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Friedemann W. Nerdinger / Peter Wilke / Stefan Stracke Reinhard Röhrig (Hrsg.) Innovation und Beteiligung in der betrieblichen Praxis
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GABLER RESEARCH
Friedemann W. Nerdinger / Peter Wilke Stefan Stracke / Reinhard Röhrig (Hrsg.)
Innovation und Beteiligung in der betrieblichen Praxis Strategien, Modelle und Erfahrungen in der Umsetzung von Innovationsprojekten Mit einem Geleitwort von Claudio Zettel
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Anita Wilke Gabler Verlag st eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2306-6
Geleitwort Eine innovative Entwicklungsstrategie: „Innovationsstrategien jenseits traditionellen Managements“ Vor dem Hintergrund veränderter Unternehmensstrukturen, Organisationsformen, Kooperationsbeziehungen und der demografischen sowie technologischen Entwicklung gewinnen der Erhalt und der Ausbau der Innovationsfähigkeit für die Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung an Bedeutung. Notwendig ist daher eine Neubestimmung der Art und Weise, wie Innovationsstrategien gestaltet werden können, wenn traditionelle Managementstrategien nicht mehr greifen. Durch eine systematische Verknüpfung von Personal-, Organisations- und Kompetenzentwicklung sollen Unternehmen und Beschäftigte besser in die Lage versetzt werden, eine innovationsförderliche Umgebung zu schaffen und die dazu erforderlichen Veränderungen erfolgreich zu gestalten. Das Programm Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln. Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fördert Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Stärkung dieser Innovationspotenziale in Deutschland und setzt dabei den Schwerpunkt auf die „weichen“ Faktoren im Innovationsprozess. Im Fokus des wissenschaftlichen und praxisgeleiteten Diskurses steht die Frage: Ist ein „Innovationsmanagement“ im Sinne einer auf ein definiertes Ziel hinführenden Entwicklung überhaupt möglich? Produktentwicklung wie auch Service Engineering als Pendant aus dem Bereich der Dienstleistungen haben in die unternehmerische Praxis Eingang gefunden. Für den Bereich der Stimulierung von Innovationen sollen die Möglichkeiten dafür mit dem Förderschwerpunkt Innovationsstrategien jenseits traditionellen Managements ausgelotet werden. Der Förderschwerpunkt geht dabei sogar einen Schritt weiter: Ziel dieser Fördermaßnahme ist es, Treiber und Hemmnisse im Innovationsprozess zu identifizieren sowie praxisgeeignete Konzepte, Instrumente und Strategien zu entwickeln, die zur Stärkung der Innovationsfähigkeit beitragen und eine erfolgreiche Gestaltung von Innovationsprozessen ermöglichen. Damit wird über den Förderschwerpunkt Innovationsstrategien jenseits traditionellen Managements ein wichtiger Beitrag für die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten in Deutschland geleistet. Das Verbundprojekt BMInno – Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen setzt an dieser Stelle an. Die Universität Rostock in Zusammenarbeit mit Wilke, Maack und Partner sowie PCG - Project Consult initiierten das Forschungs-
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Geleitwort
vorhaben, um die Potenziale von Betriebsvereinbarungen und die Rolle von Betriebsräten und Beschäftigten für den betrieblichen Innovationsprozess zu untersuchen und betriebliche Akteure bei der Umsetzung solcher Prozesse zu begleiten. „Innovationsmanagement“ bedeutet in immer stärkerem Ausmaß auch Innovationspartnerschaft, die im innerbetrieblichen Rahmen beginnt. Denn nur ein partnerschaftlicher und konstruktiver Dialog zwischen Geschäftsleitung, Beschäftigten und Arbeitnehmervertretern schafft das Umfeld, das für gemeinsame Problemlösungen notwendig ist. Doch welche neuen Anforderungen ergeben sich hierbei für die betrieblichen Akteure? Welche Bedingungen und Spielregeln tragen zum Erfolg beteiligungsorientierter Innovationsansätze bei? Und wie lassen sich Beschäftigte überhaupt für Innovationen motivieren? Dies ist nur eine Auswahl von Fragen, auf die die Autoren des Sammelbandes Antworten liefern. In den Beiträgen von Wissenschaftlern und Praktikern aus Unternehmen werden Erfahrungen und erfolgreiche Beteiligungsansätze „zwischen Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung“ vorgestellt. Die Beiträge vermitteln einen anschaulichen Eindruck davon, was Innovation als Teil von Betriebsratsarbeit in der Praxis bedeutet. Am Beispiel betrieblicher Erfahrungen werden darüber hinaus Elemente arbeits- und beteiligungsorientierter Innovationsstrategien herausgearbeitet, die Unternehmen krisenfester machen und die Arbeit verbessern können. Das hohe Interesse von Unternehmen, Sozialpartnern und Multiplikatoren an diesen Erfahrungen und Lösungsansätzen ließ sich bereits in der Entwicklungsphase an der intensiven Beteiligung am Projekt ablesen. Dem Team am Lehrstuhl für Wirtschaftsund Organisationspsychologie unter Leitung von Prof. Dr. Friedemann W. Nerdinger in Kooperation mit den Verbundpartnern Wilke, Maack und Partner sowie PCG - Project Consult ist es gelungen, mit ihren Analysen und den inzwischen validierten Hypothesen einen fundierten Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu leisten. Gleichermaßen sind durch das Projekt beispielhaft Handlungsoptionen aufgezeigt worden, die eine unmittelbare Umsetzung in der Praxis erfahren können. Für die weitere Umsetzungs- und Verwertungsphase der Ergebnisse wie auch bei zukünftigen Forschungsherausforderungen wünsche ich allen Beteiligten von BMInno viel Erfolg und bedanke mich an dieser Stelle gleichzeitig für die konstruktive und sympathische Zusammenarbeit!
Claudio Zettel Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
Inhalt Geleitwort Claudio Zettel .......................................................................................................................... V Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen – Neue Anforderungen an Management, Beschäftigte und Interessenvertretungen Friedemann W. Nerdinger, Peter Wilke, Stefan Stracke & Reinhard Röhrig ........................... 1
Teil I: Mit neuen Ideen zum Erfolg – Ansatzpunkte und Instrumente für ein erfolgreiches Innovationsmanagement Innovationsmanagement im Mittelstand – Herausforderungen und Lösungsansätze Martin Benkenstein ................................................................................................................. 13 Flowserve – Ein Fahrplan zu noch besserer Qualitätssicherung: Beobachtungen eines Prozessbegleiters Reinhard Röhrig ...................................................................................................................... 29
Teil II: Altes neu denken – Erfahrungen mit Projekten für erfolgreiche Prozessinnovation Lufthansa Technik – Änderungen sind keine Entwicklung: Erfahrungen mit Lean-Production-Systemen aus Sicht der betrieblichen Interessenvertretung Kai Deutzmann ........................................................................................................................ 47 Sterling SIHI – SIHIfit: Ein gemeinsames Innovationsprojekt zur Sanierung eines Unternehmensstandortes Carmen Lühr & Peter Schuldt ................................................................................................ 65 SAM Electronics – Notwendige Anpassung an veränderte Märkte: Wie kann Innovation im Unternehmen umgesetzt werden? Bernd Manthey & Ulrich Weinreuter...................................................................................... 89 SAM Electronics – Zwischen Widerstand und Beteiligung: Innovation und Strukturwandel als Teil von Betriebsratsarbeit Erik Merks ............................................................................................................................. 105 Steen – Wir übernehmen den Betrieb: Innovation und Beteiligung der Mitarbeiter bei einem Schiffbauzulieferer Birte Homann & Peter Wilke ................................................................................................ 123
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Inhalt
Teil III: Personalentwicklung und Qualifizierung als Basis für den Innovationserfolg ThyssenKrupp Nirosta – Innovative Modelle zum Wissenstransfer und Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter Theo Steegmann & Geneviève Wagner ................................................................................. 139 Atlas Copco Costructions Tools – Personalentwicklung und Qualifizierungskonzepte als Teil von Innovationsprozessen Hans-Georg Klaus, Reinhard Röhrig & Stefan Stracke ....................................................... 157
Teil IV: Innovationspolitik – Erfolgreiche Ansätze zwischen Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung Innovationspartnerschaft im Betrieb – Gewerkschaftliches Unterstützungsangebot für Betriebsräte Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling & Achim Vanselow .................................................. 173 Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung: Perspektiven für Beschäftigung und Unternehmen Klaus Kost ............................................................................................................................. 189 Innovation, Trade Unions and Works Councils in a European Perspective: Experiences from Selected EU Member States Wim Sprenger ........................................................................................................................ 207
Teil V: Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen – Forschungsergebnisse aus dem Projekt BMInno Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern Erko Martins & Alexander Pundt ......................................................................................... 229 Innovatives Verhalten – Ein Geben und Nehmen? Eine Studie zum innovationsbezogenen Austausch zwischen Mitarbeitern und Unternehmen Susanne Curth & Tina Breyer ............................................................................................... 253
Inhalt
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Teil VI: Zusammenfassung und Ausblick Innovation als Voraussetzung für Erfolg – Visionen und Zielvorstellungen Peter Wilke, Stefan Stracke, Judith Beile & Eckhard Voß .................................................... 277
Herausgeber, Autorinnen und Autoren ............................................................................ 289
Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen – Neue Anforderungen an Management, Beschäftigte und Interessenvertretungen Friedemann W. Nerdinger, Peter Wilke, Stefan Stracke & Reinhard Röhrig
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Neue Anforderungen an das Management
Innovation ist eines der zentralen Themen in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, vor allem in so genannten „Hochlohnländern“ wie Deutschland. Zunehmende internationale Standortkonkurrenz und Veränderungen in der Arbeitswelt stellen Unternehmen und ihre Mitarbeiter1 vor neue Herausforderungen, wobei die Anforderungen an die Fähigkeit zu schneller und flexibler Anpassung an die wechselnden Gegebenheiten der internationalen Märkte deutlich zunehmen. Die Wettbewerbsfähigkeit und der Erfolg ganzer Volkswirtschaften und einzelner Unternehmen hängen daher in besonderer Weise von ihrer Fähigkeit ab, Veränderungen zu organisieren. Neben kostengünstigen und ertragssteigernden Produktionsstrukturen wird die Innovationsfähigkeit von Unternehmen immer mehr zum Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg (Kirner et al., 2006; Rammer et al., 2006). In Reaktion auf die veränderten Bedingungen werden von der Wissenschaft – speziell der Betriebswirtschaftslehre – immer neue Managementkonzepte entwickelt, die auf unterschiedliche Erfolgspotenziale abzielen. Partizipationsorientierte Managementansätze, welche die Erschließung „weicher“ Erfolgspotenziale betonen, haben dabei an Bedeutung gewonnen. Beteiligungsorientierte Unternehmenskulturen können für Unternehmen, die im globalisierten Wettbewerb bestehen wollen, einen Weg zur erfolgreichen Bewältigung und Gestaltung von Veränderungsprozessen unterschiedlicher Art darstellen (Nerdinger & Wilke, 2008, 2009). Beteiligungsorientierte Unternehmenskulturen entfalten ein Klima, das für die erfolgreiche Gestaltung von Innovationsprozessen förderlich ist. Wichtig ist dabei, die Mitarbeiter in den Innovationsprozess einzubinden, ihre Kreativität und ihr Engagement zur Hervorbringung neuer
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Allein aus sprachlichen Gründen wird in diesem Sammelband nur die männliche Form verwendet, gemeint sind jedoch immer beide Geschlechter.
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Friedemann W. Nerdinger, Peter Wilke, Stefan Stracke & Reinhard Röhrig
Ideen zu fördern sowie weitere innovative Verhaltensweisen der Mitarbeiter zu unterstützen (vgl. Ebert, 2006). Hier setzt der vorliegende Sammelband an: Personalorientierte Innovationsstrategien mit dem Fokus auf Arbeitnehmerbeteiligung können ein Instrument sein, um die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen zu stärken, die Qualifizierung der Arbeitnehmer zu verbessern und zudem Beschäftigung zu sichern bzw. aufzubauen. 2
Die Rolle der betrieblichen Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Politik
Beschäftigungssicherung und Beschäftigungsförderung sind wichtige Kernaufgaben der Interessenvertretung. In Situationen, in denen Betriebs- oder Standortschließungen, Produktionsverlagerungen oder personelle Einzelmaßnahmen wie Kündigungen drohen, spielt Beschäftigungssicherung im Zusammenhang mit Interessenausgleich und Sozialplänen eine wesentliche Rolle. Wie aber sieht es mit Beteiligung bei Innovation in Unternehmen aus, die sich nicht in einer Krise befinden? Beschäftigungssicherung und -förderung durch Innovation als Aufgabe betrieblicher Interessenvertretungen geht über kurzfristige Maßnahmen hinaus und greift in die Unternehmensentwicklung ein (Kriegesmann, Kley & Kublik, 2010). Die Steigerung der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens zur Bewältigung von Wandlungsprozessen muss gleichzeitig auf die Interessen der Mitarbeiter und die Interessen des Betriebes zielen. Das Interesse des Mitarbeiters, das vor allem auf eine zufriedenstellende Qualität der Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze zielt, und das Interesse des Betriebes, der eine zukunftsgerichtete Entwicklung und eine hohe Innovationskraft anstrebt, bedingen sich wechselseitig (Stracke, 2006). Damit verändern sich aber auch die Anforderungen an die betriebliche Interessenvertretung. Zur Sicherung und Förderung von Beschäftigung stehen Betriebsräte vor der Aufgabe, Alternativen gegenüber dem bisherigen Innovationsverhalten des Unternehmens und langfristige Entwicklungsperspektiven für den Betrieb zu erarbeiten. Betriebsräte müssen den Blick auf die Strukturen und Potenziale richten, die das Unternehmen innovativ machen. Dazu können Verbesserungen am Arbeitsplatz, die Qualität und die Organisation der Arbeit, die Qualifikation der Mitarbeiter oder auch die Technologie gehören. Darauf aufbauend sind Vorschläge zur Gestaltung von betrieblichen und organisatorischen Verbesserungen zu entwickeln. Eine „präventive“ Gestaltung der betrieblichen Bedingungen ist mit gestiegenen Kompetenz- und Qualifikationsanforderungen an Betriebsräte verbunden.
Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen
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Betriebsräte werden dabei von den Gewerkschaften unterstützt. Vor dem Hintergrund der Veränderungen der ökonomischen Ausgangsbedingungen im Verlauf der letzten Jahrzehnte und der dadurch veränderten Unternehmensstrategien haben sich auch die Rahmenbedingungen für die Tarifpolitik der Gewerkschaften wesentlich verändert. Die IG Metall hat sich auf ihrer tarifpolitischen Konferenz 2005 mit dieser Situation auseinandergesetzt. Anspruch der IG Metall ist es, sich den neuen tarifpolitischen Bedingungen nicht nur zu stellen, sondern sie mitzugestalten. Ein wesentliches Element bei allen inhaltlichen und handlungsorientierten Konzepten, die in diesem Zusammenhang entwickelt wurden, ist die zunehmende Verknüpfung von Tarif- und Betriebspolitik. Aus Sicht der IG Metall bieten betriebliche Vereinbarungen nicht nur flexible Möglichkeiten, um auf besondere Situationen reagieren zu können und Arbeitsplätze zu sichern bzw. neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch Ansatzpunkte zur Entwicklung neuer Elemente zur Förderung von Innovation und Investitionen mit dem Ziel der Zukunftssicherung. Ein Ansatzpunkt zur Verknüpfung der abweichenden Vereinbarungen mit offensiven betrieblichen Konzepten sind (regionale) Kampagnen wie die Modernisierungsoffensive „Besser statt billiger“ der IG Metall, die im Jahr 2004 im IG Metall-Bezirk Nordrhein-Westfalen entstanden ist. Im Wesentlichen sollen hierbei Alternativen zu solchen Unternehmensstrategien aufgezeigt werden, die vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs allein auf Kostensenkung und Abweichung vom Flächentarifvertrag ausgerichtet sind. Gleichzeitig will die IG Metall Handlungsalternativen darstellen, die nach ihrer Auffassung langfristig eher zur Lösung betrieblicher Probleme geeignet sind. Teile der Umsetzungsstrategie sind Optimierungsprozesse in der Produktion, aber auch Personal- und Organisationsprozesse sowie Investitionen in Qualifizierung, Forschung und Entwicklung (Huber, Burkhard & Klebe, 2005). In den letzten Jahren haben Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte in der deutschen Metall- und Elektroindustrie in einer Reihe von Betrieben die gemeinsame Umsetzung von betrieblichen Innovationsprozessen vereinbart. Diese Verabredungen sind Teil von Tarif- und Betriebsvereinbarungen, die im Rahmen von betrieblichen Strukturanpassungen getroffen werden. Das Neuartige an diesen Vereinbarungen ist, dass sie als unternehmensbezogene, in der Regel zeitlich befristete Instrumente jenseits des traditionellen Managements – so der Titel der Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), aus der das Projekt BMInno hervorgegangen ist – das Innovationspotenzial der Mitarbeiter parallel zu den vorhandenen betrieblichen Strukturen systematisch erschließen wollen. Innovation wird dabei nicht länger nur als Managementaufgabe bzw. als Aufgabe einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung
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Friedemann W. Nerdinger, Peter Wilke, Stefan Stracke & Reinhard Röhrig
angesehen, sondern als Aufgabe der gesamten Belegschaft und als partnerschaftlicher Prozess. Alle Mitarbeiter sollen die Möglichkeit haben, selbst Innovationsideen zu verfolgen und Innovationsprojekte zu initiieren. Der Erfolg dieser Vereinbarungen wird in der Praxis entscheidend davon abhängen, inwieweit die angesprochenen Mitarbeiter überhaupt bereit sind, sich hier zu engagieren und ihre Kompetenzen zur Förderung betrieblicher Innovationen effektiv einzusetzen. 3
Das Projekt BMInno und die vorliegenden Beiträge
Bislang liegen nur wenig Forschungsergebnisse vor, inwieweit und vor allem unter welchen Bedingungen sich solche „Sanierungs- und Innovationsvereinbarungen“ in der Praxis bewähren.2 An diesem Forschungsdefizit setzte das Projekt BMInno an. BMInno steht für Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen und bildet den Titel eines Verbundprojektes, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wurde. Das Projekt wurde vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Rostock geleitet, wobei am Verbund die Unternehmensberatungen Wilke, Maack und Partner aus Hamburg sowie PCG - Project Consult GmbH aus Essen beteiligt waren. Diese Projektpartner haben u.a. verschiedene Innovationsprojekte in Unternehmen begleitet, über die in diesem Buch berichtet wird.3 Im Projekt BMInno wurden konkrete Erfahrungen und Wahrnehmungen von Innovationsprozessen an der betrieblichen Basis untersucht. Zusätzlich war es das Ziel, den Blickwinkel über die nationalen Grenzen hinaus zu erweitern und Anknüpfungspunkte für einen Erfahrungsaustausch mit europäischen Nachbarländern zu schaffen. Die Ergebnisse, die in diesem Projekt erzielt wurden, werden im Folgenden ebenso präsentiert wie mehrere konkrete Fallstudien der betrieblichen Praxis, die den Zusammenhang zwischen Beteiligung und betrieblicher Innovation beleuchten.
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Zum Begriff „Sanierungs- und Innovationsvereinbarung“ siehe ausführlich Stracke & Nerdinger (2010).
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Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln – Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“ sowie durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) unter dem Förderkennzeichen 01FM07082 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Hinweise zum Projekt finden sich unter der URL: http://www.bm-inno.de.
Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen
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Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind in fünf Teile geordnet. Der erste Teil hat das Thema Mit neuen Ideen zum Erfolg – Ansatzpunkte und Instrumente für ein erfolgreiches Innovationsmanagement. Den Auftakt bildet Martin Benkenstein, der den Stand der Forschung zum Innovationsmanagement im Mittelstand aus Sicht der Wissenschaft skizziert. Dabei werden die Prozesse, die zu Innovationen führen, die angemessene Organisationsform sowie der Umgang mit Widerständen diskutiert. Daran schließt sich ein Praxisbericht von Reinhard Röhrig von der Unternehmensberatung PCG - Project Consult GmbH an. Röhrig schildert seine Beobachtungen der Maßnahmen zur Verbesserung der Qualitätssicherung, die bei der Firma Flowserve ergriffen wurden. Nach einem kurzen Einblick in die Entwicklungsgeschichte der Firma Flowserve werden die Auswirkungen der Übernahme durch einen amerikanischen Konzern analysiert. Daraus ergibt sich zwingend der Versuch, durch eine Qualitätsoffensive am Markt zu bestehen. Das Vorgehen bei der Umsetzung dieser Qualitätsoffensive und vor allem die Rolle des Betriebsrats bilden den Kern des Beitrages. Teil II ist überschrieben mit Altes neu denken – Erfahrungen mit Projekten für erfolgreiche Prozessinnovation. Zuerst berichtet hier Kai Deutzmann von Lufthansa Technik über die Erfahrungen mit Lean-Production-Systemen aus Sicht der betrieblichen Interessenvertretung. Nach einem kurzen Blick auf die wesentlichen Merkmale des Unternehmens Lufthansa Technik (LHT) wird das in diesem Unternehmen realisierte Konzept der Lean-Production vorgestellt. Den Kern des Beitrages bildet die Analyse der Rolle des Betriebsrats und der damit verbundenen Konflikte bei der Umsetzung dieses Konzeptes. Der zweite Beitrag in diesem Teil stammt von Carmen Lühr und Peter Schuldt von Sterling SIHI. Sie berichten über SIHIfit – ein Innovationsprojekt zur Sanierung eines Unternehmensstandortes, das die Geschäftsleitung gemeinsam mit dem Betriebsrat im Rahmen einer Sanierungs- und Innovationsvereinbarung angestoßen und umgesetzt hat. Nach einer beeindruckenden Schilderung der ökonomischen Schieflage des Unternehmens, wird der Prozess, der zur Sanierungs- und Innovationsvereinbarung geführt hat, nachgezeichnet. Es folgt eine detaillierte Beschreibung des „fit“-Prozesses, der heute als ein ökonomischer Erfolg zu betrachten ist. Im Ausblick analysieren die Autoren die Folgen der Finanzkrise für den Prozess. Im nächsten Beitrag reflektieren Ulrich Weinreuter und Bernd Manthey von SAM Electronics über die Umsetzung von Innovationen im Unternehmen, die sie als notwendige Anpassung an veränderte Märkte verstehen. Zuerst geben die Autoren einen Einblick in das schwierige, konjunkturabhängige Geschäft der Schiffbauzulieferindustrie. Anschließend diskutieren sie die verschiedenen Managementstrategien, die im Unternehmen ergriffen wurden, um den dramatischen Wandel zu bewältigen. Im Zentrum
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stehen die in Abstimmung mit dem Betriebsrat ergriffenen Maßnahmen und ihre Umsetzung in Projekten, mit denen das Unternehmen die letzten Krisen erfolgreich bewältigt hat. In gewisser Weise antwortet der Betriebsrat von SAM Electronics, Erik Merks, in seinem Beitrag auf diese Ausführungen. Der Titel „Zwischen Widerstand und Beteiligung – Innovation und Strukturwandel als Teil von Betriebsratsarbeit“ gibt dabei die Richtung vor: Die Mühen und das schwierige Pendeln, mit dem zwischen den Erwartungen der Mitarbeiter und der Geschäftsleitung vermittelt wurde und welche Lösungsmöglichkeiten dafür angewendet werden, geben einen bemerkenswerten Einblick in engagierte Betriebsratsarbeit in Krisenzeiten. Den zweiten Teil abschließend berichten Birte Homann und Peter Wilke über die Firma Steen: „Wir übernehmen den Betrieb: Innovation und Beteiligung der Mitarbeiter bei einem Schiffbauzulieferer“. Nach einer Beschreibung der Entwicklung bei Steen vom kleinen Familienunternehmen zu einem fortschrittlichen Unternehmen mit starker Mitarbeiterorientierung widmet sich der Hauptteil des Beitrages der Analyse der Probleme, mit denen sich die Akteure nach der Übernahme des Betriebs durch die Mitarbeiter konfrontiert sahen – ein Lehrstück für die erfolgreiche Sanierung eines Unternehmens! Der dritte Teil umfasst Beiträge zum Problem der Personalentwicklung und Qualifizierung als Basis für den Innovationserfolg. Theo Steegmann und Geneviéve Wagner von der Firma ThyssenKrupp Nirosta stellen innovative Modelle zum Wissenstransfer und zur Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter vor. Besonders bemerkenswert sind hier die Beschreibungen darüber, wie im Unternehmen vorgegangen wurde, um personengebundenes Erfahrungswissen zu identifizieren und nutzbar zu machen. Die entwickelte Umsetzung ist äußerst lehrreich für Unternehmen, die gleichfalls versuchen, ihre jüngeren Mitarbeiter durch Qualifizierungsmaßnahmen im Werk zu halten. Im zweiten Beitrag berichten Hans-Georg Klaus, Reinhard Röhrig und Stefan Stracke über Personalentwicklung und Qualifizierungsprojekte als Teil von Innovationsprozessen bei der Atlas Copco Construction Tools GmbH. Dabei schildern sie, wie das Unternehmen in den letzten Jahren auf externe Veränderungen reagieren musste und welche Herausforderungen interne Veränderungsprozesse für das Unternehmen und die Beschäftigten mit sich bringen. Darüber hinaus beschreiben die Autoren Grundzüge und Ziele einer gesundheitsfördernden Personal- und Organisationsentwicklung. Der vierte Teil befasst sich mit dem Problem der Innovationspolitik und beschreibt erfolgreiche Ansätze zwischen Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung. Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling und Achim Vanselow berichten hier über ihr BMBF-
Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen
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gefördertes Projekt Kompetenz und Innovation, wobei sie unter dem Titel „Innovationspartnerschaft im Betrieb“ gewerkschaftliche Unterstützungsangebote für Betriebsräte diskutieren. Vor allem die Einbettung der Betriebsratsarbeit in die IG-MetallStrategie des „Besser statt billiger“-Prozesses eröffnet interessante innovationspolitische Perspektiven. Die daraus erwachsenen gewerkschaftlichen Unterstützungsangebote für Betriebsräte bilden den Kern des Beitrages. Anschließend berichtet Klaus Kost von der Unternehmensberatung PCG - Project Consult GmbH über „Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung: Perspektiven für Beschäftigung und Unternehmen“. Nach einer Analyse der allgemeinen wirtschaftlichen Situation wird die Rolle der Betriebsräte im Innovationsgeschehen kritisch beleuchtet. Das führt über zu einer Reflexion der Rolle des Beraters zwischen Krisenmanagement und vorausschauender Potenzialermittlung. Abschließend werden die Grenzen der Innovationstreiberrolle von Betriebsräten betrachtet. Der vierte Teil wird abgerundet durch einen Beitrag von Wim Sprenger, der sich mit dem Thema Innovation und Beteiligung aus europäischer Perspektive beschäftigt. Dabei werden insbesondere die Erfahrungen und die Positionen von Gewerkschaften (und Betriebsräten) in den EU-Ländern Großbritannien, Finnland, Niederlande und Spanien beleuchtet und miteinander verglichen. Außerdem werden staatliche Initiativen zur Förderung von betrieblicher Innovation und der Innovationsfähigkeit der Beschäftigten vorgestellt. Der fünfte Teil stellt zwei wissenschaftliche Beiträge aus dem Projekt BMInno vor. Im Beitrag von Erko Martins und Alexander Pundt wird die Frage diskutiert, ob und wie der Betriebsrat das innovative Verhalten der Mitarbeiter in Unternehmen beeinflussen kann. Dazu präsentieren die Autoren der Universität Rostock ein Modell des geplanten innovativen Mitarbeiterverhaltens, mit dem sie erklären, durch welche Verhaltensweisen der Betriebsrat innovatives Mitarbeiterverhalten initiieren kann. In zwei empirischen Studien aus dem Projekt BMInno werden diese Modellzusammenhänge zum einen geprüft und zum anderen weitergehend beleuchtet, indem zusätzliche Verhaltensweisen und Eigenschaften des Betriebsrats aufgedeckt werden, die für die Innovativität der Mitarbeiter förderlich sein können. Im folgenden Beitrag stellen Susanne Curth und Tina Breyer die Ergebnisse einer Interviewstudie vor, die im Jahr 2009 von Mitarbeitern der Universität Rostock in den Partnerunternehmen des Verbundprojektes BMInno durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt steht die Identifizierung von Ressourcen, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern zur Verfügung stellen kann, um diese zu bestimmten innovativen Verhaltensweisen zu bewegen. Die Autorinnen ermitteln auf dem Wege einer qualitativen Inhaltsanalyse potenzielle Beiträge, die im
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Sinne von Tauschobjekten zwischen den Mitarbeitern und dem Unternehmen gehandelt werden. Dabei werden sowohl verschiedene Facetten innovativen Mitarbeiterverhaltens als auch Unternehmensressourcen identifiziert, die geeignet sind, eben diese innovativen Verhaltensweisen anzuregen. Abschließend fassen Peter Wilke, Stefan Stracke, Judith Beile und Eckhard Voß wesentliche Ergebnisse und Quintessenzen der Praxisbeiträge zusammen. Gleichzeitig versuchen sie Antworten auf die Frage zu finden, inwieweit Innovation und Beteiligung zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung beitragen können. Wir möchten uns bei allen Autoren herzlich bedanken. Ihre Bereitschaft, einen Textbeitrag zu verfassen, hat diesen Sammelband erst ermöglicht. Danken möchten wir auch allen Gesprächspartnern in den Unternehmen für ihre Offenheit und Auskunftsfreude im Rahmen der geführten Interviews. Schließlich möchten wir uns bei den Vertretern des Projektförderers für die offene, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit bei allen Fragen rund um das Projekt BMInno bedanken.
Literatur Ebert, W. (2006). Anreizgestützte Innovationsförderung in technologieorientierten KMU: Konzept, empirische Untersuchung, Gestaltungsempfehlungen. München & Mering: Hampp. Huber, B., Burkhard, O. & Klebe, T. (2005). Tarifpolitik ist Betriebspolitik, Betriebspolitik ist Tarifpolitik. WSI-Mitteilungen, 58 (11), 656-662. Kirner, E., Som, O., Dreher, C. & Wiesenmaier, V. (2006). Innovation in KMU – Der ganzheitliche Innovationsansatz und die Bedeutung von Innovationsroutinen für den Innovationsprozess. Karlsruhe: Fraunhofer Institut System und Innovationsforschung. Kriegesmann, B., Kley, T. & Kublik, S. (2010). Innovationstreiber betriebliche Mitbestimmung? WSI-Mitteilungen, 63 (2), 71-78. Nerdinger, F. W. & Wilke, P. (2008) (Hrsg.). Erfolgsfaktor Beteiligungskultur. Ergebnisse aus dem Projekt TiM - Transfer innovativer Unternehmensmilieus. München & Mering: Hampp. Nerdinger, F. W. & Wilke, P. (2009) (Hrsg.). Beteiligungsorientierte Unternehmenskultur. Erfolgfaktoren, Praxisbeispiele und Handlungskonzepte. Wiesbaden: Gabler. Rammer, C., Zimmermann, V., Müller, E., Heger, D., Aschhoff, B. & Reize, F. (2006). Innovationspotenziale von kleinen und mittleren Unternehmen. ZEW Wirtschaftsanalysen, 79. Baden-Baden.
Einleitung: Innovationsprozesse in Unternehmen
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Stracke, S. (2006). Betriebsräte und Innovation. Empirische Befunde, Beschäftigungsorientierung und mögliche Aufgabenfelder. Arbeitspapier Nr. 3 aus dem Projekt TiM, Universität Rostock: Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie. Stracke, S. & Nerdinger, F. W. (2010). Mitbestimmung und Innovation aus Betriebsratsperspektive. Ergebnisse qualitativer Studien. Industrielle Beziehungen, 17 (1), 30-53.
Teil I: Mit neuen Ideen zum Erfolg – Ansatzpunkte und Instrumente für ein erfolgreiches Innovationsmanagement
Innovationsmanagement im Mittelstand – Herausforderungen und Lösungsansätze Martin Benkenstein
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Innovation – Was ist das eigentlich?
Zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind Produktinnovationen unabdingbar erforderlich (Koppelmann, 1997; S. 95 ff.). Unter Produktinnovationen werden dabei die mit der Entwicklung von Neuprodukten in einem Unternehmen verbunden Änderungsprozesse verstanden (Schmitt-Grohe, 1972; S. 25 ff.). Aus Marketingperspektive stehen dabei die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten im Vordergrund. Auslöser von Innovationen können sowohl ein technologischer Angebotsdruck („technology-push“) oder ein Nachfragesog („market-pull“) sein (Homburg, Krohmer 2009; S. 163 f.). Erfolgreiche Innovationen zeichnen sich ganz häufig dadurch aus, dass technologische Neuerungen auf Kundenbedürfnisse stoßen und so „technology-push“ mit „market-pull“ einhergeht. Innovationen lassen sich durch mehrere Dimensionen kennzeichnen. Zunächst ist der Neuigkeitsgrad wesentlich. Er verdeutlicht, wie neu eine Innovation ist. In dieser Dimension kann zwischen revolutionären versus evolutionären Innovationen, zwischen Pionier- versus Nachfolgeinnovation oder aber zwischen Basis- oder Verbesserungsinnovation unterschieden werden. Diese Wortpaare sollen letztlich das Niveau verdeutlichen, mit dem eine Innovation als neu wahrgenommen wird. So haben geformte Kartoffelchips sicherlich ein anderes Innovationsniveau als Digitalkameras. Weiterhin ist der Gegenstandsbereich der Innovation wesentlich. Er geht der Frage nach, was eigentlich neu ist. Dabei kann zwischen Produkt- und Prozessinnovationen differenziert werden. Produktinnovationen zielen darauf ab, dem Nachfrager Leistungen anzubieten, die für ihn einen neuen Zweck erfüllen oder aber vorhandene Zwecke neuartig befriedigen. Im Gegensatz dazu werden im Rahmen von Prozessinnovationen die Produktions- und/oder Distributionsprozesse neu gestaltet, um ein Produkt kostengünstiger, qualitativ hochwertiger oder schneller erstellen zu können (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 9 f.). Weiterhin kann innerhalb der Produktinnovationen danach unterschieden werden, auf welche Eigenschaften eines Produktes sich die Innovation bezieht. Neben der Grundfunktion eines Produktes, die innovativ verändert werden kann, sind weitere Eigenschaften festzustellen, die bei Innovationen zu berücksichtigen sind
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Martin Benkenstein
(Brockhoff, 1999; S. 22). So hat ein Produkt eine physikalische Eigenschaft (z.B. die technische Qualität), eine ästhetische Eigenschaft (z.B. die Farbe) und eine symbolische Eigenschaft (z.B. bestimmte mit dem Produkt verbundene Assoziationen). Außerdem gewinnen zunehmend auch Value-Added-Services, d.h. mit dem Produkt in Verbindung stehende Dienstleistungen als Bestandteil des Produktes an Bedeutung. Die genannten Zusammenhänge sind in Abbildung 1 dargestellt. All diese Eigenschaften können innovativ verändert werden.
Ästhetische Eigenschaften (z. B. Design, Farbe, Form)
Physikalische und funktionale Eigenschaften (z. B. Materialart, technische Konstruktion, Qualität, Haltbarkeit)
Grundelement (Produktfunktion wie "Leuchten", "Befördern" usw.)
Symbolische Eigenschaften (z. B. Markenname, bestimmte Assoziationen)
Value-Added Services (z. B. Kundendienst, Finanzierung)
Abb. 1: Elemente des Produktes (Meffert, 1998; S. 423)
Weiterhin kann danach unterschieden werden, ob es sich um eine Markt- oder eine Unternehmensneuheit handelt. Marktneuheiten zeichnen sich dadurch aus, dass eine von einem Pionierunternehmen angebotene Leistung von den Nachfragern als neues Produkt eingestuft wird. Bei Unternehmensneuheiten wird hingehen eine bereits am Markt angebotene Leistung von frühen oder späten Folgern ebenfalls entwickelt und am Markt angeboten. Die damit einhergehenden Änderungsprozesse, auf die im Folgenden einzugehen ist, verlaufen – unabhängig davon, ob eine Markt- oder eine Unternehmensneuheit vorliegt – nahezu identisch ab. Schließlich finden sich auch immer wieder Stimmen, die „neu“ mit „erfolgreich“ gleichsetzen. Hierzu ist festzustellen, dass ein großer Anteil der Produktinnovationen überhaupt nicht die Marktreife erreicht, also bereits im Innovationsprozess nicht weiterverfolgt wird. Und jene neuen Produkte, die dann produziert und angeboten werden,
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Innovationsmanagement im Mittelstand
erweisen sich ebenfalls häufig als „Flop“. Das Management arbeitet somit an erhofften oder zu erwartenden Innovationserfolgen, nicht aber an bereits realisierten. Insbesondere der Innovationsgrad beeinflusst die Erfolgswahrscheinlichkeit nachhaltig. 2
Innovationsprozesse
2.1 Prozessgestaltung Innovationsprozesse lassen sich höchst differenziert abbilden. In nahezu jedem Lehrbuch zum Innovationsmanagement finden sich unterschiedlichste Prozessabläufe. Gängig ist, den Innovationsprozess in vier Kernphasen zu gliedern (Meffert, 1973):
Ideengewinnung Ideenprüfung Ideenrealisation und Markteinführung
Aber auch deutlich differenziertere Prozessgliederungen finden sich in der Literatur. Ein Beispiel dafür wird in Abbildung 2 dargestellt. Hier ist der Innovationsprozess in sieben Phasen eingeteilt und reicht von der Projekteinleitungsphase bis zur Verwendungsphase.
Projekteinleitungsphase
Problemphase
Konzeptphase
Einsatzund Aufgabendefinition
Konzeptvorschläge, Durchführungsplanung
Freigabe d. Problemphase
Bew. der Problemphase
Freigabe d. Konzeptphase
Definitionsphase
Systementwurf, Planung der Entwicklungsphase
Bew. der Konzeptphase
Freigabe d. Definitionsphase
Bew. der Definitionsphase
Entwicklungsphase
Abnahme des Prototypensystems, Planung der Fertigung
Freigabe d. Entw.phase
Bew. der Entw.phase
Fertigungsphase
Auslieferung der Seriengeräte, Planung des Einsatzes
Freigabe d. Fertig.phase
Bew. der Fertig.phase
Verwendungsphase
Verwendung der SerienGeräte
Freigabe d. Einsatzes
Bew. der Verwend.phase
Abb. 2: Mehrstufiger Innovationsprozess (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 486)
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Martin Benkenstein
Unabhängig davon, wie und wie differenziert der Innovationsprozess untergliedert wird, sind aus betriebswirtschaftlicher Perspektive die Ideengewinnung, die Steuerung des Prozesses sowie die Bewertung der Innovationen in verschiedenen Prozessphasen wesentlich. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden. 2.2 Generierung innovativer Alternativen Am Beginn des Innovationsprozesses steht die Gewinnung innovativer Alternativen. In dieser Phase muss ein hohes Maß an Kreativität freigesetzt werden, nicht zuletzt deshalb, weil aufgrund hoher Ausfallraten im Innovationsprozess selbst, aber auch nach der Markteinführung zunächst möglichst viele Ideen generiert werden müssen. Dabei sind innovative Alternativen Ideen für neue Produkte, die dem Innovationsmanagement prinzipiell geeignet erscheinen, das Innovationsproblem zu lösen. Grundsätzlich kann dabei zwischen einer multiplen und einer mutativen Alternativenentwicklung unterschieden werden. Bei der multiplen Alternativenentwicklung werden ganz systematisch die Eigenschaften von Stoffen und Verfahren variiert, um dann zu prüfen, ob eine verbesserte Wirkung erzielt wurde. Im Gegensatz dazu wird bei der mutativen Alternativenentwicklung mindestens eine neue Eigenschaft hinzugefügt, um eine Produktverbesserung zu erzielen. Entsprechend führen mutative Verfahren in aller Regel zu höheren Innovationsgraden als multiple (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 414). Weiterhin kann zwischen Ideensammlung und Ideenproduktion unterschieden werden. Quellen der neuen Ideen können dabei sowohl unternehmensextern als auch unternehmensintern sein (Pepels, 2000, S. 11). Abbildung 3 verdeutlicht unterschiedlichste Quellen für innovative Alternativen. Im Rahmen der systematischen Ideensammlung werden vorhandene Produktideen gesammelt. Quellen sind beispielsweise Erfindermessen, aber auch die Analyse neuer Produkte von Wettbewerbern. Vorteile liegen in der relativ leichten Durchführbarkeit und in den geringen Kosten. Zu echten Marktneuheiten führen diese Verfahren jedoch nicht (Hüttel, 1998; S. 181 f.). Neben der Ideensammlung können auch Methoden der Ideenproduktion eingesetzt werden. Dabei werden durch den Einsatz kreativer Techniken neue Produktideen hervorgebracht. Allerdings werden nur wenige dieser Kreativitätstechniken in der Praxis wahrgenommen, bewusst eingesetzt und als erfolgreich beurteilt.
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Innovationsmanagement im Mittelstand
Art der Ideenproduktion Ideenquellen
Unternehmensintern
Unternehmensextern
Konsumenten
E x p e r t e n
Unsystematisch
Systematisch
- Problemlösungsstudien
- Tiefeninterviews - Kundenwünsche - Kundenbeschwerden/ -probleme
-
Aufträge an Forschungsinstitute Unternehmensberater Marktforschungsaufträge Konkurrenzanalyse/ Benchmarking
-
-
Fragenkataloge Funktionsanalysen Checklisten morphologische Analysen interne F&E Marktanalysen Zufriedenheitsmanagement
- Brainstorming - Synectic - Anregung des Außen- und Kundendienstes - betriebliches Vorschlagswesen, Ideenwettbewerbe - zufällige Nebenprodukte der F&E-Abteilung
Lead User Anregungen von Lieferanten/ Händlern Erfindermessen Berichte über Erfindungen und Patente Informationsbroker Veröffentlichungen von Marktforschungsunternehmen, Beratern und staatlichen Institutionen - Ergebnisse der Stiftung Warentest
Abb. 3: Quellen von Neuproduktideen (Meffert, 1998; S. 376)
Auch Kreativitätstechniken können häufig nur multiple Innovationsalternativen generieren. Vor allem die morphologische Analyse kommt über eine multiple Alternativengenerierung nicht hinaus. Gleichzeitig können über Kreativitätstechniken auch mutative Innovationsideen hervorgebracht werden. Namentlich die Bionik ist hier ein wesentlicher Ideenlieferant (Hill, 2005). 2.3 Steuerung des Innovationsprozesses Sind hinreichend viele innovative Alternativen beschrieben, gilt es, den Innovationsprozess möglichst effizient zu steuern. Dabei können, wie Abbildung 4 verdeutlicht, vier grundlegende Steuerungsparameter unterschieden werden (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 477 ff.)
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Martin Benkenstein Steuerungsparameter des Innovationsprozesses (explizite Vorgaben oder Pläne)
inputbezogen:
outputbezogen:
Ergebnisvorgabe
Terminvorgabe
Ressourcenvorgabe
Ablaufvorgabe
Abb. 4: Grundparameter zur Steuerung von Innovationsprozessen (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 477)
Ergebnisvorgaben sind im Innovationsprozess unabdingbar. Mit den Ergebnisvorgaben werden die generierten Innovationsideen präzisiert und dem Innovationsteam zur Entwicklung übergeben. Dabei werden neben dem Endergebnis häufig auch Zwischenergebnisse formuliert (Heyde et al., 1991; S. 34 ff.). Ergebnisvorgaben haben ein ausgesprochen hohes Motivationspotenzial. Werden darüber hinaus Zwischenergebnisse definiert, sind Ergebnisvorgaben auch zur Strukturierung des Innovationsprozesses geeignet. Neben den Ergebnisvorgaben sind auch Terminvorgaben outputorientiert. Sie legen den Zeitraum fest, innerhalb dessen die definierten Ergebnisse erreicht werden müssen. Nur durch derartige Terminvorgaben werden Ergebnisvorgaben operational, weil ansonsten das Innovationsteam beliebig lang entwickeln kann. Neben dem Endtermin werden dabei – für die Zwischenergebnisse – auch Zwischentermine als sogenannte Meilensteine festgelegt. Terminvorgaben sind – gepaart mit möglichst detailliert beschriebenen Ergebnisvorgaben – das effizienteste Instrument der Steuerung von Innovationsprozessen. Als inputorientierte Vorgaben sind Ressourcenvorgaben geeignet, dem Innovationsteam finanzielle Limits zu setzen und darüber hinausgehend festzulegen, auf welche Engpasskapazitäten, insbesondere Personal, das Innovationsteam zurückgreifen kann. Damit wird letztlich der Versuch unternommen, die Kosten des Innovationsprozesses zu begrenzen und damit die finanziellen Innovationsrisiken zu beschränken. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Budgetvorgaben in aller Regel in Konkurrenz zu den Ergebnis- und Terminvorgaben stehen. Insbesondere eine Beschleunigung des Innovationsprozesses geht in aller Regel mit deutlich überproportional steigenden Prozesskosten einher.
Innovationsmanagement im Mittelstand
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Schließlich wird im Rahmen von Ablaufvorgaben festgelegt, welche Einzelaktivitäten im Innovationsprozess durchzuführen sind. Letztlich geht es dabei vornehmlich um die Reihenfolge, in der die Einzelaktivitäten abzuarbeiten sind, und um die Frage, ob verschiedene Aktivitäten parallel erledigt werden können, um so die Durchlaufzeiten in der Entwicklung zu verkürzen. Wesentlich ist weiterhin, dass die Ablaufvorgaben im Innovationsprozess nicht zu detailliert erfolgen dürfen, um noch hinreichend große Freiräume für alternative Lösungsoptionen zu gewähren. Deshalb sollten auch objektdefinierte und nicht verrichtungsdefinierte Abläufe zur Steuerung des Innovationsprozesses eingesetzt werden. Letztlich ist die Steuerung von Innovationsprozessen eine Kombination der genannten Steuerungsparameter. Zumindest muss eine Ergebnis- und Terminvorgabe vorgenommen werden, die dann in eine Ablaufvorgabe/-planung zu übersetzen ist. Ein Beispiel für eine solche integrierte Prozesssteuerung findet sich in Abbildung 5. Darüber hinaus müssen aber auch Budgetvorgaben eingesetzt werden, um das Kostenrisiko einzudämmen.
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Martin Benkenstein
Abb. 5: Integrierte Zeit-, Ergebnis- und Ablaufvorgaben (Neumann, 1982; S. 1104b)
21
Innovationsmanagement im Mittelstand
Schließlich bleibt zu betonen, dass die Intensität der Steuerung in Innovationsprozessen optimiert werden muss, ohne dass man dieses Optimum ermitteln kann. Abbildung 6 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Es liegt somit ein umgekehrter u-förmiger Zusammenhang zwischen der Steuerungsintensität und der Effizienz im Innovationsprozess vor. Dies gilt umso mehr, wenn ein möglichst hoher Innovationsgrad angestrebt wird, weil in solchen Innovationsprozessen das Innovationsmanagement über eine ausreichende Flexibilität verfügen muss und deshalb vor allem die Ablaufvorgaben nicht zu detailliert erfolgen dürfen (Weise, 2005; S. 272).
Effizienz
umgekehrt u-förmiger Verlauf
Intensität der Prozess-Steuerung Zone optimaler Steuerungsintensität
Abb. 6: Steuerungseffizienz im Innovationsprozess (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 493)
Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Reihe von Kernaussagen zu einer erfolgreichen und effizienten Steuerung von Innovationsprozessen aus der Literatur ableiten (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 495 ff.): Meilensteine eröffnen den Akteuren Handlungsautonomie, motivieren sie und bewirken Selbstkoordination. Flexible Budgets steigern die Effizienz des Innovationsprozesses. Verrichtungsorientierte Ablaufsteuerungen beeinträchtigen die Ergebnisse des Innovationsprozesses.
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Partizipative Führung steigert die Motivation und Kreativität und damit die Innovationseffizienz. Klassische Instrumente des Monitoring – formale Reviews und Kontrolle durch Vorgesetzte – sind erfolgversprechende Instrumente der Prozessteuerung. Wenn die Innovation in unbekannte Technologiebereiche oder neue Märkte führt, ist es nicht falsch, auf vertraute Steuerungsinstrumente zurückzugreifen. Netzpläne sind aufgrund ihres Detailliertheitsgrades ungeeignet für die Planung von Innovationsprozessen. Meilensteinplanungen zeichnen sich durch eine deutlich höhere Flexibilität aus, indem Leistungs- mit Zeitzielen kombiniert werden. Diese Erfolgsfaktoren sind weitgehend empirisch validiert und können deshalb – in Grenzen – generalisiert werden. 2.4 Bewertungsprobleme im Innovationsprozess Im Rahmen des Innovationsprozesses ist regelmäßig zu prüfen, ob die jeweils verfolgte innovative Alternative noch erfolgversprechend ist oder nicht. Dabei steht das Ziel der frühestmöglichen Aussonderung der nicht erfolgversprechenden Ideen im Vordergrund (Rommel et al., 1995; S. 89 ff.; Brockhoff, 1996; S. 123 ff.). Zur Optimierung des Auswahlprozesses sollen mehrstufige Verfahren eingesetzt werden, die mindestens aus einer Grob- und einer Feinauswahl bestehen (Schmitt-Grohe, 1972). Die Grobauswahl dient der Aussonderung der nicht erfolgversprechenden Produktideen in einem möglichst frühen Stadium des Innovationsprozesses. Als Bewertungsdimensionen dient vor allem der technische Erfolg, weil der ökonomische Erfolg in diesen frühen Phasen des Innovationsprozesses kaum abschätzbar ist. Auswahlinstrumente sind in dieser Phase vor allem Checklisten und Punktbewertungsverfahren (Bruhn, 1999; S. 139). Die Feinauswahl setzt in den späteren Stadien des Innovationsprozesses an. Durch den Einsatz von Wirtschaftlichkeitsanalysen wird versucht, den zukünftigen Produkterfolg zu berechnen (Haedrich & Tomczak, 1996; S. 210). Dabei können sowohl statische Betrachtungen als auch dynamische Verfahren eingesetzt werden. Kritisch ist hierzu allerdings anzumerken, dass speziell die dynamischen Verfahren durch die Diskontierung der Einzahlungsüberschüsse innovative Alternativen mit kurzen Amortisationszeiträumen systematisch besser bewerten als innovative Alternativen mit langen Amortisationszeiträumen. Dies hat zur Folge, dass Innovationen mit inkrementalen Verbesserungen echten Marktneuheiten mit hohem Innovationsgrad regelmäßig vorgezogen werden, weil – wie Abbildung 7 verdeutlicht – die Einzahlungsüberschüsse
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Innovationsmanagement im Mittelstand
von echten Marktneuheiten deutlich weiter in der Zukunft liegen und schlechter zu prognostizieren sind, was zur Folge hat, das der Diskontierungsfaktor um einen Risikozuschlag erhöht wird.
Einzahlungsüberschüsse Echte Marktneuheit Inkrementale Innovation
t Abb. 7: Einzahlungsüberschüsse innovativer Alternativen
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Organisation für Innovationen
Innovationen werden typischerweise von Innovationsteams zur Marktreife gebracht. Notwendig ist eine möglichst effiziente Teamstruktur. Vor allem ist die Rollenverteilung im Team wesentlich. Hinsichtlich dieser Rollen existieren höchst unterschiedliche Grade der Arbeitsteilung in Innovationsprozessen. Notwendig sind Prozesspromotoren, Fachpromotoren und Machtpromotoren (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 212 ff.) Diesen Promotoren kommen höchst unterschiedliche Aufgaben im Innovationsprozess zu. Die Machtpromotoren sind für
die Freigabe von Ressourcen, die Zielbildung, die Sicherung des strategischen Fit und die Überwindung von Willensbarrieren
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verantwortlich. Sie müssen letztlich auf der Grundlage ihrer Machtbasis die Innovation nach innen durchsetzen und dem Innovationsteam die notwendigen Freiräume sichern. Die Prozesspromotoren definieren die Problem- bzw. Aufgabenstellung, zerlegen den Gesamtprozess in Teilprozesse und bestimmen Reihenfolgen und Termine, führen die Teilprozesse zusammen, detaillieren die Zielsetzungen und lösen Konflikte und motivieren, erklären, instruieren und werben für die Innovation im Unternehmen. Den Prozesspromotoren kommt damit vor allem die Aufgabe zu, den Innovationsprozess so effizient wie möglich zu gestalten und die Motivation der Teammitglieder auf einem hohen Niveau zu halten. Der Fachpromotor schließlich
generiert die innovativen Alternativen, ist für die eigentliche Problemlösung verantwortlich, entwickelt Prototypen und das marktreife Neuprodukt und überwindet die Wissensbarrieren.
Der Fachpromotor ist somit der eigentliche Innovator, der das marktreife Neuprodukt hervorbringt und über das dafür notwendige Know-how verfügt oder sich dieses aneignet. Fachlich setzt sich das Innovationsteam typischerweise aus Forschungs- und Entwicklungs-Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Technikern, Fertigungsingenieuren, Marketing- und Vertriebsexperten und Controllern zusammen. Häufig sind darüber hinaus Lead User, Berater und Forschungseinrichtungen und auch Zulieferer in den Innovationsprozess involviert und in ausgewählten Innovationsphasen Mitglieder des Innovationsteams. Darüber hinaus sind auch Innovationskooperationen mit Wettbewerbern in der Praxis zu beobachten. Anreize für solche Kooperationen sind in aller Regel Diffusionsund/oder Ressourcendefizite. Diffusionsdefizite beziehen sich darauf, dass ein Kooperationspartner über keinen hinreichenden Marktzugang verfügt, Ressourcendefizite beziehen sich auf fehlendes Know-how im Innovationsprozess. Nur dann, wenn die Defizite symmetrisch auf die Kooperationspartner verteilt sind und durch die Kooperation entsprechende Synergien entstehen, bleibt eine derartige Innovationskooperation über
Innovationsmanagement im Mittelstand
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einen längeren Zeitraum stabil. Entsprechend muss ein Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht bestehen. Und dieses Gleichgewicht muss auch über einen längeren Zeitraum stabil bleiben. Deshalb müssen die Kooperationspartner eine ähnliche Lerngeschwindigkeit haben, weil ansonsten einer der beiden schneller vom anderen lernt und damit das Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht gestört ist. 4
Widerstände gegen Innovationen
Schließlich muss noch betont werden, dass mit Innovationen grundsätzlich mehr oder weniger nachhaltige Änderungsprozesse in Unternehmen verbunden sind. Mit diesen Änderungsprozessen sind Manager und Mitarbeiter in Unternehmen gezwungen, sich neues Know-how anzueignen. Eventuell verlieren sie sogar ihre Kompetenz- und Machtposition, weil das Know-how, über das sie verfügen, mit der Innovation an Wert verliert. Entsprechend wird es immer Widerstände gegen Veränderungsprozesse in Unternehmungen geben. Gegen Innovationen lassen sich unterschiedlichste Argumente anführen (Hauschildt & Salomo, 2007; S. 173 ff.). Technische Argumente sind „Die Innovation leistet nicht das, was sie verspricht“, „Die Innovation kommt zu früh“ oder „Das technologische Umfeld ist noch nicht reif für die Innovation“. Widerstände aus Vertrieb und Marketing lauten häufig wie folgt:
„Es gibt keine hinreichende Nachfrage für das neue Produkt“, „Die Produktinnovation kannibalisiert unsere Cash Cows“, „Wir finden keine geeigneten Vertriebspartner“ oder „Wir geraten in eine unbeherrschbare Konkurrenzsituation“.
Und das Controlling wendet sich regelmäßig mit den folgenden Argumenten gegen Innovationen:
„Die Innovation zerstört wertvolle Substanz“, „Die Innovation ist eine zu riskante Investition“, „Die Innovation ist nicht finanzierbar“, „Misslungene Innovationen sind teurer als mögliche Verluste der Weiterführung“ oder „Der bestehende Zustand ist doch gar nicht so schlecht“.
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Wenn alle diese Argumente nicht greifen, entdecken Mitarbeiter plötzlich ihre „grüne“ Seele und argumentieren, dass die Innovation unbekannte ökologische Wirkungen haben könnte. Bei all diesen Widerständen kann zwischen einer destruktiven und einer konstruktiven Opposition differenziert werden. Die Destruktive Opposition arbeitet im Verborgenen auf die Verhinderung der Innovation hin. Gründe dafür sind weltanschaulich, weil persönliche Grundwerte verletzt werden, sachlich, weil andere Projekte eine höhere Dringlichkeit haben, machtpolitisch, weil eine Chance zur Machtdemonstration oder das Risiko des Machtverlustes bestehen, oder persönlich, weil der Mitarbeiter Gefahr läuft, persönliche Nachteile zu erleiden. Im Gegensatz dazu äußert die Konstruktive Opposition ihre Bedenken offen und verbessert damit eventuell sogar den Innovationserfolg. Innovationsmanagement heißt vor diesem Hintergrund auch immer, sich mit den Widerständen – ob offen geäußert oder im Verborgenen vorgebracht – auseinanderzusetzen und die Innovationsbarrieren im Unternehmen zu überwinden. Hierzu sind vor allem die Macht- und Prozesspromotoren verantwortlich.
Literatur Brockhoff, K. (1996). Management von Innovationen, Planung und Durchsetzung, Erfolge und Misserfolge. Wiesbaden: Gabler. Brockhoff, K. (1999). Produktpolitik (4. Aufl.). Stuttgart: Lucius & Lucius. Bruhn, M. (1999). Marketing. Grundlagen für Studium und Praxis (4. Aufl.). Wiesbaden: Gabler. Haedrich, G. & Tomzcak, T. (1996). Produktpolitik. Stuttgart et. al.: Kohlhammer. Hauschildt, J. & Salomo, S. (2007). Innovationsmanagement (4. Aufl.). München: Vahlen. Heyde, W., Laudel, G., Pleschak, F. & Sabisch, H. (1991). Innovationen in Industrieunternehmen. Prozesse, Entscheidungen und Methoden. Wiesbaden: Gabler. Hill, B. (2005). Goal Setting Through Contradiction Analysis in the Bionik-Oriented Construction Process. Creativity and Innovation Management, 14 (1), 59-65. Homburg, C. & Krohmer, H. (2009). Grundlagen des Marketingmanagements. Einführung in Strategie, Instrumente, Umsetzung und Unternehmensführung (2. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.
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Hüttel, K. (1998). Produktpolitik (3. Aufl.). Ludwigshafen: Friedrich-Kiehl. Koppelmann, U. (1997). Produktmarketing (5. Aufl.). Berlin u.a.: Springer. Meffert, H. (1973). Der Prozess der Neuproduktplanung. Das Wirtschaftsstudium, Teil 1 (S. 51-55), Teil 2 (S. 101-105). Meffert, H. (1998). Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele. Mit neuer Fallstudie VW Golf (8. Aufl.). Wiesbaden: Gabler. Neumann, W. (1982). Entwicklungsprojekt „Schiff der Zukunft“. Hansa-Schifffahrt, Schiffbau, Hafen, 119, 1101-1106. Pepels, W. (2000). Produktmanagement (2. Aufl.). München: Oldenbourg. Rommel, G. et al. (1995). Mit Hochleistungskultur und Kundennutzen an die Weltspitze. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Schmidt-Grohé, J. (1972). Produktinnovation. Verfahren und Organisation der Neuproduktplanung. Wiesbaden: Gabler. Weise, J. (2005). Planung und Steuerung von Innovationsprojekten. Diss. TU Berlin.
