life Cycle Management
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung
Systemleistung
Verfügbarkeit leistungsfähigerer Produktionssysteme
nzie Pote
yst lle S
225
Verluste durch fehlendes AnlagenKnow-how und Organisationsdefizite
ng eistu eml
+
Insgesamt entgangener Nutzen 100 %
-
5
Verluste aufgrund nicht genutzter Technologien (Opportunitätskosten)
10
Systemlebensdauer in Jahren
Reale Systemleistung Verluste durch Alterung & schwankende Systemauslastung
Notwendigkeit zur permanenten Adaption an technologische Veränderungstreiber
Abb. 4.2 Einfluss des technologischen Fortschritts auf die Systemlebensdauer
lung sowie den mit der Gebrauchsphase verbundenen Verschleiß nicht zu groß werden zu lassen (Abb. 4.2). Eine von Beginn an hohe Vielfalt an Produktspezifikationen, ohne intensive Modifikationen, ist unerlässlich. Bei der Anlagenplanung sind die möglichen Arten des Modellwechsels vorauszusehen, so dass die bestehenden Produktionssysteme mit geringen Modifikationen weitergenutzt oder mit geringem Aufwand umkonfiguriert werden können. Anlagen der Zukunft weisen durch zentrale wie unterstützende Komponenten der Steuerung, System- und Prozessdiagnose einen steigenden Wertschöpfungsanteil in der Software auf, was durch den Austausch von Software eine schnelle Anpassung an den technischen Fortschritt ermöglicht.
im Lebenslauf eines technischen Produktes anfallenden Phasen Herstellung, Nutzung und Recycling gegliedert (Abb. 4.3). Die Produkteigenschaften, respektive der Produktnutzen sind in allen Phasen durch konstruktive Einflüsse geprägt. Diese technisch bedingten Produktmerkmale legen die Basiseigenschaften des Produktes fest. Weiterhin manifestiert sich der Produktnutzen aber auch in einer Reihe von organisatorischen Parametern, mit denen letztendlich die Effektivität des Produktes in seiner Umgebung beeinflusst wird. Ziel aller Bemühungen durch die Anwendung des Life Cycle Paradigmas muss es sein, diesen Produktnutzen in einer erweiterten Sicht über den gesamten Lebenslauf zu maximieren.
4.1.2 Ausrichtung der betrieblichen Funktionen auf die Optimierung des Produktlebenslaufes Hersteller von Gütern und Dienstleistungen werden künftig über den gesamten Lebenslauf ihrer Produkte in der Verantwortung belassen. Daher wird es ein vorrangiges Ziel sein, die Effizienz und den Nutzen technischer Produkte angesichts der veränderten Wettbewerbsbedingungen und wachsenden Umweltproblematik drastisch zu steigern. Dabei wird der Einsatz neuer Telekommunikationstechnologien eine zunehmende Rolle spielen. Das LCM-Konzept ist nach den
Abb. 4.3 Struktur und Teilaspekte des Life Cycle Managements
226
Um den nachhaltigen Erfolg eines Produktes über den gesamten Lebenslauf zu ermitteln oder ggf. mit alternativen Entscheidungsmöglichkeiten zu vergleichen, wurden Werkzeuge zur ökonomischen und ökologischen Bewertung entwickelt. Eine konsistente, über den gesamten Produktlebenslauf ausgerichtete, nachhaltige Produktoptimierung kann nur gewährleistet werden, wenn dazu Datenerfassungs- und Speichersysteme eingesetzt werden, die permanent die Engineering- und Produktdaten aufnehmen und über den Lebenslauf aktuell und verfügbar halten. Die so generierten Daten stehen zudem für zukünftige Produktlebensläufe als Erfahrungswissen zur Verfügung. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen im Produktlebenslauf betrachtet und die Möglichkeiten zur Einflussnahme im Sinne einer nachhaltig orientierten Steigerung des Nutzens beschrieben.
Die Entstehungsphase – Design for Life Cycle Beim Design for Life Cycle (Design for LC) werden Arbeitsabläufe sowie die umwelt- und recyclinggerechte Konstruktion betrachtet. Schon bei der Produktkonzeption stehen die Konstrukteure vor der Herausforderung, die Wirkung von Entscheidungen bezüglich der Produktgestaltung aus der Lebenslaufsicht heraus zu beurteilen. Die endlichen Ressourcen, wie Materialien und Energie, sind schonend zu behandeln und erfordern vom Entwickler eine erhöhte Aufmerksamkeit. Primäre Ziele der klassischen Produktentwicklung waren bislang eine kostensparende Herstellung, eine hochwertige Produktqualität und eine termingerechte Verfügbarkeit des Produktes für den Kunden. Dabei wurde der Herstellungsprozess zur Erreichung der Ziele weitestgehend optimiert. Weitere Lebensphasen eines Produktes blieben bislang unberücksichtigt. Die heutigen Anforderungen an die Gestaltung und Entwicklung eines Produktes schließen die klassischen Anforderungen als selbstverständliches Muss ein, jedoch wird mehr und mehr der Zusatznutzen eines Produktes als kaufentscheidende Einflussgröße mit zu berücksichtigen sein. Neben neuen Anforderungen an ein zu entwickelndes Produkt, müssen sich auch deren Schöpfer den neuen Anforderungen stellen. Die Betrachtung des gesamten Lebenslaufes eines Produktes – neben der Herstellung auch die Phasen der Nutzung, des Recycling, der Entsor-
4 Management des Produktlebenslaufs
gung und der Logistik – stellen den Entwickler vor einen komplexen Sachverhalt an Einflussgrößen für eine sinnvolle Produktgestaltung. Zudem müssen Konzepte, Maßnahmen und Evaluationstools für mögliche Produktentwicklungen und alternative Variantenbildungen bereitgestellt werden (vgl. Abschn. 4.2). Moderne Multimediatechnologien ermöglichen es heute, Produkte virtuell zu planen und somit den gesamten Entwicklungsprozess konsistent in digitaler Form zu unterstützen und zu begleiten (vgl. Abschn. 8.2). Aufgrund der fortschreitenden Informationstechnologie können Produktdaten aus der Nutzungsphase zu jedem Zeitpunkt direkt erfasst und Rückschlüsse für die Produktoptimierung gefolgert werden. Erst die Entwicklung der letzten Jahre im Bereich der Kommunikationselektronik erlaubt es, Lebenslaufdaten zu Produkten zu ermitteln, aufzuarbeiten und zu analysieren. Problemfelder können so schnell für die Produktentwicklung lokalisiert und vermieden werden. Dies führt zu einem Wechsel von einer prozessorientierten zu einer dynamischen, vernetzten Produktentwicklung. Globale Märkte erfordern ein globales Denken, was nur in komplex vernetzter und interdisziplinärer Kommunikation in der Entwicklung stattfinden kann. Zur Schaffung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis in der Produktentwicklung müssen die Produkte transparent gemacht werden. Produkte werden gläsern, indem die einzelnen Wertschöpfungsprozesse über die Herstellung und die Nutzung bis zur Beseitigung der Produkte nach Eingangs- und Ausgangsgrößen transparent dargestellt werden. Durch das Durchleuchten der Produkte hinsichtlich ihrer Lebensphasen und dem Produktausbau lassen sich Problemzonen eingrenzen und optimieren. Die Produktgestaltung für die Umwelt umfasst ein Konzept der ganzheitlichen Produktplanung. Das ganzheitliche Planen im Sinne von „Design for Life Cycle“ bedeutet, Strategien wie Mehrfachnutzung und Gemeinsamnutzung zu beachten [8]. Life Cycle bedeutet daher auch Strategien zur Verlängerung der Produktnutzung sowie zur Entsorgung („End of Life“) schon in dieser Phase zu berücksichtigen.
Die Nutzungsphase – Life-Time-Management Das Life-Time-Management (LTM) ist der Teil des LCM, der sich speziell mit der Nutzungsphase eines
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung
Produktes beschäftigt. In der Nutzungsphase eines Produktes wird es seiner eigentlichen Bestimmung übergeben. Hier fällt oftmals ein Großteil der Kosten an, die ein Produkt in seinem Lebenslauf verursacht. Mit der Leistungserstellung beginnt in dieser Phase aber auch die eigentliche Wertschöpfung des Produktes, die zu Erträgen für das Unternehmen führt. Diese müssen innerhalb des Nutzungszeitraumes so hoch sein, dass sich die Anschaffung des Produktes für den Käufer lohnt. Aufgabe des LTM ist es in diesem Zusammenhang, Strategien und Methoden zu entwickeln, die die Rentabilität des Produktes in der Nutzungsphase steigern, d. h. durch die Erschließung neuer Wertschöpfungspotenziale die Erträge zu erhöhen und die Kosten zu senken. In Abhängigkeit eines vereinbarten Serviceniveaus (ASL – Agreed Service Level) mit dem Hersteller oder eines externen Dienstleisters bezieht der Kunde dabei gegebenenfalls (Zusatz-) Leistungen, die den Nutzen des Produktes erhöhen. Diese Leistungen wird der Markt jedoch nur aufnehmen, wenn sie in ihrer Art einzigartig sind (z. B. spezifisches Hersteller Know-how) oder sich über den Preis, die Qualität oder die rasche Verfügbarkeit von anderen Wettbewerbern und den eigenen Möglichkeiten im Betrieb abheben. Die Leistungen können Teil eines pauschalen Leistungsangebotes sein oder auch nutzungsabhängig abgerechnet werden. Das denkbare Leistungsangebot reicht hier von einfachen Schulungsleistungen bis hin zu sog. „full-serviceKonzepten“. Kritische Erfolgsfaktoren sind hierbei die Fragen nach der Form der Organisation, nach der Art der Arbeit und nach den Qualifikationsanforderungen. Lösungsoptionen ergeben sich bei Klärung der Fragen hinsichtlich des Schutzes des technischen Know-hows, der Grenzen der Verantwortung, der Belastbarkeit des über Netzwerke verfügbaren Wissens und dem Schutz vor Sabotage. Da das Wissen und seine schnelle Verwendung den entscheidenden Wettbewerbsfaktor der Zukunft darstellen, steht das Wissensmanagement um die Strukturen und Methoden der industriellen Produktion im Vordergrund. Aus den Veränderungen der Welt der Arbeit ergeben sich andere Aspekte, die durch den Einfluss der neueren Techniken auf die Produkte, ihre Optimierung im Lebenszyklus und ihre Potenziale der Zukunft geprägt sind [2, 3, 6].
227
Die Entsorgungsphase – Design for Recycling Design for Recycling (DfR) ist der Begriff für moderne Kreislaufwirtschaft im Rahmen des Lebenslaufmanagements. Dabei steht das Produktrecycling mit seinen weitreichenden Aufgabenfeldern, z. B. Aufbereitung zur Verwertung, Aufarbeitung zur Wiederverwendung (oder auch Upcycling), im Vordergrund. Ganzheitliche Product-Life Cycle Management-Konzepte ermöglichen dabei ein erfolgreiches Schließen von Produktkreisläufen durch Nutzung neuester Technologien im Produktrecycling (Zerlegen, Aufbereiten, Verwerten, Aufarbeiten, Wiederverwenden, Beseitigen). Seitens der Entsorgungsindustrie sind heute technische Lösungen des Downcyclings – z. B. Shreddertechnologien – längst Stand der Technik. Upcycling ist die logistische und technische Vernetzung der Aufarbeitungsprozesse und -technologien im Produktrecycling mit anschließender Wiederverwendung auf hohem Wertschöpfungsniveau und trägt damit maßgeblich zum Schließen der Produktkreisläufe und zur Schonung der Ressourcen bei. Darüber hinaus stellt das Upcycling einen ersten Schritt in Richtung des qualitativen Wachstums dar, da neue Funktionalitäten und neue Technologien am Markt platziert werden können, bei denen weniger Ressourcen (Energie, Werkstoffe etc.) im Vergleich zu konventionellen Technologien eingesetzt werden. Die Kreislaufführung von Produkten auf hohem Wertschöpfungsniveau stellt insbesondere auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Erfolg versprechende Unternehmensstrategie dar [9].
Produktlebensläufe ökonomisch bewerten – Life Cycle Costing Das Life Cycle Costing (LCC) umfasst die ganzheitliche Lebenslauferfolgsrechnung unter Berücksichtigung technischer und organisatorischer Parameter. Das Life Cycle Costing fokussiert hierbei auf die Maximierung des Gesamtnutzens im Lebenslauf von Produkten. Dabei wird nicht nur die technische Gesamtlebensdauer bewertet, sondern die Aufwendungen und Erträge in allen Phasen des Produktlebenslaufes gegenübergestellt.
228
4 Management des Produktlebenslaufs
Der Ansatz einer permanenten lebenszyklusübergreifenden Erfolgsrechnung soll hierbei Voraussagen über die ökonomischen Auswirkungen von technischen und organisatorischen Maßnahmen im Rahmen eines erfolgreichen Technologiemanagements ermöglichen, Abb. 4.4. Die Analyse von Produktlebensläufen verdeutlicht, dass vielfach zeitliche Disparitäten zwischen der Kosten- bzw. Erlösfestlegung und deren Entstehung im Lebenslauf bestehen (trade-offs). Für eine langfristige und am Gesamterfolg der Anlage ausgerichtete Bewertung greift die traditionelle Rechnungslegung häufig zu kurz. Durch das Life Cycle Costing können jedoch diese Wechselwirkungen aufgezeigt werden und für ein zukunftsorientiertes und langfristiges Kosten- und Erlösmanagement bereitgestellt werden. Durch die Koppelung von technischen und betriebwirtschaftlichen Daten vergangener Lebenszyklen mit vorausschauenden Absatz- und Technologieprognosen können neue Potenziale identifiziert werden, die einen effizienten Betrieb der Anlage in den Grenzbereichen von Leistung und Präzision ermöglichen. Eine besonders wichtige Funktion kommt der Möglichkeit des „Anlagen-upgradings“ zu. Durch eine LCC-Analyse kann der betriebswirtschaftlich optimale Aufarbeitungszeitpunkt bestimmt und die Rentabilität der Unternehmung prognostiziert werden. Auf diese Weise tritt die aufgearbeitete Anlage quasi in einen 2. Lebenslauf ein – mit gravierenden positiven Effekten für den ökonomischen Gesamterfolg [2, 7].
Kumulierte Kosten und Nutzen
Beim Life Cycle Assessment (LCA) handelt es sich um ein Konzept der Ökobilanzierung. Die Ökobilanz ist ein Verfahren zur Erfassung und Bewertung von Umweltauswirkungen von Produkten, Verfahrensprozessen und Dienstleistungsformen über den gesamten Lebensweg vom Rohstoffabbau über die Nutzung eines Produktes bis zur Entsorgung. Schwachstellen ökologischer und ökonomischer Art, können anhand einer Ökobilanz identifiziert werden. Um ein Produkt anhand einer Ökobilanz bewerten zu können, sollten stets Vergleichsprodukte mitbilanziert werden. Dieser Vergleich wird entsprechend dem internationalen Normungsstand zur ökologischen Bilanzierung (DIN ISO 14 040 ff.) durchgeführt und legt die Grundlagen für kommunizierbare und breit akzeptierte Aussagen über ökologische Verbesserungen durch die neue konstruktive Lösung. Gleichzeitig kann die Basis für eine sachlich fundierte Kommunikation der Umweltschutzerfolge am Produkt geschaffen werden [4, 5].
Lebenslaufübergreifende Datenbereitstellung – Life Cycle Information Support Im Rahmen eines umfassenden Life Cycle Managements fällt dem Produktdatenmanagement (PDM) eine entscheidende Rolle zu. Nur durch eine konsisten-
Gesamtwirtschaftliche Leistungen im Produktlebenslauf
höhere Wiederverwendung
umweltverträgliche Produkte und Verfahren
Produktlebensläufe ökologisch bewerten – Life Cycle Assessment
Recycling/ Aufarbeitung
höhere Nutzung
Recycling/ Aufarbeitung
längere Lebensdauer
Kosten
Nutzung und Service
Nutzen Herstellkosten
Nutzung/Service
Aufwand für Recycling und Entsorgung
Zeit
Voraussage von Leistungspotenzialen und Grenzen
Abb. 4.4 Der Verlauf der Kosten und Nutzen im Produktlebenszyklus
Erlöse
Aufarbeitung und Recycling
Skalierung & Design
Kosten
Auslegung & Konstruktion
Betriebskosten
Nutzung und Service
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung
te und durchgängige Begleitung nicht nur des Produktes, sondern auch der mit ihm verbundenen Produktdaten lässt sich aus den Suboptima ein ganzheitliches Optimum erreichen. Ausgehend von den bisher eingesetzten Produktdatenmanagement-Systemen, die vornehmlich den Entwicklungs- und Konstruktionsprozess, sowie z. T. auch den Fertigungsprozess innerhalb eines Unternehmens begleiten und unterstützen, soll ein Produktdatenmanagement unter den Gesichtspunkten eines Life Cycle Managements die Produktdaten über den gesamten Lebenslauf aufnehmen und an den jeweils benötigten Orten und Zeiten zu Verfügung stellen (Abb. 4.5). Wichtige Punkte in diesem Zusammenhang sind: – Sicherstellung einer aktuellen Beschreibung des Produktes durch ein geeignetes Konfigurationsmanagement, – Gewährleistung der Aufnahme aller produktrelevanten Informationen (z. B. automatisiert via Internet). Mit Hilfe der über den Lebenslauf aufgenommenen Informationen lassen sich insbesondere Entscheidungen über eine weitere Verwendung des Produktes treffen. So können z. B. über die statistischen Ausfallraten Maßnahmen zum präventiven Austausch von Bauteilen festgelegt werden. Darüber hinaus sind auch Verwendungsentscheide für eine Zweitnutzung von Komponenten denkbar. Eine weitere Anwendung dieser lebenslaufübergreifenden Produktdatenverfolgung liegt in der konsequenten Optimierung bei der Konstruktion neuer Komponenten [1].
Gebrauch
Entsorgung/ Aufarbeitung
Hersteller
Betreiber
Entsorger/ Aufarbeiter
Interne Unternehmensprozesse
Entstehung
Ü Übergreifende Unternehmensprozesse
Abb. 4.5 Lebensübergreifendes Datenmanagement
229
4.1.3 Den Nutzen Verkaufen – Product life time value Unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs ist es vielen Unternehmen nicht mehr möglich, allein durch die Herstellung und den Verkauf von Gütern zu überleben. Viele verlagern die Wertschöpfung immer stärker in den Bereich der Gestaltung von Produkten, der Montage und des Service. Die sozusagen vorgeschalteten Bereiche der Verarbeitung von Grundstoffen oder der Herstellung von Teilen, Komponenten und Ausrüstungen werden ausgelagert. Zulieferer werden unter Nutzung der Informations- und Kommunikationssysteme in die Entwicklung von Produkten einbezogen. Dennoch verbleibt die sog. „Systemführung“ bei den Produzenten der Stufe, welche unmittelbar am Markt operiert (Abb. 4.6). Der After-SalesBereich, in dem sich eine langfristige Kundenbindung erzielen lässt, gewinnt strategische Bedeutung. Diese Entwicklung kann noch weiter bis hin zu sog. „performance contracts“ fortgesetzt werden. Darin übernimmt der Hersteller technischer Produkte auch ihren Betrieb und verkauft lediglich die Nutzung. Damit rückt das gesamte Potenzial des Produktlebenslaufes in den strategischen Fokus. Es wird nicht mehr darum gehen, ein einzelnes Produkt an möglichst viele Kunden zu verkaufen, sondern vielmehr einen einzelnen Kunden mit so vielen zusätzlichen Produkten wie möglich zu betreuen. Man konzentriert sich auf den Aufbau von langfristigen Beziehungen zu jedem einzelnen Kunden. Als Erfolgsmaß dient die über die gesamte Laufzeit der Beziehung erzielte Wertschöpfung an dem Kunden bzw. dem oder den verkauften Produkten. Daher werden in einem Netzwerk die Unternehmen nur bestehen können, wenn sie explizit in der Lage sind, den Produktnutzen mit weiteren zusätzlichen Produkten zu erhöhen. Das Paradigma des product life time value, also der Evaluation des Geschäftserfolges über das gesamte Produktleben hinweg, erfordert daher eine extreme Fokussierung auf die Bedürfnisse eines jeden Kunden. Die Verbindung von Produkten mit modernen Instrumenten der Informationsund Kommunikationstechnik bietet hier eine exzellente Voraussetzung zur Erforschung und Erfassung der spezifischen Kundenbedürfnisse. Weiterhin erlauben diese Technologien, z. B. value-added services dem Kunden direkt anzubieten oder Maschinenoptimierungen über weite Distanzen durchzuführen.
230
4 Management des Produktlebenslaufs
Abb. 4.6 Systembetreiber der Zukunft
Der Paradigmenwechsel stellt nicht mehr die maximale Nutzung der von den Unternehmen eingesetzten Ressourcen in den Mittelpunkt, sondern die maximale technische und wirtschaftliche Ausnutzung der Produkte in ihrem gesamten Lebenslauf. Dieses wird in entscheidender Weise auch durch einen Wandel der Wertvorstellungen der Gesellschaft in Bezug auf Umweltverträglichkeit und geschlossene Materialkreisläufe gefördert. So wird in vielen Branchen heute ein großer Teil des Gewinns im After Sales generiert. Damit besteht ein gesteigertes Interesse an einer langen Lebensdauer der Produkte. Der Gewinn aus dem Verkauf tritt in dieser langfristigen Sichtweise in den Hintergrund. Für Hersteller dient das Produkt somit als Plattform, über die sich im Laufe der Zeit weiterer (bzw. der „entscheidende“) Umsatz/Gewinn erzielen lässt [15].
4.1.4 Produkte haben mehrere Leben Strategien für eine maximale Produktnutzung beinhalten eine vorausschauende Lebenslaufplanung für das Produkt. Nach Beendigung der Nutzungsphase stellen sich für den Betreiber des Produktes die Alternativen der Verschrottung bzw. des Recyclings des Produktes oder eines sog. Produktupgradings. Mit dem Upgrade wird eine Transformation des Produktes in einen neuen Betriebszustand bezeichnet, der sich in neuen Produktfunktionen niederschlägt. Am Produkt werden dabei konkrete Modifikationen in Form von Softwareoder Hardwareänderungen vorgenommen, so dass das Produkt im Vergleich zum ursprünglichen Zustand mit
verbesserten, erweiterten oder neuen Funktionsmerkmalen ausgestattet ist. Analog hierzu lässt sich das Produkt demnach verbessert, erweitert oder für gänzlich neue Aufgaben nutzen. Bei der Wahl eines Produktupgrades tritt das Produkt damit quasi in ein neues Leben ein (Abb. 4.7). Die Möglichkeit zum Upgrade ist jedoch nicht immer technisch gegeben oder wirtschaftlich sinnvoll. Es bedarf hierzu einer vorausschauenden Produktplanung, die schon im Produktengineering ansetzt. In dieser frühen Phase der Entstehung werden die grundlegenden Produkteigenschaften inklusive späterer Modifikationsmöglichkeiten festgelegt. Eine Vielzahl von technischen und organisatorischen Maßnahmen entscheiden über die erfolgreiche Produkttransformation auf eine höhere Stufe. Eine besondere Bedeutung kommt dabei auf technischer Seite einer modularen Gestaltung des Produktaufbaus zu. Die modulare Produktgestaltung nach den Gesetzen der Systemtechnik erlaubt erst eine variable und wirtschaftliche Produktumgestaltung über den gesamten Lebenslauf hinweg. Bedenkt man, dass ein Produkt gegebenenfalls über das gesamte Leben hinweg mehrfach modifiziert oder gänzlich verändert wird, so entstehen durch einen derartigen Produktaufbau neben Vorteilen für die Produktwartung enorme Potenziale. Die zunehmende Substitution mechanischer Komponenten zugunsten von Software fördert zudem die kurzfristige Produktnutzung für variable Aufgabenstellungen, da die Umrüstzeiten durch das Aufspielen einer modifizierten Software schneller durchgeführt werden kann als der herkömmliche Austausch von Hardwarekomponenten.
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung
231
Nutzung/Service n. Stufe
Recycling
Technische Enabler: • Modularer Produktaufbau (Rekonfigurierbarkeit) • Substitution mechanischer Komponenten durch Software • Geeignete Materialwahl • Geeignete Fertigungstechnologien • Geeignete Fertigungsverfahren
Organisatorische Enabler:
GWL IBS
Fertigung
Engineering Upgrading
Nutzung/Service 2. Stufe
GWL IBS
Recycling Fertigung
Engineering Upgrading
Nutzung/Service 1. Stufe (Basis)
GWL IBS
Recycling Fertigung
Engineering
• Lebenslaufbegleitende Datenbanken • Online-Informationssysteme zur Analyse von aktuellen und historischen Zuständen des Produktes • Innovative Betreibermodelle, die auf den Verkauf des Produktnutzens fokussieren • LCC-Modelle, bei denen der Produkterfolg über alle Ebenen optimiert wird
Abb. 4.7 Produkte haben mehrere Leben
Auf der organisatorischen Seite kann die Optimierung durch eine lebenslaufbegleitende Datenerfassung unterstützt werden. Das Daten-Logging ermöglicht es, statistische Analysen über das Produktverhalten zu generieren oder Produkte bzw. Prozesse online zu überwachen. Die so gewonnenen Daten werden nach spezifischen Kriterien ausgewertet und legen Optimierungspotenziale offen. Auf diese Weise können Maschinen regelrecht kontrolliert werden, so dass sich in Zukunft nicht nur technische Optimierungen, sondern auch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und vorausschauende Planungen aufgrund von „echten“ Maschinendaten durchführen lassen [13].
4.1.5 Wandlungsfähige Strukturen – flexible Produkte Moderne, industriell gefertigte Produkte sind komplexe technische Systeme, an deren Funktionalität und Zuverlässigkeit immer höhere Anforderungen gestellt werden. Allgemein lässt sich feststellen, dass mit der Komplexität der Produkte auch der Grad der Arbeitsteilung und die Anzahl der beteiligten „Produzenten“ gestiegen ist und damit die im Netzwerk der Produktion beteiligten Partner und Organisationen. Sieht man dies als eine schon seit langem bekannte Entwicklung
an, so gäbe es außer über die Beherrschung der logistischen Probleme mit neuen Methoden nicht viel Neues zu schreiben. Dennoch ist es notwendig, sich dieser Thematik aus verschiedenen Gründen gerade heute besonders zu stellen. Hier sind vordringlich zu nennen: • die Globalisierung der Produktionsnetzwerke in Verbindung mit der Nutzung kostengünstiger Ressourcen und • die Veränderung der Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten in den Netzwerken, welche durch TQM und erhöhte Kompetenzanforderungen an die Lieferanten eine neue Dimension erreicht hat; • zusätzlich wird die Wandlungsfähigkeit in der Zukunft ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Unternehmen sein; mit einem Wandel der Unternehmensstrukturen werden sich aber auch die Strukturen der Wertschöpfung verschieben und kommende Produktionsstrukturen müssen eine kontinuierliche Umplanung und Umkonfiguration ermöglichen. Im Rahmen von LCM werden Netzwerkbeziehungen angestrebt. Diese Aufgaben sind allerdings mit herkömmlichen Planungsmethoden nicht mehr zu leisten. Eine mögliche Lösung bietet der Einsatz der Systemtechnik zur Strukturierung eines Unternehmens. Des Weiteren kann durch Dezentralisierung und Selbstorganisation der Leistungseinheiten sowie durch
232
die Vernetzung der Produktion bis hin zum virtuellen Unternehmen größere Kundennähe erreicht werden. Der Schlüssel zur Wandlungsfähigkeit ist die Dezentralisierung und vernetzte Produktion. Konsequenterweise benötigen wir deshalb eine Reihe von neuen Ansätzen für die Produktion in Netzwerken mit verteilten und dezentralen, sowie autonomen Leistungseinheiten bzw. Geschäftsprozessen. Herkömmliche zentrale Systeme der Planung und Steuerung werden die Potenziale von Netzwerken mit autonomen oder zumindest teilautonomen Elementen nicht abdecken können. Die Strukturierung der Produkte und ihre kundenspezifische Konfiguration sind noch nicht ausreichend systematisiert. Die logistischen und administrativen Wege sind zu lang, um nur im Kundenauftrag mit kurzen Lieferfristen zu produzieren. Die Methoden der Optimierung folgen noch viel zu stark den alten arbeitsteiligen Prinzipien und die Kostenrechnung wird nur selten mit der Dynamik enger Netzwerke fertig, um ein wirksames Controlling zuzulassen. Lange Wege und eine verstärkende Arbeitsteilung sind Hemmnisse in der Agilität und Dynamik. Deshalb kann das Ziel markt- und kundenorientierter Unternehmen nur darin liegen, hemmende Faktoren wie z. B. lange administrative Prozeduren, nicht abgestimmte Schnittstellen oder weite Entfernungen im Materialfluss zu reduzieren. Produziert werden sollte dort, wo sich der Markt befindet und wo die insgesamt günstigsten Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Netzwerke müssen deshalb mit wandelbaren Strukturen und mit schnellen Entscheidungswegen ausgestattet werden. Es gibt erste Ansätze, diese Dynamik mit virtuellen Kapazitäten zu erzeugen, welche nur im Bedarfsfall kurzfristig die zeitweise Einbindung und Nutzung von Ressourcen erlauben. Möglichkeiten zur Verbesserung bieten sich durch die Verfügbarkeit schneller, preiswerter und im Grundsatz offener Informations- und Kommunikationssysteme. Diese lassen es zu, den gesamten Informationsfluss vom Kunden zum Lieferanten vollständig zu integrieren und erst bei Vorliegen eines Kundenauftrages zu produzieren. Darüber hinaus lassen sich formelle und informelle Informationen nahezu an jedem Ort der Welt verfügbar machen. Alle in der derzeitigen Diskussion oftmals sehr positiv herausgestellten Prinzipien der Autonomie und Selbstorganisation werden erst dann wirklich effizient, wenn sie als dynamische Elemente in die Prozessketten integriert sind. In der Vernetzung der Produktion liegt eine große Chance
4 Management des Produktlebenslaufs
zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, da diese darauf abzielt, hohe Synergieeffekte und zugleich eine hohe Dynamik zu erzielen. Die Geschichte lehrt uns, dass sich diejenigen Organisationen durchsetzen werden, die ihre Netzwerke wandlungs- und anpassungsfähig halten und die diese Netze vollständig beherrschen. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet heute die Chance, diese Möglichkeiten für die Belange der Produktionstechnik zu nutzen. Durch die Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnik wie Teleservice und Teleoperations besteht heute zusätzlich die Möglichkeit, Anlagen im Netzwerk zu betreiben und mit dem Wissen der Hersteller eine wesentlich höhere Ausnutzung zu erreichen. LCM unterstützt so wandlungsfähige Strukturen, da diese Instrumente ein fester Bestandteil der Lebenslaufbetrachtung im Sinne der Adaption komplexer Systeme und intelligenter Produktionsstrukturen sind. Auf der Basis von Produktmodellen des Engineering Data Management (EDM) oder des Product Data Management (PDM) wird ein vollständig integriertes Produktlebenslauf-Management zunehmend durch moderne Kommunikations- und Informationstechniken unterstützt. Hierbei ergeben sich für die Hersteller von modernen Produktionsanlagen Dienstleistungen, wie System- und Prozessdiagnose, Service, technologisches Consulting und eventuell Modernisierung (Upgrading) auf elektronische Art und Weise. Durch moderne Systemkonzepte wird die traditionelle Aufteilung der Geschäftsprozesse möglicherweise überholt. LCM ermöglicht bzw. unterstützt diese modernen Systemkonzepte und implementiert die geforderte Wandlungsfähigkeit der Leistungseinheiten durch die Forderung nach mehr Selbstorganisation, Selbstoptimierung und Dynamik. Dies kann nur durch die Gestaltung von Technik, Arbeit und Organisation betrieben und sichergestellt werden. Bei der Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunden ist eine größere Autonomie mit Prinzipen der Selbstorganisation und Selbstoptimierung besonders wichtig. Zentral organisierte Unternehmen werden durch eine zentrale Zielorientierung abgelöst – mit größeren Spielräumen und Eigenverantwortung für Prozesse und Handlungsweisen. Das LCM unterstützt eine Netzwerkfunktion, indem autonome Leistungseinheiten in einem komplexen Netz synergetisch wirken (Abb. 4.8). Der flächendeckende Einsatz von Informationsund Kommunikationssystemen ist mit seiner Tech-
4.1 Life Cycle Management – Das Paradigma der ganzheitlichen Produktlebenslaufbetrachtung Partnerschaftliche Wertsteigerung
Netzwerk
Hersteller
Betreiber
Zusätzliche Ertragspotenziale
Den Kunden mit Werten überzeugen - nicht mit Preisnachlässen Kundenperspektive: Ermitteln, was für den Kunden wertvoll ist
Abb. 4.8 Strategie im Value based selling
nologie der Treiber struktureller Veränderungen. Die Hierarchien und Grenzen von Organisationseinheiten werden aufgehoben und bringen Produzenten und Abnehmer näher zusammen. Im Mittelpunkt stehen die Synchronisation von Geschäftsprozessen und die Bildung spontaner Interessengemeinschaften. Das LCM unterstützt die Zusammenarbeit selbständiger kleiner Unternehmen oder Organisationseinheiten durch die Einbindung in Netzwerke, um die Marktpotenziale ausnutzen zu können. Das Ziel ist eine Reduzierung der Fertigungstiefe in großen Unternehmen durch den Ausbau der Lieferantennetzwerke. Im Rahmen des LCM müssen die Produktionsstrukturen eine kontinuierliche Umplanung und Umkonfiguration ermöglichen. Dieses Ziel kann nur durch neue
Neue Produkte Änderungsdynamik
Planungsmethoden erreicht werden, die auf das lebenslaufübergreifende Merkmal fokussiert sind. Das lebenslaufübergreifende Konzept des LCM kann jedoch nur in Einklang mit der kurzfristigen Anpassungsfähigkeit der Strukturen in den Unternehmen erfolgen. Die Herausforderung besteht darin, die Fabriken und die Leistungseinheiten der Fertigung und Montage, unter Berücksichtigung aller am System beteiligten Faktoren, wandlungs- und anpassungsfähig zu machen (Abb. 4.9). Aspekte der Selbstorganisation, Selbstoptimierung und Zielorientierung sowie des Selbstcontrolling rücken in den Vordergrund. Das Zusammenspiel humaner Faktoren und (informations-) technischer Systeme in Grenzbereichen komplexer Produktionsnetzwerke müssen beherrscht werden. Dies kann auf Dauer nur mit zuverlässigen Methoden gelingen, die eine lebenslaufübergreifende Betrachtungsweise zulassen. Als Ziele des LCM für die Gestaltung der Produktion gelten die drastische Reduzierung der Planungs- und Umrüstzeiten und eine Verkürzung der logistischen und informationstechnischen Wege unter Einbeziehung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Dies soll ermöglichen, eine Fabrikstruktur, unter Einbeziehung aller benötigten Informationen und aller Beteiligten, binnen weniger Stunden zu verändern und zu optimieren und diese Veränderungen in kürzester Zeit in den Unterlagen, Betriebsmitteln und Operationen zu realisieren.
Marktnachfrage Auftragsdynamik
Manufacturing „on Demand“ Mehr-Wertschöpfung
• Flexible, intelligente Produktionskonzepte
• Service • Deproduktion
• Selbstorganisation Selbstoptimierung
Life-CycleManagement
• Integration in Kommunikationsnetzwerke
Offene, virtuelle Produktionsnetzwerke • Regional • Global Supply-ChainManagement
Permanente Adaption der Strukturen Technische Grenzbereiche Leistung & Präzision
Abb. 4.9 Elemente der Wandlungsfähigkeit von Unternehmen
233
Wissen Wissen
234
Für die erstellten Produkte steht die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungspalette über den Produktlebenslauf im Vordergrund. Das Ziel ist die Betrachtung der gesamten Wertschöpfung, die insgesamt mit einem Produkt über dessen gesamten Lebenslauf erzielt werden kann. Im Mittelpunkt steht dabei der Zuordnungsprozess von Produktkomponenten zu Leistungseinheiten der Produktion, da dies im Hinblick auf die Wandlungsfähigkeit der Unternehmen von herausragender Bedeutung ist und in der Lebenslaufbetrachtung unter Flexibilitätsgesichtspunkten permanent umzusetzen ist. Man geht davon aus, dass jede Leistungseinheit der Produktion für die komplette Lieferung einbaufähiger Einzelteile, Untergruppen, Baugruppen oder Module verantwortlich ist. Ein wesentlicher Aspekt ist die Wiederverwendung von Komponenten, da eine Umweltverträglichkeit der Produktion Kosten senkt. Die gesetzlichen Auflagen zwingen zur umweltverträglichen Produktion und die umweltverträgliche Entsorgung der Märkte durch den Hersteller wird zur neuen unternehmerischen Aufgabe. Die Rücknahme von Altprodukten, die Demontage und Wiederaufbereitung bzw. die Deproduktion erfordert neue Techniken und Arbeitsweisen. Eine industrielle Wiederverwertung von Altprodukten scheitert oft infolge wirtschaftlicher Ansätze in Anbetracht der niedrigen Erlöse und an der Aufnahmefähigkeit der Märkte. Es sind hier vor allem technische Entwicklungen und technische Innovationen, welche die Wertschöpfungsstrukturen industrieller Unternehmen verändern. Zukünftige Innovationen erfordern zunächst den Nachweis, dass die Stoffkreisläufe gesichert und im Sinne der Nachhaltigkeit optimiert sind (Abb. 4.10). Dazu wird es erforderlich, Produkte nach einem logistischen System aufzubauen und mit standardisierten Elementen eine hohe Vielfalt und Variabilität sicherzustellen. Solche Baukästen können die spezifischen Wünsche der Kunden geschickt konfigurieren und Anpassungen durch Angabe spezifischer Daten flexibel zulassen. Die Spezifikation des Kundenauftrags kann über ein Netzwerk direkt mit dem Endkunden unter Beachtung der Deproduktionsanforderungen vorgenommen werden. Unterscheidet man prinzipiell nicht mehr zwischen Leistungseinheiten der Eigenfertigung oder Zulieferung und bezieht sie gleichermaßen in die frühen Phasen der Produktentwicklung ein, so entsteht ein dynamisches Netzwerk kooperierender, autonomer Leistungseinheiten. Die aktuelle Konfiguration des Netz-
4 Management des Produktlebenslaufs Entwicklung Konstruktion
Grundstoffverarbeitung
Marktanforderungen
Teile- und Komponentenherstellung
Markt Kunden
Montage
Produktion Instandsetzung
Aufbereitung
Wiederherstellung
Demontage
Deproduktion Stofffluss
Informationsfluss
Abb. 4.10 Geschlossene Stoffkreisläufe im Produktlebenslauf
werkes wird darin ausschließlich durch die Produktkonfiguration definiert. Wandlungsfähige Strukturen sind somit nötig, damit eine technologisch optimale Größe und Leistung, gepaart mit hoher technischer Intelligenz, zur Sicherung der Prozessfähigkeit dient. Ein hoch automatisiertes und integriertes Produktionsnetzwerk kann trotzdem flexibel und anpassungsfähig sein, damit überflüssige logistische Transaktionen und Wege vermieden werden. So kann schneller auf den Kunden reagiert werden, das bedeutet Arbeit nur „on demand“ und schnelle Adaption von Neuerungen – eventuell im Rahmen von Betreibermodellen, welche die sehr komplexen Systeme am besten beherrschen. Die traditionellen Bereiche der Herstellung von Teilen, Komponenten und Ausrüstungen werden ausgelagert und die Zulieferer werden unter Nutzung der Informations- und Kommunikationssysteme in die Entwicklung von Produkten einbezogen. Bezeichnend ist, dass die sog. „Systemführung“ bei dem Produzenten der Stufe bleibt, welche unmittelbar am Markt operiert. Da der After-sales-Bereich, in dem sich eine langfristige Kundenbindung erzielen lässt, an strategischer Bedeutung gewinnt, übernimmt bei Betreibermodellen der Hersteller technischer Produkte auch ihren Betrieb und verkauft lediglich die Nutzung. Die engere Verbindung mit dem Kunden lässt neue Dienstleistungen zu beiderseitigem Nutzen zu. Als Beispiele seien insbesondere Dienstleistungen zur Lösung von Qualitätsproblemen und zur Fernprogrammierung, Rekonfiguration, Bereitstellung von Planungsleistungen oder sogar der Betrieb der Anlagen und Maschinen genannt. Diese Dienstleistungen sind geprägt durch das Management des gesamten Produktlebenslaufes mit den Phasen Herstellung, Nutzung und Aufbereitung.
Literatur
Dafür sind innovative Produkte notwendig, die sich durch eine integrierte technische Intelligenz auszeichnen. Unter technischer Intelligenz wird die Fähigkeit verstanden, selbständig auf Veränderungen der Umgebung situationsgerecht zu reagieren oder sich zu adaptieren. In den modernen technischen Produkten finden sich derartige Funktionen, wie z. B. Sicherheitssysteme im Fahrzeugbau, Fehlerkompensation in Maschinen. Technisch wird dies durch die Integration von Mechanik, Elektrik, Elektronik und Informationsverarbeitung in Teilsystemen der Produkte erreicht. Technische Intelligenz erfordert dynamische Produktionssysteme als Antwort auf die erhöhten Dynamikanforderungen. Das sind Systeme, die eine kontinuierliche, marktadäquate Rekonfiguration, einen optimalen Austausch bestehender Elemente, sowie eine optimale Integration neuer Elemente in bestehende Prozesse und Strukturen ohne Produktivitätseinbußen zulassen. Dynamische Produktionssysteme entstehen dabei nicht zwangsläufig nur durch hochflexible technische Systeme, sondern entwickeln sich vielmehr aus der Kombination der Elemente eines Produktionssystems (Technik, Organisation) und der vollständigen Ausschöpfung der durch die Kombination möglich gewordenen Dynamik. Gleichzeitig ist eine Systematik notwendig, welche zu einer optimalen Konfiguration der Produktion führen kann. Dies geschieht durch die Zuordnung von Produktionsaufgaben, welche sich aus der Kundenspezifikation und der Produktstruktur ableiten. Die kontinuierliche Zuordnung ist sozusagen der Schlüssel der Wandlungsfähigkeit, welche an den Leistungseinheiten der Produktion ansetzt. Diese Sichtweise ist ein Schwerpunkt des LCM und es wird damit versucht, die Lebenslaufbetrachtung zusammen mit der Wandlungsfähigkeit der Strukturen zur Realisierung flexibler Produkte zu betrachten [3, 14, 15].
4.1.6 Zusammenfassung und Ausblick Das Life Cycle Management benennt, koordiniert und optimiert die wesentlichen lebenslaufbegleitenden Aktivitäten unter ganzheitlicher Betrachtung der Anlagenlebensläufe. Hersteller und Anwender von Investitionsgütern verfolgen hiermit die Auswahl und technisch-wirtschaftliche Optimierung geeigneter Produktionssysteme und ihrer Komponenten. Basierend auf Wertschöpfungspartnerschaften und unter
235
Anwendung eines strukturierten und ganzheitlichen Produktdatenmanagements können Ressourcen optimal genutzt und Umbauten wie Modernisierungen der Anlagen vorbereitet werden. Denkt man den Gedanken eines lebenslaufübergreifenden Life Cycle Managements konsequent fort, so werden die Hersteller von Produktionsanlagen in naher Zukunft möglicherweise nur noch den Gebrauch der von ihnen hergestellten Systeme verkaufen, was z. B. für die Automobilproduktion für Lackieranlagen oder Kopiergeräte schon heute erfolgreich angewendet wird. So können die Anlagenhersteller zum Zulieferer und Produzenten von Werkstücken werden. Diese Aspekte beinhalten neue Potenziale der Wertschöpfung im Produktlebenslauf und sind für die Investitionsgüterindustrie von außerordentlicher Bedeutung. Die maximale Ausnutzung der Produkte, auch als Produktgewinn zu bezeichnen, ist der größte Paradigmenwechsel, denn er bricht mit dem üblichen Wachstums- und Ressourcenoptimierungsparadigma. Es steht nun der Nutzen des Kunden bzw. die langfristige Geschäftsbeziehung und damit eine lebenslaufbezogene Sichtweise im Vordergrund.
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4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung Mit zunehmender Verknappung der natürlichen Ressourcen und dem damit gestiegenen Umweltbewusstsein der heutigen Gesellschaft gewinnt die Integration von Ökonomie und Ökologie als ein erfolgsentscheidender Wettbewerbsfaktor für viele produzierende Unternehmen an Bedeutung. Die größten Potenziale zur Integration von Ökonomie und Ökologie und damit auch zur Sicherung beziehungsweise Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit liegen in einer lebenszyklusorientierten Produktentwicklung. In der Produktentwicklung werden zwar – im Vergleich zum vollständigen Lebenszyklus eines Produktes – nur geringe Kosten und kaum relevante Umwelteinflüsse verursacht. Jedoch beeinflussen die in der Produktentwicklung festgelegten Produkteigenschaften maßgeblich alle Produktlebensphasen und die zugrunde liegenden Prozesse. So werden bereits in der
Produktentwicklung circa 70% der zu erwartenden Lebenszykluskosten festgelegt [1–3]. Die lebenszyklusorientierte Produktentwicklung muss deshalb weit über eine anforderungsgerechte Gestaltung des Produktes in Anlehnung an das Lastenheft des Kunden hinausgehen. Neben der Festlegung der eigentlichen Produkteigenschaften sind insbesondere auch die zugehörigen Lebenszyklusphasen und -prozesse mitzugestalten. Vor diesem Hintergrund sind bei der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung sämtliche Restriktionen, die aus den einzelnen Lebenszyklusphasen resultieren, zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass neben der eigentlichen Herstellung insbesondere die Nutzung und auch die Entsorgung in die integrierte Produkt- und Lebenszyklusgestaltung mit einzubeziehen sind. In Abb. 4.11 sind wesentliche Restriktionen aufgeführt und den Phasen des Produktlebenszyklus zugeordnet, in denen sie sich auswirken. Vor diesem Hintergrund werden in Abschn. 4.2.1 die Grundlagen einer restriktionsgerechten Produktentwicklung anhand von praxisorientierten Beispielen beschrieben. Aufgrund der zunehmenden Aktualität des Aspekts der variantengerechten Produktgestaltung wird in Abschn. 4.2.2 dieses Thema ausführlich erläutert. Im Rahmen der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung sind Entscheidungen zu treffen, ohne die genauen Randbedingungen der späteren Nutzung und Entsorgung zu kennen [4]. Diese Unsicherheit kann durch eine entsprechende Planungskompetenz in den verschiedenen Fachbereichen kompensiert werden. Um bereits in der Planungsphase die techniRestriktionen
Entstehung
Produktlebenszyklus Nutzung Entsorgung
kostengerecht funktionsgerecht beanspruchungsgerecht material-/werkstoffgerecht normgerecht fertigungsgerecht automatisierungsgerecht montagegerecht transport-/handhabungsgerecht inbetriebnahmegerecht wartungs-/instandhaltungsgerecht umweltgerecht demontagegerecht recycling-/entsorgungsgerecht prüf-/sicherheitsgerecht
Abb. 4.11 Wesentliche Restriktionen bei der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung
4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung
schen, ökonomischen und ökologischen Eigenschaften eines Produktes während des Lebenszyklus abschätzen zu können, sind deshalb weitreichende Kenntnisse aus den Bereichen Maschinenbau, Betriebswirtschaftslehre, Physik, Chemie, Biologie und Ökologie erforderlich. Diese Leistung kann nicht durch einen Mitarbeiter oder ein abteilungsinternes Team eigenständig erbracht werden, sondern bedarf der interdisziplinären Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund wird in Abschn. 4.2.3 auf die Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung eingegangen.
4.2.1 Restriktionsgerechte Produktentwicklung Die restriktionsgerechte Produktentwicklung beinhaltet die Berücksichtigung von Randbedingungen, die sich einerseits aus den Kundenanforderungen und andererseits aus den Anforderungen der nachgelagerten Lebenszyklusphasen ergeben. Die restriktionsgerechte Produktentwicklung entspricht einer speziellen methodischen Erweiterung der Konstruktionssystematik. Dabei kann sich der Detaillierungsgrad der Restriktionen sowohl auf einen vollständigen Lebenszyklus beziehen, z. B. bei der umweltgerechten Produktentwicklung, als auch auf einzelne Lebenszyklusphasen z. B. bei der fertigungsgerechten Produktentwicklung. Darüber hinaus existieren weitere Restriktionen, die einzelne Prozesse innerhalb einer Lebenszyklusphase betreffen. So entspricht z. B. die gießgerechte Produktentwicklung einem Teilaspekt der fertigungsgerechten Produktentwicklung. Da sich die einzelnen Restriktionen auf verschiedene Phasen innerhalb des Produktlebenszyklus beziehen, kann die Einhaltung einer Restriktion zwangsläufig die Verletzung anderer Restriktionen zur Folge haben. Da die verschiedenen Restriktionen beziehungsweise Optimierungsziele häufig im Widerspruch zueinander stehen, ist eine Priorisierung der Restriktionen erforderlich. Auf diese Weise können die Schwerpunkte identifiziert werden, an denen die Produktentwicklung auszurichten ist. Ein Beispiel für konträre Restriktionen ist der Konflikt zwischen einer fertigungs- und montagegerechten Produktentwicklung: Um die Anzahl der Montageoperationen zu minimieren und damit die Montage zu vereinfachen, sollte ein Produkt möglichst wenige Einzelteile umfassen. Ein Ansatz ist die Verwendung geometrisch
237
komplexer Integralbauteile. Diese lassen sich jedoch nur mit technologisch sehr anspruchsvollen Verfahren fertigen. Die derzeit in der Literatur aufgeführten Restriktionen konzentrieren sich in erster Linie auf die Entstehungsphase sowie die zugrunde liegenden Einzelprozesse. Bei einer fertigungsgerechten Produktentwicklung stehen der Einsatz von einfachen Fertigungsverfahren, die Vereinfachung von Fertigungsprozessen, die Steigerung der Prozesssicherheit sowie die Erhöhung des Automatisierungsgrades im Vordergrund [5– 9]. Eine montagegerechte Produktentwicklung wird durch die Strukturierung, Reduzierung, Vereinheitlichung und Vereinfachung von Montageoperationen realisiert. Ziele sind die Reduzierung der Montageaufwände und Vereinfachung der Montage durch Verbesserung des Montageablaufs sowie Sicherung der Produktqualität durch eine eindeutige und kontrollierbare
Abb. 4.12 Beispiele für eine fertigungs- und montagegerechte Produktgestaltung
238
Montage [10, 11]. Praxisorientierte Beispiele für eine fertigungs- und montagegerechte Produktentwicklung sind in Abb. 4.12 dargestellt. Wie bereits angeführt, tragen die Unternehmen zunehmend die Produktverantwortung für den gesamten Lebenszyklus. Somit müssen insbesondere auch Restriktionen, die sich auf die Nutzungs- und Entsorgungsphase beziehen, bereits bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die Grundlagen einer beanspruchungsgerechten, instandhaltungsgerechten und recyclinggerechten Produktentwicklung exemplarisch vorgestellt.
4.2.1.1 Beanspruchungsgerechte Produktentwicklung Mit der beanspruchungsgerechten Gestaltung und Auslegung eines Produktes wird das Ziel verfolgt, die zugesicherte Mindestlebensdauer für ein Produkt und einzelne Komponenten sicherzustellen sowie Funktionsausfälle auch bei geplanter Nutzung zu vermeiden [12,13]. Darüber hinaus müssen sicherheitsrelevante Produkte auch für extreme Beanspruchungen ausgelegt werden, wie zum Beispiel virtuelle und physische Crashversuche in der Automobilindustrie oder Sollbruchstellen an kritischen Maschinenelementen. Der Umfang und die Komplexität einer beanspruchungsgerechten Produktentwicklung kann deshalb von einfachen Berechnungsalgorithmen, zum Beispiel bei der Lagerauslegung, bis hin zu zeit- und kostenintensiven Finite-Elemente-Simulationen, zum Beispiel Losdrehuntersuchungen bei Schraubverbindungen, variieren. Eng verbunden mit der beanspruchungsgerechten Produktentwicklung ist die material- und werkstoffgerechte Gestaltung und Auslegung der Produkte. Im Mittelpunkt stehen die Umgebungseinflüsse während der Nutzung des Produktes, die Einsatzbeanspruchung, Strahlung, Klima und Beleuchtung. So müssen beispielsweise bei der Auslegung von Kunststoffkomponenten – neben der mechanischen Belastung – insbesondere die Umgebungstemperatur sowie der Einfluss von UV-Strahlung berücksichtigt werden [14]. In Abb. 4.13 sind einige Beispiele für eine beanspruchungsgerechte Produktentwicklung veranschaulicht.
4 Management des Produktlebenslaufs Beispiel
Richtlinie
günstig
ungünstig
Kerbwirkung reduzieren Korrosionsgefahr verrringern z.B. Spaltkorrosion Biege- und Torsionssteifigkeiten durch Rippen erhöhen Druck- statt Zugbeanspruchung für Gussteile
F F
F
Torsion
F
Biegung
F F
F F
Abb. 4.13 Beispiele für eine beanspruchungsgerechte Produktgestaltung
4.2.1.2 Instandhaltungsgerechte Produktentwicklung Die Ziele der instandhaltungsgerechten Produktentwicklung liegen in einer Verlängerung der Nutzungsphase sowie in einer Vereinfachung der Instandhaltungsaufgaben. Die Instandhaltung umfasst alle Aufgaben der Wartung, Inspektion und Instandsetzung, die auf die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und des Wertes von Leistungen ausgerichtet sind [15–17]. Um ein Produkt instandhaltungsgerecht zu gestalten, sind Funktions- und Verschleißteile zu trennen. Hierbei sollten sich die Verschleißteile nur auf eine geringe Anzahl der Produktkomponenten beschränken. Darüber hinaus sollte das Produkt modular mit standardisierten Schnittstellen aufgebaut werden, um verschlissene oder defekte Komponenten einfach austauschen zu können. In diesem Zusammenhang sind auch entsprechende Möglichkeiten zur schnellen und sicheren Identifikation defekter Komponenten vorzusehen. In
Abb. 4.14 Beispiele für eine instandhaltungsgerechte Produktgestaltung
4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung
Abb. 4.14 sind diese Empfehlungen anhand praxisorientierter Beispiele dargestellt.
4.2.1.3 Recyclinggerechte Produktentwicklung Recycling als ein Teilbereich der Entsorgung umfasst die Wieder- und Weiterverwendung sowie die Wieder- und Weiterverwertung von Produkten. Hauptziele der recyclinggerechten Produktentwicklung sind der Einsatz von Produktionsverfahren mit geringen Umweltbelastungen durch Abfallprodukte, die Realisierung einer langen Nutzungsphase durch entsprechende Instandhaltungs- oder Aufarbeitungsmaßnahmen sowie die Umsetzung eines Reststoffkreislaufes mit geringen zu vernichtenden oder zu beseitigenden Komponenten beziehungsweise Stoffen [18, 19]. Grundsätzlich wird zwischen Produkt- und Materialrecycling differenziert. Bei einem Produktrecycling bleiben die Gestalt des Produktes oder Teilproduktes sowie das Wertniveau weitgehend erhalten. Wenn das Produkt hierbei wieder zum ursprünglichen Zweck eingesetzt wird, wird von einer Wiederverwendung gesprochen. Der Einsatz zu einem anderen Zweck wird als Weiterverwendung bezeichnet. Während dem Produktrecycling heute eine noch eher untergeordnete Bedeutung beigemessen wird, ist das Materialrecycling mittlerweile weit verbreitet. Charakteristisch für das Materialrecycling ist die Auflösung der Produktgestalt und die damit verbundene Reduzierung des Wertniveaus. Werden die Altstoffe wieder dem ursprünglichen Produktionsprozess zugeführt, handelt es sich
Abb. 4.15 Beispiele für eine demontagegerechte Produktgestaltung
239
um eine Wiederverwertung. Demgegenüber dienen die Altstoffe bei einer Weiterverwertung als Ausgangsstoffe für einen anderen Produktionsprozess [18, 19]. Grundsätzliche Maßnahmen zur recyclinggerechten Produktentwicklung sind die demontagegerechte Gestaltung des Produktes (Abb. 4.15), die Minimierung der Anzahl unterschiedlicher Werkstoffe, die Vermeidung von umweltschädlichen Werkstoffen, die Auswahl leicht entsorgbarer Werkstoffe sowie die Kennzeichnung von Werkstoffen.
4.2.2 Variantengerechte Produktentwicklung Aufgrund einer Verschärfung des Wettbewerbs, einer anhaltenden Globalisierung und einer damit verbundenen Segmentierung der Absatzmärkte sehen sich viele Unternehmen vor der Herausforderung, kundenindividuelle Produktlösungen anzubieten. Der Versuch, durch diese Diversifizierung in Nischenmärkten freie Kapazitäten auszulasten und damit den Umsatz zu sichern, führt zur Entwicklung, Produktion und Lagerhaltung zusätzlicher Produktvarianten. Dies resultiert wiederum in der Erhöhung der Komplexitätskosten während des gesamten Produktlebenszyklus und somit zu einer Erhöhung der Produktkosten [25]. Strategische Fehler in der Produkt- und Leistungsplanung führen bei vielen Herstellern zu folgender Situation: Ausgehend von einem ursprünglich einfachen Produktprogramm, das zunächst nur einen „Standard“ (Volumenmodell) und wenige Grundtypen umfasste, hat sich die Variantenvielfalt drastisch erhöht, d. h. die Häufigkeitsverteilung hat sich durch mehr Exoten und weniger Standardprodukte verflacht. Ein erhebliches Problem ist die fehlende Transparenz der Kosten, die mit der Ausweitung der Variantenvielfalt verbunden ist. Die Exoten des Produktspektrums werden daher typischerweise zu Preisen unterhalb der tatsächlich verursachten Kosten verkauft. Durch diese oft unbewusste Quersubventionierung entsteht im Bereich des Standards zwangsläufig ein Wettbewerbsnachteil gegenüber Wettbewerbern mit einem weniger variantenreichen Produktspektrum (Abb. 4.16) [34]. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass der variantengerechten Produktentwicklung ein beson-
240
4 Management des Produktlebenslaufs Menge - Preise - Kosten verursachungsgerecht verteilte Kosten
Verlust Preise Wettbewerbs Wettbewerbs- nachteil nachteil
heute
Exoten
gestern gestern
Standard
Häufigkeitsverteilung
Exoten
Abb. 4.16 Varianten – eine Herausforderung für das gesamte Unternehmen
deres Augenmerk zugewandt werden muss. Nicht berücksichtigte Zusammenhänge oder Fehleinschätzungen führen zu exponentiell ansteigenden Komplexitätskosten im späteren Verlauf des Lebenszyklus, denen dann begegnet werden muss. Vor diesem Hintergrund ist die variantengerechte Produktentwicklung ein Schlüsselfaktor für die lebenszyklusorientierte Produktentwicklung. Ein Schlüssel zum Erfolg produzierender Unternehmen liegt darin, den Punkt des maximalen Nettonutzens zu finden und somit die optimale Variantenvielfalt zu bestimmen. Durch eine gezielte Quersubventionierung des Standardsortiments mit Hilfe exotischer Varianten können damit sogar Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Der maximale Nutzen aus der Variantenvielfalt, liegt weder in der radikalen Vermeidung von Varianten, noch in der unreflektierten Ausweitung des Produktprogramms. Der maximale Nettonutzen wird aus der Differenz von Nutzen- und Kostenwirkung der Variantenvielfalt gebildet. Die radikale Vermeidung von Varianten führt dazu, dass wichtige Kundenbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden. Dies hat deutliche Auswirkungen auf den Bruttonutzen, der im Markt erzielt werden kann. Der Nettonutzen geht zurück. Umgekehrt nimmt der erzielbare (Brutto-) Zusatznutzen nur degressiv mit der Variantenvielfalt zu. Da die Kosten häufig exponentiell mit der Vielfalt steigen, verringert sich der Nettonutzen. Das Ziel eines lebenszyklusorientierten Variantenmanagements ist es zwischen den dargestellten Extremen ein wirtschaftliches Optimum der Vielfalt abzuleiten. Die Herausforderung für das einzelne Unternehmen besteht nun darin, das Optimum zwischen Nutzen- und
Kostenwirkung der Variantenvielfalt zu identifizieren (Abb. 4.17) [34]. Insbesondere in den frühen Phasen einer Produktentwicklung werden variantenbezogene Kosten eines Produktes festgelegt, die anschließend über den gesamten Lebenszyklus verteilt anfallen. Dennoch spielt die gezielte Planung und Gestaltung von Produktvarianten zu diesen frühen Entwicklungsphasen allzu oft eine untergeordnete Rolle [26]. Aufgrund angestrebter kurzer Entwicklungszeiten wird i. d. R. zunächst ein Basisprodukt entwickelt, ohne mögliche zukünftige Produktvarianten explizit und umfassend zu berücksichtigen. Diese werden erst später während der Entstehungs- und Marktphase als unsystematische Modifikation des Basisproduktes abgeleitet. Maßgebliche Potenziale einer Senkung der lebenszyklusorientierten Produktkosten bleiben somit ungenutzt. Ziel muss es daher sein, die Planung und Gestaltung von Produktvarianten in die frühen Phasen des Produktentwicklungsprozesses zu integrieren, um so die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Hierzu wurden Managementansätze entwickelt, die sich unter dem Begriff des Variantenmanagement zusammenfassen lassen. Die drei wichtigsten Aufgaben des Variantenmanagement im Rahmen einer Produktentwicklung sind: • die optimale Produktvielfalt erzeugen, • das Leistungsspektrum und die Produktstruktur definieren, • die Kosten verursachungsgerecht bewerten.
(Kosten-) Beherrschung der Vielfalt
Kosten/ Nutzen der Vielfalt Kosten
(Brutto-) Nutzen
Produktdifferenzierung
Maximaler Maximaler Nettonutzen
Vielfalt
Abb. 4.17 Optimale Variantenvielfalt
4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung
Ausgehend von den bestehenden Kundenanforderungen ist die Grundlage einer variantenorientierten Produktgestaltung die Festlegung der optimalen Variantenvielfalt. Dafür werden die bestehenden Kundenanforderungen geclustert und durch eine Konfigurationslogik sinnvoll bepreist. Wettbewerbsvorteile können sich Unternehmen über den Produktlebenszyklus vor allem durch Einsatz des Release-Engineering dauerhaft sichern. Auf Basis der Variantenvielfalt gilt es das Leistungsprogramm zu konzipieren und die Produktstruktur festzulegen. Die Ermittlung von Variantenkosten rundet die Methoden des entwicklungsbezogenen Variantenmanagements ab. Die einzelnen Bausteine eines solchen entwicklungsseitigen Variantenmanagement werden im Folgenden kurz dargestellt.
4.2.2.1 Die optimale Produktvielfalt erzeugen Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird dadurch bestimmt, wie gut es in der Lage ist die aktuellen und zukünftigen Marktbedürfnisse durch geeignete Marktleistungen (Produkte) zu befriedigen. Ziel ist es die optimale Anzahl an Varianten zu definieren, mit denen eine größtmögliche Anzahl von Kundenwünschen befriedigt und zugleich ein maximales wirtschaftliches Unternehmensergebnis über den Produktlebenszyklus erzielt werden kann. Um die marktseitigen Anforderungen abdecken zu können, baut das Unternehmen eine interne Teileund Variantenvielfalt (interne Komplexität) auf. Diese zeigt sich in der angebotenen Marktleistung, den Produkt- und Dienstleistungsvarianten und einer Zunahme der Komplexität im Leistungserstellungsprozess. Das Variantenmanagement fungiert hier als eine Schnittstelle zwischen der – durch die Marktanforderungen definierte – externen Komplexität und der sich daraus ergebenden internen Komplexität. Im Optimum entspricht der Grad der externen Komplexität dem der internen Komplexität (Abb. 4.18) [33]. Für die Analyse der Kundenanforderungen sind zunächst die für das geplante Produkt festgelegten Zielmärkte zu segmentieren [37]. Ziel der Segmentierung ist es, den gesamten Absatzmarkt in möglichst homogene Teilmärkte bzw. Segmente zu unterteilen, relevante Marktdaten strukturiert zu erfassen und damit aktuelles und zukünftiges Marktpotenzial zu antizipieren [27]. Ein wichtiger Erfolgsfaktor
241 Interne (endogene) Komplexität Angebotenes Produktprogramm (Produktvielfalt)
Matching Matching
Kundenbedürfnisse (Bedürfniscluster) Kundenbedürfnisse (Bedürfniscluster) Externe (exogene) Komplexität
Abb. 4.18 Kundenbedürfnisse exakt treffen
für die Marktsegmentierung ist die Auswahl der geeigneten Segmentierungskriterien, z. B. Länder oder Wirtschaftsregionen, Preis- oder Technologieniveau, Leistungsspektren, Anwendungsgebiete, Großkunden oder Vertriebswege. Für die so gebildeten Segmente werden Marktinformationen wie das gesamte Marktvolumen, der abgeschätzte eigene mögliche Marktanteil oder auch das quantifizierte Preisniveau erfasst [29]. Bei der Gestaltung des Produktprogramms müssen mögliche Kannibalisierungseffekte zwischen den verschiedenen Produkten eines Unternehmens vermieden werden. Unter Kannibalisierungseffekten wird dabei eine gegengerichtete Beeinflussung verstanden, d. h. die Steigerung der Absatzmenge der einen Variante führt unter Umständen zu einer Reduzierung der Absatzmenge für die andere Variante [34]. Die Gefahr der Selbstkonkurrenz besteht insbesondere bei Unternehmen mit einer hohen Produktvielfalt in einem Markt. Hier kann es zu Überlappungen der einzelnen Marktsegmente und somit zu Kannibalisierungseffekten kommen. Die Herausforderung besteht darin, eben diese Überlappungen bei den Marktsegmenten der verschiedenen Produkte zu verhindern. Die Marktsegmente müssen daher weitgehend voneinander differenzierbar sein. Bewegt sich ein Unternehmen in einem durch Produktvielfalt geprägtem Markt, ist es essenziell, die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden zu kennen und zu strukturieren. Diese Bedürfnisse und Anforderungen können nach dem Kano-Modell in Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale unterschieden werden. Basisanforderungen werden vom Kunden vorausgesetzt, sind i. d. R. kein Verkaufsargument und sollten zu einem geringen Preis im Produkt verwirklicht wer-
242
den. Leistungsmerkmale sind Merkmale in der Differenzierung zum Wettbewerb. Daher ist die Preisgestaltung für diese Merkmale im Vergleich zum Wettbewerb vorzunehmen. Begeisterungsmerkmale sind impulsiv, emotional wahrgenommene Produktmerkmale. Insbesondere über diese Merkmale kann die Preisqualität erhöht werden. Automobilhersteller nutzen Konfiguratoren um den Kunden die Möglichkeit zu geben, sein Produkt zusammenstellen. Mit bestimmten Geboten und Verboten wird eine einfache, schrittweise Konfiguration erlaubt. Dabei wird die Basisausstattung möglichst günstig angeboten. Mit der Auswahl der kundenindividuellen Sonderausstattungen steigt die Marge bzw. der Deckungsbeitrag für die Automobilhersteller an. Auf diese Weise kann die Konfigurationslogik gezielt eingesetzt werden, um unterschiedliche Maßstäbe für PreisLeistungs-Verhältnisse beim Kunden auszunutzen und insgesamt eine erhöhte Preisqualität zu sichern (Abb. 4.19). Einhergehend mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft suchen Kunden nach der Produktvariante, die ihre Anforderungen und Wünschen möglichst vollständig entspricht. Der Grat zwischen einer Steigerung des Profits und negativen Kosteneffekten durch eine expandierende Modellpolitik und zusätzliche Angebotsvielfalt ist jedoch recht schmal. Nur durch eine gezielte Steuerung ist der übereilten, kurzfristigen Produktprogrammausweitung und den damit verbunden, negativen Kosteneffekten vorzubeugen. Mit Hilfe des Release-Engineering lässt sich
Abb. 4.19 Preisqualität durch Konfigurationslogik sichern
4 Management des Produktlebenslaufs
das Produktprogramm über den gesamten Lebenszyklus hinweg kontinuierlich an einem „optimalen“ Erfüllungsgrad der Kundenbedürfnisse ausrichten. Das Konzept Release-Engineering stellt vor diesem Hintergrund ein Rahmenwerk für das Entwicklungsund Lebenszyklusmanagement variantenreicher, komplexer Produkte dar, um die F&E-Komplexität und die Änderungsintensität über den Produktlebenszyklus beherrschen und steuern zu können [33]. Eine Release-Einheit ist eine konfigurierte Einheit aus mehreren Komponenten, deren modellzyklusbegleitende Updates zusammenhängend entwickelt, getestet und in die Produktionsumgebung überführt werden. Die Ausführung von Produktänderungen sowie die Einführung von Komponenteninnovationen erfolgt konsolidert im Zuge der Release-Intervalle. Diese Intervalle sind über die Derivate einer Produktfamilie und ggf. sogar über große Teile des Produktspektrums hinweg zu synchronisieren und zu vereinheitlichen [36]. Die konsequente Umsetzung des ReleaseEngineering sieht die Einführung von Komponenteninnovationen in Intervallen vor, denen die Komponenten spezifisch der Innovationsrate zugeordnet wurden. Dies ermöglicht die aktive Festlegung des Innovationsbeitrags des Releases. Der beschleunigten Überalterung von Produkten kann vorgebeugt werden. Die konsequente Berücksichtigung des Innovationsbeitrags ermöglicht über die einzelnen Release-Projekte die Ausprägung nachhaltiger Zonen des Vorteils im Vergleich zum Wettbewerb (Abb. 4.20).
4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung
243
Release-Projekte
Volumen
Wahrgenommener Innovationsbeitrag
Nachteil
SOP
Eigene Firma
Altlasten ("nicht für den Verkauf bestimmt")
Aktiver Standard
Kundenspezifische Einzellösungen
Wettbewerber Nachteil Vorteil Vorteil Produktvariation
t
SOP
Start of Production
Modelllebenszyklus
Abb. 4.20 Zusätzliche Angebotsvielfalt durch ReleaseEngineering beherrschen
Ist - Leistungsspektrum
Abb. 4.22 Strukturierung und Differenzierung des Leistungsangebots
weiterhin produziert werden müssen, jedoch nicht mehr für den aktiven Verkauf bestimmt sind [35] (Abb. 4.22). Maßgeblich ist, dass ein so strukturiertes Produktprogramm vor dem Hintergrund von Umsatzbeiträgen und verursachungsgerechten Kostenanteilen über Szenarien wirtschaftlich bewertet wird [28]. Erst dann kann die ergebnisorientierte Steuerung des Vertriebs über die Untergliederung und die Freigabeprozesse gezielt vorgenommen und realisiert werden. Abb. 4.21 Programmübergreifende Wiederverwendung von Modulen [30] – Beispiel Index
4.2.2.2 Das Leistungsangebot und die Produktstruktur definieren Potenziale bestehen ebenso in einer ergebnisorientierten Vertriebssteuerung. Dabei kann die Definition eines Aktiven Standards außerordentlich hilfreich sein. Bei der Definition eines Aktiven Standards werden kundenspezifische Einzellösungen und gesperrte Varianten (Altlasten) vom aktiven Produktangebot (Aktiver Standard) getrennt. Der Aktive Standard umfasst Module und Produkte, die aktiv verkauft werden. Kundenspezifische Einzellösungen sind solche Produkte, die nicht im Programm geführt werden. Bewährte Einzellösungen können in den Aktiven Standard überführt werden. Altlasten sind ehemalige Aktive Standards oder kundenspezifische Einzellösungen, die aufgrund von gesetzlichen und vertraglichen Bindungen
4.2.2.3 Differenzierte Ermittlung von Variantenkosten Neben der Gestaltung der optimaler Produktvielfalt sowie der Definition des Leistungsspektrums und der Produktstruktur stellt die monetäre Bewertung der Auswirkungen von Varianten eine weitere wichtige Fragestellung bei der variantenorientierten Produktgestaltung dar. So verursachen sowohl Produkt-, Baugruppen als auch Teilevarianten zusätzliche Ressourcenaufwände und damit sog. Komplexitätskosten in vielen Bereichen eines Unternehmens. Dabei kann es sich z. B. um Kosten für die Erstellung einer Bauteilzeichnung für ein neues Variantenteil handeln, um die Kosten für einen Rüstvorgang beim Wechsel zwischen Variantenteilen in der Fertigung oder auch um erhöhte Investitionsaufwände für flexible Betriebsmittel. Die Herausforderung besteht darin, die Komplexitätskosten verursachungsgerecht zu bewerten. In
244
konventionellen Kostenrechnungssystemen werden jedoch durch Varianten verursachte Kosten nicht differenziert ausgewiesen, sondern i. d. R. pauschal als Gemeinkosten verrechnet. Eine Möglichkeit zur verursachungsgerechten Zuordnung der Variantenkosten bietet die Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung [32]. Es sind diejenigen Kostenstellen auszuwählen, in denen variantenabhängige Kosten zu erwarten sind. In der Regel sind dies die Kostenstellen Marketing, Vertrieb, Produktentwicklung, technische Planung, Einkauf, Logistik, Fertigung und Montage sowie Verpackung und Versand. Unter Einbeziehung der Mitarbeiter aus diesen Bereichen gilt es anschließend, die variantenabhängigen Ressourcenverbräuche (Personal, Betriebsmittel, Material, etc.) für die Tätigkeiten in der Kostenstelle zu identifizieren. Dabei müssen die Hauptkostentreiber für die Variantenkosten in jeder Abteilung ermittelt und der funktionale Zusammenhang zwischen Ressourcenverbrauch und Kostentreiber analysiert werden. Mit Hilfe der monetären Bewertung des Ressourcenverbrauchs über einen Kostensatz können die Variantenkosten in Abhängigkeit von den Kostentreibern ermittelt und so eine transparente Basis zur differenzierten Ermittlung der Variantenkosten geschaffen werden. Zum einen kann durch Aggregation der Variantenkosten über alle Prozesse der Wertschöpfungskette der Anteil der Variantenkosten an den Gesamtkosten des Unternehmens bzw. einzelner Unternehmensbereiche ermittelt werden. Zum anderen wird mit der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung die Kalkulation einzelner Produktvarianten ermöglicht. Dazu sind die durch die Produktvariante bewirkten Veränderungen der Kostentreiber (z. B. Anzahl neuer Teile) abzuschätzen und die dadurch veränderten Variantenkosten über alle beeinflussten Prozesse zu berechnen. Zur Unterstützung variantenbezogener Entscheidungen ist der Einsatz von Kenngrößen hilfreich. So kann beispielsweise zwischen Kosten, die einmalig für die Entstehung der Variante anfallen (z. B. Konstruktionsaufwände) und Kosten, die laufend anfallen (z. B. zur Disposition zusätzlicher Teile im Einkauf), unterschieden werden. Die ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung stellt somit eine effiziente Möglichkeit zur differenzierten und verursachungsgerechten Ermittlung der Variantenkosten dar.
4 Management des Produktlebenslaufs
4.2.2.4 Variantengerechte Produktentwicklung als zentraler Bestandteil einer lebenszyklusorientierten Planung Die variantengerechte Produktentwicklung stellt im Rahmen einer lebenszyklusorientierten Planung eine zentrale Herausforderung bei der gleichzeitigen Realisierung von Kundenwünschen und Skaleneffekten dar. Um den zukünftigen Rahmenbedingungen vieler Branchen zu genügen, sind daher die Prozesse der Marktinteraktion, der Produktgestaltung sowie der Bewertung anzupassen. Die „richtige“ Differenzierungsstrategie sowie eine geeignete Leitungsprogrammplanung sind Schlüssel der Marktinteraktion. Eine darauf aufbauende variantenorientierte Produktstruktur, die sich an veränderte Anforderungen über den Lebenszyklus hinweg anpassen lässt, ist ein Erfolgsfaktor der Produktentwicklung. Alle diese Schritte sind mittels einer verursachungsgerechten Kostenbewertung zur Entscheidungsunterstützung zu flankieren und die Ergebnisse in einem laufenden Variantencontrolling zu überprüfen. Erst auf diese Weise lassen sich die variantenorientierten Potenziale im Rahmen einer lebenszyklusorientierten Produktentwicklung erschließen.
4.2.3 Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung Die Umsetzung einer lebenszyklusorientierten Produktentwicklung erfordert eine hohe Interdisziplinarität. So müssen z. B. Experten aus den Bereichen Marketing, Vertrieb, Konstruktion, Arbeitsplanung, Produktion, Service, Entsorgung und Recycling an der Produktentwicklung mitwirken, um die erforderliche Gestaltung von Produkt und Lebenszyklusprozessen sicherzustellen. Besonderen Stellenwert genießt hierbei das Expertenwissen über den Lebenszyklus vorangegangener Produkte oder Produktprogramme [20]. Die Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung basiert auf den Grundelementen des Projektmanagements. Hierbei werden die verschiedenen Phasen Projektdefinition, Projektplanung, Projektdurchführung/-controlling und Projektnachbe-
4.2 Lebenszyklusorientierte Produktentwicklung
reitung unterschieden. Im Rahmen der Projektdefinition werden aus den Markt- und Lebenszyklusstrategien des Unternehmens die entsprechenden Zielsetzungen für die Koordination und die operative Umsetzung einer lebenszyklusorientierten Produktentwicklung abgeleitet. In diesem Zusammenhang werden die übergeordneten Ziele für das Projekt und Produkt definiert [21–23]: • • • • •
Termin für den Projektabschluss, Projektbudget, Innovationsgrad bzw. Projektart, Kriterien zur Bewertung der Zielerfüllung, technische, ökonomische und ökologische Randbedingungen sowie • die erforderlichen Disziplinen für die Gestaltung von Produkt und Lebenszyklus. Auf Basis dieser Zielvorgaben erfolgt die Projektplanung beziehungsweise Projektstrukturierung. Strukturierungskriterien sind hierbei Produktkomponenten, Aufgaben und Termine sowie Ereignisse [24]. Um die Projektplanung zu vereinfachen und somit zu beschleunigen, bietet es sich an, für verschiedene Projektarten Standardabläufe zu definieren, die inhaltlich 80% der zugrunde liegenden Aufgaben abdecken und nur an die projektspezifischen Zielsetzungen anzupassen sind [22, 23]. In diesen Ablaufstrukturen werden auf produktneutraler Ebene alle Aufgaben definiert, die erforderlich sind, um die vorgegebenen Meilensteine und Projektziele zu erreichen. Auf Basis dieser Standardabläufe und der terminlichen Vorgaben für den Projektabschluss wird ein projektspezifischer Meilensteinplan aufgebaut, der eine übersichtliche Termin- und Ergebnisstruktur für das Projekt vorgibt. Je nach Komplexität des Projektes können die einzelnen Projektphasen entsprechend differenziert und ein hierarchischer Meilensteinplan mit verschiedenen Detaillierungsebenen definiert werden. Parallel zur Meilensteinplanung ist ein Produktstrukturplan zu erstellen, in dem die einzelnen Module, Baugruppen und Einzelteile des Produktes sowie die zugrunde liegenden Zusammenhänge dargestellt werden. In diesem Zusammenhang ist ein besonderes Augenmerk auf die variantengerechte Projektplanung zu legen, d. h. ausgehend von der gegebenen oder zu definierenden Produktplattform müssen mögliche Varianten definiert und die betroffenen Module identifiziert werden. Auf Basis der Produktstruktur- und Meilensteinpläne sowie einer Kompetenzmatrix, in der die
245
unternehmensinternen und -externen Experten für projektspezifische Aufgaben zugeordnet sind, kann abschließend ein Projektstrukturplan entwickelt werden. Die den einzelnen Disziplinen zugeordneten Aufgaben werden im Ablaufplan detailliert, entsprechenden Personen zugewiesen und zeitlich zueinander eingeordnet [20]. Der beschriebene Rahmen für die Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung ist in Abb. 4.23 veranschaulicht. Das Controlling der operativen Projektdurchführung dient der Überwachung und Lenkung des Projektes in Anlehnung an die in der Projektdefinition und -planung festegelegten Zielvorgaben und Randbedingungen. Die Aufgabe des Projektcontrollings liegt in der Überprüfung, inwieweit die Ergebnisse termingerecht zu den entsprechenden Meilensteinen vorliegen. Im Falle einer Abweichung müssen entsprechende Maßnahmen erarbeitet und eingeleitet werden. Hilfsmittel für ein Projektcontrolling sind beispielsweise die Meilenstein-Trend-Analyse für die Sicherstellung einer termingerechten Ergebnisbereitstellung sowie die mitlaufende Projektkalkulation für eine Überwachung der Projektkosten [24]. Die Überprüfung der inhaltlichen Ergebnisqualität erfolgt über den Vergleich der zu einem Meilenstein erarbeiteten Ergebnisse, mit den entsprechenden Anforderungen aus der Aufgabenstellung.
Projektziel und -art
Standardablaufpläne
Produktstrukturplan
Kompetenzmatrix
Projektstrukturplan
Meilensteinplan
Ablaufplan
Projekt Disziplin A Aufgabe A1 Aufgabe A1.1 Aufgabe A1.2
Disziplin B Aufgabe B1 Aufgabe B1.1 Aufgabe B1.2
Abb. 4.23 Rahmen für die Koordination der lebenszyklusorientierten Produktentwicklung
246
Zielsetzung einer Projektnachbereitung ist die Sicherung der organisatorischen und operativen Erfahrungen für andere laufende oder nachfolgende Projekte. Auf diese Weise kann ein „unternehmerisches Lernen“ auf organisatorischer und operativer Ebene realisiert werden.
4 Management des Produktlebenslaufs
18.
19.
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34. 35.
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4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess Verkürzte Durchlaufzeiten, Kostendruck versus Produktinnovation, zunehmende Forderungen bezüglich Produkthaftung und den abgeleiteten Anforderungen aus der DIN/ISO 9001, Globalisierung inkl. internationale Kooperationen zwischen Zulieferern untereinander sowie mit deren Kunden führen zu einer parallelen und koordinierten Zusammenarbeit verschiedener Einheiten eines Unternehmens und verschiedener Unternehmen im Rahmen eines Zuliefererverbundes oder einer Kunden/Zulieferer-Beziehung. Daraus leiten sich vollständig neue und andere Methoden des Managements des Produktentwicklungsprozesses ab. Dazu gehören die zunehmende Virtuelle Produktentwicklung und das gemeinsame und umfassende Management aller auf das Produkt bezogenen Informationen und deren Visualisierung. Alle Methoden basieren darauf, die Engineering-Tätigkeiten über den gesamten Produktlebenszyklus, d. h. von der ganz frühen Phase der Anforderungsaufnahme bis hin zum Recycling, und über die Bereichsgrenzen eines Unternehmens hinaus, organisatorisch und systemtqechnisch zu unterstützen. Auf der IT-Ebene werden die genannten Methoden durch moderne CAD-, CAM- und CAESysteme (FEM, MKS, NVH) sowie die entsprechenden Simulations- und Visualisierungstechniken unterstützt. PLM(Product Lifecycle Management)-Systeme bilden das funktionale und administrative Rückrat.
4.3.1 Der Produktentwicklungsprozess im Wandel Der Produktentwicklungsprozess (PEP) ist ein Teil des gesamten Unternehmensprozesses. Sein Resultat ist das intellektuelle Produkt, d. h. die Produktbeschreibung mit allen dazugehörigen Dokumenten, Beschreibungen, Spezifikationen, digitalen Modellen und Entwurfsunterlagen aller zugehörigen Betriebsmittel (Werkzeuge, Maschinen, Anlagen). Ein weiterer Prozess ist die Produktherstellung, dessen Ergebnis das durch Fertigung und Montage sowie Einkauf entstandene physische Produkt ist. Beide Prozesse zusammen werden Produktentstehungsprozess genannt und eng miteinander verzahnt.
247
Der PEP umfasst das Anforderungsmanagement, die Portfolio- bzw. Produktplanung, das Produktdesign, die eigentliche Produktentwicklung und -konstruktion, die Analyse, Berechnung und Simulation. Am Ende dieser Phase existiert eine vollständige elektronische Beschreibung des virtuellen Produkts, der sog. digitale Master. Darüber hinaus ist der Ingenieur im Rahmen der Produktdefinition eingebunden in den Beschaffungsprozess (SCM Supply Chain Management), in die Konstruktion bzw. die Beschaffung der gesamten Betriebsmittel und die Planung der Fertigungs- und Montageprozesse (Prozessplanung) und in die technische Dokumentation, die i. d. R. Bestandteil des Auslieferungsumfangs ist. Ist das Unternehmen nach der Auslieferung für den Betrieb und/oder die Wartung des Investitionsguts verantwortlich – typischerweise im Flugzeugbau, in der Verteidigungsindustrie, dem allgemeinen Transportwesen und Schiffbau – so ist die Planung der Wartungsintervalle, der Inspektion und der Ersatzteilversorgung ebenfalls Bestandteil des Engineerings (MRO Maintenance, Repair and Overhaul). Statistiken der letzten Jahre belegen den permanenten Wandel der Ingenieurtätigkeiten (Abb. 4.24). Die Einflüsse resultieren aus veränderten Marktbedingungen, aus neuen Anforderungen an das Produkt aus Kundensicht und aus neuen juristischen Randbedingungen, z. B. Produkthaftung und Umweltschutz. Der Anstieg der Produktkomplexität resultiert zum einen aus einer weitaus stärkeren „multi market“fähigen Produktvielfalt, die sich in einer Vielzahl von Varianten niederschlägt, als auch aus der ständigen Zunahme elektronischer Komponenten und der zugehörigen „embedded software“ (Abb. 4.25). Die zunehmende Globalisierung innerhalb der Wertschöpfungskette sowohl innerhalb der OEMs als auch zwischen OEMs und ihren Zulieferern führt zu komplexeren, vernetzten Arbeitsorganisationen und verstärkten bereichsübergreifenden Kommunikationstechnologien sowie zu Problemen der zielgerichteten Kommunikation zwischen Beteiligten verschiedener Kulturräume. Abbildung 4.26 verdeutlicht die in den letzten Jahren erkennbare Veränderung der Rollenverteilung zwischen OEM und Zulieferer. Neben der signifikanten Reduzierung der internen Wertschöpfung sind vor allem folgende Punkte zu nennen:
248
4 Management des Produktlebenslaufs Globalisierung ProduktHaftung/ QM
Neue Rolle von Zulieferern
Produkt Komplexität
Time to Market
Design For X
Internationale Gesetzgebung
TCO
Abb. 4.24 Veränderte Randbedingungen des Engineering Prozesses
In der Automobilindustrie werden 50 - 80% der Innovationen und der Produktdifferenzierung auf dem Einsatz von IT basieren +
PRODUKTDIFFERENZIERUNG UND EFFIZIENZSTEIGERUNG
Innovationsinhalte/ Kundensicht (2002)
Anteil Kunden mit großem Interesse in Prozent
Anteil Elektronik im Fahrzeug in Prozent
Infrarot-Nachtsicht
89
Heizbare Windschutzscheibe Niederquerschnittreifen
84
Kurvenlicht
82
Aerodynamische Wischblätter
79
Interaktive Navigationssysteme
77
Wende-Assistenzsystem
76
ACC*
74
Pneumatische Federung
67
Park-Assistenzsystem
65
Verstellbare Pedale Rücksitz-Entertainment Fahrbahnwechsel-Assistenzsystem Internetzugang
50
84
49 45
40 30 20 10 0 1985
2000
2015
44 40
* Adaptive Cruise Control
Abb. 4.25 Zunehmende Komplexität in der Automobilindustrie (Quelle: McKinsey)
• Verlagerung der Entwicklungstätigkeiten auf Zulieferanten, sog. „n-tier supplier“, • erhöhter Anspruch an Kommunikation und Koordination, • unternehmensübergreifendes Projektmanagement und • globalisierte Verteilung von Entwicklungstätigkeiten auf Standorte in der ganzen Welt. Daraus ergab sich ein Wandel in den Aufgabeninhalten und der durch den Ingenieur abzudeckenden Ver-
antwortungsbereiche. In den letzten Jahren hat sich die Rolle des Ingenieurs in der Entwicklung und Konstruktion von der kreativen Tätigkeit mehr zur Information, Dokumentation und Kommunikation verschoben (Abb. 4.27). Damit wird verschiedenen äußeren Einflüssen auf die Produktentwicklung, z. B. Anforderungen aus der Gesetzgebung und dem Qualitätsmanagement aber vor allem der zunehmenden Bedeutung internationaler Zusammenarbeit dezentraler Entwicklungsstandorte innerhalb und außerhalb eines
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
249
Quelle: Pätzold, ProSTEP AG 0,5 Tier Supplier
Quelle VPE
Teile/BG Zulieferer
Modul Zulieferer
System Zulieferer
Vollständiger Fahrzeughersteller
Abb. 4.26 Veränderung der Rolle der Zulieferer
pazität immer wieder innovative Produkte zu definieren, um auf dem Markt erfolgreich bestehen zu können. Produktinnovationen werden nach einer Befragung von AMR Research von 27% aller Unternehmen als höchste Priorität angegeben, um in einer stagnierenden Wirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben.
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1980 Kreativer Anteil
1985 Information
1990 Dokumentation
4.3.2 Virtuelle Produktentwicklung
1995 Kommunikation
Andere
Quelle Knoche
Abb. 4.27 Veränderung der Konstruktionstätigkeiten (Quelle: Knoche)
Unternehmens (Kunden/Zulieferer-Beziehung) Rechnung getragen. Der Ingenieur ist durch die zunehmende Parallelisierung der Tätigkeiten in neue Prozesse eingebunden, die vorher sequentiell abgelaufen sind, z. B. Qualitätsmanagement, Supply Chain Management und technische Dokumentation. Zusätzlich haben auch die Anforderungen nach Durchlaufzeitverkürzung und früherer Marktbereitstellung von Produkten zu einer veränderten Arbeitssituation im Engineering geführt. Manager des Engineering Prozesses haben somit die Aufgabe in einer komplexen und vernetzten Umgebung, besser, schneller und i. d. R. mit weniger Ka-
Um den genannten Anforderungen gerecht zu werden, ergeben sich insbesondere aus der Automobilindustrie folgende Anforderungen an eine optimierte Produktentwicklung: • vollständige und frühzeitige Integration der Simulation und Berechnung in den Entwicklungsprozess, • frühzeitigere Erhöhung des Produktwissens, • Unterstützung der firmeninternen und firmenübergreifenden Kommunikation von Ingenieuren in verteilten Entwicklungsprozessen und • gemeinsamer Zugriff auf alle für das Produkt während aller Phasen des Produktlebenszyklus relevanter Informationen (Product Record). Neben organisatorischen oder methodischen Ansätzen stellt die durchgängige IT (Informationstechnologie)Systemunterstützung in der Produktentwicklung einen
250
Product Product Development Development Production Production Planning / Purchasing Planning/Purchasing
Serial Engineering (1985 –1995)
Production Production
Time to Production Product Product Development Development
Simultaneous Engineering
Production Production Planning / Purchasing Planning/Purchasing
(1995 –2005)
Production Production
Time to Production PD2 PD2
PD1 PD1
PD3 PD3
Cross Enterprise Engineering
PP1 PP1
PD5 PD5 PD4 PD4
PP3 PP3
(>2005)
PP5 PP5
PP2 PP2
PP4 PP4
Time to Production
Production Production
Abb. 4.28 Entwicklung der Engineering-Methoden
Domänen und alle Phasen des PEP unterstützt werden (Abb. 4.29). Daraus ergeben sich für die IT-Lösungen folgende konkrete Anforderungen:
…
Domainen
1. Integration der IT-Lösungen über den gesamten Produktlebenszyklus, d. h., von der ersten Idee und Lösungskonzeption bis zum Recycling. 2. Föderation der IT-Lösungen in einem dezentral und verteilt arbeitenden Unternehmen und im Rahmen der Zuliefererkette auch über die Unternehmensgrenze hinaus. Cross Domains
P/H SW Cross Lifecycle
E/E Ein Standort
Mech.
Andere Standorte Engineering
Production
Service
BU
vielversprechenden Ansatz zur Bewältigung des beschriebenen Zeit-, Kosten- und Innovationsdruckes dar. Dieser ganzheitliche Lösungsansatz wird als Virtuelle Produktentwicklung (VPE) bezeichnet. Dabei wird unter dem Begriff VPE die durchgehende Rechnerunterstützung bei der Produktentwicklung unter intensiver Anwendung von Simulations- und Verifikationstechniken auf der Basis digitaler, realitätsnaher Modelle verstanden. Ziel ist die frühere Erarbeitung des Produktwissens und damit das frühzeitige Erkennen von Produkteigenschaften sowie die drastische Reduzierung von physischen Prototypen (PMU Physical Mock Up). Die Virtuelle Produktentwicklung ermöglicht – unter Einsatz von Systemen der Virtuellen Realität – eine frühzeitige, kontinuierliche, vernetzte (Prozesssicht) und integrierte (Systemsicht) Unterstützung der Mitarbeiter hinsichtlich der Abstimmung, Analyse und Konkretisierung der Entwicklungsergebnisse mit Hilfe digitaler Prototypen (DMU Digital Mock Up). Dieser digitale Prototyp entspricht einer realistischen Repräsentation (Virtuelle Realität) des Produktes einschließlich der meisten während des Lebenszyklus geforderten Funktionen. VPE wird ergänzt durch das sog. Cross Enterprise Engineering (CEE) als Nachfolger von Simultaneous Engineering (Parallelisierung der Entwicklungsprozesse) und Concurrent Design (Parallelisierung der Produktkomponentenentwicklung). CEE ist die durchgehende Unterstützung verteilter Entwicklungsprozesse durch firmenübergreifende Zusammenarbeit (Collaboration), Kommunikation und Datenaustausch (Communication) und Einbindung existierender Altsysteme (CoExistence). Die Parallelisierung und Vernetzung der Projekte, Produkte und Prozesse fängt bereits in sehr frühen Entwicklungsphasen an und umspannt sowohl die Zulieferer und die Kunden als auch die verschiedensten internen und externen IT-Lösungen. CEE bedeutet, dass Teile, Baugruppen und Systeme über örtliche, unternehmerische und systemtechnische Grenzen hinweg geplant und entwickelt werden. Kommunikation und der Informationsaustausch werden zunehmend über das Intra- bzw. Internet abgewickelt (Abb. 4.28). Das bedeutet, dass eine mehrdimensionale Zusammenarbeit und Kooperation innerhalb des Unternehmens und im Rahmen der Zuliefer- und Kundenbeziehung über die Unternehmensgrenzen hinweg über alle
4 Management des Produktlebenslaufs
Cross BusinessUnit
Supplier, Partner
Lifecycle
Abb. 4.29 Mehrdimensionale Zusammenarbeit im Rahmen des Cross Enterprise Engineering (P/H – Hydraulik/Pneumatik, SW – Software, E/E – Elektrik/Elektronik, Mech. – Mechanik)
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
251
3. Interdisziplinarität der IT-Lösungen über alle Domänen der Produktentwicklung. Neben dem bereits klassischen mechatronischen Ansatz (Mechanik, Elektrik/Elektronik, Software) sollen auch die Hydraulik, Pneumatik und auch zum Produkt gehörige Dienstleistungspakete (z. B. Montage, Training, Instandhaltung and Instandsetzung) unterstützt werden.
4.3.3 IT-Lösungen für die Virtuelle Produktentwicklung Zielsetzung der virtuellen Produktentwicklung ist die möglichst vollständige und realitätsnahe Beschreibung des Produktes, um auf dieser Basis Bewertungen, Berechnungen und Simulationen durchzuführen. Eine Reihe von IT Lösungen stehen heute bereits zur Verfügung. Abbildung 4.30 zeigt einen Überblick.
• Mechanik (M), • Elektrik und Elektronik (EE) sowie • Softwareentwicklungssysteme (CASE-Tools). Die Anwendung von CAD beschränkt sich bis heute vorwiegend auf die funktionalen (CAD-EE und CASE) und die geometrischen Aufgaben (CAD-M und -EE) in der Konstruktionsphase Entwerfen und Ausarbeiten. In letzter Zeit sind verstärkte Bemühungen zur Integration auch anderer (nicht primär funktionaler oder geometrischer) Informationen und Funktionen in CAD-Systeme zu beobachten, z. B. Integration von Entwurf und Berechnung, Einbindung von wissensbasierten Systemen. Wichtiges Argument beim Aufbau integrierter Prozessketten ist die Offenheit des Systems und die Existenz industriell anerkannter bzw. genormter Schnittstellen. Ein weiteres relevantes Autoren System ist Computer Aided Styling (CAS). CAS-Systeme sind skalierbare Softwarelösungen, die alle Aufgaben des Designprozesses, vom 2D-Sketching über 3D Concept Modeling bis zu Class-A Surfacing, in einer Softwareumgebung abdecken.
Authoring Systems Die sog. „Autorensysteme“ erzeugen die grundlegenden geometrischen, technologischen oder funktionalen produktrelevanten Daten. Dazu gehören die Computer Aided Design(CAD)-Systeme für die Anwendungen:
Administrative Lösungen (PLM/PDM) PLM Systeme sind die IT-Lösungen zur Umsetzung der für den Prozess der virtuellen Produktentwicklung
Virtuelles Labor
Montage Simulation
Simulationen
NC Bearbeitung
P
HEADPHONE
1 2
BOX1 MICROPHONE
HEADPHONE AUDIO
P
HEADPHONE AUDIO RETURN
1 2
P1
3 4
MICROPHONE AUDIO
1 2
MICROPHONE AUDIO RETURN
P3
P2
BOX2
CONTROL PANEL VOLUME CONTROL
1 2 3 4
3 4
SQUELCH TONE
5 6
CHANNEL
P4
P5 CONTROL UNIT ANTENNA
TRANSMIT/RECEIVE
P6
5 6 BOX4
CAS
P7
BOX3
BOX5
11
28 VOLTS POWER GROUND
P5
POWER PANEL
PWR1 -P1
PDM/PLM
PWR1
Rapid Prototyping
CAD-M/E + CASE
MKS
Geräuschmesssung (NVH) FEM
Abb. 4.30 IT Lösungen für die virtuelle Produktentwicklung
CFD
252
4 Management des Produktlebenslaufs
notwendigen Produktdatenverwaltung. Sie sind somit eine zentrale integrierende Drehscheibe des gesamten Prozesses. Um PLM zu verstehen, muss man sich zunächst mit den Kernfunktionen eines Produktdatenmanagement Systems (PDM) befassen. Diese sind im Wesentlichen • die Verwaltung von Produktdaten (konstruktiver Artikelstamm, Konstruktionsstückliste und alle dazugehörigen Dokumente), • die Verwaltung von Konstruktionsprozessen, z. B. Freigabe, Änderung, verteilung, durch konfigurierbare Workflows, • Gruppentechnik, Klassifikation, • Ein-/Ausgabemanagement (Viewen, Drucken, Plotten, Scannen) und • Integrationen zu den Authoring Systems und zu PPS. PLM Systeme sind evolutionär aus den existierenden PDM Systemen entstanden, sie sind also nicht grundsätzlich neu sondern enthalten immer die gesamten PDM Funktionen als Untermenge (Abb. 4.31). Erweiterungen gegenüber dem PDM Ansatz sind: • Die Anwendung der Grundfunktionen eines PDM-Systems (Produkt- und Prozessmanagement) nicht nur für die Phase der Entwicklung und Konstruktion sondern für den gesamten Produktlebenszyklus von der ersten Aufnahme von Kunden-/Marktanforderungen über den Betrieb und die Wartung bis hin zum Recycling. Damit sind natürlich auch weitere Funktionen notwendig, z. B. Anforderungsmanagement und -verfolgung (RM+T), After Market Sales (Produkt-, Ersatzteilkataloge) und Maintenance, Repair and Overhaul (MRO). • PLM integriert alle relevanten Domänen der Produktenwicklung, also neben der Mechanik, die Customers Customers
Product & PortPortfolio folio Planning Planning
Feasibility
Design Design Engineering Engineering
Process Process/Production / Production Engineering Engineering
Development
PDM PDM
Process Process Planning
Maintenance, Maintenance, Repair & Overhaul Repair & Overhaul
Production
Operation
PLM Suppliers Suppliers
Abb. 4.31 PDM versus PLM
Disposal
Elektrik/Elektronik, Software, Hydraulik, Pneumatik und die zum Produktumfang gehörende Dienstleistung • PLM integriert alle produktrelevanten Informationen und Prozesse innerhalb eines Unternehmens über verschiedene Standorte eines Unternehmens und über die Unternehmensgrenzen hinweg zu Zulieferern, Partnern und Kunden. Das Internet spielt als Infrastruktur eine wesentliche Rolle. Diese Anforderung führt automatisch zu einem föderierten Produkt- und Prozessmodell. Im Grunde spannt ein PLM-basierendes Produkt und Prozessnetzwerk ein dreidimensionales Modell (vgl. Abb. 4.29) auf, das aus den Achsen Productlifecycle, Domänen und den internen und externen Entwicklungsstandorten besteht. Das bedeutet, dass PLM die Methoden des Cross Enterprise Engineering umsetzt. Typische Funktionen eines daraus abgeleiteten „vollkommenen PLM“-Systems sind in Abb. 4.32 aufgeführt. Zukünftige Erweiterungen der Funktionalitäten sind sowohl für die frühe Phase der Produktentwicklung (Frontloading) als auch für die späte Phase (After Sales) zu erwarten. Parallel sind kurzfristig Entwicklungen abzusehen, insbesondere mechatronische Produktkomponenten in ein gemeinsames Produktund Prozessmodell zu integrieren.
IT Lösungen zur Planung und Ausführung von Fertigung und Montage Zu dieser Kategorie gehören folgende IT-Lösungen: • Computer Aided Manufacturing (CAM), • Manufacturing Process Planning (MPM) und • Rapid Prototyping (RPT). Unter der Abkürzung CAM versteht man ein Verfahren, bei dem die Fertigungsmaschinen mit Computern gesteuert werden. Verwendet wird CAM vorwiegend im industriellen Bereich für die Steuerung von Werkzeugmaschinen. Im Idealfall werden die erforderlichen Informationen für die Steuerung direkt von den für die Entwicklung zuständigen CAD-Programmen geliefert (NC-Programme). Das Hauptproblem bei CAM liegt in der Standardisierung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen sowie der Anbindung von CAD-Programmen, da i. d. R. völlig andere Computersysteme für CAD
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
253
Anforderungs Mgmt.
Kosten/Risiko Abschätzung
After Sales/MRO
Governance & Compliance
Stamm und Struktur
Dokumentmanagement
Gruppentechnik
Projekt/Programm/ Portfolio Mgmt.
Product Assembly Part
MPM (Manufacturing Process Mgmt.)
Articlel
Dcument vault
3D-Model
NC-Prog. Drawings/ structure
Konfiguration Management Product structure
Document structure
Effectivity
Viewing, Redlining, DMU
F eature c sN R a b
Engineering Collaboration
Integration ERP CAx DTP Office
Zugriffsverwaltung
WorkflowManagement
EAI
Vault/ Archive / Backup
Daten Replikation
Collaboration
better!
I/O Management
Abb. 4.32 Typische PLM-Funktionen
verwendet werden als zur Steuerung der Fertigungsgeräte wie Drehmaschinen, Gravier- oder Fräsanlagen. MPM-Lösungen bieten Fertigungsingenieuren Zugang zu Produktengineeringdaten und Informationen zu den Fertigungsmöglichkeiten ihrer Firmen und ihrer Partner, hilft ihnen bei der Suche nach den besten Fertigungspraktiken ihrer Firma und bei der Analyse, Entwicklung und Simulation von Fertigungsstrategien und -unterlagen und führt den PPS/ERP-Systemen, die zur Erstellung detaillierter Produktionszeitpläne erforderlichen Daten zu. RPT bezeichnet die Technologie, durch additives schichtenweises Auftragen von Material (generative Fertigungsverfahren) direkt aus der abgeleiteten CAD-Geometrie ein Werkstück zu erzeugen. Der Begriff Prototyping ist eher irreführend, da neben den Prototypen auch Formen und Werkzeuge sowie Design- und Anschauungsmodelle gefertigt werden. In Abhängigkeit des Materials (flüssig, pulverförmig oder fest) unterscheidet man verschiedene Verfahren: • Stereolithographie (Aushärten eines flüssigen Polymers), • Selective Laser Sintering (schichtweises Aufschmelzen und Sintern von Kunststoff- oder Metallpulver),
• Fused Deposition Modelling (Aufbringen von Kunststoffdrähten oder Feingusswachs) und • Laminated Object Manufacturing (Auflaminieren von Folien).
Virtuelle Techniken Zu dieser Kategorie gehören folgende IT-Lösungen: • Digital Mockup (DMU), • Virtual Reality (VR) und • Augmented Reality (AR). Ein Digital Mockup (DMU) stellt die wirklichkeitsgetreue Beschreibung eines Produktes im Rechner dar. Dieses Digital Mockup besteht aus Dokumenten, Attributen und Strukturen. Ein Digital Mockup stellt eine auf ein bestimmtes Endprodukt (z. B. Fahrzeug) bezogene, abgegrenzte Datenmenge dar. Digital Mockup ist also eine Datenbank, auf deren Grundlage Funktionalitäten des Produktes ausgeführt und getestet werden können. Zu diesen Funktionalitäten gehören z. B. Kollisionsüberprüfungen oder Crashberechnungen. Möchte man ein Digital Mockup benutzen, muss man ggf. Prozesse und Organisationsformen anpassen. Eine Kooperation zwischen Mitarbeitern oder Abteilungen ist in Bezug auf ein bestimmtes Endprodukt unter Umständen früher erforderlich als in heutigen
254
Prozessabläufen. Das Digital Mockup, also die Datenbank, dient als Informationsaustauschmedium, in das in einem festgelegten zeitlichen Turnus Informationen abgelegt werden. Zum Beispiel müssten alle 14 Tage neue Informationen über das Produkt in die Datenbank eingetragen werden, damit andere Mitarbeiter und Abteilungen diese Informationen für ihre Arbeit nutzen können. Diese Arbeitsweise geht somit in die Richtung des Simultaneous Engineering bzw. Cross Enterprise Engineering, da es durch die stärkere Parallelisierung von Prozessen möglich wird, früher als bisher Produktoptimierungen durchführen zu können oder Fehler am Modell früher erkannt werden können. Dadurch lassen sich in diesem Prozess Zeiten sparen und Kosten senken. Als Voraussetzungen für den Aufbau und die Nutzung eines Digital Mockup darf es keine starren Prozesskonzepte geben und es muss ein systematisches und zielgerichtetes Projektmanagement erfolgen. Im Gegensatz zu den starren Prozesskonzepten sind eine stetige Anpassung an unternehmens- und produktspezifische Belange und ein am Kunden orientierter Prozessablauf erforderlich. Zu Beginn eines Produktentwicklungsprozesses müssen Produktstrukturen aufgebaut werden, in denen die Informationen über das Produkt abgelegt werden (PDM/PLM). Diese Produktstrukturen müssen es den anderen Mitarbeitern oder Abteilungen ermöglichen, benötigte Informationen für ihre Arbeit möglichst schnell in diesen Produktstrukturen zu finden. Dazu kann man eine Default- Produktstruktur benutzen, die im Laufe der Produktentwicklung auf die Produktbelange angepasst wird. Bei Nutzung des Digital Mockup können Versuchsaktivitäten durch aussagefähige, validierte Berechnungs- und Simulationsverfahren ersetzt werden. Dadurch lassen sich z. B. etwaige Werkzeug- und Nachbearbeitungskosten für ein physisches Bauteil einsparen. Die Integration von Zulieferern ist ein weiterer wichtiger Aspekt des Digital Mockup. Da die parallel laufenden Entwicklungsaktivitäten sehr eng abgestimmt werden müssen, ist die Integration der Zulieferer in das Projekt von großer Bedeutung. Die gesamte Projektarbeit eines Digital Mockup findet im Rahmen von Cross Enterprise Engineering Teams statt, in die die Zulieferer integriert werden müssen, damit der Gesamtprozess harmonisiert gesteuert werden kann. Die Zulieferer müssen somit auch in den Datenaustausch einbezogen werden, der ebenfalls in einem
4 Management des Produktlebenslaufs
regelmäßigen Turnus stattfinden muss. Das Digital Mockup erzeugt in den Entwicklungsabläufen eine starke Transparenz, was man z. B. daran sehen kann, dass durch das regelmäßige Ablegen von Daten ermöglicht wird, schneller zu erkennen, in welchen Teilprozessabläufen Schwachstellen liegen. Digital Mockup führt dazu, dass im Produktentstehungsprozess die physische Erprobung der Bauteile erst viel später einsetzt. Die Bauteile sind im Digital Mockup durch Berechnungs- und Simulationsverfahren sehr genau getestet worden, so dass zu Beginn der Herstellung der physischen Bauteile diese schon sehr weit entwickelt sind und die Zeit für die physische Erprobung gesenkt werden kann. Dadurch werden Kosten gesenkt und der gesamte Zeitplan kann sich verkürzen. DMU wird aufgrund der Komplexität der Produktgeometrie im CAD-System i. d. R. in einem neutralen Visualisierungsformat realisiert (JTOpen, 3D/PDF und/oder 3DXML). Dies bringt Vorteile beim Einsatz von DMU bei Produkten, die aufgrund verschiedener CAD Ausstattung der Zulieferer, in verschiedenen Formaten vorliegen. Die zentralen Komponenten einer durchgängigen digitalen Produktentwicklung sind digitale Prototypen, in Automobilbranche und Luftfahrt auch als Digital Mockups (DMUs) bezeichnet. Sie ermöglichen visuell hochwertige Produktdarstellungen, Darstellungen von Kollisionen oder Simulationsergebnissen und dienen damit als Entscheidungsbasis für den nachfolgenden Engineering-Prozess (Abb. 4.33). Die Einführung und effiziente Nutzung digitaler Prototypen erfordert Schnittstellen und Integrationssysteme, die die Daten aus den verschiedenen Engineering Bereichen wie Konstruktion, Simulation und Produktdatenmanagement zusammenbringen, optimieren und für adäquate Visualisierungs- und VR-Systeme aufbereiten.
Virtual Reality Unter dem Begriff Virtual Reality (VR) wird eine computergenerierte, virtuelle Umgebung verstanden, die im Unterschied zu einer reinen Animation Interaktionen in Echtzeit erlaubt. Der Anwender kann sich in dieser virtuellen Umgebung frei bewegen sowie die in ihr enthaltenen Objekte manipulieren. Dabei wird dem Anwender das Gefühl der Immersion, des „Ein-
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
255
Abb. 4.33 Vergleich PMU (physischer Mockup) und DMU (digitaler Mockup) (Quelle: Adam Opel AG)
tauchens“ in die virtuelle Welt, vermittelt. Im Idealfall kann der Anwender mit der virtuellen Umgebung in ähnlicher Weise interagieren wie mit der realen Welt. So werden Bildschirm und Maus durch 3DVisualisierungs- und Interaktionstechniken ersetzt. In diesem Zusammenhang wird die Interaktion multimodal ausgelegt, so dass neben dem rein visuellen Kanal weitere menschliche Sinne wie Akustik und Haptik in die Schnittstelle integriert werden (Abb. 4.34). Mittels einer Visualisierung und Optimierung im virtuellen dreidimensionalen Raum können physische Prototypen zunehmend durch digitale Prototypen ersetzt werden. Die Integration der Entwicklungs- und Produktionsbereiche auf Basis des digitalen Prototypen ermöglicht eine Parallelisierung der Produkt- und
Prozessentwicklung. Darüber hinaus lassen sich Änderungen besser beherrschen, d. h. die Anzahl der Änderungsschleifen kann reduziert bzw. deren Durchlaufzeit verkürzt werden. Diese Wettbewerbsvorteile werden ergänzt durch optimale Präsentationsmöglichkeiten zur Projektakquisition sowie zur Vermittlung von Entwicklungsständen in den frühen Phasen der Projekte. Insgesamt beinhaltet die Virtuelle Produkt Entwicklung erhebliche Potenziale zur Reduzierung der Entwicklungszeiten und -kosten aufgrund einer verbesserten Produktqualität in den frühen Entwicklungsstadien. Die Nutzung neuer VR-Lösungen aus der Informationstechnik ist somit ein entscheidender Faktor für die Sicherung und Verbesserung der Marktposition der Unternehmen im Maschinenbau.
Abb. 4.34 Einsatzgebiete von VR (Quelle: IMI Uni Karlsruhe, Prof. Dr.-Ing. J. Ovtcharova)
256
Augmented Reality Augmented Reality („erweiterte Realität“) ist eine neue Form der Mensch-Technik-Interaktion, bei der dem Anwender Informationen in sein Sichtfeld eingeblendet werden – z. B. über eine Datenbrille. Der virtuelle Anteil des Sichtfeldes basiert vollständig auf der Basis VR. Die Realität wird entweder über eine Kamera oder durch eine halbtransparente Brille gewährleistet. Die Einblendung geschieht jedoch kontextabhängig, d. h. passend und abgeleitet vom betrachteten Objekt, z. B. einem Bauteil. So wird das reale Sichtfeld eines Monteurs durch eingeblendete Montagehinweise um für ihn wichtige Informationen erweitert. In diesem Falle kann Augmented Reality unter anderem das herkömmliche Montagehandbuch ersetzen. Augmented Reality(AR)-Techniken können dazu beitragen, Anwendungen aus dem Bereich Virtual Reality (VR) wesentlich einfacher zu lösen, wenn der haptische Eindruck, der bei VR durch spezielle Hardware erfolgen muss, im sog. „Mixed Mockup“ durch reale Objekte bzw. Teile abgedeckt wird. Einige Problemstellungen im Produktentwicklungsprozess sind ausschließlich durch AR zu lösen, so z. B. direkte Vergleiche zwischen Versuchsergebnissen und Berechnungsresultaten. Vielversprechende Erkenntnisse lässt der Einsatz von AR-Techniken beim Vergleich von Crash-Ergebnissen erwarten: Nach einem Crashtest überlagert das AR-System, im Sichtfeld des Entwicklungsingenieurs, dem realen Crashfahzeug die durch die Simulation vorhergesagte Verformung. Differenzen sind damit auf einen Blick zu erkennen und zu bewerten.
4 Management des Produktlebenslaufs
• Simulation und Mehrkörpersimulation (MKS), • Computational Fluid Dynamics (CFD und • Noise Vibration Harshness (NVH). Mittels Ablauf- und Funktionssimulation können komplexe Produkte und Produktionsanlagen im Rechner abgebildet und hinsichtlich der Bewegungsabläufe optimiert werden. Typische Anwendungsgebiete in der Mechanik sind die Grobplanung des Layouts, der Logistik, des Fertigungsprinzips und die Bewertung der Systemleistung, Weitere Anwendungsfelder liegen in der Produktionsplanung und -steuerung sowie in der Optimierung von Steuerungsstrategien. Die grafische 3D-Simulation bzw. Kinematiksimulation dient der Analyse und Optimierung der Bewegungsabläufe und Einbauuntersuchungen von Produkten und Produktionssystemen. Alle relevanten Teile des simulierten Produkts bzw. der Anlage werden als 3D-Modelle definiert, bewegte Teile werden mit ihrer Kinematik beschrieben. In der Planungsphase eines Produktes können so bereits detaillierte Bewegungs-, Einbau- und Ablaufstudien durchgeführt werden. Anwendungsbeispiele sind z. B. die Bewegungskinematiken von Achsgeometrien, Schiebedächern oder Scheibenwischern. Genau wie in der mechanischen Anwendung werden natürlich auch elektrische und elektronische Schaltungen in ihren Funktionen simuliert. Wenig eingesetzt – weil auch nur begrenzt verfügbar – ist die vollständige mechatronische Simulation, d. h. das Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Software im Produkt. Ein Schritt in Richtung angewandter mechatronischer Simulation ist die Kombination von virtuellen Umfeldsystemen mit realer Hard- und Software (Hardware in the Loop) (Abb. 4.35).
IT-Lösungen zur Simulation und Berechnung Der Begriff „Simulation“ wird nach der VDIRichtlinie 3633 folgendermaßen definiert: „Simulation ist das Nachbilden eines Systems mit seinen dynamischen Prozessen in einem experimentierfähigen Modell, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit übertragbar sind.“ Folgende Simulationstechnologien haben für produzierende Unternehmen die größte Bedeutung: • Ablauf- und Funktionssimulation, • Finite Element Methode (FEM),
Abb. 4.35 Hardware in the Loop (Quelle: MAGNA Steyr Fahrzeugtechnik, Graz)
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
FEM-Simulation eignet sich zum Nachbilden der physikalischen Eigenschaften von Werkstoffen. Dadurch ist es z. B. möglich, die mechanische Beanspruchung oder das Schwingungsverhalten einzelner Bauteile bzw. ganzer Baugruppen am Rechner zu analysieren. Die FEM-Simulation wird eingesetzt zur Berechnung der Betriebsbeanspruchung und zur Optimierung der Prozessparameter. Neben mechanischen Prozessen können auch thermische, rheologische oder strömungsmechanische Prozesse nachgebildet werden. MKS dient der Berechnung der Kinetik von Systemen, die aus mehreren Komponenten bestehen. Damit lassen sich beispielsweise Lagerkräfte bei der Beschleunigung von Massen bestimmen. Bewegungs-, Verformungs- und Versagensabläufe komplexer, großer Strukturen lassen sich wirtschaftlich nicht mit der Methode der Finiten Elemente (FE) berechnen. Um globale Aussagen über das Verhalten dieser Systeme zu erhalten, ist es völlig ausreichend, sie als Mehrkörpersystem aus Massenpunkten und Balken- oder Federelementen zu modellieren. Diese Art der Modellierung ist allerdings ungeeignet, detaillierte Versagensvorgänge in den Kontaktbereichen (Aufschlagzonen) zu simulieren. Daher sind gegenwärtige Bestrebungen dahin gerichtet, MKS und FE gemeinsam einzusetzen, so dass für das globale Strukturverhalten MKS, für die Versagensbereiche der Kontaktzonen hingegen FE Systeme eingesetzt werden. CFD bezeichnet die numerische Simulation von Strömungen. Eine wichtige Grundlage bilden die Erhaltungssätze der Physik für Masse, Impuls und Energie. Ergänzend werden aber auch empirische Ansätze (Turbulenz, Wärmeübertragung zu Oberflächen) verwendet. Zusätzlich zum konvektiven Wärmetransport können auch der Wärmetransport durch Leitung oder/und Strahlung oder Vorgänge, z. B. Schadstoffausbreitung, simuliert werden. Die Modellierung kann dabei 2- oder 3-dimensional sowie stationär oder transient erfolgen. NVH simuliert und berechnet Geräusche, Schwingungen und Steifigkeit. Der Einfluss der Geräusche, besonders in der Automobilindustrie, in ihrer Auswirkung auf den Passagier und dessen Umgebung, wird ermittelt. Die Berechnung erfasst nicht nur das objektive Maß der Geräusche und der Erschütterung, sondern auch die subjektive Auswirkung. Anwendungsfälle sind zum Beispiel, wie angenehm ein Schall-
257
dämpfer klingt, welche Art der Windgeräusche irritierend ist und welche Art der Gummireifengeräusche angenehm oder ärgerlich ist.
IT-Lösungen zur Unterstützung von Engineering Collaboration (e2e) Der Begriff Engineering Collaboration fasst alle Anwendungen und Funktionen zusammen, mit denen die Zusammenarbeit von bereichsinternen und -externen Teilnehmern des Produktentwicklungsprozesses unterstützt wird. Hierunter fallen folgende Aufgabenbereiche: • Unternehmensübergreifendes Projektmanagement, • CSCW (Computer Supported Cooperative Work), z. B. die Integration von Groupware Tools, • speziell für den PEP muss die IT Lösung einen sog. Virtual Design Room anbieten, in dem die regional und organisatorisch getrennten Teilnehmer auf der Basis des Internets den DMU betrachten und bewerten können, • Aufbau von sog. Engineering Portalen zur Kommunikation mit Kunden und Zulieferern, • Sicherheitsmaßnahmen zur Sicherung Firewallübergreifender Systemzugriffe und • Datenaustausch auf der Basis von nativen Formaten oder Standards, z. B. STEP oder PDX. Typischerweise werden die Funktionen des Engineering Collaboration im Funktionsumfang eines PLM Systems abgedeckt.
IT-Lösungen für Knowledge Based Engineering Knowledge Based Engineering (KBE) macht in Verbindung mit CAD-Systemen die Techniken verfügbar, um vorhandene Daten und Regeln sowie erprobte Vorgehensweisen (best practices) elektronisch zu erfassen und allen Beteiligten im Entwicklungsprozess bereitzustellen. Dadurch lassen sich Informationen heranziehen, die normalerweise nicht im CADSystem zur Verfügung stehen – z. B., was das Produkt kosten wird, ob ein Teil gefertigt werden kann oder ob es zu einem Entwurf bessere Alternativen gibt. Es kann auch geprüft werden, ob Konstruktionsvorschriften verletzt wurden oder ob die Produktspezifikation eingehalten wird. Das sorgt nicht nur für eine gleich-
258
4 Management des Produktlebenslaufs
bleibend hohe Produktqualität, sondern beschleunigt auch die Entscheidungsfindung, was den „richtigen“ Entwurf betrifft.
4.3.4 Nutzenpotenziale der Virtuellen Produktentwicklung Im Folgenden wird an Beispielen aus der Automobilindustrie gezeigt, welche quantitativen Auswirkungen der Einsatz von VPE-Technologien im Produktentwicklungsprozess haben kann. McKinsey zeigt diesen Einfluss sowohl an den Durchlaufzeiten (Abb. 4.36) als auch an den Entwicklungskosten (Abb. 4.37). Danach sind die Potenziale der Virtuellen Produktentwicklung enorm. Verschiedene Automobilhersteller haben ihre Entwicklungszeiten u. a. durch den Einsatz von VPE in den vergangenen Jahren um bis zu 40% gesenkt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Harvard Business Review, allerdings konkret auf die VPEImplementierung bei BMW bezogen. Ein Großteil der Zeitreduzierung in der Entwicklung des aktuellen BMW 5ers ist demnach auf die Einführung von VPE zurückzuführen (Abb. 4.38). Insgesamt geht der Harvard Business Review von einer Reduzierung der Entwicklungszeiten in der Automobilindustrie innerhalb der letzten 15 Jahre von bis
2.500 170
Gewährleistungskosten Ramp-upKosten Änderungskosten
100
750
Virtuelle Simulation
Design • Planung undund Design Designanpassung anpassung
Aufbau Teileherstel • Teileherstellung lungAufbau und Auf und bau Prototyp Prototyp
1,0 0,5 - -1,0
6,0 4,0 - -6,0
• Definition bzw. bzw . • DatenaufbeDatenaufbe Anpassung Crash -Modell Crash-Modell - 2,0 0,5 -2,0
Einmalige Einmalige Generierung des Basis BasisCrash -Modells Crash-Modells
und reitung und -integration -integration 1,5 0,3 - -1,5
160
2.030
150 400
700
Investitionen Entwicklungskosten
500
Gesamtkosten für Fahrzeugprojekt
Optimierte Erprobungsstrategie (Simulation)
Verbesserte/s Projektmanagement und -organisation
Optimierte Änderungsund Freigabeprozesse
Ziel
Abb. 4.37 Einsatz von VPE-Technologien senkt die Entwicklungskosten (in Te) (Quelle: McKinsey 2004)
zu 40% aus. So hat sich bei BMW die Entwicklungszeit von 50 Monaten in den späten 80er Jahren kontinuierlich auf 30 Monate reduziert (Abb. 4.39). Auf konkrete BMW-Modelle bezogen bedeutet dies bezüglich der Entwicklungszeiten: • Z3: 39 Monate, • X5: 35 Monate und • 5er: 30 Monate. Derartige Größenordnungen sind ohne den massiven Einsatz von IT über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg nicht denkbar. Auch Beardsley et al. [7] verweisen darauf, dass erfolgreiche Unternehmen ihre Produktivität steigern, indem sie die IT als „Enabler“ für Produkt- und Prozessinnovation nutzen.
in Monaten pro Iterationsschleife Erprobung Physical Prototype
-19% = 470 470EUR EUR 40
Test • Durchführung Crash -Versuch Crash-Versuch einschließlich einschließlich Versuchsauf Versuchsaufbau bau 1,0 0,5 - -1,0
Analyse Gesamtzeit Crash• Analyse vonvon Crash -Filmen , Filmen, Sensor-Daten Sensor -Daten und physischen 5,5 5,5 --10 10 und physischen Bauteilen Bauteilen 2,0 0,5 - -2,0 30 30 - 90%
• Durchführung
• Datenanalyse
Simulations Simulationsrechnung rechnung 0,25 0,1 - -0,25
-interpre und -interpretation tation
11 - 44
0,25 0,1 - -0,25
• Gesamtkosten je Prototyp: je Prototyp 0,5 -1 Mio. : 0,5 EUR - 1 Mio. EUR • Weitere Zeitreduktion Zeitreduktion bei Simulationen durch bei Simulationen durch mehrfache mehrfache " möglich "Lernschleifen"
Abb. 4.36 Einsatz von VPE-Technologien senkt die Erprobungszeiten (Quelle: McKinsey 2004)
4.3 IT-Lösungen für den Produktentwicklungsprozess
in Monaten
--35
Projekt-Projekt start start
--30
--23
-15
ProjektKonzept- Projekt - Konzept planung entwicklung
Phasen
Bestätigung Strategie
Gateways
Bestätigung Bestätigung Ziele Ziele
Package-Entwicklung Package -Entwicklung
Styling
Exterior/Interior Exterior /Interior Design Design Stimmige Zielsysteme für 3 Fzg.-Konzepte (-33)
Engineering/ CAE
Design-Modellauswahl (-26)
Bestätigung Bestätigung Funktionalität Funktionalität
PackagePackage Abschluss (-23)
Fahrzeugtests
0
Bestätigung Bestätigung Produkt Produkt
Bestätigung SOP Anlauf
Package Freeze (-19)
Design Freeze (-23)
B -Freigabe ((-15) Korrekturen Konstruktion
Virtuelle Baugruppen/Prozessentwicklung Virtuelle Baugruppen/Prozessentwicklung CAD 100% (-17)
Prototypenentwicklung
--2
-8
Serienentwicklung/-vorbereitung Serienentwicklung/ -vorbereitung
Bestätigung Konzept
Package
259
Massiver Massiver Einsatz virtueller Einsatz virtueller Techniken Techniken
Prognose Prozessfähigkeit (-8) PT*PT*-Baustufe -Baustufe
Integrationstests Komponententests
* Prototyp Quelle:Harvard Business Review
Bestätigung in Prototypen
Vorserientests Großver(-5) such (-2)
Dauererprobung
Abb. 4.38 Zeitreduzierung in der Entwicklung des aktuellen BMW 5ers (Quelle: Harvard Business Review Automobilproduktion)
Abb. 4.39 Zeitreduzierung in der Entwicklung in den letzten 15 Jahren (Quelle: Harvard Business Review Automobilproduktion)
4.3.5 Fazit Die Optimierung des PEP ist von der Industrie als zentraler Aspekt zur Unterstützung des Innovationsprozesses identifiziert worden. Zudem ist die Beherrschung der Produkt- und Prozesskomplexität zu einer der wesentlichen Herausforderungen für Industrieunternehmen geworden. In diesem Zusammenhang ge-
winnt das virtuelle Produkt zunehmend an Bedeutung für das operative Tagesgeschäft des Konstrukteurs. Die Virtuelle Produktentwicklung beinhaltet die vollständige rechnerbasierte und integrierte Modellbildung eines Produkts über den gesamten Produktlebenszyklus, über alle Entwicklungsdisziplinen und über alle unternehmensinternen und -externen Organisationseinheiten hinweg unter Nutzung der Technolo-
260
gien der Virtual Reality als Projektions- und Arbeitsumgebung. Sie ermöglicht es Entwicklern, Lieferanten, Herstellern und Kunden gleichermaßen, das zukünftige Produkt von der Spezifikation bis hin zu Service und Recycling rein virtuell zu handhaben und hinsichtlich seiner Eigenschaften und Funktionen realitätsnah zu beurteilen. Hiermit wird ein Paradigmenwechsel der Ingenieurtätigkeit möglich, welcher der Einführung der digitalen Verarbeitung vergleichbar ist. Basierend auf einem integrierten digitalen Produktund Prozessmodell ist das PLM-System: • Dreh- und Angelpunkt der Datenverwaltung und des Datentransfers von Erzeugersystemen (CAD, CAE, CAM) zu Zielsystemen (PPS, SCM), • Grundlage der internen und externen Informationsaufbereitung sowie -bereitstellung für den Engineering-Prozess, • zentrales Administrationssystems für alle projekt, produkt- und prozessrelevanten Informationen über den gesamten Produktlebenzyklus, • Verbindungsglied des Ingenieurs mit dem Internet und damit die Grundlage für die Anbindung des Ingenieurs an den Supply Chain- und e-CommerceProzess sowie • Kernelement der Kooperation und Kommunikation, d. h. der Unterstützung der Unternehmen bei der internen und externen Zusammenarbeit während des Engineering-Prozesses. Der Ingenieur steht im Mittelpunkt eines Informationssystems, das im Gegensatz zu früher die angezeigten Informationen nicht mehr vollständig physikalisch speichern muss, sondern die Informationen aus Fremdsystemen referenziert. Damit wird er in die Lage versetzt, die benötigten Informationen aus internen Informationsquellen, z. B. Vertrieb, Logistik, Einkauf, Finanzen, Produktion und Wartung, sowie über das Internet aus beliebigen externen Informationsquellen, z. B. Zulieferer, Normteiledatenbanken, Lizenzen, Patente und landesspezifische Rechtssituationen, zusammenzustellen. Diese Art der Informationsbereitstellung verbessert den – aus den Anforderungen des im Cross Enterprise Engineering notwendigen – Analyse- und Entscheidungsprozess des Ingenieurs. Ein systematisch geplantes, eingeführtes und genutztes PLM-System führt zu schnellerer und vollständiger Informationsbeschaffung, zu sicheren Entscheidungen und Abläufen und damit zu einer Senkung sowohl der verursachten als auch be-
4 Management des Produktlebenslaufs
sonders der geplanten, in nachfolgenden Phasen des Produktionsprozesses anfallenden Kosten. Natürlich entsteht auch ein positiver Effekt bei der Reduktion der Durchlaufzeiten des Produktentwicklungsprozesses.
Literatur 1. Bullinger, H. J.: Die treibende Kraft. ADAC Motorwelt 1 (2005) 2. Eigner, M.; Stelzer, R.: Produktdatenmanagement. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2001 3. Knoche, Th.: Die neue Rolle des Konstrukteurs und wie er sie bewältigt. Konstruktion 47 (1995) 4. Zimmermann, P.: Virtual Reality – Forschung und Anwendung bei Volkswagen. Carolo-Wilhelmina 1 (2001) S. 24– 33 5. Ripe for revolution – a special report on cars and their makers. The Economist (2004) 9 6. Krause, L.: Strategische Bedeutung des Digital Engineering. In: Digital Engineering Forum MIT, Bochum 2004 7. Beardsley, S. et al.: The Business Dimension – ICT: A Critical Enabler of Managerial Innovation. In: Global Information Technology Report 2002–2003
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien 4.4.1 Ziele neuer Produktnutzungskonzepte Im Zuge des Leistungsprozesses (Produktionsprozess) kommt es im Unternehmen zu einer Wertschöpfung. Materielle Güter erhalten durch die Be- bzw. Weiterverarbeitung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen einen Mehrwert. Dieser Mehrwert (engl. „valueadded“), der dem Produkt in jeder Produktionsstufe hinzugefügt wird, stellt die Wertschöpfung dar. Sie legt die Basis für die Gewinnkalkulation und -erwirtschaftung fest und ist damit das wichtigste betriebswirtschaftliche Ziel der Produktion. Am Begriff der Wertschöpfung zeigt sich der Paradigmenwechsel besonders deutlich, der sich durch die Einführung einer ganzheitlichen, lebenslaufbezogenen Sichtweise ergeben hat. Während das Ziel der Produktion früher allein die Entwicklung und Herstellung von Produkten mit minimalem Aufwand war, erfährt diese Sichtweise der Produktion heute eine Erweiterung da-
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
hingehend, dass nun das Erzielen von Wertschöpfung an einem Produkt als Zielsetzung eines Produktionsbetriebs angesehen wird. Wie Abb. 4.40 zeigt, führt diese Erweiterung zur Betrachtung eines ganzheitlichen Produktlebenslaufes, der sich von der Herstellung über den Betrieb bis zum Recycling erschließt. Schon heute wird in allen diesen Bereichen Wertschöpfung erzeugt: In der Herstellung mit der Fertigung und dem Verkauf eines Produktes, im Gebrauch durch die Nutzung einer Maschine bzw. Anlage (die ebenfalls Produkte sind) zur Fertigung von neuen Produkten sowie im Recycling durch die Verwendung der Komponenten (oder Verwertung der Rohstoffe) eines verschlissenen Gutes. Obwohl es sich in allen Phasen physisch um dasselbe Produkt handelt (z. B. ein Bearbeitungszentrum) werden die Zusammenhänge zwischen den Phasen heute (noch) nicht durchgängig betrachtet. Grund dafür sind die Besitzverhältnisse des Produkts, die sich in den einzelnen Phasen ändern. Durch die neuen Ansätze des Life-Cycle-Managements, wie sie in Abschn. 4.1 dargestellt werden, können die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Phasen erkannt und über eine ganzheitliche Optimierung Potenziale für mehr Wertschöpfung im gesamten Produktlebenslauf geschaffen werden. Dazu sind aber nicht nur technische Veränderungen des Produkts erforderlich, sondern auch ein Wandel der Organisation hinsichtlich der Besitzverhältnisse und Wertschöpfungsstrukturen. Diese Veränderungsansätze werden unter dem Begriff „Produktnutzungskonzepte“ zusammengefasst. Im Folgenden sollen kurz die einzelnen Phasen des Produktlebenslaufes erklärt werden, um so die Einord-
261
nung der neuen Nutzungskonzepte in den Gesamtkontext des Life-Cycle-Managements darzustellen.
4.4.2 Stationen der Wertschöpfung im Produktlebenslauf 4.4.2.1 Herstellung Der erste Schritt im Lebenslauf des Produktes ist die Produktentwicklung im Rahmen der Herstellung. Schon bei Beginn der Produktentwicklung werden die wesentlichen Eigenschaften und Funktionen des zukünftigen Produktes im Rahmen eines Pflichtenheftes festgelegt. Diese Randbedingungen werden innerhalb des Produktentwicklungsprozesses zu einem fertigbaren Produkt konkretisiert und in Zeichnungen und Stücklisten dokumentiert. Nach deren Freigabe stellen diese Dokumente das Soll dar, das die Fertigung erzielen muss. Gerade bei sicherheitsrelevanten Produkten und Komponenten ist dieses Soll besonders wichtig, da Untersuchungen und Zertifizierungen auf dieser Grundlage beruhen. Der nächste Schritt im Lebenslauf ist die Arbeitsvorbereitung, welche die Konstruktion so aufbereitet, dass sie mit den im Unternehmen vorhandenen Technologien gefertigt werden kann. Das Dokument, das den Fertigungs- und Montageverlauf hin zum fertigen Produkt zeigt, ist der Arbeitsplan. Hier werden Ausgangsmaterial, verwendete Maschinen, Arbeitskräfte, Betriebsmittel, Zeiten und Kosten der Herstellung festgelegt. Durch den Arbeitsplan ist nicht nur das Produkt durch Zeichnungen und Stücklisten genau beschrieben, sondern auch der Ablauf und die verwendeten
Herstellung Rohmaterial
GrundstoffGrundstoff verarbeitung verarbeitung
Teile Teile-fertigung
Montage
Verwertung von Grundstoffen
Wiederverwendung von Teilen und Komponenten
Reparatur und Instandhaltung
Recycling Abfall
Aufbereitung
Wieder herstellung
Abb. 4.40 Materialkreisläufe in der Produktion
Demontage
Neues Produkt
Gebrauch
Benutztes/ verbrauchtes Produkt
262
4 Management des Produktlebenslaufs
Kostenanteil [%] 100 90 80
∑ K fe
70
∑ K ve
60 50
festgelegte Kosten Koste Kfe fe) (K fe)
40
verursachte Koste Kosten Kve) (K ve)
30 20 10 0 Konstruktion
Arbeitsvorbereitung
Einkauf
Fertigung
Verwaltung Quelle: Bronner/Holste
Abb. 4.41 Kostenfestlegung und Kostenverursachung in der Herstellung
Verfahren in der Produktion. Die Fertigung und Montage haben, wenn man von einer fehlerfreien Herstellung ausgeht, keinen – oder nur einen sehr geringen – Einfluss auf die Funktionen und Eigenschaften des Produkts, da das Ergebnis immer an den Spezifikationen der Konstruktion gemessen wird. Abb. 4.41 zeigt diesen Sachverhalt anhand der Kostenfestlegungen und -verursachungen; bei der Festlegung und Realisierung der Gebrauchs- und Funktionseigenschaften des Produktes würde sich zeigen, dass die Konstruktion noch einen erheblich höheren Anteil daran festlegt. Das so innerhalb der Herstellung entstandene Produkt wird nun an den Kunden ausgeliefert, es geht in die Phase des Gebrauchs über.
4.4.2.2 Gebrauch In der Gebrauchsphase ist es das Ziel des Betreibers (Kunden), mit dem gekauften Produkt Wertschöpfung zu erzeugen, um die Kosten des Produkt-Kaufs zu amortisieren. Diese Wertschöpfung, die sowohl an einem Produkt als auch an einer Dienstleistung erbracht werden kann, ist in weiten Grenzen durch die in der Konstruktion definierten Produkteigenschaften festgelegt. Dabei kann es sich sowohl um explizit festgelegte Eigenschaften wie z. B. Bauraum oder Verfahrgeschwindigkeiten als auch um implizit festgelegte Eigenschaften wie Belastungsgrenzen handeln. Auch
hier zeigt sich, dass die Konstruktion schon den Verlauf und die Ergebnisse der Nutzung in weitem Umfang festlegt. Wie Abb. 4.42 zeigt, fällt in der Nutzungsphase eines Produktes, in der es seiner eigentlichen Bestimmung übergeben wird, oftmals ein Großteil der Kosten an, die es in seinem Lebenslauf verursacht. Ähnlich verhält es sich mit den Umweltwirkungen, so fallen z. B. bei einem Auto ca. 85% seines Energieverbrauches während der Nutzungsphase an. Doch wie schon angesprochen beginnt mit der Leistungserstellung in dieser Phase auch die eigentliche Wertschöpfung des Produktes, die zu Erträgen für das Unternehmen führt. Diese müssen innerhalb des Nutzungszeitraumes so hoch sein, dass sich die Anschaffung des Produkts für den Käufer lohnt. Gerade in ökonomischer Sicht bestimmt die Gebrauchsphase daher entscheidend den Erfolg eines Produktes.
4.4.2.3 Recycling Während der Nutzungsphase wird das Produkt gebzw. verbraucht, was zusätzlich zu Alterungserscheinungen und damit zu einem Verschleiß des Produktes führt. Ab einem gewissen Verschleißgrad kann das Produkt, z. B. die Werkzeugmaschine, nicht mehr in der Produktion eingesetzt werden. Die Gründe für eine solche „Ausmusterung“ sind vielfältig. Häufig handelt es sich um technische oder wirtschaftliche Erwä-
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
263
Fertigung, Montage, Installation Fertigungszentrum
Bis zu 20 1)
1-2 30 Stunden 2)
PKW
2-3
8 -9
Waschmaschine
7 - 10
PC
3 -5 Jahre 5 Entwicklung
10 Fertigung
15
20 Gebrauch
1)
abhängig von Reparatur und Upgrade-Möglichkeiten
2)
bei geringer vertikaler Fertigung
Abb. 4.42 Nutzungsdauern von Produkten
gungen, wenn zum Beispiel die Maschine die geforderten Genauigkeiten nicht mehr erreichen kann bzw. neue Maschinen ein Bauteil günstiger fertigen können oder die Maschine beschädigt wurde. Es kann sich bei diesen Gründen aber auch um geänderte Anforderungen aus dem Arbeitsrecht (Ergonomie, Arbeitssicherheit, usw.) oder andere Erwägungen, wie z. B. Veränderungen im Produktprogramm des Unternehmens, handeln. Das Produkt geht in die Recycling-Phase über. In dieser Phase würde im optimalen Fall die Produktion umgekehrt, d. h. die Schritte in der entgegengesetzten Reihenfolge ablaufen, weshalb in diesem Zusammengang der Begriff der „Deproduktion“ geprägt wurde. Allerdings gibt es für bestimmte Fertigungsverfahren (Schweißen, Kleben, etc.) keine zerstörungsfreie Umkehrung, so dass es in der Praxis nur zu einer unvollständigen Deproduktion kommt. Wie schon in Abb. 4.40 gezeigt, wird beim Recycling (ähnlich wie in der Produktion) in Schritten vorgegangen, die kurz beschrieben werden sollen. Im ersten Schritt, der Demontage, wird das Produkt so demontiert, dass noch funktionsfähige Baugruppen entnommen werden können, die zur Reparatur oder sogar für neue Produkte zur Verfügung stehen. Ein Beispiel hierfür wäre ein Austauschmotor aus einem Unfallwagen. Die Wiederherstellung als zweiter Schritt entspricht der Teilefertigung in der Herstellungsphase. Hierbei werden noch funktionsfähige Bauteile (oder Kompo-
nenten) eventuell nach einer Aufarbeitung wieder für die Herstellung von neuen Produkten verwendet. Im letzten Schritt, der Aufarbeitung, wird das Material der verbleibenden Produktteile der Grundstoffverarbeitung zugeführt, soweit dies möglich ist, denn nichtrecyclebare Reste müssen als Abfälle entsorgt werden. Ziel des Recyclings ist es, bei der Zerlegung des Produkts, möglichst Komponenten mit einem hohen Wertschöpfungsanteil zu gewinnen, die dann in denselben oder anderen Produkten in einen neuen Lebenslauf übernommen werden können. Begrifflich wird hierbei nach der Art der Recycling-Technologie (Verfahrenstechnik oder Fertigungstechnik) und nach der Art des Wiedereinsatzes (in einem gleichartigen Produkt oder in einer anderen Anwendung) unterschieden. Für das Beispiel des oben genannten Motors bedeutet das: Wiederverwendung: Der Motor wird aufgearbeitet (d. h. fertigungstechnisch verbessert) um wieder in einem Fahrzeug eingesetzt zu werden. Weiterverwendung: Der Motor wird zwar auch aufgearbeitet, aber dann in einer anderen Anwendung, z. B. einem Notstromaggregat, eingesetzt. Weiterverwertung: Der Motor wird aufbereitet (d. h. verfahrenstechnisch in seine Grundstoffe zerlegt), z. B. eingeschmolzen, um aus dem Rohmaterial neue Motoren zu gießen. Wiederverwertung: Der Motor wird aufbereitet, aber es werden andere Bauteile aus dem Rohmaterial hergestellt.
264
Um mit dem Recycling einen möglichst hohen Beitrag an Wertschöpfung zu erzielen, sollten möglichst Wieder – bzw. Weiterverwendung angestrebt werden, weil dabei die Wertschöpfung, die bereits in das Bauteil oder die Baugruppe eingeflossen ist, erhalten bleibt. Bei der Verwertung dagegen werden mit der Zerstörung des Materialzusammenhalts und damit der geometrischen Eigenschaften im verfahrenstechnischen Prozess die Aufwendungen der Bauteilfertigung zunichte gemacht. Bei der Art des Wiedereinsatzes zeigt sich, dass häufig bei Weiterverwendung oder -verwertung die höheren Gewinne erzielt werden können, da ein Einsatz in einem anderen Produkt häufig mit Degenerationserscheinungen im Bauteil oder Material zusammenhängen, so dass nur noch ein Einsatz in einem – vom technologisch Standpunkt aus – minderwertigeren Produkt möglich ist.
4.4.3 Life-Time-Management Um eine ganzheitliche Sicht auf all diese Phasen eines Produkts zu erhalten, wurde die Idee des Life-CycleManagement entwickelt. In Abb. 4.43 sind die Struktur und die Teilgebiete des Life-Cycle-Managements dargestellt. Diese sind gegliedert in die Kernaufgaben entlang der Lebenslaufphasen Herstellung (Design for Life Cycle – DfL), Nutzung (Life-TimeManagement – LTM) und Recycling (Product-CycleManagement – PCM) sowie in Querschnittsaufgaben, die eine Quantifizierung des gesamten Lebenslauferfolgs in ökonomischer (Life Cycle Costing – LCC) und ökologischer (Life Cycle Assessment – LCA) Hinsicht möglich machen. Die Datenbereitstellung für alle Teilgebiete wird durch eine lebenslaufbegleitende Informationsbereitstellung (Life Cycle Information Support – LCIS) sichergestellt (s. Abschn. 4.1) Von diesen Teilgebieten soll im Folgenden das Life-Time-Management näher behandelt werden. Wie schon in der Einleitung angesprochen, haben die Gebrauchseigenschaften des Produkts einen entscheidenden Einfluss auf den Lebenslauferfolg. Aufgabe des Life-Time-Managements (LTM) ist es in diesem Zusammenhang, Strategien und Methoden zu entwickeln, die die Rentabilität des Produktes in der Nutzungsphase steigern, d. h. durch die Erschließung neuer Wertschöpfungspotenziale die Erträge erhöhen und
4 Management des Produktlebenslaufs
Lebenslaufphasen OrganisatoTechrischer nischer Einfluss Einfluss Herstellung Design for LC Nutzung Life Time Management
Lebenslaufbewertung Ökonomisch
Ökologisch
L C C
L C A
Recycling Design for Recycling
Life Cycle Information Support Abb. 4.43 Struktur des Life Cycle Management
wenn möglich, die Kosten senken. Dies wird erreicht, indem die Produkteigenschaften optimal an die Erfordernisse der Nutzungsphase angepasst werden. Obwohl das Life-Time-Management prinzipiell für alle Arten von technischen Produkten anwendbar ist, liegt der Betrachtungsfokus primär auf Investitionsgütern, z. B. Produktionsanlagen. Bei anderen Gütern, deren Nutzungsdauer kurz und die Kosten des Gebrauchs i. d. R. klein gegenüber den Herstellkosten sind, bietet sich für eine deutliche Verbesserung des Lebenslauferfolgs kaum Potenzial. Die Ansätze des LTM können dabei formal unterteilt werden in technologische und organisatorische Konzepte, wobei häufig Änderungen in der Organisation erst durch den Einsatz neuer Technologien möglich werden. Im Folgenden sollen am Beispiel von Produktionssystemen solche Entwicklungstreiber dargestellt werden. Die Hersteller von Produktionssystemen mussten in den letzten Jahren einer Vielzahl von neuen Anforderungen und sich ändernden Rahmenbedingungen gerecht werden. Die Forderungen der Kunden hinsichtlich neuer leistungsfähiger Produktionssysteme mit hoher Produktivität, Verfügbarkeit, Flexibilität und Prozesssicherheit bei geringem Preis konnte nur durch die zunehmende Integration von Elektronik und intelligenter Software erfüllt werden. Die dabei steigende Komplexität der Maschinen verursacht jedoch ein vermehrtes Auftreten von Störungen, deren Ursachen oftmals vom Anwender nicht mehr erkannt werden können, was zu langen Ausfallzeiten führt. Systeme mit
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
technischer Intelligenz, die sich in gewissem Rahmen an ihre Umgebung anpassen können, können hier die Komplexität für den Anlagenbetreiber reduzieren und damit die Transparenz und Verfügbarkeit nachhaltig erhöhen. Neben diesen, an der Leistungsfähigkeit der einzelnen Anlage orientierten Entwicklungen, bietet die Anbindung der Systeme an leistungsfähige Kommunikationsnetze Möglichkeiten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren und deren Potenzial erst langsam erkannt und genutzt wird. Das Produzieren in verteilten Fertigungseinrichtungen überall in der Welt erfordert die dezentrale Bereitstellung von Wissen und Kenntnissen innerhalb kürzester Zeit, um eine gleich bleibend hohe Anlagenverfügbarkeit zu gewährleisten. Eine Möglichkeit dazu liegt z. B. im Anbieten elektronischer Dienstleistungen für die verkauften Maschinen, d. h. der Anbindung der Maschinen an ein Kommunikationsnetz, z. B. das Internet. Dabei müssen die Maschinen schon von Anfang an für diesen Dienst vorbereitet sein (Design for Teleservice), wobei aber für ein optimales Ergebnis neben der rein technischen Unterstützung auch die Unterstützung in organisatorischer Hinsicht (Instandhaltungsplanung, Ersatzteilverwaltung, etc.) berücksichtigt werden muss. In diesem Zusammenhang ist für die Zukunft aufgrund der zunehmenden Globalisierung der Beschaffungs- bzw. Absatzmärkte eine verteilte Produktionsstruktur zu erwarten. In dieser verteilten Produktionsstruktur werden sich dabei neben globalen Zulieferer-Abnehmerbeziehungen im Rahmen von Produktionsnetzwerken auch globale, interaktive Beziehungen zwischen Herstellern und Betreibern von Produktionssystemen entwickeln. Diese Beziehungen zwischen den Herstellern und Betreibern ermöglichen dem Hersteller in Abstimmung mit dem Betreiber zu jeder Zeit, Informationen über den aktuellen Status der Produktionssysteme zu erhalten, unabhängig davon, wo auf der Welt sich die Produktionssysteme befinden.
4.4.3.1 Ansätze für Mehrwertschöpfung Mit Hilfe dieser Technologien und Konzepte ist es möglich, einen höheren Nutzen für den Anwender zu erzielen. Dabei können die Nutzenkriterien zwischen den Anwendern durchaus variieren: Im Fal-
265
le eines Produktionssystems könnten solche Kriterien z. B. die Erhöhung der Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit, die Steigerung der Auslastung, eine Einsparung von Rüstzeiten und -kosten, die Reduzierung von Instandhaltungs- bzw. Betriebskosten oder eine Verbesserung der Flexibilität sein. Durch die Erfüllung dieser Kriterien ergibt sich ein messbarer Zusatznutzen für den Betreiber des Produktionssystems, der als „Mehrwert“ bezeichnet wird. Um einen solchen Mehrwerts zu generieren, gibt es prinzipiell zwei Strategien: Ausweitung des Systemumfangs: Dieser Ansatz erweitert die Funktionalität eines gegebenen Produkts hin zu einer integrierten Systemlösung. Ein Beispiel sind Hersteller von Linearführungen, die von diesem Ausgangspunkt ihr Geschäftsgebiet um Lineardirektantriebe erweitert haben. Durch Veränderungen innerhalb des Automobilzuliefererbereichs wurden Hersteller von Einzelteilen zu Komponentenverantwortlichen. Für den Kunden haben diese Entwicklungen den Vorteil und damit den Mehrwert, dass er einen Systemlieferanten als Partner hat, der ihm gegenüber für die Funktionserfüllung verantwortlich ist. Mehrwertschöpfung im Produktlebenslauf: Neben der Erhöhung des Systemumfangs kann auch durch die Unterstützung des Kunden im Produktlebenslauf ein Mehrwert generiert werden. Diese sog. „Mehrwertdienste“ werden zusammen mit dem technischen Produkt in einem Leistungsbündel angeboten und sollen die jeweils optimale Verwendung des Produktes im entsprechenden Anwendungsfall sicherstellen, indem sie in den Lebenslaufphasen eine Unterstützung des Anwenders ermöglichen. Beispiele für solche Mehrwertdienste sind im Bereich der Inbetriebnahme Schulungen bzw. Unterstützung beim Serienanlauf, im Betrieb Logistikdienste oder Prozessoptimierungen („Prozesstuning“) und im Servicefall Diagnosedienste bzw. Teleservice (Abb. 4.44). Damit kann der Anbieter solcher Mehrwertdienste, bei dem es sich häufig um den Hersteller des Systems handelt, selbst mehr Wertschöpfung und damit Gewinn erwirtschaften, was in Zeiten sinkender Umsatzrenditen einen entscheidenden Einfluss erhält. Darüber hinaus kann sich der Hersteller über sein Dienstleistungsangebot im Wettbewerb differenzieren und über integrierte Systemlösungen eine „Rundumbetreuung“ und damit eine starke Kundenbindung an das Unternehmen erreichen.
266
4 Management des Produktlebenslaufs
Mehrwert
Mehrwert-dienste
Entwicklung & Herstellung
Inbetriebnahme Inbetriebnahme
Betrieb
Veränderung nderung
• Spezifikations-& Zertifizierungsdienste • Animation, Visualisierung • Planung, Simulation • Integration Subsysteme
• Montage, Anschluss • Einfahren, Serienanlauf • Schulung, Ausbildung • Fehlerbeseitigung
• Telebetrieb, --consulting • Logistikdienste • Umrüstplanung • Optimierung, Tuning
• Rekonfiguration • Gebrauchtkomponentenmanagement • Demontage, Re-Use • Wiederaufbereitung
• Senken Entwicklungsund Herstellkosten • Verkürzen der Produktentstehungszeit • Verbesserung der Produktqualität
• Verkürzen der Inbetriebnahmezeit • Vorziehen und Beschleunigen des Lernens • Sichern der Prozessfähigkeit
• Verbessern der Prozessbeherrschung • Verkürzen nicht produktiver Zeiten • Senken der Betriebskosten
• Verkürzen der Rekonfigurationszeiten • Verlängern der Nutzungsdauer • Verringern des Investitionsbedarfs
Abb. 4.44 Beispiele für Mehrwertdienste im Lebenszyklus eines Produktionssystems
4.4.4 Betreibermodelle Fasst man nun beide vorgestellten Ansätze zusammen, so kommt man zu einer noch weit reichenderen Strategie der Mehrwertschöpfung: Produkte (z. B. Produktionsmaschinen) bleiben in ihrem gesamten Lebenslauf im Besitz des Herstellers, so dass dieser die Möglichkeit hat, den Gewinn des Produktes über dessen ganzen Lebenslauf zu optimieren. Diese Veränderungen führen zu den sog. Betreibermodellen, bei denen der Hersteller seinem Kunden nicht mehr die Maschine verkauft, sondern die Dienstleistung, deren Träger die Maschine ist. Der Kunde kauft also z. B. nicht die Fräsmaschine, sondern bezahlt nur noch die fehlerfrei produzierten Teile. Die Steuerung und Optimierung der Maschine erfolgt hierbei über eine Verbindung der Maschine zu einem Expertenpool des Herstellers, in dem das gesamte Know-how um Maschine und technologische Prozesse konzentriert ist. Das angebotene bzw. verkaufte Produkt verändert sich vom „greifbaren“ Produkt hin zur Dienstleistung. Durch die Optimierung des Gesamtlebenslauferfolges und durch Lerneffekte in den Produktionsnetzwerken entsteht so ein erhebliches Wertschöpfungspotenzial, das als Gewinn auf die beteiligten Partner verteilt werden kann. Zusätzlich ergeben sich für den Kunden weitere Vorteile. Es kann eine erhebliche Komplexitätsabnahme in der Produktion beobachtet werden, da Schwierigkeiten bei der Einführung oder im Umgang mit neuen Technologien entfallen. Der Kunde profitiert sowohl von verkürzten Produktionsentstehungs-
zeiten als auch von verkürzten Produktentstehungszeiten, die i. d. R. mit einem Technologiewechsel einhergehen. So kann eine hohe Produktivität genauso wie ein hohes Maß an Flexibilität erreicht werden. Außerdem verringert sich der Investitionsbedarfs des Kunden beträchtlich, da die Maschine in der Bilanz des Herstellers verbleibt. Der Kunde hat nur noch den logistischen und keinen technologischen Aufwand mehr. Dieser wird ihm komplett vom Hersteller der Maschine abgenommen. Dadurch ist es dem Kunden möglich, eigene teure Facharbeitskräfte einzusparen. Doch nicht nur für den Kunden, auch für den Betreiber bzw. Hersteller des Systems haben Betreibermodelle Vorteile. Der Hersteller kann seine Kosten senken, da durch ein weltweites Netzwerk mehr und detaillierteres Wissen über die Maschine und die damit auftretenden Probleme vorliegt. Damit ist eine effizientere und schnellere Fehlerdiagnose und -behebung möglich. Permanentes Upgrading führt dazu, dass die Maschine länger nutzbar ist. Als Voraussetzung jedoch muss eine Upgradefähigkeit sowohl für Soft- als auch Hardware erfüllt sein. Außerdem ist von Vorteil, dass der Hersteller auf einen Maschinenpool zurückgreifen kann. So müssen nicht in zwingender Weise neue Maschinen produziert werden, vielmehr nimmt der Hersteller einem Kunden eine alte Maschine im Tausch gegen eine neue zurück und setzt die alte, gegebenenfalls nach einer Überarbeitung, bei einem anderen Kunden wieder ein (z. B.: Xerox-Kopierer). Bei den Aufträgen ist deshalb eine Unterteilung in Lowtech und Hightech, d. h. Massenfertigung und
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
Präzisionsteilefertigung sinnvoll. Dies ermöglicht den Einsatz von „alten“, d. h. gebrauchten und (fabrik-) neuen Maschinen. Weiterhin ist bei dieser Konstellation für den Hersteller von Vorteil, dass in die Entwicklung einer neuen Maschine das Wissen aus der Anwendung einer alten Maschine direkt einfließen kann, da gewisse Anwendungsprobleme bekannt sind und Zugang zu den entscheidenden Daten möglich ist. Dies führt im Laufe der Zeit zu geringerem Entwicklungsaufwand bei der Prozessoptimierung bzw. allgemein zu hochwertigeren Produkten. Durch diese neuen Ansätze werden neue Formen der Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller von technischen Produkten und Anbietern von Mehrwertdiensten ermöglicht. Abbildung 4.45 stellt grundlegende Konzepte einer solchen Kooperation und ihre Auswirkungen auf den Kompetenzbedarf der Partner dar. Hierbei ist zu beachten, dass die Verfügbarkeit von Kompetenzen Ressourcen des Unternehmens bindet und daher nur in Kernkompetenzbereichen sinnvoll ist. Entschließt sich ein Unternehmen die Produktionsanlage zu kaufen und selbst zu betreiben, ist der Kompetenzbedarf der Produktion im Unternehmen am größten. Angefangen von der Bedarfs-, Mengenund Terminplanung über die Beschaffung bis hin zum Prozess- und Maschinenwissen, obliegt alles dem Kunden selbst. Er übernimmt in diesem Fall die Produktion vollständig eigenverantwortlich. Kompetenzverteilung in der Produktion
267
Geht man nun dazu über, zusätzlich Dienstleistungen, z. B. in Form von Reparaturen oder Wartungsverträgen in Anspruch zu nehmen, so entfällt zumindest die Notwendigkeit, spezielles Know-how im Unternehmen in Form von teuren Facharbeitskräften zu binden. In einem weiteren Schritt geht man dazu über, eine prozessnahe Technologieberatung in Anspruch zu nehmen, z. B. für die Auswahl von Werkzeugen und Fertigungsparametern. Dabei muss allerdings noch eine gewisse Prozesskompetenz beim Kunden vorhanden sein, da es sich hierbei „nur“ um eine Beratungsleistung handelt und im Falle eines Fehlers der Technologieberater oder Servicefachmann i. d. R. nicht dafür verantwortlich gemacht wird. Diese Verantwortlichkeitsverteilung ändert sich bei Betreibermodellen. Grundsätzlich gibt es auch hier verschiedene organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten, bei dem Kunde und Betreiber aus einer Bandbreite von Leistungsangeboten das jeweils passende auswählen. Eine Möglichkeit kann wie folgt aussehen: Beim partiellen Betreibermodell gibt der Kunde nur noch an, was, bis wann, in welcher Menge herzustellen ist und kümmert sich nur noch um die Beschaffung der Materialien (die Werkzeuge stellt der Betreiber zur Verfügung). Beim vollständigen Betreibermodell kann sogar letzteres entfallen. In diesem Fall sind nur Rahmenvorgaben über Art, Menge, Termine und Qualitätsgüte der Produkte vorzugeben;
Interne („Inhouse“) Produktion
Maschinenspezifisches Wissen
Externe Produktion
Kompetenzübernahme des Anbieters Anbietersvon vonMWD MWD
Produktionsspezifisches Wissen
Kompetenz-Kompetenz bedarf bedarfdes des Kunden Kunden
Beschaffungslogistik
Inanspruchnahme von MWD
Bedarfs-, Mengenund TerminplanungVollständiger Eigenbetrieb
Einkauf von Service-Dienstleistungen
Prozessnahe TechnologieBeratung
Partielle Betreibermodelle
Vollständige Betreibermodelle
Fremdbezug
Abb. 4.45 Kompetenzverteilung zwischen Kunde und Hersteller in der Produktion
268
die eigentliche Produktion und ihre Beschaffung geht in den Verantwortungsbereich des Betreibers über. In einem solchen Fall sind die Unterschiede zwischen Outsourcing und Betreibermodellen nicht eindeutig ersichtlich. Diese liegen in den unterschiedlichen Orten der Produktionsstätten. Bei der Fremdvergabe wird extern produziert und zum Kunden geliefert. Informationen über die Produktionsmittel und -verfahren liegen dem Kunden nicht vor, so dass er i. d. R. keinen direkten Einfluss darauf ausüben kann. Lieferverzug und damit größer werdende Durchlaufzeiten sind externe Risikofaktoren, gegen die sich der Kunde (sofern er nicht ein Großabnehmer ist, wie z. B. die Automobilindustrie) normalerweise nicht schützen kann. Dieses Problem wird beim Betreibermodell ein Stück weit abgeschwächt. Hier erfolgt die Produktion direkt vor Ort, unter eigener Aufsicht des Kunden. Bis auf Mengen- und Terminvorgaben ist der Betreiber für die Produktion verantwortlich; der Kunde kann den Fertigungsablauf vor Ort mitverfolgen und steuern. Dies ermöglicht ihm, durchgängige Fließprinzipien zu etablieren und damit eine Verkürzung der Durchlaufzeiten zu erreichen.
4.4.5 E-Services in der Produktion Wie bereits angesprochen existieren neben diesen organisatorischen auch technische Ansätze für neue Produktnutzungskonzepte. So können elektronische Dienstleistungen im Umfeld einer Maschine oder Anlage den Nutzwert für den Kunden vergrößern. In der Praxis werden Dienstleistungen, bei denen ein Fernzugriff auf die Maschine stattfindet als Teleservice oder E-Service bezeichnet. So werden z. B. Hotlines i. d. R. nicht zum Teleservice gerechnet, obwohl dem Kunden aus der Ferne ein Service zur Verfügung gestellt wird. Es findet jedoch kein Zugriff auf die Anlage statt, was insbesondere bei komplexen Produktionssystemen keinen ausreichenden Service mehr darstellt, z. B. wenn es sich um die Lösung von Softwarefehlern handelt. Dementsprechend beschreibt der VDMA Teleservice als einen „Sammelbegriff für Dienstleistungen mit dem Ziel, aus der Ferne mittels informationstechnischen Technologien Arbeiten und Aktionen an Maschinen oder Anlagen zu unterstützen oder durchzuführen. Durch diese Dienstleistung kann die Produk-
4 Management des Produktlebenslaufs
tivität (Verfügbarkeit und Qualität) der betreuten Anlagen sichergestellt oder verbessert werden und stellt somit einen Mehrwert für den Kunden in allen Phasen des Produktlebenszyklus dar“. Als Anwendungsfelder für Teleservice kommen vorwiegend die folgenden Bereiche in Betracht: • • • • • • • • •
Installation/Inbetriebnahme, Inspektion/Zustandsanalyse, Wartung, Diagnose/ Instandsetzung, Softwareupdates, Fernprogrammierung, Schulung, Prozessüberwachung und -optimierung, Überwachung/Alarmierung.
Teleservice wird heute bereits vielfach von Unternehmen eingesetzt. Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz ist neben der technischen Unterstützung aber auch die Berücksichtigung der organisatorischen Aspekte. Gerade in diesem Zusammenhang entwickeln sich heute plattformbasierte Lösungen sehr dynamisch, die konsequent Internet-Technologien und das Internet als Kommunikationsmedium nutzen und so proprietäre, herstellerspezifische Lösungen vermeiden. Um diese Plattformen gegenüber dem klassischen Teleservice abzugrenzen, der sich i. d. R. mit einer Zwei-PunktVerbindung auf die Maschine einwählt (z. B. Analog, ISDN), werden die plattformbasiert angebotenen Dienste häufig als E-Services bezeichnet. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um zumindest teilweise automatisierte Dienstleistungen handelt, bei denen die menschliche Diensterbringung zum Teil durch Softwaresysteme substituiert werden (z. B. Diagnose, zyklische Zustandsüberwachung). Es stellt sich nun die Frage, welche technischen Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit zusätzlich zu den Produkten Mehrwertdienste angeboten und verwirklicht werden können.
4.4.5.1 Technische Voraussetzungen Grundsätzlich müssen die Maschinen, Werkzeuge und Komponenten so aufgebaut sein, dass eine Vernetzung überhaupt möglich ist. Dies setzt eine frühzeitige Einplanung der geforderten Dienste in die Konstruktion voraus. Man spricht dabei vom Design for Teleservice.
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
Diese neuen „Konstruktionsrichtlinien“ beschränken sich jedoch nicht allein auf die Bereitstellung einer Verbindung zwischen der Maschinensteuerung und einem entfernten Arbeitsplatz. Um neben der Steuerungsanbindung auch Informationen über technische und technologische Parameter der auf der Maschine ablaufenden (Fertigungs-)Prozesse abrufen zu können, ist prozessorientierte Sensorik (und gegebenenfalls Aktorik) erforderlich. Dabei sollte beachtet werden, dass diese Systeme bereits frühzeitig eingeplant und eingebaut werden sollten, da der Einbau im Nachhinein zu hohen Umrüstkosten führt, falls dies technisch überhaupt noch möglich ist. So werden die Maschinen mit intelligenten, vernetzten Systemen ausgestattet, die mittels Sensorik während des Prozesses für den Anwender Informationen erfassen, verdichten, übertragen und damit die Maschine sowie den ablaufenden Prozess transparenter machen. Damit eine Maschine auch zukünftigen Anforderungsprofilen gerecht werden kann, sollte sie sowohl in Hard- als auch in Software upgradefähig sein, was bereits während der Konzeptionsphase berücksichtigt werden muss. Für die Übertragung von Daten zwischen der Maschine und dem Tele-Arbeitsplatz gibt es verschiedene Ansätze. Der Datenaustausch zwischen verschiedenen Teilnehmern kann prinzipiell als Punktzu-Punkt-Verbindung oder im Netzwerk stattfinden, wobei letzteres durch die Verbreitung des Internets heute den Regelfall darstellt. Als Kommunikationstechnologien kommen hierfür derzeit am häufigsten die folgenden Technologien zum Einsatz: • • • • •
Analoge Telefonnetze, Digitale (Telefon-) Netze (ISDN, DSL), Mobile (Telefon-) Netze (GSM, GPRS, UMTS), Satellitenverbindungen, Drahtgebundene und drahtlose lokale Netze (Ethernet, wireless LAN), • Internet. Diese Technologien unterscheiden sich hinsichtlich Verfügbarkeit, Reichweite, den Investitions- und laufenden Kosten sowie der Übertragungsgeschwindigkeit, wobei jedoch die rasante Weiterentwicklung der Telekommunikationstechnologien die Einsatzbereiche und -grenzen kontinuierlich verändert. Gerade beim Einsatz des Internets müssen jedoch die Sicherheitsrisiken durch geeignete technische Maßnahmen mini-
269
miert werden (Zugangssicherungen, Virenschutz, Verschlüsselungen, etc.)
4.4.5.2 Organisation und Wirtschaftlichkeit Während der Entwicklung von Teleservice stand zunächst die technische Realisierbarkeit (Sicherheit, Kommunikationstechnologie) im Vordergrund. Da diese Problematik durch den Einsatz von InternetStandards bereits weitgehend gelöst ist, stellen sich nun vermehrt Fragen nach der organisatorischen Gestaltung und Einbindung von Teleservice in die beteiligten Unternehmensprozesse, sowie dem KostenNutzen-Verhältnis für die beteiligten Partner. So zeigen Untersuchungen, dass derzeit die wichtigsten Problemfelder des Teleservice in der mangelnden oder unklaren Wirtschaftlichkeit (68%), in rechtlichen Aspekten (Haftung 61%, Vertragsgestaltung 53%) sowie der strategischen und organisatorischen Eingliederung in die Geschäftsprozesse des Unternehmens (Strategischer Nutzen 55%, Organisatorische Integration 53%) liegen. Im Folgenden sollen daher die Felder Organisation, Wirtschaftlichkeit und rechtliche Fragen näher beleuchtet werden.
Organisation Wie bei allen Aspekten des Teleservice müssen auch bei der Organisation beide Seiten, d. h. TeleserviceAnbieter und -Kunde berücksichtigt werden. Da die Organisationsprozesse beider beteiligter Unternehmen bei der Dienstleistungsausführung zusammentreffen, ist eine geeignete Abstimmung der beteiligten Abläufe, Mitarbeiter und IT-Systeme erforderlich. Für die Koordination der Mitarbeiter und der Abläufe liegen zumeist bereits etablierte Formen der Zusammenarbeit vor, z. B. für die konventionelle VorOrt-Betreuung der Anlagen im Rahmen der Gewährleistung. Hier sind es vor allem die Anforderungen hinsichtlich kontinuierlicher Erreichbarkeit (24/7) und dem Aufbau einer kompetenten Service-Mannschaft, die zu erfüllen sind. Ein großes Problem stellen derzeit jedoch Inkompatibilitäten zwischen den verwendeten IT-Systemen dar. So behindern inkompatible, herstellerspezifische Systeme den kontinuierlichen Informationsfluss zwi-
270
Wirtschaftlichkeit Ähnlich wie bei den organisatorischen Aspekten wird die wirtschaftliche Bewertung von Teleservice durch die gegenseitigen Abhängigkeiten der beteiligten Partner erschwert. Dies zeigt sich in Abb. 4.46, in der
Hersteller Hersteller Erl öse durch Erlöse durch EE-Dienste -Dienste (z.B. durch durchNutzungsentgelte) Nutzungsentgelte)
Erlöse Erl öse
Kosten Kosten
Gewinn Gewinn
Kostenreduktiondurch Kostenreduktion durchverringerte verringerte Servicekosten Servicekosten (insb. ährend der Gew ährleistung) (insb. w während Gewährleistung) Kosten ffür Kosten ür das Anbieten Anbietenvon vonE Dienste E-Dienste • Einführung Einf ührung Aufwandpro proMaschine Maschine • Aufwand („Design forTeleservice“) („Design for Teleservice “) Aufwandpro proNutzung Nutzung • Aufwand
Gewinn im Gewinn imServicegesch Servicegeschäft äft
Betreiber Betreiber
Transferleistungen
schen den Unternehmen und deren einzelnen Abteilungen. Eine aktuelle Tendenz des Teleservice zielt daher auf die Nutzung gemeinsamer Serviceplattformen. Diese dienen dem internetbasierten Informationsaustausch aller Beteiligten über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage. Konstruktion/Entwicklung, Montage, Inbetriebnahme, Kunde, Servicetechniker, Kundeninnendienst oder andere Berechtigte finden hier alle Informationen, die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlich sind. Je nach Berechtigung können die Nutzer Informationen einstellen, ändern oder lesen. So bieten Serviceplattformen z. B. den Servicetechnikern Informationen zur Anlagenhistorie, zur Fehlerdiagnose, zur Ersatzteilidentifikation und Anweisungen zur Beseitigung von Störfällen. Gemeinsamkeit aller Serviceplattformen ist dabei das Outsourcing der technischen Realisierung an einen IT-Dienstleister, der als Mittler zwischen den in Teleservice-Prozesse involvierten Unternehmen und Personen tritt. Unterschiede bestehen jedoch im Bereich bzw. Umfang der Unterstützung, wobei hier drei Bereiche ausgemacht werden können. Der erste Bereich bezieht sich auf die Geschäftsprozesse im Umfeld des Teleservicees, d. h. auf die organisatorische Abwicklung (Workflow-Management), der zweite auf die Informationen und Dokumente im Lebenslauf des betrachteten Objekts (Handbücher, Konfigurationszustand, Systemhistorie, etc.) und der dritte schließlich auf den aktuellen Zustand der Anlage, der über die Online-Verbindung mit der Maschinensteuerung ermittelt wird. Beim Einsatz von Serviceplattformen steht neben der Auslagerung der IT-Systeme auch der Gedanke im Vordergrund, erweiterte Dienstleistungen anzubieten, die spezialisierte Unternehmen (plattformbasiert) wesentlich effektiver anbieten können. Ein Beispiel hierfür sind zustandsabhängige Dienstleistungen (Condition Monitoring), mit denen eine Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit und die Vermeidung ungeplanter Stillstände möglich werden.
4 Management des Produktlebenslaufs
Erlöse durch E-Dienste (z.B. durch Erhöhung der Verfügbarkeit)
Kosten durch Kosten durchdie dieNutzung Nutzungvon vonE Dienste E-Dienste • Einführung Einf ührung • Aufwand proMaschine Maschine Aufwand pro • Aufwand proNutzung Nutzung Aufwand pro
Gewinn im Gewinn imBetrieb Betriebdes desSystems/ Systems/ Verringerung ückkosten Verringerungder derStStückkosten
Abb. 4.46 Kosten und Erlöse von E-Services
die Kosten- und Erlösblöcke im Teleservice für zwei beteiligte Unternehmen – hier Hersteller und Anwender – dargestellt sind. Für beide fallen durch Teleservice Kosten an, aber auf der anderen Seite entstehen auch Nutzen- bzw. Erlöseffekte. Während die Kosten für Teleservice auf beiden Seiten i. d. R. relativ einfach zu beziffern sind (Entwicklungsaufwand, Investitionen, laufende Kosten, etc.), stellt sich die Bewertung der Erlöse häufig schwieriger dar. Zunächst sollen hier die Erlöse des Herstellers betrachtet werden. Sie entstehen vor allem durch EinsparungenBeispiele für Mehrwertdienste im Lebenszyklus eines Produktionssystems während der Inbetriebnahme bzw. Garantiezeit (Verringerte Reisetätigkeit, weniger Personalaufwand, etc.) und durch die Nutzungsentgelte („Preis“ des Teleservice) des Anwenders. Gerade bei diesen Einsparungen zeigt sich die Schwierigkeit in der wirtschaftlichen Bewertung von Teleservice: das Kalkulieren mit unbekannten, zufälligen Ereignissen. So kann z. B. das Ausfallverhalten von Komponenten nicht so exakt vorausgesagt werden, dass eine sichere Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsrechnung abgeleitet werden könnte. Dennoch können hier Erfahrungswerte und Schätzungen eine gute Annäherung an die zu erwartenden Einsparungen bilden. Generell zeigt sich, dass das Risiko einer Fehleinschätzung zu Beginn der Einführung von Teleservice am höchsten ist und dann mit den Erfahrungen stetig sinkt. Die Erlöse des Anwenders ergeben sich – ähnlich wie beim Hersteller – durch Einsparungen während der Inbetriebnahme und des Betriebs der Anlage, z. B. durch die Verkürzung von Prozess- bzw. Ausfallzeiten, der Erhöhung von Qualität, Prozessfähigkeit
4.4 Neue Produktnutzungskonzepte und Tele-Technologien
und Produktivität oder geringeren Bedarf an Produktionsressourcen. Damit der Einsatz von Teleservice für den Anwender gewinnbringend ist, müssen diese Erlöse höher sein als die aufgewendeten Kosten. Hier zeigt sich die Vernetzung der beiden Wirtschaftlichkeitsrechnungen am deutlichsten: Um selbst hohe Erlöse (durch die Nutzungsentgelte) erzielen zu können, muss der Anbieter von Teleservice den Nutzen seines Kunden klar formulieren können. Insgesamt muss die Bilanz für beide Partner positiv sein, denn nur dann kommt eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit zustande, wobei die erforderliche kostenmäßige Transparenz in der Abrechnung der in Anspruch genommenen Dienste stets vorhanden sein sollte.
Rechtliche Fragen Wie bereits angesprochen ist die verbindliche Festlegung der Rechte und Pflichten der beteiligten Vertragspartner ein wichtiger Faktor für den langfristig erfolgreichen Einsatz von Teleservice, wobei insbesondere die Bereiche Datenschutz, Zugriffsregelungen, Dienstverfügbarkeit (sog. Service-Level-Agreements) und Haftung geklärt werden müssen. Hierfür hat der VDMA einen Leitfaden zur Gestaltung von Teleservice-Verträgen geschaffen, der als Basis für eine solche Übereinkunft dienen kann. Da sich jedoch nicht alle möglichen Fälle in einem solchen Vertrag festhalten lassen, sollte ein generelles Vertrauensverhältnis zwischen beiden Parteien bereits vorhanden sein oder sich zumindest im Laufe der Zusammenarbeit bilden. Bedenkt man, dass es beim Teleservice zu einem Austausch vertraulicher Daten kommen kann, darf der Kunde keinerlei Bedenken hinsichtlich einer gewissen Abhängigkeit vom Anbieter haben oder eine Wissenserosion, d. h. den Verlust seiner Kernkompetenzen an Konkurrenten, befürchten.
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terogen. Zudem unterscheiden sich die Ausprägungen der einzelnen Dienstleistungsangebote je nach Hersteller. Sie reichen von der Hotline über verschiedene Ausprägungen des Teleservice bis hin zu umfangreichen Webportalen und E-Service-Plattformen. Mit den Serviceangeboten des Werkzeugmaschinenherstellers Deckel Maho Gildemeister soll einerseits die klassische Serviceerbringung durch den Hersteller aufgezeigt werden, während die Firma ePS Network andererseits mit ihrer Serviceplattform internetbasierte Dienste als spezialisierter Dienstleister (Application Service Provider) anbietet.
4.4.5.4 DMG-Netservice Unter der Bezeichnung DMG-Netservice bietet Deckel Maho Gildemeister (DMG) als Hersteller von Werkzeugmaschinen im Bereich Dreh- und Frästechnologie Teleservice-Leistungen an. Dabei handelt es sich um ISDN-basierte Service-Verbindungen zwischen DMG-Maschinen und den Servicemitarbeitern von DMG. Der Maschinenbetreiber benötigt dazu einen von DMG installierten und mit der Maschine verbundenen ISDN-Router sowie die entsprechende Zugangssoftware. Mehrere Maschinen eines Unternehmens können dabei intern vernetzt werden, so dass die Verbindung mit der DMG-Zentrale über einen gemeinsamen ISDN-Zugang erfolgen kann. Um die Kommunikation zu verbessern, kann außerdem eine netzwerkfähige Kamera einbezogen werden. Die von den DMG-Serviceexperten erbrachten Dienste umfassen die Unterstützung bei der Maschinenbedienung (Fernschulung), die Fernparametrisierung der Steuerung, Softwareupdates, die Fernprogrammierung, Ersatzteilidentifizierung und den Bereich Fehlerdiagnose sowie Fehlerbehebung.
4.4.5.5 ePS Network 4.4.5.3 Beispiele aktueller E-Service-Lösungen Nachdem in den vorausgegangenen Abschnitten die grundlegende Technik dargestellt wurde, sollen im Folgenden einige repräsentative E-Service-Lösungen präsentiert werden. Wie bereits angesprochen sind in diesem Bereich die Angebote sowohl in der Technik als auch in den angebotenen Dienstleistungen sehr he-
Die Firma ePS Network ist ein Application Service Provider (ASP) und entwickelt und vertreibt internetbasierte Automatisierungsdienstleistungen. Kunden wie Maschinenhersteller oder Betreiber von Werkzeugmaschinen können bei ePS einen Kundenaccount einrichten lassen und die angebotenen E-Dienste in Anspruch nehmen. CNC-Steuerungen, die so an das E-Dienste-System angeschlossen sind, können nun
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mit dem zentralen Server kommunizieren. Die verwendete Web-Architektur besteht auf der Seite des Maschinenbetreibers aus den Steuerungen der einzelnen Maschinen, die als Web-Client genutzt werden und über das Internet mit dem Server in Verbindung stehen. Dabei werden derzeit folgende Dienste angeboten: • Machine Services zur Unterstützung von Inbetriebnahme und Störungsanalyse im Servicefall, • Machine Performance zur Früherkennung von Verschleißteilen und Unterstützung des Wartungsprozesses, • Workpiece Services durch Echtzeiterfassung von Steuerungsdaten, • Data Services zur Archivierung und Verwaltung von Steuerungsdaten über das Web, • eShop als zentraler Marktplatz durch die Integration verschiedener Hersteller und deren eShops. Als Client kommen dabei auf der Seite des Anwenders sämtliche PC-kompatiblen Geräte in Frage auf denen ein Internet-Browser lauffähig ist. 4.4.5.6 EOS-Plattform Innerhalb des im Jahr 2004 abgeschlossenen Verbundprojekts „Embedded Online Services“ (EOS)
Abb. 4.47 Merkmale der EOS-Plattform
4 Management des Produktlebenslaufs
wurde eine Referenzarchitektur für fernerbrachte Dienstleistungen entwickelt, die gleichermaßen von Maschinenherstellern als auch von Maschinenbetreibern genutzt werden soll. Ziel war dabei die Schaffung von Online-Dienstleistungen unter konsequenter Nutzung von Internet-Technologien. Dadurch sollten die verschiedenen und zueinander inkompatiblen Teleservice-Lösungen der Maschinenhersteller durch einen neuen internetbasierten De-facto-Standard ersetzt werden. Die EOS-Plattform umfasst dabei neben der Softwarearchitektur und der Netzwerkinfrastruktur vor allem auch organisatorische Fragestellungen hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeiten und den speziellen Sicherheitsanforderungen bei der Nutzung des Internets. Die EOS-Dienste werden dem Anwender durch dezentrale Applikationsserver zur Verfügung gestellt (Abb. 4.47). Dabei bauen sie auf herstellerspezifischen Schnittstellen auf. Somit beschränkt sich der EOSStandard auf die Anbindung der EOS-Dienste an die in den Geräten installierten HTTP-Server sowie auf Besonderheiten der einzelnen Zugriffszenarien. Im Rahmen des EOS-Verbundprojektes wurden beispielhaft die folgenden Dienste realisiert: Bedienung, Ansicht/Pflege von Dokumentationen, Software-Updates, Schulung, Post-Mortal-Recherchen und Ferndiagnose.
4.5 Remanufacturing und Recycling
4.4.6 Zusammenfassung In diesem Beitrag sollte aufgezeigt werden, mit welchen Turbulenzen und Veränderungstreibern sich die Produktion der Zukunft auseinandersetzen muss. Traditionelle Produktionsstrukturen und -methoden sind den zukünftigen Bedingungen nicht mehr ausreichend gewachsen. Neue Produktnutzungskonzepte werden eine wichtige Alternative zur herkömmlichen Produktion bieten. Dabei spielen die neuen Produktionskonzepte sowohl im organisatorischen Umfeld (z. B. Betreibermodelle), als auch im technisch/technologischen Bereich (intelligente Systeme, web-fähige Service-Plattformen) eine große Rolle. Diese ermöglichen es dem Hersteller, neben einer Produkt-Differenzierung und nachhaltigen Kundenbindung, bisher noch nicht erschlossene Potenziale für Mehrwertschöpfung im Produkt-Lebenslauf zu nutzen. Es zeigt sich, dass künftig die „Service“Komponente in der Unternehmensstrategie ebenfalls beachtet werden muss, denn aufgrund der schwieriger werdenden technischen/technologischen Differenzierung wird der Fokus in Zukunft immer mehr auf dem Wettbewerbsfaktor „Service“ liegen.
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4.5 Remanufacturing und Recycling 4.5.1 Produktverantwortung gehört zum Selbstverständnis der produzierenden Wirtschaft Um die neue Herausforderung „Produktverantwortung bis zum Recycling“ zu bewältigen, gilt es, Experten und Führungskräfte sehr unterschiedlicher Fachrichtungen an einen Tisch zu bringen. In Europa und in Asien wurden gesetzliche Regelungen wirksam, die die Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus eines Produktes, einschließlich Rücknahme und Recycling, vollständig auf die Schultern der Hersteller legen (Abb. 4.48). Diese Verantwortung zu tragen, erfordert beachtliche Kraftakte. Wenn Produkte so zahlreich aus den Märkten zurückkehren, wie sie von Zulieferern und Herstellern über den Handel zum Kunden gelangen, sind höchst innovative Lösungen, keinesfalls nur der Ansatz einer „Produktion rückwärts“ gefragt. Erfolgreiche Konzepte zum „Vermarkten“ und „Entmarkten“ organisiert man nicht einfach additiv, sondern mit intelligenten Netzwerken über die gesamten Entwicklungs- und Konstruktions-, Herstellungs-, Vertriebs-, Nutzungs-, Service-, Recycling- und Entsorgungsketten.
Weiterführende Literatur Borgmeier, A.: Teleservice im Maschinen- und Anlagenbau: Anwendung und Gestaltungsempfehlungen. Wiesbaden: DUV 2002 Kreidler, V.: Internet-basierte Produktions-Dienstleistungen für Werkzeugmaschinen. Essen: Vulkan-Verlag 2004 Meier, H. (Hrsg.): Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle im Maschinen- und Anlagenbau: Vom Basisangebot bis zum Betreibermodell. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2004 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau: TeleserviceVertrag: Leitfaden für die Investitionsgüterindustrie. Düsseldorf: VDMA 2004 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau: Teleservice – Ein Werkzeug zur Erhöhung der Produktivität für Hersteller und Betreiber. Frankfurt: VDMA 2006 Westkämper, E.: E-Services im Anlagen- und Maschinenbau: Mehrwertdienste der Zukunft für die Investitionsgüterindustrie. VDI-Nachrichten-Konferenz Karlsruhe 11./12. Mai 2005. Düsseldorf: VDI Verlag 2005 Westkämper, E.; Stolz, M.: Sprachportale als Baustein des Teleservice. wt Werkstattstechnik online 94 (2004) 7/8, S. 322– 325
Abb. 4.48 Produktverantwortung über Produktion, Gebrauch und Entsorgung
274
4.5.1.1 Innovationsbedarf zur Schlüsseltechnologie Recycling Im Zuge der Berücksichtigung sämtlicher Umweltfragen über den Produktlebenszyklus mit Produktion, Produktgebrauch und Entsorgung als den drei kennzeichnenden Phasen wird Recycling zu den Grundprinzipien zukünftigen Wirtschaftens gehören. Dies darf als belegt angesehen werden, auch wenn sowohl das Informationsbedürfnis als auch der Handlungsbedarf zur Wahrnehmung der Produktverantwortung in vielen Unternehmen noch groß ist. Als sich die Industrie der Herausforderung Produktrecycling stellte, lag es natürlich nahe, zunächst auf erprobte und eingeführte Techniken zu setzen. Man fühlt sich hier erinnert an die Pioniertage des Automobilbaus. Pferdekutschen zu bauen, war eine erprobte und eingeführte Technik – wie „Benzinkutschen“ sahen die ersten Automobile deshalb auch aus. Es zeigte sich jedoch bald, dass diese Benzinkutschen nicht kostengünstig in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten. Neue Entwicklungen und Innovationen (entlang der Anforderungskette Technik–Kosten, s. Abb. 4.48) wie die Ganzmetallkarosserie und das Fließband verhalfen dem Automobil erst zum Durchbruch. Gut einhundert Jahre später gilt dies auch für den Versuch, nur auf vorhandene Techniken der Schrottverarbeitung zu setzen, wenn es um das Recycling moderner Automobile, Computer, Elektro- und Elektronikgeräte und ähnlicher Hightech-Produkte geht. Für zukunftsfähiges Produktrecycling sind daher für Produktrückführung, Zerlegung, erneute Verwendung oder Verwertung usw. in jüngerer Zeit ganze Wirtschaftszweige expandiert oder neu entstanden. Um in diesem Kontext die richtigen Entscheidungen treffen zu können, muss jede Führungskraft, die die gesamtheitliche Produktverantwortung ernst nimmt, heute nicht nur gangbare Recyclingwege kennen, sondern sich auch im Gesamtzusammenhang mit absehbaren zukünftigen Entwicklungen auf der Nachsorgeund Vorsorgeseite rechtzeitig auseinandersetzen.
4.5.1.2 Handlungsbedarf für eine nachhaltige Entwicklung Wirtschaft und Gesellschaft stehen insgesamt vor einer neuen Herausforderung. Die intensive wirt-
4 Management des Produktlebenslaufs
schaftliche Nutzung natürlicher Ressourcen hat im Industrialisierungsprozess zu hohen Belastungen der Ökosysteme und auch des Menschen geführt. Die technisch und wirtschaftlich überaus erfolgreiche Industrialisierung kann damit ihre eigene Basis und die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen gefährden. Das gesellschaftliche Streben nach Wohlstand und Sicherheit muss mit der Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der Wahrung der Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme besser in Einklang gebracht werden. Auf diese gemeinsame Entwicklungsaufgabe haben sich die Teilnehmerstaaten der regelmäßigen, internationalen globalen Umweltkonferenzen seit Rio de Janeiro 1992 unter dem Leitgedanken sustainable development = nachhaltiges Wirtschaften verständigt. Technische, wirtschaftliche und organisatorische Erfolgsfaktoren bei der Verwirklichung dieses Leitgedankens sind • eine Weiterentwicklung vom Wirtschaftskreislauf zur Kreislaufwirtschaft, • ein Übergang vom Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zum Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, • eine Technik mit dem Vorbild Natur statt, nur der Nutzung von Naturgesetzen. Diese Ziele sind sicherlich konsensfähig bzw. allgemein anerkannt. Strittig ist meist nur eines: der „richtige“ Weg dorthin. Dabei wird es den einzig „richtigen“ Weg sicherlich niemals geben – zum Glück. Dieser könnte nämlich höchstens aus einem nicht sehr verlockenden „kleinsten gemeinsamen Nenner“ bestehen, der für ein Unternehmen dann sicher nicht die erfolgreiche Strategie am Markt sein wird. 4.5.1.3 Produktbestände und Produktionsmengen erhöhen den Handlungsdruck 210 Millionen Fahrzeuge rollen auf Europas Straßen. 190 Millionen sind es in Amerika, und in Asien ist nochmals mit etwa derselben Anzahl zu rechnen. Wer sich diese Menge an Fahrzeugen als Entsorgungsaufgabe in einer Autoschlange vorstellen will, kommt mit der Länge der Äquatorlinie, also dem Erdumfang von 40 000 km, längst nicht mehr aus. Schon eine Fahrzeugschlange aus 100 Millionen Pkw würde mehr als 10 Mal um unseren Globus her-
4.5 Remanufacturing und Recycling
umreichen. Noch besser vorstellbar wird dies, wenn man sich bewusst macht, dass diese Autoschlange selbst die Entfernung von der Erde bis zum Mond übertrifft. Dabei überholen Personal-Computer inzwischen die Automobilproduktion in der Stückzahl. Derzeit werden weltweit 130 Mio. PCs und 50 Mio. Pkws jährlich produziert. Dazu kommt noch, dass heute jeder Pkw mehrere Computer zur elektronischen Motorsteuerung und für Sicherheits- und Komfortfunktionen enthält. Mobiltelefone erreichen inzwischen Produktionsstückzahlen zwischen 400 und 600 Millionen Stück pro Jahr weltweit. Die elektronischen Abfallhügel wachsen schon allmählich zu Gebirgen an. In jeder größeren Stadt steigt der jährliche Berg aus Elektronikschrott und Monitoren, sei es von PCs und Fernsehgeräten oder von Telefonen, Faxgeräten, Druckern usw. schon zu Wolkenkratzerhöhe an. Produktentwickler, Werkstoffexperten, Fertigungsfachleute, Kostenverantwortliche aller Hierarchien, Vertriebs- und Kundendienstmanager zerbrechen sich daher die Köpfe, um für oft anspruchsvolle Produktverantwortungsaufgaben zukunftssichere und zugleich praktikable Lösungen zu erarbeiten. Hier eröffnet sich für die – vielbeschworene – interdisziplinäre Zusammenarbeit ein geradezu faszinierendes Handlungsfeld. Nur schwer ist dabei mancher Gegensatz zu überbrücken, oder so viele vermeintliche Zielkonflikte zwischen technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Anforderungen überhaupt unter einen Hut zu bringen. Meist hilft nur eines: der Mut zu Innovationen. Das Zukunftsziel eines nachhaltigen, dauerhaft umweltgerechten Wirtschaftens sollte man deshalb als treibenden Motor für Innovationsprozesse in allen Produktlebenszyklusphasen nutzen und die von den Vorsorge- und Nachsorgedisziplinen sowie aus den Versorgungs- und Entsorgungsmärkten heute schon ausgehenden Signale nicht nur auffangen, sondern treffsicher und ideenreich in zukunftsichernde Entscheidungen umsetzen. Um die Produktverantwortung im Unternehmen erfolgreich umzusetzen, hilft ein Denken in kurz-, mittel- und langfristigen Etappenzielen: • kurzfristig durch umweltorientierte Optimierung einiger Schlüsselprozesse im Produktlebenszyklus Kosten reduzieren,
275
• mittelfristig durch umweltgerechte Produkte und Leistungen Wettbewerbsvorteile erzielen, • langfristig zur Sicherung unternehmerischer und natürlicher Existenz beitragen.
4.5.1.4 Informationsbedarf und Handlungshilfen in der Praxis „Aus den Fehlern (oder Versäumnissen) von gestern lernen“ – dieser durchaus lobenswerte Grundgedanke vieler heutiger Bemühungen zur Bewältigung der vieldimensionalen und vielparametrigen Aufgaben Produktverantwortung und Produktrecycling kann allerhöchstens ein allererster Anfang sein. Viel mehr benötigt der Entscheider möglichst objektive Bewertungsmaßstäbe und Instrumente, die Orientierung und Hilfestellung geben, und kann glücklicherweise auch auf ein in jüngster Zeit schnell gewachsenes Methodenrepertoire zugreifen. Doch noch immer haben sich viele Unternehmen bisher kaum ernsthaft mit der Frage befasst, was im einzelnen mit den Produkten geschieht oder geschehen kann, wenn sie der Kunde schlussendlich außer Dienst stellt, um sich (hoffentlich) der neuen Produktgeneration zuzuwenden – mit dieser bzw. bereits der nächsten oder übernächsten ist man als Hersteller bereits genügend beschäftigt. Auch in der Wissenschaft ist eine eingehende Auseinandersetzung mit Fragestellungen des Recycling von komplexen („Hightech“-)Produkten erst seit etwa einer Ingenieursgeneration zu beobachten. Sie konzentrierte sich im In- und Ausland zunächst auf eine kritische Bestandsaufnahme und Standortbestimmung. Darauf aufbauend besteht beim Thema Recycling allerdings ein schnelle Erfolge versprechender Lösungsansatz darin, über eine möglichst wirkungsvolle Synthese schon verfügbarer Verfahren oder übertragbarer Erkenntnisse aus verwandten Gebieten nicht nur zu technisch und wirtschaftlich zweckmäßigen, sondern auch zu rasch in die Praxis umsetzbaren Recyclingmöglichkeiten zu gelangen. Dieser Weg wurde in den vergangenen Jahren sehr konsequent beschritten. Heutige industrielle Verfahren zum Produktrecycling sind somit zum einen Teil aus der Produktionstechnik, zum anderen Teil aus der Instandhaltungstechnik abgeleitet bzw. daraus kombiniert.
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4 Management des Produktlebenslaufs
Zusätzlich bedarf es beim Bemühen um innovative Lösungsbeiträge aber auch neuer Instrumente und Handlungsanleitungen, um treffsicher und zukunftswirksam entscheiden und handeln zu können. Solche neuen methodischen Handlungshilfen wie
dann noch in jeweils eigenen Recyclingformen schließen kann. Die nachfolgenden Definitionen und kurzen Erläuterungen zum Recycling orientieren sich an der VDI Richtlinie 2243.
• Leitlinien, Checklisten, Bewertungsinstrumente und Maßnahmenkataloge für alle Phasen des Produktlebenszyklusses, • Prioritätenregeln und Entscheidungshilfen für neue Vertriebs-, Serviceformen, z. B. durch Remanufacturing,
4.5.2.2 Recycling-Kreislaufarten im Produktlebenszyklus
werden derzeit aus der Wissenschaft in die Praxis eingeführt und gemeinsam mit dieser weiterentwickelt. Nachfolgend ist somit zunächst der heute nutzbare bzw. in die zugehörigen produktverantwortlichen Recycling-Entscheidungen einbringbare Sachstand der Technik in seinen wichtigsten Elementen dargestellt, um zuallererst den Informationsbedarf des Praktikers anwendungsgerecht zu decken.
4.5.2 Orientierung im Aufgabenfeld Recycling 4.5.2.1 Produktrecycling; Kreislaufarten, Behandlungsprozesse und -formen Arbeiten zur begrifflichen Gliederung des Produktrecycling – dem besonders aktuellen und auch operativ herausragenden Prozess in der praktischen Verwirklichung der Produktverantwortung – haben bereits einen Stand erreicht, der eine zielorientierte Beschäftigung mit dem Thema und die Bildung von Schwerpunkten erleichtert [1]. So können Recycling-Bemühungen auf besonders vordringliche Kreisläufe konzentriert werden. Sicherlich werden solche Schwerpunkte je nach Branche, Produkten, verarbeiteten Werkstoffen und zu rezyklierenden Mengen jeweils gesondert zu setzen sein. Es spielen ja nicht nur technische, sondern auch wirtschaftliche und organisatorische Faktoren eine Rolle und sind bereits im Vorfeld zu beachten. Wichtige Beiträge zur begrifflichen Klärung des Produktrecycling in allgemeingültiger Form haben die Arbeiten zur VDI-Richtlinie 2243 geleistet. Dort wird Recycling zunächst nach Kreislaufarten gegliedert, darüber hinaus auch in unterschiedliche RecyclingBehandlungsprozesse eingeteilt, wobei sich der Kreis
Das erste Gliederungsprinzip des Recycling nach Kreislaufarten orientiert sich direkt am Lebenszyklus technischer Produkte. Parallel zu Produktion, Gebrauch und Entsorgung von industriell gefertigten Produkten unterscheidet man die in Abb. 4.49 gezeigten drei zugeordneten Kreislaufarten: • Produktionsabfallrecycling, • Recycling während des Produktgebrauchs, • Altstoffrecycling. Die Recycling-Kreislaufarten ergänzen sich gegenseitig und führen zu der in der Abb. 4.49 veranschaulichten deutlichen Verringerung der Stoffflüsse. Beim Produktionsabfallrecycling werden seit jeher Abfälle verarbeitet, die in der rohstofferzeugenden Industrie und in Gießereien anfallen. Andere Produktionsabfälle stammen aus der verarbeitenden Industrie; sie werden vom Handel erfasst und verwertet. Dazu gehören z. B. Stanzabfälle aus unterschiedlichen Materialien, Späne. Produktionsabfälle sind meist sauber, solange sie getrennt gesammelt werden, und eignen sich daher
Abb. 4.49 Recycling-Kreislaufarten
4.5 Remanufacturing und Recycling
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technisch und wirtschaftlich gut für ein Recycling. Zu den Produktionsabfällen gehören auch die für die jeweilige Fertigungstechnologie erforderlichen Hilfsund Betriebsstoffe, für deren Entsorgung ebenfalls eine Wiederverwertung anzustreben ist. Produktionsabfallrecycling ist daher bereits traditionell – vor allem in der metallverarbeitenden, aber auch in der kunststoffverarbeitenden Industrie – gut eingeführt. Abbildung 4.50 zeigt hierzu zwei Beispiele: Oberer Teil von Abb. 4.50: In der BlechteileKleinserienfertigung mit häufig wechselnden Werkstücken lassen sich Produktionsabfälle etwa durch rechnergestütztes Schachteln der auszuschneidenden Werkstücke aus der Blechtafel sehr weitgehend nutzen bzw. vermeiden. Eine solche Verschnittminimierung wird z. B. bei Laserschneidanlagen häufig angewandt und ermöglicht Einsparungen bis zu 25% des Materialverbrauchs. Unterer Teil von Abb. 4.50: Das Nachwalzen teilverformter Blechabfälle ermöglicht das anschließende Ausstanzen eines Kleinteils aus dem ursprünglichen Abfallblechstück. Dieser Weg wird vor allem dort mit Erfolg beschritten und optimiert, wo die abfallverursachenden Großteile und die aus dem Abfall herstellbaren Kleinteile in gleichermaßen großen Serien z.B. auf Pressenstraßen zu fertigen sind. Die Einsparungen erreichen dabei bis zu 10% des Materialverbrauchs – d. h. alle zwei Wochen erhält ein solcher Produktionsbetrieb sein Material einen Tag lang quasi „geschenkt“!
Das Recycling während des Produktgebrauchs, also die zweite Kreislaufart, hat zum Ziel, ein genutztes Produkt einer erneuten Verwendung zuzuführen. Es ist in der Industrie in sog. „Austauschteilefertigungen“ verwirklicht. In fünf Fertigungsschritten – (l) Demontage, (2) Reinigung, (3) Prüfen und Sortieren, (4) Bauteileaufarbeitung bzw. Ersatz durch Neuteile sowie (5) Wiedermontage – entstehen z. B. Kfz-Austauschaggregate, wie Kupplungen, Anlasser oder Lichtmaschinen, in Millionen-Stückzahlen für den Ersatzteilmarkt. Eine solche industrielle Aufarbeitung in Serie, für die sich weitgehend der treffende englische Fachausdruck „Remanufacturing“ einbürgert hat, findet zunehmend auch Anwendung für komplexere elektronische und mechatronische KfzAustauschteile, wobei hier mit einer vorgeschalteten Eingangsfunktionsprüfung, also insgesamt in sechs Fertigungsschritten gearbeitet wird, wie Abb. 4.51 zeigt. Zwei Drittel der weltweiten RemanufacturingIndustrie finden sich im Kfz-Sektor, ein Drittel außerhalb: Besonders bei Werkzeugmaschinen und Elektronikprodukten wird oft nicht nur eine Aufarbeitung, sondern auch eine Modernisierung (Einbau neuer Steuerungen, Erhöhung der Genauigkeit) durchgeführt. In solchen Fällen wird der Wert des rezyklierten Produkts höher als der des ursprünglichen Neuprodukts. Man spricht hierbei auch von „Upcycling“. Am Ende der Produktlebensdauer greift die dritte Kreislaufart, das Altstoffrecycling. Zum Massenschrottrecycling sind rationelle Anlagen Stand der
Abb. 4.50 Produktionsabfallvermeidung und -verwertung beim Produktionsabfallrecycling: Beispiele aus der Blechverarbeitung
Abb. 4.51 Anwendungen, Produkte und Fertigungsschritte des Remanufacturing (Recycling während des Produktgebrauchs) im Kfz-Austauschteilesektor
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4 Management des Produktlebenslaufs
Abb. 4.52 Stand der Technik zum Altstoffrecycling bei Anwendung der Shreddertechnik (Hammermühle)
Technik. Die meistverbreitete Technologie vom Mengendurchsatz her ist die Shredderanlage, Abb. 4.52. In einer Hammermühle mit einer Antriebsleistung von 2000 bis 3 000 kW werden vollständige Kraftfahrzeuge sowie überwiegend metallhaltige Haushaltsgroßgeräte innerhalb weniger Sekunden in faustgroße Stücke zerkleinert. Darauf folgen Windsichtanlagen, Magnetscheider, Schwimm- und Sinkanlagen sowie in großem Umfang auch Handauslese zur Sortierung von Nichtmetallen, Eisen/Stahl, Leichtund Buntmetallen.
4.5.2.3 Recycling-Behandlungsprozesse Neben der dem Lebenszyklus folgenden chronologischen Gliederung in Recycling-Kreislaufarten definiert VDI 2243 auch zwei unterschiedliche RecyclingBehandlungsprozesse: • die Aufbereitung und • die Aufarbeitung. Die Aufbereitung ist der vorherrschende Behandlungsprozess beim Produktionsabfallrecycling und beim Altstoffrecycling und dient meist zur Vorbereitung für die eigentliche metallurgische oder sonstige Verwertung. Aufbereitungsprozesse sind somit i. d. R. verfahrenstechnische Prozesse und dienen der Werkstoffrückgewinnung.
Die Aufarbeitung ist der vorherrschende Behandlungsprozess beim Recycling während des Produktgebrauchs und dient der Wahrung oder Wiederherstellung der Produktgestalt und der Produkteigenschaften für eine erneute Verwendung. Aufarbeitungsprozesse sind i. d. R. fertigungstechnische Prozesse und dienen der Werkstückrückgewinnung.
4.5.2.4 Recyclingformen Als weitere Einteilungsmöglichkeit des Recycling neben Kreislaufarten und Behandlungsprozessen sind verschiedene Recyclingformen für die Praxis wichtig. Grundsätzlich wird zwischen den beiden Recyclingformen • Verwertung und • Verwendung unterschieden und noch feiner nach Wieder- und Weiterverwertung sowie Wieder- und Weiterverwendung unterteilt. Die Verwertung löst die Produktgestalt auf und folgt auf Aufbereitungsprozesse zur Werkstoffrückgewinnung. Die Verwendung ist durch die weitgehende Beibehaltung der Produktgestalt gekennzeichnet und folgt auf Aufarbeitungsprozesse zur Werkstückrückgewinnung.
4.5 Remanufacturing und Recycling
279
4.5.2.5 Begriffswelten der Praxis In der (rauen) Praxis der Recyclingbetriebe und auch ihrer Protagonisten findet naturgemäß nicht die feinsinnige begriffliche Strukturierung und Diskussion entsprechend der normativen Definition statt. Allerdings kristallisiert sich inzwischen (auch international) eine durchaus hilfreiche begriffliche Zweiteilung der Recyclingwelt heraus, die mit den vorstehend erläuterten RecyclingBehandlungsprozessen und Recyclingformen konform geht. Man spricht im Praxisbezug von Wirtschaft und Wissenschaft i. d. R. von Produktrecycling (englisch: product recycling), sofern es um funktionale Aufarbeitung und erneute Verwendung geht bzw. von Materialrecycling (englisch: material recycling), sofern es um stoffliche Aufbereitung und anschließende Verwertung geht. Diese Begriffe setzen sich immer stärker durch, wobei gelegentlich noch begriffliches Lob (oder Tadel) hinzugefügt wird, wenn die Verfahren des Produktrecycling als „Upcycling“ (da aufwertend und durch Wertschöpfung gekennzeichnet) und die Verfahren des Materialrecycling als „Downcycling“ (da häufig abwertend oder Werteverzehr verursachend) bezeichnet werden.
Abb. 4.53 Instandsetzung als Bindeglied zwischen Instandhaltung und Recycling von Produkten
4.5.3 Aktuelle Organisationsstrukturen zum Recycling von „Hightech“-Großserien-Produkten 4.5.3.1 Recycling-Branchenlösungen haben sich entwickelt Analysiert man die Recyclingsituation bzw. die am Markt inzwischen etablierten Produktkreisläufe für einige wichtige Produktgruppen bzw. Branchen, so zeichnen sich derzeit Lösungen mit jeweils eigener Charakteristik ab.
4.5.2.6 Recycling und Instandhaltung
Recycling von Altautomobilen
Das Recycling von Produkten wird auch von den bekannten Maßnahmen der Instandhaltung unterstützt. Nach DIN 31051 sind dies die Wartung, die Inspektion und die Instandsetzung (umgangssprachlich wird anstelle des Fachbegriffs „Instandsetzung“ zumeist von „Reparatur“ gesprochen). Instandhaltungsmaßnahmen dienen allerdings überwiegend zur Erreichung der vorgesehenen Nutzungszeit eines Produkts, während Recycling auf zusätzliche Nutzungszyklen abzielt. Eine strenge Trennung zwischen der Aufarbeitung und Instandsetzung aufgrund der oft vergleichbaren Operationen und der Ergebnisse wird jedoch nicht immer gelingen. Dies ist auch nicht sinnvoll. Wie Abb. 4.53 zeigt, sollte man daher, statt eine Abgrenzung zu betreiben, besser von einer „Verwandtschaft“ der beiden Begriffe Recycling und Instandhaltung von Produkten sprechen. Beide ergänzen sich gegenseitig und gehören auch in der Wahrnehmung der Produktverantwortung sinnvoll zusammen.
Beim Recycling von Altautomobilen ist zu beobachten, dass diese auf eine existierende bzw. in den zurückliegenden Jahren rasch weiterentwickelte Entsorgungsinfrastruktur treffen. Diese setzt sich nicht nur zusammen aus mehreren Tausend Autoverwertungsbetrieben, sondern auch aus dem Gebraucht-Kfzund Gebrauchtteilemarkt, spezialisierten Zerlegebetrieben bzw. Trockenlegungsbetrieben (zur Entnahme der Kfz-Betriebsflüssigkeiten), einigen Dutzend Shredder-Standorten, Metallhütten etc. Im größeren Zusammenhang gesehen, stehen die Ressourcen zur Automobilzerlegung und Teileverwertung de facto auch an jeder der über 10 000 Tankstellen mit angeschlossener Werkstatt bzw. Hebebühne in Deutschland zur Verfügung und werden dort auch genutzt. Auch der Beruf des Kfz-Mechanikers (bzw. inzwischen Kfz-Mechatronikers) ist unverändert ein häufiger Ausbildungsberuf in Deutschland, so dass nicht nur die Ressourcen, sondern auch das Knowhow für Produktkreisläufe im Automobilbereich als
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flächendeckend am weitesten vorhanden vorausgesetzt werden können. Von Hersteller- bzw. Verbandsseite hat man sich im Zuge der Einführung der europäischen Altfahrzeugrichtlinie zur kostenlosen Rücknahme und Verwertung der nach Inkrafttreten dieser Regelung verkauften Automobile verpflichtet und verbindliche, ansteigende Recyclingquoten zu bestimmten Stichtagen zugesagt, Abb. 4.54. Hierbei soll auch das derzeit noch vielfach kritisch beurteilte Problem der Shredderleichtfraktion in Zukunft vermindert werden. Für letztere wurden in jüngster Zeit auch vermehrt Lösungsansätze zu ihrem Einsatz als Energiespender bzw. Reduktionsmittel in neuen Verhüttungsprozessen, sowie zu Ihrer Umwandlung in Energierohstoffe (Pyrolyseöle und Gase) entwickelt und erprobt bzw. als ernsthafte, ggf. schon kurzfristig wirksame Lösungsansätze diskutiert. Einzelne Hersteller, Zulieferer oder auch Hersteller-Zuliefererkooperationen engagieren sich auch beim Aufbau von Kfz-Gebrauchtteile-Handelsnetzen, einerseits um dieses durchaus lukrative Marktsegment nicht allein lieferantenunabhängigen Initiativen bzw. teilweise auch grauen Märkten zu überlassen, andererseits auch um das kostspieligere Versorgen des Fahrzeugbestandes bzw. -marktes mit Neuersatzteilen
Abb. 4.54 Rahmenbedingungen des Altautorecycling
4 Management des Produktlebenslaufs
für die seit Mitte der 80er Jahre sprunghaft (um den Faktor drei bis zehn) gestiegene Typen- und Variantenvielfalt bei Kraftfahrzeugen zu entlasten bzw. zu substituieren. Dagegen existieren für elektronische Baugruppen des Automobils derzeit allenfalls erste Ansätze zur Schließung von Stoff- bzw. Produktkreisläufen. Mit der ständig zunehmenden Bedeutung der Automobilelektronik für Funktion und Preis des Systems „Automobil“ tut sich hier ein wichtiges Betätigungsfeld auf, das nur zum Teil eine Ähnlichkeit mit der Problemlage der nachfolgend behandelten Produktgruppen aufweist.
4.5.3.2 Recycling von Informationselektronik und Konsumelektronik Für das Recycling von Elektronikgeräten der Informationstechnik (insbesondere Telekommunikationsanlagen, Computer und Peripherie) hat sich bereits relativ früh eine Entsorgungsinfrastruktur etabliert. Häufig auf Initiative bzw. im Auftrag und in Kooperation mit den größeren EDV-Herstellern bzw. Elektrotechnikherstellern verarbeiten in Deutschland ca. 250 spezialisierte Zerlegebetriebe den kommer-
4.5 Remanufacturing und Recycling
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Abb. 4.55 Zerlegung zur Verwertung von Konsumelektronik (Übersicht)
ziellen Elektronikschrott zu bis zu 35 Fraktionen (Baugruppen, Komponenten, Metalle, Nichtmetalle, Sonder- und Problemfraktionen), die dann in ca. 200 Verwertungsbetrieben weiter verwertet bzw. behandelt und beseitigt werden. Für das Recycling von Altgeräten der Konsumelektronik (Fernseher, Video-, HiFi-Geräte, weiße Ware, div. Elektro-Kleingeräte, Akkurasierer, elektronisches Spielzeug) sind die Pionierleistungen bei Zerlegeund Verwertungsaktivitäten bei besonders engagierten Kommunen bzw. deren beauftragten kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie in Sozialbetrieben und Behindertenwerkstätten entstanden. Ein flächendeckendes Netz ist bereits frühzeitig (ab 1990) für die Entsorgung von Kühlgeräten errichtet worden, hier hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Beherrschung der FCKWProblematik aus Kältemitteln und Isolationsstoffen als gemeinsamer Nenner und treibende Kraft für Investitionen und Initiativen bei allen Beteiligten der Akteurskette (Kunden, Kommunen, Handel, Zerlege-/ Verwertungsbetriebe) fungiert. Einen signifikanten Beitrag zur stärkeren Wahrnehmung zur Produktverantwortung über den gesamten Lebenszyklus auf Hersteller- bzw. Verbandsseite haben beim Elektronikschrott die auf europäischer Ebene in Kraft getretenen, gesetzlichen Regelwerke geleistet. Diese sind: • RoHS: Restrictions on Hazardous Substances (Regulierung gefährlicher Substanzen bzw. faktisch Schadstoffverbote in Produkten), • ELV End of Life Vehicle (Altfahrzeugverordnung), • WEEE: Waste of Electric and Electronic Equipment (Elektronikschrottverordnung).
Die europäischen legislativen Initiativen RoHS und WEEE, sowie das in Deutschland schon seit 1996 in Kraft befindliche Kreislaufwirtschaftsgesetz mit seinem damals neu geschaffenen Begriff der Produktverantwortung haben das Ziel, durch einheitliche Kriterien Mindeststandards für die Qualität, die Technik und die Organisation von Produktlebensläufen zu schaffen, sowie die Verantwortung dafür weitgehend beim Hersteller der Produkte anzusiedeln. Bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung repräsentieren vor allem die Kosten der Logistik (Sammel-, Transport-, Umschlag-, Sortier- und Lagerprozesse) eine besondere Herausforderung, wobei die Logistik ggf. teils kommunal, teils privatwirtschaftlich durchgeführt wird. Favorisiert wurde in Deutschland von Anfang an das Prinzip einer „geteilten Verantwortung“, bei der • die Sammelverantwortung bei Kunden und Kommunen, • die Verwertungsverantwortung bei Herstellern bzw. Importeuren angesiedelt werden soll, Abb. 4.56. In anderen EULändern wird die Sammelverantwortung auch auf den Handel übertragen. Für den Bereich der IT-Geräte stellt derzeit auch die Weiter-/Wiederverwendung von Komponenten/Baugruppen/Geräten eines der spannenden Themen dar. Es gibt erste, ausbaufähige Ansätze, bei denen Hersteller bzw. deren Beauftragte aus der Verwertung von rücklaufenden Produkten auch in gewissem Umfang bereits systematisch Ersatzteile und Komponenten gewinnen, die nicht mehr neu hergestellt werden, für das Kundendienst- und Ser-
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4 Management des Produktlebenslaufs
mer größere Produktbereiche und weitere Branchen ausweiten wird. Stattdessen warten hier besondere Herausforderungen. Entwickelt man ein Service-Portfolio über Produktgebrauchsdauer und Produktkomplexität, erkennt man unterschiedliche Felder mit jeweils eigener Charakteristik bzw. unterschiedlichem Kosten-, Zeit- oder Innovationsdruck, Abb. 4.57.