Flowserve – Ein Fahrplan zu noch besserer Qualitätssicherung: Beobachtungen eines Prozessbegleiters Reinhard Röhrig
„Ich kann nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“ (Georg Christoph Lichtenberg)
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Einleitung: Technologische Veränderungen und neue unternehmerische Anforderungen im Markt
Charly Chaplins Zukunftsvision im Film „Moderne Zeiten“ hat sich in vielen Bereichen bewahrheitet: Das Zeitalter der Schnelllebigkeit hat uns spätestens seit dem Beginn der Industrialisierung fest im Griff. Einzelfertigung und Manufakturen wichen der Massenproduktion. Innovationen bei Abläufen, Prozessen und Produkten führten zu Quantensprüngen in den unternehmerischen Entwicklungen – dies aber fast immer in vielerlei Hinsicht auf Kosten der Belegschaften. Erste Globalisierungstendenzen wurden sichtbar und neue Kommunikationsmöglichkeiten waren anwendbar. Unternehmen, Prozesse und Produkte in unserer heutigen Zeit sind vergleichbar, wobei Globalisierung und schnelle Kommunikationsmöglichkeiten eine zusätzlich Facette der Unternehmensentwicklungen ausmachen. Prozessinnovationen, Neu- und Restrukturierungen, (regionaler) Strukturwandel, Konzentration auf Kernkompetenzen oder umgekehrt der Zusammenschluss zu weltweiten Mischkonzernen, Marktanpassungen, Verkäufe und Fusionen, „gute“ Hedge Fonds und „böse“ Heuschrecken und damit einhergehend die Forderung nach „ausreichenden“ Renditen – auch und gerade in Zeiten der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise – bestimmen nun die Rahmenbedingungen der Unternehmen. All dies geschieht unter erheblichem Zeitdruck. Trotzdem haben sich (Industrie-)Unternehmen in vielen Bereichen gewandelt, wobei die Rolle von Gewerkschaften und Betriebsräten hervorgehoben werden muss. Wurde z.B. früher der Begriff „(Schwer-)Industrie“ aus gutem Grund als Synonym für Dreck, Rauch, Gestank, Lärm und schwerste körperliche Arbeit gebraucht, wird heute auf Gesundheits- und Arbeitsschutz Wert gelegt. Zudem werden alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze gefordert und eingeführt und es wird (zumindest wird dies häufig pos-
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Reinhard Röhrig
tuliert) auf die Umwelt Rücksicht genommen – dies und vieles mehr durch nicht unerheblichen Innovationsdruck durch Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretungen auf Unternehmen und Management. Darüber hinaus werden die Produktcharakteristika immer hochwertiger. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist technologisch auf höchstem Niveau und die Produkte sind weltweit äußerst erfolgreich. Wirtschaftsbranchen, denen der Ruf vorauseilt, einfache Produkte mit einfacher Technologie zu produzieren (wie z.B. die deutsche Schmiede- und Gießereiindustrie), produzieren stattdessen für Hightech-Unternehmen mit Hightech-Technologie. Die in Deutschland hergestellten Qualitätsstähle dokumentieren die Innovationskraft der Stahlindustrie. Zusammengefasst: Um am Markt überleben zu können, müssen Unternehmen Produkte anbieten, die von ihrer Funktionalität und Qualität her höchsten Kundenansprüchen genügen. Dafür sind Innovationen bei Produkten und Prozessen unverzichtbar. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, durch neue Produkte schnell und flexibel auf sich wandelnde Markt- und Kundenanforderungen zu reagieren und gleichzeitig das Marktgeschehen selbst pro-aktiv zu beeinflussen. Unternehmen und ihre Belegschaften sind somit Getriebene und Treiber des Marktes. All dies sind Anforderungen, denen sich Flowserve heute und in Zukunft stellen muss. Denn Flowserve als Hersteller von Hochleistungsventilen befindet sich im beschriebenen Spannungsfeld von Globalisierungsanforderungen, Kundenansprüchen an Funktionalität und Qualität, Renditeerwartungen und notwendigen Produkt- und Prozessinnovationen. Im Folgenden soll deutlich gemacht werden, wie sich Flowserve diesen Anforderungen stellt. Ausgehend von der Gründung und Entwicklung des Unternehmens wird in dem Beitrag kurz auf die Auswirkungen der Übernahme durch einen amerikanischen Konzern und die damit verbundenen amerikanischen Wünsche und die deutschen Antworten eingegangen. Darüber hinaus wird das Thema „Standortsicherung“ behandelt. Das Themenfeld „Qualitätssicherung durch Innovation“ nimmt aufgrund der Relevanz für Flowserve den größten Raum ein. 2
Die Entwicklungsgeschichte von Flowserve: Vom Patriarchen zu einem Konzern
Der Beginn der unternehmerischen Entwicklung ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie in den boomenden 1960er und 1970er Jahren oft zu beobachten war. 1966 gründete Eckhard Kämmer die Kämmer Ventile GmbH in Essen. 1968 startete die Herstellung von
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Low-Flow-Ventilen und 1969 wurde der integrierte Stellungsregler entwickelt – damals ein Novum in der Ventiltechnik. Das Unternehmen entwickelte sich erfolgreich weiter, so dass es 1971 notwendig wurde, aus Platzgründen einen anderen Standort zu suchen. In diesem Jahr wurden auch die ersten Aluminiumventile für Linde hergestellt – ein bis heute wichtiger Kunde. 1972 wurde mit der BASF ein weiterer wichtiger Kunde akquiriert, der mit Kämmer gemeinsame Entwicklungsarbeiten für Hochdruckventile durchführte. Die Kämmer GmbH wuchs weiter und es wurde international: 1983 wurde Kämmer Pittsburgh eröffnet, 1985 kam Kämmer Schweiz hinzu. Die steigende Produktion erforderte 1980 eine erneute Erweiterung des Werkes Essen, die Fertigungskapazität konnte hier verdoppelt werden. Im Jahr 1992 kam es zum bis dahin größten Einschnitt in der Unternehmensgeschichte: Der Gründer Eckhard Kämmer verkaufte das Unternehmen an Valtek International. Dieser Schritt bedeutete das Ende der unternehmerischen Entwicklung durch den alleinigen Eigentümer Eckhard Kämmer. Denn schon 1997 entstand durch die Fusion mit anderen Herstellern die Flowserve Corporation mit Sitz in Dallas, Texas. 2007 war die Flowserve Corp. mit 14.000 Mitarbeitern in 56 Ländern der Welt vertreten. Die Flowserve Essen GmbH befasst sich als Teil des Konzerns auch heute insbesondere mit der Konstruktion und Herstellung von Regelventilen. Gefertigt werden neben einzelnen Stellventilen auch komplette Systeme. Eingesetzt werden die Ventile in der chemischen, petrochemischen, pharmazeutischen und Lebensmittelindustrie. Darüber hinaus werden Kämmer Ventile auch in der Forschung, der Kälte- und Kryotechnik eingesetzt. Die Stellventile werden am Standort Essen in Modulartechnik entwickelt, konstruiert, gefertigt und getestet. 3
Der amerikanische Traum: Management made in USA?
Flowserve war von Beginn an ein Unternehmen, in dessen Fokus die Entwicklung innovativer und technisch auf „high end“-Stufe stehender Produkte stand. Hinzu kommen innovative Prozessmodifikationen genauso wie Innovationsvorhaben jenseits der Produktinnovation, wie sie sich z.B. in den durch Betriebsvereinbarungen dokumentierten Projekten „flexible Arbeitszeitregelung“ (1996), „Prozesskettenanalyse“ und „NovaPE“ (EDV-gestütztes Wissensmanagement, 2006), die Intensivierung des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) sowie die Einführung des Qualitätsmanagement-Verfahrens Six Sigma aufzeigen lassen. Innovation und praktizierte Mitbestimmung waren und sind also gleichermaßen im Unternehmen verankert und stehen somit für eine Unternehmenskultur, die maßgeb-
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Reinhard Röhrig
lich durch die deutsche Form der Mitbestimmung geprägt ist. Dies bedeutet aber nicht eine konfliktfreie Zone zwischen Management und betrieblicher Interessenvertretung. Die Regeln sind klar und im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes rechtlich abgesichert. Die Zugehörigkeit zu einem amerikanischen bzw. globalen Konzern kann dieses eingespielte Verhältnis jedoch infrage stellen: Auf der einen Seite stehen die Vorgaben des Konzerns, der global denkt und einzelne Standorte nach Renditevorgaben bemisst. Auf der anderen Seite steht eine Unternehmenspolitik am Standort Essen, die durch besondere gesetzliche, unternehmenskulturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist, die mit den Forderungen aus Dallas durchaus in Konflikt treten können. In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass – obwohl internationale Konzerne schon jahrzehntelang deutsche Töchterfirmen besitzen (siehe z.B. General Motors) und somit mit den deutschen industriellen Beziehungen und innerbetrieblichen Mitbestimmungsregeln vertraut sein müssten – gerade bei angloamerikanischen Konzernen (arbeits)kulturelles Nichtverstehen der deutschen Rahmenbedingungen vorherrschen kann. Betrachtet man darüber hinaus deutsche Standorte internationaler Konzerne aus deren wirtschaftlicher Sichtweise, wird klar, dass die Prioritäten in den meisten Fällen weniger auf Standortsicherung, sondern häufig auf die Erfüllung von Renditeerwartungen gelegt werden. Und wird dann die Entscheidung im Mutterkonzern gefällt, einen Standort wegen „Unrentabilität“ (in der Definition des Konzerns) zu schließen oder zu verlagern, bleibt in Deutschland den betrieblichen Interessenvertretern, den Gewerkschaften, der Politik, der Region und nicht zuletzt dem Management vor Ort nur die Ausschöpfung der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen des BetrVG und vielleicht das Angebot von finanzieller öffentlicher Förderung aus Steuergeldern – letztendlich wird eine gewollte Unternehmensschließung oder Verlagerung aber nicht verhindert werden können. An dieser Stelle sei auf Beispiele wie BenQ, Nokia oder in jüngster Zeit der Kampf um Opel hingewiesen. 4
Standortsicherung durch Prozessverbesserungen am Standort Essen
Kontinuierliche Prozessinnovationen sind in einem Unternehmen Pflicht und laufen im Rahmen des normalen Tagesgeschäfts im Hintergrund mit: Wo kann man Zeit einsparen? Wie sind die Abläufe zu optimieren? Wo sind ungewollte Zeitpuffer etc.? – Dies sind Fragen, mit denen sich natürlich auch das Management von Flowserve auseinan-
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dersetzen muss, um erfolgreich zu wirtschaften und damit gleichzeitig Arbeit und Beschäftigung dauerhaft am Standort sichern zu können. Im Rahmen der kontinuierlichen Beobachtung der Prozesse in der betrieblichen Realität geriet der Aspekt „Durchlaufzeiten“ Ende 2008 in den Vordergrund der Betrachtungen – zu einem Zeitpunkt, als die langjährig tätige und sicherlich auch kulturprägende Geschäftsführung am Standort neu besetzt wurde. Insbesondere ging es hier um eine Projektlinie, deren Zyklus von Auftragsannahme über Produktion bis hin zur Auslieferung als verbesserungswürdig eingeschätzt wurde. „Neue Besen kehren gut“ hieß die Devise, als ein überraschend frischer (und kühler) Wind mit dem unmissverständlichen Auftrag der Problemlösung durch Prozessoptimierung im Unternehmen wahrgenommen wurde. Neu hierbei war die Herangehensweise: durch das Management benannte Vertreter der verschiedenen betroffenen Abteilungen sollten unter Beteiligung des Betriebsrats eigenständig Vorschläge zur Optimierung der Durchlaufzeit der Produktlinie unter ehrgeizigen Zeitvorgaben des Geschäftsführers erarbeiten – ein zumindest in diesem Umfang erlebtes Novum im Unternehmen. Der Prozess wurde durch die Bildung einer Projektgruppe begonnen und von Mitarbeitern und Betriebsrat, der sich von Anfang an pro-aktiv mit in die operative Umsetzung des Projektes einbrachte, angegangen. In unterschiedlichen Arbeitsgruppen und gemeinsamen Workshops wurde ein strukturierter Konzeptvorschlag erarbeitet, der eine schnellere Bearbeitung eines Auftrags für die betroffene Produktlinie ermöglichen sollte. Die Zielvorgabe konnte jedoch nicht en passant erfüllt werden. Insbesondere der enge Zeitrahmen stellte die Mitglieder der Projektgruppe vor große Probleme. Dies ist einerseits auf die Belastungen durch das normale Tagesgeschäft zurückzuführen. Andererseits befanden sich die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel innerhalb der gesetzten Frist, so dass ein äußerst komprimiertes Arbeiten unter zeitlichem, inhaltlichem und auch mentalem Stress der Mitarbeiter notwendig wurde. Mit der anschließenden Vorlage des erarbeiteten Konzeptes wurde die Bringschuld der Projektgruppe eingelöst – eine mit der Geschäftsführung geführte Diskussion über die Vorschläge oder gar ihre schnelle und nachhaltige Umsetzung fand jedoch nicht statt. Über die Gründe kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden. Das Durchschlagen der weltweiten Konjunktur- und Wirtschaftskrise auch auf Flowserve und ein erneuter Wechsel in der Geschäftsführung Mitte 2009 spielten in diesem Zusammenhang sicherlich eine Rolle.
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Auch wenn man die damals vorherrschenden Rahmenbedingungen (Krise, wegbrechende Aufträge, neue Geschäftsführung) berücksichtigt, ist festzuhalten, dass durch die Nicht-Umsetzung des Konzeptes im Unternehmen ein strategischer Fehler begangen wurde, der auch in vielen anderen Betrieben beobachtet werden kann und negative Konsequenzen hinsichtlich der Innovations- bzw. Veränderungsbereitschaft der Belegschaft nach sich zog. Denn die Nichtberücksichtigung der zuvor geforderten Vorgabe und des daraus resultierenden Ergebnisses durch das Management kann schnell zu einer „Unternehmensverdrossenheit“ führen (und führte bei Flowserve dazu). Die Bereitschaft des Engagements wird durch die gefühlte mangelnde Wertschätzung des Managements gegenüber der Belegschaft überlagert. Dies ist langfristig und somit auch für zukünftige Innovationsvorhaben relevant. 5
Eine notwendige Entscheidung: Die Qualitätsoffensive
Mit dem Stopp des Projektes „Verkürzung der Durchlaufzeiten“ ging bei Management und auch Betriebsrat als Vertretung der Mitarbeiter nicht die Einsicht verloren, Veränderungsprozesse im Unternehmen weiterhin auf die Agenda setzen zu müssen. Die Gründe hierfür waren verschiedener Natur: Während Geschäftsführung auf weitere Verbesserungen in Prozessen und Abläufen abhob, waren die Gründe für den Betriebsrat sicherlich auch in der zu spürenden Unzufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsumfeld ausschlaggebend. Insofern war der neuen Geschäftsführung und dem Betriebsrat klar (allerdings aus verschiedenen Blickwinkeln), dass betriebliche Innovationsprozesse unabdingbar für eine unternehmerische Weiterentwicklung sind und daher nachdrücklich in Angriff zu nehmen sind. Zur Identifizierung von möglichen Innovationsprojekten wurden im Rahmen eines durch einen externen Berater moderierten Workshops mögliche Themenschwerpunkte zusammengetragen, deren Bearbeitung als vordringlich angesehen wurde. Teilnehmer des Workshops waren Geschäftsführung, Abteilungsleitungen und Arbeitnehmervertretung. Dabei wurde die Wiederaufnahme des Projektes „Verkürzung der Durchlaufzeiten“ erörtert. Die „Optimierung des SAP-Einsatzes“, „Produktentwicklung“ sowie „Qualitätssicherung/Werkerkontrolle“ wurden als weitere wichtige Innovationsfelder benannt und diskutiert. Das Ergebnis der Diskussion war der einvernehmliche Beschluss, dass Thema Qualitätssicherung/Werkerkontrolle als erstes notwendiges Projekt einer weitergehenden und zukunftsorientierten Innovationsoffensive bei Flowserve in den Fokus der Bearbeitung zu nehmen. Bemerkenswert war hier, dass die Innovationsansätze in einer ge-
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meinsamen Diskussion zwischen Geschäftsführung, Betriebsrat als Vertreter der Belegschaft und Abteilungsleitungen erörtert wurden – und somit alle relevanten Akteure von Beginn an in die Planung und Strukturierung des betrieblichen Innovationsprozesses einbezogen wurden. Dadurch ergaben sich Möglichkeiten für die Arbeitnehmervertreter, auf die Steuerungsmechanismen bei der Projektbearbeitung (wie die Auswahl der Mitglieder der zu bildenden Projektgruppe) Einfluss zu nehmen und die Interessen der Arbeitnehmer von vornherein zu berücksichtigen. 6
Die Frage des Projektansatzes: Kleinteilig oder umfassend?
Der eigentliche Prozess der Themenbearbeitung wurde durch eine Projektgruppe initiiert und inhaltlich ausgestaltet, die sich aus Mitarbeitern der Abteilungen „Qualitätssicherung“ (gleichzeitig Betriebsratsmitglied), „Konstruktion“, „Vertrieb“, „Planung“, „Einkauf“, „Finanzen“ und „Endmontage“ zusammensetzte. Delegiert wurden die Projektmitglieder durch das Votum der Abteilungsleitungen. Die eigentliche Themenbearbeitung wurde somit nicht durch Geschäftsführung bzw. Abteilungsleitungen wahrgenommen. Stattdessen waren es Mitarbeiter, die für das Projekt verantwortlich zeichneten und diese Verantwortung – gemeinsam mit der betrieblichen Interessenvertretung – auch annahmen. Anders als von einzelnen Mitgliedern der Projektgruppe gedacht, wurde im Rahmen des Projekt Kick-offs zunächst kein organisatorischer und inhaltlicher Fahrplan zur Erreichung der vorab definierten Haupt- und Zwischenziele erarbeitet. Stattdessen wurden grundsätzliche Fragen diskutiert, die für das Unternehmen weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der gesamten Sichtweise auf Innovationsprozesse, Verantwortlichkeiten und zukünftige innerbetriebliche Abläufe haben könnten bzw. aus heutiger Sicht auch hatten: Wer ist für ein funktionierendes qualitativ hochwertiges Produkt verantwortlich? Ist es tatsächlich nur der Produktionsmitarbeiter vor Ort, der dort arbeitet, wo Teile und Produkte tatsächlich im Sinne von „Produktion“ zusammen laufen – also der traditionelle „Werker“, der einer Kontrolle unterliegt bzw. sich selbst kontrolliert (Fremd- und Eigenkontrolle)? Oder spielen bei dem Thema „Qualitätssicherung“ viel mehr Faktoren eine Rolle, die sich am besten mit dem Oberbegriff „Aufbauund Ablauforganisation“ zutreffender umschreiben lassen? Welche Handlungsoptionen ergeben sich nun aus dieser Fragestellung? Reicht es demnach aus, sich bei der Projektbearbeitung „Qualitätssicherung“ nur auf die Rolle des „Werkers“ zu konzentrieren, oder müsste nicht vielmehr die Einbeziehung und Wertung der verschiedenen Abhängigkeiten im Produktionsablauf mit in die geplante
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Reinhard Röhrig
Aufgabenbearbeitung aufgenommen werden? Reicht die „kleine“ Lösung (Werkerkontrolle) aus oder ist eine erweiterte Sichtweise zur Lösung der Aufgabenstellung in Form eines umfassenden Change-Management-Prozesses zu wählen? 7
Die inhaltliche Ausgestaltung – Ein großer Wurf begann
Im Zuge der Diskussion innerhalb der Projektgruppe wurde relativ schnell Konsens darüber erzielt (und dies überraschte wohl selbst das Projektteam), dass eine mögliche und sicherlich leichter zu erreichende „kleine“ Lösung zu kurz greifen würde und deshalb die notwendigen innovationstreibenden neuen Rahmenbedingungen nicht erreicht werden könnten. Wie könnte nun die umfassende Vorgehensweise aussehen? Welche Inhalte müsste sie haben? Welche Abteilungen müssten mit einbezogen werden bzw. haben alle Abteilungen mit „Qualität“ zu tun? Welche Themen müssten bearbeitet werden und wo liegen die Stärken und Schwächen? Und letztendlich: wie könnte man alle für die Projektbearbeitung relevanten Punkte zusammenführen und wie könnte man dies methodisch darstellen und handhaben? Somit wurde mit dem Beschluss, die Vorgabe „Qualitätssicherung“ in einer übergreifenden Sichtweise zu bearbeiten, die Aufgabenstellung aufgrund der betrieblichen Verflechtungen und Abhängigkeiten komplexer als gedacht. Klar war an dieser Stelle, dass das vorgesehene Ziel anders als geplant erreicht werden muss. Insbesondere wurde hier über die notwendige inhaltliche Vorgehensweise zur Erforschung der Interdependenzen zwischen den einzelnen Abteilungen, aber auch über die notwendige Deskription der Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen innerhalb der einzelnen Abteilungen diskutiert. Zur Lösung der Aufgabenstellungen wurde vereinbart, die Abläufe innerhalb der einzelnen Abteilungen zu beschreiben, die Übergaben und gegenseitigen Abhängigkeiten zu und von Abteilungen aufzulisten und wenn möglich, verbesserte Vorgehensweisen vorzuschlagen. Hierbei ist zu betonen, dass ausdrücklich alle Beschäftigten der einzelnen Abteilungen die Möglichkeit hatten, ihre persönliche Sichtweise auf Abläufe, erkannte Störfälle, deren Lösung und zukünftig anzustrebende Rahmenbedingungen etc. durch schriftliche und mündliche Statements mit einzubringen. Alle Punkte sollten dann in einem nachfolgenden Workshop präsentiert und diskutiert werden. Es wurde vereinbart, dass alle Vorschläge, Hinweise aus den einzelnen Abteilungen zu erkannten Stärken und Schwächen sowie Problemlösungsvorschläge durch den externen Berater gesammelt, gebündelt und für die Präsentation aufbereitet werden. Um eine in-
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haltliche Orientierung der Stärken/Schwächen-Analyse (denn darum handelte es sich) zu erleichtern, wurden vorab die Überschriften „Unternehmenskultur“, „Kommunikation“, „Qualifizierung und Schulungsmaßnahmen“ sowie „Aufbau- und Ablauforganisation“ festgelegt, unter denen die Zuordnung der inhaltlichen Beiträge erfolgen sollte. Der Rücklauf an Vorschlägen zur Verbesserung der Prozessabläufe aus den einzelnen Abteilungen übertraf die Erwartungen der Projektgruppe und zeugte von einem großen Engagement der Mitarbeiter. Als erstes Ergebnis konnte somit ein konstruktives und vor allem umfassendes Bild der Einzelabteilungen und des Gesamtunternehmens hinsichtlich möglicher und notwendiger innovativer Veränderungen gezeichnet werden. Der darauf folgende Präsentationstermin wurde sowohl von den Vertretern aus den Einzelabteilungen und des Betriebsrats als auch von einem Mitglied der Geschäftsführung wahrgenommen. Die zuvor aus den Abteilungen geäußerte Befürchtung, die Teilnahme eines Geschäftsführers könnte sich kontraproduktiv auf die Ergebnisdiskussion auswirken (dies unter dem Motto: ... „so stimmt das aber nicht!“) bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil: Der Vertreter der Geschäftsführung begrüßte ausdrücklich die Vorgehensweise der partizipativen Ergebnissammlung und unterstützte die konstruktive und zielführende Analyse für zukünftige Aufgabenstellungen des Unternehmens. 8
Die Umsetzung – Viele Wege führen nach Rom
Das Jahr 2009 stand damit ganz im Zeichen einer Innovationsoffensive, die mit dem „kleinteiligen“, wenn auch wichtigen Aspekt der Werkerkontrolle zur Qualitätssicherung begann und mit einem „Revirement“ in den sozialisierten und bis dato organisationell legitimierten Abläufen in vielen Bereichen des Unternehmens endete. Die Notwendigkeit von Veränderungen wurde erkannt und im Rahmen von definierten ersten Einzelprojekten im Konsens zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat und unter großer und gewünschter Beteiligung der Mitarbeiter in Gang gesetzt. Der notwendige Fahrplan und die zeitliche und inhaltliche Gewichtung zur Umsetzung der Einzelprojekte ergab sich zwangsläufig: Wo drückt der Schuh am meisten? Welche Einzelprojekte lassen sich möglichst schnell einer Lösung zuführen? Welche Aufgabenstellungen werden viel Zeit und große Kraft bis zur Lösung kosten? Und nicht zuletzt: Wie viel Innovation kann man der Belegschaft aufgrund des normalen Tagesgeschäfts zumuten? Tagesgeschäft, Umsetzung und Zielerreichung – dies war die Frage nach der „Quadratur des Kreises“ im unternehmerischen Umfeld der Organisation, der Produktion und
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Reinhard Röhrig
nicht zuletzt, aber umso wichtiger, notwendiger Innovation. Oder anders ausgedrückt: Wie sollen die Innovationsvorhaben praktisch umgesetzt werden und wo sind Innovationshemmer und -treiber zu verorten? Ist die in jedem Unternehmen vorhandene „Lähmschicht“ stärker als der standortsichernde Aspekt der Veränderung im Denken und Handeln? Gibt es einen oder mehrere „Kümmerer“ außerhalb der Geschäftsführung, die die notwendigen Veränderungen pro-aktiv begleiten und nach vorne bringen? Dies waren die spannenden Fragen, die zum heutigen Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden können. Hier muss zuerst das Ergebnis der ersten aufgelegten Innovationsvorhaben abgewartet werden, die folgende Projekte umfassen:
Werker-(selbst)kontrolle Im Rahmen der notwendigen Verbesserungen, die eine funktionierende Werker(selbst)kontrolle eigentlich erst möglich machen, wurde z.B. die Kontrolle der der Produktion zugrunde liegenden Zeichnungen als wichtiger Teil der Arbeit vor Ort definiert und eine Prüfung durch den einzelnen Mitarbeiter vorgegeben. Darüber hinaus sind die Prüfung der mechanischen Komponenten sowie die intensive Eigenprüfung des Produktes zwingend erforderlich.
Produktionswerk 2 – Einsatz eines Qualitätsprüfers als Add-on Zusätzlich zu den angestrebten Kontrollmechanismen, die durch die Übernahme von Eigenverantwortung durch die Produktionsmitarbeiter selbst initiiert werden, wurde die Stelle eines Qualitätsprüfers (wieder)besetzt. Sein Aufgabenschwerpunkt ist die Endkontrolle der Produkte. Über die Kontrollfunktion hinweg hat der Qualitätsprüfer die Aufgabe, bei Qualitätsschwankungen eine Prozessanalyse zusammen mit dem betreffenden Mitarbeiter durchzuführen, um die Gründe für nicht optimale Qualität herauszuarbeiten und als Ergebnis nachhaltige Korrekturmaßnahmen zu erhalten, die aufgrund seiner Weisungsbefugnis sofort umgesetzt werden können und müssen. Grundsätzlich soll hier Hilfestellung für die Prozessfähigkeit der Mitarbeiter geleistet werden.
ISO 9001 Für Flowserve als Hightech-Unternehmen ist sowohl aus einer Außenperspektive (durch Kunden) als auch aus unternehmensstrategischen Gesichtspunkten die Einfüh-
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rung und Anwendung der DIN ISO 9001 zwingend erforderlich. Dieser Notwendigkeit trug das Unternehmen in der Vergangenheit durch eine Zertifizierung Rechnung. Im Zuge der Innovationsoffensive kam aber auch ISO 9001 auf den Prüfstand und wurde hinsichtlich der gegebenen Rahmenbedingungen und der Veränderungen, die das Unternehmen im Laufe der Jahre sowohl in der Ablauf- als auch in der Aufbauorganisation durchlief, unter Mitarbeit externer Beratung abgeprüft. Das Ergebnis war die Berücksichtigung der betrieblichen Realität für einen inhaltlichen und unternehmensspezifischen Neuaufbau von ISO 9001. Miteinbezogen waren hier die Einzelabteilungen sowie die Mitarbeiter, die durch die Beschreibung der abteilungsimmanenten Prozesse und internen Beziehungen und Abhängigkeiten auf Grundlage von ISO 9001 eine Prozessoptimierung entwickelten. Die Neuordnung der ISO 9001 wurde sowohl in Form eines Managementreviews auf interner Ebene geprüft als auch durch ein externes Beratungsunternehmen zertifiziert.
Neuausrichtung der Organisationsstruktur einer Abteilung als Pilotprojekt Ein weiterer Innovationsansatz besteht in der Neustrukturierung der Abteilung „Technischer Vertrieb“. Hier wurde ein Organisations-Entwicklungsprogramm aufgelegt, das eine verbesserte Planung und die Abarbeitung der anfallenden Aufgaben sowie die optimierte Zusammenarbeit/Kommunikation mit anderen Abteilungen unterstützen soll. Inhaltlich ist das Projekt auf die Organisationsentwicklung im Allgemeinen und die Führungskräfte- und Prozessentwicklung im Besonderen ausgerichtet. Wichtig ist, dass dieses Projekt als Organisations-Entwicklungsprogramm auch eine „Pilotfunktion („Lernmodell“) für andere Abteilungen haben soll.
Standortverlagerung Seit Gründung durch Eckhard Kämmer wuchs das Unternehmen stetig. Schon nach einigen Jahren musste aufgrund der Größe des Unternehmens ein neuer Standort gesucht werden, der dem Unternehmen auch derzeit noch als Produktionsstätte dient. Heute sind die räumlichen Engpässe jedoch so stark geworden, dass die Unternehmensabläufe auf zwei getrennte Produktionsgebäude und fünf nicht verbundene Verwaltungsgebäude verteilt werden. Dies ist mit Reibungsverlusten, langen Transportwegen, Kommunikationsproblemen und der Gefahr eines Qualitätsverlustes verbunden. Mit der Initiierung des Projektes „yellow“ (interne Bezeichnung) wurde dieses äußerst drängende Problem angegangen. Mit der Zustimmung und Unterstützung der Kon-
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Reinhard Röhrig
zernmutter in Dallas konnte ein neuer Standort gefunden werden, der spätestens Mitte 2010 bezogen werden soll. Sämtliche Unternehmensabläufe können an dem neuen Standort völlig neu konzipiert und aufeinander abgestimmt werden. Dadurch verspricht man sich eine Verbesserung der Durchlaufzeiten, eine Optimierung der Produktionsprozesse, eine Verbesserung der internen Kommunikation sowie eine schnellere Auslieferung der Produkte. 9
Innovationsschritte als Entwicklungsprojekt
Der Beobachtungszeitraum vom Projektbeginn bis zum heutigen Tage kann unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung als eine evolutionäre Entwicklung für die Miteinbeziehung von Mitarbeitern und ihrer Interessenvertretungen in einzelne Innovationssegmente eingestuft werden. Hier lassen sich fünf Ankerpunkte identifizieren, die die Entwicklungsgeschichte der partizipativen Innovationsbemühungen schlaglichtartig dokumentieren:
Der erste Ankerpunkt ... kann in dem (Ende 2008 begonnenen und damals nicht beendeten) Projekt „Verringerung der Durchlaufzeiten“ einer Produktlinie verortet werden. Die Bearbeitung wurde durch Abordnung der Mitarbeiter in das Projektteam sichergestellt. Die Aufgabenstellung wurde „von oben“ oktroyiert und eine Zielerreichung nachdrücklich gefordert – eine zwar pragmatische, aber sicher keine das Innovationsklima günstig beeinflussende Vorgehensweise – das Engagement der Mitarbeiter wurde quasi „erzwungen“.
Der zweite Ankerpunkt ... war der Themenfindungs-Workshop der Abteilungsleitungen. Unter Beteiligung der Geschäftsführung und eines Vertreters des Betriebsrats wurde mit den relevanten Akteuren ergebnisoffen über mögliche Themenfelder diskutiert, die im Rahmen des hier zugrunde liegenden Forschungsprojektes bearbeitet werden könnten.
Der dritte Ankerpunkt ... war die offene Diskussionsrunde von projektbeteiligten Mitarbeitern der Einzelabteilungen. Im Gegensatz zur Projektbearbeitung Ende 2008 war hier ein Interesse der Mitarbeiter zu spüren, Veränderungen durchzuführen – sozusagen die Chance, die ih-
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nen geboten wurde, auch zu nutzen. Resultat war die von allen Beteiligten eigenverantwortlich getroffene und nicht mit dem Management rückgekoppelte Entscheidung, eine Problemlösung anzustreben, die auf einer ganzheitlichen Analyse des Unternehmens und der Benennung von Störfeldern basieren sollte.
Der vierte Ankerpunkt ... war der Workshop zur Präsentation der Ergebnisse, an dem auch ein Vertreter der Geschäftsführung teilnahm. An dieser Stelle hätte die hoffnungsvolle Entwicklung der beteiligungsorientierten Problemlösung unter Mitwirkung aller Beschäftigten ein wenig schönes Ende nehmen können – nämlich durch eine bewusste Verkennung der erkannten und benannten, notwendigerweise zu bearbeitenden Aufgabenstellungen innerhalb des Unternehmens durch das Management. Diese Handlungsweise wurde seitens der Geschäftsführung nicht wahrgenommen. Im Gegenteil wurde die Arbeitsleistung der Projektgruppe und damit letztendlich der Einsatz aller Mitarbeiter durch das Management gewürdigt und positiv als problemorientiert und zielführend gewertet.
Der fünfte Ankerpunkt ... war der Beginn der Umsetzungsphase erster unternehmensspezifischer Projekte. An dieser Stelle wurde mit der Nahtstelle zwischen Theorie und Praxis eine kritische Phase erreicht: die Auffindung und Benennung von Störfeldern im Unternehmensablauf ist die eine Seite – ihre Behebung eine andere. Denn die Umsetzung von Innovationsvorhaben erfordert die Energie aller Beteiligten: sowohl seitens der Geschäftsführung als auch seitens der Mitarbeiter, denn gerade sie sind in erster Linie von den Veränderungsprozessen betroffen. Darüber hinaus kommen an dieser Stelle verschiedene Erwartungshaltungen von Management, Mitarbeitern und deren betrieblicher Interessenvertretung hinsichtlich des Nutzens von betrieblichen Innovationen zum Tragen: Während das Management durch die Umsetzung von Innovationen auf eine verbesserte Marktperformance setzt, können in der Belegschaft Befürchtungen über Arbeitsplatzverlust durch Rationalisierung, Arbeitsverdichtung oder schwer zu erfüllende neue Arbeitsanforderungen entstehen und eine ganzheitliche Innovationskultur konterkarieren. Die Rolle des Betriebsrats ist in dieser Konstellation ambivalent: Einerseits nimmt er als Vertreter der Arbeitnehmer der Belegschaft gegenüber eine Schutzfunktion wahr, die die Folgen z.B. von Rationalisierungsmaßnahmen oder anderer innerbetrieblicher Restrukturierungsmaßnahmen abfedern muss. Andererseits ist er als Mitverantwort-
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Reinhard Röhrig
licher der Innovationsprozesse in diese eingebunden und soll möglichst als Multiplikator dienen – eine schwierige Situation. Weiterhin können an diesem Punkt (wie bei Flowserve geschehen) auf der Erfahrung der Mitarbeiter mit der unternehmensspezifischen (negativen) Umsetzungspraxis basierende Fragestellungen aufgeworfen werden, deren positive Beantwortung die Grundlage für eine Unterstützung von Innovationsvorhaben durch die Belegschaft bildet. Hier sei z.B. auf die Themen Umsetzungswille der Geschäftsführung auch in unbequemen und aufwendigen Bereichen, Umsetzungsstärke des Managements, Miteinbeziehung von Belegschaft und Betriebsrat, offene Kommunikation über die einzelnen Innovationsschritte und deren Inhalte, systematische Herangehensweise der Projektbearbeitung und – auch und gerade – Berücksichtigung der durch die Mitarbeiter benannten Problemfelder und deren Vorschläge zur Lösung hingewiesen. Mit Beginn und der Bearbeitung der einzelnen Innovationsprojekte sind diese Fragestellungen vakant und müssen zukünftig beantwortet werden. 10
Fazit
Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen – so heißt die Langform des Akronyms BMInno, dessen inhaltliche Ausgestaltung und operative Umsetzung von Innovationsprozessen als Grundlage dieses Buchbeitrages dient. Dabei können Innovationsprozesse von ihrer Ausprägung her als relativ weit gefasst werden. Innovationen betreffen eben nicht mehr nur die Entwicklung neuer Produkte oder eine weitergehende Technisierung und Automatisierung. Gehören aber auch Vorgehensweisen in einem Unternehmen dazu, die beispielsweise die Qualitätssicherung, die Verbesserung der Kommunikation oder die Vermeidung von Reibungsverlusten zwischen den Abteilungen zum Thema haben – also ganz normale Aufgaben eines Unternehmens, sozusagen „08/15-Themen“? Sind diese Themen tatsächlich „innovativ“, also neu und aufregend, modern und trendy? In der wissenschaftlichen Diskussion mögen hier verschiedenen Meinungen aufeinander prallen und die Frage „Was ist Innovation?“ auf der akademischen Ebene mit These und Antithese, mit Für und Wider behandelt werden. In der beobachteten Praxis jedoch, quasi als teilnehmender Beobachter, stellt sich diese akademische Frage nicht. Denn hier gilt eine einfache Antwort: Innovativ ist, was in einem Unternehmen so noch nicht durchgeführt wurde.
Flowserve – Ein Fahrplan zu noch besserer Qualitätssicherung
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Dies trifft auf Flowserve zu: Alle Vorhaben, die angegangen wurden, haben andere Unternehmen in vielen Bereichen vielleicht schon durchgeführt und sind ausgestanden, für Flowserve dagegen waren sie neu und zielführend, damit bestandssichernd und Grundlage für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Die anfängliche Skepsis der Mitarbeiter konnte durch den tatsächlichen Beginn und die Umsetzung des Innovationsprozesses, der das gesamte Unternehmen betrifft, in Teilen überwunden werden. Insbesondere die Initiative des Betriebsrats bei den Themenfindungsprozessen, der darüber hinaus auch regulierend in die Prozesse eingriff (Schutzfunktion) und gleichzeitig als Multiplikator und Vertrauensbildner auftrat, sowie die bewusste Miteinbeziehung der Beschäftigten in die Prozesse und Einzelprojekte trugen sicherlich zur auch „inneren“ Teilnahme der Belegschaft bei. Darüber hinaus kann hier auch von einem Beitrag durch die Miteinbeziehung eines externen Beraters im Rahmen des Forschungsvorhabens BMInno für die Auslösung eines Innovationsprozesses gesprochen werden. Die Beratung kam von außen, hatte deshalb eine objektive Sichtweise und war somit unvoreingenommener (Sparrings-)Partner für Betriebsrat und Geschäftsführung. Als externer Ansprechpartner war er aus diesem Grund in der Lage, aufgeworfene Fragestellungen zu diskutieren und Vorschläge zu deren Ausprägungen und ihrer Bearbeitung zu machen – all dies in der komfortablen Situation, unabhängig zu agieren und querzudenken und somit einige eingefahrene Wege, wie sie in jedem Unternehmen zu beobachten sind, umgehen zu können. Das Thema Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen bei Flowserve ist höchst aktuell und noch nicht abgeschlossen. Abzuwarten ist hier, inwiefern der Nachhaltigkeitsgedanke weiter vorangetrieben wird, denn Innovationsprozesse bedeuten vor dem Erfolg der Zielerreichung auch Arbeit, Initiative, Einmischung, Irrwege und deswegen letztendlich das Auffinden des für das Einzelunternehmen richtigen Weges. Mit Hilfe und Unterstützung von Betriebsräten und Mitarbeitern hat Flowserve in einer beteiligungsorientierten Weise schon mehr als den Anfang hinter sich gebracht.
Teil II: Altes neu denken – Erfahrungen mit Projekten für erfolgreiche Prozessinnovation
Lufthansa Technik (LHT) – Änderungen sind keine Entwicklung: Erfahrungen mit Lean-Production-Systemen aus Sicht der betrieblichen Interessenvertretung Kai Deutzmann
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Das Unternehmen Lufthansa Technik
Die Lufthansa Technik AG ist ein Unternehmensverbund von mehr als 30 Unternehmen mit insgesamt 26.000 Mitarbeitern, die weltweit tätig sind. Das Unternehmen entstand Mitte der 1990er Jahre im Rahmen einer Aufteilung des Lufthansa Konzerns in sieben eigenständig operierende Geschäftseinheiten. Dies geschah schon damals mit der Begründung, die Wettbewerbsfähigkeit des Lufthansa Konzerns zu sichern: Aus dem Technikressort entstand Ende 1994 die selbstständige Aktiengesellschaft Lufthansa Technik (LHT). Auch heute noch ist die Lufthansa der größte Kunde der Lufthansa Technik und der alleinige Anteilseigner. Gleichzeitig aber hat sich das Geschäft mit Kunden außerhalb des Lufthansa-Konzerns sehr dynamisch entwickelt und macht inzwischen mehr als die Hälfte des Umsatzes aus. Mit der zunehmenden Internationalisierung des Luftfahrtgeschäfts hat sich auch die LHT internationaler ausgerichtet. Bei der Lufthansa Technik AG in Deutschland sind heute ca. 11.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon ca. 6.600 am Standort Hamburg. Der Rest arbeitet in Tochtergesellschaften, die zunehmend im Ausland ansässig sind. Das Kerngeschäft des Unternehmens sind Dienstleistungen rund um die technische Wartung von Flugzeugen. Die Lufthansa Technik AG als weltgrößter Dienstleister für den technischen Support von Flugzeugen ist aber weit mehr als ein Wartungsbetrieb. Neben Instandhaltungs- und Entwicklungsbetrieb ist die LHT auch Hersteller von Luftfahrzeugteilen. Aus dieser Dreifachkompetenz schöpft die LHT Potenzial zur Eigenentwicklung neuer Dienstleistungen und Produkte. Die LHT differenziert sich in sechs Geschäftsbereiche: Wartung: Die technische Wartung ihrer Flugzeuge ist für den sicheren, pünktlichen und wirtschaftlichen Flugbetrieb einer Luftverkehrsgesellschaft ein absolutes Muss. Die LHT unterhält an mehr als 60 Flughäfen in Deutschland und weltweit Wartungsstationen für Checks von Kundenflugzeugen. Fahrwerk: Der Geschäftsbereich sichert an vier Standorten die globale Versorgung mit allen Dienstleistungen rund um das Fahrwerk eines Flugzeugs. Spätestens nach acht bis zehn Jahren sind ein Ausbau und eine intensive Überholung des Fahrwerkes notwendig.
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Kai Deutzmann
Komponenten und Logistik: Die Versorgung mit Ersatzteilen ist eine Voraussetzung für eine rasche und zuverlässige Flugzeugwartung. Auf dem Gebiet der Reparatur von Flugzeugkomponenten und der Materialwirtschaft setzt LHT den Maßstab. Flugzeugüberholung: LHT und ihre Tochterbetriebe in Irland, Ungarn, Bulgarien, auf Malta und den Philippinen, sowie das Joint Venture AMECO in China führen regelmäßig Überholungen von Flugzeugen aus. Dabei handelt es sich um die größten und aufwändigsten Ereignisse der Luftfahrzeuginstandhaltung. Triebwerke: LHT ist einer der weltweit führenden herstellerunabhängigen Anbieter in der Triebwerksinstandhaltung. Um bei den gewaltigen Kräften eine entsprechende Zuverlässigkeit zu gewährleisten, ist eine fortwährende Überprüfung und Wartung notwendig. VIP-Flugzeuge: Die Betreuung von VIP-, Geschäfts- und Regierungsflugzeugen hat bei der LHT eine über 50-jährige Tradition. Es werden maßgeschneiderte Innenausstattungen für Standardrumpf-Flugzeuge, Großraumflugzeuge und kleinere Geschäftsflugzeuge angefertigt. Die Erfolgsgeschichte der Lufthansa Technik mit einem anhaltenden Wachstumsprozess in den letzten 15 Jahren darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich das Unternehmen in einem auch über den Preis, die Durchlaufzeiten und die Kosten geführten weltweiten Wettbewerb befindet. Die verfolgte Strategie des Aufbaus eines internationalen Verbunds sichert die Möglichkeiten, auf Kundenwünsche flexibel zu reagieren und Unterschiede in den Produktionskosten zu nutzen. Sie eröffnet dem Unternehmen aber auch Optionen zu einer Verlagerung der Produktion an kostengünstigere Standorte. Die deutschen Standorte stehen daher in einem dauernden Druck, durch Produkt- und Prozessinnovationen zu günstigeren Kostenstrukturen zu kommen. Ein Ansatz hierfür sind Projekte für eine „schlankere“, verschwendungsarme und effizientere Produktion. Die aus der Massenfertigung stammende Idee der Lean Production wurde hierzu in den letzten zehn Jahren Schritt für Schritt auf die Lufthansa Technik übertragen. Dabei sind das Vorgehensmodell bei LHT und die besonderen Erfahrungen bei der Anwendung von Lean-Methoden auf einen durch Einzelfertigung und großes Detailwissen geprägten Betrieb interessant. Uns geht es im Folgenden aber vor allem auch um die Frage, welche Möglichkeiten Beschäftigte und Betriebsrat in einem solchen vorrangig von Effizienz- und Kostensenkungsinteressen geprägten Prozess haben, um ihre Interessen an guter Arbeit einzubringen. In ganz klassischer Formulierung: Geht es nur um Verwertungsinteressen des „Kapitals“ oder gibt es auch Gestaltungsspielräume im Sinne der Arbeitnehmer?
LHT – Änderungen sind keine Entwicklung: Erfahrungen mit Lean-Production-Systemen 49
Bevor wir am Ende versuchen, auf diese Frage eine zumindest vorläufige Antwort zu geben, soll im Folgenden zunächst beschrieben werden, wie das Lean-ProductionSystem bei LHT eingeführt worden ist und welche Möglichkeiten einer Beteiligung dabei für Mitarbeiter und Betriebsrat geschaffen wurden. 2
Lean bei LHT – Das Lufthansa Technik Lean-Production-System
Lean-Methoden und -Ansätze zu einer systematischen Optimierung aller Abläufe werden seit mindestens 2002 in den Produktionsbereichen der LHT angewandt. Zu Beginn wurde im Jahr 2002 im Bereich der Flugzeugwartung unter dem Namen „LOS!“ („Leistung durch Ordnung und Sicherheit“) ein auf 5S-Maßnahmen1 und erste Prozessverbesserungen ausgerichtetes Programm begonnen. Ab 2005 wurde mit der Triebwerksüberholung und der Erweiterung der „LOS!“-Aktivitäten in der Flugzeugwartung begonnen, große Geschäftsbereiche konsequent mit Lean-Werkzeugen zu optimieren. Dies erfolgte anfänglich unter Einsatz externer Beratung. Danach folgte im Jahr 2007 das Vorhaben „LIFT“ („Lieferung in fünf Tagen“) in der Geräteüberholung und „Lean“ in der Flugzeugüberholung, 2008 gefolgt vom Projekt „iDeliver“ in der Fahrwerksüberholung und schließlich „Lean“ im Geschäftsbereich VIP, Geschäftsund Regierungsflugzeuge. Obwohl die Lean-Projekte immer ganz klassisch gemäß den fünf Ansätzen
Standardisierung, Kontinuierliche Verbesserung, Erhöhung der Transparenz, Erreichen verschwendungsfreier Prozesse und Stärkung von Führung und Teamgeist
vorangetrieben wurden (vgl. Drew, McCallum & Roggenhofer, 2005), war zu Beginn ein dezentraler Ansatz gewählt worden. Ohne zentrale Koordination entwickelten die Geschäftsbereiche zunächst eigene Herangehensweisen an das Thema „Lean“ sowie teilweise eigene methodische Schwerpunkte. Aufgrund der durch die Geschäftsleitung erkannten Potenziale dieses Ansatzes, lag es in einem so großen Unternehmen nahe, den Lean-Prozess, die gewonnenen Erfahrungen und die interne Projektorganisation
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Die 5S-Methode ist ein strukturierter Prozess, der in fünf Schritten zu einem gut organisierten und sauberen Arbeitsplatz bzw. Arbeitsbereich führen soll. Die „5S“ stehen dabei für „selektiere/ sortiere aus“, „sortiere/stelle hin“, „säubere“, „standardisiere“ und „Selbstdisziplin“.
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Kai Deutzmann
dauerhaft im Unternehmen zu verankern und weniger auf externe Berater zur Durchführung von Lean-Projekten zu setzen. Das Ziel des Vorhabens ist es, in weiteren Schritten die Lean-Durchdringung des ganzen Unternehmens zu erreichen. Lean soll in die tägliche Steuerung des Unternehmens integriert und Teil der LHT Kultur werden. Von der beschriebenen Experimentierphase mit Lean-Projekten in ausgewählten Bereichen will das Unternehmen durch eine systematische Einführung in alle Bereiche umfassend zu einer Umsetzung messbarer Abläufe und Verbesserungsprozesse kommen. Mit Beginn des Jahres 2008 entwickelte das Unternehmen daher eine eigene zentrale Lean-Organisation, die unmittelbar an den für Produktion verantwortlichen Vorstand angebunden ist. Das vom Management eingesetzte Lean-Team begann systematisch damit, alle Materialien und Erfahrungen zusammenzutragen, zu sichten und nach Best-Practice-Kriterien zu verdichten. Ein Teil dieser Bemühungen war Anfang 2009 die Veröffentlichung eines internen Handbuchs „LHT Lean Production System“, in dem die gesammelten Erfahrungen nachvollziehbar dokumentiert sind und durch Arbeitshilfen ergänzt werden. Ein weiterer Schritt war die Gründung einer LeanAcademy zur Verstetigung des Prozesses durch interne Schulung von Vorgesetzten, eigenen Experten, Spezialisten und Multiplikatoren in allen Bereichen. Um der wahrgenommenen Vielfältigkeit der Prozesse im Unternehmen auch in dem Handbuch gerecht zu werden, werden dort drei grundlegend unterschiedliche Produktionstypen bei der LHT unterschieden. Für jeden dieser drei Produktionstypen sind dann jeweils geeignete Methoden beschrieben, wie bei Lean-Veränderungsprozessen vorzugehen ist: bei Produktion im Rahmen von Projektarbeit, bei der für LHT typischen Werkstattproduktion und bei der flugplanabhängigen Produktion. Der Lean-Ansatz der LHT folgt dabei der Annahme, dass die gewünschte Wirkung nur erreicht wird, wenn das technische System (Prozesse, Betriebsmittel usw.), die Management Infrastruktur (formale Strukturen, Steuerung usw.) und der individuelle Bereich, d.h. Einstellungen und Fähigkeiten gleichzeitig und gleichrangig betrachtet werden. Erst die Kombination dieser drei Elemente soll den nachhaltigen Erfolg sichern. LHT hat große Anstrengungen unternommen, ein einheitliches Vorgehensmodell zu entwickeln, das die bisher gemachten Erfahrungen aufnimmt und vereinheitlicht, um sie leicht auf andere Bereiche übertragen zu können. Gleichzeitig soll das Vorgehensmodell auch flexibel genug sein, um möglichst überall einsetzbar zu sein. Vier Schritte sind häufig zu beobachten:
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Auswahl eines Bereichs und Zielfestlegung (was soll mit dem Lean-Projekt erreicht werden? Aufbau einer „Change-Story“) Entwicklung einer Programm-Architektur für den Bereich (inklusive einer Diagnose, Beschreibung des Ist- und Zielzustands, Festlegung des Vorgehens im Veränderungsprozess) Start von Transformationsprojekten mit den Phasen Vorbereitung, Diagnose, Gestaltung, Planung, Umsetzung und Stabilisierung der Ergebnisse sowie Etablierung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses In der Praxis heißt dies, dass abgeleitet aus den Zielen der Geschäftsbereiche eine Programmarchitektur für zwei bis drei Jahre entwickelt wird. Dazu wird einerseits geplant, welche einzelnen Projekte zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden und anderseits, welche übergreifenden Themen, wie z.B. die Ausbildung der Projektmitglieder in Lean-Methoden, berücksichtigt werden müssen. Nach Festlegung der Ziele folgen konkrete Änderungsvorhaben und Transformationsprojekte, deren Laufzeit ein Vierteljahr nicht überschreiten soll. Transformationsprojekte werden bei Bedarf durch Arbeitsgruppen zu einzelnen Sonderthemen unterstützt. Jedes Transformationsprojekt gliedert sich in sechs exakt beschriebene Phasen. Dass im Vorgehensmodell der LHT auf diese umfassenden Transformationsprojekte statt auf die in anderen Kontexten auch üblichen Abfolgen von mehreren, meist einwöchigen „KVP-Workshops“ (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) gesetzt wird, folgt aus der in der beschriebenen anfänglichen „Experimentierphase“. Dort wurde erkannt, dass gerade eine Änderung der „Management Infrastruktur“ sowie der „Einstellungen und Fähigkeiten“ nicht in solch kurzen Workshops erreicht werden kann. In der Vorbereitung werden abgestimmte Projektziele mit den zuständigen Managementvertretern entwickelt und das Projektteam eingesetzt. Dem folgen die Untersuchungs- und die Gestaltungsphase. Ausgehend von der Ausgangslage werden Potenziale identifiziert und Hypothesen zu Lösungsansätzen gebildet. Darauf folgt die Entscheidung zum Gesamtkonzept mit den anzuwendenden Stellhebeln. Nach einer detaillierten Durchführungsplanung folgt die kontrollierte Umsetzung mit dazugehörender Kontrolle der Ergebnisse. In der anschließenden Stabilisierungsphase wird die Übergabe der Projektergebnisse gesichert. Abgeschlossen werden die einzelnen Veränderungen mit Maßnahmen, die der Nachhaltigkeit und der Weiterentwicklung dienen. Es erfolgt ein Controlling, ob die wirtschaftlichen Ziele auch erreicht wurden. Das heißt, ob z.B. die Durchführung eines Flugzeug-Checks in kürzerer Zeit erfolgt oder ob andere Kosteneinsparungen erreicht wurden.
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Um eine möglichst breite, flächendeckende und schnelle Umsetzung von LeanProjekten im Unternehmen zu ermöglichen, wurde mit der Lean-Academy eine eigene Schulungsorganisation aufgebaut. Das Bildungsangebot bietet Grundlagen- und Spezial-Module und steht allen Mitarbeitern zur Verfügung. Die angebotenen Trainingsmodule werden im Rahmen von Transformationsprojekten eingesetzt. Der Methoden-Mix aus theoretischer Einführung, Fallstudien und Praxisbeispielen, Planspielen und Simulationen wird von der praktischen Anwendung des Gelernten im Unternehmen oder in einer Modellwerkstatt begleitet. Die Wissensvermittlung erfolgt durch interne LeanExperten. Im ersten Jahr der Lean-Academy wurden auf diese Weise Schulungen im Umfang von über 1.300 Mitarbeitertagen durchgeführt. Bei der internen Qualifizierung für Lean-Projekte wird bei LHT eine Zertifizierung vergeben. Es werden die Grade Praktiker, Moderator, Spezialist und Experte unterschieden, die jeweils mit definierten Erfahrungen, Kompetenzen und Verantwortung verbunden sind Trotz der weit entwickelten zentralen Vorgaben bei den Lean-Projekten haben die einzelnen Bereiche Gestaltungsspielräume in der praktischen Umsetzung. So wurde im Geschäftsbereich VIP mit einem Handbuch „Projektmanagement“ ein Standard für die komplexen Abläufe, Wechselwirkungen, Rollen und Verantwortlichkeiten bei Kabinenausbauten und der Flugzeuginstandhaltung entwickelt und eingeführt. Eigene Auditierungs- und Evaluationsmaßnahmen und eine definierte Aus- und Fortbildung der Projektmitglieder mit anschließender Zertifizierung tragen den besonderen Bedingungen in diesem Geschäft Rechnung. Durch die Einführung einer Lean-Organisationseinheit und dem damit verbundenen systematischen „Ausrollen“ von Projekten über die einzelnen Geschäftsbereiche beschleunigte sich der ganze Prozess bei der LHT erheblich. Die Geschäftsführung hatte dem Betriebsrat von Beginn an angeboten, an den Lean-Projekten der einzelnen Betriebsteile teilzunehmen. In der Praxis führte dies angesichts der Vielfalt der Einzelmaßnahmen und der großen Zahl der betroffenen Bereiche zu einer fast unüberschaubaren Situation für den Betriebsrat. 3
Die Ausgangslage für die Interessenvertretung am Standort Hamburg
Der Betriebsrat fand schnell zu einem grundsätzlichen Konsens in der Beurteilung der Lean-Projekte: Er sieht die Bedeutung der Lean-Prozesse für die Konkurrenzfähigkeit und die Stärkung der Wettbewerbsposition des Unternehmens. Er sieht aber gleichzeitig auch die damit verbundenen Anforderungen an die Mitarbeiter des Unternehmens
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und die vielfältigen Veränderungen in Arbeitsabläufen einerseits und Qualifikationsprofilen andererseits. Ein weiteres Risiko besteht in der Gefährdung bestehender Arbeitsplätze, falls sich bei Erhöhung der Effizienz das prognostizierte Wachstum nicht oder nicht im gewünschten Maß einstellt. Vor diesem Hintergrund hat der Betriebsrat es von Anfang an als seine Aufgabe begriffen, den Lean-Prozess zu begleiten und mitzugestalten. Der Betriebsrat stand und steht dabei in einer ambivalenten Entscheidungssituation: Lean-Projekte können effizienzsteigernd sein und reale Verbesserungen in den Abläufen erreichen. Sie tragen dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit des Kernbetriebs in Deutschland zu sichern. Solange diese Projekte nicht zu Lasten der Mitarbeiter gehen, trägt der Betriebsrat die Lean-Anstrengungen mit, zumal auch vom Management eine Beteiligung der Mitarbeiter bei allen Lean-Projekten angestrebt wird. Lean kann aber auch zu einer einseitigen Leistungsverdichtung genutzt werden. Der Betriebsrat hat hier eine Schutzfunktion und will solche Leistungsverdichtungen möglichst verhindern, d.h. er will als Ansprechpartner für die Mitarbeiter in den Projekten sichtbar sein, Beteiligung wahrnehmen und für Mitarbeiterinteressen eintreten. Anfang 2008 erzeugte die Vielzahl der gleichzeitig laufenden Lean-Projekte im Unternehmen beim Hamburger Betriebsrat der LHT mehr und mehr das Gefühl, den Überblick zu verlieren. Mehr als sieben verschiedene Unternehmensberatungen arbeiteten zu dieser Zeit in unterschiedlichen Bereichen an dem Thema Lean. Der Betriebsrat am Standort Hamburg besteht aus 33 Mitgliedern. Das Gremium ist traditionell arbeitsteilig und kompetent in Fachausschüsse für Arbeitssicherheit, Arbeitszeit, Berufsbildung, EDV, personelle und soziale Angelegenheiten aufgestellt. Was fehlte, sind Arbeitszusammenhänge, die wie eine geschweifte Klammer diese Kompetenzen bündeln, um abgestimmt mit den vielschichtigen Anforderungen aus den Änderungsprojekten umgehen zu können. Nach langer Diskussion entschied sich der Betriebsrat, dem geschäftsführenden Gremium, dem Betriebsausschuss, die notwendigen Befugnisse dafür zu übertragen. Damit waren zumindest organisatorische Voraussetzungen geschaffen, anders mit den Änderungsvorhaben des Betriebes umzugehen. Der Betriebsausschuss sollte auch als Ansprechpartner und Forum für die Verantwortlichen der betrieblichen Veränderungsprojekte fungieren, um eine schnelle Mitarbeit bei Klärung mitbestimmungspflichtiger und personalrelevanter Themen zu ermöglichen.
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Kai Deutzmann
Aus Sicht des Betriebsrats hat der Betriebsausschuss bei den Lean-Projekten drei Aufgaben: Sicherstellung der mit der Geschäftsführung vereinbarten Begleitung der Arbeit der Lean-Projektteams Vermittlung der notwendigen Kenntnisse und Herstellung von Transparenz für die Auswirkungen der Lean-Projekte im gesamten Betriebsrat Diskussion und Klärung der offenen Punkte, bei denen der Betriebsrat in der Umsetzung des Lean-Konzeptes gefordert ist Bei der Bewältigung dieser Aufgaben beschloss der Betriebsrat, sich professionell von einem Berater begleiten zu lassen, um seine Vorstellungen einer Umsetzung des LeanKonzeptes in Management- und Personalprozesse aktiv einzubringen. Diese Forderung konnte Anfang 2009 auch gegenüber der Geschäftsleitung durchgesetzt werden, da diese an einer reibungslosen Einführung der Lean-Projekte interessiert war und einheitliche Regelungen für das ganze Unternehmen schaffen wollte. 4
Regelungsbereiche
Aus Sicht des Betriebsrats und des Betriebsausschusses gibt es drei sich überschneidende Regelungsbereiche, die im Rahmen der bei Lean-Projekten beabsichtigten Veränderungen der Arbeitsabläufe zu betrachten sind und bei denen aus Sicht des Betriebsrats ein Mitbestimmungsrecht vorliegt: Bestimmung der Durchlaufzeiten und Taktung von Aufträgen und Projekten, Messung der Leistungen ganzer Bereiche und einzelner Mitarbeiter sowie Festlegung betrieblicher Kennzahlen und Leistungsdialog, Steuerung von Kapazitäten und Steuerung von Qualifikationsanforderungen Die Erfahrung mit den Lean-Projekten bei LHT zeigt, dass es in allen drei Bereichen notwendigerweise zu großen und kleinen Veränderungen kommen kann, die ganz praktische Auswirkungen auf Arbeitszeitgestaltung, Entgelt, Qualifikationsanforderungen, Ausbildung und eine Vielzahl von anderen Fragen haben können. An einigen Beispielen soll im Folgenden gezeigt werden, welche Art von Vereinbarungen und Regelungen bei LHT vom Betriebsrat getroffen wurden, um die Interessen des Unternehmens an möglichst hohen Produktivitätsgewinnen und die Interessen der Mitarbeiter an guten Arbeitsbedingungen und realistischen Arbeitsvorgaben in Einklang zu bringen: Typisch ist die Frage der Durchlaufzeiten für einzelne Aufträge und die Taktung der Arbeitsaufgaben im Tages-, Wochen- und Monatsrhythmus. Das Ziel, die Wartungs-
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zeit eines Flugzeugs zu verringern, ohne die Kosten und den Personaleinsatz zu erhöhen, ist aus Sicht des Unternehmens und des Kunden leicht verständlich. Die Kosten für den Kunden können sinken und der Ertrag kann steigen. Aber wie wird dieses Ziel technisch erreicht? Gibt es echte Verfahrensänderungen und Zeitgewinne durch Optimierung von Produktionsmitteln und komplexen Abläufen? Oder werden nur klammheimlich die Vorgabezeiten für einzelne Arbeitsschritte verringert bzw. die Vorgaben dafür erhöht, was ein Team in einer bestimmten Zeit zu schaffen hat? Um sicherzustellen, dass es nicht zu einer einseitigen Leistungsverdichtung für die Beschäftigten kommt, hat der Betriebsrat bei dem Themenkomplex der Durchlaufzeiten und der Taktung mit den Leitungen der Produktionsbereiche verabredet, dass die in den Änderungsprojekten dokumentierten Inhalte (Arbeitsmenge, Zeiten und Verfahren zu deren Ermittlung) als vereinbarter Leistungsstand genau festgehalten werden. Bei jeder zukünftigen Änderung ist wieder ein zweistufiger Prozess der rechtzeitigen Information des Betriebsrats mit der anschließenden gemeinsamen Beratung über die Auswirkung auf die betroffenen Arbeitnehmer notwendig (§90 BetrVG). Da es bei LHT kaum größere Serien in der Fertigung gibt, sondern weitgehend ein Werkstattprinzip mit Einzelfertigung und Projektarbeit vorherrscht, ist das Thema der Leistungsmessung kompliziert. Es kommt eine Vielzahl von Methoden zum Einsatz, die von der Selbstaufschreibung und der Arbeitsplatzbeobachtung bis zur Messung einzelner Vorgänge an Maschinen reichen. Um hier Verfahrenssicherheit zu bekommen, hat der Betriebsrat vorgeschlagen, eine Betriebsvereinbarung „Lean Production“ mit dem Unternehmen abzuschließen. Wesentliche Inhalte aus Arbeitnehmersicht sind der Ausschluss individueller Leistungs- und Zeitvorgaben, die Beteiligungsorientierung des Vorgehens, weitgehende Vereinbarung von Freiwilligkeit der Teilnahme bei Befragungen und Beobachtungen und die Anonymisierung der Ergebnisse. Für den Betriebsrat ist darüber hinaus wichtig, dass ihm ein Initiativrecht eingeräumt wird, seinerseits Untersuchungen anzuregen, wenn die Vermutung besteht, dass LeanProjekte einseitig ausgelegt werden. Zusätzlich wurde in der Betriebsvereinbarung die Beteiligung des Betriebsrats an den Steuerungsgremien der Lean-Projekte in allen Produktions- und Verwaltungsbereichen vereinbart. Für mögliche zukünftige Differenzen wurde die Einrichtung einer paritätischen Konfliktlösungskommission vereinbart. Damit sind in der Betriebsvereinbarung gegenüber der gesetzlich vorgeschriebenen Mitbestimmung deutlich erweiterte Rechte des Betriebsrats festgelegt. Die Betriebsvereinbarung präzisiert in einem Anhang Regeln zur Durchführung einzelner
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Untersuchungsmethoden, die im Vorfeld mit dem Betriebsrat erarbeitete Standards z.B. zu Multimomentaufnahmen, Interviews und Schichtbeobachtungen aufgreifen. Eine zweite Betriebsvereinbarung zum Themenkomplex „Personalgespräche und Leistungsmessung“ betrifft Regelungen zum sogenannten „projektbezogenen Feedback“ des Geschäftsbereichs für VIP-Flugzeuge. Bei LHT ist es üblich, dass die Projektleiter in festgelegten Abständen Mitarbeitergespräche zur Leistungsbeurteilung durchführen. Die Rückmeldung des Projektleiters aus diesen Gesprächen erfolgt einerseits in Richtung der Teilprojektleiter und anderseits an die Linienverantwortlichen, die Mitarbeiter in das Projektteam abstellen. Für diese Feedbackgespräche ist es wichtig, die mit dem Betriebsrat abgestimmten und im Handbuch „Projektmanagement“ beschriebenen Rollen, Prozesse und Standards einzuhalten. Denn in diesem Arbeitsumfeld arbeiten die Projektmitarbeiter überwiegend mit einer leistungsvariablen Vergütung, für die es ebenfalls eine Betriebsvereinbarung gibt. Ein dritter wichtiger Regelungskomplex betrifft die sich bei den verschiedenen Änderungsmaßnahmen ergebenden neuen Anforderungen an vorhandene Kapazitäten (Arbeitszeit, Kenntnisse, Fähigkeiten, Qualifikation, formale Berechtigung), um Mitarbeiter anders und/oder flexibler einsetzen zu können. Dies zielt im Wesentlichen auf Anpassungen im Bereich der Arbeitszeitgestaltung, der Qualifikationsdurchdringung und/oder des zeitweiligen Einsatzes der Mitarbeiter.2 Der Betriebsrat will bei diesen Diskussionen neben der Bearbeitung der Sach- und Mitbestimmungsfragen gleichzeitig die notwendige Balance zwischen den betrieblichen Forderungen und den Wünschen der Beschäftigten herbeiführen. Im Einzelfall geht dies so weit, dass für entfallende Arbeitsplätze in einem Arbeitsbereich im Rahmen eines Interessenausgleiches an anderen Stellen im Unternehmen entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen mit der Geschäftsleitung entwickelt und vereinbart werden. Denn es ist völlig klar, dass ein Lean- Ansatz in der Praxis Veränderungen auf breiter Front erreichen muss, um erfolgreich zu sein. Diese Veränderungen können auch Nachteile für einzelne Mitarbeiter bringen, die auszugleichen sind.
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Themen der Arbeitszeitgestaltung sind bei der LHT formal unabhängig von Lean-Projekten in einer Rahmenvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und einer Rahmenvereinbarung Langzeitkonto geregelt. Sie werden durch eine Vielzahl, an die Bedingungen der Arbeitsbereiche angepasste und konkretisierende Betriebsvereinbarungen flankiert. Ein Teil dieser Konkretisierungsvereinbarungen, z.B. bei Einführung von getakteten Produktionslinien, resultieren aber praktisch aus Ergebnissen der Lean-Projekte und werden vom Fachausschuss des Betriebsrats für Arbeitszeitregelungen im Rahmen seiner Aufgaben mitbestimmt.
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Bisher zielen die Lean-Projekte überwiegend auf die einzelnen Produktionsbereiche. Die Qualifikations- und Erfahrungsanforderungen in den jeweiligen Arbeitsbereichen sind luftrechtlich normiert und werden durch u.a. von der LHT erteilte sogenannte Berechtigungen für die jeweiligen Mitarbeiter dokumentiert. Ziel des Unternehmens ist, Mitarbeiter zur besseren Auslastung möglichst breit und an wechselnden Orten einsetzen zu können. Um eine solche höhere Flexibilität beim Einsatz der Mitarbeiter zu ermöglichen, sind zunächst die Voraussetzungen für den Einsatz im Zielbereich festzustellen, diese mit den infrage kommenden vorhandenen Qualifikationsprofilen zu vergleichen und die notwendigen Schulungsmaßnahmen abzuleiten. Diese Arbeit und die Entwicklung einer passenden Qualifikationsmatrix werden vom Fachausschuss für Berufsbildungsfragen zusammen mit der Geschäftsleitung geleistet. Offen bleiben aber Fragen zur Auswahl der Personen, der Vorankündigungszeit, der Dauer der Abstellung, der Einweisung im zugewiesenen Arbeitsbereich, der Ansprechpartner im Zielbereich und der Beobachtung der Wirksamkeit der Maßnahme. Zu diesen Punkten hat der Betriebsausschuss mit den verantwortlichen Leitern Spielregeln vereinbart und diese über Aushänge in den Arbeitsbereichen veröffentlicht. Wichtig war dem Betriebsrat, eine Möglichkeit für Mitarbeiter zu schaffen, freiwillig in einen benachbarten Arbeitsbereich mit Einlastungsspitzen zu wechseln. Die Beschäftigten können so bei fehlender Einlastung ihres Arbeitsbereiches individuell erreichte Zeitguthaben erhalten. Der Betriebsrat erwartet, dass sich durch diese Verabredung der Druck auf die Arbeitszeitgestaltung mindert und eine bessere durchschnittliche Auslastung von Personalkapazitäten erreicht wird. Ein zweites Beispiel für eine Regelung mit Potenzial für die Mitarbeiter: In einem Fertigungsbereich war es in der Vergangenheit üblich, dass die aufwändigen Werkstücke von einem Hauptverantwortlichen vom ersten Rohbau bis zum finalen Einbau in die Flugzeugkabine begleitet wurden. Nach der Umstellung im Lean-Prozess durchlaufen die Werkstücke nun mehrere spezialisierte Arbeitsplätze und werden von einem Mitarbeiter an einen anderen übergeben. Dies kann auch zu Auswirkungen bei der Qualifikationsentwicklung an den Arbeitsplätzen führen. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit Mitarbeitern aus diesem Bereich wurde eine Idee entwickelt, wie einer möglichen Dequalifizierung der Betroffenen vorzubeugen ist. Dieser Ansatz wurde vom Betriebsrat aufgegriffen und mit der Geschäftsleitung in einer Regelungsabrede festgehalten. Hier werden Spielregeln für eine mögliche Arbeitsplatzrotation vereinbart und durch die Kopplung an die regelmäßigen Mitarbeitergespräche zu einem Instrument der Personalentwicklung gemacht.
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Hier wird deutlich, dass betriebliche Prozessinnovation als kleinteilige Arbeit zu verstehen ist, die die Beteiligung der „Experten in eigener Sache“, d.h. der Mitarbeiter, benötigt und an den Betriebsrat erhebliche Anforderungen stellt, neue und funktionierende Regelungen zu finden, ohne eine eigene Bürokratie zu schaffen. Dabei gilt es immer zu bedenken: Regelungsabsprachen und Betriebsvereinbarungen sichern nur Voraussetzungen für Beteiligung, nicht aber deren Erfolg in der Umsetzung. 5
Interne Diskussionen im Betriebsrat
Ein Betriebsratsgremium in einem großen Unternehmen ist in der Regel kein monolithisches Gebilde, sondern spiegelt ganz unterschiedliche Erfahrungen und auch Positionen wider. Die Diskussion zu Lean-Projekten findet bei Lufthansa Technik nach der beschlossenen organisatorischen Anpassung inzwischen überwiegend im Betriebsausschuss des Betriebsrats statt. Diesem Ausschuss gehören neun gewählte Betriebsräte und bis zu sieben weitere Mitglieder an. Der Betriebsausschuss entsendet einzelne Betriebsräte in die Projektsteuerungsgremien der Geschäftsbereiche, diskutiert Themen, die verallgemeinert werden können, und hat für spezielle Lean-Themen eine kleinere Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese besteht aus den Teilnehmern der Steuerungskreise und dem Berater des Betriebsrats. Eine solche Arbeitsteilung war notwendig, weil die Bewältigung der Material- und Terminmengen aller Lean-Vorhaben die einzelnen Betriebsräte zu überfordern drohte und den Ausschuss für alle anderen Themen blockierte. Die kleinere Lean-Arbeitsgruppe des Betriebsrats hat daher die Auswertung und Interpretation beispielhafter Projektdokumentationen übernommen. Es wurden eigene Beiträge und Veränderungsvorschläge für das Handbuch „LHT Lean Production System“ gemacht und eine Arbeitshilfe (Checkliste) für Betriebsräte erstellt, die sich zum ersten Mal näher mit den Lean-Projekten auseinandersetzen. Gerade bei Sichtung, Zusammenfassung und Bewertung der vorhandenen Informationen aus den Lean-Projekten war für den Betriebsrat auch die externe Beratung wichtig und hilfreich. Sie hat zusätzlich auch zu einer Entlastung und Vereinheitlichung der internen Diskussion im Betriebsrat geführt. Die Arbeitsweise, Detailfragen in einer kleinen Gruppe besonders Interessierter inhaltlich und methodisch vorzubereiten, um sie danach im größeren Kreis des Betriebsausschusses auch politisch zu bewerten, hat sich unausgesprochen etabliert und wird mehrheitlich getragen. Die Anbindung des gesamten Betriebsratsgremiums erfolgt
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durch eine regelmäßige Berichterstattung und eine allen Betriebsratsmitgliedern zugängliche Dokumentation der Ergebnisse. Trotz der intensiven Beschäftigung mit den Lean-Projekten und der grundsätzlichen Bereitschaft, Modernisierungsmaßnahmen mit zu tragen, steht jedes einzelne Projekt immer wieder unter dem Vorbehalt, dass sich negative Rückwirkungen auf den Arbeitsalltag vermeiden lassen. In den Diskussionen im Betriebsrat und im Betriebsausschuss ist die Strategie, sich so weitgehend auf Änderungsprojekte einzulassen, nicht unumstritten. Sie wird im Einzelfall kritisch hinterfragt und von Teilen des Gremiums auch zeitweilig ablehnend kommentiert. Diese Positionen speisen sich aus einer grundlegenden Skepsis, ob die Mitwirkung des Betriebsrats nicht notwendig zu einer langfristigen Übervorteilung der Interessenvertretung führt. Diese Ansicht wird durchaus auch von einigen Teilen der Belegschaft geteilt und führt zu Diskussionen, in denen sich Betriebsräte rechtfertigen müssen, warum sie einzelne Maßnahmen mittragen. Trotz einer traditionell guten Kultur der Zusammenarbeit der Geschäftsleitungsvertreter mit dem Betriebsrat wird in diesem Zusammenhang von Mitarbeitern auf das grundsätzliche strukturelle Ungleichgewicht der Betriebsparteien verwiesen, das aus ihrer Sicht dazu führt, dass Kooperation nur Unterordnung unter die Logik der betrieblichen Optimierung bedeutet. Weitere Quellen für Vorbehalte in der Diskussion des Gremiums, aber auch in der Belegschaft, sind die durch den Anpassungsdruck als gestiegen empfundenen Belastungen in den Arbeitsbereichen und die Befürchtung, durch Beteiligung an den Optimierungsanstrengungen gegebenenfalls die eigenen Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Eine ganze Reihe komplexer Fragen steckt hinter diesen Sorgen: Wie soll sich der Betriebsrat verhalten, wenn sich der unterstellte Markterfolg trotz aller Effektivitätsbemühungen in Teilen oder ganzen Geschäftsbereichen nicht wie erwartet einstellt und das notwendige Mengenwachstum ausbleibt? In einem solchen Fall entstehen durch die aufgezeigten Optimierungspotenziale reale Gefahren für die Anzahl und Qualität der Arbeitsplätze. In den Diskussionen wird immer wieder die Frage nach geeigneten Indikatoren gestellt, die es gestatten, eine solche Entwicklung rechtzeitig zu erkennen. Wie ist mit den steigenden Leistungsanforderungen umzugehen? Aus den Einzelphänomenen einer älter werdenden Belegschaft nach dem Auslaufen der subventionierten Altersteilzeit und der Konzentration auf die besonders wertschöpfenden Tätigkeiten in Wechselwirkung mit weiteren Optimierungsbemühungen, verschärft sich die Knappheit von Arbeitsplätzen für leistungsgeminderte Mitarbeiter. Das ist eine allgemeine Herausforderung, spielt aber vor allem in den Arbeitsbereichen mit Schichtarbeit eine wesentliche Rolle, die in der LHT über 50 Prozent der Beschäftigung ausmachen. Diese Entwicklungen werden auch in der Belegschaft aufmerksam verfolgt und vom Betriebsrat wird er-
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wartet, dass er dazu Lösungsansätze entwickelt. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund des bei LHT ungeschriebenen Unternehmenswertes der lebenslangen Beschäftigung. Sehr genau wird von den Mitarbeitern beobachtet, auf welche Weise die Ideen der Mitarbeiter und ihre aktive Beteiligung in vielen Lean-Workshops die Projektergebnisse tatsächlich beeinflussen und ob dies für sie nachvollziehbar ist. Auf Dauer wird dies mitentscheidend sein für die Bereitschaft, sich zu beteiligen. Für den Betriebsrat ist die Möglichkeit der realen Gestaltung von Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen durch die Mitarbeiter ein Qualitätsmerkmal für den bei der LHT gewählten LeanAnsatz. Darüber hinaus dürfte eine positive Beurteilung der Lean-Projekte durch die Belegschaft auch ein wesentlicher Faktor dafür sein, ob eine geplante Nachhaltigkeitssicherung gelingt und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung entsteht. Ein im Betriebsrat und der Belegschaft besonders kritisch diskutierter Punkt ist der mit dem Lean-Ansatz zusammenhängende Anspruch an eine transparente Produktion. Denn einerseits wird befürchtet (und diese Befürchtung ist nahe liegend), dass so eine flächendeckende Leistungs- und Verhaltenskontrolle etabliert werde. Andererseits wird vermutet, dass es sich bei der bevorzugten Lean-Methode der visuellen Kontrolle um einen auf den Einzelnen gerichteten indirekten Steuerungsversuch handelt. Die emotionale Ablehnung einer durch Leistungsdialoge und Kennzahlentafeln organisierten Fremdsteuerung ist nachvollziehbar. Es muss sich in der Praxis zeigen, ob mit den Regelungen der Betriebsvereinbarung „Lean Production“ diese Gefahren beherrschbar werden und solche Befürchtungen wenig berechtigt sind. Nach den bisherigen Erfahrungen überwiegt in der betrieblichen Diskussion der Belegschaft mit dem Betriebsrat die Auffassung, auf dem richtigen Weg zu sein. Solche Stimmungen können sich allerdings schnell ändern, wenn es nicht gelingt, glaubwürdige Antworten auf die skizzierten Fragestellungen zu finden. Nur wenn dies gelingt, wird aus der Menge der Veränderungen für alle Beteiligten auch eine nützliche Entwicklung folgen. 6
Nächste Schritte: Kennzahlen zur Steuerung der Prozessfolgen von Lean?
Aus Sicht des Betriebsrats ist es unverzichtbar, dass neben den wirtschaftlichen Zielen bei den Lean-Projekten auch die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter gleichberechtigt mit in die Betrachtungen einfließt. Der Betriebsrat will daher sein in der Betriebsvereinbarung „Lean Production“ vereinbartes Initiativrecht nutzen, um zunächst in einem Pi-
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lotbereich gemeinsam mit den Bereichsverantwortlichen Kennzahlen zu erarbeiten und zu erproben, die in einfacher Form Auskunft über die Entwicklung der Auslastung und Kapazitätsnutzung einerseits und der Arbeitsbelastung andererseits geben können. Der Betriebsrat hat in einem ersten Ansatz mögliche Kennzahlen ausgewählt und beschrieben. Diese sind mit den Geschäftsleitungsvertretern des ausgewählten Pilotbereiches zu diskutieren, anzupassen und dann zu vereinbaren. Bei der Auswahl dieser Kennzahlen waren drei einfache Prinzipien maßgeblich: Die Kennzahlen sollten geeignet sein, den Zielerreichungsgrad für das jeweilige Ziel aus Mitarbeiterperspektive zu messen (also die Auslastung einzelner Arbeitsstellen und Bereiche und die damit verbundene Arbeitslast). Die Kennzahlen sollten in der Entwicklung durch Handlungen der Mitarbeiter beeinflussbar sein. Die Kennzahlen sollten möglichst ohne zusätzlichen Aufwand produzierbar sein. Vor diesem Hintergrund hat der Betriebsrat ein Pilotprojekt mit vier zusätzlichen Kennzahlen vorgeschlagen, die in das laufende Reporting im Lean-Review integriert werden sollen (z.B. durch ein zusätzliches Blatt, das zu jedem Review erstellt wird und das die Entwicklung der Kennzahlen zeigt). Dabei wurde eine technische Kennzahl ausgewählt, die die Einlastung des Bereichs aufzeigen soll, zwei Kennzahlen zur Ermittlung der Arbeitsleistung und eine zur Beobachtung der Arbeitsbelastung. Aus Sicht des Betriebsrats ist es unabdingbar, eine gute Auslastung der vorhandenen Kapazitäten in den Bereichen sicherzustellen. Effizienzgewinne durch Lean-Projekte sollen nicht zu ungewollten Leerläufen führen, sondern müssen gegebenenfalls in einem gesteuerten Prozess sinnvoll genutzt werden. Bei LHT mangelt es aus Erfahrung des Betriebsrats nicht an Kennzahlen, d.h. es ist möglich, vorhandene Kennzahlen, die Auftragsbestände messen, zu nutzen und zur Zahl der Mitarbeiterstunden (bzw. einer anderen sinnvollen Kennzahl zur Kapazitätsmessung) in Relation zu setzen. Wenn technisch möglich, sollte in diesem Zusammenhang eine Prognose der erwarteten Entwicklungen enthalten sein (für einen festgelegten Zeitraum). Eine übliche Kennzahl in der LHT ist die Produktivität je Mitarbeiter, gemessen als Verhältnis der Anwesenheitsstunden zur Gesamtzahl der auf Aufträgen geleisteten Mitarbeiterstunden. Diese Kennzahl soll die Nutzung der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft messen. Günstiger scheint aus Sicht des Betriebsrats eine Zahl, die die Wertschöpfung, also den im Betrachtungszeitraum geschaffenen neuen Wert je Mitar-
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beiter, ermittelt. Je höher der Wert, desto höher ist die Arbeitsproduktivität. So ließe sich auch das Verhältnis von Eigen- zu Fremdfertigung darstellen. Zusätzlich soll die Entwicklung von Arbeitszeitkonten herangezogen werden. Die LHT hat ein mit dem Betriebsrat vereinbartes Reportingsystem, das die Veränderung der Anzahl der Stunden auf AZ-Konten aufzeigt. Sehr viel schwieriger ist es, einen geeigneten Indikator zu finden, um die Belastung der Mitarbeiter festzustellen. Der Betriebsrat schlägt vor, hier in einer ersten Annäherung, die Gesundheitsquote zu beobachten und zu sehen, ob überhaupt Veränderungen feststellbar sind. Eine einfache Berechnung der Regelarbeitstage in Relation zu Ausfalltagen durch Arbeitsunfähigkeit ist zumindest ein grober Indikator. Aus Sicht der Mitbestimmung ist für die Überwachung von Kennzahlen eine Farbkennung hilfreich. Dabei werden für jede Kennzahl Wertebereiche definiert: Der dunkelgrüne Wertbereich zeigt Werte, die besser als ein definierter Grenzwert sind. Ist der Wert der Kennzahl schlechter als dieser Grenzwert, so wird dies hellgrün ausgewiesen und es bedarf einer Diskussion möglicher Folgen im Lean-Steuerungskreis. 7
Fazit
Die Mitwirkung des Hamburger LHT-Betriebsrats bei den Lean-Projekten folgt auch der Einsicht, dass das Management eines Unternehmens auch ohne Zustimmung der Mitbestimmung erhebliche Veränderungen einleiten und durchsetzen könnte, sofern sie betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheinen. Für den Erfolg und die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen bedarf es aber über diese faktische Möglichkeit hinaus der Kooperation größerer Teile der Belegschaft und geeigneter Instrumente für einen fairen Interessenausgleich. Ein Mangel des Lean-Ansatzes ist seine vorrangige Orientierung an messbaren Größen. Emotionale Aspekte und die Arbeitszufriedenheit haben unseres Erachtens einen erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft der Mitarbeiter sich auf Änderungen einzulassen. An dieser Stelle setzen üblicherweise die Handlungsmöglichkeiten einer gewählten Interessenvertretung an. Potentielle Gewinne durch Stabilität in der wirtschaftlichen Entwicklung werden vom Betriebsrat dabei höher bewertet als einzelne vorhandene Risiken. Ohne eine rechtzeitige Begleitung kann die ausschließliche Arbeit an den Schwachstellen eines technischen Systems (ungenutzte Arbeitszeit, überzählige Bestände, Reduzierung von Puffern, Optimierung des Kapitaleinsatzes) zu „Management by Stress“ führen und wegen mangelnder Akzeptanz scheitern. Erst die Möglichkeit der Beschäftigten, Arbeitsumfeld, Abläufe und Bedingungen tatsächlich mit zu gestalten, schafft
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die notwendige Zustimmung. Der Betriebsrat muss dabei den Anstoß für echte Beteiligungsmöglichkeiten geben und soweit nötig, Spielregeln mit den Prozessteilnehmern entwickeln. Ein offener Punkt in den Gesprächen mit der Geschäftsleitung ist die Frage, ob ein dergestalt optimierter Betrieb mit einer schlanken Produktion über die nötige Robustheit bei Marktschwankungen verfügt, und die vorhandenen Ressourcen für zukünftige Anpassungsleistungen noch ausreichend vorhanden sind. Technikorientierte Betriebe neigen zu eher technischen Lösungsansätzen, im Zweifel zu übertriebenen Ansätzen im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Schemas. Um Zustimmung für sinnvolle Veränderungen zu gewinnen, stellt sich immer auch die Frage, welche Werte transportiert werden. Hier liegt unseres Erachtens eine Chance für die Weiterentwicklung der Lean-Academy und des gesamten Lean-Ansatzes. In der Gründungsphase wurde zunächst großer Wert auf die Vermittlung von Grundlagenwissen, die Entwicklung von Analysefähigkeiten und Methodenkompetenz gelegt. In nächsten Schritten müssen Themen wie Werte, Führung und die Entwicklung von Sozialkompetenzen im Zusammenwirken mit den bereits bestehenden Bildungsangeboten mit dem gewählten Lean-Ansatz abgestimmt und präzisiert werden. Eine Erwartung des Betriebsrats ist, dass Mitarbeiter durch erweiterte Qualifikation, ein Mehr an Gestaltungsmöglichkeit am Arbeitsplatz und erweiterte Verantwortung ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln. Ihre Verhandlungskompetenz steigt und ihre Konfliktfähigkeit wächst, um ihre Ansichten in den Änderungsprojekten offensiv zu vertreten. Durch diese derart erweiterten Handlungsmöglichkeiten und eine darauf abgestimmte Betriebsratspolitik kann eine größere Widerstandskraft gegen eine einseitige ökonomische Ausrichtung der Veränderungsprojekte entstehen. Eine Beteiligung der Mitarbeiter muss dazu führen, individuelle Freiräume in der Arbeitsgestaltung zu erhalten und auch auszuweiten. Die Bereitschaft des Betriebsrats zu einer prozessbegleitenden Interessenvertretung steht unter dem Vorbehalt, dass seine Mitwirkung ein weiterer Schritt zur Humanisierung der Arbeit ist – heute unter dem Stichwort „Gute Arbeit“ zusammengefasst. Diese Haltung des Betriebsrats ist notwendigerweise abhängig von der mehrheitlichen Zustimmung der Belegschaft zu dieser Strategie. Die Zustimmung hängt unserer Meinung nach weniger von messbaren, als von den empfundenen Wirkungen der Veränderungen ab. Gelingt es, die unausgesprochenen Werte der LHT wie „Es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen.“ „Es besteht die Chance einer arbeitslebenslangen Beschäftigung.“
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„Bei Veränderungen werden möglichst alle Interessen berücksichtigt.“ „Interessante Tätigkeiten und Karrieremöglichkeiten werden angeboten.“ „Eine angemessene Teilhabe am Erfolg des Unternehmens wird gewährleistet.“ „Jede und jeder kann sich seinen Möglichkeiten entsprechend einbringen.“
zu erhalten, hat der Betriebsrat auch zukünftig den Spielraum, mit eigenen Positionen die nächsten Schritte zu begleiten. Es ist fast überflüssig zu bemerken: Eine weitere Voraussetzung ist, dass das Management seine Zusagen einhält und auch langfristig die Mitarbeiter bei der Umsetzung von Lean-Projekten beteiligt.
Literatur Lufthansa Technik (2009). Handbuch „Lean Production“ bei Lufthansa Technik. Drew, J., McCallum, B. & Roggenhofer, S. (2005). Unternehmen Lean. Schritte zu einer neuen Organisation. Frankfurt a. M. & New York.
Sterling SIHI – SIHIfit: Ein gemeinsames Innovationsprojekt zur Sanierung eines Unternehmensstandortes Carmen Lühr & Peter Schuldt1
„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“ (Lucius Annaeus Seneca)
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Einleitung: Ein Traditionsunternehmen in schwierigem Fahrwasser
Sterling SIHI ist ein Unternehmen mit langer Tradition. Es wurde 1920 von Otto Siemen und Johannes Hinsch als Siemen & Hinsch mbH (kurz: SIHI) in St. Margarethen an der Elbe gegründet. Im Jahr 1925 wurde der Sitz des Unternehmens an den heutigen Standort Itzehoe verlegt. Nach zahlreichen Erweiterungen und Übernahmen in der Nachkriegszeit ist das Unternehmen seit 1997 Teil der Sterling Fluid Systems Gruppe. Diese wiederum gehört zur Thyssen Bornemisza Gruppe (TBG), einer Industrie-Holding, die sich in Privatbesitz der Erben des Gründers Heinrich ThyssenBornemisza befindet und weltweit mehr als 2 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaftet. Seit über 80 Jahren ist Sterling SIHI einer der führenden Hersteller von innovativen Technologien für Flüssigkeitspumpen, Vakuumpumpen und kompletten Pumpsystemen, die in allen Segmenten der Prozessindustrie eingesetzt werden. Weitere Hauptgeschäftsfelder umfassen Strömungssysteme, Chemiegastransporte, Informationsdienste und Systemsoftware, elektrische Prüf- und Messausrüstung sowie Metallwalz- und Strangpressprodukte. Insgesamt gibt es neun Produktionsstandorte in Europa, Amerika und Asien sowie über 100 Vertriebs- und Servicezentren in über 40 Ländern. In Deutschland wird an den Standorten Ludwigshafen, Tönning und Itzehoe gefertigt. Die Produkte und Systeme kommen in der Chemie, der Pharmazie, der Automobilindustrie, der Energiewirtschaft, der Wasserwirtschaft, der Lebensmittel- und Getränke-
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Wir möchten uns an dieser Stelle für die Unterstützung von Stefan Stracke beim Schreiben des Beitrages bedanken. Seine Hilfe bei der Überarbeitung unseres Entwurfs hat nicht nur die Lesbarkeit erhöht, sondern auch eine ganze Reihe von Punkten für Externe verständlicher gemacht.
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industrie, der Kunststoffindustrie, der Stahlindustrie, der Papierindustrie und im allgemeinen Anlagenbau zur Anwendung. Am Produktionsstandort Itzehoe arbeiten heute inklusive Service und Vertrieb 530 Beschäftigte. Nach einer Reihe von wirtschaftlich angespannten Jahren mit teilweise hohen Verlusten schloss die Geschäftsführung von Sterling SIHI bzw. der Sterling Fluid Systems GmbH Ende 2005 mit dem Betriebsrat Itzehoe und der IG Metall Küste einen Ergänzungstarifvertrag zu Innovation und Standort- und Zukunftssicherung des Unternehmens Sterling SIHI und der Arbeitsplätze am Standort Itzehoe ab. Mehrere Versuche in den vorangegangen Jahren, das Unternehmen durch Restrukturierungsmaßnahmen zu stabilisieren, hatten zu keinem zufriedenstellenden wirtschaftlichen Ergebnis geführt. Mit dem Abschluss dieses Ergänzungstarifvertrags wurde von den Beteiligten ein bis dato völlig neuer Weg eingeschlagen. Zur Vorgeschichte: Bereits Ende der 1990er Jahre war SIHI in schwieriges Fahrwasser geraten. Als Reaktion auf die Krisensituation kam es damals zu Verlagerungen von Produktionsteilen und Entlassungen von Mitarbeitern. Gleichzeitig musste die Belegschaft durch den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen. Zur Abfederung der Personalabbaumaßnahmen wurde eine Transfergesellschaft gegründet, in die 86 Beschäftigte aufgenommen wurden. Nach einer leichten wirtschaftlichen Erholung machte das Unternehmen im Jahr 2002 aufgrund eines starken Preisverfalls und zunehmenden Wettbewerbs auf dem Weltmarkt erneut Verluste. Wieder kam es zu Entlassungen und wieder wurde eine Transfergesellschaft für 35 Beschäftigte gegründet. Trotz dieser für die Belegschaft schmerzhaften Maßnahmen besserte sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens bis ins Jahr 2005 aber nicht nachhaltig. Es bestand weiterhin die Gefahr von Entlassungen, Verlagerungen und Entgelteinbußen der Belegschaft. Das Unternehmen wollte auf die Situation reagieren und forderte eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich. Auch die weitere Verlagerung von Fertigungsteilen und die Entlassung von zusätzlichen 50 Mitarbeitern wurden angedroht. Darüber hinaus sollte Zeitlohn statt Leistungslohn gezahlt werden – was eine erhebliche Absenkung der Entgelte der Beschäftigten bedeutet hätte. Darüber hinaus sollte die für 2006 geplante ERA-Einführung ins Jahr 2008 verschoben werden. Diese Vorschläge fanden bei Betriebsrat und IG Metall keine Zustimmung. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre mit zwei Entlassungswellen vertraten wir als Arbeitnehmervertreter die Auffassung, dass die Probleme des Standortes auf eine andere
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Sterling SIHI – SIHI : Ein gemeinsames Innovationsprojekt
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Art gelöst werden müssten als bisher. Die Verlagerung weiterer Produkte und Entlassungen hätte zu einem erheblichen Verlust von Kernkompetenzen im Wettbewerb geführt und am Ende den gesamten Standort gefährdet. Der Vorschlag von Betriebsrat und IG Metall sah daher vor, nach dem Motto „Besser statt billiger“ gemeinsam mit der Geschäftsführung eine gänzlich neue „Überlebensstrategie“ für das Unternehmen zu entwickeln. Kern der vorgeschlagenen Strategie war ein gemeinsames Innovationsprogramm von Beschäftigten, Betriebsrat, Geschäftsführung und IG Metall zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit. Dieses sah u.a. vor, die Innovations- und Investitionsbedingungen durch Prozessoptimierung und Qualifizierungsmaßnahmen der Belegschaft zu verbessern. Der Vorschlag wurde – wie nicht anders zu erwarten war – sehr kontrovers aufgenommen. Trotz heftiger Proteste der IG Metall und der Belegschaft blieb die Forderung der Geschäftsführung nach Lohnverzicht bestehen. Die Geschäftsführung war nur unter der Bedingung zu Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall bereit, dass eine „Eintrittskarte“ in Form eines finanziellen Verzichts der Belegschaft „gelöst“ werde. Nach langwierigen Verhandlungen konnten sich die Parteien schließlich auf den Abschluss eines Ergänzungstarifvertrags zu Innovation und Standort- und Zukunftssicherung verständigen. Um dem Standort „erst einmal Luft zu verschaffen“, sah der Vertrag die Einrichtung eines dreijährigen fit-Projektes zur Unternehmensoptimierung vor. Ziel war es, das Standortergebnis um mindestens eine Mio. Euro pro Jahr zu verbessern. Dies sollte auf mehreren parallelen Wegen erreicht werden: durch allgemeine Kosteneinsparungen und Umsatzsteigerungen, aber auch durch Verbesserung der internen Prozesse und Vorgänge. Als zentrale Forderung konnte die Arbeitnehmerseite durchsetzen, dass die „Eintrittskarte“ sozial gerecht aufgebracht wird und die Beschäftigten bis Ende 2008 auf Entgeltbestandteile verzichten müssen. Danach sollte wieder der Tarifvertrag der IG Metall Küste Gültigkeit besitzen. Die große Frage in der Umsetzung war nun: „Wie machen wir das?“ – Für das Projekt wurde ein für alle Beteiligten neuer Ansatz gewagt. Alles, was bei „fit“ organisiert, analysiert oder entschieden wurde, wurde gemeinsam von Beschäftigten, Betriebsrat, Management und Geschäftsleitung erarbeitet. In neun Untersuchungseinheiten wurden Projektteams gebildet, die Schwachstellen analysieren und Maßnahmen zur Verbesserung vorschlagen sollten. Der Grundsatz war, dass die Belegschaft immer aktiver und gleichberechtigter Träger der Neugestaltung sein sollte. Im Folgenden werden der Verbesserungsprozess sowie die fit-Projekt- und Beteiligungsstrukturen detailliert beschrieben und aus Sicht des Betriebsrats bewertet. Zudem
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Carmen Lühr & Peter Schuldt
werden Ansätze diskutiert, wie das im Jahr 2009 ausgelaufene Projekt in sinnvoller Weise fortgeführt werden kann. Zunächst wird jedoch die Ausgangssituation vor Beginn des fit-Projektes beschrieben. 2
Benchmarking und Analyse aller Produkte
Um die Entstehung des fit-Prozesses zu verstehen, muss man einige Jahre vorher ansetzen. Der Standort Itzehoe hatte seit Ende der 1990er Jahre u.a. aufgrund der unzureichenden Ergebnisse und der anhaltenden Veränderungen auf den Märkten mit zunehmender Preiskonkurrenz von Pumpenanbietern aus Ländern mit deutlich anderer Lohnstruktur verschiedene Restrukturierungs- und Reorganisationsansätze hinter sich. Im Jahr 2005 regte der Geschäftsführer einen sehr transparenten und auf Beteiligung angelegten Prozess an. Er schlug vor, gemeinsam mit Management und Arbeitnehmervertretern eine Bestandsaufnahme aller Produkte vorzunehmen, um in einem Benchmark mit Wettbewerbern festzustellen, wo SIHI Chancen hat und welche Kosten gesenkt werden müssen, um mehr Absatz garantieren zu können. Dabei war allen Beteiligten klar, dass das Geschäftsjahr 2005 nicht profitabel abgeschlossen werden kann. Unter den gegebenen Bedingungen war eine ausreichende Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nicht mehr gewährleistet. Der Vorschlag eines vorbehaltlosen Benchmarks, das in eigener Regie und ohne Unternehmensberater durchgeführt werden sollte, wurde von allen Parteien im Betrieb zunächst skeptisch aufgenommen. Man fürchtete einerseits zu viel Transparenz, aber andererseits auch die Präsentation von gefärbten Zahlen durch die Geschäftsführung. Der Betriebsrat forderte einen eigenen Berater, um in dem Prozess gleichwertig mitdiskutieren zu können. Dies wurde bewilligt und das Benchmarking erwies sich als wechselseitig fruchtbarer Lernprozess. Erstens machten die internen Analysen zu Produktionskosten und Umsatzerlösen für eine ganze Reihe von Produkten recht schonungslos deutlich, dass teilweise aufgrund der kleinen Serien und der hohen Lagerbestände mit jedem produzierten Stück die Verluste größer wurden. Zweitens wurde auch deutlich, welche Potenziale in der Verbesserung von organisatorischen und technologischen Veränderungen lagen. Und drittens brachte die gemeinsame Diskussion in den Benchmark-Gruppen und dem Koordinierungskreis auch trotz aller Unterschiede in der Bewertung einzelner Annahmen zu Transferpreisen, Arbeitszeiten und Verantwortlichkeiten recht schnell eine gemeinsame Wahrnehmung, welche Chancen und Risiken für das Unternehmen vorhanden sind.
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Sterling SIHI – SIHI : Ein gemeinsames Innovationsprojekt
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Die Beteiligten waren sich im Grundsatz einig, dass der Standort ohne Umsatzzuwachs und ohne Verbesserungsmaßnahmen nicht in die Gewinnzone kommen kann. Um das Unternehmen in eine stabile Lage zu bringen, mussten nach damaliger Einschätzung Kosten in einer Größenordnung von drei bis vier Mio. Euro eingespart werden. Das Benchmarking sah einen systematischen Vergleich der Produkte und Produktlinien im eigenen Konzern (internes Benchmarking) sowie mit den Produkten der Wettbewerber (externes Benchmarking) vor. Gleichzeitig wurden die sich wandelnden Marktanforderungen, die Produktentstehungskette und die Standortfaktoren analysiert und einer Bewertung unterzogen. Auf diese Weise sollten eigene Leistungslücken (Qualität) und realistisch auszuschöpfende Optimierungspotenziale bei Material-, Sach- und Personalkosten sowie Arbeitsprozessen (Profitabilität) identifiziert werden. Im Ergebnis wurden diverse Ansätze erarbeitet, die Kosten am Standort Itzehoe zu reduzieren. Ein mögliches Lösungsszenario sah die umfassende Verlagerung von Produktionsteilen ins Ausland vor. Doch diesen Weg wollten weder die Geschäftsleitung und das Managementteam, noch der Betriebsrat und die IG Metall und schon gar nicht die Belegschaft gehen. Ein anderer Lösungsvorschlag sah die Absenkung der Materialkosten, eine Vereinfachung von Produkten (Materialreduzierung), eine Investition in neue Produktlinien (SIHi Dry) und eine Reduktion der Personalkosten vor. 3
Forderung nach Verzicht der Mitarbeiter – Gegenleistung: Gemeinsamer fit-Prozess
Der Prozess des gemeinsamen Arbeitens an einem Benchmark konnte aus leicht einsehbaren Gründen nicht ohne Konflikt in eine gemeinsame Lösung und Strategie umgesetzt werden. Die Geschäftsführung wollte kurzfristig Kosteneinsparungen umsetzen, d.h. weniger vornehm übersetzt: die Arbeitskosten senken durch unbezahlte Mehrarbeit und Senkung der tariflichen und außertariflichen Leistungen. Dementsprechend kam als Ergebnis des Benchmarks u.a. auch die Forderung der Geschäftsführung zum Verzicht der Belegschaft auf – dies betraf im Einzelnen: Abschaffung des Leistungsentgeltes auf Zeitentgeltniveau, d.h. Absenkung der Leistungsprämie um bis zu 45% auf 6% Reduzierung der tariflichen Sonderzahlungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld Einführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich Samstags- und Sonntagsarbeit Halbierung der Tariferhöhung
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ERA-Einführung erst 2008 Abbau von 50 Arbeitsplätzen am Standort Itzehoe Für Betriebsrat und Belegschaft war dieser Weg der einseitigen Kostensenkung nicht akzeptabel. War man vorher in Dialogveranstaltungen „Tanzen“ gegangen und hatte sich in gemeinsamen Schritten geübt, dann war jetzt aus Sicht des Betriebsrats wieder „Boxen“ angesagt.2 Durch spontane Arbeitsniederlegungen und Versammlungen in der Kantine wurde der Geschäftsführung deutlich gemacht, dass sich die Belegschaft und die Arbeitnehmervertretung gegen solche Forderungen wehren würden. Die Geschäftsführung beharrte jedoch auf ihrer Position. Sie war nur dann zu Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall bereit, wenn durch einen deutlichen finanziellen Verzicht der Belegschaft Kosteneinsparungen ermöglicht würden. Betriebsrat und Vertreter der IG Metall entschieden daraufhin, die Situation des Unternehmens und das weitere Vorgehen in den Verhandlungen zunächst in Workshops mit der innerbetrieblichen Tarifkommission zu beraten. Dabei wurden Status-quo- und Gefahrenanalysen vorgenommen und Gegenforderungen an die Arbeitgeberseite formuliert und zur Abstimmung gebracht. Der Betriebsrat und die IG Metall hatten sich im Vorfeld intensiv (auch unter Nutzung externer Beratung) mit dem Thema Innovations- und Verbesserungsprozesse befasst. Die erarbeiteten Forderungen wurden später auf einer IG Metall-Mitgliederversammlung zur Diskussion gestellt, einstimmig verabschiedet und schließlich der Arbeitgeberseite übergeben. Eine gute Information und Kommunikation in die Belegschaft war für uns als Betriebsrat wichtig, um gestärkt mit dem Rückhalt der Beschäftigten in die Verhandlungen mit der Geschäftsführung gehen zu können. Auch während der anschließenden Verhandlungen wurden Unterbrechungen für „spontane Belegschaftsinformationen in der Kantine“ genutzt und die Beschäftigten über den Verhandlungsstand in Kenntnis gesetzt. Nach mehreren Verhandlungsrunden wurde schließlich ein Ergänzungstarifvertrag (und eine gleich lautende Betriebsvereinbarung, zugleich Interessenausgleich und Sozialplan) abgeschlossen, dem auch die Beschäftigten in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit zustimmten. Der Vertrag sollte die Grundlage für den Erhalt des Unter-
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Zur Diskussion von „Boxing-“ und „Dancing“-Strategien des Betriebsrats als Varianten kooperativer Konfliktbewältigung siehe z.B. Schumann, Kuhlmann & Sperling (2008) sowie Wilke, Stracke & Vetterlein (2009).
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nehmens und damit für die Sicherung der Arbeitsplätze am Standort Itzehoe sein. Zudem sollte er dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten, Innovationen zu fördern und die Investitionsbedingungen zu verbessern. Dadurch sollte Itzehoe zum führenden Standort für Vakuumpumpen in Europa aufsteigen und Verlagerungen an andere Standorte sollten vermieden werden. Als wichtige Elemente des Vertrags wurden soziale Auffanglinien inklusive Transferregelungen zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen vereinbart. Mit den für die Jahre 2006 bis 2009 festgelegten befristeten Maßnahmen zur „Umkehr der negativen Entwicklung“ und zum Erreichen des „Break Even“ sollte eine sozial gerechte Lösung gestaltet werden. Um sicherzustellen, dass der SIHI-Gesellschafter TBG Zeit und Geld für die notwendige Modernisierung in Itzhoe bereitstellt, wurden „finanzielle Vorleistungen“ vereinbart, die alle Beschäftigten inklusive der leitenden Angestellten zu tragen hatten. Dieser Schritt sollte ein Einsparvolumen von einer Mio. Euro pro Jahr garantieren. Die dafür vereinbarten Maßnahmen umfassten u.a. den Verzicht der Mitarbeiter auf eine Stunde Entgelt pro Woche, die Kürzung tariflich garantierter Jahressonderzahlungen und einen Solidarbeitrag der Führungsebene. Im Detail sah der Ergänzungstarifvertrag die folgenden Regelungsinhalte vor: In den Geschäftsjahren 2006 bis 2008 wird der Beschäftigungssicherungsvertrag angewandt und die regelmäßige Arbeitszeit bei entsprechender Reduzierung des Entgeltes für alle Beschäftigten um eine Stunde verkürzt. Das Arbeitszeitkonto bekommt eine Flexibilisierungsspanne von +180/-180 Stunden. Diese kann mit Zustimmung des Betriebsrats auf +/- 200 Stunden erhöht werden. Der Ausgleichszeitraum beträgt 24 Monate. Ein jährlicher Solidarbeitrag der leitenden Angestellten, des Managerteams und der außertariflichen Angestellten von 75.000 Euro pro Jahr wird rechtsverbindlich vereinbart. Die tarifliche Sonderzahlung wird in den Jahren 2006 bis 2008 um ein Drittel gekürzt. Bis Ende 2008 findet keine Verlagerung der Produkte aus dem Standort Itzehoe statt. 500.000 Euro pro Jahr sollen in Maschinen und Anlagen investiert werden. Eine Ausbildungsquote von 7% (bisher 12%) wird garantiert und die ERAEinführung für das Jahr 2006 festgelegt. Für alle Produkte und Anlagen gilt bis November 2008 ein Verlagerungsverbot. Eine Mindestbelegschaftsstärke von 280 Mitarbeitern wird garantiert. Kündigungen dürfen nur mit Zustimmung des Betriebsrats und der IG Metall ausgesprochen werden. Bei Bedarf wird eine „Transfer PLUS“-Lösung als soziale Auffanglinie eingerichtet. Die finanziellen Mittel werden vom Unternehmen zur Verfügung gestellt.
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Als Gegenleistung für den Verzicht der Belegschaft wurde vereinbart, dass ein gemeinsam von Geschäftsführung, Management, Betriebsrat und Belegschaft getragenes Neustrukturierungs- und Verbesserungsprojekt (fit-Projekt) über drei Jahre im Unternehmen durchgeführt wird. Dies sollte dazu beigetragen, den Standort Itzehoe als Produktions-, Entwicklungs- und Verwaltungsstandort zu erhalten und für künftige Herausforderungen „fit“ zu machen. Externe Hilfe sollte aus Kostengründen vermieden und nur nach Absprache hinzugezogen werden. Das Vorhaben sollte aus eigener Kraft gelingen. Man entschied sich hier bewusst für einen Weg der Unternehmensoptimierung und gegen einen Weg der reinen Kosteneinsparung. Mit drastischen Kosteneinsparungen sind in der Regel Verlagerungen von Tätigkeiten verbunden. Aber Verlagerungen bedeuten immer, dass auch aufwendige Informations- und Wissenstransfers stattfinden müssen – und darin besteht ein vorab schwer einzuschätzendes Risiko für das Unternehmen. Zudem bleiben durch reine Kosteneinsparungsstrategien Schwachstellen in der Organisation der am Standort verbleibenden Arbeitsprozesse, in den Kundenbeziehungen und im Qualitätsmanagement bestehen. Auch Qualifikationsdefizite der Beschäftigten können so nicht aufgedeckt werden. Aus Perspektive der Belegschaft sind reine Kosteneinsparprogramme viel unerfreulicher, da sie immer zu drastischen Arbeitsplatzverlusten führen. Die verbleibenden Beschäftigten sind dann während der Verlagerung erhöhtem Arbeitsstress ausgesetzt. Der Weg der Optimierung des gesamten Unternehmens stellt hingegen eine realistische Chance dar, Schwachstellen der Arbeitsstrukturen und -prozesse aufzudecken und durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen bzw. effektiver zu organisieren. Kurzum: Alle Prozesse, Strukturen und Produkte des Standortes Itzehoe konnten auf diese Weise auf den „Prüfstand gestellt“ und, wenn erforderlich, optimiert werden. Den Beteiligten war klar, dass es natürlich auch in diesem Fall um Kosteneinsparungen geht – aber nicht allein darum. Vielmehr sollte es darum gehen, notwendige Personal- und Prozesskosten mit einem möglichst großen Effekt zu versehen. In mehreren Informationsveranstaltungen, zu denen sowohl die Geschäftsführung als auch der Betriebsrat eingeladen hatten, wurde die Belegschaft über das geplante Vorhaben und die damit verbunden Schritte informiert. Dabei waren nicht alle Beschäftigten begeistert. Die Angst vor Veränderung und Arbeitsplatzverlust war nachzuvollziehen. Letztendlich könnte sich nach drei Jahren herausstellen, dass trotz aller Gegenmaßnahmen ein Stellenabbau nicht zu vermeiden wäre. Auch das Durchhaltevermögen und die Dauer des Projektes über so einen langen Zeitraum wurden angezweifelt.
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Doch in dem Projekt wurde auch die realistische Möglichkeit gesehen, das Unternehmen langfristig und vor allem gemeinsam wieder profitabel zu machen. So waren sich die Vertragsparteien schnell darüber einig, dass nur die Beteiligung aller Beschäftigten Grundlage für die gemeinsame Gestaltung der „Zukunft des Unternehmens“ sein konnte. Bewährte Basis blieb der Flächentarifvertrag der Metallindustrie Hamburg und Schleswig Holstein. In einem paritätisch besetzten Vorbereitungs-Workshop wurde Anfang 2006 gemeinsam erarbeitet, wie der fit-Prozess zu gestalten und zu strukturieren war. Nur „im Notfall“ sollte auf externe Hilfe zurückgegriffen werden. Der gesamte Prozess sollte mit eigener Kraft bewältigt werden. Schon damals war uns klar, dass die erweiterte Mitbestimmung des Betriebsrats eine neue und schwierige Erfahrung sein werde. Durch „fit“ mussten Entscheidungen getroffen werden, die letztendlich auch das Risiko eines Stellenabbaus in sich trugen. 4
Grundsätze und Methoden des fit-Prozesses
„fit“ wurde als ausschließlich internes Projekt gestartet. Durch das gemeinsame Engagement von Geschäftsführung, Managementteam, Betriebsrat, Belegschaft und IG Metall sollte sichergestellt werden, dass sich die angewandten Methoden und Vorgehensweisen an die Verhältnisse am Standort Itzehoe anpassen. Nach Einschätzung der Beteiligten konnte das fit-Projekt nur gelingen, wenn die Belegschaft, begleitet durch Führungskräfte und Arbeitnehmervertreter, in einem abgesicherten Beteiligungsverfahren aktiv in die Gestaltung von Verbesserungen eingebunden wird und das gesamte Vorhaben durch eine klare, strukturierte und nachvollziehbare Organisation geprägt ist. Damit sollten Missverständnisse und Konflikte möglichst vermieden werden. Gleichzeitig sollte gewährleistet werden, dass die gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen schnell und nachhaltig im gesamten Unternehmen umgesetzt werden können. 4.1 Projektstruktur und Arbeitsgruppen Für das fit-Projekt wurde eine Struktur entwickelt, die aus vier zentralen Gremien bestand: Steering-Committee, Entscheidungsteam, Steuerungsteam und Projektteams. Das sieht zwar zunächst nach etwas viel Koordination und Bürokratie aus, hat sich aber in der Praxis bewährt.
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Steering Committee Das Steering Committee (SC) setzte sich aus dem Geschäftsführer (GF), dem Personalleiter (MT Personal) der Vorsitzenden des Betriebsrats (BR) und dem Beauftragten der IG Metall (IGM) zusammen. Fallweise wurde das Gremium durch einen externen Experten ergänzt. Als oberste Steuerungsgruppe hatte das SC die Aufgabe, die Projektergebnisse zu überwachen, Empfehlungen hinsichtlich des Prozessverlaufs zu geben und Planabweichungen zu ermitteln. Die Abweichungen wurden regelmäßig im Rahmen der SC-Sitzungen besprochen. Gleichzeitig nahm das SC vierteljährlich Controllingberichte entgegen und erörterte auf dieser Basis den Stand des Projektes, Notwendigkeiten der Umsteuerung bzw. Ideen zur Weiterentwicklung von Instrumenten und Vorgehensweisen, z.B. zur Umsetzung personalpolitischer Maßnahmen. Damit waren eine kontinuierliche Kontrolle der Praktikabilität der Maßnahmen und eine laufende Überprüfung der fit-Ergebnisse (mindestens für jedes Quartal) gewährleistet. Eine besondere Aufgabe des Gremiums bestand zudem darin sicherzustellen, dass die zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Standards eingehalten werden.
Entscheidungsteam Das Entscheidungsteam bestand aus dem Geschäftsführer, drei Mitgliedern des Managementteams sowie der Betriebsratsvorsitzenden und zwei vom Betriebsrat beauftragten Mitgliedern. Das Entscheidungsteam hatte die Aufgabe, die von den Projektteams vorgeschlagenen Maßnahmen zu beurteilen und zu entscheiden, ob sie umgesetzt werden sollen. Das Entscheidungsteam tagte nicht in regelmäßigen Abständen, sondern lediglich nach Bedarf – immer dann, wenn aus der Steuerungsgruppe das Signal kam, das aus einzelnen Projektteams Maßnahmenvorschläge zur Bewertung vorliegen. Hauptaufgabe des Entscheidungsteams war es, anstehende Sachverhalte zu beraten und über alle inhaltlichen Fragestellungen abschließend eine Entscheidung zu treffen. Alle mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen gingen an das Betriebsratsgremium und wurden hier diskutiert und beschlossen oder abgelehnt.
Steuerungsteam Das Steuerungsteam war dafür vorgesehen, die Arbeit der Projektteams zu koordinieren und konkrete methodische und inhaltliche Unterstützung zu leisten. Es hatte die Aufgabe, die Terminplanungen der Projektteams zu überwachen (insbesondere bei der Umsetzung freigegebener Verbesserungsmaßnahmen) sowie die Beteiligung der Be-
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schäftigten am Optimierungsprozess praktisch zu organisieren. Mitglieder des Steuerungsteams waren der Werksleiter (und gleichzeitige Projektleiter), der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und je nach Bedarf der Leiter des IT-Bereichs (IT). Zu Projektbeginn tagte das Steuerungsteam wöchentlich, später alle zwei Wochen.