Übernahme von Garantiefällen
Abb. 4.56 Rahmenbedingungen des Informationselektronikrecycling
vicegeschäft installierter Anlagen bzw. Geräte jedoch benötigt werden. Insgesamt besteht ein erhebliches Entwicklungspotenzial bei der Umstellung der Produkte auf ein Design for Recycling sowie durch die Entwicklung der entsprechenden Verwertungs- und Wiederverwendungsroutinen (Logistik, Informationsmanagement, Qualitätssicherung, Zertifizierung). Bei Altgeräten der Konsumelektronik, die bis zu 95% Importanteil aufweisen, d. h. nur zu 5% in Europa hergestellt werden, jedoch zu 100% hier entsorgt werden müssen, bildet die Rückkopplung zu den meist in Fernost oder Schwellenländern operierenden Herstellern eine besondere Herausforderung.
4.5.4 Service Engineering für Großserienprodukte: gekonntes Recycling im Gebrauchszyklus Zwischen der Produktvermarktung und der späteren „Entmarktung“ steht oft eine jahrzehntelange Gebrauchsdauer; man benötigt darauf abgestimmte Serviceleistungen. Dabei wäre es ein Trugschluss, die noch nicht zum Stillstand gekommenen Preistrends auf der Produktseite (tendenzielle Verbilligung) und auf der Serviceseite (tendenzielle Verteuerung), weiterhin so zu interpretieren, dass sich das geläufig gewordene „Reparieren lohnt sich nicht“ auf im-
Mit der mittlerweile meist durchgängig zweijährig gewährten Garantiezeit befindet sich der Anbieter auch sehr preiswerter oder kurzlebiger Produkte, die kaum länger als zwei Jahre genutzt werden, in der Situation, quasi eine „Vollkaskoversicherung des Produkts auf Lebenszeit“ zu realisieren. Im Garantiefall muss das Produkt entweder kostenlos durch ein neues ersetzt oder möglichst kostengünstig wieder instand gesetzt werden. Bei niedrigpreisigen Elektrooder Elektronikgeräten (etwa vom Radiowecker bis zum Haartrockner, Feld 1 in Abb. 4.57) schien lange Zeit der Umtausch des defekten Gerätes gegen ein neues aus Kostengründen das gebotene Mittel der Wahl zu sein. Treibt man diese Philosophie jedoch so weit, dass selbst auf die Fehlerdiagnose verzichtet wird, so werden der Entwicklungsabteilung wertvolle Informationen über das Einsatzverhalten und die Gebrauchstauglichkeit der Produkte vorenthalten. Führt man umgekehrt zumindest eine Fehlerdiagnose durch, ist häufig auch der Defekt schnell behoben und dem Kunden kann sein eigenes Gerät retourniert werden. Daher werden sowohl bei niedrigpreisigen als auch bei höherpreisigen Produktkategorien (vom CD-Player bis zum Mikrowellenofen, Feld 2 in Abb. 4.57) wieder vermehrt „Reparatur“-Konzepte, d. h. kostenbewusste Lösungen für die Instandsetzung von Geräten entwickelt. Hierfür müssen nicht unbedingt eigene Servicewerkstätten aufgebaut und unterhalten werden, sofern dies nicht zur eigenen Kernkompetenz bzw. Geschäftsfeldstrategie passt. In Zeiten, in denen selbst Lebensmitteldiscounter Elektrogeräte und Personal Computer vertreiben, sind leistungsfähige unabhängige Service-Netzwerke entstanden, derer man sich bedienen kann. Diese Kundendienstanbieter bilden oft Netzwerke und unterhalten Informationsplattformen im Internet, über die sie zum Beispiel Schaltpläne, Fehlerdiagnosehil-
4.5 Remanufacturing und Recycling
283
Abb. 4.57 Service-Portfolio
fen, Ersatzteilkataloge und Ähnliches austauschen. Es existieren Datenbanken mit über einer Million Fehlersuch- und Reparaturtipps.
unausgereifter Neuentwicklungen. Es unterstreicht jedoch auch die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Service und Produktion.
Die Rolle der klassischen Fachwerkstatt
Gebrauchtteilemärkte und zeitwertgerechte Reparatur
Höherwertige Elektro- und Elektronikprodukte (Felder 3 und 4 in Abb. 4.57) sind im Servicefall während und auch nach der Garantiezeit nach wie vor eine Domäne des Fachhandels mit angeschlossener Kundendienstwerkstatt bzw. entsprechendem Außendienst. Die Fachwerkstatt hat grundsätzlich auch eine starke Position im Automobilbereich (Felder 5 und 6 in Abb. 4.57), wobei hier zwei aktuelle Phänomene Beachtung finden sollen.
Phänomen Rückrufaktionen Die in den Feldern 3 und 5 von Abb. 4.57 eingeordneten Produkt-Rückrufaktionen haben in jährlichen absoluten Zahlen bzw. in jährlichen Zuwachsraten in Deutschland inzwischen die Millionengrenze durchbrochen bzw. zweistellige Prozentbereiche erklommen. Dies mahnt einerseits zur Vorsicht hinsichtlich
Die im Feld 6 von Abb. 4.57 angesiedelten (Unfallund Verschleiß-)Reparaturen mehrere Jahre alter PKWs erreichen aufgrund hoher Ersatzteilpreise sehr leicht Kosten, die den Zeitwert des Fahrzeugs übersteigen. Hier hat sich, auch gefördert von Versicherungsunternehmen (viele Unfallreparaturen sind Versicherungsfälle), ein inzwischen „salonfähig“ gewordener Markt von Gebrauchtteilen entwickelt. Diesen sollte man als positiven Impuls einer neu erwachenden „Reparieren lohnt sich doch“-Philosophie wahrnehmen und nutzen.
Industriell gefertigte Austauschteile: Remanufacturing/Refabrikation Kommen Produkte „in die Jahre“, verkörpern aber noch einen gewissen Gebrauchswert (z. B. Automo-
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bile), so wird die Ersatzteilversorgung in Zeiten kurzer Produktionslaufzeiten und langer Produktlebensdauern zunehmend zum zentralen Thema. Neuwertige bzw. seriengleiche Ersatzteile für Produkte ausgelaufener Produktionsserien lassen sich prinzipiell auf vier unterschiedlichen Wegen bereitstellen: • durch Produktion und Langzeitbevorratung eines prognostizierten Ersatzteilebedarfes bei Serienauslauf (mit nachfolgendem Abbau der Produktionsanlagen); dieser Weg ist aufgrund der hohen Kosten für die Langzeitbevorratung teuer und aufgrund der Möglichkeit falscher Prognosen riskant, • durch zyklisch angefahrene Produktion auf den dazu weiter vorzuhaltenden Serienproduktionsanlagen entsprechend dem nachfolgenden Bedarf an Ersatzteilen; dieser Weg ist wegen der hohen Kosten für die Bereitstellung der sehr selten benutzten Produktionsanlagen ebenfalls teuer, • durch flexible Nachproduktion auf anderen Serienproduktionsanlagen, entsprechend dem Bedarf an Ersatzteilen; dieser Weg ist wegen der zunehmenden Spezialisierung von Produktionsanlagen immer seltener gangbar und ebenfalls teuer, • durch Remanufacturing/Refabrikation [3] von Gebrauchtteilen/-baugruppen zu neuwertigen Austauschteilen/-baugruppen ohne die Notwendigkeit der Verfügbarkeit ursprünglicher Produktionsanlagen; dieser Weg vermeidet alle vorher aufgezählten Kostenprobleme. Wegen kürzerer Produktionszyklen und häufigerem Wechsel der Neuproduktionsanlagen (teilweise bereits im Laufe einer mehrjährigen Produktionsserie, z. B. für Elektronikbauteile) gewinnt die letztgenannte Philosophie somit rasant an Bedeutung und Anteil. In zunehmendem Maße lassen sich viele Ersatzteile nach Serienauslauf nur noch im Remanufacturing-Prinzip zu marktgerechten Preisen bereitstellen: In den Werkstätten stehen viele gebrauchte Automobile der Altersklasse 6 bis 8 Jahre unreparierbar auf Halde, da es keine Ersatzteile für ihre streikenden elektronischen Motorsteuergeräte mehr gibt. Hier erkennen findige Unternehmen, die Technologien entwickelt haben, um aus defekten/gebrauchten Motorsteuergeräten neuwertige zu refabrizieren, ihre Chance und wachsen mit großer Dynamik in einem sich schnell entwickelndem Markt: Remanufacturing ist die industrielle Aufarbeitung von Produkten in Serie statt der individuellen handwerklichen Einzelin-
4 Management des Produktlebenslaufs
standsetzung. Dieses Grundprinzip des Remanufacturing – mit den fünf Fertigungsschritten Demontage, Reinigung, Prüfung, Aufarbeitung, Widermontage – ist schnell vermittelt. Dennoch erstaunt es immer wieder, wie wenig die signifikanten Kosten- und Wettbewerbsvorteile dieser Schlüsseltechnologie im Service der Zukunft bzw. beim für die Produktverantwortung in den Unternehmen schon als Option herangezogen wird – sonst würden die Anwendungen derzeit wohl schon mit fünfzig statt „nur“ mit fünfzehn Prozent jährlich wachsen. In den Feldern 7, 8 und 9 von Abb. 4.57 sollte man daher die Option „Remanufacturing von Austauschteilen“ zum festen Bestandteil des Service-Engineering bzw. der Ersatzteilversorgung werden lassen.
4.5.5 Remanufacturing – zu deutsch: Refabrikation – erlebt einen Boom Innovationsführer und Technologieführer in der produzierenden Industrie lagern mit wachsender Intensität Aktivitäten aus, die sie nicht für wettbewerbsentscheidend erachten. Dies kann zunehmend sogar die Produktion von Komponenten betreffe, die bis gestern noch als unveräußerlich, da zur Kernkompetenz zählend, galten. Quasi im Gegenzug legen viele Hersteller eher eine neue Lust am Insourcing von Service- und Remanufacturing-Aktivitäten an den Tag, bevor sie das lukrative Geschäft mit zweiten und dritten Marktzyklen ihrer Produkte oder Austauschteile anderen überlassen.
4.5.5.1 Remanufacturing als Kernkompetenz Wer sich heute im Internet umschaut, findet auch für High-Tech-Produkte mit kurzen Innovationszyklen eine wachsende Angebotsvielfalt nicht nur von neuen, sondern vermehrt auch von aufgearbeiteten Erzeugnissen. Hierbei tun sich gerade solche Anbieter hervor, die große Teile der Neuproduktion ausgelagert haben oder noch auslagern. Dies ist begrüßenswert. Bedauerlich war aus deutscher Sicht bisher nur, dass für die vielen gängigen und griffigen Bezeichnungen im angloamerikanischen Sprachraum, allen voran der
4.5 Remanufacturing und Recycling
285
Abb. 4.58 Web-Seite für aufgearbeitete Erzeugnisse
sich immer stärker durchsetzende Begriff „Remanufacturing“ („erneute Produktion“), aber auch „Refurbishing“ „Reconditioning“, kein attraktives deutsches Pendant zur Verfügung stand. Normiert ist (durch die VDI-Richtlinie 2243 seit 1982) der Begriff „Aufarbeitung“ (auf den Neuzustand, oft incl. Modernisierung) – oft wird auch noch von „Generalüberholung“ oder „Instandsetzung“ gesprochen – da klang aber auch noch der französische Begriff „Rénovation“ einfach attraktiver! Der Begriff „Reproduktion“ ist bereits besetzt (und klingt auch eher wie „Nachmachen“). Erfreulich ist daher, dass insbesondere die Branchenverbände der Automobil-/Austauschteileproduktion einen Vorschlag des Verfassers im Jahre 2003, Remanufacturing auf Deutsch „Refabrikation“ zu taufen, dankbar aufgegriffen haben. Es ist zu erwarten, dass sich der Begriff Refabrikation durchsetzt. In den kommenden Abschnitten wird (durchaus bewusst!) noch abwechselnd von Refabrikation und Remanufacturing gesprochen.
4.5.5.2 Core Management – gekonnte Beschaffung von Altteilen Altteile, englisch core, diese etwas geringschätzig klingende Bezeichnung, benutzt die Praxis für die wertvollen „Rohteile“ der Refabrikation. Der Schlüsselprozess der Versorgung mit Altteilen veranschaulicht am schnellsten die folgende jedem Autofahrer nur allzu vertraute Situa-
tion: Im Armaturenbrett leuchtet die Ladekontrollleute rot auf – die Lichtmaschine lädt die Batterie nicht mehr und muss in der Fachwerkstatt durch eine Austauschlichtmaschine ersetzt werden. Die Fachwerkstatt schickt die defekte Lichtmaschine gemeinsam mit weiteren an einen Refabrikationsbetrieb ein. Auf diese Weise erhält die Remanufacturingindustrie bis zu 80% ihrer Lichtmaschinen, aber auch viele andere defekte oder verschlissenen Autoteile wie Anlasser, Wasserpumpen, Kupplungen. Weitere Altteile findet man darüber hinaus bei spezialisierten Altteilehändlern, die ihrerseits wieder mit Autozerlege- und Verwertungsbetrieben zusammenarbeiten. Altteile aus diesen Kanälen sind die wertvolleren. Dies rührt daher, dass sie (z. B. die Lichtmaschinen) meist noch funktioniert haben, als sie aus dem zu verschrottenden Fahrzeug entnommen wurden. Für ihre Refabrikation ist also mit wesentlich weniger Arbeits- und Ersatzteilaufwand zu rechnen. Besonders interessante Altteile kommen natürlich auch aus Unfallfahrzeugen, die oft nur wenige Kilometer gelaufen sind. Netzwerke kooperierender Automobilzerlegebetriebe und spezialisierter Altteilehändler liefern fast jedes Altteil in der gewünschten Stückzahl. Abbildung 4.59 zeigt PKW-Turbolader aus der Lieferung eines Altteilehändlers. Die Marktführer im Altteilehandel geben sogar Altteilekataloge, auch im Internet, heraus. Aus einem kompletten Produktsortiment kann man dort auswäh-
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Abb. 4.59 PKW-Turbolader aus Altfahrzeugen vor dem Versand in einen Remanufacturingbetrieb
4 Management des Produktlebenslaufs
Wie viele Altteile wann benötigt werden, was sie in den einzelnen Phasen kosten „dürfen“ und wie lange Aufstieg, Balance und Abstieg dauert, erfordert ein gekonntes „Core-Management“. Sowohl als Altteilehändler als auch als Remanufacturing-Unternehmen muss man die Einflüsse und Abläufe der Bedarfszahlen ausreichend genau kennen bzw. wissen, wo man sich gerade befindet. Insbesondere zum Schluss darf man nicht Gefahr laufen, zu hohe Preise für Altteile zu bezahlen und dann gar auf einem Überschuss noch sitzen zu bleiben. Doch im Zeitalter der Globalisierung können auch vermeintlich in übergroßer Zahl überflüssige Altteile auf einem anderen Kontinent noch händeringend gesucht sein. Dies hat einen weltweiten Altteilehandel in großem Stil angestoßen. Spezialisierte Altteilehändler verschiffen Altteile europäischer Pkw nach USA oder nach Fernost sowie auch Altteile dortiger Pkw in der jeweiligen Gegenrichtung. Altteile sind rund um den Globus unterwegs. Man sollte somit auch internationale Absatz- und Beschaffungsmöglichkeiten in das Core Management einbeziehen.
Abb. 4.60 Altteile mit Bestellnummern aus dem Katalog
len und sich wie aus jedem anderen Produktkatalog versorgen, Abb. 4.60. Altteilehandel ist in hohem Maße Vertrauenssache. Daher räumen seriöse Händler bei offensichtlich falsch gelieferten oder fehlerhaften Teilen ein Rückgaberecht ein. Für ein neues Produkt, das gerade erst auf den Markt kam, sind Altteile natürlich zunächst knapp. Nur wenige Unfallfahrzeuge scheiden in dieser frühen Phase aus dem Markt aus, und auch nur wenige Frühausfälle von Aggregaten kommen von den Werkstätten zurück. Altteile sind gesucht und teuer. Später im Marktzyklus des Produkts, wenn schon einige Fahrzeuge verschrottet werden und sich auch das Austauschteilegeschäft mit dem Werkstätten eingependelt hat, gibt es ausreichend Altteile und ihr Preisniveau beruhigt bzw. stabilisiert sich. Am Ende dann, bzw. wenn das Fahrzeug allmählich ganz aus dem Straßenbild verschwindet, gibt es Altteile im Überfluss und ihre Preise stürzen ab. Abbildung 4.61 zeigt den Zusammenhang.
Abb. 4.61 Entwicklungsphasen von Fahrzeugbestand, Altteileverfügbarkeit und Altteilepreisen
4.5 Remanufacturing und Recycling
287
4.5.6 Refabrikation stützt sich auf fünf oder sechs Fertigungsschritte und erfasst faktisch sämtliche Märkte
und sorgt für Know-how-Zuwachs in der gesamten Prozesskette des Produktkreislaufs. Die Abfolge der fünf Fertigungsschritte des Remanufacturing (Demontage/Reinigung/Prüfung/Teileaufarbeitung/Montage) ist, wie weiter vorn ausgeführt, inAufarbeitungsbetriebe sind Produktionsbetriebe. Ihr zwischen nur noch für mechanische, hydraulische und Ausgangsmaterial sind allerdings nicht so sehr Roh- elektrische Produkte (Motoren, Pumpen, Lenkungen, stoffe oder Halbzeuge, sondern hauptsächlich Alt- Getriebe, Anlasser, Lichtmaschinen) verallgemeinerprodukte. Dies ist der hauptsächliche Unterschied. bar. Für die mechatronischen/elektronischen, zum Teil Alles andere organisiert man wie in einem (wenn auch bereits hybriden Produkte der nahen Zukunft gelauch kleineren) Industriebetrieb: Serienfertigung we- ten neue Gesetzmäßigkeiten schon bei der Demontage. gen der Kostenvorteile, einheitliches Qualitätsniveau Sie wird nicht wie üblich vollständig „bis zur letzten und blitzblankes Erscheinungsbild der Endprodukte. Schraube“ erfolgen, wenn z. B. die Funktionalität dreiIm Zuge aller fünf bzw. sechs Fertigungsschritte schichtiger elektronischer Leiterplatten in Frage steht. der Refabrikation (Eingangsfunktionsprüfung/DemonAuch die nachfolgenden Reinigungstechnologien tage/Reinigung/Prüfung/Aufarbeitung/Wiedermonta- durchlaufen einen signifikanten Wandel – nach der ge) wird ein sehr hoher Aufwand für Qualitätssiche- (inzwischen größtenteils bewältigten) Umweltrelerungsmaßnahmen betrieben. Hierbei gelten dieselben vanz von Reinigungsprozessen, Reinigungsmedien Qualitätsstandards wie in der Neuproduktion. Aus und freigesetzten gelösten Verschmutzungen steht als diesem Grunde wird die obligatorische Endkontrolle nächstes die Entwicklung sehr produkt- und werkbzw. der Prüfstand-Testlauf jedes Produkts nicht als stoffspezifischer Reinigungstechnologien an, die der „zusätzlicher Fertigungsschritt“ (und damit isoliert) Verschmutzung Herr werden, ohne die Oberfläche betrachtet, sondern die Qualitätssicherung wird – oder funktionalen Eigenschaften der Bauteile anzuwie bei der Neuproduktion auch – als integraler greifen. und selbstverständlicher Bestandteil der gesamten Mindestens ebenso große Herausforderungen warProzesse gehandhabt. ten im Bereich Prüfung auf WiderverwendungsfähigIm Ergebnis kommt dann ein aufgearbeitetes Pro- keit der Bauteile: Die Kontrolle geometrischer und dukt auf exakt dem gleichen Qualitätsniveau, mit elektrischer Kennwerte, hinreichend für das Spektrum demselben Leistungsumfang, ebensolcher Lebensdau- klassischer Remanufacturingprodukte, stößt hier an er und mit der gleichen Garantie ausgestattet wie ein ihre Grenzen. Neuprodukt beim Kunden an. 4.5.6.2 Zugang zu technischen Informationen 4.5.6.1 Neue Technologien für Reinigung und Diagnose In allen Bereichen, in denen sich Refabrikation an der Neuproduktion orientiert, profitiert man von deren wertvollem Know-how, und dies nicht nur bei der Qualitätssicherung. Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnologien für die Aufarbeitung von Bauteilen sind aus der Neuproduktion bekannt und bewährt. Auch Montagetechnologien für das Remanufacturing profitieren vom Erfahrungswissen der Neumontage. Zahlreiche Aufgaben bei den ersten drei Schritten Demontage, Reinigung und Diagnose haben dagegen keine Vorbilder aus der Neuproduktion. Hier schafft sich die Refabrikation selbst neue Lösungen mit innovativen Technologien, setzt die industriellen Standards
Neue Testroutinen, teils als Anleihen aus der Neuproduktion, teils ergänzt um besondere Assessments je nach Komponentenvorleben und Lieferant, sind Gegenstand intensiver Entwicklungen zur Prüfung und Diagnose [4], die nur durch gemeinsame Anstrengungen aller beteiligten Marktteilnehmer und Disziplinen vorangebracht werden können. Dies gilt besonders für Baugruppen im Kraftfahrzeug mit Steuerelektonik. Für die Refabrikation von Motoren, (Automatik-)Getrieben, Bremskomponenten (ABS!) oder geschwindigkeitsabhängigen Servolenkungen wird der Zugriff auf technische Informationen nicht nur zur mechanischen Hardware, sondern auch zur elektronischen Hard- und Software, erfolgsbestimmend bzw. überlebensnotwendig.
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Hier muss man die hin- und hergehenden Informationsgehalte kennen, um die Komponenten auf Funktionstüchtigkeit zu testen. Dies erfordert zwingend den Zugang zu den Informationen und Spezifikationen des Automobil- bzw. Teileoriginalherstellers. In diesem Zusammenhang verdient die unlängst in Kraft getretene europäische „BER“ (Block Exemption Regulation), zu Deutsch „GVO“ (Gruppenfreistellungsverordnung) Erwähnung, die eine Liberalisierung und Stärkung des Wettbewerbs bzw. der Freiheiten im „Automotive Aftermarket“ zum Ziel hat. Eine der vielen Säulen der GVO ist ausdrücklich der „freie Zugang zu Service-Daten“ für alle Marktteilnehmer. De jure ist die Angelegenheit „Technische Informationen für Reparatur, Remanufacturing etc.“ auf dem Weg. De facto lässt zumindest der zeitliche Vorsprung sowie das Erfahrungs- und Hintergrundwissen bezüglich technischer Informationen bei den Originalherstellern es für alle im Refabrikationsgeschäft tätigen Unternehmen ratsam erscheinen, auf partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Originalherstellern zu setzen. Dieser Weg wird bereits immer häufiger beschritten.
4.5.6.3 Refabrikation im Automobilsektor
Remanufacturing hat eine große Tradition und auch eine beträchtliche Verbreitung in der Automobilbranche. Das Aufarbeiten von Automobilteilen macht derzeit wertmäßig zwei Drittel aller ProduktrecyclingAktivitäten weltweit aus. Die globale Aufarbeitungsindustrie insgesamt erzielt bereits einen Jahresumsatz von rund 100 Milliarden Euro. Insgesamt gesehen, kommen aufgearbeitete Produkte zu Preisen zwischen 40% und 80% des Preisniveaus neuer Produkte, durchschnittlich zu zwei Dritteln des Neupreises auf dem Markt an – und sie kommen dort gut an. Es ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: der Kunde freut sich über einen günstigen Preis; im Refabrikationsunternehmen kann man mit auskömmlichen Margen bzw. profitabel arbeiten. Sichtet man nur die wichtigsten Vertreter der umfangreichen Produktpalette der heute zu KfzAustauschteilen aufgearbeiteten Komponente, so entdeckt man eine sehr große Bandbreite von Teilen und Baugruppen.
4 Management des Produktlebenslaufs
Motoren Jedes zehnte Fahrzeug auf unseren Straßen erleidet irgendwann während seiner über zehnjährigen Nutzungsdauer einen endgültigen Ausfall des Antriebsmotors. Austauschmotoren werden somit sowohl von den Fahrzeugherstellern selbst als auch von Tausenden markenunabhängiger Aufarbeiter aus defekten oder verschlissenen Altmotoren gefertigt. Nach der Aufarbeitung erreicht der Motor wieder das Leistungsniveau eines neuen Originalaggregats – oder übertrifft dieses sogar: der zwischenzeitliche technische Fortschritt, wie geringerer Benzinverbrauch und bessere Abgaswerte, wird im Zuge der Aufarbeitung gleich mit eingebaut.
Anlasser und Lichtmaschinen Jedes Fahrzeug ist auf zwei Elektroaggregate unverzichtbar angewiesen: Anlasser und Lichtmaschine. Ein Fahrzeug braucht nicht nur diese zwei Aggregate, im Schnitt benötigt es zwei von jedem über die gesamte Nutzungsdauer: Eines Morgens versagt der Anlasser seinen Dienst – ein andermal leuchtet während der Fahrt plötzlich die Ladekontroll-/Warnleuchte im Cockpit auf. Beide Ereignisse sind Startsignale für einen Remanufacturingprozess. Abbildung 4.62 zeigt einen Blick in ein zugehöriges Unternehmen. Stückzahlmäßig sind Anlasser und Lichtmaschinen die Rekordhalter unter allen aufgearbeiteten Produkten. Etwa 50 Millionen Stück werden weltweit jährlich hergestellt – ähnlich viele wie neue Fahrzeuge!
Abb. 4.62 Montagebereich in einem Remanufacturing-Betrieb für Lichtmaschinen
4.5 Remanufacturing und Recycling
289
Kupplungen Kupplungen zählen zu den Schwerarbeitern im Straßenalltag – ob im Pkw oder Lkw. Früher oder später sind sie verschlissen. Refabrikation bietet somit auch hier die passende Lösung. Sowohl große Originalhersteller als auch viele kleine und mittelständische Unternehmen betätigen sich im Geschäft mit aufgearbeiteten Kupplungen. Abbildung 4.63 vermittelt Eindrücke aus einem großen RemanufacturingUnternehmen für Kupplungen.
Kraftfahrzeug-Elektronik Elektronische Steuergeräte, besser gesagt Computer, haben so gut wie jeden wichtigen Funktionskomplex im modernen Automobil erobert – wobei sich dieser Trend sicher noch fortsetzen bzw. verstärken wird. Elektronik steuert heute den Motor und den gesamten Antriebsstrang, in Gestalt der elektronischen Benzineinspritzung, richtiger Gangwahl im Automatikgetriebe, Anti-Schlupfregelung und vielem mehr. Computer stecken hinter fast allen Sicherheitsfunktionen, sie regeln die Fahrwerkstabilität und das Antiblockiersystem, zünden den Airbag im Falle eines Unfalles, überwachen den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug etc.. Elektronische Systeme sind auch bereits unverzichtbar geworden für den Fahrkomfort und haben sich zahlreiche neue Anwendungsfelder im Fahrzeug erschlossen. Klimatisierung und Audio-HifiAnlagen findet man schon seit einiger Zeit im Inneren des Fahrzeugs. Weitere Attribute und Assistenten erschließen sich auch die Außenwelt, z. B. durch erweitete mobile Kommunikation, Satellitennavigationssysteme usw.. Dabei ist dies für viele erst der Anfang der Entwicklung. Wann immer jedoch einen neue/elektronische Funktion hinzukommt, kann sie aber auch einmal ausfallen. Dies wird dem Remanufacturing im Kfz-Elektronikbereich, zu dem Abb. 4.64 einen Eindruck vermittelt, einen weiteren rasanten Aufwärtstrend bescheren.
4.5.6.4 Refabrikation in anderen Branchen Auch jenseits der Aktivitäten im Kfz-Austauschteilegeschäft tut sich Beachtliches: Technische Weiterentwicklungen und Marktwachstum bereiten fruchtbare Böden für das Remanufacturing in zahlreichen weite-
Abb. 4.63 Demontage und Montage von Pkw-Austauschkupplungen
290
4 Management des Produktlebenslaufs
Generalüberholung“ absolviert, fast jede denkbare Größe ab.
Fabrikausrüstungen, Warenverkaufs- und Getränkeautomaten
Abb. 4.64 Remanufacturing von Kfz-Elektronik
ren Industriezweigen und Produktsegmenten. Dieses Spektrum reicht von mechanischen und elektrischen Komponenten, mit Ähnlichkeiten zu Automobilteilen, über mechatronische und elektronische Produkte mit andersartigen Merkmalen bis hinein in vielerlei eigenständige Produktbereiche und Marktnischen mit individuellem Charakter. Die Stückzahlen reichen von Losgröße eins bis zu hunderttausenden Einheiten pro Jahr. Auch der Produktwert deckt vom elektronischen Kleinteil für wenige Cent bis hin zum 100-Millionen-Euro-Airliner, der seine „D-Check-
Abb. 4.65 Refabrikation von Industrierobotern
Schaut man sich in den interessantesten Aufarbeitungsunternehmen um und beginnt mit Mechatronik und Elektronik, so entdeckt man mit der Aufarbeitung von Werkzeugmaschinen und Industrierobotern besonders beeindruckende Beispiele. Mit einer umfassenden mechanischen und elektronischen Aufarbeitung des gesamten Bewegungskinematik und einer Modernisierung der elektronischen Steuerung werden diese Produkte wieder wie neu. Abbildung 4.65 vermittelt Praxiseinblicke Die Refabrikation von Industrierobotern und Werkzeugmaschinen steht für ein ganzes Feld von Fabrikausrüstungen bis hin zu vollautomatischen Hochregallagern – und dies stets zum halben Preis einer sonst notwendigen Neuinvestition. Eine für die Aufarbeitung interessante Produktgruppe, die jeder aus dem Arbeitsalltag oder der Freizeit kennt, sind auch Verkaufsautomaten für Süßwaren, Heiß- und Kaltgetränke. Die Produktgruppe birgt interessante Potenziale für die Refabrikation und eignet sich auch technisch hervorragend dafür. Die Getränkeautomaten werden nach vollständiger Zerlegung umfassend aufgearbeitet und anhand der aktu-
4.5 Remanufacturing und Recycling
291
Abb. 4.66 Refabrikation von Getränkeautomaten
ellen Produktgeneration am Markt entsprechendend dem Neuzustand modernisiert, Abb. 4.66.
• • • •
100 000 Unternehmen, 60 wichtigen Produktkategorien, 100 Milliarden Euro Jahresumsatz und über 500 000 direkt Beschäftigten
Kopierer im Remanufacturing ausgehen [5]. Kopiergeräte nahezu sämtlicher Hersteller werden in großer Zahl von Originalherstellern und unabhängigen Unternehmen gleichermaßen aufgearbeitet. Einer der großen Hersteller von Kopiergeräten in Europa betreibt ein „Business Unit“ Remanufacturing, das sich schon Mitte der 90er Jahre zu einer der profitabelsten Geschäftseinheiten im Konzern gemausert hatte. Als Hersteller, der seine eigenen Produkte aufarbeitet, kann man natürlich in ein modulares und für das Produktrecycling intelligent wegbereitendes Produktdesign schon bei der Konstruktion investieren – und später mehrmals davon profitieren. Beim recyclinggerechten Konstruieren lautet dann das Motto: „Wir erhöhen den konstruktiven Aufwand und damit die Recyclingfähigkeit unseres Produkts, um es im Markt gleich zweimal zu verkaufen: das erste Mal neu, das zweite Mal aufgearbeitet.“ Zusammengenommen ist die Refabrikation in verschiedenen Industriezweigen ein gigantischer globaler Wirtschaftsfaktor, der für eine unübersehbar weitgefächerte Produktpalette das Motto „aus alt mach neu“ tagtäglich und überall greifbare Wirklichkeit werden lässt – und kaum jemand nimmt dies wahr. Dabei bedeutet das immerhin Arbeitsplätze für viele hunderttausend Beschäftigte, die Produkte im Milliardenwert herstellen und für ein beträchtliches Steueraufkommen sorgen. Weltweit hochgerechnet, kann man von
4.5.7 Marktabdeckung und Qualitätsbewusstsein der Refabrikation wachsen Das Remanufacturing steigert Marktabdeckung und Marktdurchdringung – doch folgt das Kundenbewusstsein im gleichen Takt? Es erstaunt immer wieder, wie wenig die Endverbraucher Remanufacturingprodukte kennen bzw. darüber wissen. Hier wird noch viel Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungsarbeit zu leisten sein, in deren Verlauf auch die noch verbreitet anzutreffenden Vorbehalte (bzw. Vorurteile) gegenüber der Qualität und Zuverlässigkeit von Remanufacturingprodukten versachlicht werden sollten. Obwohl sich die Belege mehren, dass mit adäquaten Technologien gefertigte und auf neuestem Stand zu 100% geprüfte Remanufacturingprodukte das Qualitäts- und Zuverlässigkeitsniveau neu hergestellter Produkte erreichen oder zuweilen übertreffen, spielen diese Fragen immer noch eine Schlüsselrolle (um nicht zu sagen das „Killerargument“) in kontroversen Diskussionen über die Zukunft der Refabrikation und der Teilewiederverwendung. Dabei kommen
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wissenschaftliche Anstrengungen auf dem Gebiet der Ausfallwahrscheinlichkeiten, zu Belastungs- und Verschleißverläufen, Zuverlässigkeitstheorien und Lebensdauervorhersagen voran – wie auch (viel augenfälliger) neue praktische Beispiele eine eindeutige Sprache sprechen: Dies gilt über den Wolken ebenso wie auf der Straße: die sich immer weiter ausbreitenden Flugzeuggeneralüberholungen (und Konversionen vom Passagier- zum Frachtflugzeug, mit mehr Zuladung als zuvor) legen ebenso Zeugnis darüber ab, dass Produkte im zweiten Leben mindestens ebenso viel zugetraut wird wie im ersten (niemand fragt beim Ticketkauf, ob das Flugzeug neue oder aufgearbeitete Triebwerke hat), wie die jetzt von Automobilherstellern bzw. Originalherstellern von Teilen ganz selbstverständlich betriebene (und längst nicht mehr kritisierte) Austauschteilefertigung für Sicherheitskomponenten wie Bremsen oder Lenkgetriebe. ISO 9000 und Automobilstandards sind inzwischen ebenso selbstverständlich wie bei der (einstigen) Neuproduktion. Nachdem die Vorurteile lange dominiert haben, scheint die Vernunft nun das Bewusstsein zu schärfen.
4.5.8 Erschließung des Geschäftsfeldes Refabrikation Gibt es zusätzlich Geschäftschancen in der Refabrikation, die bisher vernachlässigt wurden? Wo liegen die Voraussetzungen, die Erfolgsfaktoren, aber auch die Hemmnisse? Solche häufig gestellten Fragen bedürfen einer sicheren Entscheidungsunterstützung.
4.5.8.1 Produktbezogenen Kriterien Für eine zunächst eher ingenieurwissenschaftliche und produktbezogen geprägte treffsichere Entscheidung über die Eignung eines Produkts zum Remanufacturing wurden vom Verfasser vor einer Reihe von Jahren erstmals Kriterienkataloge und Vorgehensweisen publiziert [6]. Diese bestehen aus der Abfrage von acht Kriterien, mit denen sich die wichtigsten entscheidungsrelevanten technischen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Aspekte zügig abprüfen lassen. Der Katalog umfasst:
4 Management des Produktlebenslaufs
• technische Kriterien (Art und Anzahl, Bauteile und Werkstoffe, Aufarbeitbarkeit), • Mengenkriterien (Stückzahlen, räumliches und zeitliches Aufkommen, Nachfrage), • Wertkriterien (Wertschöpfung Material/Fertigung/ Montage), • Zeitkriterien (Lebens- und Nutzungsdauer, Produktionszeitraum), • Innovationskriterien (technischer Fortschritt bei Neuproduktion und Recyclingprodukten), • Entsorgungskriterien (Rohstoffgehalt, Schadstoffgehalt), • Kriterien, die die Wechselwirkung mit der Neuproduktion betreffen (Abwehr der Aufarbeitung durch den Neuhersteller oder Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit der Neuproduktion), • sonstige Kriterien (Markt, Image, Produkthaftung, Schutzrechte der Recyclingprodukte). In jeder Kriteriengruppe sind die in Klammern genannten Parameter möglichst genau zu werten, um eine treffsichere Entscheidung zwischen Aufarbeitung oder Aufbereitung zu fällen. Hierbei können PortfolioMethoden, die aus dem Marketing und aus vergleichbaren strategischen Planungsaufgaben bekannt und bewährt sind, eine wertvolle Unterstützung geben. 4.5.8.2 Marktbezogene Kriterien zur Identifikation geeigneter Produkte für das Remanufacturing Nicht nur das Portfolio aufarbeitungsfähiger Produkte weitet sich aus – auch die Marktchancen für Remanufacturingprodukte wachsen. Während Austauschteile und After-Sales-Service schon zu den klassischen Einsatzgebieten zählen, erwachsen im Miet- und LeasingGeschäft auch noch neue bzw. zusätzlich große Marktpotenziale. Die produktbezogenen Kriterien zum Finden Remanufacturing-geeigneter Produkte sollten aus Sicht der aktuellen dynamischen Marktentwicklung noch um zusätzliche Aspekte ergänzt und erweitert werden [7], u. a.: • Vertriebsform/Betriebsform der Produkte (Verkauf/Leasing), • Servicekonzept/Serviceakteure (herstellergebunden/herstellerunabhängig), • Segmentierung der Märkte (Preisregionen, geographische Regionen),
Literatur
293
• Produktzustände bei Außerbetriebnahme (defekt/ technisch veraltet/modisch veraltet/neuwertig), • Transparenz/Zugänglichkeit technischer Spezifikationen der Produkte (Know-how-Bedarf und -Verfügbarkeit), • Interaktionsmöglichkeiten mit der Produktentwicklung (eigene oder fremde Produkte).
her noch eher eine Ausnahmeerscheinung, zum Standardvokabular in der Lieferanten-Kunden-Beziehung gehören. Dann könnte fast jedes „neue“ Produkt auch wiederverwendete Bauteile enthalten; ebenso selbstverständlich wie es heute bereits – ohne jegliches Aufhebens darum – mit aus Schrott gewonnenen Metallen hergestellt wird.
So können je nach Interessenlage des Herstellers, Remanufacturing-Unternehmens und (last but not least) des Kunden weitere Produkte mit Potenzialen identifiziert werden.
4.5.10 Produktaufwertung statt Verwertung
4.5.9 „Equivalent-To-New“-Produkte und „Matching Quality Parts“ sind die kommenden Begriffe für Produkte aus der Refabrikation Mit Sicherheit stehen sowohl die Produkt- bzw. Teilespektren als auch die Märkte für die Refabrikation erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung, Abb. 4.67. Alsbald könnten der aus der Computerindustrie kommende Begriff „ETN-Produkte“ (Equivalent To New) oder der in der bereits zitierten neuen europäischen Block Exemption Regulation (deutsch Gruppenfreistellungsverordnung) neu definierte Begriff „matching qualitiy parts“ (also den neuen Originalteilen qualitativ ebenbürtige, z. B. Austauschteile), beide bis-
In Zukunft sollten nicht nur die Konstruktion und Produktion, sondern auch alles, was „danach“ kommt, einen hohen Stellenwert in der produktionstechnischen Forschung und Entwicklung haben. Viel ist in jüngster Zeit von akademischer Seite getan worden, um Zulieferketten und Produktionsabläufe so weiterzuentwickeln, dass unter Beibehaltung der Vorteile einer Serienproduktion jeder Kunde dennoch sein individuelles, maßgeschneidertes Produkt in kürzester Zeit zum günstigsten Preis bekommt. Auch hier waren Konflikte zu überwinden, auch hier lernte man Konfrontation zu Kooperation so zu veredeln, dass alle Marktteilnehmer gemeinsame Vorteile erleben. Solche Auswirkungen und die erzielten Erfolge sollten Ansporn sein, auch in den (immer noch so genannten) Bereichen des „After-Sales-Services“ oder auch „Aftermarket“, also beim Remanufacturing und Recycling, vergleichbare Fortschritte zu erzielen. Noch sind die „Remanufacturing“-Erfolgsbeispiele zur Überwindung des Widerspruchs zwischen langen Produktlebensdauern und kurzen Innovationszyklen erst vereinzelt wegweisende „Leuchttürme“. Viele technologische und organisatorische Lücken sind noch zu schließen, manche (oft mentale) Denkbarriere ist noch zu überwinden. Eine wünschenswerte Weiterentwicklung zielt auf Wertschöpfung statt Werteverzehr, Aufwertung statt Abwertung bzw. Upcycling statt Downcycling im Recycling. Sie wird stattfinden.
Literatur
Abb. 4.67 Teile und Märkte für Remanufacturing-Produkte
1. Steinhilper, R.: Produktrecycling im Maschinenbau. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1988 2. Steinhilper, R.: Produktrecycling – Vielfachnutzen durch Mehrfachnutzung. Stuttgart: IRB-Verlag 1999 (auch in
294
4.
5.
6.
7.
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling 4.6.1 Einführung Viele Unternehmen stehen heute vor der Option, die Wirtschaftlichkeit ihrer Investitionen nicht mehr rein über den einmaligen Anschaffungspreis, sondern vielmehr über die gesamten Lebenslaufkosten zu beurteilen. Auf diese Weise sollen die Gesamtkosten bzw. der Gesamtnutzen eines Projektes durch eine transparente Darstellung aller entstehenden Folgekosten aufgezeigt werden. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Kosten für den Betrieb und die Entsorgung eines Produktes die Anfangskosten (= Investitionskosten) um ein Vielfaches übersteigen. Die Gründe hierfür liegen in der langen Lebensdauer der Produkte, in der die Kosten für den Betrieb und die Instandhaltung der Anlagen periodisch wiederkehren. So betragen die Anschaffungskosten für langlebige Investitionsgüter je nach Produkt gemessen an den gesamten Lebenslaufkosten heute nur noch 10 bis 30%. Die gesamten Projektkosten über den Lebenslauf gerechnet nehmen somit den Charakter eines Eisbergs an, dessen gesamte Ausdehnung nur schwer zu erfassen ist. Auf den ersten Blick sind nur die direkten Beschaffungskosten
Anfangskosten
Initiierungsphase
Zeit
englischer, französischer, italienischer, japanischer, koreanischer und chinesischer Sprache erschienen) Steinhilper, R.: Von Servicefabriken für Austauschteile zu Produktmodernisierungskonzepten. Beitrag zum Forum: Nachhaltiges Wirtschaften durch Produktrecycling. Stuttgart: Fraunhofer IAO, 16.10.2003 Freiberger, St.: Prüf- und Diagnosetechnologien zur Refabrikation von mechatronischen Systemen aus Fahrzeugen. Reihe „Fortschritte in Konstruktion und Produktion“ der Universität Bayreuth. Aachen: Shaker Verlag 2007 Lund, R.T.; Hauser,W: The Remanufacturing Industry – Anatomy of a Giant. Boston: Boston University, MA, USA 2003 Steinhilper, R.; Hudelmaier, U.: Erfolgreiches Produktrecycling zur erneuten Verwendung oder Verwertung – ein Leitfaden für Unternehmen. Eschborn: RKW-Verlag 1992 Steinhilper, R.; Dunkel, M.: Entwicklung von Recyclingund Remanufacturingprozessen. In: Schäppi, B. et al. (Hrsg.): Handbuch Produktentwicklung. München: Hanser 2005
Planungsphase •Konzeption •Design •Konstruktion Realisierungsphase •Bau/Herstellung •Text/Einf ührung •Text/Einführung
Folgekosten
3.
4 Management des Produktlebenslaufs
Betriebsphase •Nutzung •Instandhaltung •Upgrade
Anfangs Anfangs- kosten kosten
Folgekosten
Stillegung
Abb. 4.68 Der Eisberg Effekt (erweitert nach [1, 21])
(das „Preisschild“) sichtbar, während die implizit mit dieser Investition festgelegten Folgekosten gemeinhin verborgen bleiben oder tendenziell eher unterschätzt werden (Abb. 4.68). Genau hier setzt das Life Cycle Costing (LCC) an, mit dem neben der transparenten Darstellung der Zahlungsflüsse auch Stellhebel zur Kostenoptimierung untersucht werden. Die traditionellen Produktions- und Marktzyklen verlieren an Bedeutung, während der gesamte Lebenslauf des Produktes in den Mittelpunkt der Betrachtungen wechselt. Ziel ist die aktive Gestaltung der Entscheidungsvariablen Leistung, Zeit und Kosten eines Systems über einen Zeitraum, in dem ein Objekt entwickelt, geplant, erworben, erstellt, bearbeitet, genutzt, aufgearbeitet, stillgelegt, veräußert und/oder entsorgt wird. Im Rahmen einer Produktlebenslauferfolgsrechnung wird dabei versucht, sämtliche Aufwendungen und Erträge bzw. Kosten und Erlöse, bezogen auf die gesamte Lebensdauer eines Investitionsgutes, zu erfassen, möglichst transparent darzustellen und zu analysieren.
4.6.2 Vorteile einer lebenslaufumfassenden Erfolgsbetrachtung Die traditionelle Wirtschaftlichkeitsrechnung bezieht sich stets direkt auf den Betrieb, der diese Wirtschaftlichkeitsrechnung durchführt. Der Wirkbereich des Unternehmens definiert gleichzeitig die Bilanzierungsgrenzen für Aufwendungen und Erträge. Sobald sich die Wirkbereiche der Unternehmen auf zusätzliche Phasen des Produktlebenslaufes ausdehnen, stoßen die traditionellen Ansätze der Verrechnung und
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling
Planung von Aufwendungen und Erträgen an ihre Grenzen. Entsprechend des Ursprungs dieser Ansätze, wird die Produktentstehungsphase aufgrund der vielfach detailliert beschriebenen Wertschöpfungskette der Herstellung die Basis der Verrechnung darstellen, nicht jedoch zwangsläufig den Schwerpunkt der Entstehung von Aufwendungen und Erträgen. Des Weiteren steuern und kontrollieren die traditionellen Verrechnungssysteme die betrieblichen Aufwendungen erst ab dem Beginn der Produktionsphase. Um über den gesamten Lebenslauf zur Bewertung der Gesamtwirtschaftlichkeit zu gelangen, werden im Sinne eines strategischen Kostenmanagements für eine angemessene Erfolgsrechnung im Lebenslauf von Produkten neue Methoden und Modelle benötigt, welche die Systemeinheit Life Cycle Costing liefert. Durch sie sind für die Bewertung des Nutzens die Kriterien wie Leistung, Produktivität und Qualität zu berücksichtigen. Diesbezüglich bietet das Life Cycle Costing eine Reihe von Vorteilen, vgl. Abb. 4.69. So rückt eine ganzheitliche Sichtweise die verschiedenen Systemelemente (Leistung, Zeit, Kosten) und deren Beziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Lebenslauf bestimmt das Systemdenken. Er verlangt, die Konsequenzen für alle Elemente in die Entscheidung einzubeziehen, denn der isolierten Betrachtung von Systemelementen wohnt die Tendenz zur Suboptimierung inne. Die dynamische Sichtweise bedeutet, dass das Problem über die Ungewissheit der zu treffenden Entscheidungen durch Prognosen über zukünftige Entwicklungen, Handlungsalter-
Ganzheitliche Sichtweise
Entscheidungsinterdependenz
Systematische Problemspezifikation
Risikominderung Flexibilitätserhöhung
Systemdenken
Kostenverursachung
Verrichtungsorientiertes Vorgehen
Suboptimierung
Kostenbindung ?
Phasenspezifische Ergebnisse
Abb. 4.69 Vorteile des Life Cycle Costing
nativen und Prämissen anhand von Indikatoren bzw. Kennzahlen überprüft wird. Die Entscheidungsinterdependenz bezieht die große Bedeutung von Entscheidungen in frühen Lebensphasen des Systems und ihre Folgewirkungen in späteren Phasen ein. Allzu häufig wird übersehen, dass zwar die Kostenverursachung zu Beginn des Lebenslaufs gering, die Kostenbindung aber sehr groß ist. Nach empirischen Erkenntnissen liegen nach der Initiierungsphase bereits ca. 50% und am Ende der Konstruktionsphase sogar bis zu 90% der Kosten fest. Das Life Cycle Costing-Konzept dient zur Erkennung eines systematischen, verrichtungsorientierten Vorgehens (Systematische Problemspezifikation). Zu phasenspezifischen Problemen werden konkret zu definierende Ziele gebildet, die zu phasenspezifischen Ergebnissen führen und weitere Entscheidungen ermöglichen. Das Life Cycle Costing stellt dazu phasenabhängige Methoden, Instrumente und Modelle bereit. Die phasenorientierte Sichtweise trägt zur Risikominderung und zur Erhöhung der Flexibilität bei. Maßnahmen zur Risikominderung setzen an einer qualitativen Aufspaltung des Risikos in einzelne Komponenten, z. B. in das technische Realisationsrisiko, das Zeit- und Kosten- sowie das Verwertungsrisiko, an. Diese Risikokomponenten entwickeln sich im Zeitverlauf unterschiedlich. Zusätzliche Schnittpunkte in den ersten Phasen sind dort vorzusehen, wo noch maßgeblich auf den Projekterfolg und die Projektkosten Einfluss genommen werden kann. Sunk Costs zeigen sich oft als entscheidungshemmender Faktor.
Lernprozess
Systemteilung
Risikoaufspaltung
Verringerung der Unsicherheit
Unterschiedliche Elementbeteiligung
Phasenschnittpunkte
Lernraten
Intraorganisatorische Fragestellungen
Prozessoptimierung
295
296
Die Abnahme des Risikos ist wesentlich auf die Zunahme an Informationen über das System zurückzuführen. Der Lebenslauf von Systemen kann als Lernprozess betrachtet werden, wobei die Unsicherheit über den Verlauf des Produktlebens geringer wird. Bei der Systemteilung sind während des Lebenslaufs unterschiedliche Partner in unterschiedlichem Ausmaß am System beteiligt. Als intraorganisatorische Fragestellung sind hier die Beziehungen verschiedener Organisationen zueinander zu untersuchen. Das Life Cycle Costing dient der externen und internen Integration. Die Phasen bieten sich als Bezugspunkte an, wenn zwischen den Beteiligten Vereinbarungen über die Systemvariablen Leistung, Zeit und Kosten getroffen werden. So können für einzelne Teilphasen oder mehrere Teilphasen zusammen rechtlich verbindliche Regelungen (Verträge) abgeschlossen werden. Die interne Integration der Systemnutzer betrifft das intraorganisatorische Problem der Festlegung der Anzahl, Qualifikation, Verantwortung und Kompetenz der Beteiligten, deren Zusammenarbeit und auch der notwendigen Unterstützung der Befürworter des Konzeptes durch Promotoren.
4.6.3 Einsatzgebiete des Life Cycle Costings Eine lebenslaufübergreifende Kostenrechnung soll somit Voraussagen über die ökonomischen Auswirkungen von technischen und organisatorischen Maßnahmen im Rahmen eines erfolgreichen Technologiemanagements ermöglichen. In Abb. 4.70 sind die schwerpunktmäßigen Einsatzgebiete von LCC-Analysen dargestellt. Durch die langfristige Sichtweise lassen sich mit den Analysen versteckte Kostentreiber, aber auch Nutzenpotenziale über den Lebenslauf identifizieren. Die Analyse liefert dadurch Kennzahlen für Outsourcing-Strategien bis hin zur Kalkulation von modernen Full-Service-Konzepten und Komplettvergaben. Die Identifikation von Kostentreibern ermöglicht es, diese Prozesse gezielter zu analysieren und ggf. innerhalb der Wertschöpfungspartner durch Umverteilung von Leistungsbündeln zu einer insgesamt effizienteren Leistungserbringung zu gelangen. Eine LCC-Analyse des Produktionsportfolios (eingesetzte Ressourcen/Leistungsoutput) kann so frühzeitig ungenutzte Potenziale und Geschäftsrisiken
4 Management des Produktlebenslaufs Vollständige Investitionsrechnung für das Anlagevermögen (Investitionskosten sowie laufende Kosten) Proaktive Bugdetplanung Cash-flow Analysen, Return on Investment (ROI) Planung und Bewertung von Outsourcing Entscheidungen Identifikation von Kosten- und Nutzenpotentialen
Belastbare Kostenplanung und Kontrolle für das Investitionsprojekt
Prognostik: Analyse von „what if“ Szenarien Bestimmung von optimalen Maschinenersatzzeitpunkten Gestaltung von Life Cycle Cost Verträgen Aufbau von lebenslauf übergreifenden Life Cycle Controlling Systemen
Abb. 4.70 Einsatzmöglichkeiten von LCC Analysen
aufdecken. In jüngster Zeit werden diese Kalkulationen verstärkt als Grundlage in Verträgen hinterlegt, in denen Hersteller sich verpflichten, einen Teil des Risikos im Falle von Kostenabweichungen zu tragen (Life Cycle Cost-Verträge). Über diese Entwicklungen sowie über die strategischen Optionen, die sich aus einer aktiven Beeinflussung der Kosten im Rahmen eines permanenten Controllings (Life Cycle Controlling) ergeben, wird später noch eingegangen. Die Gewinnung von lebenslauforientierten Kostenverläufen soll eine belastbare, zukunftsorientierte Kostenplanung und Kontrolle für das gesamte Investitionsvorhaben ermöglichen. Die Analysen eignen sich nicht nur zur Darstellung der Gesamtwirtschaftlichkeit, sondern auch zur detaillierten Analyse der kritischen Erfolgsgrößen. Durch Sensitivitätsanalysen kann dabei die Hebelwirkung bei der Veränderung einzelner Kostenpositionen über den Lebenslauf aufgedeckt werden. Die zukunftsbedingte Prognoseunsicherheit kann in der Praxis durch die Abbildung alternativer Szenarien (z. B. worst-case, best-case) abgefangen werden. Die daraus gewonnenen Ergebnisse geben Aufschluss über den Risikograd der Investition. Möglicherweise können besonders risikiobehaftete Positionen durch langfristige Verträge mit Fremdleistern eingekauft werden. Das Life Cycle Costing unterstützt damit die Finanzplanung (cashflow, Mittelbedarf) und erlaubt eine vorausschauende Budgetplanung. Für ein konsequentes Controlling muss diese Kalkulation in der Nutzungsphase des Systems permanent nachgehalten und aktualisiert werden, um Abweichungen früh zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling
In den letzten Jahren sind verschiedene Standards und Normen für die Durchführung von LCC Analysen entstanden, die auf eine Vereinheitlichung der Berechungsgrundlagen in verschiedenen Branchen abzielen. So sind in den USA Standards zum Gebäudemanagement [13] sowie im Militär [3, 8, 9, 14] entstanden. In Europa sind des Weiteren die DIN EN 60300 [2] sowie das Regelwerk der UNIFE (Association of European Railway Industries) [16] bekannt. Speziell in Deutschland haben jedoch die VDI 2884 sowie das VDMA Einheitsblatt 34160 [18] weite Verbreitung in der industriellen Praxis gefunden. Die Standards stellen jeweils Kataloge von potentiellen Kostenpositionen dar, die in einer LC-Kalkulation berücksichtigt werden müssen. Die Auflistung erleichtert somit dem Nutzer die vollständige Erfassung der Kosten.
4.6.4 Phasen im Produktlebenslauf 4.6.4.1 Kosten und Erlöse im Lebenslauf Zu verschiedenen Zeitpunkten in einem Produktlebenslauf sind unterschiedliche produktbezogene Entscheidungen zu treffen. FuE-, Service- und Entsorgungsaktivitäten gewinnen an Bedeutung. Die Schwierigkeit ist dabei das Problem unvollkommener Erwartungen, d. h. die Zukunft bleibt letztendlich unvorhersehbar; dadurch kommt es mit der Zeit zum „Information overload“. Das erklärte Hauptziel einer
Phasen
Entstehung
Gebrauch
Recycling
297
Life Cycle Costing-Analyse besteht darin, die Differenz aus Lebenslaufkosten und Nutzen (bewertet z. B. in Geldeinheiten oder Kosten pro Stück) zu maximieren. Grob lassen sich die Lebenslaufkosten in folgende Bestandteile gliedern, vgl. Abb. 4.71: • Entstehungskosten, • Gebrauchs- und Servicekosten, • Recycling- und Aufarbeitungskosten. Der Durchlauf dieser drei Phasen ist gleichbedeutend mit dem technischen Produktlebenslauf. Nachdem ein Produkt im Anschluss an seine Entstehungsphase am Markt angeboten und verkauft wurde, durchläuft es seine Gebrauchsphase, bis es durch ein anderes, evtl. leistungsfähigeres Produkt ersetzt wird, bzw. in der Beseitigungsphase zu rezyklieren oder zu beseitigen ist. Für die vorausschauende und nachhaltige Anpassung der Produkteigenschaften an die diversen Einflüsse und Anforderungen während und nach der Entstehung dienen die Lebenslaufphasen des technischen Produktlebenslaufes als Orientierung [7]. Analog zu den Lebenslaufkosten lassen sich den einzelnen Phasen die Lebenslauferlöse zuordnen. Dazu zählen die Entstehungserlöse, Fertigungs-, Marktund Serviceerlöse sowie die Entsorgungserlöse. Aufgrund der eingeschränkten Prognosemöglichkeit der tatsächlich zu erwartenden Erlöse liegt der Fokus der Betrachtung in der Praxis zumeist auf der Kostenseite. Erlöse unterliegen zumeist nicht beeinflussbaren Markt- bzw. Absatzschwankungen, so dass sie in Prognosen nur unzureichend (etwas als Planwer-
Kosten
Erlöse
Forschungs-, Entwicklungs- und Anpassungs-Änderungskosten
Fördermittel, Subventionen und Erlöse aus Lizenzvergabe für produkt- und prozessspezifische Entwicklungslseistungen
Fertigungskosten:
Fertigungserlöse:
Instandhaltungs-, Anschaffungs-, Vorbereitungs- und Herstellkosten
Erlöse aus dem Verkauf und Betriebsmitteln und freien Kapzitäten
Marktkosten:
Markterlöse:
Kosten für fortlaufende Marktanalyse und Vertriebsanpassungen
Erlöse aus dem Verkauf der Produkte
Servicekosten: Aufbau eines Services, Kosten für Ersatzteile und Zubehör sowie Personal
Erlöse aus dem Verkauf von Ersatzteilen und Zubehör, Instandhaltung (Serviceverträge) und Serviceleisungen (Beratungen, Schulungen, Finanzdiensteistungen)
Entsorgungskosten:
Entsorgungserlöse:
Kosten für Aufarbeitung und Altprodukte
Erlöse aus dem Verkauf aufbereiteter Werkstoffe und Werkstücke, Erlöse aus der Rücknahme von Altprodukten
Serviceerlöse:
Abb. 4.71 Bilanzgrenzen der Lebenslauferfolgsrechnung [1, 10–12, 17–22]
298
te, „Konstante“) integriert und abgebildet werden können. In der Analyse werden daher zunächst die relevanten Kostenblöcke sowie die darin enthaltenen Cost Driver identifiziert. Die Art und die Gewichtung der Kostenblöcke sind natürlich je nach Investitionsgut völlig unterschiedlich. Zu den Entstehungskosten zählen die Forschungs-, Entwicklungs- und Anpassungs-/ Änderungskosten. Zur Bewertung des Gesamterfolges im Lebenslauf sind die zugrundeliegenden Wertveränderungen, d. h. die Gesamtheit der in den einzelnen Perioden anfallenden Kosten und Erlöse zu berücksichtigen. Existieren nun funktional marginal unterschiedliche Lösungsoptionen für ein bestimmtes Systemdesign, so kann eine Life Cycle Costing-Analyse dazu beitragen, die wirtschaftlich beste Variante zu favorisieren. Werden sodann – in späteren Phasen – die Ergebnisse der periodisch durchgeführten Life Cycle Costing-Analysen kritisch beurteilt und innerhalb eines Verbesserungszyklus wiederum zur Optimierung des Designs verwendet, resultiert zuletzt ein technisch-wirtschaftlich optimiertes Produkt. Als Entstehungserlöse der ersten Phase lassen sich Fördermittel, Subventionen und Erlöse aus Lizenzvergabe für produkt- und prozessspezifische Entwicklungsleistungen zurechnen. Um dieses Ziel adäquat zu erreichen und die Anforderungen in Bezug auf Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Sicherheit zu erfüllen, muss man sich schon möglichst frühzeitig mit den Fragen der Instandhaltbarkeit aller Teilsysteme auseinandersetzen. Das heißt, in der zweiten Phase fallen im Rahmen der Fertigungskosten die Kosten für Instandhaltung neben den Anschaffungs-, Fertigungsvorbereitungs- und Herstellkosten an. Die Instandhaltbarkeit wiederum stellt ein Maß für die Eigenschaft eines Systems funktionstüchtig gehalten werden zu können, dar. Dabei spielen insbesondere die Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit der einzelnen Teilsysteme und des Gesamtsystems eine zentrale Rolle; aber auch die Möglichkeit der Zustandsüberwachung sowie die Fehlerlokalisierung und die rein mechanische Zugänglichkeit der Teilsysteme darf nicht vernachlässigt werden. Diese Kenngrößen können nur im Rahmen gezielter Aktionen sichergestellt werden. Die Entwicklungsund Konstruktionsprozesse müssen so angepasst werden, dass die grundlegende Instandhaltungsphilosophie regelrecht in die Produkte „hineingebracht“ wird. Gleichzeitig muss der Konstrukteur sich Gedanken über die Ersatzteilhaltung machen. Je nach Produkt-
4 Management des Produktlebenslaufs
komplexität und je nach Erfahrung seitens der Betreiber solcher Güter, muss er z. B. festlegen, auf welcher Ebene die Ersatzteilhaltung erfolgen soll. Durch die systematische Umsetzung all dieser Konzepte resultiert schon in einer frühen Projektphase ein breites und tiefes Wissen über die Kenngrößen der Wartung und der Instandsetzung (Reparatur). In Bezug auf die Wartung werden z. B. Wartungsintervalle und Wartungsaktivitäten identifiziert. Im Bereich der Reparatur werden Häufigkeiten, Auswirkungen jeglicher Ausfälle und zugehörige Aktivitäten der Fehlerlokalisierung und der Fehlerbehebung ermittelt. Mit einer Life Cycle Costing-Analyse werden nun die einzelnen Kenngrößen kostenmäßig verknüpft und möglichst transparent dargestellt. Je nach Anforderungen seitens der Betreiber kann nun der notwendige Handlungsbedarf abgeschätzt werden. Ist z. B. der Aufwand für die Reparatur im Verhältnis zur Wartung viel größer, ist abzuklären, ob die Wartungsaktivitäten richtig angesetzt wurden. Ferner ist in einer solchen Situation abzuklären, ob eventuell Designmodifikationen das Ausfallverhalten und die Ausfallfrequenz positiv beeinflussen könnten. Zusätzlich zu den Fertigungskosten entstehen Marktkosten für fortlaufende Marktanalysen und Vertriebsanpassungen. Ferner fallen Servicekosten für den Aufbau eines Services, für Ersatzteile und Zubehör sowie Personal an. In der zweiten Phase lassen sich Fertigungs-, Markt- und Serviceerlöse zurechnen. Als Fertigungserlöse gelten die Erlöse aus dem Verkauf von Betriebsmitteln und freien Kapazitäten, als Markterlöse die Erlöse aus dem Verkauf der Produkte und als Serviceerlöse die Erlöse aus dem Verkauf von Ersatzteilen und Zubehör, aus der Instandhaltung (Service-Verträge) und sonstigen produktbegleitenden Serviceleistungen (Beratung, Schulung, Finanzdienstleistung). In der dritten Phase ist bei der Stilllegung die Beseitigung von Folgewirkungen als Entsorgungskosten zu beachten. Entsorgungserlöse entstehen aus dem Verkauf aufbereiteter Werkstoffe und Werkstücke und aus der Rücknahme von Altprodukten.
4.6.4.2 Phasendifferenzierung Die Kosten der einzelnen Teilphasen sind je Phase weiter zu differenzieren, da sie in allen Phasen des Lebenslaufes feststellbar sind. In diesem Zusammenhang sind folgende Interpretationen wichtig, Abb. 4.72 [22]:
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling
Gesamtwirtschaftliche Leistungen im Produktlebenslauf
höhere Nutzung
Recycling/ Aufarbeitung
längere Lebensdauer
Nutzung und Service
Nutzen Herstellkosten
Auslegung & Konstruktion
Betriebskosten
Nutzung/Service
Aufwand für Recycling und Entsorgung
Aufarbeitung und Recycling
Recycling/ Aufarbeitung Nutzung und Service
Skalierung und Design
Zeit
Voraussage von Leistungspotenzialen
Erlöse
Kosten
Kosten
Kumulierte Kosten und Nutzen
höhere Wiederverwendung umweltverträgliche Produkte und Verfahren
299
Abb. 4.72 Der Verlauf der Kosten und Nutzen im Produktlebenslauf
Entscheidungsrelevanz: Die entscheidungsrelevanten Kosten sind zu differenzieren als Kosten, die durch eigene Handlungen und Entscheidungen bewirkt werden und als irrelevante Kosten, die von der betrachteten Handlungsmöglichkeit nicht betroffen bzw. nicht beeinflussbar sind. Ein Spezialfall der irrelevanten Kosten sind die Sunk Costs (nicht wieder rückgängig zu machende Kosten). Aus diesem Blickwinkel sind Sunk Costs zum jeweiligen Entscheidungspunkt irrelevant und ihre Projektbedeutung demnach entsprechend gering. Häufigkeit: Die Häufigkeit der Kosten differenziert in einmalige und wiederkehrende Kosten. Letztere können kontinuierlich, in regelmäßigen oder unregelmäßigen Intervallen auftreten. Sinnvollerweise ist bei den kostenrelevanten Entscheidungen besonders auf das Auftreten von wiederkehrenden Kosten zu achten. Kausalität: Dieser Unterscheidung kommt im Rahmen einer lebenslauforientierten Entscheidungsfindung die weitaus größte Bedeutung zu. Man differenziert zwischen Anfangskosten (Einmalkosten, Investitionskosten, Erstkosten) und Folgekosten (Zweitkosten, laufende Kosten, Betriebskosten). Wesentlich ist erstens, die Folgen von Entscheidungen schon sehr früh in der Planungsphase des Systems zu beachten sowie zweitens die Folgekosten – notfalls unter Inkaufnahme höherer Anfangskosten – zu senken [22]. Eine Zielsetzung des Life Cycle Costing besteht in der richtigen Differenzierung dieser Merkmale und der Darstellung möglicher Kostenblöcke und Einfluss-
faktoren auf die Lebenslaufkosten. Die Charakteristik eines Lebenslaufes eines Produktes lässt einerseits die Aufwendungen der Lebenslaufpartner steigen, bietet aber andererseits auch Potenziale zur Erschließung neuer Geschäftsfelder. Durch eine ganzheitliche Bewertung des Lebenslaufes eines Produktes wird in diesem Zusammenhang der Gebrauch eines modernen, komplexen Produktionssystems mit hoher Leistung und Produktivität entscheidend durch die Beherrschung der Systeme und Teilsysteme bestimmt. Je besser dies gelingt, umso wirtschaftlicher lässt sich auch in den Grenzbereichen von Leistung und Präzision produzieren. Für einen hohen Erfolg sind geeignete Wege zu gehen, um die sicherlich höheren Kosten im Produktlebenslauf durch gesteigerte Erlöse zu kompensieren, vgl. Abb. 4.72. Im Vordergrund des Life Cycle Costing steht die optimale Gestaltung des Produktlebenslaufes, wobei die Beherrschung der Komplexität des Planungsproblems eine große Rolle spielt. So bewirken gesteigerte Aufwendungen für die Konstruktion oder Materialauswahl möglicherweise in späteren Lebenslaufphasen höhere Erlöse. Die Forderung nach einer wirtschaftlichen Begründung zusammenhängender und sinnvoller Aktivitäten wird durch Komplexitätstreiber entsprechend erschwert. Markt-, Produkt-, Organisations- und Fertigungskomplexitäten sollen frühzeitig identifiziert werden. Bei der Bewertung des Erfolgs nach traditionellen Ressourcenmodellen bleiben wichtige Aspekte des technischen und organisatorischen Umfeldes des Produktes unberücksichtigt, wie z. B. instabile Wettbewerbsverhältnisse, Kunden- und Auftragsvielfalt, fer-
300
tigungsgerechtes Produktdesign, Zahl verschiedener Komponenten, Materialien und Teile, Anzahl eingesetzter Technologien, Systementwicklung und Systemanpassung. Die Verfahren und Methoden des traditionellen Rechnungswesens eines Unternehmens orientieren sich bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit an der innerbetrieblichen Leistungserstellung. Mit einer Zunahme an Aktivitäten außerhalb der Unternehmensgrenzen ist das Rechnungswesen zukünftig an den Lebensläufen der produzierten Güter auszurichten. Durch die ganzheitliche Bewertung werden die unterschiedlichen Einflüsse kalkulierbar, die eine Senkung oder Erhöhung der Kosten oder des Nutzens bewirken. Auf diese Weise werden Maßnahmen und Potenziale sichtbar, die erst durch das Paradigma einer phasenübergreifenden Produktlebensbetrachtung zu Tage treten. Es wird auch deutlich, dass eine zeitliche Disparität zwischen dem Auslösen und dem Eintritt der Wirkung von Maßnahmen herrscht. Aus einer gesamtwirtschaftlichen Sichtweise wird deutlich, dass der größte Anteil der Kosten und Erlöse in der Nutzungsphase eines Produktes entsteht. Diese Phase entscheidet damit über den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg eines Produktes, da in dieser Phase die größten Zahlungsflüsse stattfinden. Die Basis für den Produkterfolg wird jedoch in der Konstruktion gelegt, denn hier werden die Produkteigenschaften festgelegt und die Leistungsmerkmale bestimmt.
4.6.5 Investitionskosten versus Betriebskosten – Trade offs Bei der Betrachtung von Lebensläufen verschiedener Produkte fällt auf, dass diese äußerst unterschiedlich lange Lebensläufe aufweisen. Des Weiteren unterscheiden sich die Produkte in dem Grad ihrer Komplexität. In der Praxis sowie in den Normen und Richtlinien hat sich hierzu die einfache Untergliederung der Lebensläufe in die beiden Kategorien der Investitionskosten und der Betriebskosten durchgesetzt [17, 18]. Die Investitionskosten erfassen alle einmaligen Kosten des Produktes wie Herstellkosten, Installations- und erstmalige Schulungskosten sowie Recyclingkosten. Die Betriebskosten erfassen alle laufenden Kosten (incl. Instandhaltung, Service, ungeplante Stillstände, etc.) während der Nutzung des Produktes über den gesamten Lebenslauf. Das Verhältnis dieser beiden Kos-
4 Management des Produktlebenslaufs
tentreiber identifiziert die Hauptstellgrößen für einen Optimierungsansatz. Wichtig ist, dass beide Kostenarten über den gesamten Lebenslauf erfasst (oder zumindest prognostiziert) werden. In einem weiteren Schritt muss dann die LCC Strategieempfehlung auf die einzelnen Produktfunktionen heruntergebrochen werden, so dass konkrete Maßnahmen am Ursprung der Kostenentstehung eingeleitet werden können. Die Ursache für die spezifische Kostenentstehung kann an unterschiedlichen Punkten im Lebenslauf verankert sein. Diese zu identifizieren ist häufig sehr zeitaufwendig und problematisch. Eine Hilfestellung leistet eine detaillierte Analyse der „Trade-offs“ (Abb. 4.73). Eine Betrachtung der Trade-offs (Trade-off = Wechselwirkung) und der Möglichkeiten zur lebenslaufübergreifenden Koordination zeigt, dass die Phasen nicht unabhängig voneinander zu sehen sind und dass insbesondere dem Entstehungsphase eine besondere Bedeutung für das Life Cycle Costing beizumessen ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in den frühen Phasen des Produktlebenslaufes – wie bereits zuvor festgestellt – ein Großteil der Kosten bereits festgelegt wird, die im weiteren Verlauf des Lebenslaufs nicht mehr beeinflussbar sind. Es sind somit früh Entscheidungen zu fällen, bei welchen die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Qualitäts-, Zeit-, Erlös- und Kostenzielen berücksichtigt werden müssen. Die Auswirkungen auf den Produkterfolg können nun mit dem Instrumentarium des Life Cycle Costings genau analysiert werden. Für fundierte Entscheidungen sind integrierende und langfristige Sichtweisen erforderlich und die einzelnen Zielaspekte müssen quantifizierbar gemacht werden. Abbildung 4.74 zeigt ausgewählte Trade-offs für ein Beispielprodukt über dessen Lebenslauf. Mit den durchgezogenen Pfeilen werden die Trade-offs der Konstruktions- und Entwicklungsphase zu den anderen Phasen verdeutlicht, die gestrichelten Linien zeigen Trade-offs der Phasen untereinander. In der Herstellungsphase ist zu prüfen, ob durch Umkonstruktion gegebenenfalls die gesamten Herstellkosten reduziert werden können. Die bei der Fertigung nachträglich durchzuführenden Anpassungen und Änderungen beeinflussen in starkem Maße die Höhe der Herstellkosten. Die Fertigungskosten werden durch ein fertigungs- und montagegerechtes Produktdesign verringert, wie z. B. der Bildung von Teile- und Fertigungsfamilien sowie von standardi-
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling Kosten
Kosten
klassische Kostenverteilung
301
TRADE-OFF
A Anschaf-fungs-kosten
Betriebs- und Instandhaltungskosten
Zeit
Anschaf schaf-fungs fungs-kosten
Betriebs- und Instandhaltungskosten
Kosten
TRADE-OFF
Zeit
B Betriebs- und Instandhaltungskosten
Zeit
Markt „Produktleistungsdaten“
...entsorgungs ...
...auf-/umarbeitungs...
...wartungsund service...
Fertigung
...nutzungs ...
F-Kosten
...fertigungs...
Informationsrückführung zur ....gerechten Entwicklung & Konstruktion
Konstruktion und Entwicklung
Weitgehende Festlegung des Lebenslauferfolges
Entsorgungsphase
Nutzungsphase
Herstellungsphase
Abb. 4.73 Strategische Handlungsoptionen zur Lebenslaufoptimierung (erweitert nach [21])
Betrieb
Betriebskosten/-erlöse
Wartungs-/Servicekosten/-erlöse
„Produktleistungspotentiale“ Aufarbeitungskosten/-erlöse
Wartung/Service Upgrading „2. Produktleben“
Markt Entsorgungskosten/-erlöse
Deproduktion
Abb. 4.74 Trade-Offs über den integrierten Produktlebenslauf (erweitert nach [5])
sierten Baugruppen. Zudem beeinflussen die bei der Fertigung realisierten Qualitäten und Lieferzeiten die Absatzzahlen auf dem Markt je transparenter der Markt und je größer die Konkurrenz durch Substitutionsprodukte ist. Die am Markt nachgefragten Stückzahlen und Varianten wirken wiederum über die erzielbaren Kostenerfahrungskurveneffekte auf die Fertigungskosten. Welche Komponenten machen welchen Anteil der Herstellkosten aus und lohnt sich eine Umkonstruktion gegenüber der Basisvariante? In der Nutzungsphase ist zu prüfen, wie durch eine integrierte und automatisierte Prozesskette bei Betrieb, Wartung und Upgrading die Kapazitätskosten erhöht werden und ob und der Zustand des Produktes aufgrund von Marktforderungen realisiert
worden ist und welche Wechselwirkungen hier zu den Gesamtherstellkosten bestehen. So hat die Entwicklungsleistung einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe der Servicekosten und -erlöse. Der Service seinerseits ist entscheidend für die Erhaltung und den Zustand des Produktes. Der Zustand bestimmt zu einem großen Teil die Entsorgungsanforderungen. In der Entsorgungsphase ist zu beachten, dass z. B. eine entsorgungsgerechte Konstruktion höhere Entwicklungskosten verursacht, aber Wechselbeziehungen zwischen den verminderten Entsorgungskosten bestehen. Die Qualität der entsorgten Komponenten hat direkten Einfluss auf die Entsorgungserlöse. Das Life Cycle Costing berücksichtigt somit das vernetzte und äußerst komplexe Beziehungsgefüge
302
und erlaubt die Abschätzung und Optimierung des Lebenslauferfolges durch die gezielte Analyse und Beeinflussung der übergreifenden Wechselwirkungen [4–6, 10–12].
4.6.6 Life Cycle Value Strategien Eine möglichst genaue Kenntnis der Life Cycle Costs kann in einem weiteren Schritt gezielt für die Realisierung von Verbesserungspotenzialen oder gar die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eingesetzt werden. Damit kann die Kenntnis der eigenen Produktkosten über den Lebenslauf zur Generierung weiterer Erlöse durch das Aftersales-Geschäft als strategischer Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Uni Stuttgart wurde dazu in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IPA eine generelle Vorgehensweise entwickelt, mit der sich auf Basis der Lebenslaufkosten wertorientierte Geschäftsmodelle und Produktionsstrategien ableiten lassen. Die generelle Vorgehensweise und Systematik für derartige Life Cycle Value-Strategien zur Mehrwertschöpfung ist in Abb. 4.75 dargestellt. Grundlegend gilt, dass für die Ausarbeitung und Implementierung der Strategien eine möglichst genaue Kenntnis der Lebenslaufkosten erforderlich ist. Die Prognosegenauigkeit der LCC beeinflusst in großem Maße die Validität der daraus aufbauenden strategischen Entscheidungen und Geschäftsmodelle. Zunächst ist es daher wichtig, eine genaue Bestimmung der Bilanzgrenze des Untersuchungsgegenstandes vorzunehmen. So ist festzulegen, ob bei der LCC Analyse z. B. nur eine Maschine, der gesamten Arbeitsplatz (z. B. inkl. Bediener) oder die gesamte Produktionsumgebung in die Analyse mit einbezogen werden soll. Mit der Größe des Bilanzrahmens („Hüllfläche“) steigen auch die zu berücksichtigenden Parameter. Allerdings bietet die größere Anzahl von Stellgrößen auch die Chance auf weitreichendere Rationalisierungspotenziale. Nachdem die Bilanzgrenze festgelegt wurde, müssen im nächsten Schritt die relevanten Kostentreiber identifiziert und mit geeigneten Berechungsvorschriften innerhalb des Kalkulationsschemas parametrisiert werden. Aufgrund der Komplexität, aber auch wegen der flexibleren Einsatzmöglichkeiten werden die-
4 Management des Produktlebenslaufs
se Kalkulationsmodelle in der Praxis zumeist in EDVbasierten Werkzeugen hinterlegt und als Standard innerhalb des Unternehmens bereitgestellt (z. B. für die Bereiche Vertrieb sowie Service). Das hinterlegte Modell kann nunmehr als Basis für die Erarbeitung von weiteren nutzbringenden Dienstleistungsangeboten eingesetzt werden. Über die Identifikation der Hauptkostentreiber können beispielsweise interne Maßnahmen zur Wertanalyse des Produktes angestoßen werden. Denkbar sind aber auch Dienstleistungen zur Optimierung des Produktes innerhalb der individuellen Einsatzbedingungen beim Kunden. Damit können neben dem Engineering auch Ratioprojekte zur Optimierung ganzer Produktionssysteme als Dienstleitung durch den Hersteller angeboten werden.
4.6.7 Life Cycle Cost-Verträge Immer häufiger verlangen Kunden heute Sicherheiten bezüglich der Folgekosten ihrer Investitionsgüter. Dazu fordern sie von den Anlageherstellern in zunehmendem Maße vertraglich fixierte Garantien über einen großen Teil der maximal zu erwartenden, zukünftigen Betriebskosten. Diese Life Cycle Cost-Verträge (Blockgarantien) begrenzen das kundenseitige Kostenrisiko und binden den Anlagenhersteller in die Produktverantwortung ein. Derzeit stehen der großen Nachfrage nach derartigen Liefervereinbarungen nur wenige konkrete Angebote seitens der Hersteller gegenüber. Eine Studie des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart zeigt heute schon, dass „liefern alleine“ in der Zukunft nicht mehr ausreichen wird, um mit den Kunden auch langfristig eine Geschäftsverbindung zu etablieren [15]. Der interne Weg bei einem Hersteller bis zur Abgabe derartiger „abgesicherter“ Angebote ist jedoch lang. Hersteller müssen dazu das Betriebsverhalten ihrer Güter genau kennen, um den Kunden die Lebenswegkosten vertraglich garantieren zu können. Ansonsten können hohe Risiken durch etwaige Pönalen entstehen. Die Verträge nehmen aber auch den Systembetreiber in die Pflicht, der den herstellerseitig auferlegten Betriebsbedingungen nachkommen muss (z. B. feste Wartungszyklen etc.). Abbildung 4.76 zeigt anhand eines Beispiels das Grundschema für die vertrag-
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling 1. Life-Cycle-Grundmodell
303
1. Phasenbestimmung und Bilanzgrenze 2. Identifikation der relevanten Parameter 3. Integration der Berechnungsmodelle 4. Roll-out der LCC Systematik
2. Life-Cycle-Value-Strategien Identifikation von Hauptkostentreibern
Strategische Produktoptimierung
Kostensenkungsmaßnahmen
Entwicklung von Geschäftsmodellen
Kostencontrolling
Garantiemodelle/ Risikobewertung
Abb. 4.75 Life Cycle Value-Strategien
klassischer Produktverkauf
Maschinen übergabe Kaufpreis
Garantie der IH-Kosten
Life-Cycle-CostVerträge
Betreiber
Rückmeldung der realen Kosten
Hersteller
Abstimmung von Zielkosten Unterstützung bei der Einhaltung Bonus bei Unterschreitung Malus bei Überschreitung Quelle: MAN AG
Abb. 4.76 Beispiel für einen Life Cycle Cost-Vertrag
liche Gestaltung eines Life Cycle Cost-Vertrags zwischen Hersteller und Betreiber. Insgesamt führt dies zu einer engeren Zusammenarbeit beider Partner, in der sich das klassische Kunden-Lieferantenverhältnis zu einer kooperativen Systempartnerschaft wandelt. Der Nutzen für beide Partner liegt in der Ausschöpfung dieser Synergien. Beispiele zeigen bereits, dass Unternehmen, die diese Modelle als lebenslauforientierte Partnerschaften konsequent umsetzen, mit strategischen Wettbewerbsvorteilen im Markt und gegenüber ihren Kunden operieren.
Die IFF-Studie [15] belegt auch, dass es insbesondere an Dienstleistungen mangelt, die eine konsequente Ausnutzung des Leistungspotenzials der Anlage ermöglichen. Die Potenziale reichen hier vom Störungsmanagement bis hin zur Bereitstellung von spezialisiertem Produktions-Know-how. In Zukunft werden auch innovative Bezahlmodelle eine Rolle spielen, die sich am erbrachten Nutzen der gelieferten Maschinen orientieren. Der klassische Maschinenverkauf wird dabei um Geschäftsmodelle ergänzt, bei denen der Anlagenhersteller über die abgerufene Maschinenleistung,
304
also den (weiter-)verkauften Nutzen bezahlt wird. Auf diese Weise rückt wiederum der Lebenslaufnutzen der Investition in den Mittelpunkt, an dessen Optimierung Anlagenhersteller und Betreiber ein gemeinsames Interesse im Sinne einer optimalen Produktionsausbeute haben. Insgesamt führt dies zu einer engeren Zusammenarbeit beider Partner, in der sich das klassische Kunden-Lieferantenverhältnis zu einer kooperativen Systempartnerschaft wandelt.
4.6.8 Von Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling Es ist jedoch nicht immer klar, wie valide diese Planwerte im Voraus für einen Zeitraum von vielen Jahren tatsächlich prognostiziert werden können. Vielfach reichen schon minimale Abweichungen im zugrunde gelegten Lastprofil aus, damit langfristige Prognosen überholt sind. Daher müssen die Kostenplanungen permanent überprüft und gegebenenfalls über den weiteren Lebenslauf angepasst werden. Die Koppelung der prognostizierten Kosten mit den realen Betriebskosten lässt sich so in ein gezieltes Anlagencontrolling überführen, mit dem Kostenabweichungen sofort erfasst und analysiert werden können. Somit entsteht eine digitale Lebenslaufakte, auf dessen Basis Hersteller und Anlagenbetreiber weiter gehende Vereinbarungen über etwaige Kostengarantien treffen können. Häufig reicht es jedoch nicht aus, dabei nur die zu beschaffende Anlage bzw. Komponente zu betrachten. Es kommt vielmehr auf die Rahmenbedingungen an, in denen die Anlage betrieben werden soll. Entscheidend ist dann neben der Frage nach den Betriebskosten, mit welchem Hebel die Investition zur nachhaltigen Senkung der Stückkosten über die gesamte Produktionslinie beiträgt. Das IFF der Universität Stuttgart hat dazu eine praxisorientierte Methodik entwickelt, mit der die Wirkung von alternativen Rationalisierungsoptionen untersucht werden kann [10]. Damit lässt sich auf der Basis der erwarteten Kosten für alle Systemressourcen ein möglichst optimaler Betriebspunkt des Gesamtsystems einstellen („Life Cycle Cost Controlling“). Dies geschieht unter Berücksichtigung der spezifischen Anlagen- und Prozessverkettungen innerhalb des Systems. Ein standardisierter Prozess identifiziert und bewertet dabei
4 Management des Produktlebenslaufs
potenzielle Verbesserungsmaßnahmen vor der Umsetzung bezüglich ihrer Kostenwirkung in einer simulationsbasierten Planungsumgebung. Bei diesem Ansatz werden die prognostizierten Life Cycle Costs als innerbetriebliche Plankosten für zukünftige Perioden angesetzt. So können die zu erwartenden Kosten für eine Anlage oder für einen abgegrenzten Produktionsbereich aufgenommen und in Bezug auf das erzielte Output dargestellt und prognostiziert werden. Dies geschieht durch den Einsatz von Simulationstechnik, mit der sich auch alternative Systemkonfigurationen in Bezug auf potenzielle Nutzensteigerungen bewerten lassen. Um den Nutzen von kostenintensiven Verbesserungsmaßnahmen nachhaltig abzusichern, muss der Planungshorizont einen möglichst langfristigen Zeitraum umfassen. Je nach dem Grad der Planungssicherheit und der Volatilität des Fertigungsprogramms kann dieser somit auch direkt bis zur geplanten Systemstilllegung gewählt werden. Dazu sind entsprechend dem Paradigma einer lebenslauforientierten Kalkulation die Kosten der Produktion sowie die Wirkung von potenziellen Verbesserungsmaßnahmen über den weiteren Systemlebensweg darzustellen. Die Auswirkungen müssen dazu in ihrer kurz-, mittel- und langfristigen Wirkung beschrieben und ausgewertet werden. Mit fortschreitenden Planungszyklen verschiebt sich der Planungshorizont (Zeitraum) somit kontinuierlich über die Zeitachse in Richtung der geplanten Außerdienststellung des Systems. Für den Planungszeitraum findet eine Synchronisation des Produktlebenszyklus mit dem bestehenden Produktionssystem statt, da sich die Systemanpassungen stets an der Entwicklung der Kapazitätspakete orientieren. Im Unterschied zur Betrachtung der reinen Lebenslaufkosten einzelner Anlagen [4–6] rücken damit die gesamten Prozesskosten (inkl. Personal) für die Produkterstellung in den Fokus der Optimierung [10]. Rationalisierungsmaßnahmen zielen dann stets auf eine Minimierung der Stückkosten unter dem gegebenen Lastkollektiv ab. Die aktuellen Stückkosten des Fertigungsbereiches müssen dazu permanent erfasst und ausgewertet werden. Durch die Hinterlegung des geplanten Produktionsprogramms für den eingestellten Planungshorizont können unter Einbeziehung von Lernkurven Planstückkosten ermittelt werden, die als Benchmark für das Controlling dienen. Die identifizierten Abweichungen liefern damit auch wertvolle Hinweise für Rationalisierungspoten-
4.6 Ökonomische Bewertung von Produktlebensläufen – Vom Life Cycle Costing zum Life Cycle Controlling
ziale innerhalb des Systems, die dann im Rahmen von KVP-Workshops detaillierter untersucht werden müssen. Der Maßnahmenkatalog schließt auch strukturelle Maßnahmen ein. Im Rahmen von Regelkreisen dienen die geplanten Stückkosten dann als kontinuierliche Benchmark für die Analyse der realen Leistung des Produktionssystems. Abbildung 4.77 zeigt den Aufbau eines Systems zum Life Cycle Cost Controlling, bei dem die bekannten Fertigungsaufträge im Simulationsmodell hinterlegt werden. Die vorkalkulatorisch ermittelten Zeiten und Stückzahlen bilden die Grundlage für die kostentechnische Bewertung der Systemleistung für den untersuchten Planungshorizont. In Ratioprojekten werden dann konkrete operative Maßnahmen entwickelt, mit denen Zeitersparnisse im System erreicht werden können. Die Maßnahmen werden bezüglich der aufzuwendenden Finanzmittel und hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit überprüft und gemäß den Kriterien der Unternehmensleitung im Produktionssystem umgesetzt. Die Produktion erfolgt unter ständiger Erfassung der Betriebsdaten, die in der Nachkalkulation ausgewertet werden. Im Rahmen des Controllings werden die prognostizierten Zeiten und Kosten mit der realen Systemleistung abgeglichen, um die Zielerreichung zu überwachen. Der Regelkreis wird geschlossen, indem
die tatsächlichen Ist-Daten der Nachkalkulation wieder in die Arbeitsvorbereitung zurückgespielt werden und als Planungsgrundlage für die künftige Vorkalkulation dienen. Durch die unmittelbare Rückkopplung der Systemplanung mit einem betriebsdatengestützten Zeit- und Kostenauswertung entsteht somit ein geschlossenes Controllingsystem für einen simulationsbasierten Regelkreis, mit dem Produktionssysteme kontinuierlich über den Lebenslauf geplant, betrieben und optimiert werden können. In ersten industriellen Pilotanwendungen hat sich gezeigt, dass durch die Implementierung derartiger lebenslauforientierter Planungssysteme steile Lernkurven in der Produktion erzielt werden können, die weit über den statistisch zu erwartenden Einsparpotenzialen liegen.
4.6.9 Fazit In der Industrie ist derzeit ein Wandel zu beobachten: Kunden nehmen in zunehmendem Maße die Hersteller und Lieferanten in die Pflicht, Verantwortung für die von ihnen hergestellten Produkte zu übernehmen. Daraus erwachsen sowohl neue Chancen, als auch Risiken für alle Beteiligten. Die hohe Komple-
Realsystem Simulation
Wirtschaftlichkeitsanalyse von Maßnahmen
100% 90% 80%
. Stückkosten
70%
Amortisation
60% 50% 40% 30% 20%
Zeitanalyse
10%
Zeit
0%
614
443
448
478
488
496
484
Gesamt
Warten auf Rüsten:
21,51%
19,68%
20,73%
13,03%
20,52%
16,49%
19,56%
22,95%
Stillstandzeit:
30,52%
26,65%
25,16%
2,73%
17,22%
3,61%
7,43%
15,18%
Reparaturzeit:
0,00%
1,78%
3,34%
0,00%
8,58%
8,58%
2,82%
2,99%
Rüstzeit :
12,53%
11,36%
14,05%
17,86%
14,05%
10,19%
13,09%
13,00%
Bearbeitungszeit:
35,44%
40,56%
36,72%
66,38%
39,63%
61,09%
57,58%
45,93%
Abb. 4.77 Life Cycle Cost Controlling von Produktionssystemen
305
306
xität des Life Cycle Costing resultiert aus einer Vielzahl von Kosten-, Erlös- oder Zahlungskomponenten sowie hierfür relevanter Einflussgrößen. Durch die Zusammenstellung aller relevanten Informationen können die kritischen Erfolgsfaktoren analysiert und die Kosten- und Erlösgestaltung aktiv gesteuert werden. Die Abbildung strategischer Handlungsmöglichkeiten hilft dabei, die Gestaltungsmöglichkeiten des Produktes, die einsetzbaren Fertigungsverfahren, die möglichen Vertriebs- und Servicekonzepte sowie die Art der Entsorgung qualitativ zu beschreiben und wertmäßig abzuschätzen. Die Lebenslaufrechnungen sind mit einem relativ hohen Aufwand verbunden, der jedoch aufgrund des Potenzials von Entscheidungsunterstützungen und zusätzlichen Erkenntnissen bezüglich der Unternehmensergebnisse als gerechtfertigt anzusehen ist. Zur Unterstützung der Kalkulationsgrundlagen kann dabei mittlerweile auf eine Vielzahl von Standards, Normen und Richtlinien zurückgegriffen werden. Die solide Kenntnis der Lebenswegkosten ist das unerlässliche Fundament, auf dessen Grundlage diese Risiken, aber auch weitergehende Dienstleistungen konzipiert und kalkuliert werden können. Die Lebenslaufkosten zu kennen, bedeutet hier zunehmend auch, die besonderen Stärken des eigenen Produktes gegenüber den Wettbewerbern herausstellen zu können. Die prozessorientierte Nutzendarstellung zeigt, welchen Wertbeitrag das Produkt für den Kunden im Rahmen seiner Rationalisierungsbemühungen liefert. Damit entscheidet nicht das Preisschild, sondern der Kundennutzen über den Produkterfolg. Der Ausbau des Life Cycle Costings zu einem Life Cycle Controlling unterstützt die gezielte und kontinuierliche Forcierung von Lernprozessen durch die Anwendung von Simulationswerkzeugen. Dies ermöglicht es, alternative Produktionsszenarien schneller zu evaluieren und durch die virtuelle Implementierung von Maßnahmen schon jetzt aus der „Zukunft“ zu lernen. Durch die Koppelung der Plandaten mit den Ist-Daten entsteht ein Life Cycle ControllingRegelkreis, mit dem Produktionssysteme kontinuierlich über den Lebenslauf geplant, optimiert und überwacht werden können. Das kontinuierlich aktualisierte Systemmodell liefert somit die Basis für zukünftige Planungs- und Optimierungszyklen. Praktische Anwendungen des Regelungsmodells haben gezeigt, dass es Unternehmen in die Lage versetzt, langfristig wirksame Rationalisierungspotenziale zu erzielen.
4 Management des Produktlebenslaufs
Literatur
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4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment 21. Wübbenhorst, K.: Konzept der Lebenslaufkosten. Darmstadt: Verlag für Fachliteratur 1984 22. Wübbenhorst, K.L.: Lebenslaufkosten. In: Schulte, C. (Hrsg.): Effektives Kostenmanagement, Methoden und Implementierung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 1992, S. 245– 271
4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment 4.7.1 Grundlagen Das Life Cycle Assessment, auch Ökobilanz genannt, untersucht die mit dem Lebensweg eines Produktes, Prozesses oder einer Dienstleistung verbundenen Stoff- und Energieströme. Das Ziel des Life Cycle Assessment ist die umfassende Ermittlung und Bewertung der mit einem Produkt, Prozess oder einer Dienstleistung verbundenen Umweltbelastungen, durch die Untersuchung der Stoff- und Energieströme. Die internationalen Normen ISO 14040ff. stellen Richtlinien für die Durchführung von Ökobilanzen dar: ISO 14040 – Prinzipien und allgemeine Anforderungen, ISO 14041 – Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens sowie Sachbilanz, ISO 14042 – Wirkungsabschätzung, ISO 14043 – Auswirkung. Ergänzend zu den oben genannten Normen geben die Technical Reports und Specifications ISO/TR 14047, ISO/TS 14048 und ISO/TR 14049 Anwendungsbeispiele und Hinweise zur Methodik. Ökobilanzen sind ein freiwilliges Instrument des Umweltmanagements. Sie helfen, systematisch ökologische Verbesserungspotenziale eines Produktes, Prozesses oder einer Dienstleistung zu identifizieren. Mit der konsequenten Einbeziehung des gesamten Lebensweges (Life Cycle) von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und die Anwendung bis zur Beseitigung sind sie ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung eines nachhaltigen Life-Cycle-Managements. Sie haben sich in Industrie, Politik, Nichtregierungsorganisationen und Forschung als Methodik für ökologische Bewertung etabliert. Mit Hilfe der Ökobilanz werden die Stoff- und Materialströme und die Umweltleistung des Produk-
307
tes transparent. Dadurch wird eine Vergleichbarkeit mit den Vorgängermodellen oder Konkurrenzprodukten ermöglicht. Die Ökobilanz bietet daher nicht nur eine Bewertungsgrundlage, sondern auch ein Mittel, um das Produkt ökologisch auszurichten und Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu erzielen. Sie ermöglicht Unternehmen, sich auf dem Markt zu profilieren und die Absatzchancen zu erhöhen. Durch die umweltorientierte Produktgestaltung ergeben sich neben der Umweltentlastung folgende Vorteile: • Kostenreduzierung durch verminderten Ressourcenverbrauch, • Verbesserung des Unternehmensimage, • Vertrauensbildung bei den Kunden, • Stärkung der Mitarbeitermotivation durch das umweltfreundliche Image, • Vorsprung bei Erfüllung der gesetzlichen Umweltanforderungen durch das rechtzeitige Erkennen und Reduzieren der Umweltrisiken eigener Produkte. Life Cycle Assessments unterstützen eine sachliche Kommunikation von Umweltschutzerfolgen. Dabei werden unterschiedliche Wirkungskategorien in die Bewertung mit einbezogen. Im Folgenden sind die wichtigsten Wirkungskategorien aufgelistet: • Die Klimaänderung, auch Treibhauseffekt genannt, bedeutet eine Erwärmung der Erdatmosphäre durch emittierte Gase mit klimarelevanter Wirkung. • Der Ozonabbau bezeichnet die Verringerung der Ozonschicht in der Stratosphäre, die einen lebensnotwendigen Schutz vor der UV-Strahlung darstellt. • Photochemische Oxidantienbildung, auch Sommersmog oder Ozonbildungspotenzial genannt, ist das massebezogene Äquivalent der Bildung von bodennahem (troposphärischem) Ozon durch Vorläufersubstanzen. • Die Eutrophierung ist eine Nährstoff-Überversorgung von Gewässern oder Böden. • Die Versauerung von Böden ist die Folge von Immissionen von SO2 und NOx in die Umwelt. • Die Ökotoxizität erfasst die schädlichen Wirkungen von Substanzen auf Lebewesen. • Der Ressourcenverbrauch umfasst den Bedarf an nachwachsenden und nicht nachwachsenden Rohstoffen. • Die Naturraumbeanspruchung ist Wirkungskategorie zur Bewertung von Größe, Zeitraum, Quali-
308
4 Management des Produktlebenslaufs
DIN EN ISO 14040 Anwendungen
Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens
Entwicklung und Verbesserung von Produkten
DIN EN ISO 14041
Strategische Planung
Sachbilanz
Auswertung
Politische Entscheidungsprozesse Ökologische Kommunikation
DIN EN ISO 14042
Wirkungsabschätzung
Marketing
...
DIN EN ISO 14043 Abb. 4.78 Bestandteile einer Ökobilanz und ihre Normen
tät und Veränderung der in Anspruch genommenen Flächen. Im Wesentlichen werden die Arbeiten bei der Erstellung eines Life Cycle Assessments in die vier Module Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens, Sachbilanz, Wirkungsabschätzung und Auswertung gegliedert (Abb. 4.78).
4.7.2 Ziele und Vorgehensweise der Ökobilanz Ziele Erfolgreiche Produktinnovationen bringen heute nicht nur ökonomische, sondern häufig auch ökologische Verbesserungen mit sich. Um festzustellen, wie groß der ökologische Vorteil eines Produktes tatsächlich ist, hilft die Durchführung eines vollständigen, produktbezogenen Life Cycle Assessments. Damit wird in modernen Unternehmen das Ziel verfolgt, Aussagen über die ökologische Verbesserung durch die Produktneuentwicklung oder das Produkt-Redesign zu erhalten und im Hinblick auf die Öffentlichkeit eine Kommunikationsgrundlage für den produktbezogenen Umweltschutz zu schaffen. Für die zu bewertenden Produkte bedeutet dies konkret, dass die durch die Ressourcengewinnung, Herstellung von Werkstoffen, Bauteilen, Baugruppen und schließlich Herstellung des
gesamten Produktes, als auch durch den Gebrauch und die Entsorgung verursachte Umweltbelastung nachgewiesen werden sollte.
Vorgehensweise im Überblick Das Life Cycle Assessment wird, unter Berücksichtigung des Anwendungszwecks, gemäß dem aktuellen Normungsstand konzeptioniert und durchgeführt. Da eine vollständige Ökobilanz aufgrund der Vielzahl von zu bewertenden Wirkungskategorien oft mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist, wird häufig ein Meilenstein bzw. eine „Sollbruchstelle“ eingebaut, um eine möglichst effiziente Projektbearbeitung sicherzustellen und das Projektrisiko zu reduzieren. Dieser Meilenstein ist die Kalkulation des kumulierten Energieaufwands nach der VDI Richtlinie 4600. Der kumulierte Energieaufwand stellt einen Teilaspekt der Ökobilanz dar und ist ein wichtiger Kennwert für eine ökologische Bewertung. Er gibt die Gesamtheit des primärtechnisch bewerteten Aufwands an, der im Zusammenhang mit der Herstellung, Nutzung und Beseitigung eines Produktes entsteht. Abbildung 4.79 zeigt die Vorgehensweise eines Life Cycle Assessments in Verbindung mit einer energetischen Bewertung. Die Ergebnisse eines Life Cycle Assessment werden genutzt, um die Umweltbeeinflussungen
4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment Vorgehensweise Definition des Ziels und Untersuchungsrahmens Prozesskettenanalyse Energetische Bewertung Sachbilanzierung Wirkungsabschätzung Auswertung der Ergebnisse Analyse der Verbesserungspotenziale
Abb. 4.79 Vorgehensweise des Life Cycle Assessments in Verbindung mit energetischer Bewertung
einzelnen Lebensphasen, Baugruppen oder Werkstoffen zuzuordnen und Verbesserungspotenziale und -maßnahmen aufzuzeigen.
4.7.3 Definition des Untersuchungsrahmens Definition der funktionellen Einheit Eine Ökobilanz erlaubt nur eine vergleichende Bewertung eines Untersuchungsgegenstandes. Um eine Aussage über ein Produkt zu treffen, muss es mit mindestens einem anderen Produkt verglichen werden, wobei Voraussetzung für den Vergleich die Nutzungsgleichheit der untersuchten Produktsysteme ist. Der Nutzen der zu bewertenden Produkte muss exakt derselbe sein. Man spricht dann von der funktionellen Einheit, auf die sich alle Ergebnisse des Life Cycle Assessments beziehen. Die funktionelle Einheit ist somit ein quantifizierter Nutzen eines Produktsystems für die Verwendung als Vergleichseinheit. Im Fall eines Wasserhahns kann z. B. die funktionelle Einheit das Produkt selbst oder die Menge dosierten Wassers darstellen.
Definition der Systemgrenzen Bei der genauen Beschreibung der Systemgrenzen wird festgelegt, welche Prozesse letztendlich bewertet
309
werden. Bleiben sie ohne Auswirkungen auf die Umwelt oder kommen sie bei den verglichenen Produkten identisch vor, können sie ausgeschlossen werden. Alle Lebenszyklusphasen, von der Werkstoffherstellung über die Produktion und die Nutzung bis hin zur Entsorgung, müssen berücksichtigt werden. Im Vergleich mit der Kostenrechnung oder dem Life Cycle Costing und Controlling legt man bestimmte stoffliche und Vorgehensweise des Life Cycle Assessments in Verbindung mit energetischer Bewertung energetische Input- und Outputströme für das Life Cycle Assessment fest. Während die Kostenrechnung in einer Dimension gerechnet werden kann, muss sich das Life Cycle Assessment der Wirkungsanalyse zur Zusammenfassung der Input- und Outputströme bedienen. Die zu bewertenden Ströme sowie die Vorgehensweise bei der Wirkungsabschätzung werden ebenfalls zum Projektbeginn vereinbart.
Quelle der verwendeten Daten Die Quelle der verwendeten Daten und somit auch die Datenqualität unterscheidet zwischen spezifischen Daten, die an konkreten Anlagen oder Produktionseinrichtungen erhoben werden und generalisierten Daten, z. B. aus der Literatur, aus Datenbanken oder Softwaretools. Im Vorfeld der eigentlichen Bilanzierung muss die Methode der Datenermittlung geklärt werden. Da die Vergleichbarkeit der Informationen über die zu bewertenden Produkte gewährleistet sein muss, sind die Daten immer in der gleichen Datentiefe und -genauigkeit zu erheben. Außerdem ist besonders auf die Aktualität der Daten zu achten.
4.7.4 Sachbilanz 4.7.4.1 Erstellung der Prozesskettenanalyse Die Informationen über die einzelnen Prozesse, von der Materialherstellung über die Produktion sowie die Nutzung der Produkte bis hin zur Entsorgung, bilden die Basis einer Produkt-Ökobilanz. Die Aufgabe der Prozesskettenanalyse ist die Modellierung der Teilprozesse aller Lebenszyklusphasen. Dabei müssen die Stoffströme zwischen den Teilprozessen, aber auch die energetischen Inputs und Outputs ermittelt werden (Abb. 4.80).
310
4 Management des Produktlebenslaufs
4.7.5 Wirkungsabschätzung functional unit
Systemgrenze
Material Energie Information
Material Bearbeitung Transport
Energie Information
Abb. 4.80 Prozesskettenanalyse
4.7.4.2 Erstellung der Sachbilanz Sachbilanzen umfassen Datensammlungen und Berechnungsverfahren zur Quantifizierung der bereits festgelegten Elementarflüsse (Input- und Outputflüsse) eines Produktsystems. Diese Daten bilden den Kern einer Ökobilanz und die Grundlage zur Wirkungsabschätzung. Der Prozess zur Erstellung einer Sachbilanz ist iterativ. Während Daten ermittelt und das System näher untersucht wird, können neue Datenanforderungen oder Einschränkungen erkannt werden, die eine Änderung vorläufiger, z. B. im Rahmen der ScreeningBilanz erzielter Ergebnisse, bewirken. Die qualitativen und quantitativen Daten, die in die Sachbilanz einbezogen werden, müssen für jeden Prozess, der innerhalb der Systemgrenzen liegt, ermittelt und den einzelnen Prozessen als Inputs und Outputs zugewiesen werden (Prozessbilanzierung). Die Bilanzierung der Produkte erfolgt, indem alle beteiligten Prozesse entsprechend der Ergebnisse aus der Prozesskettenanalyse miteinander verkettet und über den Produktlebensweg aggregiert werden (Lebenswegbilanzierung). Dabei handelt es sich um Aggregation von Elementarflüssen, d. h. Inputs an Ressourcen und Energie, die der Umwelt entnommen werden, und Outputs an Emissionen und Energie, die an die Umwelt abgegeben werden. Die Erstellung der Sachbilanzen erfolgt mit unterschiedlichen, heute am Markt verfügbaren Softwaretools, die Sachbilanzdaten von Prozessen, Werkstoffen und Produkten enthalten.
In dieser Phase der Ökobilanz erfolgt die Ermittlung potenzieller Umweltwirkungen auf Basis der Sachbilanzergebnisse. Dafür werden im ersten Schritt die Sachbilanzergebnisse den einzelnen Wirkungskategorien zugeordnet (Klassifizierung), wobei die Wahl der Wirkungskategorien abhängig vom festgelegten Ziel der Studie ist. Die Wirkungskategorien repräsentieren die wichtigsten Umweltaspekte, die von dem Produkt betroffen sind. Anschließend wird für jede Wirkungskategorie ein Wirkungsindikator bestimmt, der die Umweltwirkungen repräsentiert. Jeder Substanz wird ein Charakterisierungsfaktor zugeordnet, der aus den Charakterisierungsmodellen abgeleitet wird. Mit Hilfe dieser Charakterisierungsfaktoren werden die zugeordneten Sachbilanzergebnisse in die gemeinsame Einheit des Wirkungsindikators umgewandelt (Charakterisierung). Die Charakterisierungsfaktoren sind in Äquivalenten der Referenzsubstanz ausgedrückt. So ist z. B. Kohlendioxid eine Referenzsubstanz in der Wirkungskategorie „Globale Klimaänderung“, die Wirkung anderer klimarelevanter Substanzen wird in kg Kohlendioxid-Äquivalente in dieser Kategorie beschrieben. Die Umrechnung in Äquivalente reduziert die Datenmenge aus der Sachbilanz erheblich und erlaubt eine Zusammenfassung zu einem Ergebnis im Sinne des gesamten Referenzsubstanz-Äquivalents der Wirkungskategorie. Jeder Wirkungskategorie sind mehrere Substanzen zugeordnet, gleichzeitig kann eine Substanz mehreren Wirkungskategorien zugeordnet werden (Abb. 4.81). Die Wirkungsabschätzung überführt die unterschiedlichen Stoff- und Energieflüsse in ihre Wirkungen auf die Umwelt und reduziert die Indikatorenvielfalt gleichzeitig auf ein handhabbares Maß. Die Substanz Kohlendioxid FCKW Methan Schwefeldioxid Stickoxide Cadmium Eisenerz Abfall
Wirkungskategorie Globale Klimaänderung Ozonabbau Photochemische Oxidantienbildung Versauerung Eutrophierung Ökotoxizität Ressourcenverbrauch Naturraumbeanspruchung
Abb. 4.81 Zuordnung der Elementarflüsse zu den Wirkungskategorien
4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment
311
bereits am Anfang einer jeden Ökobilanz festgelegten und berücksichtigten Wirkungen sind i. d. R.:
• SO2 für die Versauerung, • PO4 - und NO3 -Äquivalente für die Eutrophierung.
• • • • • • • •
Die Äquivalente sind Eigenschaften der Materialien (Äquivalentwert pro kg), so dass deren Gesamtmenge über die Materialkonten der Stoff- und Energiebilanz berechnet werden kann. Bei der Wirkungsabschätzung werden die Elementarflüsse aus der Sachbilanz den beschriebenen Wirkungskategorien zunächst zugeordnet (Klassifizierung) und in einem weiteren Schritt ihrem spezifischen Beitrag nach quantitativ beurteilt. Dies erfolgt bei Emissionen durch Wirkpotenziale. So hat Methan eine 21-fach höhere TreibhauseffektWirkung (Äquivalentwert pro kg) als Kohlendioxid und wird dementsprechend bewertet. Synergetische oder sekundäre Effekte werden durch die Wirkungsabschätzung nicht berücksichtigt; es werden nur Primäreffekte abgebildet. Die Ressourcen werden entweder energetisch – ähnlich dem kumulierten Energieaufwand – oder massenmäßig zusammengefasst. Die Abfälle werden in Abfallklassen eingeteilt und ebenfalls massenmäßig akkumuliert. Als inputbezogene Wirkungskategorie wird der Ressourcenverbrauch betrachtet. Der Ressourcenverbrauch kann mit drei unterschiedlichen Charakterisierungsfaktoren erfasst werden:
Klimaänderung, Ozonabbau, Photochemische Oxidantienbildung, Eutrophierung, Versauerung, Ökotoxizität, Ressourcenverbrauch und Naturraumbeanspruchung.
Die Klimaänderung, auch Treibhauseffekt genannt, ist die Folge von Gasemissionen, die das Strahlungsgleichgewicht der Erde beeinflussen. Eine erhöhte Durchlässigkeit für kurzwellige Strahlen sowie die Behinderung der Wärmeabgabe führen zur Erwärmung der Erdatmosphäre. Der Ozonabbau geht auf die Emission von besonders stabilen Chemikalien zurück, die gleichzeitig Ozon desoxidieren können. Er bewirkt eine höhere Durchlässigkeit von kurzwelligem UV-Licht, das negative Wirkungen auf die Biosphäre hat. Photochemische Oxidantienbildung ist das massebezogene Äquivalent der Bildung von bodennahem (troposphärischem) Ozon durch Vorläufersubstanzen, die für die bodennahe O3 -Bildung verantwortlich sind und so zum Sommersmog beitragen und Gesundheitsschäden verursachen. Die Ökotoxizität erfasst die schädlichen Wirkungen von Substanzen auf Lebewesen, insbesondere auf Populationen und Biozönosen in definierten Ökosystemen. Die Versauerung ist die Folge der Immissionen von SO2 und NOx in die Umwelt bzw. in den Boden, so dass die Pufferungs- und Abbaufähigkeit des Bodens überfordert wird. Die Kategorie Ressourcenverbrauch erfasst alle nachwachsenden und nicht nachwachsenden Rohstoffe, die produktverursacht aufgebraucht werden. In der Wirkungskategorie Naturraumbeanspruchung werden Größe, Zeitraum, Qualität und Veränderung der in Anspruch genommenen Flächen bewertet. Die Eutrophierung ist eine Überversorgung von Gewässern mit Nährstoffen (z. B. durch Phosphate) und ein damit verbundenes nutzloses und schädliches Pflanzenwachstum. Folgende Referenzsubstanzen werden für die Berechnungen herangezogen: • CO2 für die Klimaänderung, • CFC-11 für den Ozonabbau, • C2 H4 für die Bildung von Photooxidantien (Sommersmog),
• die gesamte Menge der verwendeten Rohstoffe, gemessen in kg, • die gesamte Menge der nicht-erneuerbaren Energieträger, gemessen in Joule (Heizwert) und • die gesamte Menge der erneuerbaren Energieträger, ebenfalls gemessen in Joule. Nach der Errechnung der Ergebnisse der Wirkungskategorien erfolgt optional die sog. Relativierung durch die Normierung, Ordnung und Gewichtung. Ziel dieses Schritts ist eine erhöhte Vergleichbarkeit und ein besseres Verständnis der Ergebnisse. Durch die Normierung werden die Umweltauswirkungen der Produkte auf die bereits vorhandenen Werte in einem bestimmten Gebiet bezogen. So wird z. B. der Treibhauseffekt (in kg CO2 -Äquivalente) durch emittierte Stoffe der bilanzierten Prozesse auf den jährlich in der Bundesrepublik Deutschland verursachten Treibhauseffekt bezogen. Die normierte Bilanz enthält somit relativierte, einheitslose Werte. Zur Normierung liegen Daten für die Bilanzräume OECD, die EU und die Bundesrepublik Deutschland vor. Die Anwendung unterschiedlicher Bezugsräume
312
4 Management des Produktlebenslaufs
auf das Ökobilanzergebnis bleibt dabei aufgrund der tendenziell ähnlichen Gewichtungen ohne großen Einfluss. Die Ordnung teilt Wirkungskategorien in ein oder mehrere Klassen ein und kann eine Rangbildung einschließen. Durch die Einordnung werden die Ergebnisse der Wirkungskategorien entweder nach den räumlichen Maßstäben (globale, regionale und lokale Wirkungen) oder dem Schutzobjekt (Gesundheit der Menschen, Ressourcen) gruppiert. Bei der Rangbildung handelt es sich um eine Zuweisung der Prioritäten in die Wirkungskategorien, so dass eine Hierarchie der Wirkungskategorien von der höchsten bis zur niedrigsten Priorität eingeordnet wird. Da die Rangbildung auf der subjektiven Werthaltung beruht, kann sie zu verschiedenen Ergebnissen führen. Die Gewichtung erfolgt durch Multiplikation der (normierten) Ergebnisse der Wirkungskategorien mit numerischen Faktoren, die die relative Wichtigkeit der Wirkungskategorien widerspiegeln. Die Gewichtungsfaktoren können sich je nach Land, Unternehmensstrategie und individuellen Präferenzen unterscheiden.
4.7.6 Ökobilanzen am Beispiel eines Einhebelmischers Das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart, führte einen umfassen-
den ökologischen Vergleich eines neuentwickelten Einhebelmischers aus Edelstahl mit einer herkömmlichen Armatur aus Messingguss durch. Die Ökobilanz analysierte die mit dem Lebensweg der Produkte und Prozesse verbundenen Stoffund Energieströme sowie die dadurch verursachten Umweltbelastungen. Durch die Anwendung der ISO 14040 wurde ein reproduzierbares Ergebnis sichergestellt. Die Ökobilanz unterstützte dabei eine sachliche und glaubwürdige Kommunikation von Umweltschutzerfolgen. Im Sinne dieser Transparenz hat das Fraunhofer IPA alle Projektschritte nachvollziehbar dokumentiert. Die Ergebnisse der Ökobilanz wurden auf den Bezugsraum „Bundesrepublik Deutschland“ normiert und entsprechend den Ergebnissen der vom Bundestag 1994 eingesetzten Enquête-Kommission zum „Schutz des Menschen und der Umwelt“ gewichtet. Wesentliche Ergebnisse der Ökobilanz waren (s. Abb. 4.82): 1. Der Einhebelmischer „Axor Steel“ ist durch die material-reduzierende Karrosseriebauweise innovativ in seiner Produktstruktur. 2. Der innovative Charakter der Produktstruktur führt zu einem optimierten Herstellungsprozess: Die Umweltbelastungen werden hierdurch im Vergleich zu herkömmlichen Einhebelmischern aus Messingguss um ca. 50% reduziert. Dies betrifft vor allem die Umweltkategorien „Abfall“, „Ressourcen“ und „Treibhauseffekt“.
100
Globale Klimaänderung
[%]
Eutrophierung
80
Versauerung 60
Ökotoxizität Ressourcenverbrauch
40
Abfall 20
Einhebelmischer aus Messingguss
Einhebelmischer aus Edelstahl
Abb. 4.82 Ergebnis der Produkt-Ökobilanz
4.7 Ökologische Bewertung von Produktlebensläufen – Life Cycle Assessment
3. Die Umweltbelastungen werden im Wesentlichen durch die Nutzung von Netzstrom während Herstellung und Entsorgung verursacht.
4.7.7 Kumulierter Energieaufwand am Beispiel von Verwertungsverfahren Wegen des großen Zeitaufwands zur Erstellung einer Ökobilanz wird oft bei der ökologischen Bewertung von Produkten und Prozessen nur der kumulierte Energieaufwand nach VDI 4600 berechnet. Er gibt den gesamten primärenergetisch bewerteten Aufwand an, der im Zusammenhang mit einem Produkt oder Prozess entsteht. Zu seiner Berechnung müssen im Gegensatz zu einer Ökobilanz nicht alle Stoffflüsse erfasst werden, sondern nur die Energieträger und Einsatzstoffe mit ihren Energieinhalten sowie der Prozessenergieaufwand. Das Fraunhofer IPA analysierte verschiedene Verfahren der Verwertung von kohlenwasserstoffgeschäumten Kühlgeräten mit und ohne Rückgewinnung des Treibmittels und verglich sie miteinander auf ihre Auswirkungen auf den kumulierten Energieaufwand (KEA) und die Klimaänderung. Dabei wurden die fünf folgenden Recyclingszenarien untersucht:
Szenarien mit der Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung (KW-Rückgewinnung) Szenario 1: Geschlossene Recycling-Anlage für Kühlgeräte (Querstromzerspaner) mit KW-Rückgewinnung über Aktivkohlefilter. Szenario 2: Geschlossene Recycling-Anlage für Kühlgeräte mit KW-Rückgewinnung über Gasverflüssigung.
Szenarien ohne KW-Rückgewinnung Szenario 3: Geschlossene Recycling-Anlage für Kühlgeräte ohne KW-Rückgewinnung. Szenario 4: Offene Recycling-Anlage für Kühlgeräte ohne KW-Rückgewinnung. Szenario 5: Automobilschredder.
313
Da die Stufe I der Kühlgeräteverwertung, die die Absaugung der Kältemittel und Bauteildemontage umfasst und den fünf Verwertungswegen gemeinsam ist, wurde sie nicht bewertet. Die Stufe II der Kühlgeräteverwertung, die die Zerkleinerung, Trennung und Sortierung der Materialfraktionen und die Rückgewinnung vom Treibmittel beinhaltet, wurde nach folgenden Kriterien bewertet: • Kumulierter Energieaufwand (KEA) nach der VDIRichtlinie 4600, • Wirkungskategorie „Klimaänderung“ (Global Worming Potential – GWP). Aus der KEA-Bewertung (Abb. 4.83) konnten folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Aus dem Vergleich der Szenarien 2 und 3, die auf der gleichen Anlage basieren, lässt sich schließen, dass die Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung (Cyclopentan) über die Gasverflüssigung mit einem zusätzlichen Energieaufwand (KEA) von 21,2 MJ/Kühlgerät verbunden ist. Mit Ausnahme des Automobilschredders schneiden die Recyclingszenarien ohne KohlenwasserstoffRückgewinnung besser ab als die Szenarien mit der Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung. Aus der Bewertung nach der Kategorie Klimaänderung (GWP) konnte Folgendes abgeleitet werden: Die Szenarien mit der KohlenwasserstoffRückgewinnung haben keinen signifikanten Vorteil für die Reduzierung des Treibhauseffekts gegenüber Szenarien ohne Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung (ausgenommen Automobilschredder). Der Vergleich der Szenarien 2 und 3, die auf der gleichen Anlage basieren, zeigt, dass die Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung über Gasverflüssigung nur um 0,2 GWP besser abschneidet als die Kohlenwasserstoff-Freilassung. Das entspricht einer Vermeidung von 200 g Kohlendioxid-Emission pro Kühlgerät. Unter allen in Kühlgerätebehandlung spezialisierten Anlagen mit und ohne KohlenwasserstoffRückgewinnung (Szenario 1–4) erreicht das Szenario 1 die kleinste GWP-Gutschrift, da ein Teil der Metalle mit der PUR-Fraktion ausgetragen wird und nicht in die Metallverwertung gelangt. Die Studie belegte mit ihren Ergebnissen, dass die Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung im gesamten Behandlungsprozess mit einem höheren kumulierten Energieaufwand verbunden ist (21,2 MJ/Kühlgerät),
314
4 Management des Produktlebenslaufs
0,0 -100,0 Szenario 1: Geschlossene Anlage mit KW-Rückgewinnung über Aktivkohlefilter
KEA [MJ] pro Kühlgerät
-200,0 -300,0 -310,6 -400,0
Szenario 2: Geschlossene Anlage mit KW-Rückgewinnung über Gasverflüssigung
-500,0
Szenario 3: Geschlossene Anlage ohne KW-Rückgewinnung (hypothetisch)
-600,0
Szenario 4: Offene Anlage ohne KW-Rückgewinnung Szenario 5: Automobilshredder
-700,0 -725 -800,0
-772,3
-793,5
-779,6
-900,0
Mit KW-Rückgewinnung
Ohne KW-Rückgewinnung
Abb. 4.83 Der kumulierte Energieaufwand in MJ/Kühlgerät der Szenarien mit KW-Rückgewinnung (Szenarien 1 und 2) und ohne KW-Rückgewinnung (Szenarien 3–5)
15,0
12,5
Klimaänderung [kg CO2-Äquiv.] pro Kühlgerät
10,0 Szenario 1: Geschlossene Anlage mit KW-Rückgewinnung über Aktivkohlefilter
5,0
Szenario 2: Geschlossene Anlage mit KW-Rückgewinnung über Gasverflüssigung
0,0
-5,0
Szenario 3: Geschlossene Anlage ohne KW-Rückgewinnung (hypothetisch)
-10,0 Szenario 4: Offene Anlage ohne KW-Rückgewinnung -15,0
Szenario 5: Automobilshredder
-16 -20,0
-19,5
-19,3
-19,7
-25,0 Mit KW-Rückgewinnung
Ohne KW-Rückgewinnung
Abb. 4.84 Klimaänderung in kg CO2 -Äquiv. pro Kühlgerät der Szenarien mit KW-Rückgewinnung (Szenarien 1 und 2) und ohne KW-Rückgewinnung (Szenarien 3–5)
Literatur
und dabei nur eine geringe Reduzierung des Treibhauspotenzials (0,2 GWP in kg CO2 Äquivalenten/ Kühlgerät) erzielt wird.
4.7.8 Fazit Ökoinnovationen zeichnen sich heute durch einen dualen Erfolg aus. Die Reduktion der Umweltbelastung geht Hand in Hand mit der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Fundiert durchgeführte ProduktÖkobilanzen sind heute die Grundlage, Erfolge im produktbezogenen Umweltschutz vorzubereiten und zu kommunizieren. Das Produkt „Axor Steel“ von Hansgrohe ist ein Beispiel dafür, dass durch innovative Produkte Quantensprünge in Richtung einer umweltgerechten Produktion möglich sind. Die Ökobilanzen eignen sich nicht nur für die ökologische Bewertung von Produkten, sondern auch von Verfahren. So hat der Vergleich von Verfahren für Verwertung von kohlenwasserstoffgeschäumten Kühlgeräten auf ihre Auswirkungen auf den kumulierten Energieaufwand (KEA) und die Klimaänderung aufgezeigt, dass der höhere Energieaufwand zur Rückgewinnung des Treibmittels eine geringe Reduzierung des Treibhauspotenzials erzielt.
315
6.
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application of ISO 14042. Geneva: ISO copyright office 2003 ISO/TR 14049: Technical Report – Environmental management – Life cycle assessment – Examples of application of ISO 14041 to goal and scope definition and inventory analysis. Geneva: ISO copyright office 2000 ISO/TS 14048: Technical Specification Environmental management –Life cycle assessment –Data documentation format. Geneva: ISO copyright office 2002 VDI 4600: Kumulierter Energieaufwand – Begriffe, Definitionen, Berechnungsmethoden. VDI Richtlinie 4600. Berlin: Beuth 1997 Fleischer, G. u. a. (Hrsg.): Eco-Design: Effiziente Entwicklung nachhaltiger Produkte mit euroMat. Berlin/Heidelberg/New York. Springer 2000 Fleischer, G.; Hake, J.-F.: Aufwands- und ergebnisrelevante Probleme der Sachbilanzierung. Schriften des Forschungszentrums Jülich. Reihe Umwelt, Bd. 30. Jülich: Forschungszentrum Jülich 2002 Friedel, A.; Culha, B.: Umweltmanagement fest im Griff. QZ Qualität und Zuverlässigkeit 43 (1998) 7, S. 834–837 Friedel, A.; v.d. Osten-Sacken, D.: Optimierter Produktlebenslauf: Synergien von Lebenszykluskostenrechnung und Ökobilanzierung. Technische Rundschau 43/44 (1997) Frischknecht, R. u. a.: Ecoinvent 2000: Overview and Methodology. Final report ecoinvent (2000) 1. Duebendorf: Swiss Centre for Life Cycle Inventories 2004 Guinée, J.B. u. a. (Hrsg.): Handbook on Life Cycle Assessment. Operational Guide to the ISO Standards. Book Series: Eco-Efficiency in Industry and Science Vol. 7. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 2002 Hieber, M.; Steinhilper, R.; Osten-Sacken v.d., D.: Decision Management Systems for Downcycling/ Upcycling/Eco-Design – Interdisciplinary Experiences. Preprints of the 4th International Seminar on Life Cycle Engineering Berlin, 26./27.06.1997 Hieber, M.; Steinhilper, R.: Recycling Networks – An Interdisciplinary Approach for Downcycling, Recycling and Upcycling, Care Conference Wien, November 1998 Janusz, G.; Hornberger, M.: Abschlussbericht – Analyse der Verwertungswege von kohlenwasserstoffgeschäumten Kühlgeräten. Fraunhofer IPA 2005 Steinhilper, R.: Remanufacturing – The Ultimate Form of Recycling. Stuttgart: IRB Verlag 1999 Osten-Sacken v.d., D.; Friedel, A.: Innovative Produktstruktur setzt Maßstäbe für Armaturen im Sanitärbereich. Innovation durch Technik und Organisation. Tagungsband zum Fertigungstechnischen Kolloquium Stuttgart 11./12.11. 1997. Berlin/Heidelberg/New York. Springer 1997, S. 432–436 Westkämper, E.; Friedel, A.: Environment-oriented Assessments for the Life Cycle Engineering. In: Krause, F.L.; Seliger, G. (Hrsg.): Life Cycle Networks. Proceedings of the 4th International Seminar on Life Cycle Engineering. Berlin 26./27. Juni 1997. London/Weinheim u. a.: Chapman & Hall 1997, S. 264–275
5
Vernetzte Produktion
Inhaltsangabe 5.1
Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Situation der produzierenden Industrien . . . . 5.1.2 Geführte und ungeführte Unternehmensnetzwerke als Pole zweier Koordinationsparadigmen . . . . . . . . . 5.1.3 Geführte Netzwerke – Die Virtuelle Fabrik . 5.1.4 Ungeführte Netzwerke – Geregelte Selbstorganisation . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . .
5.3.4 Gestaltung der Kooperationsformen – In den Kooperationen findet eine Veränderung der Zusammenarbeit statt 348 5.3.5 Fazit – Drei zentrale Stellhebel sind Voraussetzung für eine operative Exzellenz für alle Beteiligten der automobilen Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
318 318
319 322
5.4
328 331
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 5.2
5.3
Strategische Standortplanung – Auswirkungen der Standortwahl auf die Unternehmensorganisation . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Unternehmen können nicht bleiben wie sie sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Strategische Fragen zur Standortentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Methode und Ablauf der Standortplanung . . 5.2.4 Auswirkungen der Standortplanung und Standortwahl auf die Unternehmensorganisation . . . . . . . . Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Optimierung der Wertschöpfung durch Festlegung der Wertschöpfungsverteilung, Auswahl des richtigen Kooperationspartners sowie die Gestaltung der Kooperationsform 5.3.2 Wertschöpfungsverteilung – Zunehmende Komplexität entlang der Wertschöpfungskette erfordert klare Fokussierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Auswahl des richtigen Kooperationspartners – Abhängig von der Leistungserbringung werden die Partner ausgewählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
5.5 333 333 333 334
335 337
338
344
Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Globale Produktentwicklung – Status und aktuelle Trends . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Anpassung der globalen Produktentwicklung an veränderte Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Lead Engineering – Konzept und Implementierung . . . . . . . . . . . 5.5.4 Lead Engineering in der Praxis . . . . . . . . . . . 5.5.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
352 353 353 356 358 362
363 363
364 367 372 373
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 5.6
337
Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Bedeutung von Global Sourcing . . . . . . . . . . 5.4.2 Strategisches Konzept des Global Sourcing . 5.4.3 Voraussetzungen eines Global Sourcing . . . . 5.4.4 Implementierung des Global Sourcing . . . . . 5.4.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Die Entstehung strategischer Allianzen . . . . 5.6.3 Der Netzwerkansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.4 Wachsende Anforderungen an die industrielle Produktionskette und die sich verändernden Rollenmuster industrieller Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.5 Eine Typologie industrieller Zulieferer . . . . . 5.6.6 Aufwertung im Hinblick auf eine Position in der ersten Linie (Systemintegratoren) . . . .
373 374 374 375
375 377 380 317
318
5 Vernetzte Produktion 5.6.7 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 5.7
Auftragsmanagement in Netzwerken: Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Aufgaben, Grundprinzipien und Ziele des SCM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Instrumente für ein verbessertes SCM . . . . . 5.7.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384 384 393 402
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
5.1.1 Situation der produzierenden Industrien
Das wirtschaftliche Umfeld erfährt seit einigen Jahren Veränderungen, die in ihrem Ausmaß, kombiniert mit ihrer Geschwindigkeit, neue Maßstäbe setzen. Gestern noch nur wenigen Eingeweihten bekannte Player in versteckten Nischen sind innerhalb kürzester Zeit zu Unternehmen in neuartigen Branchen mit Weltgeltung geworden.1 Die durch moderne Technologien ermöglichte massive Vergrößerung der Reichweite und des Handlungsspielraums auch kleinerer Unternehmen haben den Wettbewerb verschärft und unternehmerische Herausforderungen komplexer und undurchsichtiger werden lassen. Die gleichzeitig fortschreitende Deregulierung von staatlicher Seite und das damit verbundene Verschwinden gewohnter Handelsbarrieren auf nationaler wie auf internationaler Ebene verschaffen den Märkten zusätzlichen Spielraum. Um sich in diesem dynamischen Umfeld nachhaltig erfolgreich zu positionieren, ist ein hohes Maß an Adaptivität, Agilität und Antizipativität notwendig. Milberg bezeichnet Unternehmen, die nach dieser 1
vgl. Eglau/Kluge/Meffert/Stein (2000), S. 9
Maßgabe handeln, als AAA-Unternehmen.2 Vor diesem Hintergrund wurde neben der in den meisten produzierenden Unternehmen bereits hoch entwickelten operativen Prozessflexibilität3 auch auf strategischer und organisatorischer Ebene nach immer mehr Freiheitsgraden gesucht. Konzepte wie z. B. die fraktale und die modulare Fabrik sowie die Ausprägungen der verschiedenen Center-Konzepte verabschiedeten sich zwar von der traditionellen, hierarchischen Organisation, blieben aber der unternehmensinternen Sicht weitgehend treu. Zunehmend wurden aber auch die bestehenden, scheinbar zementierten Unternehmensgrenzen in Frage gestellt. Gedanken zur grenzenlosen und virtuellen Unternehmung entwickelten sich. Warnecke schrieb im Kontext des produzierenden Gewerbes bereits früh: „ . . . so gilt es in der Zukunft Produktionsstrukturen als ein Netzwerk aus verschiedenen Unternehmen zu verstehen und entsprechend zu organisieren.“4 Mehr und mehr setzt sich mittlerweile in Unternehmen die Einsicht durch, dass Eigenaufbau von Knowhow beziehungsweise eigene Leistungserstellung heute viel zu lange dauern und ohne kompetente Partner kein langfristiges Überleben mehr möglich sein wird.5 Neben der häufig geäußerten Feststellung, dass kooperative Ansätze für alle Partner bessere Ergebnisse erzeugen,6 wächst insbesondere im Bereich der Elektrotechnik und des Maschinen- und Anlagenbaus die Einsicht, dass Kooperationen die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen steigern,7 da Kooperationen einen positiven Effekt auf F&E Ergebnisse und die Produktivität besitzen.8 Der durch moderne IuK-Technologien unterstützte Trend zu einer stärkeren Vernetzung von Unternehmen, sowohl intern als auch extern, mit ihrer Umwelt, eröffnet eine offene Kommunikation und kann so das organisationale Lernen durch Zugang zur richtigen Information zum richtigen Zeitpunkt fördern.9 Doch der wachsenden Bedeutung von Unternehmensnetzwerken und Kooperationen als Antwort auf eine zunehmende Umweltdyna2
vgl. Milberg (2002), S. 9 Hierzu kann man Innovationen zählen wie z. B. Lean Production/Administration, CAx-Technologien. 4 vgl. Warnecke (1997), S. 3 5 vgl. Neumann (2001), S. 11 6 vgl. Pearce/Doh (2005), S. 32 7 vgl. Eggers/Kinkel (2002), S. 6ff. 8 vgl. Boudreau (2003), S. 377, Hippel (2004), S. 159 9 vgl. Zhou/Fink (2003), S. 44 3
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
mik steht bis heute eine hohe Misserfolgsquote gegenüber.10 Kooperationen weisen gegenüber Einzelunternehmen Besonderheiten in der Gestaltung des Managements und im Umgang mit Koordinationsinstrumentarien auf,11 die Unternehmen bei ihren Bemühungen um virtuelle Diversifikation durch Kooperationen zur Risikostreuung und Ertragsmaximierung12 berücksichtigen müssen. Dieser Sachverhalt sollte als Ansporn für die Wissenschaft verstanden werden, den aktuellen Entwicklungen der globalen Wettbewerbsarena entsprechend praxistaugliche Managementsysteme für eine kooperative Wertschöpfung bereitzustellen. In diesem Beitrag werden zwei hinsichtlich der Art der Koordination grundsätzlich unterschiedliche Kooperations- und Netzwerkkonzepte vorgestellt. Als Beispiel für ein geführtes Unternehmensnetzwerk dient die Virtuelle Fabrik (VF)13 , deren theoretische Konzeption und exemplarische Umsetzung vor etwa 10 Jahren ihren Anfang nahm. Den zweiten Pol bildet ein theoretisches Konzept für ungeführte Netzwerke, das nach der Logik einer geregelten Selbstorganisation funktioniert.
5.1.2 Geführte und ungeführte Unternehmensnetzwerke als Pole zweier Koordinationsparadigmen Zur Orientierung im Dschungel zahlreicher vorhandener Organisationskonzepte und zur konsistenten Ausgestaltung der situativ richtigen Kooperationsform ist ein Bezugsrahmen für die Gestaltung von Kooperationen und Netzwerken notwendig. Bislang zeichnet sich die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Unternehmensnetzwerke und Kooperationen jedoch eher durch eine auffallend divergente Beschreibung von Kooperationen und Netzwerken aus. Die Mehrheit der in der Literatur anzutreffenden Definitionen weist einen deskriptiven Charakter aus14 . Auf der Suche nach präskriptiven Ansätzen zur Verankerung und
319
Spezifizierung der Managementfunktionen in Unternehmensnetzwerken und Kooperationen wird einzig hinsichtlich der Bindungsintensität und des Integrationsgrades ein Hinweis auf die Art der zugrunde liegenden Koordinationsmechanismen gegeben.
5.1.2.1 Typologie Eine mögliche Typologie zur systematischen Verankerung möglicher Kooperationsformen kann anhand der beiden Dimensionen Koordination und Struktur geschaffen werden (Abb. 5.1). Hierbei wird die Architektur des Unternehmensnetzwerkes der zugrunde liegenden Koordinationsform gegenübergestellt.15 Die Struktur lässt sich zwischen zwei Extremformen positionieren. Der monozentrisch/intraorganisationale Typus zeichnet sich durch die Existenz eines bzw. einer geringen Zahl von Entscheidungszentren aus, welche Zweck und Ziele im Netzwerk determinieren. Die Netzwerkentitäten sind i. d. R. rechtlich und wirtschaftlich miteinander verbunden. In diese Kategorie fallen beispielsweise Konzerne mit unterschiedlichen Unternehmenseinheiten. Polyzentrisch/interorganisationale Netzwerke besitzen eine große Zahl von Entscheidungszentren, im Extremfall stellt jede Entität im Netzwerk ein solches dar. Dieser Kategorie sind Netzwerke bestehend aus rechtlich und, zumindest weitgehend, auch wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen zuzuordnen, 15 16
vgl. Wegehaupt (2004), S. 24 vgl. Wegehaupt (2004), S. 24
1 Explizit
Koordination Implizit
2
Geführte, hierarchische Netzwerke
Geführte, fokale Netzwerke
4
3
Heterarchische Hierarchie
Selbstorganisierende Netzwerke
10
vgl. Dyer/Kale/Singh (2001), S. 37, Gudergan/Devinney/Ellis (2003), S. 4f., de Man/Duysters (2002), S. 3ff., Parise/Sasson (2002), S. 41, Heck (2000), S. 21 11 vgl. Friedli (2000), S. 47 12 vgl. Harper/Viguerie (2002), S. 31f. 13 „Virtuelle Fabrik“ ist eine eingetragene Marke. 14 vgl. Schwaninger/Friedli (2002), S. 65
monozentrisch/ polyzentrisch/ intraorganisational interorganisational
Struktur Abb. 5.1 Typologie für Netzwerke und Kooperationen16
320
die typischerweise klein oder mittelgroß sind. Im Folgenden werden intraorganisationale Netzwerke nicht weiter vertieft, der Fokus des Beitrags liegt auf interorganisationalen Netzwerken rechtlich und wirtschaftlich selbständiger Unternehmen. Als die zwei Pole einer möglichen Gestaltung der Managementmechanismen werden die explizite und die implizite Koordination unterschieden. Eine explizite Koordination entspricht einem Management über situative Weisungen an die Entitäten im Netzwerk und explizite Vorgaben für deren Aktivitäten. Derartige geführte Netzwerke und Kooperationen stellen eine explizite Integration von Regler und Regelstrecke in einem System dar. Ihre Ausprägung kann zwischen hierarchisch-weisungsbefugt und fokal-lenkend liegen.17 Sie repräsentieren die Manifestation zweckgerichteter künstlicher Systeme, da eine Zielverfolgung unter Wahrung von Sinn, Identität, Lebensfähigkeit und Anpassungsfähigkeit erfolgt18. Im Falle einer impliziten Koordination wird durch die koordinierende Instanz der Kontext der Netzwerkunternehmen durch verallgemeinerbare Regeln und Normen gestaltet und damit die synergetische Ausrichtung aller Aktivitäten am Zweck des Verbundes forciert. Derartige implizit koordinierte bzw. ungeführte Netzwerke und Kooperationen stellen unter Berücksichtigung des Regelkreises die Isolation der Regelstrecke als selbstorganisierendes, autonomes System dar, welches sich selbststrukturierend in einem Kontext bewegt. Dies bedeutet, dass der Regler Teil der kontextgestaltenden Umwelt ist und als übergeordnetes System nicht koordinierend in das kurzfristig situative Geschehen der Regelstrecke eingreift.19 Gestützt wird die obige Unterscheidung im Grundsatz durch eine empirische Studie von Bickhoff et al. in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Roland Berger. Sie belegt, dass sich die Gestaltungsalternativen für Netzwerke eben zwischen genau diesen beiden Polen, Führung vs. Verzicht auf Führung, bewegen. Beide Formen sind in der Realität beobachtbar. Im direkten Vergleich jedoch scheinen geführte, fokale Netzwerke erfolgreicher zu sein als dezentrale, ungeführte20. Unter ungeführte Netzwerke werden in der Studie jedoch rein selbstorganisierte bzw. unverbindlich koordinierte Kooperationen d. h. ungeregelte For17 18 19 20
vgl. Wegehaupt (2004), S. 24 vgl. Beer (1979/1994), Stachowiak (1973) vgl. Wegehaupt (2004), S. 25 vgl. Bickhoff/Böhmer/Eielenberger et al.(2003), S. 7
5 Vernetzte Produktion
men der Zusammenarbeit subsumiert. Eine implizite Koordination hingegen, wie sie in diesem Beitrag skizziert wird, kann zwar als ungeführt, im Sinne expliziter Führung, bezeichnet werden, jedoch erfolgt mit Hilfe geeigneter Regelmechanismen eine wirksame synergetische Ausrichtung auf den Zweck des Verbundes.
5.1.2.2 Wann eignet sich welche Organisationsform? Determinante Prozess Neben dem Einbezug der Koordination darf das eigentliche Objekt „Prozess“, um das sich insbesondere in produzierenden Industrien herum das Unternehmensnetzwerk und die Kooperation ausbilden, nicht vernachlässigt werden. Der Prozess in Verbindung mit den für seine Entwicklung und Herstellung benötigten Technologien und Produktionsverfahren bestimmt im Sinne des Kontingenz-Ansatzes21 maßgeblich die Architektur bzw. Struktur und damit indirekt den Koordinationstypen des Netzwerkes und der Kooperation. Unter Bezugnahme auf die dargelegte Typologie kann die Unterscheidung zwischen den beiden Netzwerkparadigmen wie in Abb. 5.2 dargestellt vorgenommen werden. In diesem Beitrag wird einerseits auf geführte fokale Unternehmensnetzwerke Bezug genommen, dem das oben erwähnte, in der Praxis bereits erfolgreich umgesetzte Kooperationskonzept der Virtuellen Fabrik zuzuordnen ist. Dieser Netzwerktypus eignet sich für eher konstruktivistisch-technomorphe Problemstellun21 22
vgl. Kieser/Kubicek (1992) vgl. Wegehaupt (2004), S. 26
RS
RS
Geführte Netzwerke
Eigenschaften:
Einsatzgebiet:
Hierarchische Netzwerke
Fokale Netzwerke
Zwei Ebenen: Netzwerk & Kooperation Konfiguration/Planung der Interaktion vor Ausführung explizites Management (Fokale Instanz) Hohe Reichweite von Entscheidungen >1
Entwicklung & Konstruktion Produktion (Fertigung/Montage) Serien- & Massenfertigung
Ungeführte Netzwerke
K
R Legende: RS: Regelstrecke R: Regler K: Kontext
Dyadisch
Triadisch
Eine Ebene: Netzwerk instantane, lokale dyadische Interaktion (Selbstorganisation) implizites Management (Kontext) Reichweite =1
Innovationen in der Ideenphase Handel/Beschaffung Vertrieb Service
Einzelfertigung
Abb. 5.2 Paradigmen der Netzwerk- und Kooperationskoordination22
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
gen, die in einem hohen Maß im Sinne eines Arbeitsplans deterministisch planbar sind. Hierzu können im Grundsatz die späteren Phasen im Entwicklungsprozess sowie die Fertigung und Montage gerechnet werden. Die Koordination wird von einer fokalen Instanz – beispielsweise einem Unternehmen oder Projektcoach – vorgenommen, der über die lokale Interaktion in ungeführten Netzwerken hinaus einen Einfluss auf das gesamte Netzwerk innehat. Zum anderen wird das Konzept eines ungeführten, geregelten Unternehmensnetzwerks vorgestellt. Dieser Kooperationstypus ist bislang primär in den Sozialwissenschaften beschrieben worden und wurde dort programmatisch dargestellt. Einer theoretischen Umsetzung bedarf es daher noch weit reichender Aktivitäten in Richtung einer Detaillierung und Operationalisierung, vor allem in den anwendungsorientierten Wissenschaftsdisziplinen. Ungeführte, geregelte Netzwerke eignen sich für systemisch-evolutionäre Problemstellungen, die nicht deterministisch planbar und steuerbar sind. In diese Kategorie fallen hochgradig kreative Aktivitäten, beispielsweise in den frühen Phasen des Innovationsprozesses, oder Beschaffungsprozesse. Die Regelung des Netzwerks erfolgt über eine koordinierende Instanz, die den Kontext der Netzwerkunternehmen gestaltet, hierbei jedoch keinen direkten unmittelbaren Einfluss auf die Prozesse der Partnerunternehmen hat. Die Kommunikation im Netzwerk erfolgt vielmehr als lokale dyadische Interaktion.
Determinante Leistungssystem Über den kollaborativen Prozess hinaus legt die Architektur des zu erstellenden Leistungssystems die eine oder andere Form der Koordination nahe. Technische Produkte entwickeln sich in Richtung komplexer Systeme. Dabei werden unterschiedliche Technologiearten wie Software, Mechanik und Elektronik sowie unterschiedliche Dienstleistungen in einem Leistungssystem zusammengeführt.23 Diese Technologiefusion bzw. Produkt-Service-Integration erfordert bei der Entwicklung und Produktion die Integration oder Kombination verschiedenartiger Kompetenzen, welche aufgrund der hohen Spezifität von unterschiedlichen Unternehmen bereitgestellt werden. Dergestalt integrierte komplexe Leistungssysteme stellen Anfor-
derungen an die kollaborative Wertschöpfung, die mit Hilfe expliziter deterministischer Führung kaum bzw. nur mit großem zeitlichen und finanziellen Aufwand bewältigt werden können. Schließlich ist eine explizite inhaltliche Koordination durch das fokale Unternehmen aufgrund der Spezifität des eingebrachten Wissens der Sublieferanten nur begrenzt möglich.24 Die Komplexität wird zusätzlich durch das heutige dynamische und unberechenbare Umfeld bei der Produktentstehung und -herstellung gesteigert. Rasch wechselnde Kundenwünsche bei hohem Individualisierungsgrad führen zu einem hohen Aufwand für Anpassungen und Änderungen. Je komplexer das Produkt ist – und damit der Grad an Vernetztheit der Wertschöpfung – desto komplexer werden dabei die Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Partnern und damit die Anforderungen an komplexitätsadäquate Managementmechanismen. Anders sieht es bei weniger komplexen Leistungssystemen aus, die in einzelne Module mit definierten robusten Schnittstellen gegliedert werden können. Werden die einzelnen Module nun jeweils als Ganzes durch einen Netzwerkpartner übernommen, ist häufig aufgrund der reduzierten Komplexität eine explizite Koordination effizienz- und ergebnisfördernd.
Determinante Macht Macht ist ein wesentliches Element in Netzwerken und Kooperationen25. Der Begriff wird assoziiert mit der Beherrschung von Beziehungen, Unsicherheiten, Kooperationspositionen und Veränderungen. Die Diskussion des Machtkonzepts in Hierarchien anhand der Strategie- und Organisationslehre sowie den ressourcen- und verhandlungsorientierten Ansätzen hat gezeigt, dass Macht in Kooperationen über mehrere Dimensionen beschrieben werden kann. Innerhalb dieser Dimensionen beeinflusst Macht das Management der finanziellen und transaktionellen Interdependenzen, die Autorität über Beziehungen innerhalb der Kooperation, den Entscheidungsprozess und das Teilen sozialer Abhängigkeiten.26 Praktisch determiniert das Machtgefüge in Verbindung mit dem Verhalten der Netzwerkspieler das real existie24 25
23
vgl. Schuh/Schwenk (2001)
321
26
vgl. Schreyögg (2004), S. 70 vgl. Sauer (2005), S. 129f. vgl. Niemelä (2004), S. 327
322
rende Führungsschema. Durch Machtverhältnisse in Verbindung mit opportunistischem Verhalten einzelner Netzwerkunternehmen werden häufig rationale Entscheidungen hinsichtlich der optimalen Koordinationsform konterkariert oder vollständig verhindert.
5 Vernetzte Produktion Freiheitsgrade
Pionierunternehmen Virtuelle Organisation
U-Form
MForm
VO mit fokaler U'g
?
5.1.3 Geführte Netzwerke – Die Virtuelle Fabrik
integrierter Konzern Quelle: Handskizze Bleicher
Anzahl Schnittstellen
Abb. 5.3 Stabilität und Instabilität in virtuellen Organisationen
Als Beispiel eines geführten Netzwerks kann die Virtuelle Fabrik angesehen werden. Dieses Kooperationskonzept zielt darauf ab, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Entstehung von effizienten ad-hoc Kooperationen begünstigen, das Zusammenführen komplementärer Kompetenzen erleichtern und agiles27 Handeln ermöglichen. Somit bietet die Virtuelle Fabrik das geeignete Spielfeld für KMUs, sich den künftigen Herausforderungen der Wettbewerbsarena zu stellen, eine für sich geeignete Positionierung zu finden und gezielt ihre Stärken auszuspielen. Zahlreiche Studien weisen zwei wesentliche Aspekte als die häufigsten Gründe aus, warum Kooperationen scheitern:28 1. Suche und Auswahl der geeigneten („richtigen“) Partner. 2. Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen den Partnern. Eine weitere Schwierigkeit, die sich vor allem beim Management virtueller Strukturen ergibt, ist deren Fluidität und inhärente Instabilität, die aus dem Kerngedanken idealtypischer Vorstellungen von Virtualität resultiert, der die völlige Gleichberechtigung aller Beteiligten in virtuellen Organisationen vorsieht. Diese Forderung widerspricht allerdings dem natürlichen unternehmerischen Streben des Menschen. Es wird zwangsläufig zu Kämpfen um die Systemführerschaft kommen, sofern nicht Mittel und Wege gefunden werden, auch in die virtuelle Organisation Stabilität zu bringen. Bleicher29 schlägt in diesem Kontext 27 nach Schuh/Friedli (1999), S. 222 versteht man unter Agilität die „. . . Flexibilität eines Unternehmens ohne quantitative und/oder qualitative Überkapazitäten. Sie ist charakterisiert durch Schnelligkeit und Vollständigkeit bei der Umsetzung von Kundenanforderungen und/oder Marktveränderungen.“ 28 vgl. Bollhalter/Eisen/Millarg (2001), S. 108 29 vgl. Bleicher (1999)
den Weg über ein fokales Unternehmen innerhalb des Netzwerks vor (vgl. Abb. 5.3). Oftmals wird auch die Gefahr opportunistischen Partnerverhaltens (Spieltheorie) in die Diskussion eingebracht, die durch die Eigenschaften virtueller Strukturen (dynamische Netzwerke mit wechselnden Partnerschaften und vordefiniertem Ende) noch größer wird; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Sanktionsmechanismen innerhalb des Netzwerks fehlen, solange keine wiederholten Transaktionen notwendig und/oder vorgesehen sind.30
5.1.3.1 Das Konzept Virtuelle Fabrik Um diesen Aspekten und Herausforderungen Rechnung zu tragen, besteht das strukturelle Konzept im Wesentlichen aus zwei Ebenen. Diese sind die • stabile Plattform (Kooperationsnetzwerk – Aufbau & Erhalt des Leistungspotentials) einerseits und die • eigentliche Virtuelle Fabrik (Wertschöpfungsnetzwerk – Umsetzung des Leistungspotentials) andererseits (Abb. 5.4). Die stabile Plattform besteht aus rechtlich bzw. wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, die ähnlich wie in einem Cluster32 in regionaler Nähe zueinander angesiedelt sind. Die bewusste Beschränkung und gezielte Auswahl von Mitgliedern in dieser Plattform verletzt zwar die idealtypische Forderung der Virtualität nach freier Konfigurierbarkeit der Leistungserbringer, ist aber vor dem Hintergrund der Entwicklung eines umsetzbaren und praktikablen Konzepts sinnvoll. 30 31 32
vgl. Büschken (1999), S. 785 vgl. Schuh/Millarg/Göransson (1998), S. 93 Zur Cluster Thematik siehe z. B. Porter (1998)
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung Virtuelle Fabrik: Dynamisches, auftragsbezogenes Wertschöpfungsnetzwerk
323
Durch die begrenzte Anzahl an Mitgliedern sind wiederholte Transaktionen eher die Regel denn die Ausnahme, seien diese Transaktionen geschäftlicher oder auch sozialer Natur. Insofern bringt die stabile Plattform ein hohes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Selbstkontrolle mit sich. Die Partnerunternehmen der Plattform verfügen über ein gesundes Stammgeschäft und bringen eine oder mehrere herausragende Kompetenzen in das Netzwerk ein. In Summe entsteht ein universelles Angebot an unterschiedlichsten Fähigkeiten, die z. T. auf Kompetenzebene, nicht aber auf Endproduktebene, in Konkurrenz zueinander stehen. Nicht zuletzt anhand dieses Kriteriums wird auch über Aufnahme resp. Ablehnung potentieller neuer VF-Mitglieder befunden, was die stabile Plattform automatisch auf eine gewisse Anzahl an Partnern beschränkt. Die Konkurrenz auf Kompetenzebene sorgt für einen ständigen Know-how Vergleich zwischen den Partnern, was dazu führt, dass sie auch durch den internen Wettbewerb zu ständiger Verbesserung ihrer Leistungen angespornt werden und nicht in Gefahr laufen, in der „Sicherheit des Netzes“ ihre Fähigkeiten zu vernachlässigen. Die fehlende Konkurrenz auf Endproduktebene garantiert dennoch die Möglichkeit des Vertrauensaufbaus. Auf diese Weise können exzellente Leistungen der Partnerunternehmen innerhalb des Netzwerks und innovative Gesamtlösungen für den Kunden garantiert werden. Die stabile Plattform schafft somit die institutionellen Voraussetzungen, um gleichzeitig Konkurrenz, aber auch das notwendige Vertrauen zwischen den Unternehmen aufzubauen, zu erhalten und eine kooperationsbereite Grundeinstellung der Mitglieder zu sichern. Basierend auf diesem „voreingestellten“ Kooperationspotenzial33 können die Fähigkeiten der Partner-
unternehmen dynamisch und auftragsbezogen immer wieder in neuen Virtuellen Fabriken zusammengestellt und bedarfsgerecht aktiviert werden. Die während der Auftragsabwicklung geforderte Stabilität des aktivierten Netzwerks wird durch die später noch näher beschriebene Rolle des Auftragsmanagers erreicht. Dieser übernimmt für die Dauer der Auftragsabwicklung sozusagen als temporärer Geschäftsführer der Virtuellen Fabrik die Rolle des fokalen Unternehmers. Diese Art der interorganisatorischen Wertschöpfung weist bereits die Eigenschaften auf, wie sie im Sinne eines AAA-Unternehmens beschrieben wurden, und bringt zudem die notwendige Exzellenz mit. Nach der erfolgreichen Auftragsabwicklung löst sich die Virtuelle Fabrik wieder auf und die beteiligten Partnerunternehmen „kehren zurück“ in die stabile Plattform. Durch das so beschriebene Vorgehen ist es möglich, nicht nur Auslastungsschwankungen der Partnerunternehmen im Netzwerk auszugleichen, sondern vielmehr neue Marktchancen schnell und zuverlässig zu erschließen.34 Die Auswahl der Partner erfolgt im Auftragsfall nach netzwerkinternen Marktmechanismen, was bedeutet, dass diejenigen Partner den Zuschlag erhalten, die gemeinsam für einen konkreten Auftrag am besten geeignet sind. Dadurch steht die optimale Erfüllung des Kundenbedürfnisses im Mittelpunkt der Gesamtwertschöpfung. Parallel zum Lebenszyklus der Virtuellen Fabrik, der in Abb. 5.5 dargestellt ist, durchläuft auch die stabile Plattform einen kontinuierlichen Wandel. Ausgehend von einer initialen Konfiguration aus Partnerunternehmen und Wirkprinzipien, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird, ist eine stetige Weiterentwicklung notwendig. Diese schließt sowohl die Weiterentwicklung einzelner Netzwerkunternehmen hinsichtlich der dort vorhandenen Kompetenzen (z. B. Fachschulungen, Kommunikationstrainings) ein, als auch die Optimierung der Verknüpfung der Netzwerkentitäten (z. B. soziales Beziehungsnetz, IT-Infrastruktur). Im Sinne eines kontinuierlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozesses kann und muss die stabile Plattform regelmäßig einer Leistungskontrolle unterzogen werden. Die Konsequenzen reichen dabei von der Integration neuer Unternehmen, um das Kapazitäts- und/oder Kompetenzprofil der stabilen Plattform den aktuellen Erfordernissen der
33
34
Stabile Plattform: Unternehmensnetzwerk
Abb. 5.4 Modell der Virtuellen Fabrik31
vgl. Schuh/Friedli/Kurr (2005), S. 89
vgl. Schuh/Eisen/Dierkes (2000), S. 67
324
5 Vernetzte Produktion Leistungserstellung
Rückkehr in die stabile Plattform
Aufbau & Erhalt des Leistungspotenzials
Umsetzung des Leistungspotenzials
Leistungskonfiguration
Rollen und Aufgaben Initiale Konfiguration
Plattformentwicklung
Plattformaus-/umbau
Aufbau
Betrieb
Auflösung/ Veränderung
Abb. 5.5 Lebenszyklen der Virtuellen Fabrik
Wettbewerbsarena anzupassen, bis hin zur Sanktionierung, zum Austausch bzw. dem Ausschluss von Partnern. Obwohl im Konzept keine Aufbau- und Ablauforganisation im herkömmlichen Sinne existiert, bedarf es doch einiger Wirkprinzipien, welche das Funktionieren einer Virtuellen Fabrik sicherstellen. Im Folgenden werden zunächst Rollen und Aufgaben zum operativen und taktischen Management in der Virtuellen Fabrik vorgestellt (vgl. Abb. 5.6). 35
Wesentlich ist zunächst, dass alle der Aufgaben innerhalb des Netzwerks wahrgenommen werden, da sich diese im Laufe des operativen Betriebs der Virtuellen Fabrik als konstituierend erwiesen haben.
vgl. Schuh/Millarg/Göransson (1998), S. 93
Auftragsmanager: Broker:
- Auftragsabwicklung
- Akquisition von Aufträgen - Vertrieb der Netzkompetenzen
- Engineering - Projektmanagement
• Die Aufgabe des Brokers besteht in erster Linie in der Akquisition von Aufträgen. Er forciert insofern immer wieder die Bildung neuer Virtueller Fabriken (aktivierte Netzwerke), indem er potenziellen Kunden die Kompetenzen (Technologien und Fähigkeiten – nicht Produkte) der Netzwerkpartner anbietet und verkauft. Die Rolle des Brokers kann von einzelnen Mitarbeitern der Partnerunternehmen wahrgenommen werden, indem sie z. B. ihren bestehenden Kunden Leistungen anbieten, die ihre eigenen Kompetenzen und/oder Kapazitäten übersteigen. Sie fungieren somit automatisch als Beauftragte in Sachen Marketing für die Virtuelle Fabrik. Bei entsprechendem Auftragsvolumen ist es auch möglich, einen (oder mehrere) Broker vollamtlich zu beschäftigen, was in den realisierten Virtuellen Fabriken teilweise auch der Fall ist. • Eine eingehende Offert-Anfrage wird durch den Broker an den Leistungsmanager weitergeleitet. Er kennt die Kompetenzen und Kapazitäten der Netzwerkpartner und verfügt über das notwendige
Auditor: - Interner und externer Revisor - Beratung und Prüfung von Projekten
Leistungsmanager: - Zusammenführung und Konfiguration der Leistungen - Kommunikation mit Kunden
In-/Outsourcingmanager:
Netzwerk -Coach:
(je Partnerunternehmen) - Koordination - Kommunikation mit Leistungsund Auftragsmanager
- Aufbau und Pflege des
Abb. 5.6 Rollen und Aufgaben in der Virtuellen Fabrik35
Netzwerkes - Akquisition Partner - Konfliktmanagement - Netzwerkmarketing
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
•
•
•
•
Know-how, Offert-Anfragen – sofern erforderlich – in Teilleistungen zu zerlegen und die entsprechend am besten geeigneten Partner zu identifizieren. Er konfiguriert somit die eigentliche, auftragsbezogene Virtuelle Fabrik. Ferner ist er zuständig für die Definition des Komplettangebots an den Kunden, welches neben der Produktion die zusätzlich notwendigen Dienstleistungen wie z. B. Service, Inbetriebnahme und Engineering umfasst. Die In-/Outsourcing Manager bieten die spezifischen Kompetenzen ihrer Unternehmen zur Nutzung im Netzwerk an. Sind sie entsprechend des Know-hows und der aktuellen Kapazitätslage an der Erbringung einer Teilleistung interessiert, so wickeln sie die Detailabklärungen mit dem Leistungsmanager ab. Nach Übernahme des Auftrags sind sie verantwortlich für die adäquate Erstellung der Teilleistung und die entsprechend notwendige interne Auftragsabwicklung in ihren Unternehmen. Sie sind Ansprechpartner für den Leistungs- und den Auftragsmanager. Der Auftragsmanager ist der Leiter/Geschäftsführer der auftragsspezifisch konfigurierten Virtuellen Fabrik und übernimmt in dieser Funktion das Projektmanagement für die unternehmensübergreifende Auftragsabwicklung. Er überwacht die Termin- und Qualitätseinhaltung bei den an der Gesamtwertschöpfung beteiligten Partnerunternehmen und ist Ansprechpartner für die involvierten In-/Outsourcing Manager. Der Netzwerkcoach ist für das Beziehungsmanagement im Netzwerk verantwortlich. Ihm kommt somit eine entscheidende Rolle zu, da die Qualität der zugrunde liegenden Vertrauensbasis nicht zuletzt von seinem Geschick und Engagement abhängt. Die Vertrauensbasis bestimmt wiederum das erreichbare Kooperationspotenzial, womit der Aufbau und die Pflege der Vertrauenskultur innerhalb des Netzwerks zu seiner wichtigsten Aufgabe wird. Darüber hinaus ist er für die infrastrukturellen Voraussetzungen zuständig, die eine möglichst reibungslose, unternehmensübergreifende Kommunikation und Auftragsabwicklung gewährleisten. Der Auditor ist eine neutrale Instanz im Netzwerk. Er prüft von Zeit zu Zeit den Prozess der Bildung, des operativen Betriebs sowie der Auflösung einer Virtuellen Fabrik. In seiner vermittelnden Funktion stellt er die Einhaltung der Spielregeln sicher und dient als interner und externer Revisor.
325
Leistungsmanager Broker
In-/Oursourcingmanager Ständige Aufgabe: Vermarktung/ Akquisition
Phase 1: Leistungskonfiguration Auftragsmanager In-/Oursourcingmanager Phase 2: Leistungserstellung
Kooperationsplattform: Kompetenzpool Netzcoach Auditor
Phase 3: Rückkehr in stabile Plattform
Auftragsmanager
Abb. 5.7 Phasenmodell der VF-Rollen36
Eine Zuordnung der Rollen zu den Lebenszyklusphasen einer Virtuellen Fabrik kann der Abb. 5.7 entnommen werden. Diese Einordnung ist nicht als starres Schema zu verstehen, sondern vielmehr eine Aufteilung der Einsatzschwerpunkte der jeweiligen Rollen. Ferner gibt sie Hinweise auf notwendige Schnittstellen zwischen den Rollen während der Auftragsabwicklung innerhalb einer Virtuellen Fabrik.
5.1.3.2 Management durch eine fokale Instanz Die Erfahrungen aus den bislang realisierten vier Virtuellen Fabriken (VF Euregio Bodensee, VF Nordwestschweiz-Mittelland, VF Rhein-Ruhr und VF Baden-Württemberg) haben gezeigt, dass insbesondere die kosten- und zeitbezogene Effizienz der Projektabwicklung, aber auch deren Effektivität und Innovativität durch ein wirksames zentralisiertes Netzwerkmanagement gefördert werden können. Das Fehlen einer ordnenden zentralen Kraft schlägt sich in einem Mangel an Berechenbarkeit und Transparenz im Netzwerk nieder. In Folge dessen nimmt die Kohäsion im Netzwerk und damit der Grad synergetischen Verhaltens der Netzwerkpartner ab. Dies äußert sich beispielsweise in erhöhten Preisen für eigene Leistungen aufgrund von Risikozuschlägen, aus Furcht vor möglichen Zahlungsausfällen. Mangelhafte Kommunikation, das Zurückhalten oder die verzögerte Weitergabe wichtiger Informationen beeinträchtigen die zügige Auftragsabwicklung und wirken sich zudem negativ auf die Qualität der Ergebnisse aus. Als Konsequenz können die Erfolgspotenziale, die durch ein optimiertes Kapazitäts- und Kompetenzmanage36
vgl. Schuh/Millarg/Göransson (1998), S. 94
326
ment37 möglich sind, nicht vollständig erschlossen werden. Daneben ist festzuhalten, dass der Unternehmergeist und die technologische Kompetenz eines Netzwerkpartners nicht zwingender Weise mit seiner Kompetenz im Bereich der Projektführerschaft und Projektabwicklung einhergehen müssen. Dies bedeutet, dass die kollaborative Projektabwicklung im Netzwerk nicht mehr ausschließlich „best-ofbreed“ Funktionsträger zusammenführt. Funktionen werden nicht mehr nur mit Kernkompetenzträgern besetzt, sondern mit bereitwilligen Leistungsanbietern. Andererseits erwachsen aus dieser adhokratischen Selbstorganisation Unklarheiten hinsichtlich der Reproduzierbarkeit von Organisationsvorgängen, der Dokumentation von Ergebnissen und einer Aufbereitung von Erfahrungswissen im Sinne des Knowledge Managements. Das Fehlen einer bündelnden Einrichtung impliziert somit eine dezentrale und ungeordnete Verteilung von Informationen im Netzwerk. Ausgehend von der St. Galler Denkschule des Systemorientierten Management nach Ulrich bietet ein Blick in die Gedankenwelt der Allgemeinen Systemtheorie Impulse zur Systemgestaltung virtueller Organisationen38. Betrachtet man das Kooperationsnetzwerk der Virtuellen Fabrik als ein System, dessen übergeordnetes Ziel zunächst der Fortbestand und die adaptive Entwicklung des Netzwerkes als solches ist, dann bietet das Modell Lebensfähiger Systeme (Viable System Model) nach Beer einen umfassenden Ansatz zur Gestaltung des Netzwerk-Managements (vgl. Abb. 5.8). Zwar wird es in der organisationstheoretischen Literatur seit seiner Publikation im Jahre 1979 umstritten diskutiert und als hierarchisches Ordnungsmodell für Organisationen gesehen – was dem grundlegenden Postulat der Hierarchielosigkeit und Dezentralisierung der modernen Netzwerktheorie widerspricht. Dennoch bietet es sich als gedanklicher Überbau zur Behebung der identifizierten Pathologien des Konzeptes der Virtuellen Fabrik an. In Anlehnung an das Modell können die Management-Funktionalitäten identifiziert werden, die zur Schaffung von Identität, Kohäsion und Entwicklungsfähigkeit im Kompetenznetzwerk erforderlich sind. Gemäß Ashby’s Gesetz der „Requisite 37 38 39
vgl. Schuh/Millarg/Göransson (1998), S. 49 vgl. Ulrich (2001) vgl. Beer (1979), Wegehaupt (2004)
5 Vernetzte Produktion Viable Community Community 5: Normative NormativesManagement Management (Vision, (Visionen, Values Werte,, Mission) Missionen) 4: Strategic Strategisches Management Management (Mission Roadmap) Roadmap ) 3: Tactical Taktisches and und Operational OperativesManagement Management (Implementation (Umsetzung der Strategie) of Strategy ) 2: Koordinierender Coordinating Service Service Provider Provider (Synchronisation of der Einzelaktivitäten) Einzelaktivit Activities ) ä 1: Kooperationspartner Engineering Partners (Produktentwickler und Hersteller) (ESP and ESC)
Abb. 5.8 Die Viable Community – Eine Analogiebetrachtung zum Management von Kooperationsnetzwerken39
Variety“ kann nur Komplexität ein gewisses Maß an Gegenkomplexität absorbieren. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Variabilität des Managements in der Virtuellen Fabrik dem Grad der Komplexität der kollaborativ abzuwickelnden Aufgabe entsprechen muss40 . Ein weiteres Charakteristikum des Viable System Models ist seine Rekursivität. Dies bedeutet, dass jede operative Untereinheit des Kooperationsnetzwerkes dieselbe innere Struktur besitzt wie die übergeordnete Gesamtarchitektur – also zu seiner Lebensfähigkeit die Funktionen aller fünf Sub-Systeme aufweist. Diese Selbstähnlichkeit kann dann genutzt werden, wenn beispielsweise Informations- oder Projektmanagementsysteme unternehmensübergreifend miteinander verbunden werden. Das Konzept des Viable System Models legt aufgrund seiner bisher genannten Eigenschaften und vor dem Hintergrund der bekannten Pathologien existierender Virtueller Fabriken nahe, die Funktionalitäten der Systeme 2, 3, 4 und 5 in einer für das Kompetenznetzwerk integrierenden „Fokalen Management Instanz“ zusammenzufassen. Die Fokale Management Instanz vereint mehr als nur die im operativen Geschäft der Virtuellen Fabrik relevanten Rollen des Brokers, Auftragsmanagers, Netzwerk Coaches, Leistungsmanagers und externen Auditors auf sich, die ihrer Natur nach den Sub-Systemen 2 und 3 des Viable Systems zuzuordnen sind. Vielmehr kommen ihr zusätzlich Aufgaben der Systeme 4 und 5 zu, welche durch gesonderte Gremien, Instrumente und eine entsprechende Infrastruktur (z. B. Managementsysteme zur aggregierten Datener40
vgl. Ashby (1956)
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
hebung im Kompetenznetzwerk) unterstützt werden. Schwerpunktmäßig sind dies Aufgaben im Sinne des Managements des Kompetenznetzes. Im Bereich des aktivierten Kooperationsnetzwerkes übernimmt die Fokale Management Instanz Funktionen wie die des Projekt- und Vertragsmanagers oder der zentralen Datenhaltung (Abb. 5.9). Der Aufbau der Fokalen Management Instanz gleicht dem einer hybriden Entität bestehend aus Menschen und einer IT-Infrastruktur, welche über eine gemeinsame Organisationsstruktur vereint sind. Darüber hinaus verfügt die Fokale Management Instanz ggf. über einen eigenen Business Plan. In diesem Sinne ist sie ein eigenständiges Unternehmen, welches einen integrierten Teil des Kompetenznetzwerkes darstellt und den übrigen Partnern seine Leistungen zur Verfügung stellt. Einziges hervorstechendes Alleinstellungsmerkmal ist, dass sie über Weisungsbefugnis in normativen und strategischen Belangen verfügt, die entweder zuvor von Unternehmen an die Fokale Management Instanz abgetreten oder deren Zusammensetzung durch die Partnerunternehmen in einer konstituierenden Abstimmung eindeutig festgelegt wurde. Der Mehrwert der Fokalen Management Instanz liegt vor allem in der systematischen Unterstützung der Projektvorbereitungsphase einer Kooperation. Hier liegt ihre primäre Aufgabe im Angebot von Dienstleistungen zur professionellen Mediation der
Projektplanerstellung. In der Ausführungsphase kann gemäß der Logik der Selbstorganisation dezentral gearbeitet werden, da allen Partnern der gemeinsam erarbeitete Projektplan vorliegt. Moderne B2B-Lösungen ermöglichen im Bereich der Projektdurchführung die Erbringung der nötigen automatisierten Leistungen. Die Unterstützungsfunktionen, die auch während der Projektdurchführung nicht automatisierbar sind, können entweder dezentral durch die Projektpartner oder ebenfalls durch die Fokale Management Instanz als Dienstleistung ausgeführt werden.
5.1.3.3 Normative Regeln Neben den Rollen und Aufgaben haben Spielregeln eine weitere wichtige Aufgabe im Geschäftsgeschehen der Virtuellen Fabrik. Sie stellen den Verhaltenskodex des Netzwerks dar. Sie sind allgemein gültige und dauerhafte Restriktionen individuellen und kollektiven Verhaltens, welche Handlungen vorstrukturieren, berechenbar machen und somit Sicherheit geben. Sie ermöglichen erst effektives und effizientes Handeln innerhalb der Gemeinschaft. Sie nehmen im Netzwerk folglich eine wichtige Koordinationsfunktion wahr und sorgen für die Harmonisierung des Partnerverhaltens. Die Ausgestaltung der Regeln spiegelt auf anschauliche Weise die Kultur im Netzwerk wider.
Erforderliche Führungsfunktionen: - Operatives Projektmanagement - Projekt Controlling - Projektabschluss Virtuelle Fabrik: Dynamisches, auftragsbezogenes Wertschöpfungsnetzwerk
Erforderliche Führungsfunktionen: - Taktische Projektvorbereitung - Projektdefinition - Projekt Planung - Projekt Verhandlung
Führungsinstanz
Stabile Plattform: Unternehmensnetzwerk
Erforderliche Führungsfunktionen: - Normatives und strategisches Management - Partnersuche und –auswahl - Kollaborative Dienstleistungen - Aktives Marketing
Abb. 5.9 Aufgaben der fokalen Management Instanz
327
328
Spielregeln, zu deren Einhaltung sich die Partnerunternehmen verpflichtet haben, ersetzen die bei Kooperationen sonst notwendigen Verträge und gewährleisten auf diese Weise eine reaktionsschnelle Handlungsfähigkeit des Netzwerks. Beispiele für Spielregeln sind etwa Aufnahmebedingungen, Qualität, Leistungsklärung, Auftragskalkulation und ähnliche mehr. Über die vereinbarten Normen hinaus ist ein Grundvertrauen zwischen den Netzwerkpartnern notwendig. So wird der Aufbau einer Vertrauenskultur, welche aus vielschichtigen Vertrauensbeziehungen zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen und Branchen entwickelt werden muss, als wichtige Aufgabe und große Herausforderung wahrgenommen.41 Vertrauen sollte in diesem Kontext allerdings nicht als naives Vertrauen, z. B. dasjenige eines Kindes gegenüber seiner Mutter oder als der Glaube an das Gute im Kooperationspartner, missverstanden werden. Vertrauen hier bedeutet vielmehr, dass das Verhalten und die Handlungen der Kooperationspartner transparent, berechenbar und somit prognostizierbar sind. Dies zusammengenommen stellt erst eine solide Grundlage für eine geschäftliche Beziehung zwischen mehreren Unternehmen dar.
5.1.4 Ungeführte Netzwerke – Geregelte Selbstorganisation In geregelten selbstorganisierenden Unternehmensnetzwerken ersetzt ein Regelwerk, das aus normativen, strategischen und operativen Elementen besteht, situative, klassisch-hierarchische Weisungen, die zur Koordinierung komplexer Wertschöpfungsprozesse von einem fokalen Unternehmen ausgehen. Die regelbasierte, implizite Führung der autonomen Netzwerkunternehmen ermöglicht die maximale Realisation der Potenziale der Selbstorganisation, in Form hoher Agilität und Adaptivität.
5.1.4.1 Koordination durch Kontextmanagement
5 Vernetzte Produktion
beispielsweise Komponenten, zu einem Leistungssystem42 , ggf. auch unter Einbezug eigener Leistungen. Aufgrund des nicht-hierarchischen (heterarchischen) Netzwerkcharakters basieren die Leistungstransaktionen auf Verhandlungen. Die Koordination erfolgt über ein dynamisches Regelwerk, im Sinne von Spielregeln oder Verhaltenscodices, das den Kontext der Netzwerkunternehmen und damit den Rahmen der mehrfachen und mehrstufigen Verhandlungsprozesse gestaltet. Die in der Wissenschaft etablierte Sicht von Unternehmensnetzwerken, bestehend aus den Unternehmen und deren wechselseitigen Verbindungen, wird somit um einen wirtschaftlich-sozialen, dynamisch beeinflussbaren Kontext der Wertschöpfung erweitert.43 Der Kontext ist damit eine Meta-Ebene44, welche durch die Managementimpulse des Netzwerkkoordinators gestaltet wird. Die Veränderungen im Kontext führen schließlich zu einer Adaption der Netzwerkunternehmen an die neuen Rahmenbedingungen.45 Im Sinne der Logik Ashby’s46 passt sich das Netzwerk hinsichtlich der inneren Komplexität, z. B. der Strukturen und Prozesse, an die veränderte äußere Komplexität, z. B. der Marktsituation, an. Konstituierendes Teilmodell eines derartigen Unternehmensnetzwerks ist die Triade. Sie besteht aus der koordinierenden Instanz und zwei Netzwerkunternehmen. Gemäß dem triadischen Modell existieren Wechselwirkungen zwischen dem Netzwerkkoordinator und den beiden Netzwerkunternehmen sowie die bilateral-dyadischen Interaktionen zwischen den Netzwerkunternehmen. Dabei können die beiden Netzwerkunternehmen sowohl horizontal kooperierend auf der gleichen Wertschöpfungsstufe angeordnet sein, als auch eine vertikale Beziehung im Sinne aufeinander folgender Wertschöpfungsaktivitäten einnehmen. Durch Überlagerung und Verbindung einer entsprechenden Anzahl triadischer Netzwerkelemente mit möglichen rekursiven Verknüpfungen untereinander lassen sich Unternehmensnetzwerke beliebiger Struktur modellieren. Der Netzwerkkoordinator besitzt die Aufgabe, die Aktivitäten der autonomen Netzwerkunternehmen, welche jeweils unterschiedliche Identitäten und Zielsysteme besitzen, in Richtung des Zwecks der
Ein Netzwerkkoordinator steuert die Zusammenführung der Einzelleistungen der Netzwerkpartner,
42
41
45
vgl. zur Thematik Vertrauen in VO: Behme (1995), S. 299; Scholz (1997), S. 372; Schuh/Eisen/Dierkes (2000), S. 72
43 44
46
vgl. Belz/Schuh/Groos/Reinecke (1997) vgl. Willke (1995) vgl. Malik (1992), S. 352–356 vgl. Ulrich (1984), S.190 vgl. Ashby (1956), S. 206–213
5.1 Management von Unternehmensnetzwerken – Konzepte zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung
Zusammenarbeit zu kanalisieren. Im Gegensatz zu hierarchisch geführten Netzwerken entfallen hierfür situative Weisungen oder auf Einzelfälle bezogene explizite Vorgaben. In einem hierarchielosen Netzwerk besitzt die koordinierende Instanz vielmehr die Aufgabe, durch die Gestaltung des Kontextes durch verallgemeinerbare Regeln die synergetische Ausrichtung am Zweck des Verbundes wirksam zu realisieren. Die wettbewerbsrelevanten Erfolgspositionen selbstorganisierender Strukturen, welche zu erschließen sind, liegen dabei vor allem in der Agilität, in Form einer hohen Schnelligkeit, Flexibilität und Effizienz.47 Es ergibt sich damit ein aktiv geregeltes Verhandlungssystem, in dem die Bedingungen marktlicher Mechanismen durch verallgemeinerbare Regeln gestaltet werden. Innerhalb des Netzwerks entsteht ein Marktumfeld, in dem i. d. R. stark angepasste Leistungsumfänge und -inhalte vorteilhaft mit spezifischen Leistungskonditionen im Sinne eines Gesamtoptimums gekoppelt werden. Kurzfristige Opportunitäten einzelner Netzwerkpartner zum Schaden des Verbundes werden über das Regelwerk sanktionierend unterdrückt. Die koordinierende Instanz setzt somit einen Rahmen, innerhalb dessen sich eine spontane, sich selbst generierende Ordnung48 bildet. Der Managementansatz lässt sich damit in die systemisch-evolutionäre Kategorie nach Malik49 einordnen. Im Detail zielt der regelbasierte Managementansatz auf die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des Netzwerkes ab und orientiert sich dabei an den Arbeiten von Ulrich50 und Malik51 . Dabei werden sowohl die normative und strategische als auch die operative Ebene adressiert.52 Auf der normativen Ebene kann beispielsweise ein kompatibles, gleichgerichtetes Werte- und Zielsystem der Netzwerkpartner angestrebt werden, das synergetische Aktivitäten ermöglicht und fördert. Strategische Aspekte sind etwa der Auf- und Ausbau spezifischer Kompetenzen zur Erfüllung des Netzwerkzwecks. Operative Prozesse sind dann durch ein regelbasiertes Projektmanagement zielgerichtet zu kanalisieren, ohne dass explizite Handlungsanweisungen ausgesprochen werden. 47 48 49 50 51 52
vgl. Milberg (2002), S. 13f. vgl. Hayek (1973), S. 11 vgl. Malik (1992), S. 38–39 vgl. Ulrich (2001), S. 66–74 vgl. Malik (1992) vgl. Bleicher (2001)
329
Als Ordnungsrahmen für Regeln kann auf die drei Regelarten nach Malik zurückgegriffen werden.53 Neben der konstruktivistischen Entwicklung durch einen Netzwerkkoordinator ist eine evolutive Entstehung möglich. Regeln bilden sich dabei aus bewährten Handlungsmustern der Netzwerkpartner heraus. Zur Regeldurchsetzung dienen Mechanismen und Prinzipien, die in dezentralen Organisationen rechtlich und wirtschaftlich selbständiger Einheiten wirksam sind und somit nicht auf klassischen hierarchischen Weisungen oder Sanktionierungen, wie Bestrafung oder Ausschluss, beruhen. Zum Einsatz kommen Anreizsysteme sowie Logiken der Leistungsverrechnung, die eine Regelbefolgung hinsichtlich der jeweiligen Unternehmensziele sinnvoll erscheinen lassen.
5.1.4.2 Ordnungsrahmen für geregelte Selbstorganisation Zur systematischen Beschreibung einer geregelten Selbstorganisation wird ein struktureller und funktionaler Ordnungsrahmen aufgespannt. Darin werden die Architektur- und die Managementdimension im Unternehmensnetzwerk unterschieden (Abb. 5.3).
Architektur Die Architektur bildet im Sinne einer organisationsstrukturellen Sicht das Gerüst des Netzwerksystems ab. In den Betrachtungsbereich werden die Netzwerkunternehmen, welche die operative Ebene darstellen, der Netzwerkmanager als Managementebene sowie der Kontext der Geschäftsaktivitäten als Transformationsebene einbezogen. Der Kontext umfasst Gesetzmäßigkeiten einer Branche, die Wettbewerberkonstellation oder das Kundenverhalten. Als konstituierendes Teilsystem der Netzwerkarchitektur kann die bereits beschriebene Triade angesehen werden, die aus dem Netzwerkmanager sowie zwei Netzwerkunternehmen und deren Kontext besteht. Die Netzwerkarchitektur kann als Verhandlungssystem aufgefasst werden, in dem Wertschöpfung durch den Handel mit Kapazitäten und Kompetenzen aufgrund lokaler Interaktion realisiert wird.54 53 54
vgl. Malik (1992) vgl. Lu (2003)
330
5 Vernetzte Produktion
Sinnstiftung
Architektur
Management
Managementebene - Zwecksetzung - Komplexitätsmanagement
- Kontrollinformationen - Erfahrungsaufbau
Transformationsebene - Rahmenbedingungen - Geschäftschancen
- Akzeptanz - Reaktion
Operative Ebene Sinnstiftung
Abb. 5.10 Ordnungsrahmen für geregelte Selbstorganisation
Management Das Management umfasst die Funktionen und Dimensionen der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des Netzwerks in Richtung des gesetzten Zwecks der Zusammenarbeit.55 Impulse gehen dabei von der Managementebene aus und zielen auf eine indirekte Beeinflussung der operativen Wertschöpfungsebene über die Gestaltung des Kontextes. Über die Veränderung der äußeren Komplexität, d. h. des Kontextes der operativen Ebene bzw. der Netzwerkunternehmen, wird somit eine Adaption der inneren Komplexität des Verbunds bewirkt, welche die Erreichung der Zwecksetzung fördern soll. Der Kontext der Netzwerkaktivitäten fungiert dann als Transformationsebene, die die Lenkungsimpulse der Managementebene an die operative Ebene, d. h. den Unternehmen im Verbund, weiterleitet. An Stelle expliziter Handlungsanweisungen tritt somit die implizite Gestaltung der Rahmenbedingungen und Geschäftschancen der Netzwerkunternehmen. Die Reaktion der Netzwerkpartner auf die im55
vgl. z. B. Ulrich (2001), S. 66-74; Schuh/Millarg/Göransson (1998), S. 92ff.
pliziten Führungsimpulse und deren Grad an Akzeptanz werden seitens der Managementinstanz anhand der Veränderung des Kontextes messbar. Die Kontrollinformationen fließen zum Erfahrungsaufbau an den Netzwerkmanager zurück und führen, analog der Logik eines Regelkreises, zur fortlaufenden Anpassung und Optimierung des Regelmanagements. 5.1.4.3 Geregelte Selbstorganisation als Verhandlungssystem Aufgrund der Autonomie der unternehmerischen Einheiten im Netzwerk und der dadurch fehlenden Weisungsgewalt des Netzwerkmanagers entspricht das System logisch einem Verhandlungssystem. Der Netzwerkmanager bestimmt über das Setzen von Regeln, z. B. Verhaltensregeln oder Handlungsrestriktionen, den Rahmen der Verhandlungen im Netzwerkkontext und im Unternehmenskontext. Dabei entstehen Verhandlungssituationen sowohl zwischen Netzwerkmanager und Netzwerk (Verhandlungssystem II) als auch zwischen den einzelnen Netzwerkunternehmen (Verhandlungssystem I). Die Impulse des
Netzwerkkontext (Verhandlungssystem II) Netzwerkmanager - Regelsetzung - Verhandlung
- Regelwirkung - Verhandlungsergebnis
Transformation - Regelwerk - Verhandlungsrahmen
Unternehmen 1
Unternehmen 2
Unternehmensnetzwerk
Unternehmenskontext (Verhandlungssystem I)
Abb. 5.11 Modell des triadischen Verhandlungssystems
- Regelwahrnehmung - Regelbefolgung - Regelentwicklung
Literatur
Netzwerkmanagers in Form von Regelsets beeinflussen in transformierter Form das Geschäftsumfeld und damit den Verhandlungsrahmen der Unternehmen im Netzwerk. Eine Transformation kann dadurch zustande kommen, dass die Wirkung einer Regel nicht der ursprünglich intendierten Form entspricht sondern im Zusammenspiel mit weiteren Einflüssen innerhalb der Wettbewerbsarena zu unvorhergesehenen Reaktionen führt. Der Grad an Regelwahrnehmung und -befolgung sowie Regelentwicklungen innerhalb des Netzwerks, wird durch den Netzwerkmanager erfasst. Die seitens des Netzwerkmanagers wahrgenommene Regelwirkung, d. h. das Verhandlungsergebnis, geht als Stellgröße in die nachfolgenden Managementaktivitäten des Netzwerkmanagers ein.
5.1.4.4 Implikationen für die Forschung Selbstorganisierende Unternehmensnetzwerke, die mit Hilfe von regelbasierten Managementsystemen eine effiziente und effektive Wertschöpfung ermöglichen, sind bislang weder theoretisch detailliert und operationalisiert noch praktisch umgesetzt. Die Schaffung der theoretischen Grundlagen für eine praktische Nutzenstiftung dieser Organisationsform sollte daher als zukünftige Aufgabe für die Wissenschaft aufgefasst werden.
331
mittlerweile anerkannt und führen zu einer Öffnung der eigenen Unternehmensgrenzen. Dennoch herrscht häufig noch ein restriktiver Umgang mit unternehmenseigenem Know-how vor, der sich bremsend auf kooperative Aktivitäten auswirkt. Meist ist dies die Folge einer Unkenntnis der eigenen Kernkompetenzen, also der Faktoren, die ursächlich für den eigenen unternehmerischen Erfolg sind. Während existierende Unternehmensnetzwerke durchgängig in die Kategorie der geführten Netzwerke eingeordnet werden können – gerade besonders erfolgreiche haben ihre Managementinstanzen kontinuierlich ausgebaut – wurden bislang ungeführte Unternehmensnetzwerke nicht realisiert. Hierdurch jedoch könnten gerade im Bereich komplexer Lieferantennetzwerke große Nutzenpotenziale gehoben werden. An dieser Stelle ist die anwendungsorientierte Wissenschaft gefragt und gefordert, auf durchaus vorhandenen Ansätzen aufbauend umsetzbare nutzenstiftende Konzepte zu entwickeln. Letztlich kann festgehalten werden, dass die weltweite wirtschaftliche Entwicklung weiter zur kooperativen, zunehmend länderübergreifenden, Wertschöpfung führt. Insbesondere die zunehmende Integration Chinas und Indiens in die Weltwirtschaft ermöglicht große Chancen für Unternehmen, die die Fähigkeit besitzen, dortige Standortvorteile gezielt zur Stärkung der eigenen Wettbewerbsposition und zur Stärkung der hiesigen Standorte zu nutzen.
5.1.5 Zusammenfassung und Ausblick Literatur Die kritische Revision der wissenschaftlichen und praktischen Aktivitäten und Ergebnisse im Bereich der kollaborativen Wertschöpfung der vergangenen Jahre offenbart, wie so oft, sowohl Erfolge als auch Misserfolge. Positiv ist zu vermerken, dass sich zahlreiche Unternehmensnetzwerke, die das Resultat seinerzeit voller Fördertöpfe waren, mittlerweile ohne Entwicklungshilfe ihren Mitgliedsunternehmen Nutzen stiften und teilweise sogar deutlich gewachsen sind. Der Typus dieser Netzwerkkonstellationen entspricht im Großen und Ganzen dem der Virtuellen Fabrik bzw. firmiert in drei Fällen sogar unter dem Namen Virtuelle Fabrik. In weiten Teilen werden im eher konservativ geprägten mittelständischen produzierenden Gewerbe die Nutzenpotenziale kooperativer Wertschöpfung
1. Ashby, W.-R.: An Introduction to Cypernetics. Chapman and Hall 1956 2. Beer, S.: The Heart of Enterprise. Chichester: John Wiley & Sons Inc. 1979 3. Beer, S.: Cybernetics: Decision and Control: The meaning of operational research and management cybernetics. New York: Wiley & Sons Ltd. 1994 4. Behme, W.: ZP-Stichwort: virtuelle Unternehmen. ZP (1995) 6, S. 297–300 5. Belz, C.; Schuh, G.; Groos, A.; Reinecke, S.: Industrie als Dienstleister. St. Gallen 1997 6. Bickhoff, N.; Böhmer, C.; Eielenberger, G. et al.: Mit virtuellen Unternehmen zum Erfolg – Ein Quickcheck für Manager. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2003 7. Bleicher, K.: Das Konzept Integriertes Management. 5. Aufl. Frankfurt/New York: Campus 1999 8. Bleicher, K.: Das Konzept Integriertes Management: Visionen – Missionen – Programme 6. Aufl. Frankfurt/Main: Campus 2001
332 9. Bollhalter, S.; Eisen, S.; Millarg, K.: Mehr Flexibilität durch Kooperation. Die Virtuelle Fabrik – ein erfolgreiches Kooperationsmodell. In: Schuh, G.; Fahrni, F. (Hrsg.): Technologiemanagement als Treiber nachhaltigen Wachstums. Aachen: Shaker 2001, S. 107–117 10. Boudreau, A.: Intangibles: The Management of Intangibles. The organisation’s most valuable assets. London/New York: Routledge 2003 11. Büschken, J.: Virtuelle Unternehmen – Die Zukunft? Betriebswirtschaft 59 (1999) 6, S. 778–791 12. De Man, A.D.; Duysters, G.: The State of Alliance Management: The effect of alliance management tools and processes on alliance success. ASAP Summit Chicago, 11-13 March 2002 13. Dyer, J.H.; Kale, P.; Singh, H.: How to Make Strategic Alliances Work. Slown Management Review (2001) 42, S. 37–43 14. Eggers, T.; Kinkel, S.: Produktionswirtschaft: Die virtuelle Fabrik in weiter Ferne. Mitteilungen aus der Produktionswirtschaft. Karlsruhe 2002 15. Eglau, H.O.; Kluge, J.; Meffert, J.; Stein, L.: Durchstarten zur Spitze – McKinseys Strategien für mehr Innovation. Frankfurt/New York: Campus 2000 16. Friedli, T.: Die Architektur von Kooperationen. Diss. Universität St. Gallen, Bamberg: Difo-Druck 2000 17. Gudergan, S.P.; Devinney, T.; Ellis, S.: A CompetenceInnovation Framework of Non-Equity Alliance Performance. Pennsylvania: ISBM Report (2003) 5 18. Harper, N.; Viguerie, S.: Focused: Are you too focused? The McKinsey Quarterly: Special Edition: Risk and Resilience (2002) 2, S. 29–37 19. Hayek, F.A.: Law, Legislation and Liberty. A New Statement of the Liberal Principles of Justice and Political Economy (1973) 1, London 20. Heck, A.: Strategische Partnerschaften zum operativen Erfolg führen. io management (2000) 4, S. 24–31 21. Kieser, A.; Kubicek, H.: Organisation. 3. Aufl. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1992 22. Lu, S.C.-Y.: Engineering as Collaborative Negotiation: A New Paradigm for Collaborative Engineering Research 2003 23. Malik, F.: Strategie: Strategie des Managements komplexer Systeme. Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionärer Systeme. 4. Aufl. Bern: Paul Haupt 1992 24. Milberg, J.: Erfolg in Netzwerken. In: Milberg, J.; Schuh, G. (Hrsg.): Erfolg in Netzwerken. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2002 25. Neumann, K.-T.: Warum ein weiteres Buch zu diesem Thema? In: Braun, M.; Feige, A.; Sommerlatte, T. (Hrsg.): Business Innovation. Frankfurt: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen 2001, S. 9–11 26. Niemelä, T.: Cooperation: Interfirm Cooperation Capability in the Context of Networking Family Firms: The Role of Power. Family Business Review, 17 (2004) 4, S. 319–330 27. Parise, S.; Sasson, L.: Leveraging Knowledge Management across Strategic Alliances. Ivey Business Journal (2002) 2, S. 41–47 28. Pearce, J.A.; Doh, J.P.: Initiatives: The High Impact of Collaborative Social Initiatives. MIT Sloan Management Review 46 (2005) 3, S. 30–39
5 Vernetzte Produktion 29. Porter, M.: Clusters and the New Economics of Competition. Harvard Business Review (1998) 11/12, S. 77–90 30. Sauer, A.: Machtbasierte Entwicklung von Intellectual Capital in Kollaborationen der produzierenden Industrie. Berichte aus der Produktionstechnik Bd. 20. Aachen: Shaker 2005 31. Scholz, C.: Strategische Organisation – Prinzipien zur Vitalisierung und Virtualisierung, Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1997 32. Schreyögg, G.; Lührmann, T: „Wer bin ich?“ Harvard Business Manager (2004) 6 33. Schuh, G.; Eisen, S.; Dierkes, M.: Virtuelle Fabrik – Flexibles Produktionsnetzwerk zur Bewältigung des Strukturwandels. In: Kaluza, B.; Blecker, T. (Hrsg.): Produktionsund Logistikmanagement in virtuellen Unternehmen und Unternehmensnetzwerken. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2000, S. 61–88 34. Schuh, G.; Friedli, T.: Die Virtuelle Fabrik – Konzepte, Erfahrungen, Grenzen. In: Nagel, K.; Erben, R.; Piller, F. (Hrsg.): Produktionswirtschaft 2000. Wiesbaden: Gabler 1999, S. 217–242 35. Schuh, G.; Friedli, T.; Kurr, M.: C-Commerce – Die Zukunft von Unternehmensnetzwerken. Industriemanagement (2001) 5 36. Schuh, G.; Friedli, T.; Kurr, M.: Kooperationsmanagement – Systematische Vorbereitung, Gezielter Aufund Ausbau, Entscheidende Erfolgsfaktoren. St. Gallen/Aachen: Hanser 2005 37. Schuh, G.; Millarg, K.; Göransson, Å.: Virtuelle Fabrik – Neue Marktchancen durch dynamische Netzwerke. München/Wien: Hanser 1998 38. Schuh, G.; Schwenk, U.: Produktkomplexität managen. München: Hanser 2001 39. Schuh, G.; Wegehaupt, P: Die virtuelle Fabrik – Lessons Learned zehn Jahre danach. In: Stiftung, B. (Hrsg.): Unternehmensnetzwerke. Fragen der Forschung Erfahrungen der Praxis. Bielefeld: Kleine 2004, S. 117–127 40. Schwaninger, M.; Friedli, T.: Virtuelle Organisationsformen als lebensfähige Systeme. In: SScholz, C. (Hrsg.): Systemdenken und Virtualisierung. Berlin: Duncker & Humboldt 2002 41. Stachowiak, H.: Modelltheorie: Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer 1973 42. Ulrich, H.: Sozialwissenschaft: Die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Sozialwissenschaft. In: Dyllick, T.; Propst, G. (Hrsg.): Management. Bern/Stuttgart: Haupt 1984, S. 168–99 43. Ulrich, H.: Management: Systemorientiertes Management – Das Werk von Hans Ulrich. St. Gallen: Haupt 2001 44. Warnecke, H.-J.: Komplexität und Agilität – Gedanken zur Zukunft produzierender Unternehmen. In: Schuh, G.; Wiendahl, H.P. (Hrsg.): Komplexität und Agilität – Steckt die Produktion in der Sackgasse? Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1997, S. 1–8 45. Wegehaupt, P.: Führung von Produktionsnetzwerken. Diss. RWTH Aachen 2004 46. Willke, H.: Systemtheorie III: Steuerungstheorie. Stuttgart: Fischer 1995 47. Zhou, A.Z.; Fink, D.: Capital: The intellectual capital web. Journal of Intellectual Capital 4 (2003) 1, S. 34–48
5.2 Strategische Standortplanung – Auswirkungen der Standortwahl auf die Unternehmensorganisation
5.2 Strategische Standortplanung – Auswirkungen der Standortwahl auf die Unternehmensorganisation 5.2.1 Unternehmen können nicht bleiben wie sie sind Die weltweite Verknüpfung wirtschaftlicher Aktivitäten, allgemein als Globalisierung bezeichnet, verlangt von fast allen Unternehmen stetige Veränderungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit. Das betrifft sowohl Großunternehmen als auch den Mittelstand. Sogar der regional tätige Handwerksbetrieb muss sich mit seinem überregionalen Wettbewerb messen und seine Leistungen, Fähigkeiten und Standortbedingungen überdenken und verändern. In solchen Veränderungen liegen gleichermaßen Chancen und Risiken. Im globalen Preis- und Qualitätswettbewerb kann und wird ein Unternehmen endlich das tun, was vielleicht schon lange nötig war. Andererseits können Entscheidungen, die aus purem Handlungszwang, ohne fundierte Analyse getroffen werden, fatale Folgen haben. Unternehmen müssen in einem permanenten Monitoring überprüfen, ob die aktuellen Standortbedingungen und die abschätzbaren Entwicklungen der Standortfaktoren zukunftsfähig sind. Dabei sind die Treiber der Veränderungen sowohl in der Produkt- und Marktentwicklung als auch bei den Kosten der Produktionsfaktoren zu suchen. Man kann davon ausgehen, dass der steigende Bedarf an Rohstoffen und Energie zu umfassenden Innovationen in alternativen Materialien, Prozess- und Energietechnologien führen wird. Weiter wird die wachsende Kaufkraft in den bevölkerungsreichen Rohstoff- und Energieländern zu Verschiebungen der Wachstumsregionen in der Welt führen und die Warenströme gravierend verändern. Damit verschieben sich die Relationen der Standortfaktoren für alle Unternehmen. Keines kann bleiben wie es ist. Vor diesem Hintergrund notwendiger Veränderungen gewinnt die Frage an Bedeutung, ob der zumeist traditionell entstandene und gepflegte Standort, sei es der Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsstandort, mit seinen Bedingungen und Gewohnheiten den Anforderungen heute und in der Zukunft genügt.
333
Dabei ist die Frage des oder der optimalen Standorte ein wesentliches Element der strategischen Unternehmensplanung.
5.2.2 Strategische Fragen zur Standortentscheidung Jedes Unternehmen muss im Rahmen seiner Ziele und Strategien die Lokalisierung seiner Leistungen optimieren. Bei der Überprüfung des Standortes oder mehrerer Standorte eines Unternehmens spielen folgende Fragestellungen auch im Sinne einer Entscheidungshierarchie die entscheidende Rolle: • Ist zur Erschließung oder Sicherung eines Marktes die nationale, regionale oder örtliche Präsenz erforderlich? • Verlangen der oder die Abnehmer in der Wertschöpfungskette eine nahe logistische Anbindung (Following Customer)? • Werden die notwendigen Ressourcen in Menge, Preis und Qualität am Standort auch in Zukunft zur Verfügung stehen? • Kann der bestehende Standort durch geeignete technische und ökonomisch sinnvolle Maßnahmen verbessert werden? Jede dieser Fragen ist der Auslöser für eine Standortanalyse und aus jeder Antwort ist eine Standortplanung abzuleiten. Die Standortanalyse muss zunächst die Frage nach Verwendung oder Aufgabe des bestehenden Standortes ins Visier nehmen. Erst wenn alle möglichen Maßnahmen zur Ertüchtigung der Leistungserbringung ausgeschöpft sind, ist die Planung eines neuen Standortes in Angriff zu nehmen. Dieses ist insofern der erste, oft nicht ausreichend geprüfte Schritt, weil das im Standort gebundene Kapital, die beschränkte Mobilität der Arbeitskräfte, das in der Organisation vorhandene Know-how und die traditionellen Verknüpfungen mit der örtlichen Finanzwirtschaft sowie den Zulieferanten nicht beliebig transferierbar sind. In vielen Fällen ergibt sich aus diesem Ansatz eine Reihe von bisher nicht erkannten oder verfolgten Rationalisierungsprojekten zur Standortverbesserung.
334
5 Vernetzte Produktion
Standortentwicklung Standortentwicklung -- neu neu --
Standortsicherung Standortsicherung -- alt alt --
Phase 1
Global Global Regional Regional Lokal Lokal
Phase 2 Standortsuche und Bewertung
Entwicklung einer Standortstrategie
Strategische Faktoren Technik Technik Markt Kosten Ressourcen Öffentl. Abgaben Subventionen
Organisation Organisation
Phase 5
Mitarbeiter Mitarbeiter
Phase 3
StandortControlling
Objektplanung
Phase 4 Realisierung
Wachstum Wachstum
Effizienz Effizienz
Abb. 5.12 Die duale Standortplanung (Quelle: agiplan)
Abb. 5.13 Das 5-Phasenmodell der Standortplanung (Quelle: agiplan)
Ebenso häufig wird klar, dass die möglichen Verbesserungsmaßnahmen nicht ausreichen, um die globalen und strategischen Anforderungen zu erfüllen. Das Ergebnis ist eine duale Standortplanung, nämlich die gleichzeitige Ertüchtigung des bestehenden Standortes und die Entwicklung eines oder mehrerer neuer Standorte. Mit dieser Betrachtung ist nicht nur die Standortsicherung gewährleistet, sondern auch der Umfang und die Art der Standortverlagerung und des neuen Standortes geprägt. Meistens abweichend von den ersten auslösenden Ideen. Beide Objekte (Standort alt und Standort neu) dieser Betrachtung werden nach den gleichen strategischen Faktoren beurteilt, wobei deren Relevanz im Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt ist. Während die Standortsicherung höhere Effizienz der installierten Kapazität fordert, werden bei der Entwicklung eines neuen Standortes Markterschließung und Wachstumsökonomie im Vordergrund stehen. Die alleinige Begründung der Verlagerung von Produktion wegen geringerer Arbeitskosten erscheint vielen Unternehmen heute nicht mehr als vorwärts gerichtete Strategie.
Phase 1: Entwicklung einer Standortstrategie
5.2.3 Methode und Ablauf der Standortplanung Die Planung eines neuen Standortes für Produktions-, Handels- oder Dienstleitungsunternehmen geschieht in Phasen. Dabei wird die strategische Standortentwicklung und die operative Standortplanung und Realisierung unterschieden.
Im Zuge der dualen Standortplanung werden zunächst die Auslöser für mögliche Standortveränderungen bestimmt und die Unternehmensziele definiert und dimensioniert. Dabei werden die Ziele entweder durch Neugründung oder Standortverlagerungen realisiert. Bei Neugründungen werden alle Ressourcen am neuen Standort neu investiert, allein Organisationssysteme und Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen werden übertragen bzw. entsendet. Neue Zulieferstrukturen und Logistiksysteme sind erforderlich. Bei einer Verlagerung werden Ressourcen am vorhandenen Standort abgebaut, desinvestiert und zumindest teilweise wieder verwendet. Aus dem Strategietableau werden die Fälle, Prioritäten und Aufgaben der Standortsuche abgeleitet.
Phase 2: Standortsuche und Bewertung Die konkrete Auswahl eines geeigneten Standortes geschieht in zwei Schritten. Soweit nicht bereits aufgrund der Marktanforderungen eine Region oder ein Land vorgegeben ist, wird in einer Länderanalyse mit Hilfe von makroökonomischen Kriterien eine Be-
Auslöser
Strategie
Ziele
Marktveränderungen Marktveränderungen
Neugründung Neugründung Neugründung
Markterschließung Markterschließung
Preis Preisund Preis --und und Kostenwettbewerb Kostenwettbewerb
Ressourcenmangel Ressourcenmangel Ressourcenmangel
Verlagerung Verlagerung
"Following Customer "Following Customer" Customer ""
Abb. 5.14 Strategietableau (Quelle: agiplan)
Kostenreduzierung Kostenreduzierung Kostenreduzierung
5.2 Strategische Standortplanung – Auswirkungen der Standortwahl auf die Unternehmensorganisation
wertung vorgenommen. Dabei hilft die jährlich vom „Institut for Management Development“ in Lausanne durchgeführte Bewertung von ca. 60 Volkswirtschaften anhand von über 300 wettbewerbsrelevanten Kriterien. Nach der Länderauswahl werden im zweiten Schritt mögliche Lokationen anhand von mikroökonomischen Kriterien (desk research) und Erkundungen vor Ort (field research) gefunden und bewertet. Dabei spielen örtliche Besonderheiten und Vorteile, oft sogar zufällige Merkmale und persönliche Präferenzen des Managements eine Rolle. Manchmal geben die angebotenen finanziellen oder fiskalischen Förderungen den Ausschlag.
Phase 3: Objektplanung Mit der Konzeption einer Produktionsstätte und dem Erwerb eines geeigneten Grundstückes wird die operative Planung des neuen Standortes eingeleitet. Die Planung endet mit der Erstellung der Lastenhefte für die Ausschreibung aller technischen und organisatorischen Objekte, mit der Lieferantenauswahl und dem Beschaffungs- und Ausbildungsprogramm für die zukünftigen Mitarbeiter.
Phase 4: Realisierung Die Durchführung aller Maßnahmen ist eine Herausforderung für das Projektmanagement. Die Einhaltung der vorgegebenen Ziele, die Bewältigung von unvorhersehbaren Schwierigkeiten, die kulturellen Besonderheiten machen eine Projektführung aus einer Hand erforderlich. Die Erfahrung zeigt, dass bei verteilten Zuständigkeiten die Missverständnisse und der Abstimmungsaufwand erheblich steigen und dazu führen, dass die Termine und Kosten aus dem Ruder laufen. Insbesondere ist die Produktionsvorbereitung und das Anlaufmanagement ein Schwachpunkt. Meistens sind organisatorische Mängel der Grund für eine zu späte und unzureichende Ökonomie.
Phase 5: Standort Controlling Mit der Aufnahme und dem Hochlauf der Produktion beginnt eine permanente Aufgabe der Verbesserung
335
des neuen Standortes und des Monitorings seiner Leistungsfähigkeit im Sinne der strategischen Zielsetzung. Standortentscheidungen erzeugen neue Kostenstrukturen. Der Wettbewerb und seine Standortentscheidungen müssen permanent analysiert und bewertet werden. So schließt sich der Kreis und fordert wiederum neue Entscheidungen.
5.2.4 Auswirkungen der Standortplanung und Standortwahl auf die Unternehmensorganisation Die Ausprägung der Unternehmensorganisation sowohl für die Aufbau- und Strukturorganisation als auch für die Abläufe und Prozessgestaltung ist abhängig von der Anzahl der Standorte und den jeweiligen Standortbedingungen. Bei Unternehmen mit einem Standort liegt der Schwerpunkt in der kontinuierlichen Beobachtung und Anpassung der Ressourcen und Prozesse an die Bedingungen des Marktes und die Entwicklung der Faktorkosten. Eine aktive Beeinflussung der Standortbedingungen, wie z. B. logistische Anbindung, Steuern und Abgaben, Investitionsbedingungen, Auflagen und Genehmigungsverfahren, ist nur möglich, wenn das Unternehmen selbst politischen Einfluss ausüben kann oder mit dem Argument notwendiger Betriebs- und Produktionsverlagerungen droht. Unternehmen mit mehreren Standorten bzw. mit der Absicht, neue Standorte zu entwickeln, haben weitergehende Entscheidungen bezüglich der Organisationsgestaltung zu treffen. Zunächst einmal sind drei Möglichkeiten für die inhaltliche Belegung der Standorte zu prüfen:
Produktorientierung In vielen Fällen ergibt die Ausarbeitung der Standortstrategie eine neue Verteilung der Produkte auf die Standorte. Diese Entscheidung ist entweder aus der Markterschließung und der damit notwendigen lokalen Wertschöpfung abgeleitet oder mit Argumenten sowohl für die Fertigungskosten als auch für die Vertriebs-, Beschaffungs- und Logistikkosten begründet.
336
5 Vernetzte Produktion
Prozessorientierung Bei Unternehmen mit nur einer Produktlinie ergibt sich i. d. R. eine Verteilung der Prozessstufen auf mehrere Standorte. Auch hier greifen wieder die Argumente marktnahe und logistikoptimierte Endfertigung und Wertschöpfung an Standorten mit niedrigen Arbeitskosten oder Energiekosten. Unternehmensorientierung Ein anderer Blick auf die Organisation eröffnet sich, wenn über die Autonomie, d. h. die Selbständigkeit des Handelns eines Standortes entschieden werden soll. Mit welchen Unternehmensfunktionen soll der Produktionsstandort ausgestattet werden? Dabei ist neben der gesellschaftsrechtlichen Ausprägung vor allem über die Ausstattung mit Planungs- und Controllingfunktionen zu entscheiden. Neben diesen, aus der Strategie abzuleitenden Organisationsformen, ergeben sich eine Reihe von weiteren Überlegungen bei bzw. nach einer Standortentscheidung.
Gestaltungsbereich
Abbildung 5.15 zeigt eine Auswahl von Unternehmensbereichen und -funktionen, die für die Stabilität und Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens mit mehreren Standorten besonders wichtig sind. Geht man davon aus, dass bei der Standortplanung nicht nur die bekannten Produktionssysteme und Organisationsformen eins zu eins auf einen neuen Standort übertragen werden, dann eröffnet sich die Chance, am neuen Standort eine Innovation, einen Quantensprung zur Verbesserung der betrieblichen Leistungen frei von Restriktionen durchzuführen. Die für den neuen Standort gefundenen Lösungen können dann in einer Rückkoppelung auf die alten Standorte übertragen werden. Das bewirkt, dass die bekannten Argumente gegen eine Veränderung der eingefahrenen Organisation nicht mehr gelten und Mitarbeiter durch anschauliche Beispiele überzeugt werden. Die strategische Standortentwicklung und die operative Umsetzung in einer globalisierten Wirtschaft gibt den Unternehmen zusätzliche Chancen zur Verbesserung ihrer Wandlungs- und Leistungsfähigkeit.
Auswirkungen
Logistik
Die Beherrschung und Optimierung der Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik gewinnt an Bedeutung, wenn neue Standorte entwickelt werden. Die Logistikfunktion muss eine höhere Stufe im Management einnehmen.
Qualitätssicherung
Qualitätssicherung im Produktionsprozess ist eine Voraussetzung für Produktionsnetzwerke. Insbesondere bei neuen Standorten mit Low-Cost-Charakter ist ein standortübergreifendes Qualitätsmanagement erforderlich.
Standardisierung
Einheitliche, standortübergreifende Produktionssysteme erlauben Kapazitätsaustausch für Produkte, Prozesse und Mitarbeiter und erhöhen die Flexibilität. Das gleiche gilt für die Planungs- und Controllingfunktionen.
Kommunikation
Für einen reibungslosen und aktuellen Informationsfluss über die gesamte Wertschöpfungskette und alle Standorte sind IT-Systeme unabdingbar. Der persönliche Kontakt hilft, die akuten Probleme besser zu lösen.
Unternehmenskultur
Bei global aufgestellten Unternehmen ist die Frage der Transformation der/einer Unternehmenskultur in eine übergeordnete Norm oder einen allgemein gültigen Verhaltenskodex zu prüfen. Dabei darf der Grad der Einheitlichkeit der Landeskultur nicht widersprechen.
Abb. 5.15 Gestaltungsbereiche und Auswirkungen bei Standortentscheidungen (Quelle: agiplan)
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie 5.3.1 Optimierung der Wertschöpfung durch Festlegung der Wertschöpfungsverteilung, Auswahl des richtigen Kooperationspartners sowie die Gestaltung der Kooperationsform Als eine der weltweiten Schlüsselbranchen treibt die Automobilindustrie neue Produkt- und Prozesstechnologien voran wie kaum eine andere. Gleichzeitig zählt die Branche zu den wettbewerbsintensivsten, seit Hersteller und Zulieferer weltweit enorme Überkapazitäten aufgebaut haben. So haben sich Kosten- und Leistungsdruck auf die automobile Wertschöpfungskette in den letzten Jahren permanent verstärkt. Automobilhersteller und ihre Zulieferer waren daher gezwungen, ihre Wertschöpfungsprozesse regelmäßig neu zu erfinden. In den siebziger Jahren stand die Perfektionierung der Fließfertigung im Mittelpunkt, in den achtziger Jahren lag der Schwerpunkt auf Effizienzsteigerung durch die Einführung von „Lean“Konzepten in Entwicklung und Fertigung. Die neunziger Jahre wiederum waren geprägt durch die fortschreitende Globalisierung der Wertschöpfung, wie Anzahl Fahrzeugmodelle europäischer Hersteller
337
die Errichtung von Fertigungsstätten oder die Ausweitung von Einkaufsaktivitäten in Niedriglohnregionen. In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts haben sich die Anforderungen abermals verschärft. Um trotz stagnierender Märkte wachsen zu können und den immer individuelleren Kundenwünschen gerecht zu werden, haben die Hersteller ihre Modellpaletten dramatisch erweitert. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Anzahl der angebotenen Modelle europäischer Hersteller mehr als verdoppelt (Abb. 5.16). Parallel hierzu wurden die Entwicklungszeiten um circa 10 bis 20% reduziert – bei gleichzeitigem Anstieg der technischen Fahrzeugkomplexität. Auch auf der Kostenseite wurde der Druck durch die Marktanteilsgewinne asiatischer Anbieter und die auf mittlerweile circa 20 Millionen Einheiten weiter gestiegenen Überkapazitäten abermals verschärft. Das Resultat dieser Entwicklung ist unter anderem die unbefriedigende Ergebnissituation zahlreicher Automobilhersteller wie Ford, GM, Fiat oder DaimlerChrysler sowie vieler Zulieferer. Aus unserer Sicht müssen Hersteller, Zulieferer, Entwicklungs- und Produktionsdienstleister deshalb gemeinschaftlich zur übergreifenden Optimierung der automobilen Wertschöpfung in Bewegung setzen. Die Fragen nach der optimalen Ausgestaltung des Verhältnisses von Fremd- und Eigenleistung und nach der Suche nach dem passenden Wertschöpfungspartner sind somit von strategischer Relevanz und erfordern einen systematischen Lösungsansatz.