Projektteams Die Projektteams leisteten die eigentliche inhaltliche Arbeit. Sie sollten die aktuellen Prozesse darstellen und die darin enthaltenen Schwachstellen finden und analysieren. Zentrale Aufgabe der Projektteams war es, Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und zu bewerten und Maßnahmenvorschläge zur Entscheidung im Entscheidungsteam vorzubereiten. Nach Beschluss durch das Entscheidungsteam oblag es den jeweiligen Projektteams, die Umsetzung der genehmigten Verbesserungsvorschläge zu veranlassen und zu überwachen und darüber hinaus den Umsetzungsstand in einem Controllingverfahren zu dokumentieren. Zusammengesetzt waren die Projektteams jeweils aus einer Tandem-Teamleitung – bestehend aus einer Führungskraft als Leiter und einem Betriebsratsmitglied als stellvertretendem Leiter – und Mitarbeitern (MA), die von der Teamleitung hinzugezogen wurden. Die Projektleitung wurde vom SC benannt. Die mitwirkenden Mitarbeiter waren nicht dazu verpflichtet, permanent an Teamsitzungen teilzunehmen. Stattdessen war ein Mitarbeiterwechsel vorgesehen, so dass zu jeweils anstehenden Fragen möglichst passgenaues Experten- und Erfahrungswissen eingebracht werden konnte und darüber hinaus möglichst vielen Mitarbeitern, die Möglichkeit gegeben wurde, sich an der Gestaltung von Verbesserungsmaßnahmen zu beteiligen. Die Projektteams waren somit gefordert, durch geeignete Maßnahmen die Beteiligung der Beschäftigten sicherzustellen und organisatorisch zu verankern. Auch wenn die sogenannten „Tandems“ in einem Workshop geschult und auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden, war es für die Beteiligten auf Betriebsratsseite nicht immer einfach, auf „Augenhöhe“ mit ihren Partnern zu arbeiten. Aufgrund unterschiedlicher Vorkenntnisse, Interessenlagen und Auffassungen brauchte es Zeit und Geduld, um die geeignete Form der Zusammenarbeit zu finden. Bei Misserfolgen und Unstimmigkeiten innerhalb der Projektteams wurde vom Betriebsrat regulierend eingegriffen. Die Tandemstruktur in den Projektteams war für den Betriebsrat bei Beginn politisch wichtig. In einer kritischen Reflektion sind wir heute allerdings der Meinung, dass eine
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solche Struktur praktisch zu viele Probleme bringt und eine klare Führungsverantwortlichkeit in den Projektteams oft besser ist. In Abbildung 1 wird die Projektstruktur im Überblick dargestellt:
Steering Committee GF
MT Personal
BR
IGM
Entscheidungsteam GF BR Management-Team
Steuerungsteam Projektleiter BR IT
Projektteam
Projektteam
Projektteam
Leiter + MA
Leiter + MA
Leiter + MA
Abb. 1: Projektstruktur „fit“ (Quelle: Sterling SIHI)
Untersuchungsbereiche/Teilprojekte Jedes Projektteam war für jeweils einen Untersuchungsbereich zuständig. Die Untersuchungsbereiche waren so zugeschnitten, dass das Unternehmen als Ganzes erfasst wurde. Zudem sollten Querschnittsthemen aufgegriffen werden. Zu Projektbeginn wurden folgende Untersuchungsbereiche festgelegt:
Auftragsdurchlauf Innovation Produktivitätssteigerung Einkauf Qualität
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Gemeinkosten Finanzdaten Qualifizierung und Wachstum
Es war von Anfang an klar, dass nicht alle Untersuchungsbereiche gleichzeitig bearbeitet werden konnten, sondern dass die Bearbeitung zeitversetzt erfolgen würde. Es war auch einleuchtend, dass im Verlauf des Projektes möglicherweise noch weitere Untersuchungsbereiche eingerichtet werden müssen. Erforderliche Änderungen bzw. Ergänzungen der Untersuchungsbereiche mussten vom SC entschieden werden. Die einzelnen Untersuchungsbereiche wurden im Verlauf der ersten Projektphase in Form von Teilprojekten (TP) mit jeweils schriftlich formulierten Zielen konkretisiert:
TP 1: Produkte verbessern TP 2: Produktion optimieren TP 3: Gemeinkosten in der Produktion optimieren TP 4: Dienstleistungen optimieren TP 5: Beschaffungsprozesse optimieren TP 6: Auftragsdurchlauf optimieren TP 7: mit vorhandenen und neuen Produkten wachsen TP 8: Qualitätsprozesse optimieren TP 9: Entwicklung und Qualifizierung
Berichtswesen Für die gesamte Projektlaufzeit wurde ein standardisiertes Berichtswesen organisiert, das mit geringem Pflegeaufwand möglichst viele wichtige Informationen dokumentieren sollte. In vierteljährlich stattfindenden „Reviews“ wurde über Erfolge, Misserfolge und Probleme in den Teilprojekten berichtet. Finanzielle Einsparungen oder erforderliche Ausgaben durch die Maßnahmen wurden dokumentiert und mit den vorgenommenen Zielen verglichen. Im Einzelnen wurden für jedes Teilprojekt folgende Informationen zusammengeführt und dargestellt: Maßnahmebezogene Soll-/Ist-Einsparungen pro Quartal Status der Ideen aus der Ideenbörse Einschätzung des Teilprojektes bezüglich seiner Ziele (Zielerreichungsgrad) Diese Informationen (inklusive konkret anstehender Maßnahmen) wurden Mitarbeitern und „Auftraggeber“ zugänglich gemacht. Bei Schwierigkeiten wurden von Ge-
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schäftsführung, Betriebsrat und Teilprojektleitern gemeinsam Lösungen gesucht und vor Ort nötige Entscheidungen getroffen. Abbildung 2 zeigt den zeitlichen Projektablauf:
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Vorbereitungsphase
Vorbereitungsworkshop Management + BR Ziele für Teilprojekte (TP) definieren und vereinbaren Schulung der TPLeiter Auswahl der beteiligten Mitarbeiter Grobabschätzung für Kosteneinsparung der TP Berichts- & ControllingTool aufbauen
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Analyse- und Ideenphase
Projektarbeit in den Teams wenn nötig, Begleitung durch Berater Prozess transparent darstellen Optimierungsmöglichkeiten ermitteln Vorschläge zur Optimierung von Materialkosten, Personalkosten, Sachkosten, Prozessen
Entscheidung / Umsetzung
Entscheidung durch Entscheidungsteam sofortige Umsetzung Reviews und dauerhafte Implementierung
Abb. 2: Zeitlicher Ablauf des Projektes (Quelle: Sterling SIHI)
4.2 Beteiligung der Belegschaft als Träger der Neugestaltung: Ideenbörsen und kontinuierliche Information Die Belegschaft sollte aktiver und gleichberechtigter Träger der Neugestaltung sein – dies war einer der Kerngedanken zur Umsetzung des fit-Projektes. Hierzu gehörte zum einen die rechtzeitige und umfassende Information der Beschäftigten über das Vorgehen, die Ziele, die wesentlichen Strukturen und den Fortschritt der Teilprojekte und zum anderen die aktive Einbeziehung der Beschäftigten in die Maßnahmenentwicklung und -umsetzung. Im Einzelnen wurden folgende Grundsätze der Belegschaftsbeteiligung aufgestellt:
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Aktives Mitgestalten sowie Verfahrenssicherheit für die Beschäftigten im Prozess und das Einbringen des Wissens und der Erfahrung der Belegschaft ist Voraussetzung für den Erfolg des Projektes. Eine kollegiale und kooperative Zusammenarbeit und Respekt gegenüber jedem einzelnen Beschäftigten sind notwendig. Aus der aktiven Beteiligung des Einzelnen oder der Gruppe mit Ideen und Vorschlägen am fit-Projekt darf es keine Nachteile im Sinne der Zurücksetzung durch Vorgesetzte geben. Es gibt keine Bevorzugung oder Benachteiligung von Beschäftigtengruppen. Arbeitssicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten haben weiterhin oberste Priorität. Praktisch umgesetzt wurden diese Grundsätze in Form von Mecker- und Ideenbörsen, sogenannten fit-Besprechungen und einer Projektzeitschrift.
Mecker- und Ideenbörsen Grundgedanke war es, den Beschäftigten eine Möglichkeit zu geben, themenbezogen Ihre Kritik einzubringen: Was ist aus ihrer Sicht schlecht organisiert? Wo werden die Arbeitsprozesse unnötig erschwert? Wo bestehen Mängel in der Arbeitssicherheit? Wo bestehen vermeidbare Belastungen etc.? Andererseits sollten die Beschäftigten aber auch ihre konkreten Ideen dazu einbringen, wie man diese Missstände beseitigen kann, wie man die Prozesse verbessern und effektiver gestalten kann oder wie man die Arbeitszufriedenheit insgesamt steigern kann. Die Ideenbörsen wurden im Sommer 2006 innerhalb von zwei Monaten durchgeführt. Die Arbeitsgruppen bestanden aus unterschiedlichen Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen. Insgesamt fanden 18 Ideenbörsen statt – 320 Mitarbeiter haben dabei mehr als 2.500 Vorschläge zu den einzelnen Themenschwerpunkten entwickelt. Die geäußerten Kritikpunkte und Ideen wurden vom Steuerungsteam thematisch gebündelt, vorsortiert und zur Weiterberarbeitung an die einzelnen Projektteams bzw. Teilprojekte weitergegeben. Soweit möglich und sinnvoll, wurde die sofortige Umsetzung auch durch das Steuerungsteam selbst veranlasst. In einer einmaligen Veranstaltung wurde über Ergebnisse der Ideenbörsen informiert. Für Beschäftigte bestand zudem die Möglichkeit, sich direkt an die entsprechenden Projektleiter zu wenden und Fragen zu klären. Dass die Beschäftigten durch die Ideenbörsen aktiv an den Prozessen beteiligt wurden und dass sie ihre Sichtweisen und Verbesserungsvorschläge dort klar und offen einbringen konnten, wurde in allen Bereichen sehr positiv bewertet. Endlich konnte man
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seinen Frust über Missstände am Arbeitsplatz loswerden – und die Hoffnung auf positive Veränderungen am Arbeitsplatz war groß. Tatsächlich konnten viele der aufgedeckten Schwachstellen kurzfristig und unbürokratisch behoben werden. Andere Probleme und Vorschläge konnten jedoch nur mittel- bzw. langfristig bearbeitet werden. Dies wurde mit jedem, der eine Idee eingereicht hatte, auch kommuniziert. Keine Idee sollte verloren gehen. Trotzdem blieben oft Zweifel, ob die Ideen überhaupt umgesetzt werden. Andere hatten nach wie vor Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und beteiligten sich nicht aktiv (zu beschäftigungssichernden Maßnahmen siehe Abschnitt 4.3 in diesem Beitrag).
fit-Besprechungen Ein Grundsatz des Projektes war, dass die Beschäftigten der Bereiche die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen begleiten und regelmäßig über den Umsetzungsstand und nächste Umsetzungsschritte informiert werden. Zudem war vorgesehen, dass Beschäftigte „als Experten vor Ort“ den Gang der Umsetzung der Maßnahmen bewerten können. So sollte garantiert werden, dass eventuelle Mängel beseitigt werden und der Umsetzungsprozess verbessert bzw. beschleunigt wird. Zu diesem Zweck wurden regelmäßige Besprechungen durchgeführt. Praktisch lief das folgendermaßen ab: Nachdem die Projektteams aus den Beiträgen der Mecker- und Ideenbörsen und aus ihren eigenen Untersuchungen Verbesserungsmaßnahmen entwickelt hatten, wurden diese dem Entscheidungsteam vorgelegt. Sobald dieses wiederum die Maßnahme genehmigt hatte, wurden die Projektteams und das Steuerungsteam mit deren Umsetzung betraut. Unmittelbar danach lud das Steuerungsteam die Beschäftigten zu fit-Besprechungen ein, um über den Stand der Umsetzung zu informieren und weitere Kritik und Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten zu erfassen.
„fit aktuell“ und Betriebsversammlungen Um die Belegschaft über drei Jahre zur Teilnahme am Projekt zu motivieren, waren gute und umfassende Information und Kommunikation unabdingbar. Daher wurde parallel zu den Mecker- und Ideenbörsen und den fit-Besprechungen quartalsweise die Projektzeitschrift „fit aktuell“ herausgegeben. Darin wurden jeweils Teilprojekte vorgestellt. Den Beschäftigten wurde auch ermöglicht, in einem kurzen Statement ihre Meinung zu äußern. Dies wurde dann in der Zeitschrift abgedruckt.
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Darüber hinaus wurde an den Schwarzen Brettern und in Betriebsversammlungen, die während der Projektlaufzeit stattfanden, über den aktuellen Stand der Umsetzung berichtet und an alle Beschäftigten appelliert, sich weiterhin gemeinsam mit dem Betriebsrat an der Gestaltung des Innovationsprozesses zu beteiligen. Gleichzeitig wurden Ausstellungen in der Kantine organisiert, in der alle Projekte vorgestellt wurden. Neben den Ideenbörsen war dies eine weitere Möglichkeit für die Beschäftigten, Kontakte zu Kollegen zu knüpfen bzw. zu vertiefen und Erfolge und Probleme des Projektes zu diskutieren. Im Jahr 2008 wurde schließlich ein Sommerfest veranstaltet, bei dem sich alle Teilprojekte präsentieren und ihre Ergebnisse zeigen konnten. Die Stimmung auf dem Fest war gut – ein wichtiger Indikator für Betriebsrat und Geschäftsführung, dass man auf dem richtigen Weg ist. 4.3 Absicherung der Beschäftigten „fit“ war ein Neustrukturierungs- und Verbesserungsprogramm. Nichts lag daher näher als die Frage: Was passiert, wenn dabei Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben? Für diese Situation wurden im Ergänzungstarifvertrag neben konkreten Regelungen zum fitProzess weitere Punkte vereinbart. Diese betrafen insbesondere die Themen Arbeitszeit, ergebnisabhängiger fit-Bonus, Qualifizierung sowie Überstundenabbau, Versetzung und soziale Auffanglinien.
Arbeitszeit Es wurde vereinbart, dass die Arbeitszeit für fit-Aktivitäten eine angeordnete Arbeitszeit ist, die auf dem Arbeitszeitkonto gebucht wird. Der Produktionsprozess durfte aber durch die Teilnahme an Projektsitzungen nicht negativ beeinträchtigt werden. Die Projektstunden wurden gesondert auf einem Konto durch den jeweiligen Projektleiter gesammelt. Außerdem durften in der Zeit von „fit“ keine Produkte verlagert werden, damit sich alle Beteiligten auf den notwendigen Modernisierungsprozess konzentrieren konnten.
Ergebnisabhängiger fit-Bonus Zudem wurde ein ergebnisabhängiger Bonus beschlossen. Demnach sollten die Ergebnisse des fit-Prozesses auch den Beschäftigten materiell zu Gute kommen. Dies sollte vorrangig durch die Ausschüttung eines fit-Bonus, der zusätzlich zu den tariflichen Leistungen ausgeschüttet wird, erfolgen. Sollten die vereinbarten finanziellen Ziele am
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Geschäftsjahresende übertroffen werden, wird die Hälfte des möglichen Überschusses als fit-Bonus an die Beschäftigten direkt proportional zum eingebrachten Anteil ausgezahlt. Hierbei handelte es sich also um ein „Geld-zurück-Versprechen“ für die Beschäftigten. Ein konkreter Auszahlungszeitpunkt wurde von Geschäftsführung und Betriebsrat zu Projektbeginn jedoch noch nicht festgelegt. Dies sollte erst nach Vorlage des Wirtschaftsprüferberichtes erfolgen.
Qualifizierung Es war von Vornherein klar, dass sich durch den fit-Prozess Arbeitsaufgaben der Beschäftigten verändern können. Für diesen Fall wurden geeignete Qualifizierungsmaßnahmen garantiert. Die Kosten dafür einschließlich der innerbetrieblichen Ausbilderund Dozentenkosten waren vom Arbeitgeber, soweit sie nicht von Dritten refinanziert wurden, zu tragen. Qualifizierungsansprüche aus anderen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelungen waren hiervon nicht berührt.
Überstundenabbau, Versetzung und soziale Auffanglinien Sollte sich im Zuge der Arbeit im fit-Prozess herausstellen, dass sich in bestimmten Bereichen durch die Maßnahmenumsetzung ein Personalüberhang ergibt, so sollten beschäftigungssichernde Maßnahmen greifen. Zum Erhalt eines betroffenen Arbeitsplatzes galt es zunächst, Überstunden abzubauen bzw. Flexibilisierungsspielräume der Arbeitszeitkonten zu nutzen. Sollte der Wegfall des Arbeitsplatzes nicht zu vermeiden sein, sollte zunächst überprüft werden, ob dem jeweiligen Beschäftigten ein anderer Arbeitsplatz im Unternehmen angeboten werden kann. Die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz sollte notfalls durch einen Ringtausch erfolgen. Sollte bei Wegfall des Arbeitsplatzes eine Versetzung nicht infrage kommen, hatte das Unternehmen finanzielle Mittel zur Überführung des Beschäftigten in eine dafür eingerichtete Transfergesellschaft (Tranfer PLUS) zur Verfügung zu stellen. Das Angebot sollte aus einer Abfindung (0,8 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr) und der Unterstützung bei der Stellensuche bestehen. 5
Wirtschaftlicher Erfolg trotz Problemen in der Umsetzung
Bereits nach zwei und nicht wie geplant nach drei Jahren wurde das finanzielle Ziel des fit-Projektes erreicht. Durch die Initiative der gesamten Belegschaft – und gestützt durch den konjunkturellen Aufschwung der Jahre 2006 und 2007 – konnte das Stand-
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ortergebnis um drei Mio. Euro verbessert und das Unternehmen von den roten in die schwarzen Zahlen gebracht werden. Durch die Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten konnten zahlreiche Arbeitsabläufe in verschiedenen Bereichen optimiert und Einsparungen bei Prozess- und Materialkosten realisiert werden. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass der wirtschaftliche Erfolg auch auf den finanziellen Verzicht der Beschäftigten zurückzuführen war. Hier einige erwähnenswerte Erfolge: Verbesserte Spezifikation für Hartmetall (Austauschbarkeit der Lieferanten) Komplementierung einer Produktreihe im Standardpumpengeschäft Einführung eines neuen kostengünstigeren Pumpentyps und einer neuen Antriebselektronik im Bereich trockenlaufender Vakuumpumpen Verbesserung der Beständigkeit durch Überarbeitung störungsanfälliger Pumpenreihen Entwicklung eines Hydraulikbaukastensystems 3DCAD – Einführung, Verzahnung mit Konstruktion, Fertigung und Dokumentation Anschaffung einer zusätzlichen Vorrichtung zur Rüstzeitminimierung Reduzierung der Durchlaufzeit durch Komplettbearbeitung von Produktteilen auf einer Maschine Effizientere Bearbeitung von Teilen durch Anschaffung eines neuen BAZ Reduzierung der Fertigungszeiten und bessere Auslastung neuerer Maschinen durch Umstellung von Teilen anderer Maschinen auf neue BAZ Kaum jemand hatte zu Beginn des Projektes damit gerechnet, dass wir den eingeschlagenen Innovationsprozess unter Beteiligung aller Beschäftigten und der Arbeitnehmervertretung drei Jahre lang durchhalten würden. Der Vorschlag des Betriebsrats und der IG Metall, einen Verbesserungsprozess in Form des fit-Projektes zu initiieren, wurde von einigen Beschäftigten anfänglich sehr kritisch gesehen.
Exkurs: Gemeinsam für den Standort – Aber Eigentümer entscheidet unter anderen Gesichtspunkten Die Freude über die Erfolge des fit-Prozesses währte allerdings auf Seiten der Belegschaft und des Betriebsrats nicht allzu lang. Für Irritationen und Ängste in der Belegschaft sorgte ein Zeitungsbericht in der Financial Times Deutschland im Frühjahr 2008 – also noch während der Laufzeit des Projektes. Das Unternehmen Sterling SIHI sollte verkauft werden. In einer Belegschaftsinformation erklärte die Geschäftsführung hierzu, dass das Unternehmen sich durch „fit“ saniert habe und man sich aufgrund der
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weltweit anstehenden Projekte auf dem Pumpenmarkt viel für das Unternehmen erhoffe. Es wäre sinnvoll, in dieser Situation in das Unternehmen zu investieren. Da aber TBG kein Geld mehr in Sterling SIHI investieren wollte, sei es ratsam, das Unternehmen zu verkaufen. Aus diesem Grund suchte man auf dem Markt nach Investoren. Dieser Bericht hatte zur Folge, dass es in den Projektteams kaum noch zu Aktivitäten kam. Für „fit“ waren die erforderlichen Einsparungen ohnehin schon erzielt worden. Jetzt sah es auf einmal so aus, als ob der Eigentümer Kasse machen wollte – das Unternehmen mit Hilfe der Belegschaft saniert und dann zu einem guten Preis verkauft! Vielleicht sogar an einen Wettbewerber, der dann Synergien sucht und doppelt so schnell Personal abbaut – oder an einen Private-Equity-Investor, der betriebswirtschaftliche Optimierung mit Kostensenkung übersetzt. Sollte die Phase gemeinsamer Problemlösung so schnell wieder beendet sein? Es kam anders. Im Oktober 2008 verkündete die Unternehmensleitung, dass alle Verkaufsaktivitäten sofort eingestellt werden. Durch die Weltwirtschaftskrise war ein Verkauf für TBG nicht mehr möglich. Das fit-Projekt wurde dann im Frühjahr 2009 wie geplant abgeschlossen.
Was haben wir erreicht? Was haben wir gelernt? Auch wenn das wirtschaftliche Ziel erreicht wurde, besteht in vielen Bereichen immer noch Verbesserungspotenzial und es wurde auch nicht alles erreicht, was man sich vorgenommen hatte. Grundsätzlich haben sich der Aufwand und die Arbeit aus heutiger Sicht aber gelohnt: Es wurden keine Entlassungen ausgesprochen und es hatte keine 40 Stunden-Woche ohne Lohnausgleich gegeben! Förderlich für den gesamten fit-Prozess war sicherlich der konjunkturelle Aufschwung, der bereits zu Beginn des Jahres 2006 zu spüren war. Durch den erhöhten Auftragseingang war der Druck auf einzelne Projektmaßnahmen nicht ganz so hoch. Auch dadurch, dass wir bereits nach zwei Jahren das finanzielle Ziel erreicht hatten, konnte etwas Druck aus dem laufenden Prozess genommen werden. Durch das wachsende Tagesgeschäft wurde es für die Beschäftigten gleichzeitig schwieriger, Projektarbeit neben der normalen Tätigkeit zu leisten. Aufgrund personeller Engpässe wurde die Priorität dann verständlicherweise auf die Produktion gelegt. Erfreulich war, dass in einigen Bereichen sogar Einstellungen vorgenommen wurden. Statt Entlassungen hatte das Unternehmen drei Jahre nach Projektbeginn 30 offene Stellen, die Ausbildungsquote lag bei mehr als 12%.
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Kritisch bleibt anzumerken, dass nicht alle Beschäftigten die Möglichkeit genutzt haben, sich aktiv an „fit“ zu beteiligen und ihre Verbesserungsideen einzubringen. Rückblickend waren zudem manche Entscheidungswege zu lang und die Umsetzung mancher Projektideen dauerte entschieden zu lange. Trotzdem haben wir aus Betriebsratssicht den richtigen Schritt in die richtige Richtung gewagt. Es wäre fatal gewesen, nach Projektende wieder in alte Verhaltensmuster zu verfallen oder an dem Erreichten nicht weiterzuarbeiten. Denn der Belegschaft ist vor allem Erfahrungswissen zugewachsen, das in neuerlichen Krisensituationen von unschätzbarem Wert sein kann. 6
Wirtschafts- und Finanzkrise: Konflikt und Kurzarbeit und ein neuer Anlauf für ein fit-II-Projekt?
Leider bekam auch Sterling SIHI die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu spüren. Diese führte zu Beginn des Jahres 2009 zu einem Auftragsrückgang von 33%. Bereits im Februar 2009 wurde der Betriebsrat davon unterrichtet, dass im gesamten Unternehmen mit Kurzarbeit zu rechnen sei. Das Unternehmen hatte sich zwar durch das fit-Projekt ein Polster erarbeitet, von dem es in der weltweiten Krise zehren konnte. Nach zwei Verhandlungen waren sich Geschäftsführung, Betriebsrat und die IG Metall jedoch darüber einig, bei der Arbeitsagentur Kurzarbeit zu beantragen. Dies war im April 2009 dann der Fall. In der Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit, die bis Ende 2009 Gültigkeit besaß, wurden folgende Punkte vereinbart: Kurzarbeit ist bis zu 50% möglich. Es gibt eine Zuzahlung des Unternehmens von 50% zum Nettoentgelt. Bis Ende 2009 darf keine Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen werden. Kurzarbeit wird nur in Zusammenhang mit Qualifizierung der Belegschaft durchgeführt. Um eine neue sozialverträgliche Betriebsvereinbarung für das Jahr 2010 abschließen zu können, bedurfte es leider wieder großer Anstrengungen und Aktionen des Betriebsrats, der IG Metall und der gesamten Belegschaft. Erst nach massivem Druck durch Warnstreiks und einem Antrag auf Urabstimmung und Streik bei der IG Metall in Frankfurt, zeigte sich die Geschäftsführung kompromissbereit. In der daraufhin für 2010 getroffenen Betriebsvereinbarung zu Kurzarbeit und Qualifizierung wurden folgende Regelungen getroffen: Es kann bis zu 100% Kurzarbeit durchgeführt werden. Bis Ende 2010 sind Kündigungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats möglich.
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Übernahme der Auszubildenden ist garantiert bis Ende 2010. Kündigungsschutz von sieben Beschäftigten mit Zeitverträgen ist garantiert bis Ende 2010. Zuzahlung zum Kurzarbeitergeld ab dem 6. Tag der Kurzarbeit im jeweiligen Monat ist gesichert. Während der Kurzarbeit werden weiterhin Qualifizierungen am gesamten Standort durchgeführt. Der Abschluss dieser Vereinbarung und die Absicherung der Beschäftigung am Standort Itzehoe sind aus Sicht des Betriebsrats und der IG Metall wichtige Voraussetzungen, um im Jahr 2010 mit der Geschäftsführung über einen neuen Innovationsprozess zu verhandeln. Die Weichen dafür wurden bereits im Juni 2009 gestellt, als IG Metall und Geschäftsführung eine Einigung über einen Tarifvertrag als Grundlage zur Gestaltung eines nachhaltigen Innovations- und kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) erzielten. Dieser Vertrag fungiert gleichzeitig als Ablösungstarifvertrag zum bestehenden Ergänzungstarifvertrag Innovation und Standort- und Zukunftssicherung. 98% der IG Metall-Mitglieder stimmten in einer geheimen Urabstimmung für die Annahme des Ergebnisses. Ziel des neuen Tarifvertrags ist es, die bewährte Zusammenarbeit trotz der schwierigen Situation durch die bestehende Wirtschaftskrise fortzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch Innovation und Qualifizierung unter tariflich garantierter Beteiligung der Belegschaft und Mitwirkung der Arbeitnehmervertretungen weiter zu erhöhen. Nachdem die Betriebsvereinbarung und der Ergänzungstarifvertrag unterzeichnet worden sind, ist die Stimmung im Unternehmen wieder etwas entspannter. Auch die Auftragslage sieht seit Dezember 2009 in mehreren Bereichen wieder besser aus. Im Januar 2010 gab es einen neuen Termin mit der Geschäftsführung, der IG Metall und dem Betriebsrat. Gemeinsam soll in einer ähnlichen Art ein neuer fit-Prozess begonnen werden. Nach der erfolgreichen Umsetzung des ersten fit-Projektes will Sterling SIHI auf diesem Weg weiter gehen. Ziel ist es, mehr Marktanteile zu gewinnen, die Qualitätsführerschaft zu erreichen und mit neuen Produkten zu wachsen. Die Krise ist noch nicht vorbei und das Jahr 2010 wird für Sterling SIHI nicht einfach sein. Doch die Bereitschaft, gemeinsam den Standort und damit die Arbeitsplätze zu erhalten, ist bei allen Beteiligten vorhanden. Wir müssen ständig um den Erhalt des Unternehmens und unserer Arbeitsplätze kämpfen, aber es lohnt sich und der Erfolg gibt uns recht! Sterling SIHI bleibt also weiterhin dem alten Leitbild treu: „Ein Unternehmen in Bewegung“.
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Sterling SIHI – SIHI : Ein gemeinsames Innovationsprojekt
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Literatur Schumann, M., Kuhlmann, M. & Sperling, H. J. (2008). Zwischen Toyota und Tradition. Das VW Projekt „Auto 5000“ als mitbestimmungsjustierte Unternehmenskultur. In R. Benthin & U. Brinkmann (Hrsg.), Unternehmenskultur und Mitbestimmung. Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt (S. 243-258). Frankfurt a. M. & New York: Campus. Wilke, P., Stracke, S. & Vetterlein, A. (2009). Beteiligung in der Krise? Thesen zu Interessenkonflikten betrieblicher Mitbestimmungsträger bei Innovationsprojekten. In I. Gatermann & M. Fleck (Hrsg.), Innovationsfähigkeit sichert Zukunft. Beiträge zum 2. Zukunftsforum Innovationsfähigkeit des BMBF (S. 407-415). Berlin: Duncker & Humblot.
SAM Electronics – Notwendige Anpassung an veränderte Märkte: Wie kann Innovation im Unternehmen umgesetzt werden? Bernd Manthey & Ulrich Weinreuter
„Nur wer ewig strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Faust)
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Einleitung: Position und Strategie von SAM im Schiffbauzuliefermarkt in den letzten zehn Jahren
Die SAM Electronics Gruppe ist im Schiffbauzuliefermarkt tätig. Das Unternehmen entwickelt und fertigt integrierte elektronische und elektrische Systeme für Werften und Reeder weltweit. Wesentlicher Teil der Aktivitäten von SAM Electronics sind Ingenieurdienstleistungen und Service rund um die eigenen Produkte. Mit rd. 1.300 Mitarbeitern in acht Ländern erwirtschaftet die Gruppe einen Umsatz von 350 Mio. Euro. Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern auf dem hart umkämpften Schiffbauzuliefermarkt kann SAM seinen Kunden (und das sind überwiegend Werften und Reeder) weltweit alle relevanten Produkte und Dienstleistungen auch als integrierte Lösung aus einer Hand anbieten. Hier und in der hohen Qualität der Produkte und Dienstleistungen liegen Wettbewerbsvorteile für SAM. Das Unternehmen hat zwei zentrale Geschäftsmodelle, die jeweils besondere Anforderungen an Management und Mitarbeiter mit sich bringen: Klassisches Produktgeschäft: Dieses umfasst die komplette Palette in der Schiffsausrüstung von elektronischen und elektrischen Systemen bei Navigations- und Kommunikationssystemen, Automationssystemen, Systemen zur Energieerzeugung und Verteilung bis zu elektrischen Antriebssystemen. SAMProdukte werden von Kunden weltweit für ihre herausragende Technik und Qualität geschätzt. In den Feldern Automation und Navigation, die ca. 50% des Geschäfts ausmachen, ist SAM einer der führenden Anbieter auf dem Weltmarkt (Platz 3 in einem internationalen Ranking). Turnkey-Geschäft: Hier wird SAM quasi Generalunternehmer und übernimmt das Design und Engineering komplexer Lösungen genauso wie die Lieferung und Installation aller dazu gehörigen Produkte. SAM tritt dabei als Partner von Werften auf, die sich auf Stahlbau und Systemintegration spezialisiert haben und bei denen Aktivitäten rund um die Elektronik inzwischen weitgehend „outgesourct“ worden sind.
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SAM konnte in den letzten Jahren bis zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise in beiden Geschäftsbereichen von außergewöhnlich guten Marktbedingungen profitieren. Der weltweite Schiffbaumarkt nahm seit Anfang 2000 aufgrund der hohen realen und höheren prognostizierten Wachstumsraten im Welthandel eine rasante Entwicklung. Allein im Zeitraum von 2003 bis 2009 wuchs die Anzahl jährlich neu abgelieferter Schiffe auf den Werften weltweit um rd. 150%. Die Schiffsneubestellungen wiesen sogar ein noch stärkeres Wachstum auf. In Folge der hohen Nachfrage, die kurzfristig weit über den vorhandenen Produktionskapazitäten lag, stiegen die Preise für neue Schiffe kontinuierlich an. Damit war ein Marktumfeld geschaffen, das Anreize lieferte, die globalen Werftkapazitäten immer weiter auszubauen. Vor allem asiatische Länder setzten hier Maßstäbe. Koreanische Werften steigerten ihren Ausstoß auf der Grundlage erzielter Effizienzgewinne, während sich China gleichzeitig das Ziel setzte, „Schiffbaunation Nummer 1“ in der Welt zu werden und den Bau immer neuer Werften förderte. Auch in anderen asiatischen Ländern wie Indien oder Vietnam entstanden neue Werftkapazitäten. Auch deutsche Werften profitierten vom anhaltenden Wachstum des Weltschiffbaus. Die Auftragsbücher waren 2007/2008 so gut gefüllt, dass Reeder auch hierzulande Lieferzeiten von zwei bis drei Jahren in Kauf nehmen mussten. Hauptsächlich aufgrund der bestehenden Kostennachteile verlief die Wachstumskurve der deutschen Werften aber wesentlich flacher als die der asiatischen Konkurrenz. Der Nachfrageboom konnte die strukturellen Veränderungen auf der Weltschiffbaulandkarte nur zeitlich verzögern und abschwächen, nicht aber grundsätzlich verhindern. Aufgrund von Produktionskostenvorteilen wird Asien den Weltschiffbaumarkt mittelfristig dominieren. Anbieter aus Ländern mit deutlich höherem Lohnniveau wie z.B. die deutschen Werften müssen ihre Position in Nischensegmenten suchen. Beim Bau von Standardschiffen sind sie aufgrund ihrer Kostenstrukturen nicht mehr wettbewerbsfähig. SAM Electronics hat jahrelang am Boom partizipiert. Jährlich konnten wir neue Umsatzrekorde vermelden und gleichzeitig unseren Auftragsbestand kontinuierlich erhöhen. Trotz steigender Neubaupreise für Schiffe sahen sich die Zulieferer aber einem ständig zunehmenden Preisdruck ausgesetzt. Die Herausforderung für das Management bestand in diesen Jahren zum einen darin, am rasanten Wachstum teilzunehmen und dieses zu beherrschen, und zum anderen darin, sich mit den Folgen der Verlagerung des Schiffbaus nach Asien auseinanderzusetzen.
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Ein vordringliches Problem war es auf einmal, qualifizierte Fachkräfte zur Bewältigung des aktuellen Auftragsbooms zu finden. Zwar hatte SAM Electronics seit jeher sowohl im technischen wie auch im kaufmännischen Bereich ausgebildet und gemeinsam mit der Nordakademie auch ein Studium zum Wirtschaftsingenieur angeboten. Doch damit konnte der kurzfristig drastisch gestiegene Bedarf an qualifizierten Ingenieuren nicht gedeckt werden. Denn geprägt von Erfahrungen im zyklischen Schiffbaumarkt und angesichts eines permanenten Kostendrucks war die Personaldecke bei SAM knapp gehalten worden. Dies stellte sich jetzt als limitierender Faktor für ein mögliches weiteres Wachstum dar. Gleichzeitig forderten die Kunden am Markt Preissenkungen. Es gab einen zunehmenden Druck auf die Ertragsmargen. Aus Sicht der Geschäftsführung stand daher die Senkung der Herstellkosten zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im Produktgeschäft als Thema weiterhin ganz oben auf der Agenda. Ein wichtiges Element der SAM-Strategie war in diesem Zusammenhang der weitere Ausbau der Präsenz in Asien und die Lokalisierung der Produktion. So wurde im chinesischen Taizhou ein neues Werk auf der grünen Wiese errichtet und die Anzahl an Mitarbeitern wurde schnell vergrößert. Die Palette der in China produzierten Systeme wurde sukzessive ausgedehnt. Gleichzeitig verfolgte SAM eine Produktstrategie, die darauf abzielte, durch Setzen neuer technischer Standards und die Entwicklung leistungsfähigerer, skalierbarer und höher integrierter Systeme im Bereich von Navigations- und Automationsanlagen technologischer Vorreiter zu werden, um so dem Kostenwettbewerb zu entgehen. Mit diesem strategischen Ziel wurde seit 2005 das Entwicklungsbudget für drei Jahre verdoppelt. Die Produktstrategie wurde im Turnkey-Geschäft durch den Ansatz ergänzt, in unseren „alten Märkten“ neue Turnkey-Kunden zu gewinnen. Deutsche und europäische Werften stehen unter enormem Kostendruck. Viele stellen die Überlegung an, sich von Overhead-Bereichen wie dem Engineering und der Projektabwicklung der kompletten Elektrotechnik zu trennen. SAM bietet diesen Werften Komplettlösungen vom Design bis zur Schlüsselfertigen Installation aller Systeme an Bord. 2
Strategien des Managements zur Bewältigung des Wandels: Vom Boom 2004/2005 zur Krise 2008/2009 und zur erneuten Konsolidierung
Die durch die Finanz- und Weltwirtschaftskrise ausgelösten Folgen für den Schiffbau und die Schiffbauzulieferindustrie wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 immer deutlicher sichtbar. Fracht- und Charterraten fielen sehr schnell auf das Niveau
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der 1970er Jahre, so dass Reeder ihre Schiffe nicht mehr kostendeckend betreiben konnten. In Reaktion auf die Überkapazitäten am Markt wurden weltweit 1.500 Schiffe außer Betrieb gestellt. Fest erteilte Aufträge für Schiffsneubauten wurden um bis zu 24 Monate verschoben oder storniert. In Deutschland meldeten zahlreiche Werften Insolvenz an oder waren wirtschaftlich in Ihrer Existenz bedroht. Der Wettbewerb um die wenigen im Markt verbliebenen Aufträge verschärfte sich drastisch. Fallende Preise und sich weiter verschärfender Kostendruck waren die Folge. Auch bei SAM wurde für 2010 zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Umsatzrückgang von 20% prognostiziert. Die vordringliche Aufgabenstellung lautete, Kapazitäten anzupassen und weitere Kostensenkungspotenziale zu identifizieren – eine Aufgabe, die mit den Mitteln des klassischen „cost cutting“ nur mäßigen Erfolg versprach. Dies galt umso mehr, als das Unternehmen in den Jahren davor schon mehrere Kostenreduzierungsrunden absolviert hatte. Bereits sechs Monate zuvor hatte SAM noch unter den Prämissen eines boomenden Marktes ein Projekt zur Analyse interner Prozesse gestartet. Mit angestoßen worden war dieses Projekt auch vom Betriebsrat, der Kritik an den Abläufen innerhalb des Unternehmens in Form von 14 Thesen geäußert hatte. Gemeinsam hatten Betriebsrat und Geschäftsführung daraufhin beschlossen, die wesentlichen Prozesse im Unternehmen zu analysieren und nach Verbesserungspotenzialen zu suchen. Erklärte Strategie dabei war es, dass das Projekt gemeinsam von der Geschäftsführung und dem Betriebsrat durchgeführt wird. Damit sollte Transparenz für alle Beteiligten hergestellt und die Akzeptanz in der Belegschaft gefördert werden. Darüber hinaus sollte die Prozessanalyse auf eine möglichst breite Mitarbeiterbasis gestellt werden, um vom vorhandenen Know-how zu profitieren. Tabus sollte es nicht geben. Jeder Teilprozess, aber auch Strukturen durften infrage gestellt werden. 3
Die Entscheidung zur gemeinsamen Bewältigung des strukturellen Wandels: Kein einfaches „cost cutting“, sondern Innovation und MAP 2008
3.1 Ausgangsbasis Im Rückblick waren es drei Faktoren, die die Lage des Unternehmens SAM im Jahr 2007 im Besonderen bestimmten: Erstens ein Schiffbaumarkt, der weltweit geprägt war durch eine Auftragslage auf hohem Niveau, zweitens ein zunehmender Preisdruck für die Produkte der SAM Electronics GmbH, und drittens eine spürbare interne Kritik und Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern auf allen Ebenen. Diese Kritik wurde u.a.
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deutlich auf einer Veranstaltung mit allen Mitarbeitern („Marktplatz“), bei der Kritik an diversen Abläufen im Unternehmen geäußert wurde. Der Betriebsrat machte sich sehr aktiv zum Sprachrohr der Belegschaft und formulierte 14 Thesen, die Themen ansprachen wie:
Personaldecke Informationsfluss Kommunikation Entscheidungswege Mut zur Entscheidung Verbote, Gebote, Normen ERA Fördergespräche Zielvereinbarungen Frust der Vorgesetzten Führungsebenen Ausbildung Interesse an Innovationen und Unternehmenskultur
Obwohl sie zu einem guten Teil selbst kritisiert wurde, griff die Geschäftsführung die Kritik auf und versuchte, die Kritikpunkte positiv in Veränderungsenergie umzusetzen. Nach interner Diskussion wurden sechs Bereiche festgelegt, in denen gemeinsam Veränderungen gesucht werden sollten:
Kommunikation Ausbildung, Weiterbildung Personalförderung, -entwicklung Unternehmensorganisation (Führungsebenen, -strukturen) Prozesse und Entscheidungswege, -kompetenz
In allen diesen Bereichen (intern auch als Kraftfelder bezeichnet) wurden Potenziale vermutet, die es auszuschöpfen galt, um SAM für die Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen und Prozess-Performance, Kostensituation, Kundenzufriedenheit und Mitarbeitermotivation nachhaltig zu verbessern. Aber wie organisiert man einen solchen Prozess, bei dem es darum geht, allgemeine Kritik an betrieblichen Missständen in konkret messbare Verbesserungen umzusetzen? Bei SAM beschloss die Geschäftsführung, dem Betriebsrat ein Re-Engineering-Projekt
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vorzuschlagen, das umfassend und ohne Vorgaben alle Prozesse untersucht und Optimierungsvorschläge erarbeitet. Dabei sollte vorrangig das Wissen der Mitarbeiter um Störgrößen genutzt werden, um die notwendigen Abhilfemaßnahmen zu erarbeiten und die Umsetzung auf den Weg zu bringen. Der Name des Projektes war „MitArbeitergetragene Prozessoptimierung im Jahr 2008 – MAP 2008“. 3.2 Wichtig für den Erfolg: Gemeinsame Definition von Randbedingungen des Projektes Ein Unternehmen wie die SAM-Gruppe mit ca. 1.200 Mitarbeitern (SAM GmbH in Hamburg ca. 650 Mitarbeiter) und einer Vielzahl von Geschäftsprozessen und Abläufen analysieren zu wollen, ist keine triviale Aufgabe, sondern setzt voraus, dass sich alle Beteiligten über Methoden und Vorgehen einig sind. In einem ersten Schritt wurde daher zunächst definiert, wie tief die Analyse gehen soll. Folgende Anforderungen wurden definiert: Betrachtung aller Produkt- und Zentralbereiche Einbindung der Tochtergesellschaften Berücksichtigung von Projekt- und Produktgeschäft Angestrebt werden sollten in der Analysephase eine gesamtheitliche, bereichsübergreifende Sicht und ein möglichst intensives Einbinden aller Mitarbeiter. Um schnell zu messbaren Erfolgen zu kommen, wurden vorrangig die Prozesse und Geschäftsfelder betrachtet, in denen die größten Effizienzreserven vermutet wurden:
das Projektgeschäft bis zur Übergabe an den Service das Produktliefergeschäft das Servicegeschäft die logistischen Prozesse und die Unternehmensplanung/das Reporting
Das Vorgehen erfolgte in vier Phasen, die sich logisch aus der Idee des ReEngineering ergeben. Jedes der später eingesetzten Projektteams folgte diesem Vorgehensmodell: Phase 1: Festlegung des Untersuchungsbereichs Phase 2: Beschreibung der wichtigsten Prozesse Phase 3: Sammlung und Entwicklung von Vorschlägen und Ideen zu Konzeption und Organisation einer mitarbeitergetragenen Prozessoptimierung Phase 4: Umsetzung der Vorschläge aus der mitarbeitergetragenen Prozessoptimierung
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Die einzelnen Schritte wurden sequentiell durchlaufen und hatten am Ende die Beseitigung der Schwachstellen als Ziel. Ergänzend zu dieser sequentiellen Vorgehensweise war von Beginn an die Identifizierung von „quick win“-Maßnahmen vereinbart, um schnell zu realisierende Verbesserungen sofort einzuführen und so die Mitarbeitermotivation im Projekt zu steigern. 3.3 Projektorganisation: Klare Führung und viel Beteiligung Ein Unternehmen wie SAM ist geprägt durch einen hierarchischen Aufbau. Jedes Projekt zur Veränderung von betrieblichen Abläufen braucht daher eine klare Leitungsstruktur und die Unterstützung der Geschäftsführung. Um hier möglichst eindeutig Vorgaben zu machen und die Gemeinsamkeit in der Projektdurchführung zu unterstreichen, wurde ein Lenkungskreis eingerichtet, der aus Geschäftsführung und dem Betriebsratsvorsitzenden bestand. Darunter gab es eine Projektorganisation mit fünf Teams, die mit durchschnittlich sechs Personen multifunktional, d.h. aus allen Bereichen der Geschäftsabwicklung, besetzt waren. Die Teammitglieder wurden dabei aus der Sachbearbeiter- und Teamleiterebene ausgewählt. Jedes Team wurde von einem Teamleiter aus dem mittleren Management geführt. Die Teamleiter bildeten wiederum mit der Projektleitung das sogenannte Kernteam, das verantwortlich war für die Projektdurchführung, die Planung und Steuerung des Projektes, die Entscheidungsvorbereitung und die Definition von Aufgaben. Das Kernteam berichtete monatlich an den Lenkungskreis, der die Entscheidungen über vorgeschlagene Maßnahmen traf und für die Mittelfreigabe verantwortlich zeichnete. Da das Unternehmen zwar den Anspruch hatte, möglichst viel aus eigenen Kapazitäten zu machen, aber eigentlich selbst kaum Know-how und Projektleitungserfahrung in solchen Vorhaben hatte, wurden zwei externe Berater für Unterstützung und Coaching eingebunden. Zusätzlich bekam jedes Team einen sogenannten „Sponsor“ aus dem oberen Management zugeordnet, der die Arbeit unterstützen sollte und mögliche Umsetzungsprobleme auch bei anderen leitenden Mitarbeitern mit lösen sollte. Nachdem das Projekt gestartet war und alle fünf Teams ihre Untersuchungsbereiche festgelegt hatten, begann eine intensive Analyse der Prozesse. In dieser Phase 2 wurden fast 150 Mitarbeiter für kurze oder längere, wechselnde Zeiträume in die Projektarbeiten eingebunden. Alle leisteten diese Arbeit neben den tagesaktuellen Aufgaben und ihrer eigentlichen Tätigkeit. Dies konnte nur durch einen hohen Grad an Solidari-
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sierung erreicht werden, d.h. andere Mitarbeiter aus den Abteilungen übernahmen in dieser Zeit zusätzliche Aufgaben, die durch die Projektarbeit liegen geblieben waren. 3.4 Methodik in der Prozessanalyse Für Prozessanalysen in Unternehmen stehen viele unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Bei SAM kam es uns darauf an, einerseits möglichst viele Mitarbeiter zu beteiligen und eine hohe Transparenz der Abläufe zu erreichen. Gleichzeitig sollte die Erfassung der Prozesse kompatibel sein mit Softwarelösungen, die im Unternehmen bereits zur Dokumentation von Produkten und zur Qualitätssicherung verwendet wurden. Ziel war es, die transparente Erfassung der wesentlichen Geschäftsprozesse und der zugehörigen Schwachstellen bzw. Störgrößen zu ermöglichen. Um sowohl Beteiligung als auch IT-gestützte Transparenz zu erreichen, haben wir uns für eine Kombination aus Metaplantechniken und PC-gestützter Dokumentation als Werkzeuge entschieden. Die Mischung erwies sich als gut gewählt und visuell leicht verständlich. Die Erfassung der Prozesse und ihrer Schwachstellen erfolgte in den Teams mit Post-it-Etiketten auf Metaplanwänden. Dies erlaubte eine produktive und auch kreative Team-Diskussion und vermied „Ermüdungserscheinungen“, die bei reiner PC-Erfassung immer wieder auftauchen. Für die eigentliche Prozessdokumentation wurden diese Metaplan-Darstellungen danach in Excel-Tabellen übernommen und um weitere quantitative und qualitative Informationen wie Potenziale, Auswirkungen der Störgrößen, Durchlaufzeiten etc. ergänzt. Die Inhalte dieser Excel-Tabellen wurden von der Projektleitung in das ProzessManagementtool ViFlow übertragen, um für weitere Bearbeitungen eine professionelle Basis zu haben und Veröffentlichungen zu ermöglichen, die auf einfache Art mittels Web-Browser bedient werden können. Für eine professionelle Visualisierung der Prozesse und Abläufe wurde die Swimlane-Methodik verwendet und eine Baumstruktur der Prozesse gezeichnet. Insgesamt wurden so knapp 1.400 Prozessschritte erfasst, dokumentiert und auf ihre Effizienz bewertet. Das Ergebnis war beeindruckend: Es wurden 470 Störgrößen in den erfassten Prozessen identifiziert, die einer reibungslosen und kostenoptimierten Bearbeitung im Weg standen. Eine solche Menge von Störgrößen kann nicht auf einen Schlag bearbeitet und beseitigt werden. In vielen Fällen waren die Beseitigung von Störgrößen und die Änderung von Prozessen auch an personelle und investive Voraussetzungen gebunden. Um eine Bearbeitung im dritten Projektschritt zu ermöglichen, wurden daher vorab die Störgrößen geclustert und mit Prioritäten versehen.
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Auf Grundlage einer solchen Sichtung in den Projektteams und in der Lenkungsgruppe wurden Handlungsfelder gebildet, deren Inhalte durch das Kernteam auf Überschneidungen untersucht wurden. Danach wurden sie zur Bearbeitung wieder den fünf Teams zugeordnet. Im Ergebnis blieben 250 Störgrößen übrig, die bearbeitet werden sollten. In dieser Phase wurden für die Handlungsfelder Lösungskonzepte und Maßnahmen zu ihrer Realisierung erarbeitet. Teilweise wurden hierzu auch temporär neue Arbeitsgruppen gebildet, die Prozessverbesserungen und strukturelle Veränderungen der Aufbauorganisation diskutierten. Zur Analyse der Auswirkungen und Effekte dieser Veränderungen erwies sich die Balanced-Scorecard-Methode als sinnvolles Instrument, um auch nicht direkt quantifizierbare Ziele zu erfassen. Die Methodik von MAP 2008 wird in Abbildung 1 dargestellt:
Abb. 1: Methodik von MAP 2008 (Quelle: SAM Electronics)
3.5 Ergebnisse Wie nicht anders zu erwarten, gab es kurzfristig realisierbare Ideen und Vorschläge und eher mittelfristig wirksame Ansätze. Zu den zahlreichen „quick wins“ gehörten die Einrichtung zusätzlicher Bildschirmarbeitsplätze in der Reparaturabteilung, die Beschaffung von standardisierten Servicekoffern für die Monteure und die Einstellung
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von fünf zusätzlichen Außendienstmitarbeitern. Diese Maßnahmen, die jeweils mit Investitionen verbunden waren, wurden im Lenkungskreis besprochen und im dritten Quartal 2008 realisiert. Die mittel- und langfristig umsetzbaren Ergebnisse wurden den Themenkreisen „Strategische Themen“, „Basisthemen“ und „Detailthemen“ zur Weiterbearbeitung zugewiesen und ebenfalls mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen versehen.
Strategische Themen: Aufgaben für die Geschäftsführung Als strategisch wurden die Themen bezeichnet, die umfassende Auswirkungen auf die Geschäftsfelder von SAM haben und daher immer eine Zustimmung der Geschäftsführung und teilweise auch der Gesellschafter benötigen. Zu diesen strategischen Themen gehörten u.a. die grundsätzliche Neuausrichtung unterschiedlicher Prozesse im Projekt-, Produktliefer- und Servicegeschäft in der SAM-Gruppe die konsequentere Umsetzung der Planung und Steuerung von Materialien und Kapazitäten in der SAM-Gruppe die Neuausrichtung des Retrofit-Geschäfts sowie die Reorganisation der Bestandsplanungs- und Logistikprozesse im Service. Nach Diskussion in der Lenkungsgruppe wurden zu diesen strategischen Themen gemeinsame Vereinbarungen getroffen und mit den Gesellschaftern besprochen. In Folge wurden bis Juni 2009 folgende Umsetzungen eingeleitet: Eine neue interne Organisationsstruktur der SAM Electronics GmbH wurde zum 08.06.2009 veröffentlicht. Zwei Arbeitskreise arbeiten zusammen mit den Tochtergesellschaften (TG) an der Realisierung einer gruppenweiten Bestandsplanung bzw. des Direkteinkaufs durch TGs. Ein multifunktionales Team Retrofit wurde gegründet. Die Service-Materialien werden in einem getrennten virtuellen „Werk“ in SAP gesammelt und können so mit eigenen Planungs- und Bewirtschaftungsstrategien geführt werden.
Basisthemen: Was sich im Alltag ändern kann In die Basisthemen wurden die grundlegenden Prozesse aufgenommen, die zu Effizienzverlusten und Störgrößen in mehreren Bereichen geführt hatten. Dies bedeutet in
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vielen Fällen eine bessere Erfassung und Pflege von Daten sowie klarere Verantwortlichkeiten. Als Maßnahmen wurden festgelegt: Stammdaten bereinigen (Material, Stücklisten, Arbeitspläne, Debitoren, Kreditoren etc.) Product-Life-Cycle-Management systematisieren und konsequent durchführen gemeinsame DV-Plattform in der SAM-Gruppe etablieren und Stammdaten transparent und vergleichbar in der SAM-Gruppe behandeln Prozessbezogene Erfassung und Visualisierung von Key-Performance-Indikatoren (KPIs) einführen Prozessverantwortliche für übergreifende Prozesse benennen Bis zum Juni 2009 konnten umgesetzt werden: Der Stammdatenbereinigungsprozess führte zur Reduzierung der SAP-Materialstämme um ca. 50%. SAP wurde als ERP-System bei den TGs in Korea, China, Niederlande eingeführt. Prozessverantwortliche sind zum Teil benannt.
Detailthemen: Kleinteilig, aber auch kompliziert umzusetzen Wie in jedem Unternehmen liest sich auch bei SAM die Liste der Detailthemen wenig spektakulär. In diese Kategorie fallen all die kleinen Prozessoptimierungen zur Schnittstellen- und Aufwandsminimierung, die letztlich in einem stark auf Entwicklung und Service orientierten Unternehmen darüber entscheiden, ob Projekte mit Gewinn oder Verlust abschließen. Bei SAM waren dies Themen wie:
Zertifikatsversand China Vereinheitlichung von Checklisten für Service und Abwicklung Vorgabe von Standarddurchlaufzeiten für Produktherstellung Verbesserung von Details an IT-Tools und ERP-System (SAP) Definition der Rahmenbedingungen für die Lieferantenbewertung
Diese Einzelthemen sind bis Juni 2009 zur Hälfte abgeschlossen, die Lieferantenbewertungskriterien sind definiert und entsprechende Möglichkeiten von SAP sind untersucht worden.
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3.6 Fazit: Ein erfolgreiches Projekt – Aber doch nur ein erster Schritt Der Versuch einer mitarbeitergetragenen Prozessoptimierung bei SAM war ohne Zweifel erfolgreich und die Mitarbeiter haben große Verbesserungspotenziale aufgezeigt. Aber in der Umsetzung hat sich vieles als schwieriger herausgestellt als erwartet. Vor allem das Ableiten von Soll-Prozessen muss in der Zukunft stärker geschult und trainiert werden. Zusätzlich ist eine dauerhafte Plattform zu schaffen, um Ideen und Engagement der Mitarbeiter weiterhin kontinuierlich erfassen und umsetzen zu können. Dazu ist ein kontinuierliches Prozessmanagement einzuführen und es sind Prozessverantwortliche für übergreifende Prozesse zu benennen. Für die Geschäftsführung ist das Fazit eindeutig: der Ansatz hat sich bewährt, aber: „Wir sind erst am Anfang eines erfolgversprechenden Weges.“ 4
Wie verändert man Strukturen und Verhalten? Erfahrungen mit Beratereinsatz, Führungskräften und Anteilseignern
Bei einem auf Veränderung angelegten Prozess ist nicht der einmalige Erfolg entscheidend, sondern die Frage, ob es gelingt, dauerhaft ein neues Verhalten und neue Abläufe zu etablieren. Ein solcher mittel- und langfristiger Erfolg des Projektes „MitArbeitergetragene Prozessoptimierung“ bei der SAM Electronics GmbH kann sich nur einstellen, wenn die Mitarbeiter in den neuen Organisationsstrukturen die neuen, optimierten Prozesse auch täglich leben. Es gilt, die Störgrößen und Reibungsverluste zu minimieren. Um dies zu erreichen hat das Management bei SAM eine Reihe von Methoden angewandt, die sicherstellen sollen, dass Veränderungen auch Erfolge bringen. Einige dieser Ansätze sollen im Folgenden vorgestellt werden. 4.1 Sponsoren: Wähle frühzeitig Unterstützer im obersten Management aus, um Projektteams stärker zu machen Um die Chancen zur Umsetzung von Vorschlägen möglichst positiv zu beeinflussen, ist es in der Unternehmenspraxis erfahrungsgemäß hilfreich, schon während der Projektlaufzeit entsprechende Maßnahmen so früh wie möglich auch mit den Führungskräften zu diskutieren, die nicht im Projekt mitarbeiten. Hierfür sind Vermittler und „Übersetzer“ oft nützlich. Die Rolle der Vermittler zwischen Projekt und Führungsmannschaft übernahmen bei SAM sogenannte „Sponsoren“, die aus dem oberen Management kamen und die Auswirkungen einzelner geplanter Maßnahmen auch auf andere Bereiche und Abteilungen
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überblicken konnten. Sie hatten zudem die Aufgabe, die Projektteams bei Umsetzungsschritten zu unterstützen. Die Sponsoren hatten somit eine wichtige Funktion des „proof of concept“ auf Realisierbarkeit. Da MAP 2008 nicht durch freigestellte Vollzeit-Mitarbeiter durchgeführt wurde, sondern neben der „normalen“ Tätigkeit erledigt werden musste, stand dieses Projekt von Vornherein in einem Spannungsfeld zwischen Abteilungsaufgaben und der Anforderung der Prozessoptimierung. Auch hier hatten die Sponsoren die wichtige Aufgabe der Vermittlung zwischen verschiedenen Abteilungen und der Setzung von Prioritäten in den Aktivitäten in Abhängigkeit von der aktuellen Situation und den Auftrags- bzw. Projektanforderungen. Man kann im Rückblick sagen, dass das Konzept der Sponsoren sich wirklich bewährt hat. Mögliche Konflikte konnten so schon sehr frühzeitig erkannt und bearbeitet werden. Es bestanden keine Chancen, durch negative Interventionen aus einzelnen Abteilungen bzw. einzelnen Fachebenen Vorschläge abzublocken. 4.2 Führungskräfte: Ohne sie geht wenig Ein wichtiges Prinzip bei MAP 2008 war die Bildung der multifunktionalen Teams durch Personen aus der Sachbearbeiter bzw. Teamleiterebene – also keine Besetzung mit Vertretern der obersten Managementebenen. Damit sollten neue Ideen den Weg in die Projektdiskussionen finden und festgefahrene Strukturen kritisch bewertet werden. Das funktionierte in der Praxis gut: Aus den multifunktionalen Teams kamen die meisten Nennungen von Störgrößen, da diese Probleme zur alltäglichen Praxis vieler Mitarbeiter gehörten. Diese Missachtung der vorhandenen Hierarchien bei der Zusammensetzung der Teams brachte allerdings auch eine ganze Reihe von Problemen mit sich. Denn wie man sich leicht denken kann, fühlten sich einige Vorgesetzte der Team-Mitglieder von der Mitarbeit in den Teams ausgeschlossen, obwohl sie ihrer Meinung nach doch eigentlich am besten wussten, wo die Mängel versteckt waren. So richtig es auch ist, vorhandene Hierarchien auszublenden, wenn man möglichst breit nach Innovation suchen will, man darf dabei nicht vergessen, die Führungskräfte auf dem Weg mitzunehmen und sie an bestimmten Stellen immer wieder in den Prozess einzubinden. Bei SAM war es aus heutiger Sicht zwar wichtig und richtig, eine ungewöhnlich gemischte Zusammensetzung der Teams zu wählen und vorhandene Hierarchien im ersten Schritt nicht zu beteiligen. Denn gemischte Teams unter Beteiligung oder gar Lei-
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tung der direkten Vorgesetzten hätten sehr wahrscheinlich nicht diese offenen, kontroversen und auch einmal ungewöhnlichen Diskussionen geführt. Dann wären Personen mit unterschiedlichem Präsentations- und Diskussions-Know-how direkt aufeinandergetroffen und es hätte leicht ein „Wir machen doch alles richtig“-Effekt entstehen können. Aber ohne die Zustimmung der Führungskräfte läuft in der Umsetzung kaum etwas. Daher hätte der Prozess bei SAM um einige kurze Workshops ergänzt werden sollen, auf denen die Führungskräfte diskutiert und Ideen entwickelt und bewertet hätten. Manch mühsame Diskussion in der Umsetzung von Vorschlägen hätte vermutlich vermieden werden können. 4.3 Beratereinsatz: Hilfreich zur Beschleunigung von Prozessen Es war eigentlich von Beginn an klar, dass bei MAP 2008 externe Berater zur Unterstützung und für Coaching-Themen eingesetzt werden sollten. Die Geschäftsführung erhoffte sich dadurch eine Professionalisierung und auch eine zielgerichtete und schnelle Abarbeitung von Themen. MAP 2008 sollte auf keinen Fall im Alltag versanden oder an methodischen Fragen scheitern. Der Einsatz externer Personen erwies sich als eine sinnvolle Methode, um den Stellenwert des Projektes für die Firma zu unterstreichen und so bei den Mitarbeitern eine entsprechende Einstellung zu erzeugen. Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Einsatz von externen Beratern war deren Möglichkeit, Druck im Projekt aufzubauen, um zielgerichteter und schneller zu Ergebnissen zu kommen. Dabei waren die externen Berater in einer besseren Position als die – von eigenen Mitarbeitern gebildete – Projektleitung, da sie keinerlei persönliche Rücksichten nehmen mussten und auch in die üblichen Seilschaften in einem Unternehmen nicht eingebunden waren. Da die externen Berater zudem umfangreiche Erfahrungen aus anderen gleichartigen Projekten mitbrachten, ergab sich durchaus ein positiver Effekt. Es ist aber sehr wichtig, drei Gefahrenpunkte beim Einsatz von externen Beratern im Auge zu behalten und – falls notwendig – entsprechende Gegenmaßnahmen früh genug einzuleiten: Berater neigen dazu, kleinere Formalien zu stark zu betonen und zu viel in Powerpoint vorzutragen, um umfangreiche Ergebnisse präsentieren zu können. Es bestand zumindest bei SAM die Gefahr der Betonung kurzfristiger Lösungsansätze, um schnelle, vorzeigbare Ergebnisse schon während der Projektlaufzeit zu haben.