Dauer von der Konzeptverabschiedung bis zum Produktionsstart (Monate) 238
213 163
150
40
162 138
30
125 88
100
75 75
50
20
50
50
1998
2000
Basismodelle
75
75
2002
2004
75
76
2006e 2008e
Derivate (z.B. Cabriolet)
1998 Europa
2000
2002
2004
Nordamerika
2006
2008 Japan
Abb. 5.16 Ausweitung der Modellpaletten bei gleichzeitiger Reduzierung der Entwicklungszeiten (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
338
5 Vernetzte Produktion
Hebel 1: Wertschöpfungsverteilung („Was? “) – Optimierung der Rollen aller Beteiligten im Wertschöpfungsverbund (Hersteller, Zulieferer, Entwicklungsdienstleister, Produktionsdienstleister) Hebel 2: Physische Leistungserbringung („Wo? “) – Optimierung der physischen Entwicklungs- und Fertigungsnetzwerke aller beteiligten Unternehmen Hebel 3: Geschäftsmodell („Wie? “) – Optimierung der Kooperation zwischen allen Beteiligten der Wertschöpfungskette, beispielsweise durch Joint Ventures oder strategische Partnerschaften In einem ersten Schritt ist das Unternehmen im Hinblick auf die Fähigkeit zur Wertschöpfungsverteilung hin zu untersuchen. Hauptbereiche der Analyse bilden hierbei die Organisationsstruktur, das Leistungsangebot und der Ort der physischen Leistungserstellung, auf Basis derer entsprechende „Make or buy“ Entscheidungen getroffen werden. Generell ist feststellbar, dass strategisch relevante d. h. vom Kunden wahrnehmbare Unternehmensleistungen für eine Auslagerung größtenteils ungeeignet sind. Im Anschluss an die interne Analyse werden sämtliche Möglichkeiten einer Wertschöpfungsauslagerung auf ihren strategischen Fit hin überprüft. Es gilt aus einer unüberschaubaren Anzahl möglicher „Outsourcing“ Varianten die passende Kooperationsform und vor allem die passenden Kooperationspartner zu finden.
Hebel II: Physische Leistungserbringung Hebel I: Wertschöpfungsverteilung
• OEM: Fokus auf markenprägende Entwicklungs- und Fertigungsaktivitäten • Zulieferer: Profilierung als Integrator oder kostenorientierter Komponentenhersteller • Entwicklungsdienstleister: Potenziale im Bereich Projektmanagement und Standardisierung • Produktionsdienstleiter: Potenziale als Spitzenbrecher und beim Eintritt in neue Märkte
• Weiter anhaltende Verlagerung der Wertschöpfung in Niedriglohnländer • Herausforderungen – Auswahl der richtigen Produkte/Leistungen für Verlagerung – Standortauswahl • Überleben der bestehenden Werke in Hochlohnländern durchaus möglich, z.B. durch Verbesserung der Flexibilität und Reduzierung der Personalkosten
5.3.2 Wertschöpfungsverteilung – Zunehmende Komplexität entlang der Wertschöpfungskette erfordert klare Fokussierung Seit Jahrzehnten haben die Fahrzeughersteller ihren Anteil an der Gesamtwertschöpfung kontinuierlich gesenkt: Lag er in den sechziger Jahren noch bei 70%, so betrug er im Jahr 2004 nur noch etwa 34%. Die Lieferung komplett vormontierter Module und Systeme direkt ans Montageband der Hersteller – und sogar die Endmontage der Module in den Fahrzeugrohbau durch den Zulieferer – ist heute eine absolute Selbstverständlichkeit. Dies bedeutet für die Zulieferer einen deutlichen Zuwachs an Geschäftspotenzial – aber auch an Verantwortung, erforderlichen Kompetenzen und Risiko. Doch nicht nur Teileproduktion, sondern auch die Entwicklung und Fertigung ganzer Fahrzeuge wurde in den vergangenen Jahren zunehmend ausgelagert. Davon profitierten Entwicklungsdienstleister wie EDAG oder Pinifarina und Produktionsdienstleister wie Karmann oder MagnaSteyr, die ihren Umsatz seit Mitte der neunziger Jahre im Schnitt um nahezu 15% pro Jahr steigern konnten. Die bisherige Rollenverteilung im Wertschöpfungsverbund ist jedoch alles andere als optimal.
Hebel III: Geschäftsmodell
• Deutliche Produktivitätssteigerung nur möglich durch verbesserte Kooperation zwischen – OEM/OEM – OEM/Zulieferer – Zulieferer/Zulieferer • Herausforderungen: – Auswahl der passenden Kooperationsform – Anpassung des Kompetenzprofils – Auswahl der richtigen Partner – Faire Chancen- und Risikoverteilung
Abb. 5.17 Hebel zur Steigerung der Wertschöpfungseffizienz (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
Häufig wird die Verlagerung – und insbesondere der damit verbundene Abbau von Kapazitäten bei den Herstellern – nicht konsequent umgesetzt. Dies führt dazu, dass am Ende beide Beteiligten – Hersteller und Zulieferer – die Kapazitäten vorhalten und der Hersteller spätestens bei der nächsten Vergabe-Entscheidung wieder zur Eigenfertigung tendiert, um die eigenen Ressourcen auszulasten. Auf der anderen Seite haben die Fahrzeughersteller in einigen Bereichen, beispielsweise der Elektronik, bereits zu viel Kompetenz an ihre Zulieferer abgegeben. Infolgedessen sind die Hersteller von ihren Zulieferern abhängiger als je zuvor – insbesondere auch hinsichtlich des Qualitätsstandards der Belieferung. Zudem beklagen sich bereits heute zahlreiche Fahrzeughersteller, die in den vergangenen Jahren das Management der Tier-2- und Tier-3-Zulieferer komplett an ihre Systemintegratoren verlagert hatten, über den Verlust des direkten Kontaktes zu den kleineren Zulieferern – und der damit einhergehenden Abnahme an Innovationsdynamik. So stellen sich die drei folgenden Fragen: 1. Welche Kompetenzen müssen in welcher Tiefe selbst abgedeckt werden und in welchen Bereichen will man sich zukünftig noch stärker auf Zulieferer verlassen? 2. Welche Produkte eignen sich für die Verlagerung? 3. An welchem Standort kann die physische Leistungserbringung am Besten erbracht werden?
5.3.2.1 „Make or Buy“ – Fokus auf Kernkompetenzen Fahrzeughersteller werden in den nächsten Jahren gezwungen sein, einen noch größeren Teil ihrer knappen Finanzmittel in die Bereiche Design, Entwicklung und Vertrieb/Marketing sowie in die Erschließung neuer Wachstumsmärkte wie China, Indien, Russland oder den Nahen Osten zu investieren. Für kapitalintensive Produktionsbereiche wie Gießereien oder Spritzgussanlagen stehen folglich immer weniger eigene Ressourcen zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass der Wertschöpfungsanteil der Hersteller konstant weiter sinken und bis zum Jahr 2015 – bezogen auf die rei-
339
nen Entwicklungs- und Produktionskosten – bei circa 20 bis 25% liegen wird. Die meisten Hersteller treffen Make-or-buyEntscheidungen heute nach wie vor isoliert voneinander. Häufig fehlt ein Gesamtkonzept, wie die zukünftige Wertschöpfung genau aussehen soll. Mit anderen Worten: Hersteller müssen ihre gesamte eigene Wertschöpfung systematisch durchforsten und klar definieren, welche Leistungen zukünftig intern erbracht und welche mittel- bis langfristig nach außen vergeben werden sollen. Eine solche Analyse muss zudem klar differenziert nach Baugruppen, Systemen/Modulen und sogar einzelnen Komponenten erfolgen – und ggf. auch nach regionalen Märkten unterscheiden. „Make or buy“ ist ein klar definierter Prozess. Empfehlenswert ist daher eine Vorgehensweise in drei Schritten: Schritt 1:
Schritt 2:
Schritt 3:
Klare Definition der Untersuchungseinheiten („Kandidaten“) als Kombination aus Systemen, Modulen oder Komponenten sowie einzelnen Prozessschritten (Pressen der Karosserieteile, Endmontage des Cockpit etc.). Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die einzelnen Kandidaten auf die Erfüllung des Markenversprechens durch den Hersteller besitzen (beispielsweise Fahrdynamik bei BMW, Appreciation bei Mercedes-Benz) und inwieweit auf dem Markt überhaupt potenzielle Anbieter für diesen „Verlagerungskandidaten“ zur Verfügung stehen (Abb. 5.18). Falls es sich aus Sicht der Marke nicht um eine Kernkompetenz handelt, muss in einem letzten Schritt der mögliche Kostenvorteil einer Verlagerung detailliert berechnet werden. Zentral ist hierbei die Berücksichtigung folgender Positionen: Erhöhter Transport- und Handling-Aufwand, erwartete Gewinnmarge des Zulieferers und insbesondere die Bewertung der trotz Verlagerung im Hause verbleibenden Overhead-Kosten. In der Praxis werden genau an dieser Stelle häufig Fehler gemacht: Entweder es wird angenommen, dass der Overhead durch die Verlagerung komplett
340
5 Vernetzte Produktion Einfluss auf Markenbild
Ja
Cockpit
Schließanlage
Bremssystem Wischanlage
Fahrwerks-/ Antriebselektronik
Insassenschutz
Kommunikation/ Entertainment
Beleuchtungsanlage Lenkung Getriebe Sitze
Abgasanlage Räder
Radaufhängung
Stoßdämpfer & Federung Antriebswellen und Achsen
Motormanagement
Motor
Vorderwagen Hinterwagen Front-/Heckklappe
Nein
Kotflügel
Verfügbarkeit Zulieferer • Qualitativ • Quantitativ Türen • Preisniveau
Niedrig
Hoch
Abb. 5.18 Beispiel für die Festlegung von Kernkompetenzen für einen Hersteller (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
entfällt, was i. d. R. dazu führt, dass die tatsächlichen finanziellen Ergebnisse der Verlagerung hinter den gesteckten Zielen zurückbleiben. Oder aber es wird davon ausgegangen, dass die OverheadKosten trotz Verlagerung unverändert bleiben, was ebenfalls nicht der Realität entsprechen dürfte und in vielen Fällen fälschlicherweise zum Inhouse-Verbleib führt (Abb. 5.19).
Neben dem Vergleich der laufenden Kosten sind natürlich auch die Einmalaufwendungen für das Outsourcing (wie Maschinentransfer, Sozialplan für Mitarbeiterabbau, Abschreibungen auf nicht mehr benötigte Anlagen) in die Betrachtung einzubeziehen. Nach Festlegung der zukünftigen Kernkompetenzen müssen in weiteren Schritten das zukünftige Kompetenzprofil bestimmt und Maßnahmen zum Schließen bestehender Lücken eingeleitet werden.
-4% 13,9 Fracht Löhne
0,2 0,5
SG&A
1,5
1,5
13,3
11,8 0,4 WerksOverhead
Zulieferer-Gewinn
0,9 2,5
0,3 0,5 0,9
Material
9,2
8,8
Make-Kosten
Preis des Zulieferers
Verbleibender Overhead bei Outsourcing
Buy-Kosten
Abb. 5.19 Beispiel für Kostenvergleichsrechnung Make-or-buy (in Euro) (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
5.3.2.2 Auswahl der geeigneten Produkte
5.3.2.3 Auswahl geeigneter Standorte der physischen Leistungserstellung
Die Frage nach dem genauen Verlagerungsumfang ist die Frage schlechthin. Hierbei hat sich ein Vorgehen in fünf Schritten bewährt (Abb. 5.20). In einem ersten Schritt muss die komplette Produktpalette hierarchisiert und übersichtlich dargestellt werden. Anschließend werden anhand eines ScoringModells Produkte mit zu hoher technischer Komplexität eliminiert – diese eignen sich nicht für eine Verlagerung. In einem dritten Schritt wird die Variantenvielfalt der verbliebenen Produkte untersucht. Je nach Reifegrad der zur Diskussion stehenden Niedriglohnstandorte kann dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Während sich im einen Fall gerade Produkte mit hoher Variantenvielfalt – und damit relativ hoher Arbeitsintensität – für eine Verlagerung anbieten, kommt man in anderen Fällen zum entgegengesetzten Ergebnis. Die verbleibenden Produkte werden in einer vierten Stufe in einzelne Prozessschritte zerlegt. Diese Kombinationen aus Produkten und Fertigungsschritten werden nun hinsichtlich des finanziellen Effekts sowie hinsichtlich des Risikograds einer Verlagerung bewertet und in verschiedenen sinnvollen Szenarien zur finalen Entscheidung zusammengefasst. Bei der Bewertung der finanziellen Effekte ist darauf zu achten, dass alle relevanten Kostenpositionen erfasst werden – wie Kosten für das Training neuer Mitarbeiter vor Ort, erhöhte Logistikkosten, Kosten für Neubemusterungen durch den Fahrzeughersteller oder auch für Preisreduzierungen gegenüber dem Hersteller.
1 Ausgangspunkt
2 Filter „Technologische Komplexität“
3 Filter „Variantenvielfalt“ Volumen '09
Innerhalb der letzten Jahre hat sich der Investitionsschwerpunkt der Automobilindustrie mit dramatischer Geschwindigkeit in die neuen Wachstumsregionen Asien und Osteuropa verlagert. Allein in Osteuropa bauen Hersteller wie Hyundai, Kia, PSA oder VW derzeit für über 4 Milliarden Euro neue Montagewerke. Die klassischen Triade-Märkte geraten dabei ins Hintertreffen. Dies betrifft in erster Linie Arbeitsplätze in der Fertigung, doch die Auswirkungen auf die Entwicklungsbereiche sind bereits heute abzusehen: Auch hier entstehen innerhalb der nächsten zehn Jahre neue Jobs lediglich in Osteuropa (+2 000), China (+4 500) und Indien/Pazifik (+4 000). Fahrzeughersteller werden in den nächsten Jahren die Aufgaben ganzer Entwicklungsteams in Niedriglohnländer verlagern. Auch hier liegt China in der Präferenz der Hersteller ganz vorne, vor Osteuropa und Indien. Insbesondere betroffen sind Tätigkeiten wie Simulation, Werkzeugbau, Modellbau und Dokumentation. Die gleiche Entwicklung ist bei Automobilzulieferern zu beobachten: Keine Woche vergeht, ohne dass neue Investitionen in Osteuropa und die gleichzeitige Reduzierung der Kapazitäten in westeuropäischen Ländern angekündigt werden. Italien, England und Spanien stehen bei der Streichung lokaler Herstellerkapazitäten an erster Stelle, während Werke in Frankreich oder Deutschland meist gehalten werden, wenn auch mit geringeren Kapazitäten.
4 Definition geeigneter „Kandidaten“
Produkte
5 Definition Verlagerungsszenarien Implementierungsrisiko
+ Produkthierarchie Szenario 3
Technologische Komplexit Komplexität
Szenario 2 Szenario 1 -
Ausgeschlossene Produkte: • Produkt 1 • Produkt 2 • etc.
+ # Varianten
Ausgeschlossene Produkte: • Produkt 3 • Produkt 4 • etc.
341
Technologien Definition geeigneter Produkt-TechnologieKombinationen für eine Verlagerung
Payback-Dauer
Szenario 3 Szenario 2 Szenario 1
Abb. 5.20 Vorgehen zur Bestimmung des Verlagerungsumfangs (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
342
5 Vernetzte Produktion 114
Aufbau von Niedriglohn-Standorten als Überlebensfrage
Sonstige
Die weit verbreitete Meinung, dass die Vorteile osteuropäischer oder anderer Standorte in Niedriglohnländern durch deutlich höhere jährliche Lohnkostenzuwächse in den nächsten fünf bis zehn Jahren nahezu aufgehoben werden, ist ein Irrglaube. Zwar sind in zahlreichen osteuropäischen Ländern jährliche Lohnsteigerungen bis zu 10 oder 15% keine Seltenheit. Doch aufgrund der deutlich niedrigeren Ausgangsbasis werden die absoluten Abstände konstant bleiben (Abb. 5.21). Trotz geringerer Arbeitsproduktivität in den Niedriglohnstandorten lassen sich somit dauerhaft bis zu 75% der Personalkosten einsparen. Bei einem durchschnittlichen Anteil der Personalkosten an den gesamten Produktionskosten von 25 bis 30% heißt dies für einen Zulieferer, dass durch die Fertigung in Osteuropa – selbst nach Berücksichtigung gestiegener Logistik- und Komplexitätskosten sowie geringerer Arbeitsproduktivität – die Gesamtkosten um 10 bis 15% reduziert werden können. Im wettbewerbsintensiven Zulieferergeschäft ist dies entscheidend für das Überleben am Markt (Abb. 5.22). Der Trend zum Aufbau von Kapazitäten in Niedriglohnländern wird sich daher auch in den nächsten Jahren fortsetzen – und sogar weiter beschleunigen, wie eine aktuelle Untersuchung von Roland Berger Strategy Consultants von 2004 zeigt. 90% der befragten mittelgroßen Industrieunternehmen planen, in den nächsten fünf Jahren weitere Teile ihrer Wertschöpfung ins Ausland zu verlagern. Zum Vergleich:
2009
2004 + 0,6 Deutschland
Deutschland
25,3
Tsch. Rep.
25,9
Tsch. Rep.
5,0
6,7
Ungarn
4,2
Ungarn
5,7
Polen
4,1
Polen
5,2
Slowakei
2,9
Slowakei
3,9
Lettland
2,4
Lettland
3,2
Türkei
1,8
Türkei
2,6
Rumänien
1,8
Rumänien
2,5
Ukraine
Ukraine
0,8
1,3
+ 0,5 Quelle: EIU, CE-Research LLP, Roland Berger Analyse
Abb. 5.21 Lohnkosten eines ungelernten Arbeiters inklusive Lohnnebenkosten in Deutschland und Osteuropa (in Euro pro Stunde) (Quelle: EIU; CE-Research; Roland Berger Strategy Consultants)
35
Logistik
2
Personal
23
1
3
100
-12%
38
+9%
-18
3
5
+4% -79%
Material
54
Laufende Kosten alter Standort (Deutschland) 1) Inkl. Bestände
54
Veränderung Personalkosten
Veränderung Logistikkosten1)
Veränderung Sonstige Kosten2)
±0%
Laufende Kosten neuer Standort (Rumänien)
2) Koordination, AfA, erhöhter Ausschuss etc.
Abb. 5.22 Vergleich der durchschnittlichen Kosten eines Zuliefererwerks mit circa 170 Millionen Euro Umsatz (in Millionen Euro) (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
Nur 69% der befragten Unternehmen haben bereits in der Vergangenheit Wertschöpfung in Niedriglohnländer verlagert. In zunehmendem Maße betrifft dies auch technologisch hochkomplexe Teile. Häufig haben die Zulieferer auch gar keine andere Wahl: Wenn einer ihrer OEM-Kunden sie bittet, ein neues Niedriglohn-Werk lokal zu beliefern, dann stellt sich nur noch die Frage, ob die Stückzahlen und Preise eine lokale Investition in China oder Russland rechtfertigen.
Scoring-Modell für Standortauswahl Bei der Suche nach einem geeigneten Niedriglohnstandort sind zahlreiche Entscheidungskriterien zu berücksichtigen, in der Praxis sind jedoch nur einige wenige Kriterien von zentraler Bedeutung (Abb. 5.23). In erster Linie sind natürlich die aktuellen Personalkosten am Zielstandort sowie insbesondere die erwartete Lohnkostensteigerung für die nächsten Jahre von Bedeutung. Diese lassen sich i. d. R. nur nach detaillierten Gesprächen mit Industrieunternehmen, Arbeits- und Investitionsagenturen oder öffentlichen Stellen vor Ort vorhersagen. Insbesondere sollten sich Zulieferer sehr frühzeitig Gedanken darüber machen, welche Art von Mitarbeitern sie für den neuen Standort suchen, und feststellen, ob es in den avisierten Regionen genügend Bewerber mit dem erforderlichen Profil gibt. Zweiter zentraler Punkt sind die Logistikkosten. Hier ist sicherzustellen, dass die Zuverlässigkeit der Transportwege auf jeden Fall – auch im Winter – gegeben ist. Die sonst zu bildenden Sicherheitsbestände und dadurch verursachten Kapitalkosten können näm-
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie Gewichtung [%]
Zölle/ Steuern
Stabilit ät
Kosten
Kriterien
Nicht-EU-Staaten Andere
CZ
H
SLO
SK
LT
LV
EST
BG
RO
HR
SM
MK
BIH
3 2 5
2 2 5
3 2 5
1 1 2
4 3 5
4 3 2
4 4 2
4 3 2
5 5 3
5 4 4
3 2 2
5 4 1
4 4 1
5 4 1
5 5 2
5 5 4
5 4 3
4 5
5 5
4 5
4 5
4 5
3 4
2 4
2 4
2 2
4 1) 3
4 4
3 2
2 2
3 2
2 1
1 1
1 1
7,5
4
4
4
5
4
4
4
4
3
3
3
1
1
1
2
3
2
10
5
5
5
5
5
5
5
5
3
3
3
1
1
1
1
1
1
12,5
2
3
3
4
3
3
3
4
3
3 1)
2
1
1
2
1
1
2
5 5
3 5
2 5
4 5
2 5
3 5
4 5
4 5
1 5
4 4
4 4
3 3
5 3
5 3
1 3
2 3
2 3
1 3
100
3,8
3,9
3,9
3,5
4,1
3,6
3,6
3,4
3,2
3,5
2,9
2,4
2,2
2,3
2,3
2,4
2,2
4
2
2
7
1
5
5
9
10
7
11
12
16
14
14
12
16
30 20 50 30 30 40 60
• Wirtschaftliche und finanzielle Stabilität • Politische und rechtliche Stabilität • Transparenz • Unternehmenssteuer • Zölle
Rang 1 ... sehr nachteilig
Beitrittskandidaten PL
• Personal – Aktuelle Lohnkosten – Langfr. Lohnentwickl. – Verfügbarkeit • Logistik – Entfernung – Zuverlässigkeit
Gewichtete Bewertung
Neue EU-Mitgliedsstaaten
343
UA RUS
TR
5 ... sehr vorteilhaft
Abb. 5.23 Vereinfachtes Scoring-Modell für die Standortauswahl am Beispiel Osteuropa (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
lich sehr schnell einen großen Teil der Lohnkosteneinsparungen wieder zunichte machen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu achten, dass der Zielstandort für Besucher (Kunden, Lieferanten, eigenes Management) gut zu erreichen ist und beispielsweise in der Nähe eines Flughafens liegt. Ansonsten sind insbesondere in der Anlaufphase große Probleme durch zu geringe Reaktionsgeschwindigkeit zu erwarten. Des Weiteren muss die langfristige ökonomische, finanzielle, politische und rechtliche Stabilität des ausgewählten Landes gewährleistet sein. Auch Steuern und Zölle müssen unbedingt in die Rechnung mit einbezogen werden. Je nach Produktprogramm und Wertschöpfungskonzept ist auch die Verfügbarkeit entsprechend qualifizierter Vorlieferanten kritisch zu prüfen. Nach erfolgter Priorisierung auf Länderebene müssen die einzelnen Länder weiter in einzelne Wirtschaftsräume unterteilt und bewertet werden – erst auf der Ebene maximal 200 bis 300 Quadratkilometer großer Gebiete kann dann die finale Auswahl des Zielstandortes erfolgen.
Verlagerungsplan Nach Festlegung des Verlagerungsumfangs sowie Auswahl des Zielstandorts muss eine detaillierte Verlagerungsplanung erstellt werden. Hierzu gehören: • Layoutplanung des neuen Werks beziehungsweise des Erweiterungsbaus,
• rechtzeitige Bestellung der benötigten Produktionsausrüstung, • rechtzeitige Einstellung der ersten Führungsebene (insbesondere Werks- und Personalleiter), • rechtzeitiger Lageraufbau zur Vermeidung von Lieferausfällen während der eigentlichen Verlagerung, • Aufnahme von Gesprächen mit dem Kunden zur Vorbereitung der Erstbemusterungen, • Vorbereitung der Kommunikation gegenüber Mitarbeiter und Lieferanten, • Anpassung der Overhead-Strukturen im abzugebenden Werk.
Lösungen für Standorte in Hochlohnländern Mit wenigen Ausnahmen wird Wachstum in den nächsten Jahren hauptsächlich in Niedriglohnländern stattfinden – die Kostenvorteile sind einfach zu deutlich. Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn Fertigungslinien aus einem bestehenden Hochlohnwerk in ein Niedriglohnwerk verlagert werden sollen und für den alten Standort kein Ersatzgeschäft zur Verfügung steht. In solchen Fällen entsteht ein enormer finanzieller Aufwand durch Sozialplankosten, Transfer der Maschinen oder die erforderlichen Investitionen in Grundstücke, Gebäude und Infrastruktur. Häufig betragen diese Positionen den dreibis vierfachen Wert der jährlichen Einsparungen. Unter Berücksichtigung der Kapitalkosten ergibt dies
344
5 Vernetzte Produktion Maßnahmenpakete/Auswirkungen für Mitarbeiter
Unternehmen
Jahr
Betroffene Werke
Arbeitszeit
Lohn/Sozialleistungen
Gegenangebot
Bosch
2004
Stuttgart, Sebnitz
35 36 Std./Woche
Verzicht auf Sozialleistungen und Bonusvergütung
Brose Continental
2005 2004
Alle dt. Werke Hannover-Stöcken
In Verhandlung –
Continental Teves
2005
Gifhorn
35 38 Std./Woche Erhöhung auf 40 Std./Woche 35 40 Std./Woche
Keine Entlassungen bis 2007; Aufgabe der Verlagerungspläne nach China Unbekannt Unbekannt
Delphi
2004
Wuppertal
–
EDAG
2005
Fulda
Edscha
2005
Remscheid
FAG Kugelfischer
2004
Eltmann
INA Leoni
2004 2005
Schuler
2004
Lahr Zwei deutsche Werke Alle deutschen Werke
40 44 Std./Woche für Angestellte Arbeitszeit flexibilisierung Erhöhung der Stundenwoche Einführung flexibler Überstundenregelung 35 40 Std./Woche 35 38 Std./Woche
Siemens VDO
2005
Würzburg
Arbeitszeitflexibilisierung
Arbeitszeitflexibilisierung
–
Personalabbau begrenzt auf 200 Mitarbeiter –
– – Verzicht auf Sozialleistungen in H öhe von 2% – – Verzicht auf vereinbarte Lohnerhöhung und Bonusvergütungfür 2005; BonusVariabilisierung für Folgejahre Verschiebung vereinbarter Lohnerhöhungen; Reduzierung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes
Begrenzung von Personalabbau Vermeidung einer Verlagerung Keine Entlassungen bis 2006; Standortsicherung – – –
Garantie für 1.400 Arbeitsplätze bis 2010
Quelle: Presserecherche; Roland Berger
Abb. 5.24 Beispiele für Personalkostenreduzierung durch werksspezifische Vereinbarungen (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
dann einen Payback von erfahrungsgemäß etwa vier bis sechs Jahren. Genau hier liegt die Chance für die Werke in Hochlohnländern: Durch Maßnahmen zur Senkung und Flexibilisierung der Personalkosten im bestehenden Werk wie unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeiten von 35 auf 38, 40 oder 42 Stunden, Kürzung der Überstundenzuschläge oder des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes lassen sich die Personalkosten um bis zu 15% reduzieren. Dies führt zu einer Verlängerung der Paybackzeiten um bis zu zwei Jahre; eine Verlagerung rechnet sich dann kaum noch. Diesen Weg sind in den letzten Monaten und Jahren bereits zahlreiche führende westeuropäische Zulieferer gegangen (Abb. 5.24).
letten reichen von der Lieferung einfacher Einzelteile bis hin zur Bereitstellung und Integration umfassender Systemlösungen. Aufgrund der zunehmenden komplexitätsbedingten Spezialisierung der OEMs gewinnen Fremdleister fortlaufend an Bedeutung. 5.3.3.1 Zulieferer – Fokus auf Komponenten oder Fokus auf Innovation Der Markt für Automobilzulieferer ist in den letzten Jahren kontinuierlich um circa 3 bis 4% pro Jahr gewachsen. Noch erfreulicher ist die Tatsache, dass die13,4 11,9
11,7
11,9
ROCE
11,1
5.3.3 Auswahl des richtigen Kooperationspartners – Abhängig von der Leistungserbringung werden die Partner ausgewählt In der Automobilindustrie lassen sich drei Typen von Kooperationspartnern identifizieren. Die Unterscheidungsmerkmale liegen hauptsächlich in der Bandbreite der möglichen Leistungserbringung. Die Produktpa-
9,5 8,2 7,1
ROA
7,1
7,3
6,7
EBIT
5,6 6,6
6,4 5,8
5,3
1999
6,8
2000
2001
2002
2003
6,3
2004
Abb. 5.25 Profitabilitätsentwicklung der 500 größten börsennotierten Zulieferunternehmen weltweit (Quelle: Bloomberg; Roland Berger Strategy Consultants)
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie 1 Unternehmensgröße
4 Mrd. EUR Umsatz
Diversifiziert
3 Kundenportfolio
Fokussiert
4 F&E-Aufwand
Gering (4% vom Umsatz)
5 Wertschöpfungstiefe
Gering
Mittel
Hoch
Erfolgreiche Zulieferer
Diversifiziert
Weniger erfolgreiche Zulieferer
Abb. 5.26 Erfolgsmuster für Automobilzulieferer (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
ses Wachstum profitabel war. So haben die 500 größten börsennotierten Zulieferer der Welt ihren ROCE nach einem Einbruch in den Jahren 1997 bis 2001 seit 2002 wieder deutlich steigern können (Abb. 5.25). Durch die fortgesetzte Verlagerung von Aktivitäten und Kompetenzen vom Hersteller an die Zulieferer bietet der Markt für Zulieferprodukte auch in den nächsten Jahren attraktive Wachstumschancen – die Frage ist, mit welcher Strategie die einzelnen Zulieferer davon am besten profitieren können.
Das Erfolgsrezept wachsender Zulieferer Zur Klärung dieser Frage haben wir die weltweite Zuliefererindustrie nach besonders erfolgreichen und weniger erfolgreichen Unternehmen durchsucht und deren Strategien der letzten fünf Jahre miteinander verglichen. Das Ergebnis: Erfolgreiche Zulieferer haben sich in fünf unternehmerischen Gestaltungsfeldern im Durchschnitt anders verhalten als ihre weniger erfolgreichen Wettbewerber. Diese Gestaltungsfelder sind: die Unternehmensgröße, das Produktportfolio, das Kundenportfolio, der F&E-Aufwand sowie die Wertschöpfungstiefe. Zwischen Unternehmensgröße und Ertragskraft beispielsweise besteht ein eindeutiger statistischer Zusammenhang – jedoch kein proportionaler, wie noch zu Zeiten des bedingungslosen „big is beautiful“ vermutet. Gemäß unserer Analyse arbeiten nämlich neben den sehr großen auch die kleinen Zulieferer im Durchschnitt deutlich profitabler als mittelgroße Zulieferer. Hierfür gibt es mehrere Erklärungen. So bedienen zahlreiche kleine Zulieferer hochprofitable Nischen, die durch Patente ausreichend abgesichert sind. Zudem standen diese Zulieferer in der Vergangenheit – angesichts der recht geringen Umsätze – nicht im Fo-
345
kus der Einkaufsinitiativen ihrer Kunden. Viele der untersuchten mittelgroßen Unternehmen befinden sich dagegen in einem Übergangsprozess vom Familienunternehmen zum Großunternehmen. Infolgedessen verfügen sie oft nicht über die erforderlichen Strukturen und Management-Ressourcen oder bedienen zu viele Produktgruppen gleichzeitig. Auch zwischen der Profitabilität und der Ausrichtung des Produkt- und Kundenportfolios lässt sich ein klarer Zusammenhang nachweisen. So machen die Top-Performer mit ihrer größten Produktgruppe 86% und mit ihren drei größten Kunden 58% ihres Umsatzes. Leistungsschwächere Zulieferer sind demgegenüber im Produkt- und Kundenportfolio wesentlich weniger fokussiert. Mit Sicherheit keine Überraschung ist, dass die Top-Performer unter den Zulieferern auch überdurchschnittlich stark in Forschung und Entwicklung investieren. Auch bezüglich der eigenen Wertschöpfungstiefe liegen die Top-Performer oberhalb der Low Performer. Anscheinend hat sich so manche Initiative zur Reduzierung der Wertschöpfung (noch) nicht positiv in den Jahresabschlüssen niedergeschlagen. Viele der erfolgreichen kleineren und mittelgroßen Zulieferer haben einen starken Fokus auf die perfekte Beherrschung einzelner Komponenten. Je größer die Zulieferer jedoch werden, desto wichtiger wird die Kompetenz zur Integration einzelner Submodule oder Komponenten zu einem Gesamtsystem oder -modul. Nur diese Eigenschaft ermöglicht es, die Anforderungen der Hersteller zu erfüllen, die nach einem „ganzheitlichen Wertschöpfungspartner“ mit umfassenden Kompetenzen verlangen: in der Wertschöpfung (Konstruktion, Simulation, Fertigung, Montage sowie Prüf-, Rollen- und Straßentests), im Prozessmanagement, im Unterlieferantenmanagement und in der Logistik.
Beispiel: Fahrzeugteile GmbH & Co. KG Ein Musterbeispiel für den systematischen Aufbau von Integrationskompetenz ist die Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG mit Sitz im fränkischen Coburg. Seit der Gründung im Jahr 1919 hat sich Brose systematisch und zielstrebig vom Komponentenhersteller zum Modul- und Systemintegrator entwickelt (Abb. 5.27). Bereits 1928 fertigte Brose die ersten manuellen Fensterheber überhaupt. 1963 war man bei elektri-
346
5 Vernetzte Produktion
Integrationsgrad
Integriertes Türmodul Türsystem mit Rahmen Türmodul
Elektronisch gesteuerter Fensterheber
Manuelle Fensterheber
Zeit 1928
1986
1987
2002
Quelle: Unternehmensinformationen
Abb. 5.27 Erfolgreiche Entwicklung zum Modullieferanten: das Beispiel Brose Fahrzeugteile (Quelle: Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG)
schen und 1986 schließlich bei den ersten elektronisch gesteuerten Fensterhebern angekommen. 1987 wurde das erste Türmodul, bestehend aus Fensterheber, Scheibe, Scheibenführung und Aufprallschutz, in einen Audi 80 Coupé montiert. In der Zwischenzeit hat sich viel getan: Heute besteht ein Brose-Türmodul aus einer Vielzahl zusätzlicher Komponenten, zum Beispiel Lautsprechern, Schließsystemen, Dichtungen oder Steuerungselementen für die Außenspiegel. Als weitere Geschäftsfelder neben Fensterhebern und Türmodulen wurden im Laufe der Zeit Sitzverstellungen und Schließsysteme aufgebaut. Der Lohn für diesen systematischen und kontinuierlichen Kompetenzaufbau: Brose ist mit 13% Wachstum pro Jahr innerhalb der letzten 50 Jahre so schnell und nachhaltig gewachsen wie kaum ein anderer Automobilzulieferer. Die zentralen Erfolgsfaktoren von Brose sind neben dem langfristig orientierten Führungsstil der Gesellschafter insbesondere die optimale Verknüpfung von Mechanik, Elektrik und Elektronik, die hohe Reaktionsgeschwindigkeit auf veränderte Marktbedingungen und Kundenanforderungen sowie die gute Mischung aus Technologie- und Kostenführerschaft. 5.3.3.2 Entwicklungsdienstleister – Am Anfang der Fokussierung Als Teil des Zulieferernetzwerks konnte die sehr heterogene Gruppe der Entwicklungsdienstleister im letzten Jahrzehnt weit überdurchschnittliche Wachstumsraten verzeichnen – sie hat im Schnitt seit 1996 um circa 15% pro Jahr zugelegt. Spätestens seit Anfang 2004 zeichnen sich jedoch dunkle Wolken am Himmel ab: Die Nachfrage nach
externen Entwicklungsdienstleistungen ist rückläufig. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen verfolgen zahlreiche Hersteller-Entwicklungsabteilungen angesichts eigener Überkapazitäten eine strenge Insourcing-Politik. Auch die Tatsache, dass sich Hersteller wieder verstärkt bemühen, markenkritische Kompetenzen inhouse zu verstärken (zum Beispiel im Bereich Elektronik), schwächt die Nachfrage. Des Weiteren ist abzusehen, dass einer der wesentlichen Outsourcing-Treiber, nämlich die stark zunehmende Modellvielfalt, innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre ihren Zenit erreicht haben wird. Negativ wirkt sich auch aus, dass Hersteller komplette Systeme und Module in die Verantwortung ihrer Tier-1-Lieferanten geben – in der Erwartung, dass diese auch den erforderlichen Entwicklungsaufwand betreiben und finanzieren. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Markt für Entwicklungsdienstleistungen mittel- bis langfristig gute Geschäftschancen bietet. Hierfür sorgen die nach wie vor steigende technische Komplexität der Fahrzeuge, insbesondere im Bereich Elektronik, sowie das Bestreben der Hersteller, gewisse Technologien (wie Softwareentwicklung), Module oder Komponenten aus Gründen der Kostenreduzierung über verschiedene Hersteller hinweg zu standardisieren oder zumindest einander anzugleichen. Genau hier liegt eine der großen Chancen für Entwicklungsdienstleister.
Eindeutige Positionierung der Dienstleister notwendig Voraussetzung wird jedoch sein, dass sich die Dienstleister ein schärferes Profil verschaffen. In Jahren des wilden Wachstums haben viele Unternehmen versucht, von der Vorentwicklung bis zum Anlagenbau alles abzudecken – und dies über sämtliche Produktgruppen hinweg. Dies hat dazu geführt, dass sie sich am Markt sehr diffus positionierten und viele ihrer Geschäftsfelder die kritische Größe nicht erreichten. Zentrale Herausforderung wird deshalb sein, die zukünftigen Tätigkeitsschwerpunkte festzulegen und die Ressourcen hinsichtlich Qualität und auch Quantität an die neue Ausrichtung anzupassen. Auf Basis unserer Erfahrung schlummern bei vielen Entwicklungsdienstleistern Effizienzressourcen im zweistelligen Prozentbereich, die insbesondere durch ein optimiertes Kapazitätsmanagement gehoben werden können. Eine wei-
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
tere Herausforderung für die nächsten Jahre ist die Anpassung des eigenen Standort-Netzwerks an die Erwartungen der Kunden – und somit insbesondere der Auf- und Ausbau von Kapazitäten in Niedriglohnregionen wie China oder Indien.
5.3.3.3 Full-Service-Provider und reine Produktionsdienstleister – Auffangen von Engpässen und Katalysator beim Eintritt in neue Märkte In den letzten Jahren ist eine Reihe von Full-ServiceProvidern für Automobilhersteller entstanden. Unternehmen wie Karmann oder MagnaSteyr können heute komplette Fahrzeuge nicht nur entwickeln und für die Produktion vorbereiten, sondern auch in Serie fertigen – wie den BMW X3, den Mercedes CLK oder den Jeep Grand Cherokee. Zusätzlich konnten sich auch reine Produktionsdienstleister wie Valmet (Porsche Boxster) am Markt halten. Für die Fahrzeughersteller ist die Einbindung solcher Unternehmen durchaus sehr sinnvoll: Kapazitätsengpässe können abgefedert werden, Kleinserien und Nischenmodelle können trotz geringer Stückzahlen auf den hochflexiblen Anlagen effizient gefertigt werden – und nicht zuletzt sinkt der Kapitaleinsatz in Entwicklung und Fertigung dramatisch. Auch in diesem Segment ist jedoch nach dem Boom der letzten Jahre mittlerweile Ernüchterung ein-
getreten. Zahlreiche neue Nischenmodelle wie das VW Cabrio oder der aktuelle BMW 6er wurden beziehungsweise werden wieder intern gefertigt. Die Hersteller lasten wieder ihre freien Kapazitäten aus und versuchen, verlorene Fertigkeiten zurückzugewinnen. Die derzeitigen Überkapazitäten in Höhe von circa 20 Millionen Fahrzeugeinheiten werden angesichts zahlreicher neuer Werke in Wachstumsmärkten ohne gleichzeitigen Rückbau der Kapazitäten in den TriadeMärkten auch über 2010 hinaus bestehen bleiben. Hinzu kommt, dass in der Zwischenzeit auch die Hersteller selbst flexiblere Fertigungsanlagen installiert haben. Als Folge hiervon ist die Durchschnittsrendite der Produktionsdienstleister zwischen 2001 und 2003 bereits um zwei bis drei Prozentpunkte gesunken. Aufstrebende Ostmärkte Dennoch gibt es auch in Zukunft attraktive Betätigungsfelder für Produktionsdienstleister. Hierzu zählt beispielsweise die Begleitung der Hersteller in die neuen Wachstumsregionen China, Russland, Indien und Iran. Ebenso scheint sich das Konzept markenübergreifender „Spitzenbrecherwerke“ zu bewähren. Hierzu müssten die Produktionsdienstleister ihre Fertigungsprozesse und -anlagen jedoch noch stärker flexibilisieren. Da sich die Hersteller wieder stärker auf markenrelevante Kompetenzen konzentrieren, ist mit sehr attraktivem Wachstum für viele Teilezulieferer zu rech-
Valmet Heuliez Karmann
Santana
Styling/ Konzeption
Projektmanagement
Komponenten entwicklung
Gesamtfahrzeugintegration
Bertone Karmann Pininfarina Santana
Bertone Karmann Magna St. Pininfarina Santana Valmet
Heuliez Karmann Magna St. Pininfarina
Bertone Heuliez Karmann Pininfarina Magna Steyr Santana Valmet
Karmann Magna Steyr Bertone Pininfarina
Gesamtfahrzeugtest
Produktionsplanung
Bertone Karmann Magna Steyr Pininfarina Santana Valmet
347
ProduktionsEngineering
Anlagen Serienfahrzeugbau
Karmann
Serienfahrzeugmontage
Bertone Heuliez Karmann Magna St. Pininfarina Santana Valmet
Abb. 5.28 Produktionsdienstleister im Überblick (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
348
5 Vernetzte Produktion
nen, insbesondere in den Produktbereichen Antrieb und Fahrwerk. Insgesamt rechnen wir damit, dass der Anteil der Zulieferer an der Gesamtwertschöpfung von heute circa 64% auf circa 73% im Jahr 2015 steigen wird. Entwicklungs- und Produktionsdienstleister hingegen sehen weniger rosigen Zeiten entgegen. Sie bedienen Geschäftsfelder, die meist näher im Bereich der Kernkompetenzen der Hersteller liegen als die Geschäftsfelder der Teilezulieferer, und werden daher von den Insourcing-Tendenzen der Hersteller stärker betroffen sein.
Aufträge an die Zulieferer gestellt („Pay to play“). Wer nicht bezahlt, bekommt keinen Nachfolgeauftrag. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig, da langfristig nur wirtschaftlich erfolgreiche Zulieferer die benötigten Innovationen und das erforderliche Qualitätsniveau erbringen können. Die Potenziale durch Optimierung der Wertschöpfungsverteilung können nur durch Kooperation der Beteiligten maximal ausgeschöpft werden. Die Formen der Zusammenarbeit werden sich grundlegend ändern müssen (Abb. 5.29).
5.3.4.1 Grundarten der Kooperation
5.3.4 Gestaltung der Kooperationsformen – In den Kooperationen findet eine Veränderung der Zusammenarbeit statt Nach der Entscheidung über Wertschöpfungsauslagerung und der Auswahl des richtigen Partners bleibt noch die Optimierung der Kooperation zwischen allen Beteiligten. Hier liegt einiges im Argen. So haben sich beispielsweise die Geschäftsbeziehungen zwischen Herstellern und ihren Zulieferern in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Viele Zulieferer sprechen heute von einer „Verrohung der Sitten“ ungeahnten Ausmaßes. So werden beispielsweise immer häufiger nachträgliche Forderungen auf bereits abgewickelte
Vereinfacht lassen sich sechs Grundarten der Kooperation zwischen den Beteiligten der automobilen Wertschöpfungskette unterscheiden (Abb. 5.30). Nachfolgend wird für jede dieser Grundarten ein erfolgreiches Beispiel beschrieben und versucht, daraus die Erfolgsfaktoren für eine intensivere Kooperation in der Automobilindustrie abzuleiten.
Joint Ventures zwischen Zulieferern – Das Beispiel HBPO (Hella-Behr-Plastic-Omnium) HBPO ist ein hervorragendes Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Zulieferern mit Kapitalverflechtung. Der führende Lieferant von Front-EndModulen ist in zwei Schritten zwischen 1999 und 2004 aus Teilen der Zulieferer Behr, Hella und Plastic Omnium Auto Exterior entstanden. Heute stellt er ein ge-
HEUTE
ZUKÜNFTIG
1. Innovation
• Überwiegend bilaterale Problemlösung • Kein spezieller Anreiz für Innovationen • Unternehmensspezifische Verbesserung
• Vernetzte Problemlösung • Incentivierung von Innovationen • Unternehmens übergreifende Verbesserung
2. Führung und Kommunikation
• Unternehmensspezifische Wertschöpfungsstrategien • Stark individuelle Prozesse • Von Commitment geprägte Kommunikation • Hierarchische Zusammenarbeit
• Integrierte Wertschöpfungsstrategien / Vereinte und sich gegenseitig ergänzende Kompetenzen • Integrierte Prozesse • Auf Vertrauen basierende intensive Kommunikation • Volle Vernetzung und Integration von Spezialwissen
3. Zugriff
• • • •
• Gemeinsame Zielvereinbarungs- und Eskalationsprozesse basierend auf einheitlichen Standards • Integrierte Unternehmensplanung und -kontrolle • Gemeinsame Ressourcen und Investitionen • Intensive Zusammenarbeit
4. Risiko
• Kurzfristige Gewinnmaximierung • Einfache vertragliche Regelung von Informationsaustausch
Lokale bzw. unternehmensspezifische Standards Unabhängige Unternehmensplanung und -kontrolle Unabhängige Ressourcen und Investitionen Lose Zusammenarbeit
• Gemeinsame Gewinn- und Risikoteilung • Verträge zur Sicherung von Intellecutal Property
Abb. 5.29 Paradigmenwechsel in den Formen der Zusammenarbeit (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
Art der Zusammenarbeit
1. Mit Kapitalverflechtung
Hella Behr Plastic Omnium (HBPO)
Ohne Kapitalverflechtung
Siemens VDO/ Magneti Marelli
2.
Zulieferer/Zulieferer
3. Japanische Keiretsus
4. Toyota und seine Zulieferer
Zulieferer/OEM
5. Toyota/PSA (TPCA) in Europa
6. DaimlerChrylser, GM und BMW
OEM/OEM
Beteiligte Partner
Abb. 5.30 Kooperationsarten in der Automobilindustrie (Quelle: Roland Berger Strategy Consultants)
meinsam getragenes, rechtlich selbstständiges Gebilde mit insgesamt acht Standorten in Nordamerika, Europa und Asien dar. Innerhalb kurzer Zeit wurde HBPO im Sprachgebrauch der Branche zur „Module Company“. HBPO hat sich kundenorientiert ausgerichtet und das ehrgeizige Ziel gesteckt, bei Front-End-Modulen die klare Weltmarktführerschaft zu erlangen. Ende 2004 betrug der weltweite Marktanteil bereits 23%. HBPO ist eine Erfolgsgeschichte. Vier Faktoren haben wesentlich dazu beigetragen: • Attraktives Marktsegment: Der Markt für Front-End-Module hat sich in den zurückliegenden Jahren bereits sehr positiv entwickelt. Bis zum Jahr 2010 ist mit einer Steigerung des weltweiten Absatzvolumens um bis zu 25% pro Jahr zu rechnen. • Komplementarität: Das Joint Venture kombiniert in idealer Weise die Licht- und Elektronikexpertise von Hella mit dem Kühler- und Klima-Know-how von Behr sowie dem Know-how über Karosserieteile, Stoßfänger und Crashmanagement von Plastic Omnium Auto Exterior. Alle drei Unternehmen gehören zu den innovativsten Vertretern ihrer jeweiligen Produktbereiche (Plastic Omnium: zahlreiche Neuentwicklungen im Fußgängerschutz sowie bei den immer wichtiger werdenden Spaltmaßen und -verläufen; Hella: neue Lichttechnologien wie Dioden). Die drei Partner haben außerdem sich ergänzende Kundengruppen in das Joint Venture eingebracht.
349
• Kultureller Fit: Die drei Joint-Venture-Partner besitzen eine vergleichbare Unternehmens- und Führungskultur, beispielsweise eine eher langfristige Ausrichtung der Unternehmenspolitik. Generell sind solche weichen Faktoren von enorm hoher Bedeutung für den Erfolg von Joint Ventures. • Flexibilität: Das Joint Venture zeichnet sich durch hohe Flexibilität aus. Im Mittelpunkt stehen der Kunde und seine Anforderungen. Die erst vor Kurzem erfolgte Aufnahme von Plastic Omnium in den Verbund ist ein Resultat dieser Ausrichtung. Diese Faktoren werden auch bei der Untersuchung zahlreicher anderer erfolgreicher Joint Ventures bestätigt.
Strategische Allianzen zwischen Zulieferern – Das Beispiel Siemens VDO/Magneti Marelli Die strategische Allianz zwischen Siemens VDO und Magneti Marelli ist ein völlig anders gelagerter Fall. Hier haben sich zwei direkte Wettbewerber Ende 2004 zur Zusammenarbeit entschieden – als Antwort auf die dominante Position von Bosch auf dem Gebiet der Diesel-Einspritzsysteme. Im Jahr 2007 wollen beide Partner gemeinsam eine neue Generation von Diesel-Einspritzsystemen für kleinere und mittelgroße Motoren entwickeln. Obwohl sie in direktem Wettbewerb stehen, ist die Kooperation für beide Unternehmen vorteilhaft: • Komplementäre Technologien: Die neuen Systeme kombinieren die von Magneti Marelli gemeinsam mit Fiat entwickelten magnetischen Einspritzdüsen mit der Einspritztechnologie von Siemens VDO. Die elektronische Steuereinheit wird von Magneti Marelli allein entwickelt. • Schutz des Intellectual Property: Für beide Parteien wurden im Rahmen von Verträgen sehr hohe Austrittsbarrieren geschaffen. Das Intellectual Property beider Parteien ist somit gesichert – dies ist i. d. R. der kritischste Punkt bei derartigen Kooperationen. Eine wesentliche Herausforderung der Kooperation von Siemens VDO und Magneti Marelli besteht in dem sich teilweise überlappenden Kundenportfolio
350
für das gleiche Produkt sowie im nur eingeschränkt möglichen Zugriff auf die Ressourcen der einzelnen Partner.
Enge Kooperation mit Kapitalverflechtung zwischen Hersteller und Zulieferern: Die japanischen Keiretsus Im europäischen und amerikanischen Markt sind Kapitalbeteiligungen zwischen Herstellern und Zulieferern eher die Ausnahme – von einigen historisch bedingten Beziehungen wie Faurecia/PSA oder Magneti Marelli/Fiat einmal abgesehen. In Japan hingegen sind die engen Verflechtungen zwischen Fahrzeugherstellern und Zulieferern – „Keiretsu“ genannt – seit vielen Jahrzehnten ein Kernelement der automobilen Wertschöpfungskette. So zum Beispiel bei Toyota: Insgesamt gehören dem über gegenseitige Kapitalverflechtungen und langjährige Geschäftsbeziehungen zusammengehaltenen Netzwerk 822 einzelne Zulieferer an. Die vier wichtigsten sind dabei Denso, Aisin Seiki, Aisin AW und Toyota Industries. Zwischen diesen Unternehmen werden häufig auch Joint Ventures gegründet, wie beispielsweise Advics (Sumitomo, Denso und Aisin Seiki), FTS (Toyoda Gosei und Horie Metal) oder Favess (Koyo Seiko, Toyoda Machine Works und Denso). Sie begleiten Toyota auch beim Aufbau neuer Werke, wie zum Beispiel Denso, Aisin Seiki und Aisan Industries im Falle des neuen Toyota/PSA-Werkes im tschechischen Kolin. Neben der gegenseitigen Kapitalverflechtung sind die Keiretsus noch durch zwei weitere wesentliche Faktoren geprägt: • Partnerschaftliche Kooperation: Die Zusammenarbeit im Keiretsu zeichnet sich durch eine Kultur des Vertrauens und des voneinander Lernens aus. Toyota, Honda oder Nissan helfen beispielsweise ihren Zulieferern, sich durch Einführung und Perfektionierung effizienter Produktionssysteme permanent zu verbessern. Ist der Zulieferer bereit für diese enge Zusammenarbeit, so kann er sich im Gegenzug i. d. R. auch sicher sein, langfristig Partner zu bleiben – die Wahrscheinlichkeit, Nachfolgeaufträge zu bekommen, liegt bei annähernd 100%. • Enge Planungskoordination: Die Unternehmen im Keiretsu stimmen ihre Planungen sehr eng ab. Dies gilt sowohl für die eher
5 Vernetzte Produktion
langfristige Technologie- und Investitionsplanung als auch für eher kurzfristige Änderungen in der Volumenplanung. Einziger Nachteil dieses Systems war in der Vergangenheit der fehlende oder zumindest beschränkte Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen. Deshalb haben die Hersteller in den letzten Jahren intensiv am Umbau der traditionellen KeiretsuStrukturen gearbeitet.
Enge Kooperation ohne Kapitalverflechtung zwischen Hersteller und Zulieferern: Das Beispiel Toyota Im Zuge seiner Internationalisierung hat sich Toyota in den vergangenen Jahren nichtjapanischen Zulieferern gegenüber deutlich geöffnet und es dabei geschafft, die kooperative Art der Zusammenarbeit aus den Keiretsus auf den Umgang mit diesen neuen Zulieferern zu übertragen. Dies kommt in Befragungen der Zulieferer über ihre Zufriedenheit mit den Herstellern zum Ausdruck, in denen Toyota regelmäßig auf Platz eins landet. Die Ansprüche von Toyota gegenüber seinen Zulieferern sind hoch. Die Qualitätsstandards suchen in der Automobilindustrie ihresgleichen. Auch auf der Kostenseite kommt es nicht selten vor, dass ToyotaEinkäufer ihren Zulieferern erklären, dass ein bestimmtes Teil in der nächsten Generation 30% weniger kosten muss. Doch im Gegensatz zu anderen Herstellern ist Toyota davon überzeugt, diese Ziele nur über sehr enge Kooperation mit den Zulieferern verwirklichen zu können. Mit anderen Worten: Toyota setzt nicht nur Ziele, sondern hilft seinen Zulieferern auch, diese zu erreichen. Dies geschieht über vier wesentliche Instrumente: • Gegenseitiges Verständnis: Toyota bemüht sich, das Geschäft seiner Zulieferer annähernd so gut zu verstehen wie diese selbst. Führungskräfte aller Ebenen besuchen hierzu regelmäßig Toyota-Zulieferer. Zusätzlich wird die Leistung der Zulieferer über ein umfangreiches Controlling-System permanent verfolgt und analysiert. • Intensive Schulung: Innerhalb der Einkaufsabteilung hat Toyota eine Gruppe namens SPM (Supplier Production Ma-
5.3 Herausforderung der globalen Wertschöpfung am Beispiel der Automobilindustrie
nagement) etabliert. Diese hilft den Zulieferern aktiv bei der laufenden Perfektionierung ihres Produktionssystems (Kaizen). • Permanente technische Unterstützung: Jedem Zulieferer ist eine Reihe von ToyotaIngenieuren fest zugeordnet. Ziel ist es, Probleme zu beheben, bevor sie überhaupt auftauchen. Sollten dennoch Probleme zu Tage treten, beispielsweise bei Neuanläufen, wird die Unterstützungsmannschaft sofort verstärkt. • Multilateraler Best-Practice-Austausch: Toyota organisiert regelmäßige Treffen und Konferenzen zum systematischen Best-PracticeAustausch zwischen seinen Zulieferern. Diese Art der Kooperation von Hersteller und Zulieferer ist ein wesentlicher Grund für den Aufstieg Toyotas zum erfolgreichsten Automobilhersteller der Welt.
Joint Ventures zwischen Herstellern – Das Beispiel TPCA (Toyota Peugeot Citroën Automobile) Nach Ende der „Mergermania“ unter den Fahrzeugherstellern gewinnen auf einzelne Projekte bezogene Kooperationen – sei es im Motorenbau oder in der Fahrzeugmontage – wieder stärker an Bedeutung. Ein gutes – weil sehr aktuelles – Beispiel ist die Kleinwagenkooperation zwischen PSA und Toyota. 2002 entschlossen sich Toyota und PSA, im tschechischen Kolín ein Werk für die Fertigung der drei auf einer gemeinsamen Plattform entwickelten Modelle Peugeot 107, Toyota Aygo und Citroën C1 zu errichten. Das Werk ist auf eine Stückzahl von 300 000 Einheiten ausgelegt, Produktionsstart war Anfang 2005. Das Projekt ist durch drei wesentliche Faktoren gekennzeichnet: • Homogene Zielsetzungen der Partner: Toyota und PSA wollen in Kolín kleine, moderne, technologisch interessante und qualitativ hochwertige Fahrzeuge zu einem niedrigeren Preis für den europäischen Markt fertigen. • Aufgabenverteilung gemäß Kernkompetenzen: PSA ist angesichts seiner guten Kenntnis des europäischen Zulieferermarktes sowie der ausgereiften Dieseltechnologie für die Bereiche Einkauf und Dieselmotoren zuständig. Toyota dagegen steuert sein Toyota Production System bei und ist gleichzeitig verantwortlich für Benzinmotoren.
351
• Eindeutige und faire Spielregeln: Die Entwicklungskosten wurden von beiden Parteien anteilig übernommen. Die Investitionen ins Werk dagegen werden nach produzierten Stückzahlen auf die drei Marken verrechnet. Noch bleibt abzuwarten, welche Leistung das Joint Venture auf Dauer erbringt. Nach heutigem Stand jedoch sind die Erwartungen eindeutig positiv.
Kooperationen zwischen Fahrzeugherstellern – Das Beispiel DaimlerChrysler, GM und BMW Ende 2004 haben DaimlerChrysler und GM angekündigt, gemeinsam die Entwicklung eines „Two mode“ Hybridantriebs vorantreiben zu wollen. Im September 2005 hat sich auch BMW dieser Allianz angeschlossen. Noch ist offen, ob die Kooperation von größerem Erfolg gekennzeichnet sein wird als etwa die 1999 von DaimlerChrysler, GM und Ford gemeinsam gegründete elektronische Einkaufsplattform Covisint. Damals hatte die ganze Automobilindustrie große Erwartungen in Covisint gesetzt, die sich dann aufgrund technischer Probleme, Managementfehlern sowie Uneinigkeit zwischen den beteiligten Automobilherstellern nicht erfüllten. 2003 trennten sich die Gründungsunternehmen von ihren Beteiligungen am Marktplatz. Doch im Falle der Hybrid-Kooperation stehen die Chancen nicht schlecht, denn das Vorhaben erfüllt einige zentrale Voraussetzungen für erfolgreiche Kooperationen: • Handlungsdruck und Win-win-Situation: Die drei Hersteller eint ein großes Problem: In der sich immer stärker durchsetzenden HybridTechnologie haben sie den Anschluss an die japanischen Konkurrenten Toyota und Honda verloren. Während Fahrzeuge wie der Toyota Prius von Absatzrekord zu Absatzrekord eilen, haben weder GM noch DaimlerChrysler oder BMW einen serienreifen Hybridantrieb im Angebot – in Zeiten dramatisch steigender Spritpreise und immer strengerer Umweltvorschriften eine echte Gefahr. Durch die Kooperation werden nicht nur die Entwicklungskosten für die einzelnen Partner reduziert – viel wichtiger noch ist der zu erwartende Zeitgewinn. So planten DaimlerChrysler und GM, die neue Technologie bereits 2007 in Fahrzeugen
352
wie dem Chevrolet Tahoe, dem GMC Yukon oder dem Dodge Durango auf dem nordamerikanischen Markt einzusetzen. • Klare Aufgabenteilung: Alle Parteien bringen ihre derzeitigen Forschungsstände im Bereich Hybridantrieb in die Kooperation ein. Ziel ist es, gemeinsam ein modulares Gesamtsystem zu entwickeln. DaimlerChrysler wird dabei die Entwicklung heckgetriebener Hybridsysteme für Limousinen anführen, während GM die Entwicklung für Frontantrieb-, Allrad- und Geländefahrzeuge leitet. Den Einsatz und die Integration des Antriebsmoduls in die Modellpalette übernimmt anschließend jedes Unternehmen in Eigenregie. • Klare vertragliche Vereinbarung: Im Rahmen vertraglicher Regelungen wurde das eingebrachte Know-how klar fixiert, z. B. die zehnjährige Erfahrung von Mercedes-Benz und DaimlerChrysler sowie das Know-how und die Prototypen von GM.
5.3.4.2 Intensivere Kooperationen werden in der Automobilindustrie erforderlich – Die Ausgestaltung ist abhängig vom Geschäftsmodell Nur über intensivere Kooperation werden Hersteller und Zulieferer neue Effizienzsteigerungspotenziale in der automobilen Wertschöpfungskette realisieren können. Kooperationen zwischen Zulieferern ermöglichen die Erschließung neuer Marktsegmente auf Produktebene und auf regionaler Ebene. Bessere Kooperation zwischen Herstellern und Zulieferern hilft Letzteren, ihre Aktivitäten noch genauer an denen ihrer Kunden auszurichten und so beispielsweise den Aufbau von Leerkapazitäten zu verhindern. Kooperationen zwischen Herstellern wiederum reduzieren in Zeiten sich immer schneller wandelnder Märkte das Investitionsrisiko aller Beteiligten. Dennoch – und dies zeigen zahlreiche weniger erfolgreiche Beispiele – sind einige allgemein gültige Spielregeln zu beachten: • klare Zielsetzung für das gemeinsame Vorhaben, • homogene Unternehmenskulturen und Fit der handelnden Personen, • klare und kompetenzorientierte Aufgabenverteilung,
5 Vernetzte Produktion
• faire Verteilung der Chancen und Risiken, • klare und vertraglich festgeschriebene Regeln zur Konfliktlösung. Alle diese Punkte sind bereits bei der Konzeption der Kooperation zu bedenken und müssen entsprechend im Vertragswerk verankert werden.
5.3.5 Fazit – Drei zentrale Stellhebel sind Voraussetzung für eine operative Exzellenz für alle Beteiligten der automobilen Wertschöpfungskette In Zeiten steigenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks müssen die Automobilhersteller und ihre Zulieferer mehr denn je nach operativer Exzellenz streben – ansonsten werden sie vom Markt verschwinden. Dies hat unsere Untersuchung zahlreicher erfolgreicher und weniger erfolgreicher Unternehmen über die letzten Jahre ergeben. Nur wem es gelingt, seine zukünftigen Kernkompetenzen marktgerecht festzulegen und seine Standort-Netzwerke kostenoptimal zu gestalten, wird überlebensfähig sein. Der wesentliche Schlüssel zur Bewältigung dieser Aufgaben ist ein Mehr an bewusst gestalteter Kooperation.
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing Unter Global Sourcing ist die bewusste Ausrichtung der Beschaffungspolitik eines Unternehmens an den internationalen Beschaffungsmärkten und die damit einhergehende weltweite Optimierung der Versorgung mit Waren und Dienstleistungen zu verstehen. Die zunehmende weltwirtschaftliche Verflechtung macht eine Beschäftigung mit Global Sourcing auch für den Mittelstand zu einer Erfolgsvoraussetzung. Im Folgenden werden daher die Bedeutung eines internationalen Einkaufs, seine strategische Konzeption, wesentliche Voraussetzungen sowie Möglichkeiten der Implementierung vorgestellt. Dabei wird speziell auf LowCost Country Sourcing als wesentlichen Teilbereich des Global Sourcing eingegangen.
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing
5.4.1 Bedeutung von Global Sourcing Deutsche Unternehmen aller Größenordnungen haben in den vergangenen Jahren die Internationalisierung ihrer Wertschöpfung deutlich intensiviert. Zahlreiche Rückschläge, unerfüllte Erwartungen der Globalisierung sowie die weiter steigende Wettbewerbsintensität erfordern jedoch nach wie vor eine permanente Überprüfung des Beschaffungsverhaltens im Hinblick auf Global Sourcing. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern hat dazu geführt, dass auch Hightech Produkte – einst Domäne westlicher Industrieländer – in ähnlicher Qualität in Fernost oder Südamerika gefertigt werden. Daraus resultieren drei Arten von Konsequenzen. Erstens erschließen sich dadurch völlig neue Beschaffungsquellen bei Vorprodukten, sodass die Auswahlmöglichkeiten in technologischer und qualitativer Hinsicht steigen. Entsprechend können etwa neue Marktsegmente in Form von Kundengruppen oder regionalen Märkten erschlossen oder bestehende Kundenbedürfnisse besser gedeckt werden. Zweitens weisen diese Produkte aufgrund regionaler Kostenvorteile häufig ein außerordentlich attraktives Preis-/Leistungs-Verhältnis auf. Sobald der erste Hersteller auf solch kostenmäßig überlegene Vorprodukte zurückgreift, geraten alle direkten Wettbewerber in Zugzwang. Die zunehmende Transparenz am Beschaffungsmarkt und die Vereinfachung der internationalen Beschaffung durch Internet und EU-Osterweiterung verstärken diesen Kostendruck. Die dritte und für die kommenden Jahre entscheidende Konsequenz liegt jedoch darin, dass Unternehmen aus Schwellenländern, insbesondere China und Indien, mit Endprodukten in den europäischen Markt drängen. Begünstigt wird dieser Trend durch die Übernahme westlicher Firmen, wodurch sich diese Unternehmen den Zugriff auf fehlendes technisches Know-how, Vertriebskanäle oder Marken sichern. Für europäische Hersteller entspricht dies einer erheblichen zusätzlichen Verschärfung des Wettbewerbs. Das Einkaufs- und Beschaffungsmanagement wird somit zu einem wesentlichen strategischen Hebel für Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherung, zumal der Materialkostenanteil, der in vielen Branchen bereits jetzt über 50% der Herstellkosten ausmacht, aufgrund der Verringerung der Wertschöpfungstiefe weiter steigen wird. Eine wirkliche Optimierung muss in
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der beschriebenen Konstellation im globalen Rahmen erfolgen. Für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet dies die Notwendigkeit, einkaufsseitig die Möglichkeiten der Globalisierung zu prüfen. Für Großunternehmen mit weltweiten Produktionsstandorten und etablierten Aktivitäten am internationalen Beschaffungsmarkt besteht die Herausforderung neben einer Professionalisierung des Global Sourcing v. a. im Aufbau einer weltweiten Einkaufsorganisation.
5.4.2 Strategisches Konzept des Global Sourcing Ausgangspunkt für eine strategische Konzeption von Global Sourcing ist die Klärung der unternehmensspezifischen Ziele im Einkauf. Darauf aufbauend können mit der Wahl von Produktportfolio, Beschaffungsmärkten sowie Lieferanten die entscheidenden Gestaltungsparameter des internationalen Einkaufs definiert werden. Die konkrete Gestaltung eines Low-Cost Country Sourcing rundet die konzeptionellen Ausführungen ab.
5.4.2.1 Ziele des Global Sourcing Ziel der Internationalisierung des Einkaufs ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Sie konkretisiert sich in Kosten-, Technik- und Marktzielen. Wichtigste Triebfeder des Global Sourcing ist im Regelfall das Ausnutzen länderspezifischer Unterschiede im Herstellkostenniveau. Immense Kostenunterschiede bestehen international bei Lohn- und Lohnnebenkosten, Inputfaktoren wie Material, Energie und Dienstleistungen sowie staatlichen Abgaben. Wesentlich bei der Kostenbetrachtung ist jedoch immer eine Lebenszyklus- oder Total-Cost-Betrachtung, d. h. einmalige wie laufende Kosten des internationalen Einkaufs (etwa erschwerte Auswahl und Qualifizierung des Lieferanten, erhöhte Kontroll-, Transportund Reisekosten) müssen im Entscheidungskalkül berücksichtigt werden. In technischer Hinsicht schrumpft der Vorsprung deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt, sodass in vielen Branchen die Möglichkeit besteht, die Produkt-
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und Prozesstechnologien internationaler Zulieferer zu nutzen. Nur mit Global Sourcing kann zudem sichergestellt werden, frühzeitig über Innovationen auf dem Weltmarkt – als Chance auf der Einkaufs- oder als Bedrohung auf der Absatzseite – informiert zu sein; dem Einkauf kommt also gleichzeitig die Funktion eines „Frühwarnsystems“ zu. Auf Marktseite trägt globaler Einkauf entscheidend zu einer wesentlich fundierteren Kenntnis aktueller oder potenzieller Absatzmärkte bei. So können gerade bei Konsumgütern regionale Präferenzen v. a. anderer Kulturregionen in der Produktgestaltung berücksichtigt werden und bei Investitionsgütern kann das berüchtigte deutsche Overengineering verhindert werden – beides häufig Grundvoraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit auf ausländischen Märkten. LocalContent-Anforderungen, d. h. staatliche Reglementierungen zur Erbringung eines bestimmten Teils der Wertschöpfung im eigenen Land, sind ein weiterer wichtiger Grund für die Internationalisierung des Einkaufs. Die unternehmensspezifische Gewichtung der genannten Ziele hat wesentlichen Einfluss auf die konzeptionelle Gestaltung des Global Sourcing.
5.4.2.2 Gestaltungsoptionen des Global Sourcing Die Konkretisierung der drei Parameter Warengruppen- bzw. Produktportfolio, Beschaffungsländer sowie Lieferanten verläuft je nach Schwerpunkt der einkäuferischen Zielsetzung in unterschiedlicher Reihenfolge, nach einer Grobselektionen bzgl. des Basisparameters jedoch simultan. Beim Parameter Warengruppe sind neben generellen Einkaufsgrundsätzen (restriktive Fremdvergabe solcher Vorprodukte, die Kernkompetenzen oder Differenzierungskriterien darstellen bzw. know-howkritisch sind) gewisse Spezifika zu beachten. So sollten weder Teile, die für die Funktionsfähigkeit des Endprodukts entscheidend sind, noch solche, bei denen eine Just-in-Time-Anlieferung produktionstechnisch sinnvoll ist, ausschließlich global zugekauft werden. Ferner gilt: Je komplexer ein Produkt und je kritischer, enger und vertrauensvoller die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten erfolgen muss (Stichwort Modular Sourcing), desto schwieriger gestaltet sich – in Abhängigkeit von Lieferant und Herkunftsland – ein Global Sourcing. Umgekehrt eignen sich Produkte
5 Vernetzte Produktion
umso besser für internationalen Einkauf, die auf dem Weltmarkt standardisiert erhältlich sind, bei denen der Preis eine wichtige Rolle spielt und bei denen Bedarfsmenge und -zeitpunkt gut prognostizierbar sind (Stichwort Element Sourcing). Faktoren wie Transportierbarkeit und relative Höhe der Transportkosten spielen zusätzlich eine Rolle. Die in Frage kommenden Regionen oder Länder hängen primär von Branchensituation und unternehmerischen Zielen ab. Je härter der Wettbewerb, je wichtiger Kostenziele für das Unternehmen und je arbeitsintensiver das zu sourcende Vorprodukt, desto eher wird Global Sourcing zum reinen Low-Cost Country Sourcing. Dabei ist zu beachten, dass die Länder mit den größten Kostenvorteilen aufgrund des raschen wirtschaftlichen Aufschwungs in immer kürzeren Zyklen wechseln – rein auf Kostenbasis muss die Vorteilhaftigkeit einer einmal gewählten Bezugsregion also laufend überprüft werden. Für know-howintensive oder qualitativ sehr hochwertige Vorprodukte muss sich die Global Sourcing-Strategie dagegen an Ländern ausrichten, in denen entsprechende Wettbewerbsvorteile auf Know-how-Seite bestehen, die Ressourcen- und Ausbildungssituation gut ist oder bzgl. der Herstellung der benötigten Güter eine entsprechende Tradition besteht. Der entscheidende Parameter ist jedoch der Lieferant. Dabei erschweren die hohe Anzahl potenzieller Lieferanten sowie die erforderliche Informationsgewinnung eine Lieferantenbewertung und -selektion im internationalen Kontext. Lieferantenzertifizierungen, insbesondere nach den international gültigen ISONormen, können zwar bei der Grobselektion Hilfestellung leisten. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass durch diese Normen das QualitätsmanagementSystem des Unternehmens bewertet wird (nicht die Qualität der Produkte) und v. a. aufgrund von Interpretationsspielräumen sowie Zertifizierbarkeit nur von Teilbereichen des Unternehmens eine Gleichwertigkeit der Zertifikate nicht gewährleistet ist. Namhafte Referenzen internationaler Geschäftsbeziehungen können i. d. R. zuverlässig als Erstindikator herangezogen werden. In jedem Fall müssen die potenziellen Lieferanten anhand von Faktoren wie beherrschte Prozesstechnologien, Innovationsfähigkeit, Flexibilität sowie Mitarbeiterqualifikation individuell überprüft werden. Die optimale Anzahl an Lieferanten je global zu beschaffendem Produkt ergibt sich aus dem Spannungs-
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing
Zielpriorisierung
• Kostenziele – Senkung Einstandskosten – Optimierung Lebenszykluskosten
– Optimales Produktportfolio – Optimale Anzahl Lieferanten je Produkt – Optimale geographische Streuung der Lieferanten
Produkte
– Nutzung internationaler Innovationen
– Regionale Anpassung des Leistungsportfolios
• Produkt -Land -Lieferanten Mix
• Standardisiert • Preis wichtig • Bedarf prognostizierbar
– Nutzung internationales Know-how
– Kennen lernen potenzieller Absatzmärkte
Global SourcingStrategie
Optionenauswahl
• Technikziele
• Marktziele
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Simultane Auswahl Länder
Lieferanten
• Kostenvorteile • Know -how-Vorteile • Ressourcenvorteile
• Referenzen • Fähigkeiten • Ressourcen
Abb. 5.31 Ablaufschema zur Festlegung der Global Sourcing-Strategie
feld zwischen Risikominimierung (v. a. Versorgungsrisiko sowie opportunistisches Verhalten, daher Tendenz zu Multiple Sourcing) und Höhe des Steuerungsaufwandes (Abstimmungs- und Kontrollaufwand, daher Tendenz zu Single Sourcing). Pragmatisch sollte mit mehreren Lieferanten je Warengruppe eine Zusammenarbeit begonnen und sukzessive zu einem Dual Sourcing mit den beiden besten Lieferanten übergegangen werden. Die optimale geographische Streuung der Lieferanten ergibt sich analog je nach Risikofaktor der präferierten Beschaffungsregion (zusätzlich zum Währungsrisiko v. a. politische Risiken) (Abb. 5.31).
5.4.2.3 Spezifika des Low-Cost Country Sourcing Low-Cost Country Sourcing ist ein spezifischer Teilbereich des Global Sourcing mit unverwechselbaren Besonderheiten. Dabei steht die Nutzung von Lohnkostenvorteilen im Vordergrund. Von Praktikern werden heute Länder i. d. R. als Low-Cost Country bezeichnet, wenn der durchschnittliche Stundenlohn geringer als 10 USD ist. Es gibt jedoch noch einige weitere Besonderheiten: Besonderheit 1: Aufgrund der hohen Komplexität und geringen Transparenz steht beim Low-Cost Country Sourcing das tatsächliche Land im Vordergrund, welches eine hohe Wahrscheinlichkeit bietet, für die notwendigen Warengruppen eine Vielzahl an
potenziellen Lieferanten zur Verfügung zu stellen. Die einkäuferische „Eroberung“ von Low-Cost Countries erfolgt damit Land für Land, was erlaubt, die Beschaffungsmarktkenntnis warengruppenübergreifend aufzubauen. Oftmals wird die Nutzung dieses Landes als Beschaffungsmarkt auch organisatorisch durch das Aufsetzen eines lokalen Sourcing Offices unterstützt, da Transaktionen nur schwerlich per E-Mail, Fax oder Telefon abgewickelt werden können. Besonderheit 2: Die Rahmenbedingungen in den meisten Low-Cost Countries verändern sich sehr schnell. Ein Fast Mover-Effekt ist Voraussetzung, um an den Vorteilen partizipieren zu können. Ansonsten muss der Lohnkostenvorteil „erkauft“ werden, was die Potenziale reduziert. Entsprechend ist ein kontinuierliches Monitoring der Veränderungen aufzubauen. Besonderheit 3: Low-Cost Country Sourcing folgt i. d. R. nicht der Motivation, aktiv im jeweiligen Land am technologischen Fortschritt zu partizipieren, da dieser zumeist nicht die notwendige Attraktivität aufweist. Die Nutzung von reinen Lohnkostenvorteilen ist oftmals gepaart mit vertriebsseitigen Motivationsgründen, nämlich der Präsenz im Land und vorhandenen Local-Content-Vorschriften. Dieser „Lowtech“Eindruck muss im flankierenden Change Management Beachtung finden, insbesondere bei stark technologieorientierten Produkten oder Unternehmungen. Besonderheit 4: Neben der kurzfristigen Realisierung von Potenzialen mit bereits etablierten und exporterfahrenen Lieferanten in Low-Cost Countries kann
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ein weiterer Quantensprung nur durch Lieferantenentwicklung, oftmals gepaart mit einem Alleinnutzungsrecht, erreicht werden. Dies bedeutet, dass zusätzliche Kapazitäten aus allen Teilbereichen der Unternehmung auf diese Aufgabe allokiert werden müssen – gleichzeitig verspricht dies auch langfristigere Potenziale. Besonderheit 5: Die Erschließung von Low-Cost Countries bedarf höherer Startaufwendungen, zum einen durch die bereits oben angesprochenen Lieferantenentwicklungsaufwendungen, zum anderen durch die Schaffung der Markttransparenz, die sich bei Low-Cost Countries, auch durch die reduzierte Infrastruktur, schwerer gestaltet. Zusätzlich spielt die Berücksichtigung anderer Gepflogenheiten in der Geschäftswelt und der Rechtssysteme eine wichtige Rolle. In jedem Land gibt es zusätzlich weitere spezifische Besonderheiten, die berücksichtigt werden müssen. Dies können die Reise- oder Logistikinfrastruktur sein, hauptsächlich aber kulturelle Besonderheiten oder bestehende Vorurteile. So bedeutet ein „Ja“ in China nicht ein „Ja“ in westeuropäischem Sinne, in Russland muss man keineswegs „wodkatrinkfest“ sein. Aktuelle Studien zeigen, dass insbesondere die OEMs der Automobilindustrie in den nächsten Jahren das Thema Low-Cost Country Sourcing mit hoher Priorität weitertreiben. Dabei ist es notwendig, den oben angesprochen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Sicherlich bleibt aber für große Unternehmen immer noch die Möglichkeit, die Herausforderungen entlang der Supply Chain auf Zulieferer zu verlagern und diesen nahe zu legen, Produktionsstätten in LowCost Countries aufzubauen oder den Sourcinganteil aus diesen Ländern zu erhöhen.
5.4.3 Voraussetzungen eines Global Sourcing Eine erfolgreiche Einführung des Global Sourcing erfordert einen professionellen strategischen Einkauf. Darüber hinaus ist die Unterstützung durch das Top Management sowie durch Funktionalbereiche mit Schnittstellen zum Einkauf unabdingbar. Die dritte wesentliche Voraussetzung besteht in einem entsprechenden Risikomanagement.
5 Vernetzte Produktion
5.4.3.1 Professionalisierung des strategischen Einkaufs Um Global Sourcing erfolgreich einsetzen zu können, ist eine Professionalisierung des strategischen Einkaufs erforderlich, da die zu bewältigenden Aufgaben in globalem Kontext wesentlich komplexer sind und globale Einkaufsentscheidungen umfassendere Konsequenzen haben als inländische. Wesentliche Handlungsfelder sind Beschaffungsmarktforschung, Vertragsverhandlungen, Lieferantenmanagement sowie Einkaufscontrolling; weitere wichtige Aufgaben beinhalten die Mitwirkung an Wertanalysen und Kostenmanagement, Make-or-buy-Analysen sowie Produktentwicklung. Bei der Beschaffungsmarktforschung geht es um das Aufspüren potenzieller Bezugsquellen. Eine solche Markttransparenz bzgl. Lieferanten, Produktkonfigurationen und Qualitäten ist Grundvoraussetzung für fundierte Einkaufsentscheidungen. Bislang erstrecken sich Suche und Auswahl internationaler Lieferanten häufig auf das angrenzende Ausland oder beschränken sich auf solche Anbieter, die von sich aus aktiv den deutschen Absatzmarkt bearbeiten. Für ein Global Sourcing muss jedoch erheblicher Mehraufwand für Informationsgewinnung und Entscheidungsvorbereitung (z. B. Branchenrecherchen, internationale Messeund Lieferantenbesuche, Experteninterviews) getrieben werden. Hinsichtlich der Vertragsverhandlungen gehören Kenntnisse bzgl. internationalem Vertragsrecht, Mentalität und Verhandlungsgepflogenheiten im Herkunftsland des Lieferanten sowie das Beherrschen von Fachtermini in der Verhandlungssprache zu den Voraussetzungen. Das Lieferantenmanagement gliedert sich in das Management der Lieferantenbasis (u. a. Lieferantenbewertung und -kommunikation), Lieferantenentwicklung (u. a. Leistungslückenanalyse und -behebung) sowie Lieferantenintegration (u. a. Technologie- und Prozessintegration). Wie eine Studie von Roland Berger Strategy Consultants belegt, tun sich hier schon im nationalen Rahmen erhebliche strategische Lücken auf; ein einheitliches Lieferantenmanagement auf globaler Basis ist jedoch auch für viele Konzerne Zukunftsmusik. Ein funktionierendes Einkaufscontrolling schließlich bereitet die wesentlichen einkäuferischen Kennzahlen turnusgemäß auf und bildet die Basis zur Steue-
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing
rung der Einkaufsaktivitäten. Die zusätzliche Herausforderung beim Global Sourcing besteht im Abbilden der Dimension „globale Beschaffung“. Auf Basis aller mit der Internationalisierung des Einkaufs in Bezug stehenden Vollkosten (inkl. Kosten von Lieferverzögerungen, Transportschäden, Lieferantenbetreuung etc.) muss in Verbindung mit der Beschaffungsmarktforschung regelmäßig hinterfragt werden, ob die einmal gewählte Einkaufsstrategie (ProduktLand-Lieferanten-Mix) noch die Richtige ist. Eine Trennung dieser strategischen Einkaufsfunktionen von der rein operativen Bestellabwicklung ist schon aus pragmatischen Gründen erforderlich: Operativer Einkauf erfordert die enge Interaktion mit der Produktion; strategischer Einkauf, zumal im globalen Kontext, verlangt permanente Reisetätigkeit. Letztlich sind aber auch die Anforderungen des Global Sourcing an das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter signifikant höher, sodass in vielen Fällen eine gezielte Suche von Mitarbeitern mit entsprechendem Ausbildungs- und Erfahrungshintergrund unumgänglich ist.
5.4.3.2 Unterstützung durch das Top-Management und einkaufsnahe Funktionalbereiche Eine Entscheidung zur Einführung von Global Sourcing ist von großer Tragweite über den Funktionalbereich Einkauf hinaus, sodass sie nur vom TopManagement getroffen werden kann und eines Commitment der betroffenen einkaufsnahen Funktionalbereiche bedarf. Global Sourcing zieht zahlreiche Veränderungen in Funktionalbereichen wie Konstruktion, Disposition, Qualitätssicherung oder Logistik nach sich, weshalb sich die frühzeitige Bildung eines interdisziplinären Projektteams empfiehlt. Dabei müssen von Anfang an die Ziele der Internationalisierung des Einkaufs offen kommuniziert sowie ihre Bedeutung für das Top-Management demonstriert werden. Nur bei frühzeitiger und fortlaufender Information sowie Einbindung der Mitarbeiter in die Konzeptphase kann evtl. vorhandenen Ängsten bzgl. Veränderungen im Aufgabenumfang der Einkäufer oder bzgl. geänderter Qualifikationsanforderungen sensibel begegnet werden. Das Vertrauen der Belegschaft kann etwa dadurch erreicht werden, dass die mit internationalem Einkauf befassten Mitarbeiter von Beginn an
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die für ihre Arbeit notwendigen Entscheidungsspielräume und Befugnisse erhalten. Daneben ergeben sich durch den internationalen Einkauf gewisse Rahmenbedingungen und Restriktionen, aufgrund derer bisher als optimal erachtete Verfahrensweisen überdacht werden müssen. Da die betroffenen Regelungen z. T. langwierig und unter Mitarbeit von Know-how-Trägern und Entscheidern im Middle Management erarbeitet wurden, müssen TopManagement und Projektteam die nun erforderliche Anpassung der Verfahrensweisen entsprechend initiieren und überwachen. Wurde etwa bisher eine Lagerbestandsminimierung forciert, so kann es durch die Nutzung globaler Beschaffungsmärkte notwendig werden, Sicherheitsbestände anzulegen und die Abrufhäufigkeit zu verringern, um der größeren Vorlaufzeit, den erhöhten Transportrisiken sowie dem gestiegenen Frachtkostenanteil Rechnung zu tragen. Analog verhält es sich mit der in vielen Unternehmen entfallenen oder reduzierten Wareneingangsprüfung, die beim Global Sourcing in der Anfangsphase zwingend wieder eingeführt werden muss. Diese zusätzlich entstehenden laufenden Kosten müssen, wie bereits ausgeführt, beim Entscheidungskalkül zur Einführung eines globalen Einkaufs bereits einbezogen werden. Anhand dieses Beispiels wird die Notwendigkeit eines interdisziplinären Projektteams deutlich. Zunächst erleichtern sie die Abstimmung bei der Entscheidungsfindung zwischen den von Global Sourcing-Aktivitäten betroffenen Abteilungen. Sind die Anforderungen aller Bereiche bekannt, können Argumente simultan diskutiert und bewertet werden sowie letztlich Prioritäten gesetzt, Kompromisse gefunden bzw. das Konzernoptimum erarbeitet werden. Dabei können Schnittstellenprobleme unmittelbar aufgedeckt sowie Kommunikationsprobleme gelöst werden. Letztlich erhöht eine solche Projektarbeit naturgemäß die Akzeptanz der Nutzung internationaler Beschaffungsmärkte außerhalb der Einkaufsabteilung und steigert zudem die Motivation der Mitarbeiter, besonders im Einkauf. Schließlich muss das Top-Management die erforderlichen Anschubkosten als strategische Investition bewusst in Kauf nehmen. Lange bevor nämlich die – nicht zuletzt finanziellen – Vorteile des globalen Einkaufs wirksam werden, fallen erhebliche Vorleistungen für Lieferantensuche und -auswahl, Reisen zu Produktionsstandorten potenzieller Lieferanten sowie
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für Lieferantenqualifizierung an. Daneben müssen die Mitarbeiter im Einkauf durch Schulungen intensiv auf ihre Aufgaben beim Global Sourcing vorbereitet bzw. qualifizierte strategische Einkäufer eingestellt werden.
5.4.3.3 Einführung eines spezifischen Risikomanagements Global Sourcing birgt neben den aufgezeigten Vorteilen auch spezifische Risiken, die bei regionaler Beschaffung weniger ausgeprägt bzw. überhaupt nicht auftreten. Parallel zur Ausgestaltung des Global Sourcing ist daher ein entsprechendes Risikomanagement zu konzipieren, um die Risiken gering zu halten bzw. auszuschließen. Wesentliche Risiken bestehen in Leistungs- und Transportrisiken, politischen und währungsbezogenen Risiken sowie Know-how-Abfluss beim Einkauf von Zeichnungsteilen. Leistungs- und Transportrisiken bezeichnen Lieferausfälle oder Qualitätseinbußen, die von der Produktion bis zum Eintreffen der Ware beim Besteller auftreten können. Neben einer sorgfältigen Lieferantenauswahl und einer unternehmensspezifischen Lieferantenentwicklung und -zertifizierung lassen sich Qualitäts- und Ausfallrisiken in der Produktion am ehesten durch die Installation des Qualitätsmanagements des Auftraggebers beim Lieferanten vor Ort gewährleisten. Auftretende Minderqualitäten, Produktionsstillstände oder Probleme in der Materialversorgung werden so unmittelbar wahrgenommen oder lassen sich ggf. sogar antizipieren, etwa im Fall drohender Arbeitsniederlegungen, sodass zeitnah Gegenmaßnahmen eingeleitet oder alternative Bezugsquellen beauftragt werden können. Darüber hinaus lassen sich zusammen mit der Geschäftsleitung des Lieferanten ohne Zeitverzug Maßnahmen zur Beseitigung der Problemursachen vereinbaren. Politische Risiken können im Regelfall nur durch eine entsprechende Streuung der Bezugsregionen im Rahmen des Global Sourcing kompensiert werden. Steigende Risiken in einem Bezugsland sollten frühzeitig erkannt werden, sodass die Belieferung rechtzeitig auf andere Regionen umgestellt werden kann. Entsprechend hat der strategische Einkauf auch Faktoren wie politische Stabilität und Wechselkursentwicklungen zu überwachen. Währungsrisiken müssen dar-
5 Vernetzte Produktion
über hinaus für Einkauf und Vertrieb integriert betrachtet werden. Lassen sich die Transaktionen nicht in Euro oder stabilen Drittwährungen abwickeln, sollten Maßnahmen zur Absicherung von Währungsrisiken, etwa durch Devisentermingeschäfte, ergriffen werden. Als wesentliches Risiko gerade beim sog. China Sourcing gilt nach wie vor der Abfluss von Know-how beim Bezug von know-how-intensiven Zeichnungsteilen. Hier lassen sich Risiken bislang nur dadurch begrenzen, dass keine Zeichnungen und Technologien der aktuellen Technologiegeneration angefragt bzw. fremdvergeben werden.
5.4.4 Implementierung des Global Sourcing Für eine erfolgreiche Implementierung des Global Sourcing sind unternehmensübergreifende Einkaufskooperationen eine gute Möglichkeit für Know-howAufbau und Aufwandssenkung beim globalen Einkauf. In technischer Hinsicht bietet sich die Nutzung elektronischer Einkaufsplattformen an. Global aufgestellte Unternehmen mit internationalem Produktionsnetzwerk müssen eine globale Einkaufsorganisation implementieren.
5.4.4.1 Bildung von zwischenbetrieblichen Einkaufskooperationen Der Aufwand, der für umfangreiche Global SourcingAktivitäten betrieben werden muss, ist gerade für kleine und mittlere Unternehmen oftmals aus Kapazitätsgründen sowie finanziell nicht zu bewältigen. In kleinen Unternehmen besteht der Einkauf meist nur aus wenigen Mitarbeitern, welche i. d. R. nicht vom normalen Tagesgeschäft freigestellt werden können. Die mit einer internationalen Marktbearbeitung verbundenen intensiven strategischen Tätigkeiten sowie umfangreichen Reisen zu potenziellen Lieferanten stellen für solche Unternehmen deshalb häufig ein Problem dar. Aus diesen Gründen empfiehlt sich für sie die Bildung von Einkaufskooperationen, um auch ohne eigene kritische Größe in die Vorteile der Nutzung internationaler Beschaffungsmärkte zu gelangen. Dabei können sich die Unternehmen
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing
entweder gegenseitig Dienstleistungen erbringen oder aber eine gemeinsame Einkaufsorganisation gründen. Im Idealfall führt eine Einkaufskooperation einerseits zu Volumenbündelung der einzukaufenden Waren und damit zu Preisvorteilen, andererseits zu einer Aufteilung der Kosten des hierfür notwendigen Personal- und Verwaltungsaufbaus, etwa für Reisen und Übersetzungen. Insbesondere bei Lieferantenauswahl und -bewertung reduziert sich bei einer Aufteilung der Tätigkeiten auf zwei oder mehrere Unternehmen der Gesamtaufwand für den internationalen Einkauf je Unternehmen erheblich. Weiterhin können sich die Unternehmen einer Einkaufskooperation einen möglichen Versorgungsausfall durch gegenseitige Hilfestellung zumindest abmildern. Zudem können Einkaufskooperationen dazu dienen, das jeweils vorhandene Einkaufs- und Qualitäts-Know-how auszutauschen. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass auch das Eingehen einer Einkaufskooperation mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden sein kann. Insbesondere der Auswahl der Partnerunternehmen kommt eine entscheidende Rolle zu. Die beteiligten Unternehmen sollten eine ähnliche Bedarfsstruktur aufweisen, aber keine unmittelbaren Konkurrenten sein. Wichtig ist ferner eine grundsätzliche Übereinstimmung der mit der Internationalisierung verbundenen Ziele. Verfolgt eines der Unternehmen eine reine Kostensenkungsstrategie, während das Andere jedoch primär an qualitativ hochwertigen Produkten interessiert ist, werden sich unweigerlich Zielkonflikte bzgl. der potenziell in Frage kommenden Lieferanten ergeben. Auch an ein detailliertes gegenseitiges Kennen lernen von Produktprogramm und Zukaufteilen, Abgleich von Warengruppenschlüsseln sowie Abstimmung eines gemeinsamen Systems zur Lieferantenbewertung, insbesondere von Kriterien und deren Gewichtung, ist bei der Planung einer Kooperation zu denken. Wesentlich ist daher, dass letztlich für alle beteiligten Unternehmen eine win-win-Situation entsteht, bei der Vorteile und Kosten der Kooperation gleichmäßig verteilt sind. In der Praxis werden derartige internationale Einkaufskooperationen bisher allerdings noch relativ selten genutzt. Einen ersten Schritt des Sich-Öffnens stellen Workshops mit den Lieferanten oder der zeitlich begrenzte Austausch von Personal dar – eine oftmals unabdingbare Basis in Richtung Global Sourcing.
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5.4.4.2 Einsatz elektronischer Einkaufsplattformen Grundsätzlich kann sich E-Procurement im B2BKontext von der Information (Lieferantensuche, Vorabinformation etc.) über Interaktionen (Vorkonfiguration von Produkten, Ausschreibungen etc.) und Transaktionen (automatisierte Orderabwicklung, softwaregestützte Preisverhandlung etc.) bis hin zur Integration (Verzahnung von Bestellwesen mit Warenwirtschaftssystem und Logistiksystemen) über alle wesentlichen Phasen im Einkauf erstrecken. Externer Zugriff auf vertrauliche Daten via Extranet oder gar die vollständige elektronische Unterstützung bestehender Lieferketten sind derzeit noch die Ausnahme in den Geschäftsbeziehungen. Dennoch wird sich die Entwicklung in diese Richtung weiter fortsetzen. Global Sourcing kann durch die Nutzung elektronischer Hilfsmittel wesentlich forciert werden. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht – abhängig von den elektronisch zu unterstützenden Prozessschritten – von Suchmaschinen für Lieferanten-Webpages über elektronische Kataloge bis hin zu Marktplätzen und Auktionen. Während für operative Einkaufstätigkeiten (Bestellung, Lieferung, Rechnungsabwicklung) bereits seit mehreren Jahren insbesondere elektronische Kataloge sowie EDI-Lösungen verbreitet sind, steckt die Nutzung innovativer Tools für strategische Einkaufsprozesse (Lieferantensuche und -auswahl, Ausschreibung sowie Preisverhandlung inkl. Vertragsgestaltung) noch in der Anfangsphase. Welche Tools für den Einkauf welcher Warengruppen einsetzbar sind, wird nach einem Kriterienraster individuell für jedes Unternehmen ermittelt; Kriterien hierfür sind etwa die Komplexität der zu beschaffenden Güter, die Wettbewerbsintensität auf dem Lieferantenmarkt, das Einkaufsvolumen oder die Anzahl der getätigten Transaktionen. Ergebnis ist die unternehmensspezifische Matrix aus den wesentlichen Warengruppen und den jeweils für strategischen bzw. operativen Einkauf in Frage kommenden E-Procurement-Tools (Abb. 5.32). Da elektronische Marktplätze von der Lieferantensuche bis hin zur operativen Bestellung das Instrument mit den umfangreichsten Einsatzmöglichkeiten im Einkauf sind, soll im Folgenden auf die Nutzungsmöglichkeiten elektronischer Marktplätze im globalen Einkauf näher eingegangen werden. Neben speziellen Lieferantensuchmaschinen ergeben sich beim Einsatz elektronischer Marktplätze die
360
5 Vernetzte Produktion
Warengruppen (Auswahl) – – – – – –
Rohstoffe Energie Maschinen B üromaterial Travel …
Unternehmensspezifische Selektion von Tools je Warengruppe
Einsatz von E-Procurement-Tools im Warengruppen-Portfolio (Auswahl)
Beispiel Strategisch: -Auktion Operativ: - EDI/web EDI - Supplier Managed Inventory
Suchmaschinen Marktplätze Auktionen Katalogl ösungen EDI/web EDI Supplier Managed Inventory – …
Standardisierte Materialien Produktion • Kunststoffgranulat • Stoffe • Transport • ...
Strategische Produkte Produktion • Stahlteile • Gussteile • Kunststoffteile • ...
Indirekte Materialien/ Produkte • Energie • Travel • ….
Sonst. Produkte • IT • Telekommunikation • ...
Operativ: - EDI/web EDI - Supplier Managed Inventory
Einkaufsvolumen Strategisch: - Auktion - Marktplatz
– – – – – –
Strategisch: - Auktion - Tender für RFQ/RFP
Hoch
Strategisch: - Auktion - Marktplatz Operativ: - E-Katalog - Marktplatz
Operativ: - E-Katalog Niedrig Niedrig
Komplexität
Hoch
E-Procurement -Tools
Abb. 5.32 Festlegung der zu nutzenden E-Procurement-Tools je Warengruppe
besten Möglichkeiten, das Angebot ausländischer Lieferanten ohne größeren Aufwand kennen zu lernen und so eine erste Vorauswahl in Frage kommender Lieferanten vorzunehmen. Je nach Art des Marktplatzes können dabei zwei wesentliche Funktionen erfüllt werden: Einerseits kann eine große Anzahl von potenziellen Käufern und Verkäufern bei festgeschriebenen Preisen zusammengeführt werden (Aggregationsmechanismus), andererseits können Anbieter und Nachfrager auf der Basis spezifischer Anfragen gewünschte Mengen und Qualitäten live verhandeln, zumeist in Form einer Auktion (Matchingmechanismus). Eine grundsätzliche Unterscheidung betrifft daneben die Art der gehandelten Güter. Indirekte oder MRO-Güter (Maintenance, Repair, Operations) wie Büromaterial, Ersatzteile oder Flugtickets werden im Regelfall auf sog. horizontalen, d. h. branchenunabhängigen, Marktplätzen abgewickelt. Direkte oder Produktionsmaterialien werden dagegen weitgehend über vertikale, d. h. branchenbezogene, Marktplätze gehandelt. Die Einspareffekte für den Käufer liegen bei indirekten Gütern v. a. in einer Senkung der Prozesskosten, bei direkten Gütern in einer Senkung der Einstandspreise. Für die Nutzung internationaler Bezugsquellen sind im wesentlichen vertikale Marktplätze von Bedeutung, da hier von spezialisierten Anbietern die entscheidenden Inputfaktoren für eine qualitative oder preisliche Differenzierung bezogen werden können.
Nachdem in den vergangenen Jahren eine fast unüberschaubare Fülle an Marktplätzen entstanden ist, hat inzwischen eine Konsolidierungswelle unter den Start-ups eingesetzt. Bei den zeitversetzt von Großkonzernen als Käufer-Sites oder Verkäufer-Sites ins Leben gerufenen Marktplätzen ist hingegen der Trend zu beobachten, dass die Unternehmen ihre bisher eigenen Marktplätze zu großen vertikalen Marktplätzen zusammenführen, wodurch Transparenz und damit die strategische Einkaufsarbeit wesentlich verbessert werden. Welche Form des Marktplatzes sich langfristig durchsetzt, wird wesentlich von der Branche abhängen; bei Branchen mit fragmentierter Nachfrage (Beispiel Reifenindustrie) werden Verkäufer-Sites die besten Chancen eingeräumt, in der umgekehrten Konstellation (Beispiel Automobilbranche) entsprechend den Käufer-Sites. Sind sowohl Angebot als auch Nachfrage fragmentiert, haben langfristig neutrale oder intermediäre Marktplätze gute Voraussetzungen. Für die Internationalisierung des Einkaufs bietet sich insbesondere die Nutzung von branchenbezogenen Marktplätzen an. Zu beachten bleibt jedoch, dass derzeit neben wenigen – zumeist amerikanischen – internationalen Marktplätzen v. a. national geprägte Marktplätze in Deutschland dominieren; ob und in welchen Marktplätzen sich jemals eine wirklich global repräsentative Auswahl der Produkte einer Branche darstellen lässt, bleibt jedoch abzuwarten. Kurzbis mittelfristig dürften insbesondere für Unterneh-
5.4 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing
men auf der Suche nach kleinen Nischenanbietern die traditionellen Methoden der Beschaffungsmarktforschung für ein Global Sourcing nicht zur Disposition stehen; eine Vereinfachung kann sich bei kompetenter Nutzung der Marktplätze jedoch schon heute einstellen.
5.4.4.3 Aufbau einer globalen Einkaufsorganisation Global produzierende Unternehmen stehen im Unterschied zu nur national oder regional operierenden zusätzlich vor der Aufgabe, eine globale Einkaufsstrategie zu implementieren, d. h. Global Sourcing weltweit optimal nutzbar zu machen. Bei global verteilten Produktions- und damit zwangsläufig auch Einkaufsstandorten bedeutet dies, mit Hilfe einer global stringenten Einkaufsorganisation alle Einkaufsaktivitäten des Konzerns weltweit zu harmonisieren und zu optimieren. Besonders hoch ist die Brisanz dafür bei globalen Firmenakquisitionen oder Fusionen, deren Erfolg nicht zuletzt auf der Realisierung der abgeschätzten Fusionssynergien beruht. Ein erheblicher Teil davon entfällt regelmäßig auf eine Materialkostensenkung im Einkauf, die sich ohne strukturelle Optimierung von Ablauf- und Aufbauorganisation nicht bewerkstelligen lässt. Neben der Erschließung von Synergien ergeben sich bei der Globalisierung der Einkaufsorganisation eine Reihe weiterer wesentlicher Handlungsfelder für die Konzernführung. Grundvoraussetzung der globalen Funktionsfähigkeit der Einkaufsorganisation ist eine Vereinheitlichung der konzerninternen Kommunikation. Dazu zählt weltweite Informationstransparenz durch den Aufbau einer einheitlichen Informationsplattform ebenso wie die Einführung eines globalen Warengruppenschlüssels. Nur auf Basis eines solchen Schlüssels kann die weltweite Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erfolgen sowie das Management der Lieferantenbasis und ein globales Einkaufsreporting aufgesetzt werden. Wichtig ist weiterhin eine weltweite Abstimmung der wesentlichen Einkaufsstrategien je Warengruppe. Abhängig von Komplexität, strategischer Bedeutung sowie einkäuferischen Hebeln wird für jede Warengruppe definiert, ob sie global oder je Produktionsstandort lokal eingekauft wird. Globaler Einkauf
361
bedeutet die zentrale Durchführung aller strategischen Einkaufstätigkeiten für alle Bedarfsträger im Konzern durch einen global verantwortlichen Lead Buyer; die Local Buyer sind dabei für alle operativen Einkaufstätigkeiten der Warengruppe verantwortlich und unterstützen den Lead Buyer beim strategischen Einkauf. Festlegung eines lokalen Einkaufs für eine Warengruppe heißt demgegenüber, dass nicht nur der operative, sondern auch der strategische Einkauf dezentral von jeder Konzerneinheit selbständig durchgeführt wird. Ein umfangreiches Set an „Spielregeln“ in Form detaillierter Beschreibungen von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für Lead Buyer wie für Local Buyer sowie von Eskalationswegen im Konfliktfall muss zusätzlich erstellt werden. Ferner müssen weltweit Schnittstellenbeschreibungen zu den angrenzenden Funktionalbereichen wie Produktentwicklung, Produktion oder Logistik erarbeitet werden. Nur mit klaren Definitionen von Prozessen und Kompetenzen an den Schnittstellen kann sich der Einkauf frühzeitig in alle relevanten Wertschöpfungsprozesse integrieren und sein Know-how einbringen. Abhängig von der weltweiten Ausrichtung der Produktionsstrukturen sowie der Differenzierung in globalen und lokalen Einkauf ist auch hier der optimale Grad an weltweiter Einheitlichkeit und regionaler Heterogenität zu definieren. Ebenso muss das Lieferantenmanagement global harmonisiert und verankert werden. Bei Lieferanten, die alle Konzernstandorte bedienen können, muss die Einkaufsstrategie weltweit einheitlich praktiziert werden sowie die Kommunikation gegenüber dem Lieferanten abgestimmt erfolgen. Hierzu muss für die globalen Lieferanten je ein weltweit verantwortlicher Supplier Alliance Manager ernannt werden. Entscheidend ist daneben auch eine weltweite Lieferantenbewertung mit einheitlichen Kriterien und Formularen in der Konzernsprache; dadurch ist eine Vergleichbarkeit aller Lieferanten gewährleistet, die die Basis für die Festlegung der jeweiligen Lieferantenstrategie sowie für die wichtige Lieferantenentwicklung, etwa vom lokalen zum globalen Lieferanten, bildet. Schließlich muss abgestimmt werden, welche einkäuferischen Stabsfunktionen weltweit zentral angesiedelt werden. Insbesondere Aufgaben wie Datenmanagement, Kommunikation, Einkaufscontrolling sowie Lieferantenbewertung und -freigabe erfordern ei-
362
5 Vernetzte Produktion 1
Vereinheitlichung konzerninterner Kommunikation
2
• Einheitliche Kommunikationsplattform Globale Gestaltung der Stabsfunktionen im Einkauf 2)
• Weltweit harmonisierter Warengruppenschlüssel
• Weltweite Koordination und einheitliche Aufgabenerfüllung
6
Wesentliche Herausforderungen beim Aufbau einer globalen Einkaufsorganisation
• Festlegung globale vs. lokale Kompetenz je Aufgabe
Globales Lieferantenmanagement • Weltweit einheitliche Lieferantenbewertung und -entwicklung • Einheitliche Strategie und Kommunikation ggü. globalen Lieferanten • Benennung von Supplier Alliance Managern für globale Schlüssellieferanten
5
Schnittstellendefinitionzu angrenzenden Funktionalbereichen1)
• Definition von Prozessen und Kompetenzen an den Schnittstellen • Ziel: frühzeitige Integration des Einkaufs in die Wertschöpfung
Erschließung von Synergien • Definition Warengruppen- und Prozessverantwortung in den Produktlinien, Business Units, Regionen etc. • Weltweite Einführung von Einsparungserfassung und -controlling
Globale Einkaufsstrategie je Warengruppe
3
• Festlegung globaler vs. lokaler Einkauf je Warengruppe • Benennung der Lead Buyer und Local Buyer • Definition von Spielregeln
4
1) Z.B. Produktentwicklung, Produktion, Logistik, Qualitätssicherung 2) Z.B. Datenmanagement, Einkaufscontrolling, Lieferantenbewertung und -freigabe
Abb. 5.33 Handlungsfelder beim Aufbau einer globalen Einkaufsorganisation
ne global koordinierende Instanz, die auch bei der Implementierung unterstützend tätig wird. Auch hier muss das Zusammenspiel zwischen globalen und lokalen Einheiten definiert werden (für einen Gesamtüberblick über die beschriebenen Handlungsfelder vgl. Abb. 5.33). Je nach Größe und Komplexität der Organisation ist bei dem beschriebenen Aufbau einer globalen Einkaufsorganisation bis zur vollen Operationalität u. U. ein mehrjähriger Weg zu beschreiten. Die gewonnene Transparenz, Koordination und Professionalität des Einkaufs auf weltweit einheitlichem Niveau machen eine globale Organisation dennoch zu einem lohnenswerten Ziel; das weltweite Zusammenwachsen und die Förderung einer gemeinsamen Unternehmenskultur sind neben den Synergieeffekten gar nicht hoch genug einzuschätzen.
5.4.5 Ausblick Einem Schritt auf die internationalen Beschaffungsmärkte sollte immer eine längerfristige Betrachtungsperspektive zugrunde liegen. Während mit erheblichen Einmalaufwendungen zur Vorbereitung und Einführung von Global Sourcing gerechnet werden muss, werden die erzielbaren Kostensenkungseffekte erst
sukzessive ergebniswirksam, ein Break-even kann – in Abhängigkeit vom Einkaufsvolumen – i. d. R. frühestens im zweiten Jahr erreicht werden. Ein wichtiger Faktor ist gerade beim Einkauf know-how-intensiver Güter zudem ein vertrauensvoller und enger Kontakt zu Schlüsselmitarbeitern des Lieferanten. Nur mit solchen nicht zuletzt auf gemeinsamer persönlicher Basis gründenden geschäftlichen Beziehungen können letztlich Entwicklungspartnerschaften oder wertanalytische Programme zur gemeinsamen Kostensenkung angegangen werden, die wesentliche Bestandteile eines erfolgreichen Einkaufs darstellen – ein längerfristiges Denken wird sich also gegenüber einem Schielen auf kurzfristigen Erfolg auch am globalen Beschaffungsmarkt auszahlen. Wenn zudem die Geschäftsbeziehung auch für den Lieferanten strategische Bedeutung hat und die Veränderungen im Einkauf mit einer globalen Ausrichtung der Unternehmensstrategie und -kultur verbunden sind, stehen die Vorzeichen gut für ein gewinnbringendes Global Sourcing. Global Sourcing setzt also eine entsprechend positive und offene Einstellung gegenüber Veränderungen im Unternehmen sowie einen gewissen Idealismus voraus, kann dann aber zu einem wichtigen Baustein zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auch kleiner und mittlerer Unternehmen werden.
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie Unter dem Einfluss veränderter Wettbewerbsbedingungen vollzieht sich seit Jahren ein tief greifender Wandel in den Strukturen von Unternehmen: Waren Organisation und Führung bislang hierarchisch ausgerichtet, entsteht durch Dezentralisierung und Vernetzung der Unternehmen nun ein massiver Druck zur Anpassung. Hierbei gilt es, die wachsenden Koordinationsprobleme, die aus der Gleichzeitigkeit von Globalisierung, zunehmend komplexeren Produkten und kürzer werdenden Produktlebenszyklen resultieren, durch innovative und effiziente Organisations- und Steuerungskonzepte zu beherrschen. Wurden zu Beginn der Internationalisierungsbestrebungen hauptsächlich Vertriebsfunktionen ins Ausland verlagert, bezieht die Globalisierung von Unternehmen in den letzten Jahren verstärkt auch Forschung und Entwicklung mit ein. So können in vielen Branchen Tendenzen hin zu einer Dezentralisierung, zu polyzentrischen Strukturen und der Intensivierung der Zusammenarbeit in internen und externen Netzwerken (strategische Allianzen, Entwicklungskooperationen) beobachtet werden. Im Folgenden wird am Beispiel der Automobilhersteller gezeigt, welche Bedeutung die globale Produktentwicklung bereits heute besitzt und welche Anforderungen und Trends ein internationales Engagement zunehmend erfordern (s. Abschn. 5.5.1). Als Reaktion auf diese Trends zeichnen sich in der automobilen Produktentwicklung verschiedene Veränderungen ab und unterschiedliche Formen der Organisation weltweiter Produktentwicklungsaktivitäten sind vorstellbar (s. Abschn. 5.5.2). In diesem Zusammenhang hat vor allem ein Konzept an Relevanz gewonnen – das Lead Engineering (s. Abschn. 5.5.3). Anhand eines Praxisbeispiels wird verdeutlicht, wie dieses Konzept die Nutzung von Synergien und signifikante Einsparungen in der Praxis ermöglicht (s. Abschn. 5.5.4). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick (s. Abschn. 5.5.5).
363
5.5.1 Globale Produktentwicklung – Status und aktuelle Trends Den Unternehmen der Automobilindustrie stehen heutzutage Kunden gegenüber, die individualisierte, innovative und qualitativ hochwertige Produkte erwarten. Gleichzeitig sind die Unternehmen angehalten, ständig Kosten zu reduzieren und Rationalisierungsmaßnahmen durchzuführen. Dem Bereich der Produktentwicklung kommt damit eine hohe Bedeutung zu, unter anderem auch wegen der Auswirkungen auf andere Funktionsbereiche (z. B. auf Erfüllung der Kundenanforderungen im Vertrieb, auf Qualität sowie Garantie- und Kulanzkosten, auf Investitionen und Fertigungskosten in der Produktion). Auf Basis von in der Forschung erzielten Ergebnissen beinhaltet die Produktentwicklung die Gesamtheit der technischen, markt- und produktionsorientierten Tätigkeiten einer industriellen Unternehmung, die auf die Schaffung eines neuen oder verbesserten Produktes oder Verfahrens ausgerichtet sind. In der automobilen Produktentwicklung nahm hier in den letzten Jahren die bereits hohe Komplexität weiter zu, unter anderem aufgrund weltweit verteilter Entwicklungsstandorte. Zur Globalisierung ihrer Produktentwicklung werden Unternehmen angetrieben, international verstreutes technologisches Wissen zu nutzen, Kosten zu senken, die Reaktionsfähigkeit auf lokalen Märkten zu steigern, das Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften im Ausland zu erschließen sowie lokale Produktionseinheiten zu unterstützen. Rechtliche Restriktionen, wie Auflagen und lokale Zulieferer, können Auslöser dafür sein, Produktentwicklungsaktivitäten einzuschränken. Hinzu kommen Unternehmenszusammenschlüsse oder Akquisitionen von ausländischen Unternehmen mit Forschungs- und Entwicklungsstandorten sowie die Zusammenarbeit in globalen Allianzen, die zu einer Produktentwicklung an weltweit verteilten Standorten führen. Eine globale Produktentwicklung ist somit für viele Automobilhersteller längst Realität. Nach einer aktuellen Studie von Roland Berger Strategy Consultants arbeiten heute allein bei den OEMs (Original Equipment Manufacturer) etwa 190 000 Mitarbeiter an der Entwicklung der immer
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größer werdenden Anzahl von Fahrzeugmodellen. Nach wie vor besteht hierbei eine starke Konzentration auf die sog. Triade-Märkte: Fast 90% der Entwicklungsressourcen verteilen sich auf Nordamerika, Westeuropa und Japan. Wachstum ist jedoch vor allem für China und Indien bzw. generell für den Raum Asien-Pazifik zu erwarten, in geringerem Maße auch für Osteuropa. Dies bedeutet auch die weitere Zunahme der Globalisierung der Forschung und Entwicklung über die Triade-Märkte hinaus. Dabei werden die vorhandenen Ressourcen immer stärker gefordert. Existierten 1990 weltweit 315 Karosserie-Varianten, wird nach Berechnungen des Institutes Center Automotive Research (CAR) im Jahr 2006 die Zahl der Varianten vom sportlichen Cabriolet bis zur geländetauglichen Großraumlimousine auf 440 steigen. Für 2010 sind sogar 500 verschiedene Fahrzeugvarianten prognostiziert. Diese Fahrzeugvarianten werden zugleich in immer kürzeren Zyklen auf den Markt gebracht d. h., Time-to-Market wird in der Produktentwicklung weiter reduziert. Außerdem wird die Markteinführung selbst zunehmend synchronisiert, d. h. der zeitliche Versatz bei der Einführung eines Fahrzeugs in verschiedenen Märkten wird mehr und mehr verkürzt. Schließlich steigt die Bedeutung von globalen Allianzen: 2015 werden über 50% aller Fahrzeuge auf Plattformen basieren, die von zwei oder mehr Allianzpartnern geteilt werden. Dadurch wird die Komplexität der internationalen Produktentwicklung eines Unternehmens weiter erhöht. Gleichzeitig jedoch stagnieren die Entwicklungsbudgets, steigende Anforderungen müssen mit denselben Entwicklungsressourcen bewältigt werden. Für die Automobilhersteller wird es somit immer dringlicher, die eigene Entwicklungsarbeit und -organisation zu optimieren und einen Best-Practice-Ansatz umzusetzen. Eine effiziente und innovative Produktentwicklung wird zum zentralen Erfolgsfaktor, zeichnet sich doch als wesentliche Herausforderung für die nahe Zukunft ab, „mehr mit weniger“ erreichen und gleichzeitig unterschiedliche regionale Kundenerwartungen erfüllen zu müssen. Für die Automobilhersteller gilt es daher, • durch Modularisierung und geschickte Verwendung von Gleichteilen Variantenanzahl und Kosten zu reduzieren, • mithilfe innovativer und effizienter Organisationsund Steuerungskonzepte mit den gleichen Res-
5 Vernetzte Produktion
sourcen mehr Entwicklungsleistung zu erbringen, sowie • die Marktnähe der Entwicklung durch lokale Entwicklungszentren in den zukünftigen Wachstumsmärkten sicherzustellen.
5.5.2 Anpassung der globalen Produktentwicklung an veränderte Gegebenheiten Die dargestellten Veränderungen zwingen die Automobilbauer also dazu, ihre globalen Entwicklungszentren aufzuwerten und eng zu verzahnen. Ausgehend vom Modell einer im Heimatmarkt zentral angesiedelten Produktentwicklung existieren dabei verschiedene Ausbaustufen einer globalen Produktentwicklung. Die zunehmende Zusammenarbeit in internationalen Allianzen sowie weltweit verteilte Entwicklungs- und Produktionsstandorte infolge von Akquisitionen und Unternehmenszusammenschlüssen lassen dabei ohnehin den Begriff „Heimatmarkt“ schwinden. Die mit der Globalisierung verbundene länderübergreifend-integrierte Sichtweise bedingt, lokale Aktivitäten nicht weiter isoliert und autonom zu verstehen, sondern den gesamten Leistungserstellungsprozess aus einer länderübergreifenden Verbundperspektive zwischen geografisch getrennten Standorten zu betrachten. In der Automobilindustrie zeichnet sich deutlich ab, dass die weltweiten Entwicklungszentren der Automobilbauer in Zukunft in Form von integrierten, globalen Netzwerken zusammengeführt werden. Um Synergien zu erschließen und den lokalen Marktanforderungen gerecht zu werden, gilt es, im Hinblick auf das globale Produktportfolio das Gleichgewicht zwischen standardisierten, aber auch kundenindividuellen und länderspezifisch differenzierten Produkten zu finden („individualized standardization“). Da nur ein Teil der verwendeten Module und Komponenten eine imagebildende Wirkung auf den Kunden ausübt, ist es Aufgabe der Unternehmen, die Variantenvielfalt durch geschickte Gleichteilverwendung zu reduzieren bzw. durch gezielte Veränderung von Komponenten Kosten zu optimieren. Ein Teil der Komponenten kann dabei weltweit standardisiert entwickelt werden, während andere Komponenten wiederum regionenspezifisch und individuell entwickelt und an die lokalen Kundenan-
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie Heute: Koordinierte multinationale Entwicklung Region A
Region X
365
In der nächsten Dekade: Integrierte globale Entwicklungsnetzwerke
Region B
Region Y
Region A
Region X
Region B
Region Y
Global Commonization
• Gering/mittel Gering/mittel,,vor vorallem allemausgewählte ausgew ählte Plattformen und Komponenten
• Hoch, Hoch ,mit mitglobalen globalenPlattformen, Plattformen,Systemen/ Systemen/ Modulen, Komponenten, Technologien
Global Specialization
• Gering, Gering mit hohem Maß an Überschneidungen und Redundanzen im Netzwerk
• Mittel/hoch, nur ein Zentrum ist mit bestimmten Entwicklungsaufgaben betraut
Global Coordination
• Koordination der EntwicklungsaktiEntwicklungsakti vitäten, aber aber starke starke regionale regionale Autonomie Autonomie
Lead-Konzepte globaler • Lead -Konzeptemit mithohem hohemMaß Ma an ß an globaler Interaktion und geringerer regionaler Autonomie
Emerging Markets
• Vor allem Nachahmer mit begrenzten Entwicklungskompetenzen
• In bestimmten Kompetenzgebieten auf "Augenhöhe" mit der Zentrale
Abb. 5.34 Trend zu integrierten globalen Netzwerken
forderungen angepasst werden. Hierdurch steigen die Anforderungen sowohl an die Kompetenz einzelner Entwicklungszentren (insbesondere bei Einbeziehung von Entwicklungszentren in den Emerging Markets) als auch an die Koordination und Interaktion im Netzwerk. Die Spezialisierung innerhalb des Entwicklungsnetzwerkes ist dabei nicht auf einzelne Komponenten beschränkt, sondern kann auf allen Ebenen erfolgen, von Fahrzeugsegmenten über Plattformen bis hin zu Fertigungstechnologien und einzelnen Geschäftsprozessen. Wie die Beispiele zeigen, orientiert sich die Zuweisung der Verantwortung für einen bestimmten Spezialisierungsbereich an den jeweiligen Kernkompetenzen eines Entwicklungszentrums im Netzwerk. Daher kann auch die Frage nach der optimalen Integrationsform und Aufgabenverteilung innerhalb eines Entwicklungsnetzwerkes nur individuell beantwortet werden. So ist beispielsweise die Dezentralisierung einer umfangreicheren Entwicklungsaufgabe nur bei Verfügbarkeit von internationalen Entwicklungsstandorten mit den entsprechenden Kompetenzen möglich. Wird ein Standort im Ausland neu aufgebaut, so kann zunächst nicht davon ausgegangen werden, dass er auf „Augenhöhe“ mit dem Entwicklungszentrum im Heimatland die Führungsrolle für bestimmte Bereiche übernehmen kann. In diesem Fall übernimmt er nur in Form einer „Local antenna“ nachrangige Aufgaben an der Schnittstelle zum lokalen Vertrieb bzw. der Produktion im Auslandsmarkt.
Im nächsten Schritt bzw. bei höherer lokaler Entwicklungskompetenz kann eine Aufgabenteilung im Netzwerk so erfolgen, dass ein Fahrzeug zwar noch fast vollständig an einem anderen Entwicklungsstandort entwickelt wird, jedoch vor Ort Anpassungen an lokale Anforderungen vorgenommen werden. Dieses Organisationsmodell lässt sich als „Local satellite“ bezeichnen. Entwicklungsressourcen in Form der „Local antenna“ sowie des „Local satellite“ sind insbesondere für Automobilhersteller charakteristisch, die ihre Produktentwicklung fast vollständig im Heimatland konzentriert betreiben (z. B. Porsche, BMW). Für Automobilbauer, die historisch bedingt bereits größere Entwicklungsstandorte auf verschiedenen Kontinenten besitzen (z. B. Daimler) oder in Form einer globalen Allianz zusammenarbeiten (z. B. Renault-Nissan) gewinnen hingegen die Formen des „Integrated network hub“ und des „Global lead center“ an Bedeutung. Bei einem „Integrated network hub“ wird die grundlegende Architektur bzw. das Lead-Fahrzeug einer Fahrzeugfamilie im Heimatland oder den größeren Entwicklungsstandorten des Netzwerkes entwickelt. Den lokalen Netzwerkstandorten sind jedoch weitreichendere Modifikationen bis hin zur Entwicklung eines lokalen Derivates erlaubt. „Global lead center“ wiederum können als höchste Ausbaustufe der Globalisierung in der Hinsicht bezeichnet werden, dass hier der höchste Grad von Spezialisierung und gleichzeitiger Integration einzelner Standorte besteht. In diesem Organisationsmodell werden die Entwicklungsaufgaben entsprechend den
366
5 Vernetzte Produktion Beispiele
Spezialkompetenzen werden jeweils einem Zentrum im Netzwerk zugewiesen
Fahrzeugkategorien und -derivate -derivate
• SUVs in den USA • Rechtslenker -Versionen in Japan, Großbritannien oder Südafrika • Vorderradantrieb in Europa • Hinterradantrieb in den USA
Plattformen
• Geringwertige Komponenten (Zierleisten, Elektronik-Komponenten) in China • Karosserieanpassungen für schlechte Straßenverhältnisse in Südamerika
Komponenten, Systeme/Module
• Magnesiumgusskomponenten in Brasilien • Aluminiumgusskomponenten in Südafrika
Technologien und Werkstoffe
• Prototypenbau in Osteuropa • Software-Programmierung in Indien
Gesch äftsprozesse Geschäftsprozesse
Abb. 5.35 Spezialisierungsbereiche in einem integrierten globalen Entwicklungsnetzwerk
hoch
Integration und Kooperation der lokalen Entwicklungszentren
Globale Unternehmen und Allianzen
"Global "Global leadcenter" lead
"Integrated network hub" hub" Geozentrische Unternehmen "Local "Local satellite " satellite" "Local "Local antenna antenna""
niedrig niedrig
Kompetenz der lokalen Entwicklungszentren
hoch
Abb. 5.36 Integration und Kompetenz lokaler Entwicklungszentren
Kompetenzschwerpunkten eines Standortes innerhalb des Netzwerks verteilt. Einzelne Systeme und Module bis hin zu gesamten Fahrzeugen werden unter der Führung eines Standortes für das gesamte Netzwerk entwickelt. Um lokalen Marktanforderungen gerecht zu werden, greift ein „Global lead center“ dabei auch auf Ressourcen anderer Entwicklungszentren zu: So werden pro System oder Modul weltweit verteilte Entwicklungsteams gebildet, die von einem Entwicklungszentrum geleitet werden. Die Produktentwicklung ist in dem Sinne dezentralisiert, dass es keinen „Heimatstandort“ mehr gibt, der in Summe den größten Anteil oder die größte Kom-
petenz innerhalb des Entwicklungsnetzwerkes innehat. Gleichzeitig sind bei „Global lead centern“ die Anforderungen im Hinblick auf die Integration und Abstimmung zwischen den jeweiligen Entwicklungsstandorten am höchsten, da die einzelnen Systeme und Module aller weltweiten Lead-Standorte im Rahmen der Fahrzeug-Entstehungsprozesse zusammengeführt werden müssen. Um ein integriertes, globales Entwicklungsnetzwerk umsetzen zu können, müssen daher die Prozesse der Produktentwicklung sowie die internen Organisationsstrukturen der einzelnen Standorte global vereinheitlicht bzw. aufeinander abgestimmt werden.
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie
Dem versuchen die Automobilbauer zu entsprechen, indem sie die System- und Modulentwicklung von der Entwicklung einzelner Fahrzeuge entkoppeln sowie einzelne Prozessschritte frühzeitig parallel durchführen. Dieses sog. Konzept des „Frontloading“ mit einer Stärkung der frühen Phase der Produktentstehung ermöglicht ein hohes Produktwissen schon in der Definitionsphase und damit eine Verkürzung der Produktentwicklungszeiten. Wird der parallele Produktentwicklungsprozess jedoch nicht ausreichend organisiert, kann dies infolge der teuren und zeitaufwendigen Nacharbeit in nachgelagerten Aktivitäten zu einer bedeutenden Verschlechterung des Produktentwicklungsprozesses führen. Änderungskosten machen im Laufe des Entwicklungsprozesses im Industriedurchschnitt etwa 13% der gesamten Entwicklungskosten eines Fahrzeuges aus. Knowledge-Management und der Austausch von Informationen über die einzelnen Entwicklungsstandorte hinweg sind somit von entscheidender Bedeutung. Es gilt, alle relevanten Funktionalbereiche frühzeitig einzubinden. So lässt sich beispielsweise ein Großteil der Änderungskosten in späteren Phasen der Produktentstehung durch eine frühzeitige Einbindung der Produktion vermeiden. Zusammenfassend stehen die Automobilbauer beim Aufbau von integrierten, globalen Entwicklungsnetzwerken vor der Aufgabe, die Spezialisierung und Integration der Entwicklungszentren im Spektrum von „Local antenna“ bis zum „Global lead center“ weltweit aufeinander abzustimmen und in ein unternehmensspezifisch angepasstes Netzwerk zu überführen. Ein Konzept, das diese verschiedenen Elemente integriert und sich in der Unternehmenspraxis bewährt hat, ist das „Lead Engineering“, das im Folgenden detaillierter dargestellt werden soll.
367
ten befassen, auf verschiedene Standorte verteilt sind und potenzielle Synergien nicht genutzt werden können. Für diese Unternehmen besteht somit ein dringender Handlungsbedarf, ihre Organisations- und Führungsstrukturen in Richtung eines integrierten, globalen Entwicklungsnetzwerkes anzupassen. Für die Unternehmensführung sind hierbei zwei Fragen zentral: Wie lassen sich zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen oder Standorten bestehende Synergien in der Produktentwicklung erschließen und Einsparungen realisieren? Und wie lässt sich der Bedarf an standardisierten Komponenten mit spezifischen regionalen oder Markenanforderungen vereinbaren? Mit dem von Roland Berger Strategy Consultants entwickelten Konzept des Lead Engineering lassen sich globale Synergien nutzen, indem die Orientierung an Geschäftsbereiche oder Regionen durch eine Ausrichtung auf einzelne Module und Komponenten ergänzt wird. Die Realisierung der Synergien ergibt sich dabei aus dem Zusammenspiel von sechs wesentlichen Elementen:
Realisierung Realisierungvon vonSynergien Synergien 6
Globale Globale IT-Systeme IT-Systeme
4
5
Einheitliche Prozesse
2
Tools
Zielvereinbarungen und standardisierte Messgrößen Messgr ößen
Prozesse
Funktions übergreifende übergreifende Teams Teams
Organisation
3
Integrierte weltweite Organisation
1
Globale Strategien
Strategie
Abb. 5.37 Elemente des Lead-Engineering-Konzeptes
5.5.3.1 Globale Strategien
5.5.3 Lead Engineering – Konzept und Implementierung Das Konzept des Lead Engineering eignet sich besonders für Unternehmen, deren Produktentwicklung nach Geschäftsbereichen oder Regionen organisiert ist, sowie für Unternehmen, die in globalen Allianzen gemeinsam Produkte entwickeln. In diesen Fällen besteht oft das Problem, dass Entwicklungseinheiten, die sich mit ähnlichen Modulen und Komponen-
Grundlage für das Lead-Engineering-Konzept sind gemeinsame Produktstrategien über die verschiedenen Geschäftsbereiche und Standorte hinweg. Es gilt, für das gesuchte Gleichgewicht zwischen standardisierten, aber auch kundenindividuellen und länderspezifisch differenzierten Produkten Strategien nicht nur für Fahrzeugplattformen, sondern auch für einzelne Module und Komponenten zu entwickeln und aufeinander abzustimmen. Diese globalen Komponenten-Strategien werden einheitlich für das gesamte Entwicklungsnetzwerk erstellt und decken
368
u. a. Bereiche wie neue Technologien und relevante Markttrends sowie zukünftige Variantenanzahl und Kostenziele für einzelne Komponentengruppen ab. Wichtig ist das Gleichgewicht von kurzfristigen Einsparungszielen und langfristigen strategischen Zielen wie beispielsweise einer globalen Standardisierungsstrategie. Dabei werden auch Schnittstellen zu anderen Funktionsbereichen berücksichtigt, d. h. eine Komponenten-Strategie beinhaltet z. B. auch Aussagen zur Lieferantenstrategie und -auswahl sowie zu Produktionskonzepten. Zusätzlich muss bei der Definition einer Komponenten-Strategie fortwährend die Abstimmung mit allen relevanten Fahrzeugprojekten (bzw. deren Strategien im Hinblick auf Marke, Portfolio, Plattformkonzept etc.) erfolgen, da nur so die Akzeptanz der Komponenten-Strategien und die Standardisierung einzelner Komponenten über verschiedene Fahrzeuge hinweg ermöglicht werden kann.
5.5.3.2 Integrierte weltweite Organisation Um die Komponenten-Strategien global zu definieren und anschließend über die einzelnen Entwicklungsstandorte hinweg umzusetzen, bedarf es einer Anpassung der Organisationsstruktur des Entwicklungsnetzwerkes. Auf Basis gemeinsamer Systemarchitekturen sowie modularer Konstruktionskonzepte werden dazu die einzelnen Komponenten zu Systemen und Modulen in Form von sog. Lead Engineering Groups (LEG) zusammengefasst (z. B. „Bremssystem“ oder „Abgasanlage“). Dabei ist darauf zu achten, dass ein Abgleich mit den Produktstrukturen in anderen Bereichen erfolgt – als Beispiel ist hier vor allem die Commodity-Struktur im Einkauf zu nennen – um dem funktionsübergreifenden Ansatz des LeadEngineering-Konzeptes zu entsprechen. Im nächsten Schritt werden die Verantwortlichkeiten auf der Grundlage der gemeinsamen Produktstruktur in Form der Lead Engineering Groups entsprechend ausgerichtet. Pro LEG wird der Koordinationsgrad zwischen den verschiedenen Entwicklungsstandorten individuell festgelegt. Die für das Lead Engineering charakteristische Form des „Leadership“ wird fallweise durch das Mandat oder die lokale Unabhängigkeit ergänzt. Bei der Koordinationsform „Mandat“ übernimmt ein Geschäftsbereich die vollständige Verantwortung
5 Vernetzte Produktion
für eine LEG. Für die Produktentwicklung kann dies bedeuten, dass die gesamte Entwicklung und Prüfung bestimmter Technologien, Systeme oder Module in einem Entwicklungszentrum gebündelt werden. Diese Form des „Center of Competence“ ist die stärkste Ausprägung des Lead-Konzeptes: Hier wird für einzelne Komponenten die Produktentwicklung an einem Standort zentral zusammengefasst und es sind keine lokalen Entwickler anderer Standorte eingebunden. Diese Form der Koordination ist bei Komponenten zu empfehlen, die nicht entsprechend lokaler Anforderungen angepasst werden müssen. Beim „Leadership“ hingegen übernimmt ein Geschäftsbereich oder ein Standort die Verantwortung für eine bestimmte Lead Engineering Group. Ein „Lead Engineer“ ist für die Definition und Implementierung seiner Komponenten- bzw. LEG-Strategie verantwortlich und damit für den gesamten Lebenszyklus seiner Module und Komponenten – von der Konzeptauswahl über die Entwicklung bis hin zum Prüfen der Teile. „Local Engineers“ in den Regionen unterstützen die globalen Aktivitäten, indem sie beispielsweise ihre Kenntnis der lokalen Märkte einbringen. Sie übernehmen Entwicklungsaufgaben für einzelne Komponenten eines Moduls, die auf besondere regionale Anforderungen zugeschnitten sind. In dieser Koordinationsform wird sichergestellt, dass Synergien in der globalen Produktentwicklung genutzt, jedoch auch spezifische regionale oder Markenanforderungen berücksichtigt werden. Zusätzliche Vorteile ergeben sich, wenn weitere Funktionalbereiche in einer Lead-Struktur aufgestellt sind, z. B. der Einkauf. Die bei der Form des Leadership geschaffene „Spiegelorganisation“ über Standorte und Funktionsbereiche hinweg minimiert dann Reibungsverluste an den Schnittstellen und bildet die Grundlage für weltweit einheitliche oder gemeinsame Abläufe. Bei lokaler Verantwortung schließlich wird die Entwicklung ausschließlich von Local Engineers abgewickelt, nur Informationen und Best-Practice-Wissen werden ausgetauscht. Diese Koordinationsform ist die beste Wahl bei Modulen, die sehr spezifisch für einen bestimmten Markt entwickelt werden (z. B. Ländervarianten bzw. Sonderausstattungen) und bei denen kaum Potenzial durch globale Zusammenarbeit und Vereinheitlichung besteht.
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie Roland Berger "Lead-Konzept"
Herkömmliche Organisation
GB 1
GB 2
Stand-Stand ort 3
Stand-Stand ort 4
GB 1
Entwicklung
Entwicklung
Entwicklung
1
Entwicklung
369
2
3
GB 2
StandStand ort 3
Stand Stand-ort 4
Koordinationsebenen fü für Komponenten 1
Mandat Operative Entwicklung durch einen Geschäftsbereich /Standort
2
Leadership Verantwortung/starke Lead-Rolle ist einem Geschäftsbereich/ Standort zugewiesen
3
Lokal Hohes Maß an Unabhängigkeit der Geschäftsbereiche/ Standorte
Komponente 1
Komponente 2
Komponente n
GB = Geschäftsbereich
Abb. 5.38 Drei Möglichkeiten der Koordination
5.5.3.3 Funktionsübergreifende Teams Funktionsübergreifende Teams stellen sicher, dass das verfügbare Know-how bereits in einem frühen Stadium der Produktentwicklung eingebracht wird. Jede Lead Engineering Group wird daher von einem globalen Lead-Engineering-Team betreut, das unter Führung des Lead Engineers nicht nur die Local Engineers der anderen Standorte, sondern auch andere Funktionsbereiche integriert. Durch die Einbeziehung von Mitarbeitern aus Beschaffung, Produktion, Logistik, Vertrieb etc. kann die gesamte Wertschöpfungskette abgedeckt werden. Dem Lead Engineer kommt dabei eine Doppelrolle zu: Zum einen ist er, wie alle anderen Local Engineers auch, für die operative Umsetzung der LEG-Strategie sowie die Abstimmung mit Fahrzeug-Projekten, Vertrieb, Produktion usw. an seinem Standort zuständig. Zum anderen übernimmt er aber auch die Führung des globalen Teams einschließlich Konsolidierung aller Informationen, Festlegung der LEG-Strategie sowie Monitoring der Umsetzung der beschlossenen Strategie. Auch nimmt er die Schnittstellenfunktion zu anderen, ebenfalls global aufgestellten Organisationseinheiten wahr, z. B. dem globalen Einkauf oder der globalen Kostenplanung. Insbesondere im Hinblick auf den Einkauf ist eine enge Verzahnung mit dem Lead Engineering zu empfehlen. Wurden bei der Definition der Produktstruktur und der Lead Engineering Groups die im Einkauf vorhandenen Commodity-Strukturen mit einbezogen, kann das Lead-Konzept in Einkauf und
Produktentwicklung parallel angewendet werden. Ein „Lead Buyer“ übernimmt hierbei den Großteil der Beschaffungsaktivitäten für eine LEG, er ist für Verhandlungsführung, Vertragsunterzeichnung und Lieferantenauswahl zuständig und arbeitet eng mit dem Lead Engineer zusammen. Lead Buying ermöglicht so die Bündelung der Beschaffungsmengen und stärkt die Verhandlungsmacht im Zuliefermarkt. 5.5.3.4 Einheitliche Prozesse Weltweit einheitliche Prozesse sind die Voraussetzung, um Komponenten- und Fahrzeugentstehung aufeinander abstimmen, Maßnahmen effizient durchführen und schnelle Entscheidungen treffen zu können. Komponenten-Entstehungsprozesse, Änderungsmanagement sowie globale Entscheidungs- und Eskalationsprozesse sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Im Hinblick auf das Lead-Engineering-Konzept sind die Entwicklungsprozesse in zweierlei Hinsicht relevant: Zum einen ist die Zusammenarbeit der Lead-Engineering-Teams entlang des KomponentenEntstehungsprozesses zu detaillieren. Zum anderen müssen die von den Lead-Engineering-Teams entwickelten Module und Komponenten im Rahmen der Fahrzeug-Projekte integriert werden. Letzteres bedeutet, dass sowohl die frühe Einbindung der Fahrzeug-Projekte bei der Entwicklung der Module und Komponenten als auch die Synchronisation mit den einzelnen Fahrzeug-Entstehungsprozessen klar definiert sein müssen.
370
Die Zusammenarbeit von Lead und Local Engineers sollte grundsätzlich durch gemeinsame Beschlüsse geprägt sein, damit sowohl globale als auch lokale Anforderungen berücksichtigt werden. Von den Lead-Engineering-Teams werden Prozesse, Methoden und Standards (z. B. Kriterien für Produkttests) im Hinblick auf die beste Lösung analysiert und anschließend global vereinheitlicht. Da der Lead Engineer jedoch letztlich die Verantwortung für seine Lead Engineering Group trägt, hat er auch die Aufgabe und Kompetenz, bei Zielkonflikten zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen und Regionen unter Berücksichtigung des globalen Optimums zu entscheiden. Dies betrifft alle Entscheidungen entlang des KomponentenEntstehungsprozesses: von der Definition der LEGStrategie und der Zustimmung zu KomponentenLasten- und -Pflichtenheften, über die einzelnen Freigabestufen während der Serienentwicklung bis hin zum Änderungsmanagement an bestehenden Komponenten. Die Fahrzeug-Projekte werden dabei frühzeitig eingebunden, sowohl die erstellten LEG-Strategien als auch Lasten- und Pflichtenhefte bedürfen ihrer Zustimmung. Ein mögliches Veto durch die Fahrzeug-Projekte ist von diesen detailliert zu begründen und wird in übergeordneten Gremien daraufhin überprüft, welche Lösung unternehmensweit das Gesamt-Optimum darstellt. Dabei sollten die einzelnen Fahrzeug-Projekte nach einem einheitlichen Produktentstehungsprozess ablaufen, damit keine vermeidbaren Schnittstellenprobleme zu den Komponentenprozessen entstehen (z. B. durch unterschiedliche Prozess-Meilensteine oder Freigabestufen in den einzelnen Regionen). Im Rahmen des Lead-Engineering-Konzeptes werden somit zum einen neue globale Prozesse über alle Regionen hinweg implementiert, wie beispielsweise die Entwicklung der LEG-Strategie. Zum anderen werden bisher regionale Prozesse vereinheitlicht und über zusätzliche globale Prozessschritte miteinander verbunden. Hier kann die Entwicklung einer Komponente in einem regionalen Entwicklungszentrum, aber mit Freigabe auf globaler Ebene als Beispiel genannt werden. Bei Berücksichtigung weiterer vorsteuernder Prozesse (z. B. Definition von Fahrzeug- und SystemArchitekturen) sowie unterstützender Prozesse (z. B. Zielvereinbarung und -kontrolle, Budgetierung) entsteht so eine vollständige globale Prozess-Landkarte,
5 Vernetzte Produktion
die detailliert die Zusammenarbeit im EntwicklungsNetzwerk abbildet.
5.5.3.5 Zielvereinbarungen und standardisierte Messgrößen Um die geschaffenen Lead-Engineering-Strukturen und -Prozesse in der Organisation zu verankern, müssen die Zielvereinbarungen der Mitarbeiter entsprechend angepasst werden. Dabei müssen globale, unternehmensweite Ziele mit den Zielen der einzelnen Geschäftsbereiche und Regionen in Einklang gebracht werden. So erfolgt die Formulierung der Ziele als Key Performance Indicators (KPI), die nicht das Einzeloptimum für einen Geschäftsbereich oder eine Funktion berücksichtigen und messen, sondern das globale Unternehmensoptimum. Hierdurch kann die weltweite Zusammenarbeit sowie die Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit der Initiativen und Entscheidungen gesichert werden. Dabei sollten übereinstimmende globale Ziele und Messgrößen für die jeweiligen Pendants (z. B. Lead und Local Engineer, Lead und Local Buyer etc.) festgelegt werden. Diese Zielsetzungen müssen eindeutig und auch quantitativ messbar sein. Beispiele für den Lead Engineer sind u. a. Einsparungen bei den Herstellkosten der Komponenten, Garantie- und Kulanzkosten und die Einhaltung der Entwicklungsbudgets. Zudem kann die Termintreue im Prozessablauf sowie die Einhaltung der globalen Methoden und Standards überprüft werden. Die Zielvereinbarungen müssen dabei jährlich aktualisiert werden. Arbeitet das Unternehmen mit Balanced Scorecards oder ähnlichen Methoden, müssen die vereinbarten Ziele in die individuellen Balanced Scorecards auf allen Hierarchieebenen integriert werden. Schließlich muss die Verknüpfung von Zielen und Vergütungssystem gewährleistet sein. Die variable Vergütung sollte zum Teil von der Einhaltung der Lead-Engineering-Ziele abhängen.
5.5.3.6 Globale IT-Systeme Im Rahmen des Lead-Engineering-Konzeptes müssen die eingesetzten IT-Systeme eine optimale Datentransparenz und einen nahtlosen Datenaustausch zwischen den einzelnen Entwicklungsstandorten gewährleisten.
5.5 Globalisierungsstrategien in der Produktentwicklung am Beispiel der Automobilindustrie
Es geht zum einen um explizites Wissen im Zusammenhang mit den ablaufenden Prozessen, wie z. B. dem reinen Datenaustausch von technischen Zeichnungen. So muss u. a. die Kompatibilität der eingesetzten CAx-Systeme (z. B. Computer Aided Design, Computer Aided Manufacturing) und PDM-Systeme (Product Data Management) gewährleistet sein. Dabei reicht es nicht, dass die Programme und IT-Systeme in ihren Teilgebieten ausgereift sind, sondern es muss für eine integrierte Produktentwicklung ein systemübergreifender Zusammenschluss aller am Entstehungsprozess beteiligten Systeme möglich sein. Ziel ist es, die Prozesse durchgängig IT-seitig zu unterstützen, sodass einmal erzeugte Produktdaten ständig weiterverarbeitet werden können. Weiterhin sind einheitliche Groupware-Systeme (E-Mail, Gruppen-Terminkalender, E-Conferencing, Dokumentenmanagement etc.) und WorkflowManagement-Systeme (Systeme zur Prozessplanung, -umsetzung und -kontrolle) als wichtige Hilfsmittel zu implementieren. Durch deren Einsatz können die erforderlichen Arbeits- bzw. Durchlaufzeiten und somit auch die Kosten reduziert werden. Zum anderen sollte der Fokus auch auf implizitem Wissen liegen, wie z. B. Know-how und Erfahrungen einzelner Experten im Netzwerk. Um dieses Wissen dokumentieren zu können und bei ähnlichen Problemstellungen abrufbar zu machen, sollten Erfahrungsdatenbanken aufgebaut werden. Hier müssen allerdings der Aufwand für die Dokumentation des impliziten Wissens und der daraus resultierende Nutzen bei einer Wiederverwendung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Die Implementierung einheitlicher IT-Systeme sollte ohnehin nicht darüber hinwegtäuschen, dass ebenso persönliche Kontakte und Gespräche (weiterhin) möglich sein müssen. Es sollten regelmäßig Besprechungen des globalen Lead-Engineering-Teams stattfinden, da diese eine Basis für gemeinsames Lernen schaffen und den Erfahrungsaustausch fördern.
5.5.3.7 Implementierung der Elemente des Lead Engineering Um das Lead-Engineering-Konzept umsetzen zu können, müssen die sechs oben beschriebenen wesentlichen Elemente unternehmensspezifisch angepasst werden. Außerdem gilt es, Unterschiede hinsichtlich
371
der benötigten Implementierungszeit zu berücksichtigen, wobei vereinfachend kurz-, mittel- und langfristige Implementierungsschritte festgelegt werden können. Kurzfristig ist die einheitliche Produktstruktur als „Rückgrat“ des Lead-Konzeptes zu implementieren. Entsprechend der festgelegten LEG-Struktur werden die Organisationsstrukturen der einzelnen Entwicklungsstandorte angepasst und die funktionsübergreifenden Lead-Engineering-Teams gebildet. Mittelfristig müssen die funktions- und geschäftsbereichsübergreifenden Gremien sowie die entsprechenden Eskalations- und Entscheidungsprozesse installiert werden, um schnelle Entscheidungen bei Zielkonflikten zwischen Geschäftsbereichen oder Regionen sowie die Ausrichtung auf das globale Unternehmensoptimum zu gewährleisten. Diese Ausrichtung weg von reinen Geschäftsbereichszielen muss dabei auch in den Zielvereinbarungen und, falls eingesetzt, in den Balanced Scorecards integriert werden. Zudem werden von den Lead-Engineering-Teams die entsprechenden LEG-Strategien erstellt und mit den relevanten Funktionsbereichen abgestimmt. Langfristig werden alle mit dem Lead-Konzept verbundenen Prozesse harmonisiert und vereinheitlicht, d. h. die globale Prozess-Landkarte wird weiter detailliert und ausgestaltet. Auf Basis der funktionsübergreifenden Teams werden alle Funktionen frühzeitig in die Produkt-Entstehungsprozesse eingebunden. Die globale Kooperation im Entwicklungsnetzwerk wird nun durch einheitliche IT-Systeme unterstützt. Während aller Implementierungsschritte sind weitere Faktoren zu berücksichtigen, wobei vor allem die Unterstützung durch das Top-Management sowie die Personalabteilung hervorzuheben sind. Zum einen muss das Top-Management geschlossen hinter der Umsetzung des Konzeptes stehen und dies muss auch entsprechend kommuniziert werden. Es gilt, die interne und externe Kommunikation des Lead-Engineering-Konzeptes und der damit verbundenen Änderungen sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen. Zum anderen muss die Implementierung intensiv durch die Personalabteilung unterstützt werden: Die Mitarbeiter sind umfassend zu schulen und auf die Zusammenarbeit im globalen Entwicklungsnetzwerk vorzubereiten, da sich Änderungen im täglichen Arbeitsablauf (z. B. aufgrund unterschiedlicher Zeitzonen anderer Standorte) sowie neue Kommunikations-
372
beziehungen und Prozesse ergeben. Ein klar definierter Personalentwicklungs- und Schulungsplan ist damit erfolgskritisch. Dieser muss sowohl die neuen globalen Prozesse und IT-Systeme als auch weichere Faktoren wie kulturelle Unterschiede mit abdecken. Zudem sollte ein Personalaustausch zwischen den einzelnen Entwicklungsstandorten in Form eines Rotationskonzeptes eingeführt werden. Nicht zuletzt ist die Personalabteilung bei der Definition der Zielvereinbarungen sowie deren Verknüpfung mit dem Vergütungssystem ohnehin in eines der sechs wesentlichen Elemente des Lead-Engineering-Konzeptes mit eingebunden. Die Implementierung des Lead-EngineeringKonzeptes ist damit keine Angelegenheit von wenigen Monaten und es ist mit Einmalaufwendungen zu rechnen. Abgesehen von langfristigen, strategischen Vorteilen ergeben sich in der Praxis jedoch oft auch schon während der Einführungsphase signifikante Einsparungen.
5.5.4 Lead Engineering in der Praxis Für einen globalen Automobilhersteller hat Roland Berger Strategy Consultants das Lead-EngineeringKonzept entwickelt und umgesetzt. Dieses Unternehmen umfasst drei große Geschäftsbereiche auf drei Kontinenten. Obwohl alle Bereiche ähnliche Produkte herstellen, besaß jeder seine eigenen Entwicklungsabteilungen. Daher konnte davon ausgegangen werden, dass durch eine Zusammenlegung des EntwicklungsKnow-hows erhebliches Einsparpotenzial freizusetzen war. Im Vorfeld der Einführung des Lead-EngineeringKonzeptes wurden in funktionsübergreifenden Projektteams, in denen Ingenieure und Einkäufer aller Geschäftsbereiche vertreten waren, technische Ähnlichkeiten der Produkte untersucht und einzelne ausgewählte Komponenten optimiert. Mit Methoden wie technischen Kostenvergleichen und Variantenbäumen (Design Maps) wurden Einsparpotenziale insbesondere bei bestehenden Fahrzeugserien ermittelt und realisiert. Diese Phase gestaltete sich so erfolgreich, dass das Unternehmen entschied, die funktionsübergreifenden Teams auf Dauer zu verankern. Das bedeutete, dass Gleichteile für das ganze Unternehmen gemein-
5 Vernetzte Produktion
sam entwickelt und beschafft werden sollten. Eine anspruchsvolle Aufgabe: unterschiedliche Strategien, Technologien, Konzepte, Werkstoffe, rechtliche Rahmenbedingungen, Methoden und EngineeringPhilosophien mussten untersucht und einheitlich ausgerichtet werden. Der Ansatz bestand in der Entwicklung und Umsetzung einer Lead-EngineeringOrganisation, die das Rückgrat des gesamten Engineering darstellen und mit der bereits bestehenden Lead-Buying-Organisation verzahnt werden sollte. Man erarbeitete eine gemeinsame Produktstruktur, nach der die Fahrzeuge in Gruppen funktionaler Systeme und Komponenten eingeteilt wurden. Jedes System und jede Komponente wurde einem festen Kernteam aus drei Ingenieuren zugeordnet, einem aus jedem Geschäftsbereich. Einem Ingenieur wurde die Rolle des Lead Engineers und damit die Verantwortung für die Festlegung der Gesamtstrategie und die Entwicklung eines modularen Konstruktionssystems entsprechend der Gesamtsystemarchitekturen (z. B. Elektrik/Elektronik) übertragen. So wurde die Steuerung und Festlegung der Varianz, der technischen Konzepte und der in den Zuständigkeitsbereich des Lead Engineers fallenden Anwendungen eindeutig einem der globalen Standorte zugeordnet. Um den ganzheitlichen Ansatz zwischen Lead Engineering und Lead Buying dauerhaft im Unternehmen zu verankern, wurde der Lead Buyer zu einem festen Mitglied des Lead-Engineering-Teams. Experten aus anderen Funktionen wie der Produktplanung wurden nach Bedarf in die Teams eingebunden. Systeme und Komponenten mit spezifischen Anforderungen in den Geschäftsbereichen und von untergeordneter strategischer Bedeutung wiederum wurden in der Verantwortung der lokalen Engineering-Abteilungen belassen, sodass jeder Geschäftsbereich bei bestimmten Komponenten seine eigenen, an die lokalen Märkte angepassten Lösungen entwickeln konnte. Mit dem integrierten Lead-Engineering- und LeadBuying-Ansatz konnten umfangreiche Einsparungen realisiert werden – etwa 7 bis 9% des Einkaufsvolumens, und zwar zusätzlich zu rein kaufmännischen Kostensenkungsinitiativen. Darüber hinaus wurde die Teilezahl pro System bzw. Komponente um 15 bis 40% und die Anzahl der Lieferanten um 20 bis 30% verringert. Der integrierte Lead-Engineering-/Lead-BuyingAnsatz überzeugte den Kunden: „Die Einführung von Lead Engineering und Lead Buying in Kombi-
5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern
nation mit unserer neu ausgerichteten Organisation gibt uns einen Wettbewerbsvorsprung, der bisher seinesgleichen sucht.“
5.5.5 Ausblick Für multinationale Unternehmen mit international verteilten Entwicklungsressourcen hat sich das LeadEngineering-Konzept bewährt, um Synergien in der globalen Produktentwicklung zu erschließen und gleichzeitig weltweite Ressourcen und lokales Knowhow zu nutzen. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Optimierung eines Entwicklungsnetzwerkes immer unternehmensspezifisch erfolgen muss. Insbesondere bei geozentrischen Unternehmen ist davon auszugehen, dass auch in Zukunft der „Heimatmarkt“ oder der gezielte Aufbau von einigen wenigen Kompetenzzentren im Vordergrund stehen wird. Unabhängig von globaler oder lokaler Perspektive sind weitere Trends von den Automobilherstellern zu beachten: Nach einer aktuellen Studie von Roland Berger Strategy Consultants zum Bereich Elektrik und Elektronik sind zukünftig mehr als 90% aller Innovationen auf diesen Bereich zurückzuführen, gleichzeitig werden heute schon etwa 50% aller Garantieund Kulanzkosten in der Automobilindustrie durch elektronische Komponenten und Software verursacht. Unabhängig von der Art und dem Aufbau des Entwicklungsnetzwerkes müssen demnach in diesem Bereich verstärkt Kompetenzen und Ressourcen aufgebaut werden. Zudem sind die Automobilzulieferer eng in das Entwicklungsnetzwerk der Automobilhersteller zu integrieren. Bis zu 60% der Wertschöpfung in der Automobilindustrie wird zukünftig auf Seiten der Zulieferer und Entwicklungsdienstleister liegen. Dies belegt auch eine Benchmark-Studie von Roland Berger Strategy Consultants, in der neun Automobilhersteller miteinander verglichen und wesentliche Trends im Bereich des Einkaufs analysiert wurden. Neben der zunehmend engeren Zusammenarbeit mit Lieferanten wurde hier z. B. auch die bei den einzelnen Elementen des Lead Engineering angesprochene Verknüpfung von Einkauf und Produktentwicklung als Erfolgsfaktor für die OEMs bestätigt. Die Produktentwicklung in der Automobilindustrie ist stetig im Wandel. Um in Zukunft „mehr mit weni-
373
ger“ zu erreichen und gleichzeitig unterschiedliche regionale Kundenerwartungen zu erfüllen, müssen Strategien, Organisationsstrukturen und Prozesse fortlaufend optimiert und an veränderte Gegebenheiten angepasst werden. Das am Beispiel der Automobilindustrie dargestellte Lead-Engineering-Konzept lässt sich problemlos auch auf Unternehmen anderer Branchen und deren Entwicklungsnetzwerke übertragen.
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5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern Unternehmer, die nach Möglichkeiten suchen, ihre Organisationen effizienter und effektiver zu gestalten, schenken – neben der Go-it-alone-Strategie – Fusionen, Übernahmen und strategischen Allianzen immer
374
mehr Beachtung. In diesem Artikel werden die in strategischer Zusammenarbeit enthaltenen Chancen für erfolgreiches Operieren innerhalb einer Marktgebung beschrieben. Anschließend konzentriert sich die an einer Netzwerkperspektive orientierte Betrachtung auf die industrielle Tätigkeit in strukturierten Unternehmensketten. Hierzu werden verschiedene Typen von Zulieferern unterschieden. Durch das Klassifizieren in verschiedene Zulieferer-Typen werden Manager in die Lage versetzt, strategische Entscheidungen zu treffen. Auf der Basis dieser Typologie kann ein Ist/Soll-Vergleich in Bezug auf künftige Markt- und Konkurrenzpositionen vorgenommen werden. Er liefert dem Unternehmen einen Spiegel, in dem das Was, Warum, mit Wem und Wie der strategischen Zusammenarbeit abgelesen werden kann. Auf diese Fragen wird im Hinblick auf Zulieferer der ersten Linie (Systemintegratoren) näher eingegangen. Hierbei werden die Vor- und Nachteile der strategischen Zusammenarbeit dargestellt und es wird angegeben, wie die Nachteile weitgehend vermieden werden können.
5.6.1 Hintergründe Die Internationalisierung des ökonomischen Austausches stellt fortwährend höhere Anforderungen an die Akteure auf den verschiedenen Märkten. Die Konkurrenz hat sich verschärft und beschränkt sich nicht mehr auf Preise und Lieferzeiten, sondern konzentriert sich auf alle Glieder der Produktionskette. Eine Reihe von Optionen stehen dem Unternehmer zur Verfügung, um bei dieser Entwicklung am Ball zu bleiben. Altbekannt ist die Go-it-alone-Strategie: Alle Phasen des Entstehungsprozesses – Erwerb, Forschung & Entwicklung, Herstellung sowie Marketing und Vertrieb – werden dabei sowohl im eigenen Hause ausgeführt als auch über eine Markttransaktion erzielt. Das Ziel wird also entweder über die Unternehmens-Hierarchie oder mittels einer Markttransaktion erreicht. Die Fusions-/Übernahme-Strategie kann als eine Entscheidung für die hierarchische Struktur betrachtet werden, wobei die Transaktionen, die vorher über den Marktmechanismus abliefen, nun internalisiert werden. Während vieler Jahre haben Hierarchie-Unterschiede im Markt sowohl die ökonomische Theorie als auch die Praxis dominiert. Die „Invisible Hand“ stand Ga-
5 Vernetzte Produktion
Inhärente Nachteile • Kulturunterschiede • Verlust von Freiräumen • Zeitraubende Entscheidungsprozesse • Marktzugänge • Oppertunismus • Instabilität • Strategische Neuorientierung während der Implementierung
Vermeidbare Nachteile • Kontrolle/Lenkbarkeit • Unerwünschter Wissenstransfer • Fehlende Entscheidungstrukturen • Kommunikationsprobleme • Nicht aufeinander abgestimmte technische/administrative Infrastruktur • Gewinnverteilungsfrage • Unerwünschte Abhängigkeit • Unterschiedliche Belohnungssysteme • Fehlen von Sanktionsmöglichkeiten
Abb. 5.39 Nicht vermeidbare (inhärente) und vermeidbare Nachteile strategischer Allianzen
rant für effizienten ökonomischen Verkehr. Sowohl auf theoretischer Ebene als auch in der Praxis ist das Konzept Markt gegen Hierarchie zwar noch immer von Bedeutung, aber Markt und Hierarchie werden immer mehr zu Eckpunkten eines Kontinuums, zwischen denen zahlreiche Unternehmens- und Marktformen angesiedelt sind, die Charakteristika beider Organisationsformen aufweisen. Die Geschäftsführungsoptionen entwickeln sich auseinander: Fusionen und Übernahmen stehen auf der einen Seite; auf der anderen Seite gewinnen strategische Bündnisse – in denen Transaktionen ausschließlich über den Markt realisiert werden – zunehmend an Bedeutung. Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag auf eine einzige der vielen Mischformen: die strategische Allianz (Abb. 5.39).
5.6.2 Die Entstehung strategischer Allianzen Die Entstehung strategischer Zusammenarbeit scheint den wachsenden Anforderungen, die an (künftige) industrielle Entwicklungsprozesse gestellt werden, entgegenzukommen. Für jedes Industrieunternehmen, das die Kluft zwischen der gewünschten und der erreichbaren Markt- und Wettbewerbsposition nicht durch eigene Kraft innerhalb eines festgelegten Planungshorizontes und der Rentabilitätsabwägung überbrücken kann, gibt es fünf generelle Motive, eine strategische Allianz einzugehen [2]: • Ergänzung/Vervollständigung der eigenen Stärken und Ausgleich der Schwächen,
5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern
• Erreichen eines Wettbewerbsvorteils durch Zugang zu neuen Technologien, • Reduktion der Investitionshöhe, wodurch zugleich das Unternehmensrisiko insgesamt verringert wird, • Öffnung eines neuen Marktzugangs und • „Erkaufen“ von Zeit, um interne Anpassungen realisieren zu können. Durch die Teilnahme an strategischen Allianzen öffnen sich den beteiligten Unternehmen Türen, die sonst verschlossen blieben. Die Vorteile erscheinen eindeutig: Strategische Zusammenarbeit vergrößert die Kapazität eines Unternehmens. Dadurch können neue Produkte und Technologien entwickelt, Kosten begrenzt, neue Märkte betreten und Zutrittsschwellen für Konkurrenten erhöht werden. So kann das eigene Unternehmen im Weltmarkt überleben und einen stärkeren Kapitalfluss erzeugen, um in die Kernkompetenzen zu investieren. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass viele dieser strategischen Bündnisse die beabsichtigten Resultate nicht erzielen (Untersuchungen belegen Misserfolgsquoten zwischen 40 und 70%). Deshalb betrachten Unternehmer strategische Allianzen häufig als die zweitbeste Lösung „The Second Best“. Untersuchungen zeigen auch, dass die finanziellen Resultate strategischer Zusammenarbeit weder im Voraus (ex-ante) prognostiziert noch im Nachhinein (ex-post) deutlich feststellbar sind. Kurz, strategische Zusammenarbeit als Geschäftsführungsoption ist mit Vor- und Nachteilen verbunden. Dennoch bilden diese Allianzen für industrielle Zulieferer eine wichtige strategische Option, um in den Unternehmensketten eine führende Position einzunehmen.
375
dieses Zusammenspiel, bestimmt das Resultat. Dabei können die beteiligten Unternehmen auf anderen Gebieten durchaus konkurrierende Interessen verfolgen. Im Netzwerkkonzept spielen also das gleichzeitige Konkurrieren und Zusammenarbeiten eine wichtige Rolle. Die in diesem Beitrag betrachteten Netzwerke bestehen aus formellen Beziehungen zwischen Industrieunternehmen in ständig wechselnden Konfigurationen. Die Netzwerkstrukturen innerhalb der Unternehmen werden hier nicht berücksichtigt. Bei der Erfassung von Netzwerkbeziehungen können sich zahlreiche Komplikationen einstellen, denn in jedem Unternehmen existiert schließlich eine jeweils eigene Auffassung darüber, was ein Netzwerk sei. Außerdem operiert jedes Unternehmen in mehreren Netzwerken gleichzeitig [4]. Darüber hinaus sind in den Beziehungen zwischen Unternehmen deutliche Muster erkennbar. Jüngere Untersuchungen in der niederländischen Kraftfahrzeug- und der Metall/Elektro-Industrie machen eine Verlagerung sichtbar. Die Konkurrenz findet nicht mehr allein im Bereich des Informationsaustausches statt, sie konzentriert sich mehr auf Netzwerke [5–8]. Auch andere Sektoren zeigen in zunehmendem Maße eine gleichartige Entwicklung. Die Erkenntnis, dass die vielen Beziehungen Einfluss auf die strategische Position eines Unternehmens ausüben und dass auch die Beziehungen anderer Unternehmen untereinander von Bedeutung sein können, fügt der strategischen Analyse von Konkurrenzverhältnissen eine wichtige Komponente hinzu.
5.6.4 Wachsende Anforderungen an die industrielle Produktionskette und 5.6.3 Der Netzwerkansatz die sich verändernden Rollenmuster industrieller Zulieferer Eine Methode, mit der Effekte strategischer Zusammenarbeit in industriellen Unternehmensketten gesteuert und Zielsetzungen erreicht werden können, ist der Netzwerkansatz. Dieser Ansatz ermöglicht die Analyse von Bündnissen zwischen Unternehmen, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, aber sehr wohl stärker miteinander verbunden sind als ihre gemeinsame Umgebung [3]. Darüber hinaus bietet der Ansatz umfassende Einsicht in Situationen, in denen das angestrebte Resultat vom koordinierten Einsatz verschiedener selbständiger Unternehmen abhängt. Dieser koordinierte Einsatz,
In den vergangenen Jahrzehnten haben große Veränderungen in der Marktumgebung von Industrieunternehmen stattgefunden. Die wichtigsten Entwicklungen in Europa, den Vereinigten Staaten und Japan sind die Intensivierung der weltweiten Konkurrenz, die geringen ökonomischen Wachstumsraten, schnell aufeinander folgende technologische Entwicklungen, zunehmende Kapitalintensität der Produktionsprozesse, Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen und Strukturen, zahlungskräftigere und kritischere Kunden
376
sowie das Anwachsen der internationalen Handelsströme. Diese Entwicklungen führen dazu, dass industrielle Zulieferer konfrontiert werden mit [9]:
Veränderungen in den Wertschöpfungsketten Der Produktionsumfang wird in den kommenden Jahren für Zulieferer stark zunehmen durch: • Verminderung der Lieferantenzahl als Folge von Outsourcing bei der Einzelteilmontage und des Strebens nach Single Sourcing, • Vertikale Desintegration: Endproduzenten beschränken sich zunehmend auf Kernaktivitäten, die übrigen Aktivitäten werden bei Zulieferern eingekauft, • Konzentrationstendenzen: Die Anzahl selbstständiger Endproduzenten nimmt ab, europa- und weltweites Konvergieren von KonsumentenVerhaltensmustern, eineEntwicklung, die mit der zunehmenden Individualisierung parallel läuft, • Standardisierung sowohl innerhalb eines einzigen Unternehmens als auch in der gesamten Industrie sowie • weltweite und regionale Belieferung.
Veränderungen in den Sourcing-Beziehungen Die Endproduzenten gehen immer mehr dazu über, auf Basis von Single Sourcing weltweit einzukaufen, anstatt bei verschiedenen Lieferanten regional. Das setzt voraus, dass Zulieferer weltweit liefern können. Daneben wird Just-in-time-Belieferung durch lokale Niederlassungen für die Einzelteilmontage, die in der Nähe der Endmontagefabrik liegen, erforderlich.
Veränderungen in den vertikalen Beziehungen Das Erzielen von Effizienz und Effektivität erfordert Abstimmung zwischen aufeinanderfolgenden Unternehmen innerhalb der Kette. Eine transaktionsgerichtete Beziehung ist hierzu nur unzureichend imstande. Durch den Trend zur Konzentration auf die Kernaktivitäten vermindert sich einerseits die vertikale Integration, andererseits verschiebt sich die Beziehung zwischen Produzenten und Zulieferern von kurzfristiger
5 Vernetzte Produktion
in Richtung auf langfristige Zusammenarbeit. Koordination von Forschung und Entwicklung ist ein wichtiger Teilaspekt der Beziehung. Daneben entsteht eine weitreichende Synchronisierung der Produktionsprozesse durch logistische Integration. Diese zunehmende vertikale (strategische) Zusammenarbeit erfordert umfangreiche Veränderungen sowohl im Verhalten der Auftraggeber als auch der Zulieferer. Die Veränderung in den vertikalen Beziehungen geht einher mit dem Streben der europäischen Industrie, Elemente des Gruppenansatzes, wie er von japanischen Produzenten praktiziert wird, einzuführen. Eine andere Konsequenz aus den Veränderungen ist das Streben nach horizontaler Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ebenen innerhalb einer Betriebshierarchie.
Entstehung einer gestaffelten Formation (Echelon) von Zulieferern Bei Industrieunternehmen, die sich auf ihre Kernfähigkeiten zurückziehen, geht die Entwicklung in Richtung Spezialisierung und Desintegration einher mit einer Stärkung des Trends zur Trennung in Zulieferer und Auftraggeber. Dies gilt nicht allein für Endproduzenten, sondern ebenso für Zulieferer. Auch Zulieferer konzentrieren sich immer mehr auf ihre Kernaktivitäten und delegieren ihrerseits wieder einen Großteil ihrer Aktivitäten an Zulieferer auf einem niedrigeren Niveau innerhalb der Betriebskette. Auf diese Weise entsteht in der industriellen Betriebskette eine Staffelung (Echelon) von Zulieferern, die selbst aus einer Anzahl verschiedener Niveaus besteht: 1. Direkte Zulieferer der ersten Linie (Systemintegratoren): Sie führen den gesamten Produktionsprozess der Einzelteilmontage aus. Diese Lieferanten können in abhängige und unabhängige Lieferanten unterteilt werden. Unabhängige Lieferanten verrichten F&E und Marketing-Aktivitäten auf eigenes Risiko. Abhängige Lieferanten sind hauptsächlich im Auftrag des Abnehmers tätig. 2. Abhängige Lieferanten der zweiten Linie des gesamten Produktionsprozesses der Einzelteilmontage. 3. Lieferanten der dritten Linie, bestehend aus Unterlieferanten und Verkäufern. Unterlieferanten liefern gemäß der Spezifikation des Abnehmers einen Teil des Produktionsprozesses und sind auf
5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern
einfache Aktivitäten spezialisiert. Verkäufer liefern frei auf dem Markt verfügbare Komponenten. 4. Grundstoff- und Materiallieferanten.
Zunehmende Konkurrenz Die Konkurrenz zwischen den Zulieferern wird sich in den kommenden Jahren immer mehr verschärfen. Dieser Tatsache liegen folgende Ursachen zu Grunde: • Mehr Aktivitäten auf dem europäischen Markt vom außereuropäischen Ausland aus durch weltweites Sourcing, durch Niederlassungen außereuropäischer Lieferanten in Europa und durch den Beitritt von Niedriglohnländern. • Die Verminderung der Anzahl direkter Zulieferer durch die Endproduzenten hat zur Folge, dass viele Zulieferer allmählich verschwinden und dass andere Lieferanten führende Positionen innerhalb der Kette einnehmen (Lopez-Effekt). • Verschwimmen der Grenzen zwischen den traditionellen Betriebszweigen. Hierdurch entsteht Konkurrenz durch Gründung von zuvor nicht miteinander in Beziehung stehenden Betriebszweigen. Das Ziel, eine Position in der ersten Linie einzunehmen, wird die Konkurrenz zwischen Unternehmen beträchtlich verstärken. Für Unternehmen, denen dies gelingt, wird die erreichte Position noch attraktiver. Durch das Streben von Endproduzenten nach einer langfristigen Beziehung werden Zutrittsbarrieren höher. Daneben steigt die Verhandlungsmacht erfolgreicher Lieferanten der ersten Linie, weil die Abhängigkeit der Auftraggeber von den Zulieferern immer größer wird. Es kann gefolgert werden, dass die Forderungen, die durch Endproduzenten an Lieferer gestellt werden, beträchtlich zunehmen. Für Zulieferer wachsen gleichzeitig der Investitionsumfang, die Investitionsrisiken und der Entscheidungszeitraum. Wichtig ist zu erkennen, dass die oben behandelten Veränderungen vornehmlich für Lieferanten der ersten Linie gelten.
5.6.5 Eine Typologie industrieller Zulieferer Bei der Aufstellung einer Typologie wurde von drei strategischen Fragestellungen ausgegangen, vor die
377
Zulieferer sich gestellt sehen. Diese Fragestellungen umfassen insbesondere die Wahl der zu bedienenden Technologie-Produkt-Markt-Kombinationen (TPM), die angestrebte Position innerhalb der Betriebskette und die benötigten Managementkapazitäten, um die Organisation aufzuwerten. Jeder Zulieferer-Typ basiert darum auf einer Anzahl von Merkmalen, die sich nach Eigenschaften des zu bearbeitenden Marktes, der hervorgebrachten Produkte und Technologien und nach Eigenschaften der internen und externen Organisation unterscheiden. In Abb. 5.40 sind die Typen schematisch zusammengefasst [9]. Für die verschiedenen Typen, vom unabhängigen Hauptlieferanten bis zum lokalen Unterlieferanten, gilt, dass unterschiedliche Anforderungen an die Managementkapazitäten gestellt werden. Nach den benötigten Managementkapazitäten können die verschiedenen Typen wie folgt klassifiziert werden: abhängige Unterlieferanten der zweiten Linie, abhängige Zulieferer der ersten Linie und unabhängige Lieferanten. Die Anforderungen, die Unternehmen an den zu bearbeitenden Markt, die hervorzubringenden Produkte und Technologien stellen, führen für die Zulieferer der ersten Linie im Allgemeinen und für unabhängige Lieferanten im Besonderen zu einer bedeutend höheren Komplexität in der Organisation als für Unterlieferanten. Indem ein Unternehmen sich für einen einzigen der Typen entscheidet, positioniert es sich in einer Menge von Technologie-ProduktMarkt-Kombinationen. Das TPM-Konzept beinhaltet, dass jedes Produkt, das auf einem bestimmten Markt abgesetzt wird, den Produktionsprozess durchlaufen hat. Dieser Prozess beginnt idealerweise mit dem Identifizieren des Marktbedarfs. Danach beginnt die Suche nach technologischen Möglichkeiten, um dem Bedarf gerecht zu werden. Sobald eine technologische Möglichkeit gefunden ist, kann ein Produkt mit den benötigten Eigenschaften (den Vorteilen oder „Benefits“) entwickelt werden, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Der Prozess endet, sobald das Produkt auf einem Absatzmarkt eingeführt wird. Die Entscheidung für den TPM-Ansatz basiert darauf, dass eine Einteilung in TPM-Kombinationen ermöglicht, Querverbindungen zwischen verschiedenen Betriebszweigen/Branchen herzustellen, die sonst unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus bilden technologische Entwicklungen eine der wichtigsten Ursachen für Veränderungen in der Industrie und in Marktstrukturen. Auf die Technologie muss deshalb
378
5 Vernetzte Produktion lokale Untervertragspartner
globale Untervertragspartner
Konzentration
mehrere Industrien
mehrere Industrien
erste Linie
zweite Linie
dritte Linie
dritte Linie
Co-Produktion
Co-Produktion
evtl. Co-Manufaktur
evtl. Co-Manufaktur
engere Zusammenarbeit
engere Zusammenarbeit
Co-Produktion oder Co-Manufaktur mit evtl. Forschungsvereinbarungen engere/lockerere Zusammenarbeit
Lieferantenzahl pro Single Sourcing Komponente Gegenseitige Abhän- ++++ gigkeit
Single Sourcing
Single Sourcing
lockerere Zusammenarbeit und Markttransaktion Multiple Sourcing
lockerere Zusammenarbeit und Markttransaktion Multiple Sourcing
+++
++
++
Markt Konkurrenzstrategie Competitive Scope (Markt) Position im Echelon Beziehung Form der Zusammenarbeit (vertikal)
Stärke der Zusammenarbeit
unabhängige Hauptlieferanten
Hauptlieferanten
Co-Lieferanten
Konzentration
Konzentration
erste Linie
Sourcingstrategie von Abnehmen/Produktionsstätten der Lieferanten künftige Sourcingglobal global global/lokal strategie Standort der Produk- lokal/global lokal lokal tion global/lokal beim global global/lokal regional/lokal Endproduzenten anliefern Technologie Produkt-Technologie TechnologieLebenszyklus überwiegende Technologie
Basistechnologie inkl. neu auftretender Technologie Hochtechnologie(Schrittmacher- und neu auftretende Technologie +++
Anzahl zu beherrschender Technologie Branchenfremde ++++ Technologie Prozess-Technologie hochwertige Montage und Fertigung Produkt (Komponenten-Charakteristika) Umfang +++/++ Gewicht +++/++ Wert ++++ Kern-Komponenten vorhanden Zusammensetzung/ Teilmontage Stückliste Änderungsemp nd+++ lichkeit Prozessintegration/ +++ Synchronisation Eigenständiger ja Markenname
lokal
global
lokal
global
lokal
global
Basis-Schlüsseltechnologie und Schrittmachertechnologie?! Mitteltechnologie (= Schlüsseltechnologie)
Basis- und Schlüsseltechnologie?
Basistechnologie
Basistechnologie
Mitteltechnologie (=Schlüsseltechnologie)
einfache Technologie (=Basistechnologie)
einfache Technologie (=Basistechnologie)
+++
++
++
+++
++
++
Montage
Montage
einfache Bearbei- einfache Bearbeitungsvorgänge und tungsvorgänge und manuelle Montage manuelle Montage
++++ ++++ +++ nicht vorhanden Teilmontage
+++ +++ ++ nicht vorhanden Teilmontage
++++
+++
++++ ++++ ++ nicht vorhanden Bearbeitungsvorgänge ++
nicht vorhanden Bearbeitungsvorgänge +
++++
+++
++
+
nein
nein
nein
nein
+ +
Abb. 5.40 Typologie der Zulieferer [9]
besonderer Wert gelegt werden [6]. Mit Hilfe des TPM-Konzeptes kann eine Unterteilung der Entwicklungen vorgenommen werden, die sowohl aus der Technologie wie aus dem Markt hervorgehen.
Dies ist von Bedeutung für die gewissenhafte Erfassung der Marktanforderungen. In Anbetracht der heutigen Entwicklungen in der Struktur von Zuliefererketten ist die Positionierung innerhalb der
5.6 Strategische Zusammenarbeit mit industriellen Zulieferern unabhängige Hauptlieferanten Interne Organisation Produktionskette integral Spezialisierung nach + (niedrig) Aktivitäten
Zeitl. Entscheidungshorizont
Konkurrenzstrategie Wettbewerbsvorteil Geografische Konkurrenzstrategie Gegenwart und Zukunftserwartung
lokale Untervertragspartner
globale Untervertragspartner
integral/partiell +++
partiell ++++ 1 Bearbeitung
partiell ++++ 1 Bearbeitung
nein ja nein
nein ja nein
nein nein einfache Fertigung
nein nein einfache Fertigung
Teilmontage ja
Teilmontage ja
nein ja
nein ja
Bedarfsanalyse
nein?
nein
nein
++++ ja Endproduzent
+++ ja Haupt-Lieferer
++ nein Co-Lieferer
+ nein Co-Lieferer
funktionelle Anforderungen
funktionelle Anforderungen
Spezi kationen
Spezi kationen
+
++
+++
+++
++
+++
++++
++++
+++++/ ++++/ >Endproduzent <Endproduzent ++++ +
+++ ( Personal (Fähigkeiten) >Prozesse (Fertigkeiten) Total Quality Management Supply Management Time Based Management Umweltmanagement Innovationsmanagement Informationsverarbeitung Problemlösung
Kundenorientierung und -zufriedenheit
4. Messungen Messungen der Prozessverbesserung und der operationalen Ergebnisse Abb. 11.29 TBSR-Struktur und -Elemente
760
sem Stadium kann eine sinnvolle Allokation der Ressourcen und Bereitstellung der entsprechenden Budgets erfolgen. Die Entwicklung übergeordneter Werkzeuge (z. B. Total Business System Review – TBSR) sowie die Definition ihrer Anwendungsfelder bilden den Abschluss der Erfolgstreppe und leiten den zweiten Zyklus ein. Die TBSR-Struktur lässt sich in vier Hauptbereiche (Treiber, System, Ziel und Messungen) gliedern, wobei in der ganzheitlichen Betrachtung alle Systemelemente miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. TBSR dient der kontinuierlichen Verbesserung aller Geschäftsprozesse und der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur über alle organisatorischen Ebenen hinweg und weist daher einen starken (Self-)Assessment-Charakter auf. Durch die Unterstützung des TBSR-Prozesses mittels Befragung aller an Geschäftsprozessen beteiligten Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchieebenen kann eine fundierte Aussage über das vorliegende Stärken-/SchwächenProfil des betrachteten Geschäftsprozesses getroffen werden. Abbildung 11.29 zeigt die TBSR-Struktur sowie die verschiedenen Systemelemente.
11.4.4 Anwendungsbeispiele 11.4.4.1 Mitarbeiterbefragung und Vorgesetztenbeurteilung Das Hilfsmittel der Mitarbeiterbefragung ist ein probates Mittel zur regelmäßigen Messung der Zufriedenheit des internen Kunden „Mitarbeiter“ und des Veränderungsfortschrittes aus Sicht der Mitarbeiter. Um keine unnötigen Verschleißerscheinungen bei der Anwendung dieses Hilfsmittels zu verursachen, sollte eine Mitarbeiterbefragung nicht jährlich, sondern in einem Abstand von 2–3 Jahren stattfinden. Die Ergebnisse derartiger Befragungen werden intern an alle Mitarbeiter verteilt. Die Hinweise aus ihnen fließen direkt in die Planung konkreter Projekte zur Verbesserung der Unternehmenskultur ein, die z. T. unmittelbar umgesetzt oder aber bis zur nächsten Befragung realisiert werden. Das heißt, dass dem Feedback der Mitarbeiter und an die Mitarbeiter ein hohes Maß an Bedeutung zukommt, und dass dieses durch die initiierten Projekte auch glaubhaft vorgelebt werden muss.
11 Information und Kommunikation
Ergebnisse aus einer ersten Befragung können z. B. die zunehmende Bedeutung von Teamarbeit und die Stärkung der Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter durch die Bildung von Innovationsteams und die Organisation in Fertigungsinseln sein. Des Weiteren kann speziell im Anlagengeschäft durch den neuartigen Einsatz eines sog. Customer Focus-Mobils, das regelmäßig unterschiedliche „Projektbaustellen“ anfährt, die Verteilung aktueller Informationen forciert werden. Zusätzlich sollte bereits nach der ersten Befragung eine Unternehmensbroschüre erarbeitet werden, die ein Bekenntnis zum partnerschaftlichen Führungsstil enthält – ein wichtiger Schritt in Richtung einer von Vertrauen und offener Kommunikation geprägten Unternehmenskultur. Immer bedeutender im Prozess des Change Managements ist ebenfalls die Klärung der Frage, inwieweit Führungskräfte aus Sicht der von ihnen geführten Mitarbeiter den Kulturwandel tatsächlich vorantreiben bzw. nur Lippenbekenntnisse von sich geben. Um den einzelnen Führungskräften ein konkretes und differenziertes Feedback geben zu können, kann eine Vorgesetztenbeurteilung mit in die Mitarbeiterbefragung aufgenommen werden. Die entsprechenden Fragebögen werden nicht intern, sondern extern ausgewertet, und die beurteilten Führungskräfte erhalten eine zusammenfassende Bewertung ihres Führungsverhaltens, die sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern diskutieren sollen. Die Anonymität der Antworten jedes einzelnen Mitarbeiters wird u. a. dadurch gewährleistet, dass als Voraussetzung für eine Vorgesetztenbeurteilung eine Mindestgruppengröße von drei Mitarbeitern vorgesehen wird.
11.4.4.2 Interne Kundenbefragung am Beispiel eines Dienstleistungsunternehmens Die Ergebnisse aus internen Kundenzufriedenheitsanalysen sollten prinzipiell einen ebenso hohen Stellenwert besitzen wie die Ergebnisse externer Kundenbefragungen. Nur die gleichwertige Behandlung der internen und externen Kunden ermöglicht es, die Kundenbedürfnisse ganzheitlich zu erfassen und entsprechende Kompetenzen aufzubauen. Hierbei gilt es zunächst, verbindliche „Contractings“ zwischen Lieferanten und internen Kunden auszugestalten, um eine Vertrauensbasis hinsichtlich des gemeinsamen Zieles „Kundenzufriedenheit“ zu schaffen. Erst hiernach
11.4 Kunden-Lieferanten-Beziehung im Unternehmen
ist es sinnvoll, eine interne Kundenzufriedenheitsanalyse durchzuführen: zum einen, um das Erreichen der in den „Contractings“ gemeinsam vereinbarten Ziele (differenzierte Betrachtung der Kundenzufriedenheit) zu verfolgen und zum anderen, um Stärken und Schwächen aus Sicht der internen Kunden aufzuzeigen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen abgeleitet und das zugrunde liegende Leistungsspektrum optimiert. Im Vorfeld der Analyse ist die Selbsteinschätzung durch das betrachtete Unternehmen besonders wichtig, da erst hierdurch ein Vergleich zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung möglich wird. Findet im Vorfeld der Analyse keine Selbsteinschätzung statt, besteht die Gefahr, dass die Selbsteinschätzung im nachhinein an die Ergebnisse aus der Fremdeinschätzung angepasst wird und somit die Feedback-Funktion verlorengeht. Neben der Selbsteinschätzung sollten im Vorfeld ebenfalls • die allgemeinen Unternehmensziele, • die an die Abwicklung des Geschäftes gestellten Ansprüche, • die für den jeweiligen Geschäftsprozess erfolgskritischen Faktoren und • die auszubildenden Kernkompetenzen definiert werden. Die Aufnahme dieser Sachverhalte in die Fragebögen ist Voraussetzung, um Anhaltspunkte aus der Analyse zur Neugestaltung sowohl der Unternehmensprozesse als auch der Unternehmenskultur zu gewinnen. Stimmen die eigenen Erwartungen, die Kompetenzen und die Gewichtung dieser Größen mit denen der Kunden überein, handelt es sich tatsächlich um eine „Customer driven company“. Ein Vergleich mit externen Anbietern vervollständigt das Bild des eigenen Unternehmens. Die Fragebögen sollten so aufgebaut sein, dass folgende Ergebnisse herausgearbeitet werden können: • Ableitung von Kundengruppen nach verschiedenen Kundenzufriedenheitskriterien, • Auswertung der Fragen mit und ohne Differenzierung nach Kundengruppen, • Ableitung von Kernaussagen hinsichtlich der eigenen Stärken und Schwächen sowie des Wettbewerbsumfeldes aus Sicht der Kunden und • Aufzeigen des Verbesserungspotenzials und Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen.
761
Um die Reproduzierbarkeit der Untersuchungsergebnisse sowie die Weiterentwicklung dieses Instruments zu gewährleisten, bietet sich ein 5-stufiges Vorgehen an:
1. Selbsteinschätzung Stärken-Schwächen-Profil, Formulierung der eigenen Unternehmensziele, Definition der erfolgskritischen Faktoren, Darstellung eines idealtypischen Unternehmensprozesses, Beschreibung der vorhandenen bzw. auszubildenden Kernkompetenzen.
2. Auswahl und Information der Kunden Eine Befragung aller Kunden ist oftmals aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Daher ist es um so wichtiger, bei der Kundenauswahl einen repräsentativen Querschnitt zu erreichen, indem bei der Befragung auf unterschiedliche Sparten, Hierarchieebenen und zufriedene, unzufriedene, unklare oder potenzielle Kunden zugegriffen wird. Durch eine Vorabinformation der am Befragungsprozess beteiligten Personen über Sinn, Aufbau etc. der Kundenzufriedenheitsanalyse kann die Beteiligungsmotivation gesteigert werden.Zusätzlich können die Rücklaufzeiten verkürzt und die Aussagequalität verbessert werden, da bei der Beantwortung mit weniger Verständnisfehlern zu rechnen ist.
3. Befragung Sie kann in schriftlicher Form oder in Interviewtechnik erfolgen. Wichtig ist, dass die Befragung und Auswertung durch eine externe Instanz erfolgt, um eine hinreichende Objektivität zu erreichen.
4. Analyse Hierzu zählt neben der bloßen Darstellung der Zufriedenheitsprofile insbesondere die Korrelation unterschiedlicher Untersuchungsbereiche, da diese Indizien für Ursachen und mögliche Widersprüche sind. Die graphische Darstellung der Korrelationen mittels Schnittmengenbetrachtung ist ein geeignetes und hier-
762
Zufriedenheit mit dem Ergebnis Σ = 14
11 Information und Kommunikation
0
5
2
Zufriedenheit mit der Durchführung Σ = 15
8 0
1
3 Unzufriedenheit mit der Kompetenz Σ = 12 Abb. 11.30 Korrelation der Ergebnisse aus einer internen Kundenzufriedenheitsanalyse
fachspezifisches Know-how
bei gleichzeitig einfaches Hilfsmittel. Hierzu ein kurzes Beispiel: Insgesamt waren zwölf der befragten Personen mit der Kompetenz unzufrieden; von diesen zwölf Personen waren jedoch acht sowohl mit dem Ergebnis als auch mit der Durchführung und eine Person immerhin noch mit dem Ergebnis zufrieden. Diese und ähnliche Aussagen wären ohne die gewählte graphische Darstellungsform nur unter einem wesentlich höheren Aufwand zu treffen. In der durchgeführten Kundenbefragung konnte mit dieser Darstellung auf sehr anschauliche Weise festgehalten werden, dass zwei Drittel der Befragten trotz ihrer Unzufriedenheit im Kompetenzbereich mit dem erzielten Ergebnis und der Durchführung zufrieden waren – ein Widerspruch, der bei einer Einzeldar-
stellung der Ergebnisse nicht so offensichtlich wäre (Abb. 11.30). Innerhalb der Analyse sollte zusätzlich eine Positionierung des eigenen Unternehmens im Wettbewerbsumfeld erfolgen. Hierzu gilt es, das gesamte Dienstleistungsspektrum der internen Kunden und der entsprechenden externen Anbieter abzudecken, wobei dem eigentlichen Zielmarkt des eigenen Unternehmens besondere Bedeutung zukommt. Die Einordnung in das Tableau erfolgt sinnvollerweise anhand der vom Kunden beurteilten Kriterien „fachspezifisches Know-how“ und „branchenspezifisches Knowhow“ (Abb. 11.31).
5. Handlungsempfehlung Grundsätzlich lässt sich in der vorliegenden Fallstudie festhalten, dass der Ausgangspunkt jeder weiteren Aktivität zur Etablierung der angebotenen Dienstleistung eine Bedarfsanalyse der Zielkunden sein muss, um • darauf aufbauend strukturelle Anpassungen vorzunehmen, • eine Konzentration auf entsprechende Kernkompetenzen einzuleiten, • die hierfür erforderliche Qualifikation der Dienstleister auszubauen und • anschließend ein referenzgestütztes Image aufzubauen. Das heißt, die vorgegebene Richtung entspricht der eines kompetenten, kundengesteuerten Dienstleistungsunternehmens (Abb. 11.32).
Dienstleistungsbedarf der internen Kunden
K1
K3
K2
K5
K4 DL
Zielmarkt bei derzeitiger strategischer Ausrichtung und breitem Dienstleistungsspektrum
branchenspezifisches Know-how Abb. 11.31 Positionierung des eigenen Unternehmens im Wettbewerbsumfeld aus interner Kundensicht
11.4 Kunden-Lieferanten-Beziehung im Unternehmen
Bedarfsanalyse interner Kunden
strukturelle Anpassungen
• Attraktivität verschiedener Dienstleistungssparten • strategische Neuausrichtung • Wahl der Kernkompetenzen
763
Aufbau eines referenzgestützten Images
Ausbau der Qualifikation
kompetenter, kundengesteuerter Dienstleister
• Ausbau des Know-hows • Förderung der Kernkompetenzen im Personalbereich
• Know-how-Sicherung • Anpassung an Kernkompetenzen
• Schaffung langfristiger Kundenbindung • Key-Account Mangement
Abb. 11.32 Wege zum kundenorientierten Dienstleister
11.4.4.3 Internes Key-Account Management Die Erhöhung des externen Kundennutzens durch die Tätigkeiten der sog. „Front-End-People“ (Abb. 11.22) setzt ein ausgeprägtes Dienstleistungsverständnis aller am Leistungsprozess beteiligten Gesellschaften und Mitarbeiter voraus. Immer kürzere Innovationszyklen, zunehmende Komplexität und wachsender Kostendruck sind nur noch ganzheitlich zu managen. Hierbei kann es sich kein Unternehmen leisten, durch zu viele Schnittstellen (inklusive der daraus resultierenden Probleme) die Befriedigung der Kundenbedürfnisse leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Aus dem ausgeprägten Dienstleistungsverständnis erwachsen Anforderungen, die von einzelnen Mitarbeitern nur unter besonders hohem Aufwand zu erfüllen sind. Aus diesem Grund kommt der Gedanke der Teamarbeit nicht nur in den produktiven Bereichen, sondern ebenfalls in den Dienstleistungsbereichen zur Anwendung. Es wird in diesem Zusammenhang von der Bildung kundenspezifischer Teams, sog. Key-Account Teams, gesprochen, die folgende Hauptziele verfolgen: • optimale Umsetzung der Kundenerwartung sowie • Aufbau zuverlässiger Partnerschaften mit dem Kunden. Es handelt sich hierbei um „cross-funktionale“ Teams, die sich immer aus dem Kunden und je nach Aufgabenschwerpunkt aus Mitarbeitern der Technik, Produktion, Planung, Materialwirtschaft, Einkauf, Marketing etc. zusammensetzen. Der Kunde hat also für jedes auftretende Problem einen direkten Ansprechpartner im Key-Account Team und kann somit über die laufende Teamarbeit Einfluss auf eine schnelle Problemlösung nehmen. Im Vordergrund der laufenden Teamarbeit steht immer eine Vereinfachung und Ver-
besserung der Geschäftsabläufe, eine Erhöhung der Produkt- und Dienstleistungsqualität und Liefertreue sowie eine Senkung der Gesamtkosten. Jedes Team wird durch einen Key-Account Manager betreut und angeleitet, der für den Umsatz sowie für Inhalt, Kosten und erreichbare Ergebnisse in seinem „Account“ verantwortlich ist. Der Key-Account Manager entwickelt auch kundenbezogene Strategien, gestaltet das Marketing seines Kunden mit und ist letztlich durch die Gestaltung der Beziehung zum Kunden sowie dem jeweiligen Segment für die Kundenzufriedenheit verantwortlich. Das Arbeiten in Key-Account Teams setzt ein hohes Maß an Vertrauen, Offenheit und Kooperationsbereitschaft voraus und ist daher insbesondere zur Optimierung interner Kunden-LieferantenBeziehungen geeignet, da weder Kunde noch Lieferant um einen Know-how-Verlust fürchten müssen. Die Erfahrung aus den internen Prozessen können dann zur Bildung weiterer Key-Account Teams herangezogen werden, die den externen Kunden auf die gleiche Art eng in die Unternehmensprozesse integrieren. Das klassische Key-Account Management, das ausschließlich vertriebsorientiert ist, erfährt bei der Anwendung auf interne Kunden eine wesentliche Erweiterung im Sinne einer ganzheitlichen Prozessgestaltung.
11.4.5 Schlussbemerkung Eine konsequent dezentralisierte und prozessorientierte Organisationstruktur ist einewichtige Voraussetzung, um im globalen Wettbewerb die Kundenzufriedenheit zu erreichen. Sie erfordert völliges Umdenken und radikales Umgestalten der internen Geschäftsabläufe und der Geschäftspraktiken
764
zwischen den dezentralen Organisationseinheiten. Kunden-Lieferanten-Beziehungen im Unternehmen müssen mindestens nach den gleichen Kriterien gestaltet werden, die bei externen Kunden und Lieferanten zur Anwendung kommen. Zum Gelingen dieser Beziehungen tragen aber letztendlich die Menschen im Unternehmen bei. Für sie müssen daher Voraussetzungen geschaffen werden, die zum neuen Denken und Verhalten befähigen. Bei der Neugestaltung der Organisationsstrukturen darf dieser Aspekt nicht vergessen werden.
Literatur 1. Handy, Ch.: The Empty Raincoat – Making Sense of the Future. London: Hutchinson 1994 2. Hammer, M.; Champy, J.: Reengineering the Corporation. New York: HarperCollins 1993 3. Morris, D.; Brandon, J.: Revolution im Unternehmen – Reengineering für die Zukunft. Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1994 4. Porter, M.E.: Wettbewerbsvorteile – Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt: Campus 1989 5. Bellmann, M.: Zeitmanagement. In: Handbuch Unternehmensführung. Hrsg.: Corsten, H.; Reiß, M., Wiesbaden: Gabler 1996
Weiterführende Literatur Ghoshal, S.; Barlett, C.A.: The Individulized Corporation. A Fundamentally New Approach to Management. London: Heinemann, 1997 Savage, C.M.: Fifth Generation Management. Zürich: vdf Hochschulverlag AG, 1997 Reichheld, F.F.; Teal, T.A.: The Loyalty Effect: The Hidden Force Behind Growth, Profits, and Lasting Value. Boston: Harvard Business School Press, 2001 Picot, A.; Reichwald, R.; Wigand, R.T.: Die grenzenlose Unternehmung. 4. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 2001
11.5 Telekooperation und Virtualisierung Informations- und Kommunikationstechnologien haben einen nachhaltigen Wandel in Organisationen ausgelöst. Sie sind zentrale Triebkraft für die Herausbildung neuer verteilter Arbeits- und Organisationsformen. Wie können diese neuen Arbeitsformen in der
11 Information und Kommunikation
praktischen Realisierung aussehen? Welche Möglichkeiten eröffnen sie für die Unternehmung? Welche Anforderungen und Bedingungen müssen für eine erfolgreiche Realisierung erfüllt sein? Und welche Barrieren sind bei ihrer Einführung zu überwinden? Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die grundlegenden Dimensionen sowie alternative Organisations- und Gestaltungsformen der Telekooperation und beleuchtet das Phänomen der Virtualisierung von Unternehmensstrukturen. Er liefert wertvolle Hinweise für eine realistische Einschätzung, sachgerechte Umsetzung und erfolgreiche Nutzung der Potenziale der Telekooperation als Basis organisatorischer Innovationsstrategien der Unternehmung. Hierzu werden zunächst grundlegende Gestaltungsoptionen telekooperativer Arbeits- und Organisationsformen aufgezeigt (Abschn. 11.5.1) sowie Grundformen, Dimensionen und Strategien der Telekooperation im Überblick vorgestellt (Abschn. 11.5.2). Sie bilden die Basis für die Diskussion von Konzeption und Zielsetzung der Virtualisierung von Unternehmensstrukturen (Abschn. 11.5.3). Schlussfolgerungen zum Management der Virtualisierung fassen wesentliche Aspekte zusammen (Abschn. 11.5.4).
11.5.1 Neue Arbeits- und Organisationsformen durch Telekooperation Durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und vor dem Hintergrund verschärfter Wettbewerbsbedingungen vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel der Unternehmensstrukturen. Die Potenziale elektronischer Medien erlauben es, Wertschöpfungsprozesse zunehmend unabhängig von Ort und Zeit durchzuführen. Die Grenzen der Unternehmung lösen sich in vielfacher Weise auf, und neue Formen der Arbeits- und Organisationsgestaltung entstehen. An die Stelle einer strengen räumlichen und zeitlichen Gebundenheit der Unternehmung tritt eine schrittweise Standortauflösung mit der Herausbildung neuer Formen standortverteilter und standortunabhängiger Zusammenarbeit: der Telekooperation [1, 2]. Telekooperation erlaubt eine Vielzahl möglicher Realisierungsformen. Es sind Entwürfe für die Arbeitswelt der Zukunft in einer Zeit des Struktur- und
Wertewandels. Für Unternehmen wird es immer wichtiger, die nachhaltigen Veränderungen der Rahmenbedingungen und neuen Bedürfnisstrukturen zu reflektieren und in neuen Organisationsentwürfen zu berücksichtigen. Telekooperative Arbeits- und Organisationsformen kommen den veränderten Bedingungen dabei in vieler Hinsicht entgegen: Die neuen Möglichkeiten mediengestützter arbeitsteiliger Leistungserstellung erlauben eine grundlegende Reorganisation betrieblicher Wertschöpfungsketten sowie die Dezentralisierung und Autonomisierung von Arbeitsstätten und Organisationseinheiten. Neue Arbeits- und Organisationsformen überwinden traditionelle Grenzen dabei in unterschiedlicher Form und Reichweite. Leitbild ihrer Gestaltung ist vielfach die Vision der „virtuellen Unternehmung“. Als Extremform organisatorischer Innovation verbindet die virtuelle Unternehmensorganisation • Aspekte der Modularisierung von Geschäftsprozessen und Unternehmensstrukturen, die im Wesentlichen auf ein Aufbrechen klassischer Grenzziehungen im Inneren von Unternehmen zur Bewältigung steigender Produktkomplexität gerichtet sind, und • Aspekte der Netzwerkbildung zwischen Unternehmen – der Herausbildung unternehmensübergreifender Kooperationen und Wertschöpfungspartnerschaften, die in erster Linie die Auflösung von Grenzen zwischen Unternehmen betreffen und vor allem auf Risikostreuung unter Bedingungen hoher Marktunsicherheit abzielen. Virtuelle Unternehmen entstehen durch die Vernetzung verteilter, relativ autonomer Organisationseinheiten, die an einem koordinierten arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind. Die individuelle Aufgabe determiniert dabei idealtypisch die Struktur der virtuellen Unternehmung. Die resultierende Organisationsform ist prozessorientiert und von temporärem Bestand. Auf Grund dieser problem- und aufgabenbezogenen Konfiguration wird virtuellen Unternehmen vielfach das Potenzial zugeschrieben, über mehr Kapazitäten und Ressourcen als andere Organisationskonzepte zu verfügen und besonders schnell und flexibel auf Kunden- und Marktanforderungen reagieren zu können. Die Virtualisierung von Organisationen als Strategie der dynamischen Vernetzung modularer Organisationseinheiten in und zwischen Unternehmen gilt daher als besonders geeignet, um
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Marktunsicherheit
11.5 Telekooperation und Virtualisierung
Vernetzte Organisation
Virtuelle Organisation
Hierarchische Organisation
Modulare Organisation
Produktkomplexität Abb. 11.33 Entwicklungsstrategien organisatorischer Innovation [3]
zugleich extremen Organisationsanforderungen hoher Produktkomplexität wie unsicherer Märkte gerecht zu werden (vgl. Abb. 11.33). Telekooperation bietet die Basis ihrer Realisierung.
11.5.2 Grundformen, Dimensionen und Strategien der Telekooperation Telekooperation bezeichnet das Gesamtspektrum mediengestützter arbeitsteiliger Leistungserstellung zwischen verteilten Aufgabenträgern, Organisationseinheiten und Organisationen. Telekooperative Arbeitskonzepte gelten als besonders aussichtsreich hinsichtlich einer Verbesserung von Qualität, Flexibilität und Marktnähe der Leistungen von Unternehmen. Zwar sind völlig unterschiedliche Formen der Telekooperation denkbar, doch genießt in der öffentlichen Diskussion das Teilphänomen der Telearbeit, meist im Sinne alternierender Teleheimarbeit verstanden, noch immer die weitaus größte Beachtung. Ihr wird das Potenzial zugeschrieben, für Mitarbeiter, Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen Vorteile zu bieten. Stellt man die Frage, welche organisatorischen Möglichkeiten sich auf der Basis neuer Telemedien ergeben und welche Wettbewerbs- und Marktstrategien sich daraus für eine Zukunftssicherung von Unternehmen ableiten lassen, so ist eine isolierte Sicht auf Teleheimarbeit indes wenig förderlich. Ein derart enger Blickwinkel liefert kaum Hinweise darauf, wie die Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh-
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11 Information und Kommunikation
men tatsächlich gesteigert, Arbeitsplätze gesichert oder neue Beschäftigungsformen geschaffen werden können. Erst ein erweiterter Fokus schafft hierfür Ansatzpunkte. Mit der Betrachtung alternativer Formen der Telearbeit, ihrer Einbindung im übergreifenden Modell der Telekooperation sowie ihrer strategischen Umsetzung auf der Ebene des Arbeitsplatzes, des Wertschöpfungsprozesses und der Organisation wird im Folgenden ein solcher erweiterter Blickwinkel eingenommen (vgl. hierzu und im Folgenden [1]).
11.5.2.1 Formen der Telearbeit Telearbeit fokussiert auf die räumliche Anordnung und Ausgestaltung einzelner Arbeitsplätze. Als primär arbeitsplatzorientierter Gestaltungsansatz zielt Telearbeit auf eine Flexibilisierung der Aufgabenbewältigung durch eine Verlagerung von Arbeitsstätten. Vier Grundrichtungen der räumlichen Arbeitsplatzverlagerung lassen sich unterscheiden (Abb. 11.34): • Home-Based Telework umfasst alle Formen der Telearbeit vom häuslichen Arbeitsplatz aus. • Center-Based Telework bezeichnet alle Formen der Bündelung von Telearbeitsplätzen in hierfür eingerichteten Telearbeits- und -servicezentren. • On-Site Telework bezeichnet Telearbeit am Standort des Kunden, des Lieferanten oder allgemein am Standort des Wertschöpfungspartners. • Mobile Telework umfasst das standortunabhängige Arbeiten an einem mobilen Arbeitsplatz. Will man die Möglichkeiten telekooperativer Aufgabenbewältigung ausloten, muss neben dem Arbeitsort gleichermaßen die Arbeitszeit, die Vertragsform und die Art der technischen Infrastruktur Berücksichtigung finden. Unter der Vielzahl möglicher Ausprägungsformen der Telearbeit gibt es keinen eindeutigen Favoriten. Telekooperation ergibt sich in der Praxis daher in aller Regel als Kombination der genannten unterschiedlichen Realisierungsformen. Je nach Aufga-
Telearbeit: Neue Formen der Arbeitsplatzgestaltung Home-Based Telework
Center-Based Telework
Mobile Telework
On-Site Telework
Abb. 11.34 Formen der Telearbeit
be und Projektanforderung kann die eine oder andere räumliche, zeitliche, vertragliche oder technische Realisierungsform Vorteile bieten.
11.5.2.2 Modell der Telekooperation Während in klassischen, standortgebundenen Organisationen die beteiligten Akteure bei der arbeitsteiligen Leistungserstellung vorrangig direkt kooperieren, erlauben Telemedien heute auch entfernte Zusammenarbeit. Immer dann, wenn Zusammenarbeit derart durch neue Telemedien unterstützt wird, spricht man von Telekooperation. Telekooperation – eine Wortschöpfung aus (griech.) „entfernt“ + cum (lat.) „zusammen“ + opus (lat.) „Arbeit“ – bezieht sich auf das Gesamtspektrum mediengestützter arbeitsteiliger Leistungserstellung und fokussiert so auf die Besonderheiten der Verteiltheit und Standortunabhängigkeit. Organisation ergibt sich als Wechselspiel von Aufgabenteilung und Koordination. Die Aufgabenbewältigung in arbeitsteiligen Strukturen umfasst neben der Bewältigung der Sachaufgabe stets auch die Bewältigung der Koordinationsaufgabe. Telemedien bieten neue Möglichkeiten sowohl für die Bewältigung der Sachaufgabe als auch der Koordinationsaufgabe. Damit betrifft Telekooperation den Kern des Organisationsproblems. Die drei zentralen Fragestellungen lauten: • Wie erfolgt die Aufgabenbewältigung? (Bewältigung der Sachaufgabe) • Wie erfolgen Koordination und Führung? (Bewältigung der Koordinationsaufgabe) • Was ist das Produkt? (Resultierende Leistung) Folgendes Begriffssystem zur Telekooperation hat sich zur Behandlung derartiger Fragestellungen als hilfreich erwiesen (vgl. Abb. 11.35). Es unterscheidet drei Dimensionen der Telekooperation: Telearbeit, Telemanagement und Teleleistungen. Dieses Modell bildet einen Rahmen für Ansätze zur Gestaltung und Bewertung telekooperativer Organisationsformen. • Die Telearbeit-Perspektive befasst sich mit der Gestaltung menschlicher Arbeit unter den Bedingungen der Verteilung und Mobilität. Im Zentrum stehen die folgenden Fragen: Welche Formen verteilten Arbeitens sind zu unterscheiden? Welche Realisierungen wurden bislang erprobt? Welche Erfah-
11.5 Telekooperation und Virtualisierung
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Konsequenzen ergeben sich aus einem standortunabhängigen Leistungsangebot für den marktlichen Wettbewerb und die Konkurrenzfähigkeit?
Telekooperation Telearbeit mediengestützte, verteilte Aufgabenbewältigung
Telemanagement mediengestützte, verteilte Aufgabenkoordination
Teleleistung mediengestützte, verteilte Dienstleistung
Informations- und Kommunikationstechnologie Abb. 11.35 Modell der Telekooperation
rungen sind zu verzeichnen? Und welche Antriebskräfte, aber auch Barrieren beeinflussen die zukünftige Entwicklung? • Die Telemanagement-Perspektive untersucht, wie eine solche verteilte Aufgabenerfüllung koordiniert werden kann. Dabei stehen die folgenden Problemfelder im Blickpunkt: Welche neuen Anforderungen ergeben sich für eine Koordination verteilten Arbeitens? Wie verändern sich Führungsprozesse bei telekooperativen Arbeitsformen? Welche Optionen, aber auch Restriktionen resultieren für die Mitarbeiterführung in verteilten Organisationen? • Die Teleleistung-Perspektive fragt nach den resultierenden Leistungen, ihrem Markt und Abnehmern: Welche Leistungen sind dazu geeignet, in Telekooperation erbracht zu werden? Welche neuen Informationsprodukte werden durch telekooperative Arbeitsformen erst ermöglicht? Und welche
Telearbeit, Telemanagement und Teleleistungen bilden somit drei Blickwinkel auf die Telekooperation. Diese helfen, neue Gestaltungsoptionen für verteilte Arbeits- und Organisationsformen auszuloten in Bezug auf neue Formen verteilter Aufgabenbewältigung, neue Formen der Koordination und Führung sowie neue Produkte im innovativen Bereich medienbasierter Dienstleistungen. 11.5.2.3 Strategien der Telekooperation Telemedien schaffen neue Freiheitsgrade und eröffnen Potenziale für Innovation und Flexibilisierung in Unternehmen und Märkten. Die Realisierung dieser Potenziale und der damit verbundenen ökonomischen Nutzeffekte jedoch hängt ab von der jeweils verfolgten Umsetzungsstrategie. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive lassen sich im Bereich der Telekooperation Strategien räumlicher Flexibilisierung auf drei Ebenen unterscheiden (vgl. Abb. 11.36): • Telearbeit als Arbeitsplatz-Strategie richtet den Fokus auf die räumliche Verteilung von Arbeitsplätzen. • Telekooperation als Wertschöpfungsprozess-Strategie stellt die neuen Optionen der Verteilung in den
WertschöpfungsprozessStrategie Telekooperation ArbeitsplatzStrategie
Telearbeit
Telemana- Telegement leistung
HomeCenterBased Based Telework Telework Mobile On-Site Telework Telework Abb. 11.36 Strategien der Telekooperation
Marktunsicherheit
Organisationsstrategie vernetzt
virtuell
hierarchisch
modular
Produktkomplexität
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Kontext übergeordneter Wertschöpfungsprozesse in und zwischen Organisationen. • Modularisierung, Vernetzung und Virtualisierung als Organisationsstrategien machen Telekooperation zu Basiselementen organisatorischer Restrukturierung im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in globalen Märkten. Die drei Strategien unterscheiden sich und hängen doch unmittelbar zusammen. Telekooperation als Wertschöpfungsprozess-Strategie steht dabei im Zentrum. Sie setzt die alternativen Formen der Arbeitsplatzverlagerung in ihren jeweiligen organisatorischen Kontext. Die Potenziale und organisatorischen Konsequenzen der Entwicklung telekooperativer Arbeitsformen sind heute erst in Ansätzen absehbar. Um dem Rechnung zu tragen, ist Know-how und Erfahrung erforderlich, welche nur in der praktischen Erprobung der Telekooperation gewonnen werden kann. Aus derartigen Erprobungsprojekten der Telekooperation in Wirtschaft und Verwaltung werden Anstöße für nachhaltige Innovationen in der Arbeitswelt erwartet mit Nutzeffekten für den Mitarbeiter im Bereich der individuellen Ziele, Nutzeffekten für die Unternehmung im Bereich der Flexibilität, der Produktivität sowie im Bereich weiterer wirtschaftlicher Zielgrößen [4, 5]. Darüber hinaus besteht die Erwartung, dass der Wachstumsmarkt neuer telekooperativer Dienstleistungen erhebliche Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt. Dieses Feld wirft jedoch zahlreiche offene Fragen auf, die sich auf die Beschäftigung, auf die Qualität der Arbeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, aber auch auf Fragen der rechtlichen Rahmenbedingungen, der Sicherheit oder der Auswirkungen auf die Gesellschaft beziehen. Es ist Aufgabe der empirischen Anwenderforschung, durch begleitende Evaluation in Pilotfeldern der Telekooperation schrittweise Antworten auf diese Fragen zu geben (vgl. z. B. [5–7]).
11.5.3 Virtualisierung als Organisationsstrategie Wettbewerbsfähigkeit unter veränderten Rahmenbedingungen erfordert Innovationsstrategien, ins-
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besondere Strategien organisatorischer Innovation. Telekooperation bietet dafür in mehrfacher Hinsicht geeignete Ansatzpunkte. Sie bildet die Basis für Strategien der Modularisierung und räumlichen Dezentralisierung, der standortübergreifenden Vernetzung und der aufgabenorientierten Ad-HocKooperation in virtuellen Unternehmen. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Strategien verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit alternativen Formen und Funktionsweisen der Telekooperation. Sie erfordert aber auch ein grundlegendes Verständnis für Konzeption und Zielsetzung der Virtualisierung von Unternehmensstrukturen als Organisationsstrategie. Virtuelle Unternehmen können als „Weiterentwicklung“ hybrider Koordinationsformen auf der Basis veränderter rechtlicher und technologischer Rahmenbedingungen verstanden werden. Sie stellen arbeitsteilige Verflechtungen zwischen Unternehmen dar (vgl. hierzu auch [8–17]). Aufgabenbewältigung in virtuellen Unternehmen findet nicht in statischen, vordefinierten Strukturen statt. Es erfolgt vielmehr eine problembezogene, dynamische Verknüpfung realer Ressourcen zur Bewältigung spezifischer Aufgabenstellungen. Es handelt sich also um eine Organisationsform, die in Teilen, aber auch als Ganzes, flüchtig sein kann (sich also nach einer Problemlösung wieder völlig auflöst) oder aber durch dynamische Rekonfiguration in der Lage ist, sich hochgradig variablen Aufgabenstellungen flexibel anzupassen. Die virtuelle Organisation ist damit eher „Spinnwebe“ als Netzwerk. Sie bildet den Gegenpol zu Unternehmensformen mit eigentumsmäßig und vertragsmäßig relativ klar definierten Grenzen, einer stabilen Standortbindung, einer relativ dauerhaften Ressourcenzuordnung und geregelten Ablaufstrukturen. Im Sinne des Virtualitätsbegriffs der Philosophie des Aristoteles kann die virtuelle Organisation als reine Möglichkeitsform oder idealtypische Zielvorstellung einer in jeglicher Hinsicht grenzenlosen Unternehmung verstanden werden. Sie kann aber auch als eine Organisationsform interpretiert werden, die Virtualisierung im Sinne der Informatik als Konzept der Leistungssteigerung einsetzt und eine systematische und dynamische Zuordnung abstrakter Leistungsanforderungen zu konkreten Orten der Leistungserbringung realisiert [18].
11.5 Telekooperation und Virtualisierung
11.5.3.1 Leistungssteigerung durch Virtualisierung Die Frage nach den Wurzeln des organisatorischen Virtualisierungsbegriffs führt in die Informatik. Virtualisierung ist im Bereich der Informatik als Architekturkonzept in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung [19, 20]. Durch eine konzeptionelle Unterscheidung von physischen und logischen Rechnerkomponenten sollen Kapazitäts- und Flexibilitätsgrenzen der Hardware-Architektur überwunden werden. Das Konzept virtueller Systemkomponenten erlaubt es beispielsweise, gleichzeitig vielen „Kunden“ eines Systems den Eindruck einer exklusiven Bedienung zu vermitteln. Der „Kunde“ sieht nur das logische System. Wie seine Anforderungen letztlich durch eine dynamische Zuordnung von logischen auf reale Systemkomponenten erfüllt werden, bleibt ihm verborgen. Das Konzept der Virtualisierung im Bereich der Speicherarchitektur von Computersystemen bildet das wohl am besten geeignete und meist zitierte Vorbild für die Architektur virtueller Organisationen. Ausgangspunkt für die Bildung eines virtuellen Speichers sind Zielkonflikte zwischen Geschwindigkeit, Kapazität und Kosten von Speichermedien. Schnelle Speichermedien sind teuer und können daher nur in geringer Kapazität vorgehalten werden. Langsame Speichermedien hingegen sind vergleichsweise kostengünstig. Sie stehen theoretisch in beliebigem Umfang zur Verfügung. Ist nun ein Auftrag zu erledigen, der eine rasche Bearbeitung trotz großen Kapazitätsbedarfs erfordert, so kann dieser Anforderung durch eine dynamische Zuordnung des logischen Gesamtspeichers auf den kleinen, aber schnellen realen Speicher Rechnung getragen werden. Durch eine geschickte Kombination heterogener Komponenten mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen (Schnelligkeit, hohe Kapazität, niedrige Kosten) im Inneren des Systems können nach außen verschiedene Erscheinungsformen (Geschwindigkeit, Größe, Kostenführerschaft etc.) realisiert werden. Ohne dass jede einzelne Systemkomponente alle Anforderungen zugleich optimal erfüllen muss, können durch das Konzept der Virtualisierung selbst teilweise widersprüchliche Leistungsziele erfüllt werden. Dieses technische Konzept zur Leistungssteigerung von Rechnerarchitekturen kann nur bedingt auf soziale Systeme und die Architektur von Unternehmensorganisationen übertragen werden. Dennoch sind Ana-
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logien zu in der Praxis beobachtbaren Realisierungen virtueller Organisationen unübersehbar. Ein Beispiel bildet ein Übersetzungsbüro, das mit anderen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Übersetzungsbüros und freiberuflichen Übersetzern weltweit „vernetzt“ ist. Als offene Verbundorganisation bilden sie ein virtuelles Unternehmen, das weltweit agiert. Es kann Übersetzungsleistungen in (fast) jeder Sprache und (fast) jedem Fachgebiet durch qualifizierte Fachübersetzer anbieten. Jeder einzelne Auftrag nimmt dabei nur einen bestimmten Teilausschnitt des Gesamtverbundes in Anspruch. Dieser Ausschnitt ist die „Organisation“, die sich auftragsbezogen konfiguriert und nach Beendigung der Auftragsausführung wieder auflöst. Jeder Akteur trägt sein spezifisches Leistungsund Qualifikationsprofil zu dieser virtuellen Unternehmung bei. Er kann Mitglied unterschiedlicher, völlig unabhängiger, auch nebenläufig operierender „Organisationen“ sein. Die Aufgabenbewältigung findet also nicht in statischen vordefinierten Strukturen statt, sondern erfolgt als problembezogene, dynamische Verknüpfung realer Ressourcen zur Bewältigung konkreter Aufgabenstellungen. Abbildung 11.37 verdeutlicht diese Modellvorstellung virtueller Unternehmen. Ein virtuelles Unternehmen verfügt also in Analogie zum Virtualisierungskonzept der Speicherarchitektur über sehr viel mehr Kapazität als es in seinem Kernbereich als rechtliche Unternehmenseinheit auf Grund der dort verfügbaren menschlichen, technischen, infrastrukturellen oder finanziellen Ressourcen besitzt. In einer virtuellen Unternehmung verlieren traditionelle Unternehmensgrenzen an Bedeutung. Vernetzungen mit Zulieferern oder Kunden können die Entwicklerkapazität erweitern, Vernetzungen mit Marktpartnern das Produkt- und Dienstleistungsspektrum. Selbst Vernetzungen mit Wettbewerbern einer Branche sind von Interesse, wenn beispielsweise eine temporär erweiterte Produktionskapazität (z. B. für die Bewältigung eines Großauftrags wie den Bau eines Flughafens, der ein Einzelunternehmen überfordern würde) erforderlich ist. Eine Erweiterung zeitlicher Kapazitätsgrenzen erfolgt dann, wenn sich ein Unternehmen standortmäßig so verteilt, dass Zeitgrenzen überschritten werden. So kann ein weltweit agierendes Unternehmen auf der Basis von Telekommunikationstechnik Dienstleistungen wie Beratung, Störfall-Diagnosen oder Auskünfte über den Projektstand eines Auftrags rund um die Uhr anbieten, wenn die Anfrage eines Kunden jeweils an einen Stand-
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11 Information und Kommunikation
Kundenauftrag Problemlösung
Virtuelles Unternehmen Netzwerkpartner 1
Netzwerkpartner 4
Netzwerkpartner 5 Netzwerkpartner 2 Netzwerkpartner X Statisches Netzwerk Netzwerkpool
Netzwerkpartner 5 Netzwerkpartner 2
Netzwerkpartner Y Leitunternehmen
Netzwerkpartner Z Beteiligtes Unternehmen des Ad-hoc Netzwerkes
Abb. 11.37 Modellvorstellung virtueller Unternehmen [21]
ort weitergeleitet wird, der sich in Bereitschaft befindet. Der Kunde sieht nicht, an welchem konkreten Ort die Leistungserbringung stattfindet. Für international agierende Fluggesellschaften, für Sicherheitsdienste oder Kundendienste im High-Tech-Bereich ist diese Aufhebung der Zeitgrenzen längst Realität. Virtuelle Unternehmen entstehen also durch Vernetzung standortverteilter Organisationseinheiten, die an einem koordinierten arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind. Durch die Auflösung von Orts- und Zeitgrenzen in Verbindung mit einer Lösung von klassischen Unternehmensgrenzen und -strukturen kann ein Unternehmen für den Markt mehr Leistungen erbringen, als es ihm auf Grund seiner unmittelbar verfügbaren Ressourcen möglich wäre (vgl. ausführlich [1, 2]).
11.5.3.2 Ziele organisatorischer Virtualisierung Das primäre Ziel, das mit der Virtualisierung von Organisationen verfolgt wird, lautet Flexibilität. Virtualisierung zielt also auf die Fähigkeit einer Organisation, sich Veränderungen der Umweltbedingungen dynamisch anpassen zu können. Während organisatorische Stabilisierungsstrategien darauf zielen, den von außen wirkenden Kräften innere Konstanz entgegenzusetzen, streben Flexibilisierungsstrategien nach aktiver Veränderungsverarbeitung und Anpassbarkeit [22]. Bei nur geringen Umweltänderungen bzw. bei einer niedrigen
Variabilität der Anforderungen sind Stabilisierungsstrategien aus Effizienzgesichtspunkten i. d. R. überlegen. Je turbulenter jedoch die Umwelt bzw. je höher die Variabilität der zu erfüllenden Anforderungen ist, desto erfolgreicher ist eine Flexibilisierungsstrategie. Heute wird das Flexibilisierungspotenzial von Konzepten erkannt, die in der Organisationslehre lange als Beispiele für Ressourcenverschwendung und Ineffizienz galten [23]: die Bildung von Organizational Slack (also eine Bereitstellung von mehr Anreizen als zur Zielerreichung minimal notwendig sind), der Aufbau von Strukturredundanz (also die bewusste Vorhaltung redundanter Strukturelemente, z. B. Stellen oder Abteilungen) oder das Zulassen loser Kopplung (also die Auflösung enger Abhängigkeiten zwischen Organisationseinheiten durch Einräumung von Handlungsspielräumen). Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um innerorganisatorische Konzepte zur Flexibilitätssteigerung. Die Organisation selbst besteht fort, ihr inneres Potenzial zur Verarbeitung von Veränderungen jedoch wird erhöht. Anders gelagert ist der Flexibilisierungsansatz der virtuellen Organisation. Er stellt die Dauerhaftigkeit der gesamten Organisationsstruktur in Frage: Virtuelle Organisationen konfigurieren sich aufgabenbezogen. Sie nutzen dazu das Flexibilisierungspotenzial der Informations- und Kommunikationstechnik. Lange Zeit erfolgte der Technikeinsatz in Unternehmen allein unter Gesichtspunkten der Rationalisierung. Durch den Einsatz neuer Technik wurde zwar die
11.5 Telekooperation und Virtualisierung
Produktivität gesteigert, doch meist ging dies zu Lasten der Flexibilität. Produktivität und Flexibilität erwiesen sich als konkurrierende Zielsetzungen. Erst in jüngerer Zeit erlaubt moderne IuK-Technik eine teilweise Rückgewinnung der verlorenen Flexibilität. Ihr Einfluss auf die organisatorische Flexibilität ist enorm. Doch dieser Einfluss ist nicht automatisch positiv. Einerseits sind von einem gezielten Einsatz von IuK-Technik Flexibilitätsverbesserungen in drei Hauptbereichen zu erwarten [24]: • Veränderung der räumlichen und zeitlichen Dimension der Aufgabenbewältigung, • Erhöhung der Geschwindigkeit der Aufgabenbewältigung, • Verbesserung der Reaktionszeit der Unternehmung auf Marktveränderungen. Andererseits ist jedoch zu beachten, dass der Technologieeinsatz durch die inhärente Inflexibilität einer alternden technischen Infrastruktur sich im Laufe der Zeit in einen gegenteiligen Effekt der Starrheit und Inflexibilität für die Organisation wandeln kann. Die Virtualisierung von Unternehmensstrukturen verlangt daher neben dem strategischen Einsatz von IuK-Technologien insbesondere nach einer gezielten Kombination von organisatorischer Modularisierung und Vernetzung zur Erreichung spezifischer Virtualisierungsvorteile. Die IuK-Infrastruktur bildet nur die Basis, die es der virtuellen Unternehmung erlauben soll, in einem gewissen Rahmen • Zentralisierung trotz Dezentralisierung, • Generalisierung trotz Spezialisierung sowie • „virtuelle Größe“ trotz „realer Kleinheit“ zu erzielen und so traditionelle organisatorische Spannungsfelder teilweise zu überwinden (vgl. hierzu ausführlich [1, 2]). Doch was gibt Anlass zu der Erwartung derart grundlegender organisatorischer Brückenschläge? Läßt sich eine solche Zielsetzung organisatorischer Virtualisierung überhaupt theoretisch fundieren?
11.5.3.3 Erklärungsansätze organisatorischer Virtualisierung Aus einer ökonomischen Perspektive ist die Vorteilhaftigkeit einer Virtualisierung von Wertschöpfungsprozessen und Unternehmensstrukturen zunächst alles
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andere als selbstverständlich. Bedingen doch modulare, vernetzte und virtuelle Strukturen, verglichen mit streng hierarchischen Organisationsformen, für alle Beteiligten – Einzelakteure, Organisationseinheiten und Organisationen – einen höheren Koordinationsund Kommunikationsaufwand in quantitativer wie qualitativer Hinsicht [25]. Zunehmende organisatorische Verteilung und wachsende kommunikative Vernetzung bedingen sich wechselseitig. Inwieweit die Erwartungen, die mit einer Virtualisierung von Unternehmen verbunden werden, theoretisch fundiert werden können, ist im Folgenden zu diskutieren. Die Darstellung wird sich auf institutionenökonomische Überlegungen, medien- und wissensökonomische, diffusions- und wettbewerbstheoretische sowie standorttheoretische Überlegungen fokussieren.
Institutionenökonomische Überlegungen Institutionenökonomische Organisationsansätze erwarten eine zunehmende Auflösung und Verteilung der Unternehmung auf Grund wachsender informations- und kommunikationstechnischer Vernetzung [2, 26]. Ausgehend von der klassischen ökonomischen Dichotomie von Markt und Hierarchie als elementare organisatorische Koordinationsstrukturen der Leistungserstellung vermuten sie eine zunehmende Abkehr von der traditionellen, integrierten Unternehmung zugunsten mittlerer und marktlicher Organisationsstrukturen, je mehr Informations- und Kommunikationstechnologien die Kosten der Koordination in arbeitsteiligen Leistungssystemen senken können. Der vermutete Zusammenhang erklärt sich wie folgt: Marktliche, mittlere und hierarchische Organisationsstrukturen sind jeweils für die Erbringung unterschiedlicher Leistungen effizient. Mit zunehmendem Spezifitätsgrad der zu erbringenden Leistung steigt aus ökonomischer Perspektive die Notwendigkeit der Abwicklung in einem integrierten Unternehmen. Die Einführung neuer Informationstechnik führt jedoch für alle drei Organisationsstrukturen zu einer Senkung der Koordinationskosten. Damit lohnt sich die Integration der Leistungserbringung im Unternehmen tendenziell erst bei Leistungen höheren Spezifitätsgrades. Marktliche und mittlere Organisationsstrukturen erweisen sich für immer weiterreichende Leistungsbereiche als ökonomisch vorteilhaft (vgl. Abb. 11.38).
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11 Information und Kommunikation Marktliche Organisationsform
Hierarchische Organisationsform mittleren Grades Organisationsform
Koordinationskosten
tisierung von Kommunikationsprozessen und die damit verbundene Möglichkeit, verteilte Wissensressourcen effizient nutzen zu können, die Triebfeder der Herausbildung verteilter Arbeits- und Organisationsformen. In zunehmend wissensintensiven Wirtschaftsbereichen sind Organisationen auf eine effektive und effiziente Nutzung von verteiltem Know-how angewiesen. Ausgehend von der Überlemit IT-Unterstützung gung, dass bestimmte Wissensbestandteile, wie z. B. ohne IT-Unterstützung individuelles Erfahrungswissen, lokal an Personen gebunden sind und kaum oder gar nicht informations0 S1 S1' S2 S2' Spezifität der Leistung und kommunikationstechnisch übertragen werden können („tacit knowledge“, „sticky information“) Abb. 11.38 Informationstechnik und organisatorische Verteiund dass andere Wissensbestandteile relativ leicht lung aus institutionenökonomischer Perspektive [27] über Distanzen transferiert werden können („explicit knowledge“, „data“), ist aus einer medien- und Noch ist umstritten, ob sich in der Konsequenz priwissensökonomischen Perspektive eine zunehmende mär marktliche oder eher mittlere OrganisationsforZusammenarbeit und Vernetzung verteilter Akteure men als dominant durchsetzen werden: Die so genannzu erwarten [30, 31, 33–38]. Der Zusammenhang te „Move-to-the-Market-Hypothese“, die von der Unlässt sich wie folgt skizzieren: Der Einsatz neuterschiedlichkeit der Kommunikationsbeziehungen in er Informations- und Kommunikationstechnologien alternativen Organisationsformen weitestgehend abin Prozessen des Informations- und Wissensmastrahiert und von einer dominanten Vorteilhaftigkeit nagements hat das Zusammenspiel impliziten und des Marktes ausgeht [27–29], konkurriert mit der so expliziten Wissens in einer Dimension von höchsgenannten „Move-to-the-Middle-Hypothese“, die geter organisatorischer Relevanz nachhaltig verändert. rade die Bedeutung strukturspezifischer KommunikaExplizites, global verteiltes Wissen kann mit Hilfe tionswege für die Vorteilhaftigkeit von Organisationsmoderner Informations- und Kommunikationstechalternativen hervorhebt und in der Folge von einer Donologien mit relativ geringem Aufwand rasch an minanz mittlerer Organisationsformen ausgeht [30– jedem beliebigen Ort verfügbar gemacht werden. Der 32]. Einfluss der Informationstechnik auf die Schaffung, Wenngleich sich die skizzierten Hypothesen und Verteilung und Verwertung expliziter Wissensbestanddie mit ihnen verbundenen Erwartungen in zahlreiteile ist enorm. Explizites Wissen muss heute als in chen Aspekten unterscheiden, so sind sie dennoch von hohem Maße mobil eingestuft werden. Implizites, einer weitreichenden Gemeinsamkeit getragen: Die global verteiltes Wissen ist vom zunehmenden EinZukunftserwartung ist übereinstimmend auf eine tensatz der Informations- und Kommunikationstechnik denzielle Auflösung der Unternehmensgrenzen an der dagegen nur mittelbar betroffen. Es ist weitgehend Schnittstelle zum Markt sowie eine zunehmende Veran die Köpfe der Menschen gebunden. Der Einnetzung und Verteilung von Einzelakteuren, Unternehfluss der Informationstechnik auf die Schaffung, menseinheiten und Unternehmen gerichtet. Aus instiVerteilung und Verwertung impliziter Wissensbetutionenökonomischer Perspektive wird somit eine zustandteile ist damit nachgeordnet. Implizites Wissen nehmende Vorteilhaftigkeit verteilter Arbeits- und Ormuss heute – relativ zur hohen Mobilität expliziter ganisationsformen erwartet, die primär aus sinkenden Wissensbestandteile – als relativ immobil eingestuft Kosten räumlich und zeitlich verteilter Koordination werden. Kurzum: Explizites Wissen wird unter dem resultiert. Einfluss der Informationstechnologie in hocheffizienter Weise transportierbar. Implizites Wissen hingegen Medien- und wissensökonomische Überlegungen ist kaum greifbar und nur unter hohem Aufwand transferierbar. Aus der Sicht medien- und wissensökonomischer Das aber war nicht immer so: Früher bestimmÜberlegungen bildet die fortschreitende Media- te gerade explizites Wissen (in Form von Karteikäs-
11.5 Telekooperation und Virtualisierung
ten, Registraturen oder Bibliotheken) durch seine hohe Immobilität und Standortbindung die raum-zeitliche Gestaltung von Organisationen. Aufgabenträger und Funktionen wurden räumlich und auch organisatorisch dieser expliziten Information zugeordnet, die – relativ zur Mobilität menschlicher Wissensträger – als wenig beweglich und damit standortbestimmend anzusehen war: „IT has changed the costs of processing and transferring certain types of information (e. g. quantitative data), but has done little for other types (e. g. implicit knowledge or skills). IT changes the structure of organizations by facilitating certain information flows as well as by turning knowledge that used to be specific into general knowledge“ [34]. Eric von Hippel untersucht ausführlich, welche Effekte die „Information Stickiness“ auf die organisatorische Gestaltung wissensintensiver, innovationsorientierter Problemstellungen hat und welche Strategien organisatorischer Gestaltung aus ökonomischer Perspektive Erfolg versprechen [37, 38]. Thomas W. Malone greift diese Überlegungen auf: „One implication is that companies should use IT to bring decisions to where the most important sticky information is located. Or, to put it another way, companies should use IT to bring easily communicable information (financial data, news reports, and so forth) to people who have knowledge, experience, or capabilities that are hard to communicate (customer understanding, technical competence, or interpersonal skills)“ [31]. Das implizite Wissen wird also aus ökonomischer Perspektive umso mehr zum Fixpunkt organisatorischer Gestaltung, je leichter Daten und Information über Informations- und Kommunikationstechnologien „anytime&anyplace“ verfügbar gemacht werden können. Verteilte Arbeits- und Organisationsformen sind die ökonomische Konsequenz. Sie bieten das Potenzial, implizite Wissensbestandteile flexibel nutzen zu können.
Diffusions- und wettbewerbstheoretische Überlegungen Verteilte Arbeits- und Organisationsformen können die von ihnen erwartete ökonomische Effizienz und Effektivität nur entfalten, wenn sie ausreichende Verbreitung erfahren. Ihre Vorteilhaftigkeit liegt im Verbund. Das gilt gleichermaßen für verteilte Arbeitsformen (wie die Telearbeit zu Hause, im Center, mo-
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bil oder am Standort des Wertschöpfungspartners), verteilte Wertschöpfungsprozesse (über die Grenzen von Organisationseinheiten und Organisationen hinweg) wie für verteilte Organisationsformen (wie die virtuelle Unternehmung). Verteilte Arbeitsformen verlangen eine kritische Masse an Teilnehmern, um beispielsweise kosteneffiziente Konzepte des Desk Sharing realisieren zu können, verteilte Wertschöpfungsprozesse verlangen die Anschlussfähigkeit vor- und nachgelagerter Prozessstufen, um Prozessbrüche zu vermeiden, und virtuelle Organisationen sind auf kooperationsfreudige Netzwerkpartner und entsprechende Pools „virtueller Mitarbeiter“ angewiesen, um überhaupt zustande zu kommen. Verteilte Arbeits- und Organisationsformen weisen damit die typischen Eigenschaften von Netzwerk- oder Kommunikationsinnovationen auf, die ihren Nutzen erst im Verbund realisieren. Doch aus der Innovationsforschung ist bekannt, dass die Diffusion von Innovationen gerade dann problembehaftet ist, wenn diese mit Verbundeffekten einhergehen, da der Verbundnutzen objektiv kaum messbar ist. Die Ausbreitung lässt sich idealtypisch über die bekannte S-Kurve der Diffusion von Innovationen beschreiben [39]: Wird nach einer Phase zunächst zögerlicher Adoption des Neuen die kritische Masse an Teilnehmern erreicht, so ist in der Folge eine Phase rascher Verbreitung zu erwarten, wobei sich mit zunehmender Sättigung die Diffusionsgeschwindigkeit schließlich wieder abschwächt. Die Erreichung der kritischen Masse bildet einen zentralen Schritt für die Realisierbarkeit des erwarteten Nutzens virtueller Organisationen. Mit zunehmender Verbreitung verteilter Strukturen aber ist ein steigender Verbundnutzen für alle Teilnehmer zu erwarten [3].
Standorttheoretische Überlegungen Standortverteilung und Standortunabhängigkeit arbeitsteiliger Aufgabenbewältigung bilden notwendige (wenn auch nicht hinreichende) Voraussetzungen auf dem Weg zur virtuellen Organisation [40]. Die standorttheoretische Fundierung der Virtualisierung von Unternehmen hat bislang jedoch kaum stattgefunden. Die betriebswirtschaftliche Theorie betrachtet die Standortwahl traditionell als konstitutive Entscheidung, die der Gründungsphase eines Unternehmens zugeordnet wird und zusammen mit Entscheidun-
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gen über Rechtsformwahl, Organisationsstruktur und Unternehmenswachstum den langfristigen Handlungsrahmen für unternehmerische Leistungserstellungsund -verwertungsprozesse bildet [41]. Aufbauend auf dem Grundmodell Alfred Webers [42], der als einer der Begründer der klassischen Standortlehre gilt, wurden vielfältige Standorttheorien entwickelt. Sie befassen sich im Kern mit der Analyse und Systematisierung von Einflussfaktoren auf die Standortentscheidung (so genannten Standortfaktoren) und der Entwicklung von Entscheidungsmodellen zur Standortbestimmung. Unabhängig davon, ob sich die Betrachtung auf Fragen der gesamtwirtschaftlichen, betrieblichen oder innerbetrieblichen Standortproblematik konzentriert, ist das Ziel der Bemühungen in aller Regel die „Optimierung“ des Standortes im Hinblick auf die als relevant identifizierten Standortfaktoren. Ist die Entscheidung über den „optimalen“ Standort einmal gefällt, so wird die räumliche Anordnung der Unternehmung von der betriebswirtschaftlichen Theorie im Wesentlichen als Faktum und Rahmenbedingung hingenommen. Die Frage des Raumes spielte folglich für die traditionelle Organisations- und Führungslehre keine nennenswerte Rolle: Organisationstheorien liefern heute kaum Antworten auf die spezifischen Probleme der Koordination standortverteilter oder mobiler Aufgabenbewältigung, wenngleich diesen Problemen in der Unternehmenspraxis höchste Relevanz zukommt. Zwar fand arbeitsteilige Problemlösung schon immer auch unter den Bedingungen räumlicher Verteilung und Mobilität statt, und schon immer haben Organisationen spezielle Techniken und Mechanismen ausgebildet und eingesetzt, um ihre arbeitsteiligen Aktivitäten unter diesen Bedingungen zu koordinieren. Dennoch unterstellen klassische Organisations- und Führungstheorien implizit in aller Regel, dass es sich bei der Behandlung des Organisationsproblems um eine „same time & same place“-Problemstellung handeln würde. Die ökonomische Theorie charakterisiert Organisationen darüber hinaus traditionell auch explizit als „timeless and placeless institutions“ [43]. Erst in jüngerer Zeit fokussieren auch Organisationsund Führungsansätze auf das Management verteilter Ressourcen, das Design verteilter Organisations- und Führungsformen, die sich wandelnden Standortvorteile auf Grund einer stetig wachsenden Informationsund Wissensintensität von Produkten und Prozessen
11 Information und Kommunikation
sowie die wachsende Bedeutung von Räumen und Regionen [44–49].
11.5.4 Schlussfolgerungen für das Management Neue Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik helfen, traditionelle Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden. Sie erlauben, erleichtern und fördern eine Herausbildung telekooperativer Arbeitsformen und virtueller Unternehmensstrukturen. Standortverteilung per se impliziert jedoch noch keinen Wettbewerbsvorteil für die Unternehmung. Erst Standortverteilung bzw. Standortunabhängigkeit als Ergebnis eines gezielten Raum-/Zeitmanagements zur Nutzung von Standortvorteilen sowie als Antwort auf neue Anforderungen in einer von zunehmender Komplexität und Dynamik geprägten Umwelt erlaubt eine Realisierung nachhaltiger Vorteile im globalen Wettbewerb [50, 51]. Das Konzept der flexiblen telekooperativen Einbindung benötigter Ressourcen erlaubt eine markt- und kundenorientierte Gestaltung und Konfiguration von Leistungen. Damit stellen virtuelle Organisationsformen eine interessante Alternative bzw. Ergänzung zu herkömmlichen Organisationsmodellen mit langfristig definierten Grenzen zwischen innen und außen, einer stabilen Standortbindung und einer relativ dauerhaften Ressourcenzuordnung dar. Konnten diese Organisationsmodelle die Konfiguration materieller Komponenten zu bestimmten Produkten effizient unterstützen, gelingt es virtuellen Organisationsformen, an verschiedenen Standorten verteilte immaterielle Güter wie Kompetenzen und Wissen zu bündeln, um kundenorientierte Leistungen bereitzustellen. Mit virtuellen Organisationformen lassen sich daher erhebliche Potenziale ausschöpfen. Zu nennen sind insbesondere die Erhöhung der Effizienz (z. B. durch Senkung der Produktions- und Transaktionskosten) sowie die Erhöhung der Qualität (durch erhöhte Schnelligkeit, Transparenz, Ressourcenorientierung, Flexibilität etc.) [51]. Damit handelt es sich bei virtuellen Organisationsformen um ein wichtiges Instrument im Wettbewerb, dessen gezielte Anwendung zu neuartigen Leistungen und zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen führen kann.
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11 Information und Kommunikation
11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business 11.6.1 Neue Wege der Informationsübertragung 11.6.1.1 Einleitung Der Zugang zu den Quellen für gute Produkte gehörte früher zu den bestgehütetsten Geheimnissen eines guten Händlers. Heute steht auf fast jedem Produkt eine Web-Adresse und es ist für den Endkunden ohne Aufwand möglich, direkt in Kontakt mit dem Hersteller zu kommen. Der Touristikanbieter, der eine Reihe von Ferienzielen in seinem Katalog zusammengefasst hat, muss damit rechnen, dass Suchmaschinen-erfahrene Endverbraucher den Kontakt mit dem gewünschten Hotel direkt aufnehmen. Der Katalog dient im besten Fall noch als kostenloses Werbemedium für Hotels. Oder der Endkunde wendet sich nach der Lektüre des aufwändig recherchierten, gedruckten und umsonst abgegeben Katalogs an einen reinen Online-Vermittler von Hotelübernachtungen und bucht über diesen elektronischen Intermediär zum günstigsten Preis. Bereits heute gibt es Online-Shops, die nur minimale Produktinformationen und keinerlei Beratung anbieten, sondern darauf vertrauen, dass sich der Kunde vorher kostenlos und kompetent im Fachhandel persönlich hat beraten lassen. Andererseits gibt es Buchhändler, deren Beratungsqualität auf dem Niveau der Brötchenverkäufer in Tankstellen liegt. Da sind die umfangreichen Online-Rezensionen eines Internet-Buchhändlers in Kombination mit individuellen Empfehlungen ähnlicher Bücher schon eine weitaus bessere Beratung. Professionelle elektronische Informations- und Kommunikationsformen, die in der Vergangenheit nur im B2B-Bereich verfügbar waren, sind heute für jeden Privathaushalt bequem nutzbar. Wo früher ein Computer notwendig war, auf dem eine individuell programmierte Software aufwändig installiert werden
11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business
musste, genügt heute ein einfacher Web-Browser, um das gleiche Ergebnis zu erhalten. Komplexe Datenbankabfragen, wie den Zugriff auf ein detailliertes Preisvergleichssystem, können heute hinter dem Rücken des Verkäufers innerhalb von Sekunden über Handy oder PDA realisiert werden. Der mündige Verbraucher verfügt über fast die gleichen Informationsquellen und Kommunikationskanäle wie das professionelle Unternehmen. Die gleiche Technik, nämlich die Kommunikation über „schlanke“ Endgeräte kann aber auch im B2B-Bereich verwendet werden, wenn der Hersteller einen Sensor im Silo seines Kunden installiert, der ihm sofort signalisiert, wenn der Füll-Pegel unter einen definierten Stand fällt. Supply Chain Management bedeutet hier, dass die Produktionsplanungssysteme beider Unternehmen durch gezieltes Forecasting und die Just-in-TimeLieferung teure Lagerkapazitäten abbauen.
11.6.1.2 Professionelle Übertragungstechniken und Netzwerkprotokolle EDI als Datenübertragungsstandard im B2B-Verkehr Die Datenübermittlung zwischen Unternehmen erfordert klar definierte Standards, die sich an den Erfordernissen dieser Unternehmen orientieren und weite Verbreitung haben. Ein solcher Standard ist EDI (Electronic Data Interchange). EDI wurde zu Beginn der 70er Jahre in der Versand- und Transportindustrie der USA zur Senkung der administrativen Kosten und zum Eindämmen der Papierflut eingeführt. Statt Bestellungen, Lieferscheine und Rechnungen per Briefpost oder Telefax zu versenden, wurden lediglich die Daten elektronisch übertragen. Dies geschah direkt von Applikation zu Applikation, wurde automatisch prozessiert und sparte so jeden manuellen Eingriff und ganz besonders die mehrmalige Eingabe von Daten. EDI als Standardformat für die B2B-Kommunikation hat sich als Idee sehr schnell durchgesetzt. Zunächst einmal gab es gleich zwei Standards. Einerseits hatte das American Standards Institute (ANSI) einen Standard mit dem Namen X.12 entwickelt, der in den USA verbreitet war. Gleichzeitig unterstützten die Vereinten Nationen einen anderen Standard, den Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport, der überwiegend außerhalb der USA verwendet wird. Inzwischen gibt es Programme, die
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den einen in den anderen Standard überführen. Außerdem ist der ANSI-Standard X.12 inzwischen in dem EDIFACT-Standard aufgegangen, so dass es jetzt nur noch einen EDI-Standard gibt. Früher wurde in diesem Standard überwiegend über Mietleitungen in proprietären Netzen, sog. Value Added Networks (VAN), kommuniziert. Heute kann Standard-EDI Kommunikation auch mittels eines Interpreters in eine sichere Internet-Mail transformiert werden, die dann über das öffentliche Internet transportiert wird. In jedem Unternehmen gibt es Prozesse, bei denen beispielsweise die Buchhaltungssoftware, die Bestandssoftware und die Einkaufssoftware beteiligt sind. Diese generieren dann beispielsweise einen Auftrag, der als Transaktion an ein beteiligtes Unternehmen geht. Auch dort werden jetzt wiederum die jeweils proprietäre Buchhaltungssoftware, die Bestandssoftware und die Einkaufssoftware anfangen, den Prozess zu verarbeiten. Mehrere Vorteile von EDI bei der Abwicklung von Bestandswesen, Lieferung und Auftragsverfolgung über vernetzte Rechner stehen im Vordergrund: Es lässt sich langfristig ein besserer Bestandsüberblick über die Firma gewinnen, damit die Planung verbessern und eventuell auch die Lagerhaltung verringern. Gleichzeitig kann damit auch schneller und flexibler geliefert werden. Die elektronische Geschäftsabwicklung über EDI ist also keine neue Erfindung, hat jedoch erst auf der universellen Basis des Internet seine heutige Bedeutung gewonnen. Durch die Integration von Geschäftsabläufen sind sehr große Effizienzgewinne zu erreichen, weil sich ein gemeinsamer Standard etabliert hat. Neue Chancen bieten sich hier insbesondere für kleine und flexible Organisationseinheitern, die sich dynamisch an Marktanforderungen anpassen können.
B2C-Datenübertragung mit dem Standard BTX Großrechner erlaubten im B2B-Bereich den elektronischen Datenaustausch schon Anfang der siebziger Jahre. Für B2C kam dies erst mit der Einführung der Personalcomputer. Der erste kommerziell relevante Kommunikationsstandard war in Deutschland das proprietäre System BTX. Diese Anwendung bietet – inzwischen unter dem Namen T-Online – nach wie vor die Möglichkeit, zu sicherem Online-Shopping und Online-Banking. 1991 gab es in Deutschland 3 000 BTX-Anbieter, die Zahl der Nutzerzugriffe lag bei
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76 Millionen. Knapp eine Million BTX-Seiten waren in eine Leitzentrale gespeichert, auf welche die Nutzer Zugriff hatten und über die Geschäfte abgewickelt werden konnten. Die Gebühren wurden zusammen mit dem Fernsprechtarif eingezogen. Erstmalig wurde BTX 1970 in Großbritannien eingeführt. In Deutschland behauptete sich BTX lange Zeit standhaft neben dem kostenlosen World Wide Web. Bis zur Einstellung des Systems hatte die Deutsche Bahn nicht unbeträchtliche Einnahmen durch ihre kostenpflichtige Fahrplanauskunft, obwohl eine kostenlose Alternative via Internet angeboten wurde. Noch etwas länger überlebte eine BTX-verwandte Variante der B2CKommunikation, Minitel, das sich in Frankreich erfolgreich durchgesetzt hatte.
Verschmelzung von B2B und B2C im Internet In einer bis dato nicht gekannten Geschwindigkeit eroberte das Internet von 1994 an sowohl die B2C als auch die B2B-Kommunikation. Das Internet existiert schon seit 1968, als zwischen vier amerikanischen Universitäten Computer über einen gemeinsamen Kommunikationsstandard, einen Vorläufer des Übertragungsprotokolls TCP/IP miteinander vernetzt wurden. 1990 stellte Tim Berners-Lee die Dokumentensprache HTML (Hypertext Markup Language) vor. Damit können ohne Programmieraufwand Dateien aus ganz unterschiedlichen Ressourcen über „Hyperlinks“ miteinander verknüpft werden. 1993 stellte Marc Andreesen mit Mosaic den ersten „Browser“ vor. 1994 begann er mit seiner Firma Netscape, Browser kostenlos über das Netz zu verteilen und erreichte so binnen kurzem 80% Marktanteil. Für die Nutzer des World Wide Web bedeutete dies, dass keinerlei kostenpflichtige proprietäre Software zu installieren war. Für Unternehmen bedeutete es eine enorme Vereinfachung, dass über eine einzige Oberfläche ganz unterschiedliche Applikationen gesteuert werden können.
11.6.1.3 TCP/IP als neuer Standard des weltweiten Datenaustauschs Das World Wide Web und E-Mail erobern die Welt Wesentlicher Erfolgsfaktor des Internet ist die Tatsache, dass mit dem Übertragungsprotokoll TCP/IP
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(Transmission Control Protocol over Internet Protocol) ein globaler Datenübertragungsstandard geschaffen wurde. Dieses Protokoll, TCP/IP, regelt, wie große Datenpakete zunächst einmal in kleinere, transportable Einheiten zerlegt werden, anschließend durchnummeriert werden und schließlich mit einem weltweit gültigen Adresssystem auf die Reise geschickt werden. Alle unterwegs angetroffenen Rechner (Router oder Gateways) kennen dieses Protokoll ebenfalls und wissen, wie Sie die Datenpakete weiterzuleiten haben. Am Zielrechner angekommen werden die Datenpakete wieder in der Originalreihenfolge zusammengesetzt. Fehlt etwas, wird automatisch eine Anforderung an den Absender geschickt, das verlorengegangene Paket noch einmal zu schicken. Dieses Protokoll bildet die Basis für Kommunikationsdienste wie E-Mail oder das World Wide Web. EMail wurde schon 1972 eingeführt, aber bis zum Entstehen des WWW überwiegend von Universitäten und Computer-Profis eingesetzt. Mitte 1994 gab es bereits etwa 1 000 Webserver – vernetzte Rechner, auf denen HTML-Dokumente zum Abruf bereitgestellt werden – keine fünf Jahre später sind es fünf Millionen solcher Rechner, die weltweit über eine Milliarde Dokumente rund um die Uhr bereitstellen. Zunächst einmal wurde dieses weltweite Informationsnetz, das „World Wide Web“ im Wesentlichen für Marketingzwecke eingesetzt. Recht schnell entwickelte sich dieser gemeinsame Übertragungsstandard TCP/IP weiter in Richtung auf elektronischen Handel. Über TCP/IP lässt sich eine Reihe höherer Übertragungsprotokolle realisieren, z. B. EDI-Applikationen.
Egalisierung von Unternehmensrepräsentanzen Einer der Gründe für das schnelle Wachstum des WWW ist dessen einfache Weiterentwicklung: mit nur wenig Aufwand und ohne Programmierkenntnis kann eine „Homepage“ erstellt und in das Netz eingebunden werden. Dazu kann im einfachsten Fall ein WordDokument erzeugt werden, das als HTML-Datei abgespeichert wird. Für weniger als einen Euro monatlich stellt ein Provider eine solche Seite dann ins Netz und gibt ihr einen Domainnamen nach dem Schema „www.meineFirma.de“. Der dritte Schritt ist die kostenlose Anmeldung bei den weltweiten Suchdiensten – vergleichbar mit Branchenbüchern – und schon ist die Internet-Präsenz eines Kleinunterneh-
11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business
mers komplett. Nicht wenige Kuckucksuhrenhersteller aus dem Schwarzwald konnten schon bald die ersten online akquirierten Kunden aus Japan vorweisen. Durch die Einfachheit dieses Prozesses konnten sich besonders kleinere Unternehmen eine virtuelle Repräsentanz leisten, die der von einem Großunternehmen in nichts nachstand. Die geringen Einstiegshürden waren ein entscheidender Grund für das explosionsartige Wachstum dieses Kommunikationsmediums.
Browser machen Software als Service nutzbar Auf der Senderseite wird das Erstellen von Webseiten so einfach, dass auch Privatmenschen eine Technik nutzen, die bisher Unternehmen vorbehalten war. Auch auf der Empfängerseite sorgt die neue Technik für eine Revolution: Browser werden zur multifunktionalen Nutzeroberfläche. Über Browser können Konsumenten heute Wissensdatenbanken abfragen, Maschinen steuern oder auch nur einfach ihre E-Mail aus jedem Internet-Cafe am anderen Ende der Welt abrufen. Statt teuer Software zu kaufen, können mittels ASP (Application Service Providing) Dienste zur Verfügung gestellt werden, die bequem gemietet und über einen Browser genutzt werden. Alternativ zum Begriff „Application Service Providing“ wird auch die Bezeichnung „On-Demand-Software“ verwendet. Beides wird zusammengefasst unter dem Oberbegriff „Software as a Service“ (SaaS). SaaS verspricht weniger Kosten und schnellere Updates. Vorreiter sind E-Mail-, CRM- und Shopsysteme.
Unified Messaging und Konvergenz Die Standardtechnologie Internet führt nicht nur dazu, dass viele Dienste über einen Browser gesteuert werden können. Auch die Kommunikation findet vermehrt unter Nutzung des Datenübertragungsstandards TCP/IP statt. Selbst Telefongespräche können via „Voice over IP“ übertragen werden. Entsprechend ist es heute kein Problem mehr, die B2C-Kommunikation via Internet mit allen Merkmalen einer professionellen B2B-Bürokommunikation zu versorgen. So können in einem Privathaushalt über Internet bequem Webseiten, E-Mails, Faxe, Voicemails, Videos oder 3D-Animationen empfangen und versendet werden.
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XML als Integrationsstandard HTML ist die Programmiersprache, in welcher weltweit Milliarden Dokumente geschrieben und rund um den Globus abrufbereit auf Webservern gespeichert sind. Diese Dokumentensprache erlaubt jedoch – mit Ausnahme der beschränkten Möglichkeiten von „Meta-Tags“ – keine Definition und Erkennung der Inhalte einer Seite. Eine wichtige Neuerung in diesem Zusammenhang ist die Einführung von XML, der Extensible Markup Language. Mit XML lässt sich eine eigene formale Sprache erzeugen und die Struktur eines beliebigen Dokumententyps mit Hilfe einer Document Type Definition (DTD) abbilden. Dabei können die einzelnen Anweisungen (tags) individuell vom Nutzer festgelegt werden. Somit ergeben sich weitreichende neue Möglichkeiten insbesondere im Electronic Business, weil Datentypen wie beispielsweise Preis oder Menge im Dokument definiert werden können und adressierbar werden. Bisher war elektronischer Austausch von Geschäftsdaten per Electronic Data Interchange (EDI) nur für Großunternehmen interessant. Mit XML und dem Internet als Transportmedium könnte sich die Situation bald ändern. EDI, das schon seit 20 Jahren zum elektronischen Austausch von Geschäftsdaten verwendet wird, war bisher mit hohen Installationskosten und OnlineGebühren verbunden. Allein die Online-Gebühren lassen sich jedoch auf ein Zehntel drücken, wenn statt Standleitungen das Internet genutzt wird. Ebenso behinderten bisher inkompatible Standards den Einsatz von EDI. XML macht die Anwender unabhängig von herstellerspezifischen Datenformaten. Ferner erlaubt XML die Definition eigener Austauschformate, die zusammen mit den Daten übermittelt werden können.
RSS verbreitet Inhalte im Internet Aufbauend auf XML hat sich mit RSS (Really Simple Syndication) ein Standard etabliert, der es erlaubt, Inhalte von Webseiten auf anderen Webseiten anzuzeigen. RSS ermöglicht auch einem einzelnen Nutzer, bestimmte Inhalte einer Webseite zu abonnieren. Auf RSS basierende Funktionen können auch in E-MailProgramme oder Webbrowser integriert werden. Ursprünglich wurden RSS-Feeds von Nachrichtenseiten zur Content-Syndication verwendet. Das Format erlangte seine heutige Popularität vor allem
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durch den Einsatz in Weblogs. Mittlerweile haben auch MP3-Download-Portale begonnen, RSS-Feeds zusammen mit Podcasting-Funktionalität einzusetzen. Der Betreiber einer Website kann seine Inhalte ergänzend zum HTML-Format auch als RSS-Feed bereitstellen. RSS wird verwendet, um die Artikel einzelner Rubriken oder deren Kurzbeschreibungen zu speichern und in maschinenlesbarer Form bereitzustellen. Ein sogenannter RSS-Feed oder Newsfeed besteht aus einer XML-Datei, welche den reinen strukturierten Inhalt – z. B. einer Nachrichtenseite – bereithält, aber keinerlei Layout, keine Navigation oder sonstige Zusatzinformationen beinhaltet.
11.6.1.4 Multichannel Marketing
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konsolen, die kostenlos abgegeben werden. Der Homegear als Empfangsmedium kann ebenso eine Rolle spielen wie Organizer, Smartphones, Watchphone. Vernetzte Haushaltsgeräte wie Mikrowellenöfen mit Web-Display oder Kühlschränke mit integriertem Warenwirtschaftssystem werden als Empfangsgeräte am „Point of Consumption“ in der Lage sein, Marketingbotschaften auszustrahlen. Attraktivität besitzen diese Geräte, weil sich damit Closed Loop Marketing realisieren lässt: nicht nur die Responserate von Werbung lässt sich messen, sondern die Interaktivität vernetzter Endgeräte erlaubt gleich auch die echte Bestellung, so dass präzise der CPO (Cost per Order) von Kampagnen gemessen werden kann. Auch Digitales Fernsehen wird hier in Zukunft eine Rolle spielen. Eventuell führt auch die zunehmende Medien-Konvergenz zu völlig neuartigen Multifunktionsgeräten.
Kommunikation auf allen Kanälen Sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich erleben wir eine zunehmende Anzahl gleichzeitig zu bedienender Informationskanäle. Da wollen nicht nur Briefe gelesen und Telefonate angenommen werden. Auch per Fax gehen Anfragen ein, E-Mails harren der Bearbeitung und das Mobiltelefon klingelt oder empfängt gerade eine SMS-Botschaft. Kunden fordern zunehmend die freie Auswahl des Kontaktmediums und Unternehmen müssen sich darauf einstellen (Schwarz 2002). Besonders die Gruppe der „Super-Shopper“ erwartet von einem Anbieter Präsenz auf allen Kanälen [1].
Die Always-On-Generation Auch für das Marketing verändert sich die Situation: Allein mit Print-, TV- und Online-Werbung wird es in Zukunft nicht getan sein. Neue Ausgabemedien ergänzen die Berieselung des Konsumenten mit Werbeinformationen. Ambient-Media-Werbung versucht den Kunden auch da zu überraschen, wo er es am wenigsten erwartet oder wo bis zuletzt noch die letzten werbefreien Zonen waren. Golflöcher, Tankstellenzapfhähne und Toilettenwerbung sind Beispiele. Beim Adver-Phoning akzeptiert der Kunde die Werbung, um dafür billiger zu telefonieren. Der gesamte Hometainment-Bereich wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn mehr Endgeräte vernetzt und damit für externe Botschaften erreichbar sind. Denkbar sind beispielsweise werbefinanzierte Spiel-
Filiale, Online und Print ergänzen sich Unternehmen wie Conrad, Weltbild oder Tchibo setzen auf maximale Präsenz auf allen Kanälen. Es kann bequem online bestellt werden, die Ware kann auch im Laden abgeholt oder angesehen werden und es gibt einen Katalog, der verschickt wird. Das Web ist dabei ein einfacher Weg, spezielle Zielgruppen zu bedienen. Conrad-Sisters sollte speziell Frauen ansprechen. Weltbild spricht mit Booxtra.de und buecher.de jüngere Zielgruppen an und bietet mit Jokers besonders preisgünstige Produkte. Aber auch ohne Katalog funktioniert Multichannel. Obi und Douglas nutzen erfolgreich Web und E-Mail, um Kunden in die Filialen zu holen. Bei Obi kann, wer nicht alles tragen kann, sich die Ware über die Tochterfirma Obi@Otto nach Haus liefern lassen. Obi@Otto wiederum ist klassischer Versandhändler ohne Filialen.
Unternehmen gehen auf Kunden zu Neben der Wahl des richtigen Kanals ist auch die Wahl der richtigen Kunden ein Erfolgsparameter. Kundenwertmanagement ist ein Wettbewerbsvorteil, wenn es gelingt, die richtigen Kunden frühzeitig an das eigene Unternehmen zu binden [6]. Dazu genügt nicht nur Print und Internet. Der Finanzdienstleister MLP geht direkt auf die Interessenten zu und besucht Studenten in der Hochschule. So wird der Hochschulsport
11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business
unterstützt und eine Studenten-Winterolympiade gesponsert. Außerdem bietet MLP diverse Kurse an, die oft sogar im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt werden. Workshops rund ums Geld, eine eigene Edition beim Gabler-Verlag und Stiftungsprofessuren runden das Bild ab. Fertige Akademiker lockt MLP dann mit attraktiven Vortragsreihen, zu denen bis zu 16 000 Zuhörer kommen. Kunden sind ein wählerisches Volk. Die einen wollen im Laden fühlen und sehen oder suchen das Erlebnis. Abends aber wollen sie noch mal im Web die Waren ansehen und dann spontan bestellen. Vielleicht erwarten sie auch noch, dass abends auf telefonische Fragen geantwortet wird oder sie schicken gar ein Fax, um zu fragen, warum die E-Mail von vorgestern noch nicht beantwortet wurde. Und am Ende wollen sie gar noch, dass der Vertreter sie zu Hause besucht. Spätestens hier wird deutlich, dass zwei Aspekte berücksichtigt werden sollten: erstens die Abstimmung der Kanäle und zweitens die Frage, welche Kanäle sich für welche Kunden rentieren.
11.6.2 Disintermediation und Reintermediation 11.6.2.1 Disintermediation der Informationsgewinnung Weiter oben wurde beschrieben, wie InternetTechnologie dafür sorgt, dass ursprünglich reine B2B-Anwendungen nun auch für den Endverbraucher nutzbar werden. Viele Dienste waren vor Einführung des Internet nur dem professionellen Nutzer zugänglich. Die sog. „Intermediäre“ stellen die Schnittstelle zwischen dem Hersteller und dem Konsumenten dar. Am einfachsten lässt sich dies an einem Datenbankanbieter wie Genios zeigen, der in der „Vor-InternetZeit“ 1 500 Kunden hatte, die mittels proprietärer Software Zugang zu den von Genios angebotenen Datenbanken erhielten. Nach Einführung des InternetZugangs „Websearch“ 1996 stieg die Zahl der Kunden auf mittlerweile 27 000. Während es vor Einführung der Internet-Technologie also große Hürden bei der Nutzung von Recherchediensten gab, ist diese Recherche nun bequem auch von „Laien“ zu nutzen. Dies bekommen natürlich professionelle Intermediäre – in diesem Fall Infobroker – zu spüren, deren Kunden oft
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meinen, eine Recherche auch selbst durchführen zu können. Gerade bei Datenbankrecherchen jedoch ist der Mehrwert des Intermediärs zum Teil enorm: durch Kenntnis der richtigen Datenbanken und Suchbegriffe lassen sich vielfach beträchtliche Kosten sparen. Mit dem Übergehen von Intermediären geht der Verlust von Expertenwissen und wertvollen Erfahrungen einher. Oft beschränkt sich der semiprofessionelle Rechercheur auf „kostenlose“ Angebote im Web und überschätzt den Wert der Metadaten im WWW. Ebenfalls aus Unkenntnis bleiben wertvolle Datenbanken oft unbeachtet.
11.6.2.2 Disintermediation im Handel Noch nachhaltiger als bei der Informationsvermittlung sind die Folgen der Disintermediation im Handel spürbar. Um Güter von einem Verkäufer zu einem Käufer zu „transferieren“, werden üblicherweise Intermediäre eingesetzt. Beispiele von Intermediären in konventionellen Märkten sind Zwischenhändler, Detaillisten, Agenten, Broker, Verteiler. Sie übernehmen zahlreiche Aufgaben entlang der drei Marktphasen Information, Vereinbarung und Abwicklung. Wenn in elektronischen Märkten einige oder alle intermediäre Funktionen vom Käufer übernommen werden, spricht man von „Disintermediation“, vom Wegfall intermediärer Strukturen. Disintermediation betrifft vor allem diejenigen Intermediäre, deren Aufgaben effizienter (also mit geringeren Transaktionskosten) von elektronischen Märkten übernommen werden können. Von der Disintermediation besonders bedroht sind folglich Intermediäre, die ausschließlich bestehende Marktintransparenz ausnutzen und auf diese Weise Arbitrage-Geschäfte durchführen. Typische Beispiele sind Beschaffung, Bündelung und Verteilung von Informationen über gehandelte Produkte; Funktionen also, die elektronische Märkte i. Allg. effizienter übernehmen können. Der Wegfall einer Stufe in der Wertschöpfungskette (Disintermediation) kann zu großen TransaktionskostenErsparnissen führen [5].
11.6.2.3 Direktvertrieb Durch internetbasierte Anwendungen werden einzelne Stufen der Wertschöpfungskette überflüssig. In der
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Regel betrifft dies Zwischenhändler, da der Hersteller seine Endabnehmer via Internet direkt erreichen kann. Ein Beispiel dafür ist Dells direktes Vertriebsmodell, das gänzlich ohne jeden Zwischenhändler auskommt. Hier ist allerdings zu beachten, dass der Direktvertrieb bei Dell kein Resultat des E-Business ist; vielmehr ermöglichte das Internet Dell, dieses bereits früher per Telefon und Fax praktizierte Modell zu perfektionieren und mit zusätzlichem Kundennutzen auszustatten. Mit Verbreitung des Internet gewann das Modell der Disintermediation erheblich an Bedeutung. Es wurde von einem Nischenkonzept für spezialisierte Anbieter zu einer Erfolg versprechenden Option für viele Unternehmen. Die Ursache für diese Entwicklung ist darin zu suchen, dass eine Webseite viele Funktionen erfüllen kann, die normalerweise von den Distributionskanälen übernommen werden: Übermittlung von Produktinformationen, Abwicklung von Verkaufstransaktionen und Kundenberatung [2]. Das Internet ist für Dell ein nicht mehr wegzudenkender Vertriebsweg, da es besonders für Kunden eine Reihe überzeugender Vorteile bietet. Zu jeder beliebigen Tageszeit stehen für Interessenten und potenzielle Käufer umfangreiche Informationen rund um die Produktpalette zur Verfügung. Bequem können online unterschiedliche Konfigurationsvarianten durchgespielt werden. Leistung und Preis werden individuell an die eigenen Wünsche angepasst. Sobald der Rechner bestellt ist, kann online jederzeit der aktuelle Lieferstatus abgefragt werden. Für technische Fragen gibt es einen umfangreichen Support-Bereich. Features wie intelligente Abfrageagenten oder Diskussionslisten erleichtern die Suche nach Lösungen. Das Ziel von Dell ist es, eine bedienerfreundliche Website mit hohem Nutzwert für seine Kunden zu schaffen. Die Erhöhung der Kundenzufriedenheit durch Service führt in der Praxis dazu, dass Besucher auch Käufer sind. Umfangreiche Tracking-Funktionen erlauben die Qualifizierung von Leads. Die vielfältigen Möglichkeiten der OnlineErfolgskontrolle gestatten eine Optimierung des Webangebots. Damit einher geht die Kostenreduktion durch Automatisierung von Routinevorgängen und deren Verlagerung auf das Web. Wer heute bei Dell anruft, wird zunächst auf das WWW hingewiesen. Dort wird der Kunde mit echtem One-to-One-Marketing – also individuellen Angeboten – online bedient. Über die Hälfte des Umsatzes wird bei Dell über das Web generiert.
11 Information und Kommunikation
11.6.2.4 Reintermediation und Cybermediation im B2C Die Idee, Zwischenhändler durch den direkten Vertriebskanal Internet einfach auszuschalten, funktionierte nur in wenigen Fällen. Gerade wenn es um den Kontakt mit Menschen geht, erfüllen echte Intermediäre eine ganze Reihe von Funktionen, die von Maschinen nur schwer ersetzt werden können, wie Vertrauen, Wärme, individuelles Eingehen auf Bedürfnisse, Verständnis auch komplexer Fragen oder einfach das Gefühl „echter“ Präsenz. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch ein enormes Potenzial für virtuelle Intermediäre, wenn diese einen eindeutigen Mehrwert liefern können. Chancen und Reintermediationspotenziale im Business-to-Business- sowie Businessto-Consumer-Bereich liegen im Bereich Produktvergleich, Kontaktanbahnung und -vermittlung. Insbesondere im B2C-Bereich ist es meist nicht im Interesse des Kunden, nur von einem Unternehmen „gebunden“ zu werden. Vielmehr ist es interessant, jederzeit aktuell den Anbieter mit dem besten Preis/LeistungsVerhältnis zu identifizieren. Hier greift das von Hagel und Singer [4] entworfene Business-Modell eines Infomediärs. Die Schnittstelle zwischen Anbieter und Konsument wird durch einen digitalen Vermittler optimiert. So kann der Infomediär Wächter, Agent und Makler von Kundeninformationen sein. Kunden geben vertrauliche Informationen nur heraus, wenn sie sicher sind, dass damit kein Missbrauch betrieben wird. Bei einem unabhängigen Infomediär kann ein Kunde selbst bestimmen, wie dieser mit den gelieferten Informationen umgehen darf. Die Macht von Kunden nimmt entsprechend zu.
11.6.2.5 Neue Zwischenhändler im B2B Genauso wie es im B2C ein enormes Potenzial für unabhängige Vermittler zwischen Kundenwünschen und Anbieterinteressen gibt, gilt dies auch für B2B. Auch hier schafft die zunehmende digitale Vernetzung neue Möglichkeiten der Reintermediation. Virtuelle Marktplätze bieten als digitale Einkaufsplattformen neue Chancen für die elektronische Beschaffung, die weit über die Möglichkeiten der bilateralen EDI-Verknüpfung proprietärer Systeme hinausgehen. Märkte werden transparenter, Prozesse werden beschleunigt und insgesamt profitieren meist beide Sei-
11.6 B2B- und B2C-Kommunikation im E-Business
ten von den Vermittlungsmöglichkeiten elektronischer Marktplätze.
11.6.2.6 Multichannel-Kontakt schafft Kanalkonflikte In den seltensten Fällen wird ein Anbieter sich von einem etablierten Filialnetz mit vertrauten Händlern trennen und sich dem elektronischen Direktvertrieb zuwenden. Disintermediation ist keine eindeutige jaoder-nein-Erscheinung. Nur in Ausnahmefällen werden alle Zwischenglieder einer Branchenwertekette eliminiert werden. Meist betrifft die Disintermediation einzelne Stufen der Wertekette. Demnach werden nicht alle Intermediäre verschwinden. Beispielsweise könnten nur die Großhändler übersprungen werden, indem die Hersteller jetzt direkt die Einzelhändler beliefern. Weiterhin ist künftig für den Kunden eine größere Auswahl zwischen mehreren Vertriebskanälen zu erwarten. Hersteller suchen den jetzt direkten Kontakt zum Endkunden, indem sie auf ihren Webseiten Online-Shops und Online-Support anbieten. Allerdings ist dies meist ein zusätzlicher Absatzkanal, der traditionelle Vertriebswege ergänzt. Je nach Branche, Produkteigenschaften und Zusatznutzen für den Endkunden wird das Onlineangebot des Herstellers in einem gewissen Umfang die Funktionen der traditionellen Intermediäre übernehmen. In diesem Maße wird das Umschlagvolumen der Intermediäre zurückgehen, was zum Ausscheiden einzelner Teilnehmer aus dem Markt führen kann. Für die meisten Produkte und Leistungen wünschen die Endkunden heute eine Auswahl an möglichen Bezugskanälen. Dies wird besonders deutlich für Bankdienstleistungen. In Abhängigkeit von dem jeweiligen Bankgeschäft und dem aktuellen Aufenthaltsort des Kunden kann er sich zwischen computergestütztem OnlineBanking, mobilem, Callcenter-gestütztem Telefonbanking, dem Selbstbedienungsterminal in der Filiale oder dem persönlichen Gespräch mit einem Berater entscheiden. Außerdem stehen ihm unabhängige Broker von Finanzdienstleistungen zur Verfügung. Jede Eliminierung eines dieser Absatzwege würde der Kunde als eine Verminderung des Serviceangebotes empfinden.
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11.6.3 Neue Kommunikationswege im B2B 11.6.3.1 Ende der Kommunikation auf dem Golfplatz? Bevor sie ihre Online-Plattform E-Steel einführten, so sagen deren Betreiber, seien Geschäftsabschlüsse im Stahlhandel überwiegend auf Golfplätzen angebahnt worden. Aufgrund der Komplexität der Produkte war es lange Zeit undenkbar, dass das Electronic Business hier eine nennenswerte Rolle spielen könne. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur im weltweiten Stahlhandel hat sich ein Großteil des Umsatzvolumens inzwischen auf elektronische Kanäle verlagert. Vorteile sind Transparenz, Effizienzsteigerung und Geschwindigkeit. Die Optimierung durch elektronische Beschaffung verändert die Beziehung zu Lieferanten, schafft aber auch neue Geschäftsmöglichkeiten. Schneider und Schnetkamp [7] formulierten es mit dem provokativen Satz „Alles, was über das Internet abgewickelt werden kann, sollte auch über das Internet abgewickelt werden“, da es keine effizientere Art der Beziehung zwischen Unternehmen gibt, als den elektronischen Geschäftsverkehr. Die Wertschöpfungsketten vieler Branchen sind noch so ineffizient und die Transaktionen und Prozesse so komplex, dass die Einführung elektronischer Marktplätze enorme Synergien freisetzen können.
11.6.3.2 Funktionsweise virtueller Marktplätze Auf virtuellen Marktplätzen finden Geschäftspartner mit komplementären Interessen zueinander, wobei die Qualität des Geschäftsabschlusses verbessert wird. Dies wird bewirkt durch Kosteneinsparungen, Geschwindigkeit und Effizienz. Neue Märkte können erschlossen werden, die Einstiegsbarrieren gerade auch für Kleinunternehmen sind niedriger und die Komplexität von Geschäftsprozessen wird verringert. Die weltweite Markttransparenz für Produkte, Hersteller, Lieferanten und Abnehmer wird erhöht. Die vielfältigen Möglichkeiten der dynamischen Preisfindung lassen Märkte in Echtzeit reagieren. Dadurch, dass Kommunikationsprozesse effizienter
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sind, werden die Transaktionskosten gesenkt. Sicher wird auch der Wettbewerb angeheizt, da die Markteintrittskosten für neue Anbieter wie auch für Nachfrager sinken. Virtuelle Marktplätze unterstützen Unternehmen in allen vier Phasen einer Geschäftstransaktion. In der Informationsphase bieten sie im Gegensatz zu einem Papierkatalog vielfältigere elektronische Recherchemöglichkeiten, aktuellere Informationen und multimediale Darstellungen wie Videoanimationen oder Live-Webkameras. In der Vereinbarungsphase kommt es zu schnellerem Austausch von Angeboten und Gegenangeboten oder es können Echtzeit-Auktionen durchgeführt werden. In der Abwicklungsphase kann die Logistik optimiert werden oder durch Track-and-Trace-Systeme überwacht werden. In der After-Sales-Phase schließlich kann elektronisch die Funktionsweise überprüft werden, können Reklamationen reguliert werden oder es kann allgemein das Kundenbeziehungsmanagement unterstützt werden. Im Wesentlichen haben sich heute drei Formen virtueller Marktplätze etabliert [7]: Elektronische Marktplätze im engeren Sinne sind Plattformen, auf denen ein neutraler Betreiber Nachfrager und Anbieter zusammenführt. Bei Einkaufsplattformen haben sich oft mehrere miteinander konkurrierende Unternehmen einer Branche zu einer Einkaufsgenossenschaft zusammengeschlossen. Auf Fachportalen wiederum haben sich Anbieter zusammengeschlossen und bieten nun gemeinsam ihre Produkte an.
11.6.3.3 Ermittlung von Marktpreisen durch Auktionen Ein großer Vorteil elektronischer Systeme ist die schnelle Interaktionsmöglichkeit, die damit die elektronische Durchführung von Auktionen als effizientes Mittel der Ermittlung von Marktpreisen zulässt. Alle Spielarten sind dabei denkbar, also nicht nur die „normale“ Auktion (Forward Auction), bei welcher der Verkäufer einen Mindestpreis nennt und dann geboten wird, bis nur noch ein Bieter übrig ist. Das Umkehrmodell ist die Holländische Auktion, bei welcher der Eröffnungspreis einen Höchstpreis darstellt, der sukzessive gesenkt wird. Bei einer Reversen Auktion wird zunächst ein niedriger Mindestpreis angesetzt, um die Auktion in Gang zu bringen. Gleichzeitig gibt es jedoch einen Mindestpreis, den zu zahlen der
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Käufer sich grundsätzlich bereit erklärt. Bleiben die Gebote unter dem angesetzten Mindestpreis stehen, kann der Verkäufer entscheiden, ob er diesen oder den angesetzten Mindestpreis nimmt. Diese Methode ist geeignet für Verkäufer, die eine bestimmte Preisvorstellung haben, jedoch gleichzeitig die tatsächliche Marktnachfrage testen wollen. Um Online-Auktionen schneller zu beenden, gibt es noch die Spielarten „First Bid Wins“, wobei das erste Gebot den Zuschlag erhält, „First Come First Servel“, wobei die Auktion endet, sobald ein festgelegter Mindestpreis erreicht ist, und „Yankee Auction“, bei der gleich mehrere Güter gleichzeitig versteigert werden. 11.6.3.4 Elektronische Markplätze als neutrale Vermittler Auf elektronischen Marktplätzen bringt ein neutraler Betreiber viele Anbieter mit vielen Nachfragern zusammen. Neben transparenten Informationen bieten diese Marktplätze Unterstützung bei der Abwicklung von Transaktionen. Vertikale Marktplätze konzentrieren sich im Wesentlichen auf eine Branche, während horizontale Marktplätze branchenübergreifend agieren. Die Marktplätze sind offen für alle Nachfrager und operieren meist mit Transaktionsgebühren. Atrada ist ein Beispiel für einen offenen Marktplatz, auf dem B2C-Angebote gebündelt sind, während Atradapro der Business-Marktplatz vor allem für kleine und mittlere Unternehmen ist. Der Marktplatz Allocation.net ist darauf ausgerichtet, die KundenLieferantenbeziehungen im strategischen Einkauf zwischen Unternehmen aus Automotive, Maschinen-, Anlagen-, Fahrzeug- und Gerätebau und deren Lieferanten aus der Metall- und Kunststoffverarbeitung und der Elektrotechnik zu optimieren. 11.6.3.5 Einkaufsplattformen bündeln Einkaufsmacht Elektronische Einkaufsplattformen dienen primär der Kostensenkung bei der Beschaffung. Dabei schließen sich meist mehrere Unternehmen zusammen und definieren gemeinsam Auftritt und Prozessgestaltung gegenüber potenziellen Lieferanten. Bei wenigen Lieferanten sind es überwiegend die Kosten des Beschaffungsprozesses, die gesenkt werden können, während bei starker Konkurrenz unter vielen Lieferanten die
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Einsparungen im Bereich niedriger Produktpreise liegen. Bausteine einer Einkaufsplattform können gemeinsame Beschaffungsrichtlinien und Zugriffsrechte, gemeinsamer internetbasierter Produkt- und Lieferantenkatalog, Online-Verfügbarkeitsüberprüfung, Bestell- und Auftragsabwicklung, Lieferüberwachung, Qualitätsmanagement, Konditionenpflege oder Beschaffungscontrolling sein.
11.6.4 B2C: Intermediäre machen Kunden mächtig 11.6.4.1 Wissen ist Macht: Zugang haben alle Einer der interessantesten Aspekte des Internet ist die Möglichkeit, mit wenig Aufwand eine Informationsseite herzustellen, die anschließend von mehreren hundert Millionen Menschen weltweit gelesen werden kann. Um das im World Wide Web gespeicherte Wissen verfügbar zu machen, gab es schon bald Listen von Webservern, sog. „Linklisten“. Durch einen einfachen Mausklick konnten die gelisteten Unternehmen oder Webseiten aufgerufen werden. Wenig später wurde dann nach Regionen oder Fachgebieten differenziert. Auch Jerry Yang und David Filo gehörten 1994 zu den Betreibern solcher Verzeichnislisten. Aus ihrem Verzeichnis wurde der weltweit größte Suchkatalog Yahoo. Während Privatleute früher in die Bibliothek gehen mussten, um in Who-is-Who-Listen zu recherchieren, macht das World Wide Web die Recherche bequem von zuhause aus möglich. Nach wie vor gibt es interessante Linklisten, auf denen wiederum steht, wo sich welche Information finden lässt. Die Seite von Burkhard Schröder (www.burks.de/search.html) ist solch eine Seite, auf der z. B. auch die Adresse einer Datenbank chinesischer Biografien steht. Kommerzielle Wissensportale wie Xipolis.net, Datenbanken wie Genios oder GBI oder die Firmendatenbank von Hoppenstedt sind online für jedermann einsehbar. Eine Anfrage bei Creditreform ist für Privatnutzer heute genauso einfach wie die Suche nach allen europäischen Herstellern von Bügelverschlüssen bei Werliefert-Was (www.wlw.de). Neben den vielen Suchmaschinen gibt es inzwischen schon eine Reihe von Metasuchmaschinen, wie MetaGer. Dort durchsucht eine Suchmaschine synchron mehrere Suchmaschinen und listet deren Ergebnisse gemeinsam auf.
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11.6.4.2 Wissen verbündet sich Während kommerzielle Datenbanken professionell verwaltet und gepflegt sind, entsteht im Internet eine neue Form von Datenbanken, bei der jeder mithelfen kann, die gemeinsame Datenbank zu pflegen. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein solches Beispiel. Sie wird nicht von einer festen, bezahlten Redaktion, sondern von freiwilligen Autoren verfasst. Die im März 2001 gegründete deutschsprachige Wikipedia ist nur eine der vielen Wikipedia-Ausgaben. Mit 347 311 Artikeln ist sie die zweitgrößte Wikipedia – nach der englischen, die bereits über 900 000 Artikel enthält. Weitere Beispiele für Websites, bei denen die Nutzer selbst die Inhalte erstellen, sind das Personenverzeichnis openbc.com oder das Dienstleisterverzeichnis marketing-boerse.de.
11.6.4.3 Permission Marketing: Kunden steuern selbst Genauso wie Kunden sich heute im WWW über alles informieren können, bestimmen sie auch zunehmend selbst über die Art und Weise, wie Unternehmen mit ihnen in Kontakt treten dürfen: Erlaubnismarketing oder Permission Marketing [8]. Ziel von Permission Marketing ist der Aufbau einer vertrauensvollen, gleichberechtigten Kundenbeziehung. Um dieses Vertrauen aufzubauen, verpflichten sich Unternehmen zu einer klaren, verständlichen Sprache, damit das Vertrauen nicht durch Missverständnisse belastet wird, die bei deutlicherer Erläuterung vermeidbar gewesen wären. Interessenten erhalten nur Informationen, die sie vorher explizit angefordert haben. Sie bestimmen selbst, über welches Ausgabemedium (E-Mail, SMS, Telefon) sie Informationen erhalten möchten. Die Verwendung der von Interessenten angegebenen Adresse geschieht ausschließlich zu dem Zweck, der den Interessenten vorab mitgeteilt wurde. Empfänger können jederzeit bequem einen Informationsservice abbestellen und erhalten dann mit schnellstmöglicher Wirkung keine weiteren Informationen mehr zugesandt. Mit dieser Art von kundengesteuertem Marketing werden Responseraten erreicht, die um eine gute Größenordnung höher sind als bei klassischen Direktmarketingmaßnahmen [11].
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11.6.4.4 Werben, wenn Bedarf besteht Beim Permission Marketing werden Interessenten angesprochen, die vorher aktiv eingewilligt haben. Eine andere Form der kommerziellen B2C-Kommunikation ist die Suchmaschinenwerbung: Sobald ein Interessent das Stichwort „Private Krankenversicherung“ in eine Suchmaschine eingibt, erscheinen gezielt Anzeigen von Unternehmen, die dieses Suchwort gebucht haben. Abgerechnet wird nicht nach Sichtkontakten, sondern nach wirklichen Interessenten. Nur wenn jemand auf die Anzeige klickt, muss der Werbetreibende bezahlen. Die Position der Werbeplätze wird versteigert: Wer am meisten bietet, erscheint mit seiner Anzeige ganz oben. Knapp zehn Euro zahlen Versicherungsagenturen für den oben genannten Begriff.
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Unternehmen der Touristikbranche Vergleiche von Reservierungssystemen an. So können Pauschalreise, Last-Minute-Angebote oder eben auch einfache Flugtickets miteinander verglichen werden. Ein weiterer Pionier, HRS, bietet schon seit langem eine InternetSchnittstelle an, über die das jeweils günstigste Hotel einer Stadt recherchiert werden kann, das für einen gegebenen Zeitraum noch Betten frei hat. Hieran zeigen sich auch schon die Auswirkungen der zunehmenden Markttransparenz: um in Preisvergleichslisten möglichst weit oben zu stehen, gibt es in der Touristikbranche schon Unternehmen, die gezielt Mitarbeiter darauf ansetzen, Reservierungssysteme hinsichtlich der eigenen Positionierung zu beobachten. In Echtzeit kann der Preis je nach Marktsituation erhöht oder erniedrigt werden, um die eigene Wettbewerbssituation zu verbessern.
11.6.4.5 Märkte werden transparenter: Preisvergleichsmaschinen 11.6.4.7 Auktionen als Vertriebskanal So wie es möglich ist, mit Metasuchmaschinen Informationsangebote zu recherchieren, lassen sich auch Produktdaten online recherchieren. Virtuelle Agenten sind in der Lage, Angebote zu lesen und auf eine meist klar erkennbare Zahl hin zu vergleichen: den Preis. Somit ist es über Datenbanken wie Pricecontrast, Guenstiger.de, Billiger.de, Evendi oder Kelkoo jederzeit möglich, den Anbieter mit dem jeweils niedrigsten Preis für ein Produkt zu ermitteln. 11.6.4.6 Themenspezifische Portale mit Produktvergleichen So wie es allgemeine Preisvergleichsmaschinen gibt, werden auch gezielt auf einzelne Branchen zugeschnittene Systeme eingesetzt. Schon früh begannen elektronische Reservierungssysteme Schnittstellen zum Internet einzurichten. Mit seinem virtuellen Reisebüro TISS begann Rudi Weissmann als einer der Pioniere damit, unterschiedliche Reservierungssysteme in Echtzeit anzufragen, die Ergebnisse in einer eigenen Anwendung miteinander zu vergleichen und anschließend über das Ausgabemedium WWW dem Kunden zu präsentieren. Vor der großen New-Economy-Euphorie gehörte das 2-Mann-Unternehmen zu den wenigen Beispielen von E-Commerce-Anbietern, die schwarze Zahlen schrieben und war der weltweit umsatzstärkste Ticketbroker im WWW. Heute bietet eine ganze Reihe von
Neben den schon erwähnten Möglichkeiten, die das Internet preisbewussten Käufern bietet, haben sich Auktionen als beliebte Form des Einkaufs etabliert. Wie bei den beschriebenen B2B-Marktplätzen ergeben sich auch im B2C-Bereich vielfältige Möglichkeiten, dynamisch Marktpreise zu ermitteln. Für Kunden besteht der Reiz darin, unter Umständen Schnäppchenpreise zu erzielen und für Unternehmen besteht die Chance, Märkte zu bedienen, die mit den klassischen Vertriebkanälen nicht erreicht werden. So sind manche Unternehmen schon dazu übergegangen, ein bestimmtes Kontingent ihrer Produkte auch über OnlineAuktionen zu vertreiben. Dies hat interessante Aspekte auch hinsichtlich der Ermittlung eines marktangepassten Produktpreises. Unangefochtener Marktführer ist die Plattform Ebay. Verkäufer sind Privatpersonen, professionelle Ebay-Verkäufer und auch renommierte Unternehmen, die die Plattform als komplementären Vertriebskanal nutzen.
11.6.4.8 Viral Marketing und Guerrilla Marketing Zunehmend werden Märkte komplexer und unüberschaubarer. Nicht zuletzt das Internet trägt dazu bei, dass sich neue Formen des Marketings etablieren, die zwischen klassischer Massenwerbung und per-
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sönlichem Direktmarketing liegen. Das Internet ermöglicht die Umsetzung des Konzepts „One-to-OneMarketing“. Was früher nur den Key Accounts zugedacht war, wird plötzlich zur Commodity: die individuelle Ansprache und die Kenntnis der persönlichen Vorlieben. Auch wenn es bei der praktischen Umsetzung oft noch Stolpersteine gibt, so ermöglichen Customer-Relationship-Systeme heute die individuelle Ansprache von Kunden. Eine besonders interessante Variante der Marktbearbeitung in vernetzen Umgebungen ist dabei die elektronische Weiterempfehlung. Eine der Möglichkeiten des elektronischen Viral Marketing ist die Weitergabe von interessanten Angeboten oder Informationen an Kunden, die sie wiederum an weitere Bekannte weiterleiten und so weiter. Das Computerspiel Moorhuhn konnte sich so in rasanter Geschwindigkeit über das ganze Internet ausbreiten, ohne dass die Initiatoren große Aufwendungen hatten. Der Cornelsen Verlag benutzte für seinen Roman „Harry Potter“ ebenfalls Techniken des Viral Marketing sowie des Guerilla Marketing. Eine andere Abart des Viral Marketing ist das Setzen von Hyperlinks. Allein auf die deutsche Website von Amazon zeigen etwa 13,6 Millionen Hyperlinks von unterschiedlichsten Websites.
11.6.4.9 Partnerprogramme: virtuelle Filialnetze Eine der interessantesten Möglichkeiten dezentraler Kommunikationsstrukturen für B2B wie auch für B2C sind sog. Partnerprogramme. Klassischerweise wird darunter ein Vertriebskonzept verstanden, bei dem ein Online-Shop ein virtuelles Filialnetz aufbaut und somit seine Produkte quasi „in Kommission“ verkauft: für den Partner entstehen meist keine Kosten, sondern es wird je verkauftes Produkt eine Provision gezahlt. Möglich wird dies durch die weitgehenden Controlling- und Automatisierungsfunktionen vernetzter Systeme. So ist z. B. bei dem Partnerprogramm der Buchhandlung Amazon der ganze Anmelde- und Abwicklungsprozess voll automatisiert. In wenigen Minuten kann ein privater Homepagebetreiber sich hier mit Namen und Kontonummer als Partner anmelden und wird somit zum provisionsberechtigten Buchhändler. Für jedes Buch, das über seine Website verkauft wird, kassiert er einen „Werbekostenzuschuss“. Möglich wird
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dies durch die bequemen Tracking-Möglichkeiten des Internet. In einem Hyperlink wird die Kennung des Partners mitgeführt, so dass jederzeit nachvollziehbar ist, wie ein Kauf initiiert wurde. So ist in dem Hyperlink http://www.amazon.de/exec/obidos/ ASIN/3000146393/absolit sowohl eine ISBN-Buchnummer (3000146393) als auch die Kennung des Partners (absolit) versteckt. Solche Partnerprogramme breiten sich immer weiter im Internet aus. Websites wie Partnerprogramme.com oder 100Partnerprogramme.de bieten einen Überblick. Vertriebsorganisationen setzen entweder ihre eigenen Partnerprogramme auf oder sie kooperieren mit bestehenden Partnernetzen wie Affilinet, Tradedoubler oder Zanox. Immer mehr kleinere Websites erwirtschaften damit einen Teil ihres Budgets. Dabei verschwimmt zunehmend die Trennung von B2B und B2C, wenn sich jeder Surfer auf seiner privaten Homepage einen eigenen Online-Shop einrichten kann.
11.6.4.10 Kunden fordern freie Wahl des Vertriebskanals Die vielfältigen Möglichkeiten neuer Vertriebskanäle bieten nicht nur ein für Unternehmen oft unübersichtliches Bild. Eines der Kernprobleme ist in Zukunft, dass bei Kunden eine Erwartungshaltung entsteht, auf dem jeweils gewählten Kanal adäquat versorgt zu werden und diesen Kanal auch angeboten zu bekommen. Gerade dieser Wunsch der Kunden nach variablen und seinen Bedürfnissen angepassten Vertriebskanälen bietet vielen Intermediären eine Überlebenschance. Um ihre Bedeutung innerhalb der Wertekette zu erhalten oder zu steigern, müssen sie ihre Beziehung zu vor- und nachgelagerten Elementen der Wertekette – also ihren Lieferanten und ihren Kunden – intensivieren und diesen einen Zusatznutzen anbieten, der von anderen Mitgliedern der Wertekette nur schwer erbracht werden kann. In diesem Zusammenhang gewinnt das Kundenbeziehungsmanagement ebenso an Bedeutung wie die horizontale Integration. Unter horizontaler Integration wird die Ausdehnung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten auf verwandte Produkt- und Leistungskategorien verstanden. Durch Ausdehnung des eigenen Angebotsspektrums oder durch Eingehen von Partnerschaften mit Anbietern von komplementären Leistungen werden für den Kunden attraktive Leistungspakete geschaffen.
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So wird in Zukunft die Frage nicht mehr lauten, wie sich die Akzeptanz des Online-Shoppings entwickelt. Vielmehr muss gefragt werden, worin für den Kunden der Mehrwert bzw. der Vorteil des Online-Shoppings liegt. Dies kann Bequemlichkeit sein, es kann aber auch Zeitersparnis, Anonymität oder die bessere Auswahl sein. Für Unternehmen gilt es herauszufinden, welche Kommunikationsform im Empfinden der Kunden welche Vorteile aufweist. Ebenso gewinnt der medienübergreifende Dialog an Bedeutung: Kunden fordern das Medium ihrer Wahl [10].
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behandelt, dass er begann, seine gesamte Leidensgeschichte auf einer Webseite zu dokumentieren. Binnen weniger Monate hatte er mehrere Millionen Zugriffe auf diese Seite, da die beschriebenen Vorgänge in der Tat nicht von großer Kundenorientierung zeugten. Um weiteren Imageschaden abzuwenden, entschloss sich das Unternehmen schließlich zur Entlassung eines Mitarbeiters und einer öffentlichen Entschuldigung.
11.6.5.3 Weblogs als neue Herausforderung für Unternehmens-PR
11.6.5 Kunden treten miteinander in Kontakt: C2C 11.6.5.1 Kunden verbünden sich in virtuellen Gemeinschaften Schon lange vor dem Siegeszug des World Wide Web haben sich in Mailboxnetzen Gleichgesinnte virtuell getroffen und elektronische Botschaften ausgetauscht. Im Zeitalter der massenhaften Verbreitung von EMail, SMS und World Wide Web wurde dieser Austausch nur noch vereinfacht. So haben am 2.7.2001 mehrere Dutzend Betreiber von E-Mail-Newslettern gleichlautende Abmahnungen erhalten und noch am gleichen Tag haben die Betroffenen sich organisiert und verbündet. Hier spielt das Internet mehrfach eine interessante Rolle. So hat der Initiator der Serienabmahnung zum Teil nur wenige Minuten dafür gebraucht, ein abzumahnendes Unternehmen ausfindig zu machen und dessen Adresse in einen vorbereiteten Brief einzufügen. Mithilfe der Suchmaschine Google und einem komplexen Suchbegriff („newsletter email name -KG -gmbH -verein -verband -gmbH&Co“ wurden in wenigen Sekunden potenzielle Adressaten recherchiert. So wie der Initiator haben auch die Betroffenen das Internet genutzt und in einer OnlineCommunity miteinander die weitere Vorgehensweise koordiniert.
11.6.5.2 Mit der privaten Homepage im Kampf gegen Großkonzerne Die Kommunikation unter Kunden kann auch via Homepage erfolgen. Ein Kunde eines großen Elektronikherstellers wurde von dem Unternehmen so schlecht
Neben der aufwändig in HTML gestalteten Homepage gibt es ein sehr einfaches Medium, um im Internet schnell und bequem zu publizieren: Weblogs. Das sind einfach zu bedienende Online-Tagebücher, in denen mitteilungsfreudige Zeitgenossen die Welt an ihren Gedanken teilhaben lassen. Für Unternehmen ist dies eine neue Herausforderung, wenn es hier zu kritischen Äußerungen kommt. Richterliche Verfügungen und Unterlassungserklärungen sind in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv, weil sie das Diskussionsfeuer nur noch weiter anheizen [3]. Weblogs sind meist miteinander vernetzt, so dass Informationen schnell weitererzählt werden. Verzeichnisse von Weblogs finden sich bei RSS-Scout oder Technorati. Jamba, Kryptonite und Planetopia sind Namen, die durch negative Kommentare in Weblogs auch in Suchmaschinen mit kritischen Beiträgen gezeigt wurden.
11.6.5.4 Meinungsportale: Kummerkasten oder kostenlose Marktforschung Genau wie Weblogs sind auch Meinungsportale eine Plattform, auf der sich Konsumenten artikulieren können. Wer sich heute ein Produkt kauft, fragt vorher Bekannte, welche Erfahrungen sie mit welchen Marken haben. Das gleiche gibt es auch online: Meinungsportale wie Ciao oder Dooyoo verwalten Millionen von Einzelberichten zufriedener oder unzufriedener Kunden. Es gibt ein ausgeklügeltes System gegenseitiger Bewertungen, um Manipulationen vorzubeugen und möglichst valide Urteile zu erhalten. Auf diese Weise lassen sich durchaus wertvolle Erfahrungen und Hintergrundinformationen recherchieren. So er-
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fährt man von dem beliebtesten Golfplatz: „Die Mitarbeiter von der Empfangsmitarbeiterin bis zum Greenkeeper sind sich selbst morgens vor 9 nicht für ein freundliches ‚Guten Morgen und viel Vergnügen‘ zu schade“. Über einen anderen, ebenfalls im Norden gelegenen Platz dagegen erfährt man: „Auch das Clubleben ist von Arroganz geprägt, echte Gespräche bieten sich kaum. Dazu kommt, dass auch die einzelnen Spieler wenig Können aufweisen, wodurch sich eine Runde mit ihnen nicht gerade aufdrängt.“ Bereits heute gibt es Unternehmen, die bewusst Mitarbeiter einsetzen, um Meinungsportale zu beobachten und somit Feedback über die Akzeptanz am Markt zu erhalten.
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interessanter ist es jedoch, weitere Partner mit ins System zu bringen. Eine noch höhere Stufe der Incentivierung ist dann erreicht, wenn diese Partner wiederum Partner akquirieren usw. Das Internet bietet hier vielfältige Möglichkeiten, aber zum Glück ist es ja auch wieder möglich, sich auf Meinungsportalen über diese Praktiken auszutauschen. Einen Überblick über eine Reihe solcher Systeme bietet die beliebte Website Geizkragen.de. Interessant sind hier besonders die unterschiedlichen Systeme, um mit SMS-Werbung Geld zu verdienen und Aufmerksamkeit zu erlangen [9].
11.6.5.7 Kleinanzeigen eröffnen neue Märkte 11.6.5.5 Peer-to-Peer-Netzwerke: Tauschbörsen und mehr Der Fall der Musiktauschbörse Napster hat dafür gesorgt, dass diese Form der Kunde-zu-KundeKommunikation bekannter wurde. Dabei handelt es sich um Softwareentwicklungen, bei denen nicht mehr ein zentraler Server die Inhalte verwaltet, sondern jeder einzelne Rechner der Teilnehmer dem Netzwerk aktiv seine Kapazität zur Verfügung stellt. Solche Netzwerke sind anders als das Internet nicht öffentlich, sondern der Zutritt wird von der Gemeinschaft gewährt. Somit entsteht eine Umgebung, in die einzudringen für kommerzielle Unternehmen recht schwierig ist. Die Technik solcher Tauschbörsen kann nicht nur zum Austausch von Musiktiteln verwendet werden, sondern für jegliche Form digitaler Güter. Die unter Groove.net herunterladbare Software erlaubt weitreichende Anwendungen, insbesondere auch für Workgroup-Computing und B2B-Anwendungen.
11.6.5.6 Schneeballsystem, Strukturvertrieb und Skaleneffekte Die Möglichkeiten, die sich im Rahmen von Partnerprogrammen bieten, wurden schon erwähnt. In letzter Konsequenz würde dies jedoch bedeuten, dass das Land nur noch voller Buchhändler ist und jeder jedem seine Homepage zum Einkauf von Büchern empfiehlt. Eine solche Situation existiert schon teilweise bei einer Reihe von Angeboten, welche die Merkmale eines typischen Strukturvertriebs aufweisen. Jeder Partner wird belohnt, wenn er weitere Kunden bringt. Noch
Wer in einem Online-Kleinanzeigenmarkt inseriert, wundert sich oft über Anfragen aus entfernten Ländern. Kostenlos aufgegebene Inserate erreichen in kürzester Zeit eine immer größere Anzahl von Empfängern. Was mit den Online-Ausgaben von Anzeigenzeitungen wie „Zweite Hand“ oder „Sperrmüll“ begann, wird heute unter Plattformen wie Quoka gebündelt. Wie interessant dieser Markt ist, zeigt sich daran, dass die Großen investieren: Google betreibt den OnlineMarktplatz „Base“, Ebay hat „Kijiji“ aufgebaut und Microsoft plant ein Projekt mit dem Codenamen „Fremont“. Immer mehr verlagert sich speziell der Gebrauchtwagenhandel ins Internet, wo auf Anzeigenmärkten wie Mobile oder Autoscout24 komfortabel und bequem nach unterschiedlichen Kriterien selektiert werden kann. Genauso einfach wie hier ist es auch bei Immobilienportalen wie Immoscout24 oder Immowelt, digitale Fotos der jeweiligen Objekte einzufügen. Während bisher eine aufwändige Anzeigenannahme, das Setzen der Anzeigen, der Zeitungsdruck und ein Verteilersystem für die Printprodukte notwendig waren, laufen all diese Prozesse heute vollautomatisch und daher sehr viel effizienter ab.
11.6.5.8 Web 2.0-Anwendungen verknüpfen Die Zukunft liegt einerseits in der automatischen Generierung von Inhalten und andererseits in dessen Verknüpfung. Portale wie Kleinanzeigenmärkte, Auktionsplattformen wie Ebay oder Verzeichnisse wie Marketingbörse.de lassen die Nutzer selbst den Inhalt online stellen. Anbieter wie Amazon lassen Nutzer Kom-
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mentare schreiben und auch Drittanbieter ihre Produkte online stellen. In Zukunft wird es möglich sein, diese Daten auch noch miteinander zu verknüpfen. So gibt es heute schon Anbieter von Immobilienportalen, die einfach nur vorhandene Immobilienanzeigen verschiedener Datenbanken mit der Kartendarstellung von Google-Earth verbinden. Sobald Datenbanken offene Schnittstellen haben, können Drittanbieter durch die Verknüpfung der Daten einen Mehrwert anbieten. Wer eine Wohnung sucht, kann per Mausklick sehen, wie die unmittelbare Nachbarschaft auf dem Luftbild aussieht.
Literatur 1. Bachem, C.: Multichannel-Marketing – Kundenkanäle intelligent vernetzen. In: Schwarz, T. (Hrsg.): Leitfaden Permission Marketing. Waghäusel: Absolit 2005, S. 45–80 2. Dörffeldt, T.; Schwarz, T.: Online-Umsetzung des direkten Geschäftsmodells von Dell. In: Link, J.; Tiedtke, D. (Hrsg.): Erfolgreiche Praxisbeispiele im Online-Marketing. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2001, S. 27–42 3. Eck, K.: Weblogs – Können Unternehmen authentisch kommunizieren? In: Schwarz, T. (Hrsg.): Leitfaden Permission Marketing. Waghäusel: Absolit 2005, S. 159–168 4. Hagel, J.; Singer, M.: Net Value. Der Wert des digitalen Kunden., Wiesbaden: Gabler 2000 5. Mattes, F.: Electronic Business-to-Business. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 1999 6. Rück, H.: Kundenwertmanagement – Den richtigen Kunden das richtige Angebot. In: Schwarz, T. (Hrsg.): Leitfaden Permission Marketing. Waghäusel: Absolit 2005, S. 81–128 7. Schneider, D.; Schnetkamp, G.: E-Markets – B2BStrategien im Electronic Commerce. Wiesbaden: Gabler 2000 8. Schwarz, T.: Permission Marketing macht Kunden süchtig. 2. Aufl. Würzburg: Verlag Max Schimmel 2001 9. Schwarz, T.: Permission Marketing im Mobile Commerce. In: Silberer, G.: Mobile Commerce. Wiesbaden: Gabler 2001 10. Schwarz, T.: Permission Marketing als Voraussetzung für Erfolg im crossmedialen Kundendialog. In: Kracke, B. (Hrsg.): Cross-Media-Strategien. Dialog über alle Medien. Wiesbaden: Gabler 2001 11. Schwarz, T.: Permission Marketing. In: Conrady, R.; Jaspersen, T.; Pepels, W.: Handbuch New Marketing. Vom klassischen Marketing zum e- Business. München: Luchterhand 2001, S. 173–185 12. Schwarz, T.: Permission Marketing. In: Dallmer, H. (Hrsg.): Handbuch Direct Marketing. 8. Aufl. Wiesbaden: Gabler 2002, S. 983–1006 13. Schwarz, T.: Leitfaden Permission Marketing. Waghäusel: Absolit 2005
11 Information und Kommunikation
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen Mit der steigenden Vernetzung der Wertschöpfungskette und dem Abbau von Hierarchien in deren Steuerung gewinnen Führungs- und Koordinationsaufgaben auf operativer Ebene zunehmend an Bedeutung. Die „Mauern“, die es über lange Jahre verhindert haben, dass sich die Dynamik des Marktes direkt auf die operativen Ebenen eines Unternehmens auswirken, sind gefallen. Die Aufgaben der Planung und Steuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen können entsprechend nicht mehr als der letzte Schritt einer sich über mehrere Planungsebenen erstreckenden, hierarchischen Produktionsplanung verstanden werden, sondern nehmen eine zentrale Stellung als Motor in der operativen Wertschöpfungskette ein. Mit den ansteigenden Anforderungen wird es erforderlich, neue, an die Situation eines Unternehmens angepasste Lösungen zu finden.
11.7.1 Stand der Technik und Organisation Hier kann sich ein zweiter Trend unangenehm bemerkbar machen: Mit der vermehrten Einführung von ERP/PPS-Standardsoftware-Paketen [1] (ERP: Enterprise Resource Planning, PPS: Produktionsplanung und -steuerung) werden Unternehmen (zu) oft arbeitsteilige Organisationskonzepte aufgezwungen, die hinter den in der Regel bereits erfolgten organisatorischen Errungenschaften zurückliegen. Grund dafür sind die noch immer auf arbeitsteiligen Modulen und hierarchischer Funktionsgliederung basierende Funktionsarchitektur von marktgängigen Standardsoftware-Paketen und des gerade im Bereich der Produktionssteuerung noch immer festzustellenden funktionalen Defizits vieler Softwaresysteme gegenüber dem organisatorischen Industriestandard. Als Beispiel sei das Fortschrittszahlenkonzept der Automobilzulieferindustrie genannt, das eine sehr einfache Steuerung zulässt, aber bis heute nur in wenigen Softwarepaketen realisiert ist. Ein weiteres Beispiel ist die noch immer vorherrschende Trennung der Module in die Bereiche Vertrieb, Produktion und
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen
Einkauf/Materialwirtschaft. Diese bezieht sich nicht nur auf software-technische Aspekte sondern wird auch vom noch immer segmentierten Wissen der entsprechenden Berater dominiert. Abschließend sei in diesem Kontext das Themenfeld „Supply Chain Management“ (SCM) genannt. Dieses hat die Diskussion im Bereich der Planung und Steuerung von dezentralen Produktionsprozessen in den vergangenen Jahren stark dominiert. Dabei wurden v. a. technische, beinahe mathematische Konzepte entwickelt und zur Realisierung empfohlen, ohne diese mit organisatorischen, explizit arbeitsorganisatorischen Konzepten, zu ergänzen. Im nachfolgenden Beitrag soll die Problematik der Steuerung in dezentralen Wertschöpfungsprozessen als die Kernaufgabe des operativen Produktionsmanagements und als Schnittstelle zwischen strategischer Planung und Produktionsgeschehen näher untersucht werden. In der Folge werden wichtige Gestaltungskriterien für die organisatorische Umsetzung aufgezeigt und insbesondere die Rolle moderner EDV (Elektronische Datenverarbeitung, häufig auch IT: Informationstechnologie) näher erläutert.
11.7.2 Grundlagen der dezentralen Produktionsplanung und -steuerung Die Aufgaben des Managements und der Koordination von innerbetrieblichen Wertschöpfungsprozessen werden i. d. R. in der Funktion der ‚Produktionsplanung und -steuerung‘ (PPS) zusammengefasst und auch so bezeichnet [s. auch 2–6]. Trotz der Begrifflichkeit „Produktion“ umfasst die PPS je nach Art des Unternehmens eine Vielzahl von Aufgaben: über den Verkauf und die Absatzplanung, die Materialbewirtschaftung und den Einkauf, die Terminplanung und Kapazitätswirtschaft in der eigentlichen Produktion und Montage bis hin zur operativen Werkstattsteuerung. Sie hat einen ausgeprägten Systemcharakter1 und einen hohen Grad an Institutionalisierung, der sich häufig durch die Existenz einer entsprechend benannten Organisationseinheit mit klarer Verantwortung und 1
Der „Systemcharakter “ der PPS ergibt sich einerseits durch die i. d. R. umfassende Nutzung von EDV-technischen Hilfsmitteln, andererseits durch die Nutzung von methodischen Rahmen, etwa der MRP-Logik, Kanban-Prinzipien u. ä.
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Relation gegenüber anderen Einheiten ausdrückt2. Die PPS stellt dabei die Schnittstelle zwischen Bereichen der Leistungsgestaltung, z. B. Konstruktion und Arbeitsplanung, und den Bereichen der Wertschöpfung, z. B. der Produktion, dar und koordiniert diese. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass die eigene „Produktion“ eines Unternehmens i. d. R. ein integraler Teil einer unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette ist. Die Aufgabe der PPS, die sich über lange Zeit nur auf die eigene Produktion bezog und die Integration in die Wertschöpfungskette den Bereichen Einkauf und Verkauf überliess, übernimmt heute – insbesondere gegenüber Lieferanten – das Management eines Teils oder der gesamten Wertschöpfungskette, auch wenn einzelne Abschnitte im Sinne von Dienstleistungen durch Dritte übernommen werden. Auf Grund der hohen Bedeutung als integrierende Funktion – hier sei nur die Auftrags- und Stammdatenverwaltung genannt – und des gleichzeitig hohen Grades an Routine der damit verbunden Teilaktivitäten wurde bereits seit Anfang der 60er Jahre versucht, die PPS durch geeignete EDV-Systeme zu unterstützen. Mittlerweile sind Softwarepakete zur Unterstützung der PPS in Unternehmen und auf dem Anbietermarkt so verbreitet, dass eine Vermischung der Begrifflichkeiten – ‚PPS‘ als Unternehmensfunktion, Organisationseinheit und EDV-System – stattgefunden hat. PPS-Softwarepakete sind heute sowohl in kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU) als auch grossen Unternehmen und Konzerngruppen flächendeckend im Einsatz. Die Funktionalität der auf dem Markt insbesondere für grosse Unternehmen angebotenen Softwarepakete hat sich dabei so sehr erweitert, dass man mittlerweile von Logistik-Softwarepaketen bzw. Unternehmens-Softwarepaketen (oder eben ERPSoftwarepaketen) spricht3 . Charakteristisch für die Gestaltung der PPS ist der Top-down-Ansatz, der die Organisation der PPS in der betrieblichen Praxis beherrscht und durch die Dualität der Begriffe „Planung“ und „Steuerung“ geprägt ist. Während die Planung i. d. R. in einer „zentralen“ Ab2 Je nach Unternehmenshistorie spricht man von der „PPSAbteilung“, „Arbeitsplanung“, „AV“, „AVOR“ oder auch schlicht „Dispo“. 3 In den vergangenen Jahren hat sich eine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Integration von Buchhaltungssoftware mit PPS-Softwaresystemen ergeben. Insofern es sich bei einem Softwaresystem um eine Buchhaltungssoftware und eine PPSSystem „aus einem Guss“ handelt, kann man von einem ERPSystem sprechen.
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teilung angesiedelt ist, die Vorgaben macht und deren Einhaltung überwacht, obliegt es „dezentralen“ Abteilungen in der Produktion, die Vorgaben durchzusetzen. Da diese Durchsetzung prinzipiell nicht ohne Abweichungen und Anpassungen erfolgen kann, wird diese Tätigkeit als Steuerung bezeichnet, was gewissermassen die Tätigkeiten „Planungsanpassung“ und „Durchsetzung“ in einem Begriff vereint. Durch den Begriff kommt auch der reaktive Charakter der Steuerungstätigkeiten auf der operativen Ebene und der im Vergleich zu einer zentralen Planungsabteilung eher lokale Einflussbereich zum Ausdruck. Die mit der Steuerung betrauten Personen sollen Korrekturen in möglichst geringem Mass anbringen und so die weitgehende Einhaltung des übergeordneten Plans gewährleisten.
11 Information und Kommunikation
um mit der es über Arbeitsaufgaben interagiert. Zur Erfüllung der übertragenen Arbeitsaufgaben nutzt der Mensch Maschinen und Arbeitstechniken, die zusammen das technische Teilsystem bilden5 . Dabei muss er je nach Aufgabe mit Maschinen kooperieren und/oder diese steuern. Gleichzeitig ist der Mensch in ein soziales Netzwerk eingebunden und steht mit anderen Menschen in direktem Kontakt. Neben dem technischen Teilsystem besteht somit ein soziales Teilsystem. Das technische Teilsystem bestimmt dabei die wesentlichen Anforderungen an das soziale Teilsystem, gleichzeitig ist das soziale System die Quelle organisatorischer Flexibilität. In der Realität sind das technische und das soziale System eng miteinander verbunden.
11.7.2.2 Steuerung als operative Aufgabe der PPS 11.7.2.1 Die Wertschöpfungskette als soziotechnisches System Ein Unternehmen steht mit seiner Umwelt in einer Anzahl von Austauschbeziehungen. Aus der Perspektive der Wertschöpfung4 ist dabei einerseits die über Produkte und Aufträge realisierte Schnittstelle zum Kunden wichtig, andererseits die über eingekaufte Ausgangsmaterialien und Einkaufsaufträge definierte Schnittstelle zum Zuliefermarkt. Aufgabe der Produktion ist es, die Kundenwünsche optimal zu befriedigen, dabei die eigenen, vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu nutzen und ggf. fehlende Ressourcen auf dem Zuliefermarkt zu beschaffen. Die Produktion an sich stellt einen elementaren Teil eines Unternehmens dar. Hier erfolgt die operative Wertschöpfung. Um die damit verbundenen Aufgaben zu erfüllen, werden im Rahmen eines Produktionssystems verschiedene Funktionen wahrgenommen. Die Produktion stellt ein soziotechnisches System dar [7, S. 154 ff.]. Im Rahmen der Produktion führen Menschen verschiedene Tätigkeiten und Handlungen aus. Die Organisation bildet dabei die Umwelt für das tätige Individu4 An dieser Stelle sei besonders darauf hingewiesen, dass alle Betrachtungen in gleicher Weise für die Produktionsbereiche von industriellen Betrieben als auch von Dienstleistungsbetrieben gelten. In diesem Sinne sind die Begriffe „Produktion“ und „Wertschöpfung“ als gleichbedeutend zu betrachten. Da im Kontext der Ideen- und Konzeptgeschichte bis in die 90er-Jahre der Fokus auf der industriellen Produktion lag, wird an einigen Stellen dem Begriff „Produktion“ sowie Beispielen aus der fertigenden Industrie der Vorzug gegeben.
Im Rahmen der PPS stellt die Steuerung den Bereich der Umsetzung von Planungsvorgaben in wertschöpfende Prozesse dar. Die Steuerung übernimmt Aufträge von der ihr vorgelagerten Termin- und Kapazitätsplanung. Damit verändert sich die Bezugsgröße: während die vorgelagerte Planungsabteilung in der Regel ein Auftrag nach dem anderen bearbeitet, erfolgt innerhalb der Produktion die Abarbeitung von zahlreichen Aufträgen parallel und zeitgleich. Die Aufgabe der Steuerung ist es dabei, den gesamten Auftragsbestand zu betrachten und diesen möglichst optimal abzuarbeiten. Die Steuerung erfolgt dabei im Spannungsfeld zwischen informatorischer und technologischer Auftragsabwicklung, d. h. sie muss die primär betriebswirtschaftlichen Ziele der PPS mit den technologischen Rahmenbedingungen der Produktionsanlagen in Einklang bringen. Um den Charakter der Steuerung etwas genauer zu erklären, sei hier als Analogie das Beispiel einer Reise angeführt: vor dem Beginn der Reise plant der Reisende mittels einer Karte und seiner Erfahrung den Weg vom Ausgangspunkt A zum Ziel B. Nach Abschluss der ersten Planung und notwendiger Vorbereitungen beginnt er die Reise, er „führt sie durch“. Im Verlauf der Reise muss er sich je nach angetroffener 5
Das technische Teilsystem beschränkt sich nicht ausschließlich auf physisch-materielle Technologien, sondern umfasst alle standardisierten Funktionen und Elemente einer Organisation, etwa die Art der Auftragsabwicklung, unabhängig davon, ob sie mit EDV oder anderen Hilfsmitteln unterstützt werden.
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen A
Planen
B
Durchführen
Abb. 11.39 Die Relation von Planung und Durchführung
Situation immer wieder für neue Optionen entscheiden, um sein Ziel zu erreichen. An jeder Abzweigung gilt es zu entscheiden, welcher der real vor ihm liegenden Wege dem geplanten Weg entspricht („Mapping“). Bei einer Behinderung, z. B. einer Baustelle, muss er sich für einen Umweg entscheiden („Korrektur“). Diese Tätigkeiten dienen der Entscheidungsfindung und finden parallel zur Durchführung der Reise statt. Man bezeichnet sie als Steuerung (Abb. 11.39). Die Aufgabe der Steuerung entspricht somit der ständigen Überprüfung und Anpassung der ursprünglichen Planung während der Durchführung einer Aufgabe. In den meisten Fällen erfolgt die Steuerung „dezentral“ oder – eigentlich korrekter ausgedrückt – „vor Ort“, während die Planung „zentral“ bzw. „ortsübergreifend“ erfolgt.
11.7.2.3 Charakteristik und Verhalten von Produktionssystemen Unternehmen unterliegen einem ständigen Zwang zur Änderung von Strategien und Strukturen, um sich den Marktbedingungen anpassen zu können. In der Folge sind viele Produktionsbereiche durch Heterogenität gekennzeichnet, die sich als Folge der Anpassung einzelner Teilbereiche und -aspekte der Produktion ergibt. Heterogenität als Eigenschaft manifestiert sich in einer Vielzahl von unterschiedlichen Merkmalen: • technologisch unterschiedliche Produktionsanlagen, • unterschiedliche Produktionsressourcen, z. B. Maschinen, Personen, Raum, • überlappende oder uneinheitlich definierte Organisationseinheiten, gemeinsame Nutzung von Res-
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sourcen, z. B. eine Messmaschine, oder zentrale Dienstleistungen, z. B. ein Werkzeugzimmer, • unterschiedliche Anforderungen an das Bedienungspersonal, z. B. durch Prüfvorschriften, Zertifizierungen u. ä. und • widersprüchliche Produktionsziele, z. B. Minimierung der Bestände bei gleichzeitiger Erhöhung der Lieferbereitschaft. Die Aufstellung der verschiedenen Aspekte von Heterogenität lässt sich beliebig fortsetzen. In der Praxis spricht man gerne von ‚gewachsenen Strukturen‘. Die Auftragsabwicklung ist zahlreichen Fehlern und Störungen ausgesetzt. Die Störungen können dabei nach zwei Kriterien klassifiziert werden: • nach der Wirkung und dem Auftreten der Störung und • nach der Ursache der Störung. Das physikalische System umfasst dabei alle gegenständlichen Ressourcen: Maschinen, Werkzeuge, Messmittel, Spannvorrichtungen und auch den Menschen als im physikalischen Sinne produktiv Tätigen. Störungen können sowohl im Informationssystem als auch im physikalischen System auftreten und ihre Ursache haben. Die Ursache von Störungen kann aber auch außerhalb der eigentlichen Systemgrenzen liegen, etwa in Form einer falschen Spezifikation auf einer Kundenzeichnung. Die vorgenommene Klassifizierung ermöglicht eine Vereinfachung der bisher unklaren Einteilung in „Steuerungssystem“ und „gesteuertes System“. Während der physikalische Bereich der Produktion eindeutig dem gesteuerten System zuzuordnen ist, ist das Informationssystem sowohl Steuerungssystem als auch gesteuertes System. Abbildung 11.40 gibt mögliche Arten von Fehlern und Störungen, die im Rahmen der Produktionssteuerung auftreten können, anhand der Regleranalogie wieder. Je nach Art der Fehler und Störungen ergeben sich unterschiedliche Entstörungsstrategien. Ereignisse, die im Umsystem auftreten, etwa die Änderung eines Kundenwunsches oder eine Änderung der Produktspezifikation im Engineering, verursachen eine Veränderung der Systemlast, auf welche die Produktion flexibel reagieren muss. Änderungen im Umsystem können jedoch erhebliche Störungen verursachen, falls sie der Produktionssteuerung nicht rechtzeitig gemeldet werden. Hier zeigt sich, wie wichtig die informatorische Ankopplung einer lokalen Organisationsein-
794
Unrealistische Vorgaben
Zielgrössen
11 Information und Kommunikation
Technologische oder logistische Änderung der Aufträge Zielanpassung
Aufträge (Systemlast) Technischer oder organisatorischer Ausfall
Steuerungsfehler
Werkstatt- Vorgaben Produktionssteuerung Fehlinterpretation
Zielerreichung
Produktion
Messfehler
Monitor
gemessene Führungsgrössen
Dezentrales Steuerungssystem
Informationssystem
Physikalisches System
Abb. 11.40 Aufbau der Produktionssteuerung als Regelungssystem und Klassifikation möglicher Störungen und Fehler (in Anlehnung an [8, S. 36])
heit an das globale Informationssystem eines Unternehmens ist. Der sich im Standardfall durchaus über mehrere Stellen erstreckende Informationsfluss muss im Falle von Änderungen direkt und schnell erfolgen. Steuerungsfehler und Fehlinterpretationen von beobachteten Ereignissen sind ein unmittelbares Maß für die Qualität der Steuerung als Entscheidungstätigkeit, da sowohl die Funktion der Steuerung wie auch die des Beobachtens (engl. Monitoring) in der betrieblichen Realität durch dieselbe Stelle und zeitlich überlagert erfolgen. Die Qualität dieser Entscheidungstätigkeit hängt von der Qualifikation des verantwortlichen Mitarbeiters sowie der Güte der genutzten Hilfsmittel und Informationen ab. So können Listen, Diagramme, Bildschirmanzeigen, aber auch eine übersichtliche Strukturierung der Produktion zu einer Minimierung solcher Fehler beitragen. Störungen minimieren den Nutzungsgrad von technischen Anlagen. Sie haben damit einen direkten Einfluss auf die Verfügbarkeit der Ressourcen. Auch wenn sich die Zahlenwerte bei individuellen Betrieben und unterschiedlichen Automatisierungstypen unterscheiden, wird dennoch klar, dass Störungen eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Störungen und Fehler treten selten systematisch auf, sondern oft zufällig [9]. Dieser Umstand ist von Bedeutung: das Auftreten eines bestimmten Fehlers hat eine statistisch
minimale Wahrscheinlichkeit, der Fehler ist singulär. Erst durch eine grobe Pauschalisierung wird er statistisch kalkulierbar. Damit können Fehler und ihre Wirkungen auf das System und damit ihre Anforderungen an eine Steuerung nicht geplant werden, sondern erfordern eine reaktive, lokale Behebungsstrategie. Störungen sind ein dominierender Faktor für die Steuerung an sich. In einzelnen Fällen werden sie so gewichtig, dass die Begriffe „Steuerung“ und „Störungsmanagement“ fast gleichbedeutend gebraucht werden können.
11.7.2.4 Steuerung in vernetzten Wertschöpfungsketten Produktionssysteme sind durch verteilte, dezentrale Strukturen gekennzeichnet. Ein Auftragsabwicklungsprozess erstreckt sich über verschiedene Organisationseinheiten hinweg, die i. d. R. ein Netzwerk bilden [10, S. 45 ff.]. Auf der produktiv-operativen Ebene liegt eine horizontale Arbeitsteilung der einzelnen Organisationseinheiten vor. Sie erfüllen Teilaufgaben entlang der Abwicklung der Fertigungsaufträge. Die einzelnen Organisationseinheiten einer Produktion sind dabei zugleich zeitlich parallel und sequentiell am gleichen Auftrag oder an mehreren, verschiedenen Aufträgen tätig. Dadurch entsteht auf der Ebe-
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen
Informationsfluss OrganisationsEinheit 1
OrganisationsEinheit 2
795
keit sowie der Stärke, mit der sich System und Umweltfaktoren im historischen Zeitablauf ändern. Systemkomplexität ist also das Resultat des Zusammentreffens von
Abb. 11.41 Kopplung von formal unabhängigen Organisationseinheiten in der Produktion
• strukturbedingter Kompliziertheit resultierend aus der Menge der Elemente und ihrer Verbindungen und • dynamischer Komplexität durch ein nichtlineares, dynamisches Verhalten.
ne des Materialflusses ein verteiltes System, das auf der Ebene des Informationsflusses durch ein ebenfalls verteiltes, dezentralisiertes System ergänzt wird. Zwischen den einzelnen Organisationseinheiten eines verteilten Systems liegt eine Kopplung vor, die durch die entstandenen Schnittstellen und Puffer gedämpft wird (Abb. 11.41). Durch die zunehmende Vernetzung der Produktion entsteht ein komplexes System, das aus zahlreichen Teilsystemen besteht. Die Komplexität der Produktion ist ein bestimmender Faktor für die Auslegung der Fertigungssteuerung. In der Regel empfindet ein Beobachter ein System dann als komplex, wenn er es nicht mehr einfach beschreiben kann. Man spricht von „subjektiver“ Komplexität. „Systemische“ Komplexität hängt jedoch nicht nur von der Kompliziertheit des Systems aufgrund zahlreicher Elemente und Beziehungen ab, sondern auch von dessen Dynamik, d. h. der Häufig-
Das Verhalten komplexer Systeme ist letztendlich abhängig von der Interaktion der einzelnen Teilsysteme. Im Falle der Produktion ist die Eigendynamik zusätzlich von intern und extern induzierten Dynamikeinflüssen überlagert (Abb. 11.42). Diese Dynamikeinflüsse sind die Folgen von Auftragsänderungen, Störungen und Entscheidungen. Charakteristisch für komplexe Systeme ist, dass sie in der Folge ein unerwartetes Verhalten aufweisen können, etwa Instabilität bei kleinen Störungen, jedoch Stabilität bei großen Störungen, einen Wechsel von negativen zu positiven Feedbacks, Wachstumsbeschleunigungen usw. [11]. Im Fall der logistischen Kette kommt es in vielen Fällen zu einem sog. „Schwungradeffekt“ [4] (Abb. 11.40), d. h. zu einem Aufschaukeln kleiner Schwankungen entlang einer Versorgungskette hin zu großen Schwankungen, die letztendlich nicht mehr kontrollierbar sind (Abb. 11.43). Untersuchungen haben ergeben, dass die noch immer rein lokalen Steuerungsstrategien im Rahmen einer logistischen
Materialfluss Puffer
Materialfluss Puffer
Puffer
Aufträge
Lieferung
Informationsfluss
OrganisationsEinheit 1
Materialfluss P uf fer
Aufträge
Lager/ Bestände
Produktion
Aufträge
Kundenmarkt
Vertrieb Lieferung
Lieferung
OrganisationsEinheit 2
Materialfluss P uffe r
P uf fer
Produktionseinheit Dynamische Einflüsse Abb. 11.42 Vereinfachtes Beispiel von Wirkzusammenhängen in der Produktion
796
11 Information und Kommunikation K U
Produktionseinheit A
Produktionseinheit B
Produktionseinheit C
N
Produktionseinheit D
D E benötigte Kapazität
Produktionseinheit D (Grosse Schwankungen)
100%
Produktionseinheit A (Ausgeglichene Steuerung) Zeit
Abb. 11.43 Schwungradeffekt von Bedarfen entlang einer logistischen Kette [14]
Kette in vielen Fällen das dynamische Verhalten der ganzen Kette negativ beeinflussen [12]. Aufgrund von Vernetzung, Rückkopplung und hoher Dynamik gilt das Kausalitätsprinzip in komplexen Systemen nicht mehr. Ereignisse können nicht als Folge einzelner, konkreter Ursachen angesehen werden. „In nichtlinearen Systemen mit rekursiver Prozessdynamik nützt (. . . ) Regelwissen wenig. Wo Zustand auf Zustand folgt, d. h. jeder Zustand Folge des unmittelbar vorhergehenden ist, gibt es nur noch in wenigen Fällen eine vorhersagbare Systementwicklung, auch wenn ihr Mechanismus bekannt ist, die Systeme deterministisch sind und Störungen nicht vorkommen“ [13, S. 114 f.]. Daher ist das Prozessverhalten in offenen und komplexen Systemen wie der Produktion nur kurzfristig vorhersagbar und nur bedingt steuerbar.
11.7.3 Die betriebliche Realität am Übergang zwischen PPS und Wertschöpfung Im Gegensatz zu einem technischen Reglersystem verlaufen die Steuerungsabläufe in soziotechnischen Systemen diskontinuierlich. Steuerungseinwirkungen werden im Falle der Produktion sowohl auf der Ebene des Material- wie auch des Informationsflusses gepuffert und gedämpft. Die Auftragspapiere und alle
Dokumente, die Tätigkeiten beschreiben oder veranlassen und gleichzeitig der individuellen Interpretation unterliegen, erzeugen unscharfe Schnittstellen entlang des Steuerungsablaufs. Dies bewirkt, dass selbst einschneidende Ereignisse im Rahmen des gesteuerten Systems nicht automatisch zu einer Reaktion führen müssen, oder aber, dass die Reaktion mit z. T. erheblicher Verzögerung erfolgt. Es kommt zu einer „Dämpfung“ der Wirkung der Steuerungsabläufe. Die Zielsetzungen, die im System verfolgt werden, divergieren je nach Situation, Rolle und Betrachtungsweise, so dass gleiche Ereignisse nicht automatisch zu gleichen Reaktionen führen. Die Produktion ist ein nichtlineares System. Der Mangel an durchgängigen Zielsystemen führt zu Missverständnissen und zu einem Aufbrechen der angestrebten Regelkreise. Eine Steuerung bzw. Regelung im Sinne eines kybernetischen Regelungssystems oder – wie man es aus organisationstheoretischer Sicht bezeichnen würde – durch einen technokratischen Ansatz wird damit unmöglich oder hat erhebliche Folgen für die Aufrechterhaltung des Steuerungssystems und des ganzen Produktionssystems.
11.7.3.1 Planungsmodelle und Realitäten PPS wird durch die Dualität der Begriffe ‚Planung‘ und ‚Steuerung‘ bestimmt. Die Planung erfolgt mittels Annahmen. Grundlage bietet dafür ein Modell,
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen
"Realität" des Tagesgeschäfts
„PPS“ wird so seiner globalen Flexibilität beraubt. Der Effekt der Entkopplung tritt insbesondere bei räumlicher und aufbauorganisatorischer Trennung zwischen Planungsabteilung und operativer Abteilung auf. Er macht sich gerade auch im Rahmen von Organisationsprojekten deutlich bemerkbar: eine problemadäquate Diskussion zwischen Planern und Ausführenden scheitert häufig an der Tatsache der unterschiedlichen Realitätsvorstellungen.
11.7.3.2 Steuerungsentscheidungen in der Praxis Nachdem die Aufgabe der Steuerung von ihrem reaktiven und situativen Charakter her aufgezeigt wurde, soll nun der Entscheidungsvorgang im Rahmen der Steuerung beleuchtet werden. Steuerungsentscheidungen erfolgen mehrheitlich auf Basis eines unerwarteten Trigger-Ereignisses und sind gerade dann sehr schwer formalisierbar. In einem solchen Fall wird i. d. R. ein betroffener Auftrag als Ausgangspunkt der Entscheidung gewählt und dieser unter mehr oder weniger deutlicher Berücksichtigung der anderen Aufträge neu geplant. Doch auch regulär verlaufende Steuerungsentscheidungen – etwa bei der wöchentlichen
- veraltete Zustandsdaten - unvollständige Stammdaten - starre Berechnungsstrukturen - monokausale Ziele (Kosten) - falsche Ressourcenund Prozessicht - keine direkte Einflussmöglichkeit - keine unmittelbare Qualitätskontrolle
Rückmeldungen
- Kenntnis des Kundenbedürfnisses - Denken in Modellen - Übermittlung von Soll-Vorgaben
Vorgaben
"Realität" der Planung
d. h. eine Vorstellung oder ein Schema, das die Abläufe und Zusammenhänge in Produktion und Logistik in einer abstrahierenden und generalisierenden Form beschreibt. In der betrieblichen Praxis zeigen sich solche Modelle in Form von Tabellen, Listen, Stammdatenübersichten u. a. Das Modell der Planung in der PPS lässt sich sehr gut auf EDV-Systeme abbilden. In der Folge bestimmt das auf einem EDV-System abgebildete Modell das Denken der damit Arbeitenden erheblich. Es entsteht eine eigene „Realität der Planung“, die der Modellwelt entspricht [15]. Während die Planung auf einem wohl definierten Modell basiert, stellt sich die Realität der operativen Wertschöpfung häufig anders dar. Abstrahierende Modelle haben hier wenig Platz, handelt es sich doch um ein physisches, dingliches Arbeitssystem [16, S. 8]. In der Praxis kommt es zu einem „Bruch in der PPS“ (Abb. 11.44): Die „Realität des Tagesgeschäfts“ weicht von der „Realität der Planung“ ab oder steht ihr sogar entgegen [17, S. 402]. In der Praxis sind beide „Realitäten“ häufig nur noch über Vorgaben und Rückmeldungen gekoppelt. Dieser Bruch führt immer wieder dazu, dass zur Aufrechterhaltung des Systems zunehmend eine Gegensteuerung etabliert wird, die lokal und autonom von den globalen Vorgaben erfolgt. Das Gesamtsystem
- Vorgaben nicht machbar - Verselbständigung - Beschränkung auf formale Rückmeldungen (Mengen)
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- Wissen um den aktuellen Systemzustand - Heterogene Strukturen - multivariante Ziele (Gefühl und Erfahrung) - unmittelbare Beeinflussung der Machbarkeit - weitgehend direkte Erfolgskontrolle
Abb. 11.44 Der Bruch in der PPS zwischen Planung und Tagesgeschäft
798
11 Information und Kommunikation
Planung der Meister – weichen erheblich von der Planungstheorie und den von ihr entwickelten Reihenfolgeregeln – z. B. FIFO (First in – first out), EDT (Earliest due date), SPT (Shortest processing time) usw. – ab. Auch hier ist das Vorgehen des Menschen individuell und nur schwer formalisierbar. Dabei ist immer zu beachten, dass Steuerung im Falle von reaktiven Entscheidungen unter hohem Zeitdruck und auch bei proaktiven Entscheidungen unter minimalem zeitlichen Aufwand erfolgt. Abbildung 11.45 versucht exemplarisch die Darstellung eines möglichen Entscheidungsvorgangs, wie er in der Praxis z. B. im Rahmen der kurzfristigen Planung angetroffen werden kann. Im Gegensatz zur reaktiven Steuerung liegt hier die proaktive Komponente vor, d. h. es kann noch mit einer gewissen Vorausschau geplant werden und es bestehen größere Entscheidungsspielräume. Wichtig ist dabei zu beachten, dass hier mehrere Aufträge gleichzeitig vorliegen und auch quasi gleichzeitig bzw. in kleinen Iterationen verplant werden. Ausgangspunkt dafür bilden die Vorgaben der zentralen Planung und eine durch das EDVgestützte PPS-System erstellte Prioritätsliste. Prioritätslisten werden von den operativ tätigen Mitarbeitern nicht besonders ernst genommen. Doch auch in einem solchen Fall bestimmen sie zwar nicht explizit das Ergebnis der Reihenfolgeplanung, aber die Reihenfolge der Planungsentscheide an sich. In der Regel erfolgt zuerst eine Abschätzung der situativen Machbarkeit: „Sind die Maschinen, Materialien, NC-Programme, . . . verfügbar?“ Danach folgt eine eher soziale Einschätzung: „Wollen wir mit der Arbeit wirklich noch anfangen oder warten wir auf den Schichtwechsel?“ Dann gewinnt vor allem der Aspekt der Kostenmini"Regeln" Vorgaben der zentralen Planung (Prioritätslisten, Reihenfolgen u.a.)
Individuelle Faktoren Wahrnehmnung
Situative Machbarkeit (z.B. Ressourcenverfügbarkeit) Individuelle und soziale Einschätzung (z.B. "Freitagsregel", Arbeitsübergabe) Kostenminimierung (auf Basis Kostenrechnungssystem) Aufwandminimierung (z.B. Vermeidung von Rüstvorgängen)
Erfahrung Steuerungsentscheid Wissen
Motivation
Abb. 11.45 Bestimmende Faktoren und Regeln für Steuerungsentscheidungen auf der operativen Systemebene (charakteristisches Beispiel)
mierung an Bedeutung und letztlich wird auch noch darauf geachtet, dass auch der Aufwand – z. B. beim Rüsten – gering gehalten wird. Dabei spielt ganz deutlich der Aufwand für den Menschen und die eigene Abteilung eine größere Rolle als der Aufwand für eine Maschine oder eine andere Abteilung – solange es die eigene Abteilung nicht mehr kostet. Für den Steuerungsentscheid sind des Weiteren die Wahrnehmung, die Erfahrung, das Wissen und die Motivation des Entscheidungsträgers von hoher Bedeutung. Erfahrung unterscheidet sich dabei von Wissen (zum Konzept des Erfahrungswissens siehe [18]). Wissen wird formal erworben und kann durch Schulungen vermittelt werden. Erfahrung entsteht auf Basis der Reflexion der eigenen Arbeit und ist nicht im selben Maße formalisierbar.
11.7.3.3 Bedeutungen von Zielsystemen Ziele sind für Steuerungsvorgänge von besonderer Bedeutung, da sie eine Vorgabe für den Steuerungsentscheid darstellen. So beschreibt ein Fabrikationsauftrag eine Aufgabe, indem er beispielsweise angibt, was zu tun ist und wie oft dies zu tun ist. Der Auftrag wird ergänzt mit einem auftragspezifischen Ziel etwa in Form der Restriktion „bis zum 22. Mai“ oder – wie bei einem Eilauftrag – durch das Optimierungsziel „eilt – so schnell als möglich“. Überlagert wird das auftragspezifische Zielsystem von den typischen Zielen für die Produktionssteuerung, etwa „Kapazitäten auslasten“, „Durchlaufzeiten minimieren“, „Bestände minimieren“ und „durchschnittliche Termintreue erhöhen“, aber auch unternehmerische Ziele, z. B. „bei bester Qualität“. Gerade im Rahmen der Dezentralisierung der Steuerungskompetenz werden Ziele als wesentliches Mittel betrachtet, um eine gemeinsame Ausrichtung der einzelnen, lokalen Steuerungsaktivitäten auf ein übergeordnetes, unternehmerisches Ziel hin zu ermöglichen [19, S. 157 und 180 ff.]. In der mathematischen Planungstheorie herrschen betriebswirtschaftlich orientierte Zielsysteme vor, die i. d. R. auf die oben genannten Größen „Kapazitätsauslastung“, „Durchlaufzeiten“, „Bestände“ und „Termintreue“ ausgerichtet sind. Diese sind entsprechend in das Zielsystem eines EDV-gestützten PPS-Systems integriert und stellen selbst Optimierungsziele dar. Es ist Aufgabe der Produktionssteuerung, diese mit den technologischen Bedingungen zu vergleichen und
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen
B w Beetri Zi wirirts treieb Zei l tsch bseel cha se aftfl. tl. Optimierungsproblem
Te lo ch Zi gis no el c e he
entsprechend technologie-orientierte Ziele zu verfolgen, etwa Rüstaufwandsminimierung durch geschickte Wahl einer Auftragsreihenfolge, oder einfach technologische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, etwa die Bearbeitung gleicher Legierungen in gleichen Zeitblöcken aufgrund der notwendigen separaten Entsorgung. Die technologischen Zielgrößen stellen damit in der Regel Restriktionen dar und werden ohne die Hilfe der EDV in die Entscheidung integriert. Aus Sicht des Gesamtunternehmens ergeben sich betriebswirtschaftliche Zielsetzungen, aus Sicht einer operativen Organisationseinheit in der Produktion müssen technologische Rahmenbedingungen berücksichtig werden. Beide haben einen eher formalen Charakter und können i. d. R. mit klarem Bezug und relativ einheitlich interpretiert werden, d. h. über die Bedeutung eines bestimmten Zieles oder einer Rahmenbedingung besteht weitgehende Klarheit. In jedem soziotechnischen System wird das formale Zielsystem durch eine individuelle Interpretation ergänzt. Der zuständige Entscheider berücksichtigt bewusst oder unbewusst die sozialen und psychologischen Aspekte einer Situation. Ein typisches Beispiel hierfür ist die weitverbreitete „Montagsregel“ der Produktion: „Terminiere nie eine anspruchsvolle Arbeit auf einen Montagmorgen“. Während in der Literatur wie auch bei der betrieblichen Reorganisation vor allem betriebswirtschaftliche Betrachtungen angestellt werden, bleibt der soziotechnische Charakter von Steuerungssystemen beim Aufbau von Zielsystemen fast immer unberücksichtigt. In der Regel steht das traditionelle „Dilemma der Produktionssteuerung“ [20] – man meint den Konflikt zwischen Durchlaufzeiten, Termintreue, Kapazitätsauslastung und Beständen – im Vordergrund. Das zweite, eigentlich tiefgreifendere Dilemma – Produktionssteuerung im Spannungsfeld betriebswirtschaftlicher, technologischer und individueller Ziele – wird kaum beachtet (Abb. 11.46). Auch hier zeigt sich der beschriebene „Bruch“ zwischen der Realität eines Planungsmodells und der Realität des operativen Geschehens: was sich im Modell als schwerwiegendes Problem darstellen mag, kann in der Wirklichkeit nur von geringer Relevanz sein. Das gleiche gilt umgekehrt. Ziele bestimmen die Modellbildung bei einem Entscheidungsvorgang und determinieren so das Ergebnis einer Handlung. Gemeint ist hier der psychologische Begriff des „mentalen“ bzw. „kognitiven Modells“,
799
Entscheidung
Bedingungsproblem
Subjektives Problem
Abb. 11.46 Das Dilemma der Produktionssteuerung – eine Reinterpretation
das jedes Individuum von einer Entscheidungssituation bildet [21]. Das mentale Modell eines typischen Mitarbeiters einer Planungsabteilung entspricht weitgehend dem logistischen Modell der Planung [22]. Für operative Mitarbeiter wird das mentale Modell durch die Erlebens- und Erfahrenswelt des Tagesgeschäfts wesentlich beeinflusst. Der Vorgang der Zielausarbeitung wird jeder Handlung vorangestellt. Die Ziele sind somit individuell und von der Entscheidungssituation und vom Entscheidungsträger abhängig, d. h. sie müssen nicht mit den formalen Zielen der Organisation übereinstimmen. Gerade im Umfeld der Produktionssteuerung, wo widersprüchliche und konfliktäre Ziele vorherrschen, gewinnt dieser Umstand an Bedeutung: da eine unmittelbare Kontrolle der Zielerreichung nicht möglich ist, können die für eine bestimmte Entscheidung relevanten individuellen Ziele einem Außenstehenden – z. B. einem Vorgesetzten oder einem Vertreter der Planungsabteilung – auf einfache Art verschleiert werden. Der Entscheidende als „Herr der Zielinterpretation“ gewinnt damit unmittelbar eine hohe Autonomie, auch wenn ihm diese durch das formale System gar nicht gewährt wurde. Obwohl diese Autonomie vom „Verschleierungswillen“ und „Verschleierungsgeschick“ des einzelnen abhängt, kann man in der Folge verallgemeinern, dass Entscheidungsträger im Rahmen der Produktionssteuerung immer über eine
800
hohe – wenn auch informelle – Autonomie verfügen. Diese Autonomie wird von der formalen Organisation wesentlich weniger eingeschränkt als von den strukturellen und technologischen Bedingungen, die die Anzahl der Entscheidungsmöglichkeiten zum Teil erheblich einschränken. Individuell gebildete Ziele sind somit für das Unternehmen von besonderer Bedeutung, da sie die Form und die Güte des operativen Handelns in besonderer Art und Weise beeinflussen und so auf das Gesamtsystem zurückwirken. Gleichzeitig lassen sich formale Ziele im Fall der Produktionssteuerung und insbesondere in verteilten, heterogenen Systemen nicht durch Zwang von oben durchsetzen. Um eine höhere Akzeptanz seitens der Mitarbeiter zu erreichen, muss dass formale Zielsystem erklärt und durch die Mitarbeiter für ihren Bereich angepasst werden können. Dabei muss auch akzeptiert werden, dass ein Zielsystem nicht widerspruchsfrei sein kann und nicht nur der Erreichung von Unternehmenszielen dienen kann. Vielmehr muss die Kompromissfähigkeit der Entscheidungsträger in einer verteilten Produktion gezielt gefördert und erhöht werden.
11.7.3.4 Erfahrung und Planungskompetenz „Erfahrungsgeleitete Anpassungen und Eingriffe sind [zur Steuerung] in der Produktion notwendig, insbesondere wenn äußere Einflüsse [. . . ] eine kurzfristige und schwer vorausplanbare Veränderung der Produktionssituation erfordern“ [23, S. 6]. Erfahrungswissen ist dabei z. T. nur intuitiv und im Rahmen einer konkreten Situation zugänglich. Gleichzeitig ist es fest an ein Individuum gebunden und kann nur sehr bedingt weitergegeben werden. Erfahrung entsteht auf Basis des Arbeitshandelns. Der Handelnde lernt kontinuierlich auf Grundlage der Ergebnisse seiner Handlung und gewinnt so zunehmend an Erfahrung. Dies setzt voraus, dass der Handelnde mit dem Ergebnis seiner Handlung konfrontiert wird. Dies erfolgt z. B. über Rückmeldungen. Hier erweist sich das Aufgabenfeld der Produktionssteuerung in mehrfacher Hinsicht als problematisch:
11 Information und Kommunikation
– Er erhält – etwa als Mitarbeiter der zentralen Planung – durch räumliche, zeitliche und aufbauorganisatorische Trennung nur eine gedämpfte Rückmeldung. – Er nimmt gar nicht wahr, dass er eine steuerungsrelevante Entscheidung gefällt hat und ist gleichzeitig, da er nicht in das formale System eingebettet ist, von einer formalen Rückmeldung ausgeschlossen. Noch problematischer erweist sich eine andere, strukturelle Eigenschaft der Steuerung: • Die Wirkung eines einzelnen Steuerungsentscheids kann de facto nicht bestimmt werden, da – Steuerung kontinuierlich und gleichzeitig in den selben Systemgrenzen durch mehrere Steuerer erfolgt, – die Wirkungen einer Steuerungsentscheidung zeitlich und von ihrem Einfluss her nicht begrenzt werden können. Vor allem die strukturellen Bedingungen, unter denen Steuerung in der Produktion erfolgt, erweisen sich prinzipiell als problematisch. Sie führen dazu, dass der Handelnde sich selbst nur ein beschränktes Bild von der Wirkung seines Handelns machen kann. In der Folge kann Erfahrung auch falsch sein. Dennoch lässt sich Erfahrung durch eine erfahrungsförderliche Arbeits- und Aufgabengestaltung begünstigen. Neben zahlreichen anderen Kriterien, wie Spielraum, Anforderungen u. ä., bedeutet dies für die Produktionssteuerung, dass ein Entscheider nach Möglichkeit organisatorisch sowie räumlich nah am Einflussbereich seiner Entscheidung angesiedelt sein sollte. Andersherum kann man auch formulieren, dass jene Personen, die mit den Folgen einer Entscheidung umgehen müssen, auch für diese verantwortlich sein sollten. Für den Fall der Produktionssteuerung bedeutet dies, dass allein schon aus dem Blickwinkel einer erfahrungsförderlichen Arbeitsgestaltung die Steuerung möglichst nah am operativen Wertschöpfungsgeschehen erfolgen sollte.
11.7.3.5 Information und Wahrnehmung • Der Handelnde ist aufgrund des formalen Systems von einer wirkungsvollen oder expliziten Rückkopplung ausgeschlossen:
Die Wahrnehmung im Rahmen einer bestimmten Entscheidungssituation bestimmt die Entscheidung we-
11.7 Produktionssteuerung in dezentralisierten Leistungsprozessen
801
sentlich. Dabei ist die Wahrnehmung einerseits abhängig von den prinzipiell zur Verfügung stehenden Informationen, andererseits bestimmen gewisse Rahmenbedingungen, ob überhaupt und in welchem Maß eine Wahrnehmung stattfindet. Steuerungsentscheidungen fallen in einem heterogenen informatorischen Umfeld:
11.7.4 Global denken – Lokal handeln: Gestaltungsprinzipien für die dezentrale Produktionssteuerung
• formalen, i. d. R. EDV-gestützt erstellten oder übermittelten Unterlagen und Informationen, z. B. Auftragspapiere, Prioritätslisten, Zeichnungen und Arbeitspläne, • individuell beschafften, geschlossenen, erinnerten und indirekt wahrgenommenen Informationen, z. B. individuelle Excel-Tabellen, persönliche Notizen über Dringlichkeiten, Genauigkeiten, spezifischen Anforderungen, und Informationen von offiziell nicht Zuständigen, etwa durch Kantinenund Pausengespräche.
• Steigerung der Koordinationseffizienz eines Netzwerks von dezentralen Organisationseinheiten, d. h. Erreichen einer dynamischen Integration, • Erhöhung der Autonomie von dezentralen Organisationseinheiten, d. h. Erreichen einer dynamischen Flexibilisierung.
Dabei zeigt sich deutlich, dass die genutzte Information deutlich über das formale Informationsangebot hinausgeht. Gerade bei situativen Steuerungsentscheidungen gewinnen individuelle Informationen an Bedeutung. Diese müssen je nach dem beschafft werden oder sind dem Entscheidenden bereits präsent. So sind in vielen Fällen etwa Informationen über den aktuellen Bearbeitungsstand eines Arbeitsgangauftrags an einer Maschine notwendig. Diese Information ist einem lokalem Entscheider, der in unmittelbarer Nähe zum operativen Bereich tätig ist oder selbst teilweise operativ tätig ist, wesentlich geläufiger und einfacher zugänglich, wie etwa einem globaler Entscheider, der von seinem Büroarbeitsplatz aus den Überblick behalten will. Dabei ist zu beachten, dass der lokale Entscheider auch dann über eine bestimmte Information wesentlich schneller verfügt, wenn er diese beschaffen muss. Dies ist sowohl durch seine Geübtheit wie auch durch seine Vertrautheit mit den sozialen und organisatorischen Bedingungen begründet. Dabei ist ein lokaler Entscheider i. d. R. auch viel eher in der Lage, eine individuell beschaffte Information im Hinblick auf ihre Bedeutung und ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen und zu beurteilen.
Bei der Umsetzung einer dezentralen Produktionssteuerung ergeben sich zwei zentrale Aufgaben der Organisationsgestaltung:
11.7.4.1 Zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung Grundsätzlich ist das Maß an Zentralisierung und Dezentralisierung von Entscheidungs- und Steuerungskompetenzen in einer Organisation eine Frage, die das strategische Management seit dem Beginn der industriellen Organisation als Managementaufgabe beschäftigt. Grundsätzlich lassen sich hier zwei Gegenpole beschreiben, die aus Sicht des Management gleichermassen ungünstig sind [24, S. 43 ff.]: • Königreiche in dezentralen Abteilungen/Meisterbereichen: Dezentrale Organisationseinheiten übernehmen Kompetenzen, ohne die notwendige Verantwortung im globalen Kontext wahrzunehmen. Sie bestimmen z. B. Auftragstermine autonom ohne die übergeordneten Interessen des gesamten Logistiknetzwerkes zu berücksichtigen. Solche Königreiche entstehen häufig, da die dezentralen Organisationseinheiten an isolierten Zielsetzungen gemessen werden, z. B. Kapazitätsauslastung. • Königreiche in zentralen Abteilungen/zentrale Planungsgruppen: Zentrale Führungsbereiche delegieren Verantwortung an dezentrale Organisationseinheiten, ohne ihnen die notwendigen Kompetenzen zu erteilen. So wird einer operativen Einheit zwar die Kosten- und Ertragsverantwortung übergeben, die zentrale Abteilung macht jedoch klare Vorgaben, bei wem eingekauft werden darf.
802
11 Information und Kommunikation
Tabelle 11.2 Integration zwischen Einheiten einer Organisation Mittel zur globalen Integration
Realisierung durch
gemeinsame Ziele durchgängiges Informationssystem Netzwerkorganisation persönliche Kommunikation und Koordination
– klare Strategien und Leitlinien durch das Management – situationsangepassten EDV-Einsatz – Ersetzung der Hierarchien durch heterarchische Interpendenzen – qualifizierte und kompetente Mitarbeiter
In der Praxis treten i. d. R. Mischformen auf, die letztendlich keinen eindeutigen Charakter besitzen. Hier kommt dem Menschen als individuell Handelndem eine besondere Bedeutung zu. Er ermöglicht es, aus den Strukturen heraus flexibel und problemadäquat zu handeln.
tion eher die Fähigkeit einer Organisation flexibel auf ein gemeinsames Ziel hin zu agieren verstanden werden muss, als ein bestimmter, momentaner Zustand von „Integriert-Sein“. Integration und Flexibilität sind untrennbar verbunden. Daraus ergibt als zentrale Aufgabe der Organisations- und Personalentwicklung:
11.7.4.2 Mittel zur Integration
• Entwicklung der Fähigkeit von Individuen und Gruppen zu kommunizieren, zu interagieren und ihre Aktivität zu koordinieren. In Bezug auf das Ziel einer Integration von Organisationseinheiten stellt der Einsatz von EDV-Systemen ein wesentliches Mittel dar, s. [25]. Hier sind folgende Eigenschaften von EDV-Systemen zu beachten: • Kommunikation von Zielen und strategische Information, z. B. über ein MIS (Management Information System),
Kosten
In die Alltagssprache des Managements übersetzt, gilt damit auch für die Produktionssteuerung der Grundsatz „global denken – lokal handeln“. Dabei ergeben sich mehrere Mittel, eine Integration zwischen den Einheiten einer Organisation zu erreichen (Tabelle 11.2). Im Hinblick auf das Ziel einer integrierten Organisation muss berücksichtigt werden, dass unter Integra-
Autonomiekosten
Gesamtkosten ohne IT mit IT
Koordinationskosten
e IT ohn mit IT
Ko
KoIT
Koordinationsintensität
IT-Effekt
Abb. 11.47 Auswirkungen der Informationstechnologie auf die Kommunikationskosten [27]
Literatur
• Kommunikation von operativen Informationen, etwa Auftrags- und Bewegungsdaten, • Integration von Funktionen, etwa durch Nutzung einer gemeinsamen Datenbasis für unterschiedliche Planungsläufe. Durch den Einsatz von EDV lassen sich die durch Autonomie/Flexibilisierung sowie durch Koordination entstandenen Kosten bei hoher Koordinationsintensität minimieren (Abb. 11.47). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Informationsgrundlage von Entscheidungen verbessert werden kann und so die durch Autonomie erzeugte Ungewissheit reduziert wird [26, S. 256]. Die EDV stellt mit ihren heutigen Eigenschaften eine relativ flexible Ressource dar, die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten zulässt und gut auf unterschiedliche betriebliche Situationen hin angepasst werden kann. Sie spielt die Rolle eines „Enablers“ für organisatorische Strukturen; der Gestaltungsspielraum wird durch die EDV gegenüber früheren Organisationsformen zunehmend erhöht. In der Praxis ist die EDV mittlerweile in vielen Fällen auf operativer Ebene für die Struktur einer Organisation in größerem Maß verantwortlich, als die traditionell über Funktionen definierten Hierarchien. Sie bildet gewissermaßen das Rückgrat der Ablauforganisation.
11.7.4.3 Ansätze aus der Praxis Für die praktische Umsetzung der Produktionssteuerung in dezentralen Leistungsprozessen bietet sich eine Vielzahl von Gestaltungsansätzen an. Diese sollen hier kurz aufgelistet werden, eine ausführliche Beschreibung findet sich an anderer Stelle in diesem Buch: • Organisationsgestaltung: Hier sind insbesondere Ansätze zur Modularisierung bzw. Fraktalisierung der Organisation zu nennen. Durch eine geeignete Zusammenfassung von Ressourcen, Aufgaben und Kompetenzen lassen sich Organisationseinheiten bilden, die in sich einen hohen Autonomiegrad aufweisen und damit flexibel sind. Als übergelagertes Gestaltungsprinzip bieten sich hier Prozess- und Kundenorientierung an.
803
• Organisationsentwicklung: Als wichtigstes Prinzip hat sich hier das Modell der Gruppen- bzw. Teamarbeit durchgesetzt. Durch Gruppenarbeit ist es möglich, Steuerungsaufgaben eng mit den Aufgaben der Produktionsarbeit zu verknüpfen. Dadurch ergeben sich sowohl erfahrungsförderliche Arbeitsaufgaben als auch kurze und lokale Entscheidungswege. • Informatikeinsatz: Im Bereich des Informatikeinsatzes sind v. a. sog. APS (Advanced Planning System) und SCMSysteme (Supply Chain Management) zu nennen. Diese Systeme basieren auf Planungsmodellen, die deutlich komplexer und damit potentiell realitätsnäher sein können, als die Modelle herkömmlicher ERP-/PPS-Systeme, die i. d. R. auf dem MRP-IIPrinzip basieren. Durch APS/SCM-Systeme lassen sich globale Wertschöpfungsketten abbilden, die über einen einzelnen Bereich bzw. ein einzelnes EDV-System hinausgehen. Es sei jedoch erwähnt, das APS/SCM-Systeme nur bei einem kleinen Teil der möglichen Probleme im Bereich der Produktionssteuerung einen sinnvollen – d. h. v. a. kosteneffizienten – Lösungsansatz bieten.
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11.8 CAQ-Systeme 11.8.1 Einleitung CAQ-Systeme (Computer-Aided-Quality-AssuranceSysteme) dienen zur Unterstützung des Qualitätsmanagements. Ihre Aufgaben bestehen zum einen
11 Information und Kommunikation
darin, Vorgabedaten und Ergebnisdaten von Produkten und Prüfungen über deren Lebenslauf zu erfassen, zu verwalten und den entsprechenden Stellen zur Durchführung ihrer Tätigkeiten bereitzustellen. Zum anderen dienen sie dem Qualitätsmanagement dazu, auf Basis der vorhandenen Daten Analysen durchzuführen, um Verbesserungspotenziale aufzudecken und darauf aufbauend Verbesserungsmaßnahmen anzustoßen. CAQ-Systeme, wie man sie heute auf dem Markt vorfindet, entstanden Mitte der achtziger Jahre durch die technische Zusammenführung von EDV-gestützten Insellösungen zur Qualitätssicherung. Durch den zunehmenden Funktionsumfang in den letzten Jahren unterstützen sie heute viele Methoden und planerische Aufgaben des Qualitätsmanagements. Begünstigt wurde die Entwicklung der CAQ-Systeme durch rasche Entwicklung auf dem EDV-Sektor. Während in den Anfängen der CAQ-Systeme noch Großrechnerlösungen mit wenig benutzerfreundlichen Oberflächen dominierten, so finden sich heute moderne EDV-Architekturen, die eine einfache Bedienung auf allen Ebenen gewährleisten. Des Weiteren lassen sich moderne CAQ-Systeme problemlos in die betriebliche EDV-Umgebung intergrieren und ohne großen Aufwand an die betrieblichen Anforderungen des Unternehmens anpassen. Für die Einführung von CAQ-Systemen sollte allerdings ausreichend Zeit eingeplant werden. Projektlaufzeiten von ein bis zwei Jahren gelten als realistisch.
11.8.2 Systemunterteilung Die zur Unterstützung des Qualitätsmanagements vorhandenen EDV-Systeme lassen sich nach folgenden Kriterien einordnen:
CAQ-Systeme CAQ-Systeme werden vorrangig zur EDVUnterstützung in der diskreten Fertigung eingesetzt. Sie haben i. Allg. umfangreiche Funktionen, von der Produktplanung bis hin zur Felddatenerfassung. Zu den klassischen Funktionalitäten, wie sie von nahezu allen CAQ-Systemen angeboten werden, zählen die Prüfplanung, Prüfauftragsverwaltung, Prüfdatenerfas-
11.8 CAQ-Systeme
sung sowie Prüfdatenauswertung und -dokumentation. Darüber hinaus beinhalten die CAQ-Systeme noch weitere Funktionalitäten, wie die Fehlermöglichkeitsund Einflussanalyse (FMEA), die Produktplanung mit Advanced Product and Quality Planning (APQP) und den Product Part Approval Process (APQP), die Dokumentation des Qualitätsmanagementsystems, das Auditmanagement oder die Reklamationsbearbeitung. Der CAQ-Markt in Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark konsolidiert. Derzeit befinden sich noch ca. 20 nennenswerte CAQ-Systeme auf dem Markt.
LIM-Systeme LIM-Systeme (Labor-Informations- und Managementsysteme) finden ihren Einsatz in der Prozessindustrie. Ihr Funktionsumfang reicht von der Probenplanung bis zur Probenarchivierung. Einige LIM-Systeme haben einen ähnlich großen Funktionsumfang wie CAQ-Systeme. Auch existieren EDV-Systeme, die sowohl in der diskreten als auch in der Prozessindustrie eingesetzt werden können. Sie eignen sich z. B. für Mischindustrieformen, wie etwa die Stahlindustrie, bei der einerseits die Anforderungen der Prozessindustrie und andererseits die Anforderungen der diskreten Fertigung vorliegen.
SAP Add-on SAP Add-ons besitzen im Gegensatz zu CAQ- und LIM-Systemen i. Allg. keine eigene Datenbank sondern dienen als Erfassungssysteme (Subsysteme) für SAP-Lösungen. Sie setzen mit ihren Funktionen auf der SAP-Datenbasis auf.
ERP-Lösungen Neben den auf dem Markt erhältlichen CAQ- und LIM-Systemen existieren auch Lösungen auf Seiten der ERP-Systemanbieter. Sie weisen allerdings auf der operativen Ebene noch einen geringeren Funktionsumfang gegenüber den CAQ- und LIM-Systemen auf. Der Vorteil dieser Lösungen besteht vorrangig in der bereits vorhandenen Datenintegration zum ERPSystem.
805
Speziallösungen Des Weiteren existiert eine Vielzahl von EDVSpeziallösungen zum Qualitätsmanagement. Wenn im Folgenden von CAQ-Systemen die Rede sein wird, so wird darunter nicht die Abdeckung einer Methode oder Phase des Qualitätsmanagements verstanden, sondern die vollständige EDV-Unterstützung des Qualitätsmanagements sowie die EDV-technische Integration der einzelnen Module. Der Markt an EDV-Speziallösungen ist vielfältig.
11.8.3 Funktionsumfang Grundfunktionalität Die Grundfunktionalität von CAQ-Systemen umfasst sämtliche Tätigkeiten der Qualitätsprüfung durch die Funktionen der Prüfplanung, Prüfauftragsgenerierung, Prüfdatenerfassung, Prüfdatenauswertung und -dokumentation.
Prüfplanung Grundlage für die Arbeit mit einem CAQ-System ist die Erstellung des Prüfplans, der ausgehend von der Konstruktionszeichnung und dem Arbeitsplan für alle Stufen der Produktherstellung, an denen Prüfungen durchgeführt werden, erstellt wird. Die Prüfpläne sind mit den Arbeits- oder Fertigungsplänen vergleichbar, d. h. sie sind auftragsneutral und enthalten noch keine Angaben über die zu fertigenden Mengen. Der Prüfplaner legt in den Prüfplänen Aufgabe, Art und Umfang der qualitätssichernden Maßnahmen während der Produktentstehung fest. Dabei wird zwischen zwei Arten von Prüfungen unterschieden: Der losbezogenen Stichproben- oder 100%-Prüfung (Wareneingangs-, Zwischen- und Endprüfungen), die sich auf die Prüfung eines bereits gefertigten Loses beziehen, sowie der fertigungsbegleitenden Statistischen Prozessregelung (SPC), die im sog. kleinen Regelkreis während der Fertigung der Teile durchgeführt wird. Im Rahmen der Prüfplanung werden von den meisten CAQ-Systemen Familien- und Gruppenprüfpläne unterstützt. Bei den Familienprüfplänen werden für Teilefamilien die Prüfungen (Merkmale, Sollwerte
806
11 Information und Kommunikation
CAQ-System
Entwicklung/ Konstruktion
Stammdatenverwaltung Beschaffung/ Fertigungsplanung
Prüfplanung
Wareneingang/ Fertigungsauftrag
Prüfauftragsgenerierung
Prüfauftragsdynamisierung
Prüfdatenerfassung Informationen an zuständige Stellen, wie z.B.: - Qualitätswesen - Beschaffung - Lieferant - Kunde - u.s.w.
Prüfdatenverarbeitungund -auswertung
Abb. 11.48 Prüfablauf in CAQ-Systemen
und Toleranzen), die für alle Teile der Familie einheitlich sind, in einem Familienprüfplan zusammengefasst und nur für die Prüfungen, die teilespezifisch sind, eigene Prüfpläne bzw. Prüfmerkmale angelegt. Dies führt je nach Anwendungsfall zu einer starken Reduzierung des Arbeitsaufwandes bei der Erstellung und Pflege der Prüfpläne. Bei den Gruppenprüfplänen hingegen sind die Prüfmerkmale für alle Teile der Gruppe immer dieselben. Sie werden zur Erstellung teilespezifischer Prüfpläne herangezogen und lediglich durch Hinzufügen von Sollwerten und Toleranzen komplettiert, z. B. durch die Integration mit einem ProductData-Management-System (PDM-System). Bei einigen CAQ-Systemen kann die Vervollständigung der Gruppenprüfpläne auch erst direkt vor der Prüfdurchführung erfolgen. Bei manchen CAQ-Systemen lässt sich die Prüfplanung auch teilweise innerhalb anderer Systeme durchführen. Eine interessante Variante stellt dabei die CAD-integrierte Prüfplanung dar, bei der die Prüfmerkmale bereits innerhalb eines CAD-Systems markiert und zur Erstellung eines Rumpfprüfplanes an das CAQ-System geschickt werden, in dem anschließend nur noch die Angaben zum Stichprobenplan und zu den Prüfmitteln ergänzt werden müssen. Neben dem reduzierten Prüfplanungsaufwand hat diese Variante zudem den Vorteil, dass bereits die Entwicklung die wichtigsten Merkmale, die für die einwandfreie Funktion des Produkts notwendig sind, als Prüfmerkmale kennzeichnen kann. Eine weitere Alternative
zur Prüfplanung bieten CAQ-Systeme, die Prüfpläne auf Basis von Messprotokollen eines DreikoordinatenMesssystems erstellen können.
Prüfauftragserzeugung Aufbauend auf dem Prüfplan, wird zusammen mit dem Fertigungsauftrag oder einem Wareneingang, der Prüfauftrag generiert, d. h. der auftragsneutrale Prüfplan wird mit auftragsspezifischen Daten gefüllt. Bei der Generierung des Prüfauftrages ermittelt das CAQSystem für die losbezogenen Prüfungen aufgrund der Angaben des Prüfplanes (Stichprobenplan, Prüfschärfe) und der Losgröße des Wareneingangs oder des Fertigungsauftrages für jedes der Prüfmerkmale, die zu prüfende Stichprobengröße und die maximal zulässige Anzahl fehlerhafter Einheiten in der Stichprobe. Um den Prüfaufwand auch einzelner Merkmale an die Qualitätshistorie (z. B. gleichbleibend gute Ware eines bestimmten Lieferanten) anzupassen, bieten die CAQSysteme die Möglichkeit zur Prüfauftragsdynamisierung. Dabei wird bei gleichbleibend guter Qualität eines Lieferanten oder einer Maschine der Prüfaufwand für die Prüfmerkmale schrittweise reduziert oder sogar zeitweise – falls erlaubt – auf totalen Prüfverzicht (skip-lot) gesetzt. Eine weitere Funktionalität bei der Prüfauftragsgenerierung ist die Vergabe von Prioritäten für die Bearbeitung und Zuordnung der Prüfaufträge auf bestimmte Kostenstellen und Arbeitsplätze.
11.8 CAQ-Systeme
807
Abb. 11.49 Maske bei der Prüfdatenerfassung (Quelle: IDOS AG)
Prüfdatenerfassung Während der Prüfdatenerfassung wird der Bediener bei seiner Arbeit durch Bereitstellung von entsprechenden Informationen vom System geführt und unterstützt. Diese Informationen können z. B. neben Arbeits- und Prüfanweisungen, Prüfskizzen aus dem CAD-System, eingescannte Bauteile und Fotos oder Videos, die die Prüftätigkeit darstellen, sein. Die Festlegung, welche Informationen dem Bediener während der Prüfdatenerfassung angeboten werden, erfolgt innerhalb der Prüfplanung. Durch integrierte Plausibilitätsprüfungen wird zudem die Gefahr von Fehleingaben verringert. Die Prüfdatenerfassung der variablen oder attributiven Prüfdaten kann auf mehrere Arten erfolgen. Die einfachste Art der Erfassung erfolgt über die Tastatur des Rechners. Je nach Anwendungsfall sollte man hierbei darauf achten, dass zur Datenerfassung auf der
operativen Ebene auch eine einfach zu bedienende reduzierte Tastatur (Funktions- und Ziffernblock) eingesetzt werden kann. Durch den Einsatz von digitalen Messmitteln, die den anliegenden Messwert über sog. Interfaceboxen „online“ (direkt) an den CAQ-Rechner übermitteln, lässt sich der Arbeitsaufwand, der durch das Ablesen und Eingeben von Messwerten entsteht, sowie die Gefahr von Fehleingaben entscheidend reduzieren. Laufprüfungen oder Prüfungen außerhalb des Einsatzbereiches des CAQ-Systems (z. B. Temperaturprüfung in einem LKW) lassen sich mit Hilfe von Funkerfassungssystemen und Data-Loggern durchführen. Eine weitere Möglichkeit zur Prüfdatenerfassung bietet die Integration von sog. Belegleser-Systemen. Diese werden oft in Bereichen angewandt, in denen es keinen Sinn macht, an jedem Arbeitsplatz einen Prüfdatenerfassungsrechner zu installieren (z. B. attributive Prüfungen im Wareneingang oder der Fertigung).
808
11 Information und Kommunikation
Abb. 11.50 Möglichkeiten der Prüfdatenerfassung (Quellen: Steinwald, Bobe, IBS, DataPec)
Bei den Belegleser-Systemen wird auf Basis der Daten des Prüfauftrages ein Beleg ausgedruckt, der anschließend am Arbeitsplatz entsprechend der Prüfergebnisse ausgefüllt wird. Nach Abschluss der Prüfungen wird der Beleg dann wieder über einen Belegleser eingelesen und die Prüfergebnisse an das CAQ-System übertragen. Intelligente Messmittel, wie z. B. Dreikoordinatenmessgeräte, lassen sich über Dateischnittstellen oder Druckerschnittstellen anbinden. Bei dem häufigeren Fall der Anbindung über die Dateischnittstelle werden sowohl der Prüfauftrag als auch die Prüfergebnisse zwischen dem CAQ-System und dem intelligenten Messmittel in Form von Dateien ausgetauscht. Bei der Anbindung über eine Druckerschnittstelle werden nur die Prüfergebnisse, die von dem intelligenten Mess-
mittel ausgedruckt werden über die Druckerschnittstelle an das CAQ-System übertragen.
Prüfdatenauswertung Die im CAQ-System erfassten Daten lassen sich nach beliebigen Kriterien auch unter Zuhilfenahme von komplexen statistischen Methoden auswerten, verdichten und darstellen. Die Auswertungen können hierbei auftrags-, chargen-, teile- und merkmalsorientiert über verschiedene Lieferanten/Maschinen und Zeiträume (z. B. Schichtauswertungen) durchgeführt werden. Typische, durch CAQ-Systeme unterstützte Auswertungen sind z. B. Lineardiagramme der Messwerte (Urwertkarte), Häufigkeitsverteilung
11.8 CAQ-Systeme
(Histogramm), statistische Kennwerte (Mittelwert, Standardabweichung etc.), Angaben über Ausschuss und Nacharbeit, Fehlersammelkarten sowie Verteilungstests. Durch die Einbindung des CAQ-Systems in ein betriebliches Netzwerk besteht die Möglichkeit, diese Informationen den entsprechenden Abteilungen zur Information und Steuerung bereitzustellen (z. B. Schichtprotokolle für die Fertigungssteuerung, Lieferantenbewertungen für den Einkauf, Mängelrügen für Lieferanten, Qualitätsberichte für das Management). Wiederkehrende komplexe Auswertungen lassen sich einmalig aufnehmen und anschließend abrufen. Sollten die im CAQ-System implementierten Auswertefunktionen nicht ausreichen, so bieten die meisten Systeme zusätzliche Schnittstellen zu marktüblichen Tabellenkalkulationsprogrammen und Statistikpaketen an. Prüfdatendokumentation Für die Dokumentation und Auswertung der Prüfergebnisse existieren in den CAQ-Systemen Standarddruckroutinen. Sollten diese nicht ausreichen, z. B. weil Kunden ihre Prüfergebnisse auf speziellen Formularen fordern, so bieten die meisten CAQ-Systeme spezielle Reportgeneratoren an, die eine kundenspezifische Dokumentation erlauben.
809
Voraussetzung für die Akzeptanz dieses Moduls auf der Werkerebene ist jedoch die einfache Bedienbarkeit und Übersichtlichkeit der Daten.
Erweiterte Funktionalität Neben der zuvor beschriebenen Grundfunktionalität, wie sie in nahezu allen CAQ-Systemen vorzufinden ist, unterstützen CAQ-Systeme auch noch die nachfolgenden Funktionen:
FMEA Waren die Module zur Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) anfangs nur Zukaufmodule ohne datenmäßige Integration, so findet man heute vielfach voll integrierte FMEA-Module. Dadurch ergeben sich insbesondere auf Seiten der Prozess-FMEA zusätzliche Vorteile. So lassen sich die im Rahmen der FMEA ermittelten Prüfmaßnahmen i. Allg. direkt in einen Prüfplan überführen. Des Weiteren werden Fehler, die im Rahmen von Prüfungen oder Reklamationen auftraten und bisher noch nicht in der FMEA analysiert wurden, an die FMEA zur weiteren Bearbeitung weiterleiteten.
Statistische Prozessregelung
APQP
Die statistische Prozessregelung, die der Werker zur direkten Regelung des Fertigungsprozesses an der Maschine nutzt, wird von nahezu allen CAQSystemen unterstützt. Dem Bediener werden aufgrund von Stichprobenprüfung Veränderungen des Prozesses (z. B. Werkzeugverschleiß) angezeigt, anhand derer er frühzeitig, d. h. noch bevor schlechte Teile produziert werden, durch entsprechende Maßnahmen (z. B. Werkzeugwechsel) regelnd in den Prozess eingreifen kann. Der kurze Regelkreis, wie er in der statistischen Prozessregelung vorherrscht, stellt somit ein effektives Hilfsmittel zur Fehlervermeidung in der Produktion dar. Durch den Einsatz eines SPC-Moduls lässt sich die Selbstprüfung vor Ort an der Maschine wirkungsvoll unterstützen. Dem Bediener werden dabei sowohl die Regelkarten dargestellt als auch Hinweise über aufgetretene Prozessveränderungen (z. B. Trend) mitgeteilt.
Eine Funktion, die in den letzten Jahren aufgrund von Anforderungen der Automobilindustrie verstärkt in den Funktionsumfang von CAQ-Systeme aufgenommen wird, ist die des Advanced Product and Quality Planning (APQP). Hierbei bieten die CAQSysteme eine EDV-technische Unterstützung zur Durchführung, Überwachung und Dokumentation der Forderungen des APQP an.
PPAP Eine weitere Funktion aus dem Bereich der Automobilindustrie stellt die Funktion des Production Part Approval Process (PPAP) dar. Auch hier bieten die CAQ-Systeme eine EDV-technische Unterstützung zur Durchführung, Überwachung und Dokumentation der Forderungen des PPAP an.
810
11 Information und Kommunikation
Abb. 11.51 Möglichkeiten der Prüfdatenauswertung (Quellen: IBS AG, Böhme & Weihs)
Erstbemusterung
Prüfmittelüberwachung
Zur Durchführung von Erstbemusterungen, wie sie z. B. vor der Freigabe eines Lieferanten für die Lieferung eines Produktes durchgeführt werden, bieten die CAQ-Systeme das Modul Erstmusterprüfbericht an. Die CAQ-Systeme orientieren sich hierbei i. Allg. an den von der Automobilindustrie (z. B. vom VDA) vorgeschlagenen Vorgehensweisen zur Durchführung von Erstbemusterungen.
Die Module zur Prüfmittelverwaltung und -überwachung unterstützen die Tätigkeiten der Prüfmittelverwaltung und -überwachung. Innerhalb der Module lassen sich für Prüfmittelgruppen und Einzelprüfmittel Überwachungsprüfpläne erstellen und verwalten, die dann zusammen mit einem Überwachungsintervall den Prüfmitteln zugeordnet werden. Zur Reduzierung des Arbeitsaufwandes bei der Prüfmittelplanung sind in einigen Systemen bereits die Prüfpläne für die am häufigsten in der Fertigungsindustrie angewandten Prüfmittel entsprechend der VDI/VDE/DGQRichtlinie 2618 enthalten. Als Kriterien, deren Erreichen eine Prüfmittelüberwachung auslösen, lassen sich der Nutzungszeitraum, die Anzahl der mit dem
Control Plan Der Control Plan, als Verbindung der Detailprüfpläne, lässt sich mit Hilfe von CAQ-Systemen anhand der bereits vorhandenen Prüfplanung generieren.
11.8 CAQ-Systeme
811
Abb. 11.52 Unterstützung der statistischen Prozessregelung auf der Werkerebene (Quelle: IBS AG)
Prüfmittel durchgeführten Messungen und die Anzahl der Prüfmittelausleihen heranziehen. Je nachdem, welches Kriterium zuerst erreicht wird, wird das Prüfmittel für die weitere Verwendung im CAQ-System gesperrt und ein Prüfauftrag für die Überwachung angelegt. Zur Kapazitätsplanung und zur Steuerung lassen sich Listen der zur Prüfung anstehenden Prüfmittel abteilungs- und prüfmittelbezogen ausgeben. Aufgrund der Ergebnisse der Prüfmittelüberwachung lassen sich in einigen Systemen sogar Nutzungszeiträume vorgeben, in denen das Prüfmittel, z. B. eine Grenzrachenlehre, voraussichtlich noch einsatzfähig sein wird.
Prüfmittelfähigkeitsuntersuchung Zusätzlich zur eigentlichen Prüfmittelüberwachung bieten viele CAQ-Systeme auch noch eine Unterstüt-
zung der Prüfmittelfähigkeitsuntersuchung an, bei der Analysen zur Eignung des Prüfmittels hinsichtlich einer speziellen Messaufgabe unter Berücksichtigung von Einflüssen der Bediener und des Prüfortes durchgeführt werden können. Reklamationsbearbeitung Mit Hilfe der Funktionalität der Reklamationsbearbeitung lassen sich alle Tätigkeiten, wie sie bei der Bearbeitung externer und interner Reklamationen anfallen, unterstützen. Unter den externen Reklamationen werden dabei die Reklamationen von Seiten der Kunden verstanden, während den internen Reklamationen Fehlermeldungen aus dem Wareneingang und der Fertigung zuzurechnen sind. Die CAQ-Systeme orientieren sich bei der Reklamationsbearbeitung i. Allg. an dem von der Auto-
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mobilindustrie eingeführten 8D-Report. Innerhalb der Reklamationsbearbeitung lassen sich Reklamationen erfassen, Termine und Verantwortliche für die Bearbeitung festlegen, Fehlerursachen ermitteln, Reklamationskosten erfassen und kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen zur Beseitigung der Fehler und Vermeidung der Fehlerursachen definieren. Funktionen zur Terminüberwachung und Meldesysteme unterstützen den für die Reklamationen Verantwortlichen effektiv bei seiner Tätigkeit. Darüber hinaus lassen sich umfangreiche Auswertungen nach Fehlerschwerpunkten und Kosten durchführen, deren Ergebnisse gezielt zur Qualitätsverbesserung und zur Steigerung der Kundenzufriedenheit eingesetzt werden können.
Chargen- und Einzelteilverfolgung Viele der CAQ-Systeme bieten die Möglichkeit zur Chargen- und Einzelteilverfolgung an. Im Gegensatz zur Chargen- und Einzelteilverfolgung, wie von Produktions-, Planungs- und SteuerungsSystemen (PPS-Systemen) angeboten wird, bieten CAQ-Systeme darüber hinaus den Vorteil, dass sie gleichzeitig zur Chargen- und Teileverfolgung auch noch die Prüfdaten zuordnen können. Aufgrund der einfacheren EDV-mäßigen Abb. wird die Chargenverfolgung, die eine Zuordnung von Prüfergebnissen zu gefertigten Chargen erlaubt, häufiger als die Einzelteilverfolgung realisiert. Mit Hilfe der Chargenverfolgung lassen sich z. B. im Falle einer Reklamation all die Fertigungschargen ermitteln, die aus einer bestimmten Charge eines Vormaterials hergestellt wurden. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Chargennummern der Eingangschargen und der Ausgangschargen eines Produktes innerhalb des Herstellungsprozesses mit aufgenommen werden, was oftmals neben dem eigentlichen Aufwand für die Dateneingabe einen nicht unerheblichen organisatorischen Aufwand verursacht. Bei der Einzelteilverfolgung, wie sie vorwiegend bei sicherheitskritischen Produkten angewandt wird, lassen sich zudem auch noch die Seriennummern ermitteln, die aus einer bestimmten Produktions- oder Wareneingangscharge stammen. Dies ist z. B. zur Durchführung von Rückrufaktionen notwendig, wenn Feldergebnisse gezeigt haben, dass ein Bauteil nicht die Eigenschaften aufweist, die von ihm gefordert werden. Da zu dieser Art der Rückverfolgung die
11 Information und Kommunikation
Struktur des Produktes bekannt sein muss, wird der organisatorische und planerische Aufwand besonders hoch, wenn nicht Stücklisten oder Rezepturen aus dem übergeordneten PPS-System an das CAQ-System übertragen werden können.
Audit Die Audittätigkeiten, wie sie zur Analyse des Qualitätsmanagementsystems in Unternehmen durchgeführt werden, lassen sich ebenso vielfach durch CAQSysteme unterstützten. Die Funktionen, die hierzu angeboten werden, erlauben die Planung von Audits, die Erstellung von Auditchecklisten, die Durchführung und Dokumentation der Audits, die Auswertung der Auditergebnisse sowie die Überwachung der innerhalb der Audits festgelegten Maßnahmen.
QM-Systemdokumentation Eine weitere Funktionalität, die von einigen CAQSystemen angeboten wird, ist die Möglichkeit zur Verwaltung von Qualitätsmanagementdokumenten. Dabei lassen sich die Dokumente des Qualitätsmanagementsystems, wie z. B. das Qualitätsmanagementhandbuch und/oder Verfahrensanweisungen darstellen, verwalten und verteilen.
Produktlebenslauf Zur chronologischen Dokumentation der Historie eines Produktes bieten viele CAQ-Systeme ein sog. Produktlebenslaufmodul an, in dem sämtliche Aktivitäten, die das Produkt betreffen, wie z. B. Prüfplanung und Reklamationen mit Datum und Benutzer mitprotokolliert werden. So entsteht über die Zeit ein Produktlebenslauf, der nach verschiedenen Kriterien ausgewertet werden kann.
11.8.4 Anpassung und Integration Waren in der Anfangszeit der CAQ-Systeme Anpassungen in derselben Größenordnung wie der Systempreis keine Seltenheit, so lassen sich CAQ-System von heute aufgrund moderner EDV-Architekturen ohne
11.8 CAQ-Systeme
Probleme an die betrieblichen Anforderungen anpassen. Dies betrifft neben Bildschirmmasken und Ausdrucken auch die Anbindung von Messmitteln sowie die Integration in die betriebliche EDV-Umgebung. Nahezu alle heutzutage eingesetzten CAQ-Systeme werden in die betriebliche EDV integriert. Als Hilfsmittel für die Integration werden auf Seiten leistungsfähiger CAQ-Systeme definierte und anwenderkonfigurierbare Schnittstellen zur Kopplung mit anderen EDV-Systemen bereitgestellt. Ob eine Kopplung über Datenbanken oder per File-Transfer erfolgt, hängt von den betrieblichen Anforderungen ab. Man kann daher nicht von einem allgemeingültigen Integrationskonzept sprechen. Wichtig ist dabei nur, dass die Datenkonsistenz durch entsprechende Algorithmen gewahrt bleibt.
CAD-Kopplung Eine häufig genutzte Kopplung ist die Kopplung mit einem CAD-System. Durch die Zuordnung von CADZeichnungen zum Prüfplan wird es dem Prüfer ermöglicht, sich innerhalb der Prüfdatenerfassung graphische Informationen zum Messobjekt abzurufen. Dies setzt jedoch voraus, dass für den Prüfer von der Entwicklung verständliche Prüfskizzen angefertigt werden, da es wenig sinnvoll ist, dem Werker an der Maschine komplexe CAD-Zeichnungen anzubieten. Da dies nicht immer möglich ist, bieten die meisten CAQSysteme des Weiteren die Möglichkeit Prüfskizzen mit einfachen integrierten Grafik-Editoren zu erstellen oder Prüfskizzen über Digitalkameras und Scanner einzulesen. Diese Möglichkeit bietet zudem den Vorteil, dass sehr schnell und einfach verständliche Prüfskizzen (z. B. durch Einscannen von Zeichnungen aus Katalogen) erzeugt werden können.
ERP/PPS-Kopplung Nahezu alle CAQ-Systeme weisen eine Kopplung zu einem übergeordneten Enterprise-RessourcePlanning-System (ERP-System), wie z. B. SAP oder einem Produktions-Planungs- und Steuerungssystem auf. Dabei werden i. Allg. die für den Betrieb des CAQ-Systems notwendigen Stammdaten vom übergeordneten System (z. B. Lieferantenstamm, Teilestamm) an das CAQ-System übertragen. Des
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Weiteren werden die im täglichen Betrieb erzeugten Bewegungsdaten, wie z. B. Wareneingänge (i. Allg. Teilenummer, Lieferant, gelieferte Menge und ggf. Zusatzdaten) an das CAQ-System übertragen. Innerhalb des CAQ-Systems werden auf Basis der gemeldeten Wareneingänge automatisch die Wareneingangsprüfaufträge erzeugt. Nach der Abarbeitung durch die Wareneingangsprüfung werden diese zurückgemeldet. Zusätzlich können auch Qualitätsbewertungen der Lieferanten für die Lieferantenbewertung übertragen werden. Analog erfolgt die Kopplung bei den Fertigungsaufträgen. Hierbei werden die Fertigungsaufträge (i. Allg. Teilenummer, Fertigungseinrichtung, Fertigungsmenge und ggf. Zusatzdaten) an das CAQSystem zur Generierung der Prüfaufträge gemeldet. Als Rückmeldung erfolgt die Freigabe des Produktes. Neben dem Wegfallen des Arbeitsaufwandes zur Prüfauftragserzeugung tragen diese Koppelungen auch zur Verringerung der Durchlaufzeiten bei.
11.8.5 Nutzen Die Wirtschaftlichkeit von CAQ-Systemen lässt sich i. Allg. nur schwer ermitteln. Während CAQ-Anbieter von einer durchschnittlichen Amortisationszeit für ein CAQ-System von ca. 2 Jahren ausgehen, so schätzen CAQ-Anwender diese hingegen auf 4–5 Jahre. Die lange Amortisationszeit liegt sicherlich darin begründet, dass sich zwar auf der einen Seite die Fehler- und Fehlerfolgekosten sowie die Kosten für die Prüfdatenerfassung und -auswertung durch den Betrieb eines CAQ-Systems verringern, auf der anderen Seite jedoch die Kosten für die Prüfplanung in der Anfangsphase stark ansteigen und diese Kurve erst nach einigen Jahren abflacht. Zudem wird sich in der Nutzungsphase ein verstärkter Wunsch nach detaillierteren Informationen (z. B. Qualitätskostenermittlung, Schwachstellenanalysen) einstellen, was dann wiederum zu einem erhöhten Arbeitsaufwand führt. Insgesamt gesehen wird sich der Arbeits- und Personalaufwand von der operativen Ebene zur planerischen/lenkenden Ebene verlagern. Ein CAQ-System wird jedoch nur dann einen Nutzen bringen, wenn es gezielt zur Schwachstellenanalyse auf Basis der vorhandenen Daten eingesetzt wird. Ein CAQ-System, das lediglich zur Datenerfassung eingesetzt wird, wird keine Qualitätsverbesserung mit sich bringen.
814
11 Information und Kommunikation
11.9 Earned-ValueManagementsysteme für Großprojekte In Großprojekten arbeiten viele Parteien gemeinsam an der Realisierung der Projektziele. Demgemäß sind auch an der Planung und Überwachung von Arbeitsumfängen, Kosten und Terminen viele Parteien beteiligt. Als organisatorischer Rahmen für diese Aufgabe haben sich die sog. Earned-ValueManagementsysteme (EVMS) bewährt, die eine Dezentralisierung des Planungs- und Überwachungsprozesses erlauben, ohne dass dabei dessen Zusammenhalt verlorengeht. Dieser Beitrag beschreibt die wesentlichen Elemente und Prozesse eines EVMS sowie einige neue Entwicklungen aus der Praxis der letzten Jahre, durch welche die EVMS noch leistungsfähiger wurden.
beklagen ist. Abbildung 11.53 zeigt, dass in diesem Falle sehr wohl ein Kostenüberzug vorliegen kann, denn die tatsächlich angefallenen Kosten müssen nicht mit den für t geplanten Kosten verglichen werden, sondern mit denjenigen Kosten, die im Plan für diejenigen Arbeiten vorgesehen waren, die zum Zeitpunkt t tatsächlich abgeschlossen waren. Dieser letzte Wert wird im englischen Sprachraum als „Earned Value“ bezeichnet. Im deutschen Sprachraum gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Übersetzungsvorschläge (z. B. „Fortschrittswert“, „Arbeitswert“). Da außerdem die wesentliche Literatur zu diesem Thema in englischer Sprache verfasst ist, wird hier der englische Begriff verwendet. Dies gilt auch für alle anderen Begriffe des Earned-ValueProjektmanagements.
11.9.2 Die wichtigsten Kenngrößen des EVPM 11.9.1 Das Earned-Value-Prinzip Vergleicht man zu einem Berichtszeitpunkt t die tatsächlich für ein Projekt angefallenen Kosten mit denjenigen Kosten, die im Plan für diesen Zeitpunkt vorgesehen waren, so kommt es durchaus vor, dass die tatsächlichen Kosten unterhalb der geplanten Kosten liegen, wie in Abb. 11.53 gezeigt. Der in dieser Situation zunächst scheinbar naheliegende Schluss, das Projekt stehe besser als geplant, kann sich jedoch als Trugschluss erweisen, nämlich dann, wenn bei dieser Betrachtung auch die Terminsituation des Projekts berücksichtigt wird und dabei ein Terminverzug Δt zu
$
Es werden nun einige Kenngrößen vorgestellt, die im EVPM zur Erfassung und zur Beurteilung des Projektstatus verwendet werden. Einige Größen müssen aus dem Projektgeschehen heraus ermittelt („gemessen“) werden, andere sind bei der Planung des Projektes vorgegeben. Da diese Größen bei Verwendung von computergestützten Managementsystemen manuell eingegeben werden müssen, kann man sie nach [1] auch als „eingegebene Größen“ bezeichnen. Andere Größen werden aus den eingegebenen Größen errechnet. Sie werden nach [1] „berechnete Größen“ genannt. Für manche berechnete Größen (z. B.
$ EAC BAC
scheinbare Unterschreitung
Plan Ist
tatsächlicher Überzug
Earned Value
Δt
t'
Abb. 11.53 Das Earned-Value-Prinzip
t
VAC ETC
BCWS ACWP BCWP
CV
Δt
t'
SV
t
Abb. 11.54 Grafische Erläuterung einiger Kenngrößen des EVPM
11.9 Earned-Value-Managementsysteme für Großprojekte
IEAC) findet man in der Literatur mehrere Formeln. Strenggenommen muss jede dieser Formeln als Definitionsgleichung für eine eigene Kenngröße angesehen werden. Dem wird nach [1] durch Verwendung von Indizes Rechnung getragen. Im Folgenden kann nur ein Überblick über die wichtigsten Kenngrößen des EVPM gegeben werden. Für eine vollständige Übersicht wird auf [1] verwiesen. Der besseren Verständlichkeit halber wird in Abb. 11.54 eine grafische Erläuterung gezeigt.
815
•
Gemessene bzw. eingegebene Größen • • BCWS: Als BCWS (Budgeted Cost of Work Scheduled) bezeichnet man diejenigen Kosten, die laut Plan bis zum Berichtszeitpunkt hätten anfallen dürfen, wenn die Arbeit wie geplant vorangeschritten wäre. • ACWP: Als ACWP (Actual Cost of Work Performed) bezeichnet man diejenigen Kosten, die tatsächlich bis zum Berichtszeitpunkt angefallen sind. • BCWP: Als BCWP (Budgeted Cost of Work Performed) bezeichnet man den Earned Value, also diejenigen Kosten, die laut Plan für die tatsächlich geleistete Arbeit hätten anfallen dürfen. • BAC: Als BAC (Budget At Completion) werden die insgesamt bis zum Projektende vorgesehenen Kosten bezeichnet (also das gesamte Projektbudget). • EAC: Als EAC (Estimate At Completion) werden die voraussichtlichen Kosten beim Abschluss des Projekts bezeichnet (also die voraussichtlichen Gesamtkosten des Projekts). Mit EAC ist eine direkte Schätzung der voraussichtlichen Gesamtkosten gemeint. Es gibt einige Formeln, um einen solchen Schätzwert mit Hilfe des Earned Value zu berechnen. Diese werden als IEAC (Independent Estimate At Completion) bezeichnet. Weitere Erläuterungen und einige häufig verwendete Formeln folgen weiter unten.
•
•
•
•
Berechnete Größen • CV, CV % : Als CV (Cost Variance) wird die Differenz zwischen dem Earned Value und den tatsächlich angefallenen Kosten bezeichnet, d. h. CV = BCWP − ACWP. Ist CV negativ, so verläuft das Projekt schlechter als geplant.
•
Manchmal wird CV auch in Prozent angegeben. Zur Abgrenzung wird dann das Formelzeichen CV% verwendet. Die zugehörige Formel lautet CV% = ((BCWP − ACWP)/BCWP) · 100%. SV, SV % : Als SV (Schedule Variance) wird die Differenz zwischen den geplanten Kosten und dem Earned Value bezeichnet, d. h. SV = BCWP − BCWS. Diese Differenz drückt die Terminsituation in Kostenbegriffen aus. Auch SV wird bisweilen in Prozent angegeben, und dann sollte das Formelzeichen SV% verwendet werden. Die zugehörige Formel lautet SV% = ((BCWPS − BCWS)/BCWP) · 100%. CPI: Als CPI (Cost Performance Index) bezeichnet man das Verhältnis des Earned Value zu den tatsächlich angefallenen Kosten, d. h. CPI = BCWP/ACWP. CPI ist ein Maß für die Kostentreue. Ist CPI kleiner als Eins, so verläuft das Projekt schlechter als geplant. SPI: Als SPI (Schedule Performance Index) bezeichnet man das Verhältnis des Earned Value zu den geplanten Kosten, d. h. SPI = BCWP/BCWS. SPI ist ein Maß für die Termintreue. Ist SPI kleiner als Eins, so verläuft das Projekt langsamer als geplant. PC: Als PC (Percent Complete) bezeichnet man das Verhältnis des Earned Value zum gesamten Projektbudget, d. h. PC = BCWP/BAC. PC gibt an, welcher Anteil der insgesamt vorgesehenen Arbeiten bereits realisiert worden ist. In der Praxis wird PC mitunter auch als eingegebene Größe behandelt und durch Multiplikation mit BAC zur Berechnung des Earned Value benutzt. VAC: Als VAC (Variance At Completion) wird die voraussichtliche Kostenabweichung am Projektende bezeichnet, also die Differenz zwischen den geplanten und den voraussichtlichen Gesamtkosten, d. h. VAC = BAC − EAC. Ist VAC negativ, so verläuft das Projekt schlechter als geplant. ETC: Als ETC (Estimate To Completion) bezeichnet man die Differenz zwischen den tatsächlich bis zum Berichtszeitpunkt angefallenen Kosten und den voraussichtlichen Gesamtkosten, d. h. ETC = EAC − ACWP. IEAC: Während EAC eine eingegebene Größe ist, also z. B. direkt bei den für ein Arbeitspaket verantwortlichen als Schätzung abgefragt wird, gibt es auch einige Rechenformeln zur Vorhersage der voraussichtlichen Gesamtkosten des Projekts auf der
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11 Information und Kommunikation
Grundlage der bisherigen Earned-Value-Daten. Um eine solche Angabe von einer direkt durch eine Person vorgenommene Schätzung (d. h. von EAC) zu unterscheiden, werden die berechneten Vorhersagen auch als IEAC (Independent Estimate At Completion; „Independent“, weil der ermittelte Wert von persönlichen Einschätzungen unabhängig ist). Es gibt verschiedene solcher Formeln. Da jede dieser Formeln im Prinzip eine eigene Größe bezeichnet, wird zur Unterscheidung hier ein Index verwendet. Die beiden wichtigsten Formeln lauten: IEACCV = ACWP + (BAC − BCWP) = BAC − CV IEACCPI = BAC · (ACWP/BCWP) = BAC/CPI
11.9.3 Elemente von Earned-ValueManagementsystemen Gerade für Großprojekte ist eine „systematische“ Arbeitsweise unerlässlich. Deshalb kommen auch im Earned-Value-Projektmanagement sog. ManagementSysteme zur Anwendung, wie man sie auch anderen Bereichen des Managements kennt (z. B. Qualitätsmanagement-Systeme, UmweltmanagementSysteme). Ein Managementsystem für das EarnedValue-Projektmanagement wird als „Earned-ValueManagementsystem (EVMS)“ bezeichnet. In der Praxis können EVMS sehr unterschiedlich gestaltet sein. Einige Regierungen (v. a. die der USA, s. u.) haben jedoch Dokumente (s. [2, 3]; weitere werden in [1] genannt) herausgegeben, in denen Kriterien festgelegt werden, die ein EVMS zu erfüllen hat. Dort werden auch Anregungen gegeben, wie man ein EVMS gestalten kann, damit diese Kriterien erfüllt werden (s. hierzu auch die Anmerkungen zur Geschichte des EVPM weiter unten). Die demnach wichtigsten Elemente eines EVMS und ihre Funktion werden im Folgenden vorgestellt.
Work Breakdown Structure (WBS) Die Work Breakdown Structure (WBS, im deutschen Sprachraum ist der Begriff „Projektstrukturplan“,
Abk. „PSP“, üblich) ist eine hierarchische Gliederung aller im Projekt auszuführenden Arbeiten. In Verbindung mit einer detaillierten Beschreibung dieser Arbeiten (engl. „WBS dictionary“, im deutschen Sprachraum wird häufig von „Arbeitspaketbeschreibungen“ gesprochen) ist eine solche Gliederung in vielerlei Hinsicht von großem Nutzen: • Sie ist eine Hilfe zur Bewältigung der für Großprojekte typischen Komplexität. • Sie bildet die Grundlage für die Verteilung von Verantwortlichkeiten (s. u.). • Sie schafft die Möglichkeit zur Messung des Arbeitsfortschrittes. Deshalb gilt die WBS als das wichtigste Dokument innerhalb eines EVMS, und zahlreiche weitere Informationen (z. B. Kosten- und Terminplanung) werden auf die WBS (d. h. auf jeweils eines ihrer Elemente) bezogen. Dieser großen Bedeutung entsprechend kommt der WBS auch in der Literatur ein großer Stellenwert zu, was bis hinein in den Bereich der Normen und öffentlichen Richtlinien geht (z. B. [4]). Dennoch können in der Praxis bei der Ausarbeitung einer WBS große Schwierigkeiten auftreten. Diese betreffen insbesondere die • Gliederungskriterien: Man kann eine WBS nach den unterschiedlichsten Gesichtspunkten gliedern. Häufige Gliederungskriterien sind z. B. die Projektphasen, die Gliederung des zu realisierenden Systems („hardware-orientierte“ WBS), die am Projekt beteiligten organisatorischen Funktionen („funktions-orientierte“ WBS). • Gliederungstiefe: Hier geht es um die Frage, wie fein eine WBS detailliert werden muss. Je feiner die Gliederung, desto genauer kann man z. B. den Arbeitsfortschritt messen, desto größer ist allerdings auch die Datenmenge und der Aufwand, der zu ihrer Pflege betrieben werden muss. Hier gilt es, einen Kompromiss zu finden. • Projektdynamik: Während der Laufzeit des Projektes ergeben sich häufig Änderungen des Arbeitsumfangs (z. B. auf Grund von Änderungen der äußeren Umstände, wegen technischer oder terminlicher Probleme oder weil sich die Vorstellungen des Kunden geändert haben). Die WBS ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Identifikation und Bewertung solcher Änderungen. Dazu müssen allerdings die
11.9 Earned-Value-Managementsysteme für Großprojekte
Werkzeuge zur Verwaltung der WBS solche Änderungen nicht nur ermöglichen, sondern auch sicherstellen, dass diese Änderungen auch zu späteren Zeitpunkten noch nachvollziehbar sind. Allgemeingültige Aussagen, wie diese Probleme gelöst werden können, sind schwierig. Die folgenden Hinweise können aber hilfreich sein: • Die WBS und die Arbeitspaketbeschreibungen sollen sicherstellen, dass alle am Projekt beteiligten Parteien die gleiche Vorstellung vom Inhalt der WBS-Elemente haben. • Sie ist daher keine bloße Gliederung des zu realisierenden technischen Systems in Subsysteme, Komponenten, Elemente usw. Eine solche technische Systemgliederung wird im englischen Sprachraum als „Product Tree“ bezeichnet, was man z. B. mit „Produkt-Baumdiagramm“ übersetzen kann. Es kommt durchaus vor, dass der Product Tree in einem EVMS als eigenständiges Dokument neben der WBS verwaltet wird. Die WBS beschreibt dagegen kein technisches Gebilde, sondern die Arbeiten zur Realisierung desselben, und diese umfassen nicht nur Aktivitäten zur Konzeption und Produktion von Hardware, sondern auch ManagementAktivitäten und Dienstleistungen (bspw. Transporte, Tests, vgl. [5]). • Außerdem muss man sich klarmachen, in welchen Zusammenhängen während der Projektausführung Informationen aus der WBS verwendet werden. Für das EVPM muss sie natürlich insbesondere mit Termin- und Kostendaten verknüpft sein. Es sei aber auch hier darauf hingewiesen, dass auch bei anderen Gelegenheiten auf die WBS zugegriffen wird, und in jedem dieser Fälle muss ein Bezug auf Elemente der WBS problemlos möglich sein. Hierfür sind relationale Projektstrukturen eine große Hilfe (s. z. B. [6]).
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Responsibility Assignment Matrix (RAM) und Control Accounts (CA‘s) Die Festlegung, welches Element der OBS für welches Element der WBS verantwortlich ist, kann durch eine Matrix veranschaulicht werden, wie sie Abb. 11.55 zeigt. In einem EVMS wird eine solche Matrix „Responsibility Assignment Matrix (RAM)“ genannt. Dabei bilden die Elemente der WBS und OBS die Zeilen bzw. Spalten der Matrix, und jede Zuordnung wird durch ein sog. „Control Account“ (CA, in manchen Veröffentlichungen findet man noch die ältere Bezeichung „Cost Account“, die ebenfalls mit „CA“ abgekürzt wurde) erfasst, das im Kreuzungspunkt der betroffenen Zeile und der betroffenen Spalte eingezeichnet wird. Die CA’s sind damit ein ebenso natürlicher wie praktischer Bezugspunkt für die Planung und Überwachung des Projekts und können durchaus als eigene Teilprojekte aufgefasst werden, da für die Erreichung der für ein CA festgelegten Ziele jeweils ein Control Account Manager (CAM) benannt wird und die Planung von der CA-Ebene aus weiter detailliert wird, wie im Folgenden gezeigt.
Control Account Plans (CAP‘s), Work Packages (WP‘s) und Planning Packages (PP‘s) Auf der Ebene der CA’s der Planung im Rahmen von sog. „Control Account Plans (CAP’s)“ wird die Planung nach Möglichkeit so lange weiter detailliert, bis sog. „Work Packages“ („WP’s“, im deutschen Sprachraum ist der Begriff „Arbeitspaket“, Abk. „AP“, üb-
OBS
Organizational Breakdown Structure (OBS) Die am Projekt beteiligten Organisationen, Stellen und Personen und die Verteilung der Kompetenzen zwischen ihnen werden in einem Organigramm festgehalten, das in einem EVMS üblicherweise als „Organizational Breakdown Structure (OBS)“ bezeichnet wird. Auch die OBS ist hierarchisch gegliedert und orientiert sich dabei an den zur Ausführung des Projekts erforderlichen Unternehmensfunktionen.
RAM CAP
WBS
CA's
Abb. 11.55 Die wichtigsten Elemente eines EVMS
818
11 Information und Kommunikation
lich) formuliert werden können. Hierunter sind solche Arbeiten zu verstehen, die sich eindeutig von allen anderen Arbeiten abgrenzen lassen und von einer einzigen organisatorischen Einheit ausgeführt werden. Außerdem lassen sich Anfangs- und Enddatum angeben und der erlaubte Aufwand (in Stunden, Kosten o.ä.) wird festgelegt. Die Arbeiten sind meist relativ kurz, ggf. werden Zwischenmeilensteine zur Fortschrittsmessung festgelegt. Wenn es für die Formulierung von WP’s noch zu früh ist, so werden als Platzhalter weniger detaillierte „Planning Packages (PP’s)“ verwendet. Da diese für die operative Planung ungeeignet sind (z. B. wegen fehlender terminlicher und organisatorischer Abgrenzbarkeit und weil sie sich über zu viele Berichtsperioden erstrecken), sollen sie so bald wie möglich in WP’s zerlegt werden. Wie in [1] gezeigt wird, kann man PP’s und WP’s sowohl als Verfeinerung und damit Bestandteil der WBS des Gesamtprojektes als auch als jeweils eigene WBS für die Teilprojekte auf CA-Ebene auffassen. Damit wird deutlich, dass ein EVMS die Dezentralisierung des Projektmanagements erlaubt, ohne dass der Zusammenhalt des Gesamtprojekts verlorengeht. Die Vorteile der Dezentralisierung (z. B. Vermeiden von Bürokratie und langen Entscheidungswegen) werden damit gewahrt, ihre Gefahren (z. B. fehlender Überblick über das Gesamtprojekt, Mehrfachaufwände, Kompetenzstreitigkeiten usw.) jedoch wirksam abgewendet.
und wird dann bis hinauf zum Gesamtprojekt aggregiert. In regelmäßigen Abständen (z. B. monatlich) wird im Rahmen von Berichten die Projektsituation analysiert und ggf. auf Probleme aufmerksam gemacht. Ein typischer Bericht für die EarnedValue-Analyse ist der sog. „Cost Performance Report (CPR)“, dessen grundlegendes Format in Abb. 11.56 wiedergegeben ist.
11.9.4 Methoden zur Bestimmung des Earned-Value Eine der größten Schwierigkeiten bei der praktischen Implementierung des Earned-Value-Prinzips ist die Bestimmung der in Abb. 11.53 gezeigten Terminabweichung Δt, bzw. die Messung des Earned Value. Eine erste Hilfe ist die Rückbesinnung auf das Hauptanliegen der Earned-Value-Analyse, nämlich zu vermeiden, dass man erst kurz bevor das ursprüngliche Projektbudget aufgebraucht ist, feststellt, dass man zusätzliche Mittel braucht, um alle geforderten Ergebnisse realisieren zu können, also sozusagen „am Ende des Geldes noch Projekt übrig ist“. Der wichtigste Ansatz dazu ist die Zerlegung des Projekts und damit des Gesamtbudgets bei der Ausarbeitung der WBS. Im Prinzip kann man damit schon beim Abschluss des allerersten Arbeitspakets überprüfen, ob der für dieses Arbeitspaket tatsächlich benötigte Aufwand größer war als im Plan vorgesehen, und versuchen, daraus Rückschlüsse auf das Gesamtprojekt zu ziehen. Wollte man bei Großprojekten allein mit dieser Methode arbeiten, so wäre jedoch eine zu große Anzahl von Einzelbudgets zu verwalten. Man plant sol-
Berichte Die Planung und Überwachung des Projekts erfolgt auf der jeweils untersten Gliederungsebene der WBS
Projekt Nr. WBS
Σ
BCWS
Cost Performance Report ACWP
BCWP
CV
SV
t' = xy
CPI
SPI
–
–
Abb. 11.56 Prinzipielles Format eines EarnedValueStatusberichts
BAC
EAC
VAC
11.9 Earned-Value-Managementsysteme für Großprojekte
che Projekte daher weniger detailliert, braucht dann aber Methoden, die eine Messung des Earned Value für einzelne Arbeitspakete erlauben, noch bevor diese abgeschlossen sind, denn die Arbeitspakete verfügen nun über so große Budgets und erstrecken sich über so viele Berichtsperioden, dass ein Verzicht auf solche Methoden die Beurteilung des Projektstatus zum jeweiligen Berichtszeitpunkt verfälschen würde. Solche Methoden werden im Folgenden vorgestellt, wieder in Anlehnung an [1].
Technischer Fortschritt In manchen Fällen kann man das zu realisierende Ergebnis direkt messen. Anschauliche Beispiele sind die Messung von Erdaushub in m3 oder die Messung zu tapezierender Fläche in m2 . Das Beispiel „Tapezieren“ zeigt aber bereits die Problematik dieser Methode: Es kann sein, dass die ersten 50 von insgesamt 100 zu tapezierenden m2 einfache glatte Wände sind, die nächsten 50 m2 jedoch Türen, Dachschrägen, Fenster und Erker enthalten und daher wesentlich mehr Arbeitszeit benötigen und somit höhere Kosten verursachen. Technischer Fortschritt ist also i. d. R. sehr schwierig zu messen. Dies gilt umso mehr z. B. für Engineering- oder Programmierarbeiten, die nur ein abstraktes Ergebnis hervorbringen, auch wenn bereits verschiedene Software-Metriken vorgeschlagen worden sind, die im EVPM genutzt werden können (s. z. B. [7]). Hinzu kommt, dass der Earned Value in erster Linie nicht nach dem Ergebnis einer Tätigkeit fragt, sondern nach dem Aufwand (z. B. in Kosten oder Stunden), der für dessen Realisierung nötig ist.
Bewertete Meilensteine Hier wird für bestimmte Ereignisse innerhalb des Arbeitspakets (z. B. das Vorliegen bestimmter Zwischenergebnisse) angegeben, welcher Aufwand oder welcher Anteil am Gesamtaufwand für das Arbeitspaket bis zu diesem Ereignis angefallen sein darf. Sobald das Ereignis eingetreten ist, wird dieser Wert als Earned Value verbucht. Es ist ratsam, mindestens einen bewerteten Meilenstein pro Berichtsperiode anzusetzen. Sofern die Anzahl der Meilensteine dadurch nicht unüberschaubar
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groß wird, erreicht man auf diese Weise eine hohe Genauigkeit und „Objektivität“, während der Aufwand für die Ermittlung des Earned Value vertretbar bleibt.
Feste Prozentformeln Dies ist strenggenommen ein Sonderfall der Meilensteinmethode, der nur die Meilensteine „Arbeitspaket begonnen“ und „Arbeitspaket abgeschlossen“ kennt. Zu Beginn der Arbeiten wird der Earned Value auf z. B. 50% des Arbeitspaketbudgets gesetzt, und erst nach seinem Abschluss auf 100%. Außer der 50/50Methode werden z. B. auch die 40/60-Methode oder 25/75-Methode häufig erwähnt, im Prinzip ist natürlich jede Staffelung denkbar. Diese Methode war zu Zeiten, als die Verarbeitung der Earned-Value-Daten noch nicht computerunterstützt erfolgte, sehr verbreitet. Sie kann nur für kurze Arbeitspakete mit geringen Budgets empfohlen werden, ansonsten ist sie zu ungenau.
Schätzungen Natürlich kann man zur Ermittlung des Earned Value eines Arbeitspakets auch den oder die dafür Verantwortlichen bitten, eine Schätzung vorzunehmen, die meistens allein auf dem Gefühl dieser Experten beruht. Diese Methode kann sehr genau sein (s. [8]), wenn die Schätzungen einerseits nicht unter schädlichem Druck vorgenommen werden, andererseits aber gewährleistet ist, dass sie ernsthaft und sorgfältig erfolgen. Häufig wird den durch Schätzung ermittelten Werten jedoch nur wenig Vertrauen entgegengebracht, weil nicht sichergestellt werden kann, dass sie nicht durch Subjektivität und Voreingenommenheit verfälscht sind. Teilweise wird versucht, dem entgegenzuwirken, indem die Experten keine Werte über z. B. 80% oder 90% des Budgets nennen dürfen und erst nach Abschluss des Arbeitspakets auf 100% des Budgets gesprungen wird.
Apportioned Effort Mitunter lassen sich Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Schritten eines Arbeitspakets zur Mes-
820
sung des Earned Value ausnutzen. Beispielsweise kann der Fortschritt von Inspektions- oder Qualitätssicherungsarbeiten nur schwer gemessen werden. Er kann aber stark abhängig von vorhergehenden Produktionsschritten sein und dann indirekt gemessen werden. Solche Arbeiten werden im englischen Sprachraum als „Apportioned Effort“ bezeichnet.
Level of Effort In jedem Projekt gibt es Arbeiten, die zwar erforderlich sind, aber keine Ergebnisse hervorbringen, die für eine Earned-Value-Analyse von Bedeutung sind. Dies gilt z. B. für Management- und Verwaltungstätigkeiten (z. B. auch für Durchführung der Earned-ValueAnalyse selbst!). Solche Arbeiten werden in der englischen Fachliteratur als „Level of Effort“ bezeichnet und sollten bei der Earned-Value-Analyse unberücksichtigt bleiben und stattdessen als indirekte Kosten erfasst werden.
11.9.5 Entstehungsgeschichte und aktuelle Tendenzen des EVPM Nach [8] ist das Earned-Value-Prinzip schon seit dem Ende des 19. Jh. bekannt. Als Beginn des modernen Earned-Value-Projektmanagements gilt jedoch die 1962 eingeführte PERT/Cost-Methode [9], einer Erweiterung der 1958 im Rahmen des PolarisProgramms als reines Zeitplaninstrument eingeführten PERT-Methode [10]. PERT/Cost schrieb den Vergleich der bis zum Berichtsdatum angefallenen Kosten mit den Budgets der bis zum Berichtszeitpunkt erledigten Arbeiten vor, verwirklichte also das Earned-Value-Prinzip. Allerdings machten die US-Behörden den Fehler, der Industrie in diesem Zusammenhang ein vollständiges Managementsystem aufzuzwingen, was großen Widerstand seitens der Industrie hervorrief, der schließlich zum Scheitern der PERT/Cost-Methode führte. Als Konsequenz daraus formulierten die USBehörden 1967 bei der Herausgabe eines neuen Dokuments [11] nur noch Kriterien, die ein Managementsystem zur Planung und Überwachung von Arbeitsumfängen, Terminen und Kosten erfüllen
11 Information und Kommunikation
musste, ohne im Detail vorzugeben, wie es gestaltet werden muss. Dieser Ansatz wurde akzeptiert. Die Kriterien wurden als „Cost/Schedule Control System Criteria (C/SCSC)“ bekannt und schrieben weiterhin die Umsetzung des Earned-Value-Prinzips vor. Im Laufe der Jahre verlagert sich die Bedeutung der C/SCSC mehr und mehr ins Finanzmittel-Controlling, und die entsprechenden Prozesse waren durch viel Bürokratie und wenig Effizienz gekennzeichnet. Mit den Umstrukturierungen in der öffentlichen Beschaffungspolitik am Ende des Kalten Krieges ergeben sich in letzter Zeit neue Entwicklungen auch im Bereich des EVPM. Dabei ist die Aufnahme C/SCSC in DODR 5000.2 (ein Dokument, das im Gegensatz zu DODI 7000.2 nicht nur das Finanzmittelcontrolling regelt, sondern den Beschaffungsvorgang von Rüstungsgütern insgesamt, aktuelle Fassung [2]), die Reduktion Anzahl der Kriterien von 35 auf 32 sowie ihre Umbenennung in „EVMS-Kriterien“ noch das geringste Signal. Sehr viel schwerwiegender ist, dass die USBehörden bei diesen Umstrukturierungen intensiv mit der Industrie zusammenarbeiten. Im August 1999 wurde vom US Verteidigungsministerium die auf gemeinsamen Arbeiten basierende Norm [12] übernommen. In den letzten Jahren wurde basierend auf dem ANSI/EIA-748 Standard für EVMS durch die National Defense Industrial Association (NDIA) ein EMVS Intent Guide entwickelt [13]. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche „integrierende“ Management-Instrumente in das EVPM eingeflossen. Nach dem Vorbild des „Concurrent Engineering“ (in Fachveröffentlichungen zum EVPM wird statt „Concurrent Engineering“ häufig der Begriff „Integrated Product and Process Development“, Abk. „IPPD“, verwendet) werden in vielen Fällen sogenannte „Integrated Product Teams (IPT’s)“ für das Management von Control Accounts eingesetzt. Dies erlaubt die Reduktion der Anzahl von CA’s um bis zu 90% [8]. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies den Aufwand für das EVPM beträchtlich verringert. Weitere Neuerung haben sich im Berichtswesen ergeben. In diesem Zusammenhang ist besonders der sog. „Integrated Baseline Review (IBR)“ zu erwähnen. Ein solcher Review wird typischerweise etwa 6 Monate nach dem Beginn des Projekts durchgeführt und dient der Überprüfung aller Planungen und damit auch der Vergleichsmaßstäbe für die Earned-ValueAnalyse. Während früher im Rahmen von verschiede-
Literatur
nen Berichten und Reviews die industriellen Auftragnehmer den Behörden nachweisen mussten, dass sie die geforderten Ergebnisse erzielen konnten und dies innerhalb des vorgegebenen Zeit- und Budgetrahmens, wird ein IBR von beiden Seiten gemeinsam durchgeführt, und zwar mit dem Endzweck, festzustellen, ob alle Partner dieselben Ziele verfolgen. Diese Vorgehensweise bewirkt ein neues Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. So stellt man z. B. fest, dass die Anzahl der Berichte an den Auftraggeber abnimmt, während sich gleichzeitig die Qualität und der Nutzen der in diesen Berichten enthaltenen Daten für beide Seiten verbessert. Dies kann deshalb durchaus auch für Projekte, die keinen öffentlichen Auftraggeber haben, und für andere Branchen als Vorbild dienen. Qualität und Nutzen noch weiter zu verbessern, das sind auch aktuelle gemeinsame Bestrebungen von Theoretikern und Praktikern. Das EVM Konzept wird noch anwendungsfreundlicher und mächtiger gestaltet. Beispiele sind der Umbau der etwas sperrigen Terminologie (BCWS etc.) durch Einführen einfacher Akronyme (z. B. AC: actual cost; PV: planned value; EV: earned value) [14, 15] sowie die Integration statistischer Methoden zur Prognoserechnung für Gesamtkosten und Fertigstellungszeitpunkt des Projektes (BAC; EAC) [16, 17].
Literatur 1. Federhen, J.: Fuzzy-Methoden für das Earned-ValueProjektmanagement. Berlin: Wissenschaft und Technik Verlag 2000. Zugl. Diss. Universität Gesamthochschule Siegen, 2000 2. United States Department of Defense: DoDI 5000.2, Operation of the Defense Acquisition System. Washington DC: May 12, 2003. URL: http://akss.dau.mil/dag/DoD5000.asp 3. United States Department of Defense: Earned Value Management (EVM), 11.3.1 in Defense Acquisiti-
821
4.
5. 6.
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8.
9.
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12. 13. 14.
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on Guidebook. Washington DC: March 7, 2005 URL: http://akss.dau.mil/dag/DoD5000.asp United States Department of Defense: Military Handbook 881A (MIL-HDBK-881A): Work Breakdown Structures for Defense Material Items. Washington DC: July 30, 2005 URL: http://dcarc.pae.osd.mil/881handbook/index.html Madauss, B.J.: Handbuch Projektmanagement. Stuttgart: Schäffer Poeschel 1995 Meyer, E.C., Motzel, E.: Projektwirtschaft mit PROWIS am Beispiel des Neubaus eines Bankverwaltungsgebäudes im Auftrag der ARGE Gebäudetechnik. In: Motzel, E.: Projektmanagement in der Baupraxis bei industriellen und öffentlichen Bauprojekten. Berlin: Ernst&Sohn 1993 Christensen, D.S., Ferens, D.: Using Earned Value for Performance Measurement on Software Development Projects. Acquisition Review Quarterly (Spring 1995) pp. 155–171 Fleming, Quentin W., Koppelman, J.: Earned Value Project Management. Newton Square (PA): Project Management Institute; 2000 Office of the Secretary of Defense and National Aeronautics and Space Administration: The DoD and NASA Guide to PERT/Cost. Washington DC, 1962 Malcolm, D.G., Roseboom, J.H., Clark, C.E., Fazar, W.: Applications of a Technique for Research and Development Program Evaluation. Operations Research Vol. 7, No. 5 (Sept.–Oct., 1959) pp. 646–669 United States Department of Defense: DOD Instruction 7000.2 Performance Measurement for Selected Acquisitions. Washington DC, December 22, 1967 ANSI/EID 748–98: Earned Value Management System Guidelines. July 1998 NDIA: PMSC Earned Value Management Systems Intent Guide. November 2006 Cioffi: Designing project management: A scientific notation and an improved formalism for earned value calculations. International Journal of Project Management. July 15, 2005 Anbari: Earned Value Project Management – Method and Extensions. Project Management Journal. December 2003 Lipke, Zwikael, Henderson, Anbari: Prediction of project outcome – The application of statistical methods to earned value management and earned schedule performance indexes. International Journal of Project Management (2008), doi:10.1016/j.ijproman.2008.02.009 Vandevoorde, Vanhoucke: A comparison of different project duration forecasting methods using earned value metrics. International Journal of Project Management. 24 (2006)
12
Personalmanagement
Inhaltsangabe 12.1
Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Gesamtmodell der Lernenden Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.3 Die Personen in der Lernenden Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.4 Die lernförderliche Gestaltung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.4.4
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 824 824
12.5
825 828 829
Karrierepfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Das Erwerben von Führungsqualität . . . 12.2.2 Unternehmensstrategie und Personalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Karriereplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.4 Beispiel A: Der Selfmade-Typ als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit . . . . . . . . 12.2.5 Beispiel B: Der Stufe um Stufe Planende als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . 12.2.6 Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.6
834 835 835 838
841
842 843
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 12.3
Auswahl von Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Rekrutierungen sind Investitionsentscheidungen . . . . . . . . . . 12.3.2 Auswirkungen der veränderten Anforderungswirklichkeit . . . . . . . . . . . 12.3.3 Prozess der Auswahl . . . . . . . . . . . . . . .
844
Qualifizierungskonzepte in der Arbeit . . . . . . . 12.4.1 Anlässe zum Lernen in der Arbeit . . . . 12.4.2 Die Entwicklungsstränge arbeitsbezogenen Lernens . . . . . . . . . . . 12.4.3 Die qualitative Expansion elektronischen Lernens . . . . . . . . . . . . .
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
Das Mitarbeitergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.1 Die Entwicklung zum Mitarbeitergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.2 Zur „Philosophie“ des Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.3 Ziele und Inhalte des Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.4 Worin unterscheiden sich Mitarbeitergespräche von Gesprächen im normalen Führungsalltag? . . . . . . . . 12.6.5 Voraussetzungen erfolgreicher Mitarbeitergespräche . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.6 Zur Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . 12.6.7 Formale Aspekte eines Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.8 Einführung und Implementierung des Mitarbeitergesprächs . . . . . . . . . . . . . . .
876 876 877 878
878 879 880 881 882
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883 844 12.7 844 848
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 12.4
Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 12.5.1 Führen mit Zielen als Element des Personalmanagements . . . . . . . . . . . 871 12.5.2 Grundregeln für Zielvereinbarungen . . 872
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834 12.2
Formen der Verbindung von Arbeiten und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859
850 850 856 858
Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern in wissensintensiven Firmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.2 Das intellektuelle Kapital wissensintensiver Dienstleister . . . . . . . 12.7.3 Die Merkmale der Wissensarbeit im wissensintensiven Unternehmen . . . . . . 12.7.4 Das Humankapital wissensintensiver Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
883 883 884 886 888 823
824
12 Personalmanagement 12.7.5
12.7.6 12.7.7
Der „Myers-Briggs Type Indicator (MBTI)“ als Diagnosewerkzeug zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894 Strategisches Performance Management wissensintensiver Firmen 898 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901 12.8
Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.1 Handlungsfelder für Coaching . . . . . . . 12.8.2 Spielregeln und Auftragsklärung . . . . . 12.8.3 Grundverständnis von Coaching . . . . . . 12.8.4 Ziele des Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.5 Chancen von gecoachten Teams . . . . . . 12.8.6 Die Rolle des Coach . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8.7 Coaching eines Projekt-Teams . . . . . . .
902 903 903 904 905 906 908 910
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910 12.9
Demografie-Werkzeuge für Unternehmen . . . . 910 12.9.1 Altersausgewogene Personalpolitik . . . 910 12.9.2 Werkzeuge für Personalarbeit . . . . . . . . 915
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918 12.10
Outplacement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.1 Herkunft und Bedeutung . . . . . . . . . . . . 12.10.2 Notwendigkeit von OutplacementBeratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.3 Einbindung von Outplacement in zeitgemäße Unternehmenskultur . . . . . . 12.10.4 Der Outplacement-Prozess als 3-Phasen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.5 Der Beratungsablauf einer Individualbetreuung . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10.6 Stufen der individuellen Outplacement-Beratung . . . . . . . . . . . . . 12.10.7 Bedeutung von Outplacement für Mitarbeiter und Unternehmen . . . . . . . . 12.10.8 Realistische und unrealistische Vorstellungen von Outplacement . . . . .
919 919 920 921 922 923 925 926 928
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 12.11
Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11.1 „International aktiv“ oder „transkulturell“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11.2 Die Wandlung zum transkulturellen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.11.3 Interkulturelle Kompetenz im transkulturellen Unternehmen . . . . . . . . 12.11.4 Interkulturelle Kompetenz vermitteln . . 12.11.5 Integration ausländischer Mitarbeiter . .