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Hin und wieder gab es auch den Versuch, „Lehrbuch-Lösungen“ auf die Situation bei SAM zu übertragen – mit geringer Berücksichtigung firmenspezifischer Gegebenheiten. Auch gute Berater (und solche waren bei SAM tätig) kommen da leicht in eine Situation, in der sie bei den Mitarbeitern Akzeptanzprobleme haben. Ihre an sich richtigen Vorschläge werden dann „schon aus Prinzip“ abgelehnt, da ihre Anwendbarkeit in der Firma nicht gesehen wird. Letztlich überwogen aber die positiven Effekte der Beratung – gerade auch in dem bei SAM gewählten Modell, in der Projektleitung und Umsetzung intern besetzt wurden und die Beratung viel mehr aus Coaching und Knowhow-Transfer im Projektmanagement bestand. 5
Wie geht es weiter bei SAM? Maßnahmen für einen langfristigen Erfolg
Um Veränderungen in den Abläufen effizient zu verankern, ist eine hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern unverzichtbar, da sonst „Abkürzungen“ gesucht und Möglichkeiten gefunden werden, um doch die alten bequemen Pfade weiterzugehen. Dies verlangt eine dauernde Einbindung der Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse, d.h. es muss gelingen, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) als alltäglichen Standard in der Firma zu etablieren. Dabei ist bei den Mitarbeitern eine gewisse Begeisterung für Veränderungen zu wecken, um von einer Grundhaltung wegzukommen, die zuerst einmal Angst vor allem Neuen hervorruft. Aber die Anzahl der „Baustellen“ muss überschaubar bleiben und das Management muss es schaffen, einen roten Faden der Veränderungen erkennbar zu machen. Es darf kein Gefühl eines „AusgeliefertSeins“ und einer Undurchschaubarkeit bei den Mitarbeitern und dem mittleren Management entstehen. Sonst kommt es zu Abwehrhaltungen. Eine aus Sicht der Geschäftsführung zentrale Lehre aus dem Veränderungsprozess bei SAM ist es, dass allen „Prozessen ein Gesicht“ zu geben ist, d.h. für jede Veränderung ist ein Prozessverantwortlicher zu benennen, der sowohl Ansprechpartner für Anregungen und Verbesserungsvorschläge ist, aber auch die Optimierung „seines“ Prozesses vorantreibt. Die Aufgaben dieses Prozessverantwortlichen sind genau zu spezifizieren und ihre Erfüllung ist in regelmäßigen Abständen zu überprüfen (interne Prozessaudits). Auch dadurch wird die Wahrnehmung in der Belegschaft verstärkt, dass sich das Management kontinuierlich um die Prozesse und deren Effektivität kümmert. Dies ist umso notwendiger, je mehr Organisationseinheiten an einem Prozess beteiligt sind bzw. je höher die Hierarchiestufe ist, auf der der Prozess abläuft.
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Eine andere wichtige Erkenntnis ist: Die Diskussionen über Schwachstellen und Störgrößen ist kritisch und offen zu führen, aber auch immer wieder zu hinterfragen. Was sind wirkliche Störgrößen und was ist „nur“ Frust über aktuelle Probleme, der nicht auf mangelhafte Prozesse, sondern auf andere Ursachen zurückzuführen ist? Für ein positives „Wir“-Gefühl und ein Klima der Veränderung ist es unbedingt notwendig, Fortschrittsberichte an die Mitarbeiter zu geben und einen Wettbewerb um „die beste Prozessoptimierung“ zu initiieren. Erfolge müssen transparent gemacht werden. Mitarbeiter werden nur dann dauerhaft an einem System mitarbeiten, in dem Erfolge auch erkennbar sind. Last but not least ist eine fundierte und kontinuierliche Schulung aller Mitarbeiter in Prozessverständnis und Prozessmanagement ein wichtiger Punkt, um ein Verständnis für die Notwendigkeiten zu erzeugen und eine effektive Mitarbeit an diesem Thema zu ermöglichen. Bei SAM hat die Berücksichtigung dieser Punkte dazu geführt, dass MAP 2008 von allen Beteiligten als Erfolg angesehen wurde und wird. Die Stimmung im Unternehmen hat sich verbessert, die Prozesse sind vereinfacht worden und zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat hat sich (bei allen Unterschieden in den Interessen und Aufgaben) eine belastbare Kooperation zugunsten des Unternehmens entwickelt. Sicher hat in der Anfangsphase des Projektes auch die gute Marktlage zu vorzeigbaren wirtschaftlichen Erfolgen geführt. Aber auch unter den Vorzeichen der Krise auf den Schiffbauliefermärkten erweist sich das bisher gemeinsam erreichte als gute Basis für das schnelle Finden von für alle akzeptablen Lösungen. So ist es bisher trotz Auftragsrückgängen gelungen, durch Kurzarbeit und andere Maßnahmen einen Beschäftigungsabbau zu verhindern.
SAM Electronics – Zwischen Widerstand und Beteiligung: Innovation und Strukturwandel als Teil von Betriebsratsarbeit Erik Merks
„Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: erstens durch nachdenken, das ist der edelste, zweitens durch nachahmen, das ist der leichteste, und drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.“ (Konfuzius)
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Einleitung: Von der AEG bis zu SAM Electronics – Ein kurzer historischer Abriss der deutschen Wirtschaftsgeschichte
Die Geschichte der SAM Electronics GmbH ist durch alle drei Arten von Lernen und (klugem) Handeln geprägt. Sowohl auf Seiten des Management als auch auf Seiten der Betriebsräte. Immer ging es dabei um die Frage, wie man als Unternehmen in einem sich wandelnden Markt überleben und wachsen kann. Die heutige SAM Electronics GmbH kann dabei in gewisser Weise als Sinnbild der insgesamt abgelaufenen Veränderungen der deutschen Wirtschaft seit Mitte der 1970er Jahre gesehen werden. Eine ganze Reihe von heute noch im Unternehmen tätigen Personen hat diesen Prozess mitgemacht und mitgestaltet. Die dabei gemachten Erfahrungen waren ohne Zweifel ein bitterer Weg des Lernens – auch in der Frage, welche Chancen und Handlungsspielräume Arbeitnehmer und Betriebsräte bei Innovationsprozessen in einem Unternehmen haben. Im Folgenden sollen vor allem aus den Erfahrungen der letzten Jahre Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Da Geschichte aber bekanntlich Einstellungen und Verhalten dauerhaft prägt, scheint es sinnvoll, ein wenig weiter zurückzugehen. Bis Mitte der 1980er Jahre waren die Vorläufer der SAM Electronics GmbH Abteilungen bzw. Geschäftsbereiche der AEG AG. 1887 gegründet war das Unternehmen damals mit über 180.000 Beschäftigten einer der größten deutschen Konzerne geworden. Durch eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen und eine ungesteuerte und auf Dauer nicht finanzierbare Wachstumsstrategie geriet das Unternehmen mit Beginn der 1980er Jahre in eine bedrohliche Schieflage. Eine Krise von – im heutigen Sprachgebrauch – durchaus „systemischem“ Ausmaß drohte. Völlig überforderte Sanierer waren gezwungen, durch kurzfristige Verkäufe lukrativer Unternehmensteile Liquidität zu schaffen. Be-
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triebsstilllegungen und Personalabbau führten dazu, dass die Belegschaft faktisch halbiert wurde. Der Rest des AEG-Imperiums wurde 1985 von Daimler Benz übernommen. Bei der Belegschaft kam kurzzeitig Hoffnung auf, die sich aber sehr schnell wieder zerschlug. Daimler Benz beging genau die Fehler von AEG, mit Expansionen, unüberdachten Zukäufen Macht, Größe und Sicherheit zu erlangen. Der damalige Vorstand Edzard Reuter (ab 1987 Daimler-Vorstandsvorsitzender), wollte aus beiden Unternehmen einen „integrierten Technologiekonzern“ schaffen. Eine Vision, die in die Krise führte und zur Abwicklung weiterer AEG-Teile. Teile des damaligen Elektroriesen wurden dabei unter anderem Namen und mit anderen Gesellschaftern weitergeführt bzw. in andere Unternehmen integriert. Die SAM Electronics in Hamburg ist einer dieser Betriebe, dessen Aktivität nie als Kernkompetenz des jeweiligen Gesellschafters und Sanierers gesehen wurde, dennoch alle Turbulenzen in einer wechselreichen Unternehmensgeschichte überstand. Genau diese Herkunft aus einem großen Konzern mit starken Hierarchien und oft bürokratischen Abläufen hat SAM damals schon mit in die Wiege gelegt bekommen. 1989 untersagte das Bundeskartellamt zunächst die Fusion von Daimler Benz und Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), aber der damalige Wirtschaftsminister Hausmann erteilte eine Ausnahmegenehmigung mit der Auflage, die maritimen Aktivitäten beider Unternehmen auszugründen. Damit wurden aus der AEG Schiffbau die Deutsche Marinetechnik (DMT) und aus der MBB Schiffbau die Marine Sondertechnik (MSG). Beide Unternehmen wurden danach vom Bremer Vulkan Verbund gekauft und 1992 zur Systemtechnik Nord (STN) fusioniert. Das neue Unternehmen hatte 2.400 Beschäftigte in 21 Betriebsstätten. Parallel übernahm der Bremer Vulkan auch Krupp Atlas Elektronik, ein Bremer Unternehmen, welches bei Krupp ebenfalls nicht zu den Kernkompetenzen zählte, aber dennoch als „Perle“ gesehen wurde. 1994 führte der Bremen Vulkan beide Unternehmen zusammen. Es entstand das Elektronikunternehmen STN Atlas Elektronik (SAE) mit 4.270 Beschäftigten. Die Übernahme dieser Unternehmen war im Rückblick durchaus typisch für eine Phase der Restrukturierung der deutschen Industrie, in der industrielle Größe als Wert an sich schien, um in einem internationaler werdenden Markt zu bestehen. Allerdings wurden die damit einhergehenden Steuerungs- und Finanzierungsprobleme allzu oft übersehen. Auch der Vulkan beging den Fehler, über Expansion Größe und Unantastbarkeit anzustreben. Die Übernahme von Maschinenbauunternehmen und mehrerer ostdeutscher Werften führte dabei neben anderen Problemen zu einer Überlastung des
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Unternehmens. 1996 geriet der Vulkan in die Zahlungsunfähigkeit und wurde innerhalb eines halben Jahres liquidiert. Mehr als 20.000 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz. Die gerade neu formierte STN Atlas wurde aus der Konkursmasse herausgenommen und 1996 an Rheinmetall verkauft. Aber mit den neuen Eigentümern kamen auch neue Ideen. 1998 beschloss der Rüstungskonzern Rheinmetall, dass der zivile Schiffbau nicht zu seiner militärischen Ausrichtung passt. Die zivilen Schiffbauaktivitäten der STN Atlas – eine Mischung aus AEG, Krupp und Debeg – wurden neu gebündelt und in das Unternehmen SAM ausgegliedert. Gut zehn Jahre Umbau, Neustrukturierung und Wechsel in den Geschäftsführungen waren vergangen. Eine ohne Zweifel prägende Erfahrung für die Belegschaft und den Betriebsrat, die in der Regel länger im Unternehmen bleiben als das Management. Die Geschichte der Käufe und Verkäufe, Neugründungen und Umfirmierungen ist damit aber noch nicht zu Ende erzählt. Auch dies ist typisch für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Rheinmetall beschloss nach sechs Jahren, seine Aktivitäten neu zu sortieren. Wieder stand SAM zum Verkauf. Inzwischen mischte aber die PrivateEquity-Branche im Spiel um das Ende der Deutschland AG kräftig mit. Für Rheinmetall bot sich durch den Verkauf an den Finanzinvestor EquiVest CBR Management München im November 2003 ein Exit ohne Verluste. Für die Belegschaft und den Betriebsrat kamen nun wieder neue Manager und neue Berater mit alten Konzepten in neuen Gewändern. Das vorläufige Ende dieser schnellen Wechsel: Typisch für Private Equity nutzte der Finanzinvestor EquiVest CBR Management München im Jahr 2005 die steigende Nachfrage auf den Weltschiffbaumärkten, um die SAM an eine in den USA entstandene Gruppe im Bereich der Militärelektronik, L3 Communications, mit erheblichen Gewinnen zu verkaufen. Auch hier konnten Belegschaft und Betriebsrat Entwicklungen nur nachvollziehen, nicht aber beeinflussen. 20 Jahre nach dem Ende der AEG – eine wechselvolle Geschichte für den Betriebsrat der SAM: Wie kann man unter diesen Voraussetzungen Innovationen im Unternehmen begleiten und anstoßen? 2
Die lange Geschichte der Sanierung von AEG bis SAM Electronics: Wir haben viele Geschäftsführer und Berater gesehen
Ohne jede Häme und Übertreibung kann man sagen, dass mit fast jedem Gesellschafterwechsel Teile der Geschäftsführung ausgetauscht und mit jedem Austausch der Ge-
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schäftsführungen sogenannte Restrukturierungen eingeleitet wurden. Um diese Umstrukturierungen vorzubereiten und durchzusetzen, begleiteten in fast allen Fällen externe Berater diese Maßnahmen. Seit 1980 gab es im Unternehmen 15 größere Umstrukturierungen mit externer Beraterunterstützung – also alle zwei Jahre Maßnahmen zur Kostenoptimierung, neuen Strukturen, neuen Schwerpunkten und so weiter. Aus Sicht des Betriebsrats und im zeitlichen Rückblick können die Maßnahmen in fünf Ansätze gegliedert werden: Erste Phase (1980er Jahre): Alleinstellung des Arbeitgebers („Herr im Hause“) Ein ganz klassischer Ansatz, wie er heute nur noch selten vorzufinden ist: Externe Berater erstellten im Auftrag der Geschäftsführung ein Sanierungskonzept. Die Inhalte sind
Personalreduzierung, Konzentration auf Kernkompetenzen, Outsourcing personalintensiver Tätigkeiten und Aufbau einer neuen Organisationsstruktur.
Das fertige Konzept wurde dem Betriebsrat vorgestellt. In die Erarbeitungsphase war der Betriebsrat nicht einbezogen, weil dies nirgendwo vorgesehen war und auch noch nie so gemacht worden war. Eigene Berater des Betriebsrats wurden abgelehnt, weil hierin keine Notwendigkeit gesehen wurde. Trotzdem formulierte der Betriebsrat eine ausführliche Stellungnahme und nannte inhaltliche Alternativen zu den Maßnahmen. Die wirtschaftlichen Beratungen wurden von der Geschäftsführung nach drei Sitzungen für beendet erklärt, ohne dass es zu einer Annäherung gekommen wäre. In Folge wurde das Konzept der Geschäftsführung 1:1 umgesetzt. Was blieb als Reaktion? Der Betriebsrat polemisierte auf der Betriebsversammlung und musste sich geschlagen geben. Gegen die Entlassungen wurden Widersprüche formuliert. Die Entlassungen wurden unter Berücksichtigung der sozialen Auswahl durchgeführt. Die Belegschaft nahm es hin, besonders diejenigen, die nicht betroffen waren, fügten sich schnell der neuen Struktur. In der Praxis knirschte es hinterher im Gebälk des Unternehmens, da Produktions- und Verwaltungsabläufe nicht hinreichend bei der Einführung der neuen Struktur berücksichtigt wurden. Der Lerneffekt aus dieser praktischen Lektion in Sachen betriebliche Innovationsprozesse für den Betriebsrat: Es reicht nicht, gute Vorschläge zu machen und auch in der
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Sache innovative Ideen zu haben, da die Umsetzung an den realen Machtverhältnissen scheitert. Zweite Phase (Anfang bis Mitte der 1990er Jahre): Der Betriebsrat wird einbezogen Man sollte annehmen, dass auch Berater und Geschäftsführungen in der Planung und Umsetzung von Restrukturierungen dazulernen. Allerdings nur langsam, wie die Erfahrung zumindest aus Betriebsratssicht zeigt. Bei der zweiten Phase von Restrukturierungsprojekten (jetzt schon als Teil des Bremer Vulkan) war zumindest mehr guter Wille in der Einbindung des Betriebsrats zu erkennen. Allerdings ging es auch um einen größeren Personalabbau. Die Geschäftsführung bestimmte auch hier zunächst mit Unterstützung externer Berater das Sanierungskonzept. Die Inhalte ähnelten denen der ersten Phase: Konzentration auf Kernkompetenzen, Outsourcing und Schaffung neuer Organisationsstrukturen ohne wirkliche Veränderungen der internen Abläufe Der große Unterschied: Der Personalabbau erfolgte nun unter Einbeziehung des Betriebsrats. Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften fingen das aus Sicht des Unternehmens überflüssige Personal auf. Der Betriebsrat konnte an diesen Listen drehen, ohne an der Kopfzahl etwas ändern zu können. Rückblickend kann man sagen, dass diese Abbaumaßnahmen ansatzweise sozialverträglich gestaltet werden konnten, weil der Betriebsrat sie mitgestaltete. Daher kam es auch zu keinen größeren Unruhen im Betrieb. Hier ist wieder ein Lernprozess des Betriebsrats zu beobachten: Die Personalabbaumaßnahmen mussten aus der Not und Erfahrung heraus mitgetragen werden, weil vorher inhaltliche Vorschläge des Betriebsrats zu Innovation und anderer Restrukturierung ignoriert wurden. Betrieblicher Widerstand war schwer zu organisieren und ohne wirkliche Unterstützung aussichtslos. Eine Mobilisierung (Demo, Kundgebung vorm Tor, Presse) brach schnell in sich zusammen, auch weil die Öffentlichkeit kein nachhaltiges Interesse zeigte. Die Mitarbeit allein an der reibungslosen Bewältigung eines Personalabbaus und danach ein erneuter Verkauf des Unternehmens bringen den Betriebsrat in Argumentationsprobleme.
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Dritte Phase (Mitte der 1990er Jahre bis 2000): Der Betriebsrat soll für Maßnahmen begeistert werden Die beharrlichen Interventionen des Betriebsrats und die Mobilisierung der Belegschaft in den vorangegangenen Restrukturierungen zeigten in Phase 3 allerdings langsam Wirkung. Zwar wurden in den neuen Sanierungs- und Umbaurunden die Ziele weiterhin von der Geschäftsführung definiert und mit Hilfe von Beratern operationalisiert. Inzwischen wurde der Betriebsrat jedoch von Beginn an in die Beratungen mit den externen Beratern einbezogen – zunächst ohne Stimmrecht und ohne Vetorecht. Aber es verbesserte sich eindeutig die Informationslage und auch die Möglichkeit, informell Ideen einzuspeisen. Letztlich verbesserte sich auch die allgemeine Kommunikation mit dem Management. Der Lernprozess des Betriebsrats: Teilnahme an Prozessen und gute Information sind ein zweischneidiges Schwert. Die Sachlogik bestimmter Entscheidungen kann den Betriebsrat manchmal vor schwierige Situationen stellen. Vierte Phase: Der Kompromiss wird gesucht Mit dem Verkauf an Private-Equity-Investoren stiegen einerseits die Handlungsmöglichkeiten des lokalen SAM-Managements, aber andererseits auch die Renditeerwartungen der Investoren. Die neuen Restrukturierungs- und Optimierungsrunden waren nun dadurch gekennzeichnet, dass die Geschäftsführung Ziele formulierte und auch externe Berater einsetzte, aber es wurde aktiv der Kompromiss mit dem Betriebsrat gesucht. Diesem wurde sogar eine eigene Beratung zugestanden. Der Betriebsrat wurde also von Beginn an einbezogen in die Planungen. Der Lernprozess war beidseitig: es wurde ein Kompromiss gefunden, der den Produktionsstandort sicherte und für beide Seiten akzeptabel schien. Allerdings wurde für beide auch sichtbar, dass weitere Veränderungen der Abläufe notwendig sind, um kostengünstiger produzieren zu können. Fünfte Phase: Gemeinsames Handeln Die Einsicht in die Notwendigkeit weiterer Veränderungen führte trotz erneutem Eigentümerwechsel (Übernahme durch amerikanischen Konzern) zu einem gemeinsamen Re-Engineering-Projekt. Dabei gab es von Beginn an eine Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter und der Beschäftigten in den gesamten Ablauf des Projektes – von der Analyse über die Entwicklung, der Auswahl des externen Beraters und die Umset-
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zung der Maßnahmen. Voraussetzung für den Betriebsrat war, dass Konsens darüber bestand, das Projekt ohne Personalabbau erfolgreich bewältigen zu können. Der Lernprozess aus den vorangegangenen Projekten hatte diese Forderung für den Betriebsrat unabdingbar gemacht. 3
Lehren aus vielen Veränderungen
Es klingt zwar platt, aber eine Lehre aus all den Veränderungen war, dass der Gegensatz „Arbeit“ und „Kapital“ weiterhin besteht, auch wenn sich im betrieblichen Alltag eine Entwicklung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung von der Gegnerschaft zur Partnerschaft durchgesetzt hat. Diese Entwicklung war keine sich von selbst ergebende Evolution, sondern ein zwanzig Jahre andauernder Prozess, der funktionieren kann, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Zu diesen Bedingungen gehört zum einen die fachliche und menschliche Akzeptanz des Betriebsrats seitens der Geschäftsführung: Wenn Geschäftsführungen akzeptieren, dass Betriebsräte die Interessen der Beschäftigten vertreten und sie einsehen, dass sie ohne Einbeziehung der Beschäftigten bei Veränderungsprozessen auf Ablehnung stoßen und es ihnen an Überzeugungskraft fehlt, ist eine wichtige Voraussetzung geschaffen. Gleichzeitig ist aber auch die Akzeptanz der Geschäftsführung seitens des Betriebsrats notwendig. Das Grundprinzip kapitalistischer Wirtschaftsordnung, dem Gesellschafter eine angemessene Rendite zu erwirtschaften, kann von Betriebsräten nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Geschäftsführungen müssen auch akzeptieren, dass zu den wirklichen Herausforderung an unternehmerisches Können zählt, angemessene Rendite mit der Sicherung der Beschäftigung, Erhalt von Wissen und Fertigkeiten in Einklang zu bringen. Motivation der Beschäftigten und Sicherheit sind Voraussetzungen für eine langfristige Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft eines Unternehmens, aus denen sich Renditechancen ergeben. Exkurs: Neue Berater – Neue Rezepte Leider kann man im Rückblick nicht sagen, dass die vielen im Unternehmen tätigen Berater alle qualifiziert für ihre Tätigkeit gewesen wären. Den Anspruch hatten sicher alle, aber nur die wenigsten haben dafür auch den Nachweis erbracht. Grundsätzlich macht man als Betriebsrat keinen Fehler, wenn man unterstellt, dass Berater bei Beauftragung weder das Unternehmen noch die Märkte wirklich kennen. Bestenfalls ver-
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fügen sie über ein solides und umfassendes Lehrbuchwissen und – da scheidet sich dann aber schon die Spreu vom Weizen – Erfahrungen mit der Umsetzung von (Standard-) Lösungen und Projekten. Die Schwachpunkte eines Unternehmens leiten sie entweder aus übernommenen Beschreibungen des Managements für ihren Auftrag ab oder aus simplen Vermutungen. Für eine eigene Analyse ist der zeitliche Aufwand meist viel zu umfangreich. Der Auftraggeber will oft auch keine Analyse, sondern schnelle Ergebnisse, die seinen eigenen Vorstellungen nahe kommen. Die Empfehlungen der diversen Berater in den oben beschriebenen ersten drei Umstrukturierungsphasen konzentrierten sich auf die vier Ansätze
Personalabbau, Konzentration auf Kernkompetenzen, Verflachung der Fertigungstiefe und Outsourcing.
Hierbei handelte es sich ausschließlich um Maßnahmen zur Kostenreduzierung, die den Sanierungsansätzen der jeweiligen Geschäftsführungen entsprachen und eigentlich nur noch einmal eine externe (wissenschaftlich anmutende) Begründung für Entscheidungen lieferten. Die Rolle des Betriebsrats beschränkte sich notgedrungen auf das gesetzlich vorgeschriebene Beratungsrecht, d.h. der Betriebsrat konnte sich Vorschläge anhören, wenn sie schon beschlossen waren und bestenfalls dagegen protestieren. Eine Folge dieses Vorgehens war, dass der erwünschte wirtschaftliche Erfolg sich nicht einstellte, weil Belegschaft und Betriebsrat in die Verweigerungshaltung gingen. Die Stimmung im Unternehmen entwickelte sich negativ bis katastrophal und Mitarbeiter bis ins Management hinein gingen in eine innere Emigration. Als Folge trug die fehlende Motivation zum weiteren Leistungsabfall bei. Es geht aber auch anders, wie die Erfahrungen aus den letzten Jahren bei SAM zeigen. Wenn die Aufgabenstellung lautet, keine Lehrbuchlösungen nachzuvollziehen, und wenn Personalabbau nicht die einzig relevante Vorgabe ist, dann kann sich die Beratung auf die Verbesserung von Abläufen und Prozessen konzentrieren und Mitarbeiter sind bereit, ihr Wissen und ihre Lösungsansätze mit einzubringen. D.h. es liegt schon an der Formulierung der Auftragstellung, ob neue Berater hilfreich sind und auch neue Rezepte entwickeln können. Allein sind sie dazu nicht in der Lage, sie sind bei der Entwicklung und noch mehr bei der Umsetzung auf die Unterstützung der Belegschaften angewiesen. Diese Unterstützung wird jedoch nur erfolgen, wenn der Einzelne nicht Gefahr läuft, sich selbst wegzurationalisieren.
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Wie gibt man der Belegschaft diese Sicherheit? Indem der Betriebsrat von Beginn an einbezogen wird, d.h. schon bei der Beschreibung der Aufgabenstellung. Voraussetzung hierfür ist ein Verständnis dafür, dass der Betriebsrat, Geschäftsführung und Berater auf Augenhöhe verhandeln sollten, ohne in unkritische Harmonie zu verfallen oder die eigenen betrieblichen Rollen zu vergessen. Die Frage kann so beantwortet werden: Neue Berater haben keine neuen Rezepte, es sei denn, man zwingt sie dazu. 4
SAM: Beteiligung des Betriebsrats an Restrukturierung
Das hört sich in der Theorie gut an. Kann es aber auch in der Praxis funktionieren? Und zwar dort, wo sich die Interessen wirklich gegensätzlich gegenüberstehen und sich die Dinge hart im Raume treffen? – Bei SAM konnten wir im Jahr 2004 die Probe aufs Exempel machen. Die Geschäftsführung plante angesichts schlechter werdender Ergebnisse die Verlagerung der in Wedel bei Hamburg tätigen Produktion an den zweiten Produktionsstandort des Unternehmens in Rostock und die Auslagerung wichtiger, beschäftigungsintensiver Arbeitsschritte nach China. Gleichzeitig sollte die 40Stunden-Woche ohne Entgeltausgleich eingeführt werden. Dies sind Positionen, die mit den Interessen des Betriebsrats mit Blick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen erst einmal nicht vereinbar waren. Was tun? Man kann es vielleicht mit einem Gleichnis beschreiben. Wenn eine Räuberbande droht: „Geld oder Leben!“, kannst du sagen: „Mein Geld gebe ich nicht her!“ – dann bist du beides los! Wenn du versuchst, die Räuber zu verunsichern, mit ihnen verhandelst, hast du die Chance, Dein Leben und zumindest einen Teil deines Geldes zu behalten. Ähnlich verlief auch die Diskussion im Betriebsrat in diesem Fall. Wenn das Unternehmen droht, die Fertigung nach China oder in die neuen Bundesländer zu verlagern, die Auftragslage und Perspektiven schlecht sind, macht es wenig Sinn, sich ausschließlich auf die eigene Kraft und Entschlossenheit zu verlassen. Der Betriebsrat sah also die Notwendigkeit, sich auf die wirtschaftlichen Argumentationen der Geschäftsführung einzulassen. Und er wusste: Seine Argumentation mit Qualität, Zuverlässigkeit und Flexibilität der Mitarbeiter am Standort Wedel wird von den Geschäftsführungen zwar ebenso gesehen, aber das Argument der günstigeren Fertigungskosten hat für das Management Priorität. Alles andere steht dahinter zurück.
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Der Betriebsrat nutzte in dieser Situation die Möglichkeiten des Paragraphen 111 des Betriebsverfassungsgesetzes und engagierte selbst eine Unternehmensberatung. Ziel war es, eine wirtschaftliche Alternative zu finden, die den Interessen des Managements nach Kosteneinsparungen in der Produktion entgegenkommt, aber gleichzeitig auch Beschäftigung und Einkommen der Mitarbeiter sichert. In kurzer Zeit gelang es, zumindest wichtige Eckpunkte einer Alternativlösung zu umreißen und zu berechnen. Statt Verlagerung der Produktion nach Rostock wurde vorgeschlagen, die beiden Standorte in Hamburg (Verwaltung und Entwicklung) und Wedel (Produktion – und nur 16 Kilometer von Hamburg entfernt) zu verdichten und zusammenzulegen. Die Einsparungen aus der Zusammenlegung waren aber nicht klar genug, um allein ausreichend zu sein. Daher ging der Betriebsrat in Abstimmung mit der IG Metall und nach Befragung der Beschäftigten noch einen Schritt weiter. Er bot eine Aussetzung der Tariferhöhung und eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit an (verbunden mit einem Besserungsschein, wenn das Unternehmen bestimmte Ertragsziele erreichte). Zusammen mit den möglichen Kosten eines Sozialplans bei Entlassung von mehr als 120 Mitarbeitern zeigten die Berechnungen der Berater schnell, dass eine Verlagerung nach Asien und Rostock sich erst nach mehr als fünf Jahren wirtschaftlich rentiert hätte. D.h. die unternehmensinternen Vorgaben für Investitionsentscheidungen waren nicht mehr erfüllt. In mühsamen, aber fairen Verhandlungen mit dem Management wurde auf dieser Grundlage ein Kompromiss gefunden, bei dem keine betriebsbedingten Entlassungen notwendig waren und Produktion und Entwicklung an einem Standort zusammengezogen werden konnten – was sich heute als erheblicher Vorteil erweist. Natürlich war das Ergebnis nicht in jeder Hinsicht optimal. Der Verzicht auf tarifliche Steigerungen wurde von der IG Metall nur schweren Herzens unterstützt. Zusätzlich nutzte der damalige Eigentümer der SAM GmbH die Gunst der Stunde und die durch den Kompromiss objektiv verbesserte Ertragsprognose des Unternehmens, um es an einen amerikanischen Konzern mit (hohem) Gewinn zu verkaufen. Der Betriebsrat hatte zwar für die Belegschaft Arbeitsplätze gesichert und hierfür auch Zusagen des Managements erhalten. Trotzdem blieb ein leicht bitterer Nachgeschmack angesichts des eigenen Verzichts, des erneuten Verkaufs der SAM GmbH und der aus dem Verkauf bei der Beteiligungsgesellschaft entstandenen Gewinne. Im Rückblick begünstigte danach die sehr gute wirtschaftliche Entwicklung die SAM GmbH. Der durch Globalisierung angetriebene Boom im Handelsschiffbau führte zu steigenden Umsätzen und einer sehr guten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens.
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Zusätzlich wurde die Kostenstruktur durch Optimierung der internen Abläufe weiter verbessert. Der abgeschlossene Ergänzungstarifvertrag konnte im gegenseitigen Einvernehmen nach drei Jahren beendet werden. Seitdem gelten die tariflichen Regelungen wieder uneingeschränkt. Die Erfahrungen aus dieser Restrukturierung führten sowohl beim Betriebsrat als auch beim Management zu einer wechselseitigen Anerkennung der Ernsthaftigkeit und Kompromissfähigkeit. Eine Voraussetzung, um noch einen Schritt weiter zu gehen. 5
Betriebsrat mobilisiert: Wir müssen die Unternehmenskultur verändern, um weiter erfolgreich zu sein
Der in dem Konflikt über die Verlagerung der Produktion erreichte Kompromiss wurde zwar gut in der internen Diskussion im Betriebsrat und in der Betriebsöffentlichkeit bewertet, aber er hatte (auch aus Sicht des Betriebsrats) nur eins von mehreren Problemen des Unternehmens gelöst, die die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussten. Die Stimmung im Unternehmen, diese diffuse Mischung aus beiläufigen Meinungsäußerungen in Flurgesprächen und kleinen Konflikten im täglichen Ablauf war erkennbar gereizt und schlecht. Das war kein wirkliches Klima der Innovation und des Aufbruchs. Wegen der aus seiner Sicht offensichtlich schlechten Stimmung in der Belegschaft machte der Betriebsrat einen ungewöhnlichen Schritt und veröffentlichte während einer Betriebsversammlung 14 Thesen zum für das Unternehmen und seine Innovationskraft bedrohlichen Zustand. Zusammengefasst lauteten die 14 Thesen: 1. Das Unternehmen hat an wichtigen Punkten eine zu dünne Personaldecke, um an Technik- und Marktentwicklungen voll zu partizipieren. 2. Tradition und Spartendenken führen zu einem mangelhaften Informationsfluss, der wiederum zu Reibungsverlusten, Ineffizienzen und hohen Kosten bei Nacharbeitung von Aufträgen führt. 3. Der Wunsch bei den Mitarbeitern nach Kommunikation und Transparenz von Unternehmensentscheidungen wird nicht hinreichend erfüllt. Dies führt zu Enttäuschungen und mangelnder Leistungsbereitschaft. 4. Das Unternehmen hat viel zu lange Entscheidungswege. Es macht keinen Sinn, unter jeden Antrag und jedes Formular vier Unterschriften zu bekommen.
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5. Bei Innovationsprojekten fehlt Mut zur Entscheidung. 6. Zu viele Gebote, Verbote und Normen blockieren die Denkprozesse und Entscheidungen. 7. Die Umsetzung des tariflichen Entgeltrahmenabkommens (ERA) hat nicht wirklich zur Erhöhung der Motivation beigetragen. Es gab 50% Widersprüche und damit 50% Unzufriedenheit über die Eingruppierung. Dabei sollte der Prozess zu mehr Gerechtigkeit und Transparenz führen. 8. Die Personalführung und die Karriereplanung bei SAM lassen viele Wünsche unerfüllt. Fördergespräche sind oft eine Farce. 9. Die Zielvereinbarungen für Führungskräfte sind nicht wirklich passgenau. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, dass sie kontraproduktiv wirken. Jeder versucht sein individuelles Ziel auf Kosten anderer Abteilungen zu erreichen. 10. Bei vielen Vorgesetzten (und nicht nur beim einfachen Mitarbeiter) hat sich im Laufe der Jahre Frust entwickelt, nichts entscheiden zu können. 11. Eine Ursache sind die vielen Führungsebenen im Unternehmen, das aufgebaut ist, als ob noch der alte Konzern dupliziert werden muss. Bis zu fünf Führungsebenen sind viel zu viel. 12. Der Ausbildungsstopp führt zu einer nicht zu verantwortbaren Überalterung des Unternehmens und gefährdet die Zukunft. 13. Das Interesse an Innovation ist viel zu gering. 14. In Sachen Unternehmenskultur werden hohe Ansprüche formuliert, aber in der Realität ist es leider ganz anders.
Auf diese Generalkritik hätte die Geschäftsführung und das Management in den weiteren Führungsebenen persönlich verstimmt und zurückweisend reagieren können. Es passierte aber genau das Gegenteil: Die Geschäftsführung versuchte nicht, diese 14 Thesen schön zu reden, sondern bestätigte sie im Grundsatz. Gemeinsam mit dem Betriebsrat veranstaltete das Management mehrere Runden eines sogenannten „Marktplatzes“ in der Kantine, zu denen alle Mitarbeiter eingeladen wurden und wo die Thesen zur Diskussion gestellt wurden. Alle Mitarbeiter konnten ihre Anregungen und Positionen aufschreiben. Die Beiträge wurden auf Tafeln zusammengefasst und veröffentlicht. Auch wenn nicht alles wirk-
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lich weiterführend war, entstanden ein echter Diskussionsprozess und ein gemeinsames Verständnis für anstehende und längst überfällige Veränderungen. Damit war der Boden bereitet für ein gemeinsames Change-Management- und Re-EngineeringProjekt von Management und Betriebsrat mit dem erklärten Ziel von schlankeren und effizienteren Strukturen. 6
Erfahrungen mit der Steuerung eines gemeinsamen Change-ManagementProjektes
Aus der Kritik des Betriebsrats und den folgenden Marktplätzen mit den Mitarbeitern entstand 2007 das Projekt „MAP 2008“. MAP steht dabei für „MitArbeitergetragene Prozessoptimierung“. Das Projekt MAP 2008 hatte den Auftrag, ein gemeinsames Sanierungskonzept von Betriebsrat und Geschäftsführung zu entwickeln. Die Geschäftsführung griff damit die vom Betriebsrat ständig wiederholte Behauptung auf, die größten Verbesserungs- und Sparpotenziale lägen in der Optimierung der Abläufe. Das wirtschaftliche Umfeld für ein solches Projekt war vergleichsweise günstig, da die SAM GmbH vom allgemeinen Wachstum in den Schiffbauzulieferermärkten profitieren konnte und Effizienzgewinne nicht mit Arbeitplatzabbau verbunden werden mussten. Der Betriebsrat formulierte drei Bedingungen für seine aktive Beteiligung an dem Projekt: Keine Planung für einen Personalabbau Kein Verzicht auf Fertigkeiten und Kenntnisse und kein Outsourcing Tarifbindung, d.h. kein Eingriff in die Entgeltstrukturen und Arbeitzeitregelungen Auf dieser Grundlage kamen Betriebsrat und Management überein, dass es für die schnelle Umsetzung eines solchen Projektes hilfreich sein kann, externe Berater und Projektmanager hinzuzuziehen. Vorher hatten beide Seiten intern geprüft, welche im Unternehmen geeignete Personen bereit und in der Lage gewesen wären, ein solches auf Wandel angelegtes Projekt durchzuführen bzw. zu begleiten. Die Auswahl der Berater erfolgte im Konsens. Der Betriebsrat versuchte, seine eigenen Berater ins Spiel zu bringen, ließ sich aber von der Geschäftsführung überzeugen, dass ein anderes Team bessere Voraussetzungen mitbrachte. Die ausgewählten Berater waren ausgewiesene Experten für Re-Engineering-Prozesse und im Vorgehen praxisorientiert und mitarbeiterbezogen. Die Rolle der externen Berater bestand in der Durchführung eines effizienten Projektmanagements, der Einfüh-
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rung von erprobten Methoden bei der Unternehmensanalyse und der Moderation in der Umsetzung von Vorschlägen. Bewusst sollte im Ansatz das Wissen der Mitarbeiter genutzt werden. Diese sind als Experten in eigener Sache diejenigen, die ihr Unternehmen und die Abläufe an ihrem Arbeitsplatz am besten kennen. Dies gilt auch dann, wenn Routinen und Störgrößen verdrängt oder durch Improvisation überbrückt werden. Die Belegschaft wurde also zentral und von Beginn an in den Prozess einbezogen. Dies galt für die Analysephase und auch für die daran anschließende Phase der Erarbeitung von Veränderungsvorschlägen. Ein guter Plan – aber auch gute Pläne können in der Praxis schwierig umzusetzen sein. Im Rückblick lassen sich fünf Phasen der Beteiligung der Mitarbeiter und der Bereitschaft der Mitarbeiter zur Umsetzung von Veränderungen unterscheiden: Erste Phase: Begeisterung Zunächst gab es im Unternehmen bei Beginn des Projektes eine erste Phase der Begeisterung. Viele Mitarbeiter wurden in Workshops eingebunden und die Analyse der Abläufe im Unternehmen brachte greifbare Ergebnisse. In gemeinsamer Arbeit wurden 250 Störgrößen identifiziert und beschrieben. Mehr als 100 Beschäftigte waren in die Analysearbeit eingebunden. Es kam schnell zu Vereinbarungen, wie Störgrößen beseitigt werden können und was zu geschehen hat, um Abläufe effizienter zu gestalten. Zweite Phase: Ernüchterung Allerdings gestaltete sich die Umsetzung des „als richtig Erkannten“ durchaus schwierig und manchmal auch als fast unmöglich. Einzelne Mitarbeiter und Abteilungen schalteten auf hinhaltenden Widerstand. Warum sollen Strukturen verändert werden, wenn sie doch irgendwie funktionierten. Außerdem wurde es immer so gemacht. Veränderungen bedeuten für den Einzelnen Risiken und Ungewissheiten und provozieren Widerstand. Dritte Phase: Zweifel Der diffuse Widerstand gegen Wandel artikulierte sich vor allem auch im Betriebsratsgremium als Befürchtung, dass man aktiv etwas mit ins Rollen bringt, das man später nicht mehr stoppen kann. Was passiert, wenn man die Kontrolle über den Prozess verliert und die Auswirkungen doch Arbeitsplatzabbau und Rationalisierung sind?
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Vierte Phase: Angst Letztlich gibt es wieder die Angst vor der Konsequenz, Angst vor der Veränderung, Angst davor, sich selbst überflüssig zu machen. Fünfte Phase: Ablehnung Dies schlägt um in offene oder auch versteckte Ablehnung. Nun wird die globale Krise zur Begründung herangezogen, um Veränderungen (vorerst) zu stoppen. Lass uns die Krise durchstehen, danach können wir den Versuch des Umdenkens und der Veränderungen ja wieder aufgreifen.
Diese gewollte Zuspitzung der Diskussion um das Veränderungsprojekt heißt nicht, dass keine Erfolge erzielt wurden. Es gab durchaus an vielen Stellen größere und kleinere Innovationen, die sich auch langfristig positiv auf das Unternehmen auswirken werden. Aber es ist nicht gelungen, einen wirklich zusammenhängenden durchgreifenden Prozess zu verwirklichen. Gerade der Betriebsrat wurde in der Praxis darauf zurückverwiesen, dass er nur im Konsens Dinge unterstützen und mit umsetzen kann, die von einer Mehrheit der Mitarbeiter getragen werden. Anders als das Management ist er auf Zustimmung und Legitimation bei den Beschäftigten angewiesen. Diese dauerhaft in Veränderungsprozessen zu erhalten, verlangt hohe Glaubwürdigkeit und Anerkennung. Genau das ist aber infrage gestellt, wenn der neue US-amerikanische Eigentümer trotz Wirtschaftskrise und Verzichtsappellen an die Belegschaft wie selbstverständlich eine Umsatzrendite in unveränderter, nicht realisierbarer Höhe verlangt. 7
Wirtschafts- und Finanzkrise und neue amerikanische Eigentümer
Die vorher beschriebenen Voraussetzungen vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Management und Betriebsrat setzen auf beiden Seiten Verständnis für die jeweiligen Rollenanforderungen voraus. Mit dem Verkauf der SAM GmbH an die L3 Communications, dem sechstgrößten Rüstungskonzern der USA haben sich auch die übergeordneten Regeln verändert. Die SAM GmbH ist wieder ein kleineres Investment in einem großen, weltweit tätigen Konzern, das getätigt wurde, da sich L3 Communications hiervon Marktzugänge im zivilen Schiffbaubereich erhoffte. Mit der globalen Finanzkrise haben sich aber die Vorzeichen deutlich verändert. Weiteres Marktwachstum ist kaum zu erwarten und die mit der SAM GmbH verbundenen Chancen sind weitaus geringer als die potenziellen Risiken. Die amerikanischen Inves-
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toren sind zudem nur wenig vertraut mit den Spielregeln und der in langen Jahren aufgebauten Kooperation deutscher Mitbestimmung und Beteiligung von Betriebsräten. Alles wird sehr schnell auf das wirtschaftliche Ergebnis reduziert und auch das Management der SAM GmbH hat nur sehr begrenzten Spielraum, wenn das Ergebnis nicht stimmt. Die Mitarbeiter bemerken diesen Klimawechsel sehr schnell. Aber was kann der Betriebsrat tun angesichts sehr schnell schlechter werdender Rahmenbedingungen? Wieder setzt ein Prozess der Verhandlungen ein. Wirtschaftliche Zugeständnisse (Arbeitszeit, Altersteilzeit, Tarifanpassungen etc.) werden vereinbart, die ganze Bandbreite wird genutzt, um Entlassungen zu vermeiden – Zugeständnisse, die gemacht werden, obwohl das Unternehmen nach wie vor ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Das ist trotz Druck der Amerikaner nur schwer vermittelbar. Kein Wunder, dass gemeinsame Innovationsprozesse in einem solchen Umfeld faktisch zum Erliegen kommen, obwohl sie jetzt besonders nötig wären. Der Lernprozess geht auf allen Seiten weiter. Die Rückkehr in einen großen Konzernzusammenhang kann schmerzhaft sein, besonders weil diesem weltweit verzweigten Konzern Mitbestimmungsstrukturen nicht nur fremd sind, sondern er sie zusätzlich konsequent ablehnt. Die einzelne Firma und auch das lokale Management werden Figuren auf einem größeren Spielfeld, die hin und her geschoben werden. Der Impuls, eigenverantwortlich an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten, kann da kaum unbeschadet überstehen. 8
Fazit: Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen ...
Immer wieder stemmte Sisyphos den Stein unter größten Kraftanstrengungen den Berg hinauf, aber kurz vor dem Ziel entglitt er ihm. Seine übermenschlichen Kraftanstrengungen brachten nie den endgültigen Erfolg. Trotz dieses Wissens durfte er nie aufgeben, er musste den Stein unaufhaltsam bergauf rollen. Anstatt in Verzweiflung zu verfallen, war es sein Erfolg, das Ziel fast erreicht zu haben, ohne es jemals erreichen zu können. „Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (Der Mythos des Sisyphos: 6. Aufl., Reinbek, 2004. S. 159 f.)
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Man kann sich als Akteur in einer solch langen Geschichte des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Bemühungen vergeblich geblieben sind. Der Versuch, ein besseres und gerechteres Arbeiten in einem Unternehmen zu schaffen, scheitert mit der Regelmäßigkeit des wieder herabrollenden Steins, und so wird es auch in Zukunft sein. Die Ansätze des Betriebsrats bei der SAM GmbH, aktiv in den Restrukturierungsprozess und in Innovationsprozesse im Unternehmen einzugreifen, waren sicher nicht frei von Fehlern. Vieles war aus der Not geboren, da das strukturelle Ungleichgewicht der realen Macht im Unternehmen die Vertreter der Mitarbeiter immer in die schwächere, ja oft völlig einflusslose Position versetzen. Trotzdem zeigt sich, dass beharrliches Bohren dicker Bretter letztlich zu Erfolgen in der Politik und der betrieblichen Praxis führen kann. Ohne Illusionen über die Einflussmöglichkeiten, aber mit dem immer wieder vorgetragenen Anspruch, bei Lösungen mitzuwirken – nur so kann Innovationspolitik Teil von Betriebsratsarbeit sein.
Steen – Wir übernehmen den Betrieb: Innovation und Beteiligung der Mitarbeiter bei einem Schiffbauzulieferer Birte Homann & Peter Wilke1
„Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“ (Bertolt Brecht, Gedicht: Wahrnehmung, 1949)
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Die Steen GmbH – Ein Schiffbauzulieferunternehmen behauptet sich am Markt
Die K. Christian Steen GmbH + Co im norddeutschen Elmshorn ist ein kleines, aber im seinem speziellen Markt für Schiffskomponenten international bekanntes Unternehmen. Bei Steen werden Decksmaschinen für Schiffe gebaut, in erster Linie Winschen (Ankerwinden), Spills und Davits. Steen hat sich erfolgreich spezialisiert auf diesen Bereich und beliefert heute vor allem im Bereich der großen Yachten fast alle europäischen Hersteller und die Hälfte aller Werften weltweit. Die Firma wurde schon vor mehr als 100 Jahren gegründet – man könnte annehmen, dass es hier ein Familienbetrieb geschafft hat, durch sorgfältig gefertigte Spezialprodukte zu einem der „Hidden Champions“ zu werden. Das ist ein Teil der Geschichte von Steen, aber nur der kleinere Teil. Denn zu den Besonderheiten des Unternehmens gehört es, dass hier nicht die Familie für Zukunftsorientierung und Erfolg steht – dafür stehen vielmehr die Belegschaft und der ehemalige Leiter des Einkaufs und Betriebsratsvorsitzende Jens Bußler, der zusammen mit dem Betriebsleiter Jörg Wunderlich Anfang 2001 die Firma aus einer Notsituation übernommen hat. Damals – und auch das ist Teil der Geschichte – war das Unternehmen noch Teil einer größeren Unternehmensgruppe und in der Hand von Finanzinvestoren. Es drohte die Abwicklung und Schließung des Standortes in Elmshorn. Der Maschinenbestand war überaltert. Die Auftragslage war eher schlecht und die Motivation vieler Mitarbeiter
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unter Mitarbeit von Jens Bußler und Jörg Wunderlich
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Birte Homann & Peter Wilke
war sehr gering. Trotzdem wollten die Belegschaft und der Betriebsrat nicht einfach kampflos aufgeben. Man glaubte an die Chancen und die eigenen Fähigkeiten. Um diesen Prozess zu verstehen, hilft ein kurzer Blick in die Firmengeschichte: Das Unternehmen wurde 1893 als kleine Maschinenfabrik und Eisengießerei für den Schiffbau gegründet. Man baute zunächst kleinere Dampfmaschinen und auch schon Decksmaschinen/Winschen. Nach 1945 wurde das Unternehmen von Christian Steen, dem Sohn des Gründers, wieder aufgebaut und 1964 an dessen Sohn Klaus Steen weitergegeben. Es folgte ein durchaus erfolgreicher Aufbau bis in die 1980er Jahre hinein, bei dem sich das Unternehmen einen soliden Ruf als Anbieter von Decksmaschinen im Schiffbaumarkt erworben hat. Heute macht Steen mit ca. 50 Mitarbeitern einen Umsatz von ca. 10-11 Mio. Euro und arbeitet seit einigen Jahren mit deutlich positiven Erträgen. Das Unternehmen liefert technisch hochwertige Decksmaschinen und Spezialkonstruktionen an den Schiffbau und hat drei wesentliche Standbeine: Das ist zum einen die Produktion von Standardware für den Handelsschiffbau. Darüber hinaus hat sich das Unternehmen auf die Herstellung besonders hochwertiger Winschen und vollständiger DecksmaschinenSysteme im Bereich der Megayachten und der Marine spezialisiert. Der Spezialmarkt für Yachten über 30 Meter macht heute gut 30% des Umsatzes der Steen GmbH aus. Steen Decksmaschinen findet man auf mehr als 500 Yachten, u.a. auf der Athena, dem größten Segelschoner der Welt, aber auch auf mehr als 700 Marineschiffen und ca. 4.000 Handelsschiffen. Wesentlich für die Arbeit und die Produktionsprozesse bei Steen sind sowohl im Yachtbereich als auch in der Produktion für die Marine die extrem hohen Anforderungen an Qualität und Zuverlässigkeit sowie die Fertigung sehr kleiner Serien. Im Folgenden soll beschrieben und analysiert werden, wie es gelang, den Betrieb gemeinsam mit den Mitarbeitern zu modernisieren und eine kleine Erfolgsgeschichte zu organisieren. Der Beitrag basiert zum einen auf einem Erfahrungsbericht des externen Beraters und der Protagonisten der Erneuerung des Unternehmens und zum anderen auf der Auswertung von Interviews mit Beschäftigten der Steen GmbH, die eindrucksvoll über ihre Erfahrungen bei der Neugestaltung und die Besonderheiten im betrieblichen Alltag des „Systems Steen“ berichtet haben. 2
Wie alles anfing – Ein Start aus der Not
Um die Entwicklung bei Steen vom kleinen Familienunternehmen zu einem fortschrittlichen Unternehmen mit starker Mitarbeiterorientierung zu begreifen, muss man
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in den April 1993 zurückgehen. Völlig überraschend für die Belegschaft gab die Eigentümerfamilie damals bekannt, dass sie das Unternehmen an die KGW in Schwerin verkauft hatte. Die KGW war ein ostdeutsches Maschinen- und Anlagenbauunternehmen mit Produktionsbereichen im Schiffbauzulieferbereich und im Kranbau, das aus dem Besitz der Treuhand von westdeutschen Investoren übernommen worden war. Die Übernahme durch die KGW erfolgte völlig überraschend für die Belegschaft der Steen GmbH und löste beim Betriebsrat und den Mitarbeitern sofort Befürchtungen und Sorgen um die Weiterexistenz des Unternehmens aus. Die KGW war selbst – wie alle ehemaligen ostdeutschen Kombinate – mitten in einem tiefgreifenden Restrukturierungsprozess und kämpfte um ihre Position am Markt. Der Eindruck war, dass mit Steen eigentlich nur Know-how, Kunden und Marktzugang gekauft werden sollten. An den Menschen und den Produktionskapazitäten in Elmshorn waren die Investoren nicht interessiert. Schon am zweiten Tag nach der Übernahme gaben die neuen Besitzer bekannt, dass sie den Standort Elmshorn schließen wollten, um alles in die Fertigung in Schwerin zu integrieren. Der damalige Einkaufsleiter und Betriebsratsvorsitzende Jens Bußler gab – stellvertretend für die Belegschaft – eine einfache, aber klare Antwort: „Das wird nicht klappen. Wir lassen uns nicht mit unserem eigenen Steuergeld platt machen.“ In der Folge gab es eine über sechs Jahre laufende Auseinandersetzung mit der Geschäftsführung und den Eigentümern der KGW, in der auf beiden Seiten mit (fast) allen Mitteln versucht wurde, als Sieger aus dem Konflikt hervorzugehen. Mit starker Unterstützung der IG Metall Verwaltungsstelle Unterelbe konnte der Betriebsrat zunächst erreichen, dass Steen mit einer gewissen Eigenständigkeit im Rahmen der KGW erhalten blieb und nicht zerschlagen wurde. Aber es gab in der Folgezeit immer wieder neue Betriebsleiter, die von der KGW mit dem alleinigen Ziel eingesetzt wurden, die Steen GmbH weiter in die KGW zu integrieren. Zusätzlich versuchte die KGW, durch Gewinnentnahmen aus dem Unternehmen Steen Liquidität abzuziehen. Einzelnen Mitarbeitern wurden Angebote gemacht, nach Schwerin zu wechseln. Es wurden sogar Produktionsteile und Maschinen ohne Vorankündigung verlagert. Der Betriebsrat organisierte mit Unterstützung der IG Metall einen anhaltenden Widerstand. Auch Politik und Presse wurden mobilisiert. Der Betrieb wurde zweimal besetzt – die Belegschaft schlief in der Werkshalle auf dem Betonboden. Tore wurden von innen zugeschweißt, um eine weitere Verlagerung der Produktion zu verhindern. Mehrere Jahre lang bestimmte ein für norddeutsche Verhältnisse ungewöhnlich heftiger Arbeitskampf den Alltag bei Steen.