929 929 929 932 936 939
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941 12.12
Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen 12.1.1 Einleitung Eines der tragenden Elemente moderner Unternehmen ist das erneuerte und intelligente Arrangement menschlicher und technologiegestützter Arbeit. Entgegen vergangener Bestrebungen, den Menschen als schwer kalkulier- und kontrollierbaren Faktor herauszuautomatisieren, betreiben derzeit relevante Konzepte der Arbeitsorganisation die umfassende (gesamtheitliche) Nutzung menschlicher Potentiale und Qualifikationen. Dadurch lassen sich komplexere, flexiblere und qualitativ hochwertigere Arbeitssysteme betreiben, die offenbar besonders geeignet sind, Produkte und Dienstleistungen zu generieren, welche heutigen Markterfordernissen gerecht zu werden scheinen. Die Markterfordernisse führen zu rasch wechselnden, anspruchsvollen, kundenspezifischen Leistungen. Eine entsprechende Wertschöpfung ist auf ständiges (Um-) Lernen in der Organisation angewiesen. Lernen wird somit in der arbeitenden Organisation zu einem wichtigen Vorgang (Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin, Klett-Cotta, Stuttgart 1990). Berufsbezogenes Lernen erschließt zugleich den Menschen den Zugang zu anspruchsvoller Berufsarbeit. Es baut auf dem Gelernten auf, welches in der allgemeinbildenden Schule und im bisherigen Privatleben angeeignet wurde. Aus Sicht der Wirtschaft bewirkt berufliches Lernen die Vorbereitung der Arbeitskräfte auf die Bewältigung der mit konkreten Arbeitsaufgaben verbundenen Anforderungen. Beide Perspektiven, die Erweiterung der persönlichen Kompetenz der Lernenden in Richtung eigener Befähigungen und die auf den Verwendungszweck ausgerichtete Absicht der Betriebe, haben ihre Berechtigung, befinden sich zugleich jedoch in einem Spannungsverhältnis. Unter Personalentwicklung ist eine Summe von Aktivitäten zu verstehen, die für das Personal nach einheitlichem Konzept systematisch vollzogen wird. Sie hat in Bezug auf einzelne Mitarbeiter aller HierarchieEbenen eines Betriebes die positive Veränderung
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen
ihrer Qualifikationen durch Bildung und Karriereförderung sowie Arbeitsgestaltung zum Gegenstand. Sie geschieht unter Berücksichtigung des ArbeitsKontextes, wobei sie die gleichzeitige Erhöhung des Erreichungsgrades von betrieblichen und persönlichen Zielen ist. Personalentwicklung kann dazu beitragen, Wünsche und Erwartungen, die einzelne Mitarbeiter im Hinblick auf ihre persönliche Entfaltung und ihr berufliches Weiterkommen haben, zu realisieren. Beispiele für individuelle Zielsetzungen, die an betriebliche Personalentwicklung gestellt werden können, sind etwa die Ermöglichung einer eignungs- und neigungsgerechten Aufgabenzuweisung, die Anpassung der persönlichen Qualifikation an die Ansprüche des Arbeitsplatzes, die Erhöhung der Arbeitsplatzsicherheit, die Grundlegung für beruflichen Aufstieg oder die Entfaltung der Persönlichkeit durch berufsbezogene Bildung. Die von Betrieben allgemein mit Personalentwicklung verfolgten Ziele streben die effiziente Entwicklung der Personalausstattung derart an, dass der Personalbedarf in quantitativer, qualitativer und zeitlicher Hinsicht langfristig optimal gedeckt wird. Mögliche betriebliche Einzelziele der Personalentwicklung sind etwa die Verbesserung der Leistung und des Zusammenwirkens der Mitarbeiter, die Erhöhung der Bereitschaft, Änderungen zu verstehen oder herbeizuführen, die Anpassung der Qualifikationen der Mitarbeiter an veränderte Anforderungen der Arbeitsplätze, die Vermittlung von Zusatzqualifikationen (Flexibilität, Anpassungsfähigkeit bei Personaleinsatz) und die Sicherung des notwendigen Bestandes an Fach- und Führungskräften. Zwischen betrieblichen und persönlichen Zielen kann es zu Zielkonflikten kommen. Eine Möglichkeit, diese Zielkonflikte zu entschärfen, liegt in einer Personalentwicklung, die sich nicht vorrangig auf die Förderung von spezialisiertem und aufgabenbezogenem Wissen fixiert, sondern der jeweils geförderten Person die Grundlage für die Aneignung von Kompetenz bezüglich verschiedener Tätigkeiten (Polyvalenz der Bildung) bietet. Gesamtheitliche Unternehmenskonzepte haben eine dauerhafte Konjunktur in der Wirtschaft. Ein weiterhin relevantes Konzept wird unter dem Titel „Lernende Organisation“ geführt. Man verspricht sich hinter diesem Emblem eine flexiblere Unternehmung in einem zunehmend turbulenten Umfeld. Wenn der Weg, sich gegen äußere Veränderungen abzuschotten, keinen Erfolg verspricht, muss die Alternative gewählt
825
werden, selber beweglicher zu sein und dem lebendigen Umfeld zu ähneln. Verbreitet ist die Praxis, diese Aufgabe auf übergeordneter Ebene in großen Zusammenhängen und Leitideen anzugehen. Dabei werden Zukunftstrends als Orientierung gewählt und Visionen des künftigen, lernenden und arbeitenden Unternehmens entwickelt. Ebenso wichtig ist die Realisierung der – im Zusammenhang der Lernenden Organisation erhobenen – Ansprüche aus der konkreten Arbeit heraus. Zwei Themen enthalten entscheidende Aspekte der erfolgreichen Entwicklung der Lernenden Organisation: • die Verbindung des personalen und des organisationalen Handelns, • die Integration der Lernelemente in die wertschöpfende Arbeit – und damit in die eigentliche Kernfunktion des Wirtschaftsunternehmens. Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen erfordert sowohl glaubhafte und orientierunggebende Leitlinien als auch konsequente Realisierung für die konkrete Arbeit und die einzelnen Individuen im Unternehmen. Ein Modell für ein solches umfassendes Herangehen soll den folgenden Beitrag anleiten.
12.1.2 Gesamtmodell der Lernenden Organisation Innerhalb eines Gesamtmodells des Lernens in der arbeitenden Organisation erhalten dessen konstituierende Elemente wesentliche Bedeutung. Ein Gesamtmodell erstreckt sich über verschiedene Ebenen der Detaillierung, die hier als Meta-Ebene der Visionen, Strategien und Prozesse, als Systemebene der Strukturen, Technologien und Vorgehensweisen sowie als konkrete Ebene der Methoden, Instrumentarien und Aktionen bezeichnet werden sollen. Innerhalb der Ebenen finden sich Zusammenhänge als durchgängig geltende Oberkategorien, Konzepte im Sinne von Entwicklungen für die Verwirklichung der Ziele und Handlungen als Umsetzung und Veränderung in der Lernenden Organisation (s. Abb. 12.1). Die Vision der Lernenden Organisation kennzeichnet die grundlegenden Ansprüche, Überlegungen, Hintergründe und Rahmenbedingungen. Sie hat Elemente von nicht hinterfragbaren Begründungen
826 Abb. 12.1 Konstituierende Elemente der Lernenden Organisation
12 Personalmanagement Zusammenhänge
Konzepte
Handlungen
Metaebene
Visionen
Strategien
Prozesse
Systemebene
Strukturen
Technologien
Vorgehensweisen
Konkrete Ebene
Methoden
Instrumentarien
Aktionen
und somit Anteile einer – wenn auch argumentativ unterfütterten – Glaubensentscheidung. Für das Unternehmen wird auf ein Gesamtkonzept gesetzt, weil man (das Management, aber auch alle Mitarbeiter) diesem die besten Chancen für die Sicherung und Entwicklung des eigenen Unternehmens gibt. Dahinter steht (für den Fall der Lernenden Organisation) das Paradigma des lebendigen Wirtschaftsorganismus, der technologisch innovativ von kompetenten und motivierten Menschen betrieben wird. Diese wirken zusammen und sind jederzeit Neuem gegenüber aufgeschlossen. Organisation und Individuen befinden sich auf einem hohen Grad übereinstimmender intrinsischer Interessen. Die Vision integriert die prospektive und trendgestützte Zukunftsplanung des Unternehmenserfolges. Ein Definition von Otala: „Eine lernende Organisation ist wie ein lebender Organismus, der aus befähigten, motivierten Mitarbeitern besteht, die in einer klar wahrgenommenen Symbiose leben, das Gefühl eines gemeinsamen Schicksals und Nutzens spüren, zusammen nach gemeinsam definierten Zielen streben und denen viel daran liegt, jede Gelegenheit auszunutzen aus Situationen, Prozessen und Konkurrenz zu lernen, um sich den Änderungen in ihrer Umgebung harmonisch anzupassen sowie ihre eigene konkurrenzfähige Leistung und die ihrer Firma ständig zu verbessern“ [1]. Visionen dieser Art haben nicht notwendigerweise unmittelbaren Kontakt zur betrieblichen Realität und wirken dann tendenziell kontraproduktiv, wenn sie innovative Inhalte durch eine den Tatsachen widersprechende „Propaganda“ in Verruf bringen. Die dokumentierte Vision („Leitbild“) ist ein gewichtiger Prüfstein für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Umsetzung in der Praxis. Der Grad des Erfolges der Lernenden Organisation entscheidet sich an der entsprechenden Gestaltung des konkreten Alltags der einzelnen, im Unternehmen arbeitenden Personen. Nur wenn das betriebliche Lernen einen unmittelbar engen Bezug zu der grundlegenden betrieblichen Rationalität und Zweckgerichtet-
heit hat, kann es sich als Fundament der Unternehmensorganisation stabilisieren. Die aktuelle, situierte Praxis besteht in der menschlichen Wahrnehmung aus Aktionen, subjektiv aufgenommenen und durchgeführten konkreten Handlungen. Im Betrieb sind dieses in erster Linie Arbeitstätigkeiten. Sie stellen entsprechend das Kernelement der Lernenden Organisation dar. Die Integration von Lernanteilen in den Arbeitstätigkeiten ist eine Hauptaufgabe bei der Verwirklichung einer Lernenden Organisation. Arbeitstätigkeiten werden von einzelnen Personen durchgeführt, sie sind allerdings besonders lernförderlich in der arbeitslogisch sinnvollen Zusammenarbeit. Die einzelne konkrete Aktion ist dennoch intersubjektiv gestaltbar. Es lassen sich beispielsweise innerhalb eines Serienmontage-Bereiches mehrere Arbeitsplätze einrichten, die für konkrete Arbeitstätigkeiten von mehreren in diesem Bereich arbeitenden Personen nach Bedarf aufgesucht und ausgefüllt werden können. Dabei gehören zur konkreten Arbeitstätigkeit (als einzelner Aktion) neben der konkreten Arbeitsaufgabe (etwa der Montage und Prüfung mehrerer Bauteile eines Getriebes) in einem anspruchsvollen, lernfähigen Arbeitsbereich auch der Umgang mit Technologien (Messzeugen, Datenerfassungsgeräten etc.) und organisatorische Abstimmungen. Als Aktion gilt auch die rein automatische Bearbeitung. Sie ist in der Lernenden Organisation jedoch mit menschlichen Aktivitäten kombiniert. Die Gestaltung der Aktivitäten erfolgt in der Lernenden Organisation unter Einsatz von Instrumentarien als konkretisierten Konzepten. Diese Instrumentarien können einzelne Techniken und Geräte sein, die für verschiedene Handlungen nutzbar sind. Ebenso sind es Instrumentarien der Analyse und Planung, des Problemlösens und Lernens. Eines der geeigneten Instrumentarien ist im berufsbezogenen Lernen zu sehen, wenn ein enger Bezug zwischen realer Arbeitsaufgabe und Lerninhalt verwirklicht ist. Mittels dieses unmittelbaren Bezuges werden Zweckgerichtetheit, Motivation durch praktischen Nutzen für den
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen
Lernenden und sukzessiver Einstieg in verschiedene Komplexitätsgrade ermöglicht. Es bestehen heute umfassende Erfahrungen durch verschiedene Lösungen arbeitsintegrierten Lernens mittels arbeitsprozessbezogener Lernkonzepte für verschiedene Hierarchieebenen und Fachberufe (Angelernte, Facharbeiter, Arbeitsgruppen, Spezialisten, Meister, Stabsfunktionen, Führungskräfte etc.). Anspruch der Lernenden Organisation wäre die Diffusion der geeigneten Instrumentarien in die breite betriebliche Anwendung. Instrumentarien sind dann förderlich im Sinne der Lernenden Organisation, wenn sie für die Verwendung in flexiblen Arbeitssystemen ausgelegt sind und Handlungsspielräume der dort tätigen Personen ermöglichen und erweitern. Instrumentarien werden in der Lernenden Organisation unter Einsatz geeigneter Methoden zur Wirkung und in konkreten Zusammenhang gebracht. Lernunterstützende Methoden der Führung und des Coaching, der Beratung und Evaluation korrespondieren mit den Grundideen der Lernenden Organisation und kreieren Verbindungen zwischen deren Elementen. Ein intelligentes Lernen lohnt sich ausschließlich für eine intelligent gestaltete Arbeit, hierfür sind auf Basis des Einsatzes moderner Methoden der Analyse die entsprechenden Gestaltungen der Arbeitssysteme vorzunehmen. Dieses erfordert häufig ein grundlegendes Umdenken und Umgestalten in der Organisation. Diese Umgestaltung erfolgt jedoch nicht aus dem selbstgewählten Anspruch einer Unternehmensphilosophie heraus, sondern aus den Anforderungen des Marktes. Dieser setzt die Faktoren Innovativität, Kundenorientierung, Kreativität und Leistungsbereitschaft als erfolgsentscheidend an. Während früher gängige Methoden oftmals dem tayloristischen Paradigma verhaftet waren (d. h. der Trennung von planenden und ausführenden Arbeitsschritten), kombinieren Methoden der Lernenden Organisation Arbeitseffektivität und Lernintensität miteinander. Viele Unternehmen verbinden den Weg zur Lernenden Organisation mit komplett umgestalteten Vorgehensweisen der Bearbeitung und Zusammenarbeit. Vorgehensweisen sind als Sequenzen einzelner Handlungen zu verstehen, die auf der gleichen Systemebene angelegt und gesteuert werden. Die Steuerung in der Lernenden Organisation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie den größtmöglichen Freiraum bei der konkreten Anwendung einräumt. Dieses lässt sich an Beispielen pointiert darstellen, in denen gleichzeitig bau-
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liche und ablauforganisatorische Maßnahmen umgesetzt wurden, die aus der Analyse entstandene Konzepte der Arbeitssystem-Gestaltung berücksichtigen. Sie schaffen neu ausgehandelte bzw. auszuhandelnde Nahtflächen zwischen Bereichen, Kooperationen entlang von Wertschöpfungsketten anstelle einer funktionellen Segmentierung in Abteilungen und Fachbereiche. Es geht im Kern um die lernförderliche Gestaltung von effektivierten Arbeitssystemen. Kontinuierliche Veränderungsprozesse ersetzen in der Lernenden Organisation rigide, umbruchartige Wechsel ebenso wie den Stillstand der autoritären traditionellen Organisation. Veränderungsprozesse greifen in den Wandel von Kooperationsflächen zwischen Personen und Organisationsbereichen ein, neue Varianten von Zuständigkeiten und verschiedenartigen Aufgabenfeldern von Personen und Gruppen entstehen. Ein Hauptmerkmal des Lernens ist, dass es sich nicht um übergangslose Umbrüche handelt, sondern um Phasen des Wandels von Denken und Handeln. Dieses ist ein dauerhaftes Kennzeichen der Lernenden Organisation, nicht lediglich der Einführungszeit. Die Prozesshaftigkeit drückt sich durch die Integration von Lernen und Arbeiten, Lernprozessen und Organisationsentwicklung, Lernen und Innovation bzw. neuen Technologien praktisch aus. Vor allem die Verbindung des betrieblichen Lernens mit der Innovation – anstatt wie bisher üblich mit rückwärtigem Nachholen von aus Bedarfsanalysen herausgefundenen Mankos – schafft den Kontakt zwischen arbeitsbezogenen Verbesserungsprozessen und Personalentwicklung. Nahezu alle Unternehmen sehen sich strukturellen Veränderungen gegenüber, deren schnelle Integration und Nutzung entscheidend wirkt. Betriebliche (Infra-) Strukturen stellen die systemischen Zusammenhänge im Unternehmen dar, die aus Sprache, Informationsund Kommunikationswegen bestehen. Sie dienen als Plattform betrieblichen Handelns. Die traditionellen, auf Kontrolle und Hierarchie ausgerichteten Strukturen werden in der Lernenden Organisation durch offene und kooperative Strukturen ersetzt. Von dauerhafter Aktualität sind daraufhin die Nutzungsberechtigung, die Verantwortlichkeit, die Innovationsgeschwindigkeit und die Leistungsfähigkeit der strukturellen Unternehmensnetzwerke. Eine Teilleistung basiert auf der Entwicklung, Implementation und dem Einsatz stimmiger und menschengerechter Technologien. Diese beinhalten jeweils eine systemische Ver-
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bindung von Techniken, Konzepten und Tätigkeiten, sei es als datentechnische Hard- und Softwareeinrichtung, sei es als Arbeitsstation in der Werkstatt. Die Technologien wirken vermehrt netzartig und überlappend, so dass wechselseitige Beeinflussung und Berücksichtigung seitens der Personen alltägliche Erfahrung wird. Eine Ausrichtung der Technologien auf die Ermöglichung optimaler Qualifikationsnutzung erhält erfolgsentscheidende Bedeutung. Kernfrage für die Lernende Organisation ist dabei, wie das bisher verbreitete Qualifizieren für die Technikbedienung in Richtung eines Lernens für die kooperative Arbeit unter Nutzung von offenen Technologien gewandelt werden kann. Strategien zur Umsetzung einer Vision der Lernenden Organisation treiben die Unternehmensentwicklung in Richtung dezentraler und flexibler Strukturen. Es erklärt sich daher beinahe von selbst, dass adäquate Strategien eine gemischte Top-Down- und Bottom-Up-Form erhalten müssen. Auf der einen Seite muss das Management die angegangenen Veränderungen unzweifelhaft tragen, auf der anderen Seite ist die Umsetzung der Maßnahmen durch die Mitarbeiter aus eigener Überzeugung heraus unabdingbar. Auch die Strategie hat sich demzufolge auf die Initiierung und Unterstützung organisationsbezogener innovativer Handlungen von Seiten der Individuen zu konzentrieren. Die Forderung, im „Mittelpunkt (solle) nicht das individuelle Lernen, sondern vielmehr das Lernen der Organisation (stehen)“ [2], ist als Erweiterung zu verstehen, welche unter Einbeziehung aller Mitarbeiter (also aller Individuen) zu erfolgen hat.
12.1.3 Die Personen in der Lernenden Organisation Die Erwerbspersonen und Belegschaften sind im modernen Unternehmen weniger einfach als früher in homogenen Gruppen zu kategorisieren. Vielmehr wirken hier gleichermaßen tiefgreifende Veränderungen wie in der Wirtschaft. Eine der entscheidenden Veränderungen betrifft die Erwerbsphase überhaupt. Aus Sicht der Erwerbstätigkeit lässt sich das Leben in eine Vorerwerbs-, eine Erwerbs- und eine Nacherwerbsphase einteilen. Von Seiten der Vorerwerbsphase findet ein immer späterer Zugang zur Erwerbsphase statt,
12 Personalmanagement
sei es durch längeren Schulbesuch (mehr Jugendliche verbleiben bis zum Abitur, das wirkt sich trotz der Tendenz zum achtjährigen Gymnasium aus), längere Ausbildung bzw. mehrere oder wiederholte Ausbildungsphasen (in der Folge von Lehre, Gesellentätigkeit, Technikerschule, Fachhochschule, Erwerbstätigkeit o. ä.); zudem nehmen die Jahrgangsstärken Jüngerer in Deutschland in den kommenden Jahren ab. Dagegen findet häufig ein früherer Abschluss des Erwerbslebens statt, gut Qualifizierte und Verdienende (oder durch Erbschaften Wohlhabende) können freiwillig vorzeitig „aussteigen“. Durch die stärkeren Jahrgänge Älterer wird es mehr Invalide und chronisch Kranke geben (da diese Beeinträchtigungen im Lebensverlauf kumulieren), zudem werden viele Erwachsene (insbesondere Frauen) mit privater Altenpflege ausgelastet sein. Einer der wenigen gegenläufigen Trends ist der genötigte längere Verbleib geringer Qualifizierter (und folglich meist geringer Verdienender), die vermehrt bis zum 65sten Lebensjahr oder länger werden arbeiten müssen; gerade diese sind jedoch schon heute eine schwierige Gruppe auf dem Arbeitsmarkt. Während der Erwerbsphase wird die Kombination von Arbeitszeitflexibilisierung und Arbeitszeitverkürzung weiter diffundieren. Zum anderen bedeutet die anteilsmäßige Ausweitung der 35 bis 50Jährigen unter den Erwerbstätigen, dass die Bedeutung des kontinuierlichen beruflichen Lernens als Folge dieser quantitativen, soziodemographischen Entwicklung zunehmen wird, da berufliches Weiterlernen gerade Erwachsene betrifft. Komplettierend wirken sich die weitere Verkürzung der Halbwertzeit beruflichen Wissens und die häufiger werdenden Berufswechsel (berufliche und regionale Mobilität) in Form eines kontinuierlichen Lernbedarfes aus. Die berufliche Weiterbildung, die sich ja entscheidend ausweiten wird, befindet sich also als weiterer Faktor in einem Feld von „Verknappungsparametern“. Umso mehr sind künftige Lösungen verlangt, die eine effektive Gestaltung des Lernens im Unternehmen ermöglichen. Die wesentlichen Trends der bundesdeutschen (und europäischen) Gesellschaft laufen auf eine zunehmende Komplexität der Verhältnisse zu. Das Ende der Massenproduktion wurde durch das Erfordernis kundenspezifischer, diversifizierter Produktpaletten mit jeweils hohen Qualitäts- und TermintreueErfordernissen erzwungen. Die Aufgliederung in Stamm- und Randbelegschaften sowie die Auswei-
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen
tung des Anteiles nicht-regulärer Arbeitsverhältnisse (Subunternehmertum, Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse etc.) führen zur Destrukturierung des Normalarbeitsverhältnisses. Neue technologische und arbeitsorganisatorische Möglichkeiten (vor allem in der Informations- und Kommunikationstechnik) machen eine teilweise Entkoppelung von Betriebsstätte und Arbeitsort möglich (neue Formen der mobilen Arbeit). Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten löst nicht nur die Verbindung von Arbeitszeit und Betriebslaufzeit, sondern auch die gesellschaftliche Zuordnung von Arbeitszeit und Freizeit. Mehrfachund Kombinations-Qualifikation bei Arbeitskräften tritt infolge des steigenden Durchschnittsalters sowie der Verbindung von Lehre und Studium o. ä. häufiger auf. Der ausufernde Variantenreichtum der am Arbeitsmarkt gehandelten Qualifikationen führt zu einer Vervielfältigung der Abschlüsse. In den Betrieben werden die notwendigen Spezialisierungen der Mitarbeiter und die notwendiger werdende Zusammenarbeit im Team durch die Dezentralisierung von Verantwortung (Verflachung der Hierarchien) unterstützt. Wie im Erwerbsleben werden auch im Privatleben die Möglichkeiten vervielfältigt; es gibt keine zwangsläufige Koppelung von Arbeitsposition und Freizeitverhalten mehr, vielmehr erfolgt eine Individualisierung der Lebenswelten. All diese Aspekte gipfeln in der fortschreitenden Atomisierung der Sozialstrukturen, die etwa im Familienleben die Derangierung der „Kleinfamilie“ (Eltern und 2 Kinder) als eine unter Vielen (neben Singles, Alleinerziehenden, Elternteil-Pflegenden, usw.) bewirkt hat. Alles in allem kann von einer zentrifugalen Tendenz in der Arbeitsgesellschaft gesprochen werden. Diese Differenzierung führt zur vielfältigen Interessenlage und Arbeitsmotivation bei den Beschäftigten. Personalentwicklung in der Lernenden Organisation hat auf diese unterschiedlichen Interessen und Motive („Diversity“) einzugehen. Traditionelle Elemente wie Lohn und Gehalt haben nicht an Gewicht verloren, sie werden aber durch andere Elemente erweitert [3], die stärker an Bedeutung zugenommen haben. Dazu gehören in erster Linie die Arbeitsinhalte, die den Einsatz der ganzen Person erfordern, die die Kompetenzen umfassend nutzen. Dabei werden Mittel der Arbeitsgestaltung für die Eröffnung von Handlungsspielräumen eingesetzt – ausgehend auch von den betroffenen Mitarbeitern selbst. Anstelle der früheren Belastung durch Monotonie und Unterfor-
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derung tritt vermehrt die Gefahr der Überforderung, welche ebenso demotivierend wirken kann. Arbeitsinhalte hängen eng zusammen mit Arbeitsbedingungen, die etwa durch die Umgebung (Beleuchtung, Raum, Lärm, Farbgebung etc.) oder die Arbeitszeit bestimmt werden. Öffnung für variantenreichen und wandelbaren Umgang ermöglicht weitgehend personenspezifisch geeignete und in der Gruppe dezentral verhandelbare Handhabung der Arbeitsbedingungen. Kooperation durch offensive Information hinsichtlich der Vorgänge in der Organisation sowie Delegation von Verantwortung bewirken die Einbeziehung des Mitarbeiters. Dieses kann nur dann glaubwürdig und konsequent praktiziert werden, wenn wechselseitiges Verhalten durch offenen Umgang geprägt ist und sich relevante Persönlichkeiten als Vorbilder zeigen. Die gemeinsamen Ziele der Organisationsangehörigen – so hinsichtlich der Sicherheit des Unternehmens, des Arbeitsplatzes und der Gesundheit, der gemeinsamen Aktivität und Fortentwicklung – bilden den Kristallisationspunkt der übergreifenden – organisationsbezogenen – Motivation. Anerkennung der einzelnen Person wirkt durch Lob, mehr und mehr jedoch dadurch, dass eine berufliche Perspektive aufgezeigt und verwirklicht wird. Der Motivator der Corporate Identity erscheint gegenwärtig eher überstrapaziert, zumal Übertreibungen [4] und gewagte Kulturtransfers (etwa aus amerikanischen in deutsche Betriebe) auch zu Misstrauen und Unglaubwürdigkeit geführt haben. Dennoch fällt diesem Element ebenso wie der Verwendung finanzieller Anreize weiterhin eine wichtige, allerdings differenziert zu nutzende Bedeutung zu. Die in der Lernenden Organisation arbeitenden Personen ordnen sich in persönlicher Ausgangslage, Interesse und Kompetenz mehr und mehr unterschiedlichen Gruppen zu. Sie sind in der Lernenden Organisation der entscheidende, jedoch auch ein schwer kalkulierbarer Faktor, der lediglich durch eine wandlungsfähige und individuelle Entwicklung effektiv eingebunden werden kann.
12.1.4 Die lernförderliche Gestaltung der Arbeit Die mit Abstand anspruchsvollste Aufgabe der Lernenden Organisation ist die lernförderliche Gestaltung
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der Arbeit selbst. Es kann an dieser Stelle nur kurz und beispielhaft angesprochen werden. Typisches Merkmal der tayloristischen Arbeitsorganisation ist die Teilung der Arbeit [5]. Danach wird jedem Arbeitsplatz ein eng begrenzter, kontrollierbarer Arbeitsinhalt zugeordnet. Dieser lässt möglichst wenige Risiken zu, damit aber auch wenig Spielräume für die Einbringung eigener Kompetenzen. Notwendiges Lernen ist in diesem Paradigma ein unerwünschtes, manchmal nicht vermeidbares Relikt. Beim Wandel zur Lernenden Organisation wird Lernen dagegen zum zentralen Teilelement der Arbeit gemacht, weil gerade dadurch anspruchsvollere Aufgaben flexibler bewältigt werden können. Dieses erfordert eine Redefinition der Arbeitszuschnitte, einen Veränderungsprozess aus den tradierten, teiligen zu neuen, umfassenderen Arbeitsinhalten. Der Veränderungsprozess soll von den betroffenen Arbeitskräften selbst getragen werden. Ihnen werden Unterstützung und Hilfsmittel gegeben. Eine Bestandsaufnahme der Ausgangssituation ist so mittels einer Arbeitsanalyse vorzunehmen, die die erforderlichen Kategorien von vornherein aufnimmt. Verbesserte Effektivität wird durch Optimierungen angestrebt, die sowohl die Nutzung von Strukturen und Technologien, die flexible Arbeitseinteilung wie auch die ergonomische Arbeitsgestaltung nutzen; hinzu kommen erweiterte geistige Anforderungen. Am Beispiel der Arbeitssystemgestaltung in der Serienmontage [6] zeigen sich aus der Analyse zum einen erhöhte Belastungen durch den hohen Anteil ungünstiger Körperhaltungen und fehlender Belastungswechsel/einseitig dynamische Muskelarbeit, die die Gefahr langfristiger Chronifizierung und Schädigung erhöhen, zum anderen zeigt sich eine qualifikatorische Unterforderung in den Kategorien des Lernens, Denkens, der Verantwortung, Kooperation und Vollständigkeit der Arbeitsaufgabe (hier gilt der Wert 100% als angemessene Nutzung der vorhandenen Kompetenzen, jeder Wert darunter lässt vorhandene Kompetenzen ungenutzt). Aus der Analyse folgt ein Konzept der Tätigkeitsgestaltung, welches u. a. die Erhöhung der Qualifikationsanforderungen – und damit ein Element der Lernenden Organisation – zum Ziel hat (Buck, Hartmut; Jochen Pack: Analyse, Bewertung und qualifikationsförderlicher Gestaltung von Arbeitssystemen in der Produktion. In: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 3/1998, S. 196). Es geht hierbei um Verände-
12 Personalmanagement
rungen durch die Entkopplung von Mensch-MaschineAufgaben, um die Ausweitung von Taktzeiten, die Integration von Arbeitsschritten hin zur Vollständigkeit der Arbeitsaufgabe, zum Austausch zwischen Arbeitstätigkeiten etwa der Kommissionierung und Montagetätigkeit etc. Die Erhöhung der Qualifikationsanforderungen wird vorrangig durch folgende drei Ansätze betrieben: • Ausweitung der Denkanforderungen, indem ein niedriger Anteil Routinetätigkeiten einem größeren Anteil wechselnder Tätigkeiten zugeordnet wird, indem notwendige Fachkenntnisse der Betriebsmittel abgefordert werden und der Umfang der Planungsergebnisse ausgeweitet wird, welche durch die Montagemitarbeiter selbst zu bewältigen sind • Vermehrung der Lernanreize, indem eine Anzahl anforderungsverschiedener Teiltätigkeiten wie Planen, Ausführen und Kontrollieren in der Arbeit miteinander kombiniert werden; hierbei entsteht eine sog. vollständige Arbeitshandlung, mittels derer die eigene Handlung geplant, durchgeführt und überprüft sowie die Konsequenzen aus dem Ergebnis gezogen und umgesetzt werden können • Erhöhung der Kooperationsanforderungen, indem der Umfang notwendiger Organisationskenntnisse und der übertragenen Organisationsfunktionen erweitert wird, so dass häufigere und intensivere Kontakte entstehen, die das Verständnis für Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Auswirkungen der eigenen Arbeit vertiefen; zudem durch den größeren zeitlichen Umfang der Arbeitsinhalte Insgesamt wird eine gesteigerte Komplexität der Entscheidungserfordernisse erreicht, die einen intensiven Lerneffekt beinhaltet. Auf der Ebene der Organisationsentwicklung werden dabei Elemente individueller Qualifikationsentwicklung beigefügt. Am Beispiel von Montagesystemen lassen sich Veränderungsprozesse darstellen, die effektivere, flexiblere und leistungsfähigere, aber gleichzeitig lernförderliche und motivierende Arbeitsgestaltung angehen und somit die Basis für die Realisierung gesamtheitlicher Visionen anlegen. Neue Abstimmungen bedeuten Verhandlungen und Verschiebung von innerorganisatorischen Machtstrukturen, sie bedingen also auch Konflikte, Unsicherheiten und gruppendynamische Prozesse.
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen
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Einbindung der Tätigkeit unterschiedlicher Personen in eine komplementär ergänzende Organisation, indem einfache und anspruchsvolle, enge und offene Aufgabenprofile in Kombination arrangiert werden.
Arbeit in einer Serien-Montage: - Mischung automatischer und manueller Bearbeitungsplätze - strukturelle Unterbesetzung - heterogene Aufgabenprofile der Teammitglieder
Abb. 12.2 Schematische Darstellung der Arbeitsanordnung
Diese gruppendynamischen Prozesse müssen in der Lage sein, unterschiedliche Voraussetzungen, Möglichkeiten und Interessen im Team zu integrieren. So ist ein realisierungsfähiges Konzept aus Qualifikationsprofilen unterschiedlicher Reichweite zusammengesetzt. Mitarbeiter 1 ist dabei in der Lage, zwei Arbeitsplätze alternativ auszufüllen, von denen der eine auch die Auftragsreihenfolge mitbeeinflusst. Mitarbeiter 2 ist dazu ebenfalls in der Lage, beschränkt sich jedoch auf gruppenintern regulierte Arbeitsinhalte. Mitarbeiter 3 beherrscht dreierlei Kategorien von Arbeitsplätzen, ist also flexibler einsetzbar; dennoch ist vorstellbar, dass Mitarbeiter 1 einige Arbeitskompetenzen besitzt, die Mitarbeiter 3 nicht beherrscht. Schließlich ist ein Mitarbeiter 4 vorhanden, der die gesamt Gruppenaufgabe beherrscht, also flexibel als Springer auftreten kann. In die Gruppenaufgabe sind dabei neben den direkten Montage- und Vormontageaufgaben auch montagenahe indirekte Aufgaben einbezogen. Diese werden in Kooperation mit den indirekten Expertenbereichen verhandelt und betreut, etwa im Feld der Arbeitsvorbereitung, des Qualitätsmanagement oder der Disposition. Eine Erweiterung erfolgt dadurch, dass ein personeller Austausch mit parallelen, vorgelagerten oder nachgelagerten Gruppen erfolgt. Dadurch entstehen Kenntnisse über Vorbedingungen und Auswirkungen sowie eine intensivere ar-
beitsbezogene Kommunikation zwischen den Mitarbeitern. In der Lernenden Organisation intensivieren sich die Verflechtungen zwischen den einzelnen Gruppen und Bereichen. Das bezieht sich auf die direkte Zusammenarbeit, die voneinander abgegrenzte Arbeit am gleichen Produkt bzw. Auftrag oder die Nutzung der gleichen Informationen und Infrastrukturen. So entstehen gleichzeitig zur Ebene der direkten Kommunikation und Kooperation von direkt oder indirekt an Produkten arbeitenden Personen sowohl zusätzliche Ebenen der Informationsbanken und Kommunikationsmöglichkeiten sowie Vernetzungen und umfassendere Wechselwirkungen. Arbeitssysteme in Lernenden Organisationen enthalten interdisziplinäre und hierarchieübergreifende Kooperation als funktionelles Element. Im Arbeitssystem der Lernenden Organisation ablaufende Arbeitshandlungen können etwa folgende Formen haben: • Kooperationen zwischen Experten in Gruppenarbeit (als Experte gilt hier jede an ihrem Arbeitsplatz kompetente Person) • gemeinsames Arbeiten mehrerer Experten an einem Arbeitsgegenstand unter Zugriff auf verschiedenartige Datenhintergründe in (aktiven) semantischen Netzen
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12 Personalmanagement
Vorgesetzter
Zulieferer
Verwalter
Kollege
Fachkraft
Techn. Service
Nachgeordneter
Abnehmer
Logistik
Abb. 12.3 Kooperationsgefüge zwischen einer Fachkraft und den umgebenden Personen
• getrenntes Arbeiten von Personen (Gruppen) an verschiedenen Arbeitsgegenständen unter Zugriff auf gleiche Datenbestände • gemeinsames Arbeiten mehrerer Personen an verschiedenen Produkten oder Produkt-Alternativen Dabei fällt jedem Einzelnen in diesen anspruchsvoller werdenden Arbeitssystemen eine wachsende Verantwortung für die Auswirkungen seiner Tätigkeit bei anderen (und beim Kunden) zu, genauso wie jeder einzelne in seiner Arbeit auf die Zuleistungen anderer angewiesen ist. Eine verantwortungsvolle Implementation geeigneter Technologien gewinnt dabei an Bedeutung. Die Tätigkeit in einem Arbeitsbereich wirkt sich unmittelbar auf den Arbeitsgegenstand in einem anderen Bereich aus, etwa indem eine Materialnachbestellung ausgelöst werden muss, Änderungen an Materialdimensionierung bzw. -auslegung zu erfolgen hat oder Kostenverschiebungen zu berücksichtigen sind. Arbeiten des Einen bedeutet in der Folge Lernnotwendigkeit für den Anderen. Aufeinander achten, miteinander rechnen, verhandeln und zusammenwirken diffundieren so in den Arbeitsalltag. Wie sich die direkten Bereiche – etwa die Serienmontage – wandeln, so müssen dieses entsprechend auch die indirekten Bereiche tun. So sie als eigene Einheiten bestehen bleiben oder entstehen, werden sie sich explizit auf diese Außenperspektive einstellen. Ihre Berechtigung erhalten sie in der Lernenden Organisation ausschließlich aus der Notwendigkeit einer Expertenrolle, die für die Gesamtorganisation eingenommen wird und zu speziellen Services führt. So optimiert und innoviert eine Personalabteilung – in der Lernenden Organisation gewandelt zu
einem Personal-Service-Center – personalspezifische Kernaufgaben und Instrumentarien, die sie den internen Kunden anbietet und mittels derer sie ihre Dienstleistungen erbringt. Diese Kernaufgaben werden durch Kontaktgruppen und Dienstleister den anderen Unternehmensbereichen angeboten und erbracht. Hierbei entstehen durch Verhandlungen und Veränderungsprozesse neue Formen der internen Kooperation. So wird in vielen Fällen die Kontaktgruppe Arbeiten selbst übernehmen, etwa indem sie die Montagegruppe zum Thema der Qualifizierung und der Qualifikationsentwicklung spezifisch unterstützt. Ebenso können für besondere Fälle Kerngruppe und Kontaktgruppe kooperieren, etwa bei der Lösung besonderer Problemfälle, der Anwendung neuer Entwicklungen oder zur Know-how-Erweiterung. In bestimmten Situationen agiert die Kerngruppe oder einzelne von deren Mitgliedern direkt außerhalb, etwa um für eine Neuentwicklung konkreten Input vom Kunden – dem direkten Bereich – zu erhalten, oder um eine besondere Spezialistenleistung anzubringen, etwa die Anwendung und Vermittlung eines speziellen EDV-Programms. Indirekte Bereiche müssen sich ihrer Spezialistenkompetenzen versichern, wenn sie weiter als eigene Organisationselemente fungieren wollen, sie wenden sich mit ihrem Handeln jedoch umfassend dem internen Kunden zu. Die Grundgedanken der Lernenden Organisation führen tendenziell zu arbeits- und kundenorientierten, spezifischen Lernangeboten. Dieses bedeutet sowohl eine flexible und spezifische Gestaltung des Lernens für den jeweiligen Kunden (d. h. der einzelnen Person und Gruppe in der Lernenden Organisation) wie auch die Offenheit des Lernangebotes selber für die Bedarfsbekundung, Wandlung und Differenzierung auf Kundenseite während der Leistungserbringung. Integrierte Lerninhalte, also die Verbindung fachlichen, methodischen und sozialen Lernens, sind heute Gestaltungsprinzip vieler Konzepte. Die Praxisanforderungen machen die Integration der Lerninhalte nicht nur wünschenswert, sie ist für den Lernerfolg oftmals erforderlich. Effektive Lernmethoden sind in den letzten Jahren vielfältig entwickelt und erfolgreich erprobt worden (Bonz, Bernhard: Methodik – LernArrangements in der Berufsbildung, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler, 2006). Ihr alltäglicher Einsatz ist sowohl zur Bewältigung der Anforderungen durch den Lernenden wie auch zur Wirtschaftlichkeit der Lernaufwände geboten. Traditionel-
12.1 Persönlichkeits- und bedarfsgerechte Personalentwicklung in Lernenden Organisationen
le Lehr-/Lernmethoden wie der Frontalunterricht werden innerhalb neuer Konzepte mit modernen Ansätzen kombiniert (Gudjons, Herbert: Frontalunterricht – neu entdeckt, Verlag Julius Klinckhardt, Bad Heilbrunn, 2. Aufl. 2007), unter dem Titel „Blended Learning“ auch mittels Nutzung multimedialer Technologien. Die auf Grundlage mittels vernetzter Technologien erleichterte Kombination unterschiedlicher Lernorte erhöht die Bedeutung des Lernens in der Arbeit bzw. im Betrieb (Verbindung von Lernen und Arbeiten, Severing, Eckart: Arbeitsplatznahe Weiterbildung – betriebspädagogische Konzepte und betriebliche Umsetzungsstrategien, Luchterhand Verlag, Neuwied, 1994) und des privaten Bildungsengagements. Sie bedeuten die strukturelle und konzeptionelle Verbindung der drei Lernorttypen (Bildungseinrichtung, Betrieb und Privatsphäre), die jeden Lernort in seinen Stärken nutzt und in seinen Schwächen entlasten soll. In mehreren aktuell präferierten Konzepten berufsbezogenen Lernens wird die Realität der Arbeit als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Lernprozesses genommen (Dehnbostel, Peter: Lernen im Prozess der Arbeit, Waxmann Verlag Münster, 2007). Die in der Arbeit typischen Aufgaben werden von kompetenten Personen mittels ihres Arbeitswissens bewältigt. Dieses ist in bestimmten Teilen und systematisch in Fachliteratur und Handbüchern bzw. Curricula niedergelegt. Im arbeitsorientierten Lernprozess wird dieses „systematische Berufswissen“ in Verbindung mit der „Arbeitspraxis“ und dem „Erfahrungswissen“ verwendet, um modular strukturierte Lernaufgaben zu bearbeiten. Dabei wird Vollständigkeit, Eigenaktivität und Handlungsorientierung mit der Ernsthaftigkeit realitätsgleicher Arbeitsabläufe verbunden (Holz, Heinz; Johannes Koch; Dorothea Schemme; Elmar Witzgall (Hrsg.): Lern- und Arbeitsaufgabenkonzepte in Theorie und Praxis, Bertelsmann Verlag Bielefeld, 1998). Die Einzelaufgaben eines modular gegliederten Lernaufgabensystems können grundsätzlich das komplette Berufswissen in der Form abdecken, dass alle Wissens-Aspekte entsprechend ihres Nutzens für die Lösung einer Arbeitsaufgabe dann, wenn sie benötigt werden, gezielt abgefordert werden. Über das konkrete Wissen hinaus werden so in der Form einer „didaktischen Metaebene“ strukturelle Kompetenzen der Aufgabenlösung und Problembewältigung angeeignet. Neue effektive Lernmethoden heben die Fachteiligkeit der Inhalte bei der Vermittlung und Aneig-
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nung von Kompetenzen auf. Sie betreiben die Verbindung des fachlichen, methodischen und sozialen Lernens im Lernprozess. Aufgabenorientiertes Lernen bietet die Lerninhalte durch die Struktur der Arbeitsaufgabe integriert an. Die Forderung nach der Verbindung von Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz zur Handlungskompetenz ist inzwischen allgemein akzeptiert. Dennoch zeigt sich in der Bildungs-Praxis weiterhin oftmals eine fachteilige Bearbeitung im Lehrgang, im Seminar oder in anderen Lernformen. Das Lernen orientiert sich dann am fachteiligen Curriculum und nicht an der Arbeitspraxis, die eine Mischung aus den unterschiedlichen Kompetenzbereichen darstellt. Die Fachkompetenz, die heute nicht weniger wichtig geworden ist, sondern grundsätzlich durch die beiden anderen Kompetenzen erweitert wird, ist durch zwei zusätzliche Trends geprägt: Zum einen ist weiterhin ein exponentielles Wachstum des Wissens überhaupt festzustellen, so dass inzwischen ein vollständiger Überblick über berufliches Fachwissen in den einzelnen Berufen kaum mehr möglich ist. Eine Orientierung auf das vollständige Erlernen des Fachwissens wird so zur Illusion. Zum anderen wird durch den raschen Verfall der Gültigkeit bzw. Verwendbarkeit von Wissen die Zeitstabilität des Wertes bestimmten fachlichen Wissens reduziert. Immer weniger kann man sich also auf dem einmal erworbenen Fachwissen ausruhen. Diese beiden Aspekte, die Illusion der Hoffung auf das vollständige Fachwissen und die Entwertung der zeitlichen Gültigkeit, lassen die Bedeutung der methodischen und sozialen Kompetenz im Vergleich zum Fachwissen weiter ansteigen. Eindeutig ist, dass es sich bei der Forderung nach der Verbindung der drei Kompetenzbereiche nicht um eine Option, sondern um eine Notwendigkeit handelt. Die meisten neuen Lehr-/Lernmethoden bevorzugen einen hohen Grad an Eigenaktivität des Lernenden sowie handlungsorientiertes Lernen. Wichtiger als die Übernahme des Wissens eines Lehrers wird dabei der Weg der eigenen Kompetenzaneignung beim Lernenden.
Resümee Personalentwicklung in der Lernenden Organisation hat sich vielfältigen personalrelevanten Veränderungen zu stellen, die sie unweigerlich tiefgreifend beeinflussen. Sie erhält dadurch einen dramatischen Im-
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puls – vor allem aus dem Wandel der Arbeit heraus – dem sie sich zunächst gewachsen zeigen muss. Je eher und je intensiver die Personalentwicklung Einfluss nehmen kann, desto gründlicher lassen sich ihre Einsichten und Konzepte direkt umsetzen. Am Markt hat das Stichwort „Lernende Organisation“ eine dauerhaft stabile Konjunktur. Bei den entsprechenden Veröffentlichungen ist allerdings festzustellen, dass hierbei Ansätze insbesondere aus der wissenschaftlichen Ableitung oder aus der unternehmensphilosophischen Argumentation heraus vorliegen. Durchgängig kennzeichnend für die hier zugrunde gelegte Vorgehensweise ist jedoch, dass die Arbeit, die Arbeitsinhalte und -systeme als Ausgangspunkte der Gestaltung von Lernprozessen gewählt werden. Bezugspunkt ist jeweils die Analyse der Tätigkeiten, der Arbeitsanforderungen, der Kooperationen und Nahtflächen. Aus dieser heraus werden die Bauelemente des Lernens entwickelt und konzeptionell integriert. Das damit skizzierte umfassende Modell der Lernenden Organisation hat gegenüber den „philosophisch“ begründeten Modellen den Vorteil, dass es sich direkt mit dem Wertschöpfungsprozess im Unternehmen verbindet. In den entwickelten Konzepten werden über die Arbeit hinausgehende Interessen erst aus der erlangten stabilen Legitimation heraus angegangen, dass durch das ausgeweitete Lernen auch die Unternehmensziele mit besseren Aussichten angestrebt werden können.
Literatur 1. Otala, M.: Die lernende Organisation. Office-Management (12) 1994, S. 15 2. Stahl, T., Barry N.; D’Aloja, P.: Die lernende Organisation. Europäische Kommission Brüssel 1993, S.106 3. s. dazu auch Rosenstiel, L. von: Motivation von Mitarbeitern. In: Regnet, E.; Domsch, M. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern. 2.Aufl. Stuttgart: Schäffer Poeschel 1993, S. 169–171 4. Rieckmann, H.: Organisationsentwicklung – von der Euphorie zu den Grenzen. In: Sattelberger, T.: Die lernende Organisation. Wiesbaden: Gabler 1991, S. 135 5. Zurückgehend auf Taylor, F. W.: Principles of Scientific Management. 1911 6. Buck, H.; Pack, J.: Arbeitssystemgestaltung in der Serienmontage – Bestandsaufnahme und Gestaltungsmöglichkeiten. Düsseldorf: VDI-Verlag 1992
12 Personalmanagement
Weiterführende Literatur Argote, L.: Organizational Learning – Creating, Retaining and Transferring Knowledge. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2004 Argyris, C.; Schön, D. A.: Die Lernende Organisation – Grundlagen, Methode, Praxis. Stuttgart: Klett-Cotta 2002 Becker, M.: Personalentwicklung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2005 Böhme, K.: Strategische Personalentwicklung – Mitarbeiterpotenzial optimal nutzen. München: Luchterhand 2002 Drumm, H.-J.: Personalwirtschaftslehre. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2000 Freund, F. u. a.: Praxisorientierte Personalwirtschaftslehre. Stuttgart: Kohlhammer 2003 Hentze, J.: Personalwirtschaftslehre. Grundlagen, Personalbedarfsermittlung, -beschaffung, -entwicklung und –einsatz. Bern: UTB für Wissenschaft 1994 Jung, H.: Personalwirtschaft. München: Oldenbourg 2003 Olfert, K.: Personalwirtschaft, Kompendium der praktischen Betriebswirtschaft. Ludwigshafen: Kiehl 1990 Rosenstiel, L.v. u. a.: Führung von Mitarbeitern – Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement. Stuttgart: SchäfferPoeschel 2003 Ryschka, J. u. a.: Praxishandbuch Personalentwicklung – Instrumente, Konzepte, Beispiele. Wiesbaden: Gabler 2005 Scholz, C.: Personalmanagement – Informationsorientierte und verhaltensorientierte Grundlagen. München: Vahlen 2000 Starkey, K. u. a.: How Organizations Learn – Managing the Search for Knowledge. International Thomson Business Press 2003 Wagner, K. u. a.: Praktische Personalwirtschaft – Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden: Gabler 2002
12.2 Karrierepfade Es werden die Möglichkeiten der persönlichen individuellen Entwicklung und die Karrieren-Planung durch die Unternehmen aufgezeigt. Ausgehend von der Unternehmensstrategie wird auf das integrierte Personalmanagement mit den entsprechenden Führungsund Personalmanagement-Methoden eingegangen. Dann werden Perspektiven für die Mitarbeiter eines modern geführten Unternehmens und die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt. Am Beispiel zweier Führungspersönlichkeiten wird der Weg an die Spitze dargestellt. Zum Abschluss werden Führungseigenschaften und persönliche Karrierevoraussetzungen genannt.
12.2 Karrierepfade
12.2.1 Das Erwerben von Führungsqualität Wenn über erfolgreiche Führungspersönlichkeiten berichtet wird, so sind dies meist Frauen und Männer, deren Leben vorbildlich und untadelig in unsere Gesellschaft passt. Sie haben i. d. R. besonders großartige Leistungen, sei es in der Wirtschaft, Kultur, Sport, Medizin, Kirche oder beim Militär vorzuweisen. Manchmal lassen sich aus solchen Berichten Hinweise auf die Entwicklung der eigenen Führungseigenschaften erkennen. Jedoch kann man nur mühsam allgemein gültige Führungsgrundsätze herausfinden. Sehr schwer wird es, wenn man versucht, die in solchen Berichten oder Büchern aufgeführten Gedanken und Vorgehensweisen, im praktischen Arbeitstag oder täglichen Leben zu realisieren. Leider gibt es an unseren Schulen und technischen Universitäten auch nur wenige Lehrinhalte, die sich mit Führungsaufgaben oder Menschenführung überhaupt beschäftigen. Bis heute muss jeder selbst und meist auf „eigene Faust“ Führungsverhalten und Mitarbeiterführung erlernen. Dieses, für die Karriere eines qualifizierten Menschen wichtiges Instrumentarium wird weitgehend Unternehmensberatern und Konzernzentralbereichen überlassen. Menschenführung und Führungsverhalten läuft nicht nach einem vorgegebenen System oder Modell ab. Denn im Mittelpunkt steht der einzelne Mensch mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten individuell zu denken und zu handeln. Kein Führungssystem kann all die Umstände, Ereignisse und Bedingungen vorwegnehmen, unter denen Führungspersonen Entscheidungen Dritter beeinflussen und lenken müssen. Mitarbeiter führen heißt, deren Handlungen verantwortlich zu lenken und leitet, damit die Unternehmensziele bestmöglich erreicht werden können. Diese Führung und Lenkung geschieht auf allen Entscheidungsebenen und schließt die Verantwortung für Erfolg genauso mit ein wie für Misserfolg. Führungsqualitäten und -eigenschaften können nur Stufe für Stufe angeeignet werden, es gibt keine feste Lehrmethode dafür. Dies liegt v. a. in der Natur des Menschen begründet, dass mit Grundregeln und Konzeptionen jeweils nur fallweise entschieden werden kann. Die nachfolgenden Ausführungen sollen auf der einen Seite dazu anregen, dass sich die Lehrenden an
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Schulen und Universitäten des Themas der Menschenführung annehmen. Auf der anderen Seite wird versucht, Beispiele und gemachte Erfahrungen an Führungswillige weiterzugeben.
12.2.2 Unternehmensstrategie und Personalmanagement Im Wesentlichen hängt die Strategie eines Industrieunternehmens von den drei großen Ressourcen: Märkte, Menschen, Maschinen ab [1]. Hier steht der Erfolgsfaktor Mensch als Mitarbeiter und Führungsperson im Mittelpunkt. Der Erfolg eines Unternehmens ist von der Leistung und vom Verhalten seiner Mitarbeiter abhängig. Nur qualifizierte und hoch motivierte Mitarbeiter können beste Ideen mit modernsten Technologien wirtschaftlich realisieren. Die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie hängt in erster Linie vom Einsatz und der Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter ab. Ergebnisrealisierung und das Erarbeiten von Wettbewerbsvorteilen hängen im Wesentlichen von der Qualität und der Motivation des Personals ab [2]. Es sind die Mitarbeiter, die Methoden, Werkzeuge, Maschinen und auch ihre eigene Arbeitskraft wirtschaftlich einsetzen, und das Bild des Unternehmens nach außen und zu den Kunden und Lieferanten tragen. Die Mitarbeiter zu führen und immer wieder neu zu motivieren, ist die wichtigste Aufgabe einer Führungsperson. Der Führungsnachwuchs von heute wird zur Führung von morgen und ist dann für den Erfolg des Unternehmens maßgebend. Diese Tatsache unterstreicht die zentrale Bedeutung des Personalwesens. Die Ausrichtung des Personalwesens auf die Unternehmensstrategie führt zum integrierten Personalmanagement. Das Personalwesen eines Industrieunternehmens hat entscheidenden Einfluss auf die Leistung der Mitarbeiter in diesem Unternehmen. Dafür gibt es genügend Personalführungsinstrumente, die, richtig eingesetzt, die Mitarbeiter positiv motivieren und zur gewollten Unternehmenskultur führen. Durch Beurteilung und Belohnung, nicht nur monetär, werden die Mitarbeiter angespornt, ihr Tun und Streben nach den gemeinsam erarbeiteten Unternehmenszielen auszurichten. Darüber hinaus kann durch den Einsatz geeigneter Personalführungsinstrumente eine leistungsorientierte Unternehmenskultur
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Leitfunktionen und Unternehmens-Strategie Abb. 12.4 Integriertes Personalmanagement
geschaffen werden, in der auch Gewinne zu erarbeiten, genauso positiv empfunden wird, wie der Abbau unnötiger Hierarchiestufen, durch den schnellere und effizientere Entscheidungsfindungen ermöglicht werden. Integriertes Personalmanagement heißt, das gesamte Personalwesen auf die vorgegebene Unternehmensstrategie auszurichten. Alle Personalführungsinstrumente müssen mit der Zielsetzung des Unternehmens übereinstimmen. Abbildung 12.4 zeigt, welche Einflüsse, Informationen und Vorstellungen dem Personalmanagement zugeführt werden müssen, damit durch Einsatz geeigneter Führungs-, Controllingund Organisationsmethoden, in Abstimmung mit der Strategie, eine gewünschte Unternehmenskultur entsteht. In dieser erarbeiten die Mitarbeiter, unter Wahrung der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Unternehmens, dessen wirtschaftlichen Erfolg. Ausgangspunkte sind Leitbild, Leitbildfunktion und die daraus abzuleitende Personalpolitik. Die Unternehmensstrategie gibt die Ziele der Bereiche, Abteilungen und Stellen vor, die ihrerseits wiederum
Vorgabe für Einstellung, Beurteilung, Entlohnung und gezielte Förderung von Mitarbeitern sind. Integriertes Personalmanagement richtet das Personalwesen mit seinen Führungsinstrumenten auf die Struktur, die Kultur und die Führungsprozesse des Unternehmens aus. Mit Lob, Belohnen und Entlohnung des angestrebten Verhaltens erlangt das Unternehmen Voraussetzungen für die erfolgreiche Unternehmensstrategie. Um derartige Belohnungen zu erzielen, müssen Vorhaben und Aufgaben entsprechend gegliedert sein und die Ergebnisse müssen messbar gestaltet werden. Abbildung 12.5 zeigt wichtige, teilweise komplexe Führungskonzepte und Managementmethoden im Personalbereich auf. Hierbei wurde in vier Schwerpunkte unterteilt: 1. 2. 3. 4.
klassische Personalbetreuung, Personalorganisation, Entlohnungskonzepte und Personalentwicklung.
Im Folgenden soll beispielhaft ein Personalmanagementmodell entwickelt werden. Dazu wird auf den Bereich 2 von Abb. 12.5, Situationsanalyse in Konfliktsituationen, eingegangen. Die Lösung von komplexen Konfliktsituationen erfordert sehr viel Geschick, Sachverstand und analytisches Vorgehen. Die Ursachen von Spannungen zwischen Mitarbeitern sind meist vielschichtig miteinander verknüpft, widersprüchlich in ihrer Wirkung und schwer aufspürbar. Nur ein gezieltes systematisches Vorgehen mit Hilfe einer Konfliktanalyse ermöglicht ein eindeutiges Lokalisieren der Kernprobleme, erleichtert die Diagnose und führt zu geeigneten Maßnahmen der Konfliktbeseitigung. Obwohl Konflikte sich auf Einzelpersonen oder Gruppen beziehen, müssen Konfliktursachen auch hinsichtlich Organisation, Qualifikation und auch ergebnisbezogen untersucht werden. Es nützt nichts, an Symptomen herumzukurieren; die Ursachen müssen erkannt und das Kernproblem muss gelöst werden. Zur Lösung solch komplexer Problemfelder muss systematisch vorgegangen werden (Abb. 12.6). Die personen-, organisations-, qualifikations- und ergebnisbezogenen Konfliktsymptome werden nach ihrer Gewichtung, Richtung und Wirkung bestimmt. Die Ausstrahlung auf das Unternehmensergebnis wird ermittelt. Ein betriebsspezifisch angelegtes Beziehungsnetz wird quantitativ bewertet, so dass die Kernprobleme und ihre Ursache identifiziert und be-
12.2 Karrierepfade
837
Personalführungskonzepte und Managementmethoden 1. Personalverwaltung und -Betreuung
2. Personalführung und Organisation
3. EntlohnungsKonzepte
4. Personalplanung und Entwicklung
– Mitarbeiterbetreuung – Arbeitszeitmodelle – fachliche und pers. Betreuung – Aus- und Weiterbildung – Verwaltung und Statistik – Mitarbeiterbeurteilung und Zeugnisse – Führungs- und Organisationskonzepte – Organisationsanalyse und -Entwicklung – Organisation und Unternehmensstruktur – Situationsanalyse und Konflikte – Führen durch Zielvorgaben – Leistungsbezogene Entlohnung und Stellenbewertung – Variable Entlohnung von Führungspersonen – Prämienbezogene Entlohnung – Führungsgespräche/ Beurteilung – Personalführungssystem – Aufstieg- und Nachfolgerplanung – Personalplanung – Personalförderung
Symptom 1
Symptom 2
Symptom 3 Ursache personell
Symptom 4
Konflikt
Ursache organisatorisch lokalisieren Ursache qualifikat.- u. ergebnisbez.
Ursache ergebnisbez.
Kernproblem Diagnose
Lösung
Realisierung Abb. 12.6 Vorgehensweise zur Lokalisierung der Kernprobleme einer Konfliktsituation (schematisch)
Abb. 12.5 Wichtige Führungskonzepte und Managementmethoden im Personalbereich
seitigt werden können. Hier einige typische Beispiele für organisationsbezogene Konfliktursachen: • unklare Zieldefinition, • keine saubere Kompetenzzuordnung, • Spannungen aus ungelösten Konflikten zwischen Organisationseinheiten, • ungenügende Information und Kommunikation und • zu komplizierter und schwer nachvollziehbarer Arbeitsablauf. Abbildung 12.6 zeigt vereinfacht die systematische Vorgehensweise zur Lokalisierung der Kernprobleme bei einer Konfliktsituation. Aus dem Bereich 3 von Abb. 12.5 wird beispielhaft die variable Entlohnung von Führungskräften dargestellt. In die Zukunft gerichtete Personalführung erfordert neue Motivation v. a. der tragenden Führungsmannschaft. Diese Mitarbeiter müssen verstärkt zu un-
ternehmerischem Denken und Handeln geführt werden. Hierfür bieten sich auch erfolgsorientierte attraktive Entlohnungskonzepte an. Die leitenden Führungspersonen stehen transparenten und flexiblen Gehaltslösungen sehr positiv gegenüber. Je höher die Führungsposition, umso größer soll der variable Anteil des Jahreseinkommens sein, der nicht garantiert, sondern Jahr für Jahr neu festgelegt wird. Das Grundgehalt kann beim obersten Management u. U. nur noch 50% der Jahreseinkünfte betragen. Abbildung 12.7 zeigt für die verschiedenen Führungsebenen variable erfolgsorientierte Entlohnungssysteme, die bereits erfolgreich im Einsatz sind. Aus dem Bereich 4 von Abb. 12.5, Personalentwicklung, wird als Beispiel die Personalplanung dargestellt. Die Personalplanung steht inmitten des Spannungsfelds aus Unternehmen, Mitarbeitern und gesellschaftlichem Umfeld. Die Personalplanung ermittelt die künftigen Bedarfe und Erfordernisse im Personalbereich und legt die daraus resultierenden Maßnahmen
838
12 Personalmanagement
Unternehmensziele
DM erfolgsabhängige Tantiemen
erfolgsabhängige Tantiemen
Basisvergütung
Basisvergütung
J Ze it
Ze it
J
J
feste Zulagen Ze it
feste Zulagen
Tantieme feste Zulagen
Tantieme
Tantieme
Personalstand Soll/Ist/Fluktuation
Personalstrategie
Basisvergütung
PersonalBedarfsplanung Sollprofil qualitativ, quantitativ
Ressource Mitarbeiterpotenzial – Profilvergleich – Personalentwicklungsbedarf
Eignung der Mitarbeiter, vorhandenes Profil und Entwicklungsbedürfnis
Funktionsbereiche F
Abb. 12.7 Variable erfolgsorientierte Entlohnungssysteme
fest. Die erfolgreiche Personalplanung ist von klaren mittel- und langfristigen Unternehmenszielen abhängig. Daraus werden Bedarfe und Anforderungsprofile erarbeitet, die, mit den Fähigkeiten der Mitarbeiter verglichen, Entwicklungsmaßnahmen ergeben. Auch der Personaleinsatz kann damit gesteuert werden. Auf den Mitarbeiter bezogen ergeben sich folgende Schwerpunkte: • • • • •
Stellenbesetzungsplan, Laufbahnplan, Nachfolgeplan, Entwicklungsplan und Einarbeitungsplan.
Auf den Bereich bezogen ergeben sich die Aufgaben: • • • • • •
Bestandsplan (Ist- und Soll), Bedarfsplan, Einsatzplan, Veränderungsplan, Fortbildungsplan und Personalbeschaffungsplan.
Abbildung 12.8 zeigt die enge Verknüpfung von Unternehmenszielen mit den Personalplanungsprozessen.
12.2.3 Karriereplanung Es muss zwischen der Karriereplanung durch das Unternehmen und der persönlichen Karriereplanung unterschieden werden.
Förderungs- und Personaleinsatzplan Abb. 12.8 Verknüpfung von Unternehmenszielen mit Personalplanungsprozessen
12.2.3.1 Karriereplanung der Unternehmen Erfolgreiche Unternehmen planen die Karriere für geeignete Mitarbeiter. In der Regel sind dies Horizontale Karrierewege. Von horizontalen Karrierepfaden spricht man, wenn eine Führungsperson innerhalb eines Unternehmens, einer Unternehmensgruppe oder aber extern in Positionen wechselt, die etwa in gleicher Führungsebene liegen. Wobei beispielsweise ein qualifizierter Manager nachdem er über 3–5 Jahre erfolgreich die Hauptabteilung AV geführt hat, in die Position Betriebsleitung wechselt. Die klassischen vertikalen Karrierepfade stellen immer noch eine sog. „Ochsentour“ dar, nämlich das Emporarbeiten von einer Funktionsstufe zur nächsten. Allerdings können auch horizontale Karriereschritte z. T. „vertikal“ verlaufen. Man spricht dann von sog. Mischformen. Ein Führungswechsel, v. a. extern, sollte ca. 20% mehr Funktionen, 20% mehr Aufgaben und auch 20% mehr Einkommen bedeuten. Die Qualifizierung und Weiterentwicklung von Mitarbeitern durch gezielte Fortbildung innerhalb und außerhalb des Unternehmens, durch Übertragen von Projektverantwortung und Job Rotation bringt viele Vorteile für die Beschäftigten und das Unternehmen. Eigene Mitarbeiter kennen das Unternehmen viel besser als jeder von außen angeworbene Bewerber. Auf Stärken und Schwächen eigener Mitarbeiter kann das Unternehmen besser eingehen und gezielt För-
12.2 Karrierepfade
839
dermaßnahmen einleiten. Mitarbeiter identifizieren sich gerne mit einem Unternehmen das erfolgreich ist und das seine eigenen Mitarbeiter fördert und auch Führungspositionen mit eigenen Leuten besetzt. Viele Unternehmen haben sich in der Vergangenheit lediglich auf die Entwicklung der oberen Führungskräfte konzentriert. Sehr oft liegen jedoch die Schwächen in den unteren und mittleren Ebenen. Fehlende Motivation und brachliegende Erfahrungen von steckengebliebenen Mitarbeitern sind oft die Ursachen. Das spezifische fachliche Wissen solcher Mitarbeiter muss besser genutzt und die Motivation durch Erfolgserlebnisse, nicht nur durch Geld, muss erreicht werden. In den vergangenen Jahren sind viele Unternehmen, v. a. Produktionsunternehmen, durch allgemeine Rezession bei gleichzeitigen Kostensteigerungen gezwungen worden, sich neu zu organisieren. Herkömmliche Organisationsstrukturen (Abb. 12.9) wurden verlassen und neue Strukturen entwickelt. Einen Lösungsansatz stellt z. B. die Idee des „Frak-
GF Technik + Vertrieb
Technische Leitung
Q-Bereich
Q-Planung 1 2
Entw./ Konstruk.
GF Kaufm. Bereich
VertriebsLeitung
AV
talen Unternehmens“ dar. Dabei werden eigenverantwortliche „Fraktale“ konzipiert und an den Unternehmenszielen ausgerichtet [3, 4]. Beispielsweise wurde bei einem Gelenkwellenbau-Unternehmen nach einer Analysephase mit den Mitarbeitern zusammen eine neue Unternehmensstruktur konzipiert, bei der die Mechanische Fertigung, Montage, Budgetierung und auch Qualitätssicherung in einzelne „Fraktale“ organisiert sind. In der mechanischen Fertigung, die bisher eine Organisationseinheit war, entstanden drei Teams, die die Komplettbearbeitung sämtlicher Gelenkwellenkomponenten mit allen Varianten realisieren. Die Teams sind dafür verantwortlich, ihre internen Kunden, z. B. das „Montagefraktal“, termin- und qualitätsgerecht zu beliefern. Durch die vollständige Verantwortlichkeit im jeweiligen Prozessabschnitt nach Terminen, Beständen und Kosten wurde deren Einhalten genauer und transparenter. Die einzelnen Fraktale müssen durch ein durchgängiges Zielsystem, das für alle Fraktale spezifische Zielvorgaben enthält, nach den Unternehmenszielen ausgerichtet werden.
Fertigung
Beschaffung
KD
Versuch
GF-Ebene 6
Bereich 5
Hauptabteilung
4
Q-Prüfung 3 4 5
Q-Endabnahme Abteilung
6 7
Gruppe 2 Mitarbeiter 1 Abb. 12.9 Herkömmliche Oganisationsstruktur
3
840
12 Personalmanagement
Durch diese Neuorientierung des gesamten Unternehmens entstehen neue überschaubare Verantwortlichkeiten und die einzelnen Mitarbeiter tragen mehr Eigenverantwortung. Häufige Abstimmung mit den Mitarbeitern ist erforderlich, wobei Mitarbeiter aus dem Management genauso miteinbezogen werden wie Produktionsmitarbeiter. Die Mitarbeiter müssen zur kontinuierlichen Verbesserung angespornt werden, um die neue Struktur am Leben zu erhalten, oder sie auf neue geänderte Anforderungen hin zu optimieren. Dies sind ideale Tätigkeitsfelder für das Herausbilden von Führungspersonen, die laufend gefordert sind kleinere, überschaubare Teams zu führen (Abb. 12.10). Vertikale Karrierewege sind eng an bestehende Organisationsstrukturen geknüpft. Horizontale Karrierepfade bieten mehr Spielraum und beziehen auch den „Seiteneinsteiger“ mit ein. Bei klassischer hierarchischer Organisation mit zwei Geschäftsführungsbereichen (GF), einer GF „Technik“ und einer GF „kaufmännisch und Verwaltung“, mit klaren hierarchischen Unterstellungsverhältnissen, können geplante Karrieren in den GF-Bereichen wie folgt ablaufen:
Vorher: Herkömmliche Abteilungsstruktur Marketing
Disposition
Einkauf
• Einstellung eines jungen qualifizierten Mitarbeiters (im Technischen GF-Bereich ein Jung-Ingenieur) als Projektleiter oder Fachreferent, z. B. im Bereich der Arbeitsvorbereitung. • Gezielte Einarbeitung nach engen Vorgaben, Betreuung durch eine Führungskraft oder die Personalentwicklungsabteilung • Jeweils nach 1–2-jähriger Tätigkeit muss eine höhere Funktions- und Verantwortungsstufe erreicht werden. (z. B. Leitung einer Gruppe Fertigungsplanung oder Fertigungssteuerung). Klare Vorgaben erleichtern dem Mitarbeiter und dem Betreuer die Fortschrittskontrolle und Zielerreichung. • Gezielte Weiterbildung durch Führungsseminare und Crash-Kurse und nach weiteren ca. 2 Jahren Übernahme einer Abteilung, z. B. Fertigungsplanung. • Zusätzliche Projektleitung bei der Abwicklung eines komplexen Auslandvorhabens. Stellvertreterplanung sollte durch Stellenmitarbeiter bereits gelöst sein. Nach Abschluss dieser Sonderaufgabe und ca. 2-jähriger Führung der Abteilung muss etwa vierteljährlich eine Beurteilung des Mitarbeiters
Bestandscontrolling
Vertrieb
alle Produktgruppen
Nachher: Fraktalbildung Beschaffungsfraktal 1 Produktgruppen 1 bis 9 Beschaffungsfraktal 2 Produktgruppen 10 bis 1 Beschaffungsfraktal 3 Produktgruppen 15 bis 20 Abb. 12.10 Neue Organisationsstruktur durch Fraktalbildung
12.2 Karrierepfade
erfolgen, bei der auch der weitere Entwicklungsweg des Kandidaten besprochen wird. Anschließend Job Rotation in eine andere technische Abteilung, z. B. Fertigungsleitung. Diese Rotation kann durch 2–3 Abteilungen gehen. • Nach ca. 8–10-jähriger Tätigkeit im Unternehmen sollte die Führungsperson eine Hauptabteilung „nach Plan“ erlangen. In dieser Verantwortung wird erkennbar, inwieweit der Mitarbeiter als Bereichsleiter eingesetzt werden kann. • Bei entsprechender Eignung der Führungsperson sollte der nächste Schritt, einen gesamten Bereich (mehrere Hauptabteilungen, z. B. Technische Leitung) zu übernehmen, vollzogen werden. Spätestens dann sollte auch Prokura erteilt werden. Der Mitarbeiter befindet sich nunmehr ca. 10–12 Jahre im Unternehmen und hat wenn er mit 26 Jahren eingetreten ist ein Alter von max. 38 Jahren. • Den Schritt in eine GF-Position könnte der Kandidat nach weiteren 3–5 Jahren erfolgreicher Bereichsleitung vollziehen. Dieser letzte entscheidende Schritt wird aber durch eigene Mitarbeiter sehr selten vollzogen.
12.2.3.2 Eigene Karriereplanung Jeder Manager, der danach strebt, eine Führungsposition zu bekommen, muss die unabdingbare „Lust an der Macht“ und am Dienst für das Unternehmen haben [5] und Qualifikation, Ernsthaftigkeit, Autorität, Weitblick und Mut mitbringen. Diesem gilt dies erst recht für jene Führungspersonen, die ihre Karriere selbst planen und Schritt um Schritt auch realisieren wollen. Wer seine Karriere selbst plant, muss sich ein hohes Ziel vorgeben und durch genau festgelegte Zwischenschritte nach Zeit und Funktionsebenen diese Stufen innerhalb seines Unternehmens oder aber durch Wechseln in fremde Unternehmen auch erreichen. Für den Einstieg in die berufliche Karriere gilt grundsätzlich: So hoch wie möglich, aber nie so hoch, dass man scheitert. Dies gilt genauso für jeden geplanten weiteren Schritt. Die angenommene Tätigkeit darf nie so fachfremd sein, dass man sich im Zweifel nicht auf wenigstens ein gut beherrschtes Fachgebiet zurückziehen kann. Der Erfolg in dem neuen Bereich hängt auch sehr stark von der Bereitschaft ab, hart und ausdauernd zu arbeiten. Fleiß geht über Genialität [6]. Auf der an-
841
deren Seite muss der Führende sich stets aufs Neue durchsetzen wollen, ganz gleich, wie laut Widersacher auch schreien. Das „sich Durchsetzen“ darf nie blindwütig geschehen, sondern mit Gelassenheit und klarem Menschenverstand. Wenn der Führende erkennt, dass in seiner jetzigen Position „der Laden läuft“ und es auch positive Anzeichen von Vorgesetzten und von außen gibt (dies sollte spätestens nach 3 Jahren der Fall sein), sollte die Planung des nächsten Schritts beginnen. Hierbei ist es wichtig, auch einen eventuellen Nachfolger mitgezogen zu haben. Natürlich muss der Führende auch bereit sein laufend zu lernen und sich weiter zu qualifizieren, auch durch Übernahme entsprechender zusätzlicher Tätigkeiten. Für den nächsten geplanten Schritt müssen immer zuerst die Möglichkeiten im eigenen Unternehmen, dann im eigenen Konzern und erst danach extern, eventuell auch mit einem vertrauensvollen Personalberater, abgewogen werden. Stehen dann mehrere unterschiedliche Positionen zur Wahl und scheinen sie zunächst etwa gleichwertig, empfiehlt sich als Entscheidungshilfe eine Art „vergleichende Nutzwertanalyse“. Abbildung 12.11 zeigt ein Schema für eine solche Entscheidungshilfe. Zur Bewertung der hier vorgestellten vier Alternativpositionen wurden 5 Bewertungskriterien aufgestellt. Für jedes Bewertungskriterium werden nun die Ausprägungen ermittelt und dafür z. B. zwischen −5 bis +5 Punkte vergeben. Der Gewichtsfaktor, der in Abb. 12.11 gewählt wurde, kann personenbezogen abgeändert werden. Die erreichte Punktzahl der Kriterien werden mit dem Gewichtungsfaktor multipliziert und in den Varianten 1–4 aufaddiert. Die ermittelten gewichteten Ergebnisse können bei der Wahl der anzustrebenden Position mithelfen.
12.2.4 Beispiel A: Der Selfmade-Typ als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit Herr A, Jahrgang 1932, stammt von einem großen Bauernhof in Südbaden. Er absolvierte nach der Schulzeit von 1947–1951 eine Lehre als Werkzeugmacher und arbeitete von 1951 bis 1954 als Werkzeugmacher bei einem Apparatebau in der Schweiz. Diese Zeit hat Herrn A sehr stark geprägt und zu
842
12 Personalmanagement
Gewichtsfaktor Kriterien 4 3 3 2 1
Position Firma
Verantwortungsbereich Arbeitsinhalte Jahreseinkommen
1 A 3 Punkte
2
2
3
gew. Punkte 12
Standort und Infrastruktur
1
Σ Punkte
14
9 5
15 1
6
15 2
2 –1
1 12
20 3
12
9
1
40
8
5
3
1
5
4 9
6
4 C
2
3 15
Image und Situation des Unternehmens
3 B 8
6 5 3
Σ gew. Punkte
2 A
4 1
–1 11
33
1 16
36
49
Abb. 12.11 Entscheidungshilfe zur Auswahl alternativer Positionen
selbständigem Handeln gezwungen. Er wechselte dann zu einem großen Konzern nach Karlsruhe, wo er 1956 seine Meisterprüfung ablegte. Durch interne und externe Weiterbildung wurde er als Betriebsingenieur nominiert. Zwei Jahre arbeitete er bei einem Messgeräte-Hersteller desselben Konzerns in der Produktionsplanung für Messeinrichtungen. 1957 bis 1959 wurde ihm die Leitung von Werkzeug- und Vorrichtungsbau einschließlich Schnitt- und Presswerkzeuge übertragen. Anschließend führte er von 1959 bis 1962 eigenverantwortlich Produktionsanlauf und -planung im Automobilwerk beim selben Konzern. 1963 ging er für den Neuaufbau der Fertigung von elektronischen Längenmessmaschinen und pneumatischen Messeinrichtungen zurück zum Messgeräte-Hersteller. Nach diesem erfolgreichen Neuaufbau wechselte Herr A in ein Jagdwaffenunternehmen als verantwortlicher Produktionsleiter für zivile Waffen und Präzisionstechnik. 1971 wurde er im gleichen Unternehmen Technischer Direktor und führte die gesamte Technik bis 1972. Mitte 1972 schaffte Herr A den Sprung zum verantwortlichen Technischen Geschäftsführer für alle drei Werke. Mitte 1977 wurde er gesamtverantwortlicher Sprecher der GF. Anfang 1979 wechselte Herr A aus dem Konzern in eine Sondermaschinenfabrik als Technischer Geschäftsführer und Teilhaber. In fünf Jahren wurde diese Sondermaschinenfabrik zu einer der „Innovationsschmieden“ der Werkzeugmaschinenhersteller in Deutschland. Im Januar 1985 wechselte er als Technischer Ge-
schäftsführer für Entwicklung und Produktion zu einem bedeutenden Werkzeugmaschinenbauunternehmen. Seit 1990 ist er der alleinverantwortliche Geschäftsführer dieses Unternehmens.
12.2.5 Beispiel B: Der Stufe um Stufe Planende als Beispiel einer Manager-Persönlichkeit Herr B wurde 1937 in Stuttgart in einer technisch durch den Vater geprägten Werkzeugmacher-Familie geboren. Er wuchs mit zwei Geschwistern in einem Vorort von Stuttgart auf. Ein Häuschen mit Garten und die Werkstatt seines Vaters waren bis zum Abitur seine Welt. Vorbild war sein Onkel als Direktor eines Druckgussunternehmens. Schon als junger Mensch strebte er das Berufsbild Ingenieur an. In den Jahren 1958 bis 1966 studierte er Elektrotechnik und Maschinenbau an den Universitäten Graz und Stuttgart. Während des Studiums und der Assistentenzeit an der Uni Stuttgart fügte er der praktischen Seite, die theoretische und methodisch planerische Seite hinzu. Promotion zum Dr.-Ing. 1974 an der Uni Stuttgart. Sein sich selbst gesetztes Berufsziel war die Führung mit Ergebnisverantwortung eines Produktionsunternehmens mit ca. 2000 Beschäftigten. Industrietätigkeit 1975 bei einem Elektrokonzern als Fachreferent und Leiter des Forschungsvorhabens
12.2 Karrierepfade
rechnergestütztes Flexibles Fertigungssystem. 1975 wurde er Abteilungsleiter, 1978 Hauptabteilungsleiter im selben Konzern. Durch Zielstrebigkeit, Weiterbildung und Führungsseminare geplanter Wechsel 1980 in ein Sondermaschinenbau-Unternehmen als Bereichsleiter Produktion. Danach ca. 4 Jahre die Bereichsleitung Entwicklung und Konstruktion bei einem Sondermaschinenhersteller. 1984 realisierte Herr B den nächsten geplanten und gut vorbereiteten Schritt, in die Geschäftsführung Produktion, bei einem Werkzeugmaschinenhersteller. 1987 vollzog er den geplanten Schritt in die Gesamtverantwortung für ein Sondermaschinenbauunternehmen mit ca. 1000 Mitarbeitern als Geschäftsführer Technik und Vertrieb. Mit diesem Schritt war sein sich selbst vorgegebenes Berufsziel mit 50 Jahren erreicht. 1992 startete Herr B einen Neubeginn als selbständiger Unternehmer und seit 1994 hat er ein eigenes Softund Hardwareunternehmen in der Computertechnik.
12.2.6 Erfahrungen • Ein Unternehmen kann viel erreichen, wenn für alle Mitarbeiter die Unternehmensziele genau so wichtig sind wie ihre eigenen Ziele. • Ungenau und schlecht formulierte Ziele können nur zu ungenauen und ungenügenden Ergebnissen führen. • Kurze und exakte Fragen, „Wann?“, „Wo?“ und „Was?“ bringen klare Antworten und führen weiter. • Der Erfolg eines Mitarbeiters hängt davon ab, wie gut er die Erwartungen seiner Vorgesetzten kennt. • Die Ziele, die einem Mitarbeiter vorgegeben werden, müssen die Anstrengungen wert sein, die er machen muss, um die Ziele zu erfüllen. • Ein Mitarbeiter ohne klare Zielvorgaben kann auch nicht wissen, wann er sie erfüllt hat. • Wenn es so leicht wäre Karriere zu machen, hätten wir keine Mitarbeiter mehr. • Ohne Herausforderung schöpft ein Mitarbeiter seine Fähigkeiten nie ganz aus. • Liegt die letzte Entscheidung bei der Konzernzentrale, dann ist es schlecht wenn diese über die Bedingungen und Möglichkeiten im Werk nur Mutmaßungen anstellen kann.
843
• Große Führungspersönlichkeiten nehmen sich selbst niemals zu wichtig. • Die Bedeutung eines Managers kann man daran erkennen, wie stark er sich zum Wohl seiner Mannschaft einsetzt. • Ein Manager setzt sich über Kleinigkeiten weg und veranlasst seine Mitarbeiter auch dazu. • Starke Manager umgeben sich mit starken Mitarbeitern. • Manager wissen wie man mit Widerständen fertig wird und aus Fehlern lernt. • Jede Entscheidung hat auch gefährliche Seiten. • Unüberlegt stürzt sich ein Manager niemals in einen Konflikt. • Wenn ein Erfolg bitter zu werden verspricht, muss der Vorgesetzte seine Mitarbeiter schonen. • Gute Manager verlangen von ihren Mitarbeitern niemals Leistungen, die ihre Kenntnisse überfordern. • Ein Vorgesetzter, der sich zurückzieht und seine Fähigkeiten vorenthält, zeigt Schwäche. Das Übertragen von Verantwortung beweist Stärke. • Der Topmanager setzt sich selbst immer hohe Ziele. Die sicheren Wege des Mittelmaßes bringen wenig Erfolg. • Wird bei den wirklich wichtigen Aufgaben hervorragend gearbeitet verzeiht der kluge Manager kleinere Fehler. • Der Manager ist für seinen Erfolg selbst verantwortlich. Niemand kann für ihn tun, was er nicht bereit ist, für sich selbst zu tun. • Einem Topmanager, dem die Entlohnung seiner Mitarbeiter wichtiger ist als seine eigene, wird dieser Grundsatz von den Mitarbeitern mehr gedankt, als er je erwartet hätte. • Mitarbeiter sollen nur mit etwas belohnt werden, was auch dem Manager wertvoll ist. • Wer sich nur Mitarbeiter sucht, die immer seiner Meinung sind, wird nur mittelmäßige Ratschläge seiner Truppe erhalten. • Schriftliche Berichte an Vorgesetzte müssen kurz und bündig sein, möglichst nur eine Seite, sonst werden sie nicht gelesen. • Kluge Manager werden den Mitarbeiter entlassen, der schlechte Nachrichten nicht überbringt. • Nicht die Mitarbeiter, die am meisten beschäftigt sind, arbeiten auch am meisten. • Wirkliche Manager besitzen die Gabe, zur rechten Zeit, die richtigen Fragen zu stellen.
844
• Ein guter Mitarbeiter zu sein ist ehrenvoller, als ein schlechter Vorgesetzter. • Damit sich die Stärken eines Vorgesetzten entfalten, müssen oft einige seiner Schwächen toleriert werden. • Es ist kein Fehler einen unfähigen Vorgesetzten zu ernennen, sondern ihn in seinem Amt zu belassen. • Mitarbeiter lernen mehr aus ihren Fehlern als aus Erfolgen. • Topmanager verlassen sich niemals auf das Glück. Sie setzen auf harte Arbeit, Durchhaltevermögen, Zähigkeit und Liebe zur Sache. • Nicht alle Widersacher sind Feinde des Managers. Es gibt auch schöpferische Auseinandersetzungen.
Literatur 1. Kunerth, W. (Hrsg.): Menschen Maschinen Märkte. Die Zukunft unserer Industrie sichern. Berlin/Heidelberg/New York: Sprimger 1994 2. VDI-Gemeinschaftsausschuss CIM (Hrsg.): Rechnerintegrierte Konstruktion und Produktion, Bd. 1: CIMManagement. Düsseldorf: VDI-Verlag 1990, S. 50ff. 3. Warnecke, H.-J.: Die Fraktale Fabrik. Revolution der Unternehmenskultur. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1992 4. Warnecke, H.-J.: Aufbruch zum Fraktalen Unternehmen. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1995 5. Roberts, W. K.: Attila-Management. Hamburg: Hoffmann und Campe 1990 6. Goldratt, E. M.; Cox, J.: Das Ziel. Hamburg: Mc Graw-Hill 1987
12.3 Auswahl von Mitarbeitern 12.3.1 Rekrutierungen sind Investitionsentscheidungen Die Umsetzung von Restrukturierung oder „Change“Projekten in Unternehmen kann nur so gut sein wie die Qualität der verantwortlichen Mitarbeiter. Die mangelnde Berücksichtigung des einfachen Leitsatzes „people make it happen“ ist die Ursache dafür, dass ein substantieller Anteil an „Change“-Projekten in Unternehmen scheitert. Damit wird die Auswahl von Verantwortungsträgern auf der Managementebene zu einer Investitionsentscheidung, mit der viel Geld verknüpft ist:
12 Personalmanagement
Wenn man ein bis zwei Jahresgehälter, Einarbeitungsund Auswahlkosten addiert, ergeben sich schnell 100 000 e. Aus Personalsicht steht die Mühe für die Vorbereitung einer solchen Investitionsentscheidung in einem krassen Missverhältnis zu anderen Investitionsentscheidungen. So wird z. B. die Entscheidung für den Erwerb einer kaufmännischen Standardsoftware in einer Abfolge von Projektsitzungen besprochen. In der Praxis vieler Unternehmen wird bei der Rekrutierung von Mitarbeitern auf der Managementebene nach der Devise „Bauch plus Biographie“ verfahren. Der „Bauch“, also der Rückgriff auf die eigene Menschenkenntnis, ist notwendig, denn die Sympathieebene muss zweifelsohne vorhanden sein. Allerdings haben es alle Bewerber heute gelernt, sich professionell vorzubereiten und vorzustellen, mögliche Schwächen positiv zu „verkaufen“. Daher kann es nicht hinreichend sein, sich bei derartigen Investitionsentscheidungen allein auf die eigene Menschenkenntnis zu verlassen. Auch die Bewertung der bisherigen Biographie kann nicht ausreichen. Denn auch im vertieften Gespräch ist nur schwer herauszufinden, unter welchen Umständen die von dem Bewerber beschriebenen Erfolge zustande gekommen sind.
12.3.2 Auswirkungen der veränderten Anforderungswirklichkeit 12.3.2.1 „Der“ Manager oder „der“ Vertriebsprofi Eine in der Praxis häufig und kontrovers diskutierte Frage geht dahin: Gibt es Persönlichkeitseigenschaften, die erfolgreiche Führungskräfte von anderen Menschen unterscheiden. Das heißt, gibt es stabile Eigenschaften die der Führung zugrunde liegen? Noch in den 50er Jahren war die Antwort auf diese Frage nach einer Führungspersönlichkeit klar bejaht worden. Nach der Theorie des „Great Man“ besitzen bekannte Führungskräfte Persönlichkeitseigenschaften, die sie von anderen Menschen unterscheiden. Diese Eigenschaften sind zudem über die Zeit stabil. Die umfangreichen Studien hierzu in den 50er und 60er Jahren erbrachten allerdings relativ triviale Ergebnisse etwa dahingehend, dass Führungskräfte im Schnitt physisch etwas größer und intelligenter sind. In den 70er und 80er Jahren entwickelte sich die
12.3 Auswahl von Mitarbeitern
Position der Wissenschaft konträr dahingehend, dass erfolgreiches Führungsverhalten abhängig von situativen Rahmenbedingungen ist, es also keine Persönlichkeitseigenschaft gibt, die unabhängig von der jeweiligen Situation Führungserfolg sicherstellt. Einen wiederum neuen Trend erbrachten Untersuchungen Ende der 80er Jahre. Ein wissenschaftshistorisch äußerst interessantes Ergebnis bestand z. B. darin, dass in den Untersuchungen der 70er Jahre klare Hinweise auf bestimmende Persönlichkeitsvariablen der Führung systematisch negiert wurden. Heute stellt sich die Situation so dar, dass es sehr wohl über Unternehmen hinweg stabile Eigenschaften der Führung gibt. Empirische Untersuchungen belegen die Wirksamkeit folgender Eigenschaftskriterien (auszugsweise): • Führungsmotivation: Der Wunsch im betrieblichen Kontext Einfluss und auch Macht zu suchen, um damit etwas zu erreichen. Erfolgreiche Führungskräfte haben daher eine hohe Motivation, tatsächlich andere führen zu wollen. • Soziale Flexibilität: Neue interessante Untersuchungen zeigen, dass sich in Experimenten bei unterschiedlichen Führungsaufgaben in variierender Zusammensetzung immer wieder die gleichen Personen als akzeptierte Führungskraft herausstellen. Besonders interessant ist jedoch, dass diese Führungskräfte ihr Verhalten jeweils den unterschiedlichen Situationen anpassen – also je nach Aufgabe entweder beziehungs- oder aufgabenorientiert vorgingen. Je mehr diese Personen sich sozial flexibel gegenüber der Aufgabensituation zeigten, desto höher war deren Bewertung als Führungskraft durch die Kollegen. Die Schlussfolgerung hieraus in Richtung Eigenschaftsorientierung fällt deutlich aus: Führungskräfte mit entsprechender Akzeptanz als Führungskraft sind nicht so wie andere Menschen, vielmehr unterscheiden sie sich in klaren Persönlichkeitseigenschaften. Allerdings: Mehr als 2/3 des Führungserfolgs ergibt sich aus der situationsadäquat formulierten Verhaltensstrategie. Auf dieser Ebene des Führungsverhaltens – nicht stabiler Eigenschaften – existieren allerdings noch viel weniger Normen, nach denen situationsunabhängig etwa mitarbeiter- oder aufgabenorientiertes Verhalten richtig ist: So ist leider immer noch die unsinnige Formulierung eines situa-
845
tionsunabhängigen kooperativen Führungsstils in der Diskussion präsent. Was bedeutet dies für die Auswahl? Die „NichtExistenz“ eines immer richtigen Verhaltens- und Führungsstils führt dazu, dass in der Praxis der Auswahl die „Verhaltensbandbreite“ der einzelnen Persönlichkeiten geprüft werden muss: Kann der betreffende Bewerber kontaktorientiert und locker Beziehungsnetzwerke unter Mitarbeitern aufbauen? Kann er genauso unkonventionell und konfliktorientiert als radikaler „change-agent“ durchgreifen? Kann er eine idealisierte Zukunftsvision kommunizieren und inspirierend strategische und organisatorische Ziele begeisternd vermitteln? Geht er hohe persönliche Risiken zum Nutzen der Organisation ein? Diese Verhaltensbandbreite gilt es zu testen, da heute die Anforderungen des Unternehmens an die Führungskraft in drei Jahren noch nicht bekannt sind und man abhängig von unternehmerischen Rahmenbedingungen jeweils das Managementpersonal komplett austauschen könnte. Eine weitere Antwort auf die Frage nach der Existenz „des Managers“ ergibt sich, wenn wir das Führungsteam als Gesamtheit betrachten. Bei allen Zugeständnissen an gewisse Basiswerte einer gemeinsamen Unternehmenskultur, brauchen wir tatsächlich den Einheitstyp in unserem Team? Hierzu gibt es mehrere Untersuchungen, in denen „weiche“ Daten des Unternehmens (Unternehmenskultur, vorherrschender Führungsstil, Investitionen in Personalentwicklung, Innovationsorientierung, interne Kundenorientierung etc.) mit „harten“ Daten des Unternehmenserfolgs (u. a. Umsatzrendite, Wachstum, Marktanteilssteigerung) in statistische Beziehung gesetzt wurde [1]. Resultat sind insgesamt zwölf „Softfaktoren“, in denen sich nach harten betriebswirtschaftlichen Parametern erfolgreiche von weniger erfolgreichen Unternehmern unterscheiden. An erster Stelle dieser Liste steht das „Management by Complement“. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Unternehmen explizit ihre Auswahl darauf abstellen, dass in einzelnen Entscheidergremien möglichst viele unterschiedliche Persönlichkeitstypen vertreten sind. Diese Unternehmen suchen nicht den Allround-Manager, sondern Persönlichkeitstypen mit klaren Stärken und Schwächen – den Strategen, den Umsetzer, den Kreativen. Diese können als Team ihre jeweiligen Stärken und Schwächen kompensieren.
846
Die Schlussfolgerungen für die Praxis der Auswahl sind nun: Auf die wenigen stabilen – situationsunabhängigen – Führungseigenschaften sich konzentrieren zu wollen, deckt bei weitem nicht die Bandbreite der Anforderungswirklichkeit ab. Aufgabe muss sein, die interindividuell unterschiedliche Verhaltensbandbreite von Führungspersönlichkeiten zu testen. Eine weitere Konsequenz liegt darin, von der Einzelpersönlichkeit in einem Team zu abstrahieren, bewusst auch Schwächen in Kauf zu nehmen, damit im Sinne des Managements by Complements das Team und nicht die Einzelpersönlichkeit die maximale Verhaltensbandbreite besitzt.
12.3.2.2 Motivationsstruktur geht vor Verhaltenskompetenz! Seit Mitte der 70er Jahre hat in Anforderungsprofilen der Bereich der sozialen Verhaltenskompetenz eine dominierende Bedeutung. Beispielsweise in Assessment-Center-Verfahren zur Personalentwicklung und internen Rekrutierung sind immer wieder Einfühlungsvermögen, Überzeugungskraft, Rhetorik, Teamfähigkeit und Durchsetzungsvermögen wesentliche Anforderungselemente gewesen. Dem steht gegenüber, dass jeder schon Führungskräfte wie z. B. Verkaufsprofis erlebt hat, die absolut erfolgreich, aber in ihrem Sozialverhalten jedoch völlig unterschiedlich sind. So gibt es den witzigen, lockeren und beziehungsorientierten Verkäufer, genauso gibt es den erfolgreichen Verkäufer, der eher zurückhaltend und introvertiert, aber fleißig und ungeheuer ausdauernd ist. All diese Verkaufsprofis haben eines gemeinsam, nämlich die spezielle Ausprägung ihrer Eigenmotivation: Sie wollen gerne verkaufen, sind stolz darauf, ihre Verkaufszahlen nach oben zu bewegen – allerdings mit unterschiedlichen Mitteln. Diese Varianz im Sozialverhalten trifft schließlich genauso auf Manager und Führungspersönlichkeiten zu. Auch sie haben wiederum eines gemeinsam, ihre Eigenmotivation: Sie werden davon angetrieben, etwas zu verändern und zu gestalten. Für die Anforderungsprofile stellt diese Erkenntnis einen wichtigen Paradigmenwechsel in der Management-Diagnostik dar: Die Qualität der passenden beruflichen Antriebsmotive geht im Zweifel vor Aspekte des Auftretens oder Sozialverhaltens.
12 Personalmanagement
Dies bedeutet für die Mitarbeiterauswahl allerdings zunächst die Analyse, was es braucht. Welches Antriebskräfte sind es genau, um die unternehmerischen Ziele der Aufgabe erfüllen zu können: Anerkennung, Einfluss/Macht, Perfektionsstreben, Misserfolgsvermeidung, Veränderungswille oder Risikobereitschaft? Für jede dieser psychologischen Antriebe liegen bei einzelnen Persönlichkeiten unterschiedliche Ausprägungen vor. Für einen bestimmten Job ist eine hohe Ausprägung nützlich, für einen anderen Job schädlich. Für Unternehmen in Phasen der Restrukturierung dürfte dabei die Veränderungsmotivation eine herausgehobene Position einnehmen. Nach dem Motto „Hindernisse zu überwinden ist der Vollgenuss des Daseins“ (Schopenhauer) bedeutet dies die Aufgeschlossenheit und Freude an Veränderungen. Dies sind heute eher die Vielzahl der kleinen Schritte, das Tun und Umsetzen vor dem Warten auf den großen Wurf und das Sammeln von Bedenken und Risiken. Als Primat gilt: Veränderung wird zum kontinuierlichen Prozess. Es kommt darauf an, Veränderungen tatsächlich zu lieben. Freilich sind seit den 90er Jahren nicht nur normale Angestellte, sondern auch Führungskräfte auf TopNiveau Opfer von Change-Prozessen. Im Positiven bedeutet dies, dass heute mehr als in der Vergangenheit in Deutschland Managementqualität auch zur Rechenschaft gezogen werden kann. Für viele gestandene Führungskräfte, gerade auch in Großunternehmen, bedeutet dies, im Alter von Mitte 50 „zum alten Eisen“ zu gehören. In anderen Situationen verkraften es viele Führungskräfte nicht, freigesetzt zu werden, weil sie nicht Mitglied der momentan tonangebenden Fraktion sind. Deshalb wird es für erfolgreiche Führungskräfte immer schwieriger werden, das Selbstwertgefühl von Rückschlägen im eigenen Karriereweg zu entkoppeln. Zu einer „guten“ Karriere gehört heute dazu, ein Risiko einzugehen und dabei im Extremfall auch das Unternehmen verlassen zu müssen. An der Bewältigung dieser Gefühlslage scheitern viele gestandene Führungspersönlichkeiten. Festzuhalten bleibt: Motivationsstruktur geht vor Verhaltenskompetenz. Im Sozialverhalten können wir also im Zweifel eine hohe Bandbreite von Persönlichkeiten akzeptieren, auf die – bezogen auf die Ziele der Position – notwendigen Kombinationen von Eigenmotiven in der entsprechenden Ausprägung können wir jedoch nicht verzichten.
12.3 Auswahl von Mitarbeitern
12.3.2.3 Manager oder Fachexperte? Während bis in die 70er Jahre die Devise galt, dass der fachlich beste Mitarbeiter auch einmal die Leitung der jeweiligen Einheit als Führungskraft erhalten wird, war die Leitlinie der 80er Jahre eher das Bild des Managers mit „Helicopter-view“: Management bedeutete demnach, Visionen und strategische Ziele zu entwerfen, Ressourcen zu dispositionieren und Umsetzungsprozesse zu kontrollieren. In einer heute veränderten Umwelt mit i. d. R. teueren Arbeitsplätzen auf der Mitarbeiterebene und einem hohen Maß an Teamarbeit, kann heute keine der beiden Extremansichten zum Thema Fachexperte vs. Manager mehr richtig sein. Selbstverständlich bedeutet Führung heute mehr als nur fachlich gut zu sein. Wir beobachten dabei, dass aus einem falsch interpretierten Druck heraus viele Unternehmen die Leitung einer Einheit immer noch mit dem besten Mitarbeiter der nächsten Hierarchiestufe besetzen. Der Begriff des „über allem schwebenden Managers“ kann heute vor dem Hintergrund der stärkeren nächsten Führungseinheiten nicht mehr stimmen. Daher ist auch auf TopManagementebene heute eine operative Vorbildkompetenz, zumindest in zwei Kernbereichen, notwendig.
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500 km langen strapaziösen Marsch durch die Gedrosische Wüste. Mitten in der Wüste, dem Erschöpftsein und Verdursten nahe, waren seine Soldaten kurz davor, ihm die Gefolgschaft zu verweigern. Als da ein Soldat mit einem Helm voll Wasser zu ihm kam, nutzte Alexander die Gelegenheit: Er wartete, bis sich eine größere Schar Soldaten um ihn herum versammelt hatte. Dann sagte er, während er langsam den Helm mit seinem kostbaren Inhalt ausschüttete: „Für einen zuviel, für alle zu wenig!“ Wie ein Lauffeuer ging diese symbolische Geste durch das Lager. Dass Alexander von keinem seiner Soldaten etwas verlangte, was er nicht selbst zu ertragen bereit war, stärkte das Gemeinschaftsgefühl und die Moral der Truppe. Testen Sie bei Bewerbern diese Authentizität. Fragen Sie: „In welchen Situationen Ihrer Vergangenheit sind Sie schon einmal an Ihre Grenzen gestoßen?“ Achtung, die Bewerber die Ihnen nur nach dem Mund reden wollen, verkaufen Ihnen eine ihrer Stärken als Schwäche. Häufiges Beispiel: Die eigene Ungeduld darin, die bestehenden vielen vorhandenen Ideen und Kreativität umsetzen zu können. Fragen Sie: „In welchen Situationen der Vergangenheit haben Sie schon einmal persönliche, negative Rückmeldungen erfahren? Wie haben Sie sich daraufhin verhalten?“ oder: „Wann sind Sie schon einmal hohe persönliche Risiken zum Nutzen Ihres Unternehmens eingegangen?“
12.3.2.4 Authentizität geht vor Symbolzauber! Aus der Sicht von Mitarbeitern ist bei Führungskräften nichts entlarvender als unehrliches Lob Es wird ausgesprochen wird, um die anschließende negative Botschaft besser verkaufen zu können oder als Technik, um für Gesprächsatmosphäre zu sorgen. In für Mitarbeiter unsicheren Situationen der Restrukturierung, die mit Arbeitsplatzabbau, Verringerung von Privilegien oder Abschied von Gewohntem verbunden sind, werden solche instrumentellen Verhaltenweisen sofort enttarnt. Dabei ist es notwendig, in solchen Situationen bei den Mitarbeitern positive Bewusstseinsänderungsprozesse hervorzurufen. Dies erfordert allerdings bei der Führungskraft Visionen, Selbstvertrauen und Echtheit, um erfolgreich dafür zu argumentieren, was sie als gut und richtig einschätzt und nicht, was in dem gegebenen Moment populär ist. Hierzu muss es der Führungskraft gelingen, an „Absolutwerte“ wie Gerechtigkeit und Integrität zu appellieren. Einen solchen Sinn für authentische Symbolik bewies Alexander der Große bei seinem wohl gewagtesten Abenteuer, dem
12.3.2.5 Lernen zu lernen oder Prozessdiagnostik vor Statusdiagnostik Die fachlichen Anforderungen auf Grund der Restrukturierungsprozesse ziehen Konsequenzen im notwendigen Profil der Leistungsträger nach sich, die in der Form vor zehn Jahren nicht bekannt waren. Es spricht wenig dafür, dass sich die Veränderungszyklen in der Zukunft verlangsamen werden. Gerade bei der Auswahl von Nachwuchskräften sind solche zukünftigen Veränderungen jedoch noch nicht bekannt. Dies bedeutet bei Nachwuchsführungskräften, dass die Diagnostik von Veränderungspotenzial, Lernfähigkeit und Lernmotivation eine mindestens gleich hohe Bedeutung besitzen muss wie aktuelles Wissen. Gesucht sind Persönlichkeiten im Management, die in der Lage sind, sich effizient an neue, heute noch nicht bekannte Anforderungswirklichkeiten anzupassen. Neuere Untersuchungen [2] zeigen, dass es die Lernfähigkeit nicht gibt, sondern dass wir bei ver-
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schiedenen Themenbereichen unterschiedlich lernfähig sind. Durch herausfordernde Erfahrungen, interessante Vorbilder oder gut gemachte Seminare lernen einzelne im Hinblick auf Führung und Management viel, Andere weniger. Eine weitere für die Praxis wesentliche Erkenntnis aus wissenschaftlichen Untersuchungen zum Lernen zur Führung besteht schließlich darin, dass das Lernvermögen unabhängig von dem bestehenden Niveau ist: Wer im Moment noch in einem Führungsverhalten über eine geringe Verhaltensbandbreite verfügt und von bestehenden erfolgreichen Führungskräften negativ eingeschätzt wird, kann dennoch im großen Umfang hier hinzulernen. Beispielsweise mangelt es dieser Persönlichkeit an den notwendigen Vorbildern in der eigenen Umgebung. Andere Führungskräfte hingegen haben ihr Potenzial „ausgereizt“: Trotz hohem Niveau sind hier intensive Bemühungen, etwa mit Hilfe von Seminaren ohne fruchtbaren Erfolg. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Fähigkeit zum Weiterlernen in Führung und Management ein unabhängiges Anforderungskriterium ist, das sich nicht aus anderen Fähigkeiten schließen lässt – etwa Intelligenz oder Sozialverhalten. Daher sollte die Lernfähigkeit ein nicht wegzudenkendes Kriterium in aktuellen Anforderungsprofilen sein.
12.3.3 Prozess der Auswahl 12.3.3.1 Hauptfehlerquelle Anforderungsanalyse Die Auswahl neuer Führungskräfte fängt nicht mit dem Bewerberinterview, sondern mit der Anforderungsanalyse an. Untersuchungen zu Ursachen von Fehlbesetzungen zeigen, dass 90% der Fehlerquellen nicht etwa im eigentlichen Auswahlprozess, sondern in der Anforderungsanalyse liegen. Die ausgefeilteste Fragetechnik und das wissenschaftlich abgesicherte Testverfahren helfen dann nicht weiter, wenn dort nicht die Dinge hinterfragt werden, die für die Anforderungen an die Position erfolgsentscheidend sind. Damit sind selbstverständlich nicht harte, biographische Anforderungen gemeint, sondern eher die „weichen“ Anforderungen, die im ersten Abschnitt dieses Artikels diskutiert wurden, die im Verhaltens- und Persönlichkeitsbereich liegen. Diese Phase wird im-
12 Personalmanagement
mer wieder oberflächlich gehandhabt, nach dem Motto: „Es geht um einen Vertriebsleiter, Sie wissen ja schon, worauf es ankommt.“ Für eine differenzierte Anforderungsanalyse muss man sich Zeit nehmen. Die klassische Schrittfolge besteht in der Bestimmung der Ziele der Position (Was soll in fünf Jahren erreicht werden?), der Ableitung der zielrelevanten Tätigkeitsfelder (Welche Tätigkeitsfelder müssen für die Erfüllung der Ziele abgedeckt werden?), die Bestimmung der erfolgskritischen Aufgabenerfüllung (Zu welchen erfolgskritischen Anforderungssituationen und Herausforderungen wird es innerhalb des Tätigkeitsfeldes kommen?) und schließlich hieraus die Schlussfolgerung von Anforderungen. Ein klassischer Fehler liegt darin, die beschriebene Vorgehensweise genau umgekehrt vorzunehmen, nämlich mit den Anforderungen anzufangen (Wir brauchen eine erfolgsstarke Persönlichkeit) und Anforderungen zu übersehen, die für die Zielerfüllung wichtig sind. Ein Anforderungsprofil muss immer drei Klassen von Beschreibungskriterien enthalten: Verhalten („Hand“), Arbeitssystematik, Intelligenz und Analyseverhalten („Kopf“) sowie am wichtigsten – die oben beschriebene Art der Eigenmotivation sowie notwendige Werte und Einstellungen („Herz“). Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die zuletzt erwähnten Kriterien im „Herz“-Bereich gelegt werden, da diese i. d. R. erfolgsentscheidend und auf der anderen Seite schwierig zu beurteilen sind. In der Vorbereitung gilt es hier, u. a. folgende Fragen zu beantworten: • Was kann die Position Bewerbern an Bedürfniserfüllung bieten? • Welche Bedürfnisse und Motive müssen hoch ausgeprägt sein, um die anstehenden Ziele der Position erfüllen zu können? • Welche Motive sind für die Zielerfüllung eher schädlich oder hinderlich? • Welche Motive und Werthaltungen müssen hoch ausgeprägt sein, um mögliche Veränderungen im Unternehmen durchtragen und authentisch kommunizieren zu können?
12.3.3.2 Methoden der Auswahl An den klassischen Fehlern in den Methoden der Auswahl, speziell der Interviewführung, hat sich in den
12.3 Auswahl von Mitarbeitern
letzten Jahrzehnten wenig geändert [3]. Zu diesen Fehlern gehört etwa die überzogene Selbstdarstellung der Interviewer durch Redeanteile über 50% auf Kosten von Zuhören und Analyse. Ein weiterer Klassiker ist der „Heiligenschein-Effekt“: Ein Bewerber erfüllt im Interview eine zentrale Anforderung – etwa selbstbewusste, rhetorisch perfekte Selbstpräsentation – dann wird ohne konsequentes Nachfragen angenommen, dass auch die weiteren Anforderungen schon erfüllt sein mögen. Gerade auf Top-Managementebene sehen wir häufig zwei extreme Gesprächsstile. Einerseits selbstgefällige Selbstdarstellung: De Bewerber muss nur an den richtigen Stellen Zustimmung signalisieren. Oder der andere extreme Gesprächsstil, ein skeptisches von Misstrauen getragenes Hinterfragen aller Äußerungen des Bewerbers, ohne dabei die Beziehungsqualität des Gesprächs im Auge zu behalten. Diese sog. „Stressinterviews“ offenbaren zwar möglicherweise die Stressresistenz des Bewerbers, verhindern jedoch eine offene und entspannte Atmosphäre, in der sich der Bewerber darstellt, wie er ist bzw. sein möchte, und in der der geschickte Zuhörer viel erfahren kann.
12.3.3.3 Situatives Interview Die Idee des situativen Interviews besteht darin, je Interview etwa fünf bis zehn Fragen vorzubereiten, in denen der Bewerber gedanklich in eine Situation gestellt wird, deren erfolgreiche Bewältigung Hinweise auf die Ausprägung der in dem Anforderungsprofil enthaltenen Kriterien gibt. Beispiel: „Sie möchten in einem Unternehmen ein Change-Projekt umsetzen. Ein Teil Ihrer Kollegen sowie viele Mitarbeiter stehen einem solchen Projekt jedoch auf Grund schlechter Erfahrungen negativ gegenüber. Wie gehen Sie vor?“. Diese Frage muss allerdings eng an dem jeweils individuell entwickelten Anforderungsprofil ausgerichtet sein. Noch besser ist es, den Bewerber nach entsprechenden Erfahrungen zu dem jeweils befragten Thema in seiner Biographie zu befragen („Wann hatten Sie schon einmal ein ChangeProjekt geleitet, wie sind Sie vorgegangen, woran genau zeigte sich der Erfolg?“). Das Ziel jeden situativen Interviews ist es, das sog. Verhaltensdreieck herzustellen. Es gilt, den Bewerber jeweils in eine gedachte Situation oder besser Situation seiner beruflichen Ver-
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gangenheit zu stellen, sich das Verhalten hierin schildern zu lassen und das damit erzielte Ergebnis zu bewerten.
12.3.3.4 Testverfahren Deutschland ist heute weltweit eine Insel in der Ablehnung von Testverfahren. Insbesondere in angelsächsischen Ländern sind psychologische Testverfahren die am stärksten verbreitete Auswahlmethode. Mittlerweile liegt auch in Deutschland eine Übersicht über speziell in der Wirtschaft anwendbare Testverfahren vor [4]. Dabei geht es immer nur um Ergänzung zu anderen Methoden, dem Interview. Der Vorteil eines Testverfahrens liegt darin, dass in sehr kurzer Zeit ein Selbstbild des Bewerbers zu sonst nur schwer ermittelbaren, aber wichtigen Persönlichkeitsfaktoren erhoben werden kann, etwa Stressstabilität, Optimismus, Motivationsstruktur.
12.3.3.5 Management-Evaluation Dieses Instrument ist eine Weiterentwicklung des situativen Interviews. Hier werden dem Bewerber in Form von kleinen Fallstudien drei bis vier Aufgabenstellungen mitgegeben, mit denen er in der Praxis des Unternehmens mit hoher Wahrscheinlichkeit konfrontiert werden wird. Diese Methodik eignet sich für die weiterführenden Gespräche nach einem ersten Interview. Dem Bewerber werden die entsprechenden Aufgabenstellungen mitgegeben und er wird gebeten, zum nächsten Interview eine kurze Präsentation seiner Lösungen vorzustellen sowie diese anschließend gegenüber dem Entscheidergremium zu „verkaufen“. Sichtbar werden zum einen die Bewältigung der tatsächlich relevanten Aufgaben und zum anderen die kommunikativen Kompetenzen, die eigenen Vorstellungen gegenüber dem Team „verkaufen“ zu können.
12.3.3.6 Einzel-Assessment Das Einzel-Assessment ist heute der Königsweg in der Auswahl von Führungskräften auf mittlerer und Top-Ebene. Ursprünglich hat das Einzel-Assessment Berührungspunkte zu dem (Gruppen-) AssessmentCenter für Nachwuchskräfte, stellt allerdings eine
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bedeutende Weiterentwicklung dar. Eine aktuelle Umfrage bei deutschsprachigen Großunternehmen zeigt, dass 51% der 141 befragten Unternehmen mit AC-Anwendungen auch das Einzel-Assessment nutzen [5]. Das Einzel-Assessment dauert für einen Bewerber einen Tag. In diesem einen Tag wird der Bewerber individuell ohne Kontakt mit anderen Bewerbern in fünf bis sieben unterschiedlichen Fallstudien, Rollenübungen und Szenarien „getestet“. Der Unterschied zum situativen Interview besteht darin, dass über einen langen Tag mit schwierigen Fallstudien sich kaum ein Bewerber verstellen kann. Daneben wird die Verhaltensbandbreite in unterschiedlichen Gesprächs- und Fallsituationen transparent.
Literatur 1. Berth, R.: Erfolg. 2. Aufl. Düsseldorf: Econ 1995 2. Obermann, C.: Assessment Center als Prozessdiagnostik. In Sarges, W.: Assessment Center – Neuere Entwicklungen und Trends. Göttingen: Hogrefe 2001 3. Obermann, C.: Assessment Center. Entwicklung, Durchführung, Trends. Wiesbaden: Gabler 2006 4. Sarges, W.; Wottawa, H. (Hrsg.): Handbuch wirtschaftspsychologischer Testverfahren. Legerich: Pabst 2001 5. Assessment Center Umfrage 2001. Arbeitskreis für Assessment Center und Personalentwicklung e. V.
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit 12.4.1 Anlässe zum Lernen in der Arbeit Veränderungen in der Arbeit selbst haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass Lernen ein Bestandteil der Arbeitsleistung wurde. S. etwa Dehnbostel, Peter: Lernen im Prozess der Arbeit, Waxmann Verlag, Münster, 2007; Dehnbostel weist auf S. 67 auf entsprechende Untersuchungen hin und führt aus: Die Kriterien, an denen sich sowohl die Analyse des Lernens und der Lernmöglichkeiten in der Arbeit als auch eine lernund kompetenzförderliche Gestaltung von Arbeitsumgebungen orientieren können, wurden in mehreren Studien und Abhandlungen insbesondere aus arbeitsund organisationspsychologischer Sicht erarbeitet und
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theoretisch fundiert. Frieling fomuliert: „In der Arbeitswelt besteht die Notwendigkeit, auf permanente Veränderungen zukunftsorientiert zu reagieren und zugleich bereit zu sein, neue Arbeitsinhalte durch systematisches Lernen zu bewältigen“ (Frieling, Ekkehart: Lernen und Arbeiten, in: Arnold, Rolf; Antonius Lipsmeier: Handbuch der Berufsbildung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2. Aufl. 2006, S. 319). Insbesondere ist dieses durch die Vielfalt der (spezifischen) Kundenanforderungen und die Geschwindigkeit des technischen Wandels sowie die zunehmende Vernetzung von Arbeitsmitteln und Wissensreservoiren verursacht. So haben sich im betrieblichen Kontext in den letzten Jahren Begriffe wie „Learning Communities“ oder „situiertes Lernen“ etabliert. Dabei handelt es sich um Lernformen, die nicht curricular als abgegrenzte Bildungsmaßnahmen geplant sind, sondern in den (Arbeits-)Alltag eingebunden und damit situiert sind. Besonders mit Bezug auf die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Unternehmen und der Entwicklung der dafür erforderlichen Kompetenzen scheint der „Return on Investment“ bei Lernformen, die unmittelbar im Prozess der Arbeit integriert sind, höher zu sein als bei traditionellen Formen der beruflichen Bildung. Aufgrund der wachsenden Bedeutung von Wissen und von kollektivem Lernen als kritischen Erfolgsfaktoren für ein Unternehmen wird nach neuen Lernkonzepten gesucht, welche die institutionalisierte Teilung zwischen Arbeiten und Lernen zu überbrücken und die beiden Bereiche zusammenzuführen vermögen. Auf der Suche nach Konzepten, die diesen Brückenschlag versprechen, haben Unternehmen bereits elektronische Anwendungen implementiert, die Lernprozesse in der Arbeit unterstützen, z. B. Help Desk Systeme, Content Management Systeme oder Organisationsformen wie die Communities of Practice [1]. Häufig sind hierbei Netzwerke entstanden, in denen Probleme bereichs-, hierarchie- und betriebsübergreifend behandelt werden, in denen zugleich voneinander gelernt und Wissen ausgetauscht wird. Im beruflichen Alltag existieren vielfach Lernformen, die eng mit der eigentlichen Arbeit verbunden sind. So benutzen Mitarbeiter die verschiedensten Arten von Informationsquellen, um sich nicht nur bei akut auftretenden Fragen und Problemen zu behelfen, sondern auch, um sich für zukünftige Aufgaben und Problemstellungen zu rüsten. Hinweise darauf finden sich in Untersuchungen über den Stand informeller
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
Lernarrangements in der beruflichen Bildung. So legte u. a. die Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e. V. (ABWF) Berlin, mehrere Studien zum Stand der Forschung vor. Staudt u. a. [2] legen in ihrer Studie zum Thema des Erfahrungslernens und informellen Lernens bei Führungskräften dar, dass diese deutlich von Lernprozessen profitieren, die sie in ihrem täglichen Berufsalltag erleben. Das gilt sowohl für den alltäglichen Erfahrungszuwachs als auch als Resultat angegangener und bewältigter Herausforderungen und Probleme, welche die Aneignung von neuen Fertigkeiten und Kenntnissen erforderten. Die Handlungsempfehlungen zur Förderung derartiger informeller Lernerfahrungen konzentrieren sich auf organisationale Umstrukturierungen der Arbeitsplatzbedingungen. Schiersmann und Remmele [3] identifizieren in ihrer Arbeit neben theoretischen Grundlegungen zum informellen oder impliziten Lernen auch lernnahe Arbeitsformen und arbeitsnahe Lernformen. Sie verweisen zugleich auf einen Forschungsbedarf bezüglich der empirisch gestützten Analyse neuer Lernformen in Unternehmen: „Zum anderen wurde bislang weder in
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der theoretischen Literatur noch in empirischen Untersuchungen hinreichend differenziert eine Analyse verschiedener Lernkontexte in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, Branchen, Hierarchieebenen und Arbeitsplätzen vorgenommen“ [3]. Die Vielfalt der Phänomene des Lernens in der Arbeit macht eine Gruppierung des Lernens notwendig, das in zu identifizierenden „typischen“ Lernsituationen stattfindet. Diese Lernsituationen lassen sich in gegenseitiger Abgrenzung in einem Modellraum verorten, der durch den zeitlichen Horizont, das LernzielNiveau und das Lernprozess-Niveau geschaffen wird. Dabei können die in der Abbildung angegebenen bipolaren Differenzierungen in der jeweiligen Dimension gegliedert werden – als kurz-/mittel-/langfristig und als niedriges (einfaches)/mittleres/hohes (komplexes) Niveau. So entstehen die folgenden Varianten: Ein Lernziel (A) ist als einfach zu bewerten, wenn es um einzelne, eng abgegrenzte, wenn auch oftmals sehr spezifische Lerngegenstände geht, die sich in eine vorhandene Kompetenz punktuell einfügen, ggf. auch als Feinlernziel zu bezeichnen, zum Beispiel die neu-
Abb. 12.12 Modellraum der Varianten des Lernens in der Arbeit hinsichtlich der Dimensionen Lernziel-Niveau, LernprozessNiveau und Zeithorizont des Lernens
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artige Montage einer einzelnen Fahrzeugkomponente. Ein mittleres Lernziel-Niveau (B) besteht, wenn mehrere Teilziele zugleich angestrebt werden oder eine Kompetenz für mehrere unterschiedliche Situationen angestrebt wird, aber auch dann, wenn ein neues Lernziel in ein komplexes Geflecht bereits vorhandener Kompetenzen eingefügt wird. Ein Lernziel ist als komplex zu bewerten (C), wenn die Kompetenz in einem gesamten Handlungsfeld angestrebt wird, etwa verbunden mit einem neuen Aufgabengebiet, mit der Einbindung in ein ganz neues Arbeitssystem; es kann sich auch um eine tiefgehende Veränderung in den durch die zu entwickelnde Kompetenz angegangenen Arbeitsinhalten handeln. Die Komplexität der Lernziele nimmt jeweils von (A) bis (C) zu. Als niedriges Lernprozess-Niveau (a) ist zu betrachten, wenn beispielsweise lediglich eine dokumentierte Anleitung mit Schritt-für-Schritt-Folge von einer Fachkraft gelesen und umgesetzt wird, um den Austausch eines technischen Teiles zu erlernen und erstmalig durchzuführen. Als mittleres LernprozessNiveau (b) ergibt sich etwa die Verbindung von eigenaktivem Aufnehmen neuer Wissensbestände, aktiver Teilnahme an einem Training durch einen Experten und Anwendung des Gelernten in der Arbeitssituation in mehrfacher Folge. Ein hohes LernprozessNiveau (c) beinhaltet zudem die gezielte Folge aufeinander aufbauender didaktischer Interventionen, deren Wirkung sich z.B. sowohl auf die Wissensakquisition und -nutzung als auch auf die persönliche (oder organisationsbezogene) Entwicklung bezieht. Der Grad der Autonomie des Lerners im Lernprozess spielt in der Folge von (a) bis (c) eine wesentliche Rolle, die Lernprozesse sind tendentiell dahingehend klassifiziert, dass sie eine zunehmende Autonomie des Lerners erfordern. Als kurzfristiger Zeithorizont (1) kann prinzipiell die Zeitspanne zwischen wenigen Minuten bis zu einigen Stunden gelten, also in einem unmittelbaren Zusammenhang von Lernbedarfsentstehung, Lernvorgang und Anwendung des Gelernten, im Normalfall ohne explizites Curriculum und Unterstützung durch professionelle Trainer. Als mittelfristiger Zeithorizont (2) gilt dann die Zeitspanne von mehr als einem Tag bis zu drei Monaten, also ein Lernen mit einigem Vorbereitungsvorlauf für eine nachfolgende Anwendung, vom Arbeitsablauf abgrenzbarem Lernhandeln und dem Aufbau einer umfangreicheren arbeitsbezogenen Qualifikation. Als langfristiger Zeithorizont (3)
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gilt das mit über den Zeitraum von drei Monaten hinausgehender Perspektive angegangene arbeitsbezogene Lernen bis hin zu einer mehrjährigen oder laufbahnbezogenen Orientierung, ggf. auch im Rahmen einer unternehmensstrategischen Lernkampagne. Die Kombination der drei Komponenten LernzielNiveau, Lernprozess-Niveau und Zeithorizont des Lernens führt zu jeweils als typisch (im Sinne einer Typologie) zu bezeichnenden Varianten. Dabei lassen sich grundsätzlich wesentliche Kombinationen von offensichtlich irrelevanten Verbindungen (etwa die Verbindung „komplexes Lernziel-Niveau“ mit einem kurzen Zeithorizont des Lernens) abgrenzen. Auf diesem Weg lassen sich relevante Bereiche im Modellraum des Lernens in der Arbeit abgrenzen. Zwar finden sich auch in der heutigen Arbeit ggf. lernfeindliche Rahmenbedingungen. Sie liegen vor, wenn das Lernen und der damit verbundene Zugriff auf Unterstützungen nicht aus der Arbeit heraus erfolgt, da der Zugang zu bzw. die geeignete Auswahl von unterstützenden Angeboten nicht gefunden oder nicht genutzt wird und kompetenzförderliche Lernaktivitäten von Seiten des Unternehmens nicht angeboten und/oder nicht gefördert werden. Diese Situation ist in der Realität wesentlich in zwei Varianten zu finden: zum einen in tatsächlich eingeschränkten und monotonen Arbeitsbedingungen; diese sind in hochindustrialisierten Umgebungen durch Rationalisierung gefährdet und insgesamt als rückläufig zu betrachten; zum anderen in Situationen, deren Lernerfordernisse nicht wahrgenommen oder akzeptiert werden; die Folge sind dann häufig Fehler und Risiken sowie ggf. Überforderung. Die erste typische Lernsituation bildet mit den beiden nachfolgenden eine erste Gruppe (mit direkt auf die Erfüllung vorhandener Anforderungen ausgerichtetem Charakter). Die zweite Gruppe (Lernsituation vier bis sechs) fokussiert die typischen Lernsituationen, in denen es eher um die Erweiterung von Handlungsoptionen durch Lernen geht. Die erste typische Lernsituation (A/a/1: kurzfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf einfachem Lernziel-Niveau mit niedrigem Lernprozess-Niveau) ist als „Lernen im Interesse des konkreten (technischen) Effekts“ bezeichnet. Das Lernen in der Arbeit und der daraus abzuleitende Zugriff auf das Lernangebot erfolgt, um eine unmittelbare Wirkung zu erreichen, die sich in einer Anlage oder einer Softwareanwendung vollzieht. Das Lernziel ist sehr konkret, die
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
erforderliche Lernunterstützung muss punktgenau gefunden und zugeordnet werden [4]. Die zweite typische Lernsituation (B/a/2: mittelfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf mittlerem Lernziel-Niveau mit niedrigem Lernprozess-Niveau) bezweckt das Lernen zur Erfüllung neuer Vorgaben. Die Lernaktivität aus der Arbeit heraus erfolgt, um eine fremdgesetzte Vorgabe durch die Nutzung des Computers am Arbeitsplatz zu erfüllen. Wenn ein Update durchgeführt wird oder ein Kunde die Verwendung eines bestimmten Programms verlangt, ist die Lernnotwendigkeit von außen vorgegeben, ebenso oftmals der Zeitraum, in dem das Lernen zu erfolgen hat. Das Lernziel ist extern definiert. Die erforderliche Lernunterstützung muss Schritt für Schritt (instruktiv) zur Erfüllung der Vorgaben verhelfen. Die dritte typische Lernsituation (B/b/2: mittelfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf mittlerem Lernziel-Niveau mit mittlerem Lernprozess-Niveau) wird als „Lernen zum Zweck der Rationalisierung und Effektivierung“ definiert. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt, um eine Verbesserung der eigenen Arbeit zu erreichen. Das Lernziel ist auf die Verwendung des Gelernten zur Gestaltung des Vorhandenen gerichtet. Oftmals finden diese Aktivitäten im Zusammenhang von selbstgesetzten Zielen über einen gewissen Zeitraum, etwa ein Geschäftsjahr statt. Es wird dazu vereinbart, bestimmte Optimierungen innerhalb einer Periode zu erreichen, der dazu erforderliche Lernprozess ist weitgehend offen. Die erforderliche Lernunterstützung muss zudem Anregungspotenzial enthalten. Die vierte typische Lernsituation (C/a/3: langfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf komplexem Lernziel-Niveau mit niedrigem Lernprozess-Niveau) führt in das Feld des Lernens zur Erschließung kreativer und gestalterischer Ressourcen. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt, um eine selbstgesetzte, neuartige Arbeitsaufgabe mit dem Arbeitswerkzeug, beispielsweise dem Computer, anzugehen. Das Lernziel ist auf die Erweiterung der bereits vorhandenen Kompetenzen [5], etwa zur Nutzung dieses Werkzeugs selbst, gerichtet. Eine Idee des Lernenden geht dem voraus und leitet den Lernprozess. Die erforderliche Lernunterstützung muss ggf. tief in die Nutzungsoption eindringen. Diese Lernsituation begleitet das Vordringen der lernenden Person
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aus dem Gebiet des durch die Arbeit Vorgegebenen in die Technologiepotenziale hinein. Die fünfte typische Lernsituation (A/b/1: kurzfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf einfachem Lernziel-Niveau mit mittlerem Lernprozess-Niveau) umfasst das Lernen als Außenposten eines Wissenssystems. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt, um aus einer externen Situation heraus, in der die eigene Kompetenz nicht zur Erfüllung der Arbeitsanforderungen ausreicht, auf vorhandenes Wissen zugreifen zu können. Das vorhandene Wissen kann sowohl die durch eine Organisation oder Gruppe zusammengetragenen Daten als auch die Inhalte von Erfahrungen einer Gruppe oder Organisation enthalten. Das Lernziel ist auftragsgebunden. Die erforderliche Lernunterstützung muss für die mobile Situation geeignet sein. Die sechste typische Lernsituation (A/c/1: kurzfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf einfachem Lernziel-Niveau mit hohem Lernprozess-Niveau) enthält das Lernen zur Bewältigung komplexer Diagnosen. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt, um mit Informationsmengen umgehen zu können, die über den eigenen Wissensbereich und die Verarbeitungskapazität hinausgehen. Diese in zunehmender Anzahl vorkommende Situation entsteht infolge der Überlappung mehrerer Professionen und der Notwendigkeit der Berücksichtigung des Wissens benachbarter Fachdisziplinen und Berufe in der eigenen Tätigkeit. Das Lernziel hat einen eher methodischen Charakter. Die erforderliche Lernunterstützung muss die Klärungs- und Interpretationshandlung unterstützen. Die siebte typische Lernsituation bildet mit der achten Lernsituation ein Paar, in dem das in der Arbeit verortete Lernen nicht aufgabenfokussiert, sondern übergreifend angelegt ist. Der Blick des Individuums steht hier dem Interesse der Organisation gegenüber. Die siebte Lernsituation (C/c/3: langfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf komplexem Lernziel-Niveau mit hohem Lernprozess-Niveau) zunächst enthält das selbstinitiierte Lernen im arbeitsbiographischen Interesse. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt, um sich persönlich für zukünftige Lern- und Arbeitsaufgaben besser zu rüsten. Das Lernziel besteht darin, Kompetenzen zu entwickeln, die einen beruflichen Aufstieg bzw. eine Laufbahn eröffnen. Die erforderliche Lernunter-
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stützung muss flexibel und situationsgebunden gestaltet sein. In der achten typischen Lernsituation (C/b/3: langfristiger Zeithorizont des Lernens und Anwendens des Gelernten auf komplexem Lernziel-Niveau mit mittlerem Lernprozess-Niveau) schließlich geht es um das Lernen zum Erwerb von (informellem) Unternehmenswissen. Das Lernen aus der Arbeit heraus erfolgt im Bemühen des Erwerbs von Wissen und Kompetenzen, die im Interesse einer Gesamtorganisation bedeutsam sind. Hier wird beispielweise der Bereich der Unternehmensziele und der Visionen bearbeitet. Das Lernziel ist auf die Integration und Strukturierung von bestehenden Kompetenzen ausgerichtet. Die erforderliche Lernunterstützung muss Raum zur Eigeninterpretation und Entwicklung eigener Ideen geben. Die Möglichkeiten der Unterstützung des in der Arbeit enthaltenen, selbstorganisiert bewältigten Lernens orientieren sich an der Unterschiedlichkeit der Rahmenbedingungen. Das Lernen im Interesse des konkreten (technischen) Effektes lässt sich beispielsweise durch die Entwicklung von adäquaten technischen Hilfsdiensten („Hotlines“) in die offenen Wissensdomänen (Internet, spezifische Datenspeicher) entfalten. Die typische Lernsituation, in der ein direkter technischer Effekt angestrebt wird, z. B. die neue Funktionsweise eines vorhandenen CNC-Bearbeitungszentrums, verlangt nach der elektronischen Suche und Hilfe. Diese muss zeitnah, nutzeradäquat und spezifisch an den Arbeitsort gelangen. Der technische Effekt durch informelles Lernen wird praktisch oft erwartet, lässt sich jedoch selten unmittelbar erreichen. Die technischen Services sind zumeist nicht in der Lage, sich auf die spezifische Situation eines Lerners vor Ort einzustellen. Zudem befinden sich zahlreiche Lösungen und Hilfen zwar in der Öffentlichkeit (besonderes ausgebaut bei Inhalten wie Software-Anwendungen, z. B. Dreamweaver), die Zuordnung in den offenen Wissensdomänen ist gerade in den Werkstattbereichen jedoch wesentlich problematischer als in den bereits funktionierenden Internet-affinen Anwendungen. Hier sind neue Lösungen zu suchen, die auch mit intelligenten elektronischen Agenten arbeiten. Ein Beispielbereich ist die Facharbeit an einer computergesteuerten, vernetzten CNC-Bearbeitungsstation in der spanenden Fertigung. Das Lernen zur Erfüllung von neuen Vorgaben lässt sich voraussichtlich durch Lernsysteme mit sukzes-
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siver Freigabe nach angemessenem Kompetenzfortschritt erleichtern. Variierende neue und fremdgesetzte Vorgaben, die oftmals in kurzzyklischen Zeitabschnitten bearbeitet werden müssen, sind das charakteristische Merkmal dieser Lernsituation. Durch das Arbeitsmittel Computer wird die Bearbeitung der Vorgabe ermöglicht, ist aber auch gleichzeitig Auslöser für neue Lernprozesse. Am Arbeitsplatz ist beispielsweise die Erfüllung neuer Aufgabenstellungen lediglich möglich, wenn der Umgang mit einem neuen Arbeitsmittel erlernt wird. Zur Aneignung werden durch die vorgesetzte Stelle Zeit und Mittel eingeräumt, allerdings muss die lernende Person innerhalb einer vorgegebenen Phase die neuen Kompetenzen erworben haben, da im Anschluss die Erfüllung der gestellten Aufgabe erwartet wird. Ein Beispielbereich ist die Aufgabe der Bearbeitung von Ausstattungslayouts mit einem modifizierten CAD-Programm, welches nach vorgegebener Zeit adaptiert sein muss. Das Lernen zum Zweck der Rationalisierung und der Effektivierung findet in einer durch aufgabenverursachte Zwänge bestimmten Situation statt. Die Arbeit ist häufig durch Stress und strukturelle Überforderung gekennzeichnet, in dieser Lage hilft der arbeitenden und lernenden Person lediglich eine in die Drucksituation eingepasste Didaktik. Auch die Notwendigkeit der Rationalisierung und Effektivierung ist häufig nicht durch eigenen Wunsch, sondern durch zwingende Vorgabe gegeben. Die zu diesen Rahmenbedingungen passenden informellen Lernunterstützungen müssen zu dem Zwangscharakter der „Treiber“ des Lernens passen. Während die Arbeitspraxis zumeist durch strukturell organisierte Handlungszwänge, hohe Belastungen und dichte Ablauffolge geprägt ist, setzen die meisten Ansätze des informellen Lernens auf Attraktivität, freien Wunsch und Annehmlichkeit. Demgegenüber ist zu erwägen, welche auch über Druck verfügbaren und daher vom Mitarbeiter akzeptierten Lernunterstützungen existieren und zu verbessern wären. So wird in einem Baustellen-Montageablauf über die Terminplanung ein Lerneffekt fest vorgesehen, wenn mehrfach auszuführende Arbeiten mit kürzer werdenden (degressiven) Zeitbudgets geplant werden. Die Einlösung der Vorgaben (und des dazu erforderlichen Lernprozesses) wird häufig in die Verantwortung der ausführenden Fachkräfte gegeben. Dem entgegengesetzt basiert das Lernen zur Erschließung kreativer und gestalterischer Ressourcen auf der selbstbestimmten Eigenaktivität der Lernen-
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
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Tabelle 12.1 Übersicht von Lernanlässen in der Arbeit und potenziell adäquaten Unterstützungen, hier insbesondere durch einen Tutor typische Lerneraktivität in der Arbeit
dafür adäquate Unterstützung durch einen Lehrenden (Tutor)
Lernen im Interesse des konkreten (technischen) Effekts
schnelle Hilfe im Sinne einer Hotline, d. h. der Tutor muss in der Lage sein, auf die häufigsten akuten Anliegen rasch eine passende Zulieferung zu vermitteln
Lernen zur Erfüllung neuer Vorgaben
Ausrichtung der Unterstützung an den für den Lernenden relevanten Lernzielen, die überwiegend fremdbestimmt sind
Lernen zum Zweck der Rationalisierung und Effektivierung
Beteiligung des Tutors an der Suche des Lernenden nach verbessernden Lösungen, erbracht durch methodische Hinweise, Vermittlung von hilfreichen Kontakten und bereits existenten guten Erfahrungen
Lernen zur Erschließung kreativer und gestalterischer Ressourcen
Unterstützung des Lernenden bei der Erkundung neuer Kompetenzen an den Grenzen des jeweiligen bisherigen Wissens
Lernen als Außenposten eines Wissenssystems
Anleitung bei der Nutzung technischer und methodischer Werkzeuge, etwa Datenbanken, Dokumentationen oder Groupware
Lernen zur Bewältigung komplexer Diagnosen
fachgebietsübergreifende Verknüpfungen durch den Tutor, auch im Sinne einer gezielten Verbindung mit einzelnen Fachexperten
Selbstinitiiertes Lernen im arbeitsbiographischen Interesse
Begleitung und Beratung über einen längeren Zeitraum hinweg, nicht durch unmittelbare Nutzenorientierung gebunden
Lernen zum Erwerb impliziten Unternehmenswissens
Übernahme einer Rolle im Rahmen der (strategisch) geplanten und realisierten Lernkampagne
den. Eine Unterstützung bietet ggf. der kollaborative Transfer von neuen Ideen und Lösungen. Eine Arbeitssituation, die bestimmt ist durch die auftragsbedingte rasche Generierung von kreativen Lösungen und neuen Ideen, benötigt den kollaborativen Austausch mit Experten des selben Fachgebiets sowie den schnellen Zugriff auf geeignete Instrumente der Umsetzung. Die permanente selbstinitiierte Suche nach kreativen Lösungen und innovativen Ideen bestimmt in weiten Anteilen die Arbeit in gestalterischen Tätigkeiten, z. B. im Bereich Design, Marketing, aber auch in der Gestaltung von innovativen Bildungsdienstleistungen. So stellen sich moderne Bildungsanbieter der Herausforderung, aus der akuten Anforderung spezifische und aktuelle Angebote zu entwickeln und umzusetzen. Die Suche nach geeigneten Instrumenten oder entsprechender Software für die Umsetzung der Ideen erfolgt ideengetrieben und oftmals im kollaborativen Austausch mit Experten im Netz. Ist die Einbindung in ein Expertennetzwerk nicht gegeben, erfolgt eine Erweiterung der vorhandenen Kompetenzen durch die Erforschung von ähnlichen Produkten oder Dienstleistungen. Im Falle des Lernens als Außenposten eines Wissenssystems wirken mobile Zugänge zu stationären
Communities förderlich. Die mobil oder an wechselnden Orten außerhalb eines Unternehmensstandortes (bzw. auch innerhalb eines Gruppenbereiches mit zu unterschiedlichen Zeiten anwesenden Fachkräften) tätigen Fachkräfte benötigen zum Lernen den komfortablen Zugang zum Heimatort (bzw. gemeinsamen Wissens- und Erfahrungspool). Dabei bieten sich kommende technische Lösungen mittels semantischer Netzwerke, PDA, Augmented Reality oder WLAN für erweiterte Unterstützung an. Fachkräfte, die etwa im Falle einer ernsthaften Störung den Service beim Kunden bzw. Nutzer vor Ort übernehmen, suchen für das anlassgetriebene Lernen die dezentrale Integration zu stationären Knowledge Communities durch mobile Zugänge. Es ist zu erkunden, welche Möglichkeiten die in der Markteinführung befindlichen mobilen technischen Lösungen in diesen Arbeitssituationen bieten, und wie ihre Gestaltung aussehen muss um hilfreich zu wirken. So ist – als ein Teilaspekt – zu erkunden, wie in dem begrenzten Display eines PDA geeignete Lernanwendungen auszusehen haben. Das Lernen zur Bewältigung komplexer Diagnosen erfolgt in einer Arbeitssituation, in der die Fachkraft zahlreiche fremde Informationen berücksichtigen muss. Sie verlangt nach kooperativ wechselsei-
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tigen Interpretationen etwa mittels eines elektronischen Unterstützungssystems, welches auswertet, visualisiert, verknüpft und erklärt. Dabei handelt es sich um Interpretationsverfahren für Expertenwissen. Die Arbeitsanforderung, eine eigene Leistung unter Berücksichtigung vielfältiger Informationen kooperierender Kollegen und involvierter Fachgebiete zu erbringen, führt dazu, in Grenzen zu erlernen, was den anderen Disziplinen entspringt. So muss der programmierende Projektleiter bei der Auswahl, Anpassung und Einführung einer neuen Anwendung zahlreiche Beiträge aus anderen Fachgebieten interpretieren und „übersetzen“. Es fehlen bislang jedoch entsprechende interpretierende, veranschaulichende und zusammenführende Unterstützungen für diesbezügliche Lernprozesse, die in die Bereiche komplementären Wissens eindringen. Das selbstinitiierte Lernen im arbeitsbiographischen Interesse richtet sich auf die Eröffnung zukünftiger individueller Chancen. In der heutigen Arbeitswelt ist der selbstgesteuerte und sichere Umgang mit Arbeitsaufgaben und Arbeitsmitteln eine grundlegende Kompetenz, um den vielfältigen Arbeitsanforderungen gewachsen zu sein, die oftmals über den bisherigen Kompetenzbereich hinausgehen. Dennoch erfolgt dieser Umgang nicht nur, um den von außen vorgegebenen Anforderungen gerecht zu werden, sondern auch aus der eigenen Erkenntnis und dem Bestreben heraus, durch selbstinitiierte Lernaktivitäten Schlüsselkompetenzen zu erwerben, die eine berufliche Perspektive erschließen. Zu erkennen und anzusprechen sind in derartigen Lernsituationen die Auslöser von selbstinitiierten Lernaktivitäten, die dabei verwendeten (Lern-)Technologien sowie das Zusammenspiel von individueller Lernmotivation und der organisationalen Lernkultur. Das Lernen zum Erwerb (impliziten) Unternehmenswissens wird von Organisationsseite an die lernenden Personen herangetragen. In großen Organisationen besteht die Notwendigkeit, über die Kompetenz für die eigene Arbeit hinaus auch eine Beziehung zum Gesamtgefüge des Unternehmens, ggf. zu einem Gesamtprodukt, zum Markt, Nutzer oder Kunden aufzubauen. Da hier nur in geringem Umfang unmittelbares Lernen möglich ist, öffnen nondirektive Zugänge diesen Bereich des Lernens über entfernte und übergreifende Prozesse. Als Beispiel lässt sich ein Arbeitssystem anführen, in dem Produktionsanlagen für unternehmenseigene Werke entwickelt, gefertigt und mon-
12 Personalmanagement
tiert werden. Um einen optimalen Arbeitszugang zu garantieren, ist wichtig, dass die Fachkraft grundlegende Unternehmensziele des Konzerns versteht und berücksichtigt, die dem konkreten Arbeitsauftrag nicht unmittelbar zu entnehmen sind. So besteht ein Monopol und internes Know-how für bestimmte Teillösungen, die deswegen nicht von Fremdzulieferern, sondern (aufwändig) selbst zu erstellen sind. Das Verständnis für diese Unternehmenspolitik wird den Mitarbeitern mittels arbeitsnahen Lernens angetragen. Es umfasst allgemeine, nicht konkrete Lerninhalte, die dennoch unmittelbar in der Arbeitsausführung wirksam werden. Der Bereich des selbstorganisierten Lernens ist einerseits von zunehmender Bedeutung und für die in einem Arbeitszusammenhang befindlichen Personen vordringlich, aber seitens der Didaktik noch wenig erschlossen. Es ist als eine Aufgabe der Zukunft zu verstehen, in diesem Feld weitergehende Erkenntnisse zu erlangen und Lösungen zu entwickeln.
12.4.2 Die Entwicklungsstränge arbeitsbezogenen Lernens Die betriebliche Qualifizierung richtet sich auf die Befähigung und Förderung der arbeitenden Personen für ihre (künftigen) Arbeitsaufgaben. Sie unterscheidet sich von der außerhalb der betrieblichen Arbeit stattfindenden (Berufs-)Bildung durch die angestrebte enge Verbindung mit Arbeitshandlungen und -erfordernissen. Neben den aus der nicht-betrieblichen (Berufs-)Bildung bekannten formal organisierten Lernarrangements haben in diesem Bereich informelle Lernprozesse eine große Bedeutung. Der Begriff der formalen Lernprozesse bezieht sich auf explizit entsprechend ausgewiesene Lernveranstaltungen mit definiertem Inhalt, die sich zertifizieren lassen, wenn eine zum vermittelten Inhalt passende Prüfung erfolgreich bestanden wurde. Aspekte der Formalität sind die Abgegrenztheit der Lernhandlung als Bildungssituation gegenüber der Arbeitssituation, die Vorausbestimmung der Lerninhalte auf Basis eines beschriebenen Curriculums und die Anerkennung der Bildungsmaßnahme durch eine kompetente Stelle. Im höchsten Grad der Formalität findet die Lernpraxis in einer reinen Bildungseinrichtung statt, das Curriculum ist als Rahmenlehrplan vereinbart und ver-
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
857
Technologieimmanentes Lernen
Learning Communities
Arbeitsnahes Lernen
Mediales Lernen Medialisiertes traditionelles Training
Neue Lernformen
Selbstgesteuertes Lernen
Traditionelles Training Optimiertes traditionelles Training
Neuro - psychologisch begründete Lernfomen
Abb. 12.13 Entwicklungsrichtungen des beruflichen Lernens
öffentlicht und es besteht eine allgemeine staatliche Anerkennung, die den erfolgreichen Absolventen berechtigt, einen allgemein anerkannten Titel zu führen, wenn er die dazugehörige Prüfung bestanden hat. Nicht formale Lernprozesse sind entweder als Vorstadium zum formalen Lernprozess oder als Lernprozess in einem nicht formalisierten Rahmenzusammenhang zu erkennen. Im Berichtssystem Weiterbildung [6] wird die Definition der informellen beruflichen Weiterbildung ausgeweitet u. a. auf berufsbezogene Besuche von Fachmessen oder Kongressen, Teilnahme an Vorträgen, Unterweisung am Arbeitsplatz, selbstgesteuertes Lernen mit Hilfe von Medien, planmäßiger Arbeitseinsatz in unterschiedlichen Abteilungen, Qualitätszirkel sowie Lesen von berufsbezogener Fachliteratur. Der nicht formalisierte Rahmenzusammenhang basiert auf der Koppelung von Lern- und Arbeitspraxis, dem lediglich materiell, dramaturgisch und strukturell im Vorhinein festgelegten Lerninhalt und dem zunächst auf die Besserung der individuellen Praxis des Lernenden ausgerichteten Zweck – anstatt in Richtung der Bewertung durch einen Dritten oder die Erlangung eines Zertifikats. Das arbeitsbezogene Lernen entfaltet sich in drei Bereichen. Dabei wird der Teil der formal organisierten Bildung, vertreten vor allem durch das traditionelle Training (Seminar, Unterricht), substituiert durch elektronisch-mediales Lernen (Multimedia, Internet, Distance Learning) und neue Lernformen (Verbindung von Arbeiten und Lernen, selbstorganisiertes Lernen, Nutzung neuer Erkenntnisse aus der Lernforschung) (s. Abb. 12.13). Die beiden substituierenden Trends haben bislang relativ wenig Verbindung untereinander,
d. h., es gibt kaum elektronisch-mediale Lernanwendungen, die neue Lernformen aufgreifen. In den kommenden Jahren werden diese Verbindungen entstehen, z. B. durch die Kombination von arbeitsintegriertem Lernen und in Arbeitsmitteln enthaltenen Lernanwendungen. Das traditionelle Training kann dann seine Position halten, wenn es seine Güte optimiert (exzellenter, intensiver Vortrag, konzentrierter, spezifisch ausgerichteter, aktueller Inhalt). Neue (berufsbezogene) Lernformen streben seit Jahren eine Intensivierung und Umorientierung des Lernens an, sie richten sich auf Eigenaktivität und Verbindung zwischen Arbeiten und Lernen aus. Selbstgesteuertes Lernen in verschiedenen Varianten basiert auf einem Lernarrangement, welches durch den Lernenden eingerichtet, manipuliert und vernetzt wird; der Lehrende (Tutor) ist eher Coach als Wissensträger. Beispiele finden sich im Lernen anhand betrieblicher Situationsaufgaben, Lernen im Rahmen unmittelbar laufender Aufträge sowie Lernen in der interdisziplinären Kooperation bei Entwicklungsprozessen. Arbeitsnahes Lernen nimmt den Anwendungsort des Gelernten als Mittelpunkt und richtet den Lerninhalt sowie die Abfolge des Lernens an den Arbeitsprozessen aus. Beispiele dafür sind autodidaktisches Lernen unter Nutzung offener Wissensdomänen oder selbstorganisiertes Lernen in dezentral verantwortlichen Arbeitsgruppen. Aktuelle Forschungsergebnisse und professionalisierte Methoden und Instrumentarien ermöglichen eine seriöse Anwendung bislang obskurer Lernformen, die das Gehirn/die Sinne unmittelbar ansprechen. Beispiele sind die Nutzung von mentalen Prozessroutinen wie
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beim Mind Mapping, die spezielle Ansprache von Aktivitäts- und Ruhephasen, die Ansprache von unterschiedlichen Funktionen der Gehirnregionen sowie die direkte Ansprache der Sinne durch technologische Lernhilfen (in der Folge des sog. elektronischen Handrades). Elektronisch-mediales Lernen wird bislang vor allem als multimediale Version traditionellen Trainings realisiert: vorgefertigte Wissensinhalte werden multimedial aufbereitet und präsentiert. Beispiele dafür sind CBT und WBT, also weitgehend fertig programmierte und mit interaktiven Elementen angereicherte Lernmodule. Die Zukunft liegt eher im Lernen in „Learning Communities“ (und der Entstehung sog. „kollektiver Intelligenz“ innerhalb des erwarteten web 2.0), in denen die Beteiligten laufend selber Inhalte kreieren und keine definierten „Wissensvermittler“ mehr agieren. Als Beispiele dafür können Internetbasierte Nutzer- und Lernergemeinschaften gelten, die sich um einzelne Produkte (z. B. PDA) oder Themen (z. B. Sprachlernen) bilden. Ein weiterer Entwicklungsstrang führt zu in Technologien selbst enthaltenen Lernanwendungen, die sich eigenaktiv melden und den Nutzer unterstützen, und zu technologischen Lernumgebungen, in denen sich die Lernenden treffen (z. B. simulativ-virtuelle Umgebungen). Beispiele dafür sind Online-Diagnose Systeme in Verbindung mit technischem „Support on Demand“ und FAQ-Services für Fertigungstechnologien. Unter den verschiedenen, sich entwickelnden lernrelevanten Technologien ist der Stellenwert der Informationstechnologien zurzeit herausgehoben (künftig mögen auch andere, etwa Nanotechnologien, hinzutreten). Vor allem der Umgang mit Wissen, Kommunikation und Dokumentation (Gedächtnis, Speicher) weist intensive Interdependenzen mit diesem Technologiebereich aus. Informationstechnologien sind überwiegend eingebunden in ein Feld andersgerichteter Technologien. Zur Bewertung der Lernrelevanz ist eine Typisierung der Technologien und technischen Systeme nach Einsatzbereich (z. B. Fertigungstechnik, Medizintechnik, Lebensmitteltechnik, Drucktechnik), nach Wirkungsweise (z. B. Informationsübertragung, Umformung, Verbindung, zeichnerischer Entwurf), nach verwendetem Verfahrenstyp (z. B. Hydraulik, Pneumatik, Elektronik, Mechanik, chemische Reaktion, Photonik, Sensorik) und nach Integration (z. B. Einzeltechnologie, vernetzte Technologie, eingebundene Technologie) sinnvoll.
12 Personalmanagement
12.4.3 Die qualitative Expansion elektronischen Lernens Aktuelle Entwicklungen verbessern die Geschwindigkeit, die Leistungsfähigkeit und das Zusammenspiel der Technologien. Sie bilden damit nicht nur inhaltliche Bestandteile der beruflichen Kompetenz, sondern auch – als Nebenwirkung oder als Hauptzweck – technische Unterstützungen des Lernens. Zu den lernrelevanten Informationstechnologien gehören vier Gruppen: • die ausdrücklich als solche bezeichneten Lerntechnologien, • die in Arbeitsmitteln enthaltenen Lerntechnologien, • die Technologien mit impliziten Lernfunktionalitäten, • das Zusammenspiel neuer Formen der Arbeitsorganisation und des diesbezüglichen Lernens mit Technologien. Explizite Lerntechnologien haben die direkte Aufgabe, das Lernen zu unterstützen. Zu ihnen gehören Lernanwendungen, die in der Tradition des computerbasierten modularen Lernens stehen. Zu unterscheiden sind: • Unterstützungstechnologien für formell organisierte Lernprozesse, d. h. nach einem inhaltlich feststehenden Programm ablaufendes Lernen in organisiertem Rahmen; dazu zählen Unterricht, Seminar oder Einzellernen, wenn deren Schwerpunkte auf das Erlernen eines vorhandenen Lernstoffs festgelegt wurde, • Technologien zur Verwendung in informellen Lernprozessen, die vor allem im akuten, nicht als Lernsituation gestalteten Arbeitszusammenhang stattfinden; sie werden von den Lernenden ausgelöst und beziehen sich auf den konkreten Moment des Bedarfs an Lerninhalt; die einzelne Lerneinheit ist modular – also in sich vollständig – oder tutoriell aufgebaut – also mit direkter Beratung verbunden, • Infrastrukturelle Technologien, d. h. elektronische Plattformen und Portale, die eine Beteiligung in elektronischen Märkten und in „Learning Communities“ offerieren. Die Ausstattung von Arbeitsmitteln mit Lerntechnologien ist begründet durch die häufig vorhandene Komplexität der Arbeitstechnologien. Sie verfügen oft-
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
mals ohnehin über eine Hardwareausstattung (Display, Speicher, Vernetzung etc.), die auch der Lernanwendung eine informationstechnische Basis gibt. Zu unterscheiden sind: • Lerntechnologien, die innerhalb von technischen Systemen als Selbstlernanwendungen wirken, z. B. elektronische Handbücher auf Basis von Cross Media Publishing, Trainingssimulationen oder elektronische Trainingsagenten, • Lerntechnologien, die die Arbeitstechnologien verwenden, um mit den Lernenden zu interagieren; so wirken dynamische arbeitssystembezogene Wissensdatenbanken oder Groupware-Applikationen, die den Erfahrungsaustausch zwischen Lernenden möglich machen.
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tionalitäten sind praktisch in keinem Fall vollständig abgefordert. Ein wesentlicher Grund für die Überlegenheit neuer arbeitsnaher Lernformen ist, dass sie die Beherrschung und Verwendung von komplexen Technologien unterstützen. Deren Potenziale kommen vor allem durch den Einsatz kreativer und projektbasierter Lernformen zur Geltung. Verborgene Lernprozesse finden dadurch statt, dass sich die jeweilige arbeitende Person mehr als früher in einem ständigen Kooperationsgefüge mit anderen Personen und mit Maschinerien befindet, deren Lernprozesse sich auf ihre Arbeit auswirken.
12.4.4 Formen der Verbindung von Arbeiten und Lernen Innerhalb der Arbeitstechnologien, die Lernfunktionalitäten übernehmen, entstehen sukzessive selber neue Lernprozesse. Lernen ist dadurch Bestandteil des Arbeitseinsatzes selbst und ist von der Arbeitsleistung nicht mehr zu differenzieren. Die „lernenden“ Technologien sind: • autonome Technologien wie Robotiksysteme, die regelmäßige „Teachings“ durchlaufen und so einen Fundus an Erlerntem und Erfahrenem anlegen, der für die weitere Aktivität genutzt wird, • vernetzte Technologien wie CAD-CAM-Systeme, die den miteinander verbundenen Fachkräften eine Grundlage bieten für gemeinsames Lernen und Gestalten; der technologische Charakter der Verbindung wird von den Menschen immer weniger als störend wahrgenommen, • Netzwerke, wie betriebliche Intranet-Anwendungen, erzeugen einen andauernden, selbsttätig dokumentierenden Interaktionsrahmen zwischen Arbeitspersonen und Arbeitssystemen. Das Zusammenspiel arbeitsintegrierten Lernens mit Technologien gewinnt an Intensität, weil Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf viele Köpfe verteilt werden, weil die Teams ihre eigene Leistung autonom abstimmen, weil die jeweiligen Arbeitsaufgaben vollständig übergeben werden. Arbeitstechnologien enthalten vermehrt implizite Lernanforderungen durch ihre kontinuierliche Weiterentwicklung (bis hin zu Updates im Streaming Mode). Dabei geht das in einer Technologie angelegte Einsatzpotenzial jederzeit weit über die tatsächlich realisierten Aktionen hinaus, die in einer Software möglichen Funk-
Die Verbindung von Lernen und Arbeiten, die sich in den entstehenden arbeitsnahen Formen des Lernens in den letzten Jahren intensiviert hat, wurde auch vorher schon praktiziert und wissenschaftlich erörtert. Einerseits widmeten sich die Erziehungswissenschaften lange Zeit überwiegend der schulischen Seite des beruflichen Lernens. „Andererseits bemühten sich die ersten Ansätze einer eigenständigen auf industrielle Arbeitsprozesse bezogenen Arbeitspädagogik um eine wechselseitige Anpassung von Mensch und Arbeit: Einerseits geht es darin um die Entwicklung von geeigneten Anlernverfahren und Motivationstechniken zur Verbesserung der Arbeitsleistung, andererseits um eine Gestaltung der Arbeitsorganisation, die in ihre Überlegungen die psychischen Voraussetzungen des Menschen einbezieht und das Individuum als ganzheitliche Person für die Bewältigung der Arbeitsaufgaben zu nutzen versucht“ [7]. Die Entwicklung der unterschiedlich weitgehenden Verbindung von Arbeiten und Lernen [8] ergab sich zumeist nicht ausdrücklich unter diesem Anspruch („Verbindung von Arbeiten und Lernen“) – wie in der nachfolgenden klassifizierenden Zusammenstellung deutlich wird –, sondern ist als zusätzlicher Effekt zu sehen, der sich im Rahmen anderer Zusammenhänge ergab. So stellt Severing arbeitsplatznahe Qualifizierungsmethoden in neuer und traditioneller Form zusammen. Er diskutiert die Vielfalt der entwickelten Ansätze und vergleicht insbesondere Qualitätszirkel, Lerninseln, Erkunden und Präsentieren, Projektmethode, Leittext-Methode, Job Rotation, Computer Based
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Training am Arbeitsplatz und selbständiges Lernen am Arbeitsplatz. Zwischen den unterschiedlichen Varianten des betrieblichen Lernens zeigt sich eine erhebliche Spanne der Unterschiedlichkeit. Auf der einen Seite stehen technologisch basierte Ansätze wie z. B. computergestützten Lerntools. Baumgartner [9] differenziert dabei Lernsoftware und Bildungssoftware; er versteht „unter Lernsoftware jene Programme, die speziell für Lernzwecke entwickelt und programmiert wurden (z. B. ein Sprachlernprogramm). Im Programm ist bereits ein bestimmtes didaktisches Konzept realisiert (z. B. Lückentests), das sowohl einen ganz bestimmten Lerninhalt (z. B. französische Grammatik) zum Gegenstand hat und sich auf eine mehr oder weniger klar definierte Zielgruppe (z. B. Französisch-Anfänger) ausrichtet. . . . Bildungssoftware hingegen ist kein bestimmter Typus von Software, sondern stellt eine bestimmte Benutzungsart der Programme dar. Dazu zählt dann z. B. eine CD ROM mit Zeitungstexten aus ‚le Monde‘ [9, S. 244 ff.]. Mandl u. a. betonen, dass technologische Lernumgebungen lediglich in Grenzen dazu beitragen können „die Distanz zwischen Lernsituation und Anwendungssituation zu minimieren und so das Ausmaß an geleisteter Authentizität zu maximieren; vollständig geschlossen werden kann die Kluft durch solche Systeme nicht“. Auf der anderen Seite stehen strukturelle Ansätze wie z. B. die Lernende Organisation. Senge [10] bezeichnet lernende Organisationen als Organisationen, „in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeit entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen“. In einem Überblick lassen sich mehrere Gruppen ähnlicher Modelle zuordnen. Die Zuordnungspositionen beziehen sich zum einen auf die Frage, ob es sich eher um aus der Arbeit entspringende bzw. die Arbeit gestaltende Ansätze handelt oder eher um auf die Lerntätigkeit ausgerichtete Ansätze; zum anderen auf die Frage, ob die Kerneigenschaft der Lernform eher in einer Partikularisierung (zum Teil als Modularisierung) besteht, die miteinander verbundenes Lernen und Arbeiten ermöglicht, oder ob sie eher die Vervollständigung beider Aspekte zu einer unmittelbaren Einheit ist. Grundsätzlich bedeuten die Pole: „Gestaltung der Arbeit“, „Gestaltung des Lernens“, „Vollständigkeit“ und „Partikularisierung“ (s. Abb. 12.14):
12 Personalmanagement
Gestaltung der Arbeit Die Organisation der Arbeit strebt eine intensivere Nutzung der menschlichen Kompetenzen an. Auf diese Weise lassen sich komplexe, flexible Wertschöpfungsprozesse bewältigen. Unbekannte Anteile in den Aufträgen werden zur alltäglichen Erfahrung. Sie entspringen den kundenspezifischen Varianten und den Innovationen im Produkt. In der Arbeitstätigkeit wird durch akutes Lernen auf diese unbekannten Anteile eingegangen. Lernen ist somit selbst ein Element der Wertschöpfung. Gerade in einer hochentwickelten Wirtschaft ist die Vergabe von Aufträgen mit der Bedingung verbunden, dass der Auftragnehmer in der Lage ist, die Spezifika und die hohen Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Es gibt aus diesem Grund ein Interesse seitens der Wirtschaft, die Arbeit lerneffektiv zu organisieren: „Das Überleben vieler Unternehmen am Standort Deutschland wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, die ‚Lernfähigkeit der Unternehmen‘ . . . auf allen Ebenen deutlich zu erhöhen, um eine internationale Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis hoher Innovationsfähigkeit zu gewährleisten. Eine ‚lernende Organisation‘ lässt sich auf den verschiedenen Ebenen des Lernens durch unterschiedliche Maßnahmen fördern. Hierzu zählen beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung der Kundennähe als der wichtigsten Antenne für das Erkennen veränderter Anforderungen auf den relevanten Märkten; Förderung einer aufgeschlossenen und motivierenden Unternehmenskultur; eine Konzentration des Unternehmens auf die zentralen Kernprozesse . . . , um die knappen Ressourcen und zeitlichen Spielräume für das Lernen bezüglich dieser Prozesse und Leistungen zu nutzen; Maßnahmen zur individuellen Weiterqualifizierung oder genauer: Maßnahmen zur Förderung des Könnens, Wollens und Dürfens des eigenen Personals; ein Führungsstil, der geeignet ist, das Lernverhalten des Unternehmens, der Gruppen und der Individuen positiv zu fördern; interne organisatorische Maßnahmen zur Förderung der Lernfähigkeit; Maßnahmen zur Intensivierung der Kontakte zu den wichtigsten Kooperationspartnern; gerade für kleine und mittlere Unternehmen erfordert die Innovationsfähigkeit eine enge Kooperation mit anderen Unternehmen . . . ; eine geeignete informations- und kommunikationstechnologische Infrastruktur“ [11]. Daher werden aus der Perspektive der Verbesserung der Arbeit heraus neue Formen des Lernens entwickelt und eingeführt.
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
861
Ganzheitliche Ansätze
Personalentwicklung
lernende Organisation
konstruktivistische Ansätze Gestaltung der Arbeit
Parallelwelten
Gestaltung des Lernens
dezentrales Lernen
implizites Lernen
institutionalisierte Verbindungen
modulare Konzepte
futuristische Ansätze Fragmente neuen Lernens
Abb. 12.14 Ansätze der Verbindung von Arbeit und Lernen in einem Koordinatenkreuz aus den Spannungspaaren Gestaltung der Arbeit/Gestaltung des Lernens und Vollständigkeit/Partikularisierung
Gestaltung des Lernens Seit einiger Zeit sind traditionelle Formen des Lernens infrage gestellt. Wesentliche Probleme tradierter betrieblicher Bildungsformen entstehen aus der Unangemessenheit der Inhalte, der Vernachlässigung geeigneter didaktischer Methoden, der Unangemessenheit der Organisationsformen. „Viele traditionelle Lernformen implizieren die Unselbständigkeit des Lernenden im Lernprozess“ [12]. Dies betrifft sowohl die passiv-rezipierenden Formen (Frontalunterricht, nachvollziehendes Lernen) als auch die in Theorie und Praxis separierenden Formen. Sie sind zum einen an die Lernleistungsgrenzen gestoßen, zum anderen sträuben sich aktuelle Lerngegenstände gegen diese Lernzugänge. Neue Lernformen versuchen in Handlungsarrangements eine Verbindung von Ernstfallsituation, Einbettung in den Zusammenhang und Entdeckung neuer Lösungen zu erreichen. Hingegen zeigen sich z. B. neue Ansätze als besonders anregend und wirkungsvoll: „Zusammenfassend kann bilanziert werden, dass Lern- und Arbeitsaufgaben – wie Berichte der Praktiker zeigen – in ihrer Vielfältigkeit erstaunliche Poten-
ziale für Lerner-orientierte Ausbildungskonzepte beim beruflichen Lernen besitzen. Ihr häufiger und zumeist erfolgreicher Einsatz könnte Lern- und Arbeitsaufgaben in den Rang einer Makromethode heben, die auf verschiedene Themen und Ausbildungsbereiche anwendbar sind“ [13]. Um das Lernen adäquat zu organisieren, wird es mit Elementen der Arbeit verbunden.
Vollständigkeit Die Zergliederung der Wissensgebiete in Fachdisziplinen hat – ebenso wie die vertikale und horizontale Teilung der Arbeit – nur ein begrenztes Potenzial, mit komplexen Arbeitssystemen und Arbeitsaufgaben zurechtzukommen. Vernetzung und systemische Einbindung der Arbeitsleistung jeder beteiligten Person in einer Gesamtwertschöpfung machen eine Verkoppelung mit umliegenden Arbeitstätigen und Arbeitssystemen erforderlich. Kompetenzbereiche und Berufsprofile überlagern sich und greifen ineinander. Für jeden einzelnen Arbeitstätigen ist zur erfolgreichen Bewältigung der eigenen Aufgabe das Denken
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und Handeln in Zusammenhängen – mit den Handlungen der anderen Personen, die im gleichen organisatorischen Umfeld arbeiten oder am gleichen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind – erforderlich. Den vor diesem Hintergrund entstandenen arbeitsgestalterischen und arbeitspädagogischen Ansätzen ist die Intention gemeinsam, der Unzulänglichkeit der Teiligkeit eine Vervollständigung von Arbeitshandlungen und Vollständigkeit der Lernarrangements entgegenzusetzen: „Reale Arbeitsstrukturen enthalten Aufgaben, welche in unterschiedlicher Art und Weise inhaltlich bestimmt, benannt, abgegrenzt und verteilt sind. Auch wenn man davon ausgeht, dass in abgegrenzten Berufsfeldern . . . gemeinsame Aufgabenelemente zu finden sind, bleibt als lösungsbedürftiges Problem bei der pädagogischen Entwicklung von Lernaufgaben und Lernaufgabensystemen das des Umgangs mit den Folgen der Arbeitsteilung bestehen. Aus bildungstheoretischer Perspektive besteht bekanntlich die Auffassung, dass nicht jede Aufgabenstellung, sondern nur vollständige (‚ganzheitliche‘) Aufgaben einen sinnvollen Lernaufgabeninhalt repräsentieren“. Witzgall [14] bezieht sich dabei auf die Gestaltung des Lernens; Pack und Buck [15] stellen diesen Zusammenhang bezogen auf die geeignete Gestaltung der Arbeit dar und stellen die Anforderung der Vollständigkeit neben die im Tätigkeitsbewertungssystem TBS verwendeten Hauptkategorien der Kooperations- und Kommunikationsanforderungen, Verantwortung für das Arbeitsergebnis, Denk- und Problemlöseprozesse sowie Lernanreize und -erfordernisse.
Partikularisierung Ein zur Vervollständigung von Arbeitshandlungen sich zeitlich parallel entwickelndes Phänomen wird mit der Ausweitung des verfügbaren Wissens beschrieben. Willke schreibt: „Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten Gesellschaft lässt sich sprechen, wenn zum einen die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, dass Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden. Eine entscheidende zusätzliche Voraussetzung der Wissensgesellschaft ist, dass Wissen und Expertise einem Prozess der
12 Personalmanagement
kontinuierlichen Revision unterworfen sind und damit Innovationen zum alltäglichen Bestandteil der Wissensarbeit werden. In diesem Moment unterscheidet sich die Wissensarbeit neuen Stils von der Wissensarbeit der Handwerker, Experten, Professionellen, Künstler, Magier und weisen Frauen früherer Epochen. Sie bauten ihr Wissen in einem langwierigen und lang währenden Prozess auf, aber dieses Wissen galt ein Leben lang und verlosch mit dem Leben oder wurde an ausgewählte einzelne Schüler weitergegeben. Heute hat professionelles Wissen eine grob geschätzte ‚Halbwertzeit‘ von drei bis fünf Jahren, in vielen Hochtechnologiebereichen und hochprofessionellen Dienstleistungsbereichen (wie Management, Beratung oder Finanzanalyse) eine deutlich kürzere. Während sich noch für den späten Husserl die Wissenschaft von der Lebenswelt als etwas Künstliches absonderte, durchdringen in der Wissensgesellschaft die Regelsysteme der kontinuierlich revidierten Expertise und Wissensbasierung jeden Winkel der Lebenswelt in genau derselben Weise, wie heute bereits die normativen Regeln der Rechtssysteme dies tun“ [16]. Es ist auch in einzelnen Fachgebieten heute nicht mehr vorstellbar, dass sich eine einzelne Person das komplette zeitgemäße Wissen aneignet und es anwendet. Man muss also untergliedern, fokussieren und beherrschbare Lernumfänge konzipieren. Um nicht in eine neue Teiligkeit zu verfallen, versuchen die partikularisierenden Konzepte eine neue, arbeitsbezogen sinnhafte Kombination von in sich abgegrenzten Inhalten anzulegen. In dem entstehenden „Partikel“ des Lernens ist eine der Gesamtaufgabe entsprechende Selbstähnlichkeit enthalten. Der Begriff des Fraktals [17] drückt diese Vorstellung aus. Warnecke entwirft eine Konzeption der „fraktalen Fabrik“, die aus sich selbstähnlichen, zueinander beweglichen eigenständigen Einheiten besteht. Innerhalb des Koordinatenkreuzes, innerhalb dessen die verschiedenen Ansätze der Verbindung von Arbeiten und Lernen zugeordnet und gruppiert werden sollen und welches aus den Spannungspaaren Lernen/Arbeiten und Vollständigkeit/Partikularisierung besteht, lassen sich 11 Bündel ähnlicher Formen identifizieren:
Die betriebliche Personalentwicklung Umfangreiche Aktivitäten haben in den vergangenen Jahren einen betrieblichen Personalbereich entstehen
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
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lassen, der sich von der administrativen personalwirtschaftlichen Seite abgrenzt. Hier geht es mit verschiedensten Mitteln darum, den Menschen im Unternehmen umfassend anzusprechen, zu fördern und einzubinden. Domsch strukturiert die Personalentwicklung folgendermaßen: „Mit einer systematischen Ermittlung des erforderlichen Personalplanung und -entwicklung werden . . . im wesentlichen zwei Zielrichtungen verfolgt: Differenzierte Ermittlung des erforderlichen Bedarfs an Fach- und Führungskräften der unterschiedlichsten Qualifikationen unter Berücksichtigung des vorhandenen Personalbestandes; Berücksichtigung unternehmens- und mitarbeiterorientierter Ziele im Hinblick auf einen verbesserten Einsatz am jetzigen Arbeitsplatz und/oder zur Vorbereitung auf einen Positionswechsel. Eingeschlossen sind damit Aus- und Weiterbildungsaktivitäten ebenso wie Laufbahnentwicklungsüberlegungen und deren Umsetzung“ [18]. Der Begriff „Entwicklung“ signalisiert den erwerbsbegleitenden Charakter und die Intention kontinuierlichen Lernens. Personalentwicklung hat einen umfassenden Anspruch in zeitlicher (von der Einstellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses), organisatorischer (Berücksichtigung aller Hierarchieebenen und Berufsbereiche im Unternehmen) und inhaltlicher Hinsicht (von der akuten Versorgung mit Bildung bis zur längerfristigen Begleitung und Förderung). Konzepte der Personalentwicklung legitimieren sich eher innerbetrieblich und sind auf die Optimierung der Arbeitsleistung ausgerichtet, stellen jedoch die Förderung der ganzen Person in den Mittelpunkt, sie erheben zumeist den Anspruch einer weitestgehend vollständigen Konzeption und Praxis.
im Rahmen des QZ-Trainings und der anschließenden QZ-Arbeit eine neue Führungsrolle als Moderatoren, die in wesentlichen Punkten den zukünftigen Anforderungen an Führungskräfte in der Fabrik der Zukunft entspricht“ [19]. Sie werden für eine definierte Periode zu einem bestimmten Thema in einem überschaubaren Bereich verabredet und in regelmäßigen Abständen durchgeführt. So trifft sich etwa die Mitarbeiterschaft eines Arbeitsteams wöchentlich für eine Stunde, um die Qualität der laufenden Arbeit zu besprechen und Verbesserungsmaßnahmen zu beraten, beschließen und zu planen. Kampagnenförmige institutionelle Lernprozesse in Unternehmen laufen unter diversen Labels, etwa dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Teufel [20] führt als Quelle des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses das japanische KAIZEN an. Es besteht aus den Grundsätzen der Prozessorientierung, Kundenorientierung und der Quantifizierung von Problemen. „KAIZEN ist durch die Vorstellung geprägt, dass die Ausübung einer Tätigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt jeweils in ihrer schlechtesten Art und Weise geschieht. Es wird immer wieder in Frage gestellt, ob Erreichtes nicht verbessert werden kann – es existiert kein Zustand der Selbstzufriedenheit“ [20]. Sie richten formelle Arrangements zur Nutzung von Lernleistung in der Arbeit ein. Wenn sich die Lernintensität und die Effektivität für Verbesserungen einer institutionalisierten Variante erschöpft haben, wird ein Nachfolgeprojekt initiiert. Die institutionalisierten Verbindungen von Arbeiten und Lernen sind innerhalb der Arbeit und arbeitsbezogen ausgerichtet, sie wenden sich umfassend einem definierten (partikularisierten) Teilthema über längere Zeit zu.
Institutionalisierte Verbindungen von Arbeiten und Lernen
Ansätze dezentralen Lernens
In einem weniger kompakten Maß als bei der Personalentwicklung wurden Verbindungen von Arbeiten und Lernen durch institutionalisierte Einrichtungen angegangen. Dazu zählen vor allem dauerhafte Arbeitskreise wie Lern-, Qualitäts- oder Werkstattzirkel. Bungard [19] beschreibt Qualitätszirkel als Instrument zur Mitarbeiterqualifizierung, durch das gerade die „extrafunktionalen“ Qualifikationen wie Teamfähigkeit entwickelt werden können. „Der Lerneffekt bezieht sich aber nicht nur auf die Mitarbeiter, sondern auch die Meister und sonstigen Vorgesetzten erlernen
Zahlreiche Ansätze der Verbindung von Arbeiten und Lernen streben eine Verlagerung von Lernaktivitäten aus den (zentralisierten) förmlichen Bildungsorten heraus hin zu den jeweiligen Arbeitsorten an. Die bisher wenig systematisierten, aber praktisch zahlreichen Ansätze werden auch unter dem Begriff „selbstorganisiertes Lernen“ diskutiert. Greif [21] bezieht sich auf die konstruktivistische Systemtheorie, die den Begriff der Selbstorganisation für eine partiell autonome und selbständige Strukturierung verwendet und darin die Grundlage eigengesetzlicher, relativ autonomer Prozesse im menschlichen Denken und Handeln
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sieht. Er ordnet das selbstorganisierte Lernen in einen Entstehungsverlauf aus Frontalunterricht, Vortrag mit Rückfragen und Diskussionen, aktivierenden Methoden des Lernens in Kleingruppen oder individuell angeleitet und schließlich eigenaktivem, selbstorganisiertem Lernen. Greif definiert selbstorganisiertes Lernen „als aktive Selbstveränderung durch Auswahl und Definition von Lernaufgaben und Regeln“. Beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) lief über mehrere Jahre ein Forschungsschwerpunkt zu diesem Ansatz: „Die didaktische Orientierung des dezentralen Lernens zielt im Kern auf die . . . Vorzüge und konstitutiven Merkmale des Lernortes Arbeitsplatz. Es findet ein arbeitsintegriertes und auftragsbezogenes Lernen in arbeitsplatzgebundenen und arbeitsplatzverbundenen Lernorten statt, zu dem das mehr systematischpädagogische Lernen in produktionsunabhängigen betrieblichen Lernorten und das Lernen in der Berufsschule komplementär steht“ [22]. Didaktische Prinzipien sind in der Orientierung an arbeitsweltlichen Aufgabenstellungen und nicht an formalisierten, systematisch organisierten Lerninhalten, in der Verbindung von Theorie- und Praxislernen, im selbstorganisiert kooperativen Lernen in Gruppen und in der aktiven Teilnahme der Lernenden zu sehen [23]. Die Ansätze dezentralen Lernens in der Arbeit sind vorrangig arbeitsgestaltend, ihre Dezentralität als Prinzip ordnet sie partikularisierenden Ansätzen zu.
Implizites Lernen Typisches Merkmal der tayloristischen Arbeitsorganisation ist die Teilung der Arbeit. Danach wird jedem Arbeitsplatz ein eng begrenzter, kontrollierbarer Arbeitsinhalt zugeordnet. Er lässt möglichst wenige Risiken zu, damit aber auch wenig Spielräume für die Einbringung eigener Kompetenzen. Erforderliches Lernen ist in diesem Paradigma ein unerwünschtes, manchmal nicht vermeidbares Relikt. Beim impliziten Lernen wird Lernen zum Element der Arbeit selbst gemacht, weil gerade dadurch anspruchsvollere Aufgaben flexibler bewältigt werden können. So diskutieren Frei u. a. [24] die Kompetenzentwicklung durch das Arrangement arbeitsimmanenter Lernprozesse. Das erfordert ein Redesign der Arbeitszuschnitte, einen Veränderungsprozess aus den tradierten, teiligen, zu neuen, umfassenderen Arbeitsinhalten. Der Veränderungsprozess muss von den betroffe-
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nen Arbeitskräften selbst getragen werden. Ihnen werden Unterstützung und Hilfsmittel gegeben. Dazu gehören Innovationsprojekte in der Arbeitsgruppe, die auch von diesen selbst definiert werden. Die Erhöhung der Qualifikationsanforderungen wird vorrangig durch die Ausweitung der Denkanforderungen, die Vermehrung der Lernanreize und die Erhöhung der Kooperationsanforderungen betrieben [25]. Als Vorläufer des impliziten Lernens sind die Konzepte des Job Enlargement, Job Enrichment und Job Rotation [26] zu sehen. Die Gestaltung der Arbeit durch Anreicherung (Job Enlargement) bedeutet eine Ausweitung des Arbeitsinhalts durch das Hinzufügen qualitativ gleichwertiger Tätigkeiten, so dass Aufgaben größeren Umfangs entstehen. Dazu werden mehrere strukturell ähnliche Arbeitsaufgaben auf gleichem Qualifikationsniveau, die bislang auf mehrere Arbeitsplätze verteilt waren, an einem Arbeitsplatz zusammengefasst. Job Enrichment umfasst die Integration mehrerer verschiedener, aber zusammenhängender Tätigkeiten zu einer abgegrenzten Aufgabe. Der Arbeitsinhalt wird hierbei mit qualitativ höherwertigen Arbeitselementen angereichert, wodurch dem Einzelnen Gestaltungsspielraum im Sinne der Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung gegeben wird. Job Rotation bietet die Gelegenheit, durch einen systematischen Arbeitsplatzwechsel bestehende Aufgaben vorübergehend zu übernehmen. Durch Job Rotation werden i. d. R. der Tätigkeitsspielraum erweitert und die Folgen der horizontalen Arbeitsteilung gemindert. Durch den fortlaufenden Arbeitsplatzwechsel wird die Mobilität gesteigert, enges Ressortdenken abgebaut und durch das häufige Wechseln der Führungskräfte und Mitarbeiter die Sozialkompetenz erhöht. Aktuell entstehende Formen impliziten Lernens sind kalkuliertes Lernen (die Einplanung erforderlicher Lernprozesse und dadurch erreichbarer Lösungen und Effektivierungen im Angebot, verursacht durch die Innovativität und Spezifizität der angebotenen Leistung und Lieferung), selbstaktive Lernhilfen (sich selbst bei Fehlern aktivierende Unterstützungsprogramme für den Bediener in einer Maschinensteuerung) oder CSCW-Umgebungen (Computer Supported Cooperative Work, Informationsnetz-basierte Zusammenarbeit mehrerer Personen mit wechselseitiger Hilfestellung). Implizites Lernen wird insbesondere zur Gestaltung der Arbeit verwendet und ist in diesem Zusammenhang eher den nutzungsorientiert partikularisierenden Ansätzen zuzuordnen.
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
Konstruktivistische Ansätze Seit einigen Jahren ist eine aufsteigende Konjunktur der konstruktivistischen Ansätze in der Berufsbildung zu beobachten. „In Zweifel gezogen wird dabei die objektivistische Vorstellung, elementare Wissensstrukturen ließen sich identifizieren, reduzieren und elementarisieren und den Lernenden vermitteln, welche dann ihrerseits in der Lage seien, die übernommenen Wissensstrukturen auf neue Situationen anzuwenden. Diese objektivistische Illusion wird von konstruktivistischen Didaktikern erschüttert. Sie weisen vielmehr nachdrücklich darauf hin, dass sich Wissen nicht vermitteln lässt, sondern es ist in konkreten Situationen aus der eigenen Erfahrung heraus aufzubauen (zu konstruieren), denn nur selbst aufgebautes und in die eigenen Strukturen integriertes Wissen ist richtig verstandenes Wissen“ [27]. Grundlegendes Element ist die pädagogische Absicht der Schaffung von Lernarrangements, innerhalb derer die Lernenden eigenaktiv Wirklichkeit gestalten und in diesem Zusammenhang lernen. Als Beispiele lassen sich nennen: • Die Leittextmethode basiert darauf, Lernende durch die Vorgabe einer handlungsleitenden Aufgabenbeschreibung in ihrem Aneignungsprozess zu führen, den Vorgang selber jedoch freizulassen: „Die Leittextmethode konzentriert sich zunächst auf die Entwicklung und Bereitstellung schriftlicher Materialien zur Unterstützung der Lernenden. Diese Materialien sind weniger Anleitungs-Texte, wie der Name ‚Leittexte‘ suggerieren könnte, als Leitfragen, die die selbständige Planung und Ausführung von Arbeiten unterstützen“ [28]. • Planspiele (s. dazu Blötz, Ulrich: Planspiele in der beruflichen Bildung, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn, 2005) schaffen einen förmlichen Rahmen durch die Inszenierung einer möglichst geschlossen funktionierenden Rahmenumgebung. „Unterschieden werden grundsätzlich zwei Prototypen von Unternehmensplanspielmodellen. Das synthetische Modell wird von der landläufigen Struktur eines Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsunternehmens abgeleitet. Es berücksichtigt alle klassischen Unternehmensbereiche. Bezogen auf Größe und Struktur werden Durchschnittszahlen festgelegt. . . . Die etwas aufwendigeren Realmodelle . . . enthalten in ihren Parametern die realen Zahlen des Unternehmens, seine Organisa-
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tionsstruktur, Marktsituation etc.“ [29]. Innerhalb dieser Rahmenumgebung entwerfen und durchlaufen die Lernenden unter Beachtung eines Regelwerkes frei gestaltbare Entwicklungen und lernen Wechselwirkungen kennen und Aufgabenstellungen bewältigen. • Rollenspiele weisen den Lernenden vorrangig eine jeweilige persönliche Aufgabe und Funktion zu. Sie lassen sich definieren als „eine Methode sozialen Lernens, die Verhaltenslernen organisiert, vor allem als Learning by doing, wesentlich aber auch als Lernen durch Beobachtung (Modelllernen). Es ist lernzielgebunden, auswertungsorientiert und technisch unterstützt. Neben der Erweiterung und Differenzierung des sozialen Verhaltensrepertoires sind die Ebenen der Wirkungen, Erfahrungen, Gefühle, Einsichten, Einstellungen und gelegentlich auch der Persönlichkeit, Thema von Rückmeldungen durch Menschen und technische Medien sowie Anlass weiterführender Erörterungen“ [30]. Die Gruppe aus Inhabern unterschiedlicher Rollen wird dann mit lernrelevanten Aufgabenstellungen beauftragt. Wesentliches konstruktivistisches Element ist die Einfühlung in die eigene Rolle und die Wahrnehmung der anderen Rollen. Konstruktivistische Ansätze der Verbindung von Arbeiten und Lernen bewegen sich zwischen Arbeitsund Lerngestaltung, legen jedoch auch im abgegrenzten Arrangement Wert auf den vollständigen Handlungszusammenhang, in den die lernende Person den einzelnen Lernprozess integriert.
Fragmente neuen Lernens Ohne explizite arbeitsbezogene Orientierung, jedoch mit erheblichen Übernahme- und Transferpotenzialen verbunden, entstanden neue Lernformen wie Mind Mapping [31], Suggestopädie (kritisch dazu Dieterich, Rainer: Lernen im Entspannungszustand, Hogrefe Verlag für angewandte Psychologie, Göttingen, 2000) oder Neuro-linguistisches Programmieren (NLP) [32]. Sie werden praktisch vielfach im unmittelbaren Arbeitsalltag eingesetzt. Mind Mapping wird von den Vertretern dieses Konzeptes als umfassend wirksame Denk- und Vorgehensweise propagiert und praktiziert. Die Arbeit mit „Gedanken-Landkarten“ beinhaltet die sukzessive Visualisierung beliebig ent-
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standener Gedankenstrukturen in zweidimensionalen Übersichten. Buzan und Buzan empfehlen das Mind Mapping für die Anwendung im beruflichen Bereich: „Ein besonderer Vorteil des Einsatzes von Mind Maps bei Besprechungen liegt darin, dass die Mind Map ein klareres und ausgewogeneres Bild des eigentlichen Besprechungsinhaltes wiedergibt. Forschungsergebnisse belegen, dass bei traditionellen Besprechungen Personen bevorzugt werden, die als erste, als letzte, am lautesten, mit besonderem Nachdruck sprechen oder die über einen größeren Wortschatz verfügen oder die höhere Position innehaben. Die Mind Map zerschlägt diese informatorischen Vorurteile, gewährt einen objektiveren und zusammenhängenderen Blick, lässt so alle zu Wort kommen und fördert eine ausgewogene Beteiligung und die verstärkte Zusammenarbeit“ [31]. Der auf Lozanov [32] zurückgehende Ansatz propagiert die gezielte Nutzung der unterschiedlichen Leistungsprofile der rechten und linken Gehirnhälften. Gezielt herbeigeführte und dann angesprochene mentale Verfassungen werden für spezielle Lernvorgänge arrangiert. Die wissenschaftliche Anerkennung des Ansatzes bleibt umstritten, auch wenn sich eine starke Verbreitung der unterschiedlichen Anwendungen, z. B. unter dem Label „Superlearning“, ergeben hat. Decker [33] sieht den Kern neuer Lernmethoden in einer Mentalpädagogik, die sich auf die Bereiche Körperregulation, Gehirnregulation, Psychoregulation und Mentalregulation bezieht. Körperregulation betrifft die Förderung von Durchblutung und Stoffwechsel zum Zweck der besseren Gehirndurchblutung. Psychoregulation handelt vom Abbau von Stress und Blockaden. Gehirnregulation meint die angestrebte Nutzung beider Gehirnhälften. Mentale Regulation enthält die Mobilisierung von geistigen Vorgängen. Auf dieser Basis entfaltet Decker zahlreiche moderne Ansätze des Lernens (selbstgesteuertes Lernen, Problemlösungslernen, Teamlearning, Projektarbeit und computerunterstützte Lernmethoden) und präferiert dabei die dem neuro-linguistischen Programmieren und der Suggestopädie nahestehenden Konzepte. Diese gründen auf gezielten Entspannungssituationen und einer positiven Selbsteinstellung. Kritisch und umfassend setzt sich Dieterich mit dem Lernen im Entspannungszustand auseinander, wobei er mögliche „Ursachen oder Quellen einer lernleistungsverbessernden Wirkung – und damit zugleich Bausteine einer Theorie des Entspannungslernens – (. . . ) identifiziert: (a) soziale und motivational-emotionale Effekte von
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Streß- und Angstreduktion, Lernfreude usw., (b) Effekte des didaktischen Gesamtarrangements mit Aspekten von Eigenaktivität des Lernenden, der Anpassung an moderne, transferwirksame Lehr/Lernkonzepte, wie etwa das „situierte Lernen“, Aspekten der Lehrerrolle und der Lehrerpersönlichkeit usw., (c) Effekte aus eines suggestiv bewirkten Lernzustandsregulierung und dem Versetzen von Lernenden in einen entspannten, aufnahmebereiten Wachzustand“ (Dieterich, Rainer: Lernen im Entspannungszustand, Hogrefe Verlag für angewandte Psychologie, Göttingen, 2000, S. 21), insgesamt jedoch den einbezogenen Ansätzen gegenüber aus wissenschaftlicher Sicht ablehnend gegenübersteht. Allerdings sind auf diesem Gebiet zahlreiche laufende Forschungen in den Neurowissenschaften zu beachten, auf die etwa Spitzer (Spitzer, Manfred: Lernen, Spektrum Verlag, Heidelberg, 2003) hinweist oder auch jeweils untersuchungsspezifisch berichtet wird. Als Fragmente neuen Lernens wird diese Gruppe bezeichnet, da sie keine oder nur geringe Verbindungen mit arbeitseigenen Entwicklungen und berufspädagogischen Traditionen hat. Die Ansätze konzentrieren sich auf die Effektivierung des Lernens selbst und partikularisieren den Lerninhalt, da sie eine Bewältigung auch stückhafter Lerninhalte mittels der geeigneten Lerntechnik für möglich erklären.
Modulare Konzepte Zu den modularen Ansätzen lassen sich etwa Projektlernen, Fallstudienlernen und Auftragslernen, aber auch das Computer Based Training zuordnen. Die Modularisierung ist ein wichtiges Thema in der aktuellen berufsbildungswissenschaftlichen Diskussion (s. aktuell etwa Euler, Dieter; Eckart Severing: Flexible Ausbildungswege in der Berufsbildung, Typoskript, Nürnberg, St. Gallen, 2006). Die europäische Vereinigung bringt Ansätze z. B. aus Großbritannien nach Deutschland [34]. Hier handelt es sich mit den Modulen vor allem um die Stufung des Qualifizierungsniveaus: „Die National Vocational Qualifications sind Bestandteile eines Zertifizierungssystems, das über fünf Niveaustufen (levels) von dem Anforderungsniveau repetitiver Anlerntätigkeiten bis zum Universitätsdiplom reicht“ [35]. Die restriktiven und stigmatisierenden Varianten der Modularisierung werden kontrapunktiert durch eine „Bildung in neuen Ganzheiten“ [36]. Sie ermöglicht eine „bessere Berücksichtigung von
12.4 Qualifizierungskonzepte in der Arbeit
individuellen Lerninteressen“, „flexiblere Reaktion“, „horizontale und vertikale Verknüpfung von Bildungsgängen“ und die „Stärkung der Autonomie“. Es gibt andererseits zahlreiche Risiken wie den Verlust des Gesamtzusammenhangs, Aushöhlung des Berufskonzeptes und Vereinseitigung der Qualifizierung [37]. Modulare Konzepte setzen auf die Gestaltung kleiner Lerneinheiten. Diese lassen sich mit geringem Aufwand innerhalb laufender Arbeitsprozesse anwenden. Sie öffnen so einen bisher sperrigen Bereich für Lernchancen. In verschiedenen nationalen Berufsbildungslandschaften spielen modulare Konzepte eine wichtige Rolle, so vor allem in den britischen, australischen und angloamerikanischen Bereichen. In Deutschland kommt leicht die Verbindung mit den Stufenansätzen zustande. Diese sehen eine Unterteilung von Ausbildungsabsolventen unterschiedlichen Niveaus vor, insbesondere wird beabsichtigt, eine niedrigere Stufe zu schaffen. Es ist umstritten, ob den mit einer niedrigen Stufe ausgebildeten Menschen dadurch wirklich eine Berufs-Chance eröffnet werden kann: „Auch wenn bereits früher vorhandene Bestrebungen zur Einführung niedrigerer Abschlussniveaus jetzt im Zuge der Modularisierungsdebatte neu belebt werden (. . . ), erkennbar ist eigentlich nur das Ziel der Zeitverkürzung und Aufwandsreduzierung mit der Gefahr der Aufweichung der Standards des Berufskonzepts“ [38]. Das Modulare an der Konzeption soll die Eingrenzung hervorheben, die mit dem Ziel der besseren Handhabbarkeit gesetzt wird. Es benennt zugleich die Problematik der prozessualen Trennung und der ablaufbezogenen Beliebigkeit der Anwendung. „Module (werden) als eine curricular-didaktische Zerlegung des gesamten Lernprozesses nach Lernsequenzen, Lernformen und Lernorten, Lernprojekten etc. begriffen“ [39]. Sie werden „als in sich abgeschlossene Teilqualifizierung verstanden“ [39]. Module lassen sich als Projekte definieren. Projektbearbeitung ist „problemorientiertes Lernen“ bei der Lösung realer arbeitsbezogener Probleme. Projekte sind komplexe Vorhaben, die durch folgende Kriterien gekennzeichnet sind: Zielvorgabe durch Beschreibung der Aufgabe; personelle, sachliche, finanzielle und zeitliche Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben; Beteiligung mehrerer Personen bzw. Organisationseinheiten, die in einer projektspezifischen Organisation zusammengefasst werden; Einmaligkeit der Bedingungen. Projektarbeit ist i. d. R. bereichsübergreifend organisiert und stellt daher hohe Anforderungen an die Kommunikati-
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onsfähigkeit des Projektteams. Heberer und Grap [40] beschreiben die Projektmethode anhand betrieblicher Projektanlässe und benennen als Elemente der Projektmethode die Projektphasen in handlungslogischem Ablauf, die Fixpunkte der Bearbeitung und die Metainteraktion als antizipativen und reflexiven Überbau des Lernens. Die Modularisierung betont die Vollständigkeit des Einzelteils, zieht ihren Reiz jedoch vor allem aus der Option zur Partikularisierung eines zu umfangreichen Ganzen in aus sich selbst verständlichen Bausteinen bestehende Einzelteile. Modulare Konzepte richten sich in erster Linie auf die Gestaltung des Lernens. Bereits der Fachkongress 1996 des Bundesinstituts für Berufsbildung lieferte einen Überblick über die anwendungsnahen Aktivitäten im Bereich der Berufsbildungsinnovation. Die modularen Ansätze des beruflichen Lernens wurden hier durch mehrere Experten diskutiert. Ein Konzept unterscheidet horizontale (Teilung nach Qualifikationsniveau des Lernenden), vertikale (Teilung nach fachlicher Spezialisierung) und strukturierte (Teilung in vollständige Module, auf die situationsbezogen zugegriffen wird) Module [41]. Der Vorteil der Handhabbarkeit kleinerer Lernelemente gegenüber umfangreichen geschlossenen Curricula steht dem Risiko der Zersplitterung des Lernens entgegen. In der Anwendung konnte das Bundesinstitut für Berufsbildung jedoch kaum konsequente Umsetzungen des modularen Ansatzes in Deutschland finden: „Es zeigte sich ein ausgesprochenes Defizit an kompetenzvermittelnden Bausteinen“ [42]. Viele in einer Untersuchung aufgefundene Modularansätze seien lediglich Zusammenfassungen von Elementen ohne übergreifendes Konzept.
Simulative „Parallelwelt“-Konzepte Mittels verschiedener Zugänge wird die Nachbildung der realen Arbeitswelt als Lernwelt betrieben. So haben sich Lerninseln in der unmittelbaren Arbeitsumgebung entwickelt. Herz und Ross definieren die temporäre Lerninsel „als ein Instrument bzw. eine Sozialform der Verbindung von Arbeiten und Lernen . . . , das aus dem realen Ineinandergreifen der materialen wirtschaftlichen Handlungsabläufe und der formalen und organisatorischen Ziele entsteht. Durch ihre betriebliche Realität, ihre echte wirtschaftliche Auftragserfüllung und ihre gezielte Verbindung der tech-
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nischen und kaufmännischen Handlungsfelder ist sie in die Wertschöpfungskette des Betriebs eingegliedert“ [43]. Lerninseln sind in direkter Nähe zu Arbeitsorten installierte Arrangements, die die Arbeitssituation vollständig spiegeln. Hier können arbeitende Personen einzelne Arbeitsgänge üben und experimentieren, die sie entsprechend anschließend in der nahegelegenen Arbeitsstätte real umsetzen. So agieren Übungsfirmen in einem eigenen Markt untereinander. Im Sinne von Czycholl [44] sind Übungsfirmen besondere Organisationsformen (Lernorte) der beruflichen Bildung, die durch Simulation kaufmännischer Tätigkeiten und Modellierung betrieblicher Realität ganzheitliches sowie Theorie und Praxis miteinander verbindendes Lernen intendieren. Sie stellen eine imaginäre Geschäftswelt dar, in der alle Aktivitäten des Handels realitätsgleich durchgeführt werden mit Ausnahme des tatsächlichen Geld- und Warentransfers. So werden Bildungseinrichtungen zu kompletten Lernfabriken [45] ausgebaut, die einen vollständigen Wertschöpfungsprozess vom Vertrieb über die Konstruktion bis zu Fertigung, Montage und Lieferung enthalten. So werden in Bandbereichen der Serienmontage auf Parallelbändern, die streckenweise von den Normalablaufbändern abzweigen, Lernaufträge gefahren. So werden in elektronischer Form Simulationen vollständiger Arbeitswelten, Unternehmen oder Wertschöpfungsprozesse entwickelt und eingesetzt, die zum einen komplexere Arbeitssysteme wiedergeben, zum anderen dem Lernenden erweiterte Freiräume im Umgang bieten. Der Versuch der didaktisch intendierten Parallelwelten des Lernens und Arbeitens ist darauf gerichtet, Risiken und Beschränkungen eines Lernens am Realobjekt zu vermeiden und dennoch ein komplettes Ernstfall-Erleben zu ermöglichen. Die Parallelweltkonzepte sind so vollständig wie möglich angelegt, sie konzentrieren sich auf die Gestaltung des Lernens.
Ansätze der Lernenden Organisation Die Lernende Organisation bezeichnet eine unternehmensweit gültige Vision der Verbindung von Arbeit und Lernen. Senge [46] gliedert seinen Ansatz in 5 Teildisziplinen, die als Systemdenken („konzeptuelles Rahmenwerk“), Personal Mastery („Fähigkeit, seine wahren Ziele konsequent zu verwirklichen“), Mentale Modelle (Annahmen, Ver-
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allgemeinerungen, Bilder und Symbole, „die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln“), gemeinsame Visionen (Umsetzung individueller in kollektive Zukunftsvorstellung) und Team-Lernen (Dialog und „echtes gemeinsames Denken“) bezeichnet werden Ein visionäres Gesamtmodell erstreckt sich über verschiedene Ebenen der Detaillierung: die Meta-Ebene der Visionen und unternehmensübergreifenden Strategien, die Systemebene der Infrastrukturen und Technologien sowie die konkrete Ebene der einzelnen Arbeitsmethoden und Aktionen. Während die konkrete Ebene sich auf unmittelbare Anwendungen und spezifisch einsetzbare Aspekte bezieht (z. B. die Ermöglichung von Lerntätigkeiten an einer Einzelmaschine), enthält die Systemebene die dauerhaft eingerichteten Fundamente der Unternehmensorganisation (z. B. eine elektronische Vernetzung, innerhalb derer auch Lernergruppen eingerichtet sind). Auf der Metaebene sind die nicht direkt greifbaren Ideen, Regelungen und Pläne zugeordnet, die den Unternehmenszweck, den Sinnzusammenhang wie auch die Perspektive und ordnende Stabilität ausmachen (z. B. das Konzept des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, innerhalb dessen auch Innovations- und Lernprojekte vorgesehen sind). Seit den 1990er Jahren haben sich verschiedene Ansätze der lernenden Organisation entwickelt und sind in Unternehmen angegangen worden. Die lernende Organisation ist als vollständiger Ansatz einzuschätzen, der sich auf die Gestaltung der Arbeit richtet.
Ganzheitliche Ansätze Die ganzheitlichen Ansätze der Verbindung von Lernen und Arbeiten versuchen eine Integration der Inhalte im Lernprozess in einer genauen Entsprechung der Arbeitswirklichkeit. Insbesondere hat sich die Verbindung der Aneignung fachlicher, methodischer und sozialer Kompetenzen zur Handlungskompetenz als Anspruch durchgesetzt. Ganzheitlichkeit wird als explizite berufspädagogische Kategorie diskutiert. Lipsmeier sah bereits Ende der 1980er Jahre eine Renaissance ganzheitlicher Ansätze; er führt die Zugänge lernpsychologisch zurück als eine Reaktion auf die vorherige Teiligkeit des Lernens: „Lernen ist ein Prozess, in dem geistige, körperliche und psychische Vorgänge mehr oder weniger stark miteinander ver-
Literatur
bunden sind. Trotz dieser Erkenntnis, die seit alters her als lernpsychologisches Allgemeingut angesehen werden kann, sind Lernprozesse immer wieder und überwiegend parzelliert und miniaturisiert worden, und zwar unter zeitlichen . . . , schulorganisatorischen . . . , unterrichtsorganisatorischen . . . , curricularen . . . , didaktisch-methodischen . . . und bildungszielbezogenen Aspekten“ [47]. Damit im Zusammenhang zu sehen ist das Konzept der Schlüsselqualifikationen, die eine Art generelle Befähigung im beruflichen Leben erschließen sollen. Nach Reetz bezeichnen Schlüsselqualifikationen „eine höhere Form beruflicher Handlungsfähigkeit. Diese wird mithin eher persönlichkeitsbezogen als situationsbezogen definiert; sie ist hinsichtlich ihrer Reichweite eher allgemein und situationsunabhängig als spezifisch und situationsgebunden; . . . (sie ist) eher abstrakt als konkret formuliert; . . . (sie ist) im Umfang eher komplex als einfach strukturiert“ [48]. Unter Bezugnahme auf Mertens [49] werden vier Typen von Schlüsselqualifikationen benannt: Basisqualifikationen (logisches Denken u. a.), Horizontalqualifikationen (Informationen über Informationen u. a.), Breitenelemente (berufsweltbezogene Allgemeinbildung, z. B in der Messtechnik) und Vintagefaktoren (generationenspezifische Grundwissen, etwa Computertechnik). Das mystisch anmutende Element beider Leitideen wird in der wissenschaftlichen Fachwelt kontrovers beurteilt. Laut Wollmann wird vor allem kritisiert „die inhaltliche Vagheit und Unbestimmtheit, das Verbleiben im Formalen, der Verlust des Fachlichen sowie Zweifel an der Richtigkeit und Einlösbarkeit des Konzeptes der Schlüsselqualifikationen“ [50]. Das Bestreben nach Ganzheitlichkeit versucht die als Scheuklappen und trennende Abgrenzungen wirkenden Schnittstellen zwischen Fächern, Arbeitstätigkeiten und Berufsbildern zu überbrücken. Da jede Handlung des Menschen in einer (sozialen, technischen) Umwelt erfolgt, soll auch der Lernvorgang bewusst als eingebettete Handlung in einer ganzheitlichen, untrennbaren Umgebung arrangiert werden. Die ganzheitlichen Ansätze streben somit die Vollständigkeit an und konzentrieren sich auf die Gestaltung des Lernens.
„Futuristische“ Ansätze Parallel zur Modernisierung der Arbeit entstehen Prototypen und Modelle zukünftiger Lernformen.
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Sie werden als virtuelle Lernwelten konzipiert, die sich den entstehenden virtuellen Unternehmen und Arbeitswelten zuordnen lassen. Auch die lernende Maschine nimmt Formen an. Die KI-Forschung begibt sich auf neue Pfade der vergleichbaren Leistung von Computer und Gehirn, die im Rahmen der Nutzung neuronaler Netze mit Multiagentensystemen und aktiver semantischer Vernetzungen zu arbeitsnahen Anwendungen führt. Ein wesentlicher Aspekt der futuristischen Ansätze, die hier wegen ihrer erst künftig zu erwartenden tatsächlichen Realisierung als solche bezeichnet werden, liegt in der Kombination maschinellen und menschlichen Lernens in der Arbeit. Die futuristischen Ansätze werden derzeit nahezu ausschließlich im Rahmen der Gestaltung von Arbeit entwickelt, sie widmen sich grundsätzlich eher partikularen Zielen. Die Zuordnung entsteht durch die Vorgabe, dass jeweils für sich abgrenzbare Weiterbildungs-Segmente erforderlich sind, die dennoch für sich verständlich, lösbar und hinsichtlich des Lernens effektiv sind.
Resümee Die Darstellung der Formen der Verbindung von Lernen und Arbeiten zeigt, dass sich in diesem Feld in den vergangenen Jahren zahlreiche und relevante Ansätze entwickelt haben. Sie treten in Wettbewerb mit den konventionellen, formal organisierten und ausschließlich in einer expliziten Bildungsumgebung arrangierten Lernformen. Wichtig ist es zu erkennen, dass es sich weniger um eine nutzungsfixierte Beschränkung der pädagogischen Intention handelt, die sich ausschließlich auf den arbeitsbedingten Gebrauch des Gelernten richtet, sondern vielmehr auf die Unterstützung des Menschen in seiner Arbeit durch die Mittel des Lernens einerseits und die Erleichterung des Erlernens anspruchsvoller und kontinuierlich veränderlicher Kompetenzen andererseits.
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vation. Dokumentation des 3. BIBB-Fachkongresses, Band I und II. Bielefeld: Bertelsmann Verlag 1996, S. 469 Herz, G.; Ross, M.: Temporäre Lerninseln – kundenorientierte Entwicklungsfelder für ein lernendes Unternehmen. In: BIBB (Hrsg.): Berufliche Bildung – Kontinuität und Innovation. Dokumentation des 3. BIBB-Fachkongresses, Band I und II. Bielefeld: Bertelsmann Verlag 1996, S. 776 Czycholl, R.: Die Lernfirma als dynamisches Simulationsmodell in der kaufmännischen Berufsbildung. In: Sommer, K.-H.; Twardy, M. (Hrsg.): Berufliches Handeln, gesellschaftlicher Wandel, pädagogische Prinzipien. Esslingen: DEUGRO (Stuttgarter Beiträge zur Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Sonderband 3) 1993 Der Fraunhofer 2 (1996), z. B. Lernfabrik für Logistik des Fraunhofer IML in Dortmund als Experimentierumgebung, S. 42 Senge, P. M.: Die fünfte Disziplin. Stuttgart: Klett-Cotta 1990, S. 15–19 Lipsmeier, A.: Ganzheitlichkeit als berufspädagogische Kategorie. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 137 (1989) S. 141 Reetz, L.: Zum Konzept der Schlüsselqualifikationen in der Berufsbildung (Teil I). Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 5 (1989) S. 3–5 Mertens, D.: Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 7 (1974) 1, S. 36 Wollmann, H.: Zauberformel Schlüsselqualifikationen – modische „Arbeitstugenden“ oder mehr? Grundlagen der Weiterbildung 3 (1993) S. 135
12.5 Zielvereinbarungen Führen mit Zielen ist eines der wichtigsten und, richtig gehandhabt, auch eines der wirksamsten Führungsmittel. Allerdings ist für seine Wirksamkeit die Beachtung einiger weniger Prinzipien und Regeln unabdingbar, weil ansonsten Bürokratie und berechtigte Ablehnung seitens der Führungskräfte entstehen. Darüber hinaus ist es erforderlich, alle Führungskräfte für die kompetente Erfüllung der Aufgabe, mit Zielen zu führen, auszubilden und zu trainieren. Es ist ein weit verbreiteter und schwerer Fehler, zu unterstellen, dass sie diese Aufgabe von allein beherrschen werden.
12.5.1 Führen mit Zielen als Element des Personalmanagements Ohne Ziele ist weder die Führung eines Unternehmens noch Personalmanagement möglich. Die Frage, woher
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Ziele kommen, welche Ziele man braucht und wie Ziele im Unternehmen Gültigkeit erlangen sollen, ist daher ein uraltes Problem der Führungslehre. Es ist nicht selten mit ideologischen Aspekten befrachtet, da es in Zusammenhang steht mit Fragen der Hierarchie in Organisationen, des Selbst- bzw. Fremdbestimmungsgrads von Mitarbeitern und mit der Zweckbestimmung und Legitimation einer Organisation. Es gibt sehr verschiedenartige Kategorien von Zielen in einem Unternehmen. Sie unterscheiden sich durch ihre Fristigkeit, damit zusammenhängend durch ihren Abstraktionsgrad, und sie haben unterschiedliche Gültigkeitsbereiche: das Unternehmen als Ganzes, Teile des Unternehmens oder den einzelnen Mitarbeiter. Der Ausdruck „Führen mit Zielen“ oder „Management by Objectives“ kann somit sehr verschiedene Bedeutungen haben. Es ist daher wichtig, im Einzelfall in einem Unternehmen festzulegen, was damit konkret gemeint sein soll, weil ansonsten Konfusion entsteht, die oft Ursache der Unwirksamkeit dieses Führungsmittels ist. In Zusammenhang mit Personalmanagement wird das „Führen mit Zielen“ hier als unmittelbares Instrument der Menschenführung behandelt. Somit spielen jene Ziele, die Zweck, Wesensart und Richtung eines Unternehmens als Ganzes betreffen, die Rolle von Rahmenbedingungen, innerhalb welcher sich Personalmanagement vollzieht. In diesem Kontext werden Ziele und ihre Vereinbarung am besten verstanden als persönliche Ziele, also als Ziele für den einzelnen Mitarbeiter, und als Jahresziele oder solche mit noch kürzerem Zeithorizont. So verstanden erfüllt das Führen mit Zielen eine außerordentlich wichtige Führungsfunktion: Für das Unternehmen als Ganzes oder größere seiner Teile geltende Absichten sind in Ziele für einzelne Mitarbeiter zu transformieren, und gleichzeitig sind Ziele mit einem längerfristigen Zeithorizont in solche für die nächste Geschäftsperiode umzuwandeln. Ziele werden also damit individualisiert und zeitlich spezifiziert. Obwohl das Grundprinzip des Führens mit Zielen als solches im großen und ganzen in Wissenschaft und Praxis unbestritten ist, funktioniert es in der Praxis eher schlecht als recht. Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Gründe. Erstens werden die Führungskräfte der meisten Unternehmen in der Handhabung dieses Führungsinstrumentes viel zu wenig trainiert. Man unterstellt, dass ohnehin jedem klar sei, was unter „Führen mit Zielen“ zu verstehen sei und dass dies daher auch jedermann richtig einsetzen könne. Zweitens wird aus
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einem vernünftigen Prinzip viel zu oft ein kompliziertes Programm oder System gemacht, verbunden mit entsprechender Bürokratie.
12.5.2 Grundregeln für Zielvereinbarungen 12.5.2.1 Übersicht über den grundlegenden Kurs des Unternehmens Als Voraussetzung für brauchbare Zielvereinbarungen muss im Unternehmen eine klare Unternehmenspolitik oder Strategie bestehen. Gestützt darauf ist es Aufgabe der obersten Führungsspitze, die Schwerpunkte für die nächste Geschäftsperiode zu bestimmen und diese jenen Mitarbeitern bekanntzugeben, die in die Führung mit Zielen involviert sein sollen. Man kann kaum erwarten, dass Mitarbeiter gute und richtige Ziele erarbeiten, wenn sie über die grundsätzliche Richtung der Unternehmenspolitik und die Prioritäten für die folgende Geschäftsperiode nicht ausreichend orientiert sind. Daher muss man die relevanten Mitarbeiter kurz, aber präzise über diese Dinge informieren. Ob man dies mündlich oder schriftlich macht, hängt im Wesentlichen von der Größenordnung eines Unternehmens ab. Eine mündliche Orientierung ist i. d. R. motivierender, eine schriftliche ist präziser. Wenn immer möglich, sollte beides gemacht werden.
12.5.2.2 Erarbeitung der Ziele durch die Mitarbeiter Zielvereinbarung setzt voraus, dass Mitarbeiter, gestützt auf diese grundsätzliche Orientierung, selbst Zielvorschläge erarbeiten können. Dafür benötigen sie, abgesehen von der Orientierung über die aus der Strategie folgenden Prioritäten, vor allem etwas Zeit, um die Konsequenzen aus diesen Prioritäten für ihren eigenen Verantwortungsbereich gründlich zu durchdenken. In der Regel genügen zwei bis drei Wochen. Die wichtigste Frage, die in dieser Phase zu stellen ist, lautet: „Worin besteht der Beitrag, den ich und mein Verantwortungsbereich zu diesen Prioritäten leisten können?“
12 Personalmanagement
12.5.2.3 Wenige Ziele – nicht viele Für die Wirksamkeit des Führens mit Zielen ist es von entscheidender Bedeutung, dass man die Mitarbeiter anweist, wenige (und nicht viele) Ziele aufzuschreiben. Die Zielvereinbarung ist eine der Gelegenheiten, die Mitarbeiter dazu anzuhalten, sich zu konzentrieren und ihre Kräfte zu fokussieren. Die meisten Leute nehmen sich zwar nicht zu viel, aber zu viel Verschiedenartiges vor. Konzentration auf wenige Dinge ist eines der Geheimnisse wirksamer Führung. Wer sich vornimmt, viele verschiedenartige Dinge zu erledigen, ist entweder ein Anfänger, oder er bleibt ineffektiv. Erfahrene und wirksame Führungskräfte konzentrieren sich auf ein bis drei Schwerpunkte, die sie in der unvermeidlichen Hektik des Tagesgeschäftes klar vor Augen behalten. Daher können sie in aller Regel bis zum Jahresende auf diesen wenigen Gebieten auch deutliche und sichtbare Fortschritte machen. Es gibt Manager, die sich pro Jahr überhaupt nur einen einzigen Schwerpunkt setzen, und dies ist eine sehr empfehlenswerte Praxis. Sie wird nicht überall und nicht in jeder Lage anwendbar sein. Es werden diesbezüglich Kompromisse zu machen sein. Aber als Leitlinie ist dies ein bewährter Grundsatz.
12.5.2.4 Große Ziele Das Prinzip, sich wenige Schwerpunkte zu setzen, könnte als Anleitung zu geringer Leistung missverstanden werden. Das Korrektiv dazu besteht darin, dass man zwar wenige, dafür aber große Ziele verlangt. Die Aufgabe und die mit ihr verbundenen Ziele und nicht der Chef, sollten die Quelle von Führung, Autorität und Kontrolle sein. Dies ist auch der Weg, Hierarchien zwar nicht zu beseitigen, sie aber in ihrer Auswirkung irrelevant zu machen. Große Aufgaben sind es auch, die Menschen motivieren und entwickeln. Wer seinen Mitarbeitern zu kleine Aufgaben gibt, wird erleben, dass die wichtigste und teuerste Ressource des Unternehmens, eben die Menschen, vor sich hin kümmern und schließlich auch verkümmern. Sie gewöhnen sich an niedrige Leistungsstandards und nehmen diese als üblich und richtig an. Jede Zielvereinbarung sollte daher als Gelegenheit zur Entwicklung des Fähigkeits- und Leistungspotenzials der Menschen genutzt werden. Dies ist die bessere, wirksamere und auch schnellere Methode als jede Art der Ausbildung.
12.5 Zielvereinbarungen
12.5.2.5 Systematische „Müllabfuhr“ Jede Organisation ist mit zu viel Ballast überfrachtet. Dieser besteht aus all jenen Tätigkeiten, die nur noch aus Gewohnheit gemacht werden, aber keinen Nutzen und keine Wertschöpfung mehr bringen. Man muss daher die Mitarbeiter anweisen, nicht nur jene ein bis drei Ziele aufzuschreiben, die sie erreichen wollen, sondern auch jene ein bis drei Dinge, die sie nicht mehr tun sollten, die man stoppen und aufgeben sollte. Die jährlichen Zielvereinbarungen sind nicht nur der Ort der Fokussierung von Kräften, sondern auch die beste Gelegenheit, das Unternehmen systematisch zu entschlacken, es schlank zu machen, es von innen heraus zu „entgiften“, den angesammelten „Müll“ zu beseitigen und Platz zu schaffen für Neues. Es ist erstaunlich, wie viele Gewohnheiten sich immer wieder neu in Organisationen ansammeln, wie viel Obsoletes sie mit sich schleppen und wie viele Tätigkeiten überhaupt keine Wertschöpfung schaffen. Es ist daher eine der wichtigsten Führungsaufgaben, dies nicht zu dulden und die Leute systematisch anzuhalten, sich von Überholtem und Veraltetem zu trennen.