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In einem normalen Konzern hätte ein solcher Widerstand nur schwer durchgehalten werden können, aber die KGW geriet im Laufe der Auseinandersetzung völlig unabhängig von Steen selbst immer mehr in wirtschaftliche Probleme. Die ersten Käufer konnten weder ihre Zusagen gegenüber der Treuhand einhalten noch ihre vollmundigen Versprechungen über Erfolge am Markt erfüllen. Insoweit zeigte sich, dass die Bedenken der Mitarbeiter berechtigt gewesen waren. Es kam in der Folge zu einem Einstieg neuer Investoren, die aber auch nicht erfolgreicher waren. Ende 1997 wurde die KGW dann durch einen Treuhänder in Hamburg übernommen, der schnell erkannte, dass der andauernde Konflikt mit dem Betriebsrat und der Belegschaft nur noch durch eine Trennung der Steen GmbH von der KGW zu lösen war. Dieses Ansinnen löste allerdings heftigen Widerstand bei den immer noch aktiven Eigentümern der KGW aus. Die Steen-Konten wurden gesperrt, Lohn- und Gehaltszahlungen wurden eingestellt. Trotzdem gingen die Verhandlungen über eine Abtrennung der Steen weiter – aber Abtrennung unter welchen Voraussetzungen? Wem würde die Firma dann gehören? Wer sollte Geschäftsführer werden? In der durch lange Konflikte und tiefes Misstrauen geprägten Situation waren ungewöhnliche Lösungen gefragt. Der Treuhänder setzte sich letztlich gegenüber der KGW durch und konnte zumindest eine unternehmensrechtliche Trennung verhandeln, bei der die Steen-Geschäftsführung wieder eigenständig am Markt handeln konnte. Da aber kein betrieblicher Kandidat für die Geschäftsführung zur Verfügung stand, erklärte sich der damalige Leiter der IG Metall Verwaltungsstelle bereit, für eine Übergangszeit Geschäftsführer der Steen GmbH zu werden. Ein wirtschaftliches Konzept existierte zu diesem Zeitpunkt nur in groben Umrissen. Im November 1999 wurde dann in einem zweiten Schritt der Übergangs-Geschäftsführer offiziell auch Eigentümer der Steen GmbH. Mit der KGW blieb aber eine Reihe von wirtschaftlichen Verflechtungen bestehen, die die nächsten zehn Jahre des Unternehmens unter einen Vorbehalt und eine schwere Hypothek stellen sollten. Einer dieser Punkte war eine unternehmensrechtliche stille Beteiligung der KGW an Steen in Höhe von mehreren hunderttausend Euro, die irgendwann bedient werden sollte. Das Unternehmen startete also ohne Geld, mit immensen Schulden, einem überaltertem Maschinenpark und einer Belegschaft, die zwischen Euphorie und Angst um den Job schwankte. Die ersten Versuche, die Startbedingungen zu verbessern und mit einem lokalen Konkurrenten auf Augenhöhe zu fusionieren, scheiterten, da die Steen GmbH wieder nur einverleibt werden sollte – ohne eigenständige wirtschaftliche Perspektive. Inzwischen
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hatten der Betriebsrat, die Belegschaft und die IG Metall aber so viel politische Aufmerksamkeit erzeugt, dass mit dem Land und der Beteiligungsgesellschaft des Landes Schleswig-Holstein Gespräche über eine Kapitalbeteiligung geführt werden konnten. Im November 2001 kam eine Lösung zustande, die bis heute Bestand hat. Der ehemalige Leiter des Einkaufs und Betriebsratsvorsitzende Jens Bußler und der Betriebsleiter Jörg Wunderlich kauften gemeinsam im Rahmen eines Management-Buy-outs das Unternehmen. Die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft des Landes Schleswig Holstein stellte Beteiligungskapital für den Kauf zur Verfügung und die KGW erklärte sich bereit, weiter stiller Gesellschafter zu bleiben. Bußler und Wunderlich übernahmen mit dem Kauf alle aus der stillen Beteiligung der KGW resultierenden finanziellen Verpflichtungen. Im Rückblick muss man sagen, dass die in dieser Zeit erstellten Wirtschaftspläne und Fortführungsprognosen kaufmännische Unsicherheiten enthielten, die kaum abschätzbar waren. Zu diesen wirtschaftlichen Risiken kamen Unsicherheiten, ob es den handelnden Personen gelingen würde, am Markt bei den Kunden eine Wende zu erreichen und die Belegschaft zusammenzuhalten. Die regionalen Banken waren nicht bereit, diese Risiken ohne persönliche Sicherheiten mit zu gehen, die beide Geschäftsführer aber nicht geben konnten. Das Unternehmen startete also faktisch ohne jeden Kreditrahmen und lebte nur von Lieferantenkrediten und Einnahmen aus laufenden Geschäften. Um ein bei diesem Unternehmen passendes Bild aus der Welt der Segler zu gebrauchen: Jede kleine Böe hätte das Schiff kentern lassen können. 3
Wer übernimmt welche Verantwortung – Warum keine Übernahme durch die gesamte Belegschaft?
Im Rückblick kann man feststellen, dass niemand sich darum gedrängt hatte, Eigentümer der Steen GmbH zu werden, da die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht sehr gut waren. Dies konnte jeder Mitarbeiter auch ohne tiefer gehende Analyse erkennen und es erzeugte nicht gerade eine große Bereitschaft in der Belegschaft, selbst mit eigenem Geld ins Risiko zu gehen und sich finanziell zu beteiligen. Während der sechs Jahre dauernden Auseinandersetzung um das Unternehmen war die Möglichkeit einer gemeinsamen Übernahme des Unternehmens durch die gesamte Belegschaft immer mal wieder diskutiert worden. Auf Initiative des Betriebsrats gab es 1998 eine anonyme Umfrage, welche Mitarbeiter einer finanziellen Beteiligung zustimmen würden und in welchem Rahmen sie sich beteiligen würden. Aber es fand sich keine hinreichend
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große Gruppe von Mitarbeitern, die bereit gewesen wäre, die damit verbundenen Risiken zu tragen. Letztlich waren es vier Gründe, die eine Übernahme durch alle Mitarbeiter verhinderten: Die wirtschaftlichen Unsicherheiten über die Chancen einer Fortführung waren so groß, dass viele Mitarbeiter das Risiko scheuten. Die Belegschaft war durch die lange Auseinandersetzung auch intern gespalten. Es gab eine nennenswerte Gruppe von Mitarbeitern, die lieber bei der KGW oder dem Treuhänder geblieben wären. Bußler und Wunderlich hatten in den Auseinandersetzungen eindeutig eine führende Rolle übernommen und standen nun auch in der (politischen und sozialen) Verantwortung, das Unternehmen zu übernehmen. Eine große Gewinnerwartung hatte keiner der Beteiligten. Bei einem Beteiligungsmodell mit allen Mitarbeitern wären die internen Abstimmungsprozesse noch komplizierter geworden. 4
Der Alltag der ersten Jahre: Eine dauerhafte „Zukunftswerkstatt“ für Management und Belegschaft
Es ist eine Sache, den politischen Widerstand gegen eine Betriebsschließung zu organisieren und eine andere, die alltäglichen Abläufe in einem Unternehmen, den Vertrieb und die Kundenkontakte zu bewältigen. Ohne Zweifel kam hier bei Steen eine ganze Reihe von glücklichen Umständen, Optimismus, Fleiß und die richtigen Ideen zusammen. Das neue Management und die Belegschaft fanden sich in den ersten Jahren in einer Art dauerhafter „Zukunftswerkstatt“ wieder. Es mussten mit viel gutem Willen und Improvisation alltäglich neue Probleme bewältigt und gleichzeitig Kunden davon überzeugt werden, dass die Qualität bei Steen stimmt. Hilfreich war hier sicherlich, dass Bußler und Wunderlich die operativen Abläufe im Unternehmen in allen Details kannten und auch selbst gute Kontakte zu den Kunden hatten. Da die enge Verbindung zur IG Metall erhalten blieb, war es für alle Beteiligten selbstverständlich, dass sie „nach Tarif“ bezahlten und auch sofort wieder einen Betriebsrat wählten. Der Rollenwechsel verlief in dieser Hinsicht ohne Probleme. Gleichzeitig gab es nun im gesamten Betrieb ein generelles „Prinzip der offenen Tür“ und der direkten Absprachen bei allen Problemen. Da die Arbeitsbelastung hoch war und die Verteilungsspielräume wegen zunächst schlechter wirtschaftlicher Erträge gering blieben, waren Konflikte vorprogrammiert.
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Schon im ersten Jahr musste die Belegschaft einer Stundung des Weihnachtsgeldes zustimmen, da das Unternehmen sonst zahlungsunfähig geworden wäre. Das Geld konnte jedoch im nächsten Sommer an die Mitarbeiter ausgezahlt werden. Hier machte die Belegschaft also die positive Erfahrung, dass Zusagen des Managements eingehalten wurden. Aber die Auszahlung ging kaufmännisch gesehen eindeutig zu Lasten der Fähigkeit des Unternehmens, in neue Maschinen zu investieren. Einen Kontokorrentkredit wollte die Bank nur geben, wenn das Management mit seinem persönlichen Vermögen gehaftet hätte. Dies war ein Risiko, zu dem auch der gewerkschaftlich orientierte Berater nicht guten Herzens raten konnte. Denn die Ertragsplanung des Unternehmens blieb weiter hinter dem wirtschaftlich eigentlich für die Modernisierung des Unternehmens notwendigen Rahmen zurück. Notwendig wären vor allem Investitionen in neue Maschinen, EDV, CAD-Anlagen und Software gewesen. Erfahrung, Prozessinnovation und Kreativität können dauerhaft nicht neue Ausrüstung ersetzen. Leider trübten sich 2003/2004 zusätzlich die Konjunkturerwartungen ein. Noch einmal musste die Belegschaft Teile des Weihnachtsgelds stunden. Erst der einsetzende Boom auf den Schiffbaumärkten ab 2005 brachte den ersehnten Rückenwind. Es folgten drei gute Jahre, die zum ersten Mal wirtschaftliche Spielräume eröffneten. Die erste Bank war bereit, einen Kontokorrentkredit zu geben. Steen konnte weiter Personal einstellen und auch seit der Spaltung von der KGW laufende Personalstreitigkeiten lösen. Aber auch jetzt wurden neue Maschinen nur geleast bzw. gebraucht gekauft. Immerhin sorgten der Boom auf den Schiffbaumärkten und vor allem auch die Aufträge im Megayacht-Bereich für steigende Erträge. Es konnten Prämien gezahlt und auch Gewinnrücklagen gebildet werden. Ein glücklicher Ausgang? Mit Einschränkungen. 2006 ging die KGW endgültig in die Insolvenz und die noch bestehende stille Beteiligung in Höhe von mehreren hunderttausend Euro drohte fällig zu werden. Die Steen-Geschäftsführung spielte auf Zeit und konnte tatsächlich bis Ende 2009 eine Rückzahlung aufschieben. Aber letztlich musste nach langwierigen Verhandlungen ein großer Teil dieser Forderung bedient werden und dies bedeutet generell, dass wiederum finanzielle Mittel aus dem Unternehmen abfließen, die für Investitionen notwendig wären. Glücklicherweise ist das Unternehmen heute wirtschaftlich stabil genug, um die Situation bewältigen zu können. Denn gleichzeitig gelang es, die Landesbeteiligung der MBG um weitere fünf Jahre zu verlängern.
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Erfolgsfaktoren für eine Erneuerung des Unternehmens ohne genügend Investitionskapital
Für eine erfolgreiche Erneuerung der Steen GmbH waren vor allem drei Faktoren ausschlaggebend: Erstens die große Bedeutung der sozialen Faktoren, d.h. der Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und der Geschäftsführung. Letztere übernahm dabei immer wieder eine vorwärtstreibende und fordernde Funktion. Zweitens gelang es, eine hohe Qualität bei den Produkten aufrecht zu erhalten und in einem internationalen Markt wachsende Anteile zu gewinnen. Drittens spielte auch das Vertrauen der Kunden eine wesentliche Rolle, da der Markt gerade im Schiffsausrüstungsbereich sehr stark von persönlichen Kontakten geprägt ist. Eine grundsätzliche Voraussetzung, um den Betrieb weiterführen zu können, war die Übernahme der vorhandenen GmbH im Rahmen des Management-Buy-outs zunächst durch den damaligen Leiter der IG Metall Verwaltungsstelle und später durch Bußler und Wunderlich und die Unterstützung der Gewerkschaft. Ganz entscheidend waren jedoch das „gelebte Engagement“ und die Erfahrung der Mitarbeiter, die heute teilweise mehr als 40 Jahre im Betrieb tätig sind. Der Unternehmensleitung ist es dabei gelungen, auch in den Aufbaujahren nach der Übernahme eine gute Mischung zwischen jungen und alten Mitarbeitern zu erreichen. Über die Hälfte der Mitarbeiter ist heute seit weniger als zehn Jahren im Betrieb, d.h. dieser Teil der Belegschaft kennt die Entstehung nur aus Erzählungen. Die Qualität in der Fertigung profitiert aber nachhaltig aus dieser Mischung zwischen jung und alt, zwischen Querdenkern und gestandenen, erfahrenen Fachleuten. Zu den sozialen Erfolgsfaktoren zählt auch, was die Leitung als altmodisches Verständnis der Unternehmensziele definiert. Hauptanliegen ist es, mit dem Unternehmen so viel Gewinn zu machen, dass die Familien von 50 Mitarbeitern ein Auskommen haben. Damit ist keine Abschaffung normaler betrieblicher Regelungen in einem Produktionsbetrieb verbunden: Stempeln, Gleitzeit und 35-Stunden-Woche sind gängige Praxis bei Steen. Etwas anders ist allenfalls das Prämiensystem, das auf dem Tarifentgelt aufbaut und Leistungsprämien vorsieht. Diese sind in den schlechten Jahren genutzt worden, um den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld wieder auszugleichen und gleichzeitig Flexibilität zu garantieren. In den letzten zwei Jahren führten sie zu deutlichen Einkommenssteigerungen bei den Beschäftigten. Ein klares Defizit bei Steen bleibt der teilweise überalterte Maschinenpark – auch wenn die meist gut ausgebildeten Facharbeiter (Schweißer, Fräser, Dreher) und die
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qualifizierten Mitarbeiter in der Konstruktion viele technische Defizite mit Engagement kompensieren können. Hier zeigt sich in besonderer Weise, dass Improvisation zu einer lernbaren Fähigkeit wird, die auch eine Firmenkultur mit prägt, in der wechselseitige Hilfe großgeschrieben wird. Zu den Erfolgsfaktoren gehört neben der Qualität und Liefertreue in der Produktion zu wesentlichen Teilen auch ein effizientes Vertriebsmanagement. Ohne den Aufbau von Vertrauensverhältnissen zu Kunden und Lieferanten wären die vielen Liquiditätsengpässe der ersten Jahre nicht überstanden worden. Kundenpflege, Auftreten und Überzeugung nach außen ist auch bei einem Betrieb, der sehr stark auf seine Mitarbeiter schaut, wichtiger Teil der Unternehmenskultur. In der Produktion heißt dies, dass Steen unter der neuen Geschäftsführung von Beginn an das Konzept der „Customisation“ eingeführt hat. Dabei werden die angebotenen Leistungen individuell auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten Auf Wunsch einzelner Schiffseigner werden auch ganze Deckssysteme gefertigt. Als zusätzliche Leistung werden zudem ein umfassendes Projektmanagement und weitere Betreuungsdienstleistungen, die früher Werften erbracht haben, angeboten. Auch hier zeigt sich eindrucksvoll, dass die neue Unternehmensführung den „richtigen“ Markttrend erkannt und das Unternehmen auf die kundenspezifische Lieferung von einzelnen Modulen, aber auch Dienstleistungen und ganzen Systemen ausgerichtet hat. So ist das Spektrum der angebotenen Produkte mit der Zeit und parallel zu den sich wandelnden Marktanforderungen vielfältiger geworden. Und dies ist keine Selbstverständlichkeit in einem doch eher kleinen Unternehmen. Steen hat dabei noch eine zweite Entwicklung richtig mitgemacht, die in der Managementliteratur gerne mit „Small Company – Large Network“ umschrieben wird. Auch kleine Unternehmen können in globalisierten Märkten erfolgreich und flexibel agieren, wenn sie es schaffen, größere Lieferanten- und Produktionsnetzwerke aufzubauen. Durch eine arbeitsteilige Produktion und kurzfristige Projekte können Überkapazitäten vermieden werden. Eine schnelle Anpassung an Veränderungen in den Kundenwünschen ist somit möglich. Man sieht: Die Erfolgsfaktoren des „Projektes Steen“ liegen in der richtigen Mischung aus Motivation und Können der Belegschaft, Erfolg am Markt und einer glaubhaften Führung, die eine partnerschaftliche, mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur selbst lebt.2
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In einer Publikation des Symposium Verlags zum Thema Unternehmenskultur findet sich hierzu das auch bei Steen gut passende Motto: „Viele Köpfe ans denken bringen“ (Spilker, 2010).
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Wie sieht die Belegschaft die Entwicklung? – Eine Auswertung von Mitarbeitergesprächen
In Gesprächen mit sieben Belegschaftsangehörigen wurde versucht, verschiedene Meinungen und Erlebnisse zu den Krisen- und Umbruchsjahren, zu den Erfolgsfaktoren des Unternehmens sowie zur aktuellen Situation einzufangen. Hierzu wurden sowohl Mitarbeiter mit einer langen Betriebszugehörigkeit befragt, die den Verkauf von Steen an die KGW, die folgenden Auseinandersetzungen und die Übernahme durch Bußler und Wunderlich mit erlebten, als auch Mitarbeiter, die erst nach der „Krise“ in das Unternehmen eingetreten sind.
Die wichtigsten Erkenntnisse und Eindrücke der befragten Beschäftigten im Überblick Einigkeit herrschte bei den befragten langjährigen Mitarbeitern darüber, dass die Ankündigung des alten Geschäftsführers Klaus Steen, das Unternehmen zu verkaufen, die Belegschaft völlig unvorbereitet und abrupt traf und für viele einen Schock darstellte. Niemand war informiert worden. Während der Zusammenhalt in der Belegschaft immer als sehr gut empfunden wurde, schweißte diese Extremsituation die Beschäftigten nach Meinung der Befragten zunächst noch enger zusammen. Es ging darum, gegen das Vorgehen der alten Geschäftsleitung zu demonstrieren, sich zu organisieren und sich zu informieren. Auf der Basis einer starken Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen waren in dieser Phase des Verkaufs an die KGW und der Betriebsbesetzungen das kollektive Verhalten und der Zusammenhalt entscheidend. Das überdurchschnittliche Engagement Einzelner mobilisierte die gesamte Belegschaft. Hinzu kam, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei Steen im Laufe der Auseinandersetzungen stark angestiegen war. Im Umfeld des Verkaufs an die KGW traten immer mehr Kollegen in die Gewerkschaft ein, so dass man von einer Gewerkschaftszugehörigkeit von ca. 80-90% ausgehen konnte. Die Unterstützung durch die Gewerkschaft wurde vor allem bezüglich des Informationsflusses und im Rahmen von Initiativen wie den Betriebsbesetzungen als sehr positiv empfunden. Nicht zuletzt wurde dieses im Nachhinein von den Mitarbeitern darauf zurückgeführt, dass einzelne Steen-Mitarbeiter und der Betriebsrat jahrelang in der Gewerkschaft engagiert gewesen waren und Präsenz gezeigt hatten.
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Die darauf folgende Umbruchphase zwischen dem Verkauf an die KGW 1993 und der Übernahme durch Bußler und Wunderlich 2001 wurde gleichzeitig aber auch als eine konfliktträchtige Phase empfunden, die den beschriebenen anfänglich starken Zusammenhalt in der Belegschaft auf die Probe stellte. Es kam zu Konflikten zwischen Kollegen, die einen Wechsel zur KGW in Erwägung zogen, und Kollegen, die gegen die neue Geschäftsführung kämpfen wollten. Neben der Bereitwilligkeit, sich finanziell zu beteiligen (oder nicht), verstärkten vor allem die hiermit zusammenhängenden Fragen von „Macht und Verantwortung“ eine Spaltung in der Belegschaft. Schlussendlich gab es wie überall Konflikte zwischen denjenigen Mitarbeitern, die sich – zum Teil auch in ihrer Freizeit – engagieren und beteiligen wollten, und denjenigen, die sich eher passiv verhielten. Es zeigte sich, dass die Beteiligungsbereitschaft auch stark von der jeweiligen persönlichen Situation abhing. Für diejenigen Mitarbeiter, die sich damals aktiv für das Unternehmen engagierten, war klar: „Wir wollen überleben. Wir wollen was machen.“ In dem sich in dieser Phase entwickelnden „System Steen“ wurde sehr viel Wert auf soziale Komponenten, aber auch auf die Beteiligung aller Mitarbeiter gelegt. Die erfolgreiche Weiterentwicklung dieses Systems nach der Übernahme 2001 und die Überwindung der Konflikte zwischen den Mitarbeitern konnten nur mit der Unterstützung eines Großteils der Belegschaft erfolgen. Rückblickend betrachtet ist dieses scheinbar gelungen. Insbesondere jene engagierten Mitarbeiter, die sich über acht relativ turbulente Jahre hinweg für das Überleben des Unternehmens eingesetzt haben und auch unter den schwierigen finanziellen Bedingungen in der Anfangszeit bereit waren, für das Unternehmen kürzer zu treten (z.B. bei einem zeitweiligen Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld), und noch heute für Steen arbeiten, machen Steen aus der Sicht der Beschäftigten zu einem besonderen Unternehmen. Beschäftigte verschiedener Altersklassen und Betriebszugehörigkeiten, aus Fertigung, Konstruktion und Vertrieb waren sich in dieser Frage weitgehend einig. Zu den mehrheitlich als positiv empfundenen Veränderungen und Charakteristika des neuen Führungsstils gehört die vielfach genannte „soziale Einstellung“ des Unternehmens, welche mit einem großen Vertrauen in die neue, transparentere und beteiligungsorientierte Geschäftspolitik und den verbesserten Informationsfluss einhergeht, die intern anscheinend zu einer sehr viel größeren Flexibilität geführt haben. Damit korrespondiert eine Wahrnehmung bei den Arbeitnehmern, dass der „Chef“ und das Management nicht „auf der anderen Seite“ sitzen, sondern notwendiger Teil der Unternehmensstruktur sind. Im Jahr 2010 schätzen langjährige Mitarbeiter ebenso wie in den letzten Jahren neu eingestellte Kollegen darüber hinaus vor allem die kurzen Wege und die im Gegensatz zu früheren Geschäftsführungen bei Steen – und im Gegensatz
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zu manch anderem Unternehmen – offene Kommunikation und Offenheit für Ideen und Vorschläge von Mitarbeitern, die Mischung zwischen jung und alt, die Qualifikation und Motivation der Belegschaft sowie die Qualität und Aufstellung der Produkte. Als Erfolgsfaktoren werden auch das Auftreten nach außen, die gute Kundenpflege, die Erfahrung und der offene Austausch über Mängel sowie die gute Anpassungsfähigkeit an Veränderungen gesehen. Aber auch bei Steen gibt es heute noch „zwei Seiten“ im betrieblichen Alltag. Besonders für neue Mitarbeiter, die aus größeren Unternehmen kommen, kann eine Umstellung im Denken notwendig werden. Teil der Umgewöhnung ist die Erkenntnis, dass im „System Steen“ sehr viel auf persönlichen Beziehungen basiert und formal vorgeschriebene Unternehmensprozesse und -strukturen hier weniger ausschlaggebend sind und oft umgangen werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber stehen sich nicht als „Feinde“ gegenüber. Mitarbeiter müssen dieses System verstehen und die Geschäftsführung muss die Denkweise neuer Mitarbeiter begreifen. Wenn sich neue Mitarbeiter nicht wirklich einfinden, und dieses kann nach Einschätzung der Befragten zum Teil mehrere Monate oder Jahre dauern, kann dies zu Problemen führen. Welche Faktoren können aus Sicht der befragten Mitarbeiter dazu beitragen, dass „System Steen“ weiter zu verbessern? Im Arbeitsalltag würden sich einige Mitarbeiter sowohl bessere Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten als auch größere Investitionen in neue Maschinen, neue Werkzeuge oder neue Rechner und innovative Systeme wünschen. Dadurch könnten ihrer Meinung nach die Qualität der Arbeit und der Produkte sowie die Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich verbessert werden. Während der interne Wissenstransfer bei Steen gut zu funktionieren scheint, wird der Einkauf externen Wissens in manchen Feldern vermisst. Dabei sind sich die Befragten jedoch durchaus des Zusammenhangs dieser Forderungen mit Finanzierungsproblemen und des über Jahre fehlenden Investitionskapitals bewusst und zeigen Verständnis für die Situation der Unternehmensleitung. Dieses Verständnis bedingt anscheinend wiederum teilweise, dass Mitarbeiter z.B. konkrete Weiterbildungsmaßnahmen nicht konsequent gegenüber der Unternehmensleitung einfordern, und folglich der Leitung keine Vorwürfe machen. In den Gesprächen wurde immer wieder deutlich: Wichtiger Erfolgsfaktor ist und bleibt die Begeisterung und Bereitschaft der Belegschaft, für das Unternehmen und die gemeinsame Sache zu arbeiten. Insbesondere aufgrund des guten Arbeitsklimas ist ein Großteil der Belegschaft mit der jetzigen Situation insgesamt zufrieden.
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Wie geht es weiter?
Die Steen GmbH unter der neuen Leitung feiert im Jahr 2011 ihr 10-jähriges Bestehen. Damit ist die Gründungsphase in jeder Hinsicht vorbei. Es stellen sich viele Fragen nach den Perspektiven dieses runderneuerten Traditionsunternehmens. Welchen neuen Herausforderungen wird sich das Unternehmen stellen müssen? Welche Erwartungen haben Geschäftsführung und Belegschaft an die Zukunft? Wirtschaftlich sieht das Management eher positiv gestimmt in die Zukunft. Nach den allgemeinen Boomjahren 2005 bis 2008 ist die Nachfrage im Schiffbau zwar allgemein rückläufig. Vor allem die Handelsschifffahrt wurde stark von der weltweiten Finanzkrise getroffen. Aber Anbieter wie Steen mit einem guten Ruf bei Spezialkonstruktionen sind von diesem Rückgang nur indirekt betroffen. Man setzt weiter auf Sonderkonstruktionen und eine flexible Anpassung der Produktpalette, d.h. einen Mix im Produkt- und Dienstleistungsangebot mit einer eher breiten Aufstellung am Markt und einer Flexibilität durch das Prinzip der verlängerten Werkbank und Auslagerung von Teilaufträgen an Unterauftragnehmer. Konsequenz ist, dass man personell nicht unbedingt weiter wachsen will. Eine stabile Belegschaft mit ca. 50 Mitarbeitern kann auch Krisenzeiten überstehen. Kurz gesagt: Sowohl Geschäftsführung als auch Belegschaft sind angesichts der Erfolgsgeschichte des letzten Jahrzehnts zuversichtlich, was die Perspektiven des Unternehmens angeht. Zukunftsängste sind begrenzt. Wichtig ist vor allem, dass das Unternehmen ausreichend Gewinn erwirtschaftet, um den Investitionsstau der letzten Jahre abzubauen. Man kommt also nicht aus der marktwirtschaftlichen Logik heraus. Dies gilt umso mehr, da auch die „Altschulden“ aus der Gründungsphase abzubauen sind. Man wird sehen, ob der Belegschaft diese Logik klar vermittelt werden kann. Denn auch bei der Belegschaft sind die Erwartungen gestiegen. Man sieht die guten Geschäftsergebnisse und will auch kurzfristig daran partizipieren. Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen steht das Unternehmen intern vor einer nicht weniger großen Aufgabe: In den nächsten Jahren wird es einen Generationenwechsel geben. Damit müssen die Organisation der Nachfolge in der Führung, aber auch bei Mitarbeitern in der Fertigung, aktiv angegangen werden. Weiterqualifizierung und Weiterentwicklung müssen vorangetrieben werden. Dabei kommen diese neuen Anforderungen an Veränderungen in einer Zeit, in der die Mitarbeiter sich an die neue „Normalität“ gewöhnt haben. Die Skepsis der Gründungsphase ist gewichen. Es hat sich großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Kompetenzen des Führungs-
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teams aufgebaut. Gleichzeitig aber ist ein deutliches „sich Zurücklehnen“ bei Mitarbeitern zu beobachten. Man darf gespannt sein, wie es bei Steen gelingt, die „Mühen der Ebenen“ (Bertolt Brecht) zu bewältigen.
Literatur Spilker, M. (2010). „Viele Köpfe ans Denken bringen!“ – Partnerschaftliche Unternehmenskultur ist Voraussetzung für Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit von Unternehmen. In C. Gundlach, A. Glanz & J. Gutsche (Hrsg.), Die frühe Innovationsphase. Methoden und Strategien für die Vorentwicklung. Düsseldorf: Symposium.
Teil III: Personalentwicklung und Qualifizierung als Basis für den Innovationserfolg
ThyssenKrupp Nirosta – Innovative Modelle zum Wissenstransfer und Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter Theo Steegmann & Geneviève Wagner
„Glaubet den Erfahrenen!“ (Vergil, Aeneis) oder: „Neue (junge) Besen kehren gut – aber die alten kennen die Ecken!“
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Einleitung
Die demografische Entwicklung in Deutschland stellt an die Unternehmen große Herausforderungen: Einerseits sinkt die Geburtenrate in Deutschland. Zum anderen steigt die durchschnittliche Lebenserwartung (Länge & Menke, 2007). Die Gesellschaft veraltet. Die daraus resultierenden Auswirkungen sind auch in vielen Unternehmen spürbar. Eine Folge der demografischen Entwicklung ist das Ausscheiden von älteren Mitarbeitern der geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten zehn Jahren aus den Unternehmen und der damit verbundene Verlust von personengebundenem Erfahrungswissen. Aber auch hinsichtlich des erhöhten Renteneintrittsalters kommt es für die Unternehmen darauf an, sich auf ältere Belegschaften einzustellen und das lebensbegleitende Lernen der Mitarbeiter zu fördern, um im Wettbewerb ständiger technologischer Innovation bestehen zu können. Eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre ist es, das in den Unternehmen vorhandene Wissen effektiv weiterzugeben und zu entwickeln. Auch die ThyssenKrupp Nirosta GmbH sieht sich bereits heute mit den Auswirkungen der demografischen Entwicklung konfrontiert. Das Durchschnittsalter der Belegschaft beträgt im Frühjahr 2010 auf der Ebene der Angestellten bereits 47,0 Jahre und auf der Ebene der Lohnempfänger 43,7 Jahre. In vielen anderen industriellen Unternehmen ist diese Struktur ähnlich. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2005 auf Initiative des Vorstands Personal der ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Klaus-Peter Hennig, das Projekt „Jung und Alt für Nirosta“ (JAN) entwickelt. Im Rahmen von JAN wurden zehn Teilprojektgruppen gegründet, die Modelle zur Begleitung der demografischen Entwicklung erarbeitet haben (siehe Abbildung 1). Die Teilprojektgruppen „Weiterbildung“ und „Wissenstransfer“ konzentrierten sich dabei vor allem auf die Entwicklung von Instrumenten zur Förde-
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rung des lebensbegleitenden Lernens sowie des Wissensaustausches zwischen Alt und Jung und umgekehrt.
Abb. 1: Teilprojektgruppen im Rahmen des Projektes „Jung und Alt für Nirosta“ (JAN) (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, 2008)
Neben der demografischen Entwicklung stellt auch die aktuelle weltweite Finanzkrise und ihre Auswirkungen für viele Unternehmen, wie auch der ThyssenKrupp Nirosta GmbH, eine zusätzliche Herausforderung dar. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation können viele Betriebe ihre jungen, ausgebildeten Mitarbeiter nicht unmittelbar übernehmen, obwohl sie angesichts des Mangels an hochqualifizierten Fachkräften mittelfristig dringend erforderlich sind. Um den Herausforderungen gerecht zu werden, entwickelte die ThyssenKrupp Nirosta GmbH neue Strategien und Modelle mit dem Ziel, den Wissenstransfer zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern sowie eine Beschäftigungssicherung für ihre jungen Fachkräfte zu ermöglichen, um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe einer leistungsfähigen Belegschaft zu erhalten. Das Leitbild der Weiterbildung bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH ist dabei die „Lernende Organisation“, die das lebensbegleitende Lernen aller Mitarbeiter fördert, wobei diese nicht nur als „human resources“, sondern auch als „resourceful humans“ betrachtet werden (Senge, 2008). Einige innovative Modelle zum Wissenstransfer und zur Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter sollen im Folgenden vorgestellt werden.
ThyssenKrupp Nirosta – Wissenstransfer und Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter
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Modelle bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH
2.1 Durchführung von Interviews zur Identifizierung und Nutzbarmachung von personengebundenem Erfahrungswissen Im Jahr 2006 wurden 24 qualitative Interviews auf der Basis eines im Rahmen des JAN-Projekt entwickelten Leitfadens im Bereich Technik zur Einschätzung der demografierelevanten Aspekte durchgeführt, u.a. zur Identifizierung der Schlüsselpositionen, in denen ein besonders hohes Maß an personengebundenem Erfahrungswissen liegt. Die Interviewpartner waren Produktionsleiter, Teamleiter, Schichtleiter und Experten verschiedener Standorte der ThyssenKrupp Nirosta GmbH. Jedes Interview dauerte ca. zwei Stunden und wurde auf Tonband aufgezeichnet. Im Anschluss daran erfolgten eine Transkription der aufgezeichneten Interviews und die Auswertung nach dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse. Dadurch entstand ein am Material entwickeltes Kategoriensystem, das in Abbildung 2 dargestellt wird:
1. Heutige Schlüsselpositionen, Arbeitsplätze und Funktionen, bei denen besonders viel personengebundenes Erfahrungswissen erforderlich ist 2. Anteil des expliziten und impliziten Wissens 3. Richtwerte für die Dauer der Qualifizierung 4. Qualifizierungswege 5. Grenze von Facharbeiter- und Ingenieurswissen 6. Stärken und Schwächen älterer und jüngerer Mitarbeiter 7. Arbeitsplatzprofile der Zukunft 8. Zukunft der Automatisierung 9. Maßnahmen zur Sicherung des Know-hows in der Zukunft 10. Umgang mit „überschüssiger Qualifikation“
Abb. 2: Kategoriensystem der durchgeführten Interviews (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2008)
Die durchgeführten Interviews ergaben, dass sich das Erfahrungswissen vor allem in dem Umgang mit der Abweichung vom Standard zeigt. Alle 24 Interviewpartner beschrieben allgemein die Bedeutung des personengebundenen Erfahrungswissens, vor allem in Stress- und Gefahrensituationen. Durch das implizite Wissen in Bezug auf die Anlagen und Abläufe, welches sich über die Jahre aufgebaut und entwickelt hat, sind die Mitarbeiter in der Lage, in abweichenden Situationen unverzüglich und richtig zu handeln. Das Treffen von schnellen Entscheidungen erfolgt dabei unter Berücksichti-
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gung verschiedener Faktoren wie z.B. Anlagenzustand, Zeit, Temperatur, Risiko, Kosten, Markt und Anforderungen an die Qualität. Auf der Grundlage ihres Erfahrungswissens können die Mitarbeiter Störungen und Abweichungen schnell erkennen, einschätzen und beheben, wobei auch der Rückschluss auf die Ursachen zur Behebung der Störungen ein hohes implizites Wissen der Mitarbeiter voraussetzt, so die Interviewten. Um das entsprechende Fach- und Erfahrungswissen zu erlangen, sind zudem umfangreiche Qualifizierungszeiten erforderlich. Die Interviews zeigten, dass z.B. die Qualifizierung zu einem Oberwalzer ca. fünf bis acht Jahre einschließlich der Berufsausbildung in Anspruch nimmt. Dementsprechend langfristig muss die Personalplanung einsetzen. Da es sich hierbei um eine spezifische Qualifizierung handelt, kann der Oberwalzer nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeworben, sondern muss bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH ausgebildet werden. Beispielhafte Aussagen aus den Interviews zum Erfahrungswissen werden in Abbildung 3 dargestellt:
Abb. 3: Zitate aus den Interviews im Rahmen von JAN (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2008)
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2.2 Die Methode „Transferwerk“ im Rahmen eines Tandemmodells Im Rahmen der Nachfolgeplanung bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH werden Tandemfälle definiert. Diese bestehen aus einem Wissensgeber, welcher in der Regel ein z.B. aus Altersgründen in naher Zukunft ausscheidender Mitarbeiter ist, und einem Wissensnehmer, der die Aufgaben zukünftig übernehmen wird. Bei der Auswahl der Tandemfälle spielt bezogen auf den Wissensgeber eine zentrale Rolle, dass dessen Expertenwissen im Unternehmen verbleibt. Um den Wissenstransfer zwischen Wissensgeber und Wissensnehmer zu organisieren und zu unterstützen, können geschulte „Transferwerker“ von den Bereichen angefragt werden. Hierbei handelt es sich um speziell für diesen Prozess ausgebildete interne Moderatoren. Die Transferwerker erstellen nach einem kurzen Vorbereitungsgespräch mit dem Wissensgeber und dem Wissensnehmer eine sogenannte „Jobmap“ mit Hilfe eines Mindmap-Programms (siehe Abbildung 4). Diese dient zur vollständigen Dokumentation, Strukturierung und Visualisierung des Aufgabenbereiches sowie des im Gedächtnis repräsentierten Fach- und Erfahrungswissens des Wissensgebers. Darüber hinaus liefert die Jobmap weitere wichtige Informationen, beispielsweise über abgeschlossene, laufende und zukünftige Projekte, wichtige Ansprechpartner, Dokumente und Verbesserungsideen. Schon in dieser Phase gewinnt der Wissensnehmer einen Einblick in seine zukünftigen Tätigkeiten und es werden frühzeitig praktisch „nebenbei“ Lernprozesse ausgelöst. Anhand der „Knoten“ in der Jobmap werden schließlich alle Maßnahmen und Schulungen zur Einarbeitung des Nachfolgers festgehalten. Diese werden in einem Wissenstransferplan dokumentiert und mit entsprechenden Zeiträumen hinterlegt (siehe Abbildung 5).
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Abb. 4: Beispiel Jobmap (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2010)
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Abb. 5: Wissenstransferplan (Ausschnitt) (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2010)
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In einem nachfolgendem 360°-Gespräch werden die abgeschlossene Jobmap und der Wissenstransferplan dem Vorgesetzten des Wissensgebers und -nehmers sowie einem Vertreter der Personalabteilung und des Betriebsrats vorgestellt und abgestimmt. Hierbei können Ergänzungen vorgenommen werden wie auch eine Priorisierung der jeweiligen Schulungen und Einarbeitungsmaßnahmen. Das 360°-Gespräch vermittelt dem Wissensgeber erfahrungsgemäß eine sehr große Wertschätzung seines Wissens. Der Umfang seines Aufgabenbereiches sowie die besondere Bedeutung seines Wissens und seiner Erfahrungen werden im Rahmen dessen noch einmal verdeutlicht. Spätestens nach dem 360°-Gespräch beginnt die Umsetzung der im Wissenstransferplan festgelegten Einarbeitungsmaßnahmen. Während dieser Phase führen die Transferwerker regelmäßig Reflexionsgespräche mit den am Prozess beteiligten Personen durch. Hierdurch können eventuell auftretende Abweichungen in der Lernzielerreichung frühzeitig erkannt und bedarfsorientiert ergänzende Personalentwicklungsmaßnahmen angeregt und eingeleitet werden. Zum Abschluss findet ein Feedbackgespräch aller am Projekt beteiligten Personen statt, in dem die Prozessschritte dargestellt, bewertet und dokumentiert werden. Die Dokumentation liefert wichtige Erkenntnisse für zukünftige Transferwerke. Zurzeit werden die monetären Effekte des Modells, z.B. durch verkürzte Einarbeitungszeiten, im Rahmen eines Six-Sigma-Greenbelt-Projektes genau ermittelt. 2.3 Qualifizierung in Kurzarbeit (QuiK) Als Reaktion auf die demografische Entwicklung bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH werden in einer auf zwölf Monate angelegten Qualifizierungsmaßnahme in Kurzarbeit zum „Qualitätstechniker/-unterweiser“ insgesamt 120 ausgebildete befristete Jungfacharbeiter im gesamten Bereich der Kaltbandwerke/Stahlwerke, insbesondere an den Schnittstellen Produktion, Qualitätssicherung und Instandhaltung qualifiziert. Die Qualifizierung auf Bereichsarbeitsplätze erfolgt dabei in einem ständigen Wechsel von theoretischen und praktischen Lern- und Einarbeitungsphasen. Die gesamte Qualifizierungsmaßnahme ist durch die IHK Mittlerer Niederrhein zertifiziert und wird durch die Agentur für Arbeit neben dem Kurzarbeitergeld mit den Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Die jungen Mitarbeiter erhalten eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch die ThyssenKrupp Nirosta GmbH.
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Abb. 6: Betriebliche Qualifizierung im Rahmen von QuiK (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2010)
In den betrieblichen Qualifizierungsphasen werden die Jungfacharbeiter durch Trainer anhand von Einsatzplänen angelernt, die auf der Basis der gemeinsam im Vorfeld erarbeiteten Lernziele erstellt wurden (siehe Abbildungen 6 und 7).
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Abb. 7: Lernziele im Rahmen von QuiK (Ausschnitt) (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2010)
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Die Teilnehmer können während ihrer Einarbeitung somit von dem umfangreichen Fach- und Erfahrungswissen der Trainer profitieren. In der betrieblichen Qualifizierung besteht dabei ein Verhältnis von einem Trainer zu fünf bis sechs Jungfacharbeitern. Die 120 jungen Mitarbeiter im Rahmen von QuiK verteilen sich somit in ihren Teams auf 22 Trainer. Bei der Trainerauswahl wurde im Vorfeld darauf geachtet, dass diese über eine interne abgeschlossene Schulung zum Ausbildungsbeauftragten der ThyssenKrupp Nirosta oder einen Ausbildereignungsschein der IHK (AEVO) verfügen. Durch die interne Schulungsreihe (5 Tage) bei der ThyssenKrupp Nirosta sind von 2006 bis 2008 über 200 Mitarbeiter zu Ausbildungsbeauftragten geschult worden. Den Anstoß zu dieser Qualifizierung gaben die Einführung des schichtbegleitenden Einsatzes der Auszubildenden aus dem dritten Lehrjahr und die daraus resultierende Notwendigkeit, an jeder Anlage einen Ausbildungsbeauftragten zur Verfügung zu haben. Die Theorieschulungen, die in Zusammenarbeit mit der IHK Mittlerer Niederrhein durchgeführt werden, beinhalten u.a.:
Lehrgang zum Qualitätsbeauftragten (IHK-Zertifizierung) Ausbildereignung (AEVO) Metallurgie- und Werkstoffschulungen Arbeitsrecht, BWL und Kostenbewusstes Handeln KVP, EDV und Teamentwicklung
Zur Unterstützung des Wissenstransfers werden mit den einzelnen Teams zudem Jobmaps zu den verschiedenen Arbeitsplätzen der Kaltbandwerke/Stahlwerke erstellt, um eine bessere Einsicht in die verschiedenen Aufgaben zu gewährleisten. Darüber hinaus erarbeiten die einzelnen Teams Teamprojekte, die zum Abschluss der Qualifizierung einem ausgewähltem Gremium präsentiert werden. Durch die Teamprojekte können u.a. Verbesserungspotenziale in Bezug auf die Anlagen und Verfahren erarbeitet und festgehalten werden. Die Qualifizierungsmaßnahme wird sowohl von den jungen Mitarbeitern als auch vom Betrieb und den Trainern als sehr positiv angesehen. Durch die Qualifizierung zum „Qualitätstechniker/-unterweiser auf Bereichsarbeitsplätze“ können sowohl flexiblere Einsatzmöglichkeiten bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschaffen werden. Das Qualifizierungsmodell wurde als „deutschlandweit einmaliges innovatives Projekt“ (Presseerklärung der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit NRW und der ThyssenKrupp Nirosta GmbH, 24. August 2009) bezeichnet.
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2.4 Die Qualifizierungscenter im Kaltbandwerk und Stahlwerk Krefeld Im Rahmen des Projektes „Jung und Alt für Nirosta“ wurde ein Konzept zur Etablierung von produktionsnahen Qualifizierungscentern erarbeitet, welche im Jahr 2007 im Kaltbandwerk und Stahlwerk in Krefeld eingerichtet wurden. Bei einem Qualifizierungscenter handelt es sich um einen Trainingsbereich inmitten der Produktion. Es verfügt über mehrere Theorie- und Praxisräume. Die Abläufe innerhalb der beiden Qualifizierungscenter bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH werden jeweils von einem für diese Funktion freigestellten Trainer koordiniert, der als dezentraler Ausbilder verschiedene Aufgaben im Rahmen der Aus- und Weiterbildung wahrnimmt und zudem sein eigenes Erfahrungswissen didaktisch aufbereitet in die stattfindenden Prozesse einbringt. In den Qualifizierungscentern erfolgt u.a. die Betreuung der Auszubildenden des dritten Lehrjahres, die sich zu dem Zeitpunkt ihrer Ausbildung in der Phase des betrieblichen, schichtbegleitenden Einsatzes befinden. In den Qualifizierungscentern erhalten sie ihre erste praktische Grundqualifikation, wobei sie unterschiedliche Phasen (die Informations-, Technologie-, KVP- und Dokumentationsphase) durchlaufen (siehe Abbildung 8). Die Auszubildenden bekommen dadurch die Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung und Vertiefung der erworbenen Kenntnisse an den Produktionsanlagen sowie die Möglichkeit eines Austausches mit den erfahrenen Mitarbeitern. Das Ziel des Konzeptes ist eine intensivere und schnellere Einarbeitung der Auszubildenden unter Berücksichtigung von anlagenspezifischen Lernzielen und damit eine Optimierung der gewerblichen Ausbildung und Verkürzung der Einarbeitungszeiten nach der Ausbildung. Des Weiteren werden die Qualifizierungscenter auch für die Weiterbildung, z.B. im Rahmen der Durchführung von Seminaren, genutzt. Durch die produktionsnahe Lage der Qualifizierungscenter wird ein Wechsel von theoretischen und praktischen Lernphasen in den Seminaren ermöglicht, eine Lernmethode die vor allem den Anlagenmitarbeitern der ThyssenKrupp Nirosta GmbH sehr entgegen kommt. Sie ist besonders für die Durchführung von Qualitätsschulungen geeignet. Eine Fehleransprache und Fehlerursachendiskussion können dabei direkt vor Ort an den Anlagen besprochen werden.
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Abb. 8: Phasen des Qualifizierungscenters (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, 2008)
2.5 Durchführung von Fachtrainings Als ein weiteres Modell zur Förderung des Wissenstransfers bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH sind die Fachtrainings für den Bereich Technik/Anlagenmannschaften entwickelt worden (siehe Abbildung 9). Das Ziel der Fachtrainings ist die Weiterentwicklung des Verfahrens-Know-hows der Mitarbeiter in Anlehnung an die stetig weiterentwickelten Produktionsverfahren und somit die Förderung des lebensbegleitenden Lernens. Die Fachtrainings gliedern sich in einzelne Module, die aufeinander aufgebaut sind. In dem Grundlagenmodul werden die Basiskenntnisse hinsichtlich der bei der Nirosta zum Einsatz kommenden Werkstoffe, ihrer Verfahren und Produkte vermittelt. Dieses Grundlagenwissen sollten alle Mitarbeiter der ThyssenKrupp Nirosta GmbH, auch die aus den administrativen Bereichen, erhalten. Das Grundlagenmodul ist auch als Selbstlernprogramm konzipiert worden. Darauf aufbauend werden in einem Basismodul die elementaren Anlagen- und Prozessparameter einschließlich der von den Produktionsteams zu übernehmenden Instandhaltungsaufgaben erlernt. Diese Kenntnisse können in den anschließenden Aufbau- und Expertenmodulen ausgebaut werden. Hinsichtlich
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der einzelnen Module erfolgt zudem eine Vertiefung der Kenntnisse in Bezug auf die Qualität.
Abb. 9: Fachtrainings (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2009)
Durch eine altersgemischte Zusammensetzung der Zielgruppen bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Qualifikationsstandes ermöglichen die Fachtrainings einen Erfahrungsaustausch sowie eine Diskussion neuer Ideen unter den Mitarbeitern. Durch eine Kombination von theoretischen Schulungen und „training on the job“ kann das Erlernte unmittelbar angewendet werden und so zu einem besseren Verständnis der Mitarbeiter bezüglich der definierten Standards und deren Weiterentwicklung beitragen. Die Stufung in Basis-/Aufbau- und Expertenmodule trägt den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus der Anlagenmannschaften Rechnung (siehe Abbildung 10). Die Mitarbeiter, die ihr Wissen in den letzten Jahren ständig erweitert haben, u.a. sogar Meister- und Technikerabschlüsse erworben haben ohne zurzeit entsprechend eingesetzt werden zu können, haben die Möglichkeit, an Expertenmodulen teilzunehmen. Die qualitativen Interviews haben gezeigt, dass die Grenze zwischen Ingenieurs- und
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hochqualifiziertem Facharbeiterwissen fließend ist. Die Teilnahme an Expertenmodulen ist auch als Incentive für hochqualifizierte Mitarbeiter gedacht. Durch eine zunehmende Explizierung von implizitem Wissen (Nonaka & Takeuchi, 1997) werden die einzelnen Module fortschreitend optimiert.
Abb. 10: Entwicklung der Fachtrainings (Quelle: ThyssenKrupp Nirosta GmbH, Zentrale Weiterbildung, 2009)
2.6 Das Konzept „Jüngere Mitarbeiter schulen Ältere“ Zur Förderung eines Wissenstransfers von jüngeren zu älteren Mitarbeitern wurde im Rahmen des JAN-Projektes weiterhin das Konzept „Jüngere schulen Ältere“ erarbeitet, welches seit dem Jahr 2007 bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH umgesetzt wird. Dieses Konzept beruhte zunächst auf der freiwilligen Übernahme einer Referententätigkeit von kaufmännischen Auszubildenden des dritten Lehrjahres im Bereich Informatik, die dadurch die Möglichkeit erhalten, ihr „frisches“ Fachwissen hinsichtlich der EDV-Programme an ältere Mitarbeiter weiterzugeben. Seit dem Jahr 2008 wurde das Konzept, das zur Wissensweitergabe den Einsatz der Auszubildenden als „Trainer vor Ort“ in den Produktionsbetrieben vorsieht, auch für die gewerblichen Auszubildenden weiterentwickelt.
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Neben der Förderung eines generationsübergreifenden Wissenstransfers besteht das Ziel des Konzeptes „Jüngere schulen Ältere“ im Ausbau der Fachkenntnisse und Sozialkompetenzen der Auszubildenden des dritten Lehrjahres. 2.7 Die Wissensdatenbank „Nirostapedia“ Im Rahmen des JAN-Projektes entstand die Überlegung, vorhandenes dokumentiertes Fachwissen zu bündeln und nach bestimmten Suchbegriffen zugänglich zu machen. So werden z.B. alle Diplomarbeiten, alle relevanten Verbesserungsvorschläge im Bereich des Ideenmanagements, die Abschlussarbeiten der Mechatroniker und Industriemechaniker u.a. in einer Plattform dokumentiert. Ergänzt wird dies durch Fachartikel zu einzelnen Fachbegriffen, die von Ingenieuren erstellt und in ein System eingestellt werden, das sich an das Prinzip des „Wikipedia“ anlehnt. Der IT-Bereich verbindet dieses gesammelte Fachwissen zu einer gemeinsamen Plattform, die auch das Suchen mit entsprechenden Begriffen in PDF-Files ermöglicht. Das Ziel ist es, bei jedem Verbesserungsvorschlag oder jeder technischen Innovation auf dem vorhandenen Know-how aufzusetzen und jedem Interessierten fachliche Vertiefungsmöglichkeiten auf hohem Niveau zu bieten. 3
Fazit
Der globale Wettbewerb wird in den nächsten Jahren noch verstärkt. Die Anforderungen der Kunden an Kosten, Qualität, an die korrosionschemischen, mechanischen und ästhetischen Eigenschaften der Produkte und an die Lieferperformance der ThyssenKrupp Nirosta GmbH werden immer höher werden. Um die Kosten weiter – auch vor dem Hintergrund steigender Energie- und Rohstoffkosten – im Griff zu behalten, muss die Arbeitsproduktivität kontinuierlich gesteigert werden. Dieses um so mehr, als dass die technische Rationalisierung/Automatisierung vielfach an ihre Grenzen stößt. Im Rahmen der durchgeführten Interviews wurde auch nach den Arbeitsplatzprofilen der Zukunft gefragt: Qualitätsbewusstsein und -verantwortung, kostenbewusstes und unternehmerisches Denken und Handeln, hohe Fachkenntnis der eigenen Prozessstufe sowie der internen und externen Kunden-/Lieferantenbeziehungen einschließlich der Integration von Instandhaltungsarbeiten, größere Flexibilität und Teamorientierung wurden dabei an erster Stelle genannt. Die Sicherung und Weiterentwicklung des Verfahrens-know-hows auf hohem Niveau sind das Alleinstellungsmerkmal der ThyssenKrupp Nirosta GmbH im globalen Wett-
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bewerb. Der demografische Wandel stellt hier eine zusätzliche Herausforderung dar. Das Unternehmen ist mit den im Rahmen des Projektes JAN entwickelten innovativen Konzepten und Modellen gut vorbereitet!
Literatur Länge, T.-W. & Menke, B. (Hrsg.) (2007). Generation 40plus. Demografischer Wandel und Anforderungen an die Arbeitswelt. Bielefeld: Bertelsmann. Nonaka, I., & Takeuchi, H. (1997). Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt a. M. & New York: Campus. Senge, P.-M. (2008). Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Atlas Copco Construction Tools – Personalentwicklung und Qualifizierungskonzepte als Teil von Innovationsprozessen Hans-Georg Klaus, Reinhard Röhrig & Stefan Stracke
„Das Wichtigste für den Menschen ist der Mensch, da liegt nicht bloß sein Glück, da liegt auch seine Gesundheit.“ (Theodor Fontane)
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Einleitung: Vom Traditionsunternehmen zum internationalen Konzern
Die Atlas Copco Gruppe ist ein international führender Anbieter von industriellen Produktivitätslösungen. Das Produktspektrum reicht von Ausrüstungen zur Verdichtung von Luft und Gasen (Druckluft) und Prozessausrüstung über Generatoren, Bauund Bergbauausrüstungen bis hin zu Industriewerkzeugen und Montagesystemen inklusive dazugehöriger Dienstleistungen (After-Markt) und Vermietung. In enger Zusammenarbeit mit Kunden und Geschäftspartnern ist Atlas Copco darauf fokussiert, innovative Techniken und Kundenlösungen zu entwickeln. Hauptsitz des Konzerns ist Stockholm (Schweden), weltweit erreicht die Gruppe über 150 Märkte. Atlas Copco beschäftigt weltweit insgesamt rd. 30.000 Mitarbeiter, rd. 1.850 davon in Deutschland. Produktionsanlagen der Atlas Copco Construction Tools befinden sich in Schweden, Deutschland, Indien, Bulgarien und China. Kundencenter gibt es weltweit in mehr als 70 Ländern. In Deutschland existieren dreizehn Atlas Copco Gesellschaften. Darunter befinden sich eine Holding, vier produzierende Unternehmen, acht Vertriebsgesellschaften und ein Engineeringzentrum für Schraubsysteme. Eine der dreizehn deutschen Gesellschaften ist die Atlas Copco Construction Tools GmbH mit Sitz in Essen und derzeit 298 Mitarbeitern. Der Betrieb hat sich auf die Herstellung von Hydraulikanbauhämmern, Hydraulikgeräten für sanften Rückbau (dazu gehören Abbruchzangen, Pulverisierer und Abbruch-Pulverisierer, Multi-Greifer und Schrottscheren), hydraulische Bodenverdichter sowie Einsteckwerkzeuge (Meißel) für Hydraulikhämmer spezialisiert. Hervorgegangen ist die heutige Atlas Copco Construction Tools GmbH aus der Krupp Berco Bautechnik GmbH, deren Anteile im Jahr 2002 zu 100% von der ThyssenKrupp
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Technologies AG an die Atlas Copco Gruppe veräußert wurden. Doch die Anfänge der Geschichte von Atlas Copco in Deutschland liegen noch weiter zurück: 1952 wurde in zwei kleinen Zimmern und einem gekalkten Stall in Essen-Kupferdreh die Atlas Diesel GmbH gegründet. Das Unternehmen war anfänglich auf den Bergbau ausgerichtet, vornehmlich wurde der Ruhrkohlebergbau und hier insbesondere die Heinrich Bergbau AG betreut. 1956 firmierte das Unternehmen von Atlas Diesel um in Atlas Copco. Das Akronym „Copco“ steht dabei für „Compagnie Pneumatique Commerciale“. Hatte der alte Name noch an die ehemalige Schiffsdieselproduktion erinnert, so sollte der neue die künftige Konzentration auf die Druckluft zum Ausdruck bringen. Es folgte eine rasante Entwicklung des Unternehmens: Zunächst als Deutsche Atlas Copco GmbH noch mit einem Schwerpunkt „unter Tage“ und in der Bauwirtschaft, ab 1966 dann als Atlas Copco Deutschland GmbH. Seitdem ging die Geschäftstätigkeit immer mehr in die „industrielle Breite“, bis die neuen Gesellschaften im Zuge der in den 1980er Jahren begonnen Verselbständigung einzelner Geschäftsbereiche in einer Holding zusammengefasst wurden. Schließlich ging auch die heutige Atlas Copco Construction Tools GmbH im Jahr 2002 in der heute weltweit tätigen Maschinenbaugruppe auf. Die Wandlung zu einem multinationalen Konzern mit Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturen – und die skandinavische Kultur mit traditionell guten industriellen Beziehungen – spiegeln auch das unternehmerische Leitbild wider. So heißt es im „Atlas Copco Verhaltenskodex“ unter der Rubrik „Mitarbeiter“ u.a.: Wir sind bestrebt, sowohl für unsere derzeitigen als auch für die potenziellen Mitarbeiter als Arbeitgeber erster Wahl zu gelten. Wir wollen qualifizierte und motivierte Mitarbeiter in einem professionellen Umfeld anwerben, fortbilden und behalten. Wir sind bemüht, in allen Geschäftsbereichen ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Wir glauben an Chancengleichheit, Fairness und Vielfalt. Unsere Neueinstellungen und Beförderungen basieren auf den für die Arbeit notwendigen Qualifikationen, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, Alter, Nationalität, Behinderung, sexueller Orientierung, Gewerkschaftsmitgliedschaft und politischer Meinung. Wir erkennen das Recht auf Entscheidungsfreiheit unserer Mitarbeiter an, ob sie bei Tarifverhandlungen durch eine Gewerkschaft oder einen Betriebsrat vertreten werden wollen. Kein Mitarbeiter soll diskriminiert werden, weil er derlei Rechte wahrnimmt.
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Wir bieten unseren Mitarbeitern fortlaufend an, sich weiterzubilden und zu entwickeln, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit der Gruppe zu wachsen. Es ist unser Ziel, jeden Mitarbeiter jährlich durchschnittlich 40 Stunden zu schulen. 2
Externe und interne Veränderungsprozesse – eine ständige Herausforderung für Unternehmen und Beschäftigte
Im Zuge der Veräußerung der Krupp Berco Bautechnik GmbH an den Atlas Copco Konzern wurde im Jahr 2003 ein Restrukturierungsprozess in Gang gesetzt. Ziel war es, durch verschiedene Maßnahmen die Eingliederung des Unternehmens in den Konzern schrittweise umzusetzen und darüber hinaus Potenziale für betriebliche Verbesserungen und Kosteneinsparungen – insbesondere auch durch Personalabbau als ein zentrales Instrument der Kostenersparnis – zu nutzen. Erfreulich ist, dass es durch die intensive Kooperation von Management und Betriebsrat (mit Unterstützung eines externen Beratungsunternehmens zur Plausibilitätskontrolle des Restrukturierungskonzeptes) an dieser Stelle gelang, mehr Arbeitsplätze zu erhalten als in den Restrukturierungsplänen vorgesehen. Durch die Umsetzung des gemeinsam von Betriebsrat und Geschäftsführung getragenen Restrukturierungskonzeptes und die anspringende Konjunktur konnten in den Jahren 2006/2007 gegen den allgemeinen Trend sogar mehr als 70 gewerbliche Facharbeiter neu eingestellt werden. Seit 2006 wurden zudem mehrere Millionen Euro in neue Maschinen investiert. Gestützt durch mehrere Betriebsvereinbarungen wurde bei der Atlas Copco Construction Tools GmbH in dieser Zeit eine Reihe von Optimierungsprozessen initiiert. So wurden beispielsweise die Betriebsnutzungszeiten durch flexible Arbeitszeitmodelle erhöht, um das gestiegene Auftragsvolumen bewältigen zu können (Vier-Schicht-System, Sonntag 22.00 Uhr bis Samstag 20.00 Uhr). Außerdem wurde für jeden Mitarbeiter ein betrieblich geregelter Weiterbildungsanspruch von 45 Stunden pro Jahr festgelegt – fünf Stunden mehr, als im „Atlas Copco Verhaltenskodex“ festgeschrieben. Besonderer Wert wurde nach wie vor auf Mehrmaschinenbedienung gelegt. Um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern und weitere Verbesserungspotenziale zu realisieren, sollten mittel- bis langfristig insbesondere die Themenfelder Verringerung der Durchlaufzeiten, Mitarbeiterqualifizierung und Gesundheitsmanagement
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vorangetrieben werden. Ansatzpunkte für betriebliche Verbesserungen bei voller Kapazitätsauslastung wurden also eindeutig in den Bereichen Prozessinnovation und soziale Innovation ausgemacht. Doch die im Jahr 2008 beginnende Wirtschaftskrise führte zu einem dramatischen Auftragsrückgang. Umsatzplanung und Kapazitätsplanung drifteten immer weiter auseinander. Um die wirtschaftlich schwierige Situation möglichst gut zu überstehen, waren schnell greifende Maßnahmen notwendig. So wurde ein Sparprogramm aufgelegt und versucht, drohende Verluste zu begrenzen. Teil dieses Kostenmanagements war die Reduzierung der Personalkosten insbesondere durch Kurzarbeit in der Produktion und Arbeitszeitverkürzungen. Dazu zählten der Abbau aller Flexkonten und die Veränderung der Schichtsysteme von Vierfach- auf Dreifach- und letztendlich auf Einschichtbetrieb. Trotzdem mussten in einigen Abteilungen Personalabbaumaßnahmen bei der Stammbelegschaft vorgenommen werden. Darüber hinaus wurden befristete Arbeitsverträge nicht verlängert. Gleichzeitig wurde die gesamte Fertigung neu organisiert. Diese Situation wurde auch zum Anlass genommen, die zukunfts- und innovationsorientierte Personalpolitik neu auszurichten. Neben dem Thema „Gesundheitsmanagement“ wurden nun die Themen „Qualifizierung während der Kurzarbeit“ und „Mitarbeitermotivation“ als vordringlich eingestuft. Durch die Neuausrichtung sollten kurzfristige Ziele (Krisenbewältigung) und mittel- bis langfristige Ziele (nachhaltige Personalentwicklung als ein Baustein zur dauerhaften Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit) miteinander gekoppelt werden. Flankierend dazu wurde im Rahmen der Prozessbegleitung durch das Projekt BMInno in enger Zusammenarbeit mit Betriebsrat und Personalleitung ein Schulungskonzept erarbeitet, das neben Qualifizierungsmaßnahmen in Form eines Lehrgangsplans mit Schulungen für Einzelgruppen, auch ein Modul „Demografie, Gesundheit und Gesundheitsmanagement für Mitarbeiter und Fach- und Führungskräfte“ beinhaltete. Zentrale Bausteine des neu erarbeiteten Konzeptes der Personal- und Organisationsentwicklung bei der Atlas Copco Construction Tools GmbH werden im Folgenden beschrieben. 3
Grundzüge und Ziele der Personal- und Organisationsentwicklung
Wesentlich ist, dass sich die Ziele der Personal- und Organisationsentwicklung aus den Unternehmenszielen ableiten. Denn grundsätzlich gilt: Nur wenn die Personal- und
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Organisationsentwicklung einen erkennbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet und das Unternehmen somit einen deutlichen Nutzen aus ihrer Personalentwicklungsarbeit zieht, ist es auch bereit, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass gesundheitsfördernde Personal- und Organisationsentwicklung weder Selbstzweck noch eine „soziale Maßnahme“ zur Belohnung der Mitarbeiter ist. Wenn sie jedoch professionell und gezielt betrieben wird, haben beide Seiten ihren Nutzen: das Unternehmen dank qualifizierter und motivierter Mitarbeiter und die Mitarbeiter hinsichtlich besserer Chancen für ihre berufliche Entwicklung und größerer Zufriedenheit in ihrer Tätigkeit. Gesundheitsfördernde Personal- und Organisationsentwicklung ist daher eine der wichtigsten Kernaufgaben von Unternehmensleitung und ihren verantwortlichen Führungskräften. Die Forderungen des Unternehmens an die Personalentwicklung spiegeln sich somit in den folgenden Zielen wider: Zurverfügungstellung der notwendigen Zahl von Mitarbeitern mit dem geforderten Qualifikationsprofil zum rechten Zeitpunkt Gewährleistung der ständigen Anpassung der Qualifikationen der Mitarbeiter an die sich ändernden Anforderungen Erhalt der vorhandenen Qualifikationen der Mitarbeiter Vorbereitung der Mitarbeiter auf höherwertige oder anders geartete Tätigkeiten Erhöhung der Flexibilität der Mitarbeiter durch Vermittlung zusätzlicher Qualifikationen Steigerung der Bereitschaft der Mitarbeiter, Änderungen zu verstehen und mit zu gestalten Steigerung der Leistungen der Mitarbeiter (qualitativ und quantitativ) Erkennen und Abstellen von Fehlbesetzungen Steigerung der Attraktivität des Unternehmens am Arbeitsmarkt (Personalmarketing) Verringerung der Abhängigkeit des Unternehmens vom Arbeitsmarkt, insbesondere bei Nachwuchskräften sowie Förderung der beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter durch Erschließen von Aufstiegschancen Wichtig war der Personalleitung, dass die einzelnen Ziele aufeinander aufbauen. Gelingt es, unter dieser Prämisse definierte Personalentwicklungsmaßnahmen zu verwirklichen, stellen sich bei den Mitarbeitern auch eine höhere Motivation und Zufriedenheit ein. Zudem verschafft es ihnen verbesserte Chancen zur Selbstverwirklichung dank anspruchsvollerer Aufgaben und Tätigkeiten.
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Beobachtbare Erfolgsfaktoren einer gesundheitsförderlichen Personal- und Organisationsentwicklung finden wir in innovationsorientierten Unternehmen wieder. Ihre erfolgreiche Zukunft wird geprägt durch eine hohe Kommunikationskultur, ein funktionierendes Wissensmanagement sowie die stetige Entwicklung von potenziellen Fähigkeiten für die gesamte Organisation. Auch im Sinne der Intentionen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements bedarf es zur Gestaltung derartiger Prozesse einer ganzheitlichen Betrachtung. Denn alle Einflussgrößen stehen in einem kausalen Zusammenhang miteinander. So sind Visionen, Strategien, Ziele und Leitbilder abzugleichen mit der Kultur, den Werten und Regeln, den Führungsgrundsätzen und dem Sozialen, aber auch mit Strukturen und Prozessen sowie der Arbeitsplatzgestaltung-, -umgebung und Arbeitsausstattung. Die Einflussgrößen der Personalentwicklung müssen sich frühzeitig diesen Veränderungen anpassen. Sozialkompetenz-, Personal-, Methoden und Fachkompetenz sind integriert zu betrachten. Für Atlas Copco waren und sind folgende Erfolgsfaktoren einer gesundheitsförderlichen Personalentwicklung entscheidend:
Klares Selbstverständnis Ein klares Selbstverständnis muss in Unternehmensführung und Management etabliert sein. Und gesundheitsfördernde Personalentwicklung muss tatsächlich gewollt sein. Dies muss allen Mitarbeitern kommuniziert werden. Das Thema ist damit strategisch zu positionieren. Erst dann sind gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen möglich, die zur weiteren Unternehmensentwicklung unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie beitragen.
Personalkompetenz auf Top-Ebene Wichtig ist, dass bei den relevanten Entscheidungsträgern, Geschäftsführung und Führungskräften bereits im Vorfeld von Maßnahmen ein gemeinsames Problembewusstsein geschaffen wird. Alle Einflussgrößen einer strategisch orientierten und gesundheitsfördernden Personalpolitik sind nachvollziehbar aufzuzeigen. Es muss genügend „Raum“ geschaffen werden, damit sich Wertschätzung und eine Vertrauenskultur entwickeln können.
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Organisatorische Anbindung der Personalentwickler Die Personalentwickler müssen frühzeitig in die Gestaltung- und Entscheidungsprozesse der Unternehmens- und Organisationsentwicklung eingebunden werden. Sie sollten mit Entscheidungsbefugnissen und klar formulierten Verantwortlichkeiten ausgestattet sein. Eine Anbindung an entsprechende Machtpromotoren ermöglicht ein frühzeitiges Agieren.
Management Commitment Hinter diesem Erfolgsfaktor stehen Akteure, die Ziele und Strategien weiter verfolgen – Mitstreiter, die getroffene Vereinbarungen eigenverantwortlich umsetzen, und zwar gerade dann, wenn die Führung ausbleibt.
Handlungskompetenz der Personalentwickler Neben einem fundierten Fach- und Methodenwissen sollten die Personalentwickler über eine hohe Handlungskompetenz verfügen. Handlungskompetenz wird verstanden als die Fähigkeit des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.
Implementierung eines Personalentwicklungskonzeptes Personalentwicklung ist eine zentrale Aufgabe der Personalpolitik und damit ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenspolitik. Sie findet – mehr oder weniger systematisch und intensiv – in allen Unternehmen statt. So betreibt der Inhaber eines 10Mann-Betriebes bereits Personalentwicklung und Personalpolitik, wenn er dafür sorgt, dass seine Mitarbeiter stets die für ihre Tätigkeiten erforderlichen Qualifikationen haben, wenn er einen kompetenten Stellvertreter einsetzt und wenn er rechtzeitig seinen Nachfolger aufbaut und auch wirken lässt. Diese Art von Personalentwicklung beruht oft noch auf dem Menschenbild, der Menschenkenntnis und der Intuition des Unternehmers. Je größer das Unternehmen und je komplexer die betrieblichen Zusammenhänge und die wirtschaftliche Entwicklung sind, desto systematischer und zielgerichteter muss Personalentwicklung betrieben werden. Was im Kleinbetrieb noch „Chefsache“ und im Mittelbetrieb Aufgabe des Personalleiters sein mag, das ist im Großunternehmen ein weites Arbeitsfeld für Personalentwicklungs-Fachleute (Personalentwick-
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ler). Entsprechend breit ist dort die Palette der Methoden, Maßnahmen und Angebote. Grundsätzlich steht und fällt der Erfolg mit einer professionellen Konzeption unter Beachtung prinzipieller Regeln. Dazu gehören:
Schaffen eines gemeinsamen Bewusstseins Eruierung der Ist-Situation Abwägung der Risiken und Chancen Erarbeitung eines tragenden Konzeptes Schaffung von Akzeptanz Aufzeigen von Handlungsspielräumen Systematische Durchführung Evaluation
Pro-aktive Akzeptanz Pro-aktive Akzeptanz ist ein weiterer Baustein für ein Personalentwicklungskonzept. Wenn Konzepte eine klare strategische Richtung haben, wenn die Interessen der Kunden berücksichtigt sind und sich diese auch darin wieder finden, entwickeln sich Personalentwicklungskonzepte zu Selbstläufern.
Planung der Ressourcen Die Planung der Ressourcen zu Beginn eines Projektes sollte nicht unterschätzt werden. Sehr schnell sind Zeit und Geld verbraucht und nichts ist enttäuschender als die Zerstörung von Hoffnungen.
All diese Erfolgsfaktoren stellen die Basis dar, um professionelle und somit auch gesundheitsfördernde Personalentwicklungsmaßnahmen dauerhaft zu etablieren. 4
Die Herausforderung: Teamarbeit als Teil des Gesundheitsmanagements
In der Arbeitswelt von heute vollzieht sich ein grundlegender struktureller und organisatorischer Wandel. Zahlreiche Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre Organisationsstrukturen im Rahmen von Re-Engineering-Projekten kundenorientierter und effizienter zu gestalten. Hierbei gilt es, die betriebliche Personalplanung und -entwicklung den künftigen Anforderungen anzupassen. In diesem Zusammenhang sind die Wechselwirkungen von Technologie, Betriebsorganisation und Qualifikation stär-
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ker als je zuvor als Einflussfaktoren bei der Konzeption der Inhalte und Formen von Bildungskonzepten für die Mitarbeiter zu berücksichtigen. Beispielhaft kann man diese Herausforderungen bei Atlas Copco an dem Zerspanungsbereich festmachen, der nach Produktgruppen ausgerichtet ist und in dem Teamarbeit eingeführt werden sollte. Ziel war es, von der zerstückelten und einzelorientierten Arbeitsform zu einer kreativitätsfördernden Produktion zu gelangen, die die Gesamtleistung steigern sollte. Darüber hinaus versprach man sich u.a. durch die gemeinsame Verantwortung in der Gruppe, die gegenseitige Anregung und das Vertrauen – somit also durch mehr Selbstregulationsmöglichkeiten und die Gestaltung interner Kooperationsprozesse – auch positive Effekte hinsichtlich der menschengerechten Arbeitsausgestaltung. In der Sichtweise von Atlas Copco war Teamarbeit folglich ein wichtiger Teil eines funktionierenden Gesundheitsmanagements. Von der Funktion her arbeiteten die einzelnen Produktgruppen nach der Einführung der Teamarbeit im Prinzip als Profitcenter und wurden somit auch als eigenständige, prozessorientierte Organisationseinheiten gesteuert. Die Funktionen dieser prozessorientierten Organisationseinheiten sind in der Regel teamorientiert. Bei dieser Teamorientierung kommen die Merkmale und Regeln der „qualifizierten Teamarbeit“ zur Anwendung. Eines der wichtigsten Funktionsmerkmale der „qualifizierten Teamarbeit“ ist die des Teammanagers und der Gruppen. Die Effizienz der Teams und der teamübergreifenden Zusammenarbeit hängt in hohem Maße von der Qualifikation des Teammanagers und der Gruppen ab. Dabei sind vier Dimensionen der Qualifikation zu betrachten:
Fachkompetenz Methodenkompetenz Sozialkompetenz Selbstlernkompetenz
Die Erfahrungen in der betrieblichen Praxis bei Atlas Copco zeigten jedoch, dass eine Optimierung der Wertschöpfungsprozesse (d.h. Steigerung der ökonomischen und sozialen Effizienz im Unternehmen) nicht automatisch mit der Einführung von Teamarbeit garantiert ist. Des Weiteren bestand die Gefahr, bei „falscher“ Einführung von Teamarbeit gesundheitliche Risiken erst herbeizuführen. Hier ist u.a. auf zu hohe Anforderungen an das Team, nicht ausreichende Budgetierung, zu wenig Teampersonal und zu geringe zeitliche Ressourcen zur Zielerreichung hinzuweisen, die bei den Mitarbeitern Stress verursachen und damit dem eigentlichen Ziel eines verbesserten Gesundheitsmanagements entgegenlaufen.
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Hans-Georg Klaus, Reinhard Röhrig & Stefan Stracke
Um diese negativen Entwicklungen zu vermeiden, wurde bei Atlas Copco versucht, folgende Gesichtspunkte zu beachten, die einerseits eine Effizienzsteigerung ermöglichen, andererseits gesundheitliche Risiken ausschließen sollten: Teamfähigkeit und aktive Mitwirkung bei allen Beteiligten als grundlegende Bedingung für den Erfolg Gleichmäßiges Qualifikationsniveau und Flexibilität der Gruppenmitglieder durch komplexere Aufgaben und Selbstorganisation Ausreichende fachliche Ausbildung der Beteiligten zur Sicherstellung der arbeitstechnischen Anforderungen Aufbau einer hohen und intensiven Kooperationsbeziehung untereinander und zum Management im Hinblick auf Lösungsansätze und Zielbestimmung durch Angebot und Annahme von Hilfestellungen durch Gruppenmitglieder Schaffung von Vertrauen durch einen partnerschaftlichen Ansatz und Identifikation mit der Arbeitsform innerhalb der Gruppe und zum Management Installation von fachlicher Kompetenz für Konfliktlösungsmechanismen und Kooperationsbereitschaft in die Gruppe Delegation von Verantwortung in die Gruppe durch das Management (Abschied vom autoritären Führungsstil) Ausrichtung der Mitarbeiter und der Gruppe auf konsequente Zielorientierung („Management by Objectives“) Dialogfähigkeit und Kommunikationskompetenz des Managers als strategische Aufgabenfunktion Hoher Informationsfluss zwischen Vorgesetzten und der Gruppe Übergeordnete Kontrolle und Analyse ablaufender Gruppenprozesse durch verantwortliche Manager (Respektierung der Gruppenautonomie) Führungskraft in der Funktion eines Interessenvertreters und Sprechers der Gruppe bezüglich der anderen Akteure im Unternehmen (Schiedsrichterrolle und Moderation) Ausgleich von Defiziten durch spezielle Kurs- und Trainingseinheiten sowie Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG In der nachfolgenden Abbildung 1 werden die oben beschriebenen Rahmenbedingungen vereinfacht dargestellt:
Atlas Copco Construction Tools – Personalentwicklung und Qualifizierungskonzepte
Teamentwicklung
Fachkompetenz Sozialkompetenz Selbstlernkompetenz Methodenkompetenz
Freiräume Gestaltung Entscheidung Kommunikation Neue Kommunikationsstrukturen durch Teamwechsel
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Qualifikationsangebot der Mitarbeiter Teambildung
Gesundheitsvorsorge ABI Gesundheitsscore Vorsorge
Mitarbeiterentwicklung über die Teamgrenzen hinaus
Qualifizierte Gruppenarbeit Aufgaben im Produktionsbereich
Personalentwicklung Karriereplanung Abb. 1: Personalentwicklungsmaßnahmen im Überblick (Quelle: Atlas Copco Construction Tools GmbH)
5
Sinnvolle Vorgehensweise bei der Umsetzung
Um sowohl die fachliche als auch die zeitliche Flexibilität der Teams zu gewährleisten, muss die notwendige Qualifikation zur Übernahme der Aufgaben ganzheitlich erreicht werden. Daher wurde für alle Gruppenmitglieder und Teamleiter eine maßgeschneiderte mehrphasige Personalentwicklungsmaßnahme entwickelt und durchgeführt. Mit dieser Maßnahme sollte den Mitarbeitern in den Bereichen der Fertigung die Möglichkeit geboten werden, ihre methodische, soziale und persönliche Kompetenz zu erweitern. Wichtig war, dass die Arbeitsorganisation in Teams erfolgte und ein Zusammenhang zwischen mitarbeiterbezogenen und wirtschaftlichen Kriterien bestand und damit auch der Gesundheitsaspekt berücksichtigt wurde (Abbildung 2).
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Hans-Georg Klaus, Reinhard Röhrig & Stefan Stracke
Mitarbeiterbezogene Kriterien 1. Verantwortung 2. Identifikation 3. Qualifikation 4. Handlungsspielraum 5. Zusammenarbeit 6. Belastungsausgleich 7. Mitsprache 8. Lernmöglichkeiten 9. Information 10. Transparenz 11. Wertschätzung 12. Arbeitszeitgestaltung
Wirtschaftliche Kriterien
Wirkung?
1. Durchlaufzeit 2. Nutzungshauptzeit 3. Lagerbestand 4. Stückkosten 5. Qualität 6. Auftragsvolumen 7. Kapitalrentabilität 8. Vorschlagshäufigkeit 9. Mehrarbeitsentgelt 10. Sollbelegschaft 11. Fluktuation 12. Krankenstand
Abb. 2: Mitarbeiterbezogene und wirtschaftliche Kriterien bei Personalentwicklungsmaßnahmen (Quelle: Atlas Copco Construction Tools GmbH)
6
Schlussbetrachtung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass jedes Unternehmen einen individuellen, optimalen Weg finden muss, ein Gesundheitsmanagement einzuführen und über die Jahre im Unternehmensalltag zu verankern und zu festigen – so auch die Atlas Copco Construction Tools GmbH. Die Einführung kann sowohl im Rahmen von Organisationsprozessen oder davon abgekoppelt als eigenständige Aufgabe erfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob Unternehmungen in Zukunft gerade das Thema Gesundheitsmanagement – zusätzlich zum Personalmanagement – mehr in den Fokus nehmen, um Vorsorge zu treffen im Umgang der Mitarbeiter mit Stresssituationen. In den Zeiten der Rationalisierung und Umstrukturierung – mit heute nicht immer absehbaren Folgen für die Belegschaften – scheinen nur wenige Unternehmen bereit zu sein, die Gesundheitsförderung der Mitarbeiter finanziell zu fördern. Oftmals handeln Unternehmen erst verspätet, statt vorausschauend vorsorgliche Maßnahmen zu treffen. Die Einführung eines Gesundheitsmanagements im Unternehmen bedarf einer langfristigen, sorgfältigen Planung. Wichtig ist, Gesundheitsmanagement als Projekt lang-
Atlas Copco Construction Tools – Personalentwicklung und Qualifizierungskonzepte
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fristig zu implementieren und zur Unterstützung regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zum Thema Gesundheit und Zufriedenheit am Arbeitsplatz durchzuführen. Nur so lassen sich Potenziale für kontinuierliche Verbesserungen erkennen. Auch der Gesetzgeber beschäftigt sich heute mehr mit dem Thema Gesundheit. Hier sind z.B. die Arbeitsstättenrichtlinien (Nichtraucherschutz) und die neue Gefahrenstoffverordnung zu nennen. Dies ist auch als ein Zeichen dafür zu sehen, dass das Thema Mitarbeiterorientierung in vielen Unternehmen mehr Bedeutung erlang hat. Die Unternehmen haben erkannt, wie wichtig es ist, den Mitarbeiter auch hinsichtlich seiner Gesundheit zu unterstützen. Um dieses Thema in den Betrieben noch stärker voranzutreiben, müssen vor allem Vorgesetzte mehr in die Verantwortung genommen werden, durch die zur Verfügung stehenden Gesundheitsmaßnahmen wie Arbeitsgestaltung, Mitarbeitergespräch, Motivation oder auch Work-Life-Balance Stress zu reduzieren und zu vermeiden. Denn es ist erwiesen, dass durch eine bessere Motivation der Mitarbeiter die Arbeitszufriedenheit gesteigert wird. Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Und durch die Reduktion von Fehlzeiten und eine Verringerung der Fluktuationen sind nachweislich Qualitäts- und Produktivitätssteigerungen zu erreichen. An dieser Stelle fällt auch den Betriebsräten eine wichtige Aufgabe zu. So wie bei Atlas Copco praktiziert, können Betriebsräte mit in die Diskussion über Personal- und Gesundheitsmanagement einsteigen und im Sinne der Belegschaften argumentieren. Denn hier besteht die Möglichkeit, eigene Personalentwicklungsmaßnahmen zu formulieren, die gesundheitlichen Aspekte zu berücksichtigen und im Sinne der Belegschaft zu gestalten. Unternehmen in Gänze müssen schließlich erkennen, dass der Mensch zur wichtigsten Ressource eines Unternehmens zählt, um diese Verbesserungen zu erzielen. Das Wohlbefinden der Mitarbeiter beeinflusst die Arbeitsleistung nachdrücklich. Und gesunde Mitarbeiter sind zufriedener und leistungsfähiger. Demnach muss Gesundheitsschutz genau wie Qualität und Umwelt in Verbindung mit der Arbeitssicherheit in den Prozess der kontinuierlichen Optimierung einbezogen und als langfristiger Verbesserungsprozess angesehen werden.
Teil IV: Innovationspolitik – Erfolgreiche Ansätze zwischen Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung
Innovationspartnerschaft im Betrieb – Gewerkschaftliches Unterstützungsangebot für Betriebsräte Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling & Achim Vanselow
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Einleitung
Die Krise hat den ökonomischen Strukturwandel in Deutschland nochmals beschleunigt. Nicht wenige Industriebetriebe stellen im Abschwung grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich ihres Geschäftsmodells, des Produktportfolios oder der Art und Weise an, wie sie künftig Arbeit organisieren und gestalten wollen. In der Fähigkeit zur Innovation wird häufig ein Schlüssel dafür gesehen, ob Deutschland die aktuellen Herausforderungen erfolgreich meistern kann. Innovationskraft, Marktstärke, Flexibilität, Ressourceneffizienz und qualifizierte Mitarbeiter sind wichtige Erfolgsfaktoren für eine langfristig gute Positionierung der Unternehmen auf den Märkten (vgl. Kleiner & Maevus, 2007). Die erfolgreiche Anpassung an veränderte Wettbewerbsbedingungen durch Innovationsstrategien kann durchaus auch im Interesse der Beschäftigten liegen, soweit damit zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg Arbeitsplätze sicherer werden und die Qualität der Arbeit besser wird. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Träger der Mitbestimmung eine wichtige Rolle im betrieblichen Innovationshandeln spielen können (vgl. Beiträge in WSI-Mitteilungen 2010). Die Existenz eines Betriebsrats allein ist aber noch keine hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Beteiligung an Innovationsprozessen, es existiert kein „Automatismus“ für innovationsorientiertes Mitbestimmungshandeln. Die Umsetzung einer innovationsorientierten Betriebsratsstrategie stößt an zahlreiche Barrieren. Dazu zählen z.B. die knappen Ressourcen angesichts der ohnehin starken Beanspruchung von Betriebsräten im Tagesgeschäft und besonders in der Krise, der Umgang mit der Ungewissheit, die unvermeidlich mit dem Handlungsfeld Innovation verbunden ist, aber auch der Umgang mit Rollenkonflikten, in die Betriebsräte bei der Umsetzung geraten können. Soll innovationsorientiertes Betriebsratshandeln nicht vorschnell scheitern, sind gewerkschaftliche Unterstützungsangebote notwendig, die Betriebsräte darin stärken, solche betriebspolitischen Ansätze zu entwickeln und umzusetzen. In dem BMBF-geförderten Projekt Kompetenz und Innovation wird die Professionalisierung von Betriebsräten durch eine neue Form des Umgangs mit Wissenschaft unter-
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Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling & Achim Vanselow
stützt.1 Der vorliegende Beitrag beginnt mit einem kurzen Aufriss des nicht immer widerspruchsfreien Verhältnisses der Träger der Mitbestimmung zu betrieblichen Innovationen und diskutiert Bedingungen, unter denen vor allem Betriebsräte als Innovationstreiber wirken können (Abschnitt 2). Anschließend wird mit der Gewerkschaftskampagne „Besser statt billiger“ der IG Metall NRW ein betriebspolitischer Ansatz vorgestellt, der Betriebsräte und Gewerkschaft gestaltungspolitisch in die Offensive bringen will (Abschnitt 3). Das Projekt Kompetenz und Innovation befördert in diesem Kontext den Dialog von Betriebsräten und Wissenschaft, um wissenschaftliche Expertise schneller für innovationsorientiertes Betriebsrätehandeln nutzbar zu machen (Abschnitt 4). 2
Gewerkschaften und Betriebsräte als Innovationstreiber
Aus gewerkschaftlicher Sicht wird die Innovationsdebatte häufig zu eng geführt (Innovationsmessung durch hoch akkumulierte quantitative Indikatoren, Konzentration auf Spitzentechnologien) und sieht vorschnell von der konkreten Situation gerade in den weniger forschungsintensiven Betrieben ab, die noch immer den Großteil der Beschäftigung ausmachen (vgl. Abel et al., 2009). Betriebsräte und Beschäftigte haben zudem ein sehr kritisches Verhältnis zu einem Innovationsverständnis, das nicht hinreichend zu guter und sicherer Arbeit beiträgt. Es gehört zu den tagtäglichen Erfahrungen von Betriebsräten und Gewerkschaftern, dass in vielen Betrieben Verbesserungspotenziale existieren, die entweder nicht oder nur unzureichend angegangen werden oder mit einer zu einseitigen Ausrichtung auf schnelle Ertragssteigerung statt auf nachhaltig sichere und gute Beschäftigung. Über technische und Produktinnovationen hinaus müssen auch die betriebsinternen Prozesse und die Arbeitsorganisation in den Blick genommen werden (vgl. Kirner et al., 2010). Der Nutzen für Arbeitsplätze ist als zusätzlicher Indikator der Werthaltigkeit von Innovation einzuführen, der Betriebsräten und Beschäftigten Orientierung bietet. Die so verstandene „Innovation“ definiert sich nicht nur als Ausgabenanteil an Forschung und Entwicklung (F+E) oder der Zahl
1
Das Verbund-Projekt Kompetenz und Innovation – Förderung dynamischer Praxis-WissenschaftsBeziehungen zur Gestaltung von Arbeit - Bildung - Innovationen im Rahmen einer Innovationen und damit Beschäftigung sichernden Standortstrategie wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und von den Bezirksleitungen der IG Metall Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen durchgeführt (Laufzeit: 01.01.2008 bis 31.12.2010). Die Ausführungen in diesem Aufsatz beziehen sich im Wesentlichen auf das NRW-Teilprojekt.
Innovationspartnerschaft im Betrieb
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der Patente, sondern bezieht die betrieblichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen besonders mit Blick auf die Situation der Beschäftigten mit ein. In der Vergangenheit lag die Stärke der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht zuletzt in der Zusammenarbeit von Ingenieuren und gut ausgebildeten Facharbeitern, doch dieses Fundament der Wettbewerbsfähigkeit hat zunehmend Risse bekommen (vgl. Bosch, 2009). Die Fokussierung auf eine Senkung der Arbeitskosten und auf eine kurzfristig zu realisierende Gewinnmaximierung, Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer und die Aufspaltung von Belegschaften sind nur schwer vereinbar mit einem Leitbild einer nachhaltigen Gestaltung von Arbeit. Ein solches Leitbild zielt darauf ab, Arbeitsbedingungen im Betrieb und Beschäftigungsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, die der Erhaltung und Weiterentwicklung des individuellen Arbeitsvermögens und des gesellschaftlichen Beschäftigungspotenzials förderlich sind (vgl. Lehndorff, 2003). Das Bekenntnis, der Mensch stehe im Mittelpunkt von Innovationsstrategien, bekommt vor diesem Hintergrund einen schalen Beigeschmack. Im Gegenteil, viele Beschäftigte haben in den vergangenen Jahren in ihren Branchen eine Abwärtsspirale von immer neuen Runden des Personalabbaus, des Verlustes von Beschäftigungssicherheit und von Strategien zur Arbeitsverdichtung erleben müssen. Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat, ist nicht kreativ, und Management-Strategien, die auf „Billiger“-Lösungen wie intensiven Leiharbeitseinsatz oder Verlagerungsdrohungen setzen, verschleudern genau das Human-Kapital, das sie für die Wettbewerbsfähigkeit in einem immer turbulenter werdenden Umfeld benötigen. Dennoch wäre Fatalismus völlig fehl am Platz. Es ist wissenschaftlich inzwischen gut belegt, dass es keinen „one best way“ für das Anpassungsmuster von Unternehmen gibt. Vielmehr gibt es unterschiedliche Lösungen in einzelnen europäischen Ländern, aber auch in Regionen und Branchen – und es gibt Handlungsspielräume (vgl. z.B. Goudsward et al., 2009). Mit Blick auf die Innovation am Arbeitsplatz lassen sich idealtypisch drei Reaktionsweisen unterscheiden: die „high road“ der Innovation, die auf langfristige Lösungen, Mitarbeiterbindung und -entwicklung und v.a. funktionale Flexibilisierung setzt die „low road“, die auf kostengetriebene Kurzfrist-Strategien und v.a. externe Flexibilität setzt die „no“ oder „old road“, die auf jegliche substanzielle Veränderung verzichtet Aus Beschäftigtensicht ist die „high road“-Variante zu bevorzugen, da hier die Vereinbarkeit von Wettbewerbsfähigkeit und Qualität der Arbeit im Fokus steht. Langfristig und nachhaltig zukunftsfähige Unternehmen bewähren sich in einem Qualitäts- und
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nicht in einem Dumping-Wettbewerb. Daher brauchen sie Strategien wie z.B. eine gute Personalentwicklung, die Partizipation und die Nutzung der Ressourcen der Mitarbeiter, die Beteiligung des Betriebsrats an Veränderungsprozessen, eine gute Arbeitsorganisation sowie Investitionen am Standort und Innovation von Produkten und Dienstleistungen. Eine wichtige Lektion dieser und ähnlicher Studien ist zugleich, dass es keine „Blaupause“ für „high road“-Lösungen gibt. Vielmehr müssen Lern- und Veränderungsprozesse angesichts der zahlreichen betriebsindividuell unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren vor Ort eruiert werden. Gerade das deutsche System der Arbeitsbeziehungen bietet eine gute Voraussetzung, um als notwendiges Korrektiv eines keineswegs jederzeit zweckrationalen Unternehmensverhaltens zu wirken. Im Zuge der zunehmend marktgetriebenen Entwicklung ergeben sich neue Widersprüche, aber auch neue Chancen für gewerkschaftliches Handeln und für eine arbeitsorientierte Modernisierung (vgl. Iwer & Wagner, 2005). Die Institution des Betriebsrats kann in dieser Hinsicht sogar als Standortvorteil interpretiert werden. Dieser beschränkt sich nicht nur auf die formalrechtliche Regulierung der Arbeitsbeziehungen, sondern bezieht die Professionalität der Betriebsräte, ihre Durchsetzungs- und Kompromissfähigkeit und die Offenheit für innovative Lösungen etwa im Bereich der Arbeitsorganisation ausdrücklich ein. In den letzten Jahren sind Betriebsräte als kompetente Krisenmanager, Agenten des Wandels und Promotoren für Veränderung gefordert gewesen. Dieser Eindruck wird durch die Betriebsratsforschung bestätigt (vgl. z.B. Blume & Gerstlberger, 2007; Jirjahn, 2006). Anstatt auf immer neue Anforderungen (und Zumutungen) von Geschäftsleitungen nur re-agieren zu können, möchten Betriebsräte in die gestaltungspolitische Offensive kommen und haben dies in einigen Fällen auch schon erfolgreich getan. Im September 2009 hat die IG Metall in Nordrhein-Westfalen 157 Betriebsräte zur Krisenentwicklung und zu vorrangigen Konfliktthemen befragt. Die zentralen Ergebnisse sind: In denjenigen Betrieben, in denen Betriebsräte die Strategien zur Zukunftssicherung mit beraten haben, werden die Aussichten, die Krise bewältigen zu können, deutlich besser eingeschätzt. Unternehmen, die Betriebsräte nicht beteiligen und zu wenig auf die langfristige Entwicklung schauen, stehen deutlich schlechter da. Betriebsräte kennen „ihre“ Betriebe. Sie sind die Experten für die Arbeitsplatzsituation vor Ort – und damit für die Basis von Innovationen. „Durch das Mitgestalten innovationsfördernder Arbeitsbedingungen (...) können Betriebsräte das betriebliche Innovationsverhalten insgesamt beeinflussen“ (Kriegesmann et al., 2010; S. 77). Zugleich ist offenkundig, dass die Beschäftigten und Betriebsräte ihr Gestaltungspotenzial bislang
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nur unzureichend ausschöpfen (können). So sagt allein die Existenz eines Betriebsrats noch nichts aus über seine Wirkung. Der Schwerpunkt der Betriebsratseinbindung liegt weit überwiegend auf den vertrauten und rechtlich abgesicherten Handlungsfeldern wie der Arbeitsorganisation, der Personalpolitik oder der betrieblichen Sozialpolitik wie Kriegesmann et al. (2010; S. 73) auf der Basis von Daten der WSIBetriebsrätebefragung 2008/2009 belegen. Allerdings erschöpft sich die Beteiligung nicht in diesen Feldern. Betriebsräte beteiligen sich auch an Produkt-/Dienstleistungsinnovationen und der Erschließung neuer Märkte, wenn auch in deutlich geringerem Umfang. Die Forscher weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass proaktives Innovationshandeln im Sinne eigener Innovationsinitiativen keineswegs eine exotische Erscheinung ist. Es reicht heute nicht mehr aus, sich im Tarifvertrag und im Betriebsverfassungsgesetz auszukennen, wenn es um das Bewerten und Begleiten neuer Unternehmensstrategien und ihrer betrieblichen Umsetzung geht. Aus den neuen Unternehmensstrategien und ihrer Umsetzung, aber auch aus neuen betriebspolitischen Konstellationen (z.B. mehr externe Mitarbeiter, mehr Befristete usw.) erwächst ein Professionalisierungsdruck, der durch die Krise noch verstärkt wird. Betriebsräte sollen zwar nicht die (häufig vernachlässigten) Aufgaben des Managements (Co-Management) übernehmen. Sie sollen jedoch befähigt werden, systematisch und frühzeitig bewerten zu können, ob das Unternehmen auf einem zukunftsfähigen und Arbeitsplätze erhaltenden Weg ist (Anforderungs-Management). Dazu müssen Betriebsräte lernen, (auch weniger offensichtliche) Strategien des Managements erkennen und in eine Gesamtstrategie einordnen zu können sowie Argumentationsfallen zu identifizieren, die nur den vermeintlich „one best way“ für das Unternehmen durch Einsparmaßnahmen nahelegen. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen von Managemententscheidungen auf Arbeit und Einkommen vor dem Hintergrund der Unternehmensstrategie kritisch zu hinterfragen, Alternativlösungen zu entwickeln und die besseren Alternativen gemeinsam mit der Belegschaft durchzusetzen – darin liegt die neuartige Anforderung an die Betriebsräte vor Ort (vgl. Tietel, 2006). Die betrieblichen Interessenvertretungen bei dieser Anforderung zu begleiten und zu unterstützen ist Gegenstand des Projektes Kompetenz und Innovation. Dieses Vorhaben wird jedoch nicht isoliert durchgeführt, sondern ist eingebettet in einen betriebspolitischen Ansatz („Besser statt billiger“) der IG Metall NRW, der anschließend kurz skizziert werden soll.
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Besser statt billiger: Offensive Strategie auch in der Krise
Mit der im November 2004 gestarteten Kampagne „Besser statt billiger“ hat die IG Metall NRW den Versuch unternommen, aus der gestaltungspolitischen Defensive herauszukommen und möglichst präventiv die Initiative für innovationsgetriebene „Besser“-Lösungen zu ergreifen. Eine wichtige Rahmenbedingung für die Umsetzung des „Besser statt billiger“-Ansatzes bildet die „koordinierte Dezentralisierung“ der Tarifpolitik der IG Metall (vgl. Korflür et al., 2010; Burkhard & Schlette, 2008; Haipeter, 2009), die Aushandlungsprozesse auf einzelbetrieblicher Ebene ermöglicht und erfordert. Im 2004 geschlossenen „Pforzheimer Abkommen“ hatte sich die IG Metall erstmals bereit erklärt, dass Betriebe befristet von geltenden Tarifen abweichen dürfen, sofern dadurch Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen werden. Die Zustimmung zu einer Abweichung vom Flächentarif wurde an tragfähige Zukunftskonzepte der Betriebe geknüpft. Auf den Betriebsrat kommt damit u.a. die Aufgabe zu, gemeinsam mit seiner Gewerkschaft und in der Regel unterstützt durch zusätzlichen Sachverstand aus dem Unternehmen sowie aus externer Beratung, die Begründung des Arbeitgebers für eine Tarifabweichung im Hinblick auf ihre Stichhaltigkeit und Tragfähigkeit zu überprüfen. Im Fall einer vereinbarten Abweichung hat er die Einhaltung der ausgehandelten Zusagen der Unternehmensleitung zu kontrollieren. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, muss der Betriebsrat in der Lage sein, die Argumente der Unternehmensleitung prüfen und die betriebliche Umsetzung bewerten zu können. Die Aufgaben der betrieblichen Interessenvertretungen sind damit erheblich komplexer geworden. „Besser statt billiger“ bedeutet, dass die IG Metall gemeinsam mit Betriebsräten und Belegschaften die „besseren“, im Sinne von Arbeit und Einkommen sichernden Innovationen bei Prozessen, Personal, Produkten und Beteiligung einfordert und möglichst durchsetzt und kostengetriebene „Billiger“-Strategien, die mit zahlreichen Nachteilen für die Beschäftigten verbunden sind (Einkommensverluste, Beschäftigungsunsicherheit bis hin zur prekären Bedingungen) möglichst verhindert.2 Unter Beteiligung der Beschäftigten versuchen die Betriebsräte vor Ort Unternehmensstrategien zu hinterfra-
2
Zwischen den Polen „besser“ und „billiger“ liegt ein weites Feld unterschiedlichster Handlungsstrategien und in der betrieblichen Praxis sind Grauzonen nicht ausgeschlossen. Doch ähnlich wie die in der internationalen Debatte gebräuchliche Unterscheidung von innovationsgetriebenen „high road“- und kostengetriebenen „low road“-Strategien ist das polarisierte Begriffspaar „besser – billiger“ für heuristische Zwecke durchaus hilfreich (vergleiche ähnlich gelagerte Debatten um „high performance workplaces“ und „social sustainability in work systems“).
Innovationspartnerschaft im Betrieb
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gen, interne Potenziale auszuloten und alternative Szenarien einzufordern. Betriebsräte sollen dabei keineswegs (Co-)Manager werden, aber sie sollten Manager fordern. Zu den zentralen Elementen des „Besser statt billiger“-Ansatzes zählen, die Mitglieder über alle Schritte zur aktiven Zukunftssicherung im Betrieb zu informieren, sie zu beteiligen und dafür zu gewinnen, gemeinsam Durchsetzungsstärke und Gestaltungsfähigkeit zu steigern, offensiv tragfähige Zukunftskonzepte einzufordern, bestehende oder geplante Strategien der Arbeitgeberseite frühzeitig zu hinterfragen und – mit professioneller Unterstützung – selbst Alternativen („Besser“-Konzepte) entwickeln, bei Bedarf mit dem notwendigen (betriebs)politischen Druck Konflikte um „Besser“-Strategien auszutragen, damit spürbare Ergebnisse für Mitglieder erreicht werden. Für eine präventiv und mitgestaltend angelegte Verhandlungspolitik sind vielfältige Kompetenzen erforderlich, über die nicht jeder Betriebsrat angesichts der Vielfalt und Komplexität der Aufgaben verfügen kann. Für die gewerkschaftliche Arbeit bedeutet dies, diese Kompetenzen zu entwickeln und mit Wissen und Beratung zu unterstützen, um darauf aufbauend neue Handlungsmöglichkeiten auf betrieblicher Ebene auszuloten und zu praktizieren. Gerade in der Krise gewinnt dieser Ansatz an Bedeutung. Die Herausforderung der Krise besteht darin, gerade angesichts der Krise die Perspektiven des „Besser statt billiger“-Ansatzes zu stärken, um eine zukunftssichernde offensive Gestaltungsperspektive von industrieller Arbeit und ihrer Entwicklung voranzutreiben. So berichteten Betriebsräte in Dialog-Workshops der IG Metall zur Krisensituation, dass sich in vielen Industriebetrieben Entscheidungsprozesse über Produktionssysteme, Standortfragen, veränderte Personalkonzepte, Wertschöpfungstiefen, Investitionen und Innovationslinien beschleunigen. Der unbezweifelbar existierende Problemdruck ist häufig mit der Erwartung des Managements verbunden, kontroverse oder konfliktträchtige, zulasten der Beschäftigten gehende Konzepte unter diesen Bedingungen leichter durchsetzen zu können. Betriebsräte, die nicht nah genug an ihrer Belegschaft „dran“ sind und keine tragfähigen Gegenstrategien in die Debatten einbringen können, geraten so schnell in die Defensive. Tatsächlich waren viele Betriebsräte vor allem zu Beginn des Krisenjahres 2009 vollauf damit ausgelastet, mit den Folgen von Auftragseinbrüchen und Arbeitsausfall umzugehen. Sie mussten sich unter Zeitdruck einen Überblick über die betriebliche Situation verschaffen, „Überlebensstrategien“ für die Krisenperiode entwickeln, den für ihren Betrieb am besten geeigneten Maßnahmen-Mix aus betrieblichen und tariflichen
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Instrumenten zusammenstellen, Kurzarbeit organisieren, Entlassungen abwehren – eine klassische Gemengelage, in der wenig Zeit für alternative Handlungsstrategien bleibt. Spätestens nach der ersten Akut-Phase einer Krise sind aber die strategischen Fragen der zukünftigen Unternehmensentwicklung in den Blick zu nehmen. Ob industrielle Strukturen Zukunft haben und ob Arbeitsplätze, gute Arbeit und gutes Einkommen gesichert werden können, hängt auch davon ab, dass sich Betriebsräte und IG Metall rechtzeitig in die Zukunftsstrategien von Unternehmen aktiv einmischen und erfolgversprechende Konzepte einfordern. Die Beziehung zwischen Innovation und Gewerkschaften ist keinesfalls spannungsfrei, was schon ein Blick auf die lange Geschichte der Rationalisierungsdebatte zeigt (vgl. Rundnagel, 2004). Die Betonung der Innovationsfähigkeit als Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg muss daher stets verknüpft werden mit dem Hinweis auf die Widersprüchlichkeiten und Dilemmata der Innovation sowie auf die Notwendigkeit, spezifische Lösungen zu finden und sich nicht auf einen „one-best way“ zu verlassen (vgl. Schumann, 2008). Viele Betriebsräte haben schon die Erfahrung gemacht, dass sich im Anschluss an eine gewaltige Veränderungsrhetorik anschließend wenig bewegt hat oder dass sich hinter den Großkonzepten wie Lean Production und ihren zahlreichen Verästelungen auf der „shop floor“-Ebene sehr Unterschiedliches verbergen kann, was sich wiederum sehr unterschiedlich auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen auswirken kann (vgl. Oehlke et al., 2007 und schon Brödner & Latniak, 1999). Die Gewerkschaft kann den Betriebsräten die Aufgabe nicht abnehmen, die jeweils spezifische betriebliche Situation im Detail zu analysieren. Sie kann allerdings flankierende Unterstützung anbieten. Eines dieser Unterstützungsangebote ist das Projekt Kompetenz und Innovation. 4
Gewerkschaftliche Unterstützungsangebote für Betriebsräte: Das Projekt Kompetenz und Innovation.nrw
Ziel des Projektes Kompetenz und Innovation ist es, dazu beizutragen, dass die Diskurse über arbeitsorientierte Innovationsstrategien, die seit Jahren in Expertenkreisen geführt werden, vermittelt über die Träger der Mitbestimmung in die betriebliche Praxis hineingetragen werden. Erst wenn in vielen tausend Betrieben Diskussionen über „high road“ oder „Besser“-Lösungen angestoßen und Durchsetzungsprozesse erfolgreich umgesetzt werden, wird arbeitsorientierte Innovation in der Breite erreicht werden. Betriebsräten soll bewusst gemacht werden, dass Wissenschaft hierfür hilfreiche Anknüpfungspunkte bieten kann. Betriebliche Interessenvertretungen sollen im Zu-
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sammenwirken mit wissenschaftlicher Kompetenz darin Unterstützung finden, Alternativen für den Erhalt und die Schaffung von „industriellen“ Arbeitsplätzen und Einkommen zum Thema im Unternehmen und in ihrer Branche bzw. Wertschöpfungskette zu machen. Zur Ausgangsüberlegung des Projektes Kompetenz und Innovation gehört, dass es eine Vielzahl wichtiger, für die betrieblichen Herausforderungen relevanter fachkundiger Expertisen aus Wissenschaft und von Beratungseinrichtungen gibt, die zugänglich gemacht und ziel- und adressatenspezifisch aufbereitet werden müssen, um handlungsrelevant werden zu können. Dazu gehört, dass betriebliche Bedarfe und Problemstellungen nicht nur ermittelt, sondern im engen Dialog mit Wissenschaft und Beratungsexpertise wechselseitig vermittelt werden müssen.3 Das Projekt setzt damit auch an dem hinlänglich bekannten Diffusionsproblem an, denn entgegen zahlreichen internationalen Fallstudien zu bester oder guter Praxis von arbeitsorientierten „high road“-Lösungen stellen z.B. die Autoren des INNOFLEX-Projektes ernüchtert fest, dass die Lücke zwischen den Besten und „the so-called long tail of companies that are lagging behind“ (Innoflex, 2003; S. 28) sich eher noch vergrößert. Es geht ausdrücklich nicht um einen einseitigen Wissens-Transfer in dem Sinne, dass Wissenschaftler einen fest umrissenen Wissensbestand quasi im Frontalunterricht an Betriebsräte weitergeben, sondern um einen dynamischen Praxis-WissenschaftsDialog4. Die mögliche Leistung der Wissenschaftler wird vorwiegend in drei Punkten gesehen (vgl. Latniak, 2004):5 Kommunikation: Initiieren und Sicherstellen der Kommunikation über eine bestehende Problematik Klärung: Klarstellung des Problems
3
Ein Teil dieses Bedarfes wird durch die beteiligungsorientierte Betriebsberatung abgedeckt, doch existiert zum einen durchaus noch Bedarf an zusätzlicher Expertise und zum anderen äußern Betriebsräte auch Kritik an der Vorgehensweise mancher Berater. Die Grenzen der arbeitsorientierten Beratung sind dort erreicht, wo Berater Gefahr laufen, „dass sie von der Substanz leben und auf standardisierte Konzepte auch in sehr spezifischen Situationen zurückgreifen“ (Wetzel, 2009; S. 45).
4
Vgl. zum Konzept der Dialogkonferenz auch Fricke (2005), freilich mit anderer inhaltlicher Kontextualisierung.
5
Das Transferproblem Wissenschaft/Praxis ist natürlich nicht neu. Auch die Trias „communication – clarification – consensus and conflict“ ist aus der amerikanischen Debatte über die „Verwertbarkeit“ insbesondere sozialwissenschaftlichen Wissens geläufig (vgl. Naschold, 1984).
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Konsens/Konflikt: Vorbereitung einer rationaleren Austragung von Konsensund Konfliktprozessen im Betrieb. Der Ansatz geht von einem Austausch „auf Augenhöhe“ aus, in dem die Betriebsräte die Rolle als „mitforschende Akteure“ einnehmen. Ausgangspunkt ist eine grundsätzliche Offenheit für die Situation im Betrieb. So gesehen handelt es sich um ein Gegenmodell zu Beratungsansätzen, bei denen externe Experten mit mehr oder weniger fertigen Konzepten und Lösungen in die Betriebe kommen. Die Betriebsräte stecken „mitten im Leben“. Sie sind Experten der betrieblichen Praxis mit all ihren Widersprüchen, Spannungsverhältnissen und Paradoxien. Die Wissenschaftler wiederum „geben“ nicht nur, sie nehmen auch etwas mit. Dies können Anregungen für die Generierung neuer Forschungsfragen sein oder die Erweiterung des Blickwinkels, insbesondere im Fall von Forschern, die ansonsten eher eine managementorientierte Sichtweise einnehmen. Grundsätzlich bietet der intensive Dialog die Chance zu einem tieferen Verständnis für Umsetzungsbedingungen von arbeitsorientierten Konzepten in der Praxis. Im Vordergrund der Projektarbeit kann nicht die vollständige Lösung einer betrieblichen Problemlage stehen. Sie soll im Dialog Wissenslücken und Problemfelder ermitteln und Voraussetzungen für eine möglichst nachhaltige Installation von Gelegenheitsstrukturen schaffen, die diesen Dialog verstetigen helfen. Das Projekt trägt insofern dazu bei, Vermittlungsprozesse zu organisieren und Netzwerke zu bilden, in denen erfahrungsgestützter Austausch und davon ausgehend die Suche nach Lösungsansätzen möglich gemacht wird. Die vom Projekt initiierten Dialogprozesse sollen im Schneeball-Verfahren dazu beitragen, dass im Rahmen der Aktivitäten geknüpfte Kontakte betrieblicher Praktiker zu Wissenschaftlern, zu Beratungseinrichtungen und zu mit ähnlichen Fragestellungen konfrontierten Betriebsräten aus anderen Unternehmen perspektivisch auch ohne Anstoß von außen verstetigt werden können. Ausgangspunkte für die Bearbeitungsschritte im Projekt bilden die je spezifischen Fragestellungen von Betriebsräten, die sich den Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit unternehmerischen Strategien und politischen Rahmenbedingungen zu stellen haben. Ist die Problematik in einem beteiligungsorientierten Verfahren identifiziert worden, sichtet das Projektteam den Forschungsstand und sucht fachlich ausgewiesene Wissenschaftler, die zur Problemlösung beitragen können. Zum „Instrumentenkoffer“ des Projektes und zu den gewerkschaftlichen Unterstützungsleistungen für die Betriebsräte vor Ort gehören die gezielte interne oder externe Beratung, branchenbezogene Dialogveranstaltungen, Branchenreports, Betriebsrätebe-
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fragungen und themenbezogene Handlungshilfen. In Branchendialogen werden z.B. systematisch Gelegenheiten geschaffen, strategische Fragen mit Betriebsräten, Unternehmensvertretern und Fachexperten in einer Vielzahl von Branchen zu diskutieren.6 Zur angespannten Situation in der Automobilzulieferindustrie und zum Thema Verlagerung wurden Betriebsrätebefragungen durchgeführt, deren Ergebnisse interessierten Betriebsräten als relevantes Orientierungswissen zur Verfügung stehen. Gebündelt werden die Ergebnisse der verschiedenen Dialogveranstaltungen in themenbezogenen Handlungshilfen dargestellt (sogenannte industriepolitische Memoranden), die den Betriebsräten fundierte Argumente und innovative Alternativen für die betrieblichen Auseinandersetzungen in besonders brisanten Fragen (wie z.B. Standortverlagerungen, ausufernder Einsatz von Leiharbeit, Produktionssysteme, Umgang mit sogenannter Einfacharbeit) liefern sollen. Die geschilderten Unterstützungsleistungen für die Betriebsräte werden ergänzt durch den Einsatz von Handlungshilfen und Checklisten, die dazu beitragen sollen, einen inner- und zwischenbetrieblichen Dialog mit allen beteiligten Akteuren anzustoßen. Damit wird im Idealfall ein wechselseitiger Lern- und Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, auf dessen Basis die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens und damit zugleich auch Arbeitsplatzsicherung und qualitative Gestaltung der Arbeitsbedingungen aufbauen können. Die Nachhaltigkeit der Ergebnisse wird u.a. dadurch sichergestellt, dass die Ergebnisse des Projektes in die Bildungsarbeit der IG Metall für ihre Mitglieder und hauptamtliche Gewerkschafter in den Regionen des Bezirkes NRW einfließen. Die folgende Abbildung fasst die zeitliche Abfolge der Prozessschritte im Rahmen des Projektes zusammen:
6
Für einige Branchen in Nordrhein-Westfalen – Rohrleitungsbau, Bergbautechnik, Leuchten – wurden bereits im Rahmen des Projektes Arbeit durch Innovation sogenannte Branchenreports erstellt, die unternehmensübergreifende Branchenstrukturen, Marktentwicklungen und Trends analysiert und Handlungsoptionen für Betriebe aufgezeigt haben.
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Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling & Achim Vanselow
Gespräche mit Betriebsräten zu den Handlungsfeldern
Workshops mit Betriebsräten Auswahl von geeigneten Wissenschaftlern Workshop mit Betriebsräten und Wissenschaftlern Anwendung im Betrieb Befragung von Betriebsräten
Wissenschaftliche Gutachten
Verdichtung der Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit zu industriepolitischen Memoranden
Öffentliche Tagung Abb. 1: Die Vorgehensweise im Projekt Kompetenz und Innovation in Nordrhein-Westfalen
Das Projektteam bereitet wissenschaftliche Befunde und verallgemeinerbare betriebliche Erfahrungen in den industriepolitischen Memoranden so auf, dass sie für Betriebsräte verständlich und als Argumentationsgrundlage in der betrieblichen Diskussion nutzbar werden. Betriebsräte benötigen für ihre alltägliche Arbeit Orientierungswissen: In welcher Situation befindet sich mein Unternehmen? Was sind die Begründungszusammenhänge? Wie müssen diese bewertet werden? Referenzebenen für Benchmarks zwischen Betrieben und Handlungsorientierung: Was kann in der jeweiligen Situation unternommen werden? Was muss diskutiert werden? Wie kann Unterstützung organisiert werden? Ein Beispiel für solche Unterstützungsleistungen: In betrieblichen Auseinandersetzungen werden häufig nicht ausreichend hinterfragte Begründungen für die unabweisbare Notwendigkeit des Einsatzes von Leiharbeit in die Auseinandersetzungen eingespeist. Zur Prüfung von alternativen Handlungsansätzen werden – kondensiert aus wissen-
Innovationspartnerschaft im Betrieb
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schaftlichem und Erfahrungswissen – häufig sich wiederholende „ultima ratio“-Argumente herausdestilliert, die sich dann als Fallen für die betriebliche Interessenvertretungen erweisen, wenn sie diesen nichts entgegen zu setzen haben. Im Sinne einer Filterführung sollten Betriebsräte in Verhandlungen mit der Unternehmensleitung vor Ort vorgebrachte und vermeintlich handlungsentscheidende Argumente prüfen. Im Dialog wird sich erweisen, ob die vorgetragenen Argumente der Unternehmensleitung einer kritischen Prüfung standhalten. Bewusst werden strategische Fragen, nicht Kostenfragen, an den Beginn dieses Dialogs gestellt. Erfahrungsgemäß erstickt eine zu früh geführte Kostendiskussion alternative Strategieentwürfe schon im Ansatz. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Bedeutung von Kostenfragen relativieren kann, wenn geplante Maßnahmen zuvor vor dem Hintergrund strategischer Ziele und nachhaltiger Wirkungen bewertet werden. Voraussetzung für eine solche kritische Prüfung ist die Dialogorientierung der betrieblichen Akteure, d.h. die beteiligten Akteure im Betrieb sind an einem Dialog in der Sache interessiert und bereit, bereits getroffene oder geplante Maßnahmen einer wissenschaftsgestützten Überprüfung zugänglich zu machen. In einer eher konfliktorisch geprägten Situation rückt die Förderung der Argumentations- und Analysefähigkeit des Betriebsrats in den Vordergrund. Bisherige Anwendungen auf der betriebliche Ebene haben deutlich gemacht, dass es sinnvoll sein kann, die Möglichkeit von Allianzen zwischen Betriebsrat und Teilen des lokalen Managements auszuloten und neue zweckgebundene Koalitionen zu schaffen, um Arbeitsplätze am Alt-Standort zu retten. Ein Hebel ist das Aufbrechen betrieblicher Routinen, indem z.B. eher handgestrickte Standortvergleiche bei Verlagerungsvorhaben im Unternehmen mit wissenschaftsgestützten Vergleichskonzepten konfrontiert werden, die auch versteckten Kosten solcher Maßnahmen beleuchten. Das Projekt eröffnet neue Kommunikationsarenen: In einer betrieblichen Fallanwendung wurde z.B. ein Anstoß zur innerbetrieblichen intensiven Kommunikation über ein Auslagerungsvorhaben gegeben, die in dieser Konstellation sonst nicht zustande gekommen wäre (Beispiel: Betriebsleiter, Vertrieb, Techniker, Betriebsrat, Verwaltung). In unternehmensübergreifenden Workshops mit Betriebsräten und Wissenschaftlern wird die Möglichkeit eröffnet, relevante und einzelfallübergreifende Schwerpunktthemen zu erörtern und die Struktur für Argumentationsfallen zu erarbeiten, die dann in industriepolitische Memoranden einfließen.