12.5.2.6 Quantifizierung der Ziele Die Mitarbeiter müssen angewiesen werden, wo immer möglich, ihre Zielvorschläge zu quantifizieren. Aber daraus darf man kein Dogma machen. Jede Erfahrung zeigt, dass, je wichtiger ein Ziel für das Unternehmen ist, um so weniger lässt es sich vernünftig im engeren Sinne des Wortes quantifizieren. Umsätze, Marktanteile, Deckungsbeiträge, Produktivitäten u. v. m. können quantifiziert werden; wie aber sieht es aus mit Qualitäten, Kundennutzen, Kundenzufriedenheit, Motivation, Innovation etc.? Obwohl es grundsätzlich richtig ist, Ziele soweit wie möglich zu quantifizieren, darf es nicht dazu kommen, dass nicht oder nur sehr schwer quantifizierbare Ziele ausgeklammert oder gar als unwichtig angesehen werden. Worauf auf jeden Fall aber geachtet werden muss, ist, dass Ziele präzise sind, und Präzisierung ist etwas anderes als Quantifizierung. Die leitende Frage muss sein: „Wie und woran wollen wir am Ende der Periode feststellen, ob das Ziel erreicht wurde oder ob wir ihm wenigsten näher gekommen sind?“ Dort, wo keine sinnvolle Quantifizierung möglich ist, kann noch immer eine präzise Beschreibung
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des angestrebten Endzustandes erarbeitet werden. Gelegentlich hilft ein kleiner sprachlicher Trick, nämlich die Beschreibung des Ziels in der sprachlichen Form des Perfekts. Dies zwingt zu klarem und realistischem Denken. Nicht, was man erreichen will, soll im Zentrum des Denkens über Ziele stehen, sondern was man erreicht haben will. Im Minimum kann jedes Ziel auf der Zeitachse quantifiziert werden. Die Regel lautet: Kein Ziel ohne Termin.
12.5.2.7 Widersprüchliche Ziele In jedem Lehrbuch kann man lesen, man solle widerspruchsfreie Ziele oder Zielsysteme konzipieren. Das klingt plausibel, aber es ist zu schön, um wahr bzw. möglich zu sein. Je wichtiger Ziele sind, um so widersprüchlicher sind sie. Die Kunst guten und wirksamen Managements besteht nicht darin, die formellen Kriterien von Lehrbüchern zu befolgen, sondern die in der Natur einer Geschäftes liegenden Widersprüchlichkeiten zu balancieren, abzuwägen und zu steuern. Mehr von einem Ziel bedeutet fast immer weniger von einem anderen. Gelegentlich wird es auch vorkommen, dass Ziele, die zunächst widersprüchlich aussehen, in Wahrheit doch gemeinsam erreicht werden können. „Schneller und billiger und mit null Fehlern“ mag unmöglich aussehen, kann aber durch grundlegenden Neugestaltung des Geschäftes durchaus erreicht werden.
12.5.2.8 Ziele oder Maßnahmen? In den meisten Lehrbüchern kann man auch lesen, man solle immer Ziele vereinbaren und nie Maßnahmen. Die Unterscheidung von Zielen und Maßnahmen ist wichtig, und man sollte darauf bestehen, dass sie auseinandergehalten werden, aber auch hier ist Augenmaß erforderlich. Auch hier darf kein Dogma an die Stelle eines vernünftigen Grundsatzes treten. Es gibt Fälle, in denen man zwar kein ausreichend präzises Ziel festlegen kann, wohl aber Maßnahmen, die nach aller Lebenserfahrung geeignet sind, einem angestrebten Zielraum näher zu kommen. So ist etwa das häufig formulierte Ziel, die Motivation der Mitarbeiter zu verbessern, fast nie quantifizierbar und es ist auch nur selten präzisierbar. Dennoch sind Maßnahmen möglich, die mutmaßlich die
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Motivation eher verbessern als verschlechtern. Wenn auch nach sorgfältigstem Durchdenken aller Möglichkeiten, ein Ziel zu präzisieren, dies nicht gelingt, können Maßnahmen anstelle von Zielen noch immer ein vernünftiger Ersatz sein.
12 Personalmanagement
darauffolgende Periode zuständig. Es ist kein seltener Fall, dass man in solchen Unternehmenstypen zwar einen hervorragenden Geschäftsabschluss für das laufende Jahr vorlegen kann, sich danach aber ein „Beschäftigungsloch“ öffnet, weil die Akquisitionsbemühungen zu kurz gekommen sind.
12.5.2.9 Keine fixierten Zeithorizonte 12.5.2.10 Ressourcen Obwohl sich im hier unterstellten Kontext Ziele immer auf die nächste Geschäftsperiode und damit üblicherweise auf einen Jahreszeitraum beziehen, sollte nicht alles stur auf den letzten Tag des Geschäftsjahres projiziert werden. Es gibt selbstverständlich Ziele, die zwar für die nächste Periode wichtig genug sind, um sie zum Gegenstand von Zielvereinbarungen zu machen, aber in einem kürzeren Zeitraum als 12 Monaten zu erreichen sind. Dann terminiert man sie selbstverständlich kürzer. Es kann aber umgekehrt auch Ziele geben, deren Schwerpunkt zwar in die nächste Zwölfmonatsperiode fällt, deren vollständiges Erreichen aber darüber hinaus geht, also z. B. 15, 18 oder 24 Monate dauert. Dann verwendet man, wenn man an der Wirksamkeit der Zielvereinbarung interessiert ist, eben diesen größeren Zeithorizont. Meistens handelt es sich dabei um projektähnliche Aufgaben, deren innere Kohärenz durch das sture Arbeiten mit Zwölfmonatsperioden auseinandergerissen würde. Außerdem muss man im Zusammenhang mit Zielvereinbarungen darauf achten, dass die Mitarbeiter nicht wie gebannt ausschließlich auf das Jahresende hinarbeiten und dabei vergessen, dass das Geschäft danach weiterzugehen hat. Es ist daher empfehlenswert, gewisse Ziele in kürzeren Abständen neu zu vereinbaren, beispielsweise um jeweils eine neue Dreimonatsperiode. So kann z. B. im Außendienst relativ häufig beobachtet werden, dass zwar alles getan wird, um die Jahresziele zu erreichen, aber gerade deshalb übersehen wird, dass man auch im nächsten Jahr noch Aufträge braucht. Unter Umständen muss man in diesem Zusammenhang auch mit sachlich verschiedenen Zielen arbeiten, z. B. Auftragsabwicklung und Auftragseingang. Von besonderer Bedeutung ist dies in Unternehmen, in denen dieselben Mitarbeiter für beides verantwortlich sein müssen, etwa in Architektur-, Engineering- und Consulting-Firmen. Ein Bereichsleiter ist dort meistens sowohl für den Umsatz des laufenden Jahres als auch für den Auftragseingang für die
Man darf es nicht bei den Zielen allein bewenden lassen, sondern muss auch die zu ihrer Erreichung notwendigen Ressourcen durchdenken. Dies ist der einzige Weg, um nicht nur zu Zielen, sondern vor allem zu realistischen Zielen zu kommen. Ziele als solche zu setzen, ist meistens nicht so schwierig. Erst beim Durchdenken, welche Mittel man braucht und auch, welche Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt werden müssen, stellt sich aber heraus, ob die Ziele überhaupt realistisch sind. Empfehlenswert, ja unverzichtbar ist das insbesondere bei Zielen, die aus sich heraus mit Begeisterung und Faszination verbunden sind. Unter dem Eindruck der mit gewissen Zielen verbundenen Emotionen sind viele Leute sehr unrealistisch. Für einen Sportler mag es Faszination haben, einen bestimmten Wettbewerb zu gewinnen. Erst wenn er sich überlegt, welches Ausmaß an Training dafür erforderlich ist, welche Trainingssequenzen er vermutlich pro Tag oder Woche zu absolvieren haben wird und dass er eigentlich schon längst mit entsprechenden Maßnahmen hätte beginnen sollen, wird sich herausstellen, ob das Ziel realistisch ist. Napoleon war ein Meister auf diesem Gebiet. Immer, wenn ihm seine Generäle einen großartigen Offensivplan vortrugen, hörte er aufmerksam zu; dann lehnte er sich zurück und fragte: Und wieviele Pferde brauchen wir dafür? Fast immer stellte sich heraus, dass diese Frage zu wenig durchdacht worden war.
12.5.2.11 Personen oder Gruppen Arbeit in Gruppen und Teams ist modern, und sie ist notwendig geworden. Sie ist aber auch mit der Gefahr der Reduktion oder des Verlustes individueller Verantwortlichkeit verbunden. Der Einsatz von Teamarbeit verführt viele Führungskräfte zu dem Glauben, wenn sie das Team eingesetzt haben, sei ihre Arbeit schon
12.5 Zielvereinbarungen
erledigt. Dies ist meistens ein verhängnisvoller Fehler. Zwar kann eine Fußballmannschaft nur als Team und als Ganzes ein Spiel gewinnen, dennoch hat jeder Spieler dabei seine ganz spezielle Aufgabe. Die Aufführung einer Symphonie erfordert extreme Teamarbeit von den Musikern eines Philharmonischen Orchesters, aber jeder einzelne der Musiker hat seine genau definierte Funktion. Wirksame Teamarbeit erfordert also zweierlei: eine Zielsetzung für das Team als Ganzes und Ziele für jedes Teammitglied. Wo immer möglich, sollte man daher darauf drängen, dass Ziele persönliche Ziele sind und dass damit auch persönliche Verantwortung etabliert wird.
12.5.2.12 Zielfelder Ziele sind naturgemäß von Organisation zu Organisation sehr verschieden und im Einzelnen jeweils abhängig vom grundsätzlichen Zweck einer Organisation und von ihrer Strategie. Für die Organisationen der Wirtschaft, die Unternehmen, können aber Zielfelder genannt werden, die unter allen Umständen und völlig unabhängig von Branche und Größe des Unternehmens Gegenstand von Zielvereinbarungen sein müssen. Es sind deren sechs: Marktstellung, Innovationsleistung, Produktivitäten, Human-Ressourcen, CashFlow und Liquidität, Gewinnerfordernis. Jede Unternehmensstrategie muss diese Zielfelder im Minimum abdecken. Es muss aber auch darauf geachtet werden, dass bei den Zielvereinbarungen für die nächste Geschäftsperiode insgesamt diese Zielfelder berücksichtigt werden. Selbstverständlich kann es nicht so sein, dass jeder Mitarbeiter immer Ziele aus allen diesen Zielfeldern hat. Jedes Ziel eines Mitarbeiters sollte aber ein Beitrag zu mindestens einem dieser Zielfelder darstellen. Dies ist eine jener Möglichkeiten, die viel geforderte Ganzheitlichkeit und Vernetztheit der Unternehmensführung sicherzustellen.
12.5.2.13 Welche Personen sollen in Zielvereinbarungen involviert sein? Ein weit verbreiteter Fehler im Management ist die Meinung, wenn mit Zielvereinbarungen an sich geführt werden soll, dass dann sämtliche Mitarbeiter in Zielvereinbarungen involviert sein sollten, daher auch
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alle Mitarbeiter Zielvereinbarungen haben sollten. Es gehört aber im Gegensatz dazu zu den wichtigsten Führungsentscheidungen, festzulegen, welche Mitarbeiter Ziele haben sollten und welche nicht. Es gibt in jeder Organisation Stellen, auf denen ohne Zielvereinbarungen kaum vernünftig gearbeitet werden kann, und es gibt solche, für die diese nicht nur nicht nötig, sondern kontraproduktiv wären. Die Mitarbeiter einer Forschungs- oder Entwicklungsabteilung werden fast immer Ziele brauchen, um wirksam zu sein. Im Allgemeinen wird es aber wenig Sinn machen, etwa für Sekretärinnen Jahresziele zu haben. Die typischen Aufgaben einer Sekretärin kann diese auch ohne eine Zielvereinbarung erfüllen. Es kann aber durchaus sinnvoll, vielleicht sogar nötig sein, dass sie gelegentlich Ziele hat, etwa wenn in einem Geschäftsjahr eine wesentliche Umstellung der Sekretariatsarbeit vorgenommen wird, z. B. neue Textverarbeitungsprogramme einzuführen sind. Je mehr Verallgemeinerung und Gleichmacherei im Zusammenhang mit Zielvereinbarungen betrieben wird, um so mehr verliert dieses Instrument seine Glaubwürdigkeit und damit seine Wirksamkeit.
12.5.2.14 Warum eigentlich Zielvereinbarung? Bisher wurde stillschweigend unterstellt, dass es immer und ausschließlich um die Vereinbarung von Zielen zu gehen habe. Dies ist auch die weit verbreitete Meinung in Fachliteratur und Praxis. Sie ist aber keineswegs durchgängig richtig und praktikabel. Die Führungsaufgabe lautet: Dafür sorgen, dass bestimmte Mitarbeiter Ziele haben. Dabei muss zunächst offen bleiben, ob die Ziele vereinbart oder vorgegeben werden. Hier stößt man auf einen jener Punkte der Unternehmensführung, an dem häufig Ideologie an die Stelle von Zweckmäßigkeit und praktischer Wirksamkeit gesetzt wird. Zweifellos spricht vieles dafür, Ziele zu vereinbaren und über ihren Inhalt und ihre Gültigkeit Konsens herbeizuführen. Vereinbarte Ziele bewirken, – dafür gibt es genügend Hinweise –, mehr Motivation, mehr Verpflichtung und mehr Verantwortlichkeit als vorgegebene Ziele. Ziele zu vereinbaren hat aber zwei wichtige Voraussetzungen: kompetente Mitarbeiter und viel Zeit. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist es schwierig bis unmöglich, zu Zielvereinbarungen zu kommen, die mehr als Scheinkonsens bedeuten. Gelegentlich – es sollte der seltenere Fall
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sein – wird man als Führungskraft Ziele auch vorgeben müssen. Die Alternative kann nicht lauten: entweder vereinbarte Ziele oder gar keine. Sie muss lauten: vereinbarte Ziele, wo immer möglich; und wo dies nicht möglich ist, müssen Ziele leider vorgegeben werden. Partizipation beim Zustandekommen von Zielen hat nicht, wie so häufig gemeint, den Zweck, dass ein „Gefühl der Mitsprachemöglichkeit“ entsteht. Ihr erster Zweck ist es, Verantwortlichkeit in die Aufgabe oder Stelle einzupflanzen. Dies ist bei jenen immer zahlreicher werdenden Aufgaben besonders nötig, deren Ausführung nicht unmittelbar beaufsichtigt und kontrolliert werden kann. Beispiele dafür sind der Außendienstmitarbeiter, den man auch mit noch so viel Telekommunikation beim Verkaufen nicht überwachen kann; der Revisor, der in einer Tochtergesellschaft allein seine Aufgabe verantwortungsbewusst erfüllen muss; und vor allem der Spezialist, der mit seinem Kopf arbeitet, in den man nicht hineinsehen kann. Mitarbeiter dieser Art müssen sich selbst führen, und daher sind vereinbarte, konsensierte und akzeptierte Ziele hier besonders wichtig. Dies erfordert gründliche und immer mehr Ausbildung sowie reichlich Zeit, um die unvermeidlichen Diskussionen über Ziele auch ernsthaft und gewissenhaft führen zu können.
Literatur 1. Drucker, P. F.: Management: Tasks, Responsibilities, Practices, Butterworth-Heinemann Ltd, Oxford, first published 1974, reprinted 1994 und 1995 2. Malik, F.: Führen, Leisten, Leben, Campus, Frankfurt/New York, 2006
12.6 Das Mitarbeitergespräch Das Mitarbeitergespräch hat sich in den letzten Jahren in zahlreichen Unternehmen zu einem wichtigen Führungsinstrument entwickelt. Damit es jedoch richtig eingesetzt und angewendet werden kann, braucht es ein Verständnis für dieses Instrument. In diesem Beitrag wird die Philosophie des Mitarbeitergesprächs bewusst gemacht. Die Ziele und die Inhalte werden aufgezeigt. Die Unterschiede zwischen dem Mitarbeitergespräch und den alltäglichen Führungsgesprächen werden dargestellt sowie die Voraussetzungen für erfolgreiche Mitarbeitergespräche
12 Personalmanagement
herausgearbeitet. Wichtig für das Mitarbeitergespräch ist natürlich auch die eigentliche Gesprächsführung. Daher wird der Gesprächsführung und den dabei zu beachtenden Regeln besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Neben formalen Aspekten, denen es im Rahmen des Mitarbeitergesprächs Rechnung zu tragen gilt, wird zum Abschluss auf die Einführung und Implementierung eines Mitarbeitergesprächs im Unternehmen eingegangen.
12.6.1 Die Entwicklung zum Mitarbeitergespräch Das Mitarbeitergespräch ist in zahlreichen Unternehmen zu einem wichtigen Führungsinstrument geworden. Immer mehr Unternehmen sind dazu übergegangen, Systeme zur Mitarbeiterbeurteilung durch Mitarbeitergespräche zu ersetzen. Gründe dafür liegen nicht zuletzt im Unbehagen gegenüber vorhandenen Beurteilungssystemen, deren Anwendung und den daraus hervorgehenden Ergebnissen. Trotz der Entwicklung aufwendiger Verfahren und detaillierter Operationalisierungen von Beurteilungsmerkmalen zeigt sich immer wieder, dass die an die Systeme gestellten Anforderungen, wie größtmögliche Objektivierbarkeit, Vergleichbarkeit und Beurteilungsgerechtigkeit, nicht erfüllt werden können. So verwundert es nicht, dass die bislang untersuchten und ausgewerteten Ergebnisse von Systemen zur Mitarbeiterbeurteilung sich in der Praxis als wenig differenzierend und aussagekräftig erweisen. Kritisch ist weiter anzumerken, dass viele Vorgesetzte die Anwendbarkeit dieser Systeme als gering einschätzen. Folglich unterzogen sie sich diesem Verfahren nur mit dem entsprechenden Widerwillen. Die Vermutung liegt somit nahe, dass bei der Entwicklung dieser Verfahren die Frage der Anwendbarkeit der Systeme nicht ausreichend bedacht wurde. Der angestrebte Zweck der Beurteilungssysteme, Vorgesetzten ein Verfahren an die Hand zu geben, das ihnen zu einer gerechten, objektivierbaren und vergleichbaren Beurteilung und nicht zuletzt Gehaltsfindung verhelfen sollte, hat sich vielfach als Trugschluss erwiesen. Die Systeme wurden vielmehr häufig als Erschwernisse empfunden, die eine Beurteilung unnötig komplizierten.
12.6 Das Mitarbeitergespräch
Die genannten Kritikpunkte führten zu einer Umorientierung, weg von Beurteilungssystemen hin zu Mitarbeitergesprächen.
12.6.2 Zur „Philosophie“ des Mitarbeitergesprächs Beurteilungssysteme durch Mitarbeitergespräche zu ersetzen, ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn damit die angestrebten Zielsetzungen besser zu erreichen sind oder auf diese Weise andere Zielsetzungen verfolgt werden. Es ist sicherlich ein Irrtum zu glauben, das Instrument Mitarbeitergespräch könne leisten, was mittels herkömmlicher Beurteilungssysteme nicht zu erreichen gewesen war, nämlich die Kriterien Objektivität, Validität, Reliabilität und Praktikabilität zu ermöglichen. Der zuvor genannte Anspruch wird durch das Konzept des Mitarbeitergesprächs gar nicht erst verfolgt. Diesen Kriterien gerecht zu werden, wäre nur dann möglich, wenn eindeutig feststellbare Ergebnisse vorlägen und diese auf ein klar definiertes und im Voraus festgelegtes und objektivierbares Kriteriensystem bezogen beurteilt werden könnten. Doch diese Voraussetzungen sind in den wenigsten Fällen gegeben. Zwar soll auch im Mitarbeitergespräch eine Überprüfung (Beurteilung) der vereinbarten Ziele des abgelaufenen Betrachtungszeitraumes stattfinden. Im Wesentlichen soll doch dabei festgestellt werden, was erreicht wurde und welche Abweichungen aufgetreten sind. Es werden Gründe für diese Abweichungen gesucht und konkrete Maßnahmen besprochen, die ein zukünftiges Auftauchen bereits erkannter Probleme verhindern sollen. Die Beurteilung der Zielerreichung dient damit mehr dem Überprüfen, Analysieren und Auseinandersetzen mit den vereinbarten Zielen. Sicherlich erschließt auch diese Zielbeurteilung die Möglichkeit, sich mit den erbrachten Leistungen der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters auseinanderzusetzen und über seine Leistungen Feedback zu geben. Doch dieses Feedback kann nicht mit einer „objektiven“ und validen Mitarbeiterbeurteilung gleichgesetzt werden. Denn es gilt, im Rahmen der Zielbeurteilung äußeren und persönlichen Einflussfaktoren und Gegebenheiten, welche die Erreichung der vereinbarten Ziele beeinflussen, Rechnung zu tragen. Darüber hin-
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aus muss auch der Schwierigkeitsgrad des vereinbarten Zieles angemessen berücksichtigt werden. Bereits bei der Zielvereinbarung gilt es, die Fähigkeiten von Mitarbeitenden mit zu berücksichtigen, um so auf jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter zugeschnittene individuelle Zielformulierungen zu ermöglichen. Aus diesen Überlegungen heraus soll gar nicht erst der Versuch unternommen werden, eine objektive, vergleichbare und gerechte Beurteilung erreichen zu wollen, die nicht zu leisten ist. Bewusst soll im Mitarbeitergespräch – auch dort, wo es sich um eine Leistungsund Mitarbeiterbeurteilung handelt – stets davon ausgegangen werden, dass es sich um ein Feedback der Vorgesetzten handelt, das aus seiner subjektiven Betrachtungsperspektive heraus entstanden ist. Subjektives soll subjektiv belassen werden. Was wird mit dem Mitarbeitergespräch angestrebt? Zum einen wissen Mitarbeitende, wie Vorgesetzte sie sehen, einschätzen und beurteilen. Zum anderen ermöglicht ein solches Feedback den Vorgesetzten, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Diese soll jedoch nicht unter Inanspruchnahme „scheinobjektiver“ Kriterien und Skalen vollzogen und subjektive Einschätzungen nicht als objektive Tatbestände dargestellt werden. Aus dem Gesagten geht hervor, dass sowohl die Beurteilung der Leistung der Mitarbeitenden als auch die Beurteilung der Mitarbeienden als Person stark vom subjektiven Beurteilungsvermögen der Vorgesetzten beeinflusst wird. Die Beurteilung wird, abhängig von der Person der oder des jeweiligen Vorgesetzten, unterschiedlich ausfallen. Diese Tatsache kann durchaus in Kauf genommen werden, lässt sich doch auch durch andere Systeme, Instrumente und Verfahren eine solche Beeinflussung nicht vermeiden. Insofern ist es ehrlicher, sich auch offen dazu zu bekennen und sich nicht hinter einem „scheinobjektiven“ System zu verstecken, das vieles nur zudeckt und wenig offenlegt. Das Mitarbeitergespräch ist somit – wie auch der Name sagt – ein Gespräch mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter zu ganz bestimmten und bewusst gewählten Inhalten. Das Mitarbeitergespräch schafft somit keine validen Vergleichbarkeiten zwischen den einzelnen Mitarbeitenden eines Unternehmens. Es erlaubt keine „objektive“ Beurteilung und ermöglicht auch keine leistungsbezogene Gerechtigkeit bezüglich des Gehalts. Dies schmälert jedoch keinesfalls die Wichtigkeit des Mitarbeitergesprächs. Es wird ihm eine andere Bedeutung zuteil, nämlich: Dialog, Analyse, Auseinander-
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12 Personalmanagement
setzung und Feedback werden wichtiger als z. B. Bewertungspunkte, Skalen und Noten. •
12.6.3 Ziele und Inhalte des Mitarbeitergesprächs In vielen Unternehmen sind die Mitarbeitergespräche zu einem festen Bestandteil der Mitarbeiterführung geworden. Es fehlen jedoch einheitliche, standardisierte Ziele, Inhalte und Verfahren, die vorgeben, worauf es bei diesen Gesprächen ankommt und wie vorzugehen ist. Kann man auch nicht von dem Mitarbeitergespräch sprechen, so lassen sich gleichwohl Kernaussagen treffen, was Ziel und Inhalt der meisten Mitarbeitergespräche angeht. Sie dienen der periodischen Standortbestimmung – üblicherweise einmal pro Jahr – sowie der Aussprache zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden insbesondere im Hinblick auf folgende Punkte:
•
• •
dar, wie sie ihre Entwicklungen im Unternehmen sehen (persönliche Ziele, Neigungen und Wünsche bezüglich Tätigkeit und Laufbahn). Die oder der Vorgesetzte eruiert die Bereitschaft der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für Veränderungen (fachlicher, persönlicher und geographischer Art). Vorgesetzte schätzen Mitarbeitende hinsichtlich deren zukünftigen Entwicklungspotenzials ein. Auf diese Weise können Mitarbeitende die Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen realistisch beurteilen. Gemeinsam werden Entwicklungs- und Förderungsmaßnahmen abgestimmt und festgelegt. Beide vereinbaren die Ziele für das kommende Jahr.
12.6.4 Worin unterscheiden sich Mitarbeitergespräche von Gesprächen im normalen • Gemeinsamer Soll-Ist-Vergleich bezüglich des ErFührungsalltag? reichungsgrades der gemeinsam vereinbarten Jahresziele. • Analysieren von Zielabweichungen. Diese Analyseergebnisse fließen in Änderungs- und Verbesserungskonzeptionen zur Vermeidung bereits gemachter Fehler ein. • Gemeinsames Überdenken von strukturellen, instrumentellen sowie prozessorientierten Abläufen und Formen der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Funktionen und Bereichen. • Vorgesetzte sprechen (auch im Sinne von Feedback) von ihr oder ihm wahrgenommene Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden an. Dies entspricht einer subjektiven Mitarbeiter- und Potenzialbeurteilung. So wissen Mitarbeitende, wie Vorgesetzte sie sehen und einschätzen und welche Erwartungen an sie gerichtet werden. • Wenn sie es wünschen, können Mitarbeitende ihren Vorgesetzten Rückmeldung in Bezug auf die Faktoren Führung und Zusammenarbeit sowie auf hindernde und fördernde Einflussfaktoren geben. • Gemeinsam wird abgeklärt, ob die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter mit seiner jetzigen Funktion und Tätigkeit zufrieden ist. • Damit zusammenhängend wird die Frage des „Job Designs“ angesprochen (stärkenorientierter Einsatz von Mitarbeitenden). Mitarbeitende stellen
Mit Mitarbeitenden sprechen, Ziele vereinbaren, Anerkennung und Kritik ansprechen, Feedback geben, Korrekturen bei Abweichungen analysieren, Verbesserungsmaßnahmen einleiten etc. sind Tätigkeiten, die zum normalen Führungsalltag gehören. Sie haben im Führungsprozess laufend, unmittelbar und möglichst konkret auf den Sachverhalt bezogen zu erfolgen. Trotz Wahrung der laufenden Führungsaufgaben erübrigt sich das periodisch stattfindende Mitarbeitergespräch nicht. Der Vorwand von Vorgesetzten, doch stets alles miteinander zu besprechen, macht das Mitarbeitergespräch nicht überflüssig. Genauso falsch ist die Annahme, das Mitarbeitergespräch ersetze die laufenden Gespräche. Es ist außerdem nicht Zweck des Mitarbeitergesprächs, sich einmal im Jahr das zu sagen, worüber man sich schon immer geärgert hat. Das periodisch stattfindende Mitarbeitergespräch soll im Gegensatz zu den häufig stattfindenen Gesprächen im Führungsalltag die Möglichkeit bieten, ohne Zeitdruck einmal im Jahr grundsätzlich über Leistungen, Zusammenarbeit, Organisation, Stärken, Schwächen, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sprechen zu können. Denn nicht jedes Gespräch im Führungsalltag kann ein Grundsatzgespräch sein. Nehmen Vorgesetz-
12.6 Das Mitarbeitergespräch
te ihre laufenden Führungsaufgaben richtig wahr, dürften normalerweise im Mitarbeitergespräch bei Mitarbeitenden keine Überraschungen auftreten. Zumindest sollten ihnen nicht Dinge aus der Vergangenheit vorgehalten werden, die ihnen bis dahin völlig fremd und unbekannt waren. Im Mitarbeitergespräch haben Mitarbeitende Gelegenheit, mit ihren Vorgesetzten all das zu besprechen, was sie beschäftigt. Sie dürfen über die Zeit ihrer Vorgesetzten verfügen, denn diese Zeit gehört ihnen. Das Mitarbeitergespräch ist aus diesen Gründen eines der wenigen Gespräche mit „Open End“. Allein infolge der zeitlichen Belastung ist daher die Durchführung des Mitarbeitergesprächs nur einmal jährlich zu empfehlen. Damit ein Mitarbeitergespräch Zielen, Inhalten und Vorgehen gerecht werden kann, bedarf es von beiden Gesprächspartnern einer intensiven Vorbereitung. Somit kann ein Mitarbeitergespräch nie spontan anberaumt werden. Der Gesprächstermin ist abzustimmen und so zu vereinbaren, dass genügend Zeit bleibt, in aller Ruhe das Gespräch vorzubereiten und es ungestört zu führen. Besprechungspunkte im Sinne der Festlegung von Gesprächsinhalten und Gesprächszielen haben auch den Mitarbeitenden bekannt zu sein. In vielen Unternehmen existieren dazu Gesprächsbögen oder Checklisten sowie Leitfäden oder Richtlinien. Allerdings soll das Mitarbeitergespräch einen Freiraum lassen, Ungeplantes oder aus dem Gesprächsverlauf Hervorgehendes zu vertiefen. Es sollen vielmehr all die Themen Platz haben, die einem der Beteiligten ein Anliegen sind. Durch das Strukturieren von Inhalten mittels Gesprächsbogen oder Richtlinien wird folgendes bezweckt: Zum einen werden die Punkte vorgegeben, die im Gespräch zu diskutieren sind. Zum anderen wird für beide Gesprächspartner eine gezielte Gesprächsvorbereitung möglich. Im Unterschied zum alltäglichen Führungsgespräch, das meist operativen, unmittelbar handlungsorientierten Charakter aufweist, soll das Mitarbeitergespräch bewusst zukunftsbezogene Betrachtungsperspektiven umfassen. Nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern Zukunftsgestaltung und Entwicklung haben einen hohen Stellenwert einzunehmen. Zusammenfassend ergeben sich daraus im Wesentlichen folgende Unterschiede: Laufendes Führungsgespräch • Unmittelbar, sach- und ereignisbezogen.
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• Im Wesentlichen Prozesssteuerung, Besprechen des Alltagsgeschäfts, Einleiten von Korrekturmaßnahmen und Verbesserungsmöglichkeiten. • Zeitbedarf je nach Ereignis und Problemstellung, Problemlösung steht im Vordergrund. • Gesprächsinhalt aufgaben- und ereignisbezogen, problemabhängig. Mitarbeitergespräch • Ereignisunabhängig, zeitpunktneutral, einmal jährlich und vielfach institutionalisiert. • Grundsatzgespräch, Standortbestimmung, entwicklungs- und zukunftsorientiert. • Zeitbedarf wird nach beteiligten Personen bestimmt, insbesondere auch durch die Anliegen der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters. Persönliche Interessen stehen im Vordergrund („Open End“). • Gesprächsinhalte und Gesprächsziele sind festgelegt.
12.6.5 Voraussetzungen erfolgreicher Mitarbeitergespräche Das Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument lebt weniger von der „Philosophie“ und dem Verfahren an sich als von dem eigentlichen Gespräch selbst. Es kann nicht losgelöst vom bisher gelebten Selbstverständnis der Führung und von der vorhandenen Unternehmenskultur gesehen werden. Entscheidend für das Resultat eines jeden Mitarbeitergesprächs sind die kommunikativen Kompetenzen der jeweils beteiligten Gesprächspartner. Wie gut oder schlecht ein Mitarbeitergespräch letztlich ausfällt, hängt also grundsätzlich davon ab, wie gut oder schlecht die Beteiligten miteinander kommunizieren können. In diesem Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung, wie bis dato Führung und Zusammenarbeit gelebt und praktiziert wurde. Das Mitarbeitergespräch kann nicht als ein isoliertes Ereignis ohne Vergangenheit und ohne antizipierte Zukunft gesehen werden. Es ist Teil eines übergeordneten Ganzen, ein Punkt in einem Kontinuum. Folgende Gründe sprechen für diese Sichtweise: Gemeinsam erlebte Erfahrungen aus der Vergangenheit beeinflussen Interpretationen in der Gegenwart; gewohnte und etablierte Interaktionsmuster zwischen den Beteiligten wirken sich auf das Gesprächsverhalten aus; übergeordnete unter-
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nehmenskulturelle Werte und Normen usw. bestimmen Denkstrukturen und Verhaltensweisen. Insofern ist auch naheliegend, dass Faktoren wie beispielsweise Vertrauen, Offenheit und Glaubwürdigkeit nicht erst im Gespräch zu schaffen sind. Diese haben sich vielmehr im Lauf des Prozesses der Zusammenarbeit interaktionistisch herausgebildet und überlagern damit das Mitarbeitergespräch metakommunikativ. Zwar können z. B. Vertrauen oder Glaubwürdigkeit in einem solchen Gespräch verbessert, vertieft oder aber auch zerstört werden. Das eigentliche Gespräch hat darauf sicherlich Einfluss. Es kann gerade diesbezüglich viel bewirken und sollte zur Förderung und Intensivierung der zuvor genannten Punkte auch bewusst genutzt werden. Widerspricht aber das gelebte kulturelle Selbstverständnis und auch die erlebte Führungsrealität der eigentlichen „Philosophie“ des Mitarbeitergesprächs – gemeinsam für die Zukunft zu lernen – dann dürfte es schwierig sein, diesem Anspruch im Mitarbeitergespräch gerecht zu werden. Gespräche kommunikativ „richtig“ führen zu können, ist zwar wichtig, doch kann Gesprächsführung allein nicht das ersetzen, was führungsmäßig und unternehmenskulturell im Argen liegt. Mitarbeitergespräche in einem Unternehmen erfolgreich zu praktizieren, bedarf einer Unternehmens- und Führungsrealität, die auf partnerschaftlicher Dialogbereitschaft gründet. Angst, Duckmäusertum, In-fantilisierung, Unterdrückung, Intrigantentum etc. stehen damit im Widerspruch zur notwendigen Ziel- und Beitragsorientierung, zur geforderten „Streitkultur“ und Dialogbereitschaft, zur erforderlichen Lern- und Veränderungsbereitschaft sowie zu einer Führung, die sich zum Ziele setzt, Bedingungen zu kultivieren, die Mitarbeitenden erfolgreich werden lassen.
12.6.6 Zur Gesprächsführung Ein bedeutender Stellenwert im Mitarbeitergespräch kommt der eigentlichen Gesprächsführung zu. Mit einem Mitarbeitergespräch verbinden sich anspruchsvolle Zielsetzungen. Dieser hohe Anspruch macht es erforderlich, der Gesprächsführung selbst mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als dies üblicherweise bei Gesprächen der Fall ist.
12 Personalmanagement
Dieser Sachverhalt verlangt von Vorgesetzten und ihren Mitarbeitenden, sich auf den Gesprächsinhalt vorzubereiten. Darüber hinaus müssen sich beide in der Vorbereitung über folgende Punkte Klarheit verschaffen: • Wie spreche ich schwierige Dinge an? • Worauf muss ich bei meiner Eigenart, Gespräche zu führen, besonders achten? • Was sollte ich vermeiden, und welches sind für mich typische Gesprächsfallen, denen ich aus dem Weg gehen möchte? Diese Vorbereitungsphase ist nicht als versteckte Rollenanweisung für die beteiligten Gesprächspartner zu verstehen, die ihre Authentizität, Spontaneität und die Offenheit der Gespräche sicherlich hemmen würde. Nicht der Gesprächstaktik soll das Wort geredet werden. Es soll auch nicht der Eindruck vermittelt werden, Gespräche ließen sich im Ablauf detailliert vorstrukturieren und planmäßig realisieren, denn unbestritten gilt für ein Gespräch, was Birdwhistell bereits 1959 gesagt hat [1]: „Ein Individuum kommuniziert nicht, es lässt sich auf Kommunikation ein und wird ein Teil derselben“. Lassen sich auch Gespräche nur bis zu einem gewissen Grad vorstrukturieren, so gibt es sehr wohl Regeln oder Prinzipien, die wir uns in Gesprächen zu eigen machen sollten. Sie helfen uns, den Gesprächsverlauf positiv zu beeinflussen und zu fördern. Es würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, all die überdenkenswerten und erforderlichen Aspekte „richtigen“ Kommunizierens zu behandeln. Dennoch soll auf einige Punkte – ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit – verwiesen werden, die besondere Beachtung verdienen. • Zuhören und sich verstehen wollen; versuchen, etwas „durch die Augen anderer“ zu sehen; Empathie zeigen, was nicht heißt, für alles Verständnis aufbringen zu müssen oder gar mit allem einverstanden zu sein. • Andere so behandeln und mit anderen so sprechen, wie man selbst behandelt oder angesprochen werden möchte. • Menschen mögen, sie respektieren und achten; Gesprächspartner ernst nehmen, Probleme und Gefühle des andern aufnehmen, darauf eingehen (aktives Zuhören), sie nicht herunterspielen und abwerten.
12.6 Das Mitarbeitergespräch
• Das Selbstwertgefühl anderer nicht angreifen; keine Macht demonstrieren, symmetrische Kommunikationsbeziehungen schaffen; andere das Gesicht wahren lassen. • Ärger nicht in Vorwürfe, Belehrungen, Ratschläge etc. verpacken, keine komplementären Beziehungen schaffen. • Fakten, Annahmen und Meinungen nicht vermischen; Beurteilen und Bewerten unterscheiden; zu Subjektivem stehen, zu sich selbst stehen, Selbstverantwortung übernehmen; sich verständlich machen, auch Gefühle ansprechen und sich so ausdrücken, wie man etwas empfindet, wahrnimmt und erlebt. • Konflikte nicht zudecken und harmonisieren wollen, sondern sie offen ansprechen, „Streitkultur“ entwickeln. • Stärken hervorheben und fördern, Schwächen erkennen und auch ansprechen; prüfen, wie diese (wenn sie auch nicht behoben werden können) in Zukunft weniger zum Tragen kommen. • Sachverhalte beschreiben, daraus hervorgehende Konsequenzen aufzeigen, Einsichten vermitteln und die damit einhergehenden Gefühle ansprechen (Ich-Botschaften). • Mut haben und die Größe zeigen, zu eigenen Fehlern zu stehen; sich nicht herausreden oder rechtfertigen und auf Ausreden und Alibis verzichten. • Bei Unklarheiten Fragen stellen, Informationen suchen, nicht etwas hineininterpretieren und Dinge unterstellen. • Aus festgefahrenen Gesprächssituationen aussteigen, nicht stets „mehr desselben“ versuchen, etwas neu und anders ausprobieren; Gesprächsebenen wechseln (Metakommunikation) und über die Kommunikationssituation, den Gesprächsverlauf, die Interaktionsmuster sprechen. • Menschen und Dinge ganzheitlich, nicht punktuell betrachten; Zusammenhänge erkunden, prüfen, wie etwas funktioniert, und keine „Sündenbocktheorien“ entwickeln. • Nicht auf Positionen verharren und diese rechtfertigen und rationalisieren (Warum-Fragen), sondern nach gemeinsamen Zielen und Interessen fragen (Wozu-Fragen); Gemeinsamkeiten herausarbeiten, Entscheidungs- und Zielkriterien suchen; Varianten überdenken und an den Entscheidungs- und Zielkriterien überprüfen.
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• Aus Spielen aussteigen, nicht mitspielen, sie durchbrechen und ansprechen. • Feedback als Chance betrachten, Kritik annehmen können und nicht als Bedrohung betrachten; neugierig sein und lernen wollen.
12.6.7 Formale Aspekte eines Mitarbeitergesprächs In der Gestaltung der formalen Abläufe und im Umgang mit Gesprächsergebnissen und personenbezogenen Daten lässt sich in den Unternehmen, die das Mitarbeitergespräch eingeführt haben, keine einheitliche Praxis ausmachen. Insofern sollen lediglich Empfehlungen ausgesprochen werden. Unbestritten ist, dass personenbezogene und vertrauliche Daten gemäß entsprechenden Vorschriften des geltenden Datenschutzes zu verwalten sind und dass die Ablage und die Zugänglichkeit zu diesen Daten gesetzeskonform und klar zu regeln sind. Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob überhaupt und wenn in welcher Form Ergebnisse des Mitarbeitergesprächs festzuhalten, zu protokollieren, zu unterschreiben und abzulegen sind. Das Mitarbeitergespräch stellt in erster Linie ein Beurteilungs-, Entwicklungs- und Forderungsgespräch zwischen Vorgesetzten und ihren direkt unterstellten Mitarbeitenden dar. Bedingt durch diesen sehr persönlichen Charakter des Gesprächs lassen sich keine vergleichbaren, objektiven und validen Ergebnisse erzielen. Ein unternehmensweiter Vergleich zwischen verschiedenen Mitarbeitenden ist nicht möglich. Somit stellt sich die Frage nach dem Sinn des zentralen Sammelns, Aufbereitens und Auswertens der Ergebnisse. Worüber eine Human-Resources-Abteilung informiert werden muss, sind die beabsichtigten und geplanten Entwicklungs-, Förderungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine entsprechende Unterstützung als Dienstleistungsfunktion gewährt und Ausbildungs- und Weiterbildungsbedürfnisse erkannt werden können. Darüber hinaus gibt es keinen Grund, Gesprächsergebnisse weiterzuleiten und sie in einem zentralen Personalinformationssystem zu verwalten. Potenzialkandidaten, Nachwuchskandidatinnen, Laufbahnentwick-
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lungsmaßnahmen, Mitarbeiterportfolios unterschiedlicher Abteilungen etc. sind nicht über das Instrument des Mitarbeitergesprächs zu erheben, auch wenn das jährliche Mitarbeitergespräch und die daraus hervorgehende Beurteilung und die Entwicklungsabklärungen die dafür erforderlichen Grundlagen schaffen. Unter diesem Gesichtspunkt empfiehlt es sich, Mitarbeitergespräche von diesen zusätzlichen Funktionen zu entlasten und darauf zu verzichten, Gesprächsergebnisse weiterzuleiten und weiterzuverarbeiten. Bewusst soll auch das Mitarbeitergespräch vom Gehaltsgespräch getrennt werden. Findet die Gehaltsrunde und das Gehaltsgespräch im zweiten Halbjahr statt, ist das Mitarbeitergespräch in das erste Halbjahr zu legen. Diese Maßnahme soll nicht signalisieren, dass die Ergebnisse der jeweiligen Beurteilung keine Auswirkungen auf das Gehalt haben. Sie soll vielmehr verhindern, dass das Mitarbeitergespräch zu einem Gehaltsgespräch degradiert wird, bei dem taktische Überlegungen eine große Rolle spielen. Mit anderen Worten: Es gilt, Ziel und Zweck des Mitarbeitergesprächs vor einer möglichen Verfremdung zu schützen. Werden Besprechungsergebnisse zu Händen der Mitarbeiterin, des Vorgesetzten und der nächsthöheren Vorgesetzten protokolliert, festgehalten und unterschrieben, sollten Mitarbeitende eine unterzeichnete Kopie erhalten. So wissen sie, was schriftlich festgehalten wurde. Zudem steht ihnen das Recht zu, jederzeit in ihre persönlichen Personalakten Einblick zu nehmen und zu überprüfen, welche Informationen und Daten über sie abgelegt sind. Je nach Verfassungsrecht oder auch unternehmenspolitischen Richtlinien können Mitarbeitende die Anwesenheit z. B. eines Betriebsrats oder einer nächsthöheren Vorgesetzten bei einem Mitarbeitergespräch verlangen. Formell ist dies in manchen Ländern und auch Unternehmungen vorgesehen. Wie weit ein solches Gespräch unter dem Gesichtspunkt der „Philosophie“ und des Ziels und Zwecks des Mitarbeitergesprächs jedoch Sinn macht, ist fraglich und braucht wohl nicht näher erläutert zu werden. Sicherlich sind bestimmte formale Regelungen auch zum Schutze der Mitarbeitenden unerläßlich. Grundsätzlich gilt jedoch, je mehr Formalitäten, Vorgehens- und Verfahrensfragen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden im Vorfeld zu regeln sind, um so weiter entfernt sich das Mitarbeitergespräch von seinem ursprünglichen Ziel und Zweck.
12 Personalmanagement
12.6.8 Einführung und Implementierung des Mitarbeitergesprächs Warum macht eine Unterscheidung zwischen Einführung und Implementierung eigentlich Sinn? Zum einen ist zu überlegen, was bei einer Neueinführung eines „Führungsinstruments“ zu berücksichtigen ist, zum anderen gilt es darüber nachzudenken, was nach der Einführung des Instruments zu tun ist, damit dieses Instrument verankert wird, sich bewähren kann und über mehrere Jahre erfolgreich weiterlebt. Bei der Einführung ist daher die eigentliche Phase der „Instrumentenentwicklung“ von der Phase der tatsächlichen Einführung dieses Instruments in die Unternehmung zu unterscheiden. Widerstände gegen Neues und Skepsis gegenüber Veränderungen sind ja bekanntlich dann am größten, wenn wir mit etwas beglückt werden, das uns von außen aufgepfropft wird. So verhält es sich gewiss auch in manchen Fällen beim Mitarbeitergespräch. Dabei spielt nicht einmal so sehr eine Rolle, wie bewährt, ausgereift etc. ein solches Instrument ist. Viel wichtiger ist für die Betroffenen, wie stark sie sich mit einem solchen Instrument identifizieren können. Bestimmt ist es nicht realistisch und praktikabel, dass wir sämtliche von diesem Instrument Betroffenen zu Beteiligten an seiner Entwicklung machen. Doch es empfiehlt sich, ein Projektteam mit dem Auftrag ins Leben zu rufen, ein Instrument des Mitarbeitergesprächs, angepasst und maßgeschneidert auf die Anforderungen des Betriebes zu entwickeln und dabei Meinungen von Betroffenen zu erheben und mit einzubeziehen. Besonderes Augenmerk muss dabei nicht nur auf das Instrument, sondern auch auf den Prozess der Einführung gelegt werden. Ein solches Vorgehen ist zwar aufwendiger, teurer und langwieriger als der Import eines Instruments. Die Mehrinvestition zahlt sich aber in den meisten Fällen aus, weil vieles bei diesem Entwicklungsprozess an die Oberfläche kommt, ausdiskutiert und bewältigt werden kann, was sonst in der Anwendung Widerstände hervorrufen könnte. Bei der Einführung des Mitarbeitergesprächs empfiehlt es sich, insbesondere folgenden Punkten Rechnung zu tragen: • Mitarbeitergespräche „top-down“ verbindlich einzuführen,
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
• die Mitarbeitenden ausführlich über Ziel, Zweck, Inhalt und Vorgehen dieses Instrumentes und dessen zugrundeliegende „Philosophie“ zu informieren, • den Mitarbeitenden Vorbereitungshilfen in Form von Richtlinien, Leitfäden, Formularen, Checklisten etc. an die Hand zu geben, • Vorgehensweisen und Abläufe eindeutig und verständlich zu regeln, um keine unnötigen Interpretationsspielräume offen zu lassen, • Unterstützung, Schulungshilfen – z. B. in Form von Seminaren, Coaching – zum Führen von Mitarbeitergesprächen anzubieten, um die Mitarbeitenden und Führungskräfte sicherer zu machen, ihnen Ungewissheiten zu nehmen, Ängste abzubauen, um Gespräche zu trainieren und schwierige Situationen vorbesprechen zu können und • offiziell die Zeitspanne festzulegen, in denen die Mitarbeitergespräche zu führen sind. Auch bei sorgfältigster Entwicklung, Einführung und Vorbereitung darf nicht davon ausgegangen werden, dass alles auf Anhieb reibungslos funktioniert und damit das Mitarbeitergespräch bereits im Unternehmen implementiert ist. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass in den meisten Fällen die Rückmeldungen über die erstmalig durchgeführten Mitarbeitergespräche selbst von skeptischen Vorgesetzten sehr positiv ausfallen. Trotzdem wäre es falsch anzunehmen, dass damit für die kommenden Mitarbeitergespräche schon alles gelaufen wäre. Sicherlich ist ein erster wichtiger Schritt geschafft. Doch nun gilt es, dieses Instrument zu pflegen und am Leben zu erhalten, bis es zu einem fest integrierten Teil der Unternehmenskultur geworden ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass dem Mitarbeitergespräch stets die ihm gebührende Bedeutung zukommt und es nicht zu einer rituellen, jährlich ablaufenden Pflichtübung verkommt. Gelingt dies, ist der Nutzen eines solchen Mitarbeitergesprächs unbestreitbar groß.
Literatur 1. Birdwhistell, R. L.: Contribution of linguistic – Kinetic studies to the understanding of schizophrenia. In: Auerback, A. (Eds.): Schizophrenia, an integrated approach. New York 1959
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Weiterführende Literatur Cascio, W. F.: Applied psychology in personnel management (4th ed.). Prentice-Hall Englewood Cliffs, NJ 1991 Farr, J. L.: Informal performance feedback seeking and giving. In: Schuler, H.; Farr, J. L.; Smith, M. (Eds.). Personnel selection and assessment: Individual and organizational perspectives. Erlbaum, Hillsdale, NJ 1993 Gordon, T.: Managerkonferenz. Hoffmann&Campe, Hamburg 1979 Leonhardt, W.: Das Mitarbeitergespräch als Alternative zu formalisierten Beurteilungssystemen. In: Schuler, H. (Hrsg.): Beurteilung und Förderung beruflicher Leistung. Hogrefe, Göttingen 1991 Neuberger, O.: Das Mitarbeitergespräch. Bratt-Institut für Neues Lernen, Goch 1980 Watzlawick, P.; Beavin, J. H.; Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation. Hans Huber, Bern 1974
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern in wissensintensiven Firmen 12.7.1 Einführung Anfang des 20. Jahrhunderts war der überwiegende Anteil der arbeitenden Menschen in der Industrie und Landwirtschaft beschäftigt. Im 21. Jahrhundert werden die Arbeitenden weitestgehend Wissensarbeiten verrichten. Dies bedeutet, dass in den westlich geprägten Industrieländern der Anteil der wiederholenden Produktionsarbeit zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung verliert. Die Prognosen in verschiedenen Veröffentlichungen [9, 10, 33] zur postkapitalistischen Gesellschaft zeigen, dass die Wettbewerbsposition der führenden Industrienationen und deren Unternehmen zunehmend mehr durch die Verfügung über intangible Ressourcen, wie wissensbasierte Ressourcen und Motivation bestimmt werden. Die Produktivität der wissensbasierten Ressourcen und der Wissensarbeiter wird in zunehmendem Maße der bestimmende Faktor für wirtschaftlichen Wohlstand sein. Es sind die impliziten, wissensbasierten Ressourcen, die zu strategischen Wettbewerbsvorteilen von Firmen beitragen [39, 40]. Hinzu kommt die hohe strategische Relevanz der Ressource Motivation zur Differenzierung im Wissenswettbewerb [22, 24, 25, 30]. Die
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sehr hohe Bedeutung der impliziten, intellektuellen Ressourcen für strategische Wettbewerbsvorteile hat jedoch noch nicht in ausreichendem Maße dazu geführt, dass die Management-Ansätze durchgängig auf den „vierten Produktionsfaktor“ angepasst und Wissens- mit Motivationsmanagement kombiniert und angereichert wurde. Auch wurde aufgrund der hohen Bedeutung der wissensintensiven Dienstleistungen seitens dieser Unternehmensgattung eine Konkretisierung der Elemente des strategischen Managements auf die Wissens- und Motivationsressourcen bislang nicht umfassend vorgenommen. In diesem Beitrag werden ausgewählte Ansätze des Human Performance Managements aus unserer Beratungspraxis aufgezeigt, die in wissensintensiven Unternehmen produktivitätswirksame Effekte auf die Wissensarbeit und eine werttreibende Wirkung auf das intellektuelle Kapital haben. Hierzu werden die Ressourcen des intellektuellen Kapitals und die Merkmale der Wissensarbeiten am Beispiel der Wissensintensiven Dienstleister vorgestellt. Es werden auf der Basis der besonderen Merkmale von Wissensarbeit die Anforderungen an die Wissensarbeiter deutlich und Aspekte der Entwicklung der Ressourcen des Humankapitals vertieft. Dies führt zur näheren Betrachtung eines Persönlichkeitsmodells und eines Diagnosewerkszeuges zur Auswahl von Wissensarbeitern sowie zur Zusammenstellung von Teams. Die Persönlichkeit von Wissensarbeitern spielt für wissensintensive Unternehmen eine erfolgskritische Rolle. Sie werden als die eigentlichen Träger der knappen, erfolgskritischen und kombinierten Ressourcen Wissen und Motivation im Wissenswettbewerb gesehen. Es wird gezeigt, welche grundsätzlichen Dimensionen Persönlichkeit jenseits der fachlichen Qualifikation haben kann, und welche Persönlichkeitstypen grundsätzlich für welche Tätigkeitstypen der Wissensarbeit gut geeignet sind, damit die Voraussetzungen für Motivation und Wissensarbeiterproduktivität geschaffen werden. Im Anschluss wird ein Toolset gezeigt, mit dem die Steuerung der Wissensintensiven Firma unterstützt wird.
12.7.2 Das intellektuelle Kapital wissensintensiver Dienstleister Die ökonomischen Ressourcen eines wissensintensiven Unternehmens sind vor allem die Potenzialfakto-
12 Personalmanagement
ren des intellektuellen Kapitals. Beim intellektuellen Kapital handelt es sich um die strategisch wertvollen, intellektuellen Ressourcen des Human-, Beziehungsund Strukturkapitals von Firmen [8,11,23,27,34]. Dabei handelt es sich neben der strategischen Ressource Motivation, um wissensbasierte Ressourcen [4, 8, 23, 34]. Geht man davon aus, dass in der Regel wissensintensive Unternehmen mit den Steuerungsgrößen geführt werden, die sich aus dem Rechnungswesen und der Bilanz ableiten lassen, so ergibt sich im Vergleich zu den Kategorien und Faktoren des intellektuellen Kapitals ein Steuerungsdefizit. Das Humankapital besteht im Wesentlichen aus den Kompetenzen (Wissen i. e. S., Fähigkeiten, Talent), Einstellungen (Motivation, Verhalten, Werte) und der intellektuellen Agilität (Innovation, Imitation, Adaption) der Mitarbeiter [23]. Dieses Potenzial kann ein Unternehmen zur Wertschöpfung nutzen, aber es ist an den Menschen als Wissensträger gebunden. Am Humankapital hat das Unternehmen keine Eigentumsund Besitzrechte. Es unterliegt deshalb hinsichtlich der Kontroll- und Verfügungsrechte bestimmten Beschränkungen und ist nicht bzw. nur sehr beschränkt bilanzierbar. Es ist der Teil des Kapitals von Unternehmen, das „am Feierabend das Unternehmen verlässt“ und nicht im Besitz und Eigentum des Unternehmens ist. Das an die Personen gebundene Wissen ist individuelles bzw. implizites Wissen, das nur begrenzt formalisierbar und mitunter schwer kommunizierbar ist. Es handelt sich dabei um so genanntes „tacit knowledge“, das für die Organisation mit sehr hohem Risiko behaftet ist [20]. Es ist in den Köpfen der Mitarbeiter gespeichert. Dies hat zur Folge, dass der firmeninterne Transfer oder die Verwertung des Wissens beim Kunden von der Motivation des Wissensarbeiters in der Rolle des Organisationsteilnehmers abhängig ist. Wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, dann verlässt auch das strategisch relevante implizite Wissen das Unternehmen. Das eingebrachte technische Fachwissen, Orientierungswissen, die Kreativität, Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen sowie das Verhalten zur Erbringung komplexer Prozesse und Ergebnisse, ist auf den Potenzialfaktor Mensch bzw. die hoch qualifizierten Mitarbeiter zurückzuführen. Wissensintensive Leistungen sind an den Menschen als elementarstes Potenzial und wichtigste Ressource gebunden. Aufgrund der hohen Personalintensität und der besonderen Abhängigkeit hat der sehr sensible Umgang mit dem Wissensarbeiter
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
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Abb. 12.15 Die Ressourcen des intellektuellen Kapitals [23]
und dem entsprechenden sozialen Wirkgefüge eine besondere Bedeutung. Bei Wissensarbeitern in Schlüsselpositionen gilt, dass das Wissen, die Kompetenzen, die Motivation und das Verhalten nur sehr begrenzt bzw. nicht durch andere Inputfaktoren substituiert werden können. Die Erwartungen und Anforderungen an die Ressourcen des Humankapitals in wissensintensiven Firmen sind, dass aus relevanten Informationen und wissensbasierter Ressourcen, nützliches und strategisch verwertbares Wissen, also „intellectual Assets“ generiert werden sollen [32]. Wissensintensive Dienstleister können erfolgreich agieren, wenn die Ressourcen des Humankapitals sich in kreativen Anwendungen, in Verfahren und Software, in innovativen Problemlösungskonzepten und Dienstleistungen manifestieren und damit Kundennutzen und Wertschöpfung generiert werden. Hier wird die Flusseigenschaft wissensbasierter Ressourcen deutlich: Personengebundenes Wissen wird zu Gruppenwissen, indem Wissenstransfer und Kommunikation betrieben wird. Personengebundenes Wissen bzw. Entwicklungen und Vorgehensweisen werden zu strukturellem Kapital und damit zu intellektuellem Kapital des Unternehmens, wenn diese zu dokumentierten „Best Practices“ oder kodifizierten Methoden weiterentwickelt werden. Wissen wird dann als Information auf Speichermedien des Unternehmens festgehalten und geht dadurch über in das Strukturkapital. Das strukturelle Kapital besteht aus den strategisch bedeutsamen Beziehungen (u. a. Kunden, Lieferanten), Organisation (u. a. Unternehmenskultur, Prozesse, Infrastruktur und Erneuerung/Entwicklung) und ist
im Eigentum oder Besitz des Unternehmens [23]. Die Ressourcen des Strukturkapitals, wie die Führungsstruktur und Aufbauorganisation von wissensintensiven Bereichen oder Unternehmen dienen der optimalen Unterstützung und Steuerung der Wissensarbeiter bzw. des Humankapitals. Wissensarbeiter benötigen vergleichsweise große Tätigkeits- und der Entscheidungsspielräume. Dies geht einher mit hoher Eigenverantwortung der Wissensarbeiter für die Zielerreichung. Wissensintensive Firmen zeichnen sich durch flache Hierarchien und große Führungsspannen aus, weil den Wissensarbeitern früh Ertragsverantwortung und Partizipation am Erfolg zugewiesen wird. Wissensintensive Firmen zeichnen sich meist durch eine einheitliche Unternehmenskultur aus. Es lässt sich ein „Corporate Behaviour“ und eine „Corporate Culture“ diagnostizieren, die eine Mehrzahl der Mitarbeiter akzeptieren und übernehmen. Nach einer Umfrage von Ernest & Young werden folgende Erfolgsfaktoren im Wissensmanagement durch die Ressourcen des Strukturkapitals identifiziert: • Wissensarbeitern muss das Generieren von neuem, vermarktbarem Wissen durch organisatorische Rahmenbedingungen ermöglicht werden, • Wissensarbeiter benötigen Zugang zu geeigneten Informations- und Wissensquellen, • Förderung der Integration von Informationen und Wissen in Dokumente und Datenbanken, • Förderung der Integration von Wissen in den dezentralen Leistungserbringungsprozessen und Projekten,
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12 Personalmanagement
Intellectual Capital Management Wissensgenerierung Wissensarbeiter
Human Capital
Structural Capital „Turn Soft Skills into Hard Facts“ Strategie
• Qualifikation • Fähigkeiten • Kreativität
• Beziehungen
Intellectual Assets
Prozesse
• Professional Services • Verfahren, Prozesse • Erfindungen • Designs, Daten, • Technologie, Software • Veröffentlichungen
Anreizsystem
Intellectual Property
Aufbauorganisation
• Patente • Copyrights • Marken • Schutzrechte
Führung Zielsystem
• Kompetenzen • (Selbst-) Motivation
Wissensabschöpfung Wissensintensive Leistung
• Fachwissen • Expertenwissen • Erfahrungswissen
Informationstechnik
Abb. 12.16 Zusammenhang zwischen Human- und Strukturkapital [32]
• Austausch von individuellen und kollektivem Wissen und Informationen, damit daraus eine organisationale Wissensbasis generiert wird, • Einsatz von verfügbarem Wissen in der Entscheidungsfindung des strategischen Managements und • Förderung des Wissensaufbaus und -austausches durch Kultur und Anreize. Die wissensintensiven Leistungen und die Ergebnisse der Wissensarbeit sind häufig aus mehreren spezialisierten Beiträgen rechtlich und wirtschaftlich selbstständiger Anbieter in Kooperationsnetzwerken gebündelt. Dabei kann es sich um Wertschöpfungspartner in einer Kunden-Lieferantenbeziehung oder um komplementäre Dienstleistungspartner mit einem einheitlichen Marktauftritt gegenüber Endkunden handeln. Die Heterogenität und Variabilität ist eine spezifische Besonderheit für wissensintensive Leistungen. Die Aufgabenstellungen sind häufig in einem geringen bis mittleren Ausmaß determiniert. Folglich sind die Leistungen problem- und fallspezifisch bzw. häufig wenig standardisierbar. Kundenindividuelle, schwer in Produkte umzusetzende Leistungen und kleine Losgrößen sind weitere wesentliche Merkmale. Eine weitere Besonderheit ist die Informationsasymmetrie zwischen dem Anbieter (Wissensarbeiter) und seinem Kunden. Es stehen die Erzeugung oder Nutzung neuen Wissens im Vordergrund und die Leistung kann sehr hohe ökonomische Folgen für den Kunden haben. Der hohe Interaktionsgrad (u. a. Konzeption, Disposition mit Kunden, Projektleitung usw.),
der hohe Anteil der persönlichen Beziehungen und der bidirektionale Wissenstransfer zwischen Anbieter und Kunde bei der Leistungserstellung stellen weitere Merkmale dar. Das Ergebnis der Wissensarbeit ist häufig immateriell und intangibel – es ist flüchtig, nicht greif- oder fassbar, nicht handelbar und nicht lagerfähig. Die Leistungsqualität, die Anbieterqualifikation und -Erfahrung ist ex ante schwer zu bewerten. Ein besonderes Merkmal ist deshalb, dass wissensintensive Leistungen sich besonders gut vermarkten lassen, wenn ein hohes Maß an Vertrauen der Kunden in die Leistungen und eine große Reputation des Dienstleistungsanbieters besteht.
12.7.3 Die Merkmale der Wissensarbeit im wissensintensiven Unternehmen Nahezu jede menschliche Tätigkeit ist wissensbasiert und zwar in dem Sinn, dass eine einmal erworbene Qualifikation, gesammelte Erfahrung und Wissen sowie das Lernen eine Rolle spielen. Demzufolge gibt es Tätigkeiten und Aufgaben in der Wertschöpfungskette, die grundsätzlich unterschiedliche Anteile von Wissensarbeiten und rein manuellen Tätigkeiten haben, aber zusammengehören, wie die zwei Seiten zu einer Medaille. Praktisch jede Facharbeit, jede professionelle Tätigkeit, wie die Arbeit der Berater, Ärzte, Wissenschaftler, ist wissensbasierte Arbeit. Die Professionals
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
haben sich ihre sehr spezifische Expertise in langwierigen Ausbildungsprozessen aneignen müssen [37]. Analog zur Einordnung des Begriffs „Wissen“ [20, 21] ist Wissensarbeit gekennzeichnet durch situative und kontextabhängige Tätigkeiten. Wissensarbeiten bestehen also aus sehr stark kontextabhängigen, komplexen und impliziten Transaktionen und Interaktionen. Die Aspekte Kommunikation, Denken, Interaktion und Transaktion haben dabei eine besondere Bedeutung. Wissensarbeit zeichnet sich durch einen iterativen „Plan-Do-Check-Act Zyklus“ bezogen auf die Ressource Wissen in dem Sinn aus „ . . . dass das relevante Wissen kontinuierlich revidiert, permanent als verbesserungsfähig angesehen, prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und untrennbar mit Nichtwissen gekoppelt ist, so dass mit Wissensarbeit spezifische Risiken verbunden sind“ [37]. Die hohe Komplexität und die Neuartigkeit der zu bearbeitenden Aufgabe hat die situative und intensive Interaktion mit Kunden, Kooperationspartnern und anderen Akteuren zur Folge. Einen zentralen Aspekt der Interaktion stellen die vielschichtigen Transaktionen und die Kommunikation (verbal, non-verbal, paraverbal) in den Prozessen mit den oben genannten Akteuren dar. Auch folgt aus der intensiven Interaktion mit den Kunden als externer Faktor die hohe Individualität der Tätigkeit in Abhängigkeit der Situation und des Auftrags und die Dynamik der Ressource Wissen aufgrund des permanenten Lernens und Verlernens. Dabei haben die vier Funktionen der Wissensspirale, die Kombination, Externalisierung, Sozialisation und Internalisierung als Umwandlungsprozesse von implizitem zu explizitem Wissen und umgekehrt eine hohe Bedeutung [19]. Konkrete Beispiele für derartige Wissensarbeiten sind: • das Analysieren, Abstrahieren, Bewerten, Einordnen, Konkretisieren und Systematisieren, • das Beraten, Coachen, Prüfen, Supervisieren, Trainieren, • das Entwickeln, Entwerfen, Forschen, Konstruieren, • das Generalisieren oder Einschränken von Heuristiken, • das Initialisieren, Interpretieren, • das Kommunizieren und Interagieren, • das Projektieren, Organisieren,
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• das Verhandeln, Vernetzen und • das Vorhersagen und Prognostizieren. Typische wissensintensive Dienstleister sind z. B. Firmen wie Architektur- und Ingenieurbüros, die Firmenkundenberatung von Finanzdienstleistern, Forschungs- und Entwicklungszentren, Markt- und Meinungsforschungsinstitute, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Rechtsanwaltskanzleien, Technische Dienstleister, Technische Überwachungsvereine, Strategische und operative Unternehmensberatungen, IT-Dienstleister und Werbeagenturen [18]. Aus den besonderen Merkmalen der Wissensarbeit und der wissensintensiven Dienstleister resultieren Anforderungen an den Wissensarbeiter als Person, die in besonderen fachlich-methodischen, personalen und sozial-kommunikativen sowie aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen zu sehen sind: • Die fachlich-methodischen Kompetenzen umfassen die Fähigkeiten zur Lösung von sachlichgegenständlichen Problemen sowie zum geistig und physisch selbst organisierten Handeln. Dies bedeutet, dass ein Wissensarbeiter in der Lage sein muss, kreativ Probleme und Aufgaben anzugehen, Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu bewerten, Tätigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch selbst organisiert zu gestalten und seine produktiven Verfahren und Methoden selbst kreativ weiterzuentwickeln. • Zu den personalen Kompetenzen gehören, selbst reflexiv zu handeln, d. h. sich selbst einzuschätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln, eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich kreativ zu entwickeln und zu lernen. • Unter den sozial-kommunikativen Kompetenzen wird kooperatives und selbst organisiertes Handeln verstanden, d. h. sich mit anderen kreativ zusammen- und auseinanderzusetzen und sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten und neue Ziele, Projekte, Aufgaben und Pläne zu entwickeln. • Die aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen einer Person bezeichnen das selbstorganisatorische Handeln und dieses Handeln auf Ziele und Pläne für sich selbst, für andere oder mit anderen im Team zu richten. Diese Kompetenzen umfassen, die eigenen Emotionen, Motivationen, Fä-
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12 Personalmanagement
Abb. 12.17 Wissensarbeiten erfordern spezifische Kompetenzen [34]
higkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompetenzen – personale, fachlich-methodische und sozial-kommunikative – in die eigenen Willensantriebe zu integrieren und Handlungen erfolgreich zu realisieren.
12.7.4 Das Humankapital wissensintensiver Unternehmen Das Humankapital kann, wie oben bereits gezeigt wurde, in die Bereiche Kompetenz bestehend aus den Elementen Wissen und Fähigkeiten, in Einstellungen bestehend aus den Elementen Verhalten, Motivation, Werte, und in intellektuelle Agilität bestehend aus den Elementen Innovation, Imitation und Assimilation, strukturiert werden [23]. Das Wissen kann vermittelt und die Fähigkeiten können relativ leicht trainiert werden. Damit sind diese Elemente durch das Management beeinflussbar. Das Verhalten, die Motivation und die Werte sind vergleichsweise schwieriger zur beeinflussen. Die intellektuelle Agilität gilt als die am schwierigsten zu steuernde Komponente des Humankapitals.
12.7.4.1 Kompetenz: Wissen und Fähigkeiten Unter Kompetenz im Kontext des intellektuellen Kapitals werden das kenntnisgebundene Wissen, die Fähigkeiten und das Talent subsumiert, wobei das Wissen und die Fähigkeiten als die Hauptbestandteile betrachtet werden [23]. Wissen wird sozusagen als das theoretische Element der Kompetenz verstanden. Es wird erlernt und repräsentiert somit den Grad der Qualifikation der Mitarbeiter. Die Fähigkeiten stellen das praktische Element der Kompetenz dar, die durch Lernen, Training „off the job“, „learning by doing“ und Erfahrungen aus der Tätigkeit erworben werden. Unter Fähigkeiten im Kontext des intellektuellen Kapitals werden alle fachlichen, methodischen und sozialen Fertigkeiten verstanden, die im Rahmen der Wertschöpfung und der Strategie der Firma zum Einsatz kommen. Der Zusammenhang zwischen Wissen und Fähigkeiten besteht darin, dass durch die Fähigkeiten die praktische und professionelle Anwendung des Wissens ermöglicht wird. Die Ressource Kompetenz des Humankapitals kann über unterschiedliche Verfahren der Kompetenzmessung qualitativ und quantitativ gemessen werden [12, 28, 38].
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
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12.7.4.2 Einstellungen: Verhalten, Motivation und Werte Unter Einstellungen werden das Verhalten, die Motivation und die Werte der Mitarbeiter subsumiert [23]. Verhalten, Motivation und Werte sind relativ eng mit dem Wissensarbeiter selbst als Träger verbunden. Die effektive und effiziente Einflussnahme durch Führungssysteme ist beschränkt. Die Motivationsund Volitionsforschung innerhalb der Organisationspsychologie liefert hierzu wertvolle Erklärungsbeiträge [22, 25, 30, 31]. Unter menschlichem Verhalten werden die sichtbaren, überprüfbaren Handlungen und Aktivitäten, mit dem Ziel ein Bedürfnis zu befriedigen, verstanden. Auf der sichtbaren Verhaltensbzw. Handlungsebene der Wissensarbeiter werden die Aspekte Wissensaustausch- bzw. Wissenstransferverhalten und wertorientierter Umgang mit der Ressource Wissen im wissensintensiven Unternehmen als erfolgskritisch betrachtet. Im Zusammenhang des Verhaltens von Wissensarbeitern sollte berücksichtigt werden, dass menschliches Verhalten in der Regel nicht zufällig ist, auch wenn es manchmal so scheint. Es existieren relativ stabile Muster, Prägungen und Dispositionen. Menschliches Verhalten ist klassifizierbar und bis zu einem gewissen Grad vorhersagbar. Es kann beschrieben werden, wie Menschen Informationen bevorzugt aufnehmen und Entscheidungen darüber treffen. Und, menschliches Verhalten ist unterschiedlich, weil es bestimmte Neigungen und Präferenzen gibt. Wir verhalten und entscheiden, weil wir bestimmte Präferenzen haben – andere Menschen mit anderen Präferenzen entscheiden anders. Dieses „Anderssein“ ist der Grund oder Schlüssel für misslungene oder gelungene Kommunikation, für Konflikte oder deren Lösung, für Abneigung oder Verständnis, für ineffektiv handelnde Teams. Voraussetzung für das individuelle Verhalten und Handeln ist die Motivation und der Wille zur Handlung, die Befähigung zur Handlung sowie die Erlaubnis zur Handlung. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen ihre Leistungsziele erreichen. Ziele werden in der Regel in Zielvereinbarungsgesprächen im Unternehmen kommuniziert, um Führungskräfte und Mitarbeiter zu bestimmten Handlungen entsprechend den Zielen zu veranlassen. Mit Hilfe der Motivationstheorien wird u. a. die Beschreibung, die Erklärung, die Prognose und die Kontrolle menschlichen Verhaltens erklärt [22, 24, 25]. Es
Abb. 12.18 Der Motivationsprozess
lässt sich folgender Begriff der Motivation, der sowohl individuelle (Person) und situative (Rahmenbedingungen) Aspekte der Motivation aufgreift, ableiten: Unter Motivation werden grundsätzlich eine Reihe von energetischen Kräften verstanden, die ihren Ursprung sowohl innerhalb (Person) als auch außerhalb einer Person (Situation) haben, mit dem Ziel, arbeitsbezogenes Verhalten einzuleiten und dessen Form, Richtung, Stärke und Dauer zu bestimmen [24, 25]. Dies bedeutet, dass menschliches Verhalten einerseits durch die Situation und auf der anderen Seite durch die Person bestimmt wird. Auf der Seite der Situation wird nach dem sozialen Sollen und Dürfen (Normen, Regelungen, Strukturen) einerseits und der situativen Ermöglichung (hemmende oder begünstigende äußere Umstände) andererseits unterschieden. Auf der Seite der
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Person wird zwischen individuellem Wollen (Motivation und Werte) einerseits und andererseits persönlichem Können (Fähigkeiten und Fertigkeiten) differenziert. Zwischen den Determinanten sind vielschichtige Wechselwirkungen möglich. Die Motivation stellt einen Prozess dar, der damit beginnt, dass unbefriedigte Bedürfnisse vorliegen. Motive sind die Anlässe, Beweggründe und Antriebskräfte des menschlichen Handelns, die Bedürfnisse zu befriedigen und Ziele zu erreichen. Anreize sind dabei individuelle Voraussetzungen (intrinsische) und situationsbezogene (extrinsische) Bedingungen, die Motive so anregen, dass es zum Handeln kommt. Entscheidend dafür, ob ein Motiv angeregt wird oder nicht, ist jedoch, wie die Situationsmerkmale subjektiv wahrgenommen und bewertet werden. Das Zusammenspiel von Motiven, die innerhalb einer Person liegen (intrinsisch) und die sich aus der jeweiligen Situation herleiten (extrinsisch), führt zu einem bestimmten Verhalten. Die Richtung, Stärke und Ausdauer der Motivation und die Kongruenz auf der Ziele-, Verhaltens-, und Bedürfnisebene zwischen Organisation und Wissensarbeiter stellen sehr bedeutsame Werttreiber des intellektuellen Kapitals dar. Im Kontext des Humankapitals ist die individuelle Motivation der Treiber für Verhalten und zielorientiertes Handeln einzelner Wissensarbeiter. Die Motivation selbst wird durch Motive getrieben, die aufgrund bestimmter intrinsischer Anreize vorhanden sind oder durch extrinsische Anreize geweckt werden. Grundvoraussetzung für die Existenz von Motivation, Motiven und Antriebskräften sind unbefriedig-
Abb. 12.19 Die Einflussfaktoren der Leistungsmotivation [31]
12 Personalmanagement
te, menschliche Bedürfnisse. Die Werte und ethischen Einstellungen bilden den Rahmen für die Verhaltensregeln in der Organisation, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden. Der Wertbeitrag zum intellektuellen Kapital ist dann besonders hoch, wenn die Handlungen sich an den Zielen der Firma orientieren und diese sehr eng mit den privaten und den individuellen, beruflichen Bedürfnissen, Motiven und Zielen sowie Werten der Mitarbeiter deckungsgleich sind (Kongruenz). Es wird deutlich, dass die Werttreiber der Motivation einen bedeutenden Anteil zum Humankapital (individuelle Faktoren der Person) beitragen und über Wechselwirkungen mit den Ressourcen und Werttreibern des Strukturkapitals bzw. dem Element Unternehmenskultur eng verbunden sind. Die Einstellungen auf der individuellen Ebene im Bereich Humankapital müssen korrespondieren mit den Merkmalen der Unternehmenskultur im Bereich Strukturkapital auf der Unternehmensebene. Das wissensintensive Unternehmen ist einerseits eine Leistungsorganisation und andererseits eine soziale Organisation. Daraus resultieren die unternehmerischen Zielsetzungen im Bereich der Leistungsziele und der Zufriedenheit der Wissensarbeiter. Dabei sind Leistung und Zufriedenheit zwei gleichberechtigte Zielrichtungen, die derart in einer gewissen Ursache-Wirkungsbeziehung stehen, dass die Mitarbeiterzufriedenheit eine Voraussetzung für gute Leistungen und Kundenzufriedenheit ist. Wissensarbeiter haben mit ihrem Wissen, Kompetenzen und Motivationspotenzial eine knappe Ressource, die es erlaubt besondere Anforderungen an die Organisation zu stellen. „Professionals are not like ma-
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
chines or money and cannot be allocated to a project unless they themselves see that project as the most interesting option available to them at the moment and appropriate for their expertise“ [17]. Aus der Möglichkeit, dass Wissensarbeiter abgeworben werden, sich selbst neu orientieren oder aufgrund der sehr engen Kooperation im Leistungserbringungsprozess mit Kunden, steigt das latente Risiko, Wissensarbeiter und die Kompetenzen an Konkurrenten oder Kundenunternehmen zu verlieren. Im Vergleich zu anderen Unternehmen ist das Risiko besonders hoch, da das Wissen und die Kompetenz sehr spezifisch und individuell sowie die Kontaktdauer zwischen Wissensarbeitern und Kunden vergleichsweise hoch sein können. Gleichzeitig mit diesem Problem gehen das Risiko des unbeabsichtigten Wissensabflusses und die Verkleinerung der Wissensbasis einher. Aus diesen Anforderungen und der professionellen Kompetenz der Wissensarbeiter resultieren im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, folgende die Motivation beeinflussenden Bedürfnisse [16–18]: • Verstärkter Wunsch nach erhöhtem Tätigkeits- und insbesondere Entscheidungsspielraum. • Bewusstsein für „Wissensterritorien“ entsteht und manifestiert sich. Damit geht das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstverwirklichung sowie der Wunsch den „Personell Brand“ für ein bestimmtes Themenfeld zu entwickeln und auszubauen, einher. • Wunsch nach freier Wahl des nächsten und herausfordernden Projekts wächst, um neue Erfahrungen zu sammeln. • Interesse an anderen wissensintensiven Dienstleistern mit ähnlichem Tätigkeitsbereich kann entstehen. • Identifikation mit ihrem Beruf und Berufsstand ist größer als mit der Firma. Die Leistungsfähigkeit und Produktivität des Wissensarbeiters ist grundsätzlich eng an seine Persönlichkeitsmerkmale bzw. persönlichen Dispositionen, seine Bedürfnisse und die Möglichkeit diese im Unternehmenskontext zu befriedigen, seine positiven Emotionen, seine psycho-soziale Situation und seine biologische Konstitution sowie das zielorientierte Verhalten geknüpft. Abbildung 12.20 zeigt diesen Zusammenhang (zwischen den Bedürfnissen und Unternehmenszielen). Es ist von entscheidender Bedeutung, wie Wissensarbeiter ihre Bedürfnisse im sozialen Wirkge-
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füge der Organisation mit den Zielen der Organisation verbinden können, damit die intrinsische Motivation als Treiber für Produktivität und intellektuelles Kapital aufrecht erhalten bleibt. Wenn es Führungskräften gemeinsam mit den Wissensarbeitern oder den Wissensarbeitern aus einem aktiven Selbstmanagement heraus gelingt, dass die fundamentalen Dispositionen und Bedürfnisse der Wissensarbeiter für die Zielerreichung in der Organisation genutzt werden können, dann entsteht die „Faszination des Ziels“ [36] und entsprechend durch intrinsische Motivation der Wissensarbeiter Leistung. Es wird eine sich selbst verstärkende Erfolgsspirale in Gang gesetzt. Damit verbunden sind positive Emotionen, wie Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Infolge dessen kann der Wissensarbeiter selbstsicher und aktiv für das Unternehmen eintreten und handeln. Er erntet dadurch Erfolgserlebnisse und schlussendlich Mitarbeiterzufriedenheit und Glück. Dies hat für die Firma zur Folge, dass Menschen sich für „ihre Firma“ einsetzen und zielkongruent handeln. Schaffen Wissensarbeiter es nicht, ihre Position und Lösungen zu finden, bei denen sie Selbstvertrauen erleben und durch Erfolg motiviert werden, weil wichtige Bedürfnisse nicht erfüllt werden (können) oder sie es nicht schaffen, dafür aktiv einzutreten (sog. gehemmte Aggression), so drohen ggf. folgenschwere Mangelerlebnisse. Die Folge ist Di-Stress und wenn dieser länger anhält mündet dies in der Emotion, der Situation ohnmächtig gegenüber zu stehen. Das Resultat auf der Handlungsebene sind Rückzug, Aggression und Teilnahmslosigkeit. Ein häufiges anzutreffendes Beispiel in Organisationen ist die „interne Kündigung“, oder das „Krankfeiern“, deren Vorläuferereignisse häufig auf der Bedürfnisebene liegen. Der mangelnde soziale Anschluss, die geringe Wertschätzung oder die Nichtbeachtung der Person und die Überforderung führen zu Di-Stress und negativen Kettenreaktionen. Organisationen benötigen für Wissensarbeiter entsprechende Rahmenbedingungen, wie bspw. durchlässige, flexible Strukturen, horizontale Karrieremöglichkeiten, Fach- und Führungslaufbahnen oder einen Mix. Zwischen der Persönlichkeit des Wissensarbeiters und den Rahmenbedingungen, in denen er agiert, bestehen erfolgskritische Wirkbeziehungen. Daraus ergeben sich zwischen Führungskräften und Wissensarbeitern sowie zwischen den Wissensarbeitern selbst und den Rahmenbedingungen des wissensintensiven
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12 Personalmanagement
Abb. 12.20 Die Motivationslandkarte
Unternehmens folgende erfolgskritischen Faktoren bezüglich der Motivation: • Funktionierendes Arbeitsumfeld: Ein funktionierendes Team und die Akzeptanz durch Kollegen werden in vielen Untersuchungen als besonders kritisch für die Motivation und Zufriedenheit gesehen. Die Schaffung überschaubarer Gruppen mit einer hohen Kohäsion ist daher einer der Wege zu Erhöhung der Zufriedenheit [24, 25]. • Management-Qualität: Die Führungs- bzw. Management-Qualität wird in vielen Studien als weiterer, zentraler Einflussfaktor auf die Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit identifiziert [25]. Versucht man von spezifischen Konstellationen von Führungskräften, Mitarbeitern oder Teams zu generalisieren, so wird deutlich, dass ein entwicklungsbzw. mitarbeiterbezogenes, situatives Führungsverhalten besonders erfolgskritisch für die Motivation und Zufriedenheit ist [2]. • Handlungsspielraum: Der adäquate Handlungsspielraum stellt für den Wissensarbeiter einen
wichtigen beitragenden Faktor zur Arbeitszufriedenheit dar. Die Regelungen zum Handlungsspielraum sollten derart gestaltet sein, dass der Wissensarbeiter bei der Ausübung seiner Tätigkeit das Gefühl gewinnt, seine persönlichen Leistungsmerkmale und Stärken entfalten zu können, die er tatsächlich besitzt. Entsprechen die von der Institution gesetzten Ziele, Herausforderungen und Aufgaben den Bedürfnissen der Wissensarbeiter, so entstehen Motive, eine Aktivierung und entsprechendes Verhalten, die Bedürfnisse zu befriedigen. Es zum „Flow-Erleben“ [5, 6] und zu hoher Kongruenz zwischen Individuum und Organisation. Dies hat zur Folge, dass die berufliche Tätigkeit in hoher Übereinstimmung mit den Zielen und Bedürfnissen des Menschen sind. • Entwicklungschancen: Die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten stellen für Wissensarbeiter einen herausragenden motivierenden Faktor dar. Es wurde empirisch vielfach nachgewiesen, dass die persönliche Entwicklung (u. a. Promotion, Aufstieg, Outplacement) ein wesentlicher Grund
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
für eine hohe Motivation ist. Die Effekte des Aufstiegs gehen einher mit vielen begleitenden positiven Konsequenzen (u. a. höheres Gehalt, größerer Handlungsspielraum, mehr Einfluss, höheres Ansehen). Aufstieg bedeutet jedoch auch bestehende Kontexte (u. a. Kollegen, Kunden) zu verlassen. Wesentlich beim Aufstieg erscheint, zwischen Aufstiegserwartung und dem erreichten Aufstieg zu unterscheiden. Sind die wahrgenommenen Aufstiegschancen hoch, so ist dies meist mit gestiegener Zufriedenheit verbunden. Kommt es allerdings in absehbarer Zeit nicht zum Aufstieg, ist insbesondere Unzufriedenheit die Folge. Bei nur gering eingeschätzten Aufstiegschancen und dann doch erreichtem Aufstieg liegen die Verhältnisse umgekehrt. • Extrinsische Motivierung und intrinsische Motivation sowie Anreize: Der Zusammenhang zwischen Motivation und extrinischen materiellen (u. a. variable Vergütung, Bonus) und immateriellen Anreizen (u. a. Anerkennung, Arbeitszeitregelung, Zeitarbeitskonto, unternehmenseigene Kindertagesstätte) ist nicht eindeutig darstellbar. Die Gehaltshöhe, eine Gehaltserhöhung oder variable Vergütungsbestandteile korrelieren häufig mit anderen immateriellen Anreizen, wie u. a. Ansehen, Einfluss und Handlungsspielraum. Bei der Gehaltshöhe, Gehaltserhöhung und Zulagen ist bedeutsam, dass sie sich, bei der ohnehin gut bis sehr gut bezahlten Gruppe der Wissensarbeiter deutlich geringer auf die Motivation und Zufriedenheit auswirken, als bei gering entlohnten Arbeitnehmergruppen [7]. Auf Wissensarbeiter wirkt insbesondere das Spektrum der immateriellen Anreize, da sie sich im Sinne der Nutzenmaximierung durch diese größere Nutzenzuwächse versprechen (u. a. Zeitersparnisse, Freiheit, Zeitsouveränität) [7]. Der sensible Umgang mit Anerkennung der Leistung und Kritik ist erfolgskritisch. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es, bei der Motivierungswirkung durch Gehaltserhöhungen oder Annerkennung/Lob, insbesondere auf die relative Höhe und Stärke im sozialen Vergleich und auf die subjektiv empfundene Gerechtigkeit ankommt. • Klare Ziele sollten gesetzt sein und Rückmeldungen über den Grad der Zielerreichung sollten zeitnah erfolgen, was durch „Management by Objectives“ umzusetzen und konsequent durchzuführen ist [25].
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12.7.4.3 Intellektuelle Agilität
Die intellektuelle Agilität als individuelle Ressource des intellektuellen Kapitals besteht aus den Begabungen zur Innovation, Imitation, Adaption und Packaging und beinhaltet die Elemente der Kategorien Kompetenz und der Einstellungen zugleich [23]. Unter Innovation wird die Begabung verstanden, auf existierendem Wissen aufbauend, neues Wissen und marktfähige Leistungen zu generieren. Dieser Aspekt des Humankapitals ist erfolgskritisch für das Wachstum von Wissen und Fähigkeiten. Die Imitation ist die Übernahme bestehender Lösungen und deren Anwendung auf Problemstellungen ähnlicher Struktur. Die Imitation kann aufgrund externer oder interner bestehender Lösungen erfolgen. Es besteht ein fließender Übergang von der Imitation zur Innovation, da Innovationen einerseits eine völlig neue Lösung ohne bedeutende Anteile vorhandenen Wissens darstellen. Andererseits können Innovationen mit einem großen Anteil bestehenden Wissens entstehen und sich deshalb nahe an der Imitation befinden. Unter Adaption wird die Übernahme bestehender Lösungen auf andere Problemstellungen verstanden. Der Lösungsansatz bezieht sich also nicht auf ähnliche sondern auf gänzlich anders gelagerte Problemstellungen. Das Packaging bezeichnet die Fähigkeit, Ideen in Leistungen oder Produkte zu überführen. Packaging stellt eine Querschnittsfunktion dar, die in Kombination mit Innovation, Imitation oder Adaption zu einer Leistung führt. Es handelt sich bei der intellektuellen Agilität um die überfachlichen, funktionalen Eigenschaften der Wissensarbeiter, Probleme lösen zu können, kreativ bzw. innovativ zu sein, neue Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen oder bestehende Ansätze in neuen Kontexten einzusetzen. Somit handelt es sich bei der intellektuellen Agilität um Eigenschaften bzw. Präferenzen von Wissensarbeitern. Die Faktoren der intellektuellen Agilität, wie bspw. Kreativität bzw. Innovationsfähigkeit sind sehr eng an das Wissen und die Fertigkeiten aus dem Bereich Kompetenz und die Motivation und das Verhalten aus dem Bereich der Einstellungen geknüpft. Die intellektuelle Agilität dient somit der Nutzung der Kompetenz und Einstellungen: „If competence is the content, intellectual agility is the ability to use knowledge and skills, building on it, applying it in practical context and increasing it through learning“ [23].
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Intellektuelle Agilität lässt sich jedoch nicht wie Wissen lernen oder wie Fertigkeiten trainieren. Intellektuelle Agilität ist fester und relativ stabiler Bestandteil der Persönlichkeit eines Wissensarbeiters. Die oben dargestellten Einflussmöglichkeiten im Bereich der Einstellungen, um u. a. Demotivation zu vermeiden, haben Grenzen. Diese Aspekte sind im Vergleich zu den Faktoren der Kompetenz schwerer und im Vergleich zu den Aspekten der intellektuellen Agilität (siehe unten) leichter zu beeinflussen. „Real professionalism is about attitudes, and perhaps even about character“ [17]. Unter „Character“ werden die Eigenschaften, Präferenzen und Dispositionen einer Persönlichkeit verstanden. Diese Faktoren beziehen sich auf schwer veränderbare Prägungen und in frühen Lebensphasen gelernte Muster. Eine kurz- bis mittelfristige Entwicklung der Einstellungen ist nur schwer und die der intellektuellen Agilität ist aus Unternehmenssicht nicht möglich. Daraus ergibt sich im Vergleich zu den Faktoren der Kompetenz für die Faktoren der Einstellungen und insbesondere für die intellektuelle Agilität eine besondere Bedeutung für die Personalauswahl. „Firms should hire for attidude and train for skill. Skills you can teach – attitudes and character are inherent“ [17]. Aufgrund dieser Tatsache werden die Einstellungen und die intellektuelle Agilität zum Engpass auf dem Arbeitsmarkt.
12.7.5 Der „Myers-Briggs Type Indicator (MBTI)“ als Diagnosewerkzeug zur Steigerung der Produktivität von Wissensarbeitern Die Annahme ist, dass Wissensarbeiter oder Teams, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale sich optimal für eine spezifische Wissensarbeit eignen oder im Team u. a. aufgrund ihrer komplementären Persönlichkeitsmerkmale optimal zusammenpassen, eine hohe Produktivität erzeugen und einen großen Wertbeitrag zum intellektuellen Kapital leisten. „Fehlbesetzungen“ bezogen auf die Persönlichkeitsmerkmale jenseits der fachlichen Qualifikationen in wissensintensiven Bereichen führen zu negativen Hebelwirkungen auf die Produktivität der Wissensarbeit und die Entwicklung sowie Verwertung des intellektuelle Kapitals. Zahlreiche Studien zeigen, dass die häufigsten Gründe für das Scheitern von Wissensarbeitern, von
12 Personalmanagement
wissensintensiven Projekten und Aufgaben nicht in unzureichenden fachlichen und methodischen Kompetenzen, sondern im psycho-sozialen Bereich, also im Verhalten, in den Emotionen, in der Motivation und zwischenpersönlichen Einstellungscharakteristika der Wissensarbeiter zu suchen sind. Wissensarbeiter scheitern beispielsweise, weil sie • Kommunikations- und Interaktionsaufgaben in schwierigen Situationen nicht gewachsen sind, • sich nicht durchsetzen können, • ihnen ab einem bestimmten Punkt die Akzeptanz bei internen oder externen Kunden fehlt, • die Komplexität nicht effizient beherrschen, • das soziale Wirkgefüge einer komplexen Organisation eines Kunden nicht durchschauen, • sich zu wenig auf den Kunden einer wissensintensiven Leistung und dessen Bedürfnisse einlassen. Die Gründe können in den Dispositionen und Präferenzen der einzelnen Persönlichkeit oder an der Zusammensetzung im Team liegen: Ein Projektleiter zeigt mangelnde Kommunikation und Abstimmung, weil er ggf. lieber im Stillen neue Methoden entwickelt, ein Teammitglied kommuniziert wichtige Informationen nicht, weil es die Relevanz nicht erkannt hat, ein anderes Teammitglied teilt kein Wissen mehr, weil es Imitation und damit den Verlust von Einfluss und Macht befürchtet. Um die Anforderungen der oben beschriebenen Wissensarbeiten und Aufgaben mit den unterschiedlichsten Ausprägungen von Persönlichkeiten von Wissensarbeitern in Einklang zu bringen, können mittels Persönlichkeitsdiagnostik die Merkmalsausprägungen der Wissensarbeiter in (Selbst-)Diagnoseverfahren erhoben werden. Erprobte Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnose sind der „Myers-Briggs Type Indicator“ [1, 3, 12, 15, 35] oder das „Big-Five Persönlichkeitsmodell“ [14]. Die Dimensionen und Grundorientierungen der Persönlichkeit des Wissensarbeiters haben einen großen Einfluss auf die Art und Weise, wie Wissensarbeiter Wissensarbeiten planen, ggf. gemeinsam durchführen und sie kontrollieren, lernen, verbessern und sich weiterentwickeln. Und es geht um die Eignung bestimmter Wissensarbeiter für bestimmte Wissensarbeitstypen. Der „Myers-Briggs Type Indicator (MBTI)“ ist eines der seriösesten und weltweit am häufigsten eingesetzten Verfahren zur Persönlichkeitsanalyse. Es dient der Messung von emotionalen, motivationalen und interpersonalen Einstellungsmerkmalen. Es
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
adressiert die Ressourcen des intellektuellen Kapitals im Bereich der Einstellung und der intellektuellen Agilität. Das Persönlichkeitsmodell geht von einer relativ stabilen Trait-Struktur aus, was bedeutet, dass die Persönlichkeitsmerkmale nicht veränderbar sind (s. oben). Basierend auf den „Psychologischen Typen“ von C. G. Jung [15], entwickelten Myers und Briggs einen Fragebogen, der bestimmte Präferenzen, Muster und Prägungen menschlichen Grundverhaltens verständlich und transparent macht [3]. Wissensarbeiter/innen, die ihre Unterschiede im Verhalten zwischen verschiedenen Personen bewusst wahrnehmen, über ihre eigenen Neigungen bzw. Präferenzen Bescheid wissen und die der anderen erkennen, respektieren und in ihrem persönlichen Verhalten berücksichtigen, werden in ihrer Umgebung besser zurechtkommen und erfolgreicher sein. Der Myers-Briggs Type Indicator besteht aus vier polaren Grunddimensionen. Die Theorie besagt, dass je ein Pol der vier Präferenzen bevorzugt wird. Die vier polaren Grunddimensionen bestehen aus zwei Paaren, die erstens Einstellungen und zweitens Funktionen beschreiben. Daraus resultieren insgesamt 16 mögliche Persönlichkeitskonfigurationen, die u. a. bei Bents/Blank (2004) [1] sowie Wildenmann (2000) [35] ausführlich beschrieben sind. Die Einstellungen Extraversion (Außenorientierung) (E) und Introversion (Innenorientierung) (I) unterscheidet danach, woher ein Mensch seine Energie bezieht. Extravertierte Menschen beziehen ihre Energie von Außen. Merkmale, die man mit der Extraversion verbindet sind, dass das Bewusstsein und die Abhängigkeit sich an der Außenwelt orientiert. Assoziierte Merkmale sind: impulsives Verhalten, Handeln, Kontaktfreude, Umgänglichkeit, Redner, ausschweifend und Außenwelt. Wissensarbeiter mit starker Orientierung auf Extraversion lösen Aufgaben, Projekte und Herausforderungen in der Kommunikation mit anderen Wissensarbeitern und im Team. Sie brauchen das Gespräch, um eine gute Idee entwickeln zu können. Introvertierte Menschen beziehen Energie aus ihren Erfahrungen und ihrem reichen Innenleben. Die Merkmale, die mit der Introversion verbunden werden, sind Nachdenken, Konzentration, Reserviertheit, Zuhörer, Ruhe und Innenwelt. Wissensarbeiter mit Tendenz zur Introversion lösen Probleme, indem sie sich zurückziehen, nachdenken und die Lösung für sich erst konzipieren. Sie haben klare Vorstellungen
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und Begriffe und zeichnen sich durch dauerhafte Konzepte aus. Die Einstellungen zur Außenwelt werden durch die Pole „Strukturorientierung“ und „Wahrnehmungsorientierung“ gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass Menschen entweder ihrer Umwelt hauptsächlich mit der Einstellung des Judging (Beurteilung) (J) oder mit der Einstellung des Percieving (Wahrnehmung) (P) begegnen. Demnach gibt es Menschen, die dazu tendieren, die Ereignisse in der Außenwelt zu strukturieren und schnell zu bewerten. Sie zeichnen sich u. a. durch Entscheidung, Organisation, Struktur, Kontrollbedürfnis, Plan und Termine aus. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die tendenziell länger abwarten und offen weiter wahrnehmen. Sie zeichnen sich u. a. durch Merkmale wie Flexibilität, Offenheit, Prozessorientierung und Entdeckungsgeist aus. Wissensarbeiter die zum J-Typ tendieren, kommen ohne langes Beobachten zu einer Beurteilung der Lage im Projekt. Extrem könnte man formulieren, dass sie zum Vorurteil neigen. J-Typen mögen gern klare Abläufe und feste Routinen sowie klare Grenzen und Kategorien. Sie sind entschlussfreudig, halten sich an Termine und planen im Voraus. Sie mögen Abgeschlossenheit und beenden Projekte sowie Aufgaben bewusst. Wissensarbeiter des P-Typs kommen in das Projektmeeting und beobachten erst einmal die Lage, bevor sie irgendetwas kundtun. Sie sind neugierig und offen für das was gerade läuft, ohne eine sofortige Entscheidung abgeben zu müssen. Sie mögen Veränderung und kommen mit Terminsachen erst in letzter Minute zu Rande. Sie bevorzugen einen flexiblen Arbeitstil und tendieren zur grenzenlosen Freiheit bzw. zu großen Handlungsspielräumen. Der P-Typ als Wissensarbeiter bevorzugt Offenheit bzw. offene Kommunikation und Wissenstransfer und genießt den Prozess als solchen. Er möchte den Augenblick leben. Stossen in der Teamarbeit J- und P-Typen aufeinander, so erscheinen den P-Typen die J-Typen als zu eng und strukturiert und die P-Typen erscheinen den J-Typen als unorganisiert und unordentlich. Die Funktionen untergliedern sich in Wahrnehmungs- und Beurteilungsfunktionen. Die Wahrnehmungsfunktionen beschreiben, wie Menschen Informationen wahrnehmen oder ihre Umwelt wahrnehmen. Der MBTI unterscheidet zwischen der Sinnes- und der intuitiven Wahrnehmung bzw. Sensing (sinnliche Wahrnehmung, S-Typ) und Intuition (Intuitive Wahrnehmung, N-Typ).
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12 Personalmanagement
Funktionen
Sensing (Sinnliches Wahrnehmen)
S
Intuition (Intuitives Wahrnehmen)
N
Thinking (Analytisches Entscheiden)
T
(Gef Feeling (Gefühlsmäßiges Entscheiden)
F
Extraversion (Außenorientierung)
E
Introversion (Innenorientierung)
I
Judging (Beurteilende Einstellung)
J
Percieving (Wahrnehmende Einstellung)
P
Einstellungen
Abb. 12.21 Die vier polaren Grunddimensionen des MBTI [1]
Zwei Wissensarbeiter stehen vor Problemen und einer großen Herausforderung im Projekt. Der NTyp sieht Muster und Zusammenhänge, folgt seinem Bauchgefühl, fängt irgendwo an, überspringt Schritte, sieht in der Verflechtung der Teilprojekte und im Projektteam Probleme auf der Beziehungsebene. Der S-Typ sieht viele einzelne Teilziele gefährdet und will einzelne Probleme Schritt für Schritt dezidiert angehen. Die Beurteilungsfunktionen beschreiben, wie Menschen bevorzugt Entscheidungen treffen und Interpretationen vornehmen. Der MBTI untergliedert in Thinking (analytische Entscheidung, T-Typ) und Feeling (Gefühlsmäßige Entscheidung, F-Typ). Ein analytisch entscheidender Wissensarbeiter (T-Typ) benutzt sein Gefühl und sein Denken um zu einer Entscheidung zu kommen, wobei das letztere vor allem dominiert. Er studiert und analysiert sämtliche vorliegenden Daten, Fakten, Zahlen und Akten und kommt unter Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile analytisch zur Entscheidung. Denk- und analytische Typen betonen Dinge wie Gerechtigkeit, Wahrheit und machen sich um die Folgen ihrer Entscheidungen Gedanken. Sie neigen zu Überparteilichkeit und finden es gut, wenn Durchsetzungsvermögen und technische Fähigkeiten gefordert werden. Gefühlsmäßiges Beurteilen beschreibt dagegen einen Entscheidungsprozess, in dem persönliche und soziale Werte eine Rolle spielen. Menschen, die aus dem Gefühl urteilen (F-Typ) benutzen im Entscheidungsprozess ebenfalls das Den-
ken und das Fühlen. Aber sie lassen sich eher von ihren persönlichen Wertvorstellungen und dem Gefühlten leiten. Aus den Funktionen und Einstellungen ergeben sich Kombinationen, die in Abb. 12.22 gezeigt werden. Die Neigung zu einem bestimmten Typ wohnt Menschen von Geburt an inne und es findet eine Ausformung der bevorzugten Funktionen im lebenslangen Prozess der Typenentwicklung statt. Einer der beiden Buchstaben wird als „dominante Funktion“ bezeichnet. Das heißt, der einen Funktion vertraut man mehr und verlässt sich auf sie (sagt nichts aus, wie sehr man sich darauf verlassen kann). Sie übernimmt die führende Rolle und verleiht der Person Selbstsicherheit. Die vierte oder auch „inferiore Funktion“ ist wichtig zu erwähnen, weil sie unsere „verwundbare Stelle“, gleichzeitig aber auch die Herausforderung zur Vollständigkeit darstellt. Größere Schwierigkeiten und Konflikte treten vorwiegend mit Menschen auf, deren dominante Funktion auf die eigene inferiore Funktion stößt. Entscheidend für die Persönlichkeit der Wissensarbeiter/innen sind die Kombination und die Stärke der Grundorientierungen und Einstellungen. Es geht nicht allein darum, herauszufinden, welcher Typ ein(e) Wissensarbeiter/in ist, sondern vielmehr welche Anteile in welcher Kombination in einer Person vorherrschend sind. Im Kontext dieses Beitrages führt es zu weit, alle 16 Persönlichkeitskonfigurationen ausführlich darzustellen, deshalb wird an dieser Stelle noch-
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
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Mögliche Kombinationen: NF – begeisterungsfähig und einsichtig NT – logisch und mit kreativen Fähigkeiten SF – sympathisch und freundlich ST – praktisch veranlagt und an Tatsachen orientiert
SP – sinnlich wahrnehmend NP – intuitiv wahrnehmend TJ – analytisch beurteilend FJ – gefühlsmäßig urteilend
Abb. 12.22 Mögliche Kombinationen (Beispiele)
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
ISTJ: Ernsthaft, ruhig, konzentriert, ordentlich, gründlich, realistisch, zuverlässig ISFJ: Freundlich, ruhig, engagiert, gewissenhaft, geduldig, loyal, rücksichtsvoll ISTP: Kühle Beobachter, ruhig, zurückhaltend, analysierend, origineller Humor ISFP: Zurückhaltend, unauffällig, sensibel, bescheiden, scheuen Auseinandersetzungen ESTP: Sachlich, sorglos, direkt, unsensibel ESFP: Aufgeschlossen, umgänglich, freundlich, begeisterungsfähig ESTJ: Managen gern, praktisch, realistisch, kein Interesse an Dingen ohne unmittelbaren Nutzen ESFJ: Warmherzig, redselig, beliebt, gewissenhaft, geborne Teamer, aktiv INFJ: Ausdauernd, originell, unaufdringlich, prinzipientreu, kümmern sich um Gemeinwohl INTJ: Originell, großer ß Antrieb bei eigenen Ideen, skeptisch, kritisch, entschlossen, oft stur INFP: Enthusiastisch, loyalfreundlich, in sich selbst versunken, nicht sehr redselig INTP: Ruhig, zurückhaltend, haarspalterisch, keine Freunde von Parties ENFP: Begeisterungsfähig, hochgradig motiviert, geistreich, phantasievoll, Improvisationstalent ENTP: Schnell, geistreich, wach, offen, Spaß an Gegenpositionen, nachlässig bei der Routinearbeit ENFJ: Zugänglich, verantwortungsbewusst, umsichtig, aufgeschlossen, beliebtt ENTJ: Herzlich, offen, können ö gut lernen, Führertyp, ü analytisch, kluger Redner, manchmal zu selbstsicher
Abb. 12.23 Persönlichkeitstypen [1, 35]
mals auf die vertiefende Literatur verwiesen [1, 35], die die 16 Kombinationen sehr ausführlich beschreiben. Abbildung 12.23 zeigt, wie diese mit dem MBTIPersönlichkeitsmodell beschrieben und erfasst werden können (Überblick). Die Anforderungen an die Wissensarbeiter/innen leiten sich aus den Erfolgsfaktoren des wissensintensiven Unternehmens und aus den verschiedenen Wissensarbeiten ab. In einem nächsten Schritt muss ein Abgleich zwischen den Erfolgsfaktoren und Anforderungen der Wissensarbeiten mit den identifizierten Persönlichkeitsmerkmalen erfolgen. Bezüglich einer Zuordnung der Persönlichkeitstypen zu den Berufsgruppen werden im Folgenden drei Beispiele gezeigt. TJ-Typen eignen sich gut als Wissensarbeiter im Sinne von Geschäftsleuten und Führungskräften, weil sie analytisch vorgehen und schnell zu Entscheidungen kommen, ohne lange beobachten zu müssen. Sie haben eine bedeutende analytische Veranlagung (T-Typ) und neigen zum schnelleren Urteil (J-Typ). Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese Kom-
bination in vielen Fällen auf Fakten basierend effizient entscheidet. SF-Typen eigen sich für eine direkte, sensible Kunden- oder gar Patientenbetreuung, da sie sinnlich wahrnehmen und gefühlsmäßig bewerten. Sie sind damit in der Lage auf der Beziehungsebene einen sympathischen und freundlichen Kontakt aufzubauen. NF-Typen nehmen intuitiv wahr und bewerten mit dem Gefühl. Diese Orientierung ist für Wissensarbeiter, die die intensive Interaktion mit (immer neuen) Kunden pflegen müssen, Ideen einbringen müssen und deren Tätigkeit mit dem Kunden Empathie erfordert, wichtig. Hinzu kommen der professionelle Umgang mit Komplexität und die Fähigkeit, seine Motivation aus dem Ungelösten und dem Neuen zu zehren, damit in komplexen und vorher nicht bestimmten Situationen „die Wissensarbeit“ professionell erfolgt. Es braucht also Menschen, welche die vielschichtigen Inhalte von Informationen erkennen und die richtige Verarbeitung zu nutzbarem Wissen kreativ umsetzen. Da er nicht alle Aufgaben selbst lösen kann, lebt er von
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der Kommunikation mit Partnern und löst die Herausforderungen in der Interaktion mit anderen. Wissensintensive Unternehmen können den MBTI bei der Personalauswahl, bei der Zuordnung von Wissensarbeitern zu Wissensarbeiten und bei der Teamzusammenstellung anwenden. Der MBTI wird im Einzelcoaching, bei der Personalauswahl in der Persönlichkeitsentwicklung, Laufbahnplanung und Teambildung sowie zur Diagnose des Kommunikationsverhaltens und der sozialen Kompetenzen eingesetzt. Für Wissensarbeiter kann der MBTI unterschiedlichen produktivitätswirksamen Nutzen haben. Der MBTI hilft, eigene Denk- und Wahrnehmungskategorien zu erkennen und fremde Kategorien einschätzen zu lernen, was sich insbesondere in der Teamarbeit als Produktivitätstreiber herausstellt. Es lassen sich eigene Präferenzen, Dispositionen, „Muster“ und Verhaltensweisen erkennen und man entwickelt mehr Verständnis für sich selbst und Kollegen. Es entsteht dadurch mehr Einfühlungsvermögen und Toleranz anderen gegenüber. Die Schärfung der Selbst-Wahrnehmung, des Bewusst-Seins und der Sinne sowie das Erkennen von persönlichen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen wird ermöglicht. Er vermittelt, dass alle Profile prinzipiell gleich wertvoll und hilfreich für die Problemlösung sind. Irritationen zwischen Kooperationspartnern in wissensintensiven Unternehmen haben häufig ihre Ursachen in Unsensibilitäten. Werden z. B. gegen Abmachungen sog. Wissensterritorien überschritten, oder wird versucht Kooperationspartnern Themen abzujagen, passiert dies vielleicht, weil man selbst extrovertiert ist und ein besonderes Bedürfnis nach Geltung und Macht hat. Oder man verschreckt Kunden, weil man als Projektleiter sehr extrovertiert ist, dann sollte man versteckte Signale erkennen, um einem introvertierten Geschäftspartner Zeit zu geben, seine Entscheidung ungestört zu durchdenken. Der MBTI ermöglicht dadurch, mit anders strukturierten Personen vorurteils-, stress- und wertfrei umzugehen. Die Verbesserung der Kooperations- und partnerschaftlichen Beziehung wird angestoßen. Ein wichtiger Baustein des MBTI ist, dass er Wissensarbeiter/innen ermöglicht zu erkennen, ob sich persönliche Präferenzen und berufliche Aufgaben entsprechen. Für Führungskräfte kommt hinzu, dass das Führungsverhalten und der Führungsstil diagnostiziert werden kann und durch die Anwendung des MBTI Einsichten
12 Personalmanagement
und Fähigkeiten erworben werden, um die Führung effizienter zu gestalten.
12.7.6 Strategisches Performance Management wissensintensiver Firmen Das Fraunhofer-IAO hat für das Intellectual-CapitalManagement (ICM) ein Toolset zur Durchführung von ICM-Audits zur Ableitung von Strategien für die Ressourcen des intellektuellen Kapitals entwickelt [26,27, 29]. Dabei geht es um die Diagnose, ob die vorhandenen individuellen, kollektiven und organisationalen intellektuellen Ressourcen optimal entwickelt, genutzt werden, und ob sie optimal in Unternehmenserfolg umgewandelt werden [27, 32]. Auf der Basis von Abweichungsanalysen werden dann spezifisch Strategien zur Entwicklung und Verwertung der intellektuellen Ressourcen geplant sowie anschließend bei der Umsetzung betreut. Das Intellectual-Capital-Management-Toolset wurde spezifisch für Wissensintensive Dienstleister zur strategischen Diagnose und zum Aufbau der Erfolgspotenziale des intellektuellen Kapitals entwickelt und betont einen strategischen Zugang zu den Ressourcen des intellektuellen Kapitals. Dies bedeutet, dass das ICM-Toolset die Kategorien des intellektuellen Kapitals, die als „thinking-“ (Mitarbeiter) und „nonthinking-Intellectual Capital“ (u. a. Infrastruktur, Systeme, Prozesse) bezeichnet werden können, für das strategische Management zur Entwicklung und Abschöpfung der intellektueller Ressourcen klar differenzieren [23]. Darüber hinaus stehen im Zentrum des Ansatzes kritische Erfolgsfaktoren der Unternehmensgattung Wissensintensive Dienstleister als priorisierte kundenorientierte Anforderungen. Sie geben Hinweise zur erfolgreichen Umsetzung von Strategien für die intellektuellen Ressourcen. Aus firmeninterner und Ressourcenperspektive handelt es sich dabei um im Wissenswettbewerb erforderliche, strategische Kernkompetenzen, die durch eine im Wettbewerbsvergleich besonders hohe Ressourcenstärke und einen hohen Kundenwert bzw. Wertschöpfung beim Kunden gekennzeichnet sind und damit den finanziellen Unternehmenserfolg besonders positiv beeinflussen. Diese besonders strategisch wertvollen Ressourcen des in-
12.7 Aspekte des Human Performance Managements zur Steigerung der Produktivität
Abb. 12.24 Intellectual Capital Management Toolset [27]
Abb. 12.25 Erfolgsindikatoren bei wissensintensiven Dienstleistern (Beispiele) [27]
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tellektuellen Kapitals Wissensintensiver Dienstleister haben im Überblick folgende Ausprägung [27]: • Competence Power: Die Fähigkeit der Wissensarbeiter, den im Wettbewerb erforderlichen Wissensvorsprung, sowie die Führerschaft und Professionalität der strategisch relevanten Kompetenzen zu erlangen. Das Ziel ist Wissens- und Kompetenzvorsprung gegenüber den besten Wettbewerbern zu erzielen. • Communication Power: Das kundenorientierte und loyale Verhalten sowie die professionelle Kommunikation (Verhalten) der Wissensarbeiter an sämtlichen Schnittstellen zu den Kunden und Stakeholdern. • Creativity Power: Die Begabung der Wissensarbeiter zur Generierung geschäftsrelevanten Wissens und dezentraler Innovation und Imitation. • Customization Power: Die organisatorische Kompetenz, innovative und schwer imitierbare wissensintensive Dienstleistungen im Leistungserbringungsprozess so kundenindividuell wie nötig und so standardisiert wie möglich durchzuführen. • Cultural Power: Die organisatorische Kompetenz des Unternehmens, ein einheitliches Wertesystem aufzubauen, das nach innen integrierend und nach außen differenzierend wirkt. Das Ziel ist, größtmögliche Corporate Identity und „One Firme Culture“. • Confidence Power: Die Fähigkeit des Unternehmens, Vertrauen beim Kunden zu erzeugen, zu erhalten und zu verstärken. Das Ziel ist, den Vertrauensvorsprung von Wissensarbeitern bei Kunden auszubauen. • Commercialization Power: Die Fähigkeit des Unternehmens Wissen in fakturierbare Leistungen mit werthaltigem Umsatz umzusetzen (In-WertSetzung). Das Ziel ist, die Wissensressourcen der Firma zu intellektuellem Kapital „in-Wert-zusetzen“. Die kritischen Erfolgsfaktoren im Sinne priorisierter Kundenanforderungen dienen bei der Ableitung der Strategien für die intellektuellen Ressourcen als Orientierungsrahmen. Die Strategien haben zum Ziel, implizite intellektuelle Ressourcen zu entwickeln, weil insbesondere mit ihnen strategische Wettbewerbsvorteile im Wissenswettbewerb und intellektuelles Kapital generierbar sind [39, 40].
12 Personalmanagement
Aus den kritischen Erfolgsfaktoren wurden die spezifischen Erfolgsindikatoren abgeleitet. Sie ermöglichen eine zielorientierte Steuerung der Wissensarbeiter über die Zielvereinbarungen und Erreichungsgrade. Dies dient der Überprüfung und Ausrichtung der Wissensarbeiter auf die Erfolgsfaktoren bzw. Kernkompetenzen auf der Basis von Zielvereinbarungsprozessen. So können mit dem ICM-Toolset wissensintensive Firmen feststellen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, wenn es darum geht, das vorhandene intellektuelle Ressourcen in Unternehmenserfolg zu überführen. Dazu wird beispielsweise überprüft, wie gut • die Leistungsmessgrößen auf die Erfolgsfaktoren von wissensintensiven Dienstleistern und Wissensarbeitern sowie das intellektuelle Kapital ausgerichtet sind, • die Kooperations- und Netzwerkbeziehungen zu externen Partnern, der Wissenserwerb und Wissenstransfer organisiert sind, • die Aufbau- und Ablauforganisation gestaltet ist, so dass Wissenstransfer und in Folge Innovationen entwickelt werden, die auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet sind, • die Wissensarbeiter ausgewählt und Teams zusammengestellt werden, • Wissenstransfer von Senior- auf Juniorwissensarbeiter transferiert wird, • der Wissens- und Kompetenzerhalt betrieben wird, • der Erfahrungsrückfluss organisiert ist, • Leistungen einerseits modular vorliegen und andererseits flexibel an Kundenwünsche angepasst werden können, • die intrinsische Motivation der Wissensarbeiter, die extrinsischen Anreize und die Ziele der Firma auf Kongruenz gebracht werden. Das ICM-Toolset kann als Selbst- und Fremdbewertungsverfahren durchgeführt werden und beinhaltet die oben dargestellten sieben Erfolgsfaktoren bzw. Kernkompetenzen, entsprechende qualitative Bewertungsgrößen auf dem Hintergrund eines Reifegradmodells, sowie 25 quantifizierbare Erfolgs- und Leistungsindikatoren. Eine Bewertungsskala basierend auf dem Capability Maturity Model bemisst den Reifegrad der unternehmensbezogenen Erfolgsfaktoren bzw. immateriellen Werttreiber und deren Unterkategorien. Dadurch entsteht ein Stärken-Schwächen-Profil, auf dessen Basis strategische Maßnahmen zur Entwick-
Literatur
901
lung der Ressourcen des intellektuellen Kapitals initiiert werden können. Um zu überprüfen, ob die Bewertungsergebnisse plausibel sind, können parallel quantifizierbare Prozessindikatoren und bilanzielle Kennzahlen mit spezifischen Ober- und Untergrenzen für wissensintensive Dienstleister gemessen werden. Je nach Ziel und Erfahrungshintergrund kann die Fremd- und/oder Selbstbewertung moderiert erfolgen oder modular angewendet werden.
ziert die Grundzüge, wie eine derartige strategische Ausrichtung aussehen kann, und wie wissensintensive Dienstleister ihren Wissensarbeitern strategische Orientierung geben können. Wissensarbeit ohne klare strategische Ausrichtung führt zu Ineffizienzen und zu mangelnder Effektivität.
12.7.7 Fazit
1. Bents, R.; Blank, R.: Typisch Mensch, Einführung in die Typentheorie. 3. Aufl., Göttingen: Hogrefe 2004 2. Blanchard, K. H; Zigarmi, P.; Zigarmi, D.: Führungsstile. 4. Aufl., Frankfurt am Main: Rohwolt 2002 3. Briggs, K. C.; Myers, I.: Myers-Briggs Typenindikator. MBTI-Manual (dt. Bearbeitung von R. Bents und R. Blank). Weinheim: Beltz Test 1995 4. Bullinger, H.-J.; Wagner, K.; Ohlhausen, P.: Intellektuelles Kapital als wesentlicher Bestandteil des Wissensmanagements. In: Krallmann, H. (Hrsg.): Wettbewerbsvorteile durch Wissensmanagement – Methodik und Anwendungen des Knowledge Management. Stuttgart: Schäffer Poeschel 2000, S. 73–90 5. Csikszentmihalyi, M.: Flow: das Geheimnis des Glücks. 6. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta 2002 6. Csikszentmihalyi, M.: Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden. 6. Aufl, Stuttgart: Klett-Cotta 2003 7. Dold, C.; Schnabel, U.: Immaterielle Anreize – ein Status quo. Personal (2005) 2, S. 8–50 8. Dragonetti, N. C.; Roos, G.: Intellectual Capital: A new language for strategic management. Paper presented at the 17th SMS Conference Bracelona, 5.–8.10.1997 9. Drucker, P.: Post-Capitalism, New York: Harper Business Edition 1993 10. Drucker, P.: Wissen – die Trumpfkarte der entwickelten Länder. Harvard Business Manager 20 (1998) 4, S. 9–11 11. Edvinsson, L.; Malone, M. S.: Intellectual Capital – Realizing your company’s true value by finding its hidden brainpower. New York: Collins 1997 12. Erpenbeck, J.; Rosenstiel, L. v. (Hrsg.): Einführung Kompetenzmessung. In: Handbuch Kompetenzmessung: Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart: Schäffer Poeschel 2003, S. IX–XL 13. Hesket, J. L.; Sasser, W. E.; Schlesinger, L. A.: The Service Profit Chain. New York: The free Press 1997 14. Howard, P. J.; Howard, J. M.: Führen mit dem Big-Five Persönlichkeitsmodell. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2002 15. Jung, C. G.: Typologie. Stuttgart: DTV 2001 16. Løwendahl, B. R.; Revang, O.; Fosstenlokken, S. M.: Knowledge and Value Creation in Professional Service Firms. Human Relations Nr. 7 (2001) 54, S. 911–931 17. Maister, D. H.: True professionalism. The courage to care about your people, your clients and your career. New York: Free Press 2000
Die hohe Bedeutung der immateriellen werttreibenden Faktoren des intellektuellen Kapitals in wissensintensiven Unternehmen führt dazu, dass zukünftig die Führungsarbeit und die Führungssysteme mehr daran ausgerichtet werden müssen. Die Berücksichtigung psychosozialer Faktoren und deren Wirkgefüge wird für die Innovationskraft und die Produktivität der Wissensarbeiter in den Teams aufgrund der Wissensintensität zukünftig einen erfolgskritischen Stellenwert bekommen. Deshalb sind die „sensiblen“ Persönlichkeitsmerkmale der Wissensarbeiter und die psychosozialen Wirkungsbeziehungen in den Mittelpunkt der Führungsarbeit und Arbeitsgestaltung zu stellen. Die Rolle der Persönlichkeitsdiagnostik – jenseits der fachlichen Qualifikationen – bekommt für die Rekrutierung von Wissensarbeitern und für die Besetzung von (Projekt-)Teams in wissensintensiven Unternehmen eine sehr große Bedeutung, weil man Kreativität, intellektuelle Agilität und Begabungen nur sehr begrenzt entwickeln kann. In wissensintensiven Unternehmen wird das Prinzip Selbstverantwortung und der Einsatz von Instrumenten, wie des MBTI auch im Sinne eines Selbstmanagements der Wissensarbeiter und des Intellectual Capital Management-Audits zur Produktivitätssteigerung immer größere Relevanz gewinnen. Andererseits macht das Human Performance Management der Wissensarbeiter mit derartigen Instrumenten nur dann richtig Sinn, wenn sie an den Strategien und den Erfolgsfaktoren des Geschäfts ausrichtet werden. Darüber hinaus erhalten Wissensarbeiter in wissensintensive Unternehmen durch kritische Erfolgsfaktoren eine praktikable Unterstützung und Orientierung im Selbstmanagement. Das Beispiel der Erfolgsfaktoren und Erfolgsindikatoren in wissensintensiven Dienstleistungsunternehmen skiz-
Literatur
902 18. Müller-Stewens, G.; Drolshammer, J.; Kriegmeier, J.: Professional Service Firms – Branchenmerkmale und Gestaltungsfelder für das Management. In: Müller-Stewens, G.; Drolshammer, J.; Kriegmeier, J. (Hrsg.): Managing Professional Service Firms. 2. Aufl., New York: Free Press 1999, S. 11–156 19. Nonaka, I.; Takeuchi, H.; The Knowledge – Creating Company. Oxford: Oxford University Press 1995 20. North, K.: Wertorientierte Unternehmensführung – Wertschöpfung durch Wissen. Wiesbaden: Gabler Verlag 2002 21. Probst, G.; Raub, S.; Romhardt, K.: Wissen Managen: Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. 5. Aufl., Frankfurt am Main: Gabler 2006 22. Rheinberg, F.: Motivation. 5. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer 2004 23. Roos, G.; Roos, J.; Dragonetti, N. C.; Edvinsson, L.: Intellectual Capital: Navigating the New Business Landscape. New York: NYU Press 1997 24. Rosenstiel, L. v.: Motivation von Mitarbeitern. In: Rosenstiel, L.v.; Regnet, E.; Domsch, M. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern – Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement. 5. Aufl., Stuttgart: Schäffer Poeschel 2003, S. 195– 215 25. Rosenstiel, L. v.: Grundlagen der Organisationspsychologie. 6. Aufl. Stuttgart: Schäffer Poeschel 2007 26. Schnabel, U.: Das wertorientierte Management der intangible Assets. HDM-Praxis der Wirtschaftsinformatik, 10 (2002) 227, S. 36–45 27. Schnabel, U.; Dold, C.; Fröschle, H. P.; Layer, B.; Roll, U.; Skempes, A.: Das wertorientierte Management des intellektuellen Kapitals: Ein Projektbericht aus der Performance Werkstatt des Fraunhofer IAO unter Mitwirkung von Rödl&Partner GmbH (Nürnberg, Stuttgart), hspAG (Leinfelden-Echterdingen), hsoAG (Lichtenstein) i.t-consult GmbH (Stuttgart), MIK AG (Konstanz) REM AG (Stuttgart). Stuttgart 2006 28. Scholz, C.; Stein, V.; Bechtel, R.: Human Capital Management: Wege aus der Unverbindlichkeit. München: Luchterhand 2004 29. Spath, D.; Schnabel, U.: Das Intellectual Capital Management Toolset – Erfolgsfaktoren und Metrics zur Steuerung des intellektuellen Kapitals. Personalführung (2005) 4, S. 30–38 30. Sprenger, R. K.: Mythos Motivation: Wege aus einer Sackgasse. 17. Aufl., Frankfurt am Main: Campus Fachbuch 2002 31. Sprenger, R. K.: 30 Minuten für mehr Motivation. 11. Aufl. Heidesheim: Gabal 1999 32. Sullivan, P. H.: Profiting from Intellectual Capital. Journal of Knowledge Management, 3 (1999) 2, S. 132–142. 33. Steward, T. A.: Der vierte Produktionsfaktor – Wachstum und Wettbewerbsvorteile durch Wissensmanagement. München: Hanser Verlag 1998 34. Tissen, R.; Andriessen, D.; Deprez, F. L.: Wissensdividende. München: Financial Times Prentice Hall 2000 35. Wildenmann, B.: Die Persönlichkeit des Managers. Göttingen: Hogrefe 2000 36. Wildenmann, B.: Die Faszination des Ziels. Neuwied: Luchterhand 2001
12 Personalmanagement 37. Wilke, H.: Einführung in das systemische Wissensmanagement. 2. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-Systeme 2004 38. Wucknitz, U. D.: Handbuch Personalbewertung – Messgrößen, Anwendungsfelder Fallstudien. Stuttgart: Schäffer Poeschel 2002 39. Zahn, E.: Kreativität als Erfolgsfaktor. In: Zahn, E. (Hrsg.): Mit Kreativität die Zukunft meistern. Stuttgart: Schäffer Poeschel 1995 40. Zahn, E.: Innovation, Wachstum, Ertragskraft – Wege zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Stuttgart: Schäffer Poeschel 1998
12.8 Coaching Coaching hat im Verlauf der letzten Jahre eine deutliche Veränderung im Vergleich zu den Anfängen des Coachings erlebt. Verstand man Coaching ursprünglich eher als überwiegend psychologisch fundierte Unterstützung durch externe Coaches zur Veränderung problematischer Verhaltensweisen oder zur persönlichen Problem- oder Situationsklärung, versteht man darunter mittlerweile vielfältige Formen der Unterstützung in verschiedensten Situationen durch verschiedenste Personen. Die Coachinglandschaft ist also geprägt von Vielfalt, von unterschiedlichsten Qualifikationen und von einer zusehends schwindenden Transparenz, auch in Hinblick auf Qualität, Nutzen und Seriosität der Anbieter. Dies erklärt auch die unterschiedlichsten Bemühungen von verschiedenen Coachingverbänden, Qualitäts- und Gütekriterien zu definieren, um den potenziellen Auftraggebern und den Coachees bessere Auswahlhilfen und Entscheidungskriterien an die Hand zu geben. Coaching ist (in Anlehnung an Rückle [1]) ein persönliches, verschwiegenes Gespräch in der Regel unter vier Augen zur individuellen Entwicklung bzw. aktiven Hilfestellung für Personen im beruflichen Kontext. Der Coach ist der Unterstützer für einen Entwicklungsprozess, den der Coachee aus eigener Motivation heraus wollen muss. Als Coaches bieten sich heute an: • im Betrieb fest angestellte Coaches (internes Coaching), • Coaches mit einer zeitlich befristeten und klar definierten Zielsetzung und Auftragsklärung (externes Coaching),
12.8 Coaching
• Führungskräfte als Coaches, die Coaching ihrer MitarbeiterInnen als Teil der Führungsaufgabe verstehen. Weiterführende Literatur bieten Rückle [1] oder Rauen [2].
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strategischen oder grundlegenden Fragestellungen und Veränderungen; der Coach als Sparringspartner), • Coaching in Veränderungsprozessen (Unterstützung von Führungskräften und Mitarbeitern in der Realisierung von Veränderungen).
12.8.1 Handlungsfelder für Coaching Die Akzeptanz von Coaching als unterstützende Maßnahme entwickelt sich seit einigen Jahren positiv und entfernt sich immer mehr der früher häufig feststellbaren skeptischen Haltung nach dem Motto: „Er/Sie hat’s offensichtlich nötig und kommt alleine nicht mehr klar“. Implizit wurde also eine Art Unfähigkeit unterstellt, Führungsaufgaben oder andere Aufgabenstellungen ohne psychologischen Beistand nicht mehr bewältigen zu können. Es ist immer häufiger zu beobachten, dass Coaching nicht nur als wertvolle Unterstützung zur Klärung konkreter Problemlagen gewählt wird, sondern aus einem Verantwortungsbewusstsein heraus gerne auch zur reflektorischen und kritischen Begleitung genutzt wird. Manager in Top-Positionen berichten auch von dem Gefühl der „Einsamkeit“ in schwierigen Entscheidungssituationen und wählen aus diesem Grunde die Gesprächs- und Reflexionsmöglichkeiten mit externen Coaches. Zusammengefasst lassen sich die Handlungsfelder des Coachings wie folgt darstellen: • Coaching zur beruflichen Orientierung (persönliche Standortbestimmung und Situationsklärung; Neuausrichtung und Klärung der künftigen persönlichen Entwicklung), • Coaching zur Konfliktbearbeitung (individuelle Konfliktklärung und/oder Konfliktmediation zwischen den Konfliktparteien), • Coaching zur Qualifizierung von Führungskräften und Mitarbeitern (kontinuierliche Entwicklung spezifischer Fähigkeiten), • Coaching zur aktuellen Situationsbewältigung (z. B. in Krisensituationen oder in schwierigen Problemlagen), • Coaching von Teams (als gezielte begleitende Maßnahme im Rahmen von Teamentwicklung), • Coaching in der Unternehmensentwicklung (begleitendes Coaching des Top-Managements in
12.8.2 Spielregeln und Auftragsklärung Bevor man sich coachen lässt bzw. bevor der Coach seine Arbeit beginnt, sind Spielregeln und wichtige Rahmenbedingungen zu klären und zu vereinbaren, um spätere Konflikte und Unzufriedenheiten soweit wie möglich auszuschließen. Zu klären sind Ort und Dauer der Coachingsitzungen. Manchmal ist es sinnvoll, die Coachingsitzungen nicht am Arbeitsplatz des Coachees durchzuführen, sondern an einem neutralen, ruhigen Ort oder in den Räumen des Coaches. Es kann aber situationsbedingt auch von Vorteil sein, direkt am Arbeitsplatz, natürlich bei voller optischer und akustischer Diskretion, die Coachingsitzungen durchzuführen, wenn z. B. die Arbeitsorganisation des Coachees Gegenstand des Coachings sein sollte. Grundsätzlich ist es empfehlenswert, dass Coachingsitzungen zwischen 45–120 Minuten Dauer angesetzt werden, um die Konzentrationsfähigkeit beider Personen zu gewährleisten. Schwieriger gestalten sich i. d. R. die Erwartungshaltungen bezüglich der Verschwiegenheitspflicht des Coaches. Der Coach unterliegt nicht den gesetzlichen Vorgaben einer therapeutischen, ärztlichen, seelsorglichen oder anwaltschaftlichen Arbeit und kann sie, je nach Auftragslage auch gar nicht erfüllen. In diesem Zusammenhang ist die Auftragsklärung von entscheidender Bedeutung. Die Frage der Verschwiegenheit hängt wesentlich davon ab, wer Auftraggeber des Coachings ist und welche Zielsetzung damit verbunden ist. Wenn z. B. ein Manager mit Einverständnis des Unternehmens aus einem verfügbaren Budget aus eigenem Antrieb heraus Coaching in Anspruch nehmen möchte, um seine Situation oder aktuelle Probleme zu bearbeiten oder sein Führungsverhalten überprüfen möchte, kann dies durchaus mit voller Ver-
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schwiegenheitsvereinbarung stattfinden, immer vorausgesetzt, dass das Unternehmen dies billigt. Anders ist die Situation, wenn z. B. mit einer Führungskraft im Rahmen eines Zielvereinbarungsgesprächs vereinbart wurde, Coaching zur Bearbeitung konkreter Defizite im Führungsverhalten in Anspruch zu nehmen. In diesem Falle kann der Auftraggeber – der Vorgesetzte der Führungskraft – ein berechtigtes Interesse haben, zwar nicht über einzelne Details, aber doch über wesentliche Erkenntnisse und Ergebnisse informiert zu werden. Hier empfiehlt es sich, die Abgrenzung zwischen „was läuft unter Verschwiegenheit“ und „worüber wird in welcher Form informiert“ genau zu regeln und schriftlich zu fixieren. Es wird empfohlen, im Rahmen der Auftragsklärung exakt festzulegen: • • • • •
Was ist der Auslöser bzw. der Anlass? Wer ist der Auftraggeber? Was ist die Zielsetzung? Wie ist die Vorgehensweise? Was ist vertraulich und worüber wird in welcher Form informiert? • Wie ist der zeitliche und finanzielle Rahmen? Im Rahmen der Auftragsklärung muss auch genau zwischen dem betrieblichen Interesse und möglichen Eigeninteressen unterschieden werden. Das betrieblich initiierte Coaching kann nicht Therapie oder die Arbeit von Selbsthilfegruppen ersetzen, auch wenn persönliche Belange nie vollständig ausgeblendet werden können oder sollen.
12.8.3 Grundverständnis von Coaching Wenn Unternehmen externe Coaches einsetzen, sollte darauf geachtet werden, dass der Coach das Hauptziel verfolgt, nämlich die Förderung der Selbstständigkeit und der Eigenverantwortung bei den zu coachenden Personen. Der Begriff von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ erlangt hier eine besondere Bedeutung. „Was der Lernende selber finden kann, das soll man ihm nicht geben.“ (Christian Friedrich Dinter, um 1880) Die Interventionen des Coaches sollen sich dabei an den persönlichen, beruflichen und beziehungsmäßigen
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Zielen des Coachees orientieren und danach bewertet werden. Diese Zielsetzung und Grundhaltung sollte natürlich nicht nur der interne bzw. externe Coach beachten, sondern auch Führungskräfte, wenn sie sich als Coach ihrer eigenen MitarbeiterInnen verstehen. Im Vergleich zu früheren Jahren hat sich weitgehend die Meinung durchgesetzt, dass sich Führungsverantwortliche nicht nur als Manager für die Ziel- und Ergebnissicherung verstehen sollten, sondern in ihrem Rollenverhalten auch die Rolle eines Coches gegenüber ihren Mitarbeitern einnehmen sollten. Genau dieser Ansatz fördert das Entwicklungsziel der Eigenverantwortung und des Selbständigen Denkens, Entscheidens und Handelns in starkem Maße. Das bedarf der näheren Erläuterung, weil hier ein anderes Verständnis von Führung zugrunde gelegt wird. Wie die Rolle des „Chefs“ verstanden wird, bedarf an dieser Stelle sicher keiner ausführlichen Erläuterung. Der Chef, der Boss, das Oberhaupt, der sagt „wo’s lang geht“, ohne den nichts oder fast nichts läuft. Die Zeiten des damit verbundenen Verständnisses von Führung gehen allmählich zu Ende. Die neuen Anforderungen an die Unternehmen und die Mitarbeiter bedingen auch ein anderes Selbstverständnis von Führung. Wenden wir uns also näher dem Begriff „Coach“ zu. Aus dem Englischen übersetzt heißt Coach: Kutscher, Steuerer, Begleiter. Diese Begriffe implizieren den Gedanken an mehr, als nur an ein Individuum. Gleichzeitig lassen diese Begriffe auch die Vermutung zu, dass es auch um die Bewältigung einer Wegstrecke geht oder auch um Zielerreichung. Der Coach im Unternehmen soll oder kann daher ein Wegbereiter, Begleiter, Förderer, Helfer und Reflektor sein. Nicht er ist es, der alles allein bewältigt, sondern er sorgt dafür, dass es die anderen schaffen können. Der Coach ist also Wegbereiter des Erfolgs seiner Mitarbeiter. Das bedeutet nicht, dass Führungskräfte überflüssig werden. Vielmehr sollten sie ihre Rolle neu überdenken und im Coaching ihrer Mitarbeiter die Chance für wesentlich mehr Effektivität, Freude an der Arbeit, Kreativität, Übernahme von Verantwortung und letztendlich für mehr Erfolg erkennen. Mitarbeiter, die durch Coaching gute Ergebnisse erreichen, können für sich in Anspruch nehmen „ich habe es geschafft“ und gleichzeitig wissen diese Mitarbeiter, wer „stiller Teilhaber“ an diesem Erfolg ist. Diese Erfahrungen verbinden und sorgen für eine neue Qualität der Zusammenarbeit. Jeder hat auf seine Weise
12.8 Coaching
zum gemeinsamen Erfolg beigetragen. Coaching kann sowohl auf Einzelpersonen, wie auch auf ganze Teams angewandt werden.
12.8.4 Ziele des Coaching Entscheidend ist der Grundgedanke, dass es grundsätzlich keine „demotivierten Mitarbeiter“ gibt. Dieser Aspekt muss jedem permanent bewusst sein, der als Coach tätig sein möchte, egal ob als Externer oder als Interner. Zunächst mag dieser Grundgedanke irritieren, weil doch sehr häufig im praktischen Alltag „demotiviertes Verhalten“ beobachtbar ist. Dieses vermeintlich demotivierte Verhalten ist jedoch Ausdruck vorhandener Energien, die lediglich in eine andere Richtung gelenkt wurden, als es der Vorgesetzte vielleicht möchte. Dieser Aspekt ist insofern wichtig, als er jedem, der sich mit Coaching beschäftigt, Hoffnung gibt und nicht von vorneherein von Chancenlosigkeit ausgeht. Wer nicht an Verbesserung und Veränderung glaubt, wird sie auch nicht erreichen. Insofern braucht der Coach selbst eine gefestigte Grundüberzeugung und den unbeirrbaren Glauben an das Machbare. Diese Grundüberzeugung muss allerdings auf realistischen Fundamenten aufgebaut sein und nicht auf träumerischen Illusionen. Damit soll auch darauf hingewiesen werden, dass ohne und gegen den Willen des Betroffenen nichts geht, womit auch gleichzeitig die Grenze der Veränderung aufgezeigt wird. Auch dieser Gedanke nimmt im Coaching eine bedeutende Rolle ein. Denn es wird wichtig sein herauszuarbeiten, ob beim Mitarbeiter Energien vorhanden sind, ob es sich hierbei um destruktive oder konstruktive Energien handelt, ob sie passiv oder aktiv eingesetzt werden und ob der Wille zur Veränderung überhaupt vorhanden ist. Dass die Ziele und Ansichten der Mitarbeiter nicht immer mit denen des Vorgesetzten übereinstimmen, soll dabei nicht irritieren. Im Coaching sollten folgende Aspekte immer geprüft werden: • feststellen, in welcher Ausprägung Energien vorhanden sind, • destruktive bzw. konstruktive Verhaltensweisen feststellen, • aktive oder passive Verhaltenstendenzen beobachten,
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• Veränderungsbereitschaft des Mitarbeiters erkennen, • persönliches Angst- und Widerstandspotenzial erfassen, • herausfinden, ob der Mitarbeiter eher „Bewahrungs- oder Veränderungstendenzen“ aufweist. Alle Fragestellungen und Zielsetzungen, die für die Einzelperson gelten, haben fast ausnahmslos auch Gültigkeit für das Coaching von Teams.
12.8.4.1 Reflexionsfragen im Coaching
Coaching hat die Aufgabe, Selbstauseinandersetzung und Bewusstseinsprozesse zu fördern. Coaching lebt nicht von Anordnungen und einengenden Vorgaben. Der Mitarbeiter soll nicht einfach irgendeine Anweisung ausführen, sondern er soll sich seines Handelns permanent bewusst sein. Das setzt voraus, dass er genau weiß, wo er steht, wo er hin möchte, und welche Wegstrecke wie zurückzulegen ist. Wenn dieser Weg aus eigener Motivation und Einsicht heraus zurückgelegt wird, haben der Vorgesetzte und der Mitarbeiter mehr Freude und Spass daran. Der Erfolg ist dann eine fast zwangsläufige Konsequenz. Die nachfolgenden Reflexionsfragen sind natürlich nicht nur am Anfang eines Coaching-Weges zu stellen und zu beantworten, sondern permanent in sogenannte Reflexionsschleifen einzubauen. Reflexions- und Orientierungsfragen im Coaching von Teams (auch übertragbar auf Einzelpersonen): • • • • • • • • • •
„Wer sind wir?“ „Wo stehen wir heute?“ „Was wollen wir?“ „Wo wollen wir hin?“ „Was sind unsere Erwartungen und Befürchtungen?“ „Was sind unsere Ziele?“ „Was sind wir bereit, für diese Ziele zu tun?“ „Wer kann uns bei der Zielerreichung helfen und unterstützen?“ „Wie organisieren wir uns?“ „Wann reflektieren wir unseren zurückgelegten Weg?“
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12.8.4.2 Zielrichtungen im Coaching
Coaching ist keine selbstlose Angelegenheit, sondern Mittel zum Zweck. Coaching ist auch keine versteckte Renaissance sog. „Management-Softies“, sondern ein zeitgemäßes Hilfsmittel, mit mündigen Menschen verantwortungsvoll und zielorientiert umzugehen. Nachfolgend werden einige wichtige Zielsetzungen erläutert, die mit Coaching verbunden werden können. Es wird als selbstverständlich vorangestellt, dass Coaching in letzter Konsequenz dazu beitragen soll, die Unternehmensziele besser zu erreichen.
Humane Geist- und Leistungspotenziale entfalten Das schlummernde Humanvermögen wird in den Bilanzen der Unternehmen nicht, – oder noch nicht – ausgewiesen, obwohl sich darin ein beträchtlicher Posten verbirgt. Durch Coaching sollen neue Ressourcen erschlossen werden und vorhandene gefestigt werden. Durch Coaching soll der Mitarbeiter zur Weiterentwicklung von neuen Anforderungen aufgefordert werden. Er soll für sich selbst neue und weitergehende Entwicklungsmöglichkeiten entdecken, die nicht nur im Erklimmen der Karriereleiter begründet sein können. Dazu gehört aber auch, mit dem Mitarbeiter herauszuarbeiten, wer oder was ihn momentan möglicherweise daran hindert, so erfolgreich zu sein, wie er es sich evtl. wünscht. Es geht letztlich um das Auflösen bewusster oder unbewusster Widerstände.
12 Personalmanagement
der Mitarbeiter seine vorhandenen Energien in die gemeinsam gewollte Richtung lenkt.
12.8.4.3 Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit fördern Der Mitarbeiter soll sich als wichtiges Teil eines Systems – seines Teams – und damit als Teil eines Supersystems – des Unternehmens – verstehen lernen. Der Mitarbeiter soll durch das Coaching begreifen, dass das Supersystem nur funktionieren kann, wenn seine Teilsysteme und kleinsten Zellen funktionieren. Es besteht grundsätzlich die Gefahr, dass unterschiedliche Auffassungen und Konflikte destruktive Energien und Verhaltensweisen bei einzelnen TeamMitgliedern auslösen. Coaching soll diese Gefahren bewusst machen mit dem Ziel, die Bereitschaft zur konstruktiven Auseinandersetzung zu fördern. Dies kann sehr einfach mit der Frage erreicht werden: „. . . und was schlagen Sie konkret vor?“ oder „. . . was ist Ihr Beitrag zur Lösung des Problems?“. Damit wird konstruktives und lösungsorientiertes Denken angeregt. Problematisch ist also nicht die Tatsache, dass Konflikte und Unterschiede vorhanden sind, sondern lediglich der destruktive Umgang damit. Mit dem Coachingziel zu mehr konstruktiver Auseinandersetzung soll errreicht werden, dass „Streiten“ als normal angesehen und Bestandteil einer konstruktiven sowie kritischen Unternehmenskultur wird.
12.8.5 Chancen von gecoachten Teams Ziel-Übereinkunft herstellen Demotivation ist oftmals Ausdruck divergierender Ziele zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter. Durch Coaching sollen dem Mitarbeiter Möglichkeiten geboten werden, sich mit den Zielsetzungen des Unternehmens und der Vorgesetzten auseinanderzusetzen und eigene Zielkonflikte aufzuarbeiten. Es reicht nicht aus, dass der Mitarbeiter der Not gehorchend seinen Arbeitsvertrag erfüllt. Mit Coaching verbindet sich der Anspruch, dass der Mitarbeiter aus innerer Überzeugung heraus die Unternehmensziele verfolgt. Dies gelingt jedoch nur, wenn er seine persönliche Zielsetzung kennt, und mit den Unternehmenszielen in Einklang bringen kann. Damit wird erreicht, dass
Es wird an dieser Stelle nicht auf alle möglichen Aspekte und Vorzüge der Teamarbeit im Detail eingegangen. Der Autor geht davon aus, dass sich Teamarbeit mehr denn je zur Arbeitsform der Zukunft entwickeln wird. Der Grund dafür besteht darin, dass die immer komplexer werdenden Anforderungen immer weniger von Einzelpersonen abgedeckt werden können und deshalb innerhalb eines Teams eine Vielfalt unterschiedlichster Fachkompetenzen und persönlicher Stärken erforderlich ist, um in den sich verändernden Anforderungssituationen jeweils die erfolgsentscheidenden persönlichen Fähigkeiten sofort verfügbar zu haben.
12.8 Coaching
Dies gilt zum Beispiel für Projektarbeit und damit auch für Projektteams. Projekte durchlaufen erfahrungsgemäß – was in der Natur der Sache liegt – verschiedene Phasen mit unterschiedlichen erfolgsrelevanten Anforderungen: z. B. Planung und Organisation, Kreativität und Innovation, Einhaltung von Terminen und die Fokussierung auf die Zielerreichung, Qualität und fachliches Know-how, pushen und das Projekt vorantreiben. Nicht alle Projektleiter verfügen über alle hierfür erforderlichen Eigenschaften, sondern werden darauf angewiesen sein, die entsprechenden Ressourcen im Team verfügbar zu haben und sie gezielt zu nutzen. Ein anderes Beispiel betrifft das Management: Auch hier kann ein ständig steigender Komplexitätsgrad im „Management-Geschäft“ konstatiert werden. Hier stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß ist, den „Universal-Alleskönner-Typ“ an die Spitze zu setzen oder ob es nicht wesentlich realitätsnaher und damit Erfolg versprechender ist, Management-Teams mit einem sorgfältig ausgewählten ergänzenden Stärken-Profil mit der Leitung eines Unternehmens zu beauftragen [3]. Alle Teamsituationen haben allerdings eine Gemeinsamkeit. Das Einsetzen von Teams ist keine Allzweck-Wunderwaffe mit einer automatischen Erfolgsgarantie. Auch wenn Teamarbeit nach Überzeugung des Autors die Arbeitsform der Zukunft ist – Ausnahmen bestätigen die Regel – muss in der Zusammensetzung der Teams und in der Gestaltung der Zusammenarbeit in den Teams größte Sorgfalt angewandt werden. Hierzu können Teamanalysen in der Auswahl und Zusammensetzung von Teams und in der Begleitung von bestehenden Teams sehr hilfreich sein, um neben dem aus subjektiver Sicht der Teammitglieder genannten Handlungsbedarf auch Objektivierungshilfen in Anspruch nehmen zu können. Hierbei können wissenschaftlich gut begründete und validierte Testverfahren, z. B. MBTI [4], BIP [5], Teamrollentheorie [6], eine wertvolle Hilfe leisten. Auf deren Basis hat der Team-Coach sehr gezielte Ansatzpunkte für Reflexionen und Klärungen für die Gestaltung der Zusammenarbeit und für die Aufgabenund Rollenverteilung in der Teamarbeit. Im Rahmen der Auftragsklärung mit dem Coach ist auch zu klären, welche Methoden und Verfahren der Coach im Bedarfsfalle zum Einsatz bringen wird und vor allem, ob die Bereitschaft der Betroffenen vor-
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handen ist, die Anwendung der Verfahren zu akzeptieren. Die Chance der Teamarbeit liegt in der Heterogenität von Teams, welche gleichzeitig auch entsprechende Risiken beinhaltet, die gezielte Begleitung durch Coaching rechtfertigen.
12.8.5.1 Gruppenimanente Kräfte Wer einmal die durch nichts zu überbietenden Vorteile von Teamarbeit am eigenen Leib erfahren hat, wird danach „süchtig“ werden und nicht mehr davon abkehren wollen. Dies ist keine reine Behauptung, sondern konkrete Erfahrung. Warum ist das so? Es ist fast ein Gesetz der öffentlichen Logik und ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis „gut und erfolgreich“ sein zu wollen. Unterschiedlich ist dann jeweils, was für den einzelnen „gut“ ist und wie das konkret aussieht. Da mag es durchaus Unterschiede geben. Bereits darin liegt eine wichtige Gemeinsamkeit aller TeamMitglieder. Jeder möchte auf seine Weise gut und erfolgreich sein. Aufgabe des Coach ist es, dieses gemeinsame Interesse allen bewusst werden zu lassen, so dass aus dem „gut sein wollen“ des anderen keine persönliche Bedrohung entsteht. Vielmehr sollte jeder die Chance entdecken, dass der andere damit einen Beitrag „zu meinem eigenen gut sein können“ leistet. Gelingt dies, dann ist eine Menge gewonnen. Daraus leitet sich ein wichtiges Kraftpotenzial ab. Die Erkenntnis, dass Erfolg des Einzelnen durch das gelebte Wort „gemeinsam“ entsteht, wird die Bereitschaft zur Teamarbeit nachhaltig fördern. Nur wenn alle bereit sind, ihre Kräfte in den Dienst des Teams und der gemeinsamen Ziele einzubringen, kann jeder über sich selbst hinauswachsen und damit Ergebnisse erzielen, die er allein in dieser Form nie erreicht hätte. Wichtige Aufgabe des Coach ist es daher, allen Teammitgliedern immer wieder bewusst zu machen, wodurch sich ihr Erfolg letztendlich begründet, nämlich durch das „gemeinsame Wollen“. Die Bereitschaft zur Gemeinsamkeit ist insofern relativ leicht zu fördern, weil Menschen grundsätzlich Gemeinwesen sind und die soziale Sicherheit und Geborgenheit von Gemeinschaften brauchen. Insofern leistet Teamarbeit nicht nur einen Beitrag zu mehr Erfolg, sondern bietet auch Raum für die Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse wie z. B. Sicherheit und Geborgenheit. Es soll jedoch unbedingt vermieden werden, dass durch die enge Verbindung
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innerhalb des Teams, neue Isolationen und kollektive Feindbilder entstehen, die außerhalb des Teams angesiedelt sind. Systemtheoretisch betrachtet würde sich das Team dadurch wieder selbst ausgrenzen und sich zu einem als „störend“ empfundenen Fremdkörper im Supersystem entwickeln. Eine weitere wichtige Aufgabe des Coach ist es, die Systemverträglichkeit des Teams im Auge zu behalten. Eine bedeutende Kraft von Teams liegt in der Möglichkeit, dass jedes Teammitglied auf seine Weise Spezialist sein darf, ohne dem Anspruch gerecht werden zu müssen, alles beherrschen und wissen zu müssen. Dadurch erreicht jeder einzelne eine wesentlich ausgeprägtere Kenntnistiefe, die ergänzt durch das Teamwissen, zur vollen Entfaltung kommen kann. Eine Qualität, die einer allein nicht erreichen kann. Die Aufgabe des Coach besteht also darin, diese Synergien zu ermöglichen und allen bewusst zu machen, dass das Team mehr ist, als die Summe seiner Teile. Ein Team wird synergetisch durch das Ziel, hinter das es sich stellt und durch unterschiedlich ausgeprägte individuelle Persönlichkeiten. Je stärker diese unterschiedlichen Ausprägungen sind, desto stärker kann Synergie entstehen.
12.8.5.2 Heterogenität als Chance begreifen Es gibt eine häufig zu beobachtende Tendenz nach verstärktem Harmoniebestreben im Menschen. Dies äußert sich beispielsweise in der Ablehnung der Andersartigkeit im Denken und Handeln. Vorurteile, ein verfestigtes Rollenverständnis von Mann und Frau, hierarchisches Statusdenken, Überbetonung der Wichtigkeit und Bedeutung des eigenen Fachwissens und der eigenen Person u. v. m. sind typische Ursachen, warum es zu ablehnenden Denk- und Handlungsweisen kommt, auch wenn dies kaum jemand in dieser Klarheit zugeben wird. In der Heterogenität von Teams liegt jedoch eine große Chance begründet. Man kann sogar behaupten, dass die potenzielle Leistungsfähigkeit eines Teams mit seiner Heterogenität steigt. Unter Heterogenität von Teams wird z. B. verstanden: unterschiedliche Altersstrukturen, Geschlechtermix, unterschiedliche Ausbildungen, verschiedene Denkstrukturen und Menschentypen, die Mischung von Visionär, Querdenker, Analytiker, Kreativer, Hinterfrager und Pusher.
12 Personalmanagement
Dahinter stehen letztlich Fähigkeiten, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Situationen unverzichtbar sind.
12.8.6 Die Rolle des Coach Die Aufgaben und Wirkungsfelder des Coach wurden bereits mehrmals angesprochen. Nachfolgend werden die wesentlichen Aufgaben nochmals untergliedert und nach dem „Was“ und dem „Wie“ seines Wirkens zusammengefasst. 12.8.6.1 Das „Was“ im Coaching – Standortbestimmung und Zielorientierung Bewusst machen, wo sich der Einzelne und das Team momentan befinden, und wie die nächsten Schritte aussehen sollen. Festlegen der weiteren Vorgehensweise (Abb. 12.26). Commitments erarbeiten Das Commitment als verbindliche Verpflichtungserklärung hilft dem einzelnen, der ein Commitment eingeht, und dem Team, sich auf eine Vereinbarung einzulassen, und gibt jedem die nötige Sicherheit für sein Vertrauen. Durch das Commitment übernimmt jeder im vereinbarten Rahmen Verantwortung. Durch das Commitment erfolgt die Weiterentwicklung eines begonnenen Weges. Der Coach hat darauf hinzuwirken, dass immer Verbindlichkeiten durch Commitments hergestellt werden, weil dadurch Klarheit entsteht und das Team und der Einzelne handlungsfähig werden. Reflexionsprozesse organisieren Hier geht es um das permanente Hinterfragen des eigenen Tuns, das innerhalb eines bestimmten Umfeldkontextes stattfindet. Es geht aber auch darum, Feedback aus den eigenen Reihen und aus der Umgebung wahrzunehmen und zu reflektieren. Mit den Reflexionsprozessen kann das eigene Verhalten überprüft und bewusst gestaltet werden. Ob das eigene Verhalten „richtig oder falsch“ ist, wird nur aus den gewollten Reaktionen der Umgebung abgeleitet. Beispiel: Wenn Kun-
12.8 Coaching
909
Coaching sollte in folgenden Phasen ablaufen:
12.8.6.2 Das „Wie“ im Coaching
Phase 1 Bestandsaufnahme und Analyse Phase 2 Diagnose: Identifikation der Kernprobleme Phase 3 Prognose: Klären der möglichen Wirkungsverläufe Phase 4 Bestimmen der Ziele und der nicht erreichbaren Ziele
Richtiges Coaching ist am „Wie“ erkennbar. Richtig ist es dann, wenn es dem Anspruch auf Förderung und Begleitung von Mitarbeitern und von Teams gerecht wird. Nicht der Coach sagt was „richtig oder falsch“ ist, sondern die Mitarbeiter erkennen selbst, was zu tun ist oder was zu ändern ist. Der Coach sollte deshalb folgende Verhaltensweisen beherrschen:
Phase 5 Klären und bearbeiten von Handlungsalternativen Phase 6 Festlegen und auswählen von Maßnahmen Phase 7 Ursachenbearbeitung durch Realisieren in der Problemlösung Abb. 12.26 Die Phasen des Coaching (Quelle: Dr. Walter Rosenberger)
denorientierung als Ergebnis und Feedback gewollt ist und ein Kunde einen Mangel in der Kundenorientierung rückmeldet, dann war das eigene Verhalten nicht „richtig“. Der Coach wird dann dem Team helfen, sich nicht in Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen zu verstricken, sondern den eigenen Anteil an diesem ungewollten Ergebnis zu entdecken, um daraus die Chance zur Verbesserung zu erhalten.
Fragen stellen Die gute Fragetechnik ist das wichtigste Werkzeug im Coaching. Durch gezielte Fragen kann der Coach • die Mitarbeiter in Denkräume führen, die ihnen bisher fremd waren, • auf neue Aspekte aufmerksam machen, • den Betrachtungswinkel erweitern, • Probleme und Zusammenhänge transparent machen, • den Mitarbeiter mit Problemen konfrontieren, denen er sich selbst nicht stellen würde, • dem Mitarbeiter helfen, selbst die Lösung für seine Fragen zu finden, • auch führen und hinführen.
Intervenieren Selbstauseinandersetzung fördern Im Sinne der permanenten Veränderung ist eine regelmäßige Selbstauseinandersetzung erforderlich. Die Selbstauseinandersetzung ist die Folge des Reflexionsprozesses. Selbstauseinandersetzung kann über folgende Fragen gefördert werden: • „Was ist gut und soll so bleiben?“ • „Wo drückt der Schuh. . . ?“ – „in der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten?“ – „in der Zusammenarbeit mit Kollegen?“ – „im Umgang mit Kunden und anderen?“ • „Wie möchte ich, dass ich von meiner Umgebung wahrgenommen werde?“ • „Was möchte ich wie ändern?“ Es ist Aufgabe des Coach, die Selbstauseinandersetzung ständig in Gang zu halten.
Die Intervention ist eine sehr bewusste und gezielt gesetzte Aktion des Coach, mit der er dem Mitarbeiter oder dem Team sehr deutlich durch eine Spiegelung seiner Beobachtungen einen Hinweis gibt. Dieser besagt, dass aus Sicht des Coach eine Entwicklung eingetreten ist, die er für bedenklich hält oder die gegen Absprachen des Teams verstößt. Um eine Auseinandersetzung mit dem fraglichen Thema zu erreichen, wird der Hinweis in das Team hineingetragen. Verdeutlichen Selbstauseinandersetzung und Veränderungsbereitschaft entstehen häufig erst dann, wenn die Auswirkungen und Konsequenzen des eigenen Tuns oder Nichttuns verdeutlicht werden. Es ist deshalb die Aufgabe des Coach, mit unnachgiebiger Konsequenz ständig durch Fragen dem Mitarbeiter bzw. dem Team die Möglichkeit zu verschaffen, sich der jeweiligen
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12 Personalmanagement
Auswirkungen bewusst zu werden. Erst wenn die Auswirkungen transparent sind, entsteht die Einsicht und die Bereitschaft, Änderungen herbeizuführen oder den nächsten Schritt zu gehen bzw. überhaupt neue Entscheidungen zu treffen.
• „Welche Spielregeln könnten uns helfen, unsere Zusammenarbeit konstruktiv und reibungslos zu gestalten?“ • „Welche Aufgaben sind zu erledigen (wer macht was bis wann)?“
Ermutigen
Der Coach begleitet das Projekt-Team durch diese Fragestellungen hindurch und setzt zusätzlich alle anderen „Werkzeuge“ ein.
„Ermutigte sind mutiger“ sagt ein Sprichwort. Mut ist etwas, was Menschen und Teams brauchen, um sich den ständig neuen Anforderungen und den Gefahren stellen zu können. Die Ermutigung gibt Vertrauen, weil dem Mitarbeiter der Glaube an seine Fähigkeiten vermittelt wird. Wie kann ein Mitarbeiter ermutigt werden? Durch einfache, aber ehrliche Aussagen, wie z. B.: • • • • •
„Ich vertraue Ihnen.“, „Ich glaube, dass Sie es schaffen werden“, „Sie dürfen auch Fehler machen“, „Ich werde Sie nicht fallen lassen“, „Wenn etwas schiefgeht, dann ist es unsere gemeinsame Sache“ oder • „Wir schaffen es gemeinsam.“ Ermutigen heißt aber auch, dem Mitarbeiter eine Aufgabe zu übertragen, an der er sich neu beweisen kann und an der er neue Fähigkeiten entdecken kann. Allein die Tatsache, dem Mitarbeiter dieses Vertrauen zu geben, wird für ihn Ermutigung sein. Er weiß, dass ihm sein Coach hilfreich zur Seite steht (mit Fragen natürlich), wenn er ihn braucht.
12.8.7 Coaching eines Projekt-Teams Das Projekt-Team – egal mit welcher konkreten Aufgabenstellung es betraut wurde – wird immer das Interesse haben, die Aufgabe erfolgreich zu erledigen. Der Coach unterstützt das Team in diesem Bemühen. Im Sinne von Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung soll sich das Projekt-Team folgenden Fragen stellen: • „Welches Ergebnis muss erreicht werden, damit wir von Erfolg sprechen können?“ • „Was brauchen wir, um erfolgreich zu sein?“ • „Wie muss das Projekt organisiert werden?“ • „Welche Information brauchen wir wann und von wem?“
Literatur 1. Rückle, H.; Teuber, S. (Hrsg.): Praxishandbuch Coaching. München: Vahlen 2005 2. Rauen, C.: Coaching. Innovative Konzepte im Vergleich. 3. Aufl. Göttingen: Verlag für angewandte Psychologie 2003 3. Belbin, M.: Management Teams – Why they succeed or fail. Amsterdam: Butterworth-Heinemann 1996; übersetzt durch Bergander, W.: Team- und Führungsentwicklung. Wörrstadt: Verlag Bergander 4. MBTI: Myers-Briggs-Type-Indicator. In Briggs, K.; Myers, I.: Understanding personality type. Mountain View, CA: Davies-Black Publishing 1995 5. BIP: Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsanalyse. http://www.testentwicklung.de/bip.htm 6. Belbin M.: Teamrollentheorie. CD-Rom. Marburg: Tectum Verlag 1998
12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen [1] Anhand soziodemografischer Analysen konnten betriebliche Problemfelder grob strukturiert werden [2, 3]. Seit 2000 wurde das Konzept einer alterssausgewogenen Personalpolitik entwickelt und in sehr vielfältige betriebliche Good Practice sowie in spezielle Werkzeuge für Personalarbeit umgesetzt. Gegenwärtig wird nachgedacht und experimentiert, wie ein breitenwirksamer Transfer mithilfe dieser Werkzeuge zu erreichen ist.
12.9.1 Altersausgewogene Personalpolitik Das Konzept der altersausgewogenen Personalpolitik besagt, dass sich die betriebliche Personalpolitik i. d. R. an den Strukturen der Gesamtbelegschaft
12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen
und nicht an einzelnen, nach Personenmerkmalen beschreibbaren, Gruppen wie Jüngeren, Älteren, Männern, Frauen orientiert. Sofern eine Gruppenorientierung notwendig sein sollte, sind die Voraussetzungen zu präzisieren. Macht es der demografische Wandel in seinen Wirkungen auf Arbeitsmarkt und Unternehmen notwendig, dass „älterenspezifische“ Maßnahmen zunehmend realisiert werden müssen oder ist diese Notwendigkeit von bestimmten Bedingungen abhängig? Das Konzept der altersausgewogenen Personalpolitik wurde [4–17] auf der Basis qualitativer Auswertungen betrieblicher Fallstudien im Rahmen von zwei BMBF-Vorhaben [18] und in Orientierung an dem aus den USA stammenden theoretischen Ansatz der Organisationsdemografie [19–22] entwickelt. Im GfAH-Teilprojekt „Alt und Jung im Betrieb“ [23] wurden zwei personalpolitische Instrumente (Leitfaden zur Selbstanalyse und Altersstrukturanalyse, s. u.) erarbeitet und in einigen Fällen betrieblich erprobt. Eine betriebliche Umsetzung im größeren Ausmaß von Konzept und Werkzeugen erfolgte im BMBF-Vorhaben zur DemografieInitiative I mit 30 Unternehmen der Elektrotechnikund Elektronikindustrie unter Federführung des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e.V. Frankfurt am Main [24]. Der ZVEI hat über das Projekt in zwei Broschüren [25, 26] in seiner Mitgliederzeitschrift [27–29] und auf seiner Homepage (www.zvei.org/demografie) berichtet. Nachfolgend werden die wesentlichen Konzeptelemente skizziert.
Berücksichtigung der Gesamtheit an soziodemografischen Entwicklungen Die betriebliche Personalpolitik reagiert grundsätzlich auf alle Entwicklungen in den jeweiligen Ausbildungs- und Arbeitsmärkten. Es reicht bei weitem nicht aus, ausschließlich die zukünftigen Entwicklungen bei den über 50jährigen Erwerbspersonen zu verfolgen und daraus personalpolitische Lösungsstrategien abzuleiten. Berücksichtigt werden i. d. R. Entwicklungen bei allen Altersgruppen einschließlich der Erwerbspersonen jüngeren und mittleren Alters, aber auch Umschichtungen in Bildungsabschlüssen und Tätigkeitsanforderungen, Entwicklungen in den
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Erwerbsquoten von Frauen und anderen für Unternehmen relevanten Beschäftigtengruppen. Unternehmen der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie beachteten in verstärktem Maße auch branchentypische Entwicklungen bei Auszubildenden (Verteilung nach alten und neuen Berufsbildern), bei Schülern und Abiturienten (Befassung mit technisch-naturwissenschaftlichen Themen), bei Studierenden und Absolventen (Verteilung nach technisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen bzw. Abschlüssen) sowie bei Ingenieuren (Erwerbstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit nach Altersgruppen). Die Entwicklungen bei älteren Erwerbspersonen sind ein wesentlicher Teilaspekt der Gesamtentwicklung auf Ausbildungs- und Arbeitsmärkten und die demografische Entwicklung eine Dimension der soziodemografischen Entwicklung. Ausgewählte Trends der soziodemografischen Entwicklung sind unter dem jeweiligen branchenspezifischen Fokus zu reflektieren.
Positive Leitbilder für die Personalpolitik Langjährige Erfahrungen mit Unternehmen besagen, dass die Darstellung von Negativ-Szenarien, über Begriffe wie „Überalterung“ oder „Altersberge“ vermittelt, bewirken, dass Unternehmen sich nicht angesprochen fühlen. Sensibilisiert und motiviert werden Unternehmen dagegen, wenn ihnen überzeugend demonstriert wird, wie sie selbst mit eigenen Ressourcen ohne großen Aufwand ihre eigene Personalpolitik demografieorientiert gestalten können. Hier zeigen neue personalpolitische Leitbilder wie • • • •
„Altersausgewogene Personalpolitik“, „Gesunder Alters-Mix“, „Wertschätzungs-Kultur“ oder „Arbeitsfähig bis 65 bzw. 67“
positive Wirkungen.
Große Unterschiede in personalpolitischen Handlungsvoraussetzungen Aufgrund der großen Unterschiede in den betrieblichen Rahmenbedingungen muss jedes Unternehmen einen eigenen Weg zu seiner demografieorientierten Personalpolitik finden – jenseits von „Königswegen“
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oder „Patentrezepten“. Wesentliche Einflussfaktoren sind: • die Unternehmensgröße, • die Organisation und das Entwicklungsniveau des Personalmanagements (auch in Abhängigkeit von der Größe), • die Personalstruktur (insbesondere nach Alter, Qualifikation, Bildungsabschluss, betrieblichem Status), • die Durchführung und das Ausmaß der Erstausbildung, • das Vorhandensein und das Ausmaß der Fluktuation – insbesondere bei jungen (qualifizierten) Fachkräften, • die Gesamtheit an Rekrutierungsvor- und -nachteilen hinsichtlich junger Fachkräfte, insbesondere hinsichtlich junger Absolventen mit technischnaturwissenschaftlichen Qualifikationen, • das Vorhandensein und das Ausmaß der vorzeitigen Verrentung, • die Beschäftigungsentwicklung (Personalwachstum oder -abbau) im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung.
Ausweitung von personalpolitischen Lösungsräumen Die erheblichen Unterschiede in den betrieblichen Handlungsvoraussetzungen münden jeweils in einen unternehmensspezifischen Maßnahmen-Mix. Erfahrungsgemäß bewegen sich viele Personalverantwortliche, z. B. bei der Festlegung von Rekrutierungs- und Weiterbildungsstrategien, auf ihren bekannten Lösungspfaden mit ihren vorher üblichen Maßnahmen, d. h. innerhalb eingeschränkter Lösungsräume. Um Unternehmen auf den demografischen Wandel optimal vorzubereiten, ist es notwendig, diese Lösungsräume auszuweiten und Alternativen zu bisherigen Personalmaßnahmen aufzuzeigen. Dadurch werden Unternehmen angeregt, bisherige personalpolitische Handlungsmuster umzugestalten. Es ist unverzichtbar, dass die betreffenden Unternehmen ihre Lösungsräume und die ausgewählten Personalmaßnahmen autonom festlegen. In Abb. 12.27 wird dieses Prinzip anhand ausgewählter Rekrutierungsstrategien veranschaulicht. Die Fokussierung auf ältere Stellenbewerber ist dabei eine von mehreren Handlungsoptionen.
12 Personalmanagement
Maßnahmen-Mix Die Maßnahmen einer demografieorientierten Personalpolitik sollen ohne großen Aufwand in den personalpolitischen Alltag integriert werden können – in deutlicher Abwendung von in politischen und wissenschaftlichen Kreisen häufig propagierten „Leuchtturm-Projekten“. Dieses setzt erstens voraus, dass die gesamte Personalpolitik in all ihren Funktionen unter dem „Demografie-Fokus“ betrachtet wird. Reichen die vorhandenen und geplanten Personalmaßnahmen aus, um den künftigen Entwicklungen auf den Ausbildungs- und Arbeitsmärkten erfolgreich zu begegnen? Sollen sie beibehalten oder aufgegeben werden? Sollen sie modifiziert oder ergänzt werden? Zweitens ist es erforderlich, dass eine Planung erfolgt, wie Veränderungen Schritt für Schritt zu realisieren sind. Beispielsweise wird im ersten Jahr die Inanspruchnahme der Altersteilzeit reduziert. Bei der Rekrutierung von Fachkräften werden einerseits die Ausbildungsquoten erhöht, andererseits Vermittlungsbörsen für ältere Fach- und Führungskräfte gezielt angesprochen. Es wird eine systematische Nachfolgeplanung eingeführt. Ab dem zweiten Jahr werden vorhandene betriebliche Angebote zur Weiterbildung und Personalentwicklung mit einer bisher zu engen Ausrichtung auf Führungskräfte und Beschäftigte mit akademischen Abschlüssen nach und nach auf weitere Teilnehmerkreise ausgeweitet. Abbildung 12.28 zeigt den Maßnahmen-Mix ausgewählter Unternehmen aus dem BMBF-Vorhaben zur Demografie-Initiative I.
Unterscheidung in „älterenfreundliche“, „älterenspezifische“ und „jugendzentrierte“ Personalmaßnahmen Bei der Analyse demografieorientierter Personalstrategien werden Unterscheidungen getroffen, • ob und inwieweit bestimmte Personalmaßnahmen für die gesamte Belegschaft – und damit auch für alle Alters- und Beschäftigtengruppen – gelten sollen: „älterenfreundliche“ Maßnahmen, • ob und inwieweit Notwendigkeiten von betrieblichen Sonderprogrammen für Ältere oder für Jüngere bestehen: „älterenspezische“ oder „jugendzentrierte“ Maßnahmen.
12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen
attraktive Traineeprogramme
berufsbegleitende Aus- und Fortbildung
berufsbegleitende Ausbildung von Angelernten als Facharbeiter
Schul- und HochschulMarketing
Erstausbildung
913
Rücknahme der Altersteilzeit
Neueinstellung von (arbeitslosen) Älteren
Abwerben von älteren Fach- und Führungskräften aus anderen Betrieben
Behinderte BerufsrückkehrerInnen Zeitarbeiter
Neueinstellungen von Berufsanfängern
Nutzung spezieller Rekrutierungsbörsen für ältere Fach- und Führungskräfte
private private ArbeitsArbeitsvermittlung vermittlung
Arbeitsamt Arbeitsamt
UmschulungsUmschulungseinrichtungen, einrichtungen, WeiterbildungsWeiterbildungsträger, träger, BeschäftigungsBeschäftigungsgesellschaften gesellschaften
Legende junge Arbeitskräfte
Arbeitskräfte mittlerer und älterer Jahrgänge
unterschiedl. Wege Personalgewinnung
Arbeitsmarktreserven
berufsbegl. Aus- und Fortbildung
Abb. 12.27 Lösungsräume für betriebliche Rekrutierungsstrategien (Auszug) [30] Themenfelder
ABB
AEM
x
x
3. Vorzeitige Verrentung
x
x
4. Berufsbegleitendes Lernen
x
x
5. Berufliche Entwicklung
x
6. Wissenstransfer
x
7. Gesundheitsvorsorge
x
1. Rekrutierungsstrategien
x
2. Betriebsbindung
d&b
x
DeTeWe
MR
KSG
NF
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
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x
x x
x
x
x
x x x x
8. Wertschätzungs-Kultur Änderung Personalpolitik
Brähler
x
x
x
x
x x
x
x
x
x x
x
Quelle: © Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2004
Abb. 12.28 Unternehmensspezifischer Maßnahmen-Mix
Bei Strategien der qualitativen Personalanpassung zählen zu „älterenfreundlichen“ Maßnahmen z. B. die Einführung einer systematischen Weiterbildungsplanung und Durchführung (Bildungsbedarfsermittlung, Controlling) mit dem Fokus auf Alters- und Personengruppenteilnahme oder die enge Zusammenarbeit mit Krankenkassen zur Entwicklung eines zielgruppenspezifischen betrieblichen Gesundheitsmanagements
für unterschiedliche, aber altersgemischte Personengruppen. Es wird einerseits das betriebliche Niveau der Qualität der Arbeit erhöht, andererseits eine Öffnung für alle Alters- und Beschäftigtengruppen hergestellt. Zu „älterenspezifischen“ Maßnahmen gehören z. B. die Befreiung Älterer von Tätigkeiten mit speziellen Belastungen in Verbindung mit Um- oder Versetzungen auf geeignete Arbeitsplätze oder die Verkür-
914
zung der Wochenarbeitszeit für Ältere, die Tätigkeiten mit hohen gesundheitlichen Risiken durchführen. In ähnlicher Weise können auch Strategien zur quantitativen Personalanpassung charakterisiert werden - jedoch unter Hinzunahme der Dimension „Jugendzentrierung“. Schaffung von Familienfreundlichkeit, Ausweitung der Erstausbildung und Verstärkung des Schul- und Hochschulmarketings richten sich an junge Familien oder Jugendliche. „Älterenfreundlich“ sind Rekrutierungsmaßnahmen, die sich auf alle Altersgruppen erstrecken. Werden bevorzugt ältere Bewerber für bestimmte Stellen eingestellt, handelt es sich um eine „älterenspezifische“ Maßnahme. Qualitative Auswertungen der demografieorientierten Personalstrategien der 30 Unternehmen der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie aus dem BMBF-Vorhaben zur Demografie-Initiative I zeigen, dass eine altersausgewogene Personalpolitik • mehrheitlich „älterenfreundliche“ Maßnahmen umfasst. Eine Öffnung erfolgt einerseits über eine bewusste Erweiterung von Zugangsmöglichkeiten und Teilnehmerkreisen, andererseits über eine Erhöhung des Qualitätsniveaus in den Arbeitsund Lernbedingungen, um gesundheitlichem Verschleiß oder Dequalifizierung vorausschauend zu begegnen. • in Sonderfällen die gezielte Ansprache spezieller Alters- und Personengruppen, also „älterenspezifische“ Maßnahmen, beinhaltet. Das Lebensalter allein ist kein ausreichendes Kriterium, um derartige Zielgruppen festzulegen. Beispielsweise sind für ältere Angelernte, die langzeitig körperliche Schwerarbeit verrichtet haben, andere Maßnahmen zu entwickeln als für ältere Vertriebsingenieure mit langjährigen Reisetätigkeiten im Ausland oder für ältere Meister mit Kompetenzlücken in der Handhabung neuer IT-Funktionen an Fertigungssystemen oder für ältere Entwickler, die mit Veränderungen in ihrem langjährig ausgeübten Projektmanagement konfrontiert werden. In der Regel handelt es sich bei betrieblichen Funktionsgruppen wie Meistern oder Entwicklern um altersgemischte Beschäftigtengruppen. Falls die älteren Gruppenangehörigen bestimmte Arbeitsanforderungen nicht (mehr) bewältigen können, liegen die Ursachen häufig in betrieblichen Versäumnissen aus der Vergangenheit, z. B. im Arbeits- und Gesundheitsschutz, in der Weiterbildung oder Personal-
12 Personalmanagement
entwicklung. Die Einführung „älterenspezifischer“ Maßnahmen ist dann eine nachträgliche Reaktion auf bereits eingetretene Negativeffekte. Es ist zu berücksichtigen, dass in KMU mit hohen Anteilen Älterer bzw. hohen Anteilen Älterer an Arbeitsplätzen mit besonderen Belastungen, z. B. Nacht- und Schichtarbeit, die Realisierung bestimmter „älterenspezifischer“ Maßnahmen wie Um- und Versetzungen nicht in größerem Ausmaß, sondern nur in Einzelfällen verwirklicht werden können, weil entsprechende Ersatzarbeitsplätze fehlen. In Abb. 12.29 findet sich eine prototypische Darstellung eines Maßnahmen-Mix mit den jeweiligen Charakterisierungen nach „Älterenfreundlichkeit“ u. ä. Letztlich lässt sich jedes Unternehmen in seiner demografieorientierten Personalstrategie in ähnlicher Weise abbilden.
Integration in betriebswirtschaftliche Konzepte Bereits aus den Anfangsdiskussionen mit den am Vorhaben zur Demografie-Initiative I beteiligten 30 Unternehmen der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie war erkennbar, dass der zu erwartende betriebliche Nutzen einer vorausschauenden Beherrschung des altersstrukturellen Wandels allein nicht ausreicht, um Unternehmen zu motivieren, sich mit einer demografieorientierten Personalpolitik aktiv auseinandersetzen. Notwendig ist eine enge Verknüpfung mit betriebswirtschaftlichen Nutzeffekten, wie die folgenden Beispiele zeigen: • Das rechtzeitige Erkennen zukünftiger Lücken im Personalbestand für unterschiedliche Fachkräftegruppen versetzt das Unternehmen in die Lage, sowohl rechtzeitig als auch richtig zu agieren, z. B. über Erhöhungen von Quoten bei Auszubildenden oder Diplomanden, über eine Förderung berufsbegleitender Aus- und Fortbildungen zum Techniker, Meister oder Ingenieur bei Facharbeitern, über die Erschließung älterer Fachkräfte oder Berufsrückkehrerinnen als neue Rekrutierungspotenziale. • Die Vorausschau von Verrentungen in den nächsten 5 bis 10 Jahren macht nicht nur die gegenwärtigen und zukünftigen personellen Lücken im Personalbestand sichtbar, sondern auch die Notwendigkeit zur Organisation eines rechtzeitigen Wissenstransfers zwischen Abgängern und poten-
12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen
Rücknahme Altersteilzeit
Wertschätzungs-Kultur
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Personalmarketing
Sonderprogramme für Ältere
Systematische Weiterbildung Weiterbildung für für Alle Alle
Familienfreundlichkeit
Rekrutierung alle Altersgruppen
Organisierter Wissenstransfer Alt - Jung
Nachqualifizierung Erstausbildung
älterenfreundlich
älterenspezifisch
jugendzentriert
Abb. 12.29 Maßnahmen-Mix nach Altersbezug (Prinzipdarstellung). Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2004
ziellen „Nachrückern“ – jeweils in Abhängigkeit von der Komplexität der Arbeitsaufgaben über unterschiedlich lange Zeiträume. Die Einführung einer systematischen Dokumentation, von Workshops zum gezielten Erfahrungsaustausch oder Wissenspaten, erspart dem Unternehmen Wissensverluste auf für Auftragsgewinnung und -abwicklung sensiblen Gebieten. • Permanente Erhöhungen in den Anforderungen an das Qualitätsmanagement betreffen auch die personellen Ressourcen (Arbeits- und Gesundheitsschutz, Mitarbeiterzufriedenheit, Weiterbildung) und erfordern zunehmend verbesserte Planungs-, Systematisierungs- und Controllingleistungen sowie nach außen erkennbare kontinuierliche Verbesserungen (KVP). Systematische Vorgehensweisen zur qualitativen Personalanpassung werden in betriebliche QM-Konzepte integriert und in QM-Handbüchern dokumentiert, um bei Kunden-Audits als besonderer Vorteil präsentiert zu werden
12.9.2 Werkzeuge für Personalarbeit 12.9.2.1 Einführung Im BMBF-Vorhaben zur Demografie-Initiative II [31] wurde das o. a. in der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie stattfindende Projekt [23] zusammen
mit zwei ähnlichen Vorhaben im Maschinen- und Anlagenbau [32] und im Sanitär-Heizung-KlimaHandwerk [33] hinsichtlich des erfolgreichen Einsatzes personalpolitischer Werkzeuge wie Vorgehensweisen, Verfahren und Instrumente ausgewertet. Die Zielsetzung war, Unternehmen zu befähigen, autonom zu agieren, um die breitenwirksame Umsetzung voranzutreiben. Überprüft wurden insgesamt über 100 betriebliche Anwendungsfälle. Auch andere Forschungsvorhaben oder Dienstleistungsangebote Externer wurden in diese Bilanzierung mit aufgenommen. Es wurden Anforderungen an die Werkzeugauswahl und die Werkzeugdarstellung formuliert. Auf der Homepage www.demowerkzeuge.de finden sich ausführliche Darstellungen von über 20 Werkzeugen, die sich grob unterscheiden lassen nach • Werkzeugen zur Analyse und Planung im Sinne einer umfassenden, auf mehrere Jahre ausgelegten Personalplanung. Dazu zählen z. B. der Leitfaden zur Selbstanalyse [30, 34, 35] und Altersstrukturanalyse [30, 34]. • Werkzeugen zur Unterstützung spezieller Personalfunktionen wie „Vermittlungsbörsen für ältere Fach- und Führungskräfte“ [34] oder „Nachfolgeplanung“. Hier finden sich auch Werkzeuge, die bei der betrieblichen Implementierung „älterenspezifischer“ Maßnahmen erfolgreich waren: „Zukunftsgespräche“, „Altersgerechter Personaleinsatz“ oder „Rückkehrkonzepte für Außendienstkräfte im Ser-
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vicebereich“. Im Handwerk hilft häufig ein professionelles Vorgehen, z. B. bei der Entwicklung zukunftsorientierter Produkte oder Dienstleistungen unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen älterer Kunden und der Potenziale älterer Beschäftigter („Strategieentwicklung im Handwerk“).
12 Personalmanagement
dereingliederung [31, S. 28 f.]). Teilweise handelt es sich um Werkzeuge, die eine spezielle Infrastruktur (z. B. Vermittlungsbörsen für ältere Fach- und Führungskräfte – [31, S. 14 f.]) oder eine spezielle Sachund Fachkunde (z. B. Wertschätzungs-Trainings – [31, S. 32 f.]) voraussetzen. In den letzten beiden Fällen sind jeweils mehrere externe Anbieter aufgeführt worden.
12.9.2.2 Anforderungen Unternehmensindividuelle Werkzeug-Kombination Gütekriterien Um Seriosität zu demonstrieren und Überzeugungskraft zu entfalten, sind nur Werkzeuge aufgenommen worden, die nachweisbar in Unternehmen eingesetzt wurden und dort nachweisbar zu Lösungen geführt haben. Die Nachweise erfolgen über die Nennung von Referenzunternehmen bzw. von Veröffentlichungen mit Referenzbeispielen.
Transferhinweise Zu jeder Werkzeugdarstellung gehören Hinweise über die bisherigen Anwendungsfelder (z. B. nach Größe des Unternehmens) und künftige Einsatzmöglichkeiten.
Zugänglichkeit Jedes Werkzeug ist frei verfügbar. Es kann entweder von der Homepage www.demowerkzeuge.de oder einer anderen Homepage abgerufen werden oder kostenfrei bzw. gegen Entgelt von einem Verlag bezogen werden.
Aktive Förderung der betrieblichen Autonomie Das Gros der Werkzeuge ist so dargestellt worden, dass Interessierte die Werkzeuge ohne großen Aufwand im eigenen Unternehmen einsetzen können, d. h. ohne Einschaltung Dritter. Ausnahmen bilden einige Werkzeuge externer Anbieter. Teilweise können sie nach vorheriger Qualifizierung in Lizenz erworben werden (z. B. Profilabgleich zur betrieblichen Wie-
Der demografische Wandel wirkt sich auf jedes Unternehmen anders aus. In jedem Unternehmen nimmt die demografieorientierte Personalpolitik eine andere Gestalt an, z. B. als unternehmensindividueller Maßnahmen-Mix mit Einbindung bereits vorhandener und geeigneter Personalmaßnahmen, oder als unternehmensindividuelle Werkzeug-Kombination mit Integration bereits vorliegender Werkzeuge. Dazu findet sich auf der Homepage www.demowerkzeuge.de eine Auflistung üblicher personalpolitischer Vorgehensweisen, Verfahren und Instrumente, die mit den angebotenen Werkzeugen kombinierbar sind.
12.9.2.3 Ausgewählte Werkzeuge Leitfaden zur Selbstanalyse [30, 34, 35] Der Leitfaden ist als Nachschlagewerk aufgebaut. Ausgegangen wird von einer umfassenden Personalplanung mit allen infrage kommenden Personalfunktionen, die jeweils unter dem Demografie-Fokus betrachtet werden. Zu diesem Zweck werden Kernfragen formuliert, z. B.: • „Mit welchen Rekrutierungsstrategien kann Ihr Unternehmen die zukünftigen demografischen Entwicklungen intelligent bewältigen?“ • „Sind hohe Fluktuationsquoten bei jüngeren Fachkräften ein notwendiges Übel?“ • „Wie stellen Sie in Ihrem Unternehmen Betriebsbindung her?“ • „Hat Ihr Unternehmen Angebote zur beruflichen Entwicklung, von denen alle Altersgruppen profitieren können?“ Der Leitfaden beinhaltet nach einer Einführung in das Konzept der altersausgewogenen Personalpolitik und
12.9 Demografie-Werkzeuge für Unternehmen
in die Handhabung der Altersstrukturanalyse (s. u.) eine Vorgehensweise, die zwingend zu unternehmensindividuellen Lösungen führt. Dazu dienen Kataloge mit optionalen Personalmaßnahmen, die acht Personalfunktionen zugeordnet sind. Nach dem Prinzip des erweiterten Lösungsraumes (s. Abb. 12.27) können Unternehmen das Spektrum ihrer Personalmaßnahmen daraufhin überprüfen, ob und inwieweit die zukünftigen Wirkungen des demografischen Wandels überhaupt berücksichtigt worden sind. Die Kataloge geben gezielte Hinweise, die eine oder andere Maßnahme zu modifizieren. Das gilt z. B. für alle Maßnahmen der quantitativen oder qualitativen Personalanpassung, die Ausgrenzungen bestimmter Alters- oder Personengruppen umfassen. Die Kataloge enthalten auch Anregungen zur Einführung neuer Maßnahmen, z. B. zu einer systematischen Nachfolgeplanung mit integriertem Wissenstransfer.
Altersstrukturanalyse [30, 34] Die Altersstrukturanalyse ist eine systematische Vorgehensweise zur betrieblichen Früherkennung und Visualisierung sich gegenwärtig und zukünftig abzeichnender Personalprobleme, die als Folgewirkungen des demografischen Wandels anzusehen sind. Altersstrukturdaten werden verknüpft mit Daten zur Berufs-, Qualifikations- und Statusstruktur. In größeren Unternehmen erfolgt dieses auch pro Unternehmensbereich oder pro Standort. Diese detaillierten Analysen werden jeweils um 10 Jahre fortgeschrieben. Auf einen Blick sind dann demografiebedingte Risiken erkennbar. Reichen die bereits getroffenen oder geplanten Maßnahmen zum Personalmarketing und zur Unternehmensbindung aus, um die personellen Lücken zu füllen, die infolge Verrentung und Arbeitgeberwechsel entstehen? Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass infolge des demografischen Wandels die Anzahl der Schüler, Auszubildenden, und Studenten zurückgeht. Auf umkämpften Personalbeschaffungsmärkten wird sich dann die Attraktivität des Unternehmens für junge Fachkräfte entscheidend auswirken. Zu fragen ist auch, welchen Stellenwert ältere Fachkräfte bisher hatten und zukünftig haben werden. Mittels der Altersstrukturanalyse wird auch veranschaulicht, ob in bestimmten Personengruppen mit betrieblicher Schlüsselfunktion gegenwärtig oder zukünftig hohe Anteile an Älteren vor-
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kommen (werden). Unter Beachtung des Auslaufens der gesetzlichen Altersteilzeitregelungen 2009 sowie infolge mehrerer Rentenreformen mit zunehmenden Erschwerungen bei der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Verrentung ist dann zu überlegen, ob die vorhandenen oder für die Zukunft geplanten Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit ausreichen, um die betreffenden Personen bis zum 65. bzw. 67. Lebensjahr gesund, qualifiziert und motiviert zu erhalten. Eine einfache Fortschreibung der bestehenden Personalstruktur um 10 Jahre reicht in vielen Fällen aus, um personelle Risiken voraussehen zu können. Eine optimierte Anwendung sieht vereinfachte Zukunftsszenarien mit Planungsalternativen vor. Im Szenario A wird immer die bisherige Personalpolitik beibehalten, d. h., die bisherigen Personalzu- und -abgänge sowie Annahmen zur Beschäftigungsentwicklung. In den Szenarien B, C ff. wird mit unterschiedlichen Annahmen über Veränderungen z. B. in der Ausbildungs-, Fluktuations-, Rekrutierungs- und Verrentungsquoten operiert. Die Veränderungen in den Quoten führen i. d. R. auch zu Veränderungen in den Maßnahmen. Ein effizienter Einsatz der Altersstrukturanalyse bedingt, dass bei bestimmten Schritten innerhalb der Vorgehensweise im Leitfaden zielgerichtet nachgeschlagen werden kann, um – wie oben ausgeführt – die personalpolitischen Lösungsräume auszuweiten und Anregungen für mögliche Veränderungen zu gewinnen. In Abb. 12.30 findet sich eine Prinzipdarstellung zur Altersstrukturanalyse – hier bezogen auf die globale Altersstruktur.
Ausblick Wie anfangs erwähnt, ist ab 2005 im Rahmen des BMBF-Vorhabens zur Demografie-Initiative II ein Durchbruch für einen breitenwirksamen Transfer geschaffen worden. Die in der Fachöffentlichkeit inzwischen stark verbreiteten betrieblichen Positivbeispiele haben eine begrenzte Wirkung. Sie demonstrieren einerseits die Machbarkeit einer demografieorientierten Personalpolitik für Unternehmen aller Größenklassen, Produkt- und Dienstleistungssparten. Andererseits ist der notwendigerweise sehr unternehmensindividuelle Maßnahmen-Mix auf andere Unternehmen nicht übertragbar. Transferierbar sind hingegen die dort erfolgreich eingesetzten Werkzeuge, sofern es gelingt,
918
12 Personalmanagement
Anzahl
Arbeitsfähigkeit
350
300 hohe Anteile Arbeitgeberwechsel Arbeiterwechsel bei jungen Fachkräften
250
2005
2015
Rekrutierung 200
Auslaufen ATZ
- Azubis - Studenten, Diplomanden u.ä.
150
100 Alt und Jung Wissenstransfer Tandems
50
0
< 20
25
30
35
40
45
50
55
60
65 Jahre
Abb. 12.30 Alterstrukturanalyse mit personalpolitischen Risiken (Prinzipdarstellung) [30]
diese mit anderen im Unternehmen üblichen Vorgehensweisen, Verfahren und Instrumenten sinnvoll zu kombinieren.
7.
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12.10 Outplacement
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919 30. Köchling, A.: Leitfaden zur Selbstanalyse altersstruktureller Probleme in Unternehmen. 3. Aufl. Dortmund: GfAHSelbstverlag 2006 31. BMBF-Vorhaben: Anwenderorientierte Aufbereitung der Ergebnisse aus dem Arbeitsschwerpunkt „Demographischer Wandel“. FKZ 01HH01-04 32. BMBF-Vorhaben: Demografie-Initiative: Betriebliche Strategien für eine alternsgerechte und generationenübergreifende Arbeits- und Personalpolitik im Maschinen- und Anlagenbau. FKZ 01HH00102 33. BMBF-Vorhaben: Demographie-Initiative: Betriebliche Strategien für altersgemischte Belegschaftsstrukturen und generationenübergreifende Personalkonzepte für das Sanitär-Heizung-Klima-Handwerk. FKZ 01HH00104 34. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Demografischer Wandel – (k)ein Problem! Werkzeuge für betriebliche Personalarbeit. Berlin: 2005 – 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009 in Vorbereitung 35. Köchling, A: Betriebliche Anforderungen an Lösungskonzepte zur Stärkung der Arbeitsfähigkeit auf Basis zukunftsorientierter Personalplanungen. In: Giesa, H.-G.; Timpe, K.-P.; Winterfeld, U. (Hrsg.): Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit. Heidelberg und Kröning: 12. Workshop 2003, S. 211 ff.
12.10 Outplacement Outplacement als ganzheitliche, systematische Beratung von Unternehmen und freizusetzenden Mitarbeitern zielt darauf ab, den Trennungsvorgang einvernehmlich und fair zu gestalten. Während dieses Prozesses werden beide Seiten – Unternehmen und Mitarbeiter – vom spezialisierten Outplacement-Berater problemspezifisch unterstützt. Das Unternehmen wird in allen Phasen der Trennung ausführlich über die Möglichkeiten und deren Durchführung beraten, der betroffene Mitarbeiter erhält eine umfangreiche Betreuung, die ihm hilft, möglichst rasch eine passende, chancenreiche und erfolgversprechende neue Aufgabe zu finden. Vertragspartner bei dieser Beratungsleistung sind i. d. R. das Unternehmen und der Anbieter der Outplacement-Beratung. Der Beitrag untersucht den Nutzen von Outplacement aus Unternehmens- und aus Mitarbeitersicht und beschreibt den Beratungsablauf als 3-Phasen-Modell.
12.10.1 Herkunft und Bedeutung Die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zählt sowohl für den betroffenen Mitarbeiter als auch für den verantwortlichen Vorgesetzten/die Geschäftsführung zu den schwierigsten Situationen im Arbeitsle-
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ben. Fast immer kommt die vom Arbeitgeber ausgesprochene Trennungsabsicht für den betroffenen Mitarbeiter unvorhersehbar und überraschend; gerade deshalb sind Konflikte zwischen den Beteiligten häufig vorprogrammiert. Um die – in den meisten Fällen auftretenden – negativen Auswirkungen für beide Seiten so gering wie möglich zu halten und unnötige Spannungen und Auseinandersetzungen, wie z. B. Arbeitsgerichtsprozesse, zu vermeiden, nutzen Unternehmen, die sich von Mitarbeitern trennen müssen, seit etwa 20 Jahren immer häufiger Outplacement-Beratung, um eine wohldurchdachte und faire Trennung zu ermöglichen. Ursprünglich als Individualberatung für ausscheidende Führungskräfte des mittleren und oberen Managements aus den USA auf deutsche Verhältnisse adaptiert und durchgeführt, wird Outplacement heute in verschiedenen Varianten auch für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung aus allen Unternehmensbereichen eingesetzt. Vielfach wurde in der Vergangenheit auf Grund von mangelnder Information und Aufklärung behauptet, der Outplacement-Berater initiiere die Trennung, er sei sozusagen für diese verantwortlich. Behauptungen dieser Art sind unzutreffend, denn der Berater wird erst dann in das Geschehen miteinbezogen, wenn das Unternehmen bereits entschieden hat, sich von einem bestimmten oder mehreren Mitarbeitern zu trennen. Nur in Ausnahmefällen wird ein OutplacementBerater schon im Vorfeld der Trennungsentscheidung zu Rate gezogen, nämlich dann, wenn sich das Unternehmen nicht sicher ist, ob der Betroffene – z. B. auf Grund seines Alters oder seiner Qualifikation – am Arbeitsmarkt noch die Chance hat, eine adäquate neue Aufgabe zu finden. Seriöse und erfahrene Berater wägen bei dieser Fragestellung sehr genau ab, ob eine Trennung sinnvoll ist oder ob es für den Betroffenen besser ist, im Unternehmen zu bleiben, denn mit einem „unlösbaren Fall“ ist keiner Seite geholfen. Vorrangiges Anliegen aller Beteiligten vor und während des Trennungsprozesses muss die optimale individuelle Vorgehensweise zugunsten des betroffenen Mitarbeiters sein.
12.10.2 Notwendigkeit von Outplacement-Beratung Der Verlust des Arbeitsplatzes löst beim Betroffenen i. d. R. eine Krise aus, auf die er nicht vorbereitet ist.
12 Personalmanagement
Parallel zu dieser Krisenstimmung, die sich nicht selten in ernstzunehmende depressive Phasen ausweitet, ist er mit einer existenziell wichtigen Aufgabe konfrontiert: der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Die dem Betroffenen gegenüber ausgesprochene Trennungsabsicht löst einen initialen Schock aus, der ein hohes Stresspotenzial birgt und Blockaden aufbaut. Demzufolge ist die eindeutige Mehrzahl der Betroffenen über einen unabsehbaren Zeitraum nicht in der Lage, konstruktiv an ihrer beruflichen Neuorientierung zu arbeiten. Wird in dieser Situation nicht professionell geholfen, entsteht aus der beruflichen Krise sehr schnell eine persönliche bzw. existentielle Krise. Besonders bei hoch spezialisierten oder älteren Mitarbeitern mit langjähriger Firmenzugehörigkeit, die für sich im Moment des ersten Bewusstwerdens der Freisetzung keine beruflichen Chancen am Arbeitsmarkt sehen, ist die Gefahr der Resignation, aber auch Aggression besonders groß. Wird zudem noch die Dichte des heutigen Arbeitsmarkts betrachtet, in dem es selbst bei hoher Qualifikation und Erfahrung nicht selbstverständlich ist, nahtlos ein neues Arbeitsverhältnis zu finden, so wird die scheinbare Ausweglosigkeit der Situation des Betroffenen um so deutlicher. Desweiteren hat ein freigesetzter Mitarbeiter meist nicht die Marktübersicht und Einblick in die aktuelle Bewerbungssituation, die ein Outplacement-Berater hat. Die meisten arbeiten seit Jahren in ein und demselben Unternehmen und wissen nicht, wie sie ihr Marketing in eigener Sache vorantreiben sollen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sehen sich immer mehr Unternehmen verpflichtet, über den rechtlichen Rahmen hinaus soziale Verantwortung gegenüber dem ausscheidenden Mitarbeiter zu übernehmen, um negative Auswirkungen beim Betroffenen (z. B. in Form einer Existenzkrise) und im Unternehmen zu vermeiden. Durch den ganzheitlichen Ansatz bei der Outplacement-Beratung werden die entstehenden Konflikte bei einer Trennung vermindert, der Betroffene im entscheidenden Moment „aufgefangen“, das Personalmanagement entlastet, der Betroffene von neutralen, erfahrenen Beratern betreut sowie einer Schädigung des innerbetrieblichen Klimas durch die faire Abwicklung der Trennung nachhaltig entgegengewirkt. Die „Katalysatorwirkung“ durch den spezialisierten Berater minimiert den Konflikt zwischen Betroffenen und Unternehmen, baut Aggressionen ab, eine positive Grundhaltung bei allen Beteiligten auf und versetzt den Betroffenen in die Lage, durch eine
12.10 Outplacement
systematische individuelle Bearbeitung des Arbeitsmarkts eine adäquate neue Aufgabe zu finden.
12.10.3 Einbindung von Outplacement in zeitgemäße Unternehmenskultur Permanente wirtschaftliche Veränderungen erfordern flexible und schnell anpassungsfähige Unternehmensorganisationen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Arbeitsplätze austauschbar und veränderbar sowie Neubesetzungen von außerhalb, Versetzungen im Unternehmen und Wechsel zu anderen Unternehmen jederzeit ohne Schwierigkeiten und Erschütterungen der Organisation möglich sein. Nur so sind Unternehmen in der Lage, sich dem steten Wandel durch eine flexible Unternehmensstruktur erfolgreich anzupassen. Heute muss sich jeder Arbeitnehmer darüber im Klaren sein, dass jede Position – besonders aber die einer Führungskraft – ein Mandat auf Zeit sein kann bzw. ist, unabhängig von der Länge der Zugehörigkeit oder dem Alter des Mitarbeiters. In dem Moment, in dem die Umstände es erfordern, muss ein Arbeitsverhältnis im Rahmen der vereinbarten Vertragsbedingungen beendet werden können. Dabei darf der Mitarbeiter, der bis dato seine volle Arbeitskraft in das Unternehmen eingebracht hat, nicht Leidtragender auf Grund veränderter Unternehmensziele und -strukturen werden. Keinesfalls darf er mit der Aussage belastet werden, er habe in seiner letzten Position versagt. Das Thema Trennung muss den veränderten Anforderungen eines Unternehmens entsprechend anders gewertet und der bis dato existenzbedrohende Charakter abgeschwächt werden. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass das Mitarbeiterpotenzial als bedeutendster Bestandteil eines Unternehmens anstehende Strukturveränderungen nicht unterläuft und somit langfristig blockiert. Das Thema Trennung muss demnach als fester Bestandteil in das moderne Personalmanagement integriert werden. Einerseits ist dabei den Mitarbeitern zu vermitteln, dass ein Arbeitsplatzwechsel ein selbstverständlicher Vorgang ist, um flexible Strukturen aufzubauen und zu erhalten, andererseits müssen die Erwartungshaltungen der Mitarbeiter berücksichtigt werden, zu denen maßgeblich auch der Schutz vor Existenzbedrohung gehört. Der Trennungsvorgang muss folglich seinen bedrohlichen Charakter verlie-
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ren, und der Verlust des Arbeitsplatzes darf nicht als Ungerechtigkeit, Unglück oder Existenzkrise, sondern sollte als Chance zur beruflichen Neuorientierung/Weiterentwicklung (auf-)gewertet werden. Die Inanspruchnahme einer OutplacementBeratung gewährleistet für den Betroffenen einen risikoärmeren und für das Unternehmen einen mitarbeitergerechteren, sozial verträglicheren Trennungsvorgang. Nicht zu unterschätzen ist dabei die durchaus positive Wirkung im Unternehmen selbst (Innenwirkung): Die verbleibenden Mitarbeiter nehmen es positiv auf, dass im Falle einer Trennung fair vorgegangen wird und dass sie Unterstützung in ihrer schwierigen Situation bekommen. Im gegenteiligen Fall einer unprofessionellen oder dem Mitarbeiter gegenüber gar unfairen Abwicklung „kocht die Gerüchteküche“. Es entstehen Zukunftsangst und Unsicherheit bei den verbleibenden Mitarbeitern, was zu verminderter Arbeitsleistung führt und somit Unternehmen und Mitarbeitern schadet. Auch die Wirkung im Markt (Außenwirkung) darf nicht unterschätzt werden: Gerade wie ein Unternehmen im Krisenfall – und genau das ist jede Trennung – mit seinen Mitarbeitern umgeht, dokumentiert die viel diskutierte Kultur eines Unternehmens. Geschieht dies fair und sozial verträglich, sichert das Unternehmen seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit, bei Geschäftspartnern und potenziellen neuen Mitarbeitern. Outplacement – unter der Voraussetzung, dass es richtig eingesetzt wird – hilft, negative Wirkungen von Freisetzungen sowohl beim Unternehmen als auch beim betroffenen Mitarbeiter zu vermeiden. Als Baustein des strategischen Personalmanagements ist es sinnvoll, Outplacement mittelund langfristig in die Personalplanung zu integrieren und nicht erst als Notlösung in Anspruch zu nehmen. Outplacement ist demzufolge eine wichtige Maßnahme bei der erfolgreichen Veränderung oder Neugestaltung der Organisation, da aufkommende Probleme bei Um- und Neustrukturierungen durch die externe, neutrale Beratung kanalisiert und aufgelöst werden. Strukturen können nur aufgebrochen und verändert werden, wenn das gesamte Gefüge zu Veränderungen bereit ist. Stehen bei einem Unternehmen im Rahmen von Veränderungen auch personelle Abbaumaßnahmen an, so ist das Unternehmen auf die Unterstützung aller Mitarbeiter – auch derer, die voraussichtlich ausscheiden – angewiesen. Diese Unterstützung erhält es jedoch nur, wenn den freizusetzenden Mitarbeitern aufgezeigt wird, dass die persönliche und be-
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rufliche Zukunft außerhalb des Unternehmens zu suchen ist und dass das Unternehmen sich dafür einsetzt, dem ausscheidenden Mitarbeiter bei dieser Suche behilflich zu sein, indem es Outplacement-Beratung zum festen Bestandteil seiner Personalpolitik macht. Unter diesem Gesichtspunkt wird sowohl dem Unternehmen als auch dem ausscheidenden Mitarbeiter die Möglichkeit zur Weiterentwicklung gegeben; für viele Betroffene offenbart sich erst in der Trennung eine berufliche Chance, die im Unternehmen nicht gegeben war.
12.10.4 Der Outplacement-Prozess als 3-Phasen-Modell Der Outplacement-Prozess verläuft idealtypisch in 3 Phasen, wobei in der Praxis verschiedene individuelle Abläufe realisiert werden.
Phase 1: Unternehmensspezifische Vorbereitung Da i. d. R. das Unternehmen Initiator der Outplacement-Beratung ist und die Entscheidung des Unternehmens, Outplacement anzubieten, im Idealfall vor dem Trennungsgespräch fällt, ist es sinnvoll, den Berater schon im Vorfeld miteinzubeziehen, damit dieser den gesamten Trennungsprozess professionell betreuen kann. Gerade vor dem Trennungsgespräch kann der Berater konfliktentschärfend einwirken, z. B. wenn es um die Abfassung einer fairen Sprachregelung für das Ausscheiden und die Gestaltung des Aufhebungsvertrages geht. Noch bevor der Betroffene von seiner Freisetzung erfährt, werden der Trennungsvorgang und die dazu notwendigen Maßnahmen zwischen Berater und Unternehmen abgestimmt, besonders konfliktträchtige Gesichtspunkte, wie z. B. ein möglicher Arbeitsgerichtsprozess o.ä., diskutiert sowie ein den Bedürfnissen des Betroffenen entsprechendes Outplacementprogramm konzipiert.
Phase 2: Einleitung und Durchführung des Trennungsprozesses Im eigentlichen Trennungsgespräch, das zwischen der zuständigen Führungskraft/der Personalleitung und dem Betroffenen geführt wird (nicht, wie fälschli-
12 Personalmanagement
cherweise oft angenommen, zwischen Berater und Betroffenem), bietet das Unternehmen dem Betroffenen die Betreuung durch einen Outplacement-Berater als Zusatzleistung an. Wichtig hierbei ist die Betonung, dass die Outplacement-Beratung unabhängig von anderen Leistungen des Unternehmens ist und der Betroffene entscheiden kann, ob er die Beratung in Anspruch nimmt oder nicht. Sinnvoll ist jedoch, dass die Unternehmensseite ihrerseits den Sinn und Nutzen einer Outplacement-Beratung gegenüber dem Betroffenen deutlich artikuliert. In einem ersten Gespräch, das möglichst schnell – jedoch nicht unmittelbar – an das eigentliche Trennungsgespräch anknüpfen sollte, erläutert der beauftragte Outplacement-Berater dem Betroffenen die Chancen und Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer Outplacement-Beratung. Wichtig ist, dass Berater und zukünftiger Kandidat sich auf menschlicher Ebene verstehen, da die Beratung neben der sachlichen eine sehr persönliche Betreuung beinhaltet. Nach diesem Gespräch entscheidet der Betroffene, ob er das Beratungsangebot annehmen möchte.
Phase 3: Outplacement-Beratung Sind die Trennungsformalitäten abgeschlossen, beginnt sofort der Beratungsprozess, damit der Betroffene keine Zeit verliert und möglichst schnell seine berufliche Neuorientierung beginnen kann. Die Kooperation zwischen Unternehmen, Berater und Betroffenen spielt besonders in der Anfangsphase eine große Rolle; so ist es z. B. unumgänglich, dass Verlautbarungen nach außen abgestimmt werden und dass der Betroffene für die Beratungseinheiten und Bewerbungsaktivitäten die notwendige Zeit zur Verfügung gestellt bekommt. Was die Gesamtdauer der Beratung betrifft, so gibt es verschiedene Modelle, die dem jeweiligen Bedürfnis des Kandidaten angepasst sind. Bei individueller Beratung von Führungskräften ist die Betreuung des Kandidaten zeitlich unbegrenzt, d. h. er wird bis zum Abschluss eines neuen Vertrages beraten und darüber hinaus während seiner Probezeit im neuen Unternehmen. Bei den seminarähnlich gestalteten GruppenOutplacements und Offenen OutplacementWorkshops mit mehreren Kandidaten aus Positionen ohne Führungsverantwortung beschränkt sich
12.10 Outplacement
923
1. Unternehmensspezifische Vorbereitung Entscheidung für die Trennung und für eine Outplacement-Beratung durch die Geschäftsführung und die Personalleitung Erörterung der beabsichtigten Trennung, der Chancen und Möglichkeiten des Betroffenen und Abstimmung der notwendigen Maßnahmen zwischen zuständiger Führungskraft, Personalmanagement und Outplacement-Berater 2. Einleitung und Durchführung des Trennungsprozesses Vorbereitung und Festlegung der Maßnahmen durch das Personalmanagement Einleitung des Trennungsvorganges gegenüber dem Betroffenen mit Klärung der arbeitsrechtlichen Fragen und dem Angebot einer Outplacement-Beratung durch die zuständige Führungskraft/das Personalmanagement Kontaktaufnahme und Erstgespräch zwischen dem Betroffenen und dem Outplacement-Berater Entscheidung des betroffenen Mitarbeiters, eine berufliche Neuorientierung mit Hilfe der OutplacementBeratung zu beginnen 3. Individual-Outplacement Zeitlich unbegrenzte Beratung des Betroffenen bis zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, inkl. Vorbereitung auf die neue Position
4. Gruppenoutplacement/ Offene Outplacement-Workshops 3–6-tägige Workshops zur beruflichen Neuorientierung, unterstützt durch Einzelgespräche, inkl. Ausarbeitung kompletter Bewerbungsunterlagen
Abb. 12.31 Die Durchführung der Outplacement-Beratung als ganzheitlicher, systematischer Prozess
die persönliche Betreuung auf 3–6 Tage, wobei der Berater danach oft noch einige Zeit für Fragen telefonisch zur Verfügung steht. Abbildung 12.31 zeigt den Outplacement-Prozess im Überblick.
12.10.5 Der Beratungsablauf einer Individualbetreuung Grundsätzlich müssen alle Beratungsaufträge auf Grund ihrer persönlichen Charakteristik individuell gesehen werden; eine Grundtypologie des Outplacement-Ablaufs zeigt der Fall des Hans M. Er soll als Beispiel aus der Beratungspraxis den normalen Verlauf einer Individualberatung in seinem inhaltlichen und zeitlichen Ablauf dokumentieren und verdeutlichen.
12.10.5.1 Die Einigungsphase Der 45jährige Hans M., Mitarbeiter eines Investitionsgüter-Herstellers, der seit 15 Jahren – die letzten Jahre in Führungspositionen – dem Unternehmen angehört, erfüllt die Anforderungen, die an seine Position gestellt werden, nicht mehr zur Zufriedenheit der Geschäftsführung. Dies wird auf die durch Strukturveränderungen im Unternehmen enorm gestiegene Belastung zurückgeführt. Da im Unternehmen selbst keine passende Aufgabe für Hans M. zu Verfügung
steht, die ihm als Alternative zu seiner jetzigen Position angeboten werden könnte, schlägt die Geschäftsführung einen Aufhebungsvertrag in gegenseitigem Einvernehmen vor, wobei sie dem Betroffenen als Zusatzleistung eine Individual-Outplacement-Beratung anbietet. Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Berater erklärt sich der Betroffene bereit, sich mit Hilfe der Outplacement-Beratung eine adäquate Aufgabe am Markt zu suchen und willigt in das Angebot ein. 12.10.5.2 Situationsanalyse – Veränderungsbegründung – Aufbau einer positiven Grundhaltung Unmittelbar nach der Einigung beginnt die individuelle Beratung des Kandidaten. Sie wird durch eine ausführliche Analyse seiner Situation eingeleitet. In dieser Phase werden sowohl persönliche als auch qualifikationsbedingte Ursachen, die zur Trennung führten, genauestens ermittelt und diskutiert. Wichtig dabei ist, dass eine offene, kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Berater stattfindet, wobei die an der Situation des Betroffenen beteiligten Personen und Umstände identifiziert, beschrieben und in ein Beziehungsgeflecht eingeordnet werden. Nur so kann der Kandidat seine Situation begreifen und beurteilen und die notwendige Veränderung als Chance akzeptieren. Die Formulierung einer plausiblen Veränderungsbegründung, die im Verlauf der Beratung bei den verschiedenen Aktivitäten immer wieder Verwendung
924
findet, trägt maßgeblich zum Aufbau einer positiven Grundeinstellung bei. Im Falle von Hans M. wurden drei volle Beratungstage benötigt, um diese Phase abzuschließen. Besonders wichtig war es, Hans M. zu verdeutlichen, dass die augenscheinliche Überforderung und damit einhergehenden Leistungsdefizite weder mit seiner Person noch mit seiner Qualifikation in direktem Zusammenhang standen, sondern die Mehrbelastungen im Unternehmen unzureichend angekündigt worden waren. Da er sich vom Management „überrumpelt“ fühlte, blockte Hans M. neue Aufgaben unbewusst ab. Mit der Einsicht und der Akzeptanz dieser Tatsachen war er in der Lage, sein bis dahin verleugnetes Unverständnis gegenüber dem alten Unternehmen und seine tiefsitzenden Selbstzweifel zu überwinden und eine zukunftsorientierte, positive Einstellung zu seiner aktuellen Veränderungschance aufzubauen. Mit dieser positiven Grundhaltung war Hans M. in der nächsten Phase in der Lage, aktiv und selbstsicher an seiner „Vermarktung“ zu arbeiten. In den folgenden Tagen wurde das Qualifikationsund Erfahrungspotenzial des Kandidaten ermittelt und eine dementsprechende berufliche Zielsetzung definiert. Dies geschah durch die kritische Selbsteinschätzung seiner Fähigkeiten, Fachkenntnisse und Erfahrungen sowie die Definition der Leistungen, die in den einzelnen Stationen des Berufslebens bisher erbracht wurden. Kandidat und Berater erarbeiteten genauestens die Basisdaten für die anschließende Marketingund Suchstrategie. Bei Hans M. zeigte sich sehr schnell, dass er auf Grund seiner vielfältigen Erfahrungen und seiner breit angelegten Ausbildung gute Chancen am Markt haben würde; die relativ lange Unternehmenszugehörigkeit wirkte sich auf Grund der vielen verschiedenen Aufgaben, die er im Laufe der Jahre durchlaufen hatte, nicht negativ auf seine Vermarktung aus. Der nächste Schritt ist die Entwicklung einer Marketing- und Suchstrategie (Abb. 12.32), die speziell auf die Problematik des einzelnen Falles abgestimmt wird. Sie beinhaltet unter anderem die Auswahl und Vorbereitung der Suchaktivitäten, Überlegungen zum Kontaktnetz und erste Argumentationsvorbereitungen für Gespräche. Im Zuge dieser Beratungsphase werden auch die kompletten Bewerbungsunterlagen wie Lebenslauf, Briefgerüste für verschiedene Aktionen und Gestaltung einer Suchanzeige, ausgearbeitet.
12 Personalmanagement
Desweiteren werden mit Hilfe von Videoaufzeichnungen Vorstellungsgespräche trainiert. Dies ist besonders wichtig, um Schwächen in der Selbstdarstellung der Kandidaten noch vor dem ersten Vorstellungsgespräch zu korrigieren.
12.10.5.3 Aktivitäten zur beruflichen Neuorientierung In der folgenden Zeit werden die festgelegten Aktionen durchgeführt, wobei der Kandidat umfassende Unterstützung durch professionellen Sekretariatsservice und kontinuierliche weitere Beratung erhält. Außerdem stehen ihm für eigene Recherchen jederzeit ein Büro, Telefon sowie eine fachspezifische Bibliothek zur Verfügung. Parallel dazu nimmt er aus den Aktionen resultierende Interviewtermine wahr und pflegt die erworbenen Kontakte. Am Ende dieser „Bewerbungsphase“, die im Schnitt vier bis sechs Monate dauert, kann der Kandidat meist mehrere konkrete Angebote gegeneinander abwägen. Hat er sich für ein Angebot entschieden, so steht ihm sein Berater auch während der Probezeit zur Verfügung, damit er die oft schwierige Anfangszeit im neuen Unternehmen erfolgreich meistert. Sollte – aus welchen Gründen auch immer – der neue Vertrag während der Probezeit von einem Vertragspartner gekündigt werden, so wird die Beratung kostenlos wieder aufgenommen und neue Aktionen für den Kandidaten gestartet. Bei Hans M. zeigten sich schon bald erste Reaktionen auf die durchgeführten Aktivitäten. Eine zweite größere Bewerbungsaktion wurde nach vier Wochen gestartet. Aus mehr als 50 Kontakten resultierten im Verlauf von drei Monaten 22 positive Reaktionen mit neun Gesprächen und Interviews. Hans M. führte schließlich mit drei Unternehmen konkrete Vertragsverhandlungen, wobei er die Angebote sorgfältig mit dem Berater analysierte und abwägte. Vier Monate nachdem er den Aufhebungsvertrag seines alten Arbeitgebers unterzeichnet hatte, startete er in seiner neuen Position. Während der Probezeit nahm er noch einige Coaching-Termine bei seinem Outplacement-Berater wahr, die ihm halfen, sich in seiner neuen Aufgabe schnell und gut zurechtzufinden. Hans M. konnte sich erfolgreich in seinem neuen Unternehmen etablieren und erfüllt
12.10 Outplacement
925
Die Marketing- und Suchstrategie Zum gezielten Aufbau einer „Vorwärts-Strategie” müssen folgende Fragen geklärt werden: • Was will der Kandidat erreichen? • Wie begründet er seine Bewerbung, seine Veränderungsabsicht bzw. gegebenenfalls die zwingende Notwendigkeit, sich beruflich zu verändern? • Wie präsentiert er sich und sein Leistungsangebot? • Welche Prioritäten seine zukünftige Position betreffend setzt er? • Welche Unternehmen bilden seine Zielgruppe? • Nach welchen Kriterien kann er sein persönliches Kontaktnetz nutzen, wen soll er bezüglich seiner Veränderungsabsichten ansprechen? • Welche aktiven Suchtechniken wird er einsetzen? Abb. 12.32 Checkliste zur Ausarbeitung einer Marketing- und Suchstrategie
seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit seines neuen Arbeitgebers.
12.10.6 Stufen der individuellen Outplacement-Beratung Eine individuelle Outplacement-Beratung besteht aus mehreren Stufen (Abb. 12.33), wobei jede Stufe zwei Schritte umfasst. Die Inhalte der einzelnen Schritte sind wie folgt: • Situationsanalyse – Eingehende Analyse der beruflichen und persönlichen Situation, inkl. der Ereignisse, die zur Trennung führten • Aufbau einer positiven Grundeinstellung – Reflexion, Bewertung der Ereignisse und der persönlichen Situation – Entwicklung von ersten Vorstellungen für eine „Vorwärtsstrategie“ – Ausarbeitung der Veränderungsbegründung • Beurteilung der „vermarktbaren“ beruflichen Qualifikation – Ermittlung und Listung der Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wünsche sowie der erworbenen beruflichen Erfahrungen und Spezialkenntnisse – Ergänzung dieser Analyse – falls notwendig – durch psychologische Tests/Spezialerhebungen – Ausarbeitung des beruflichen und persönlichen Profils
– Ableitung der wesentlichen „vermarktbaren“ Qualitäten und des persönlichen Potenzials – Festlegung des persönlichen „Leistungsangebots“, der Arbeitsschwerpunkte und Erfahrungen sowie der Spezialkenntnisse • Definition der beruflichen Zielsetzung – Festlegung der weiteren beruflichen Möglichkeiten • Formulierung der Zielsetzung • Diskussion von alternativen Zielsetzungen • Entwicklung einer „Marketing- und Strategie“
Such-
– Definition der realistischen marktmöglichen Positionen – Entwicklung einer realistischen Strategie – Vorbereitung eines Aktionsplans – Bestimmung der Mittel (Unterlagen) und Wege • Erstellung aussagefähiger Unterlagen für die Bewerbungsaktivitäten – Erarbeitung und Aufbau einer aussagefähigen Selbstdarstellung (Lebenslauf) – Entwicklung „persönlicher Marketingbriefe“ für unterschiedliche Zielgruppen mit dem Ziel, Interesse (Vorstellungsgespräche) beim potenziellen Arbeitgeber zu wecken – Fertigstellung einer sog. kompletten, aussagefähigen Muster-Bewerbung – Text und Layout für eine Stellengesuchsanzeige – Entwicklung eines Gesprächsleitfadens für Kontaktnetzgespräche – Vorbereitungen für Nachfassaktionen – Referenzaussagen formulieren und checken
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12 Personalmanagement
10. Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages 9. Bewertung von Angeboten 8. Gespräche und Interviews 7. Durchführung entsprechender Bewerbungsaktivitäten 6. Erstellung aussagefähiger Unterlagen 5. Entwicklung einer Marketing- und Such-Strategie 4. Definition der beruflichen Zielsetzung 3. Beurteilung der „vermarktbaren“ Qualifikationen 2. Aufbau einer positiven Grundeinstellung für die berufliche Veränderung 1. Analyse der Situation Abb. 12.33 Stufen der Outplacement-Beratung
– „Kontaktnetzarbeit“: Auswahl und Aufbau von persönlichen Kontakten – Festlegung von zu kontaktierenden Zielfirmen und Personalberatern für eine Initiativbewerbung – Beschaffung der notwendigen Informationen
• Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages – Schlussauswahl und Beratung beim Abschluss des neuen Arbeitsvertrages – Abschlussbesprechung und Vorbereitung auf die neue Position/Coaching während der Probezeit.
• Durchführung entsprechender Bewerbungsaktivitäten – Individuelle Gestaltung der jeweiligen Aktion inkl. komplettem Sekretariatsservice – In bestimmten Zeitabschnitten Diskussion über den Fortgang der Aktion und situationsspezifische Beratung – Nachfassaktionen • Vorbereitung für Gespräche und Interviews – Aufbau und Ablauf eines Überzeugungsgesprächs – „Sich verkaufen können“, persönlicher Kommunikationsstil – Training von Vorstellungsgesprächen inkl. Video-Feedback – Interviewertypologie, Überblick über Interviewer, den Interviewprozess – Vorbereitung von Antworten auf häufige bzw. Standard-Fragen und solche, die sich aus der persönlichen Situation des Mandanten ergeben – Verhandlungsstrategie • Bewertung von Angeboten – Wertung der Angebote und Beratung für eine individuelle Verhandlungsstrategie
12.10.7 Bedeutung von Outplacement für Mitarbeiter und Unternehmen 12.10.7.1 Outplacement aus Sicht des Unternehmens Mit dem Einsatz von Outplacement sind unterschiedliche Zielsetzungen gekoppelt. Da mit einem Trennungsprozess neben den unterschiedlichen Interessenlagen von Unternehmen und Mitarbeiter vielfältige sachliche und persönliche Problemstellungen verbunden sind, liegen einer Outplacement-Beratung eine Vielzahl verschiedener Aspekte zugrunde, die – je nach individuellem Fall – unterschiedliche Gewichtung erfahren. Enttabuisierung des Themas. Die schwierige und daher oft herausgezögerte oder nicht vollzogene Trennungsentscheidung wird durch Outplacement zwar nicht erleichtert oder vereinfacht, aber die personalverantwortliche Führungskraft wird vor der eigentlichen Gesprächsführung mit dem Betroffenen eingehend beraten und bei Unsicherheit systematisch geschult, damit sie das Trennungsgespräch sachlich und inhaltlich einwandfrei sowie auch unter persönlichen Aspekten einfühlsam und ehrlich führen kann.
12.10 Outplacement
Das oft tabuisierte und umgangene Thema „Trennungsgespräch“ erhält damit einen festen Platz in der Palette der Personalführungs-Instrumente. Flexibles Personalmanagement. Notwendige Personalanpassungen sind professionell, zeit- und mitarbeitergerecht durchführbar; personalstrategische Maßnahmen können rechtzeitig und zum Nutzen aller Beteiligten auf zukünftige Anforderungen zugeschnitten werden. Die Unternehmensstruktur kann relativ problemlos neuen Anforderungen angepasst werden. Fehlbesetzungen können korrigiert werden, wobei negative Signalwirkungen gegenüber den anderen, verbleibenden Mitarbeitern vermieden werden. Des Weiteren wird verhindert, dass Aufstiegspositionen über längere Zeit durch ungeeignete Mitarbeiter für passende „Nachrücker“ blockiert werden. Dokumentation sozialer Verantwortung. Das Versprechen sozialer Verantwortung wird durch eine faire Abwicklung von Trennungen eingehalten. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit des Managements bezüglich sozialer Kompetenz gestärkt. Es entsteht keine negative Innenwirkung bei den verbleibenden Mitarbeitern, die zu Motivationsverlust und Leistungsminderung führen könnte. Die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter bleibt erhalten, wenn propagierte Richtlinien von der Unternehmensführung konsequent angewandt werden. Imagepflege. In Ergänzung zu der Innenwirkung, die eine Trennung im Unternehmen selbst hat, spielt auch die Außenwirkung auf den Markt und die Öffentlichkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle, besonders bei Personalfreisetzungen größeren Umfangs. Professionell und fair durchgeführter Personalabbau verhindert eine nachhaltige Schädigung des Unternehmensimages im Markt, in der Öffentlichkeit, bei Kunden und bei potenziellen neuen Arbeitnehmern. Konfliktvermeidung. Ernsthafte Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten können durch qualifizierte, problemlösende Beratung zugunsten aller Beteiligten vermieden werden. Monetäre Gesichtspunkte. Obwohl nicht generell festgestellt werden kann, dass die Anwendung von Outplacement Kosten für das Unternehmen einspart, so zeigen sich dennoch einige Gesichtpunkte, die de facto zu Einsparungen führen können: Oft können lange Restlaufzeiten von Verträgen und die damit verbundenen Gehaltszahlungen bedeutend abgekürzt werden, wenn der Betroffene eine neue Position gefunden hat. Hohe Kosten für eventuelle
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Arbeitgerichtsprozesse, mit denen bei problematischen Trennungen zu rechnen ist, erübrigen sich. Kosten für „Parkpositionen“, auf die unerwünschte Mitarbeiter oft abgeschoben werden, werden eingespart.
12.10.7.2 Outplacement aus Sicht des Betroffenen Der Nutzen der Beratung für den betroffenen Mitarbeiter ist insbesondere auf psychosozialer und existenzieller Ebene zu suchen. Krisenmanagement. Der Betroffene erhält eine ganzheitliche Unterstützung zur Bewältigung seiner aktuellen beruflichen Krise. Dadurch wird auch das Risiko einer persönlichen und existenziellen Krise ausgeschaltet. Oft auftretende Begleiterscheinungen eines Arbeitsplatzverlustes, wie z. B. eheliche/familiäre Probleme, Identitätskrise und soziale Isolation, werden verhindert bzw. behoben. Fortsetzung der Karriere. Oft wird durch die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und die anschließende Beratung erst deutlich, dass die Karriere des Betroffenen stagnierte und keine Perspektiven mehr bot. Die daraus entstandene Frustration kann nun umgewandelt werden in eine positive, zukunftsbejahende Grundstimmung. Die berufliche Neuorientierung bietet dem Betroffenen die Möglichkeit zur eingehenden Selbstanalyse seiner beruflichen und privaten Zielsetzungen, so dass die berufliche Veränderung letztendlich als Chance zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung gewertet werden kann. Das Risiko eines Wechsels wird jedoch auf Grund der professionellen Beratung erheblich reduziert. Training zur Selbstdarstellung. Die eingehende Beschäftigung mit seiner Person und seinen persönlichen Problemen hilft dem Kandidaten, ein neues Verhältnis zu sich selbst aufzubauen. Dadurch lernt er auch, sich und seine Bedürfnisse überzeugend zu artikulieren und zu präsentieren. Finanzielle Absicherung. Jede Freisetzung kann zu drastischen finanziellen Einbußen und Einschränkungen des Lebensstandards des Betroffenen führen. Neben der Tatsache, dass Kandidaten mit Hilfe einer Outplacement-Beratung meist noch während der Restlaufzeit ihres alten Vertrages eine neue Positon finden und somit kein finanzieller Engpass entsteht, ist es auch von großer Bedeutung, dass der Outplacement-
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12 Personalmanagement
Berater dem Betroffenen Rat bezüglich finanzieller Vereinbarungen mit seinem ehemaligen Arbeitgeber gibt. Berater als Coach. Neben den Sachleistungen einer Outplacement-Beratung ist besonders wichtig, dass der Kandidat während der gesamten Zeit seiner beruflichen Neuorientierung und der anschließenden Probezeit im neuen Unternehmen jederzeit einen kompetenten Berater als Partner zur Seite hat, der ihm als Diskussionspartner mit fachlichem und persönlichem Rat zur Seite steht.
managements ihren festen Platz im Unternehmen einnehmen sollte. Durch stete Weiterentwicklung des Outplacement-Konzepts bleibt diese Beratung heute nicht mehr nur Führungskräften vorbehalten, sondern sie wird – unter Berücksichtigung der jeweiligen hierarchischen Einordnung des Betroffenen – in verschiedensten Varianten angeboten. Jeder Mitarbeiter eines Unternehmens kann eine auf seine Situation passende Hilfe vom Unternehmen erwarten – unabhängig von seinem Alter, seiner Position und der Dauer seiner Zugehörigkeit zum Unternehmen.
12.10.8 Realistische und unrealistische Vorstellungen von Outplacement
Literatur
Unrealistische Vorstellungen sind häufig, dass der Berater dem Kandidaten eine neue Position beschafft bzw. ihn an ein Unternehmen vermittelt. Die Outplacement-Beratung schließt niemals eine Vermittlungstätigkeit ein (dies war ohnehin bis 1994 der Bundesanstalt für Arbeit vorbehalten); Outplacement kann folglich nicht als Umkehrfunktion oder in Ergänzung zu der klassischen Personalsuche oder Headhunting angewendet werden. Deshalb bieten seriöse Outplacement-Berater weder Personalsuche noch Headhunting an, um Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Auftraggebern auszuschließen. Realistisch ist, dass Betroffener und Berater durch die gemeinsam geplanten und durchgeführten systematischen Aktivitäten das Problem einer Lösung zuführen. Die Erfolgsquote der Outplacement-Beratung liegt bei annähernd 100%. In vier bis acht Monaten finden ca. 75% der Kandidaten wieder eine neue Aufgabe, ca. 20% in acht bis zwölf Monaten, die restlichen 5% benötigen einen längeren Zeitraum, weil Alter, örtliche Immobilität o. ä. besondere Problemlösungen notwendig machen. In den Einzelberatungen hat sich erwiesen, dass 80% der Kandidaten eine Position gefunden haben, die besser (48%) als die aufgegebene oder gleichwertig (32%) mit der aufgegebenen war (alle Zahlen resultieren aus der Auswertung von Untersuchungen im Rahmen verschiedener, z. T. veröffentlichter Diplomarbeiten). Es kann festgestellt werden, dass eine professionell durchgeführte ganzheitliche Outplacement-Beratung als zeitgemäßes Instrument des modernen Personal-
1. Bürkle, H. (1986): Aktive Karrierestrategie. Erfolgsmanagement in eigener Sache. Wiesbaden: Gabler 1986 2. Correll, W. (1977): Motivation und Überzeugung in Führung und Verkauf, München: Moderne Verlagsgesellschaft 1977 3. Fritz, W. (1988): Beruflich ins Abseits? Teil 1: Die Herausforderung, sich selbst zu vermarkten. In: Absatzwirtschaft, Heft 1, 1988, S. 46–50 4. Fritz, W. (1988): Beruflich ins Abseits? Teil 2: Die richtige Marketing-Suchstrategie für Ihre Karriere-Situation. In: Absatzwirtschaft, Heft 2, 1988, S. 100–107 5. Fritz, W. (1989): Wie: Methoden und Instrumente des Outplacements. In: Schulz, D.; Fritz, W.; Schuppert, D.; Seiwert, L.; Walsh, I. (Hrsg.): Outplacement: Personalfreisetzung und Karrierestrategie, Wiesbaden, Gabler, 1989, S. 45–109 6. Fritz, W. (1989): Outplacement: Sanfter Wechsel. In: Personalwirtschaft, Sonderdruck, Heft 9, 1989, S. 27, 39, 40 7. Gaugler, E.; Weber, B. (1988): Die Personalberatung. Aufgaben – Leistungsangebot – Arbeitsweise – Kosten, Freiburg i.Br.: Haufe 1988 8. Heymann, H.-H. (1984): Outplacement. Ein neues Instrument betrieblicher Personal- und individueller Karriereplanung. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 13, 1984, H. 6, S. 308–311 9. Heymann, H.-H.; Seiwert, L. J. (1982): Vom Outplacement zum Neuplacement. Personalfreisetzung von Führungskräften als sozialer Prozess. In: Personalwirtschaft, Jg. 9, 1982, H. 2, S. 22–26 10. Lingenfelder, M.; Walz, H. (1987): OutplacementProblemlöser für Problemfälle. In: Gablers Magazin, Jg. 1, 1987, H. 7, S. 42–44 11. Mayrhofer, W. (1987): Der gegenwärtige Stand der Outplacement-Diskussion. Darstellung, Beurteilung und Konsequenzen für die Forschung. In: Zeitschrift für Personalforschung, Jg. 1, 1987, H. 2, S. 147–180 12. Morin, W. J.; Cabrera, J. C. (1982): Parting Company. How to Survive the Loss of a Job and Find Another Successfully, New York und London: Harcourt Brace Jovanovich 1982 13. Morin, W. J.; Yorks, L. (1982): Outplacement Techniques. A Positive Approach to Terminating Employees, New York: AMA-COM 1982
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen 14. Schulz, D.; Fritz, W.; Schuppert, D.; Seiwert, L.; Walsh, I. (1989): Outplacement. Personalfreisetzung und Karrierestrategie, Wiesbaden: Gabler, 1989 15. Schulz, D. (1984): Outplacement Counselling. Nur ein Moderezept aus USA oder ein brauchbares neues personalpolitisches Instrumentarium? In: Gieffers, F.; Müller, K.-D.; Münsterberg, R. G. (Hrsg.): Reduzierung der Personalkosten, Heidelberg: Sauer 1984, S. 175–198 16. Seiwert, L. J. (1983): Outplacement – Neue Chancen und Positionen für freigestellte Führungskräfte. In: G. Aigner (Hrsg.), Wege zu einer neuen Karriere, München: Seewald 1983, S. 171–186 17. Stiefel, Th. R.; Sattelberger, Th.; Hirth, R. (1981): LifeStyling: Das Leben neu gewinnen, Landsberg a. Lech: Moderne Verlagsgesellschaft 1981 18. Stoebe, F. (1987): Acht Jahre Outplacement/ReplacementService für Führungskräfte in Deutschland. In: Personalführung, 1987, H. 7, S. 518–520 19. Stoebe, F. (1993): Outplacement. Manager zwischen Trennung und Neuanfang Frankfurt/New York: Campus 1993 20. Zander, E. (1987): Freisetzung von Führungskräften. In: Handwörterbuch der Führung, hrsg. von A. Kieser/G. Reber/R. Wunderer, Stuttgart: Poeschel 1987, Sp. 348–357
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Der Anteil ausländischer Mitarbeiter in solchen weltweit aktiven Unternehmen blieb marginal. Deutsche stellten die technischen Spitzenkräfte wie auch das Management und steuerten den Konzern von seiner traditionellen Zentrale aus. In diesen zwar multinational mit ihren Produkten vertretenen, aber strukturell und kulturell sehr deutschen Unternehmen hatten auch die Personalabteilungen fast nur die deutschen Mitarbeiter im Blick. Von Personalentwicklungsmaßnahmen wurden die ausländischen Mitarbeiter kaum erfasst, was auch nicht als Defizit gesehen wurde.
12.11.2 Die Wandlung zum transkulturellen Unternehmen 12.11.2.1 Das Ende der Exportstrategie
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen 12.11.1 „International aktiv“ oder „transkulturell“? Transkulturelle Unternehmen? Ist das einfach ein neuer Begriff für ein multinationales Unternehmen oder bezeichnet er etwas Neues? Ein eindeutiger Gebrauch der Begriffe hat sich noch nicht durchgesetzt. Wenn hier von „transkulturellen“ Unternehmen gesprochen wird, dann um deutlich zu machen, dass sich die internationalen Aktivitäten vieler deutscher Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten so deutlich gewandelt haben, dass tatsächlich ein neuer Unternehmenstyp entstanden ist. International aktiv sind viele deutsche Unternehmen schon sehr lange, oft seit Ende des 19. Jahrhunderts. Doch die meisten Auslandsniederlassungen waren Vertriebsbüros. Geforscht und entwickelt wurde fast nur in Deutschland und dort auch überwiegend produziert. Produktionsniederlassungen im Ausland wurden nur dort aufgebaut, wo restriktive Importregelungen es unumgänglich machten. Deutsche Unternehmen wurden dann – wie etwa Volkswagen in Mexiko – zu einem der wenigen durch dieselben Regelungen geschützten lokalen Produzenten.
Aus mehreren Gründen wurde die klassische Exportstrategie der deutschen Wirtschaft obsolet und damit stellten sich auch neue Herausforderungen für das Personalmanagement, die noch keineswegs befriedigend gemeistert werden. Deutschland, in den Zeiten des „Wirtschaftswunders“ im Vergleich zu anderen Industrieländern eher ein „Billiglohnland“, entwickelte sich zu einem teuren Standort. Wirklich problematisch wurde dies aber erst, als zunächst die Japaner, dann die „Tigerstaaten“ Südostasiens zeigten, dass auch die Produktion weltmarktfähiger Hi-Tech-Produkte nicht mehr nur in den klassischen Industrieländern möglich war, sondern auch an Standorten mit wesentlich geringeren Lohnkosten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, lagerten immer mehr Unternehmen Teile ihrer Produktion ebenfalls in „Billiglohnländer“ aus. Starke Währungskursschwankungen zwischen DM/Euro und US-Dollar und Yen machten das Exportgeschäft schwer kalkulierbar. Um in der Dollarzone konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden, gründeten Unternehmen dort Produktionsstandorte. Allein durch Export lässt sich heute in den meisten Branchen in wichtigen Märkten wie den USA weder ein bedeutender Marktanteil erringen noch verteidigen: Zumindest Anpassungen an den lokalen Kundengeschmack oder rechtliche Bestimmungen müssen vor Ort, nahe beim Kunden vorgenommen werden.
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Einen wichtigen Sonderfall stellte die VR China dar: In den frühen neunziger Jahren waren viele westliche Manager überzeugt, dass es wichtig sei, sich nun auf dem chinesischen „Zukunftsmarkt“ zu verankern. Die chinesische Regierung verlangte aber fast immer die Gründung einer lokalen Produktionsstätte, meist als Joint-Venture mit einem mehr oder weniger maroden Staatsbetrieb.
12.11.2.2 Neue Typen von Auslandsstandorten In einer ersten Phase erfolgte die neue globale Expansion also vor allem durch die Gründung von neuen Produktionsstandorten im Ausland. Diese wurden zunächst durch erfahrene deutsche Manager und Fachspezialisten geleitet, deren wichtigste Aufgabe der Know-how-Transfer an die neuen Standorte war. Damit nahm nicht nur die Anzahl deutscher Auslandsmitarbeiter stark zu, sondern es änderte sich auch die Qualität ihrer Kontakte mit Einheimischen. Deutsche Mitarbeiter von ausländischen Vertriebsbüros haben vor allem mit lokalen Großhändlern oder einigen Großkunden zu tun. Die einheimischen Partner sind also überwiegend weltgewandte Geschäftsleute, die es gewohnt sind, mit Ausländern umzugehen. Der Aufbau ausländischer Produktionsstätten bringt hingegen die Führung hunderter lokaler Mitarbeiter höchst unterschiedlichen Ausbildungsniveaus mit sich, darunter viele, die noch nie mit ausländischen Vorgesetzten, Weltmarktstandards oder einer westlichen Unternehmensphilosophie konfrontiert waren. Sie zu motivieren und einzuarbeiten erwies sich als erheblich schwieriger als viele Konzernstrategen angenommen hatten. Zeitverzögerungen und Qualitätsmängel machten zu optimistische Planungen immer wieder obsolet. Schnell wurde auch deutlich, dass manche bewährte deutsche Vorgehensweise unter den anderen Rahmenbedingungen der neuen Standorte nicht die erwartete Wirkung zeigte. Dem einfachen Rat zu folgen, gestützt auf mehr einheimische Manager „lokal angepasst“ vorzugehen, hätte vielleicht manche Schwierigkeit in Westeuropa oder den USA vermeiden können, wer jedoch in Malaysia oder China eine weltmarktfähige Produktion aufbauen sollte, fand kaum lokale Vorbilder, an denen er sich hätte orientieren können. „Dritte Wege“, die deutsches Know-how mit lokalen
12 Personalmanagement
Bedingungen optimal verbanden, mussten gefunden werden. Für das Personalmanagement entstand damit eine neue Herausforderung. Etwas überspitzt gesagt, sind die meisten deutschen Unternehmen bis Anfang der neunziger Jahre von der einfachen Prämisse ausgegangen, dass ein guter Inlandsmitarbeiter auch ein guter Auslandsmitarbeiter sei. Eine gezielte Auswahl von Auslandsmitarbeitern erfolgte ebenso wenig wie eine Vorbereitung auf die Auslandstätigkeit. Doch was sich für Mitarbeiter im Auslandsvertrieb bewährt hatte, die man, nachdem sie durch „learning on the job“ schon allerlei Erfahrungen mit ausländischen Partnern gesammelt hatten, in ein ausländisches Vertriebsbüro entsandte, schlug oft genug fehl, wenn man nun Produktionsspezialisten, Qualitätsmanager etc. entsandte. Dass einige Entsandte mit den Lebensbedingungen im Ausland nicht zu Recht kamen und ihren Auslandsaufenthalt vorzeitig beendeten, war nur das augenfälligste Problem. Die vielfältigen Schwierigkeiten in den Auslandsniederlassungen, etwa gravierende Qualitätsprobleme oder hohe Fluktuation der einheimischen Mitarbeiter wiesen auch darauf hin, dass es keineswegs allen Auslandsmitarbeitern gelang, einen erfolgreichen „Dritten Weg“ zu finden. Für das Personalmanagement stellte sich daher die Frage nach „Eignungskriterien“ für Auslandsmitarbeiter und nach geeigneten Vorbereitungsmaßnahmen. Schon aus Kostengründen können nicht alle technischen und administrativen Schlüsselpositionen einer Auslandsniederlassung auf Dauer von deutschen Auslandsmitarbeitern besetzt werden. Unternehmen benötigen eine große Zahl hochqualifizierter lokaler Spezialisten und Manager in ihren ausländischen Produktionsstandorten. Schnell wurde deutlich, dass die Attraktivität deutscher Unternehmen als Arbeitgeber in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich eingeschätzt wurde: In Entwicklungs- und Schwellenländern wird es durchaus als attraktiv angesehen, bei einem technologisch führenden internationalen Konzern zu arbeiten, aber dort konkurrieren deutsche Unternehmen gegen amerikanische, japanische und andere europäische um die wenigen gut ausgebildeten „Locals“. In Westeuropa, Japan oder den USA konkurriert man auf dem Arbeitsmarkt vor allem gegen einheimische Konzerne, die nicht nur bekannter sind, sondern auch für die lokalen Mitarbeiter durchschaubarere, einfachere Karrierewege eröffnen.
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen
Immer mehr Unternehmen verlegen auch Teile ihrer Forschung und Entwicklung ins Ausland, sei es, um näher am Kunden zu sein, sei es, weil die finanziellen oder rechtlichen Bedingungen es vorteilhaft erscheinen lassen oder auch, weil entsprechende Spezialisten an bestimmten ausländischen Standorten eher verfügbar sind. Unternehmen, die ihre starke Position im weltweiten Exportgeschäft dazu nutzen wollten, zu wirklichen „Global Playern“ zu werden, konkurrierten nicht mehr länger nur um Kunden, sondern auch um die weltweit führenden Forscher, Entwickler, Produktions- und Marketingspezialisten und um Experten aller Professionen. Das Personalmanagement musste daher Wege finden, auch für ausländische Mitarbeiter attraktive Karrierewege zu eröffnen. Eine Konsequenz zeichnet sich in den letzten Jahren ab: Die Anzahl ausländischer Mitarbeiter, die aus Niederlassungen ins deutsche Stammhaus wechseln, um dort Führungsaufgaben wahrzunehmen, steigt langsam aber stetig an. Womit sich die neue Frage stellte, wie diese optimal integriert werden können.
12.11.2.3 Rückwirkungen auf das „Stammhaus“ Diese Entwicklungen führten nicht nur dazu, dass in Laufe der neunziger Jahre immer mehr deutsche Großunternehmen meldeten, im Ausland mehr Mitarbeiter zu beschäftigen als im Inland. Auch Quantität und Qualität der Kontakte zwischen Auslandsniederlassungen und Unternehmenszentrale veränderte sich deutlich: Zum einen wurden mit Produktion, Forschung und Entwicklung nun Unternehmensbereiche internationalisiert, in denen es bislang nur wenige Erfahrungen mit ausländischen Kollegen gab. Der Anteil der Inlandsmitarbeiter, die in häufigem Kontakt mit ausländischen Kollegen stehen, vervielfältigte sich. Die internationale Zusammenarbeit bekam aber auch eine neue Qualität: Mitarbeiter der Unternehmenszentralen sind heute bei der konzerninternen internationalen Zusammenarbeit nicht mehr automatisch in der Rolle der „Mächtigen“, die den abhängigen Auslandsniederlassungen „Wohltaten“ zukommen lassen. Sie selbst sind häufig von materiellen und intellektuellen Zulieferungen aus dem Ausland abhängig. Die Fähigkeit zu effektiver transkultureller Zusammenarbeit muss also nicht mehr nur bei Expatriates
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und den Mitarbeitern des Auslandsvertriebs bestehen, sondern bei einer wachsenden Anzahl von Inlandsmitarbeitern, die in der einen oder anderen Form in internationale Projekte eingebunden sind. Es begann ein ähnlicher Erkenntnisprozess wie einige Jahre zuvor schon bezüglich der entsandten Auslandsmitarbeiter: Dass viele internationale Kooperationen von den Beteiligten in der Zentrale nicht nur als schwierig erlebt wurden, sondern auch objektiv wenig erfolgreich waren, stellte sich rasch heraus. Die Zentralenmitarbeiter verorteten die Ursachen der Schwierigkeit allerdings meist bei den ausländischen Kollegen, die sie als „unzuverlässig“ oder „unqualifiziert“ erlebten. Nur langsam wuchs die Einsicht, dass diese Sichtweise zwar subjektiv erklärlich, aber objektiv falsch ist: Nicht die Konfrontation von hochqualifizierten mit gering qualifizierten Mitarbeitern macht die transkulturelle Zusammenarbeit im Unternehmen schwierig, sondern kulturell geprägte unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine Aufgabe optimal zu lösen ist. Für das Personalmanagement stellte sich damit ein großes Problem: Auslandsmitarbeiter auf ihren Einsatz in einem bestimmten Land vorzubereiten, ist eine überschaubare Aufgabe. Die Zielgruppe ist klar definiert, ebenso, mit welcher Kultur sie sich auseinandersetzen soll. Einigen tausend oder zehntausend Inlandsmitarbeiter, die nicht permanent, aber immer wieder mit Kollegen aus verschiedenen Ländern produktiv zusammenarbeiten müssen, dafür Unterstützung anzubieten, ist eine wesentlich komplexere Herausforderung. Doch das Problem verschärfte sich noch, als in einer zweiten Phase dieses Globalisierungsschubes viele Unternehmen erkannten, dass die Gründung von eigenen Auslandsniederlassungen in manchen Ländern, insbesondere in den USA, aber auch in Westeuropa, Japan oder Korea einen zu langsamen Weg darstellte, größere Marktanteile zu gewinnen. Die Anzahl internationaler Akquisitionen stieg vor allem in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre steil an und dabei wuchs auch der Anteil an Fusionen oder Übernahmen, bei denen nach Mitarbeiterzahlen, Umsatz oder Gewinn annähernd gleich große Unternehmen verschmolzen wurden. Solche Übernahmen stellen auch für das Personalmanagement eine ganz andere Herausforderung dar als der schrittweise Aufbau ausländischer Niederlassungen:
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Das übernehmende Unternehmen möchte natürlich die „guten“ Manager und Fachspezialisten des übernommenen Unternehmens halten. Man muss also vielen fremdkulturell geprägten Menschen sehr schnell eine attraktive Perspektive bieten, denn gerade den besten Mitarbeitern des übernommenen Unternehmens bieten sich auf dem Arbeitsmarkt interessante Alternativen. Gelingt es jedoch nicht, die Spitzenkräfte zu halten, hat das übernehmende Unternehmen oft nur eine „leere Hülle“ gekauft, dem zentrale Kompetenzen und wichtige Kundenkontakte abhanden gekommen sind. Für die übernommen Mitarbeiter stellen sind dabei nicht nur Fragen nach den künftigen Zuständigkeiten oder der künftigen Gehaltsstruktur. Sie wollen auch wissen, welchen Stellenwert sie generell im neuen Unternehmen haben werden. Werden sie als „Partner“ betrachtet, oder erwartet man von ihnen, sich den neuen Eignern zu unterwerfen? Programmatische Aussagen des Vorstands haben bei der Beantwortung dieser Frage nur einen untergeordneten Stellenwert. Entscheidend ist, wie man die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen erlebt. Im übernehmenden Unternehmen werden „auf einen Schlag“ sehr viele Mitarbeiter mit Kollegen aus dem übernommenen Unternehmen konfrontiert: Um die angestrebten betriebswirtschaftlichen Synergieeffekte möglichst rasch zu realisieren, müssen viele Bereiche koordiniert und integriert werden. Oft genug impliziert dies auch die Frage, welche Entwicklung wo weitergetrieben oder gestoppt wird, welche Produktion wo eingestellt und wo damit Arbeitsplätze abgebaut werden, wie künftige Über- und Unterstellungen geregelt werden etc. Es impliziert also auch Fragen, die nicht unbedingt emotionslos im Interesse des Unternehmens auf eine optimale Lösung hin untersucht werden, weil sie für die zukünftige Stellung und Karriere der Beteiligten relevant sind. Wenn „Integrations-Teams“, die diese Fragen klären sollen, gleichzeitig der Ort sind, an dem die neuen Kollegen die ersten Erfahrungen miteinander machen, besteht die große Gefahr, dass diese Erfahrungen nicht nur positiv sind. Welche Maßnahmen könnten diese Gefahr verringern? 12.11.2.4 Der neue Charakter transkultureller Unternehmen Die neue Phase der Internationalisierung, durch die viele deutsche Unternehmen in der letzten Dekade ge-
12 Personalmanagement
laufen sind, hat den Charakter der Unternehmen verändert. „Weltweit tätige deutsche Unternehmen“, in denen die zentralen Entscheidungen strategischer wie operativer Art überwiegend in der deutschen Zentrale nach deutschem Management-Verständnis getroffen wurden, wandeln sich in dezentrale, interdependente transkulturelle Unternehmen, in denen die ausländischen Mitarbeiter quantitativ wie qualitativ keine vernachlässigbare Größe mehr darstellen. Ein „transkulturelles Unternehmen mit deutschen Wurzeln“ verstehen wir hier ganz grob und pragmatisch als ein Unternehmen, • in dem der Anteil der deutschen Mitarbeiter unter 60% abgesunken ist, • das mehr als die Hälfte seines Konzernumsatzes außerhalb Deutschlands erwirtschaftet und • in dem ausländische Mitarbeiter nicht nur als einfache Arbeiter, sondern auch im Management und unter den technischen Spezialisten zu finden sind. So verstanden, stellen „transkulturelle Unternehmen“ eine sehr heterogene Gruppe dar: Die genannten Kriterien werden ja nicht nur von über Zweidrittel der DAX-30-Unternehmen erfüllt, sondern auch einer Vielzahl von hochspezialisierten mittelständischen Unternehmen, die in ihrem speziellen Produktbereich eine bedeutende Rolle auf dem Weltmarkt spielen. Im Detail werden transkulturelle Unternehmen daher für ihr Personalmanagement ganz unterschiedliche Lösungen entwickeln müssen. Gemeinsame Grundlage stellt dar, dass sich das Personalmanagement „international“ verstehen muss. Es muss Mitarbeitern weltweit attraktive Entwicklungs- und Aufstiegschancen bieten. Es muss die Frage klären, ob und wie es die Fähigkeit aller Mitarbeiter fördern kann, über Kulturgrenzen hinweg produktiv zusammenzuarbeiten und entscheiden, welchen Stellenwert diese Fähigkeit künftig bei der Beurteilung der Leistungen und Potentiale der Mitarbeiter hat.
12.11.3 Interkulturelle Kompetenz im transkulturellen Unternehmen Unternehmen erwarten von ihren Mitarbeitern und ganz besonders von ihren Führungskräften „soziale Kompetenz“, „Teamfähigkeit“, „Kritikfähigkeit“ etc. Wieso sollte ein Mitarbeiter, der diese Eigenschaften
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen
hinreichend aufweist, nicht auch dann zu guter Zusammenarbeit fähig sein, wenn seine Partner aus einer fremden Kultur stammen? Gibt es überhaupt eine spezielle „interkulturelle Kompetenz“ und wenn, worin besteht sie? Diese Frage ist keine rein akademische: Sie stellte sich in jedem Unternehmen, in dem deutlich wurde, dass die entsandten Auslandsmitarbeiter beim Aufbau neuer Auslandsniederlassungen in unerwartete Schwierigkeiten gerieten. Bei der Auseinandersetzung mit den Ursachen erwies sich die Annahme, „soziale Kompetenz“ genüge, um auch transkulturell erfolgreich agieren zu können, zunächst deshalb als schwer zu widerlegen, weil man keineswegs immer „die besten“ Inlandsmitarbeiter entsandt hatte: In den achtziger und frühen neunziger Jahren galten Auslandsentsendungen in den meisten Unternehmen noch nicht als karriereförderlich und das Auslandsengagement des Unternehmens wurde auch von vielen inländischen Führungskräften als nicht sonderlich wichtig eingeschätzt. Daher wurden nicht selten Mitarbeiter entsandt, die im Inland für sich keine großen Karrierechancen sahen und die ihr Fachvorgesetzter auch nicht ungern ziehen ließ: „Personalentsorgung Ausland“ wurde gespottet. Die meisten Auslandspositionen unterscheiden sich allerdings nicht nur durch die interkulturellen Herausforderungen von vergleichbaren Inlandspositionen: Meist ist auch das Tätigkeitsspektrum und der Verantwortungsbereich breiter und die Entscheidungsfreiheit größer [1]. Wenn daher ein Mitarbeiter im Ausland scheiterte, dem auch im Inland keine großen Fähigkeiten und Potenziale zugeschrieben worden waren, musste daraus keineswegs geschlossen werden, dass es ihm an einer besonderen interkultureller Kompetenz gemangelt hatte. Immerhin führte die Untersuchung der Gescheiterten dazu, dass „Personalentsorgung Ausland“ heute selten geworden ist. Man versucht zumindest, gute Mitarbeiter mit hohem Entwicklungspotenzial für Auslandsassignments zu gewinnen. In manchen Unternehmen gab es – vor allem Mitte der neunziger Jahre – weitergehende Versuche, die Auswahl von Auslandsmitarbeitern zu verbessern: Man experimentierte mit Assessment-Centern oder Einzel-AC, und nahm Testverfahren unter die Lupe, die amerikanische Wissenschaftler entwickelt hatten. Die meisten
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Experimente wurden jedoch wieder eingestellt, nicht nur, weil die Verfahren zu aufwendig waren, oder umgekehrt zu banale Ergebnisse lieferten: Je besser die Fachvorgesetzten die Bedeutung und die Schwierigkeiten von Auslandsentsendungen verstanden und sich tatsächlich um die Entsendung „guter“ Mitarbeiter bemühten, desto seltener haben Personalabteilungen die Wahl zwischen mehreren fachlich geeigneten und auch ausreisewilligen Kandidaten für eine bestimmte Auslandsstelle. Das Interesse verlagert sich von der Frage, wen man entsenden solle zur Frage, wie man denjenigen, dessen Entsendung ohnehin feststeht, optimal vorbereiten könne. Sorgsame Auswahl hat dennoch dazu geführt, dass heute der Prozentsatz vorzeitig abgebrochener Auslandseinsätze bei ca. 10% oder noch niedriger liegt. Bei der Mehrzahl dieser Fälle lässt sich der Abbruch weder mit mangelnder interkultureller Kompetenz noch mangelnder Sozialkompetenz etc. erklären, sondern beruht auf „äußeren Umständen“: Unfälle, Krankheiten oder Tod eines Angehörigen sowie – vor allem – Verwerfungen in der Ehe des Auslandsmitarbeiters. Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass ein entsandter Auslandsmitarbeiter, der den vorgesehenen Entsendezeitraum durchsteht, im Ausland reibungslos mit seinen lokalen Kollegen zusammenarbeitet oder optimale Wege findet, Unternehmensziele zu erreichen. Aber es gibt keinerlei Instrumente, um diesen Aspekt der Performance von Auslandsmitarbeitern objektiv und „flächendeckend“ zu messen. Es ist zwar bekannt, wie gut eine Auslandsniederlassung ihre betriebswirtschaftlichen Ziele erreicht, aber selbst wenn sie dies nicht tut, spricht dies nicht zwangsläufig für unangemessenes Agieren der dortigen Auslandsmitarbeiter. Diese selbst werden in aller Regel zahlreiche Erklärungen für den geringen Erfolg präsentieren, die nichts mit dem eigenen Vorgehen zu tun haben. Sie tun das glaubwürdig, weil sie selbst sich auch keines Fehlverhaltens bewusst sind, sonst würden sie ihr Vorgehen ja ändern, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Für einheimische Manager der Auslandsniederlassung ist die Schwelle hingegen sehr hoch, sich in der Zentrale über einen deutschen Mitarbeiter zu beschweren. Eine klare Einschätzung über die Qualität der interkulturellen Zusammenarbeit ist für die Personalverantwortlichen in den Unternehmenszentralen also nur schwer zu erlangen. Man kann entsprechende Unter-
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suchungen veranlassen, aber dies geschieht nur punktuell, denn sie müssen mit erheblichem Aufwand geplant und durchgeführt werden, wenn sie realistische Ergebnisse bringen sollen. Denn das Thema ist für alle Beteiligten „heikel“. Letzteres rührt vor allem daher, dass innerhalb wie außerhalb der Unternehmen eine einseitige Ursachenwahrnehmung für interkulturelle Schwierigkeiten verbreitet ist: Sie werden vor allem als Folge mangelnder Sensibilität und Offenheit, als Folge von Vorurteilen und rassistischer Haltungen betrachtet. Richtig an dieser Wahrnehmung ist, dass fehlende Offenheit oder Vorurteile gegen Ausländer interkulturelle Zusammenarbeit erschweren oder unmöglich machen. Richtig ist auch, dass sich viele interkulturelle Begegnungssituationen dann weitgehend problemlos gestalten lassen, wenn die entsprechenden Haltungen vorhanden sind, etwa ein Auslandsurlaub oder auch eine kurze Dienstreise an einen ausländischen Standort. Falsch ist hingegen der Umkehrschluss, dass interkulturelle Reibungsverluste bei alltäglicher, intensiver Zusammenarbeit zwangsläufig darauf hinweisen, dass es den Beteiligten an den entsprechenden Haltungen fehlt. Diese verbreitete Annahme führt jedoch zur Tabuisierung interkultureller Schwierigkeiten. Wer annehmen muss, dass es ihm als „fehlende Weltoffenheit“ oder „mangelnde Sensibilität“ ausgelegt wird, wenn er sie einräumt, wird das schon deshalb nicht tun, weil entsprechende Defizite nicht zum eigenen Selbstbild passen. Für die lokalen Manager der Auslandsniederlassungen mag es weitere Gründe geben, interkulturelle Schwierigkeiten zu leugnen: Man arbeitet schließlich für ein deutsches Unternehmen und betrachtet es nicht als karriereförderlich zuzugeben, dass man in der Zusammenarbeit mit Deutschen Probleme erlebt. Die Tabuisierung interkultureller Schwierigkeiten führt nicht nur dazu, dass es für Personalverantwortliche schwierig ist, sich über die Qualität der interkulturellen Zusammenarbeit in ihren Unternehmen ein klares Bild zu machen, sondern vermindert auch die Akzeptanz von Maßnahmen, die der Stärkung interkultureller Kompetenz dienen sollen. Es ist daher wichtig, dass sich Personalmanager deutlich machen, dass interkulturelle Schwierigkeiten kein Indiz für mangelnde soziale Kompetenz sind, damit sie ein Klima schaffen können, in dem sich die Mitarbeiter entsprechenden Lernbedarf auch eingestehen können.
12 Personalmanagement
Soziale Fähigkeiten bestehen immer aus einer Haltungs-, Wissens- und Verhaltenskomponente: Mangelnde „Teamfähigkeit“ etwa kann durch ungeeignete Haltungen, durch fehlendes Wissen, durch Schwierigkeiten bei der Umsetzung in Verhalten oder eine Kombination von allem verursacht sein. „Teamfähigkeit“ etwa kann nur der attestiert bekommen, der überzeugt ist, dass sich bestimmte Aufgaben besser durch die Zusammenarbeit mehrerer Personen lösen lassen als allein. Das impliziert auch, sich der Begrenztheit der eigenen Fähigkeiten bewusst zu sein und die Bereitschaft, Vorschläge anderer Teammitglieder ernst zu nehmen und zu prüfen, ob sie „nach bestem Wissen und Gewissen“ für die Lösung der gemeinsamen Aufgabe dienlich sind. „Teamfähigkeit“ beschreibt aber nicht nur diese und weitere Haltungen, sondern auch komplexes Wissen: Der Teamfähige hat gut gelernt, welche Verhaltensweisen in einer bestimmten Situation förderlich sind, um in einer Gruppe von Menschen eine Aufgabe zu lösen. Er hat ein „Gespür“ dafür entwickelt, wann es hilfreich ist, Führung zu übernehmen, und wie man das tun kann, ohne dass sich andere „überrollt“ fühlen und rebellieren. Er erkennt aber auch, wann es zweckdienlicher ist, einem anderen die Führung zu überlassen. Er spürt, wann es nützlich ist, die Atmosphäre etwas aufzulockern und wann die Gruppe besser wieder zu „ernsten Dingen“ zurückkehren sollte. Er weiß, in welchem Ausmaß man sich dafür interessieren sollte, wie es den anderen Gruppenmitgliedern geht, damit sich diese als Person respektiert fühlen und wann seine Partner sein Interesse als indiskret erleben würden. „Teamfähigkeit“ setzt also auch voraus, treffsicher zu erkennen, was den Partnern in einer bestimmten Situation helfen könnte, ihre Fähigkeiten optimal einzubringen und dann die entsprechende Aktion vorzunehmen, also die Erwartungen und Reaktionsweisen der anderen Teammitglieder zu kennen. Dies verlangt nicht, dass man die beteiligten Personen genau kennt, obwohl dies hilft. Man kann darauf vertrauen, dass die Erwartungen der anderen denen ähneln, die man selbst hat oder in der Vergangenheit bei anderen Menschen erlebt hat. Die oben genannten Haltungen sind auch Voraussetzung für interkulturelle Teamarbeit. Auf dieser Ebene hat der „Teamfähige“ nur dann Probleme, wenn etwa deutlich wird, dass seine Bereitschaft, fremde Ideen zu prüfen an geheime Bedingungen geknüpft war, etwa, dass eine Idee von einer weißen Person stammen
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen
oder in bestimmter Weise vorgetragen werden muss, um als „prüfenswert“ erlebt zu werden. Es gibt Haltungen, die interkulturelle Zusammenarbeiten erschweren können, aber bislang nicht aufgefallen sind, weil die Bewertung der „Teamfähigkeit“ anhand von Situationen vorgenommen wurde, in denen sie nicht relevant werden konnten. Gravierender ist jedoch, dass das zur Teamfähigkeit gehörende Erfahrungswissen beim Wechsel zur interkulturellen Teamarbeit teilweise wertlos wird: Die Erwartungen der Partner können ganz andere sein als die eigenen oder diejenigen all der Landsleute, mit denen man bislang in Gruppen zusammengearbeitet hat. Vorgehensweisen, die sich jahrzehntelang bewährt haben, auch solche, die man in einem „Teamtraining“ gelernt hat, können nun kontraproduktiv wirken. Soziale Fähigkeiten sind an den kulturellen Rahmen gebunden, in dem sie erworben wurden: Ein guter deutscher Vorgesetzter wird nicht nur von seinen fremdkulturellen Mitarbeitern ganz anders erlebt werden, sondern auch schlechtere Resultate erzielen, wenn die Erwartungen der Mitarbeiter sich deutlich von denen unterscheiden, auf die er bislang immer erfolgreich geantwortet hat: Bemühen um Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungen und die Delegation von Verantwortung mag als „Führungsschwäche“ erlebt werden, klare Strukturierung von Meetings nicht als hilfreich, sondern einengend, Lob als Anbiederung und Kritik als Beleidigung. Die „Führungsfähigkeiten“, die dem entsprechenden Mitarbeiter bislang zu Recht zugeschrieben wurden, erweisen sich als die Fähigkeit, deutsche Mitarbeiter erfolgreich zu führen. Wenn sie die notwendigen Haltungen mitbringen, gelingt es Auslandsmitarbeitern mit der Zeit, die andersartigen Erwartungen ihrer fremdkulturellen Partner zu verstehen und ihr eigenes Verhaltensrepertoire so zu erweitern, dass sie diesen Erwartungen ebenfalls gerecht werden können, also die Wissensdefizite aufzufüllen, die bezüglich „Teamarbeit“ oder „Führung“ etc. unter den fremdkulturellen Rahmenbedingungen zunächst zwangsläufig aufkommen. Wenn der Auslandsmitarbeiter erst einmal verstanden hat, was in einer bestimmten Kultur in einer bestimmten Situation von dem Inhaber einer bestimmten sozialen Rolle erwartet wird, fällt es ihm i. d. R. nicht sonderlich schwer, das entsprechende Verhalten auch zu zeigen. Dieser interkulturelle Lernprozess führt bei den meisten Auslandsmitarbeitern über kurz oder lang zu so befriedigenden Ergebnissen, dass Unternehmen, die
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ihnen keine Hilfen für die Integration in die fremde Kultur anbieten, sich nicht gezwungen sehen, diese Praxis zu ändern: Nach verschiedenen seriösen Schätzungen erhalten 80 % aller deutschen Auslandsmitarbeiter vor ihrer Ausreise keinerlei Training oder Beratung, wie mit interkulturellen Unterschieden umzugehen sei. Als „interkulturell kompetent“ kann also der Mitarbeiter gelten, der gelernt hat, welche Verhaltensweisen seine fremdkulturellen Partner in den verschiedenen Zusammenarbeitssituationen von ihm erwarten und fähig ist, diese auch zu zeigen. Das impliziert natürlich nicht, dass er den inhaltlichen Erwartungen seiner fremdkulturellen Partner immer entspricht: Auch in der interkulturellen Zusammenarbeit wird ein Vorgesetzter manche Ansinnen seiner Mitarbeiter ablehnen müssen. Ob er interkulturell kompetent ist, zeigt sich daran, ob er es so ablehnen kann, dass seine Mitarbeiter es akzeptieren oder wenigstens nachvollziehen können. In den meisten großen transkulturellen Unternehmen gilt „interkulturelle Kompetenz“ heute als wichtige Eigenschaft einer Fach- oder Führungskraft. Meist wird sie relativ vage als „Fähigkeit, über Kulturgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten“ beschrieben. Das ist nicht falsch, lädt jedoch zu einem gefährlichen Missverständnis ein: Die „interkulturelle Kompetenz“ eines Auslandsmitarbeiters ist zunächst und vor allem kulturspezifisch: Wer weiß, wie er in Amerika vorgehen muss, weiß nicht automatisch, was sich in Thailand bewährt. Allerdings teilen Mitarbeiter, die für ganz unterschiedliche Kulturen kompetent sind, einige Einsichten: • dass die eigenen Normen und Werte weit weniger selbstverständlich sind und die eigenen Vorgehensweisen weit weniger „sachlogisch begründet“, als man bislang dachte, • dass man nicht so weltoffen und sensibel ist, wie man hoffte, sondern tief in der eigenen Kultur verwurzelt, • dass die eigenen Vorgehensweisen, auch wenn sie sich in der eigenen Kultur noch so oft bewährt haben mögen, in einer fremden keineswegs der beste Weg zum Erfolg sein müssen, • dass Kulturen unterschiedliche Fähigkeiten für wichtig halten und bei ihren Mitgliedern fördern
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und auch ihre Führungskräfte danach auswählen, ob sie diese Fähigkeiten in besonderem Maße aufweisen, anders gesagt, dass es nicht nur persönliche Begabungen gibt, sondern auch kulturell geprägte Stärken und Schwächen, die es zu berücksichtigen gilt, • was Anzeichen für interkulturelle Konflikte sind und wie man sich fremdkulturelle Erwartungen möglichst schnell erschließt. Interkulturell kompetente Mitarbeiter teilen also einen Grundbestand an gemeinsamen Erfahrungen, der sie fähig macht, die Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit überhaupt angemessen wahrzunehmen und es ihnen auch erleichtert, sich auf eine weitere Kultur einzustellen, wenn dies notwendig wird. Im Gegensatz zum interkulturell nicht Kompetenten gehen sie nicht davon aus, dass sie in jedem Winkel der Erde selbstverständlich den richtigen Ton treffen, sondern wissen, dass sie immer neu lernen müssen, wenn sie mit einer Kultur zu tun bekommen, die sie nicht kennen.
12.11.4 Interkulturelle Kompetenz vermitteln 12.11.4.1 Auslandsentsendungen und interkulturelles Training Der beste Weg, interkulturelle Kompetenz zu erwerben, besteht darin, längere Zeit in einer fremden Kultur zu leben und zu arbeiten. Entsprechend hat sich der Fokus von Auslandsentsendungen auch deutlich verschoben: Ging es ursprünglich vor allem darum, eine Vakanz in einer Auslandsniederlassung zu besetzen, werden Auslandsentsendungen heute auch als Maßnahmen zum interkulturellen Kompetenzerwerb betrachtet. Viele transkulturelle Unternehmen erwarten heute eine „qualifizierte Auslandserfahrung“ als Voraussetzung für den Aufstieg ins höhere Management. Auch wenn es möglich ist, durch eigenständiges Lernen die Erwartungen der fremden Kultur soweit zu durchschauen, dass man hinreichend erfolgreich in ihr arbeiten kann, hat sich bei den meisten Unternehmen mit besonders hohen Entsendezahlen in den letzten Jahren die Politik durchgesetzt, angehenden Auslandsmitarbeitern interkulturelle Pre-Departure-Trainings
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zumindest anzubieten, dringend zu empfehlen oder auch vorzuschreiben [2]. Man geht dort davon aus, dass solche Maßnahmen • die Einarbeitungszeit im Einsatzland deutlich verkürzen können und dabei insbesondere gravierende „Fehltritte“ in der Anfangszeit erheblich reduzieren. Beides erspart nicht nur dem Mitarbeiter Frustrationen, sondern auch dem Unternehmen Kosten: Ein Auslandsmitarbeiter, der aufgrund unangepassten Vorgehens einen lukrativen Auftrag nicht gewonnen oder einen wichtigen einheimischen Mitarbeiter zur Kündigung getrieben hat, mag daraus lernen, aber der Schaden für das Unternehmen ist nicht wieder gut zu machen, • nicht nur zu einem beschleunigten, sondern auch zu einem vertieften interkulturellen Kompetenzerwerb beitragen: Ohne Training erreichen die meisten Auslandsmitarbeiter nicht mehr als eine „Anpassung“ an die fremde Kultur: Durch „Trial and Error“ und Beobachtungslernen finden sie mit der Zeit heraus, wie sie sich in bestimmten Situationen erfolgreich verhalten können. Sie tun sich jedoch schwer, die inhärente Logik der fremden Kultur zu durchschauen und deswegen gelingt es ihnen auch nicht gut, Situationen zu antizipieren, die sie noch nicht erlebt haben. Die eigene Kultur lernen Menschen ja intuitiv während der Sozialisation über Jahrzehnte. Um sich eine fremde Kultur schnell zu erschließen, ist es wenig effizient, auf die gleichen Lernmechanismen zu setzen. Gezielte Vermittlung grundlegender „Muster“ der fremden Kultur schafft einen konzeptionellen Rahmen, der die unvermeidlichen eigenen Lernschritte in der fremden Kultur effizienter macht. Dass gerade diejenigen transkulturellen Unternehmen die seit vielen Jahren Erfahrungen mit der Entsendung vieler Auslandsmitarbeiter haben, zu der Minderheit der Unternehmen gehören, die interkulturelle Pre-Departure-Trainings befürworten, darf als Beleg dafür gelten, dass die aufgelisteten positiven Effekte deutlich werden, wenn man eine breite Anzahl von Auslandsmitarbeitern betrachtet. Der Wandel vom multinationalen zum transkulturellen Konzern stellt allerdings auch Unternehmen, die interkulturelle Pre-Departure-Trainings befürworten, vor weitere Herausforderungen: Expatriates sind nicht mehr nur Deutsche, die im Ausland arbeiten, sondern auch Ausländer, die in Deutschland arbeiten.
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen
Auch die sogenannten „Drittlandtransfers“ (ein Begriff, der ersichtlich noch den Blickwinkel der deutschen Zentrale widerspiegelt) nehmen zu: Ausländische Mitarbeiter werden zunehmend nicht nur nach Deutschland transferiert, sondern wechseln auch zu anderen Auslandsniederlassungen. Wenn man weder unterstellt, dass sich Deutsche im Umgang mit fremden Kulturen schwerer tun als alle anderen Nationalitäten, noch den Eindruck erzeugen will, dass deutsche Mitarbeiter im Konzern bevorzugt behandelt werden, müssen die Maßnahmen, die unter dem Stichwort „Entsenderichtlinien“ für deutsche Auslandsmitarbeiter entwickelt wurden, auf alle internationalen Transfers ausgeweitet werden. Das klingt einfacher als es ist: Die Personalverantwortlichen der Auslandsniederlassungen verfügen meist über wesentlich geringere Erfahrungen mit interkulturellen Transfers und begegnen daher den von der „Zentrale“ vorgeschlagenen „teuren“ Vorbereitungsmaßnahmen mit den gleichen Vorbehalten, die auch in der Zentrale mühsam überwunden werden mussten, wehren sich aber gleichzeitig gegen direktive Eingriffe der Zentrale in diesem Feld. In vielen Ländern sind aber auch keine interkulturellen Spezialisten verfügbar, die man mit Maßnahmen beauftragen könnte, die denen vergleichbar wären, die man für angehende deutsche Auslandsmitarbeiter anbietet. Der Anspruch, alle transkulturellen Transfers im transkulturellen Unternehmen gleich zu behandeln, wird daher noch eine ganze Weile ein Anspruch bleiben. Mit Auslandsentsendungen allein lässt sich allerdings der rasant gewachsene Bedarf an interkultureller Kompetenz in transkulturellen Unternehmen nicht befriedigen. Es ist schlechterdings nicht möglich, nur Mitarbeiter mit internationalen Aufgaben zu betrauen, die über die Erfahrung eines längeren Auslandsaufenthalts verfügen.
12.11.4.2 Interkulturelle Trainings für Inlandsmitarbeiter Bei Inlandsmitarbeitern mit internationalen Aufgaben ist die Situation völlig anders als bei angehenden „Expatriates“: Letztere müssen tief in die fremde Kultur eintauchen. Je nach Einsatzland können sie zwar ihr Privatleben weitgehend nach ihren vertrauten Gewohnheiten gestalten (in Einsatzländern wie SaudiArabien ist auch das nur beschränkt möglich), aber im
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Berufsleben werden sie ständig mit fremdkulturellen Erwartungen konfrontiert: Geschäftspartner und Behörden werden sich nicht auf den „Ausländer“ einstellen wollen und die lokalen Mitarbeiter werden es nur begrenzt können, selbst wenn sie es wollten. Der Expartiate muss sich an lokale Erwartungen weitgehend anpassen, oder er wird scheitern. Umgekehrt ist er jeden Tag viele Stunden der lokalen Kultur ausgesetzt: Wenn er diese aufmerksam wahrnimmt, sind seine Lernchancen gut. Für einen Inlandsmitarbeiter mit transkulturellen Kontakten ist die Situation völlig anders: Seine interkulturellen Kontakte bleiben marginal, so wichtig sie für den beruflichen Erfolg auch sein mögen. Er agiert im Beruf überwiegend im vertrauten eigenkulturellen Kontext, in seiner Freizeit völlig. Seine Chancen, durch Beobachtung anderer zu lernen, was sich im Umgang mit den Angehörigen der fremden Kultur bewährt, sind minimiert. Je nach Aufgabe hat er auch nur relativ selten Kontakt mit ausländischen Partnern, sein „Versuch und Irrtums-Lernen“ leidet an langen Rückkopplungszeiten zwischen Aktion und Reaktion. Ist der Kontakt mit fremdkulturellen Kollegen jedoch kontinuierlich und intensiv, wie etwa bei einem IT-Team, das auf einen Standort in Indien, einen in Deutschland und einen in den USA aufgeteilt ist, um eine „rund um die Uhr“ laufende Betreuung der Systeme kostengünstig sicherstellen zu können, ist ein persönlicher Kontakt zwischen den Beteiligten sehr selten. Technikgestützte Kommunikationsmedien wie Telefon, E-Mail, aber auch Telefon- und Videokonferenzen sind für Missverständnisse anfälliger als persönliche Begegnungen, da paraverbale Signale nur begrenzt wahrgenommen werden können. Mit einem Wort: Interkulturelle Kompetenz eigenständig zu erwerben, ist für einen Inlandsmitarbeiter mit internationalen Aufgaben erheblich schwieriger als für einen Expatriate. Interkulturelles Training ist für Inlandsmitarbeiter mit internationalen Aufgaben also eigentlich noch wichtiger. Entsprechend findet man in den Weiterbildungskatalogen vieler transnationaler Unternehmen heute auch interkulturelle Trainings, die sich an Inlandsmitarbeiter mit internationalen Aufgaben richten. Doch selbst große Unternehmen tun sich schwer, die heterogenen Erwartungen zeitnah zu befriedigen, die sich an interkulturelle Trainings richten: Wer vor wichtigen Verhandlungen in China steht, erwartet von einem Training, dass es ihm genau dafür Hilfestel-
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lung gibt und zwar bevor die Verhandlungen beginnen, nicht ein halbes Jahr nach ihrem Ende. Wer für eine Produkteinführung in Frankreich zuständig wird, mag ebenfalls seine interkulturelle Kompetenz steigern wollen, aber er erwartet völlig andere Inhalte. Versuche, der Situation dadurch gerecht zu werden, dass interkulturelle Trainings thematisch sehr breit gefasst angeboten werden, sind nur begrenzt erfolgreich: Die Teilnehmer erhalten dann meist nur sehr allgemeine Antworten auf ihre spezifischen Fragestellungen und erleben die Veranstaltung als wenig nützlich. Doch dies erklärt nicht allein, weshalb interkulturelle Trainings für Inlandsmitarbeiter mit wichtigen internationalen Aufgaben noch eher die Ausnahme als die Regel sind: Vielerorts gibt es Akzeptanzprobleme: während sich der angehende Auslandsmitarbeiter einerseits vor einem großen Umbruch in seinem Leben sieht, und durchaus bereit ist, Hilfen zur Bewältigung anzunehmen, andererseits davon ausgeht, dass er sich ans Gastland anpassen muss und nicht umgekehrt, sind Inlandsmitarbeiter nicht nur viel anfälliger für die beschriebene Tabuisierung interkultureller Schwierigkeiten. Viele von ihnen sind auch noch im klassischen Unternehmensbild von einer richtunggebenden Zentrale und abhängigen Niederlassungen verhaftet, und unterstellen, dass sich die Mitarbeiter der Niederlassungen deshalb auch in ihrem Verhalten an die Erwartungen der Zentralenmitarbeiter anpassen müssten. Interkulturelles Training für Inlandsmitarbeiter wird daher erst dann wesentlich zunehmen, wenn in den transkulturellen Unternehmen eine „Kultur des wechselseitigen Kulturlernens“ fest verankert ist. Bosch formuliert etwa in seinen Leitlinien zur internationalen Personalarbeit: „Deshalb erwarten wir von allen Mitarbeitern der Bosch-Gruppe, offen für andere Kulturen zu sein, von ihnen zu lernen und die Vielfalt als Bereicherung zu nutzen.“ Bei Siemens und vielen anderen findet man ähnliche Erwartungen an die Mitarbeiter. Aber es bedarf erheblicher, jahrelanger Anstrengungen, um sie im Bewusstsein der Mitarbeiter zu verankern. Umgekehrt muss das Missverständnis vermieden werden, dass es nur der „Lernbereitschaft“ bedürfe: Es kann von den Mitarbeitern nicht erwartet werden, ohne weiteres mit Menschen „aus aller Herren Länder“ zu Recht zu kommen, sondern an ihrer interkulturellen Kompetenz gezielt zu arbeiten. Auch für interkulturelles Coaching gilt ähnliches: Schon aufgrund der hohen Kosten wird dies eher ein
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Maßnahmentyp bleiben, der nur in besonders wichtigen Situationen oder für besonders hochrangige Mitarbeiter angeboten wird, auch wenn es sich gerade dann anbietet, wenn der Mitarbeiter in einer Vielfalt von Situationen mit Partnern aus vielen unterschiedlichen Kulturen zusammenarbeiten muss, weshalb seine Bedarfe schlecht durch ein klar fokussiertes Training abgedeckt werden können. Hier wird der entscheidende Schritt jedoch ebenfalls darin bestehen, die Mitarbeiter zu überzeugen, diese Unterstützung im Bedarfsfall auch abzurufen.
12.11.4.3 Internationale Nachwuchsgruppen Internationale Nachwuchsgruppen sind ein anderes Instrument, um die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter langfristig zu erhöhen: Trainees, aber auch High-Potentials aus verschiedenen Kulturen, die vor dem Aufstieg ins mittlere oder höhere Management stehen, werden entweder für einige Wochen in Deutschland zusammengezogen oder treffen sich über ein, zwei Jahre regelmäßig, um die nun anstehenden Weiterbildungsmaßnahmen in kulturell gemischten Gruppen zu durchlaufen. Damit werden verschiedene Ziele verfolgt: • die Nachwuchsführungskräfte sollen auf eine gemeinsame Konzernkultur verpflichtet werden, • internationale Netzwerke sollen entstehen, • die Gleichberechtigung deutscher und nichtdeutscher Mitarbeiter soll unterstrichen werden, • und last but not least wird den Teilnehmern auch eine Erfahrung in interkultureller Zusammenarbeit vermittelt. Inwieweit diese Ziele erreicht werden, hängt jedoch sehr davon ab, wie die Umsetzung im Detail aussieht: Natürlich machen Menschen „interkulturelle“ Erfahrungen, wenn sie in einer gemischtkulturellen Gruppe zusammenkommen. Aber welche? Dass sich die Deutschen ohnehin immer durchsetzen, weil sie die Mehrheit stellen und sich schnell auf ein Vorgehen einigen können? Dass es offensichtlich keine bedeutsamen interkulturellen Unterschiede gibt, weil man die meiste Zeit in der Rolle des passiven Zuhörers verbringt, die in der Tat in unterschiedlichen Kulturen ziemlich ähnlich aussieht? Unternehmen mussten erfahren, dass sich der gewünschte interkulturelle Lerneffekt keineswegs von
12.11 Personalmanagement in transkulturellen Unternehmen
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selbst einstellt, wenn man Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenbringt, sondern die interkulturellen Erfahrungen gesteuert und aufgearbeitet werden müssen, wenn sie nicht kontraproduktiv wirken sollen. Insgesamt ist also noch weitgehend ungeklärt, wie sich der großen Zahl der Mitarbeiter, die in einem transkulturellen Unternehmen über Kulturgrenzen hinweg zusammenarbeiten müssen, die dafür notwendige interkulturelle Kompetenz vermitteln lässt. Trotz deutlich gesteigerter Bemühungen sind angesichts der gewaltigen Globalisierungsdynamik des letzten Jahrzehnts die Defizite eher größer geworden.
Ab einer gewissen Hierarchieebene der Mitarbeiter muss die Dezentralisierung der Maßnahmen reduziert werden, um aus dem weltweiten Mitarbeiterbestand die künftigen Top-Manager des Konzerns identifizieren und aufbauen zu können. Hierfür kann auf einheitliche Instrumente nicht verzichtet werden, die jedoch auch sinnvoll auf die lokal unterschiedlichen Instrumente aufsetzen müssen. Die Schnittstelle zu klären ist keineswegs einfach.
12.11.5 Integration ausländischer Mitarbeiter
Die weltweiten Standorte der Unternehmen unterscheiden sich in ihrer Mitarbeiterzahl erheblich. Eine kleine Vertriebsniederlassung „irgendwo“ mit weniger als hundert Mitarbeitern hat keine eigene Personalentwicklungsabteilung und wird auch keine bekommen. Während dort traditionell einfach keine gezielte Personalentwicklung stattgefunden hat, haben viele transkulturelle Unternehmen zwischenzeitlich eingesehen, dass dieser Zustand beendet werden muss. Häufige Konsequenz war, dass entsprechende Mitarbeiter aus der Zentrale plötzlich weltweite Zuständigkeit für bestimmte Gruppen oder Programme erhielten. So findet man z. B. 80 Personen, die für die Entwicklung aller oberen Führungskräfte des Unternehmens zuständig sind, verteilt auf 20 Länder in drei Kontinenten. Es erfordert nicht viel Phantasie sich vorzustellen, dass der betreffende Personaler, der selbst über keine umfangreiche interkulturelle Kompetenz verfügt, nicht nur deshalb mit seiner Aufgabe überfordert sein wird. Oft genug fehlt ihm auch die notwendige Ressourcenausstattung.
Um im weltweiten Kampf um die besten Köpfe mithalten zu können, müssen vor allem drei Herausforderungen bewältigt werden.
12.11.5.1 Weltweit attraktiver Arbeitgeber Das transkulturelle Unternehmen mit deutschen Wurzeln muss seine Attraktivität als Arbeitgeber in allen Ländern sicherstellen, in denen es vertreten ist. Solange Menschen in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Erwartungen an ein wünschenswertes Leben haben, wird kulturspezifisch zu klären sein, wie man die besten Kräfte gewinnen und halten kann. Das Personalmanagement wird sehr dezentral agieren müssen. Im Grundsatz wird das auch nicht bestritten, aber auch hier sind im Detail noch viele Punkte zu klären. Um nur zwei zu nennen: Deutsche Auslandsmitarbeiter, die in vielen Niederlassungen immer noch hohe Positionen bekleiden, beeinflussen das Personalmanagement der Niederlassung auch dann, wenn sie nicht die Position des Personalchefs innehaben: Deutsche Geschäftsführer lehnen im Land übliche Zusatzleistungen mit einem knappen „das zahlen wir ja in Deutschland auch nicht“ ab. Deutsche Abteilungsleiter rekrutieren oder befördern Kandidaten, die ihren eigenen Erwartungen möglichst nahe kommen, aber nicht denen der lokalen Kunden oder Mitarbeiter. Kurz gesagt: Die offiziell vorhandenen Spielräume für lokal angepasste Personalpolitik werden immer wieder bedroht.
12.11.5.2 Nicht gleiche Methoden, sondern gleich Standards
12.11.5.3 Gleichheit und Vielfalt Trotz kulturell unterschiedlicher Erwartungen, trotz unterschiedlichem Arbeitsrecht und Gehaltsniveau in einzelnen Ländern, muss sich den Mitarbeitern vermitteln, dass sie alle „gleich geschätzt“ sind. Mit anderen Worten: Niemand darf sich im Unternehmen diskriminiert fühlen! Es ist leicht, Zustimmung zu dieser Forderung zu erhalten, aber es ist schwer, sie umzusetzen: Denn selbst wenn die deutschen Mitarbeiter in transkulturellen Unternehmen die absolute Mehrheit verloren haben, stellen sie noch immer die mit Abstand
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größte Gruppe. Die Unternehmen haben eine „dominante Kultur“, die deutsche. Diskriminierung benötigt da keine bösen Absichten, sie stellt sich dadurch ein, dass jeder, der die dominante Kultur nicht „mit der Muttermilch“ eingesogen hat, es immer ein bisschen schwerer hat, den Erwartungen der Mächtigen zu entsprechen. In den USA sieht man seit einigen Jahren „Diversity Management“ als Antwort auf die Frage, wie die Vormacht einer „dominanten Kultur“ im Unternehmen abgebaut und Diskriminierung der Mitarbeiter aus nicht dominanten Gruppen verhindert werden kann. Doch obwohl Vertreter des „Diversity Managements“ das Konzept auf die internationalen Kulturen, in denen ein Unternehmen aktiv ist, angewendet wissen möchten, kann es seine Herkunft aus dem inneramerikanischen Kampf um Chancengleichheit für alle Amerikaner nicht verleugnen. Was mit seinen Maßnahmen im Wesentlichen sichergestellt wird ist, dass alle Mitarbeiter nach den gleichen Standards bewertet werden, seien sie Männer oder Frauen, schwarz oder weiß, angelsächsischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft. Dies zu erreichen war eine wichtige Aufgabe für das Personalmanagement amerikanischer Unternehmen, sei es, um potentiell extrem teure Klagen wegen Diskriminierung zu vermeiden, sei es, weil man sich auf dem leergefegten Arbeitsmarkt der neunziger Jahre als attraktiver Arbeitgeber für HighPotentials aus allen Bevölkerungsgruppen präsentieren musste. Für viele amerikanische Unternehmen trifft zu, dass sie auch den ausländischen Mitarbeitern ihrer Auslandsniederlassungen im Rahmen dieser Politik durchaus „gleiche Chancen“ eingeräumt haben, für gute Leistungen, die nach einheitlichen Standards gemessen werden, genauso belohnt zu werden wie amerikanische Mitarbeiter. Aber dem Konzept bleibt inhärent, dass alle nach demselben Maßstab bewertet werden, der von der Zentrale vorgegeben wird. Vertreter des „Diversity Managements“ behaupten, dass dabei nur kulturneutrale, objektive Kriterien angelegt werden: Wer die in seiner Zielvereinbarung definierten Ziele besonders gut erfüllt, wird promotet, gleich wer er ist. Kritiker sehen es anders: Nicht nur die „Zahlen“ seien wichtig: Wer gute Zahlen bringt und sie in gutem Englisch nach amerikanischen Präsentationsstandards präsentiert und sich auch sonst so
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benimmt, wie man es von einem Absolventen einer amerikanischen Eliteuniversität erwartet, darf auf die entsprechende Anerkennung hoffen, auch wenn er kein männlicher „white anglo-saxon protestant“ ist. Nicht jedoch ein in seinem Land höchst erfolgreicher deutscher, indischer oder mexikanischer Manager, der den Verhaltenserwartungen der beurteilenden Mitarbeiter der US-amerikanischen Zentrale nicht entspricht. Es ist noch zu früh zu beurteilen, ob „Diversity Management“, wie es in amerikanischen Unternehmen verstanden wird, tatsächlich mehr sein kann als ein Bündel von Maßnahmen, das die Diskriminierung von Minderheitsgruppen in der amerikanischen Gesellschaft verhindert. Auch dann wäre es beispielgebend für deutsche Unternehmen, gleich ob sie transkulturell sind oder nicht: Weibliche Führungskräfte sind auch in den USA noch in der Minderheit, aber ihr Anteil ist rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Und ethnische Minderheitsgruppen gibt es auch in Deutschland: Während in politischen Parteien mittlerweile einige „Gastarbeiterkinder“ prominente Positionen besetzen, sucht man Angehörige dieser Gruppe in den Führungsetagen deutscher Unternehmen vergebens. Aber ob das Konzept des „Diversity Managements“ tatsächlich dazu dient, guten Mitarbeitern aus allen Standorten des transkulturellen Konzerns „gleiche Chancen“ zu garantieren, ist noch nicht bewiesen.
12.11.5.4 Ausblick Ob transkulturellen Konzernen – so wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt haben – überhaupt die Zukunft gehört, wird sich noch zeigen müssen. Letztlich bleiben Unternehmen immer Organisationen, die die Tätigkeiten von Menschen auf gemeinsame Ziele hin organisieren müssen. Das wird umso schwieriger, je unterschiedlicher die zu koordinierenden Personen geprägt sind. Im Laufe der Industrialisierung mussten Formen gefunden werden, um große Zahlen von hohen, aber in ganz unterschiedlichen Professionen qualifizierten Menschen auf ein Ziel auszurichten. Im transkulturellen Konzern arbeitet das Personalmanagement daran, dies unter der erschwerenden Bedingung zu optimieren, dass die Beteiligten nicht einmal auf das gemeinsame Referenzsystem ihrer Kultur zurückgreifen kön-
12.12 Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte
nen. Inwieweit dies gelingt, wird entscheidend für die Zukunft transkultureller Unternehmen sein.
Literatur 1. Bittner, A.; Reisch, B.: Anforderungen an Auslandsmanager. IFIM Rheinbreitbach 1997 2. Handelsblatt – Junge Karriere 6 (2001), S. 69
12.12 Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte Der Zusammenhang von Personalwirtschaft und Betriebsratstätigkeit liegt auf der Hand. Dies gilt nicht nur wegen der durch das Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen zahlreichen Mitwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei der Personalplanung und bei den personellen Folgen unternehmerischer Entscheidungen, sondern ergibt sich ganz allgemein aus der Stellung des Betriebsrats als Interessenvertretung der Beschäftigten. Auch wenn die Funktion des Betriebsrats – oder allgemeiner der Mitbestimmung – durchaus kontrovers diskutiert und eingeschätzt wird, so ist doch das Wirken der Betriebsräte breit anerkannt, und es ist unbestritten, dass die Betriebsräte für die betriebliche Entwicklung einen wichtigen Faktor darstellen [1]. Betriebsräte können in Betrieben mit 5 und mehr Beschäftigten gewählt werden. Eine Freistellung von der Arbeit für ausschließliche Betriebsratstätigkeit erfolgt in Betrieben ab 200 Beschäftigten. Die Größe des Betriebsrats und die Zahl der freigestellten Betriebsräte hängen von der Zahl der Beschäftigten ab. Weist ein Unternehmen mehrere Betriebe auf, so bilden die jeweils örtlichen Betriebsräte einen Gesamtbetriebsrat. Auf Konzernebene kommt es zur Bildung des Konzernbetriebsrats. Auch wenn bei betriebsübergreifenden Angelegenheiten oft der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, so ist doch die in aller Regel entscheidende Ebene der örtliche Betriebsrat. Verwiesen sei auch auf die Möglichkeit, in Unternehmen und Konzernen, die in mindestens zwei Ländern der Europäischen Gemeinschaft vertreten sind und mindestens 1 000 Beschäftigte haben, einen Europäischen Betriebsrat zu gründen. Davon haben inzwischen auch recht viele Unternehmen Gebrauch gemacht. Allerdings hat der
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Europäische Betriebsrat im Gegensatz zum deutschen Betriebsrat keine Mitbestimmungs-, sondern lediglich Informations- und Konsultationsrechte, und bezieht sich in seiner Tätigkeit auf transnationale Angelegenheiten. Betriebsrats- und Gewerkschaftstätigkeit sind entsprechend dem dualen System der deutschen Betriebsverfassung getrennt. Betriebsräte müssen also nicht Mitglieder einer Gewerkschaft sein. Tatsächlich gibt es jedoch einen engen Zusammenhang zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten, zumal die überwiegende Zahl der Betriebsräte Gewerkschaftsmitglieder sind. Gewerkschaftliche und Betriebsratsarbeit sind im Betrieb stark miteinander verknüpft. Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass es u. a. eine Aufgabe der Betriebsräte ist, über die Einhaltung der Tarifverträge im Betrieb zu wachen. Ebenso wie die Gesetze bilden Tarifverträge eine Grundlage und einen Rahmen für die Tätigkeit der Betriebsräte. Die Betriebsratstätigkeit selbst wird stark durch die Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft und insbesondere durch die Unternehmenspolitik bestimmt und verändert sich mit ihr. Zweifellos haben sich mit den gestiegenen Anforderungen [2] an die Unternehmens- und Betriebspolitik infolge der verstärkten Internationalisierung der Wirtschaft, dem zunehmenden Wettbewerbsdruck, der Verkürzung der Innovationszyklen, und den Veränderungen in der Produktion selbst auch die Anforderungen an die Betriebsratsarbeit erhöht. Bevor daher auf die Tätigkeit von Betriebsräten insbesondere in Zusammenhang mit der Personalwirtschaft näher eingegangen wird, sollen zunächst die strategischen Ansätze in der Unternehmenspolitik selbst charakterisiert werden, stellt doch die Unternehmenspolitik den wesentlichen Bezugsrahmen für Betriebsratstätigkeit dar.
Moderne Unternehmenspolitik Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen und auf der Suche nach einer immer höheren Profitabilität verändern sich auch die Managementmethoden, die Organisationskonzepte und die Unternehmensprozesse. Während traditionelle Konzepte auf eine möglichst hohe Effizienz der jeweiligen organisatorischen Einheiten abzielen, heben neuere Organisationskonzepte
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auf die Prozesse ab. Die Prozessorientierung beinhaltet zugleich Elemente der Partizipation, die aber stark funktionsbezogen sind. Die Prozesse selbst werden unter dem Gesichtspunkt des Kundenutzens betrachtet. Entsprechend hat ein Produkt oder eine Dienstleistung nur insoweit einen Wert, als sie dem Kunden nutzt, anders ausgedrückt: soweit der Kunde bereit ist, dafür einen Preis zu zahlen. Wertschöpfung wird mit der Schaffung von Kundennutzen gleichgesetzt. In welcher Form und unter welchem Titel auch immer – ob „Total Quality Management“, „Kaizen“, „Business Reengineering“ – diese Unternehmenskonzepte dargestellt werden, so sind doch immer Kundenund Prozessorientierung Schlüsselkategorien. In der verstärkten Orientierung auf den Kunden als Kernelement aller modernen Unternehmenskonzepte drückt sich aus, dass sich die Marktverhältnisse in Richtung der Nachfrageseite verschoben haben. Es hat eine Veränderung vom Anbieter- zum Käufermarkt stattgefunden. Zugleich ist die Kundenorientierung Ausdruck der Marktbestimmtheit der Wertschöpfung. Wert hat in Marktwirtschaften letztlich nur, was auch abgesetzt werden kann. Die Kundenorientierung steht somit für eine umfassende Ausrichtung der betrieblichen Leistungsprozesse auf den Markt. Sie wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass zunehmend auch die internen Beziehungen in Unternehmen als Kundenbeziehungen und damit als Marktprozesse verstanden werden. Die Organisation betrieblicher Abläufe in Prozessen steht in engem Zusammenhang mit der Marktorientierung. Denn dies erlaubt ein schnelleres Reagieren auf sich verändernde Marktbedingungen. Gleichzeitig ist die Prozessorientierung aber auch Ausdruck für den Wandel in den Organisationskonzepten selbst. Traditionelle, tayloristisch ausgerichtete Konzepte zeichnen sich durch funktionale Spezialisierung, also durch sehr starke Arbeitsteilung und dabei Trennung von planender und ausführender Tätigkeit aus. Die durch die Konzentration auf den einzelnen Arbeitsvorgang und den hohen Koordinationsaufwand gesetzten Grenzen bei der Entwicklung der betrieblichen Leistungsprozesse, können nicht mehr im Rahmen dieser Konzepte selbst, sondern nur durch neuartige Organisationsformen, deren Kernelement die Prozessorientierung darstellt, überwunden werden. Das Denken und die Organisation in Prozessen erfordern notwendigerweise eine gewisse Abkehr von der funktionalen Spezialisierung und damit auch eine teilweise Rücknahme der Arbeitsteilung im Rahmen
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von Generalisierungsprozessen. Arbeit darf sich nicht mehr auf einen spezialisierten Teilvorgang reduzieren, sondern muss angereichert und vielfältiger werden. Gleichzeitig bedeutet dies auch eine teilweise Rücknahme der Trennung von anleitender, planender und ausführender Tätigkeit. Diesen Anforderungen trägt insbesondere die Gruppenarbeit Rechnung, weshalb die meisten Organisationskonzepte der Gruppenarbeit einen hohen Stellenwert beimessen. Angeknüpft wird dabei auch an die Erkenntnisse der Sozialpsychologie, wonach die Berücksichtigung von Bedürfnissen nach Anerkennung und Selbstverwirklichung motivationsund damit leistungssteigernd ist. Solchen Bedürfnissen trägt eine Arbeits- und Organisationsgestaltung Rechnung, die Freiräume lässt, eigenverantwortliches Handeln erlaubt und höhere Anforderungen an die Arbeit stellt. Freilich ist das Ausmaß an Eigenverantwortung und selbständiger Gestaltung umstritten und von der gewählten Unternehmensstrategie abhängig. Eine derartige Organisationskonzeption erfordert auch eine andere Personalpolitik. Idealbild kann nicht mehr der nahezu maschinengleiche Arbeiter sein, wie er noch dem tayloristischen Arbeitsideal entspricht. Gefordert ist vielmehr der mitdenkende Mitarbeiter. Neben Kunden- und Prozessorientierung ist daher die Verhaltenssteuerung mittels gezielter Personalentwicklung das dritte zentrale Element moderner Unternehmenskonzepte. All diesen Konzepten ist eigen, dass zum einen die menschliche Arbeit im betrieblichen Leistungsprozess aufgewertet, sie zum anderen aber zugleich in die unternehmerischen Zielsetzungen eingepasst wird. Schlüsselkategorie ist dabei die Partizipation. Denn durch eine gelungene Beteiligung wird erreicht, dass sich die Beschäftigten mit ihren Aufgaben identifizieren und darüber in die Unternehmenspolitik integriert werden. Umgekehrt können allerdings Partizipationsangebote, die als solche nicht wahrgenommen werden, bzw. misslungene Beteiligung zu gegenteiligen Effekten, also zu Frustration und zur Distanz zur Unternehmenspolitik führen. Jedenfalls versuchen moderne Unternehmenskonzepte über Beteiligungsangebote, wie begrenzt diese auch immer sein mögen, über die damit verbundenen Identifikations- und Motivationseffekte die Beschäftigten in das Unternehmen zu integrieren. In Abkehr von eher autoritären Konzepten bemüht sich moderne Unternehmensführung um einen kooperativen Führungsstil mit Delegation und Partizipati-
12.12 Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte
onsangeboten. Ein solches Führungskonzept setzt weniger auf äußeren Zwang, sondern auf Anreize und Schaffung von Bedingungen, die die Beschäftigten sich mit den ihnen gesetzten Aufgaben identifizieren lassen. Hierzu gehört auch das „Führen mit Zielen“. An die Stelle der direkten Anweisung tritt die eher indirekte Steuerung des Leistungsverhaltens mittels Zielvereinbarungen. Dies erlaubt zugleich eine schnelle Anpassung der Beschäftigten an wechselnde Anforderungen. An die Stelle der direkten soll die Selbststeuerung treten, wie sie dem Verständnis des Unternehmens als einer „lernenden Organisation“ entspricht. Danach sollen Unternehmen in der Lage sein, möglichst rasch auf sich verändernde Anforderungen im Hinblick auf Markt, Technologie usw. reagieren zu können. Wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren derartiger Konzepte ist die Schaffung einer Unternehmenskultur, die die Basis für eine derartige Integration darstellt. Die Bindekraft systematisch entwickelter Konzepte der Unternehmenskultur, der Strategien der „Corporate Idendity“ ist sehr hoch. Sie vermögen wesentlich wirkungsvoller die Beschäftigten in die Unternehmensziele einzubinden, als dies mit den traditionellen Konzepten der ausgeprägten Hierarchie und der direkten Kontrolle möglich ist.
Partizipation und Mitbestimmung Die unbestritten hohe Bedeutung der Partizipation für die Unternehmenspolitik, wie sie etwa auch in der Strategie des „People Empowerment“ in Zusammenhang mit dem Konzept des Total Quality Management zum Ausdruck kommt [3], führt nun keineswegs dazu, dass die betriebliche Mitbestimmung und damit die Betriebsräte in gleichem Maße als zentrales Element unternehmerischer Beteiligungskultur begriffen werden. Partizipation als Bestandteil moderner Unternehmenspolitik wird oft individuell, also als Beteiligung des Einzelnen gesehen und manchmal auch in Gegensatz zur Mitbestimmung als kollektiver und über den Betriebsrat vermittelter Beteiligung gesetzt. Klar ist, dass Mitbestimmung nicht auf die Belange von Unternehmen und Betrieb reduziert werden kann, sondern auch wesentliches Element der allgemeinen Interessenvertretung der Arbeitnehmer sowie Bestandteil gewerkschaftlicher Politik ist. Insoweit steht sie
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Abb. 12.34 Handlungsfelder von Betriebsräten
auch in einem wirtschaftsdemokratischen Zusammenhang. Mitbestimmung ist aber zugleich auch immer Bestandteil der Unternehmens- und Betriebsverfassung und damit integraler Bestandteil der Unternehmenskultur. Betriebliche Mitbestimmung und Betriebsratstätigkeit können für die Unternehmensentwicklung selbst von erheblichem Nutzen sein. Sie nutzt mehr, als sie kostet [4, 5]. Ob ein solcher Nutzen tatsächlich realisiert werden kann, hängt allerdings sowohl von der Unternehmensleitung als auch von den Betriebsräten ab. Beide Seiten müssen trotz oft unterschiedlicher Interessen zu Offenheit, Kommunikation und Zusammenarbeit bereit sein. Studien zeigen, dass qualifizierte, sachkompetente und anerkannte Betriebsräte für die Führung von Unternehmen außerordentlich wichtig sind. Auch aus Unternehmenssicht gibt es zur vertrauensvollen Zusammenarbeit – wie sie im Übrigen auch das Betriebsverfassungsgesetz fordert – keine vernünftige Alternative. Ein qualifizierter Betriebsrat ist trotz notwendigerweise auftretender Konflikte der bessere Partner für den angestrebten Unternehmenserfolg. Je besser die Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat funktioniert, desto weniger bedarf es der Mitwirkung Externer bei der Lösung innerbetrieblicher Probleme [1, 6]. Die Handlungsfelder betriebsrätlicher Tätigkeit sind breit gefächert. Sie reichen von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, insbesondere der Arbeitszeit und der Entlohnung, über Ausbildung, Qualifizierung, Personalplanung bis hin zu Restrukturierungsmaßnahmen und ihren personellen Auswirkungen. Betriebsräte verfügen auf diesen Gebieten über umfangreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Dabei sind Informationsrechte, Beratungs- und Vor-
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Tabelle 12.2 Rechte des Betriebsrats Informationsrechte
Beratungs- und Vorschlagsrechte
Vetorechte
Erzwingbare Mitbestimmungsrechte
Kündigungen
Betriebsänderungen
Personelle Einzelmaßnahmen
Auswahlrichtlinien
Planung von Umbauten, Arbeitsabläufen oder Verfahren
Einrichtung und Maßnahmen der Berufsbildung
Interne Stellenausschreibung
Soziale Angelegenheiten - Betriebsordnung - Arbeitszeit - Lohngestaltung, Akkordund Prämiensätze - betriebliches Vorschlagswesen - Gruppenarbeit - Leistungsüberwachung - Arbeits- und Gesundheitsschutz, Umweltschutz
Personelle Einzelmaßnahmen
Personalplanung
Personalfragebogen
Personalplanung
Maßnahmen der Berufsbildung
Kündigungen
Leistungsbezogene Entgelte
Wirtschaftliche Angelegenheiten
Sozialplan
schlagsrechte, Vetorechte und erzwingbare Mitbestimmungsrechte zu unterscheiden: Die Mitwirkung des Betriebsrats bezieht sich weniger auf die Unternehmenspolitik und die unternehmerischen Entscheidungen selbst, sondern vielmehr auf die Konsequenzen dieser Entscheidungen für die Beschäftigten. Der Betriebsrat hat keine Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten. Allerdings hat er weitgehende Mitbestimmungsrechte bei deren personellen Konsequenzen. So kann er nicht mitbestimmen bei Betriebsänderungen wie Schließung oder Teilschließung von Betrieben. Er muss aber sehr wohl darüber informiert werden. Vor allem aber muss mit ihm über das „Wie“ der Maßnahme, also über deren Umsetzung beraten werden. Bei der Sozialauswahl sowie einem ggf. abzuschließenden Sozialplan hat er erzwingbare Mitbestimmungsrechte. Die umfangreichen und zum Teil sehr unterschiedlichen Felder der Mitwirkung des Betriebsrats können in drei große Gruppen zusammengefasst werden: • Prozessgestaltung, • Personalplanung, • Beschäftigungssicherung.
Bei der Prozessgestaltung geht es um die Organisation der Arbeit und der Arbeitsbedingungen. Betriebsräte haben Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte insbesondere bei Arbeitszeit- und Entgeltfragen. Die betriebliche Arbeitszeitpolitik – von der Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit über Mehrarbeit bis hin zu flexiblen Arbeitszeitsystemen – gehört mit zu den wichtigsten Feldern der Betriebspolitik, bei der die Einbeziehung des Betriebsrates gefordert ist. Gleiches gilt für Fragen der betrieblichen Entgeltpolitik und dabei besonders der Leistungsentlohnung. Einen ganz besonders wichtigen Bereich in Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation stellt die Gruppenarbeit dar. Dies ist nicht nur ein Feld, wo der Betriebsrat für attraktive Arbeitsbedingungen sorgen kann, indem er bei der Gestaltung der Gruppenarbeit die Interessen der Beschäftigten einbringen kann, sondern hier geht es auch um Fragen der Produktivität und der effizienten Gestaltung derartiger Arbeitsformen für den Betrieb sowie um die Schaffung einer adäquaten Unternehmenskultur als wesentliche Bedingungen, damit die mit der Gruppenarbeit betrieblich angestrebten Ziele der Effizienzund Qualitätssteigerung auch realisiert werden. Betriebsräte sind auch häufig Promotoren und Akteure
12.12 Personalwirtschaft und die Rolle der Betriebsräte
im Bereich der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes. Während der Arbeits-, Unfall- und Gesundheitsschutz ein originäres und klassisches Feld der Betriebsratsarbeit darstellt, gewinnt die präventive Gesundheitspolitik im Betrieb zunehmend an Bedeutung. Oft sind es Initiativen seitens der Betriebsräte, die dies denn auch ganz praktisch zum betrieblichen Thema machen. Die Suche nach arbeitsplatz- und betriebsspezifisch adäquaten Lösungen gelingt dabei in der betrieblichen Praxis häufig nur deshalb, weil Betriebsräte als Mittler zwischen den Beschäftigten und den verantwortlichen Leitern auftreten. Die Personalplanung wird ein für die Betriebsratsarbeit immer wichtigeres Feld, wo durch die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 die Rechte des Betriebsrats ausgeweitet worden sind. Fragen der Aus- und Weiterbildung, der Qualifizierung und der Personalentwicklung sind Kernfragen einer gestaltenden Betriebsratsarbeit. Gerade auch in kleinen und mittleren Unternehmen können Betriebsräte eine wesentliche Rolle bei der Einführung von Personalentwicklung spielen und damit zur Unternehmensentwicklung beitragen [7]. In engem Zusammenhang mit der Personalplanung steht die Beschäftigungssicherung, die in der Betriebsratsarbeit vor dem Hintergrund der zahlreichen Restrukturierungsprozesse und Betriebsänderungen einen immer größeren Raum einnimmt. Dem ist auch bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes durch die Einfügung eines eigens der Beschäftigungssicherung gewidmeten neuen Paragraphen Rechnung getragen worden. Auf Personalplanung und Beschäftigungssicherung wird im Folgenden näher eingegangenen.
Die Rolle des Betriebsrats bei der Personalplanung Personalplanung steht in engem Zusammenhang mit den anderen Bereichen der Unternehmensplanung wie Produktions- und Absatzplanung, Investitionsplanung und Finanzplanung und weist ebenso wie diese sowohl strategische als auch operative Dimensionen auf. Sie ist abhängige Planung, weil wesentliche Rahmenbedingungen etwa durch die Absatz- und Produktionsplanung gesetzt werden. Dennoch darf sie nicht nur
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als Dienstleistungsfunktion für die anderen Funktionen verstanden werden, sondern muss eigenständigen Charakter aufweisen und ist jedenfalls mit der Investitionspolitik zu verknüpfen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Wissen, Qualifikation und Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen kommt den Personalressourcen und damit der Personalwirtschaft eine strategische Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu. Wie die Betriebs- und Unternehmenspolitik insgesamt stehen auch Personalwirtschaft und Personalplanung im Schnittpunkt unterschiedlicher Interessen. Während die Interessen des Unternehmens vorwiegend in der Sicherung des Unternehmenserfolgs, der optimalen Deckung des Personalbedarfs, einem anforderungsgerechten Personaleinsatz, der Kompetenzerhöhung der Mitarbeiter, der Steigerung von Motivation und Leistung und auch der Senkung der Personalkosten liegen, liegt das Interesse der Arbeitnehmer vor allem in der Arbeitsplatzsicherung, dem Qualifikationserhalt und der Qualifikationserweiterung, in beruflichen Aufstiegschancen, in einem anforderungs- und leistungsgerechten Entgelt und in besseren Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig weist aber gerade die Personalplanung ein hohes Maß an gemeinsamen Interessen auf, das sie dann auch zu einem eigentlich idealen Feld der Kooperation von Management und Betriebsrat macht. Die Personalplanung hat sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Seite. Sie befasst sich mit der Frage des Personalbedarfs und zerfällt in dieser Hinsicht in Personalbeschaffungsplanung und Personalabbauplanung. Sie muss sich aber auch mit der Frage der Qualifikation und den verschiedenen Handlungskompetenzen auseinandersetzen und ist somit eben auch immer Personalentwicklungsplanung. Für den Betriebsrat sind es vor allem folgende drei Bereiche, die seine Gestaltungskompetenz fordern: Personalauswahl, Personalentwicklung und Personalfreisetzung. Im Zuge der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sind die Stellung und die Rechte des Betriebsrats bei der Personalplanung weiter gestärkt worden. Entsprechend § 92 Betriebsverfassungsgesetz hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung und die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen und Maßnahmen der Berufsbildung zu unterrichten. Der Betriebsrat selbst kann dem Arbeitgeber Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und ihrer Durchführung machen und hat in-
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soweit ein Initiativrecht. Dies beinhaltet auch Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern. In engem Zusammenhang mit der Personalplanung stehen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte bei • • • • • •
Ausschreibung von Arbeitsplätzen (§ 93), Personalfragebogen (§ 94), Beurteilungsgrundsätzen (§ 94), Auswahlrichtlinien (§ 95), Berufsbildung (§§ 96–98), personellen Einzelmaßnahmen (§§ 99–105).
Besonders hervorzuheben sind die Rechte des Betriebsrats bei der Berufsbildung, wo der Betriebsrat sowohl ein Initiativrecht für berufliche Förderung als auch ein Mitbestimmungsrecht bei den Maßnahmen zur Berufsbildung hat. Qualifizierungs- und Personalentwicklungsfragen spielen in der betrieblichen Politik und insbesondere bei der Personalwirtschaft eine immer wichtigere Rolle. Für eine innovationsorientierte Unternehmenspolitik ist eine systematische Personalentwicklung unerlässlich. Hier ist die Einbeziehung des Betriebsrats besonders gefordert, wobei dies für den Betriebsrat selbst ein immer wichtigeres Handlungsfeld wird. Allerdings gilt dies nicht für alle Betriebsräte in gleichem Maße, wie Untersuchungen zeigen [8]. Obwohl das Betriebsverfassungsgesetz besondere Mitwirkungsmöglichkeiten für den Betriebsrat vorsieht, ist es nur ein Teil der Betriebsräte, der in Fragen der Aus- und Weiterbildung und der Personalplanung besonders aktiv wird. Meist sind derartige Fragen mit anderen betrieblichen Handlungsfeldern verknüpft. Weiterbildung und Personalentwicklung sind insofern weniger eigenständige Gestaltungsaufgaben, sondern stehen in Zusammenhang mit betrieblichen Reorganisations- und Entwicklungsprojekten. Besonders gefordert ist der Betriebsrat, wenn es im Zuge von Restrukturierungsmaßnahmen und betrieblichen Änderungen zu Arbeitsplatzabbau kommt. Dabei stehen Maßnahmen des sozialverträglichen Personalabbaus möglichst ohne Kündigungen im Vordergrund. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Dazu gehört der Abbau von Überstunden ebenso wie die Einführung von Kurzarbeit, die allerdings nicht bei strukturellen Problemen angewandt werden kann, sondern ein Mittel zur Bewältigung vorübergehender Engpässe, z. B. zeitweiligem Auftragsrückgang, darstellt. Weiter kommen der Abbau von Leiharbeit, Aufhebungsverträge und auch Maßnah-
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men des vorzeitigen Ausscheidens älterer Arbeitnehmer, die inzwischen allerdings auf Grund der Probleme der Rentenversicherung stark begrenzt sind, in Frage. Auch Personalentwicklungsmaßnahmen, wie Qualifizierung, stellen eine Möglichkeit in diesem Zusammenhang dar. Entsprechend dem im Zuge der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes neu eingefügten § 92a kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung machen. Diese können insbesondere eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit, die Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit, neue Formen der Arbeitsorganisation, Änderung der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe, die Qualifizierung der Arbeitnehmer, Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen sowie zum Produktions- und Investitionsprogramm zum Gegenstand haben. Zur Entwicklung derartiger Vorschläge kann der Betriebsrat im Falle einer Betriebsänderung entsprechend § 111 in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern auch wirtschaftlich Sachverständige hinzuziehen. Der Arbeitgeber hat die Vorschläge mit dem Betriebsrat zu beraten. Die Wahrnehmung derartiger Initiativen zur Beschäftigungssicherung findet in der Praxis in aller Regel erst in Zusammenhang mit konkreten Restrukturierungsmaßnahmen, die einen erheblichen Personalabbau vorsehen, also in Verbindung mit Betriebsänderungen entsprechend § 111 statt. So kommt es weniger zu den an sich notwendigen präventiven Maßnahmen. Es wird reagiert statt agiert. Im Falle von Betriebsänderungen allerdings spielt der Betriebsrat eine ganz wesentliche Rolle. Er muss entsprechend §§ 111, 112 über die Betriebsänderung und ihre Konsequenzen für die Beschäftigten informiert werden. Dies stellt die Basis für aufzunehmende Interessenausgleichsverhandlungen dar. Ziel des Interessenausgleiches ist die Suche nach Lösungen, die sowohl die Interessen des Unternehmens als auch die Interessen der Belegschaft berücksichtigt. Auch wenn der Betriebsrat rechtlich keine Möglichkeit hat, bei der unternehmerischen Maßnahme als solche mitzubestimmen, so bieten doch die Interessenausgleichsverhandlungen die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu entwickeln, Alternativen aufzuzeigen und auf betriebspolitischem Wege zu Lösungen zu kommen. Ein solcher Interessenausgleich kann nicht erzwungen, muss aber versucht werden. Kommen die
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Betriebsparteien zu keinen Lösungen, so kann die Einigungsstelle angerufen werden. Nicht immer wird es möglich sein, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen – besonders wenn es sich um Schließungen von Betrieben oder Teilen von Betrieben handelt, die im Rahmen einer konzernweiten Strategie erfolgen. Solche Lösungen aber anzustreben, liegt nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch im Interesse des Unternehmens. Denn im Rahmen solcher Verhandlungen können sich durchaus Gesichtspunkte ergeben, die bei der Unternehmensentscheidung nicht oder nicht genügend berücksichtigt worden sind. Vor allem aber können Lösungen erzielt werden, die sozial verträglich sind, die geringeren Arbeitsplatzabbau zur Folge haben, beschäftigungssichernde Maßnahmen, z. B. Qualifizierungsmaßnahmen, vorsehen – ganz abgesehen von den zweifellos wichtigen Abfindungszahlungen, wie sie der in einem solchen Falle abzuschließende Sozialplan vorsieht. Zu den Maßnahmen, die Beschäftigung wieder ermöglichen sollen, gehören seit Jahren auch die „Beschäftigungsgesellschaften“. Es handelt sich dabei um Transfergesellschaften, die die vom Arbeitsplatzabbau betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammenfasst mit dem Zweck der gezielten Förderung, um wieder eine Beschäftigung aufnehmen zu können. Solche Gesellschaften werden im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik gefördert. Sie stellen ein zentrales Handlungsfeld für Betriebsräte dar. Mit derartigen sozialverträglichen Lösungen kann eine Restrukturierung auch eher akzeptiert werden, was für den weiteren Fortgang des Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Ein qualifizierter und engagierter Betriebsrat erweist sich in solchen Fällen nicht nur als Interessenvertreter, sondern auch als ein „Moderator“, der wesentlich zu Konfliktregelungen und damit zur Unternehmensentwicklung beiträgt. Dies gilt nicht nur im Falle der Betriebsänderungen, sondern allgemein. Betriebsräte übernehmen in vielen Bereichen Verantwortung für das betriebliche Geschehen und für die soziale Absicherung der Beschäftigten. Sie gestalten Veränderungen mit, kümmern sich um vernünftige Arbeitsbedingungen und setzen sich für langfristige Beschäftigungsmöglichkeiten ein. Sie haben einen besonderen Schwerpunkt im personellen Bereich, indem sie sich – schon von ihrem gesetzlichen Auftrag her – besonders mit den personellen Konsequenzen unternehmerischer Entscheidungen befassen und einen Schwerpunkt in
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der betrieblichen Personalplanung haben. Gäbe es sie nicht, müssten die Personalabteilungen in den Unternehmen ganz sicherlich erheblich aufgestockt werden. Ihr Wirken geht aber darüber hinaus. Betriebräte haben einen wesentlichen Einfluss auf das Betriebsklima und prägen die Unternehmenskultur in einem hohen Maße mit.
Unternehmenspolitik und „Co-Management“ Unter dem Begriff des „Co-Management“ werden Konzeptionen verstanden, die Partizipation als Element moderner Unternehmenspolitik mit Mitbestimmung und Betriebsratstätigkeit ausdrücklich miteinander verbinden. Mitbestimmung, Betriebsrat und auch die Gewerkschaften werden nicht als Hindernis für die Unternehmensentwicklung, sondern als mitentscheidend für den Unternehmenserfolg angesehen. Organisierte Beteiligung gewinnt strategische Bedeutung und soll die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens stärken. Begründet wird dies vor allem mit den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wodurch sich nicht nur die Anforderungen an die Unternehmenspolitik und das Management verändert haben, sondern auch die Anforderungen an die Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, eben die Betriebsräte. Gefordert ist der professionell arbeitende und unternehmenspolitisch mitdenkende Betriebsrat [9]. Co-Management steht für eine Betriebspolitik, wonach an die Stelle der Klassenauseinandersetzung die soziale Partnerschaft tritt. In diesem Konzept übernehmen die Betriebsräte Verantwortung auch für den Betrieb und das Unternehmen, dessen Wettbewerbsfähigkeit als Basis eben auch für die Wahrnehmung der Interessen der Belegschaft gilt. In diesem Konzept eingeschlossen sind weitgehende Beteiligungsrechte im Hinblick auf die Gestaltung der betrieblichen Strukturen und Abläufe. Und es eröffnen sich durchaus auch Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die unternehmerische Investitionspolitik. Die grundsätzliche Konsensorientierung dieser Konzepte bedeutet allerdings keineswegs, dass Konflikte ausgeschlossen sind. Vielmehr macht sich auch hier das Spannungsverhältnis von Kapital und Arbeit geltend. Allerdings ist der Interessengegensatz von Kapital und Arbeit nicht mehr
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konstitutiv für Anlage und Inhalt der Politik von Betriebsräten und Gewerkschaften im Betrieb. So sehr im Konzept des Co-Management die aktive Beteiligung des Betriebsrats an der Unternehmensentwicklung betont wird, so ist doch auch klar, dass die unternehmerischen Zielsetzungen der Wettbewerbsfähigkeit dominieren und Mitbestimmung in diesen Bezugsrahmen integriert wird. Der Begriff des CoManagements suggeriert eine gleichberechtigte Stellung von Management und Betriebsrat, die es so nicht gibt. Vielmehr haben wir es in Unternehmen und Betrieb mit einem strukturellen Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit zu tun, was sich u. a. auch darin ausdrückt, dass der Betriebsrat keine wirtschaftliche Mitbestimmung hat. Hinzu kommt, dass auch in der Betriebspolitik die Unternehmensstrategie und damit die zentralen unternehmenspolitischen Entscheidungen kaum hinterfragt werden. Nicht die Unternehmenspolitik selbst, sondern die daraus abgeleiteten Prozesse und Maßnahmen bilden das Handlungsfeld von Betriebsräten [10]. Der Einfluss auf das betriebliche Geschehen hängt stark von der eingeschlagenen Unternehmenspolitik ab. Die Orientierung der Unternehmenspolitik am „shareholder value“ führt zu einer Ausrichtung an der kurzfristig hohen Rendite. Betrieblich äußert sich dies in verschärften Rationalisierungs- und Restrukturierungsprozessen, bei denen die Senkung der Arbeitskosten im Vordergrund steht. Die wertschöpfende Seite der Arbeit tritt in den Hintergrund. Es wird stärker auf den kurzfristigen Erfolg und weniger auf die Entwicklung der Potenziale im Unternehmen im Sinne einer langfristigen Perspektive gesetzt. Im Konzept des „shareholder value“ oder der „wertorientierten Unternehmensführung“ wird das Unternehmen in erster Linie als Finanzanlage mit Verzinsungsanspruch und weniger als Wertschöpfungszusammenhang gesehen. Damit hat auch die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Vertretung nicht den Stellenwert, den sie in Zusammenhang mit einer auf Nachhaltigkeit angelegten Strategie hat. Den Marktanforderungen zu genügen, im Wettbewerb zu bestehen und nachhaltig Standort und Arbeitsplätze zu sichern, erfordert eine andere als den „shareholder value“ in den Mittelpunkt stellende Politik. So wird auch aus Managementsicht zunehmend
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kritisiert, dass der „Shareholder value“-Ansatz die eigentlich erfolgsrelevanten Elemente verkennt und damit keine Orientierung für dauerhaft gut geführte Unternehmen sein kann [11, 12]. Gefordert ist vielmehr eine nachhaltige, also eine mittel- und langfristig ausgerichtete Unternehmenspolitik, die das Unternehmen als Wertschöpfungszusammenhang begreift, in der die Arbeit und damit die Beschäftigten den zentralen Ansatzpunkt darstellen, und die Entwicklung der eigenen Potenziale in den Vordergrund stellt.
Literatur 1. Niedenhoff, H.-U.: Die Praxis der betrieblichen Mitbestimmung. Köln: Deutscher Institutsverlag 1999 2. Schäfer, C.: Die WSI-Befragung von Betriebs- und Personalräten 2004/05 – Ein Überblick. WSI-Mitteilungen (2005) 6 3. Zink, K. J.: TQM als integratives Managementkonzept. München: Hanser Wirtschaft 1995 4. Bierbaum, H.; Houben, M.; Schmidt, M.: Nutzen und Kosten der Mitbestimmung – Quantitative Analysen und qualitative Aspekte zur Mitbestimmungsreform. Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, 2001 5. Bierbaum, H.; Houben, M.: Kosten und Nutzen der Mitbestimmung in KMU. Gutachten im Auftrag der IG Metall, 2005 6. Niedenhoff, H.-U.: Die direkten Kosten der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung aus den Jahren 2003/2004, Köln: 2004 7. Wassermann, W.: Betriebsräte. Akteure für Demokratie in der Arbeitswelt. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2002 8. Arbeitskammer des Saarlandes: Bericht an die Regierung des Saarlandes 2005. Schwerpunktthema: Weiterbildung im Saarland – Handlungsfeld zwischen Wünschen und Wirklichkeiten. Saarbrücken: 2005 9. Hartz, P.: Zwischen Mitbestimmung und Co-Management – eine Ortsbestimmung der Beteiligungsidee. In: Klitzke, U.; Betz, H.; Möreke, M. (Hrsg.): Vom Klassenkampf zum CoManagement? Perspektiven gewerkschaftlicher Betriebspolitik. Hamburg: VSA Verlag 2000 10. Bierbaum, H.: Moderne Unternehmenskonzepte und CoManagement. In: Klitzke, U.; Betz, H.; Möreke, M. (Hrsg.): Vom Klassenkampf zum Co-Management? Perspektiven gewerkschaftlicher Betriebspolitik. Hamburg: VSA Verlag 2000 11. Malik, F.: Die neue Corporate Governance. 3. Aufl., Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch 2002 12. Malik, F.: Die verlorene Generation. DIE ZEIT vom 1.12.2005
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Unternehmenscontrolling
Inhaltsangabe 13.1
Erneuerung des Controllings . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Controlling im Umbruch . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Auf dem Weg zum „New Controlling“ . . 13.1.3 Die Arbeitsschritte zur Erneuerung des Controllings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4 Der Controller der Zukunft als „Business Partner“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.4.5 949 949 950 952 956
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
956
13.2
956 957
Visualisierung als Controlling-Instrument . . . . 13.2.1 Visualisierung im Produktionsbetrieb . . . 13.2.2 Verhaltens- und leistungsbezogene Visualisierungsinstrumente . . . . . . . . . . . 13.2.3 Steuerungs- und materialflussorientierte Visualisierungsinstrumente . . . . . . . . . . . 13.2.4 Betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente . . . . . . . . . . . 13.2.5 Instrumente zum Controlling unternehmensspezifischer Programme . . 13.2.6 Analyse der Wirkung der Visualisierung 13.2.7 Fallbeispiel: Logistik-Controlling durch Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
964
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
964
13.3
958 960 961 961 962
Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Führung teilautonomer Leistungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Führungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Projektvorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . .
965 967 982
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
985
13.4
964
Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985 13.4.1 Anforderungen an die Unternehmen . . . . 985 13.4.2 Herausforderungen des Controllings dezentraler Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 986 13.4.3 Centererfolgsrechnung und -konzeption . 993 13.4.4 Operative Jahresplanung . . . . . . . . . . . . . 1000
Bullinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmensorganisation, © Springer 2009
13.4.6 13.4.7
Teamorganisation und Centerorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1006 FIS-Unterstützung für das centerorientierte Unternehmen . . . . . . . . 1007 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009 13.5
Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität . . . 13.5.1 Die Notwendigkeit für ganzheitliches Kostenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.2 Klassische Kostensenkungsinstrumente greifen nicht mehr im nötigen Ausmaß . 13.5.3 Voraussetzungen für eine effektive Kostengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.4 Die wichtigsten Ansätze für ein ganzheitliches Kostenmanagement . . . . . 13.5.5 Reporting über Kosten und Produktivität – Cost Driver-Controlling als Voraussetzung für dauerhafte Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1010 1010 1011 1012 1013
1018
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1018
13.1 Erneuerung des Controllings 13.1.1 Controlling im Umbruch Zur zielorientierten Steuerung einer Organisation bedarf es eines effektiven und effizienten Controllingsystems [1]. Das Controllingkonzept ist ausgereift und bewährt. Dennoch hat das Controlling in den letzten Jahren einen wesentlichen konzeptionellen Entwicklungsschub erfahren. Der Controller, der meist Teil des 949
950
Führungsteams ist, soll nicht nur einen „begleitenden betriebswirtschaftlichen Service“ liefern, sondern den Managementprozess „gestalten und begleiten“. Damit wird er zum aktiven Mitgestalter der Unternehmenssteuerung. Das Controllerleitbild wurde in Richtung dieser „Business Partnership“ weiterentwickelt (vgl. Abb. 13.1). Trotz dieser Weiterentwicklung wird immer wieder Kritik am Controlling laut. Diese Kritik am Controller bzw. am Controlling rührt daher, dass heute die Wahrnehmung der im Leitbild vorgesehenen Funktionen den vielerorts real existierenden Controllingsystemen nicht gelingt. Das Controlling sei zu langsam, zu bürokratisch und liefere die falschen Zahlen [4]. Adäquat zu den Führungsaufgaben soll auch das Controlling gestaltet werden. Dies bedeutet: Aufgabenverständnis, Organisation und Instrumentarium des Controllings müssen den zwei heute dominierenden Herausforderungen an die Unternehmensführung – zunehmende Marktdynamik bzw. -turbulenz und Globalisierung – angepasst werden. Die kritischen Erfolgsfaktoren der Führung und damit auch die Struktur des Zielsystems verändern sich in Folge grundlegend. Hieraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, das Controlling den neuen Herausforderungen anzupassen, d. h. zu erneuern. Gelingt dies nicht, bekommt das Unternehmen gravierende Steuerungsprobleme. So ist die zentrale Steuerungsgröße im Wettbewerb der Gegenwart „Time to market“. Der Faktor Zeit entscheidet über den Wettbewerbserfolg [5]. Ein Unternehmen, dessen Controllingsystem in dieser Situation weiterhin allein mit der Hauptsteuerungsgröße „Kosten“ operiert, hat keine Überlebenschancen. Hinzu kommt, dass das Internet weltweit Preistransparenz schafft. Jeder Versuch, eine Strategie nur auf Kostenführerschaft aufzubauen, muss scheitern. Wir können konstatieren, dass sich das Controlling heute in vielen Unternehmen im Umbruch befindet, weil dies schlicht eine Überlebensnotwendigkeit darstellt [6]. In diesem Beitrag ist von Unternehmen und anderen Organisationen die Rede, die ihr Controllingsystem ständig auf dem neuesten Stand halten. Eine weitere wichtige Entwicklung findet in Unternehmen und Organisationen statt, die bisher noch nicht über ein ausgebautes Controllingsystem verfügen. Man kann heute einen geradezu stürmischen Prozess der Controllingneu-
13 Unternehmenscontrolling
einführung in solchen Organisationen registrieren, besonders in der öffentlichen Verwaltung. Bei Neueinführungen ist es wichtig, dass ein Controlling im Sinne des IGC-Leitbildes aufgebaut wird und nicht Lösungen der Vergangenheit rekonstruiert werden.
13.1.2 Auf dem Weg zum „New Controlling“ Die in der Praxis bereits sichtbaren Veränderungen – die durch einschlägige Veröffentlichungen vorangetrieben bzw. beschrieben werden [7] – sind so umfassend, dass es nicht vermessen scheint, von „New Controlling“ zu sprechen. Die Veränderungen betreffen sowohl Aufgaben, als auch Organisation und Instrumentarium des Controllings. Hieraus ergibt sich eine Veränderung im Selbstverständnis des Controllers, was im IGC-Leitbild 2005 bereits zum Ausdruck kommt. Wir wollen im Folgenden die wesentlichen Veränderungen, geordnet nach den eben angesprochenen Themenkreisen, kurz darstellen (vgl. Abb. 13.2).
13.1.2.1 Die Aufgaben Die Aufgaben des klassischen Controllers sind aus der unternehmensinternen Arbeitsteilung hervorgegangen. Um den Manager zu entlasten, wurden ihm planende, kontrollierende, koordinierende und informationsversorgende Aufgaben übertragen. Hierbei dominierte in der Tat der kontrollierende Anteil der Aktivitäten, in vielen Fällen konnte man von Fremdsteuerung sprechen. Das Feedback herrschte vor und der Controller war ausschließlich auf die unternehmensinterne Effizienz konzentriert. Zwar entstand Anfang der Achtziger Jahre das strategische Controlling, jedoch war – und ist – seine Einbindung in das operative Controlling unzureichend. Organisatorische Schnittstellenprobleme und Informationsmangel sind an der Tagesordnung. Die Neuentwicklung ergibt sich aus den Erfordernissen des schneller werdenden Wettbewerbs: Manager müssen höhere Anteile an planenden, kontrollierenden und koordinierenden Aktivitäten selbst wahrnehmen, damit eine zeitnahe Reaktionsfähigkeit ermöglicht wird. Der Manager muss z. T. wieder sein eigener Controller sein, d. h. „Selbstcon-
13.1 Erneuerung des Controllings
951
Controller Leitbild 1996
Controller Leitbild 2005
Controller leisten begleitenden betriebswirtschaftlichen Service für das Management zur zielorientierten Planung und Steuerung.
Controller gestalten und begleiten den Management-Prozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit Mitverantwortung für die Zielerreichung.
Das heißt: Controller sorgen für Ergebnis- und Strategietransparenz.
Das heißt:
Controller koordinieren Teilziele und Teilpläne ganzheitlich und organisieren unternehmensübergreifend zukunftsorientiertes Berichtswesen.
Controller sorgen für Strategie-, Ergebnis-, Finanz-, Prozesstransparenz und tragen somit zu höherer Wirtschaftlichkeit bei.
Controller sichern die Daten- und Informationsversorgung der Entscheidungsträger.
Controller koordinieren Teilziele und Teilpläne ganzheitlich und organisieren unternehmensübergreifend das zukunftsorientierte Berichtswesen.
Controller tragen in aktiver sowie innovativer Mitarbeit zu mehr Wirtschaftlichkeit im System bei und müssen erreichen, dass jede Führungskraft in ihrer ökonomischen Verantwortlichkeit sich selbst steuern kann.
Controller moderieren und gestalten den Management-Prozess der Zielfindung, der Planung und der Steuerung so, dass jeder Entscheidungsträger zielorientiert handeln kann.
Controller sind die internen betriebswirtschaftlichen Berater aller Entscheidungsträger und wirken als Lotse zur Zielerreichung.
Controller leisten den dazu erforderlichen Service der betriebswirtschaftlichen Daten- und Informationsversorgung. Controller gestalten und pflegen die Controllingsysteme. Controller sind die internen betriebswirtschaftlichen Berater aller Entscheidungsträger und wirken als Navigator zur Zielerreichung.
Abb. 13.1 Controllerleitbild der International Group of Controlling (IGC) [2] 1996 und 2005
“NEW”
Aufgaben
Organisation
Instrumente
Selbstverständnis
“OLD”
1.
Selbststeuerung unterstützend, feedforward
fremdsteuernder, insbes. kontrollierender Anteil hoch; feedback
2.
Marktorientierung
interne Orientierung überwiegt
3.
Operative und strategische Ausrichtung integrierend
Schnittstellenprobleme zwischen operativem und strategischem Controlling
4.
Ganzheitliche und prozessorientierte Organisation
Starre funktional-divisionale sowie tayloristische Ausrichtung
5.
beginnt in den frühen Phasen, ist wertkettenbezogen
Start in der Produktionsphase; keine Wertkettenorientierung
6.
Servicecenter (Profitcenter), (z. T.) extern wahrgenommen
Stab, Costcenter, ausschließlich intern wahrgenommen
7.
alle Informationsdimensionen integrierend
rechnungswesenfokussiert
8.
am Unternehmenswert ausgerichtet
am Periodenergebnis ausgerichtet
9.
IT-Potenziale aktiv nutzend
auf IT reagierend
10. Change Agent, Berater, Business Partner, Produkt-, Kunden-, und Prozesskenner
“Wachhund” Controlling-Tool-Experte
Abb. 13.2 New Controlling: 10 Antworten auf die Turbulenz
trolling“ nimmt zu. Der Markt dominiert das Unternehmensgeschehen. Der Informationsfluss für das Controlling hat im Markt beim potenziellen Kunden zu beginnen. Feed-forward-Informationen werden für den Markterfolg entscheidend und operatives und strategisches Controlling müssen eine Einheit bilden.
13.1.2.2 Die Organisation Die wettbewerbsbedingten Veränderungen der Organisationsstrukturen und -prozesse führten auch zu entsprechenden Weiterentwicklungen in der Organisation des Controllings. Im klassischen Controlling ist meist eine stark funktional-divisional orientierte De-
952
zentralisierung vorzufinden. Jede Funktion (z. B. Einkauf) oder Division (z. B. Bereich Pkw) hat einen Controller, der diesen meist disziplinarisch zugeordnet ist und dem Zentralcontroller berichtet. Innerhalb des Controllings gibt es eine starke Spezialisierung im Sinne einer tayloristischen Arbeitsteilung (z. B. Kostenstellen-Controller). Die klassische Controllingabteilung hatte oder hat Stabscharakter und ist als Cost Center aufgestellt. Alle Controllingaufgaben werden „hausintern“ wahrgenommen. Die Controllingarbeit konzentriert sich auf die Produktionsphase; die Produktentstehungsphase wird nur rudimentär betreut. Das „New Controlling“ ist auf die wesentlichen Geschäftsprozesse des Unternehmens fokussiert und ist selbst prozessorientiert organisiert. Die einzelnen Controllingprozesse (z. B. Budgetierungsprozess) bringen definierte und kalkulierte Produkte hervor (z. B. Monatsberichte), die dem „Kunden“ im Unternehmen angeboten werden. Das Controlling ist ein Servicecenter, das kundenorientierte Serviceleistungen produziert. Es kann auch mit externen Dienstleistern im Wettbewerb stehen. Nicht die Spezialisierung, sondern die umfassende Betreuung der „Kunden“ steht im Mittelpunkt der organisatorischen Ausrichtung. In der Arbeit des Controllers ist eine starke Akzentverschiebung festzustellen: Controlling „beginnt“ in den frühen Phasen der Produktentstehung und ist an der Beantwortung der wesentlichen strategischen Fragestellungen beteiligt (z. B. Welches Lebenszyklusergebnis wird bzw. muss das neue Produkt haben?).
13.1.2.3 Die Instrumente Die stärksten Veränderungen im Controlling kommen vom Instrumentarium her. Das klassische Instrumentarium des Controllers ist das interne Rechnungswesen, wie es mit dem Aufkommen der industriellen Massenfertigung entstand. Die Verfahren der Voll- und Teilkostenrechnung, basierend auf der Differenzierung zwischen fixen und variablen Kosten, sind heute noch überall im Einsatz. Ihr großes Problem ist, dass sie die neuen Kostenstrukturen mit den dominierenden, fixen Gemeinkosten nicht transparent machen und damit falsche Steuerungssignale setzen. Diese Verfahren sind nicht markt- und kundenorientiert, sondern beziehen sich auf die interne Effizienz des Produktionsprozesses. Die oberste finanzielle Zielgröße ist das
13 Unternehmenscontrolling
Periodenergebnis bzw. daraus abgeleitete Kennzahlen (z. B. Umsatzrentabilität oder Return on Investment). Die Informationstechnologie wird nicht aktiv und gestaltend in das Controllingsystem einbezogen. Das neue Controlling trägt den neuen Strukturen und Prozessen im Unternehmen Rechnung. Die Kosten- und Leistungsrechnung hat die Prozesse im Fokus (Prozesskostenrechnung) [8] und ist markt- bzw. kundenorientiert (Target Costing) [9]. Die Steuerung strebt eine Integration zwischen finanziellen und nicht finanziellen Steuerungsgrößen an, die allesamt Strategiebezug besitzen müssen (Balanced Scorecard) [10]. Die oberste finanzielle Steuerungsgröße ist der Unternehmenswert (Shareholder Value) [11]. Die Potenziale der Informationstechnologie werden aktiv für die Zwecke des Controllings genutzt [12].
13.1.2.4 Das Selbstverständnis Ein neues Controlling wird nur dann Realität, wenn sich das Selbstverständnis der Controller weiterentwickelt. Ein Controller darf sich nicht mehr auf eine Rolle als „Wachhund“ der Unternehmensführung beschränken lassen. Er muss den Wandlungsprozess als „Change Agent“ vorantreiben und zum „Business Partner“ des Managements werden. Dazu reicht es nicht, Experte für Controllinginstrumente zu sein; gefordert wird die Expertise für Produkte, Kunden und Prozesse.
13.1.3 Die Arbeitsschritte zur Erneuerung des Controllings Die umfassende Erneuerung des Controllings ist ein Reengineeringprojekt, d. h., es geht um die radikale Umgestaltung des gesamten Aufgabenbereichs. Hier stellen sich sicherlich die grundlegenden, abwägenden Überlegungen zwischen schrittweisen Verbesserungen und dem „großen Wurf“. Soll das Controlling in seiner Ausrichtung und in seinen Prozessen bzw. Strukturen verändert werden, so genügen nicht die inkrementalen Umgestaltungsmaßnahmen. Wir vertreten die Auffassung, dass sich Führung und Controlling angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks grundlegend verändern müssen. Damit sei auch zum Ausdruck gebracht, dass eine Erneuerung des Control-
13.1 Erneuerung des Controllings
lings nicht isoliert von Veränderungen in Strategie und Führungssystem stattfinden kann. Das im Folgenden dargestellte Vorgehenskonzept geht von dieser Grundvoraussetzung aus (vgl. Abb. 13.3).
13.1.3.1 Controlling positionieren Der Ausgangspunkt des Erneuerungsprojekts ist das Herausarbeiten der existenten Rahmenbedingungen für das Controlling: • In welchem Wettbewerbsumfeld (national bzw. international) ist das Unternehmen tätig? • Welche Strategie wird verfolgt? • Wie ist das Führungssystem beschaffen? • Welche Veränderungsbereitschaft besteht bei der Führung? • Welches Selbstverständnis hat das Controlling, wie wird es von den „Kunden“ gesehen? Es muss klar sein, dass das Controllingsystem den hier definierten Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Ein Beispiel beleuchtet diesen Punkt: Die Kostenführerschaft als Strategie verlangt eine andere Kosten- und Leistungsrechnung als die Differenzierungsstrategie. Im ersten Fall kommt es auf eine detaillierte Kostenplanung und -verfolgung an; im zweiten Fall geht es um die Kostenauswirkungen von Variantenveränderungen. Die Frage zum Eigen- und Fremdbild des Controllings ist wichtig, damit ggf. abzubauende Diskrepanzen deutlich werden (z. B.: Wurde bisher der Controller als Kontrolleur oder als interner Berater wahrgenommen?).
13.1.3.2 Controllingsystem analysieren Voraussetzung für die Umgestaltung ist eine Prozessanalyse des bestehenden Controllingsystems. • Welche Haupt- und Teilprozesse gibt es (z. B. Planungsprozess, Berichtsprozess, Prozess der Kostenrechnung, etc.)? • Welche Kosten-, Zeit- und Qualitätskenngrößen kennzeichnen die Controllingprozesse (z. B. Was kostet die Erstellung eines Monatsberichts und wie zeitnah geschieht dies?)?
953
• Was sind die wesentlichen Controllingprodukte (z. B. Budgets, Beratungsgespräche, Kalkulationen, etc.)? • Wie ist die Kundenzufriedenheit mit den Controllingprodukten? • Welchen zusätzlichen Bedarf gibt es an Controllingleistungen? Durch die Identifikation der existierenden Controllingprozesse erhält man ein Bild der Prozessstruktur. In der Regel ist dies auch schon ein großer Fortschritt, weil im klassischen Controlling die funktionale Struktur dominiert und keine Kenngrößen der Leistung existieren. Eine Kundenzufriedenheitsanalyse dürfte ebenfalls neu sein.
13.1.3.3 Benchmarking durchführen Wichtige Anhaltspunkte für die Neugestaltung erhält man über Benchmarking, insbesondere über Prozessbenchmarking des Controllings. • Wie sind Controllingsysteme und -prozesse anderer Unternehmen strukturiert (z. B. Wie sind Planungssysteme untergliedert)? • Wie sind die Prozesskenngrößen des Controllings in anderen Unternehmen? • Was lässt sich als „best practice“ bezeichnen? Wesentlich ist, dass bei Vergleichen eine Einflussgrößenanalyse stattfindet. Benchmarking-Informationen sind ohne Berücksichtigung der speziellen Situation des analysierten Unternehmens wertlos bzw. sogar irreführend (z. B. sind Informationen über Produktlebenszyklen unerlässlich, wenn man die Zeitnähe von Controllinginformationen beurteilen will). Eine solche Ursachenanalyse hat Unternehmensgröße, -branche, Wettbewerbssituation u. ä. selbstverständlich auch zu berücksichtigen. In der Praxis kommt man vielfach mit Sekundäranalysen bereits zurecht, weil viele empirische Analysen, Fallbeispiele u. ä. publiziert werden (vgl. z. B. die Zeitschriften „Controlling“ oder „Controller Magazin“).
13.1.3.4 Neue Methoden und Instrumente beurteilen und auswählen Nachdem man den Strategie- und Managementbezug hergestellt, die Kundenzufriedenheit und -bedarfe
954
13 Unternehmenscontrolling
7. Lern- und Veränderungsprozeß steuern
Personalauswahl und entwicklung Trainingsprogramme Migration Champions Motivationsanreize
1. Controlling positionieren
Umfeldbezug Strategie- und Managementbezug Veränderungsbereitschaft Selbstverständnis des Controllings und Fremdbild
Realisierungszeitplan Budgets Projektmanagement Realisierungscontrolling
5. Neues Controlling-Design
Vernetzung der Controllingmethoden und -instrumente Kunden-, Prozeß- und Zukunftsorientierung Aufgaben, Organisation u. Prozesse Modifikation bestehender Instrumente/Methoden
Haupt- und Teilprozesse Kosten-, Zeit und Qualitätskenngrößen Controllingprodukte Kundenzufriedenheit/-bedarf
3. Benchmarking durchführen
6. Maßnahmen umsetzen
2. Controllingsystem analysieren
qualitative Benchmarks quantitative Benchmarks Ursachenanalysen Verbesserungsansätze
4. Neue Methoden und Instrumente
Methodenübersicht Unternehmensspezifische Auswahl und Anpassung
Abb. 13.3 Die 7 Schritte zur Erneuerung des Controllings
kennen gelernt und sich über „best practice“ informiert hat, ist man in der Lage, Methoden und Instrumente zu sichten, bzw. auszuwählen, die für das neu zu gestaltende Controllingsystem geeignet wären. Dieser Schritt stellt zunächst eine grundsätzliche Weichenstellung für die Systemgestaltung dar. Es geht darum, aus dem Methoden- und Instrumentenvorrat des aktuellen Controllings diejenige Kombination auszuwählen, die in der gegebenen Unternehmenssituation die höchste Wirksamkeit verspricht. Es sind die Methoden und Instrumente für die folgenden Themenkomplexe zu bestimmen: • • • • •
Strategiefindungsprozess, Strategieumsetzungsprozess, Prozess der operativen Planung und Steuerung, Reportingprozess, Informationsversorgungsprozess.
Dahinter stecken Entscheidungen von großer Tragweite, z. B.: Will man ein Value-Based-Management aufbauen? Soll die Balanced Scorecard zum Rückgrat des Planungs- und Steuerungsprozesses werden? Ist Target-Cost-Management einzuführen? Stellt man das bestehende Kostenrechnungssystem flächendeckend auf die Prozesskostenrechnung um? 13.1.3.5 Neues Controllingsystem entwerfen Hierbei geht es nicht nur um einzelne Systembausteine, sondern auch um deren Verknüpfung, „Customizing“ und informationstechnologische Realisierung.
Die Aufgabe ist der Entwurf des neuen Controllingsystems (Aufgaben, Organisation, Prozesse und Instrumentarium). Dieses wird drei wesentliche, neue Systemmerkmale haben: 1. Die Arbeitsteilung zwischen Controller und Manager muss neu formuliert werden: Soviel Selbstcontrolling wie möglich, soviel Fremdcontrolling wie nötig. Der erste Schritt ist, die Kernaufgaben („Value Added“) des Controllings unternehmensspezifisch festzulegen, da in vielen Unternehmen die Aufgaben des institutionalisierten Controllings unklar definiert und mit fachfremden Aufgaben überladen sind. Die Kernaufgabe des Controllers ist die Unterstützung des Managements mit ergebnisrelevanten Informationen. Jedoch besitzt heute das Management in vielen Unternehmen ein gutes betriebswirtschaftliches Know-how, so dass ein Controller als generelles „betriebswirtschaftliches Gewissen“ nicht mehr benötigt wird. Wichtiger ist die spezifische Unterstützung mit fachlicher Vertiefung auf bestimmten Gebieten (z. B. neue Instrumente wie Shareholder-Value). 2. Die Gewichtung zwischen zentralem und dezentralem Controlling muss zugunsten des dezentralen Controllings verschoben werden. Alle operativen Steuerungsaufgaben müssen konsequent dezentralisiert werden! Das heutige Controlling ist zu „kopflastig“, da durch die große Entfernung vom Tagesgeschäft zu viele Detailinformationen verlangt werden. Durch umfangreiche Kom-
13.1 Erneuerung des Controllings
955 Business partnering
Decision support 10% Role transformation Control 30% Reporting 20%
Decision support 50%
Process redesign
Value added services Transaction processing 40%
Control 10% Reporting 20%
Integrated systems
Transaction processing 20%
Cost Costreduction reduction
Abb. 13.4 Auf dem Weg zum „Business Partner“ [6]
mentierung der Berichte, zahlreiche Meetings und Abstimmungen und dementsprechendem zeitlichem Aufwand wird versucht, diese Überfrachtung auszugleichen. Das Controlling muss daher konsequent dezentralisiert werden, wobei die „Dotted Line“ des dezentralen zum zentralen Controlling auf das Notwendigste zu beschränken ist. Natürlich dürfen dabei die Grenzen der Dezentralisierung des Controllings nicht übersehen werden: • unternehmensweite Einheitlichkeit in bestimmten Fällen, z. B. Berichtskonsolidierungsgrundsätze, • Vermeidung von Doppelarbeiten, z. B. auf dem Gebiet der Informationsbeschaffung, • erforderliche Know-how-Konzentration in speziellen Fällen, z. B. Spezial-Know-how auf dem Gebiet der Unternehmensmodelle. Zentralisation und Dezentralisation sind keine Gegensätze, sondern müssen in einem „gesunden“ und sinnvollen Maß aufeinander abgestimmt werden! 3. Das Controlling selbst muss prozessorientiert neu entworfen werden: Es gilt, einen durchgängigen, schnellen und einfachen Controllingprozess zu schaffen. Der Kernprozess des Controllings ist der Planungs- und Steuerungsprozess, der jedoch häufig durch Schnittstellen segmentiert ist:
Sachziel- und formalzielorientierte Planung sind getrennt, und die strategische und operative Planung bilden keine prozessuale Einheit. In manchen Unternehmen sind mehrere Abteilungen für den Planungsprozess zuständig, wodurch ein „Process Owner“ für den gesamten Planungsprozess nötig wird. Auch die Integration der Controllingprozesse mit anderen Prozessen ist möglich. Prozessorientierung bedeutet für das Controlling auch Unterstützung des Managements bei der Gestaltung von Steuerungsprozessen.
13.1.3.6 Maßnahmen umsetzen Die Realisierung eines neuen Steuerungssystems ist ein Großprojekt, dessen Verwirklichung mehrere Jahre benötigt. Für ein solches Projekt gelten alle Regeln, die für das Projektmanagement und -controlling konzipiert worden sind. In besonderem Maße ist bei der Neugestaltung des Controllings die Unterstützung und Mitwirkung der Unternehmensführung erforderlich. Die Unternehmensführung ist zunächst der wichtigste Kunde des Controllings; sie ist als Machtpromotor Realisierungsermöglicher. Das „New Controlling“ ist zugleich ein IT-Projekt. Softwareauswahl und -adaption sind daher in den Realisierungsplan zu integrieren.
956
13.1.3.7 Lern- und Veränderungsprozess steuern Der Erfolg von Veränderungsprojekten ist in erster Linie durch Lernprozesse zu erreichen. Der Aufbau eines neuen Controllingsystems verlangt einen doppelten Lernprozess: • Zunächst sind die Controller selbst diejenigen, die beträchtlich dazu- bzw. umlernen müssen. Das Denken in Prozessen, Markt- und Kundenorientierung und Einbeziehung von nichtfinanziellen Größen in die Steuerung sind nur einige Beispiele, die das Ausmaß der notwendigen mentalen Umstellung zeigen. • Das Gleiche gilt für die Kunden des Controllings. Diese sind nicht nur Mitglieder der Geschäftsführung, sondern Entscheider auf allen Organisationsebenen. Sofern sich bereits langjährig praktizierte Methoden und Abläufe in den Köpfen festgesetzt haben, wird die Umstellung nicht einfach sein. Langfristig wird ein neuer Typ des Controllers verlangt. Daher ist ein gezieltes Personalauswahl- und Personalentwicklungsprogramm zu erarbeiten. Nach Möglichkeit sollte das Projekt durch eigene Mitarbeiter und v. a. durch einen Projektleiter aus dem eigenen Unternehmen realisiert werden. Sicher ist in vielen Fragen Berater-Know-how erforderlich. Der Erfolg wird sich aber nur dann einstellen, wenn interne Fachkräfte den Veränderungsprozess vorantreiben.
13.1.4 Der Controller der Zukunft als „Business Partner“ Die beschriebenen Veränderungen sind bereits in vollem Gange. Die Empirie zeigt, dass die führenden Unternehmen hier bereits in den nächsten Jahren beträchtliche Veränderungen erwarten. Abbildung 13.4 zeigt, an welchen Refokussierungsschwerpunkten die Verantwortlichen großer Unternehmen arbeiten. Zusammenfassend lässt sich plakativ formulieren: Mehr Controlling mit niedrigeren Kosten [13]! Noch eine unerlässliche Anmerkung: Ein Controllingsystem ist niemals „fertig“. Seine Weiterentwicklung und Anpassung an die sich verändernden Anforderungen ist eine immerwährende Aufgabe.
13 Unternehmenscontrolling
Literatur 1. Horváth, P.: Controlling. 11. Aufl. München: Vahlen 2008 2. International Group of Controlling (Hrsg.): ControllerWörterbuch. 3. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2005 3. Biel, A.: Interview „Controllingaspekte im Lichte neuer empirischer Erkenntnisse“. Controller-Magazin 26 (2001) 4, S. 323–332 4. Johnson, H. T.; Kaplan, R. S.: Relevance Lost – The Rise and Fall of Management Accounting. Boston: Harvard Business School Press 1987 5. Fine, Ch.: Clockspeed – Wie Unternehmen schnell auf Marktveränderungen reagieren können. Hamburg: Hoffmann und Campe 1999 6. Price Waterhouse Financial & Cost Management (Hrsg.): CFO-Architekt of the Corporation’s Future. New York: 1997, S. 3 7. Rieder, L. (Hrsg.): Controllers Zukunft. Zürich: Orell Füssli 1997 8. Horváth & Partner (Hrsg.): Prozesskostenmanagement. 2. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2005 9. Ansari, S. L.; Bell, J. E.: Target Costing – The Next Frontier in Strategic Cost Management. London: Irwin Professional Pub 1997 10. Kaplan, R. S.; Norton D. P.: Balanced Scorecard. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 1997 11. Rappaport, A.: Shareholder Value. 2. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 1999 12. Horváth, P.; Rieg, R.: Grundlagen des strategischen ITControllings. HMD 217 (2001), S. 9–17 13. Horváth, P.: Überlebt der Controller den Strukturwandel? Handelsblatt Nr. 163 vom 22.08.1996
13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument Im Rahmen einer zunehmend vernetzten Geschäftswelt nimmt die Komplexität innerhalb und außerhalb der Unternehmen zu. Wesentlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen ist die Verarbeitung von komplexen Daten und Fakten zu Informationen und deren entsprechende Nutzung. Auf Mitarbeiterebene wird in den Unternehmen vielfach über mangelnde Informationen zur Entscheidungsunterstützung geklagt. Darüber hinaus sind Informationen zur zielorientierten Steuerung von Arbeitsprozessen und für ein aktives Selbstcontrolling erforderlich. Mitarbeiter werden immer mehr zu Mitunternehmern, die eigenverantwortlich im Sinne der Unternehmensziele handeln [1]. Die Visualisierung erweist sich in dieser Hinsicht als effizientes Controlling-, Informations- und Kommunikationsinstrument.
13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument
Die Visualisierung von Informationen über Arbeitsabläufe und -ergebnisse ergänzt herkömmliche Controlling-Instrumente und erhöht die innerbetriebliche Transparenz. Mittels des visuellen Managements werden Sachverhalte bildhaft nach dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ dargestellt. Insbesondere im Rahmen von Gruppenarbeit und dem betrieblichen, kontinuierlichen Verbesserungsprozess dient die Visualisierung als Kommunikationsmedium. Das Vorgehen des visuellen Managements ist durch einen funktions- und hierarchieübergreifenden Einbezug von Mitarbeitern und Führungskräften gekennzeichnet. Die Techniken des visuellen Managements lösen zeitintensive und bürokratische Kommunikationstechniken ab und werden in die Arbeitsprozesse eingebunden. Die Visualisierungsinstrumente gliedern sich grundsätzlich in verhaltens- und leistungsbezogene, steuerungs- und materialflussorientierte sowie betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente. Die Anwendung der Visualisierung als ControllingInstrument erfordert den Einsatz verschiedener, aufeinander abgestimmter Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen. Informationstafeln, Aushänge, Plakate, Schaukästen, Broschüren und Filme kommen als verhaltens- und leistungsorientierte Visualisierungsinstrumente zur Anwendung. Steuerungs- und materialflussorientierte Instrumente wie Sicht- oder SignalKanbans und Zeitplantafeln unterstützen die Mitarbeiter bei der Steuerung und Kontrolle des Materialflusses und des Fertigungsfortschritts, sie bilden eine wichtige Grundlage für die Übertragung von Steuerungs- und Kontrollfunktionen an die Mitarbeiter. Betriebsmittelbezogene Instrumente wie Ampelsysteme werden als visuelle Hilfsmittel zur Kontrolle der Anlagen eingesetzt. Problemlösungs- und Informationstafeln mit programmspezifischen Inhalten zielen auf das visuelle Controlling unternehmensspezifischer Programme ab. Vielfach basiert die Visualisierung auf den Kennzahlen einer Balanced Scorecard.
13.2.1 Visualisierung im Produktionsbetrieb Die Visualisierung ermöglicht die Selbststeuerung von Gruppen durch die Teammitglieder und fördert dadurch die Zielerreichung. Durch Visualisierung werden interne und externe Leistungen und Prozesse
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transparent dargestellt. Die Mitarbeiter identifizieren sich demzufolge mit dem eigenen Arbeitsbereich und den generierten Leistungen. Hierdurch wird die Motivation zur Zielerreichung und zur kontinuierlichen Verbesserung erhöht. Durch die erhöhte Transparenz wird Verschwendung vermieden, die Produktivität gesteigert und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöht. Der Einsatz von Visualisierungsinstrumenten zur Darstellung von Informationen trägt dem Tatbestand Rechnung, dass die Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter insbesondere vom Ausmaß und der Qualität der den Mitarbeitern verfügbaren Informationen beeinflusst wird. Der Informationsbedarf der Mitarbeiter bezieht sich auf das Wissen, das sie für die selbständige Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben benötigen und das ihnen die Einordnung ihrer Tätigkeit in die betrieblichen Abläufe ermöglicht. Neben der Visualisierung von Abläufen und Arbeitsanweisungen, die dem Mitarbeiter die Vorgehensweise bei direkten und indirekten Tätigkeiten wie Rüsten, Instandhaltung und Qualitätsprüfung transparent machen, ist die Visualisierung von Zielvorgaben hinsichtlich Qualität, Durchlaufzeiten, Beständen, Ausbringung, Betriebsmittelnutzung sowie Lieferund Termintreue von Bedeutung [2]. Die Visualisierung der Ziele und der jeweiligen Zielerreichung trägt dazu bei, dass das Denken, Handeln und Verhalten der Mitarbeiter stärker an den Zielvorgaben ausgerichtet wird. Das visuelle Management dient dem Controlling zur Überprüfung der Zielerreichung. Die unterschiedlichen Visualisierungskonzepte unterscheiden sich grundsätzlich in drei Punkten von traditionellen Controlling-Instrumenten [3]: 1. Im Gegensatz zu den traditionellen ergebnis- und kostenorientierten Controlling-Instrumenten (z. B. internes Rechnungswesen, Lenkungspreis und Budgetierung) ist die Visualisierung auch zum Controlling von Verhalten, Leistungen sowie Prozessen einsetzbar. Die Visualisierung bildet durch die Darstellung von Ziel- und Kenngrößen sowie der jeweils erreichten Ausprägung/Zielerreichung eine wichtige Grundlage für die Bewertung von Mitarbeitern hinsichtlich Leistung und Verhalten. Hierzu werden als Visualisierungsinhalte neben quantitativen Kenngrößen wie Ausbringung, Nutzungsgrad, Ausschuss-/Nacharbeitsquote, Bestände, Durchlaufzeit, Lieferfähigkeit und Termintreue auch qualitative Kenngrößen, die Aufschluss über
958
Qualifikation, Motivation und Problemlösungsaktivitäten der Mitarbeiter geben, herangezogen (Abb. 13.5). Materialflussorientierte und betriebsmittelbezogene Visualisierungsmethoden wie Sicht-Kanban-Systeme oder Ampel-Systeme werden zur Steuerung und Kontrolle von Materialflüssen und Fertigungsprozessen eingesetzt. Ferner wird eine Verhaltensbeeinflussung durch die unmittelbare Rückkopplung zu den Zielgrößen erwartet. 2. Im Rahmen neuer Organisationsformen wie der Segmentierung und der Gruppen- bzw. Teamarbeit werden den Mitarbeitern zunehmend Planungs-, Entscheidungs-, Kontroll- und Koordinationsbefugnisse übertragen, um die Mitwirkung und Optimierung der Aufgabenverteilung, die Anforderung und den Einsatz von Arbeitsmitteln sowie die Gestaltung von Arbeitsplätzen und -abläufen zu ermöglichen; vgl. [2]. Die Mitarbeiter übernehmen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens die Verantwortung für Menge, Qualität, Kapazitätsnutzung und Termine sowie für die beeinflussbaren Kosten. Der Einsatz der Visualisierung von quantitativen und qualitativen Ziel- und Kenngrößen in Form eines Soll-Ist-Vergleichs ermöglicht den Mitarbeitern einer Gruppe oder Organisationseinheit die Selbstkontrolle hinsichtlich der Zielerreichung. Eine wirkungsvolle Selbststeuerung der Mitarbeiter wird auf Basis der Leistungszielüberwachung möglich. Diese Transparenz unterstützt die Sicherung der Zielerreichung. Darüber hinaus können die visualisierten Kenn- und Zielgrößen für eine gegenseitige Kontrolle von Gruppen und Bereichen untereinander und für die Zielvereinbarungen mit dem Vorgesetzten herangezogen werden [4]. 3. Bei der Anwendung von traditionellen Controlling-Instrumenten erfolgt eine Selektion der Informationsempfänger. Vorgaben und Ergebnisse hinsichtlich einzelner Ziel- und Kenngrößen werden im Rahmen betrieblicher Berichtswesen an einen begrenzten Adressatenkreis weitergeleitet. Eine Publizierung innerhalb des Unternehmens, welche die gewonnenen Informationen allen Mitarbeitern zugänglich macht, erfolgt nicht oder nur in Bezug auf einzelne Kenngrößen. Dies führt unter den Mitarbeitern einerseits zu einem Aufbau von Informationsmonopolen und andererseits zu Informationsdefiziten. Innerhalb der traditionellen
13 Unternehmenscontrolling
Konzepte stellt die Information eine Bringschuld dar. Visualisierungskonzepte beinhalten dagegen eine Veröffentlichung der Informationen [5]. Die visualisierten Informationen sind allen Mitarbeitern zugänglich, eine Selektion findet nicht statt. Informationen über das Unternehmen, seine Produkte, die wichtigsten Kunden und Märkte sowie die innerbetriebliche Information über Aktivitäten der Unternehmensführung, Ereignisse, Abläufe, Ziele und Ergebnisse, die die eigene Abteilung, Gruppe oder den eigenen Arbeitsplatz betreffen, sind innerhalb des Visualisierungskonzepts eine Holpflicht jedes Mitarbeiters. Dies beseitigt unerwünschte Spannungen, die durch Informationsasymmetrien entstehen können. Die Informationen versetzen die Mitarbeiter in die Lage, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und drücken eine Wertschätzung der Mitarbeiter durch Vorgesetzte und Unternehmensleitung aus. Sie bilden die Grundlage für selbständiges Handeln und lassen die Mitarbeiter zu Partnern der Unternehmensleitung werden, die an der Erreichung der Unternehmensziele mitwirken und Mitverantwortung tragen [6]. Zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie den Mitarbeitern untereinander wird dadurch eine erweiterte Vertrauensbasis geschaffen.
13.2.2 Verhaltens- und leistungsbezogene Visualisierungsinstrumente Informationstafeln, die innerhalb von Arbeitsbereichen aufgestellt werden, sind wichtige Visualisierungsinstrumente zum Controlling von Verhalten und Leistungen. Die Aktualisierung der Informationen sollte durch die Mitarbeiter wahrgenommen und aktiv durch die Fachabteilungen unterstützt werden. Die Visualisierung von Ist- und Sollwerten von Ziel- und Kenngrößen (Ausbringung, Nutzungsgrad, Ausschuss-/Nacharbeitsquote, Bestände, Durchlaufzeit, Lieferfähigkeit, Termintreue) [7], aktuellen Fertigungsinformationen, Problemlösungsaktivitäten und Verbesserungsvorschlägen, Schichtplaneinteilungen, Schichtinformationen sowie Mitarbeiterqualifikationen und Qualifizierungsmaßnahmen an den Informationstafeln ermöglicht den Mitarbeitern einer
13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument
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Qualität
- Ausschussquote (Input/Output) - Nacharbeit
Material
- Durchlaufzeit - Bestände
Liefer-/ Termintreue
- Programmtreue - Abweichungen
Umsatz
- Umsatz je Produktbereich - Umsatz je Monat/Quartal/Jahr - Umsatz je Fläche - Umsatz zu Anlagevermögen - Umsatz zu Investitionen
Ausbringung
- Stückzahl pro Schicht/Tag - Stückzahl pro Mitarbeiter/Tag - Stückzahl pro Gruppe/Tag - Stückzahl pro Fläche - Stückzahl pro Produkt/Tag
Kosten
- Gemeinkosten - Personalkosten - Werkzeugkosten - Materialkosten - Kosten für Hilfsmittel
Betriebsmittel
Flexibilität
- Nutzungsgrad - Anlagenverfügbarkeit
- Umrüstgeschwindigkeit von Betriebsmitteln - Losgrößenvariabilität - Lieferflexibilität - Änderungsquote
Abb. 13.5 Ziel-/Kenngrößen
Gruppe oder Organisationseinheit Selbstkontrolle hinsichtlich ihrer Zielerreichung und dient ihrer Motivation. Gleichzeitig bilden diese Informationen die Grundlage für die Analyse von Abweichungen sowie deren Ursachen und sind somit Voraussetzung für Abhilfemaßnahmen durch die beteiligten Mitarbeiter. Informationen für die Mitarbeiter über den eigenen Arbeitsbereich, dessen Einordnung in das Unternehmen und die erzeugten Leistungen/Produkte sowie dessen Kunden werden den Mitarbeitern mittels Informationstafeln oder Informationswagen vermittelt. Die Informationen sollen eine stärkere Identifikation der Mitarbeiter mit der eigenen Arbeitsgruppe und den erzeugten Leistungen/Produkten bewirken. Durch die Visualisierung werden die Arbeitsabläufe in den Gruppen aufgrund der verbesserten Kommunikation enger miteinander verknüpft. Entstandene Probleme können direkt am Entstehungsort behoben werden. Die Visualisierungsinhalte sind in Muss-Daten, d. h. gruppenbezogene Leistungsdaten, sowie Probleme, Lösungsansätze und Kann-Daten einzuteilen. Während den Mitarbeitern bei der Visualisierung der Kann-Daten individuelle Gestaltungsspielräume zugestanden werden sollten, ist die Ermittlung und Visualisierung der Muss-Daten zu standardisieren, um eine Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Bereichen/Gruppen zu gewährleisten. In der Praxis hat sich der Einsatz von dreigeteilten Informationstafeln bewährt. Ein Tafelteil präsentiert die Gruppe, gruppenbezogene Daten und allgemeine Werkinformationen. Die Aufführung der Namen und der Funktionen sowie die Einordnung der Gruppe anhand eines Organigramms dienen der Identifikation der Mitarbeiter mit der Gruppe und dem Arbeitsbe-
reich. Für die Gruppe wichtige Ansprechpartner aus Planung, Qualitätssicherung oder sonstigen Bereichen können ebenfalls mit Bild und Telefonnummer angebracht werden, um bei auftretenden Störungen eine schnelle Problembeseitigung zu gewährleisten. Qualifikationsmatrizen und Ausbildungspläne verschaffen einen Überblick über den Qualifikationsstand der Gruppe. Aushänge von Urlaubs- und Schichtplänen unterstützen die Personalkapazitätsplanung. Ein weiterer Teil der Tafel ist für die Darstellung von gruppenbezogenen Leistungsdaten vorgesehen und informiert die Mitarbeiter über Ziele, Aktivitäten und Ergebnisse des Bereichs. Es erfolgt ein Aushang von Qualitäts-, Produktivitäts-, Logistikleistungs- und Personaldaten. Ergänzt werden diese durch gruppenbezogene Kennzahlen sowie Zielvorgaben. Die Leistungsdaten und Kennzahlen sollten durch die Gruppe beeinflussbar und für jeden Mitarbeiter verständlich sein. Sind Abweichungen von den Zielvorgaben erkennbar, können Korrekturmaßnahmen durch die Gruppe eingeleitet werden. Als weitere verhaltensbezogene Visualisierungsinstrumente können zur Unterstützung der Arbeitsund Lernprozesse der Mitarbeiter Aushänge, Plakate, Schaukästen, Broschüren und Filme eingesetzt werden. Aushänge sind geeignete Medien für die Vermittlung werks- oder unternehmensbezogener Informationen (Mitteilungen der Werksleitung, Beschlüsse der Unternehmensleitung, Veranstaltungen), Informationen über interne Projekte (Projektziele, Projektergebnisse) sowie arbeitsplatzbezogener Informationen (Arbeitsanweisungen, Richtlinien zur Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz).
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Aushänge können zentral an bestimmten Stellen im Werk („Schwarzes Brett“) oder an einzelnen Arbeitsplätzen angebracht werden. Plakate können zur Visualisierung von Schwerpunktthemen wie Qualität oder Kundenorientierung herangezogen werden. In Schaukästen werden Produkte des Unternehmens und der Konkurrenz zur Information der Mitarbeiter ausgestellt. Die mit Kurzinformationen versehenen Schaustücke sollen den Mitarbeiter über Zusammensetzung, Merkmale, Funktionsweise und Preise der eigenen Produkte im Vergleich zu Konkurrenzprodukten aufklären. Broschüren können nicht nur zur Information unternehmensexterner Adressaten wie Bewerber oder Kunden, sondern auch zur Information der Mitarbeiter über Reorganisationsvorhaben, wie die Einführung von Gruppenarbeit, eingesetzt werden. Informationsfilme dienen der Vermittlung von Informationen über Produkte, Kunden und Methoden. Die Visualisierung des Produktionsprozesses in Form von Filmen trägt zu einer verbesserten Transparenz der Wertschöpfungskette und damit zu einer verstärkten Prozessorientierung der Mitarbeiter bei. Filme sind darüber hinaus eine sinnvolle Unterstützung bei der Durchführung von Reorganisationsprojekten. Durch die Gegenüberstellung von alten und neuen Arbeitsabläufen können den Mitarbeitern die Vorteile einer Restrukturierung vermittelt werden.
13.2.3 Steuerungs- und materialflussorientierte Visualisierungsinstrumente Bei Anwendung des Kanban-Systems erfolgt die Steuerung des Fertigungsablaufes in einem Regelkreissystem aus selbststeuernden Regelkreisen [8]. Als Informationsträger dienen Kanban-Karten oder Signal-Kanbans. Im Rahmen des Kanban-Prinzips wird das Holprinzip angewendet. Der Bedarf an Produkten und Teilen wird nicht aufgrund von Prognosen, sondern durch aktuellen Verbrauch ausgelöst, indem die nachgelagerte Stufe im Regelkreissystem das benötigte Material aus einem der vorgelagerten Stufe zugeordneten Puffer holt und so den Anstoß zur Fertigung gibt. Bei Anwendung des Signal-Kanban-Systems wird jedem Material eine bestimmte Stellfläche auf dem Werkstattboden oder
13 Unternehmenscontrolling
in einem Regal durch farbliche Markierungen reserviert und deutlich erkennbar zugeordnet. Minimalund Maximalbestand werden durch ortsfeste SignalKanbans gekennzeichnet. Die Überwachung der Bestandsentwicklung im Puffer und die entsprechende Nachlieferung von benötigtem Material erfolgt mit Hilfe der Signal-Kanbans. Der Verbraucher entnimmt bei Bedarf das benötigte Material aus dem Puffer. Sobald von der erzeugenden Leistungseinheit erkannt wird, dass der Bestand unter das angegebene Mindestniveau sinkt, wird automatisch der Auftrag erteilt, mit der Produktion des entsprechenden Materials zu beginnen und den Bestand wieder aufzufüllen. Die Produktion muss spätestens dann eingestellt werden, wenn der markierte Höchstbestand erreicht ist. Aufgrund der Visualisierung entstehender Bedarfe durch Signal-Kanbans wird bei dieser Form des Kanban-Systems auf den Einsatz spezieller Informationsträger verzichtet und damit eine papierlose Kommunikation realisiert. Dies ermöglicht eine Vereinfachung und Dezentralisierung der Steuerung und Kontrolle des Materialflusses. Die Steuerungsfunktionen können den Mitarbeitern in der Fertigung übertragen werden. Voraussetzung für die Anwendung des Signal-Kanban-Systems ist die Platzierung der Zwischenpuffer in räumlicher Nähe sowohl der erzeugenden als auch der verbrauchenden Leistungseinheit, damit der Sichtkontakt gewährleistet ist. Zeitplantafeln, die am Ende von Produktionslinien oder in einzelnen Fertigungsbereichen aufgestellt werden, gestatten eine visuelle Kontrolle des Fertigungsfortschritts. Sie zielen darauf ab, durch die Gegenüberstellung von Fertigungsfortschritt und Produktionsplan eventuelle Abweichungen für die betroffenen Mitarbeiter und das Überwachungspersonal sichtbar zu machen. Neben den Soll- und Ist-Werten in Bezug auf den Fertigungsfortschritt werden in einer zusätzlichen Spalte für Bemerkungen Probleme, die Störungen verursacht haben, festgehalten. Die Zeitplantafel trägt durch eine frühzeitige Information bei Nichteinhaltung der Produktionspläne über die Visualisierung dazu bei, dass rechtzeitig korrigierend eingegriffen und damit die Termineinhaltung gewährleistet werden kann. Darüber hinaus bildet die Zeitplantafel eine Grundlage zur systematischen Analyse der Problemursachen und damit zur Prävention von Störungen und Problemen.
13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument
13.2.4 Betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente Betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente dienen der Steigerung der Anlagenverfügbarkeit und Prozesssicherheit. Als betriebsmittelbezogene Visualisierungsinstrumente werden Ampelsysteme im Rahmen des nachfolgend erläuterten JidokaKonzepts eingesetzt. Jidoka beinhaltet eine autonome Kontrolle oder Selbstkontrolle. An den einzelnen Maschinen werden „intelligente“ Vorrichtungen angebracht, die diese je nach Bedarf starten oder stoppen können und/oder Signale an den Arbeiter geben können, wenn dies nötig wird [9]. Bei Anwendung des Jidoka-Prinzips sind die Maschinen in der Lage, Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Bei Abweichungen durch Auftreten von Defekten (z. B. Werkzeugbruch) oder fehlendem Teilenachschub halten die Maschinen selbständig an und geben den Arbeitern ein Signal zum Eingriff. Die Arbeiter sind autorisiert, bei selbsterkannten oder durch Signale angezeigten Abweichungen die Produktionsbänder zu stoppen, um die Ursachen des Problems zu finden und Wiederholungen zu vermeiden. Das Jidoka-Konzept zielt darauf ab, die Arbeitsproduktivität zu steigern und zur schnellen Fehlererkennung und -vermeidung beizutragen. Nichtwertschöpfende Tätigkeiten, die durch das Beobachten von laufenden Maschinen entstehen, können durch die Integration „intelligenter“ Vorrichtungen und entsprechender Signalsysteme reduziert werden. Hierdurch ist einerseits eine unverzügliche Fehlerbehebung möglich, da nachgelagerte Arbeitsgänge/Arbeitsplätze nicht durch weitergereichte Fehler beeinträchtigt werden. Zum anderen ermöglicht die sofortige Anzeige von Abweichungen eine Analyse der Abweichungsursachen und bildet damit die Voraussetzung zur Fehlerprävention. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zur Prozesssicherheit geleistet. Neben den „intelligenten“ Vorrichtungen zur Erkennung von Abweichungen und der Autorisierung der Mitarbeiter zum Bandstopp sind im Rahmen des Jidoka-Konzepts Instrumente zur Visualisierung von Bedeutung, um auf Abweichungen hinzuweisen und die Aufmerksamkeit des Personals zu wecken. Probleme werden sofort sichtbar, so dass unverzüglich korrigierend eingegriffen werden kann. Die visuelle Kontrolle der Betriebsmittel erfolgt durch Ampelsysteme, die eine verzögerungsfreie Infor-
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mationsübermittlung gestatten. Bei störungsfreiem Arbeitsablauf/Lauf der Maschine leuchtet die an der Maschine gut sichtbar angebrachte Ampel grün. Werden Probleme (Werkzeugbruch, Teilemangel, fehlerhafte Teile, sonstige Störungen) von den installierten Vorrichtungen oder den Mitarbeitern erkannt, leuchtet die Ampel gelb auf. Das gelbe Lichtsignal zeigt Störungen an und veranlasst die Mitarbeiter, Maßnahmen zur Behebung der Störungen, wie Werkzeugwechsel, Bereitstellung der fehlenden Teile oder Instandhaltungsaktivitäten selbst durchzuführen. Wenn das Problem nicht sofort gelöst werden kann, wird dies durch die Signalfarbe rot angezeigt und die Maschine oder das Band an einem bestimmten Punkt angehalten. In diesem Fall geht die Verantwortung für die Behebung der Störung auf den Vorgesetzten über. Somit können sowohl einzelne Maschinen als auch ganze Prozessketten mit Hilfe von Ampelsystemen visuell kontrolliert werden. Diese Form der visuellen Kontrolle ermöglicht durch schnelle Fehlererkennung, -beseitigung und -prävention, infolge einer vereinfachten Ursachenanalyse, eine Steigerung der Prozesssicherheit.
13.2.5 Instrumente zum Controlling unternehmensspezifischer Programme Zur Unterstützung unternehmensspezifischer Programme wie TQM (Total Quality Management) oder TPM (Total Productive Maintenance) sind Mitarbeiter, Vorgesetzte und Management über laufende Projekte und Aktivitäten, deren Inhalte, Zielsetzungen und Ergebnisse zu informieren. Der TPM-Ansatz ist darauf ausgerichtet, die gesamte Anlagenproduktivität zu maximieren. TPM ist ein ganzheitlicher Ansatz und umfasst alle Ebenen des Unternehmens vom Mitarbeiter vor Ort bis zum Top-Management. Dabei werden dem Mitarbeiter die Ausführung der Instandhaltung und die Verantwortung für den einwandfreien Zustand seines gesamten Arbeitsplatzes übertragen. Im Rahmen von TPM-Programmen erfolgt eine autonome Instandhaltung durch die Maschinenbediener sowie eine systematische, präventive Wartung durch die Instandhaltung. TPM-Konzepte sind motivationsfördernde Systeme, die auf Gruppenaktivitäten und Projektteams basieren.
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Total-Quality-Management (TQM) ist eine umfassende Qualitätsstrategie, die alle Bereiche des Unternehmens, vom Kunden über die eigenen Mitarbeiter bis hin zum Zulieferer, beinhaltet. TQM zielt darauf ab, die von den Kundenanforderungen abgeleiteten Qualitätsziele zu erfüllen. TQM beinhaltet die Anwendung neuerer Methoden und Techniken wie FMEA, Quality Function Deployment (QFD) oder Six Sigma. Wie bei dem TPM-Konzept werden auch im Rahmen eines TQM alle Mitarbeiter einbezogen – Qualität wird als Aufgabe sämtlicher Mitarbeiter, nicht einer speziellen Abteilung betrachtet. Die Visualisierung mittels themenbezogener Informationstafeln dient der Darstellung von Qualitätsleistungsdaten, Daten über die Anlagenproduktivität, Qualitäts- und Instandhaltungszielen und eingesetzten Qualitäts- und Instandhaltungsmethoden. Es werden Ausschuss- und Nacharbeitsquoten pro Produkt oder der Nutzungsgrad in Form von Diagrammen dargestellt. Aus den Diagrammen werden die Zielvorgaben ersichtlich. Informationen über programmspezifische Ausbildungsaktivitäten und den Einsatz von Qualitäts- und Instandhaltungsmethoden verdeutlichen den Ausbildungsstand der Mitarbeiter. Zur Erreichung der Zielvorgaben arbeiten Problemlösungsgruppen an den aktuellen Qualitäts- oder Instandhaltungsproblemen. Die einbezogenen Mitarbeiter stellen sich anhand von Fotos vor und dokumentieren ihre geleistete Arbeit mittels Darstellung von Aktivitätenplänen. Die Ergebnisse werden anhand von Soll/Ist-Vergleichen der Zielvorgaben dokumentiert. Die themenspezifischen Informationstafeln können somit gezielt zum Controlling der TQM- oder TPM-Programme oder auch zum Controlling von Reorganisationsprojekten eingesetzt werden. Die Visualisierung von unternehmensspezifischen Programmen und die dabei erzielten Erfolge tragen zur besseren Kommunikation aller Beteiligten bei und motivieren die Mitarbeiter, sich weiterhin aktiv an den Programmen zu beteiligen. Zur themenbezogenen Visualisierung aktueller Probleme und deren Ursachen dienen Problemlösungstafeln. Auch eingeleitete Korrekturmaßnahmen und deren Zielverfolgung finden dort ihren Platz. Die Mitarbeiter notieren ihre bei der täglichen Arbeit auftretenden Probleme zu dem speziellen Themengebiet auf Formblätter oder Problemlösungskarten und plakatieren diese. Hierdurch werden die Probleme für alle Mitarbeiter transparent, die
13 Unternehmenscontrolling
Problemlösungskapazität der Mitarbeiter kann somit besser zur Entwicklung von Lösungen genutzt werden. Das Aufstellen von Aktivitätenplänen unterstützt eine effiziente Problemlösung. Zum einen werden durch diese Art der Visualisierung wertvolle Anregungen zwischen den verschiedenen Problemlösungsgruppen ausgetauscht, zum anderen erhalten Mitarbeiter und Management ein Kontrollinstrument, mit dessen Hilfe sie sich schnell und ohne viel Aufwand über den Fortschritt der einzelnen Projekte informieren können. Auf diese Weise lassen sich Synergien zwischen den Problemlösungsgruppen nutzen, die ohne Visualisierung nicht zum Tragen kommen würden. Informationen sind nicht mehr Bringschuld, sondern werden zur Holpflicht. Artikel in der Werkszeitung oder der Aushang von Verbesserungsvorschlägen an Problemlösungstafeln helfen, über die von Mitarbeitern erarbeiteten Lösungen und deren Umsetzung zu informieren. Daneben unterstützt die Visualisierung die Mitarbeiter bei der Erkennung, Sammlung, Strukturierung und Lösung von Problemen durch die Anwendung von Werkzeugen, z. B. Checklisten, Ursache-Wirkungsdiagramme, Pareto-Diagramme, Histogramme, Streudiagramme, Kontrollkarten und Flussdiagramme.
13.2.6 Analyse der Wirkung der Visualisierung Die Analyse der Wirkung der Visualisierung in den aufgezeigten Fällen ergab eine positive Beeinflussung der Zielgrößen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses: • effiziente Problemlösung bei Störungen, • Qualitätsverbesserung, • verbesserte Informations- und Kommunikationsbeziehungen, • Teamdenken/-fähigkeit, • Flexibilitätssteigerung, • Ausweitung des Handlungs- und Dispositionsspielraums der Mitarbeiter, • Steigerung der Mitarbeitermotivation, • Transparenz über Leistungsdaten und Abläufe, • Optimierung der Schnittstellen.
13.2 Visualisierung als Controlling-Instrument
963
Finanzperspektive Recycling Kosten Recyclingquote / Recyclinggründe Bestandskosten Logistikkosten
Kundenperspektive
Prozessperspektive
Kombination von Balanced finanzwirtschaftlichen und operativen Scorecard Maßstäben
Lieferfähigkeit / Verfügbarkeitsgrad Auftragserfüllungsqualität
Auftragssplittung Wiederbeschaffungszeiten Umschlagshäufigkeit Losgrößen Termintreue Lieferanten Dauer „Out-of-Stock“
Marktperspektive
Verbrauchswerte Bestandswerte Bestandsreichweite Alter Änderungsindex
Cockpit “Finanzen” Cockpit “Losgrößenoptimierung” Cockpit “Verfügbarkeit” Auftragssplittung
Dauer „Out-of-Stock“
Lieferfähigkeit
Auftragserfüllungsqualität
Abb. 13.6 Balanced Scorecard und empfängerorientierte Cockpits
Die Informationstafel stellt ein wichtiges Visualisierungsinstrument dar. Durch die arbeitsplatznahe Visualisierung von Zielen, Zielerreichungsgraden und Problemlösungsaktivitäten wird eine Steuerung und Selbstkontrolle von Verhalten und Leistungen durch die Mitarbeiter ermöglicht. Themenspezifische Informationstafeln werden für das Controlling von unternehmensspezifischen Programmen wie TQM oder TPM angewendet. KANBAN-Sichtflächen, die zur visuellen Unterstützung der Steuerung und Kontrolle
des Materialflusses angewandt werden und der Einsatz von Signalleuchten an Betriebsmitteln gestatten eine Kontrolle des Fertigungsablaufs durch die Mitarbeiter. Neben weiteren Visualisierungsinstrumenten wie Aushängen, Plakaten und Produktschaukästen kommt darüber hinaus Techniken und Hilfsmittel zur Visualisierung von Problemen, die die Arbeit in Problemlösungsgruppen in direkten und indirekten Bereichen unterstützen, im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses Bedeutung zu.
964
13.2.7 Fallbeispiel: Logistik-Controlling durch Visualisierung
Zur Unterstützung des Logistik-Controllings werden im vorliegenden Praxisbeispiel Cockpits als Visualisierungsinstrumente auf Basis einer Balanced Scorecard eingeführt. Dadurch erfolgt eine transparente Darstellung der logistischen Ziele über die gesamte Logistikkette. Die Cockpits dienen als empfängerorientiertes Logistikinformations- und Controllingsystem. Die zugrunde liegende Balanced Scorecard umfasst den Produktenstehungsprozess, den Einkaufsprozess sowie den Logistikprozess (Versand). Als Produkte werden Druckwaren wie Prospekte und Broschüren untersucht, die das Unternehmen den unternehmensinternen Bedarfsträgern bereitstellt. Die Problemstellung besteht zunächst in einer fehlenden Prozessabstimmung zwischen dem Versand und der Produktenstehung sowie in fehlenden Logistikkennzahlen zur Steuerung und Formulierung von Zielen. Die Wirkungen der Ausgangssituation zeigen sich insbesondere in einem hohen Logistikkostenanteil, in einer vergleichsweise geringen Verfügbarkeitsquote und in einem hohen Wert an falschen Druckwaren. Mit der Einführung eines Logistikinformations- und controllingsystems soll die Reduzierung des Vernichtungsanteils sowie die Einführung eines zyklischen Änderungsprozesses erreicht werden. Für die Visualisierung wurde zunächst der Aufbau der Balanced Scorecard und deren Aggregationsstufen bestimmt. Im Anschluss daran erfolgt die Identifikation der erforderlichen Informationen im Prozess durch den Mitarbeiter. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden Logistik- und Controllingkennzahlen definiert, die in einzelnen Cockpits zur Visualisierung zusammengetragen werden. Die Balanced Scorecard bildet den untersuchten Geschäftsprozess durch die Finanz-, Prozess-, Marktund Kundenperspektive ab. Mittels Kennzahlen werden relevante Sachverhalte erfasst. Basierend auf der Logistik-Balanced Scorecard werden den Adressaten auf ihre Informationsbedürfnisse angepasste Cockpits zur Verfügung gestellt (Abb. 13.6). Die Wirkung der Visualisierung besteht neben der erhöhten Transparenz und der gestiegenen Mitarbeitermotivation insbesondere in einem permanenten Kostensenkungspotenzial in Millionenhöhe.
13 Unternehmenscontrolling
Literatur 1. Wildemann, H.: Vom Arbeitnehmer zum Unternehmer. In: BAVC (Hrsg.): Perspektiven. Heidelberg: 1999, S. 133–143 2. Wildemann, H.: Produktivitätsmanagement. 2. Aufl., München: TCW Verlag 1997 3. Wildemann, H.: Produktionscontrolling. 4. Aufl., München: TCW Verlag 2001 4. Stöcker, M.: Führen durch Zielvereinbarung. Rosenheim: 1999 5. Meyer, J.-A.: Visualisierung von Informationen. Wiesbaden: Gabler 1999 6. Greif, M.: Teamerfolge in der Produktion durch Visualisierung. 2. Aufl. Landsberg: Verlag moderne industrie 1998 7. Bühner, R.: Mitarbeiter mit Kennzahlen führen. 3. Aufl., Landsberg: Verlag moderne industrie 2000 8. Geiger, G.; Hering, E.; Kummer, R.: Kanban: optimale Steuerung von Prozessen. 2. Aufl., München: Hanser 2003 9. Suzaki, K.: Modernes Management im Produktionsbetrieb: Strategien, Techniken, Fallbeispiele. 2. Aufl., München: Hanser 2002 10. Wildemann, H.: Fertigungsstrategien. 3. Aufl., München: TCW Verlag 1997 11. Rampersad, H. K.: Total quality management: An executive guide to continuous improvement. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2001 12. Zerbst, M.: Total Productive Maintenance. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag 2000
Weiterführende Literatur Becker, K.: Leistungsbeurteilung und Zielvereinbarung. 2. Aufl., Köln: Wirtschaftsverlag Bachem 2000 Fischer, M.: Visualisierung von Management-Informationen. Regensburg: Roderer 1998 Horváth, P.: Controlling. 10. Aufl., München: Vahlen 2006 Männel, W.: Wertorientiertes Controlling. Wiesbaden: Gesellschaft f. angew. Betriebswirtsch. 2006 Schumann, H.: Visualisierung. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2000 Fallstudien auch unter www.tcw.de
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten Die Anforderungen an Unternehmen steigen seit Jahren stetig an. Erfolgreiche Unternehmen unterscheiden sich von anderen durch ihre Fähigkeit sich schnell an Veränderungen anzupassen. Prozessorientierte, dezentrale Organisationskonzepte sind ein Weg, diese Anpassungsfähigkeit zu erreichen. Ein solches Organisationskonzept ist z. B. das Fraktale Unternehmen [9], das u. a. durch eine Dezentralisierung von
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
Aufgaben und Verantwortlichkeiten gekennzeichnet ist. Dadurch entstehen Leistungseinheiten mit mehr Entscheidungsspielraum, die komplexe Arbeitsinhalte autonom abarbeiten. Die Verlagerung von Aufgaben in die Leistungseinheiten führt zu kleinen, überschaubaren und eigenverantwortlichen Organisationseinheiten, die einen verringerten Planungs- und Steuerungsaufwand aufweisen [11]. Die Leistungseinheiten sind dabei so zu gestalten, dass ihre interne Komplexität aufgrund ihrer Größe beherrschbar wird und die externe Komplexität koordiniert werden kann. Trotz Autonomie müssen die Leistungseinheiten an einem gemeinsamen Unternehmenszielsystem ausgerichtet werden. Um diese Ausrichtung der Leistungseinheiten zu erreichen und ihnen dennoch den notwendigen Entscheidungsspielraum zu belassen, eignet sich speziell eine Führung durch Ziele. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Ziele messbar und für die Leistungseinheiten verständlich und beeinflussbar vorliegen. Die Führung und Messung sollte durch geeignete Instrumente unterstützt werden. Um eine hohe Anpassungsfähigkeit zu erreichen, sind Veränderungen in der Unternehmensorganisation notwendig. Dabei entstehen neue Leistungseinheiten oder es werden bestehende aufgelöst. Aus diesem Grund müssen die Führungsstrukturen, z. B. organisatorische Beziehungen oder die Zuordnung von Ressourcen zu den Leistungseinheiten, dynamisch verändert werden können. Auch die Unternehmensziele und somit die Ziele der Leistungseinheiten sind bedingt durch das turbulente Umfeld nicht über längere Zeiträume konstant. Diese Flexibilität in Bezug auf die Unternehmensorganisation und das Zielsystem stellt hohe Ansprüche an ein Instrument zur Führung der Leistungseinheiten.
13.3.1 Führung teilautonomer Leistungseinheiten Eine Leistungseinheit besteht aus Mitarbeitern und Ressourcen und übernimmt umfassende, ganzheitliche Aufgaben. Zu jeder teilautonomen Leistungseinheit existiert genau eine Führungsinstanz, die Führungsverantwortung gegenüber der teilautonomen Leistungseinheit übernimmt. Die Leistungseinheiten werden durch Ziele geführt, um die gewährten Entscheidungsspielräume zu wahren. Das Führungs-
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modell, das dieser Führung durch Ziele zugrunde liegt, wird als „Management by Objectives“ (MbO) bezeichnet (Abb. 13.7). Die Führung der teilautonomen Leistungseinheiten durch Ziele erfolgt über zwei Regelkreise. Diese Regelkreise sind im Führungsmodell MbO als Feedback-Schleifen zu erkennen. Die Führungsinstanz kontrolliert nach Ablauf einer Führungsperiode die Zielerreichung ihrer teilautonomen Leistungseinheiten (Abb. 13.8). Damit bei Zielabweichungen rechtzeitig reagiert werden kann, führt die teilautonome Leistungseinheit selbst Positionsbestimmungen durch. Sobald Zielabweichungen erkennbar sind, müssen diese im Rahmen einer Ursachenanalyse genauer betrachtet werden. Um während der Messungen reproduzierbare Ergebnisse für eine Ursachenanalyse zu erhalten, müssen die Grundlagen der Messung über eine gewisse Zeit unverändert bleiben. Diese Zeitspanne wird als Messperiode bezeichnet. Die Führungsdatenbasis wird zu definierten Zeitpunkten aktualisiert; i. d. R. geschieht dies außerhalb der Arbeitszeit. Die Zeitdauer zwischen zwei Aktualisierungen der Führungsdatenbasis wird als Aktualisierungsperiode bezeichnet. Wenn z. B. zwischen zwei identischen Auswertungen neue Auftragszeitrückmeldungen oder neue Arbeitsgangtermine in die Führungsdatenbasis importiert wurden, können sich die Messergebnisse signifikant unterscheiden. Dieser Umstand begrenzt die Ausdehnung der Aktualisierungsperiode. Ist die Aktualisierungsperiode kleiner als die Messperiode, so kann der Benutzer im Verlauf einer Abweichungsanalyse nicht von einer unveränderten Führungsdatenbasis ausgehen, was ihn evtl. dazu zwingt, seine Analyse bei jeder Aktualisierung der Führungsdatenbasis von Neuem zu beginnen. In diesem Fall ist die Aktualisierungsperiode zu klein oder die Messperiode zu groß gewählt. In der Planungsphase des Führungsmodells werden Ziele festgelegt, wobei sowohl die Zielvorstellungen der teilautonomen Leistungseinheit, als auch ihrer organisatorisch übergeordneten Führungsinstanz berücksichtigt werden müssen. Diese Zielfestlegung geschieht periodisch und mit einem zeitlichen Vorlauf für alle Ziele einer Leistungseinheit und für zukünftige Führungsperioden. Die Vorgabe einheitenspezifischer Ziele, die aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden, ermöglichen es den teilautonomen Leistungseinheiten, alle im Rahmen ihrer Autonomie zu-
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13 Unternehmenscontrolling Feedback (Führungszyklus) Feedback (Messzyklus) Ziel-ErgebnisAnalyse
Zielhierarchie ggf. Korrekturen Zielvorstellung der Führungsinstanz
Abweichungsanalyse
Festlegung von Zielen
Gesetzte Zielvorgaben
Signifikante Zielabweichung
regelmäßiger Vergleich
Leistungsbeurteilung
Umsetzung der Ziele
Zielvorstellung der teilautonomen Leistungseinheit
Erzielte Ergebnisse
Keine signifikante Zielabweichung
Führungsphasen Planung
Realisierung
Kontrolle
Abb. 13.7 Führungsmodell MbO, angelehnt an [7]
(Re-)Agieren
Legende: P = Planen R = Realisieren K = Kontrollieren A = (Re-)Agieren
Planen
Führungsperiode ≥ Messperiode
Führungszyklus
Messperiode ≥ Aktualisierungsperiode Realisieren
Kontrollieren
A
P
K
R
Messzyklus
P R K A Messperiode Aktualisierungsperiode Planen
Realisieren
Ziel-Ergebnis-Analyse
Kontrollieren (Re-)Agieren
Führungsperiode
Zeit
Abb. 13.8 Führungszyklus und Messzyklus
lässigen Entscheidungen zielgerichtet selbst zu treffen. Die Ziele sollten sich an den Aufgaben orientieren, die innerhalb der Leistungseinheit wahrgenommen werden, um die Beeinflussbarkeit der Ziele durch die operativen Tätigkeiten innerhalb der Leistungseinheit sicherzustellen. Dabei müssen die Ziele der Leistungseinheiten so gewählt werden, dass der Entscheidungsspielraum in dem Maße eingeschränkt ist, dass die lokalen Einzelinteressen der Leistungseinheit das Gesamtinteresse des Unternehmens nicht verletzen.
Nach der Umsetzung der Ziele in der Realisierungsphase wird durch ein Kontrollsystem die Zielerreichung überprüft. Die Führungsinstanz ist für die Kontrolle der Zielerreichung verantwortlich. Die Kontrolle wird mit Hilfe einer Ziel-Ergebnis-Analyse erreicht. In der Ziel-Ergebnis-Analyse werden ggf. Abweichungen oberhalb einer definierten Toleranzgrenze ausgewiesen. Bei signifikanten Abweichungen wird anschließend eine Ursachenermittlung mit Hilfe einer Abweichungsanalyse durchgeführt. Im Sinne eines kontinuierlichen
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
Verbesserungsprozesses muss daran gearbeitet werden, dass diese Abweichungen zukünftig vermieden werden. Auf diese Weise wird ein Regelkreis initiiert, der dafür sorgt, dass Zielabweichungen durch einen fortlaufenden Optimierungsprozess reduziert werden.
13.3.2 Führungsinstrument Betrachtet man das Führungsmodell MbO, so müssen speziell die erwähnten Ablaufschritte „Zielfestlegung“, „Ziel-Ergebnis-Analyse“ und „Abweichungsanalyse“ durch ein Führungsinstrument funktional unterstützt werden (Abb. 13.9). Dabei empfiehlt sich in der Ziel-Ergebnis-Analyse und der Abweichungsanalyse der Einsatz moderner Datenanalysemethoden. Eine Anwendung dieser Datenanalysemethoden setzt allerdings voraus, dass die zu analysierende Führungsdatenbasis entsprechend aufgebaut ist.
13.3.2.1 Führungsdatenbasis Datentechnische Grundlage des Führungsinstruments ist eine Datenbasis mit Führungsinformationen. Während früher auf operative Datenbasen häufig direkt zugegriffen wurde, werden heutzutage zunehmend Datenkopien zum Zweck der Aufbereitung von entscheidungsrelevanten Informationen verwendet. Diese Trennung von operativer und analytischer Datenbasis hat sich in der Praxis als sinnvoll erwiesen, da der direkte Zugriff auf operative Datenbasen den Nachteil hat, dass deren Strukturen an den Bedürfnissen der darauf aufbauenden operativen Informationssysteme orientiert sind. Daher scheitern die Benutzer – aus Unkenntnis über die Bedeutung und Zusammenhänge der Daten – häufig an der Definition sinnvoller Abfragen. Zusätzlich wird das Fehlen einer integrierten, konsistenten Datenbasis mit als Grund angegeben, dass die bisherigen Führungsinstrumente in der Praxis gescheitert sind. Daher ist eine eigenständige Führungsdatenbasis sinnvoll, die über Schnittstellen mit entscheidungsrelevanten Daten aus externen Quellen in regelmäßigen Zeitabständen versorgt wird und in der die Daten in einer für Auswertungszwecke günstigeren Form abge-
967
legt sind. Diese analytische Datenbasis wird als Data Warehouse bezeichnet. In einem Data Warehouse werden entscheidungsrelevante Informationen in einer vereinheitlichten, für den Benutzer verständlichen Form gesammelt. DV-technisch wird ein Data Warehouse mit Hilfe einer Datenbank implementiert. Die Strukturierung der Datenbank richtet sich dabei nach dem zugrundeliegenden Datenmodell. Aufgrund seiner Verbreitung am Markt ist vor allem das relationale Datenmodell bekannt. Die Bedeutung und Zusammenhänge der Daten lassen sich allerdings im relationalen Datenmodell nur ungenügend darstellen. Daher wurden für Datenauswertungen multidimensionale Datenbanken entwickelt, die an eine schnelle Aufbereitung großer Datenmengen angepasst sind.
Basisdaten Führungsinformationen sind in der Führungsdatenbasis als primäre Datenraumvariablen abgelegt. Primäre Datenraumvariablen sind z. B. die vom Kunden vorgegebenen Wunschwerte, die im Planungsprozess erzeugten Plan- und Sollwerte, die durch Rückmeldungen erzeugten Istwerte oder Zielwerte (Abb. 13.10). Rückmeldungen enthalten Informationen über den Bearbeitungszustand von Produktionsaufträgen, wie die benötigten Zeiten und gefertigten Mengen, oder den Zustand von Produktionsressourcen, wie Störungen, Ausfallzeiten und auftragsunabhängige Rüstzeiten. Zusätzlich enthält die Führungsdatenbasis abgeleitete, sekundäre Datenraumvariablen. Primäre und sekundäre Datenraumvariablen werden als materielle Daten bezeichnet. Außer diesen materiellen Daten existieren sog. strukturelle Daten, welche die Grundlage für die Verdichtung der materiellen Daten darstellen. Diese strukturellen Daten bestehen aus den Dimensionen, den Dimensionsebenen und den Dimensionselementen. Die Verdichtung der materiellen Daten erfolgt über die Dimensionsebenen, von denen die Datenraumvariablen abhängig sind. Beispiele für Dimensionen sind die Zeit und ihre Dimensionselemente, wie z. B. Tage oder Monate. Materielle und strukturelle Daten werden als Basisdaten bezeichnet, da sie die Basis für die Aufbereitung der Führungsinformationen darstellen. Aus den materiellen Basisdaten werden durch Verdichtungen Füh-
968
13 Unternehmenscontrolling
Anwender Grafische Benutzeroberfläche Benutzerschnittstelle
Führungsfunktionen
Zielfestlegung
Ziel-ErgebnisAnalyse
Abweichungsanalyse
Zielgrößen Zielprioritäten Zielwerte
Ziel-ErgebnisAuswertung
Navigation zwischen Auswertungen
Benutzerführung und Verarbeitung
Basisdaten
Führungsdatenbasis
Wunsch-, SollPlan-, Ist- und Zielwerte
Metadaten
Systemdaten
Dimensionen, Datenräume
Abfragen, Auswertungen
Speicherung und Vereinheitlichung
Grundobjekte und ihre Merkmale Extraktion und Transformation
Operative Informationssysteme Abb. 13.9 Führungsinstrument
Teilautonome Leistungseinheit Visualisierung der Zielerreichung
Zielwerte Wunschwerte
Führungsebene Soll-, Plan, und Istwerte
5713 5714 5715 5716
Lieferant Sollwerte
Wunschwerte
Kunde Planungsebene Planwerte Istwerte
Sollwerte
Ausführungsebene Abb. 13.10 Führungsebene
rungsinformationen erzeugt. Die materiellen Basisdaten umfassen dabei Sollwerte, Istwerte, Zielwerte und daraus mathematisch abgeleitete Werte.
Die strukturellen Basisdaten enthalten die Unternehmensstrukturen, die zur Verdichtung der materiellen Basisdaten herangezogenen werden. Welche
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
Dimensionen notwendig sind, wird durch die Datenräume und die in den Auswertungen gewünschten Verdichtungen bestimmt. In jedem Fall ist eine Zeitund eine Verantwortlichkeitsdimension notwendig, da Zielgrößen durch Datenraumvariablen aus Datenräumen abgebildet werden, die abhängig von der Zeitund der Verantwortlichkeitsdimension sind. Weitere hierarchische Unternehmensstrukturen sind in den Bereichen Kapazitäten, Artikel, Kunden oder Aufträge zu finden. Die Datenquellen für die strukturellen Basisdaten, d. h. die Dimensionselemente, sind die operativen Informationssysteme. Werden dort Änderungen vorgenommen, so führt dies zu neuen oder veränderten Dimensionselementen. Ein Beispiel für eine strukturelle Basisdatenänderung ist die Anlage eines neuen Arbeitsplatzes im Produktionsplanungs- und steuerungssystem. Weitere Quellen für die materiellen Basisdaten sind die operativen Informationssysteme. Werden dort Änderungen vorgenommen, so führt dies zu neuen oder veränderten Datenraum-Variablenwerten. Ein Beispiel für die Änderung eines Datenraum-Variablenwertes ist die Rückmeldung der Bearbeitungszeit eines Arbeitsvorgangs. Aus Gründen der Flexibilität und Einheitlichkeit ist das Zielsystem in den Basisdaten abgelegt. Die Zielgrößen werden in einer Zielsystem-Dimension als Dimensionselemente modelliert. Zielgrößen können durch die übergeordnete Dimensionsebene „Zielbereich“ hierarchisch gruppiert werden. Existiert für eine Zielgröße keine passende Datenraumvariable, so muss diese oder ggf. ein neuer Datenraum angelegt werden. Die Zielvorgaben werden als materielle Basisdaten abgebildet. Der Zielvorgaben-Datenraum beinhaltet die Zielvorgaben für alle Ziele aller teilautonomen Leistungseinheiten für die relevanten Führungsperioden. Kennzahlen sind als Messgrößen für Ziele geeignet [10] und bilden daher die Vorlagen für die Zielgrößen. Kennzahlen unterstützen die kompakte zahlenmäßige Erfassung der unternehmerischen Abläufe und ermöglichen nach geeigneter Aufbereitung die Bereitstellung übersichtlicher und präziser Informationen zu Zwecken der optimalen Analyse und Steuerung der unternehmerischen Vorgänge. Einzelne Kennzahlen haben isoliert betrachtet nur eine geringe Aussagekraft. Daher werden Kennzahlen
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in mehrstufige Kennzahlenrechensysteme eingegliedert. Ein Kennzahlensystem ist eine geordnete Gesamtheit von Kennzahlen, die in sachlogischer und/oder rechentechnischer Beziehung zueinander stehen. Kennzahlensysteme sind geeignet, um eine Zielabweichung schrittweise zu analysieren. Mit Hilfe eines Rechensystems wird eine Führungskennzahl auf Basis ihrer Berechnungsvorschrift schrittweise auf andere Kennzahlen zurückgeführt, die als Hilfskennzahlen bezeichnet werden. Während es sich bei den Hilfskennzahlen um lokale Kennzahlen handeln kann, müssen Führungskennzahlen über den betreffenden Bereich hinaus als Zielgrößen für die Führungsinstanz nutzbar sein. Um die funktionalen Beziehungen zwischen den Kennzahlen abzubilden, werden die Hilfskennzahlen als sekundäre, d. h. funktional abhängige Datenraumvariablen modelliert.
Metadaten Durch Veränderungen in den Zielen entsteht die Notwendigkeit für neue Führungsinformationen, welche die Ausgangsbasis für neue Ziele bilden. Daher ist auch eine Flexibilität in der Verfügbarkeit von Führungsinformationen notwendig. Diese Flexibilität in der Führungsdatenbasis wird durch Modellierung der Basisdatenstruktur erreicht. Das so entstehende Metamodell unterstützt zusätzlich ein Verständnis für die aus den Basisdaten erzeugten Führungsinformationen. Änderungen an der Basisdatenstruktur können mit Hilfe einer grafischen Modellierungsumgebung durch Anpassungen am Metamodell vorgenommen werden. Aus den Metadaten kann wiederum eine Basisdatenstruktur erzeugt werden. Die Metadaten enthalten die Beschreibungen der Datenräume (materielle Metadaten) und der Dimensionen (strukturelle Metadaten). Damit ein Benutzer die Daten selbst analysieren kann, muss er wissen, welche Daten ihm zur Verfügung stehen. Um dem Benutzer zusätzlich eine Durchschaubarkeit in der Datenselektion und -verdichtung zu gewähren, muss er diese kennen und verstehen. Dazu benötigt er einen Katalog mit Datenbeschreibungen in einer für ihn verständlichen Terminologie. Diese Informationen über Struktur, inhaltliche Bedeutung und Zusammenhänge der Daten sind in den Metadaten dokumentiert.
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Die Struktur einer Datenbasis wird durch ihr sog. Datenmodell beschrieben. Für die Definition des Datenmodells wird eine Datenbeschreibungssprache verwendet. Da es sich um eine multidimensionale Führungsdatenbasis handelt, kommt zur Beschreibung der Basisdaten in Form von Metadaten eine multidimensionale Modellierung in Frage. Andere Datenmodellierungsverfahren werden aus diversen Gründen für die Modellierung von analytischen Datenbasen nicht empfohlen [4]. Abfragen und Auswertungen werden unter Verwendung der Metadaten definiert, da Segmentierungen und Einschränkungen einer Abfrage auf Dimensionsebenen und -elemente zurückzuführen sind. Um dem Benutzer eine Durchschaubarkeit in der Datenselektion und -verdichtung zu gewähren, muss er die Segmentierungen und Einschränkungen einer Abfrage kennen und verstehen. Dadurch kann der Benutzer Abfragen selbst definieren und bereits definierte Abfragen nachvollziehen. Durch Veränderungen in den strukturellen Metadaten werden neue Dimensionen oder Dimensionsebenen erzeugt oder bestehende verändert. Neue Zielgrößen führen zu neuen Datenraumvariablen und somit zu Veränderungen in den materiellen Basisdatenstrukturen. Veränderungen in den materiellen Basisdatenstrukturen werden über Veränderungen in den materiellen Metadaten vorgenommen. Nach diesen Veränderungen in den Metadaten müssen auch die Basisdaten entsprechend angepasst werden. Falls eine primäre Datenraumvariable zugefügt wird, muss die Datenherkunft geklärt werden, so dass der Datenimport entsprechend angepasst werden kann. Bei sekundären Datenraumvariablen muss die Berechnungsvorschrift angegeben werden, die sich auf vorhandene Datenraumvariablen stützt. Bei jeder Aktualisierung der Führungsdatenbasis werden auch die sekundären Datenraumvariablen aktualisiert. Bei den sekundären Datenraumvariablen handelt es sich somit um redundante Informationen, deren Konsistenz aber automatisch sichergestellt wird. Da sich die Definitionen von Abfragen und Auswertungen auf Metadaten stützen, können Veränderungen in den Metadaten Abfragen und Auswertungen inkonsistent machen. Die Abfragen und Auswertungen müssen daher bei Veränderungen in den Metadaten ebenfalls verändert werden. Bei bestimmten Veränderungen, z. B. Löschung, kann es vorkommen, dass Abfragen oder Auswertungen ungültig werden.
13 Unternehmenscontrolling
Deshalb sollten Veränderungen in den Metadaten wohl überlegt und nur mit entsprechender Vorsicht vorgenommen werden.
Systemdaten Außer den auszuwertenden Basisdaten und den sie beschreibenden Metadaten enthält die Führungsdatenbasis eine Reihe systemspezifischer Daten, die als Systemdaten bezeichnet werden. Systemdaten sind z. B. Benutzerberechtigungen, über die festgelegt wird, welcher Datenraum für welchen Benutzer sichtbar ist. Alle Benutzer mit denselben Berechtigungen können einer Benutzergruppe zugeordnet werden. Sinnvollerweise sind Abfragen und Auswertungen zwar einem Benutzer zugeordnet, aber für alle Benutzer derselben Benutzergruppe zugänglich. Zusätzlich existieren für Abfragen und Auswertungen sog. Vorlagen, die als Ausgangsbasis zur Definition von benutzerspezifischen Abfragen und Auswertungen dienen können. Um Abfragen und Auswertungen konsistent zu definieren, müssen Referenzen zu den Metadaten, wie Dimensionen, Dimensionsebenen, Dimensionselemente, Datenräume und Datenraumvariablen und zu den Basisdaten, speziell den Dimensionselementen, in den Systemdaten abgelegt sein.
Multidimensionale Datenbasen Multidimensionalität steht in diesem Zusammenhang für die logische Anordnung von quantitativen Größen, z. B. einer Bearbeitungszeit, die durch mehrere sachliche Kriterien, z. B. die Zeitperiode, beschrieben werden. Die quantitativen Größen werden in Datenräume strukturiert, die von Dimensionen aufgespannt werden. Zur visuellen Veranschaulichung der Multidimensionalität eines Datenraums wird oft ein dreidimensionaler Würfel verwendet. Tatsächlich kann ein Datenraum aber beliebig viele Dimensionen haben. Die quantitativen Größen eines Datenraums werden als Datenraumvariablen bezeichnet (Abb. 13.11). Dimensionen dienen dazu, Datenraumvariablen in einen semantischen Rahmen zu stellen. Ein Datenraumvariablenwert – z. B. ein Wert für eine Bearbeitungszeit – ist ohne den Bezug zu seinen Dimensio-
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten Dimensions-Ebene 1
Datenraumvariable
DimensionsEbene 3
971
Monat
Arbeitsvorgang
Ist-Bearbeitungszeit
Apr 2006 Mrz 2006
a) Visualisierung eines Datenraums als Würfel
Jan 2006
6230-2
DimensionsEbene 2
6230-1
Dimensions-element 1
35 Minuten
Feb 2006
6230-3 -
Datenraumvariablenwert
6210-1
Dimensions-element 2
4711/30 4711/20 4711/10 Arbeitsplatz
b) Beispielhafter Würfel mit einer Datenraum-variable „ „Ist-Bearbeitungszeit“ “
Abb. 13.11 Multidimensionale Datenbasis
nen, wie Zeitraum oder Auftragsbezug, nicht aussagekräftig. Eine Dimension besteht aus einer Menge von Dimensionselementen. Jedes Dimensionselement besitzt Dimensionselementattribute, die es beschreiben. Zusätzlich können klassifizierende Attribute vorhanden sein, die eine Gruppierung der Dimensionselemente nach Eigenschaften erlauben. Dimensionselemente einer Dimension stehen in einer Beziehung zueinander. Im Falle einer hierarchischen Beziehung werden die Dimensionselemente sogenannten Dimensionsebenen zugeordnet (Abb. 13.12). In nahezu allen betriebswirtschaftlichen Bereichen kommen z. B. die Zeit- oder die Szenario-Dimension vor. Entlang den Dimensionsebenen einer Dimension werden später die von einer unteren Dimensionsebene abhängigen Variablen verdichtet. Dieser Pfad entlang der Dimensionsebenen wird Konsolidierungspfad genannt.
Methoden zur Analyse multidimensionaler Datenbasen Die multidimensionale Strukturierung der Basisdaten ist die Voraussetzung für die Anwendung spezieller Analysemethoden. Da nicht nur die syntaktische Struktur der Daten, sondern auch deren semantische Zusammenhänge in Form der Metadaten abgebildet sind, kann der Benutzer bei der Analyse der Daten
zusätzlich unterstützt werden. Durch die Anreicherung des Datenmodells um Semantik wird der Informationsverlust ausgeglichen, der üblicherweise bei der Trennung von Analysefunktionalität und Daten entsteht. Allgemeine Anforderungen an die Analyse zur Generierung von entscheidungsrelevanten Informationen wurden durch die zwölf OLAP-Regeln spezifiziert [3]. Danach muss ein Analysewerkzeug mehrdimensionale, konzeptuelle Sichten auf die Daten ermöglichen. Eine einfache Benutzerführung muss ein intuitives Arbeiten gestatten. Die Analysen werden unter Verwendung von Abfragen und Auswertungen vorgenommen. Eine Abfrage ist eine Sicht auf einen Datenraum und stellt die Grundlage für die Verdichtung der Einzelwerte oder Datenraum-Variablenwerte dar. Eine Abfrage ist definiert durch • den Abfragedatenraum, innerhalb dessen die Abfrage ausgeführt wird, • die Abfragevariablen, die abgefragt werden, • die Segmentierungen und • die Einschränkungen. Als Ergebnis der Abfrage entsteht eine von den Dimensionen der Abfragesegmentierungen abhängige Sicht auf den Datenraum, der die Abfragevariablen enthält. Das Ergebnis der Abfrage läßt sich in Form einer Auswertung tabellarisch oder grafisch darstellen. Durch spezielle Navigationsfunktion können Abfragen in ähnliche Abfragen überführt werden. Diese
972
13 Unternehmenscontrolling
Dimension
Zeit Dimensionshierarchie
2006
Jahr Monat Tag
Jan 2006 17.1.2006
2007 Feb 2006 18.1.2006
Dimensionselement Basiselement
Dimensionsebene Abb. 13.12 Hierarchische Dimensionen
zur Navigation notwendigen Methoden werden als OLAP-Methoden bezeichnet. Sie eignen sich besonders für die benutzergeführte Abweichungsanalyse [6]. Eine Einschränkung selektiert eine Menge an Datenraum-Variablenwerten oder Dimensionselementen und wird als Bedingung definiert, die ein Variablenwert, eine mathematische Verknüpfung von Variablenwerten oder ein Dimensionsebenenattribut erfüllen muss. Die Festlegung der Menge geschieht durch gezielte Selektion einzelner, mehrerer oder in einem Intervall liegender Dimensionselemente oder Datenraum-Variablenwerte. Die Selektion kann auch nach einer spezifischen Bedingung erfolgen. Die Menge an Dimensionselementen, die durch eine Einschränkung festgelegt ist, beinhaltet immer rekursiv alle Dimensionselemente niedrigerer Dimensionsebenen, die zum ausgewählten Dimensionselement in Beziehung stehen. Das bedeutet z. B., dass eine Einschränkung in der Dimension „Zeit“ auf die Monate Januar und Februar automatisch auch alle Tage innerhalb dieser beiden Monate enthält. Die Aufgabe einer Einschränkung ist es, die Variablenwerte eines Datenraums auf diejenigen einzugrenzen, die mit der in der Einschränkung festgelegten Menge an Dimensionselementen in Beziehung stehen und evtl. zusätzlich innerhalb definierter Werteintervalle liegen. Enthält eine Abfrage mehrere Einschränkungen, ist die Reihenfolge der Einschränkungen unerheblich. Durch eine Einschränkung in einer Dimensionsebene wird eine Teilmenge der Variablenwerte eines Datenraums eingegrenzt. Diese Einschränkung wird als Dimensionsschnitt oder „Slice“ bezeichnet (Abb. 13.13). Durch eine Segmentierung werden alle Variablenwerte verdichtet, die zu ein und demselben Dimen-
sionselement in Beziehung stehen. Die verdichteten Variablenwerte werden dann für die unterschiedlichen Dimensionselemente ausgegeben. Mit Hilfe einer Segmentierung wird die Verdichtung von Variablenwerten erreicht, die eine Gemeinsamkeit aufweisen. Um zu definieren, wie die Variablenwerte verdichtet werden, muss eine Verdichtungsfunktion benannt werden. Um zu definieren, welche Variablenwerte verdichtet werden, muss das Attribut einer Dimensionsebene benannt werden, zu dem diese Variable in Beziehung steht. In der Segmentierung werden dann all diejenigen Variablenwerte zusammengefasst, die zu einem Dimensionselement in Beziehung stehen, das im ausgewählten Attribut dieselbe Ausprägung besitzt. Da das Attribut der Dimensionsebene, nach dem segmentiert wird, für unterschiedliche Dimensionselemente auch unterschiedliche Werte annehmen kann, enthält eine Segmentierung meist auch mehrere Werte. Eine Segmentierung kann daher auch als eine schrittweise Einschränkung nach allen Ausprägungen eines Dimensionselementattributs und anschließende Verdichtung der selektierten Variablenwerte mit Hilfe einer Verdichtungsfunktion bezeichnet werden. Die Definition einer Segmentierung geschieht durch Benennung des Attributs einer Dimensionsebene, nach dem segmentiert wird (Abb. 13.14). Beispiel für eine Segmentierung ist eine Mittelwertbildung aller Variablenwerte der Variable „IstBearbeitungszeit“, die zu einem bestimmten Monat in Beziehung steht. Sind in einer Abfrage mehrere Segmentierungen definiert, so hat die Reihenfolge, in der die Segmentierungen definiert sind, einen Einfluss auf das Ergebnis. Dieser Einfluss wird in der Darstellung der Abfrage sichtbar. Wird die Abfrage zum
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
973
Ist-Bearbeitungszeit
Einschränken (Slice)
Arbeitsvorgang
Monat
Apr 2006 Mrz 2006 Feb 2006 4711/30 4711/20 4711/10
a) Visuelle Darstellung einer Einschränkung
6230-3
6230-2
6230-1
6210-1
Jan 2006
Arbeitsplatz
b) Beispielhafte Einschränkung nach dem Arbeitsvorgang 4711/20
Abb. 13.13 Einschränken (Slice)
Ist-Bearbeitungszeit
Segmentieren
Arbeitsvorgang
Monat
Apr 2006 Mrz 2006 Feb 2006 4711/30 4711/20 4711/10
a) Visuelle Darstellung einer Segmentierung
6230-3
6230-2
6230-1
6210-1
Jan 2006
Arbeitsplatz
b) Beispielhafte Segmentierung nach der Dimensionsebene Monat
Abb. 13.14 Segmentieren
Beispiel als Tabelle visualisiert, so beeinflusst die Reihenfolge der Segmentierungen die Anordnung und Sortierung der Werte innerhalb der Tabelle. Die Darstellung der Bearbeitungszeit pro Arbeitsplatz und Monat unterscheidet sich z. B. von der Darstellung der Bearbeitungszeit pro Monat und Arbeitsplatz. Das Vertauschen der Reihenfolge der Segmentierungen in einer Abfrage wird als „Dicing“ bezeichnet. Je nach Reihenfolge der Segmentierungen werden die Achsen des Würfels vertauscht, d. h. der Würfel
wird im Raum rotiert, was zu einer anderen Ansicht des Würfels führt (Abb. 13.15). Eine Segmentierung wird innerhalb einer Abfrage fast immer in Verbindung mit einer Einschränkung auf der direkt darüber liegenden Dimensionsebene verwendet. Ansonsten entsteht in einer unteren Dimensionsebene durch die vielen Dimensionselemente, nach denen jeweils segmentiert wird, ein sehr umfangreiches Ergebnis, das sich nicht mehr übersichtlich darstellen lässt. Dies wäre z. B. bei der Visualisierung der Bearbeitungszeiten aller vorhandenen Arbeitsvorgän-
974
13 Unternehmenscontrolling
Ist-Bearbeitungszeit
Arbeitsvorgang
Monat
Apr 2006 Mrz 2006 Feb 2006 4711/30 4711/20 4711/10
6230-3
6230-2
6230-1
6210-1
Jan 2006
Ist-Bearbeitungszeit
Arbeitsplatz
Arbeitsvorgang
Ist-Bearbeitungszeit
Monat
Monat
Apr 2006
Apr 2006
Mrz 2006
Mrz 2006
Feb 2006
Arbeitsvorgang
Feb 2006
6230-3
6230-2
Arbeitsplatz
4711/30 4711/20 4711/10
Jan 2006
6230-1
6230-3
6230-2
6230-1
6210-1
Jan 2006
6210-1
4711/30 4711/20 4711/10
Arbeitsplatz
Abb. 13.15 Rotieren (Dice)
ge in einem Unternehmen der Fall. Daher ist eine Einschränkung auf einen Monat oder einen Arbeitsplatz sinnvoll. Da die Vielzahl der für unser Anwendungsgebiet notwendigen Variablen von unterschiedlichen Dimensionen abhängig ist, empfiehlt es sich, diese auf mehrere Datenräume zu verteilen. Aufgrund dieser Verteilung sind datenraumübergreifende Verknüpfungen notwendig. Die Operationen zur Erstellung solcher datenraumübergreifenden Verknüpfungen werden als OLAP-Join bezeichnet. Bei einem OLAP-Join werden die Variablenwerte eines Datenraums aus den Variablenwerten eines anderen Datenraums abgeleitet. Der Datenraum, der die abgeleiteten oder sekundären Da-
tenraumvariablen enthält, muss dieselben oder eine Untermenge der Dimensionen aufweisen, die der Ausgangsdatenraum besitzt. Bei der Navigationsfunktion „Roll-Up“ wird die Einschränkung, die auf einer bestimmten Dimensionsebene festgelegt ist, auf die darüberliegende Dimensionsebene angehoben. Da in einer hierarchischen Dimension ein Dimensionselement immer genau einem Dimensionselement der darüberliegenden Dimensionsebene zugeordnet ist, kann ein Roll-Up ohne die zusätzliche Festlegung eines Dimensionselements geschehen. Beim Roll-Up muss nur die Dimension festgelegt werden, über die der Roll-Up erfolgen soll. Liegt die Einschränkung schon auf der obersten Di-
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
mensionsebene vor, wird die Einschränkung in dieser Dimension gelöscht. Liegt eine Segmentierung in derselben Dimension vor, nach der ein Roll-Up erfolgt, so wird auch die Segmentierung auf die darüberliegende Dimensionsebene geändert. Der Roll-Up in einer definierten Dimension vergrößert die Menge der in die Abfrage eingehenden Variablenwerte. Dabei bleiben nicht betroffene Einschränkungen und Segmentierungen, z. B. in anderen Dimensionen, unverändert erhalten. Eine Abfrage, welche die Bearbeitungszeiten an den Arbeitsplätzen der Arbeitsplatzgruppe „Drehmaschinen“ in einem bestimmten Monat aufzeigt, kann durch einen Roll-Up in der Zeitdimension in eine Abfrage überführt werden, welche die Bearbeitungszeiten derselben Arbeitsplätze im zugehörigen Jahr darstellt. Das Gegenstück zum Roll-Up ist der „DrillDown“. Beim Drill-Down wird die Einschränkung einer Abfrage, die auf Basis einer bestimmten Dimensionsebene festgelegt ist, auf die darunterliegende Dimensionsebene verändert. Der Drill-Down in einer definierten Dimension verringert die Menge der in die Abfrage eingehenden Variablenwerte. Beim Drill-Down muss außer der Dimensionsebene auch das Dimensionselement festgelegt werden, auf das eingeschränkt werden soll. Ist eine Einschränkung in dieser Dimension schon auf der untersten Dimensionsebene festgelegt, wird die Einschränkung auf das ausgewählte Dimensionselement geändert. Liegt eine Segmentierung in derselben Dimension vor, nach der ein Drill-Down erfolgt, so wird auch die Segmentierung auf die darunterliegende Dimensionsebene geändert. Eine Auswertung stellt eine oder mehrere Abfragen grafisch oder tabellarisch dar. Je nach grafischer oder tabellarischer Darstellungsform sind unterschiedliche Parameter zu definieren, die das Erscheinungsbild der Auswertung maßgeblich beeinflussen. Die tabellarische Darstellungsform einer Abfrage, die zusätzlich eine Reihe der oben erwähnten Analysefunktionalitäten zur Verfügung stellt, wird als PivotTabelle bezeichnet. Mit Hilfe der Analysefunktionen können die Daten unterschiedlich sortiert, zusammengefasst und gefiltert werden. Bei einer Pivot-Tabelle muss definiert werden, welche der Segmentierungen auf die Tabellenspalte und welche auf die Tabellenzeile aufgeteilt wird. Dabei ist bei mehreren Segmentierungen in den Tabellenspalten oder -zeilen zwingend
975 Ziel
Organisations-bezug
Zielgröße Zielprioritätt
Zeitperioden-bezug
Zielwerte
Abb. 13.16 Ziel
eine Reihenfolge anzugeben, in der die Segmentierungen angeordnet bzw. gestaffelt sind. Bei mehr als drei oder vier Segmentierungen in den Tabellenspalten oder -zeilen leidet die Übersichtlichkeit. Wird mehr als eine Variable dargestellt, so muss, wie bei einer zusätzlichen Segmentierung, entweder eine Tabellenspalte oder -zeile dafür reserviert werden. Zur grafischen Darstellung einer Auswertung als Diagramm kommen unterschiedliche Diagrammtypen, wie Säulendiagramme, Balkendiagramme oder Liniendiagramme, in Frage, die sich teilweise optisch, nicht aber in ihren Eigenschaften gravierend unterscheiden. 13.3.2.2 Führungsfunktionen Zielfestlegung Ein Ziel ist durch den Zielinhalt, das Zielausmaß und die Zielpriorität festgelegt [5]. Ein Ziel ist zeit- und organisationsabhängig. Der Zeitbezug legt den Zeitpunkt fest, an dem die Zielerreichung überprüft wird. Über den Organisationsbezug wird diejenige Organisationseinheit festgelegt, die für die Zielerreichung verantwortlich ist (Abb. 13.16). Der Zielinhalt wird über eine Zielgröße festgelegt. Diese Zielgröße wird als Datenraumvariable modelliert. Im Bereich der Produktion können Produktionscontrollingkennzahlen als Vorlagen für die Zielgrößen verwendet werden. Um eine Zielgröße später analysieren zu können, sollten auch funktionale Abhängigkeiten der Zielgröße von anderen Zielgrößen beschrieben werden. Vorlage für diese funktionalen Zusammenhänge zwischen Kennzahlen liefern Kennzahlenrechensysteme. Dabei wird eine funktional abhängige Führungskennzahl und alle zugehörigen Hilfskennzahlen aus denen sie berechnet wird, in einem gemeinsamen Datenraum modelliert. Ziele werden zu hierarchischen Zielsystemen zusammengefasst. Ein Zielsystem umfasst dabei eine
976
13 Unternehmenscontrolling
Abb. 13.17 Betriebliche Navigation, vgl. [8]
Menge an Zielen und ihre Beziehungen untereinander (Abb. 13.17). Zielsysteme werden als Steuerungs- und Kontrollinstrument zur Führung von Organisationseinheiten genutzt. Dazu sind zusätzliche Informationen über die Ziele wünschenswert: • die Zielgewichtung oder Zielpriorität, die eine Zielbedeutung widerspiegelt und • der Zielwertebereich, der durch eine Abweichungssignifikanz definiert ist und so den Toleranzbereich festlegt, in dem sich der Ergebniswert befinden sollte. Die Signifikanz einer Zielabweichung wird durch die sog. Abweichungssignifikanzfunktion bewertet. Im einfachsten Fall ist die Abweichungssignifikanzfunktion zweiwertig und unterscheidet mit Hilfe eines Schwellwerts signifikante und nicht signifikante Zielabweichungen. Eine Abweichungssignifikanzfunktion muss die Aufgabe erfüllen, signifikante Abweichungen von nicht signifikanten Abweichungen zu unterscheiden,
d. h. die Funktion muss eine reelwertige Eingabevariable haben und mindestens zweiwertig sein. Das Zielausmaß wird durch die Zielwerte vorgegeben. Zielwerte können als Einzelwerte für eine oder mehrere Führungsperioden oder über mathematische Funktionen definiert werden. Zielwerte und Zielprioritäten müssen für alle Ziele einer teilautonomen Leistungseinheit für die nächsten Führungsperioden existieren. Die Zielwerte und Zielprioritäten werden im Rahmen der Zielfestlegung zwischen Führungsinstanz und Leistungseinheit abgestimmt. Falls es sich um ein neues Ziel handelt, für das bisher keine Zielwerte festgelegt sind, sollten zuerst Messungen für die Zielgrößen vorgenommen werden. Die in der Vergangenheit erreichten Werte für eine Zielgröße liefern konkrete Anhaltspunkte, an denen sich erste Zielwerte orientieren können. Aber auch für bestehende Ziele müssen Zielwerte und Zielprioritäten immer wieder für die nächsten Führungsperioden vorgegeben bzw. angepasst werden. Dabei sollten die Zielwerte und Zielprioritäten der vergangenen
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
Führungsperioden unverändert erhalten bleiben. Ebenso muss es möglich sein, Zielwerte und Zielprioritäten für jede Führungsperiode und Leistungseinheit unterschiedlich festzulegen. Das Zielsystem wird als sog. Zielsystem-Dimension abgelegt. Diese Dimension enthält die beiden Dimensionsebenen „Zielgröße“ und „Zielbereich“. Im Dimensionselement „Zielgröße“ sind Eigenschaften gespeichert, wie Name, Beschreibung, Zielrichtung und Abweichungssignifikanzfunktion. Zusätzlich ist die Messbarkeit der Zielgröße durch die Referenz zu einer Datenraumvariablen sichergestellt. Datenraumvariablen, die inhaltlich eng zusammengehören und von denselben Dimensionen abhängen, werden im gleichen Datenraum abgebildet. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit werden Zielgrößen zu Zielbereichen thematisch gruppiert. Die Dimensionsebene „Zielbereich“ bildet diese thematische Gruppierung der Zielgrößen ab. Die Zielwerte und Zielprioritäten sind abhängig vom Ziel, für das sie gelten, von der Organisationseinheit, die für die Zielerreichung verantwortlich ist und von der Führungsperiode, in der die Zielwerte erreicht werden müssen. Um diese Abhängigkeiten abzubilden, werden die Zielwerte und Zielprioritätswerte in einem Zielvorgabe-Datenraum abgelegt. Dieser Datenraum enthält als primäre Datenraumvariablen den Zielwert und die Zielpriorität und ist von den Dimensionen Verantwortlichkeit, Zeit und Zielsystem abhängig. Zielwerte und Zielprioritäten sind im ZielvorgabenDatenraum abgelegt, der von der Zielgrößen-, der Zeit- und der Verantwortlichkeitsdimension abhängig ist.
Ziel-Ergebnis-Analyse Die Zielerreichung wird in der Realisierungsphase durch die Leistungseinheiten angestrebt und in der anschließenden Kontrollphase mit Hilfe der ZielErgebnis-Analyse überprüft. Die Kontrolle der Zielerreichung durch die ZielErgebnis-Analyse geschieht durch den regelmäßigen Vergleich von erreichtem Ergebnis und gesetzter Zielvorgabe für jedes Ziel und jede Leistungseinheit (Abb. 13.18). Dazu muss der gemessene Ergebniswert dem zugehörigen Zielwert für alle Ziele einer teilautonomen Leistungseinheit in einer Ziel-Ergebnis-
977
Auswertung gegenübergestellt werden. Da die Zielgröße und alle zu ihrer Berechnung notwendigen Größen in der multidimensionalen Führungsdatenbasis abgelegt sind, kann die Ziel-Ergebnis-Analyse und die Abweichungsanalyse mit Hilfe der Methoden zur Analyse multidimensionaler Datenbasen realisiert werden. Das erzielte Ergebnis, d. h. die Ergebniswerte werden nach jeder Aktualisierung der Führungsdatenbasis berechnet und im Zielvorgabendatenraum gespeichert. Die Berechnung der Ergebniswerte stützt sich auf die Basisdaten und somit direkt oder indirekt auf die Ist-, Plan- und Sollwerte aus dem Leistungserstellungsprozess. Zur Berechnung der Ergebniswerte wird eine Ergebnisabfrage benutzt, deren Abfragevariable die Datenraumvariable darstellt, welche die Zielgröße abbildet. Um die Abhängigkeit der Zielgröße von der Zeit und Organisation zu gewährleisten, sind für ihre Datenraumvariable nur Datenräume zulässig, die eine Abhängigkeit von der Zeit- und der Verantwortlichkeitsdimension aufweisen. Die Einschränkungen der Ergebnisabfrage bestehen aus der Führungsperiode und der teilautonomen Leistungseinheit. Zusätzlich sind je nach Zielgröße und Anwendungsfall weitere Einschränkungen möglich. Die Ergebnis- und Zielwerte werden durch eine Zielvorgabenabfrage selektiert und im ZielErgebnis-Monitor dargestellt. Abfragevariablen der Zielvorgabenabfrage sind die Datenraumvariablen „Ergebniswert“, „Zielwert“, „Zielpriorität“ und „Zielgrenzwert“, die Abfrageeinschränkungen sind die Zielgröße, die Führungsperiode und die teilautonome Leistungseinheit. Das Ergebnis der Abfrage wird in Form einer grafischen Ziel-Ergebnis-Auswertung visualisiert. Zur Unterstützung der Führungsinstanz und der teilautonomen Leistungseinheit wird zusätzlich zum verwendeten Führungsmodell MbO die Führungsphilosophie „Management by Exceptions“ eingesetzt. Dazu müssen in die Ziel-Ergebnis-Auswertung Frühwarnfunktionalitäten integriert werden. Diese Frühwarnfunktionalitäten bestehen aus einem „Scanning“, das signifikante Zielabweichungen feststellt und einem „Monitoring“, das diese Abweichungen in einem sog. Ziel-Ergebnis-Monitor kennzeichnet. Der ZielErgebnis-Monitor visualisiert die Zielerreichung für alle Ziele einer teilautonomen Leistungseinheit in der aktuellen Führungsperiode in Form eines Ampeldiagramms. Für ein Ziel und eine Führungsperiode wird
978
13 Unternehmenscontrolling
Führungsdatenbasis
Ziel-Ergebnis-Monitor
ZielDimension
Zielrichtung, Abweichungssignifikanz
ZielvorgabenDatenraum
Zielvorgabenabfrage
Zielwerte, Zielprioritäten, Zielgrenzwerte
Ergebniswerte Abb. 13.18 Ziel-Ergebnis-Monitor (Aufbau)
je eine Ampel mit entsprechender Farbe dargestellt, in der die Signifikanzwertigkeiten in unterschiedlichen Farben bzw. Farbtönen dargestellt werden. Durch die einfache und übersichtliche Darstellungsform ist der Ziel-Ergebnis-Monitor geeignet, um einen schnellen Überblick über die Zielerreichung einer Leistungseinheit zu geben. Durch seine Einfachheit unterstützt der Ziel-Ergebnis-Monitor die Verständlichkeit für die dargestellten Führungsinformationen. Bei Auftreten einer roten Ampel innerhalb des ZielErgebnis-Monitors muss eine Abweichungsanalyse für dieses Ziel durchgeführt werden, um die Ursachen festzustellen. Anschließend werden im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses Maßnahmen beschlossen und ergriffen, um die Ursachen zu beseitigen und somit die Zielabweichungen zukünftig zu vermeiden. Der Ziel-Ergebnis-Monitor ist das zentrale Werkzeug mit der die Kontrolle der Zielerreichung durch die Führungsinstanz wahrgenommen wird. Ein Ziel-Ergebnis-Monitor stellt eine Ziel-ErgebnisAuswertung mit der Darstellungsform „mehrfaches Ampeldiagramm“ dar. In der obersten Zeile des ZielErgebnis-Monitors sind der Name der teilautonomen Leistungseinheit und die Führungsperiode dargestellt. Angezeigt werden für alle Ziele einer teilautonomen Leistungseinheit die Ergebniswerte, die Zielwerte, die Zielabweichungen und die Zielprioritätswerte für die aktuelle Führungsperiode. Zusätzlich wird für jedes Ziel dessen Abweichungssignifikanz in Form einer
Ampel angezeigt. Neben jeder Ampel steht der Name der Zielgröße. Die Zielabweichung (ZABW) wird als Differenz von Ergebniswert (EW) und Zielwert (ZW) berechnet. Die Abweichungssignifikanz wird mit Hilfe einer Abweichungssignifikanzfunktion bewertet und in der Ampel entsprechend farblich angezeigt. Beispielhaft ist ein Ziel-Ergebnis-Monitor für eine teilautonome Leistungseinheit (TLE1) für die Führungsperiode (Monat/Jahr) dargestellt (Abb. 13.19). Für jede Zielgröße muss für den Ziel-ErgebnisMonitor eine Ergebnisabfrage definiert werden. Diese Ergebnisabfragen verdichten jeweils für eine Zielgröße die Einzelwerte zum Ergebniswert. Da im Zielvorgabe-Datenraum die Zielvorgaben für alle Zielgrößen abgelegt sind, können mit einer Zielvorgabenabfrage die Zielvorgaben für alle Zielgrößen einer Leistungseinheit in einer Führungsperiode gleichzeitig selektiert werden. Die Zielvorgaben müssen allerdings nach Zielgröße unterschieden werden, weshalb eine Segmentierung in der Zielsystem-Dimension nach der Dimensionsebene „Zielgröße“ notwendig wird. Liegt für ein Ziel innerhalb des Ziel-ErgebnisMonitors eine signifikante Zielabweichung vor, so ist die entsprechende Ampel rot. Die Ziel-ErgebnisAuswertung verzweigt sich und stellt die Ausgangsposition dar, von der anschließend in ähnliche Auswertungen navigiert wird, um eine Ursachenanalyse zu erstellen. Damit die Objektivität der Messung gewährleistet wird, dürfen in die Ergebnisabfrage für eine teil-
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
TLE:
979
Führungsperiode: <Monat> <Jahr>
Liefertreue
Lieferzeit
Termineinhaltung Gesamt
Durchlaufzeiteinhaltung
(Terminabweichung:Plan-/Istabweichung Gesamt) EW: 3,1 Tage ZW: 1,0 Tage UG: 0,0 Tage OG: 3,0 Tage
(Durchlaufzeitabweichung: Plan-/Istdurchlaufzeitenabweichung) EW: 2,2 Tage ZW: 2,0 Tage UG: 0,0 Tage UG: 3,0 Tage
Termineinhaltung Transport
Durchführungszeiteinhaltung
(Terminabweichung: Plan-/Istabweichung Transportende) EW: 2,1 Tage ZW: 2,0 Tage UG: 0,0 Tage OG: 4,0 Tage
(Durchlaufzeitabweichung: Plan-/Istdurchführungszeitabweichung) EW: 1,1 Tage ZW: 1,0 Tage UG: 0,0 Tage OG: 2,0 Tage
Termineinhaltung Bearbeitung (Terminabweichung: Plan-/Istabweichung Führungsinstrument Bearbeitungsende) EW: 1,6 Tage ZW: 1,0 Tage UG: 0,0 Tage OG: 2,0 Tage
Herstellkosten
Kapitalbindungskosten
Auslastung Kapazitätseinheiten
Istauftragsbestand
(Auslastung: Plan-/Istabweichung Auslastung) EW: 83% ZW: 90% UG: 80% OG: 100%
(Auftragsmengen: Ist-Stückmenge) EW: 1,2 Tage ZW: 1,0 Tage UG: 0,5 Tage OG: 3,0 Tage
Planauftragsbestand (Auftragsmengen: Plan-Stückmenge) EW: 2,7 Tage ZW: 1,0 Tage UG: 0,5 Tage OG: 3,0 Tage
Legende:
EW = Ergebniswert ZW = Zielwert UG = Unterer Zielgrenzwert OG = Oberer Zielgrenzwert
Abb. 13.19 Beispielhafter Ziel-Ergebnis-Monitor
autonome Leistungseinheit nur die Basisdatenwerte eingehen, die diese Leistungseinheit in der aktuellen Führungsperiode auch zu verantworten hat. Diese Bedingung wird dadurch erfüllt, dass nur Datenraumvariablen für Zielgrößen zulässig sind, die eine Abhängigkeit von der Zeit- und Verantwortlichkeitsdimension aufweisen. Zusätzlich sind z. T. noch weitere Einschränkungen in der Ergebnisabfrage zulässig und sinnvoll. Eine Individualisierung der Zielgröße für eine Leistungseinheit ist durch die Anpassung der Einschränkungen auf die einheitenspezifischen Randbedingungen möglich. Dies soll an einem konkreten Beispiel nochmals anschaulich erläutert werden. Am Beispiel der Zielgröße „Termineinhaltung“ wird eine solche Ziel-Ergebnis-Auswertung beschrieben. Als verantwortliche Organisationseinheit wird die teilautonome Leistungseinheit (TLE1), als gegen-
wärtige Führungsperiode (Monat/Jahr) angenommen. Die Ergebnisabfrage stellt die Ergebniswerte je Monat gegenüber (Abb. 13.20). Als Darstellungsform für die Auswertung wurde ein Säulendiagramm gewählt. Die Segmentierung nach Monaten wurde auf die X-Achse, der Ergebniswert und Zielwert auf die Y-Achse gelegt. Die Überschrift des Diagramms dokumentiert die Namen der Zielgröße, der Datenraumvariablen, sowie die Einschränkungen und Segmentierungen der Abfragen und das Datum der Diagrammerzeugung.
Abweichungsanalyse Mit Hilfe der Abweichungsanalyse werden die Ursachen einer Zielabweichung ermittelt, so dass die teilautonome Leistungseinheit reagieren und daraus ler-
980
13 Unternehmenscontrolling Termineinhaltung
Stand:
Terminabweichung. Plan-/Istabweichung Gesamt
<Monat> <Jahr>
10,0 9,0 8,0 7,0 in [h]
6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 Jan
Feb
Mrz
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Jan 6,50 0,00 9,00
Feb 7,80 0,00 9,00
Okt
Nov
Dez
Zielwert
Ergebniswert Monat Ergebniswert Zielwert oberer Grenzwert
Sep
Mrz 6,70 0,00 9,00
Apr 8,20 0,00 8,00
Mai 7,80 0,00 8,00
Jun
Jul
6,90 0,00 8,00
7,50 0,00 8,00
Aug 8,90 0,00 8,00
Sep 0,00 8,00
Okt 0,00 8,00
Nov 0,00 8,00
Dez
ø Jahr <Jahr> 7,54
0,00 8,00
Abb. 13.20 Beispielhafte Ziel-Ergebnis-Auswertung
nen bzw. die Erkenntnisse bei der nächsten Zielvorgabenfestlegung berücksichtigen kann. Ausgangspunkt einer Abweichungsanalyse ist eine im Ziel-Ergebnis-Monitor gekennzeichnete, signifikante Zielabweichung. Diese signifikante Zielabweichung zwischen Ergebniswert und Zielwert gilt es zu analysieren. Dies geschieht ausgehend von der ZielErgebnis-Auswertung mit Hilfe einer sog. Navigation in ähnliche Auswertungen. Eine Auswertung ist einer anderen Auswertung ähnlich, wenn die beinhalteten Abfragen ähnlich sind. Die Überführung einer Abfrage in eine ähnliche Abfrage und somit einer Auswertung in eine ähnliche Auswertung geschieht mit Hilfe der bereits beschriebenen Methoden zur Abfragennavigation (Abb. 13.21). Ausgehend vom Ziel-Ergebnis-Monitor wird zunächst auf die Ziel-Ergebnis-Auswertung verzweigt, in der nur noch die Zielgröße angezeigt wird, in der die Abweichung aufgetreten ist. Um die Abweichung bzgl. ihres zeitlichen Verlaufs zu beurteilen, muss anschließend die betrachtete Zeitperiode über die Führungsperiode hinaus auf einen größeren Zeitraum in die Vergangenheit ausgedehnt werden. Kann dadurch die Ursache nicht identifiziert werden, müssen im nächsten Schritt der Ergebniswert
oder der Zielwert nacheinander näher betrachtet werden. Durch die Betrachtung der Zielwerte kann herausgefunden werden, ob diese in den letzten Führungsperioden in größerem Ausmaß angehoben wurden bzw. unkorrekte Werte vorliegen. Der Ergebniswert wird mit Hilfe der Zielgrößendefinition gemessen, deren Berechnungsvorschrift sich i. d. R. an einer Führungskennzahl orientiert. Falls die Führungskennzahl über ein zugehöriges Kennzahlensystem verfügt, ist sie wiederum durch eine mathematische Verknüpfung von Hilfskennzahlen definiert. Durch Analyse der funktional abhängigen Hilfskennzahlen können die Abweichungen in den Ergebniswerten näher untersucht werden. Eine Untersuchung der Ursachen entlang eines implizit enthaltenen Kennzahlensystems geschieht also durch Navigation von der Ergebnisabfrage zu einer Abfrage mit geänderten Abfragevariablen, wobei die Segmentierungen und Einschränkungen der Abfrage beibehalten werden. Um einen Hinweis zu erhalten, worauf eine Abweichung in einer Zielgröße zurückzuführen ist, können daher die in die funktionale Verknüpfung eingehenden Datenraumvariablen näher untersucht werden. Die funktionale Verknüpfung der sekundären Datenraumvariablen ist
Tag
Monat
Jahr
Monat
Jahr
Terminabweicbung Terminabweichung
981
Tag
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
Terminabweicbung Terminabweichung
Monat
Slice
Jahr.Name =2004
Terminabweicbung Terminabweichung Plan-/Istabweichung Gesamt
Tag
Andere Variable
Plan-/Istabweichung Gesamt
Jahr
Monat
Terminabweicbung Terminabweichung
Tag
DrillDown
Jahr
Monat
Terminabweicbung Terminabweichung Plan-/Istabweichung Übergang
Tag
RollUp
Plan-/Istabweichung Gesamt
Plan-/Istabweichung Gesamt
Abb. 13.21 Navigationsmöglichkeiten
in den Metadaten der Führungsdatenbasis beschrieben. Auf Basis dieser Zusammenhänge können durch einen Wechsel der Datenraumvariablen die Ursachen für eine Zielabweichung schrittweise analysiert werden. Ergebniswerte entstehen durch die Verdichtung von Einzelwerten mit Hilfe einer Verdichtungsfunktion. Eine Veränderung in der Verdichtungsfunktion kann ebenfalls zur Ursachenanalyse eingesetzt werden. So können durch den Wechsel von der Summen- auf die Maximum- bzw. Minimumfunktion, Extremwerte in den verdichteten Einzeldaten ausfindig gemacht werden, welche die Ursache für die Zielabweichung sein können. Welche Einzelwerte in die Verdichtung eingehen, wird durch die Abhängigkeit der Datenraumvariablen von den Dimensionen über die Einschränkungen in der Ergebnisabfrage bestimmt. Über die schrittweise Veränderung dieser Einschränkungen kann die Menge der in die Abfrage eingehenden Einzelwerte auf die für die Abweichung relevante Menge eingeschränkt werden. Auf diese Weise kann der Zeitraum bzw. der Verursacher für eine Zielabweichung bestimmt werden. Da die Menge der in die Berechnung eingehenden Datenraum-Variablenwerte im Regelfall sehr groß ist, kann eine Analyse nicht durch Sichtung aller
Einzelwerte durchgeführt werden. Vielmehr muss die Menge dieser Werte auf die für die Abweichung relevante Menge eingeschränkt werden. Dies geschieht durch schrittweise Veränderung der Einschränkungen und Segmentierungen mit Hilfe der Navigationsfunktionen, wie z. B. dem Drill-Down. Eine Navigation innerhalb einer Auswertung wird ermöglicht, indem auf ähnliche Abfragen zurückgegriffen wird (s. Abb. 13.21). Liegt bei einer Segmentierung eine signifikante Abweichung innerhalb eines Segmentierungselements vor, so kann durch Einschränkung auf dieses Element und eine weitere Segmentierung, die Menge der in die Berechnung eingehenden Datenraum-Variablenwerte immer weiter verkleinert werden. Ist die Menge der Datenraum-Variablenwerte weit genug eingegrenzt, wird evtl. der Abweichungsgrund sichtbar. Ist der Abweichungsgrund bekannt, kann durch geeignete Maßnahmen versucht werden, die Ursachen für die Abweichung im Zuge eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses abzustellen. In der oben skizzierten Weise kann der Abweichungsgrund vom Benutzer gesteuert und ergründet werden. Diese Navigation ist nur deshalb möglich, weil die Basisdaten sowie ihre Struktur und Zusammenhänge als Metadaten in der Führungsdatenbasis abgebildet sind.
982
13 Unternehmenscontrolling
13.3.3 Projektvorgehensweise Voraussetzung für die Einführung des beschriebenen Führungsinstruments ist, dass im Betrachtungsbereich dezentrale, teilautonome Leistungseinheiten geschaffen wurden. Zusätzlich muss im Management die Bereitschaft vorhanden sein, die Ziele für den Betrachtungsbereich auf oberer Ebene klar zu definieren. Die Einführung des Führungsinstruments gliedert sich i. d. R. in folgende vier Phasen [1]: 1. 2. 3. 4.
Autonomie der Leistungseinheiten sicherstellen, Ziele festlegen, Führungsdatenbasis aufbauen, Führungsregelkreis initiieren.
In der ersten Projektphase wird zunächst geprüft, ob die Autonomie der Leistungseinheiten gegeben ist. Dazu müssen z. B. die Verantwortlichkeiten und die Zuordnung der Ressourcen zu den Leistungseinheiten untersucht werden. Treten Überschneidungen auf, muss durch organisatorische Maßnahmen Autonomie geschaffen werden, z. B. Vereinbarungen oder Investitionen. Ein wichtiges Ergebnis der ersten Phase ist somit die verbindliche Definition der Autonomie jeder Leistungseinheit. Diese Autonomie wird über Festlegungen in den Bereichen integrierter Aufgaben, KundenLieferanten-Beziehungen und Ziele der Leistungseinheit beschrieben. In der Produktion werden häufig zusätzlich zu den operativen Tätigkeiten Produktionsplanungs- und -steuerungsaufgaben integriert. Im Rahmen der Wertschöpfungsprozesse entstehen Kunden-LieferantenBeziehungen zwischen den Leistungseinheiten. Die Wertschöpfungsprozesse werden durch sog. Produktionsaufträge abgebildet. Eine Kunden-LieferantenBeziehung entsteht immer dann, wenn zwei aufeinanderfolgende Arbeitsgänge eines Produktionsauftrages in unterschiedlichen Leistungseinheiten bearbeitet werden (Abb. 13.22). Einige der Ziele einer teilautonomen Leistungseinheit werden sich an diesen Kunden-LieferantenBeziehungen ausrichten. Dabei muss ein Kunde Wünsche und Anforderungen an seine Lieferanten in Form von messbaren Zielen formulieren. Autonomie wird letztendlich dadurch erreicht, dass nicht die Aufgabenerfüllung, sondern die Zielerreichung kontrolliert wird. Daher müssen sich die Ziele der Leistungseinheit aus den integrierten Aufgaben
ableiten lassen. Für diese Ziele muss die Leistungseinheit Verantwortung übernehmen, da sie diese Ziele durch die integrierten Aufgaben direkt beeinflussen kann. In einer zweiten Projektphase müssen die Ziele der Leistungseinheiten festgelegt werden. Diese Zielfestlegung ist eine kritische Projektphase. Die am häufigsten auftretenden Fehler bei der Zielfestlegung sind: • unscharfe Formulierung von Zielen, • Ziele ohne Kenntnis der Notwendigkeit und des derzeitigen Zielerreichungsgrades, • unrealistische Ziele, • Ziele ohne Beachtung von Ressourcen und Rahmenbedingungen, • zu enge Zielsetzung oder ein zu engmaschiges Kontrollsystem, das zu Widerständen führt, welche der Intention des Führungsmodells zuwiderlaufen, • Ziele sollten keine direkten Handlungsanweisungen enthalten, aber dennoch so konkret sein, dass messbare Zielgrößen definiert werden können und dass die teilautonomen Leistungseinheiten die Ziele durch ihre eigenen Aufgaben nicht beeinflussen können. Die Festlegung der Zielgrößen erfolgt in Workshops mit den betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften. Dabei werden die Ziele ständig daraufhin überprüft, ob sie für die Mitarbeiter verständlich und direkt beeinflussbar sind. Eine Übersicht über die Zielgrößen der einzelnen Leistungseinheiten kann in Form eines sog. Zielsystems dokumentiert werden. Zusätzlich werden eine detaillierte Beschreibung der Zielgrößen, ihre Berechnungsformeln und die zur Berechnung notwendigen Daten erstellt. Dabei sind folgende Anforderungen an die Zielgrößen zu stellen: • Objektivität: Eine Zielgröße muss möglichst realitätsnah ein Leistungsmerkmal einer Leistungseinheit widerspiegeln. • Präzision: Mehrere Zielgrößen-Messungen sollten bei unveränderter Messumgebung zu gleichen Messresultaten führen. • Sensitivität: Veränderungen der Leistungsmerkmale sollten sich zeitnah in veränderten Messwerten niederschlagen. • Verständlichkeit: Die Zielgrößen und ihre Zusammenhänge sollten für die Mitarbeiter leicht verständlich und transparent sein.
13.3 Führung dezentraler und teilautonomer Leistungseinheiten
983
TLE 1 disponiert Produktionsauftrag Montageauftrag
Fertigungsauftrag Auftrags-sicht
C
A B
TLE 2
Kapazitätseinheit 1
A
Kapazitäts-einheit 2
C
Ressourcen-sicht
TLE 1
Kunden-LieferantenBeziehungen Kapazitäts-einheit 3
B
Legende:
TLE 1
Vorgänger-/NachfolgerBeziehung zwischen Arbeitsvorgängen
Kapazitätseinheit Produktions-, - Fertigungs-, -, Montageauftrag Arbeitsvorgang
TLE 2
TLE
Teilautonome Leistungseinheit
Abb. 13.22 Kunden-Lieferanten-Beziehungen
• Einflussmöglichkeit: Die von den Zielgrößen gemessenen Leistungsmerkmale sollten innerhalb einer angemessenen Zeitdauer beeinflusst werden können. • Messbarkeit: Zielgrößen mit quantitativen Maßstäben müssen bevorzugt werden. Häufig entstehen aber genau bei der Definition der Zielgrößen Probleme, da die zur Messung der Zielgrößen verwendeten Basisdaten nicht immer einen eindeutigen Zeit- bzw. Organisationsbezug aufweisen. Dadurch entstehen Missverständnisse oder Unstimmigkeiten, weil die Leistungen nicht eindeutig einer Führungsperiode oder Leistungseinheit zugeordnet werden können. In der dritten Projektphase werden ausgehend von den festgelegten Zielgrößen die zur Messung notwendigen datentechnischen Voraussetzungen geschaffen.
Existiert für eine Zielgröße keine Datenraumvariable, muss diese als Datenraumvariable angelegt werden. Dazu muss ein passender Datenraum gefunden werden, d. h. ein Datenraum, der von denselben Dimensionen abhängig ist, wie die abzubildende Zielgröße und zusätzlich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der Zielgröße und den anderen in diesem Datenraum enthaltenen Datenraumvariablen besteht. Bei Zielgrößen muss der zugehörige Datenraum mindestens von der Zeit- und Verantwortlichkeits-Dimension abhängig sein. Ist kein passender Datenraum vorhanden, muss ein neuer Datenraum angelegt werden. Die Abhängigkeit eines Datenraums von einer Dimension wird durch Referenzierung mit einer Dimensionsebene dokumentiert. Die Datenraumbeziehung sollte zur besseren Verständlichkeit mit einer Beziehungsbezeichnung versehen werden. Dies ist insbesondere dann notwendig,
984
falls zwei Beziehungen zu derselben Dimensionsebene angelegt werden müssen. Bei der Abbildung einer neuen Datenraumvariablen muss entschieden werden, ob es sich um eine importierte, d. h. primäre, oder um eine mathematisch abgeleitete, d. h. eine sekundäre Variable handelt. Anschließend werden ihr Name und ihr Kurzbezeichner festgelegt. Bei sekundären Variablen muss zusätzlich die funktionale Verknüpfung angegeben werden. Ist die Datenraumvariable für eine neue Zielgröße in der Führungsdatenbasis nicht vorhanden, scheint es zunächst am einfachsten und sinnvollsten, sie direkt als primäre Datenraumvariable zu modellieren. Bei primären Datenraumvariablen werden die DatenraumVariablenwerte direkt aus den operativen Informationssystemen in die Führungsdatenbasis importiert. Soll z. B. die Auslastung als primäre Datenraumvariable modelliert werden, müssen die zugehörigen Werte direkt aus dem operativen Informationssystem, in diesem Fall dem Produktionsplanungs- und -steuerungssystem, importiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Auslastung für jeden Arbeitsplatz im Produktionsplanungs- und -steuerungssystem berechnet und die Daten an das Führungsinformationssystem übergeben werden. In diesem Fall werden verdichtete Daten übergeben, so dass eine genaue Analyse der Datenberechnung im Führungsinformationssystem selbst nicht mehr möglich ist. Das heißt, eine Analyse der Auslastung kann im Führungsinformationssystem nicht mehr stattfinden, da keine Informationen vorliegen, wie die Werte zur Auslastung im Produktionsplanungs- und -steuerungssystem berechnet wurden. In diesem Fall ist es günstiger, nicht die Werte für die Auslastung selbst, sondern die Werte zu deren Berechnung in die Führungsdatenbasis zu übergeben. Somit wird die Auslastung als sekundäre, d. h. funktional abhängige Datenraumvariable modelliert und die Berechnung in der Führungsdatenbasis vorgenommen. Dann kann die Auslastung näher analysiert werden. Auf der anderen Seite ist es nicht sinnvoll alle Daten unverdichtet in die Führungsdatenbasis zu übernehmen, da ansonsten die Datenmenge enorm ansteigt. Es ist z. B. nicht sinnvoll, alle Prozessparameter einer technischen Anlage bzw. alle Messwerte aus einem technischen Prozesses in die Führungsdatenbasis unverdichtet zu übernehmen. In diesem Fall handelt es sich nämlich um eine große Menge an Informationen, die zwar mit der Prozessführung, nicht aber direkt
13 Unternehmenscontrolling
mit der Führung der teilautonomen Leistungseinheit in Beziehung stehen. In diesem Fall scheint es sinnvoll, diese Daten in eine eigene Datenbasis zu übernehmen, mit deren Hilfe Ursachen für eine schlechte Qualität aufgespürt werden können. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, bis zu welcher Detaillierung Analysen durchgeführt werden, um die Ursachen für Zielabweichungen zu ermitteln. Durch die Flexibilität in der Führungsdatenbasis kann dann später noch eine Umwandlung einer primären in eine sekundäre Datenraumvariablen erfolgen, ohne dass große Veränderungen in den bestehenden Abfragen und Auswertungen vorgenommen werden müssen. Dabei werden die betrieblichen Datenquellen daraufhin untersucht, ob sie die zur Berechnung der Zielgrößen notwendigen Informationen enthalten. Nicht vorhandene Daten müssen ggf. DV-technisch verfügbar gemacht oder Zielgrößen entsprechend angepasst werden. Die zur Berechnung der Zielgrößen notwendigen Dimensionen und Datenräume werden anschließend modelliert und im Data Warehouse angelegt. Jeder Unternehmensbereich verwendet unterschiedliche Dimensionen. Im Vertrieb gibt es z. B. die Regionen-, die Kunden- und die Produkt-Dimension. Im Finanzbereich sind die Kostenarten-, Kostenträger-, Kostenstellen-, die Leistungs-, die Einnahmenund die Konten-Dimension zu finden. Im Bereich des Produktionscontrollings werden zusätzlich die Dimensionen Unternehmen, betriebswirtschaftliche Kenngröße oder Kennziffer und Ausprägung genannt. Damit der Benutzer den Überblick nicht verliert, sollte die Anzahl der Ebenen einer Dimension den Richtwert von sieben nicht überschreiten [4]. Außerdem sollten maximal fünfzehn bis zwanzig Dimensionselemente einem übergeordneten Dimensionselement zugeordnet sein. Danach werden die Import-Prozeduren zur Befüllung des Data Warehouse mit den Daten aus den operationalen Systemen definiert und realisiert. Nachdem ein erster Import der Daten erfolgt ist, müssen diese auf ihre Qualität hin überprüft werden. Es müssen ggf. qualitätsverbessernde Maßnahmen angestoßen oder Anpassungen an den Import-Prozeduren vorgenommen werden. Unter Verwendung der festgelegten Berechnungsvorschriften werden über eine gewisse Zeit die Zielgrößenwerte für die Zielgrößen gemessen und auf ihre Richtigkeit überprüft. In der vierten Projektphase wird der Führungsregelkreis in den einzelnen teilautonomen Leistungsein-
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
heiten eingerichtet und gestartet. Dazu müssen auf Basis der bereits gemessenen Zielgrößenwerte gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern die Zielvorgaben für die nächsten Führungsperioden festgelegt werden. Je nachdem, ob die Ziel-Ergebnis-Analyse im Führungszyklus oder im Messzyklus durchgeführt wird, unterscheidet man zwischen interner und externer Ziel-Ergebnis-Analyse. Am Ende eines Führungszyklus wird durch die externe Ziel-Ergebnis-Analyse die Zielerreichung für jede teilautonome Leistungseinheit zyklisch durch die Führungsinstanz kontrolliert. Eine interne Ziel-Ergebnis-Analyse zur Positionsbestimmung kann durch die Leistungseinheit selbst vorgenommen werden. Dadurch kann die Leistungseinheit den Grad der Zielerreichung an selbst definierten Messzeitpunkten kontrollieren und ggf. auf vorhandene Zielabweichungen rechtzeitig reagieren. Die interne Ziel-Ergebnis-Analyse unterscheidet sich von der externen Ziel-Ergebnis-Analyse nur durch das Zeitintervall, für den die Zielerreichung überprüft wird. Zusätzlich kann die interne Ziel-Ergebnis-Analyse im Gegensatz zur externen durch die Leistungseinheit selbst gemäß ihren Wünschen und Anforderungen angepasst werden. Da die teilautonome Leistungseinheit innerhalb eines Führungszyklus aus Autonomiegründen nur einer Selbstüberwachung unterworfen ist, sind die Ergebnisse der internen Ziel-Ergebnis-Analyse nur der Leistungseinheit selbst zugänglich. Durch die Unterscheidung in eine interne und eine externe Ziel-ErgebnisAnalyse wird zusätzlich die Gefahr eines zu engmaschigen Kontrollsystems vermieden, da die teilautonome Leistungseinheit innerhalb eines Messzyklus mehrfach ihre Zielerreichung überprüfen kann, bevor diese am Ende eines Führungszyklus kontrolliert wird. Sinnvollerweise werden die für die Ziel-ErgebnisAnalysen und die Abweichungsanalyse verwendeten Auswertungen grafisch als Diagrammen visualisiert. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollten dabei nicht mehr als fünf Variablen gleichzeitig dargestellt werden. Bei der Darstellung mehrerer Variablen sollten diese möglichst die gleiche Einheit und denselben Wertebereich besitzen.
Literatur 1. Bischoff, J.; Burr, G.: Einsatz eines flexiblen Führungsinformtionssystems in der Produktion. PPS Management 5 (2000) S. 46–51
985
2. Chamoni, P.; Gluchowski, P. (Hrsg.): Analytische Informationssysteme. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1998 3. Codd E. F.: Providing OLAP (On-Line Analytical Processing) to User Analysts. Technical report, Whitepaper 1993 4. Gabriel, R.; Gluchowski, P.: Grafische Notationen für die semantische Modellierung multidimensionaler Datenstrukturen in Management Support Systemen. Wirtschaftsinformatik 40 (1998) 6, S. 493–502 5. Heinen, E.: Grundlagen betriebwirtschaftlicher Entscheidungen. Wiesbaden: Gabler 1971 6. Holthuis, J.: Der Aufbau von Data-Warehouse Systemen. Wiesbaden: Gabler 1998 7. Hopfenbeck, G.: Allgemeine Betriebswirtschafts- und Managementlehre. 9. Aufl. München: MI Verlag 1992 8. Köhler, A; Lämmle, C.; Wiendahl, H.-H.: Dezentralisierung und Vernetzung der Produktionsplanung und -steuerung. In: FTK’97: Innovation durch Technik und Organisation. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1997 9. Warnecke, H. J.: Revolution der Unternehmenskultur – Das Fraktale Unternehmen. 2. Aufl. Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1993 10. Weber, J.: Einführung in das Controlling. 6. Aufl. Stuttgart: Schäffer Poeschel 1995 11. Westkämper, E.: Die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen. Produktion und Management 89 (1999) S. 131–143
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten Im Rahmen dieses Beitrags werden die grundsätzlichen Optionen zur Konzeption, Einführung und Gestaltung der betrieblichen Umsetzung des Centeransatzes dargestellt. Anforderungen, die sich auf Grund betrieblicher Steuerungserfordernisse in dezentralen Einheiten ergeben (dezentrales Controlling), werden aufgearbeitet und in die Bestandteile des betriebswirtschaftlichen Konzepts zum Centeransatz eingebunden. Zu berücksichtigende Aspekte der Einführung und Implementierung des Centeransatzes in das Unternehmen werden darauf aufbauend aufgezeigt. Weitere Schwerpunkte bilden die Grundlagen zur Planung, Verrechnung und Steuerung der Leistungsverflechtung zwischen den Centern, der Erfolgsausweis der Center durch eine Centererfolgsrechnung sowie die Integration bzw. Darstellung derselben in einem Führungsinformationssystem.
13.4.1 Anforderungen an die Unternehmen Der wirtschaftliche Rahmen für das unternehmerische Planen und Handeln ist für die Unternehmen in zu-
13.4.2 Herausforderungen des Controllings dezentraler Einheiten Die Organisation von Unternehmen entlang ihrer Geschäftsprozesse [1] oder die organisatorische Aufgabenintegration in „Fraktalen“ [3] haben neben der neuartig zu vollziehenden Aufgaben- und Funktionsintegration vernetzte Planungs- als auch Steuerungsprobleme zu lösen [4]. Ebenso ist der betriebswirtschaftliche Erfolgsnachweis in anderen als den bisher gearteten Formen zu sichern. Hier bestehen anerkanntermaßen zahlreiche von Wissenschaft und Praxis noch zu lösende Herausforderungen. Neue Ansätze des Controllings wie die Prozesskostenrechnung oder auch das Target Costing [5] sind diesbezüglich Werkzeuge, die gleichwertig neben dem
gering
nehmendem Maße komplexer geworden sowie schwerer einzuschätzen. Die Globalisierung der Absatz- und Faktormärkte, die gesunkene Reaktionszeit von Mitwettbewerbern, der schnelle Verfall von Innovationen, die gestiegenen Anforderungen an Qualität, Termintreue und Variantenvielfalt bei gleichbleibenden oder sinkenden Preisen fordern von den Unternehmen eine schlanke, flexible und innovationsfördernde, stets aufs Neue kundenausgerichtete Organisation, die in der Lage ist, komplexe Anforderungen nachhaltig zu meistern. Sich ergebende Chancen zu erkennen und angemessen wahrzunehmen, setzt situationsangemessene Fachkompetenz für ein zielorientiertes Handeln ebenso wie betriebswirtschaftlichen Sachverstand auf allen Unternehmensebenen und in allen Unternehmensbereichen voraus. Dies kann zum einen nur mit adaptiven, flexiblen Formen der Planung, Steuerung und Zielfindung möglich werden. Die Entwicklung muss hierbei von weisungsbezogenen und bürokratischen Formen der Koordination hin zu Formen der Selbstabstimmung und Koordination durch Teamarbeit gehen. Zum anderen ist es erforderlich, umfangreiche Pläne nicht einseitig auf die Vergangenheit zu orientieren, sondern zu einer abgestuften Vorgabe von Zielkorridoren zur Flexibilitätssicherung und Integration prognostizierter Entwicklungen zu gelangen (Abb. 13.23). Dies bedarf grundsätzlich neuer Denk-, Verhaltensund Steuerungsansätze auf der Unternehmens- und Bereichsebene.
13 Unternehmenscontrolling
Dynamik (Umwelt, Markt, …) mittel hoch
986
Koordination durch Selbstabstimmung
Koordination durch Teamarbeit
Koordination durch Ziele
Koordination durch Pläne
Koordination durch persönliche Weisung gering
Koordination durch Regeln („Bürokratie“)
mittel hoch Komplexität (Umwelt, Markt, …)
Abb. 13.23 Rahmen der unternehmensinternen Koordination [1]
Center-Controlling dezentraler Organisationseinheiten gesehen werden sollten (Abb. 13.24). Der Bedarf an dezentralen Planungs- und Steuerungskonzepten sowie an Werkzeugen wie dem Centeransatz wird in Zukunft weiter zunehmen. Innovatives Controlling – wie es die Umsetzung des Centeransatzes darstellt, ist durch folgende Bestandteile gekennzeichnet und sollte stets an deren Erfüllung gemessen werden: • ein Denksystem zur Verhaltensausrichtung nach innen und außen, • ein Verhaltenssystem zur strategischen, operativen Bewertung und Ausrichtung des Handelns, • ein Planungssystem zur Schaffung flexibler und stimmiger Grundlagen für das Entscheiden und Steuern sowie • ein Steuerungssystem zur betriebswirtschaftlichen Statusbestimmung und zukunftsbezogenen Navigation und Prognose. In der operativen Umsetzung steht das Unternehmenscontrolling stets vor den Fragestellungen, inwieweit zentral oder dezentral geplant und gesteuert wird, welche Aufgaben und Fragen durch Selbstorganisation und Selbststeuerung zu lösen sind und in welcher Art und Weise die Mitarbeiter oder Mitarbeiterteams einbezogen sind [7].
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
Ziel Effizienz
987
Integration und Koordination (dezentral – zentral)
Operatives Controlling Spartencontrolling
Strategisches Controlling
Produktcontrolling Investitionscontrolling Qualitätscontrolling Centercontrolling Targetcosting Betonung von Effektivitätszielen in der Entscheidung (die richtigen Dinge tun)
Strategisches Management
Prozesskostenrechnung F&E-Controlling Innovationsmanagement Venture Management Betonung von Effizienzzielen in Portfolioder Entscheidung Management (die Dinge richtig tun) Ziel Effektivität
Abb. 13.24 Innovative Controllingsysteme [6] (vom Verfasser ergänzt)
Die Herausforderungen des organisatorischen Wandels betreffen in starkem Maße die Form, in der die Unternehmensaktivitäten koordiniert und gesteuert werden und somit den Kern des Controllings schlechthin [1]. Die Planbarkeit der Unternehmenszukunft in zunehmend unstrukturierten Märkten ist vielfach in Frage gestellt. Die Rolle der betrieblichen Planung besteht in diesem Zusammenhang darin, die koordinierende Funktion der Pläne zu überdenken und neu zu definieren. Ansatzpunkte sind: • Verringerung der Planungshäufigkeit, • Verringerung des Planungsumfangs, • Verringerung der Koordination durch Teilpläne sowie • Erhöhung der Koordination durch abgestimmte Zielvorgaben (Zielkorridore). Bei der Bildung dezentraler betrieblicher Strukturen sollten diese Austauschverhältnisse mit berücksichtigt werden. Dies bedeutet vielfach den Ersatz von Fremd- durch Eigenkontrolle, den Verzicht auf Durchführungskontrolle und den Verzicht auf gesonderte Kontrollbedarfe durch Schaffung sicherer Prozesse sowie die Verpflichtung auf gemeinsam vereinbarte Ziele anstatt der Vorgabe von detaillierten Realisierungsplänen [1].
13.4.2.1 Charakterisierung und Typen von Centern Der Centeransatz ist ein auf den Profit-CostCentergedanken zurückgehendes Organisations- und Führungskonzept [8]. In der Vergangenheit wurde der Centerbegriff in der Mehrzahl der Fälle auf große diversifizierte Unternehmen und Konzerne bezogen [9, 10] oder in zunehmendem Maße auf große Handelshäuser [11], aber auch auf mittelständische Unternehmen mit ausgeprägter Produkt-/ Warendistribution [12]. Grundlegende Gemeinsamkeit bei der Anwendung des Centeransatzes ist der starke Bezug zu erfolgsorientiert geführten und verantwortungsbezogenen Unternehmenssegmenten (Erfolgs-/Verantwortungscenter). Bei der Centerbildung in einem Unternehmen können dabei grundsätzlich eine Vielzahl von Segmentierungskriterien herangezogen werden (Abb. 13.25) [13, 14], z. B. innerbetriebliche Funktionen und Organisationseinheiten (Einkauf, F&E, Produktion, Marketing, Finanzwirtschaft, EDV, Service, . . . ) oder Kundensegmente, beispielsweise gebildet nach • Kundentypen (demographisch, psychologisch, . . . ) • regionaler Verteilung (Regionen, Länder, . . . ) • Produktgruppen,
13 Unternehmenscontrolling
Re gio ne n
Tem (Proj poräre Or g.for Kons ekte, men ortie n, … )
988
n
de
n Ku
Produkte/Leistungen
Innerbetriebliche Funktionen
Absatzkanal
+
Welche Funktionen werden in die Center integriert? Form der Steuerung • Investment-Center • Profit-Center • Erlös-Center • Cost-Center • Service-Center
Abb. 13.25 Bildungskritertien für Centereinheiten
• Art der Produktionsverfahren/-segmente (Grundstoffaufbereitung, Werkstatt, Montage, . . . ), • Form der Absatzkanäle (Großhandel, Einzelhandel, . . . ), • Art der verarbeiteten Materialien, Basiswerkstoffe (chemische Grundstoffe, Stein, Metall, Holz, . . . ), • Produktgruppen (Maschinen, Werkzeuge, Zusatzkomponenten, . . . ) und • Projekte. Grundsätzlich spiegelt sich im gewählten Segmentierungsansatz der Center eine stimmige Form der innerbetrieblichen Aufgaben- und Entscheidungsdelegation sowie der Koordination wider. Dazu ist es erforderlich, Regeln zur Koordination der dabei einzuhaltenden Ziele und der zu wahrenden Formen der Kommunikation festzulegen sowie Rechte und Pflichten im Sinne von gemeinsam geteilten Werten bewusst zu vereinbaren. Zur Charakterisierung des Centeransatzes und der als Center oder als Sub-Center gebildeten Struktureinheiten sind folgende Aspekte von Bedeutung: • Der Grad der Autonomie des Planens, • die Art und Weise, wie Vorgabe- und Planungswerte für die Centereinheiten (zentral, dezentral, . . . ) ermittelt werden, • der Freiheitsgrad, Planungen und Vorgaben zu revidieren, • der Grad der Autonomie des Steuerns, Führens und Entscheidens durch
– die Art des Erfolgsausweises (z. B. Gewinn, Kosten-Budgetdeckung), – die Art der Zielfindung und -abstimmung (z. B. Zielvorgaben oder Zielvereinbarung), – den Einsatz von Verrechnungspreisen (z. B. Standardpreise auf Listenbasis), – die Form des Leistungsaustausches zwischen den Centern (innerbetriebliche Auftragserteilung, Zielvereinbarungsverträge), – den Grad der Freiheit, externe Leistungsgeber einzubeziehen (Marktpreise), – die Entscheidungsfreiheit über Investitionen, – die Koordinationsmechanismen zum Zusammenhalt der Gesamtorganisation, – die Einbettung in die Entscheidungsfindung im Gesamtunternehmen, – die Wahrung von einheitlichen Standards (z. B. DV, Berichtswesen, Personalentwicklung, Entlohnung, . . . ), – zugestandene Entscheidungsspielräume und – die Teilnahme in Planungs- und Abstimmungszyklen. Wie diese Übersicht aufzeigt, zeichnet sich die betriebliche Ausgestaltung des Centeransatzes durch eine Fülle von Freiheitsgraden aus. Insofern ist es verständlich, dass die Umsetzung des Centeransatzes zum einen ein System mit zentralisierter Budgetierung und -kontrolle umfassen kann und zum anderen auch ein System zur Erstellung dezentraler Budgets unter weitgehendem Selbstcontrolling dezentraler Einheiten im Gesamtunternehmen mit einschließt. Cost-Center sind organisatorische Einheiten, die mittels der Höhe der verursachten Kosten gesteuert werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Leistungsmenge des Cost-Centers nicht von den verantwortlichen Entscheidungsträgern beeinflussbar ist. Als Abrechnungsergebnis für die Cost-Center können die (aggregierten) Kostenstellenergebnisse verwendet werden. Es wird eine abgegrenzte Inanspruchnahme (Auftragslogik) der Cost- Centerleistungen unterstellt. Zur Koordinierung und Steuerung der Leistungsbeziehungen der Cost-Center mit anderen Centern innerhalb des Unternehmens ist es zweckmäßig, diese über eine Centererfolgsrechnung miteinander zu koordinieren und zu steuern. Eine Steuerung über Kosteneinsparungsziele bzw. über eine anders geartete Kostenverteilung im Rahmen von Ziel- und Leistungsvereinbarungen ist ebenso sinnvoll.
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
Service-Center stellen eine besondere Form von Cost-Centern dar. Solche Unternehmensteilbereiche erbringen ausschließlich Dienstleistungen, um bestehende Bedürfnisse anderer Teilbereiche während deren Leistungserstellung zu befriedigen. Wegen der oft nur schwer möglichen monetären Bewertung der Dienstleistungen werden die Service-Center entsprechend der Cost-Center-Logik nur kostenverantwortlich geführt. Beispiele können Controlling und Datenverarbeitung sein. Service-Center sind ebenfalls in den Prozess der innerbetrieblichen Ziel- und Leistungsvereinbarung zu integrieren. Ansonsten wird ein Großteil der „Gemeinkosten“ innerhalb eines Unternehmens nicht transparent und die im Rahmen einer Kostenumlage verteilten „Gemeinkosten“ bleiben unaufgelöst. Ansatzpunkte zur Steuerung liefern z. B. Kennzahlen für die Dienstleistungsqualität. Erlös- bzw. Revenue-Center sind organisatorische Einheiten, deren Erfolg am Umfang oder Volumen von Erlösen beurteilt und gesteuert werden. Dies impliziert, dass die verursachten Kosten sich nur schwach proportional zu den Erlösen verhalten und keine signifikante Steuerungsgröße darstellen. Eine Verfeinerung der Steuerung des Erlös-Centers ermöglicht die Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Preise, d. h. der Erlösschmälerungen (z. B. Listenpreis abzgl. gewährter Rabatte). Es ist dabei zu beachten, dass die eingetretenen Erlösschmälerungen auch tatsächlich im Verantwortungsbereich des Erlös-Centers liegen. Bei einem Investment-Center wird die Verantwortung um Investitionsentscheidungen erweitert. Damit dienen der Gewinn, die Kosten und der Investitionserfolg als ein Beurteilungsmaßstab für die jeweilige Organisationseinheit. Das bedeutet, dass die benötigten und somit nutzbaren Kapazitäten von dem Investment-Center selbst geplant werden und der R01 eine der zentralen Erfolgsbeurteilungsgrößen ist. Das Investment-Center repräsentiert den höchsten Autonomiegrad der Verantwortungsbereiche und kann als ein wichtiger Schritt zur Bildung von „echten Unternehmen im Unternehmen“ bezeichnet werden. Zur tatsächlichen Bildung von Unternehmen – z. B. durch Outsourcing, Management-By-Out etc. – und deren Eingliederung im Rahmen einer Holding-Organisation fehlt dann nur noch die rechtliche Selbständigkeit. Profit-Center sind organisatorische Einheiten, die mittels Kosten- und Leistungsvorgaben gesteuert werden. Sie sind Verantwortungs- und Abrechnungseinheiten, deren Beitrag zum Gesamtergebnis durch eine
989
Kosten-Leistungs-Gegenüberstellung aufgezeigt wird. Grundvoraussetzung ist, dass sowohl die Kosten als auch die Leistung von den Verantwortungsträgern der Profit-Center beeinflussbar sind. Nur so können die Basis für unternehmerisches Handeln der Verantwortlichen und die Motivation zur Eigeninitiative gesichert werden. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Profit-Centers lassen sich zwei Formen der Erfolgsrechnung nutzen. Zum einen ist es die Unternehmenserfolgsrechnung, die nach dem Umsatzkostenverfahren produktbezogen die Unternehmensleistung auf die vorhandenen Profit-Center abbildet und für diese den Anteil des Centererfolgsbeitrags zum Gesamterfolg des Unternehmens aufzeigt. Zum anderen ist es die Centererfolgsrechnung, die den Erfolg des jeweiligen Centers aus der Input-Output-Verflechtung der Centereinheiten in einem Unternehmen errechnet. Diese Form der Centererfolgsrechnung stellt ein Werkzeug sowohl für die Steuerung und Optimierung der innerbetrieblichen Leistungsverflechtungen dar als auch für die marktorientierte Ausrichtung des Gesamtunternehmens und seiner Teile (Marktpreisprinzipien). Als dominant zur Unterscheidung unterschiedlicher Centertypen haben sich die Kriterien zum Grad der Autonomie des Steuerns, Führens und des Erfolgsnachweises herausgebildet. Als Centertypen lassen sich • • • • •
das Investment-Center, das Gewinn-/Profit-Center, das Erlös-/Revenue-Center, das Kosten-/Cost-Center und das Dienstleistungs-/Service-Center
unterscheiden. Abbildung 13.26 können weitere Einzelheiten zur Ausgestaltung der einzelnen Centervarianten entnommen werden. Die genannten Centeralternativen lassen sich in ihrem Kern als Erfolgs- und Verantwortungscenter charakterisieren. Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang die Form, wie Verantwortung wahrzunehmen ist (z. B. als Kontrolle der Umsetzung von Budgets) und wie der Erfolg zu messen ist (Erlösgrößen, Gewinnmargen, Kosteneinsparung, Investitionserfolg-ROI. Darüber hinaus ist die in der Unternehmenspraxis sich oft einstellende Situation, des „jeder gegen jeden“ auf Grund der Form des Erfolgsausweises durch Elemente der Teamzusammenarbeit (Aufgaben-, Verantwortungs- und Ausführungsintegration) und
990
13 Unternehmenscontrolling
Cost-Center Cost-Center sind organisatorische Einheiten, die mittels der Höhe der verursachten Kosten gesteuert werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Leistungsmenge des Cost-Centers nicht von den verantwortlichen Entscheidungsträgern beeinflussbar ist. Als Abrechnungsergebnis für die Cost-Center können die (aggregierten) Kostenstellenergebnisse verwendet werden. Es wird eine abgegrenzte Inanspruchnahme (Auftragslogik) der Cost-CenterLeistungen unterstellt. Zur Koordinierung und Steuerung der Leistungsbeziehungen der Cost-Center mit anderen Centern innerhalb des Unternehmens ist es zweckmäßig, diese über eine Center-Erfolgsrechnung miteinander zu koordinieren und zu steuern. Eine Steuerung über Kosteneinsparungsziele bzw. über eine anders geartete Kostenverteilung im Rahmen von Ziel- und Leistungsvereinbarungen ist ebenso sinnvoll.
Service-Center Service-Center stellen eine besondere Form von Cost-Centern dar. Solche Unternehmens-Teilbereiche erbringen ausschließlich Dienstleistungen, um bestehende Bedürfnisse anderer Teilbereiche während deren Leistungserstellung zu befriedigen. Wegen der oft nur schwer möglichen monetären Bewertung der Dienstleistungen werden die Service-Center entsprechend der Cost-Center-Logik nur kostenverantwortlich geführt. Beispiele können Controlling und Datenverarbeitung sein. Service-Center sind ebenfalls in den Prozess der innerbetrieblichen Ziel- und Leistungsvereinbarung zu integrieren. Ansonsten wird ein Großteil der „Gemeinkosten” innerhalb eines Unternehmens nicht transparent und die im Rahmen einer Kostenumlage verteilten „Gemeinkosten” bleiben unaufgelöst. Ansatzpunkte zur Steuerung liefern z.B. Kennzahlen für die Dienstleistungsqualität.
Erlös-, Revenue-Center Erlös-, Revenue-Center sind organisatorische Einheiten, deren Erfolg am Umfang oder Volumen von Erlösen beurteilt und gesteuert wird. Dies impliziert, dass die verursachten Kosten sich nur schwach proportional zu den Erlösen verhalten und keine signifikante Steuerungsgröße darstellen. Eine Verfeinerung der Steuerung des Erlös-Centers ermöglicht die Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Preise, d.h. der Erlösschmälerungen (z.B. Listenpreis abzgl. gewährter Rabatte). Es ist dabei zu beachten, dass die eingetretenen Erlösschmälerungen auch tatsächlich im Verantwortungsbereich des Erlös-Centers liegen.
Investment-Center? Bei einem Investment-Center wird die Verantwortung um Investitionsentscheidungen erweitert. Damit dienen der Gewinn, die Kosten und der Investitionserfolg als ein Beurteilungsmaßstab für die jeweilige Organisationseinheit. Das bedeutet, dass die benötigten und somit nutzbaren Kapazitäten von dem Investment-Center selbst geplant werden und der ROI eine der zentralen Erfolgsbeurteilungsgrößen ist. Das Investment-Center repräsentiert den höchsten Autonomiegrad der Verantwortungsbereiche und kann als ein wichtiger Schritt zur Bildung von „echten Unternehmen im Unternehmen” bezeichnet werden. Zur tatsächlichen Bildung von Unternehmen – z.B. durch Outsourcing, Management-By-Out etc. – und deren Eingliederung im Rahmen einer Holding-Organisation fehlt dann nur noch die rechtliche Selbständigkeit.
Profit-Center? Profit-Center sind organisatorische Einheiten, die mittels Kosten- und Leistungsvorgaben gesteuert werden. Sie sind Verantwortungs- und Abrechnungseinheiten, deren Beitrag zum Gesamtergebnis durch eine KostenLeistungs-Gegenüberstellung aufgezeigt wird. Grundvoraussetzung ist, dass sowohl die Kosten als auch die Leistung von den Verantwortungsträgern der Profit-Center beeinflussbar sind. Nur so kann die Basis für unternehmerisches Handeln der Verantwortlichen und die Motivation zur Eigeninitiative gesichert werden. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Profit-Centers lassen sich zwei Formen der Erfolgsrechnung nutzen. Zum einen ist es die Unternehmens-Erfolgsrechnung, die nach dem Umsatzkostenverfahren produktbezogen die Unternehmensleistung auf die vorhandenen Profit-Center abbildet und für diese den Anteil des Center-Erfolgsbeitrags zum Gesamterfolg des Unternehmens aufzeigt. Zum anderen ist es die Centererfolgsrechnung, die den Erfolg des jeweiligen Centers aus der Input-Output-Verflechtung der Center-Einheiten in einem Unternehmen errechnet. Diese Form der Centererfolgsrechnung stellt ein Werkzeug sowohl für die Steuerung und Optimierung der innerbetrieblichen Leistungsverflechtungen dar als auch für die marktorientierte Ausrichtung des Gesamtunternehmens und seiner Teile (Marktpreisprinzipien). Abb. 13.26 Basisdefinition der Centerarten
durch explizit festzulegende Regeln zur Koordination und Kooperation abzufedern. Eine zu lösende Gestaltungsgrundfrage für das Unternehmen bleibt hierbei, wie durchgängig das Centerprinzip im Sinne der Bildung von Sub-Centern umgesetzt wird und welche Konsequenzen es auf die innerbetriebliche Koordination, Kooperation und Kommunikation hat.
13.4.2.2 Gründe für die Einführung von Centerkonzepten Die Centerausrichtung des Unternehmens bietet zum einen die Chance, sich selbst steuernde organisatorische Strukturen zu bilden, zum anderen die Formen der Zusammenarbeit zwischen den betrieblichen Teileinheiten neu anzulegen. Längerfristig stellt der Cen-
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
teransatz die neuen Formen der Zusammenarbeit auf eine markt- und kundenbezogene sowie für die Mitarbeiter motivierende Erfolgsbasis. Die Gründe für die Bildung von Centern zeigt Abb. 13.27. Mit den aufgeführten Gründen korrespondieren die in der Praxis vorgefundenen Ziele für die Einführung einer Centerorganisation [17]: • Schaffung klarer, objektbezogener, voneinander abgegrenzter Verantwortungsbereiche, • Verbesserung der objektbezogenen Erfolgskontrolle entsprechend der Leistungspalette des Unternehmens, • Verbesserung der Marktbeobachtung, • Verbesserung der Kundenorientierung, • Verbesserung des Kostenbewusstseins der Mitarbeiter, • Erhöhung der Motivation der Mitarbeiter und Entscheidungsträger, • Nachweis der Handlungsumsetzung und organisatorischen Effizienz sowie • Verbesserung der Aufgabendurchführung und Entlastung der Unternehmensführung von Koordinationsaufgaben. Zur Ausschöpfung dieser Vorteile bedarf es einer überlegten Ausgestaltung des Centeransatzes sowie der operativen Centerarbeit. Die Umsetzung in einem Unternehmen ist dabei von einer Reihe von Voraussetzungen abhängig, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
13.4.2.3 Grundlagen, Voraussetzungen und Hemmnisse der Centerbildung Grundbedingung für die Einführung des Centergedankens in einem Unternehmen ist, dass das Unternehmen gemäß einem der vorgenannten Objektsegmentierungskriterien prinzipiell teilbar ist [13]. Die Bildung von Erfolgs- und Verantwortungscentern erfordert eine entsprechende Unternehmensgröße, um zu eigenständig planenden und handelnden Subeinheiten sinnvoller Größe zu gelangen (z. B. Personalkosten werden durch zurechenbare Leistungen gedeckt). Gleiches, wenn auch in abgeschwächter Form, gilt für die Bildung von Subcentern innerhalb der Erfolgsverantwortungscenter. Neben dieses grundsätzliche Kriterium treten die Sicherung [13] der
991
• Entscheidungsfindung, • Motivation, • Schnelligkeit und Zielstrebigkeit der Informationsverarbeitung, • Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen, • Innovationsfähigkeit, • Wirtschaftlichkeit der Ressourcennutzung sowie • Koordinierbarkeit der Teilbereiche nach gesamtunternehmerischen Vorstellungen als grundlegende Merkmale zur praxisgerechten Ausgestaltung von Erfolgs- und Verantwortungscentern. Dies kann in der Frage zusammengefasst werden, inwieweit durch ein Center die Gewähr für einen verbesserten Beitrag zum Unternehmensergebnis sowie für ein effizienteres Wirtschaften gegeben ist. Dies ist, wie die Erfahrungen zeigen, nicht nur eine Funktion der auszuwählenden Grundkonzeption, sondern ebenso eine Frage der individuellen Eignung des jeweiligen Centermanagements für diese Aufgaben. Typische Widerstände und Handlungsbarrieren für die Umsetzung des Centerkonzepts können gesehen werden in [17] • einem zu stark ausgeprägten Konkurrenzdenken der Bereiche, • dem Beharren auf bestehenden Aufgabenspektren, • der Wahrnehmung von Aufgaben anderer Bereiche, • der Furcht vor Kompetenzverlust, • der Ablehnung von Verantwortung ohne Verantwortungstransparenz und • Handlungsautonomie, • der Planungsunsicherheit und • Informationsdefiziten über die Funktionsweise der Center. Wie diese Kritikpunkte offenlegen, ist die jeweils zu wählende Form des Erfolgsverantwortungscenters situativ, ziel-, verantwortungsträgergerecht und in Hinblick auf die Leistungserstellung im Gesamtunternehmen ausgewogen zu konfigurieren (Abb. 13.28). Eine Centerorganisation erschöpft sich nicht in einer neuen oder modifizierten Organisationsstruktur, sondern umfasst die Ausgestaltung der Führungsstruktur, der Führungsprozesse ebenso wie die Führungsinstrumente (vgl. Abb. 13.28). Die wichtigsten Gestaltungskriterien sind dabei [13]:
992
13 Unternehmenscontrolling
• Spezialisierung und Qualifizierung der Organisation • Bestehende, offensichtliche organisatorische und ihrer Mitglieder für die weitere Unternehmens- Mängel der Führung entwicklung • Personelle Veränderungen in der Führungsspitze
• Überbelastung der Unternehmensleitung
• Bisher unklare Verantwortungsverhältnisse
• Zunahme des Geschäftsaufkommens sowie Erreichen organisatorischer Grenzen und sinnvoller Komplexität
• Mangelnde objektbezogene Erfolgstransparenz
• Unklare Kostenzuordnung und mangelndes Kostenbewusstsein
• Zu geringe Gewinnmarge für die Unternehmensentwicklung
• Zu lange Abstimmungs-/Kommunikationswege bei der Durchführung objektbezogener Aufgaben
Abb. 13.27 Gründe für die Centerbildung [15, 16]
Führungsstruktur
Gesamt-Unternehmenssicht Zentrale Koordinationsfunktion der Unternehmensleitung Weisungs- und/oder Vorschlagsrechte Centersicht Dezentrale Verantwortungsbereiche
Entgelt-/VergütungsPrämiensystem
Ausgestaltung der Centerorganisation Führungsprozesse
Unternehmensweit abgestimmtes dezentrales Planen zur Ermittlung operativer Ziele und Vorgaben Teamorientierte Entscheidungsfindung und Organisation Selbst-Organisation und -Controlling Vereinbarung des Reportings, des Erfolgsnachweises
Anreizsysteme Arbeitszeitregelung Personalentwicklung
Führungsinstrumente
Ausgestaltung von Budgets Erfolgsnachweis, -rechnung Kennzahlen zur Performance, Wirtschaftlichkeit, zum Erfolgsnachweis Vereinbarungen von Zielen auf Teamebene innerhalb von Planungs- und Zielfindungszyklen Mitarbeiter-, Zielvereinbarungsgespräch
Vorschlagswesen
Abb. 13.28 Elemente zur ganzheitlichen Konfiguration dezentraler Centerbereiche
• eindeutige Kompetenzregelungen zur Sicherung der Beeinflussbarkeit aller Entscheidungskomponenten, • rechentechnische Abgrenzung und Erfolgsausweis für die unterschiedlichen Erfolgs-/Verantwortungsbereiche sowie • Regelungen zur Koordination der Einzelpläne in der Unternehmensgesamtsicht im Rahmen abgestimmter Planungszyklen und Abstimmungsrunden. Betrachtet man die Einrichtung von Erfolgs- und Verantwortungscentern in einem Unternehmen lediglich unter monetären Erfolgs- und Kostengesichtspunkten, besteht die Gefahr, dass die jeweiligen Center restrik-
tiv nur nach Kosten- und Erfolgsgrößen geführt werden und dies auf die gesamten Leistungsprozesse in den jeweiligen Centern und Sub-Centern projiziert wird. Tritt dies ein, können die Motivation, das Anpassungsvermögen, die Innovationsfähigkeit sowie die sachgerechte Entscheidungsfindung (z. B. Potenzialsicherung durch zukunftsgerichtete Investitionen) eingeschränkt werden. Auf lange Sicht entsteht dadurch geringe Centerflexibilität, ein Verfall der Ressourcen, eine starre, nur monetär ausgerichtete Entscheidungsfindung bei gleichzeitig hoher Mitarbeiterunzufriedenheit. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, bei der Bildung von Centereinheiten stets gleichzeitig teamorientierte Arbeits- und Führungsstrukturen als Gegengewicht zu einer rein kostenorientierten, monetären Er-
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
folgsbeurteilung einzuführen und durch die Ausgestaltung betrieblicher Anreizsysteme abzurunden (vgl. unten die Ausführungen zur Teamorganisation). Dadurch lassen sich unternehmerische, kreative Energien und die Motivationen der beteiligten Mitarbeitergruppen in weit höherem Maße sichern.
13.4.2.4 Zur Einführung des Centeransatzes Der Centeransatz ist, wie die Ausführungen zeigen, ganzheitlich und nicht nur unter organisatorischen, kurzfristigen Erfolgsgesichtspunkten auszugestalten (vgl. Abb. 13.28). Dies impliziert ein systematisches Vorgehen zur Centerbildung unter Schaffung der Grundlagen für eine erfolgreiche Centerarbeit (Abb. 13.29). Die optimierte Ausgestaltung der Center und deren Führungsorganisation auf Grund zeitgleich durchgeführter Benchmarkingaktivitäten ist hierzu ein Beispiel. Dadurch wird die Centerbildung nicht wertfrei auf der „grünen Wiese“ durchgeführt, sondern es werden gleichzeitig Überlegungen des „best practice“ anderer in die Ausgestaltung der Center integriert und die zukünftige Centerleistung somit verbessert. Diese Vorgehensweise erfordert neben betriebswirtschaftlichem Fachwissen methodische, soziale sowie controllingspezifische Kompetenz im Unternehmen und in den Centern. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn vielfach bedarf es der gezielten Bildung dieses Know-hows durch das Controlling, das dabei zu einem zentralen Befähiger für die Dezentralisierung des Unternehmens und des Centeransatzes wird.
13.4.3 Centererfolgsrechnung und -konzeption 13.4.3.1 Erfolgsermittlung auf der Basis von Leistungsbeiträgen Die Erfolgsermittlung von betrieblichen Centern sollte an dem Leistungsbeitrag ausgerichtet werden, den das jeweilige Center zum Unternehmenserfolg beiträgt. Das Basisschema einer Erfolgsrechnung ist durch den folgenden Ansatz gegeben:
993
./. = ./. =
zurechenbare Leistungen des Centers zurechenbare Kosten des Centers Erfolg des jeweiligen Centers Erfolgsberichtigungen (±) bereinigter Erfolg
Setzt man für die zurechenbaren Leistungen Umsatzgrößen sowie für die zurechenbaren Kosten eine differenzierte Kostenstruktur an, lässt sich eine stufenweise retrograde Dekungsbeitrags(DB)-Rechnung aufbauen (Abb. 13.30). Etwaige Korrekturposten des Erfolgs auf Grund besonderer Ereignisse oder von bestehenden Sonderlasten des Centers (Investitionsvorhaben) sollten bei der turnusmäßigen Erfolgsermittlung mit berücksichtigt werden. Dies kann durch explizite Einführung von Positionen zur Erfolgsberichtigung vorgenommen werden (vgl. Schema). Auf die näheren Einzelheiten wird im Folgenden noch eingegangen. Ein Praxisbeispiel für eine Profit-Center-retrograde Deckungsbeitragsrechnung kann Abb. 13.30 entnommen werden. Grundsätzlich erforderlich für die Erfolgsrechnung auf Deckungsbeitragsbasis ist die sachlich gerechtfertigte Zurechenbarkeit der Leistungs- und Kostenpositionen zum jeweiligen Center [19]. Hierin spiegelt sich das Problem der Kosten- und Leistungszurechnung, wie es bereits von der Verteilungsproblematik der Kostenstellenkosten auf die kostenverursachenden Kostenträger bekannt ist. Grundsätzlich lässt sich dieses Problem nur durch eine zielstrebige Kostenerfassung (einschließlich Mehrfachkontierung) oder durch eine grundsätzliche Reorganisation der Prozesse lösen, die zu Kostenstellen führen, die nur von einem oder sehr wenigen problemlos schlüsselbaren Kostenträgern beansprucht werden. Diese Schlüsselproblematik ist um so wichtiger, je größer die Leistungsverflechtung zwischen den einzelnen Centern in einem Unternehmen sind und je höher die Kostenumlagen dadurch werden. Kostenrechnungssysteme, die Mehrfachzuordnungen von Erlös- und Kostenträgern erlauben, erleichtern diese Arbeit beträchtlich, ohne die Probleme der Gemeinkostenverteilung jedoch gänzlich aufzuheben. Um den ausgewiesenen Gesamterfolg der Erfolgsrechnung mit der Ergebnisrechnung der GuV-Rechnung in Übereinstimmung zu bringen, bietet sich die Einführung eines Ausgleichsbetrags, die sog. Abstimmungsbrücke an [19] (vgl. Abb. 13.30). Einen anderen Ansatz zur Erfolgsermittlung in einem centerorientierten Unternehmen bildet der
994
13 Unternehmenscontrolling
1 Bestandsaufnahme
2 Instrumente/ operative Kennzahlen
9
Herausbildung Führungsorganisation
Zielvereinbarung
Ausrichtung an weltbesten Wettbewerbern
3 Kompetenzen/ Abläufe
4 Leistungsvereinbarung
5 Weltklassevergleich
6 Kostentreiberanalyse
Implementierung
7 Strategieformulierung
8 Maßnahmengenerierung
Abb. 13.29 Beispiel für eine Vorgehensweise zur Centerbildung [10]
Bruttoerlöse ./. Erlösminderungen/ Sondereinzelkosten des Vertriebs = Nettoerlöse ./. Direkt prop. Produktkosten = Deckungsbeitrag I
PC-Kunden DB I ./. fixe Kosten Kunde = DB II ./. fixe Kosten je Kundengruppe = DB III ./. übrige fixe Kosten = Deckungsbeitrag IV
PC-Produkte DB I ./. fixe Kosten Produkte = DB II ./. fixe Kosten je Produktgruppe = DB III ./. übrige fixe Kosten = Deckungsbeitrag IV
DB IV-Standardergebnis ⫾ Berichtigungen (GuV) ⫾ sonstige Deckungsdifferenzen = Gesamtes Vertriebsergebnis
PC-Vertriebswege DB I ./. fixe Kosten Verkäufer = DB II ./. fixe Kosten der Vertriebshierarchie = DB III ./. übrige fixe Kosten = Deckungsbeitrag IV
DB Deckungsbeitrag GuV Gewinn und Verlust PC Profit-Center
Abb. 13.30 Beispiel einer stufenweisen Profit-Center-Deckungsbeitragsrechnung [18]
Ansatz, die Leistungsverflechtungen, die zwischen unterschiedlichen Centern bestehen, im Rahmen einer Input/Output-Centererfolgsrechnung abzubilden (Abb. 13.31 und 13.32). Diese Form der Centererfolgsrechnung basiert im Kern auf Verrechnungspreisen vereinbarter Planleistungen (Planmengen zu Planpreisen) für die auszutauschenden Leistungen. Auf Grund der Tatsache, dass die Leistungsvereinbarungen zwischen den Centern – im Rahmen von Zielvereinbarungsprozessen festgelegt – im Grunde auf Planleistung basieren und dass der tatsächliche Leistungsaustausch (Ist-Leistung) von dieser abweichen kann, besteht die Anforderung, die Abweichungen zwischen vereinbartem Plan und tatsächlichem
Ist im Sinne eines entsprechenden Korrekturpostens zur Erfolgsberichtigung zu berücksichtigen (Plan-IstAbweichungen, positive wie negative, sind erfolgswirksam zu verbuchen, d. h. zu honorieren oder zu sanktionieren, vgl. Abb. 13.32). Diese Situation erfordert es, eine Erfolgsberichtigung auf Grund von Leistungsabweichungen und eine Erfolgsberichtigung auf Grund von Kostenabweichungen zu unterscheiden. Die für diese Fälle zu vereinbarenden Verfahrensweisen für die Erfolgsberechnung der leistungsabgebenden und aufnehmenden Center lassen sich beispielsweise im Rahmen eines Handbuchs zur Centererfolgsrechnung dokumentieren. Eine weitere Aufgliederung dieser Erfolgsberichtigung kann entsprechend spezieller, in der Erfolgs-
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
995
Erfolgs-/ Verantwortungscenter • Personalkosten und Sachkosten werden ausgewiesen
I Input
Lieferant
• (Bereichs-) Intern angefallene/ erzeugte Kosten/Leistungen sind zu konsolidieren • Erfolgsberechnung nach CERSchema für unterschiedlich aggregierte org. Einheiten
Lieferungen gehen als Kosten ein Zwei Lieferantenarten: • unternehmensintern • unternehmensextern
O Output
Kunde
Lieferungen gehen als Leistungen ein Zwei Kundenarten: • unternehmensintern • unternehmensextern
Abb. 13.32 Grundschema der Input-/Output-Centererfolgsrechnung (CER)
Kunde/ Markt
Externe
Wert Kapital Art
Externe
Profit-Center Wert Kapital Art
Cost-Center interne Verrechnungspreise oder Marktpreise als Basis
Profit-Center Externe
Hauptleistung
Kunde/ Markt ?
Wert Kapital Art
? Kunde/Markt
sächlichen ausgetauschten Leistungen ausgewiesen werden. Zum besseren Verständnis einer Input-/OutputCentererfolgsrechnung werden im folgenden Abschnitt weitere Einzelheiten dieses Ansatzes zur Centererfolgsermittlung vorgestellt.
13.4.3.2 Leistungsverflechtung zwischen Centern
zu verrechnende Leistungserbringung
Zu berücksichtigen: Bei Abweichung der Leistungs-/Abnahmezusagen zwischen den Centern ist es erforderlich, die Änderung des Erfolgs nicht ausschließlich dem betroffenen Center anzurechnen, sondern ebenso dem Verursacher einen entsprechenden Bonus/Malus zuzurechnen. Entsprechende Regelwerke sind für die Centererfolgsrechnung zu erarbeiten. Abb. 13.31 Leistungsaustausch zwischen Centern (schematisch)
rechnung ausgewiesener Leistungs- und Kostenarten vorgenommen werden (z. B. entsprechend verschiedener Fertigungskapazitätsarten). Zusammenfassend lassen sich folgende Arten der Erfolgsberichtigung unterscheiden: • maßnahmen-, anlassbezogene Erfolgsberichtigung, • strategische, unternehmensbezogene Erfolgsberichtigung, • Erfolgsberichtigung auf Grund von Leistungsabweichungen und • Erfolgsberichtigung auf Grund von Kostenabweichungen. Jede dieser Erfolgsberichtigungen kann positiven oder negativen Vorzeichens sein, entsprechend dem Vorzeichen der Plan-Ist-Abweichung, und sollte zur deutlichen Dokumentation der Leistungs-/Kostenentwicklung getrennt zu den tat-
Das konzeptionelle Grundschema der Input-/OutputCentererfolgsrechnung lässt sich im Sinne eines InputOutput-Modells darstellen. Wie bereits erwähnt, wird davon ausgegangen, dass die gebildeten Erfolgs-/Verantwortungscenter für ihre erbrachten Leistungen (Output) Vorleistungen anderer unternehmenseigener oder externer Leistungslieferanten benötigen (Input). Externe Leistungslieferanten sind fremde Unternehmen oder organisatorische Einheiten des eigenen Unternehmens, die nicht dem eigenen Centerverbund angehören. Interne Leistungslieferanten sind organisatorische Einheiten innerhalb des eigenen Unternehmens, die nicht notwendigerweise der empfangenden Organisationseinheit (z. B. Bereich) unterstellt sind, aber zum Centerverbund gehören. Hinsichtlich der leistungsempfangenden Organisationseinheiten (Kunden in Abb. 13.32) gelten analoge Beschreibungen. Die Verflechtung der Leistungen innerhalb eines in Centereinheiten gegliederten Unternehmens kann in einer Leistungs-/Kostenmatrix abgebildet werden, die im Sinne einer Input-Output-Matrix zu verstehen ist (Abb. 13.33). In dieser Input-Output-Matrix lassen sich die gesamten Leistungsverflechtungen zwischen den Centern eines Unternehmens abbilden. Für ein beliebiges Center ergibt sich die Summe der abgegebenen Leistungen als die Zeilensumme der
13 Unternehmenscontrolling
an von PC
PC 10 eigen
CC
SC
Externe
Kunde/ Markt
2
2
Optionen für nicht produktbezogene Leistungen
996
70
54
70
3
22
3
5
16
5
Σ Σ Leistungen Leistungen konsolidieren
CC
15
8 eigen
4
SC
6
5
8 eigen
Externe
3
3
2
Kunde/Markt (Nachl.)
2
0,5
0,5
Σ
36
18,5
16,5
Leistung
70
22
16
108
75
Kosten
36
18,5
16,5
71
71
Erfolg
34
3,5
– 0,5
37
4
Kosten
8 Nachlässe –3 Erlöse 78 – 3
Erfolg ohne Konsolidier.
–3 75
Abb. 13.33 Input-Output-Matrix zur Input-/Output-Centererfolgsrechnung unter Berücksichtigung externer Aktivitäten (aus Gründen der Vereinfachung nur Ist-Werte berücksichtigt)
jeweiligen Centerzeile der Input-Output-Matrix, die Summe der empfangenen Leistung als die Spaltensumme der jeweiligen Centerspalte. Auf Grund dieser Vorschrift lässt sich der Centererfolg (Erfolg I) einer Centereinheit relativ einfach ermitteln (Zeilensumme des jeweiligen Centers ./. zugehörige Spaltensumme des Centers). Grundsätzlich können in einem Unternehmen mehrere Center (Sub-Center) zu einem Bereich (Center auf Bereichsebene) zusammengefasst sein. Ist dies gegeben, ist es erforderlich, nur die tatsächlichen Außenleistungen des jeweils übergeordneten Bereichs (Centers) zu errechnen. Hierzu ist die Innenleistung des Centers im Rahmen der Konsolidierungsrechnung gegenüber der von außen empfangenen Leistung abzugleichen, d. h. gegenzurechnen, um die tatsächliche Außenleistung des Bereichs zu erhalten. Werden die beschriebenen Formen der Erfolgsberichtigung eingeführt, ist es im Rahmen der Konsolidierungsrechnung erforderlich, sich hinsichtlich der Übernahme/des Ausweises der Erfolgsberichtigungen untergeordneter Ebenen auf der Bereichsebene zu einigen (Erfolgstransparenz der zugehörigen Center). Dies ist um so einfacher und durchgängiger möglich, je sys-
tematischer diese konzipiert und je einheitlicher sie gepflegt sind. Die Reduktion von Komplexität der Input-OutputBeziehungen potenzieller Center (z. B. durch entsprechende Leistungsvielfalt bedingt) sollte auf der Centerebene bei einer Praxisumsetzung des Centeransatzes stets im Auge behalten werden und gegebenenfalls im Rahmen von Reengineeringprojekten bereinigt werden. Auf Grund der dargestellten Zusammenhänge ist es ersichtlich, dass die Centererfolgsrechnung in dieser Form zur Koordination dezentraler Organisationseinheiten eines Unternehmens tauglich ist. Die Zurechenbarkeit von Erfolgs- und Misserfolgsbestandteilen (vgl. Preisnachlässe in Abb. 13.33) entsprechend dem Verursacherprinzip kann für die betriebliche Praxis oft zu Situationen führen, in der die Geschäftsleitung in Verbindung mit dem Controlling als Schiedsinstanz eingeschaltet werden muss. Die Input-/Output-Centererfolgsrechnung kann als ein verantwortungsbezogenes Instrument zur Planung, Analyse und Berichterstattung der Leistungsbeziehungen im Rahmen der operativen Centerführung sowie der Globalsteuerung der Erfolgszentren auf der
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
Gesamtunternehmensebene verstanden und genutzt werden. Die Stärke des Input-/Output-Ansatzes zur Centererfolgsermittlung ist zweifelsohne die direkte Abbildung der Erfolgsquellen (bezogene Leistungen, verursachte Kosten). Die Centerverantwortlichen erhalten dadurch direkte Einsicht in die Konsequenzen der Leistungserstellung. Eine weitere Stärke dieses Ansatzes liegt in der Form der Ermittlung der Leistungs- und Kostenvorgaben begründet. Geschieht die Ermittlung der Vorgaben im Rahmen von bilateralen Zielvereinbarungen zwischen leistungsabgebenden und leistungsaufnehmenden Centern und werden konkrete Mengenziele, basierend auf Verrechnungspreisen, vereinbart, sind die Centerverantwortlichen in dem Abstimmungsprozess direkt gefordert, da hier ihr zukünftiger Erfolg von ihnen mit vereinbart wird. Darüber hinaus findet durch die intensive Abstimmung zwischen den Centern i. d. R. eine Bereinigung der (innerbetrieblichen) Leistungsverpflichtungen statt. Dies um so mehr, je präziser die allgemeinen Rahmenbedingungen formuliert sind (z. B. gewünschte Einsparungsziele, Effizienzsteigerungen (Zielkorridore) [15]. Planen und Handeln wird somit direkt erfolgstransparent und die Annäherung an die Zielvorgaben stellt im Sinne stetigen Lernens eine fortwährende Herausforderung dar, die Prozessoptima sowohl centerintern als auch centerübergreifend zu finden. Zentraler Kritikpunkt bei diesem Ansatz zur Centererfolgsrechnung stellt die Tatsache dar, dass die Bewertung von Leistung und Kosten auf der Basis von Verrechnungspreisen vorgenommen wird. Verrechnungspreise sind i. d. R. nicht für die Kalkulation kurzfristig angenommener Aufträge tauglich. Grundsätzlich ergibt sich die Frage, welche Kosten in die Verrechnungspreise mit eingehen. Sind es Vollkosten, sind es Teilkosten, sind es Grenzkosten oder bildet die Bezugsbasis ein vergleichbarer Marktpreis? Die Diskussion über das Für und Wider der Verrechnungspreise beim Leistungsaustausch zwischen den Centern lässt sich durch die Möglichkeiten der Erfolgskorrektur mittels der eingeführten Erfolgsberichtigung z. T. entkräften. Da sich in einer wie auch immer gearteten Deckungsbeitragsrechnung (vgl. Abb. 13.30) ebenfalls Kostenunschärfen auf Grund von Gemeinkostenumlagen und fehlender Kostenauflösung ergeben, die nach Einschätzung des Verfassers der Verrechnungspreisproblematik durch-
997
aus gleichwertig sind, lässt sich das Argument der unzureichenden Aussagefähigkeit von Verrechnungspreisen zu einem Großteil kompensieren. Der allerdings nicht unerhebliche konzeptionelle und operative Aufwand zur Einführung von Centern sowie zur Nutzung einer Input-/OutputCentererfolgsrechnung (neuartiges Regelwerk) sei nicht verschwiegen. Auf eine tiefergehende Diskussion der Verrechnungspreisproblematik wird an dieser Stelle verzichtet und auf die einschlägige Literatur verwiesen [20].
13.4.3.3 Umsetzung der Centerkonzeption Die Umsetzung der Centerorganisation in einem Unternehmen (Abb. 13.34) erfordert die Segmentierung des Unternehmens in eigenständige Unternehmenseinheiten. Diese können, entsprechend ihrer Einbindung in das Gesamtunternehmen, erfolgs- und verantwortungsorientiert als Profit-, Cost-, Erlös-, Service- oder als Investment-Center ausgestaltet werden. Dazu ist es erforderlich, im Vorfeld • die Prozesse der Leistungserstellung zu erfassen (z. B. Leistungsverflechtungsdiagramm, vgl. Abb. 13.34) und, darauf aufbauend, eindeutig voneinander abgegrenzte Centereinheiten zu bilden, • die in den jeweiligen Bereichen erbrachten Leistungen nach Leistungsträgern und zugehörigen Leistungseinheiten, die Kosten nach deren Kostenverursachung zu typisieren sowie deren Bezugsgrößen zu identifizieren und sinnvolle Steuergrößen festzulegen (z. B. Aufträge, Umsatzerlöse, Durchlaufzeit, Qualität, Kosteneinsparungen, . . . ), • die Struktur der Erfolgsrechnung für die zu bildenden Center festzulegen. Im Einzelnen bedeutet dies: – Zeilenstruktur und Inhalte der Erfolgsrechnungsschemas centerspezifisch zu ermitteln und unternehmensübergreifend abzugleichen (Vergleichbarkeit der Center), – die Form und die Abfolge der Leistungsverrechnung auszuarbeiten (Leistungsverrechnungsfluss), – die Vorgehensweise zur Berücksichtigung von Plan-/Ziel- und Ist-Werten in der Erfolgsrechnung abzustimmen,
998
13 Unternehmenscontrolling an/von
Produkt R Montage R Serviceleistung B
an/von
an/von Auftrag R Aufmaß R Reklamation B
an Termine R Reklamation B
C
Baustellenmontage
an/von
an/von
R Infos R Besuche B Service B Rabatte von
R Auftrags(formular) R Aufmaß
Vertriebsinnendienst)
Legende: R: Routinemäßig B: Bei Bedarf P: Profit-Center C: Cost-Center S: Service-Center E: Erlös-Center
an/von
Auftragsfreigabe R
an/von
Vertrieb E (Niederlassung und von
an/von
Aufforderung zur Auftragsfreigabe R
Kunde
an Technische Zeichnung R Auftragsbestätigung R Kalkulation R Liefertermin R Technischer Service R
… …
Teams für unterschiedliche Produktgruppen
…
Cost-, ServiceCenter C Geschäftsleitung C Marketing S EDV S Finanz./Controlling S Personal
an/von an/von an/von C Baustellen-an/von … … … R Stücklisten an/von an/von montage C BaustellenR Aufmaß an/von an/von an/von an/von montage C an/von Baustellenan/von Materialmontage C an/von C Technik an/von wirtschaft an/von an/von R Qualität an/von an/von an/von an/von R Technische Zeichnung R Liefertermine R Stücklisten R Fertigstellung R Auftragsunterlagen B Fehler/Reklamation R Liefertermin Werke für R CNC-Daten
Bestellkontingente R Anlieferungsdatum R Vertragsbedingungen R
unterschiedliche Produktgruppen
Rapportzettel R Abrechnung R Fertiges Produkt R Montageauftrag R Liefer-, Montagetermin R
an/von an/von an/von Qualität R C Baustellen-an/von Anlieferungsdatum R an/von an/von montage C BaustellenBestand R an/von an/von montage C an/von Baustellenan/von montage P an/von Produktionsan/von an/von werke an/von an/von an/von
Abb. 13.34 Beispiel für die Leistungsverflechtung zwischen Centern (vereinfacht)
– das Verfahren zur Ermittlung der Plan-/Ziel- und Ist-Werte unternehmensübergreifend und centerindividuell abzustimmen, – die Ausprägungen der Erfolgsberichtigungen sowie deren Berechnung und Verrechnung festzulegen, – die Zurechenbarkeit von Leistungs- und Kostengrößen zu den jeweiligen Centern zu klären, – die An- und Einbindung des Center-Controllings an die Finanzbuchhaltung und die Kostenrechnung festzulegen, – die Koordination der Centerplanungen auf Unternehmens- und Centerebene auszugestalten (z. B. Budgetplanung, operative Jahresplanung, Zielvereinbarungsrunden, formelle Zielvereinbarung, interne Centerplanung), – die Inhalte und den Umfang des Anreizsystems (z. B. Prämienausschüttung) für die Centerführung zu gestalten und in die Centererfolgsrechnung sowie in den Zielvereinbarungsprozess zu integrieren (z. B. Bewertung des Erfolgs II, Rolle der Erfolgsberichtigung) sowie Implementierung eines Berichts- und FührungsInformations-Systems unter Abbildung der Centererfolgsrechnung (z. B. rechnergestütztes FIS). Betrachtet man die ersten beiden genannten Arbeitsschritte, lässt sich dies im Rahmen der Centereinführung in einem Unternehmen dazu nutzen, um im
Rahmen des Prozessredesigns eine Leistungsbewertung im Sinne eines Zero-Base-Ansatzes vorzunehmen. Dabei wird, wie bereits hervorgehoben, oft eine beträchtliche Verringerung des Umfangs ausgetauschter Leistungen möglich (vgl. hierzu die Ausführungen zur Leistungswertanalyse bei Weber [15]. Die dargestellten Elemente zur Umsetzung des Centeransatzes sollten in einer systematisch erarbeiteten Centerkonzeption zusammengeführt werden. Die Aufgabe der Centerkonzeption ist es, sowohl für den Centerverantwortlichen als auch für das Controlling in seiner zentralen und dezentralen Ausprägung die Formen der Planung, Steuerung, Kooperation und Kommunikation im Unternehmenscenterverbund festzulegen und, soweit erforderlich, verbindlich zu dokumentieren (Abb. 13.35).
13.4.3.4 Basis für die Centerführung Die Führungsphilosophie der Centerkonzeption und die damit verbundene Verantwortung der Erfolgscenter erfordert, wie aufgezeigt, eine grundsätzliche Veränderung der Führungs- und Steuerungsprozesse innerhalb des jeweiligen Unternehmens. Ein wesentlicher Bestandteil der unternehmerischen Verantwortung der Erfolgscenter liegt in der Durchführung von Leistungs- und Verhaltensvereinbarungen mit den anderen Erfolgscentern (einschließlich vereinbarten
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
999
Operative Jahresplanung
Ziel-Leistungsvereinbarungen Anbieter
Externe
Prozesse der Ziel- und Leistungsvereinbarung
Nachfrager Anbieter Planungssystematik Formelles Leistungsangebot
Interne Verrechnungspreise Angebotsregeln
Hilfen, Muster zu CER-Controlling und Planung, DV-Hilfen, Vorgaben, Formulare und inhaltliche Regelungen
Nachfrager Handbuch zur Centersteuerung, Planung
Leistungsvereinbarung – Vertrag –
FIS
UnternehmensCER - FIS DV-Komponente
Handbuch zur Centererfolgsrechnung
Handbuch zur Centerkonzeption Controlling (operativ, strategisch) ControllingControllingKostenkonzeption verfahren rechnung und -prozesse CER-Systematik/Verfahren
Abb. 13.35 Zusammenspiel der Instrumente zur Umsetzung des Centeransatzes
Reaktionen bei unerwartetem Kapazitätsbedarf auf Grund von zusätzlichen Aufträgen). Zielsetzung hierbei ist die Ausgestaltung der mit der Unternehmensleitung vereinbarten Zielvorgaben (Zielkorridore) unter quantitativen und qualitativen Aspekten (Mengen, Werte, Art und Ausführung der Leistungen). In der Praxis bietet es sich an, die Fülle der Regeln des Ziel-/Leistungsvereinbarungsprozesses sowie der Erfolgsrechnung in einem Handbuch verbindlich festzulegen (z. B. Handbuch zur Centerzielvereinbarung und Centererfolgsrechnung, vgl. Abb. 13.35). So wird der Prozess der Ziel- und Leistungsvereinbarung nach verlässlichen Regeln abgewickelt, wodurch ein gegenseitiges Vertrauen zwischen Leistungsgebern und -nehmern wachsen kann. Ohne direkte Intervention der Unternehmensleitung oder des zentralen Controllings, im Sinne einer Moderationsinstanz, werden sich vor allem zu Beginn der Umsetzung des Centeransatzes die eine oder andere Unstimmigkeit in den Ziel-/Leistungsvereinbarungen nicht beheben lassen. In einem Handbuch zur Centerzielvereinbarung und Centererfolgsrechnung lassen sich zum einen • die Rahmenbedingungen des Leistungsaustausches wie
– Art der ausgetauschten Leistungen, – Umgang mit Änderungen der Vereinbarungen (Unter-, Überschreitung der vereinbarten Leistungen und verursachten Kosten), – preisliche, verrechnungstechnische Bewertung von Leistungsschwankungen und unerwarteten Ereignissen, – Regelungen zur Ermittlung der Erfolgsberichtigungen, – Beurteilungskriterien zur Erfolgsermittlung und zum anderen • die grundsätzlichen Verfahrensweisen zur Abstimmung der Unternehmens- und Centerpläne mit den – Vorgehensweisen zur Zielfindung auf der Unternehmensebene (z. B. operative Jahresplanung), – Verfahrensschritten zur Zielfindung auf der Centerebene, • die Nutzung entsprechend standardisierter zentraler und dezentraler Planungs- und Kalkulationswerkzeuge und • die Form der verbindlichen Leistungsvereinbarung (z. B. Formular zur Centervereinbarung)
1000
zusammentragen, controllingorientiert ausgestalten und für ein zentrales Controlling sowie für ein dezentrales Team- und Selbstcontrolling aufbereiten. Entsprechende Planungsansätze und Hilfen für die dezentral geführten Center lassen sich hier ebenfalls näher beschreiben und ihre angemessene operative Handhabung in erster Näherung sicherstellen.
13.4.4 Operative Jahresplanung In der operativen Jahresplanung wird die verbindliche Vorgehensweise zur Umsetzung der Unternehmensstrategien für das Planungsjahr und die unterjährigen Planungszyklen ermittelt. Mit dem Planungshorizont von einem Jahr wird damit der generelle „Fahrplan“ für das Unternehmen in allen Bereichen – Geschäftsbereiche, Erfolgscenter – festgelegt. Die operative Jahresplanung bildet die Grundlage für die Verfeinerung der Quartals- und Monatssichten sowie für die dispositive Steuerung im Tagesgeschäft (ggf. nach erfolgreicher Einführung der quartalsbezogenen Planung und Abstimmung). Zur Ermittlung der operativen Jahresziele für die Centereinheiten im Rahmen der Jahresplanung ist es erforderlich, entsprechende Vorgaben- und Zielkorridore für das Gesamtunternehmen und deren Center zu ermitteln. Dieser Planungsvorlauf umfasst idealerweise die strategische Rahmen- und Mittelfristplanung (z. B. mittelfristige Marktanteilsziele) ebenso wie die intensive Ergebnisanalyse des Vorjahres sowie die Ergebnistrendrechnung für die Vorgaben- bzw. Zielkorridore des laufenden Planungsjahres. Diese Arbeiten sollten im Rahmen der betrieblichen Planungsaktivitäten (z. B. durch Planungskalender vorgegeben) turnusmäßig abgearbeitet werden (Abb. 13.36). Für die Koordination der Ziel- und Leistungsvereinbarung im Rahmen der operativen Jahresplanung ist es erforderlich, die koordinierende Instanz in dem festgelegten Abwicklungsrahmen festzulegen. Die Koordination der Planungs- und Abstimmungsprozesse sollte in der ersten Phase (Einführungs- und Lernphase des Centeransatzes) dem zentralen Controlling obliegen. Wichtig hierbei ist, dass das zentrale Controlling als Nahtstelle zur Unternehmensleitung fungiert und für die Aufbereitung der von den Centerbereichen eingehenden Vorschläge zuständig ist. Die Unternehmensleitung tritt in diesem Sinne bei
13 Unternehmenscontrolling
der eigentlichen Centerabstimmung nicht in Erscheinung. Die Vorgabe von Zielkorridoren zu Beginn der Centerplanungsrunde ist Aufgabe der Unternehmensleitung (vgl. Planungsvorlauf Abb. 13.36). Das zentrale Controlling leistet hierbei Unterstützung. Vorjahreswerte und die Erfahrungen hinsichtlich saisonaler Schwankungen und regionaler Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Im Rahmen der Centerentwicklung ist eine Verlagerung der Koordinationsaufgaben beispielsweise hin zu einem Produktmanager (Centerleiter) notwendig, um die jeweiligen Verantwortlichen langsam auf ihre Führungsaufgabe vorzubereiten (vgl. Abb. 13.28). Der Anstoß der Aktivitäten im Rahmen der operativen Jahresplanung kann dann durch die Centerverantwortlichen selbst, basierend auf den Rahmenterminen des betrieblichen Planungskalenders, erfolgen. Der Planungsprozess verläuft „top-down“ und „bottom-up“, d. h. ausgehend von den Zielvorstellungen der Geschäftsleitung (Zielkorridore) über die Unternehmensbereiche zu den Centern und Centerteams, um anschließend (bottom-up) wieder bis auf die Gesamtunternehmensebene verdichtet zu werden (Gegenstromverfahren). Hier werden die Ergebnisse konsolidiert, abgestimmt, gegebenenfalls bereinigt und als konsolidierter Vorschlag zur Entscheidung und Freigabe aufbereitet. Auf Grund der dabei auftretenden Arbeitsbelastung und der heterogenen Bereichssichten ist eine gewisse Formalisierung und Standardisierung des Verfahrens (Formulare, standardisierte Planungshilfen) sowie eine Beschränkung der zu erarbeitenden Details angebracht (A-, B-, CPrinzip). Zu beachten ist dabei, dass innerhalb der Planungs- und Abstimmungszyklen die Kommunikation, der Erfahrungsaustausch, die Bewertung und die Berücksichtigung der Vorstellungen und Erwartungen der Centerverantwortlichen sichergestellt sind. Ein Beispiel für die zeitliche Staffelung des Vorgehens bei der operativen Center-, Ziel- und Leistungsvereinbarung kann Abb. 13.36 entnommen werden.
13.4.4.1 Rolle des Controllers und des Controllings bei der Centerorganisation Die Unterstützung dezentraler Organisationseinheiten ist eine Herausforderung an das zentrale Controlling sowie an das Controlling allgemein. Dies betrifft die Aufgaben zur Befähigung der dezentralen
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
Strategische Rahmen- und Mittelfristplan. GL-Con
Beginn: z. B. Juli/ August des Jahres Vorgabe von Ziel-, Grundwerten GL-Con
Ergebnisanalyse Vorjahr GL-Con
Orientierungsgespräche
V1, V2, Con Ergebnis-TrendRechnung, Analyse Con
Abgleich der Zielvereinbarung
Verabschiedete Zielvereinbarung
2 – 3 Monate 0,5 – 1 Monat
Werk Prod
Con/ RW Con
Abgleich der Zielvereinbarung
Zyklusdauer 5 – 9 Monate
Geschäftsleitung Controlling
V1, V2: Fin:
V2
Tech
MaWi
Prod
Con/ RW
Fin
Con
Vertrieb RW: Finanzwirtschaft MaWi:
Fin
EDV
Con
Con
Allg. Dienste Con
1 – 2 Monate 0,5 – 1 Monat Konsolidierung Zielvereinbarung
Konsolidierung Zielvereinbarung
Centerebene Rechnungswesen Materialwirtschaft
Tech: Prod:
Technik Produktion
EDV
Allg. Dienste
1 - 2 Monate
Zielvereinbarungsvorschläge Center (konsolidiert)
Unternehmensebene – gesamt GL: Con:
V1
Con
Orientierungsgespräche II Vorschläge Centerzielkorridore GL-Con-V1-V2
GL-Con
Montage
MaWi
V1 für V1 u. V2 V Con
GL-Con Gesamtstrategie
Technik Con
Absatzplanung
Zielkorridore • Mengenziel • Erfolgsziele • Budgets • Kennzahlenvorgaben
Erfolgplanungsgespräche centerintern
Orientierungsgespräche I
We rke
Planungsvorlauf und Ermittlung der Zielkorridore
1001
Zielvereinbarungsvorschläge centerintern Ebene centerintern
EDV Con
Gesprächspartner
Abb. 13.36 Ablauf der Ziel-/Leistungsvereinbarung (Beispiel)
Unternehmenseinheiten zum Unternehmertum und die Wahrnehmung einer aktiven Rolle im Wandel hin zu den dezentralen Strukturen [21]. Die Aufgabe des Controllings bei der Einführung des Centeransatzes ist die Absicherung einer geordneten Vorgehensweise beim Übergang der Verantwortung auf die dezentralen Centerverantwortlichen (vgl. Abb. 13.28). Dies erfordert zum einen, die bisherigen Aufgaben eines zentralen Controllings schrittweise zu dezentralisieren und die Verhaltens- und Verfahrensweise im Sinne von selbstkoordinierenden Controllingsystemen und Abstimmungszyklen zu initiieren und zum anderen, die dezentralen Einheiten zur operativen Beherrschung der Verfahren und initiierten Systeme zu führen (z. B. Zielvereinbarungs-, Erfolgsrechnungssystematik, rechnergestütztes FIS, . . . ). Die Rolle des Controllings und auch die des Controllers unterliegt hierbei einem starken inhaltlichen sowie verantwortungsbezogenen Wandel. Das zentrale Controlling hat hierzu Standards aufzubauen, diese dezentral zu sichern und die Bereiche zur Eigenständigkeit zu befähigen. Eine beispielhaft vorgenommene Abgrenzung der Aufgaben des Controllings im Rahmen des Centeransatzes kann Abb. 13.39. entnommen werden (vgl. dazu auch die Überlegungen von Deyhle [22] und Horvath [6]). Zentraler Gesichtspunkt bei der auf Controllinginformationen gestützten Führung und Steuerung der Unternehmenscenterorganisation ist nicht das Vorhan-
densein von Kennzahlen und der Gebrauch derselben, sondern ist die Neugestaltung der Prozesse und der Art und Weise, wie die relevanten Steuerungsinformationen (Wert, Mengengrößen, . . . ) ermittelt und die selbstverpflichtende Zielvereinbarung zur Leistungssteuerung verwendet werden. Dies bedeutet, wie bereits angedeutet, eine Änderung • • • •
der Formen der Selbstorganisation, der Formen der Entscheidungsfindung, der Ausführungsüberwachung und Kontrolle, der Vorgabensteuerung und Planung im Bereich (Center) sowie – der Form und Intensität der Kommunikation der Beteiligten.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass zur inhaltlichen Komponente von Entscheidungen innerhalb oder zwischen Centerbereichen stets die kostenund leistungsmäßige Bewertung hinzutritt. Dies heißt, dass der Controller stets der Dritte im Bunde ist (in Person oder als wahrzunehmende Funktion). Entscheidungen werden somit in einem (kleinen) Teamverbund getroffen. Eine Centerorganisation kommt nicht umhin, Controllingwissen im jeweiligen Centerbereich aufzubauen, um wirkungsvoll agieren zu können. Bei Bedarf sollte die Unterstützung des zentralen Controllings im Sinne des angesprochenen „Coaching“ weiterhin nachgefragt werden. Findet dies statt, so kann davon ausgegangen werden, dass dem zentralen Controlling
1002
erste Schritte hin zu einer Dezentralisierung seiner Funktion und Veränderung seiner bisherigen Rolle bereits gelungen sind (Abb. 13.37).
13.4.4.2 Anforderungen an die Leistungsund Kostenermittlung Die Centererfolgsrechnung, ob nun in Form der skizzierten Deckungsbeitragsrechnung oder in Form der Input-/Output-Erfolgsrechnung, bedarf der Anbindung an die Kosten- und Leistungsrechnung und der Ausgestaltung durch diese. Im Falle der Deckungsbeitragsrechnung (vgl. Abb. 13.30) ist es erforderlich, die Verteilung der Leistungskosten eindeutig festzulegen. Zum einen ist hierzu eine entsprechende Sachkontenzuordnung aus der Finanzbuchhaltung in die jeweiligen Kostenarten zu leisten, zum anderen sind entsprechende Kosten- und Ertragsbezugsgrößen festzulegen und die centerbezogene Zuordnung sicherzustellen [19]. Die Anlage von für die Centerorganisation geeigneten Kostenstellen, die den Leistungserstellungsprozess verursachungsgerecht abzubilden vermögen und ohne umfangreiche Umlagen abgeschlossen werden können (Ziel ist die weitgehende Kontierung von Einzelkosten), ist für die Genauigkeit der Kostenerfassung und -zuordnung von Vorteil. Zentrale Gestaltungsanforderung hierzu ist, dass den Kostenträgern und Kostenstellen (der Center) nur die Kosten zugerechnet werden, die sie verursacht haben. Dies betrifft die direkt zuordenbaren Kosten ebenso wie die kostenstellengerechte Kontierung von Belegen in der Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung. Letztgenannter Punkt wird in der betrieblichen Praxis oft genug zu freizügig gehandhabt. Dies führt zu beträchtlichen Unschärfen bei der Kostenermittlung bzw. zu weiterem analytischen Aufwand bei einer nachgeordneten Kostenauflösung. Die Mitführung von mehrdimensionalen Leistungs-, Kosten- und Erlösinformationen (analog zu den Segmentierungskriterien der Centereinheiten in Abb. 13.25) durch eine direkte Mehrfachkontierung (Erlös-, Kostenträgerauflösung) bzw. durch eine zeitlich nachgeführte DV-technische Zuordnung ist eine zentrale Voraussetzung für die Bereitstellung von Erlös-, Leistungs-, Kosten- und Erfolgsinformationen für die Centerarbeit (Abb. 13.38).
13 Unternehmenscontrolling
So lässt sich beispielsweise die Kundenauftragsnummer im Sinne eines eindeutig (sprechenden) Schlüssels verwenden, der den Leistungserbringer (z. B. Niederlassung, Außendienst), den Kundentyp und weitere Kosten- und Erlösträger eindeutig identifiziert [23]. Auftragsbezogene Arbeiten lassen sich dann in der Finanzbuchhaltung und der Kostenrechnung auftragsnummer- und kostenstellengerecht problemlos kontieren. Voraussetzung für eine spätere sachgerechte Auswertung (Auflösung nach Centern, Kunden, Kostenträgern) ist allerdings die stetige Mitführung der Auftragsschlüsselinformation in der angegebenen Form, um eine centerspezifische Kostenund Leistungsauflösung auf die gebildeten Center so verursachungsgerecht wie möglich vornehmen zu können [19]. Basierend auf der centerindividuellen Kostenartenstruktur (Teilmenge der Gesamtkostenarten des Unternehmens) lassen sich für die jeweiligen Center die dargestellten Formen einer deckungsbeitragsbasierten Erfolgsrechnung zusammenstellen. Eine entsprechende Erweiterung der Deckungsbeitragsrechnung zum Plan-Ist-Vergleich mit der Möglichkeit, entsprechende Abweichungen des Centers festzustellen, erlaubt es dann, den Erfolg des Centers in Bezug auf die ausgewiesenen Leistungs- und Kostenpositionen zu steuern. Die Anwendung der Input-/Output-Centererfolgsrechnung geht hierbei, wie aufgezeigt, andere Wege. Die Anwendung einer Deckungsbeitragsrechnung zur Bestimmung des Centererfolgs schließt die Anwendung der Input-/Output-Centererfolgsrechnung nicht aus. Vielmehr ergeben sich auf Grund des unterschiedlichen Ansatzes Vergleichsmöglichkeiten hinsichtlich der sachgerechten Kostenzuordnung und der Erfolgsquellen der dezentralen Organisationseinheiten (vgl. Abb. 13.38). Die Input-/Output-Centererfolgsrechnung in der dargestellten Form basiert auf dem Ausweis von im Rahmen der Selbstverpflichtung der Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen den Centern vereinbarten Planleistungen und der verursachten Ist-(Leistungs)Kosten. Der Unternehmens-/Centererfolg wird dabei dynamisch ermittelt, d. h. in Abhängigkeit der Planvorgaben und der tatsächlichen Ist-Größen. Zur Ermittlung der Ist-Größen ist es erforderlich, den Leistungsaustausch zwischen den Centern zu messen und in die Berechnungssystematik der Erfolgsrechnung einzubringen. Zentrale Größen für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit eines Centers sind
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
Die zentrale Komponente des Controllings beim Centeransatz
1003
Die dezentrale Komponente des Controllings beim Centeransatz
• Verabschiedung und turnusmäßige Überprüfung von zulässigen internen Verrechnungspreisen. Controller als Normer einer verlässlichen Zahlenbasis.
• Operativer Helfer vor Ort sowie Tutor zum Aufbau entsprechenden Controlling-Know-hows im Centerbereich. Controller als Coach und Tutor.
• Festsetzung und turnusmäßige Überprüfung von Preisuntergrenzen und Regelungen zu deren Anwendung. Controller als Qualitätssicherer der betriebswirtschaftlichen Basis. • Setzen von Verhaltensrichtlinien für Form, Turnus und Inhalte der Ziel-/Leistungsvereinbarung für die jeweiligen Centerformen. Controller als Vertragsgestalter. • Systematische vereinbarungsgemäße Informationsversorgung durch ein zentrales Informationsversorgungssystem. Controller als Systembetreiber. • Aufbau und Implementierung einer unternehmenseinheitlichen Centererfolgsrechnung sowie deren Anbindung an andere Kostenrechnungssysteme. Controller als Systemarchitekt. • Festlegung der Rolle und Bedeutung externer Preise sowohl zur Erfolgsbeurteilung als auch im Rahmen der Leistungsvereinbarungen. Controller als Marktregulator. • Überwachung und Kontrolle der Spielregeln im Rahmen der Leistungsaustauschbeziehungen. Controller als Schiedsinstanz. • Bereitstellen von Basisinformationen zur Planung und Entscheidungsfindung (z.B. Kalkulation) für alle Centerbereiche. Controller als Informationslieferant. • Standardisierung von Vorgehensweisen, Kalkulationsund Planungsverfahren (z.B in Form einer Methodenbank). Controller als Methodenentwickler. • Aufzeigen von Handlungszwängen und -notwendigkeiten sowie strategischer Chancen. Controller als Initiator und Innovator.
• Initiierung und Hilfe beim Aufbau des centerspezifischen Planungsvorgehens sowie der dazu notwendigen DV-PC-Unterstützung (Vorgehensweise, Formulare, Standards, Qualifizierung). Controller als Qualifizierer und Unterstützer. • Moderation und Hilfe beim Abschluss von Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen den Centern. Controller als Moderator. • Qualifizierung der Centerverantwortlichen im Umgang mit den Regeln der Leistungsvereinbarung sowie der Centererfolgsrechnung. Controller als Navigator. • Unterstützung bei der Interpretation und Bewertung der Erfolgsrechnungsergebnisse. Controller als interner Berater. • Turnusmäßige Reviews über die centerbezogene Leistungserbringung. Controller als interner Reviewer. • Je eingespielter die Mechanismen der Leistungsverrechnung werden, umso stärker wird der Controller als Optimierer auftreten. • Informationszusammenstellungen werden in einer späteren Phase von den Centern selbst übernommen. Controller als Informations-Qualitätsprüfer. • Die Standardisierung von Vorgehensweisen wird in einer späteren Phase von den Centern selbst übernommen. Controller als Methodentester. • Aufzeigen von centerbezogenen Handlungsbeiträgen und -notwendigkeiten sowie strategischer Chancen. Controller als Initiator und Innovator.
Abb. 13.37 Controllinganforderungen im Rahmen des Centeransatzes
zum einen die für die Leistung verfügbare, verkaufbare Kapazität (Kapazitätsarten), d. h. die um Gemeintätigkeiten bereinigte Centerkapazität je Leistungsart, sowie die zugehörigen Verrechnungspreise (zurechenbaren Kosten). In der Einführungs- und Lernphase der Centererfolgsrechnung sollte darauf geachtet werden, dass entsprechende Kapazitätsrechnungen im Rahmen der Leistungsbemessung (Eigenbemessung) durchgeführt werden und so wenige Bezugsgrößen wie möglich je Center zum Ansatz kommen (Abb. 13.39). Die „verkaufbare Kapazität“ der jeweiligen Center richtet sich nach der Anzahl der Mitarbeiter, den im Center anfallenden „Gemein-, Fehl- und Rüstzeiten“ sowie nach etwaigen Erfahrungswerten bzw. Leistungsindizes (ggf. Vorgabewerte). Durch die Ermittlung der „verkaufbaren Kapazität“ ebenso wie des Ansatzes der dieser Kapazität zurechenbaren Kosten ist es möglich, im
Unterschied zu der rein rechnerisch verfügbaren Kapazität und in Bezug auf die Gesamtheit der anfallenden Kosten (Vollkosten), quasi eine „Leistungsmessung zu Grenzplanpreisen“ vorzunehmen. Die hierzu notwendigen Kosteninformationen sollten durch das zentrale Controlling im Vorlauf des Ziel-/Leistungsvereinbarungszyklus den Centern zur Verfügung gestellt werden. Die zurechenbaren Kosten lösen sich i. d. R. auf in • die direkt zuordenbaren Kosten (z. B. notwendige Fremdleistungen für die Leistungserbringung, Materialien, . . . ), • die Personalkosten und • die nicht direkt zuordenbaren Kosten (z. B. Raumkosten, Umlagen, . . . ). Wie durch diese Ausführungen ersichtlich, ist das Leistung anbietende Center im Rahmen der Ziel-
13 Unternehmenscontrolling
2
2
Retrograde Produktbereichs-Erfolgsrechnung (DB-Rechnung)
1
1 … Produktion Technik
Input-/ Output- UnternehmensCentererfolgsrechnung Leistungen • unternehmensintern • unternehmensextern ./. Kosten • unternehmensintern • unternehmensextern Erfolg I ./. Erfolgsberichtigungen Erfolg II
2
Produktbereiche
3 4
Vertrieb
CER
Centerbereiche
4 4
Input/OutputCentererfolgsrechnung
Kostenrechnung
• Erlöse 1 ./. Erlösschmälerungen • Nettoumsatz ./. Stoffverbrauch und Fremdkosten • Rohertrag ./. variable Kosten (+…) • DB I ./. zurechenbare Bereitschaftskosten • Betriebsergebnis I ./. nicht zurechenbare Bereitschaftskosten • Betriebsergebnis II ./. ⫾ GuV-Abgleich • Betriebsergebnis III
… … Stein Holz Metall
Leistungszuordnung, Kostenauflösung
Leistungs- und Kostenverursacher-Information
Leistungs- und Kostenarten-Information
Umsatzbezogene, retrograde Unternehmenserfolgsrechnung
Leistungszuordnung, Kostenauflösung
1004
1,2,3,4: empfohlenen Reihenfolge des Vorgehens Abb. 13.38 Ansätze zum Erfolgsnachweis betrieblicher Center Projektbeispiel
Bildung der Leistungskategorien je Center Art/Einheit/Menge
Festlegen von Abrechnungsgrößen (einheitlich je Center) Phase 1 Phase 2 eine mehrere Größe Größen
Bildung der Kostenarten je Center Art/EUR/Volumen
Bildung der Kapazitätsarten, Kapazitätsermittlung je Center Art/Einheit/Menge
Leistungs-, Kostenpositionen der Ziel-/ Leistungsvereinbarung
Ermittlung von Verrechnungssätzen Phase 1 eine Größe
je Center
Phase 2 mehrere Größen
Kapazitätsverteilung auf Leistungsarten/Aufträge
Anlage/Übernahme in die CER-Systematik der Erfolgsermittlung/-verfolgung Abb. 13.39 Grundlagen für die Centererfolgsrechnung
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
und Leistungsvereinbarung gehalten, seine Leistungen (verkaufbare Kapazitäten) zu kalkulieren. Dies hat den großen Vorteil, dass den Centerverantwortlichen in weit größerem Maße, als dies im Rahmen konventioneller Kostenrechnungsverfahren möglich ist, die Kosten der Leistungserstellung transparent werden. Sie sind dadurch gehalten, ihre Budgetdeckung gezielt preistransparent zu erwirtschaften. Ein weiterer zentraler Aspekt der Leistungsermittlung stellt die genaue Leistungsspezifikation des Centers im Rahmen der Zielvereinbarungszyklen dar. Hier treten i. d. R. eine Vielzahl von Unschärfen und Unwägbarkeiten auf. Sie betreffen die Abgabe der Leistung (Termin und Umfang) bzw. die Inanspruchnahme durch die Leistungsempfänger, die, wenn positiv genutzt, zu einer sehr konkreten Formulierung der zu erbringenden Leistungen im Aushandlungsprozess führen. Die bereits angesprochene Verringerung der ausgetauschten Ist-Leistungsumfänge und eine Bereinigung des Leistungsangebots (Marktprinzip: angeboten wird, was nachgefragt wird) ist in vielen Fällen eine direkte Folge. Findet dies nicht statt, werden die Zielvereinbarungsparteien sich spätestens nach der Leistungserbringung über die verursachten Kosten oder über die nicht sach- oder umfanggerechte Leistungserbringung abstimmen müssen. Aus diesem Grunde sollten entsprechende neutrale Schiedsinstanzen vorgesehen werden (z. B. paritätische Schiedsinstanz un-
Σ+
direkte Ausgaben
periodisch Status
Aufgliederung
direkte Ausgaben Leistung
Teambudget direkte … Ausgaben
Kosten
Kosten
Budgetstatus
Q. I
I
Leistung
S
I Q. II
+ Wird
Endphase
Budgetstatus
…
S Q. I
I
Kontierung(svorschläge)
Kosten
Teambudget
S
ter Beteiligung zentraler und dezentraler Controller sowie bereichsfremder Experten). Kernpunkte der dann zu fällenden Entscheidung stellen die Erfolgswirksamkeit (positiv oder negativ) der aufgetretenen Abweichungen dar sowie der Anteil, den die beteiligten Centerparteien davon zu übernehmen haben. Die dann ermittelten Leistungsgrößen lassen sich im Anschluss an ihre Vereinbarung (z. B. formelle Selbstverpflichtung durch Zielvereinbarungsverträge) als Korrekturgrößen in das Rechenschema der Centererfolgsrechnung einbringen. Die Ermittlung der Leistungs-Ist-Werte kann sich problematischer gestalten. Auftrags-, kundenoder leistungsempfängerbezogene Zeitaufschriebe oder Zeitschätzungen zur Ermittlung des tatsächlichen Leistungsverzehrs sind hierzu ein Mittel, um dem Leistungsempfänger die aufgewendeten Ist-Kapazitäten des „innerbetrieblichen Auftrags“ auszuweisen. Es empfiehlt sich daher, die Falle der Leistungsveränderung (Mehrleistung, Minderleistung, eigenverschuldet, fremdverschuldet, . . . ) als entsprechende Zusatzformulierungen in die getroffenen Zielvereinbarungen mit aufzunehmen und somit Klarheit für die Wechselfälle operativer Leistungserbringung und deren Erfolgswirksamkeit zu schaffen. Eine Übersicht über die kostenrechnerische und kapazitätsorientierte Vorbereitung zur Centerzielvereinbarung kann Abb. 13.39 entnommen werden.
Kostenstellen Teamspezifisch Soll
Ist
Wird
Leistung
allg. Pos. akzeptierte Vorgaben
Abgleich
Centerbudget
1005
S
I Q. II
+ Wird
Endphase
Centerspezifisch Soll
Ist
Wird
Endphase
Schritte der Entwicklung: 1. Ermittlung von Soll-Vorgaben 2. Kontinuierliche Ermittlung des Ist 3. Abschätzung der Entwicklung (Wird) 4. Quartalsmäßige Auflösung der Budgets
Abb. 13.40 Beispiel für eine center-/teamorientierte Budgetierung im Centeransatz
1006
13 Unternehmenscontrolling
13.4.5 Teamorganisation und Centerorganisation Die Teamorganisation stellt für die Umsetzung des Centeransatzes ein notwendiges dezentrales Element der Entscheidungsvorbereitung, -findung und -umsetzung sowie effizienter Arbeitsorganisation dar. Die aktive, offene Gestaltung der Zusammenarbeit in Centerteams bildet ein organisatorisches Gegengewicht zu einer rein monetären, kostenorientierten Planung im Centeransatz und wird, entsprechende Freiräume im Team zugestanden, zu einer qualitativ besseren Entscheidungs-, Planungs- und Ausführungsqualität führen. Grundsätzlich lassen sich die im Rahmen der Zielvereinbarungsgespräche von den Teams abgeschlossenen Zielvereinbarungen (Leistungs- und Kostenvereinbarungen) im Sinne von Teambudgets verstehen. Teams bilden – lässt man diesen entsprechende dispositive Handlungsspielräume offen – die unterste Ebene der Zielvereinbarung und Budgetierung (Abb. 13.40). Betrachtet man die operativen Geschäfte der Leistungserstellung sowie die dadurch verursachte Kostenentstehung, sollte es in jedem Fall den Teams vorbehalten sein, ihr Budget entsprechend zu verwenden bzw. die Kontierung von leistungs- und kostenrelevanten Sachverhalten im Sinne von Vorschlagsrechten wahrzunehmen (GuV-, Bilanz- und kostenrechne-
rische sowie bewertungstechnische Problemstellungen vorbehalten). Die Teambildung im Rahmen eines Centeransatzes sollte in jedem Fall entlang ganzheitlich strukturierter Prozesse vorgenommen werden. Optionen hierzu bilden beispielsweise die mengenteilige Bearbeitung von Aufträgen in Teams mit regionaler oder kundengruppenspezifischer Zuständigkeit. Folgt man dem Grundsatz, dass der Sinn von Teams zum Großteil im methodischen Streben nach Leistung liegt [24], ist es einsichtig, die Vermittlung von entsprechendem Knowhow für die Bewältigung der Leistungsanforderungen gezielt anzugehen (z. B. über Personalentwicklungsmaßnahmen). Bei der Einführung der Teamorganisation wird der Befähigung der Mitarbeiter zur Teamfähigkeit (soziale und fachliche Kompetenz) oft zu wenig Beachtung geschenkt. Nicht nur im Rahmen des Centeransatzes ist ohne die Sicherung der Team- und Prozessfähigkeit der Teammitglieder der Teamansatz zum Scheitern verurteilt. Dies führt dann zu einer Verringerung der Teamleistungen und in der Folge zu einer Verlagerung von Problemen bei der Arbeitsausführung in nachgelagerte Bereiche, da dort ein erhöhter Nachbearbeitungsaufwand verursacht wird. Eine Erkenntnis, die bei der Reorganisation von Unternehmen oft mit schmerzlichen, längerfristigen Einbrüchen der Leistungsfähigkeit sowie mit Einbu-
Unternehmensebene QualitätQualitätsprodukte Kosten Wertschöpfungsanteil, Besteuerung Zeit Termineinhaltung Gewinn Erlösmaximierung, Gewinnoptimierung
Strategische Rahmenvorgaben und Ziele
Center-Bereichsebene Aggregation Qualität Status-, Steuerungs- Kosten und Beurteilungsinformation
Qualität Kosten Zeit Gewinn
?
Auflösung der PC-Ziele
Produktqualitätsverbesserungen, FehlerTeamebene freie Produktion/Leistungserbringung, Fehlerrate, Ausschuss Fälle/Aufträge, keine RückMinimierung der Kosten, geringe Fehlerfolge- Qualität Fehlerfreie fragen, Anzahl Verbesserungsvorkosten, Fehlerrate, geringe centerverursachte schläge, Fehlerquote, Lob Kundenreklamation, Zulieferoptimierung, Kosten keine zusätzlichen Ausgaben, Kontaktgeringe interne Reklamationen/Rückfragen, erfolgsquote, Fehlerquote, BearbeiEinsparungen tungszeitanteil, ProzessstandardisieProzesszeiten/geringe Verweilzeiten, DurchZeit rung, Rationalisierungen,Abstimsatz, Reaktionszeit, Zuliefererverlässlichkeit mungsbedarf mit Zulieferern Erzielte Preise, Mengenziele, NutzenorienGewinn Zeit geringe Bearbeitungszeit, Standarditierung, A-, B-, C-Auftragsmengen, Preissierungsgrad, Problemlösungsquote, nachlässe Bearbeitungszeitanteil, Prozessstandardisierung, Lieferzeiteinhaltung Status-, Steuerungs- Gewinn A-, B-, C-Kundenaktivierung, A-, B-, Aggregation und BeurteilungsC-Auftragsmengen, Kundenkontakte, Kontakterfolgsquote
informationen
Abb. 13.41 Beispiel für operationalisierte Kenngrößen zur Centersteuerung
13.4 Centeransatz zur Führung und Steuerung dezentraler Einheiten
ßen an Vertrauen in die Unternehmensleitung bzw. in die für die Reorganisation verantwortlichen Personen einhergeht. Zielorientierte Teamsteuerung auf der Basis von Ziel- und Leistungsvereinbarungen bedarf im Sinne des Controllings der Leistungsmessung des Selbstbzw. Team-Controllings. Grundsätzlich gibt es hierzu zwei Ansätze. Einen Ansatz bildet die Ausarbeitung analytischer Kennzahlensystematiken zur objektiven Leistungserfassung, -messung und -bewertung durch vorgesetzte Instanzen in den Unternehmen/Centern (Abb. 13.41). Ein zweiter Ansatz geht davon aus, dass ein System der Leistungsmessung weniger den Vorgesetzten als dem Team helfen sollte, seine Fortschritte zu messen. Insofern ist es dann einsichtig, dass ein wirklich selbstbestimmtes Team bei der Erstellung des eigenen Teambewertungssystems federführend ist [25]. Darüber hinaus sollte das rein monetäre und leistungsorientierte Controlling durch ein qualitatives Controlling ergänzt werden. So sollten beispielsweise Qualitätsprobleme auf der Prozessebene analysiert, konkrete Maßnahmen ergriffen und somit Kosten- und Zeittreibereffekte der Prozessausführung frühzeitig eliminiert werden, bevor sie signifikant leistungsmindernd und somit kostenrelevant werden (vgl. hierzu die Diskussion zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess bei Simon [25]). In diesem Sinne sollte ein verantwortungsvolles Controlling stets sowohl auf der Prozess- als auch auf der Teamebene KVP-Maßnahmen als ein Element der prozessbezogenen Kosten- und Leistungssteuerung mit berücksichtigen und somit die Ursachen von Kosten- und Leistungsabweichungen offen legen.
Ursachenbereiche
Kenngrößen
Material
Zulieferer
1007
Abbildung 13.42 gibt hierzu ein operatives Beispiel für ein erweitertes qualitatives Controlling. Ziel jeder Leistungsmessung und -steuerung ist es, den Leistungsprozess durch entsprechende Messgrößen abzubilden und die jeweiligen Enwicklungen im Sinne eines Monitoring zu verfolgen. Bei der Diskussion zur Leistungsmessung von Teams wird dabei allzu oft vergessen, dass die Leistungsergebnisse von Teams von einer Reihe von intrinsischen und extrinsischen Faktoren der Arbeitssituation mitbestimmt werden. Die positive Ausgestaltung dieser Faktoren im Rahmen der Centerorganisation kann zu den gewünschten Leistungssteigerungen und Effizienzverbesserungen führen, bedarf aber der bewussten Schaffung von Entscheidungs- und Handlungsfreiräumen auf der Teamebene ebenso wie eine bewusste Beschränkung der Interventionen in die operative Arbeitsausführung des Teams durch die Führungskräfte [28]. Abbildung 13.43 gibt für die hierbei angesprochenen Wirkzusammenhänge ein Beispiel. Die Reichweite der Aufgaben eines qualitativen Controllings werden dadurch weiter verdeutlicht.
13.4.6 FIS-Unterstützung für das centerorientierte Unternehmen In Erfolgs- und Verantwortungscenter segmentierte Unternehmen bedürfen in weit höherem Maße einer funktionsfähigen, auf dem neuesten Stand der Technik und des Wissens befindlichen Informationsverar-
Produktion
% Ausschuss Zulieferteile % Ausschuss Eigenfertigung
% First/Pass Yield Qualitätsprobleme
Kenngrößen
Ursachenbereiche
% Kundenreklamationen
Kunden
% Anlagenausfälle Anlagen
Abb. 13.42 Ursache-Wirkungs-Diagramm mit Kenngrößen für ein qualitatives Controlling [27]
1008
13 Unternehmenscontrolling
Unternehmenspolitik und System der Leistungserbringung
Interne Arbeitsqualität
fester Mitarbeiterstamm
Mitarbeiterzufriedenheit
Umsatzwachstum Externer KundenKundennutzen zufriedenheit
Mitarbeiterproduktivität
• Arbeitsplatzgestaltung • Art der Tätigkeit • Personalauswahl • Mitarbeitervergütung • Hilfsmittel zur Kundenbedienung • „passende“ Teams
Kundenbindung Rentabilität
• Informiertheit der Kunden • Vermittlung von Lösungskompetenz • Durchsetzbarkeit besserer Preise
• Weiterempfeh- • Kundentreue lungen • Wiederholungsgeschäfte • Zahlungsmoral (z.B. Großkunden) • höhere Toleranz • Weiterempfehlungen
Abb. 13.43 Glieder der Service-Profit-Kette [29]
beitung. Reorganisationsbemühungen müssen hierfür Rechnung tragen. Führungsinformationssysteme bilden anerkanntermaßen ein angemessenes Hilfsmittel in einem fortschrittlichen Führungssystem [30]. Die zentralen Informationen des Leistungsaustausches zwischen den Centern sowie der verursachten Kosten der Center mit den im Rahmen der Zielvereinbarung ermittelten Planvorgaben lassen sich in einem FIS aufnehmen sowie zeitaktuell und vergleichend darstellen. Die Darstellung der Elemente der Centererfolgsrechnung (Leistungen, Kosten, Erfolgsgrößen, Er-
Button für Rücksprung zum Organigramm der übergeordneten Einheit
Feld zur Angabe der Buttons zum Wechseln gewählten LKE-Ebene der LKE-Ebene
folgsberichtigungen, Plan-Ist-Vergleiche) im Rahmen des CER-Moduls eines rechnergestützten Führungsinformationssystems kann neben der Aufgabe „Sicherung der Transparenz der Centerkooperation auf Unternehmensebene“ die zentrale Basis für die gesamte innerbetriebliche Kommunikation bilden (Voraussetzung ist die sachgerechte Implementierung). Darüber hinaus ist es ein elektronisches Berichtswesen zur Centersteuerung und zur Kommunikation zwischen den Centerverantwortlichen. Dies um so besser, je konsequenter das CER-FIS als Controllingwerkzeug ausgebaut und anerkannt ist. Abbildung 13.44 gibt
Buttons zum Wechseln der Jahre
Operativer Plan Ebene
Jahr
I Übergeordnete Einheit Aktivieren der Pfeile löst Aufgliederung der LKE-Position in der jeweils nächst tieferliegenden LKE-Ebene aus
LKE-Ebene: Leistungs-KostenErfolgsdarstellung (Auflösung des Zeilenschemas)
Jahr
L/K/E Leistungen total Kosten total Erfolg I Erfolgsberichtigungen Erfolg II
Notizen Möglichkeit zur Eingabe von Bemerkungen
Untergeordnete Einheit(en)
1990
Druck
C1 PLAN 100 100 0 – 20 0
Drehen
C1 IST 120 110 10 – 10 10
Reset
C1 ABW. 20 10 10 – 10 10
SUB C1 PLAN 30 10 20 –5 5
Grafik
SUB C1 IST
SUB C1 ABW.
40 20 20 – 20 0
10 10 0 – 15 –5
Zoom in
Ende Daten
Button „Drehen“ Je nach indizierter Aktivieren bedingt Beendet die vertauscht vertikale Pfeilrichtung können Darstellung der Datensicht und mit horizontaler nicht im Tabellenfenster Datensicht als führt zur Dimension sichtbare Daten in den Geschäftsgrafik Eingangsmaske Fensterausschnitt zurück Möglichkeit zum Aktivieren bedingt Bedingter Zoom geholt werden Drucken der erneuten Aufbau der Datensicht Datenansicht der Datensicht
Abb. 13.44 Beispiel für die Datensicht in einem FIS zur Centererfolgsrechnung
Literatur
1009
Grad DV-Einsatz hoch Produktionsplanung und
Interne Kommunikation
Steuerung Archivierungssysteme Bestellwesen Lager- und I mittel bestandsverwaltung Finanzbuchhaltung
gering
Auftragsbearbeitung Lohn u. Gehalt Schriftguterstellung
gering
Prozess- und Vorgangssteuerung Managementinformationssysteme (CIS, FIS, MIS) mit Vorsystemen
Budgetierungsund Planungsrechnungen Kalkulation Betriebswirtschaftliche Analysen
Außendienstanbindung Kunden-/ Lieferantenanbindung
Externe Kommunikation
Außendienststeuerung
II mittel
I und KTechnik als Wettbewerbsvorteil
Dies lässt sich mit der geforderten Sorgfalt nur bewerkstelligen, wenn die zugrunde liegenden Planungsrechnungen und -verfahren ausreichend konzeptionell und methodisch beherrscht, dezentral verfügbar und von den Beteiligten auch anerkannt werden. Insofern ist für die Einführung eines CER-FIS der in Abb. 13.45 indizierte Weg über die Ausgestaltung einer Budgetierungs- und Planungsrechnung zur FISEinführung eine Erfolgsvoraussetzung. In der Praxis wird dieser Zusammenhang oft vernachlässigt [31]. Dies führt zu verlängerten FIS-Projektlaufzeiten oder gar zum Projektabbruch, was für die Centerorganisation und deren betriebswirtschaftliche Abbildung i. d. R. einem zeitlichen und motivationsbezogenen Rückschlag gleichkommt.
hoch
Abb. 13.45 Etappen und Wege zur FIS-Einführung
hierzu ein Projektbeispiel für die Ausgestaltung eines derartigen CER-FIS-Moduls. Die Entwicklung eines Center-FIS bedarf einer sorgfältigen konzeptionellen Vorbereitung [31]. Der notwendige Entwicklungsaufwand für ein Führungsinformationssystem wird dabei trotz der gestiegenen Leistungsfähigkeit der SoftwareEntwicklungswerkzeuge vielfach unterschätzt. Der Grund hierfür liegt in der vielfach unzureichenden konzeptionellen Vorarbeit im Rahmen des Aufbaus des betriebswirtschaftlichen Modells des FIS [32]. So sind beispielsweise für ein Center-FIS im Detail die Regelungen der CenterLeistungsverrechnung sowie die abzubildenden Besonderheiten der Erfolgsberichtigungen im Rahmen des Center- steuerungskonzepts verbindlich zu klären und systemseitig zu implementieren (vgl. die Ausführungen zur Centerkonzeption). Erfahrungen bei der Nutzung eines dergestaltigen CER-FIS-Moduls haben gezeigt, dass es für eine schnelle, auf sicherer operativer Basis stehenden Nutzung der Vorteile des CER- FIS notwendig ist, in einem Vorsystem die in ein CER-FIS einzustellenden Grunddaten planerisch vorzubereiten (z. B. Erzeugen und Abgleichen von Planungsvarianten als Vorlauf zur verbindlichen Centerleistungs- und -kostenvereinbarung).
13.4.7 Fazit Ob die Bedingungen für die Realisierung einer Centerorganisation (Centerfähigkeit eines Unternehmens) bestehen, die den zentralen Vorstellungen eines Business Reengineerings (Bildung dezentraler, teilautonomer Einheiten) entgegenkommt, ist in jedem Unternehmen sorgfälltig zu überprüfen [33]. Dies sollte alle Phasen der Centereinführung bis hin zur Bildung des betriebswirtschaftlichen Konzepts (Centerkonzeption) und dessen Abbildung in einem CER-FIS-Modul umfassen. Eine sorgfältige Vorgehensplanung mit entsprechender betriebswirtschaftlicher Vorbereitung unter intensiver Beteiligung der Betroffenen sind zentrale Faktoren für die Sicherung des Erfolgs und die Nutzung der motivations- und anreizbezogenen Vorteile des Centeransatzes.
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13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität Im Folgenden werden sieben Ansätze zur permanenten Steigerung der Produktivität mittels eines ganzheitlichen Kostenmanagements vorgestellt. Außerdem werden die ‚klassischen‘ Kostensenkungsinstrumente einer kritischen Betrachtung unterzogen und die für einen ganzheitlichen und dauerhaften Kostensenkungsprozess notwendigen Faktoren dargestellt.
13.5.1 Die Notwendigkeit für ganzheitliches Kostenmanagement Die wirtschaftlichen Instabilitäten der letzten Jahre haben eine Daueraufgabe jeder Unternehmensführung
13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität
wieder stärker in den Mittelpunkt des Wirtschaftsinteresses gerückt, nämlich die Frage ‚wie können wir unsere Kostenposition deutlich verbessern?‘ In den 80er und 90er Jahren versuchte man, vor allem durch neue Marketingstrategien und erfolgreiche Innovationspolitik, Wettbewerbsvorteile am Markt aufzubauen und damit die langfristige Lebensfähigkeit des Unternehmens abzusichern. Dies allein ist heute meist nicht mehr ausreichend. Die Verbesserung der Kosten- und Produktivitätspositionen ist in vielen Märkten heute unabdingbar mit dem Aufbau von Wettbewerbsvorteilen verbunden, und nur wer marktgerichtet und unternehmensgerichtet seine ‚Hausaufgaben‘ erfüllt, wird am Markt erfolgreich sein. Überraschend sind die Größenordnungen, die sich Firmen vieler Branchen als Kostensenkungsoder Produktivitätssteigerungsziele vornehmen (im Durchschnitt Kosten minus 10% bis minus 20%, Produktivitätssteigerungen um mehr als 30%); dies nicht nur in den schon in der Vergangenheit besonders exponierten Branchen wie Autozulieferer-, Textil- oder Maschinenbauindustrie, sondern mittlerweile auch in der Lebensmittelindustrie, der chemischen Industrie sowie den meisten Handels- und Dienstleistungsunternehmen, für die sich die Rahmenbedingungen gerade in den letzten Jahren verschlechtert haben. Nicht zuletzt die bereits abgeebbte Euphorie um das E-Business hat einmal mehr gezeigt, dass neben (teilweise nur scheinbaren) Nutzenvorteilen auf jeden Fall eine competitive Kostenposition erreichbar sein muss, um eine verteidigungsfähige Marktposition aufzubauen bzw. halten zu können. Nachteile in den Kostenpositionen, die die Frage nach Kostenreduzierungen provozieren, sind allerdings nicht über Nacht entstanden. Genauso wenig können sie über Nacht aufgehoben werden. Daher sollte Kostenmanagement nicht als ‚Schnellschussaktion‘ für Krisen verstanden werden, sondern muss eine permanente Aufgabe jeder Führungskraft sein – vor allem unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen. Selbst wenn in Mitteleuropa immer wieder einzelne Konjunkturparameter kurzfristig positive Entwicklungen zeigen, spricht eine Menge von Fakten der ökonomischen Basisdaten dafür, dass die Zeiten eines konstanten Wirtschaftsaufschwungs für viele Branchen für lange Zeit vorbei sind. An der grundsätzlich problematischen Verfassung der wirtschaftlichen Basiskonstellation hat sich faktisch nichts geändert:
1011
• Die weltweite Verschuldungssituation, insbesondere die Verschuldung mancher Industriestaaten und Unternehmen, ist nach wie vor ein Problem; in einigen Bereichen konnte die Neuverschuldung noch nicht reduziert werden. • Die Verunsicherung der Konsumenten nimmt zu; eine hohe Arbeitslosigkeit dämpft in vielen Ländern immer noch Konsum- und in der Folge Investitionsbereitschaft. • Die osteuropäischen und asiatischen Märkte bzw. Länder treten nicht so sehr als potente Nachfrager, sondern vielmehr als sehr preisaggressive Mitbewerber auf. • Die Märkte in den entwickelten Ländern sind zunehmend gesättigt; die sog. ‚Emerging Markets‘ haben zwar großen Bedarf, können aber auf Grund fehlender Kaufkraft den Rückgang des Wachstums in den Industrienationen nicht kompensieren. • Der Technologiewandel artikuliert sich zunehmend stärker: Bekannte Technologien und Branchen stagnieren und sinken; neue Technologien und Branchen befinden sich erst im Gründungsstadium. Alles in allem ist davon auszugehen, dass es grob fahrlässig wäre, sich auf einen gerade beginnenden Aufschwung zu verlassen bzw. sich bis zu diesem alles rettenden Aufschwung durchschlagen zu wollen. Vielmehr sprechen viele Fakten dafür, dass Unternehmen sich auf eine längere Durststrecke einrichten müssen, um auch in einem Umfeld stagnierender Absatzzahlen, sinkender Preise, aggressiver Konkurrenz und schnell wechselnder Rahmenbedingungen lebensfähig zu sein.
13.5.2 Klassische Kostensenkungsinstrumente greifen nicht mehr im nötigen Ausmaß In der Vergangenheit haben Unternehmungen vor allem über zwei Ansätze ihre Kosten- und Produktivitätsnachteile bekämpft. Zum einen sind es ‚klassische‘ Rationalisierungen, die schon seit vielen Jahren hauptsächlich die direkt verrechenbaren Kosten, insbesondere in der Produktion, ins Visier nehmen. Es geht um Rationalisierungsinvestitionen, Automatisierungen, kontinuierliche Verbesserung der Ablauforga-
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13 Unternehmenscontrolling
nisation, Abbau von Mitarbeitern usw. Das zweite gebräuchliche Instrument sind Gemeinkostenwertanalysen, mit denen traditionellerweise speziell bei den indirekten Kosten, insbesondere der Verwaltung, der Hebel angesetzt wurde. Nach wertanalytischen Gesichtspunkten wird überlegt, auf welche Tätigkeiten gänzlich verzichtet werden kann und welche Tätigkeiten einfacher und rationeller ausgeführt werden können. Beide Methoden sind zweifelsohne sinnvolle und erfolgversprechende Ansätze für Kostensenkungen bzw. Produktivitätssteigerungen, und viele Unternehmungen wären gut beraten, in ihren Firmen solche Projekte professionell gestaltet wirklich umzusetzen und nicht nur verbal anzukündigen. Dennoch können mit diesen Instrumenten kaum noch die heute notwendigen Kostenverbesserungen erzielt werden. Die Rationalisierungsmöglichkeiten in der Produktion sind in vielen Unternehmen heute schon im Wesentlichen ausgeschöpft und können keine fundamentale Ergebnisverbesserungen mehr erzielen. In vielen Märkten sind die bestehenden Technologien weitgehend ausgereizt, und mit den Rationalisierungen der Vergangenheit wurden die meisten direkt produktiven Mitarbeiter bereits auf ein Minimum reduziert. Viele Branchen weisen bereits heute direkte Lohnkosten von unter 10% der Gesamtkosten aus; damit können weitere Rationalisierungen kaum relevante Verbesserungen erzielen. Die Problematik der Gemeinkostenwertanalyse ist mittlerweile ebenfalls deutlich erkennbar geworden. Nachdem die meisten wertanalytischen Überlegun-
gen in den Unternehmen sich auf rasch realisierbare Kostensenkungspotenziale fokussierten, wurden kaum strukturelle Veränderungen vorgenommen. Damit konnten zwar meist kurzfristig Verbesserungen realisiert und auch Mitarbeiter eingespart werden, es zeigte sich aber häufig das Phänomen, dass die Kosten nach rund zwei Jahren wieder bis auf das Ausgangsniveau angestiegen waren. Auf der anderen Seite hat dieses Instrument meist sehr negative Auswirkungen auf das Betriebsklima in den Unternehmen. Aus diesen Gründen geht das Konzept eines ganzheitlichen Kostenmanagements weit über diese beiden bekanntesten Ansätze hinaus. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es eine Fülle anderer sinnvoller und praxisgerechter Schritte gibt, die aus verschiedensten Blickwinkeln kostenrelevante Faktoren beleuchten. Durch die Gestaltung dieser Faktoren können Kostenstrukturen wesentlich verändert und damit die Voraussetzungen für eine permanente Verbesserung der Kostenposition aufgebaut werden.
13.5.3 Voraussetzungen für eine effektive Kostengestaltung Wenn Unternehmensführung als Steuerung und Vorsorge auch für turbulente ‚Durststrecken‘ verstanden wird, müssen folgende Faktoren in einem ganzheitlichen Kostensenkungsprozess beachtet werden (Abb. 13.46):
€, $, £, Yen, …
Technologischer Wandel, Sättigung und Substitution
Gefahr wirtschaftlicher Turbulenzen
Weltverschuldung: Staaten, Unternehmen, Private
VORSORGE strategisch
strukturell
operativ
Erfolgspotenziale sichern und aufbauen
Komplexitätsmanagement, Prozessoptimierung
Erfolgssicherung, Liquiditätssicherung
Chancenwahrung
Aktions- und reaktionsfähige Struktur
Finanzen, Kosten Risikoabgrenzung
Abb. 13.46 Basisverständnis für ein ganzheitliches Kostenmanagement
13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität
1. Es muss die notwendige Klarheit über die mittel- und langfristige strategische Stoßrichtung des Unternehmens bestehen oder hergestellt werden. Deshalb muss man zuerst wissen, • welche Geschäftsfelder gehalten, abgebaut oder forciert werden, • welche Aktivitäten neu begonnen werden, • welche Märkte, Produkte, Dienstleistungen etc. pro Geschäftsfeld forciert werden und • welche Technologien, Kernkompetenzen vertieft werden. Diesen strategischen Entscheidungen muss sich das Kostenmanagement anpassen bzw. unterordnen. Kostengestaltung operiert nicht mit der ‚RasenmäherMethode‘, d. h. es werden nicht alle Kosten firmenweit im gleichen Ausmaß gekürzt. Vielmehr dürfen die für die Zukunft lebenswichtigen Stärken des Unternehmens nicht beschnitten werden. Auf eine Kurz-Formel gebracht heißt dies: Nur maximal die Kosten zu senken hilft nicht – der Markt, die Kernkompetenzen, von denen ein Unternehmen auch in Zukunft lebt, müssen gepflegt und erhalten werden, denn es gilt: ‚Zu Tode gespart ist auch gestorben‘.
1013
nehmens die wahren Kostenverursacher identifiziert werden. Vor allem die Methodik des Benchmarking hat in der Praxis die besten Ergebnisse beim Aufspüren der Kostennachteile erzielt. Benchmarking hat die Zielsetzung, von den Besten der Besten zu lernen. Dabei werden Vergleichspartner idealerweise danach ausgewählt, wie gut sie z. B. einen zu untersuchenden Prozess beherrschen, und nicht deshalb, weil sie in der selben Branche tätig sind. Neben einem Kennzahlenvergleich, der die Kostennachteile gegenüber dem ‚Profi‘ aufzeigen soll, wird mit diesem Ansatz auch genau analysiert, wie dieser ‚Profi‘ sein Geschäft betreibt, um diese Vorteile zu erzielen. Damit bietet dieses Instrument die Möglichkeit, neben dem Aufzeigen von Kostennachteilen auch gleichzeitig Anhaltspunkte für einzuleitende Maßnahmen zu strukturellen Verbesserungen abzuleiten [1]. Erst wenn die Hauptkostenverursacher bekannt sind, kann aus der Vielzahl der dargestellten Gestaltungsmöglichkeiten die richtige Mixtur für das Unternehmen zusammengestellt und ein umfassendes Strukturverbesserungsprogramm begonnen werden.
13.5.4 Die wichtigsten Ansätze für ein ganzheitliches Typisch für Kostensenkungsprogramme, insbesondeKostenmanagement 2. Kostenmanagement muss permanent sein
re für kurzfristig beschlossene Aktionen, ist das Phänomen, dass zunächst zwar eine Senkung der Kosten eintritt, dass aber nach relativ kurzer Zeit von 2–3 Jahren die Kosten wieder aufleben und das frühere Niveau erreichen oder es sogar überschreiten. Kosten richtig zu senken bedeutet auch, in jedem Kostensenkungsprozess eine Steuerung und Überprüfung der Dauerhaftigkeit der gesetzten Aktionen vorzusehen, um im Notfall die Abweichung vom geplanten Pfad früh genug zu erkennen, wirksam gegensteuern zu können und somit die Struktur der kostentreibenden Faktoren wirklich nachhaltig zu verändern. 3. Kostenmanagement kennt eine Vielzahl von Ansätzen
Es gibt kein allgemeingültiges ‚Kochrezept‘ für die Verbesserung von Kostenpositionen in Unternehmen. Vielmehr können nur auf Grund einer gründlichen Analyse der Kostenstrukturen des spezifischen Unter-
Um die Ziele eines ganzheitlichen Kostenmanagements zu erreichen, stehen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung (Abb. 13.47). Diese können sowohl einzeln als auch in Kombination im Unternehmen angewendet werden. 1. Ansatz: Reduktion und Management der Komplexität Wenn es darum geht, die Kostenproblematik an ihren Ursachen und nicht an den Symptomen anzugehen, so ist als erster Schritt die Komplexität des Geschäfts kritisch zu durchleuchten. Zunahme von Komplexität führt regelmässig zu überproportionalen Kostenerhöhungen. Deshalb sind Komplexitätsvereinfachungen i. d. R. sehr ergiebig und dauerhaft, denn sie schaffen die Voraussetzung, strukturelle Verbesserungen der Kostenposition realisieren zu können.
13 Unternehmenscontrolling
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Komplexitätsmanagement
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1014
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Beschaffungsmanagement
-Co ver i r D Cost
Abb. 13.47 Ansätze eines ganzheitlichen Kostenmanagements
Die Schlüsselfrage bei Komplexitätsreduktionen ist: ‚Würden wir heute mit dieser Aktivität wieder beginnen, wenn wir sie nicht schon hätten?‘ Dieser Ansatz ‚des bewussten Aufgebens‘ bzw. der ‚systematischen Müllabfuhr‘ wird in Unternehmen äußerst selten systematisch durchgeführt [2]. Hauptsächlich beschäftigen sich Führungskräfte damit, welche neuen Dinge man noch machen könnte. Welche Dinge man dafür nicht mehr tut, wird meistens nicht analysiert; dies ist aber die Grundvoraussetzung, um Platz zu schaffen für Neues und um die Komplexität eines Geschäftes nicht unnötig zu erhöhen. Um Komplexität zu vereinfachen, sind in jedem Fall fünf Themenbereiche zu untersuchen: • Breite und Tiefe des Sortiments: 20% der Artikelnummern erbringen als Faustregel 80% des Umsatzes und des Deckungsbeitrags. Das letzte Drittel des Sortiments hingegen erbringt meistens weniger als 5% des Umsatzes. Wenn man die Rentabilität eines Produkts verursachungsgerecht ermittelt und alle Kosten, die dieses Produkt im Bereich der Gemeinkosten verursacht, diesem zuweist, wird der fast immer negative Renditebeitrag von Produkten mit kleinen Umsatzbeiträgen erkennbar. Auf Grund
der Erfahrungen aus einer Vielzahl von Projekten kann davon ausgegangen werden, dass mindestens die Hälfte aller Gemeinkosten produktproportional sind und mit jeder Zunahme des Sortiments ansteigen. Zielsetzung einer solchen Sortimentsüberprüfung muss es also sein, zu ermitteln, welche Komplexität bzw. Breite und Tiefe eines Sortimentes wirklich benötigt wird, um dieses Geschäft erfolgreich betreiben zu können, und wieviel vom bestehenden Sortiment als überflüssige Kostentreiber herausgenommen werden kann. Eine kritische Überprüfung dieser Frage führt meist zum Ergebnis, dass das Geschäft auch mit einem um mindestens 30% verringerten Sortiment auskommt. • ABC-Analyse der Kunden: Eine Auflistung der Kunden nach Umsatz und Rentabilität einerseits sowie nach möglichen Potenzialen andererseits hilft bei der Konzentration auf die heute und zukünftig wirklich wichtigen Abnehmer und dient damit als Basis für eine Reduktion insbesondere der Vertriebskosten. Auch hier erkennt man bei einer verursachungsgerechten Kostenzuordnung, dass die C-Kunden meist eine negative Rendite ausweisen. Diese Erkenntnis ist Ausgangspunkt für die Einleitung von einer Reihe ertragssteigernden
13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität
Maßnahmen, die sogar bedeuten können, einen Teil dieser Kunden gar nicht mehr oder aber differenziert und mit kostengünstigeren Methoden zu betreuen. • Konstruktion: Nach einer gängigen Faustregel werden durch die Konstruktion eines Produkts oder auch einer Dienstleistung bis zu 70% der späteren Kosten festgelegt. Variantenreduktion, modularer Aufbau, Reduktion der Zahl der Konstruktionsänderungen etc. sind ergiebige Ansatzpunkte für Kostensenkungen und können in der Zukunft unnötige Kosten schon vorweg verhindern. • Make or buy: Komplexität entsteht, wenn alles oder vieles in einer Firma selbst gemacht wird. Eine Konzentration auf die Kernfähigkeiten bzw. einige wichtige Wertschöpfungsstufen und der Abbau von weniger wichtigen Aktivitäten, kann große Kostensenkungspotenziale freilegen und die Komplexität des Geschäfts und auch das Investment im Unternehmen, wesentlich reduzieren. • Standorte: Auch die Anzahl der Standorte ist eine Ursache für Komplexität in Unternehmen. Sie verursachen oft eine sehr komplexe Organisationsstruktur, die viele nicht wertschöpfende Koordinationskosten verursacht. Eine Optimierung der Standorte und eine klare Standortpolitik kann diese Komplexität wesentlich beeinflussen. Andererseits kann aber auch durch die Dezentralisierung von Entscheidungen Koordinationsaufwand minimiert und somit ein Beitrag zur Komplexitätsreduktion bzw. -beherrschung geleistet werden. 2. Ansatz: Qualität in Kundennutzen verwandeln Sinn aller wirtschaftlichen Aktivitäten ist es, Produkte und Dienstleistungen zu erzeugen und zu vertreiben, deren Eigenschaften bei Kunden Nutzen stiften und damit einen Kauf auslösen. Jede Produkteigenschaft und jeder Teil einer Dienstleistung, die keinen Nutzen stiftet, dient somit nicht dem eigentlichen Zweck und kann somit weggelassen bzw. eingespart werden. Das Wissen um die wirklichen Kundenwünsche liefert somit die Ausgangsbasis nicht nur für die Entwicklung eines ‚Qualitätsvorsprunges‘ vor der Konkurrenz sondern auch wesentliche Ansatzpunkte für die Optimierung der eigenen Kosten. Wichtig ist daher die genaue Kenntnis der Kundenanforderungen und die entsprechende Gestaltung
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der produkt- und dienstleistungsbezogenen Merkmale der Marktleistungen. Unnötiger ‚Ballast‘ kann eingespart werden. Hieraus erklärt sich auch ein weltweites Untersuchungsergebnis, wonach aus Kundensicht qualitativ bessere Marktleistungen, d. h. Marktleistungen, die bei gleichem Preis mehr Kundennutzen stiften, meist das gleiche Kostenniveau wie qualitativ durchschnittliche oder sogar schlechtere Produkte haben [3]. Die Überlegung zur kundengerechten Gestaltung von Aktivitäten gilt natürlich genauso unternehmensintern, insbesondere für die Aktivitäten interner Servicebereiche (EDV, Controlling etc.). Die Klarlegung der wirklichen Bedürfnisse der Anwender sowie die entsprechende Gestaltung der ManagementServices kann ein erhebliches Kostensenkungspotenzial bewirken. 3. Ansatz: Entsprechen die Tätigkeiten den Aufgaben? Zielsetzung dieses Schrittes ist es, die Produktivität des Kopfarbeiters in Unternehmen zu erhöhen. Der Wohlstand unserer Gesellschaft begründet sich in einem großen Maß darauf, dass es in der Vergangenheit gelungen ist, die Produktivität der manuellen Arbeiten ganz wesentlich zu erhöhen. Dadurch konnten immens große Rationalisierungen realisiert werden. Nachdem dadurch auch der Anteil der manuellen Arbeit an den Gesamtkosten stark zurückgegangen ist und parallel dazu die Personalkosten der Wissensarbeiter stark zugenommen haben, wird das Thema von Produktivitätssteigerungen in der geistigen Arbeit die große Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein [4]. Der Nutzen, den gute Mitarbeiter für ein Unternehmen stiften können, wird dann für das Unternehmen tatsächlich nutzbar, wenn sie die Aufgaben, für die sie ausgebildet sind und in denen sie Erfahrung haben und für die sie letztlich auch eingestellt wurden, wirklich ausführen. Eine Überprüfung der ausgeführten Tätigkeiten und ein Vergleich mit den eigentlichen Aufgaben einer Stelle ergibt oft erstaunliche Diskrepanzen. Im Rahmen einer Untersuchung eines großen Versicherungsaußendienstes in Deutschland zeigte sich, dass die Vertreter nur ca. 25% ihrer Zeit effektiv mit der für einen Außendienst vorgesehenen Tätigkeit, nämlich beim Kunden zu sein, verbrachten. Durch entsprechende Analysen des effektiven Arbeitszeiteinsatzes der Mitarbeiter, durch den Einsatz von unter-
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13 Unternehmenscontrolling
stützenden IT-Instrumenten, durch die Neugestaltung der Berichtserfordernisse und stärkeren Fokus auf die Kundenarbeit konnte dieser Anteil innerhalb von zwei Jahren auf ca. 40% echte vor-Ort-Arbeit erhöht werden. Dies bedeutet auf der einen Seite Kostenreduktion und andererseits Steigerung der Effektivität des Vertriebs. Ein ähnliches Beispiel zeigte der Vergleich des Einsatzes von Krankenschwestern in öffentlichen europäischen Krankenhäusern und privaten US-Spitälern. In den besten US-Privatspitälern gelang es bereits vor Jahren, Krankenschwestern auf ihre eigentliche Arbeit so zu fokussieren, dass sie 80% ihrer Arbeit wirklich mit der Pflege von Kranken verbringen konnten. Alle anderen Tätigkeiten werden auf andere Art oder von anderen Mitarbeitern erledigt, während in öffentlichen Spitälern in Europa der entsprechende Anteil der eingesetzten Arbeitszeit immer noch bei ca. 30% liegt. Diese Situation ist natürlich konträr zum eigentlichen Zweck des Einsatzes einer ihren Anforderungen und ihrer Qualität entsprechend bezahlten Krankenschwester. Im Übrigen weist dieses Beispiel auch exemplarisch auf einen Teil der Problematik der ausufernden Gesundheitskosten in den meisten Staaten Europas hin. Um Produktivitätssteigerungen realisieren zu können, müssen also Funktionen bereinigt werden sowie Funktionen, Arbeitsinhalte und tatsächlich zu absolvierende Tätigkeiten aufeinander abgestimmt werden.
sam ‚zero base‘ die komplette Prozesskette mit allen involvierten Abteilungen und allen wirklich benötigten Schnittstellen, Informationen, Dokumenten etc. hinterfragt und vollkommen neu aufgebaut wird. Eines der ersten bekannt gewordenen Beispiele war die Neugestaltung der Bestellprozesse bei der Ford Motor Company, die neben erheblichen Zeitgewinnen zu einer über 30%igen Senkung der Bestellkosten führte. Entlang solchermassen neu gestalteter Prozesse können Prozesskosten definiert und beeinflusst werden sowie neue Verantwortlichkeiten (‚Prozessverantwortliche‘) bestimmt werden, die für die leistungs- und kostenmäßige Optimierung nicht von Funktionen, sondern von Prozessen zuständig sind. Wenn auf Grund der bestehenden Rahmenbedingungen eine vollkommene Neugestaltung der Geschäftsprozesse nicht möglich ist, bietet das Instrument der Prozessoptimierung wertvolle Verbesserungsmöglichkeiten. Anders als beim Reengineering wird bei der Prozessoptimierung der bestehende Geschäftsprozess zwar grundsätzlich akzeptiert, aber trotzdem genau durchleuchtet, um alle vorhandenen Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Dazu werden alle Tätigkeiten, die bei der Erstellung des Prozesses anfallen, in wertschöpfende und nicht wertschöpfende Aktivitäten eingeteilt. Eine Optimierung zielt dann vor allem darauf ab, nicht wertschöpfende Tätigkeiten zu eliminieren, um somit Kosten-, Qualitäts- und Zeitverbesserungen zu erzielen [5].
4. Ansatz: Business Process Reengineering und Prozessoptimierung
5. Ansatz: Effiziente Organisationsstrukturen
Die Art der Organisation und insbesondere die Gestaltung der Ablaufprozesse sind wesentliche Cost-Driver. Damit haben Struktur- und Ablaufanalysen und daraus resultierende Anpassungen bzw. Änderungen der Geschäftsprozesse nachhaltige Auswirkungen auf die Kosten und die Leistungsstruktur eines Unternehmens. Zwei Ansatzpunkte sind besonders hervorzuheben: Für die Analyse und die Neukonzeption von Ablaufprozessen ist die Idee des Business Process Reengineering sehr erfolgversprechend. Im Grunde geht es darum, dass nicht – wie dies häufig bei der Optimierung von organisatorischen Abläufen der Fall ist – im Wesentlichen die vorhandenen Schritte und Abläufe durch den Einsatz neuer Hilfsmittel, wie z. B. von IT zu straffen bzw. zu automatisieren, sondern gleich-
Neben den Abläufen ist die genaue Analyse der Organisationsstrukturen für die permanente Kostensenkung von eminenter Bedeutung. Gerade wenn kostenoptimales Verhalten aller Abteilungen überlebenswichtig ist, kann ein Übertragen marktwirtschaftlicher Mechanismen im Zusammenleben aller internen Abteilungen radikale Einsparungen bewirken. Grundidee ist es, dass einerseits die marktbezogenen Geschäftsfelder und andererseits die leistungserstellenden Einheiten nicht nur bei der eigenen Produktion die Produkte und Dienstleistungen beziehen müssen, sondern auch bei externen Lieferanten einkaufen bzw. auch an Dritte verkaufen dürfen, wodurch sich sowohl für die eigenen Vertriebs- als auch für die Produktionseinheiten ein verstärkter, marktbezogener Kostensenkungsdruck ergibt.
13.5 Ganzheitliches Kostenmanagement zur permanenten Steigerung der Produktivität
Andererseits werden die Leistungen von Management- oder Service- und Support-Abteilungen (z. B. IT, Konstruktion, Logistik. . . ) nicht den anderen internen Stellen quasi als ‚Zwangsbeglückung‘ in Umfang und Leistungsinhalt zentral vorgeschrieben, sondern jede Abteilung definiert als Kunde die wirklich benötigten Leistungen von einer anderen Abteilung, die dann auch zu bezahlen sind. Dies bewirkt, dass nur die wirklich wichtigen internen Serviceleistungen erbracht und intern bezahlt oder extern bezogen werden (Outsourcing), wodurch die Abteilungsgröße und deren Leistungs- und Kostenprofil auf die Firmenbedürfnisse optimal abgestimmt werden. Alle strukturellen Ansatzpunkte zusammen bewirken nach vielen Projekterfahrungen wesentlich „schlankere“ Abteilungen, effizientere und effektivere interne Formen der Zusammenarbeit sowie ein erheblich gestiegenes Kostenbewusstsein aller Stellen, was insgesamt Einsparungen von bis zu 20% erbringen kann. 6. Ansatz: Beschaffungsmanagement Trotz der in den letzten Jahrzehnten in fast allen Unternehmen abnehmenden eigenen Wertschöpfung und des damit in Europa auf durchschnittlich über 60% vom Umsatz angestiegenen Anteils an zugekauften Leistungen (USA: über 70%), wird dieser damit
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größte ‚Kostenblock‘ häufig noch mit ‚alten‘ Ansätzen – nämlich schieren Verhandlungen über Einkaufspreisreduktionen – angegangen. Eine neues Verständnis der Aufgaben des Einkaufs bzw. eine Neudefinition der Rolle und Funktion der gesamten Beschaffungsaktivitäten und deren Einbindung in das Unternehmen bzw. das Zusammenwirken mit anderen Unternehmensbereichen von der Leistungsgestaltung (‚Konstruktion‘) bis hin zur Herstellung der Produkte erfordert neue Konzepte und differenzierte Vorgehensweisen. Basierend auf einer Analyse des Beschaffungsmarktes und einer Klassifizierung sowohl der beschafften Leistungen als auch der Lieferanten nach ihrer Bedeutung und Wichtigkeit für das Unternehmen in verschiedenen Dimensionen kommen unterschiedliche Ansätze der Optimierung zum Einsatz (s. Abb. 13.48). Durch den Einbezug der strategischen Überlegungen werden durch ein solches Vorgehen eben nicht nur einseitig die Einkaufskosten optimiert, sondern auch die langfristige Entwicklung der Marktposition des Unternehmens gesichert. 7. Ansatz: Reduktion der Investmentintensität Die Investmentintensität drückt aus, wieviel Kapital in einem Geschäftsfeld gebunden ist und wieviel Wertschöpfung mit diesem Investment erzielt wird. Dies
Zweckmäßige Handlungsalternativen/wichtigste Ansätze:
Hebelprodukte
Strategische Produkte
Unkritische Produkte
Engpasspodukte
hoch
Lieferanteil
HebelKernlieferanten lieferanten
niedrig
Versorgungsrisiko niedrig hoch
Unkritische Kritische Lieferanten Lieferanten
Marktbedeutung Liefer. niedrig
hoch
= Position selektiv verbessern (durch alternative Produkte/Verfahren) = Position selektiv verbessern (bei bestehenden/neuen Lieferanten)
Unternehmensstrategie
Einkaufsvolumen niedrig hoch
! = Versorgungsrisiko vermeiden/diversifizieren $ = Optimieren/ausschöpfen
„Wertschöpfungspart! nerschaft“ !
Strategische Produkte
Reduktion des Lieferrisikos !
Engpasspodukte Hebelprodukte
!
Optimierung
$ Unkritische Effizienter Produkte Instrumenteneinsatz
$
$
Unkritische HebelKritische KernLieferanten lieferanten Lieferanten lieferanten Anforderungen an das Beschaffungsmanagement gering hoch
Abb. 13.48 Ansätze für die Erarbeitung zukunftsorientierter Versorgungsstrategien
1018
ist – wie empirische Untersuchungen belegen – eine für die Renditeträchtigkeit (gemessen als Return on Investment = ROI) eines Geschäftsfeldes entscheidende Größe. Neben den ‚konventionellen‘ Rationalisierungsansätzen, die Renditeverbesserungen über Kostensenkungen erreichen, ist dies der zweite Weg, den ROI zu erhöhen, nämlich dadurch, dass mit geringerem Investment die gleiche oder sogar eine höhere Wertschöpfung erreicht wird. Dieser Weg beginnt mit einer systematischen Durchforstung aller Positionen der Aktivseite der Bilanz im Hinblick auf die Frage, welche Positionen in welchem Umfang für den Geschäftszweck wirklich notwendig sind, und welche es eben nicht sind. Ein solches ‚Asset Reduction Program‘ umfasst z. B. Themen wie die Verringerung des Forderungsbestandes durch die Beschleunigung des Inkassos oder des Mahnwesens, die Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Verringerung der Ware in Arbeit bzw. zum Abbau der Lager bis hin zur Frage, welche Anlagen reduziert oder abgebaut werden können oder ob die internen Investitionsrichtlinien geändert werden müssen.
13.5.5 Reporting über Kosten und Produktivität – Cost Driver-Controlling als Voraussetzung für dauerhafte Verbesserungen Permanente Effizienzsteigerung und Kostensenkung bedingen nicht zuletzt, dass monetäre und insbesondere auch nichtmonetäre Produktivitäts- und KostenKennzahlen und -Informationen Eingang in die Planung, Zielvereinbarungen und das Reporting auf allen Ebenen finden. Erst wenn die Zielgrößen quantifiziert und zeitlich fixiert sind, erst wenn für einzelne Geschäftsbereiche und für die wichtigsten Führungspersonen Produktivität und Kosten mit eindeutigen Standards belegt sind und tatsächlich eingefordert werden sowie eine ständige Verbesserung in den Standards verlangt wird, sind diese Größen wirklich beeinfluss- und steuerbar.
13 Unternehmenscontrolling
Diese Informationen müssen den gleichen Stellenwert wie traditionelle Controlling- und Finanzberichte erhalten und sind in die ‚Berichtsoberflächen‘ für Vorstands- und Aufsichtsratsreports einzubauen. Sie betreffen nicht nur traditionelle Controlling-Inhalte wie Monats-, Quartals-, Jahresberichte und Planungen, sondern sind auch bei der Steuerung der wichtigen Cost Driver von großer Bedeutung. So ist heute in straff geführten Unternehmen bei der Konstruktion von Produkten oder der Aufnahme neuer Geschäftsaktivitäten die Vorgabe von Zielkosten (‚Target-Costing‘) eines der wesentlichen und wirksamen Instrumente des Kostenmanagements. All diese Ansätze können nur dann in den Unternehmen erfolgreich implementiert und gelebt werden, wenn diese Prozesse in ein unternehmensweites Kostenbewusstsein eingebettet sind. In dieser Hinsicht haben Vorstände und Führungskräfte eine wesentliche Vorbildfunktion. Nur wenn Kostenbewusstsein bis in die obersten Etagen (vor)gelebt wird, kann es die Mitarbeiter zu einer neuen Kostenphilosophie motivieren. Darüber hinaus müssen solche teilweise massiven Eingriffe in ein Unternehmen durch intensive Schulungen aller Mitarbeiter begleitet werden, um sich ändernde ‚Blickwinkel‘ und neue Ansätze den Mitarbeitern auch wirklich verständlich zu machen. Wenn diese neue Managementphilosophie einen ganzheitlichen Kostenmanagementprozess begleitet, bietet dieser alle Voraussetzungen, um wirklich markante und nachhaltige Kostenverbesserungen und damit dauerhafte Wettbewerbsvorteile erzielen zu können.
Literatur 1. Pieske, R.: Benchmarking – Das Lernen von anderen und seine Begrenzungen. In: io-Management 6/1994 2. Malik, F.: Führen, Leisten, Leben – Wirksames Management für eine neue Zeit. Stuttgart/München, Deutsche Verlags-Anstalt 2000 3. Buzzell, R.D.; Gale, B.T.: Das PIMS-Programm – Strategien und Unternehmenserfolg. Wiesbaden: Gabler 1989 4. Drucker, P.: Dienstleister müssen produktiver werden. In: Harvard Manager 2/1992 5. Rebstock, M.: Grenzen der Prozessorientierung. In: Zeitschrift für Führung und Organisation 5/1997
Index
A ABC-Analyse, 1014 Abfrage, 971 Ablauforganisation, 5 Abweichungsanalyse, 966, 979 Abweichungssignifikanz, 976 Abweichungssignifikanzfunktion, 976 Adaptive Produktion, 520 Adaptivität, 328 Advanced Product and Quality Planning (APQP), 809 Agilität, 328 Aktiver Standard, 243 Aktualisierungsperiode, 965 Akzeptanz, 44 Allgemeine Systemtheorie, 326 Altersstrukturanalyse, 917 Änderungsflexibilität, 388 Änderungskosten, 367 anerkannte Regeln der Technik, 70 Anerkennung gegenseitige, 39 Anfangskosten, 294 Anforderungen an die Zielgrößen, 982 angebotsinduzierte Dienstleistungsnachfrage, 51 Anlaufkostenzuordnung, 619 Anlaufmanagement, 615 Anlaufmodell, 618 Anlaufprobleme, 627 Anlaufworkshop, 627 Anpassbarkeit, 449 Anpassungsfähigkeit, 320 Äquivalentwert, 311 Arbeitsbereicherung, 216 Arbeitsforschung, 85 Arbeitskosten, 334 Arbeitsorganisation, 4, 96, 99, 193 Arbeitsplanung, 433 Arbeitsproduktivität, 342 Arbeitsstandard, 215 Arbeitsteilung, 216 Arbeitsvorbereitung, 442
Auditierung, 576, 667 Auditor, 325 Aufbauorganisation, 6 Auftragserfüllung, 432 Auftragsmanagement, 384 Auftragsmanager, 325 Ausfallwahrscheinlichkeit, 453 Ausschöpfung des internen Wissens, 476 Außenseiter, 176 Austauschbarkeit der Kernleistungen, 51 Austauschmöglichkeit, 454 Auswertung, 975 Automatisierung, 449 Automobilhersteller, 363 Automobilindustrie, 615 autonome Instandhaltung, 594 Autonomie, 965
B Backoffice, 438 Balanced Scorecard, 952 Basisdaten, 967 Basistechnologie, 129 Baugröße, 454 Baugruppe, 245 Baukastensystem, 451 Bayer, 637 Bearbeitungstechnologie, 463 Benchmark-Studie, 373 Benchmarking, 640, 641, 1013 Berechnungsvorschrift, 980 Beschaffungsmanagement, 1017 Beschaffungsmarktforschung, 356 Beschäftigungswirkung, 49 Best Practice, 640, 646, 713 Best-Point-Prinzip, 580 Bestand, 583 Bestimmungsland, 40 Betrachtungsumfang, 12 Betriebsebene, 184, 185, 187, 188
1019
1020 Betriebskosten, 300 Betriebsrat, 941 Betriebsverfassungsgesetz, 941 Bewertungskriterien, 841 Beziehungspflege, 56 Bilanzgrenze, 302 Bohren, 463 Bottom-up-Vorgehensweise, 444 Broker, 324 Bruttowertschöpfung, 47 Büro SYNCHRO, 597 Business (Process) Reengineering, 13 Business Partner, 952, 956 Business Process Reengineering, 1016
C CAD-Kopplung, 813 Capture Team, 755 CAQ-System, 804 Cash-Flow, 875 Cassis de Dijon-Urteil, 39 CAx-Systeme, 371 CEN, 65 CEN Workshop Agreement (CWA), 64 CENELEC, 65 Center-Controlling, 986 Center-Prinzip, 186 Centeransatz, 985 Centererfolgsrechnung, 993, 996 Change Management, 437, 640, 644, 648, 752 Change Management Prozess, 635 Chargen- und Einzelteilverfolgung, 812 China Sourcing, 358 Co-Management, 947 CO2 -Äquivalent, 311 Collaborative Engineering, 441 Commitment, 639, 645 Communities of Practice (CoP), 707 Concurrent/Simultaneous Engineering, 440 Content-Managementsysteme (CMS), 712 Controllerleitbild, 951 Controlling, 574 Controllingabteilung, 952 Controllingkonzept, 949 Convenience, 51 Convenience-Trend, 49 Corporate Dynamics, 158 Corporate Governance, 638 Corporate Reengineering, 753 Corporate University, 708 Cost Driver, 298 Cost Driver-Controlling, 1018 Cost-Center, 988 Customer driven Company, 751 Customer Focus, 753 Customer Focus-Konzept, 753
Index D Dämpfung, 454 Data Warehouse, 967 Daten-Logging, 231 Datenraum, 970 Datenraumvariable, 970 Deckungsbeitragsrechnung, 1002 Demografie-Werkzeug, 910 Design for Life Cycle, 226 Design for Recycling, 227 Deutsche Bahn, 637 Deutsche Post, 637 Deutsche Telekom, 637 dezentrales Organisationskonzept, 964 Dezentralisation, 183 Dezentralisierung, 182, 192, 196, 220, 326, 801 Dicing, 973 die Erweiterung, 41 Dienstleistung, 17, 62 Dienstleistungs- bzw. Servicequalität, 52 Dienstleistungsfreiheit, 39 Dienstleistungsgesellschaft, 47 Dienstleistungsnachfrage, 49 Differenzierungsstrategie, 244 Differenzierungsvorteil, 637 Diffusion-of-Responsibility-Effekt, 618 Digital Worker, 521 Digitale Produktion, 440 digitale Produktion, 515 Dimension, 970 Dimensionsebene, 971 Dimensionselement, 971 DIN Deutsches Institut für Normung e. V., 59 DIN EN, 59 DIN EN ISO (IEC), 59 DIN-Normen, 59 Diszipline, 12 Dokumenten-Managementsysteme (DMS), 712 Drehen, 463 Drill-Down, 975 Durchgriffshaftung, 411 Durchlaufzeit, 583 Dynamik, 454 dynamische Steifigkeit, 453
E E-Procurement, 359 Echelon, 376 Eco-Management and Audit Scheme, 671 Economies of Scope, 380 Effektivität, 7 Effizienz, 7 Effizienzoptimierung, 53 EFQM, 150 EFQM-Modell, 666 Einflussanalyse, 142 Einflussfaktor, 141 Einführung des Führungsinstruments, 982
Index Einkauf, 352, 368 Einkaufs- und Beschaffungsmanagement, 353 Einkaufscontrolling, 356 Einkaufskooperationen, 358 Einkaufsorganisation, 361 Einkaufsstrategie, 357, 361 Einschränkung, 972 Eisberg Effekt, 294 elektrische Schnittstelle, 455 Energieübertragung, 452 Engineering Data Management, 232 Entfernen, 451 Entlohnungskonzept, 196 Bonussystem, 196 Gruppenentlohnung, 196 Prämienausgangsleistung, 196 Prämienendleistung, 196 Entscheidungsspielraum, 965 Entstehungserlös, 298 Entwicklung demographische, 49 gesellschaftliche, 50 des Konsumentenverhaltens, 51 der Märkte, 51 technologische, 51 Entwicklung von Leitbildern, 630 Entwicklungsbegleitende Normung (EBN), 62 entwicklungsbezogenes Variantenmanagement, 241 Entwicklungsdienstleister, 373 Entwicklungskooperationen, 363 Entwicklungskosten, 367 Entwicklungsnetzwerk, 365, 443 Entwicklungsorganisation, 432 Entwicklungssystem, 432 Erfahrungswissen, 798 Erfolgsfaktor, 21 Erfolgskontrolle, 633 erfolgsorientierte Entlohnung, 837 Erfolgspotenziale, 155 Ergänzen, 451 Ergebniskontrolle, 643 Ergebniswert, 977 Erneuerung des Controllings, 954 ERP, 790 ERP-Lösungen, 805 ERP/PPS-Kopplung, 813 Ersetzen, 451 Erstbemusterung, 810 Erweiterung der Europäischen Union, 38 Erwerbsphase, 828 Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 38, 41 Europäische Normen, 62 EWU, 41 Exot, 239 Expertensuche, 706 Expertensysteme, 714 explizites Wissen, 702 externe Komplexität, 241
1021 F Fabrik-Life-Cycle-Management, 524 Fabrikausrüster, 516 Fähigkeitspotenzial, 872 Fast Mover-Effekt, 355 Fehler-Prozess-Matrix, 674 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA), 666 fertigungsgerechte Produktentwicklung, 237 Fertigungsteam, 215 Filter, 169 Finanzierungsmöglichkeit, 409, 416 Flexibilität, 7, 15, 448 Flexible Transferstraße, 448 Flexibles Fertigungssystem, 448 Fließfertigung, 595 FMEA, 809 fokale Instanz, 325 formelle Organisation, 3 Forschung und Entwicklung, 363 Fraktales Unternehmen, 839 Fräsen, 463 Freiheitsgrade bei der Auftragsausführung, 216 Frühwarnfunktionalität, 977 Fügegenauigkeit, 452 Führen mit Zielen, 871 Führung, 217, 320, 637, 638 Führung durch Ziele, 965 Führungsaufgaben, 835 Führungsdatenbasis, 967 Führungseigenschaften, 834 Führungsfunktion, 871 Führungsinformation, 967 Führungsinformationssysteme (FIS), 712 Führungsinstrument, 967 Führungskennzahl, 969, 980 Führungskräfteentwicklung, 636 Führungsmodell, 965 Führungsperiode, 965 Führungsverhalten, 636, 835 Full-Service-Provider, 347 Funktionalität, 448, 453
G Ganzheitliches Produktionssystem (GPS), 569 Gemeinkostenwertanalyse, 1012 Gesamtrentabilität, 224 Geschäftsmodell, 638, 642 Geschäftsprozess, 432 Gestaltung der Wertschöpfungsketten, 188 Gestaltungsfeld, 184, 185 Gestaltungsfeldszenario, 145 Gewerkschaft, 71 Gewinnerfordernis, 875 gießgerechte Produktentwicklung, 237 Global Sourcing, 352, 355–358, 361 globale Einkaufsorganisation, 362 globale Entwicklungszentren, 364 Globalisierung, 353, 361, 364, 389
1022 Go-it-alone-Strategie, 373 Groupware-Systeme, 371 Grundannahme, 168 Grundfreiheiten, 38 vier, 38 Grundlage, 805 Gruppenarbeit, 97, 213, 576 Gruppenfabrikation, 213 Gruppenfertigung, 213 Gruppenorganisation, 195, 196 Gruppenarbeit, 196 Gruppenorientiertes Kaizen, 690 Gruppensitzung, 217 Gruppensprecher, 217
H Haftung, 409 Haftungsbeschränkung, 410 Haftungsrisiko, 70 Handelshemmnisse nicht-tarifäre, 38 Handlungsgeschehen, 184 Handlungsrechte, 184 Harmonisierung, 43 Hauptkostentreiber, 244 Hilfskennzahl, 969 Holding-Struktur, 186 Holprinzip, 960 horizontale Karrierewege, 838 Human-Relation-Ansatz, 96 Human-Ressource, 875 hydraulische Schnittstelle, 455
I Identität, 320 IEC, 65 implizites Wissen, 702 In-/Outsourcing Manager, 325 indirekte Steuern, 40 Individualisierung, 11 Industrial Engineering, 528 industrielle Dienstleistung, 47 Informations- und Kommunikationsstruktur, 187 Informations- und Kommunikationssysteme, 48, 191 Informations- und Kommunikationsaustausch, 188 Informationsbroschüre, 579 Informationssystem, 182 Informationstechnik, 452 Informationstechnologie, 390 informelle Organisation, 3 Infrastruktur, 44 Innovation, 11, 71, 642 Innovationsbarriere, 73 Innovationsfähigkeit, 53 innovationsförderliche Unternehmenskultur, 630 Innovationsleistung, 875 Innovationspolitik, 77
Index Innovationsprozess, 17, 71, 570 Innovationszyklus, 638 Instandhaltung, 193, 453 instandhaltungsgerechte Produktentwicklung, 238 institutionelle Organisation, 3 Instrumente des Wissensmanagements, 705 instrumentelle Organisation, 3 Integralbauteil, 237 Integration indirekter Tätigkeiten, 216 Integrationsfunktion, 172 Integrationskonzept, 572 Integrationsmanagement, 153 Integrierbarkeit, 455 Integrierte Produktentwicklung, 432 integriertes Personalmanagement, 835 Interessentenkreises, 64 interne Kommunikationsinfrastruktur, 57 interne Komplexität, 241 interne Kunden-Lieferanten-Beziehung, 750 Intranet, 579 Investitionskosten, 294, 300 Investment-Center, 989 Investmentintensität, 1017 Invisible Hand, 374 Ishikawa-Diagramm, 666 ISO, 65 ISO 19011, 670 ISO 9000, 150, 666 Istwert, 967
J Jahresziel, 871 Jidoka, 961 Job Rotation, 709 Joint-Venture-Partner, 349 Just in Time, 682 Just in Time (JIT), 571 Just-In-Time, 580 just-in-time Prinzip, 215
K kühlmitteltechnische Schnittstelle, 455 Kaizen, 214, 676 5A-Kampagne, 683 KANBAN, 580 Kanban, 960 KANBAN-System, 584 Kannibalisierungseffekt, 241 Kano-Modell, 241 Kapazität, 448, 453 Kapazitäts- und Kompetenzmanagement, 325 Kapitalgesellschaft, 409 Kapitalverflechtung, 350 Karriereplanung, 838 Karrierevoraussetzungen, 834 Kennzahl, 969 Kennzahlensystem, 436, 969
Index Key-Account Management, 763 klassische Arbeitsgruppe, 214 Klimaänderung, 311 Know-how-Integration, 626 Knowledge-Management, 367 Kodifizierungs-/Personalisierungsansatz, 703, 705 Kohlenwasserstoff-Rückgewinnung, 313 Kollaborationswerkzeuge, 710 Kombinierbarkeit, 455 Kommunikation, 640, 644 Kommunikationsdefizit, 57 Kommunikationsforen, 709 Kommunikationstechnik, 460 Kompetenz, 184 Kompetenz-Center, 188 Kompetenzen, 184, 196 Anordnungskompetenz, 184, 185 Antragskompetenz, 184 Entscheidungskompetenz, 184 Kontrollkompetenz, 185 Methodenkompetenz, 196 Mitsprachekompetenz, 184 Planungskompetenz, 184 Realisierungskompetenz, 185 Sozialkompetenz, 196 Kompetenznetzwerk, 327 Kompetenzzuordnung, 837 Komplettbearbeitung, 463 Komplexität, 7, 52, 321, 646, 1013 Komplexität von Sachgütern, 51 Komplexitätsfalle, 183, 746 Komplexitätskosten, 243 Komponenten-Strategien, 367 Konfiguration, 242, 448 Konfigurationslogik, 242 konfigurierungsgerechtes, mechatronisches und autarkes Modul, 456 Konflikt, 177 Konfliktsituation, 836 Konfliktsymptome, 836 Konfliktursachen, 836 Konkretisierung, 68 Konsensverfahren, 60 Konsistenzanalyse, 142 Konsolidierungsfalle, 638 Konsortium, 64 Konstruktivismus, 9 Kontextmanagement, 328 kontinuierliche Verbesserung, 753 Kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP), 711 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, 676 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP), 572 Kontrollsystem, 182, 187 Konzentration auf wenige Dinge, 872 Konzentrationstendenzen, 376 Kooperation, 17, 318, 348 Kooperationsfähigkeit, 394 Kooperationspartner, 344 Koordination, 319 Koordination dezentraler Organisationseinheiten, 996 Koordinationsmechanismus, 319
1023 Koordinationstyp, 320 Kosten- und Leistungsrechnung, 952 Kosteneinsparungen, 451 Kostengestaltung, 1012 Kostenmanagement, 628 Kreislaufwirtschaft, 227 Krise, 177 Kulturveränderung, 637 Kulturveränderungsprozess, 174, 176 Kulturwandel, 173, 635 kumulierter Energieaufwand, 313 Kunde im Mittelpunkt, 20 Kunden-Lieferanten-Beziehung, 982 Kunden-Lieferanten-Beziehung, 57 kundenbezogene Gesamtstrategie, 754 Kundennutzen, 751, 1015 Kundenorientierung, 11, 183, 753 Kundenspezifische Einzellösung, 243 Kundenteam, 220 Kundenzufriedenheit, 669, 677 Kundenzufriedenheitsanalyse, 758, 760 KVP-Team, 214
L Länderauswahl, 335 Lastenheft, 236 Lead Buyer, 361 Lead-Buying-Organisation, 372 Lead Engineering, 363, 368 Lead Engineering Group, 368 Center of Competence, 368 Lead Engineer, 368 Leadership, 368 Local Engineer, 368 Mandat, 368 Lead-Engineering-Team, 371 Lean Management, 56, 753 Lean Production, 570 Lebensfähigkeit, 320 lebenslaufbegleitende Datenerfassung, 231 Lebenslaufdaten, 226 Lebenswegbilanzierung, 310 Lebenszyklus, 323, 451 Lebenszykluskosten, 236 lebenszyklusorientierte Produktentwicklung, 236 lebenszyklusorientiertes Variantenmanagement, 240 LEG, siehe Lead Engineering Group Leistungsaustausch, 999 Leistungscenter, 186 Leistungseinheit, 32, 965 Leistungserstellung, 57 Leistungsmanager, 324 Leistungspotenzial, 872 Leistungsstandard, 872 Leitbild, 175, 631 Leitbildentwicklung, 635 Leitfaden zur Selbstanalyse, 916 Leitlinie, 12 Leitungsbefugnis, 409, 412
1024 Lenkungsausschuss, 647 Lernen, 824, 850 Lernende Organisation, 825, 868 Lernendes Unternehmen, 88 Lernerfordernis, 852 lernförderliche Gestaltung der Arbeit, 830 Lernphase, 618 Lernprozess, 857 Lernsituation, 852 Lerntechnologie, 858 Liberalisierung, 39 Lieferantenbewertung, 354, 361 Lieferantenentwicklung, 356, 361 Lieferantenintegration, 356 Lieferantenmanagement, 356, 361 Lieferantenqualifizierung, 358 Lieferantenstrategie, 361 Lieferantensuche, 357 Life Cycle Assessment, 228, 307 Life Cycle Cost Controlling, 304 Life Cycle Cost-Vertrag, 303 Life Cycle Costing, 227, 294 Life Cycle Information Support, 228 Life Cycle Management, 151, 224 Life Cycle Value, 302 Life-Time-Management, 226 LIM-System, 805 Liniendiagramm, 579 Liquidität, 875 Local Content, 354 Logistikkette, 384 Logistikkosten, 342 Lohn- und Produktivitätsniveau, 44 Lohndynamik, 45 Lohnfindung, 44 Lohnpolitik, 41 Lohnstückkosten, 41 Lopez-Effekt, 377 Low-Cost Country Sourcing, 352, 355, 356 Low-Cost-Automation, 580
M Macht, 321 Machtausübung, 78 Make or Buy, 339 Make or buy, 1015 Management by Exceptions, 977 Management by Objectives, 871, 965 Management by Stress, 217 Management der Produktion, 26 Management-Holding, 186, 187 Managementansatz, 474 Managementphilosophie, 161 Mannesmann, 637 mannlose Fabrik, 21 Manufuture, 517 Market pull, 131 Marktdruck, 183 Marktorientierung, 183
Index Marktstellung, 875 Maschinenkomponente, 453 Maßnahme, 873 Maßnahmen-Mix, 912 Maßnahmenumsetzung, 577 Masterordner, 435 Materialrecycling, 239 Mechanik, 460 mechanische Schnittstelle, 452, 455 Mechatronik, 460 mechatronisches, autarkes Modul, 460 mehrskalige Simulation, 524 Meilenstein-Trend-Analyse, 245 Meister, 215 Mensch, 21 Mentorensysteme, 708 Messperiode, 965 Metadaten, 969 Mitarbeiter, 104 Mitarbeiterbefragung, 760 Mitarbeitereinbeziehung, 594 Mitarbeitervorschlag, 691 Mitbestimmung, 409, 413, 943 Handlungsfelder betriebsrätlicher Tätigkeit, 943 Handlungsfelder von Betriebsräten, 943 Mitunternehmer, 440 Mobilität, 454 Modell Lebensfähiger Systeme, 326 Modell zur Entwicklung und Einführung von PerformanzLeitbildern, 632 Modul, 245 Modular Sourcing, 354 modulare Organisationsstruktur, 185 Modularisierung, 364, 866 Modularität, 452 Monitoring, 977 Montage, 452, 580 montagegerechte Produktentwicklung, 237 moralische Willensbekundung, 162 Motivation, 835 Motivation der Mitarbeiter, 873 Muda, 682 Multiple Sourcing, 355 multiple Zukunft, 141
N Nachfrageentwicklung, 49 Nachhaltigkeit, 636 Navigation, 980 Navigationsfunktion, 971 Netzdiagramm, 580 Netzwerk, 318, 384 dynamisches, 322 Netzwerkbeziehungen, 231 Netzwerkcoach, 325 Netzwerke, 363 global lead center, 366 integrated network hub, 365 Netzwerkkompetenz, 187, 188
Index Netzwerkkoordinator, 328 Netzwerkmanagement zentralisiertes, 325 Netzwerkparadigma, 320 Netzwerkpartner, 321 Netzwerkserver, 579 Netzwerkstrukturen, 375 Netzwerktheorie, 326 Neue Konzeption (New Approach), 59 Neuorganisation, 4 New Controlling, 950 Nivellieren und Glätten, 585 Nivellierung und Glättung, 580 Nonprofit-Organisation, 52 Normatives Management, 155 Normentexte, 666 Normenvertrag, 60 Null-Fehlermarke, 581 Nutzungsphase, 226
O Objektorientierung, 188 Objektplanung, 335 „Ochsentour“, 838 offene Steuerung, 466 Offert-Anfrage, 324 Ökobilanz, 307 Ökologie-Management, 752 OLAP, 971 One-Piece-Flow (Einzelstückfluss), 580 Open Innovation, 83 Open-Source, 82 operative Jahresplanung, 1000 operatives Controlling, 950 Operatives Management, 156 Opportunitätskosten, 224 optimal, 196 optimale Produktvielfalt, 240 Order to Payment, 385 Ordnung und Sauberkeit, 576 Ordnungsrahmen, 572 Organisation der Entwicklung, 432 Organisationsbegriff, 3 Organisationsdemografie, 911 Organisationsform, 184, 320 Organisationsforschung, 166 Organisationsgestaltung, 13, 183 Organisationsmodell, 433 Organisationsprinzip, 190 Organisationsstruktur, 183, 840, 1016 Organisationstheorie, 9 Organisationszykluskurve, 749 organisatorisches Lernen, 674 Original Equipment Manufacturer, 363 Osterweiterung, 42 Outsourcing, 47
1025 P Partizipation, 574, 876, 943 partizipativer Planungsprozess, 475 Performance, 638 performance contract, 229 Performanz-Leitbild, 632 inhaltliche Dimension, 632 Messung, Bewertung und Steuerung, 632 Verankerungs- und Veränderungsprozess, 635 Personal- und Organisationsentwicklung, 633 Personalarbeit Werkzeuge, 915 Personalberater, 841 Personalentwicklung, 635 Personalentwicklungskonzept, 635 Personalführung, 7 Personalführungsinstrument, 835 Personalmanagement, 835 Personalplanung, 945 Personalpolitik altersausgewogene, 910 demografieorientierte, 912 Handlungsvoraussetzungen, 911 Lösungsräume, 912 positive Leitbilder, 911 personalpolitisches Instrument, 911 Personengesellschaft, 409 Personenorientiertes Kaizen, 690 Plan-Do-Check-Action-Zyklus, 681 Planungsinstrument, 190 Planungssystem, 182, 187, 457, 470 Planungswerkzeug, 468 Planwert, 967 Poka Yoke, 593 Policy Deployment-Methode, 679 Portfolio, 638 Positivismus, 9 PPAP, 809 PPS, 791 Prämissencontrolling, 148 Preussag/TUI, 637 Problem der Führungslehre, 871 Process follows Structure, 13 product life time value, 229 produktbegleitende Dienstleistung, 55 Produktdatenmanagement, 228 Produktentstehungsprozess, 432 Produktentwicklung, 363, 431 Produktentwicklungsstrategie, 128 Produktionsdienstleister, 348 Produktionseinheit, 592 Produktionskette, 374 Produktionsnetzwerk, 231, 385 Produktionsplanung, 790 Produktionsplanung und -steuerung, 791 Produktionssteuerung, 794 Dilemma, 799 Produktionsstrategie, 128 Produktionssystem, 590, 793 Produktionstechnologie, 132
1026 Produktivität, 580 Produktivitäten, 875 Produktivitätsorientierung, 182 Produktivitätssteigerung, 1016 Produktlebenslauf, 517, 812 Produktlebenszyklus, 27, 236, 448 Produktmerkmal, 242 Produktnutzen, 225 Produktplattform, 245 Produktqualität, 666 Produktrecycling, 239, 274–276, 279, 288, 291, 293 Produktstruktur, 243, 371 Produkttechnologie, 131 Produktvariante, 242 Prognoseunsicherheit, 296 Projekterfolg, 643 Projektkalkulation, 245 Projektleiter, 434 Projektmanagement, 433, 640, 642, 646 Projektorganisation, 433 Projektplanung, 245 projektspezifischer Meilensteinplan, 245 Projektstrukturierung, 245 Projektteam, 433 Prozess der strategischen Führung, 147 Prozess- und Arbeitsorganisation, 571 Prozess- und Systemdiagnostik, 34 Prozessanalyse, 445 Prozessbegleiter, 219 Prozessbilanzierung, 310 Prozessenergieaufwand, 313 Prozessfunktion, 435 Prozessimplementierung, 446 Prozesskettenanalyse, 309 Prozesskostenrechnung, 628, 952 Prozessmanagement, 431 Prozessmodell, 432, 435 Prozessoptimierung, 446, 1016 Prozessorganisation, 434 prozessorientierter Ansatz, 703 Prozessorientierung, 677 Prozessteam, 434, 438 interdisziplinäres, 438 Prüfablauf in CAQ-Systemen, 806 Prüfauftragserzeugung, 806 Prüfdatenauswertung, 808 Prüfdatendokumentation, 809 Prüfdatenerfassung, 807 Prüfmittelfähigkeitsuntersuchung, 811 Prüfmittelüberwachung, 810 Prüfplanung, 805 Publicly Available Specification (PAS), 64 pufferlose Fertigung, 215
Q QM-Systemdokumentation, 812 Qualifikationsanforderung, 193, 196, 830 Qualifizierung, 594 Qualitätsmanagement, 53
Index Qualität, 150, 582 qualitative Personalanpassung Strategien, 913 qualitatives Wachstum, 52 Qualitätsdreieck, 151 Qualitätsführerschaft, 53 Qualitätsmanagement, 53, 54, 358 Qualitätsmanagementsystem, 665 Qualitätsmaximierung, 54 Qualitätsnorm, 668 Qualitätsoptimierung, 54 Qualitätssicherung, 189, 190 Qualitätsbeziehung, 191 Qualitätskontrolle, 192 Qualitätskosten, 190 Qualitätssicherungskosten, 189 Qualitätssicherungspersonal, 189 Qualitätssicherungsstrategie, 189 Qualitätszirkel, 214, 679 Quality Function Deployment (QFD), 666 Quality Gate, 436 quantitative Personalanpassung Strategien, 914 Quersubventionierung, 239
R Rahmenbedingungen institutionelle, 44 Rahmenprozessmodell, 437 Rationalisierung, 60 Rationalisierungsansatz, 218 Rechnungslegung, 409, 414 Rechtsnorm, 68 Recycling, 226, 273, 275–280, 282, 291–293 recyclinggerechte Produktentwicklung, 239 Recyclingszenarien, 313 Reengineering-Konzept, 56 Reengineeringprojekt, 952 Refabrikation, 283–285, 287, 289–291, 293 Referenzpunkte, 443 regelbasiertes Projektmanagement, 329 Regelmanagement, 330 Regelwerk, 69 Regionalisierung, 389 Reifegradsystematik, 436 Reklamationsbearbeitung, 811 Rekonfiguration, 448 Rekursivität, 326 Release-Einheit, 242 Release-Engineering, 241 Relevanzanalyse, 142 Remanufacturing, 273, 276, 277, 283, 284, 286–288, 290–293 Reorganisation, 4, 570 Reparatur, 451 Requisite Variety, 326 Reshaping of Business, 750 Ressource, 874 Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung, 244 Ressourcenverbrauch, 311
Index Ressourcenverfügbarkeit, 389 restriktionsgerechte Produktentwicklung, 237 Restrukturierung, 639 Restrukturierungsprozess, 750 Revenue-Center, 989 Richtlinie, 454 Risikomanagement, 358 Roll-Up, 974 Rüstzeit, 580 Rüstzeitminimierung, 584
S S-Kurve, 749 Sanktionsmechanismus, 322 SAP Add-on, 805 Säulendiagramm, 579 Scanning, 977 Scheinkonsens, 875 Schleifen, 463 Schlüsseltechnologie, 129 schmiertechnische Schnittstelle, 455 Schnittstelle, 459 Schnittstellenebene, 452 Schranken materielle, 39 technische, 39 Schrittmachertechnologie, 129 Schutzklausel-Verfahren, 67 Schwerpunkt, 872 Schwungradeffekt, 795 Scientific Management, 30 Scoring-Modell, 341 Search & Retrieval-Systeme, 713 Segmentierung, 188, 190, 192, 972 Fertigungssegmentierung, 190 Fließprinzip, 188, 191 Segmentierungskriterien, 987 Seiteneinsteiger, 840 Selbst- bzw. Fremdbestimmungsgrad, 871 Selbstabstimmung, 986 Selbstadaption, 466 Selbstoptimierung, 31 Selbstorganisation, 31, 319, 328 Selbstregulation, 216 selbstregulierende Arbeitsgruppe, 216 selbstregulierendes Subsystem, 183 Selbststeuerung, 951 selbstverstärkendes System, 746 Selfmade-Typ, 841 Serienentwicklung, 432 Serienproduktion, 617 Service-Center, 186, 989 Service-Profit-Kette, 1008 Servicetreue, 388 Servicezeit, 388 Shareholder Value, 952 Simulation, 453 Simultaneous Engineering, 432 Single Sourcing, 355
1027 Situationsanalyse, 836 Sixt, 637 Skaleneffekt, 244, 380 Skill-Management, 710 Slice, 972 SMED, 578, 580 Sollwert, 967 Sortimentsüberprüfung, 1014 Sourcing-Beziehungen, 376 Sozialbeiträge, 44 Soziale Sicherungssysteme, 44 soziotechnischer Ansatz, 96 soziotechnisches System, 792 Space-Management, 707 Spezialisierung, 182, 184, 192 Spezifikation, 69 Spielregel, 327 Spieltheorie, 322 Stabilität, 7 Stand der Technik, 61, 65 Stand von Wissenschaft und Technik, 61 Standard, 62, 454, 582 standardisierte Gruppenarbeit, 215 Standardisierung, 459 Standardisierungsprozess, 62 Standardize-Do-Check-Action-Zyklus, 681 Standards, 38 Standortanalyse, 333 Standortauswahl, 342 Standortentscheidung, 336 Standortfaktor, 333 Standortplanung, 333 Standortsicherung, 334 statische Steifigkeit, 453 Statistische Prozessregelung (SPC), 805 Steh-Geh-Prinzip, 581 Stellvertreterplanung, 840 Steuerbelastung, 43 Steuergrenzen, 40 Steuerharmonisierung, 40 Steuern direkte, 43 Steuerungs- und Antriebstechnik, 460 Steuerungsinstrument, 190 Steuerungssystem, 182, 187 Steuerungstechnik, 452 steuerungstechnische Schnittstelle, 455 Steuerwettbewerb, 43 Strategie, 637 Strategiealternative, 146 Strategieentwicklung, 147 Strategieplanung, 133 Strategieumsetzung, 147 strategische Allianz, 349, 374 strategische Allianzen, 363 Strategische Erfolgspositionen, 158 Strategische Erfolgspotenziale, 158 strategische Kurzanalyse, 149 strategische Stoßrichtung, 149 strategische Unternehmensführung, 185 strategische Variable, 146
1028 strategische Zusammenarbeit, 375 strategisches Controlling, 147, 950 Strategisches Management, 155 Structure follows Process, 13 Struktur, 320, 453 Subkultur, 172 Supply Chain, 356 Supply Chain Management, 384, 791 Ziele, 392 Supply Chain Operations Reference (SCOR), 396 Supply Management, 752 SYNCHRO, 590 Synchronisationspunkte, 443 Synergie- und Wirtschaftlichkeitsvorteile, 188 Synergieeffekt, 380 systematische Müllabfuhr, 873 Systemdaten, 970 Systemgrenze, 12, 13 Systemintegrator, 374 Systemkomponente, 451 Systemkonfiguration, 452 Systemtechnik, 62 Systemtheorie, 31 Systemverhalten, 454 Szenario-Management, 140 Szenario-Technik, 141
T Target Costing, 628 Taylorismus, 28 Taylorismus-Fordismus, 616 Teamarbeit, 213, 874 Teamleiter, 215 Teammitglied, 875 technische Verkopplung, 216 Technologie, 448, 453 Technologie-Lebenszyklusmodell, 128 Technologie-Produkt-Markt-Kombinationen, 377 Technologiecontrolling, 138 Technologieeinsatz, 11 Technologieentwicklung, 435 Technologiefolger, 130 Technologieführer, 129 Technologiekalender, 136 Technologiestrategie, 126 technologische Frühaufklärung, 134 teilautonome Arbeitsgruppe, 216 tertiärer Sektor, 47 thermische Steifigkeit, 453 Time Based Management, 752 Time to market, 432 TOM-Modell, 700, 704 Top-down-Vorgehensweise, 444 Total Business System Review, 760 Total Cost, 353 Total Productive Maintenance, 682 Total Quality Control, 682 Total Quality Management, 752, 756 TPM, 578
Index TPM (Total Productive Maintenance), 583, 961 TQM (Total Quality Management), 961 Trade-off, 300 Transformation, 637, 639 Transformationsprozess, 639 Treibhauseffekt, 312 Trends in der Organisationsgestaltung, 8 Triade, 328, 516 TRUMPF, 590 TS 16949, 672 Typologie industrieller Zulieferer, 377
U U-Layout„ 580 U-Linie, 580 Umsetzungscontrolling, 147 Umverteilungseffekte, 44 Umweltdynamik, 7 Umweltmanagement, 307, 671 Unsicherheit, 7 Unternehmensebene, 184 Unternehmensentwicklung, 475 Unternehmenskultur, 79, 638, 644–646 innovationsfördernde, 80 Unternehmensnetzwerk, 318 geführtes, 319, 322 geregeltes, 321 ungeführtes, 319, 328 Unternehmenspolitik, 872, 941, 948 Unternehmensstrategie, 474, 835 Unternehmensstruktur, 474, 968 Unternehmenstransformation, 638 Unternehmensziele, 835 Upcycling, 227 Ursache-Wirkungs-Diagramm, 1007 Ursachenanalyse, 981
V Value Added Service, 47 Value based selling, 233 variable Entlohnung, 837 Variantencontrolling, 244 variantengerechte Produktentwicklung, 239 Variantenkosten, 241 Variantenmanagement, 240 Variantenvielfalt, 239, 364, 448 VDA 6, 672 Veränderungsmanagement, 752 Veränderungstreiber, 390 Verantwortlichkeit, 876 Verbindung von Lernen und Arbeiten, 859 Verdichtungsfunktion, 981 Verfügbarkeit, 451 vergleichende Nutzwertanalyse, 841 Verhandlungssystem, 330 Verlagerung, 334 Verlagerungsplan, 343
Index vernetzte Produktion, 363 vernetztes Denken, 141 Verrichtungsorientierung, 188 Verschwendung, 682 Versorgung, 460 Versorgungs- bzw. Zusatzmedien, 453 verteilte Entwicklungsprozesse, 443 Verteilungskonflikte, 45 vertikale Desintegration, 376 vertikale Karrierewege, 838 Vertrauensbasis, 322 Vertriebs- und Marketingstrategien, 128 verursachergerechte Kostenzuordnung, 628 Verwaltungsaufwand, 40 Verwaltungsinsel, 220 Viable System Model, 326 Virtuelle Fabrik, 319, 322 virtuelle Organisation, 326 virtuelles Lernen, 34 Virtuelles Unternehmen, 89 Vision, 639, 641 Visualisierung, 572, 574, 956 visuelles Management, 684 VITOSTRA® , 145 Vorarbeiter, 216 VR-Technik, 34 W Wachstum, 639 Wachstumsökonomie, 334 Wälzfräsen, 463 Wandlungsfähigkeit, 15, 89, 92, 93, 102, 452 Warengruppe, 354, 359 Wartung, 451, 453 Werkstattmanager, 215 Werkstückspektrum, 454 Werkzeug, 453 Werkzeugmaschine, 448 Wert, 168 Wertanalyse, 193 Wertbeitrag, 306 Werte, 641 Wertentwicklung, 161 Wertgestaltung, 628 Wertkette, 53 Wertkettenanalyse, 53 Wertschöpfung, 638 Wertschöpfungsaktivität, 188 Wertschöpfungseffizienz, 338 Wertschöpfungskette, 182, 790, 794 Wertschöpfungsstruktur, 182 Wertschöpfungsprozess, 194, 337 Wertschöpfungstiefe, 384 Wertschöpfungsverteilung, 338 Wertstrom, 14
1029 Wertstrombewertung, 14 Wertstromdesign, 14, 593 Wertstromlenkung, 14 Wertstromplanung, 14 Wettbewerbsanforderung, 184 Wettbewerbsbedingungen einheitliche, 39 Wettbewerbsstrategie, 183 Wettbewerbsvorteil, 53, 182–184, 637 wichtigste Führungsentscheidungen, 875 Widersprüchlichkeit, 873 Win-Win-Situation, 94 Wirtschaftlichkeitsrechnung, 294 Wissensarbeit, 77 Wissensbasis zur Markt- und Umfeldprognose, 144 Wissensintensives Unternehmen, 90 Wissensmanagement, 31, 700 Workshop, 476 Wunschwert, 967 Z Zeithorizont, 874 Zeitschere, 153 Zentralisation, 183 Zentralisierung, 801 Zentralisierungstendenzen, 186 Zertifizierungssystem, 62 Ziel großes, 872 persönliches, 871 Ziel-Ergebnis-Analyse, 966, 977 Ziel-Ergebnis-Auswertung, 977 Ziel-Ergebnis-Monitor, 977 Ziele und Werte, 632 Ziele vereinbaren, 875 Ziele vorgeben, 875 Zielerreichung, 978 Zielerreichungsgrad, 575 Zielfeld, 875 Zielfestlegung, 965, 975 Zielgröße, 975 Zielpriorität, 976 Zielsystem, 798, 969, 975 Zielvereinbarung, 872, 875 Zielvision, 646 Zielvorgabe, 969 Zielvorgabenabfrage, 977 Zielvorschläge quantifizieren, 873 Zielwert, 967, 976 Zukunftsprojektion, 142 Zuliefererindustrie, 345 Zulieferermanagement, 621 Zulieferernetzwerk, 346 Zulieferstruktur, 334 Zwölfmonatsperiode, 874