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Wolfgang Nettelstroth, Gabi Schilling & Achim Vanselow
Im Ergebnis sollen die so gefundenen Lösungen im besten Fall eine bessere Balance zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, sachgerechtere Lösungen und ein höheres Commitment der Belegschaft herbeiführen. 5
Schluss
Ein einzelnes, zeitlich begrenztes gewerkschaftliches Projekt wie Kompetenz und Innovation stößt an Grenzen, wenn es darum geht, Innovation in der Breite dauerhaft zu befördern. Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen versteht das Projekt als Bestandteil des strategischen Entwicklungsprogramms „Zukunft in Arbeit“ (2008-2013), zu dem u.a. eine Tarifbindungskampagne und die Fortentwicklung des „Besser statt billiger“Ansatzes gehören. Nach dem anfänglichen Kampagnen-Charakter besteht die Aufgabe nun darin, erheblich mehr konkrete Veränderungsprozesse im Sinne von „high road“oder „Besser“-Strategien in den Betrieben anzustoßen. Ein wichtiges neues Element von „Besser statt billiger 2.0“ ist z.B. die Erprobung des neuen Instrumentes der „kollegialen Beratung“ – Betriebsräte beraten Betriebsräte. Nicht zuletzt gehört zu den Herausforderungen auch die Personalentwicklung der hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeiter. Dieses „work in progress“ ist ein gigantisches Lernprojekt für den ganzen Bezirk.
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Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung: Perspektiven für Beschäftigung und Unternehmen Klaus Kost
1
Einleitung
Was waren das noch für Zeiten, in denen Dauerarbeitsverhältnisse mit nicht selten jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit und fester Regelarbeitszeit bei tariflich gesicherten sogenannten „Normalarbeitsverhältnissen“ Standard und keine Ausnahme darstellten. Heute jedoch verlieren Beständigkeit und Planbarkeit für viele Arbeitnehmer an Bedeutung. Flexibilität, ständige Veränderungs- und Einsatzbereitschaft sind zur Norm des „normalen“ Arbeitsverhältnisses geworden. Unsicherheit wird zur alltäglichen Norm. Dabei wird nicht selten unwürdig und unfair entlohnt. Schlecker ist überall – das ist die harte Realität. 30% aller Hartz-IV-Empfänger sind sogenannte „Aufstocker“, die trotz ihrer Arbeit öffentliche Hilfen – im Jargon der Neoliberalen „Subventionen“ – erhalten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Eigentlich erhalten aber nicht diese Arbeitnehmer die öffentliche Hilfe und Förderung, vielmehr sind es indirekte Unternehmenssubventionen für Arbeitgeber, die nicht bereit sind, faire und menschenwürdige Löhne und Gehälter zu bezahlen. Das Milliardenvermögen eines Anton Schlecker ist nicht nur einer guten unternehmerischen Idee geschuldet, schlecht bezahlte Mitarbeiter, denen oft einfachste Rechte – auch im Sinne einer funktionieren Mitbestimmung – vorenthalten werden, tragen wesentlich dazu bei: Lohndiebstahl als erfolgreiches Unternehmensmodell. Derweil schaut die Politik mehr oder wenig passiv dieser sich in den letzten Jahren rapide zuspitzenden Situation zu. Leiharbeit, Mindestlohn, Hartz-Debatte und vieles mehr sind die Stichworte, die derzeit das Tagesgeschehen prägen. Es ist aber weiß Gott nicht das Problem einzelner Unternehmen und Branchen. Fast überall findet man diese Spuren der Missachtung von Beschäftigten und ihren Potenzialen. So ist seit Jahren bekannt, dass in der Bauwirtschaft z.B. der Weg des kostengünstigen Bauens nicht über technologische und Verfahrensinnovationen betrieben wird, z.B. durch industrielle Vorfertigung, sondern mehr oder weniger durch deregulierte Arbeitsbeziehungen mit einem starken Einsatz von Beschäftigten aus Ost- und Südeuropa, die oftmals über Subunternehmen mieseste Entlohnungen erhalten. Die Berichte des bundesdeutschen Zolls und seiner Baustelleneinsätze sprechen hier wahre
190
Klaus Kost
Bände. In vielen Branchen wird dieser falsche Weg beschritten, Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität über Lohndruck und ungesicherte Arbeitsverhältnisse zu erzielen. Dabei ist es erwiesen, dass Arbeitsplätze, Unternehmen wie Branchen nur durch rechtzeitige Innovationsmaßnahmen gesichert werden können. Mitarbeiter und Beschäftigte sind das Potenzial und nicht nur ein Kostenfaktor. Mit Mitarbeitern, die man auch zu Mitbeteiligten in den Unternehmen jedweder Branche, jeden Betriebes machen muss, erzielt man die notwendige Wettbewerbsfähigkeit in Form von innovativen Produkten und Dienstleistungen. Nur Letztere sind ein Garant für das Überleben im Globalisierungswettstreit. Damit dieser Wettbewerb ökonomisch, sozial und ökologisch erfolgreich gemeistert wird, bedarf es einer aktiven Beteiligung der Belegschaften aller Ebenen. Geschäftsführer wie normale Werker und Angestellte können einen sehr aktiven Part zur Förderung von Innovationen übernehmen. 2008 wurden allein im betrieblichen Vorschlagswesen, als nur einem von vielen Ansätzen zur Förderung von Innovationen und Leistungssteigerungen, rd. 1,5 Milliarden Euro gespart. Das brachte für die Arbeitnehmer Prämiensonderzahlungen von ca. 160 Mio. Euro, so das DIB Deutsches Institut für Betriebswirtschaft (NRZ, 15.02.2010). Beteiligung heißt aber nicht nur zufällige und geduldete Beteiligung. Mitbestimmung im Sinne rechtlich verbriefter Strukturen ist erforderlich, um diese Innovationsprozesse nachhaltig und stetig am Leben zu erhalten. Kurzstrohfeuer, wie temporäre Projekte (z.B. Qualitätszirkel), bewirken dagegen kaum etwas, sondern verpuffen nach einer anfänglichen Euphorie. Es bedarf einer stetigen Herangehensweise, die mit einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur verbunden und von dieser wesentlich getragen werden muss. Autoritäre wie klassenkämpferische Verhältnisse, selbst unter Wahrung der formalen Rechte des Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrechtes, sind demgegenüber ein denkbar ungünstiger Nährboden für ein erfolgreiches betriebliches Innovationsmanagement. Nicht selten werden dazu externe Partner seitens der Arbeitgeber hinzugezogen. Jedoch kommen auch in den letzten Jahren verstärkt sogenannte arbeitsorientierte Consultants zum Einsatz, die auf Grundlage des Mitbestimmungsgesetzes die Betriebsratstätigkeit unterstützen und mit fachlichen Inputs verstärken. Dabei ist von großer Bedeutung, dass der arbeitsorientierte Berater keine Ersatzfunktion für das eigenverantwortliche Handeln und Entscheiden der Mitbestimmungsgremien übernehmen kann und darf. Berater kommen und gehen, aber die betrieblichen Handlungs- und Entscheidungsträger bleiben und tragen die Verantwortung für ihr Handeln, ihre Beleg-
Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung
191
schaften und ihr Unternehmen. Insofern besitzen Consultants generell, arbeitsorientierte Berater im Besonderen immer nur und ausschließlich einen katalysatorischen Charakter. Der beste Unternehmensberater ist der, der am ehesten wieder aus dem Betrieb und Unternehmen verschwunden ist. Denn dann hat er die betrieblichen Akteure in deren Tätigkeit gestärkt und unterstützt. Dauerbegleitungen durch externe Sachverständige – seien sie für die Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite tätig – sind dagegen meist ein Signal für strukturelle Probleme und Erfolglosigkeit der wirtschaftlichen Aktivitäten. Nicht selten folgt die Katastrophe auf den Fuß. 2
Innovation – Ein Heilmittel zum Arbeitsplatzerhalt?
Die Lebensdauer von Produkten wie Dienstleistungen reduziert sich rapide. Wer hat sie nicht zu Hause: die alten Handys, Fotoapparate und EDV-Geräte, die gesamtgesellschaftlich zu einem riesigen Berg aus Elektronikschrott angewachsen sind. Immer kürzer, immer mehr, immer schneller. Grenzen waren gestern – so der Werbeslogan eines großen deutschen Mobilfunkbetreibers. Der Druck auf die Unternehmen wird nicht nur technologisch durch sogenannte Technologiesprünge ausgelöst. Von der Dampfmaschine über Raumfahrt zur Nanotechnologie – ein Ende ist nicht erkennbar. Aber auch der Kunde reagiert mehr oder weniger „freiwillig“ verstärkt auf Neuigkeiten, er verlangt den permanenten Wandel. Alle Lebensbereiche, beruflich wie privat, werden von diesem Druck und Dauertrend zur Veränderung, zum Neuen erfasst. Beständigkeit scheint ein Fremdwort des 21. Jahrhunderts zu werden. Demgegenüber steht die Feststellung, dass Ressourcen endlich sind, die Umwelt einen Zustand des Dauerstresses nicht erträgt. Nicht erst seit der Erkenntnis, dass eine globale Klimaerwärmung, die durch die Menschen und ihre Wirtschaftswie Lebensweise verursacht wurde, viele Räume der Erde unbewohnbar machen kann. Wenn kein radikaler Kurswechsel erfolgt, drohen Naturkatastrophen, gigantische Migrationsströme und vieles mehr. Vor diesem Hintergrund ist die Steigerung der Ressourcen- und Materialeffizienz eine der dringendsten Aufgaben der Gegenwart. Aber auch andere Aspekte zwingen uns zu überprüfen, welche „Auswege aus dem Kapitalismus“ denkbar sind, welche „Beiträge zur Politischen Ökologie“ (Gorz, 2009) geleistet werden müssen, die aber hier nicht zu diskutieren sind. Auf der betrieblichen Handlungs- und Verantwortungsebene führt das zu einem neuen Agieren der Betriebsräte, Vertrauensleute und Mitbestimmungsträger. Wurden früher lange Zeit der Erhalt und das Konservieren von Strukturen, Arbeitsabläufen und Produkten gefordert, steht auch arbeitnehmerseitig Change-Management alltäglich auf der
192
Klaus Kost
Agenda. Wurden früher Veränderungen oftmals als abzulehnende Rationalisierungen und Arbeitsverdichtungen gesehen, denen begrenzt mit Mitteln der „Humanisierung der Arbeitswelt“ begegnet wurde, sind es gerade heute oftmals die Arbeitnehmervertreter, die sehr genau wissen, dass sich Arbeitsplätze nur durch permanenten Veränderungsdruck sichern lassen. Produkt- wie Prozessinnovationen, aber auch andere Formen der Unternehmensführung, des Vertriebs und der Unternehmenskooperation zwischen Zulieferern und Produzenten sind notwendig, um Beschäftigungssicherung erzielen zu können. Dennoch muss man feststellen, dass auch bei Betriebs- und Personalräten ein präventives Innovationsstreben meist erst mit Krisensituationen entsteht. Nicht selten mit dem Rücken zur Wand in Situationen drohenden Arbeitsplatz- und Standortverlustes sowie diverser Arbeitgeberbegehrlichkeiten, die das Weihnachtsund Urlaubsgeld nicht auszahlen wollen, unbezahlte Mehrarbeit fordern und übertarifliche Zulagen einkassieren, ertönt der Ruf nach Innovationen, neuen Märkten und neuen Produkten. Vor diesem Hintergrund ist die IG-Metall-Kampagne „Besser statt billiger“ entstanden – die heute mehr als eine Kampagne ist und vielmehr als eine strategische Herangehensweise an betriebliche Veränderungsprozesse und -projekte zu verstehen ist. 3
Ende des Industriezeitalters?
Jahrelang wurde der Öffentlichkeit vorgegaukelt, wir seien auf dem Weg zur reinen Dienstleistungsgesellschaft, körperliche Arbeit und Industrieproduktion seien „out“. Nicht selten wurde von mehr oder weniger weisen Menschen, Politikern wie Professoren – „Professor Unsinn“ ist mehr als ein Synonym für diese Apologeten einer zur Heiligkeit erhobenen neoliberalen Sichtweise – das Ende des Industriezeitalters proklamiert und zwar strikt nach dem einfältigen Argumentationsmuster, die ehemaligen Industrieländer werden zu Denk- und Finanzplätzen, körperlich gearbeitet und produziert wird woanders, z.B. in China und in Osteuropa. So propagierte Ludwig Georg Braun, Vorstandsvorsitzender der B. Braun Melsungen AG, lange Zeit Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der schlaue Unternehmer „verlagere was er kann“ an Produktion in Billiglohnländer. Das Manager-Magazin lobte ihn deshalb 2004 ehrfurchtsvoll als „christlichen Provokateur“ (Scheele, 2004). Was würde das Manager-Magazin heute schreiben, nachdem eine bislang unerkannte Wirtschafts- und Finanzkrise die Welt einem Tsunami gleich überrollt hat und immer noch im Klammergriff hält? Kaum einer der neoliberalen Ideologen ist in der Lage und traut sich, die Fehler einzugestehen, die die Weltwirtschaft an den Abgrund der Apokalypse geführt hat. Dazu gehörte auch die Denkstruktur „Industrie sei out,
Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung
193
Dienstleistung sei in“. Die Realität hat uns eines Besseren belehrt. Länder wie Großbritannien, die in den letzten Jahrzehnten eine auch durch die Politik geförderte Deindustrialisierung erfahren haben, sind in der derzeitigen Krise besonders betroffen. Warnungen eines drohenden Staatsbankrotts sind keine Seltenheit, so dass heute die britische Regierung noch von Labour geführt ihre alte Blair-Politik überdenkt und Förderprogramme zur (Neo-)Industrialisierung auflegt. Schmerzlich musste man erfahren, dass nur der Finanzplatz London nicht in der Lage ist, eine nachhaltige und breitenwirksame Volkswirtschaft zu garantieren. Demgegenüber sind Länder wie Frankreich und Deutschland, die immer schon auf ein gesundes Mischungsverhältnis von Dienstleistung und Industrieproduktion geachtet haben, deutlich besser durch die Krise gekommen als ursprünglich gedacht. Trotz einer großen Exportabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft ist die Erkenntnis gestärkt worden, dass Industriebetriebe und -branchen gesichert und gestärkt werden müssen. Nicht die sogenannte „kreative Klasse“ – was immer das auch sein mag – die in Kunst, Kultur, Medien und anderen durchaus bedeutenden Branchen beschäftigt ist, sichert Beschäftigung und Wohlstand, sondern immer noch die lange verschmähte industrielle Basis. Diese Erkenntnis ist mittlerweile verbreitet, die Rufe nach dem postindustriellen Zeitalter sind leiser geworden. Dennoch muss zugestanden werden, dass auch innerhalb der Gewerkschaften Industriepolitik – dazu gehören auch eine betriebsnahe Regional- und Strukturpolitik – nicht unumstritten ist. Während IG Metall und IG BCE „wirtschafts- und industriepolitische Perspektiven aus der Krise“ (Huber, 2009) proklamieren, erklären Verdi-Vertreter den „Dienstleistungssektor als Hauptkampfplatz“ (Uellenberg-van Dawen, 2009). Letztere unterschätzen dabei allerdings elementar die Bedeutung der Vernetzung zwischen Industrieproduktion einerseits und Dienstleistungssektor andererseits. Denn ein großer Teil des Dienstleistungssektors besteht in Deutschland aus sogenannten produktionsorientierten Dienstleistungen – dazu gehören z.B. Forschung und Entwicklung, Logistik, IT usw. – und wäre ohne die vorhandene Industriebasis weder denkbar noch überlebensfähig. Beide Teile sind untrennbare Bestandteile ein und derselben Medaille. Es muss erkannt werden, dass die hochindustrialisierten Länder Westeuropas und die USA nur existenziell überlebensfähig sind, wenn sie erhebliche Innovationsanstrengungen unternehmen. Während in den USA eine eigene Kultur der Erneuerung und innovativer Anpassungsprozesse – die nicht selten durch einen riesigen militärischen, d.h. staatlich finanzierten Sektor gefördert wird – existiert, ist es gerade in der Bundesrepublik Deutschland die Stärke von zahlreichen produzierenden Klein- und Mittelbetrieben einerseits sowie einer Arbeits- und Wirtschaftskultur andererseits, die als „rhei-
194
Klaus Kost
nischer Kapitalismus“ oder „Weber‘sche Arbeitsethik“ bezeichnet werden. Immer gehört aber dazu die Beteiligung der Beschäftigten, die wesentlich dazu beitragen, dass der Wettbewerb durch intelligente hochwertige Produkte und Produktionsprozesse erfolgreich gemeistert wird. Bildung und Innovation, Mitbestimmung und Beteiligung sind die Säulen einer erfolgreichen Volkswirtschaft, die sich im Globalisierungswettstreit behauptet. Das Beteiligung auf Dauer und Rechtsanspruch basieren muss, ist mittlerweile eine anerkannte Erkenntnis. Nicht umsonst gelang es deshalb vor wenigen Jahren den konservativ-liberalen Kreisen nicht, große Einschnitte in das bestehende Mitbestimmungsrecht vorzunehmen. Michael Schumann, Göttinger Industriesoziologe, schreibt dazu: „Weil in Zukunft der Unternehmenserfolg mehr denn je von der bestmöglichen Nutzung und Entfaltung der Humanressourcen abhängen wird, hat die Arbeitnehmerseite mit diesem Politikansatz durchaus spielbare Karten in der Hand: durch Mitbestimmung in den Unternehmen einen neuen zukunftsweisenden, innovativen Umgang mit der Ressource Mensch entwickeln. Damit könnte die paritätische Mitbestimmung ihre Legitimation nach innen und außen wirkungsvoll demonstrieren“ (Schumann, 2007; S. 54). Der Gesetzgeber hat dazu im Zuge der letzten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001 den Betriebsräten erweitere Mitbestimmungsrechte zugewiesen. Im § 92a des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) werden Betriebsräte gerade aufgefordert, sich mit Innovationen und Beschäftigungssicherung zu befassen, auch und gerade in präventiver Form und nicht erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, d.h. Personalabbau egal in welcher Form ansteht. So heißt es dort: „(1) Der Betriebsrat kann dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung machen. Diese können insbesondere eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit, die Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit, neue Formen der Arbeitsorganisation, Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe, die Qualifizierung der Arbeitnehmer, Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen sowie zum Produktions- und Investitionsprogramm zum Gegenstand haben.“ Doch sind die bisherigen Erfahrungen mit diesem neuen Mitbestimmungsrecht noch sehr spärlich. Aber auch in anderen mitbestimmten Gremien wie Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen wird sehr oft über das Verhältnis von Innovation und Beschäftigungssicherung debattiert, gestritten und verhandelt.
Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung
4
195
Betriebsräte – Eier legende Wollmilchsäue?
In einer täglich komplexer werdenden Welt, einer Dimension, die man auch mit der Formulierung „lokal handeln, global denken“ bezeichnen kann, stehen Mitbestimmungsträger vor neuen Herausforderungen. Betriebsräten werden Fertigkeiten abverlangt, die vor wenigen Jahren und Jahrzehnten unvorstellbar gewesen sind. Tabelle 1, in der Ergebnisse aus der WSI-Befragung von Betriebsräten aus dem Jahr 2007 dargestellt werden, mag dies veranschaulichen.
Betriebliche Problemea)
Problem existent
Intensitätsrateb)
„Prioritätsrate“c)
(Häufigkeit in %)
(Mittelwert)
(Häufigkeit in %)
Personalabbau/Beschäftigungssicherung
60.8
2.3
14.9
Altersteilzeit
58.8
2.9
3.7
Sozialplan/Interessenausgleich
31.5
2.3
4.9
Einschränkung der Ausbildung
19.9
2.9
0.2
Ausgliederung/Schließung oder Zusammenlegung von Betriebsteilen
33.8
2.4
6.7
Änderung der Arbeitsorganisation
58.0
2.7
3.7
Arbeitsbedingungen Älterer
38.2
3.0
0.5
Familienfreundliche Arbeitsbedingungen
40.5
3.0
1.0
Gleichstellung von Männern und Frauen/Frauenförderung
26.7
3.9
0.1
Einführung neuer Techniken
54.2
2.7
2.5
Arbeitsschutz/Gesundheitsförderung
77.0
2.8
1.8
Fort- und Weiterbildung
69.9
2.9
1.1
Erhöhung des Leistungsdrucks
70.9
2.5
5.5
Arbeitszeitkonten
67.0
2.5
10.3
Zielvereinbarungen/Mitarbeitergesprächen
66.9
2.7
4.1
Mehr Überstunden
64.8
2.4
9.4
Mehr Wochenendarbeit
38.0
2.7
2.9
Betrieblicher Altersversorgung/Riesterrente
61.8
2.9
1.8
Einschränkung betrieblicher Sozialleistungen
32.8
2.8
1.6
Abbau übertariflicher Leistungen
36.9
2.6
3.4
196
Klaus Kost
(Fortsetzung) Unterschreitung von Tarifstandards/Kürzung tariflicher Leistungen
37.0
2.3
5.7
Wünsche der Beschäftigten nach flexiblen Arbeitszeiten
47.2
2.7
2.7
Verschlechterung des Betriebsklimas
64.3
2.6
4.9
Mangelnder Rückhalt des Betriebsrats bei den Beschäftigten
33.0
3.0
1.9
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz von 2006
54.0
3.2
0.3
Neues Elternzeitgesetz von 2006
26.2
3.6
0.0
a) Die Frage im Interview lautete konkret: Welche Entwicklungen und Probleme haben den BR seit Anfang 2005 besonders beschäftigt? Die Liste der möglichen Antworten war vom WSI vorgegeben, Mehrfachnennungen waren möglich. b) Die Frage lautete: Wie intensiv war die Beschäftigung mit diesem Thema auf einer Skala von „1 = sehr intensiv“ bis „6 = überhaupt nicht intensiv“? c) Die Frage lautete: In welchem Bereich lag das größte Problem für die Betriebsratsarbeit seit Anfang 2005? Etwas über 4% aller Befragten haben diese Frage nicht beantwortet. Datenbasis: WSI-Betriebsrätebefragung 2007 (gewichtete Ergebnisse, nur Teilstichprobe Basisbefragung)
Tab. 1: Betriebliche Probleme und Problembedeutung 2005-2007 aus Betriebsratssicht (Schäfer, 2008; S. 293)
Damit wird deutlich, welchen enormen Anforderungen Betriebsräte und Mitbestimmungsträger heute und zukünftig gegenüber stehen. Die wenigsten schaffen dieses alleine, sie brauchen Unterstützung von betrieblichen wie außerbetrieblichen Sachverständigen verschiedenster Fachrichtungen. Waren in Vergangenheit schon Rechtsberater häufige Partner einer erfolgreichen Betriebsratsarbeit, so reicht die Palette heute von Betriebswirten über Personalfachleute zu IT-Spezialisten – sogar Insolvenzspezialisten sind keine Seltenheit. Mittlerweile hat sich ein regelrechter Markt für Betriebsratsberatung gebildet, der sich als arbeitsorientierte Beratung bezeichnet. 5
Berater zwischen Krisenmanagement und vorausschauender Potenzialermittlung
Managementberater haben es dagegen einfach. Ihre Aufgabe verläuft häufig nach dem gleichen Muster. Strategische Neuausrichtung bedeutet nicht selten Kostenreduzierung durch Personalabbau und Lohndumping. Natürlich gibt es auch die Innovationsberater des Arbeitgebers und des Shareholders. Hier werden in der Regel Prozessinnovatio-
Betriebsräte, Innovationen und Arbeitnehmerberatung
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nen, die früher auch Rationalisierungsmaßnahmen genannt wurden, erarbeitet und umgesetzt. Produktinnovationen oder gar prinzipielle Neuausrichtungen z.B. im Sinne einer radikalen Durchleuchtung nach Einsparpotenzialen im Bereich Energie und Ressourceneinsatz erfolgt dabei nur selten. Sicherlich muss auch das Krisenmanagement der traditionellen Consultants – davon gibt es in Deutschland alleine 13.260 Unternehmen mit fast 120.000 Mitarbeitern (zum Vergleich: in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie arbeiten deutlich weniger Menschen) – schnelle Hilfen für in Krisen geratene Unternehmen anbieten. Leider bestehen diese tatsächlich oft im sogenannten „cost cutting“, das in der Regel beim Personal ansetzt. Aber die Kriseneinsätze sind das eine, reguläre Strategieberatungen sind das andere, sind der Regelfall. In diesem Segment herrscht dagegen nur ein verbales Innovationsdenken auf Power-PointFolien, die oftmals die Vorstandsetagen nicht verlassen. Über deren Nutzen kann man lange streiten, aber sie sind Fakt im Unternehmensalltag. Oftmals müssen sich Betriebsräte mit diesen mehr oder weniger gehaltvollen Ausarbeitungen, durchsetzt mit feinstem Beraterdeutsch, das gerne hochtrabende Anglizismen nutzt, auseinandersetzen, ohne dass sie darauf vorbereitet sind. Hier sind arbeitsorientierte Berater gefragt, die den Betriebsräten vor allem auf Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 80,3 und § 111,2) zur Seite stehen. Doch was ist „arbeitsorientierte Beratung“? Eine allgemeingültige Definition dessen, was arbeitsorientierte Beratung sein könnte, existiert ebenso wenig, wie Berater und Beratungsgesellschaften einer Zertifizierung unterzogen werden (siehe dazu ausführlich Kost, 2008; Weinarten & Lötscher, 2007). Hier müsste sicherlich noch die Spreu vom Weizen getrennt werden, denn die Qualität dieser arbeitsorientierten Beratung lässt manchmal zu wünschen übrig. Gefordert sind hier der DGB und seine Einzelgewerkschaften, indem sie ihre Vorstellungen von Themen und Kriterien der arbeitsorientierten Unterstützung der Tätigkeit von Betriebsräten und Gewerkschaften benennen und öffentlich machen. Es ist nur schwerlich vorstellbar, dass z.B. die großen amerikanischen Beratungsgesellschaften, die „Meckies“ und „Bergers“ – letztere eine bedeutende deutsche Consultingfirma – mit ihren meist mit Personalabbau und „cost cutting“, d.h. fast ausschließlich auf Kostenreduzierung im Sinne von „Gesundschrumpfungsansätzen“ fixierten Beratungsansätzen zur Förderung von Mitbestimmung, Beteiligung und Sicherung der Arbeitnehmerinteressen beitragen können. Arbeitsorientierte Berater sind nicht eine Variante von „Meckies im Schafspelz“, die sich aus der Erkenntnis, dass hier ein neuer Consultingteilmarkt entstanden ist, jetzt als Gutmenschen deklarieren. Arbeitsorientierte Beratung ist ein eigenständiger Beratungsansatz, der objektiv und sachgerecht arbeitet, wenn auch mit einer anderen Ziel-
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setzung und Methodik, nämlich sozial verpflichtet und beteiligungsorientiert auf Augenhöhe zwischen Kunden, d.h. Betriebsräten, Gewerkschaften usw., und beratenden Dienstleistern. Insgesamt ist die wissenschaftliche wie publizistische Beschäftigung mit dem Thema „Betriebsratsberater“ oder „arbeitsorientierte Beratung“ sehr dürftig, Literatur oder Forschungsprojekte zu dieser Thematik gibt es fast keine. Unter arbeitsorientierter Beratung könnte man unter Anlehnung an Bach (2002) am ehesten Folgendes verstehen: „Arbeitsorientierte Beratung hat einen Belegschaften und Betriebsräte beteiligenden sowie die Mitbestimmung aktiv einbeziehenden und fördernden Ansatz. Über den Weg der Aktivierung der meistens betrieblichen Know-how-Träger, durch Beteiligung und Generierung organisatorischer wie betrieblicher Wissensbestände und -träger wird die Sicherung von Arbeitsplätzen, Sozial- und Rechtsstandards wie Tarifverträge usw. angestrebt. Eine solche Beratungsform berücksichtigt die Innovationsfähigkeit der Akteure und Belegschaften, die z.B. zur Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation, zur Verbesserung von Dienstleistungsqualität, Verfahren und Produkten, aber auch der Unternehmenskultur und anderer sogenannter ‚soft skills’ (Sozialkompetenz) führen kann.“ Zu verstehen ist diese Veränderung nur vor dem tiefgreifenden Strukturwandel der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten, der auch vor Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen nicht Halt gemacht hat. Dazu zählen Zusammenschlüsse von Gewerkschaften, Reduzierung der Anzahl von hauptamtlichen Gewerkschaftssekretären, Internationalisierung der Aktivitäten sowie eine explosionsartige Zunahme der Themen, die für Gewerkschaften wie betriebliche Interessenvertretungen von Relevanz sind und zu bedeutenden Handlungsfeldern geworden sind. In logischer Konsequenz dieser Veränderung von Gewerkschaftsarbeit und Mitbestimmungspolitik in Betrieben, Unternehmen und Regionen sind auch verstärkt Spezialisten gefragt, die als Unterstützer und Dienstleister ihre spezifischen Fachkenntnisse in diesem Spezialsegment des Consultingmarktes anbieten und einbringen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um privatwirtschaftlich agierende Personen und Gesellschaften, die natürlich gewinnorientiert, aber sozialverantwortlich wie arbeitsorientiert arbeiten – arbeiten müssen. Bundes- und auch europaweit nehmen Fragen der Zukunfts- und Arbeitsplatzsicherung rapide zu. Gefordert sind marktfähige und durchsetzbare Machbarkeitskonzepte, die der Kritik der Arbeitgeber und ihrer Verbände standhalten, ja nach Möglichkeit auch
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deren Zustimmung und Unterstützung im Hinblick auf die Umsetzung von Innovationsmaßnahmen gewinnen sollen. Arbeitsorientierte Berater mit dem Schwerpunkt „Betrieb“ haben deshalb verstärkt die Aufgabe, betriebswirtschaftliche Ist-Analysen zu erstellen und Zukunftsszenarien zu entwickeln, strategische Neuausrichtungen der Unternehmen im Auftrag der Betriebsräte zu initiieren und zu begleiten, Controlling von Vereinbarungen zwischen Tarif- und Betriebsparteien sicherzustellen, Personal- und Organisationsentwicklung zu beherrschen und Moderationskompetenz für Konsensbildung und Umsetzungsschübe zu besitzen. Damit wird deutlich, wie stark das bundesdeutsche Mitbestimmungssystem und ihre Verbündeten sowie „Hilfstruppen“ aktiv auf Veränderungen hinwirken, ja geradezu Katalysatorenfunktion besitzen. Ob man das nun Co- oder Mit-Management bezeichnet, erscheint eine müßige Debatte zu sein. Fakt ist jedenfalls, dass Betriebsräte sich auf die engeren Themen einer eher traditionell-klassischen Betriebsratsarbeit nicht beschränken können. Strukturwandel als permanenter Prozess, Dynamik der Märkte und reduzierte Produktlebenszeiten und vieles mehr prägen zunehmend das Tagesgeschäft einer „guten Betriebsratsarbeit“ für „gute Arbeit“ und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in allen Branchen. Ohne externe Sachverständige und Betriebsräte gelingt das immer weniger. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass dies kein bundesdeutsches Spezialthema ist, auch in anderen insbesondere europäischen Ländern ist dieser Trend feststellbar und hat u.a. in Frankreich große arbeitsorientierte Beratungsgesellschaften (z.B. Groupe Alpha1) hervorgebracht. Andere Beispiele z.B. aus den Niederlanden unterstreichen diesen Trend.2 6
Die Mär vom teuren Personal
Auch wenn Betriebsräte und Mitbestimmungsträger in Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen sich vehement für moderne, wettbewerbsfähige Produkte, für „gute
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siehe http://www.groupe-alpha.com
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siehe http://www.gitp.nl/
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Arbeit“ und „gerechten Lohn“ einsetzen, so stehen sie nicht selten vor der schwierigen Situation, dass ihnen gegenüber die These vom (zu) teuren Personal in Deutschland vorgetragen wird. Eine nähere Betrachtung zeigt, wie falsch und ideologisch begründet diese Position oftmals ist. Natürlich gibt es auch Situationen, die nicht ohne Einschnitte in die Personalstruktur – in Menge und Entlohnung – ein Überleben sichern. Die Gewerkschaften haben dazu eine Vielzahl von Instrumenten entwickelt, die beweisen, wie Beschäftigungs- und Innovationssicherung als Einheit zusammen wirken können. So ist vielen Unternehmern und Managern mittlerweile bekannt, dass der demografische Wandel kurzfristig zu einem Engpass an qualifizierten Mitarbeitern führen wird. Deshalb setzen sie in der gegenwärtigen Krise u.a. auf Kurzarbeit, selbst dann, wenn ein Ende der Unterauslastung nicht erkennbar ist. Humankapital – dieses Unwort des Jahres 2005 – ist mittlerweile zu einem Schlüsselfaktor für Innovationen aller Art geworden. Sozial anständige wie wirtschaftlich verträgliche Personalmaßnahmen haben trotz Krise dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit kaum zugenommen hat. Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass alle diese Personalinstrumente, tarifliche wie nicht-tarifliche, die Zunahme der Arbeitslosigkeit in den Jahren 2008 und 2009 auf weniger als 100.000 zusätzliche Arbeitslose begrenzt haben (Herzog, 2010). Auch tarifvertragliche Anpassungen wie z.B. das „Pforzheimer Abkommen“ von Gesamtmetall und IG Metall, das seit 2004 angewandt und von beiden Tarifparteien als erfolgreich bewertet wird, haben viele Arbeitsplätze und Betriebe in ihrer Existenz sichern können (siehe z.B. Gesamtmetall, 2006; IG Metall Bayern; 2008). Inwieweit diese Krisenerfahrungen der Gegenwart dazu führen werden, den Faktor „Mensch und Arbeit“ anders als in der Vergangenheit zu bewerten, wird sich noch zeigen. Fakt ist jedenfalls, dass Löhne und Lohnkosten nicht die entscheidenden Faktoren sind, die Innovationen behindern oder gar die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Seit Jahren steigt die (krisenbereinigte) Produktivität, die Lohnstückkosten fallen. Im Bereich der deutschen Elektro- und Metallindustrie beträgt die durchschnittliche Lohnquote gerade einmal 16 bis 18%. Die Betriebsschließungen von NOKIA Bochum und BenQ in Kamp-Lintfort haben es aufgedeckt: Andere Gründe der Gesellschafter – von Produktbereinigung bis Missmanagement – waren die eigentliche Ursache für das Aus dieser Standorte. In beiden Unternehmungen betrug der Lohnkostenanteil gerade einmal 4 bzw. 3%. Auch im Handel sind die Insolvenzen von Karstadt, Hertie und Woolworth nicht einem überschäumenden Lohngebaren der Beschäftigten geschuldet. Gier der Eigentümer, meistens Private-Equity-Gesellschaften, langjährige Fehlentscheidungen des Managements und andere Faktoren haben hier viel größere Bedeutung. Im Gegenteil sind gerade diese Dienstleistungsbranchen negativ davon betroffen,
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dass Arbeit und Menschen nicht wertgeschätzt werden. Bei Stundenlöhnen, die nicht selten wie im Falle von Woolworth bei gerade einmal fünf Euro je Stunde liegen, wird die Qualität der Dienstleistung geopfert. Letztendlich wird der Kunde missachtet, dessen Portemonnaie man zwar haben will, der aber kaum gute Dienstleistung bei fehlendem oder schlecht bezahltem Personal erfahren kann. Mit Innovationen und echtem Unternehmergeist hat das Gebaren zahlreicher Handelsbetriebe und -ketten deshalb nichts zu tun. Die Mitarbeiter sind ebenso Opfer wie der frustrierte Kunde. Nur die Mär vom teuren Personal trifft in keinem dieser Fälle zu. Die erlebte Realität enttarnt die ideologisch verbrämten Interessen. Vor diesem Hintergrund haben arbeitsorientierte Berater die Aufgabe, verstärkt die Plausibilitäten der gemachten Annahmen im Falle von Restrukturierungen aufzuzeigen, aber auch zusammen mit Belegschaften und Betriebsräten sowie den beteiligten Gewerkschaften Innovationstrends zu verstärken, diese in die betriebliche Praxis einzuführen und nachhaltig zu stabilisieren. Innovationen, d.h. Neuerungen, sind dabei nicht nur auf produzierende Unternehmen und Konzerne beschränkt. Auch Dienstleister aller Art stehen vor dem Druck der geforderten Veränderung als Daueraufgabe. Im Falle eines aufgeklärten Managements gelingt es den Betriebsräten, eigene Ideen und Vorschläge nach sachgerechter Prüfung auch Wirklichkeit werden zu lassen. Ein klassisches Beispiel stellen zahlreiche Betriebe der Bergbauzulieferer-Branche dar, die mit dem Auslaufen des Bergbaus in Deutschland vor dem Problem standen, was für wen in der Zukunft produziert werden könnte. Hier haben Betriebsräte und arbeitsorientierte Berater über Jahre hinweg gemeinsam mit den Unternehmensleitungen für eine Neuausrichtung gekämpft. Vielen ist es gelungen, heute z.B. in neuen Märkten in Asien und anderswo ihre Bergbauprodukte zu verkaufen, aber auch ganz neue Absatzbeziehungen durch neue Produkte, z.B. im Bereich der Windenergiebranche aufzubauen. Insgesamt nimmt die Ausrichtung der betriebsspezifischen Fragestellungen an die arbeitsorientierte Beratung zu, so dass diese mit detaillierten Branchenkenntnissen kombiniert werden muss. Folglich werden heute eher Betriebspraktiker als Berater gesucht und weniger wissenschaftlich ausgerichtete Gutachtenverfasser. Macher statt Schreiber sind gefragt. Daraus resultierend haben Themen der Regional- und Strukturpolitik zurzeit deutlich an Stellenwert verloren. Ähnliche Veränderungen lassen sich auch in anderen Teilsegmenten der arbeitsorientierten Beratung feststellen. Beispielhaft an der Technologiedebatte kann die Entwicklung des Beratungsbedarfs von der reinen Technikgestaltung (Stichwort: Gefahren durch neue Technologien) hin zu Vereinbarungen
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über Arbeitsschutz, Gesundheitsmanagement und der Sicherstellung von Qualifizierungen beobachtet werden. Gestaltungsalternativen und keine Blockaden werden gesucht. Fast immer basieren die Tätigkeitsfelder der aktuellen arbeitsorientierten Beratung auf einem angekündigten Personalabbau. Demnach sind für die Berater Kenntnisse im Bereich des Personaltransfers ebenso erforderlich wie die Unterstützungskompetenz für Betriebsräte bei Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan. Wie sehen die Themen und Handlungsfelder der Zukunft aus? Wie können Berater zur Stärkung von Mitbestimmung, Beteiligung und Sozial(Staats)-Prinzip beitragen? Welche Projekte und Programme sind geeignet, auch mit Hilfe von externem Sachverstand ein soziales und demokratisches Europa zu schaffen, in welchem Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretungen die Belange der abhängig Beschäftigten und ihrer Familien effektiv sichern können? Welchen Beitrag kann die „Triade“ aus Gewerkschaften, betrieblichen Interessenvertretungen und externem Sachverstand zur Sicherung von Umwelt und Ökologie leisten? Arbeitnehmervertreter sind somit mit mehr Fragen als Antworten konfrontiert, wenn es um zukünftige Anforderungen und Herausforderungen einer sozialgerechten wie wettbewerbsfähigen Arbeitswelt geht. Vor diesem Hintergrund sind die Gewerkschaften, als die Organisationsform der Beschäftigten, aber auch als deren „think tank“ gefordert zu benennen, wie und in welchen Themenfeldern mit Consultants zukünftig zusammengearbeitet werden soll. Die Berater selbst sind nur sehr begrenzt in der Lage, diese Zukunftsdebatten ihrer Handlungsebenen und inhaltlichen Schwerpunktsetzung autonom zu definieren. Dann würden nur kurzfristige und scheinbar „lukrative“ Themen bevorzugt. Eine strategische Programmplanung des Dreiecksverhältnisses von Gewerkschaften, betrieblicher Interessenvertretung und Consultants geht dagegen weit über eine kurzfristige Marktbetrachtung hinaus. Deshalb muss das Aufgabenprofil der arbeitsorientierten Berater und Beratungsgesellschaften eingebunden sein in die Strategie- und Zukunftsdebatten der Gewerkschaften, insbesondere der Einzelgewerkschaften. Aktuelle Studien über die Zukunft der Gewerkschaften zeigen, dass künftig für folgende Problemkreise Lösungen gefunden werden müssen: Sicherung des Tarifrechts Abwehr von betrieblicher Deregulierung und sogenannter Arbeitnehmerbeiträge (Verzichte, Stundungen) Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen Mitarbeiterbeteiligung und Mitarbeitergesellschaften
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Finanzierung von Mitarbeiterbeteiligungen und Fortführungen nach Insolvenzen etc. Insolvenzberatung Treuhänderische Verwaltung von Beteiligungen, Finanzanlagen (z.B. im Rahmen sogenannter Arbeitnehmerbeiträge bei Sanierungs- und Beschäftigungssicherungsverträgen) Personalentwicklung Zukunftsfähige Organisationsstrukturen in Betrieben und Unternehmen Ökologischer Umbau von Produktion, Logistik und Produktverwendung Beiträge zur betrieblichen Ressourcen- und Energieeffizienz Instrumente der sozial gestalteten Flexibilität Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei freiwilligem wie unfreiwilligem Arbeitsplatzwechsel und -verlust Betriebliche Modernisierung im Globalisierungswettstreit Internationalisierung der Betriebe (Gesellschafter, Kooperationen, Forschungsverbünde, Europäische Betriebsräte, Sprachfähigkeiten, Anpassung der Standards usw.) Kampagnen (thematisch, regional, zeitlich begrenzt usw.) Werbung und Marketing (Mitgliederwerbekampagnen, Öffentlichkeitsarbeit, Unterstützung bei Betriebsratswahlen etc.) Coaching und Moderation Arbeitsmarktpolitische Initiativen Gender-Thematik Initiativen für sektorale wie regionale Wirtschaftsförderung Diese Auflistung erfüllt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigt jedoch den Wandel der Themen- und Aufgabenstellungen, die sich auch weiterhin in einem Veränderungs- und Erweiterungsprozess befinden. Neben der thematischen Verschiebung sind auch strukturelle Herausforderungen in der Art der Beratung zu verzeichnen. Betriebsorientierte Machbarkeitsanalysen und deren Realisierung stehen im Zentrum arbeitsorientierter Beratung. Sprechen und schreiben reicht nicht mehr aus, machen und verantworten wird verlangt.
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Grenzen von Betriebsräten als Innovationstreiber
Es stellt sich damit die Schlussfrage, ob Mitbestimmung und Betriebsräte von der geballten Fülle der Anforderungen nicht überfordert werden. Was leistet aktive Mitbestimmung und Beteiligung? Eine befriedigende und endgültige Antwort darauf wird es nicht geben können. Zu viele Faktoren bedingen den Erfolg bzw. Misserfolg wirksamer Betriebsratsarbeit. Dennoch muss festgestellt werden, dass sich Betriebsräte wie Mitbestimmungsträger generell die Themen und Fragen nicht aussuchen können, vielmehr werden sie gemessen an ihrer Gestaltungskompetenz in Krisen- wie in Normalzeiten. Mitbestimmung ersetzt auch keine unternehmerischen Entscheidungen – wie sie auch ausfallen mögen. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung der Eigentümerstruktur wird es zusehends schwieriger, über Beteiligungsprozesse und Mitbestimmung(-srechte) Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen zu nehmen. Das Vor-Ort-Management entpuppt sich allzu oft als reine Vollstrecker und Ausführungsorgane ferner Entscheidungszentralen außerhalb jeder mitbestimmungsrechtlichen Zuständigkeit. Hier enden allzu oft die besten Vorschläge der Betriebsräte und ihrer Berater. Dennoch ist das keine Aufforderung, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr gilt es die Anforderungen anzunehmen und z.B. präventiv sich schon für Nachhaltigkeit und Innovation einzusetzen. Die Erfahrungen mit Mitbestimmung und Beteiligung im Sinne auch einer demokratischen Betriebsöffentlichkeit zeigen, dass die Betriebsräte dann erfolgreich sind, wenn sie rechtzeitig und intensiv alle Möglichkeiten nutzen. Da gehören eigene Standortsicherungskonzepte auf Grundlage von § 92a BetrVG ebenso dazu wie eine fundierte Arbeit in Wirtschaftsausschüssen und Aufsichtsräten. Aber auch eine gehörige Portion Konflikt- wie Konsensfähigkeit gehören dazu, denn die besten Vorschläge wollen auch verhandelt, erkämpft und umgesetzt werden (siehe Abbildung 1).
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Abb. 1: Harte Verhandlungen führen zum Ziel (Hans-Böckler-Stiftung, 2010; S. 6)
Unternehmen brauchen eine partizipative Innovations- und Unternehmenskultur. Dazu gehört auch, dass Betriebsräte eine ernsthafte Konfliktfähigkeit jenseits ritueller Konfliktaustragung besitzen. Ohne Konflikte geht es nicht (siehe Schwarz-Kocher et al., 2010). Arbeitsorientierte Berater können in diesem Zusammenhang nur Helfer und Dienende der Mitbestimmung sein. Verantwortung und Qualität der Mitbestimmung liegen bei Betriebsräten und Aufsichtsräten.
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Innovation, Trade Unions and Works Councils in a European Perspective: Experiences from Selected EU Member States Wim Sprenger
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Introduction
Which “role” and facilities are available to trade unions and works councils within the countries of the European Union to co-influence innovation in companies and institutions? This is the main question we are dealing with in this chapter. We consider the EU level in general and we present four short country reports to analyse this question. It will be shown that there are substantial differences between and within countries, due to government regulation and facilitation, industrial relations practices, trade union policies, management traditions and activities of other stakeholders. There is a bunch of literature on the question if and how union involvement can lead to better, more “social” and more sustainable innovation. In an overview of employee involvement in Finland, France, Germany, Ireland and Norway Totterdill (2009) could find little evidence of a direct causal link between “representative participation” (i.e. unions or works councils negotiating or agreeing innovation partnerships with employers or employers’ organisations) and improved organisational performance in terms of, for example, productivity, customer satisfaction or quality of working life. In the following paragraphs, we will only slightly respond to such questions, and concentrate on the conditions enabling unions to participate in innovation processes. 2
Levels and Categories of Trade Union Involvement on Innovation
Within a country, trade union influence (and works councils influence respectively) on innovation can be analysed at five different levels at least. These levels can be connected and interrelated, but research and also this small inventarisation show that this is not always the case: Influence at transnational level: Which role can unions play in framing innovation (policy) in the European Union, in European branches and in multinational companies (role of European Works Councils)? Influence at national or regional level: Participation of unions in innovation fora and programmes, partnership in strategic planning of R&D and research dissemination
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Influence at sectoral level: Promoting innovation of sectoral objectives and tools, helping to disseminate corresponding results Influence at company level – the innovation strategy and activities of firms: Negotiating the main conditions and the “management” of innovation processes, being part of the innovation process itself, providing tacit knowledge and ideas from employees in and outside the company (by a union and/or a works council) Influence at workplace level with the involvement of individual employees: Facilitating or involving employees in the processes running (by a union and/or a works council) At these different levels a variety of fields for influencing innovation is available. Here we differentiate between some main categories: Product and services innovations (partly including process innovation) in order to improve the productivity, the quality (of products and services) and the performance of companies: At least, the role of trade unions is to protect employees from being victims of the innovation plans – and, at best, to play an active role in the innovation process, and to provide opportunities for employees to become co-creators of innovation. Innovation of work organisation, Human Relations (HR) and the social aspects of company management, in some countries referred to as “social innovation”: This social component of innovation can also be an important innovation factor as the “innovation paradox” illustrates.1 Innovation of industrial relations and of the institutions in which they operate – trade unions as innovators of their own activities and organisations. 3
Role, Position and Competences of Trade Unions at Various Levels, and the Consequences for Innovation Processes
The engagement of trade unions and employers’ organisations is a common feature of national innovation programmes and incidental initiatives. Social partner involvement in policy initiatives affecting the workplace could be regarded as an essential precondition for success, dissemination and sustainability. Moreover, unions and employers’ organisations are supposed to be able to play a supportive role in the recruitment of companies to such programmes.
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Volberda (2005) claims that only 25% of innovation successes can be traced back to investments in Research and Development (R & D) and 75% to “social innovation” (in terms of smart ways of managing an innovative organisation of work). See also the paragraph on Unions and innovation in The Netherlands (5.3).
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Totterdill (2009) observes that within the five formal national innovation programmes he analysed, the role of both sides of social partners was more advisory than that of active participants. Concerning each of the five programmes, workplace trade union representatives were automatically consulted and involved in projects from the design stage onwards. They were seen as potential sources of knowledge and as experts who understand “what really works” in an organisation, as well as sources having the power to confer legitimacy to the project in the eyes of the workforce. However, it is not evident to which extent workplace union representatives and works councillors had been provided with the knowledge or competencies to act as effective participants. Totterdill findings show that this was not the case. Many social partner representatives lack the relevant capacity. According to Totterdill, this should be seen as a policy priority both for the unions themselves and for the policymakers: Professional union officials at regional and sectoral levels can be involved and do their best, “but they should not be seen as substitutes for frontline union representation, lacking the tacit knowledge of the individual workplace.” These findings illustrate one major element in the relation between trade unions and innovation: It is not only a question of formal rights and facilities that is decisive for the role and the position of unions and their representatives in innovation processes. In this regard, two other questions seem to be important: Are unions capable – and is it permitted – to influence innovation at different levels and to facilitate employees in workplaces to be relevant stakeholders and involved players? Are unions able to operate as “learning organisations” in the field of innovation policy, enabling their members and officials to use experiences and knowledge from one (work)place or policy level to other ones and vice versa? These questions are even more important and relevant, as we have to recognise that innovation is only one subject of trade union or works council operations. Innovation has to be combined – and often to compete – with other important objectives like employment protection, wage negotiations, social plans and political pressure. The competences and positioning needed for all these potential tasks are not identical or comparable at all. For unions, influencing innovation at a certain scale implies a case of strategic choices and investments in organisational logistics and competences. Is it worth it?
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Union Involvement – A Success Factor for Innovation Processes?
Evaluations show little evidence of a direct causal link between “representative participation” and improved organisational performance in terms of productivity, customer satisfaction or quality of working life. Some authors even argue that representative participation has no significant positive effect on employee attitudes and behaviour and, if implemented on its own, it can have a negative impact on performance (Guest & Peccei, 2001). One possible explanation might be that representative participation “in isolation” will fail to overcome low levels of management trust in the workforce – this would be a bad condition for any innovation process. Employees themselves may also become cynical about formal structures and agreements at national, sectoral or regional levels (Pass, 2008). Alasoini, one of the architects of the Finnish innovation programmes in which unions play an important role, claims that unions (and employers organisations) should try to abandon conflict orientations and negotiating practices if they want to achieve structural and successful involvement in innovation processes: “The role of labour market organizations [in innovation programmes] can be important in the future if they are able to consider questions related to workplace development in other ways than those based on traditional bargaining logic. They must also overcome any power struggles or unresolved issues between them that could inhibit their ability to take on this wider, development-oriented perspective” (Alasoini, 2009). However, this would not solve the lack of trust among employees. On the contrary, trade unions will have to include (and to overcome if needed) existing conflicts and mistrust in their innovation strategies during the process, in order to play their autonomous and irreplaceable role – and this is only one reason why unions will be useful and necessary partners for the management. Anglo-Saxon partnership experiences, which show that trust cannot be expected from scratch, are useful to analyse the “surplus value” of agreements at company and other levels on the one hand, and concrete innovation processes in the workplace on the other hand. According to literature, there is indeed a connection between the involvement of the union or works council and the organisational performance, but not as a direct link which might be expected. The British Involvement and Participation Association (IPA) undertook a survey which shows that almost all companies in the United Kingdom (UK) with “representative structures” (as a recognised position of trade unions in the company, which is not the general situation in most UK companies) felt that their approach to management-employee relations kept them up with or ahead of
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their competitors (Guest & Peccei, 1998). In addition, half of the respondents believed that partnership (in its broadest sense) is a potential factor for improved products and services (innovation), sales growth and volume, profit margins and overall profitability. However, research also indicates that representative partnerships do not have a direct impact on performance, but it has a positive influence on activities and practices that may cause this impact. According to UK and US research, partnership arrangements in combination with “participative workplace practices” result in mutual benefits through improved information sharing and greater levels of trust between employers, unions and employees (Oxenbridge & Brown, 2004), and they have a heightened impact on performance (Applebaum & Batt, 1995). Boxall & Purcell (2003) characterise the combination of representative and direct practices of involvement as the “employee voice”. From an employee perspective it is also evident that representative partnership creates opportunities to exercise greater autonomy and direct participation (Applebaum & Batt, 1995). Moreover, employers pursuing high-performance, high-involvement practices are “likely to be impatient with traditional adversarial approaches to collective representation” (Kessler & Purcell, 1995). The importance of the “employee voice” in this sense is that it is directly linked to a higher workforce commitment to the organisation, reflected in lower levels of absence, turnover and conflict, and improved performance (Applebaum & Batt, 1995; Huselid, 1995). Additionally, partnership can lead to the enhancement of employment standards, enabling the decent treatment of employees to be seen as integral to the achievement of high performance (O’Connell, 2003). Purcell et al (2003) argue that employees who experience consultation and involvement are more willing to “go the extra mile”. If unions and management collaborate, employee trust is enhanced (Bryson, 2001), supporting a more positive psychological contract (Rousseau, 1995; Guest, 2000), thus, creating higher levels of organisational commitment, motivation and job satisfaction. Teague (2005) argues that partnership can be the conduit to improve organisational competitiveness by mediating between employee wishes for decent work and managerial efforts to upgrade performance. However, partnership is not always accepted positively. Ackers et al. (2005) examined UK management practices in relation to employee involvement initiatives and “partnership arrangements”. They found out that managers tended to favour direct communication with staff, thereby cutting trade unions out of the equation. Managers were
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only willing to agree to “partnership agreements” if unions were able to “add value” to the business – otherwise they favour “non-union partnerships”. These findings once more pose the question: Could unions only play a role in innovation if they abandon conflicts or bargaining practices? Is it just their potential capacity to contribute to overcome these conflict practices and experiences during a process of innovation which makes them interesting and productive partners? This question is not only relevant in antagonistic industrial relations systems like in the UK. The capacity for reducing conflicts is equally important for workplace representatives in Finland, works councillors in The Netherlands and trade unions representatives in Spain, as experiences and literature in these countries indicate.
Hypothesis Therefore we can formulate a preliminary hypothesis: The effect that union activities in innovation can have on performance and employees’ well-being is highest where they can and do influence innovation at different levels, in various fields of innovation and with a longer term competence policy for representatives participating. In order to validate this hypothesis, we are taking a closer look at four countries, with varying industrial relations systems and facilities for innovation programmes. 5
Unions and Innovation in EU Member States – Strategies and Experiences
5.1 The United Kingdom In the UK, the 1997 New Labour government sought to make a visible break with the Conservative policies of the past that had concentrated on diminishing trade unions’ influence in workplaces and in the industrial relations system. The new government was clearly more interested in the role of trade union and employee involvement at the workplace level. As an example of this new orientation a “Partnership Fund” was created by the Department of Trade and Industry in 1999 (the predecessor of the actual Department of Business, Innovation and Skills). The Fund supported small-scale projects to change work practices, based on collaborative action between management and employees. For trade unions it created the opportunity to get more involved in innovation at workplace level (UK unions still have a relatively strong position at workplace level). Since
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then, a range of projects have been funded, addressing workplace innovations such as team working, continuous improvement, working time, family-friendly practices and tele-work, in fact mainly concentrating on social innovation (HR and work organisation). Most of these projects focused on change in one or more individual workplaces. Some projects were also focused on the dissemination of good practice to other workplaces. Since 2004, the Fund was no longer continued, despite a positive evaluation of its impact (Totterdill 2009), because the government redistributed its spending after getting involved in the invasion of Iraq. The role of trade unions in these projects was to negotiate partnership agreements with company management and to guide/monitor the innovation projects with the help of shop stewards and officials. Although the Trade Union Congress (TUC) had clearly welcomed partnership as one path towards improvement of work and workplaces (“social innovation”), the concept was not generally accepted by all British unions. It seemed to be difficult to combine the partnership concept with more conflict-oriented strategies like wage bargaining (also at company level) and “organising” campaigns.2 This disappearance of state funding (the removal of the Partnership Fund) and the ambivalent positions within the UK trade union movement did not wipe out the necessity to involve trade unions in innovation processes. Close to the end of its term of office the British Labour government commissioned an analysis of practices and ideas on “engagement” of employees in relation to performances. The researchers identified many examples of successful innovation projects with a key role for employees. Both unions and employers/managers assessed the examples and the potentials of employeebased innovation positive. In some of the cases consulted unions employee-based innovation could lead to higher productivity without rising employment costs (unpaid overtime) if the unions could not co-decide on the conditions of innovative projects. Secretary of State for Business, Peter Mandelson, commented the results of the study as follows: “There has never been a more important time to think about employee engagement in Britain. This report helps take forward that debate. It sets out what government can do to help promote an understanding of just how much greater employee
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Although Heery (2002), evaluating partnership and organising strategies in UK unions, found that unions act rather pragmatic, and that they combine partnership in some companies with conflict strategies in other companies, depending on the conditions for influence.
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engagement can help improve innovation, performance and productivity across the economy. It launches a challenge that my department will take forward in the months ahead” (MacLeod & Clarke, 2010; cf UKWON, 2010). It is to be questioned whether the new government will honour this prospect. However, the report provides an overwhelming amount of practices and suggestions to speed up and support processes like these for the near future. 5.2 Finland The Finnish National Workplace Development Programme is a relatively recent innovation, first launched in 1996. At that time, the Finnish Economic Council initiated the Workplace Development Programme (TYKES), designed by the Ministry of Labour and social partners for an initial duration of four years. Within the second term of the same Lipponen Government the government decided to extend the programme for a further four years. The main activities of the programme focused on: the promotion of change leading to improvements in productivity and quality of working life in the workplace the dissemination of information on workplace development capacity building to enhance levels of expertise in the field of working life and workplace development TYKES continued in two stages until 2003. In the following year it joined the National Productivity Programme. TYKES is a research based development programme which aims to improve productivity and quality of working life by promoting the development of human resources, innovativeness and the active engagement of employees in Finnish workplaces. It also seeks to strengthen the utilisation of research knowledge in the development of work organisation and working life. The programme provides financial support for workplace innovation in individual workplaces, for disseminating knowledge and the experience of working life development and for strengthening the infrastructure relating to workplace innovation in Finland. Since the outset, a distinctive characteristic of TYKES has been its engagement with national innovation policy, developing the strong proposition that workplace innovation should be considered as an essential part of the national innovation system. The programme is based on the assumption that it is not sufficient to solve the productivity problems of Finnish workplaces only by investing in the introduction of new information and communication technology and in workforce trainings. The investment in the development of work organisation is also required as necessary (Alasoini, 1997). This
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proposition is also reflected in the 2008 transfer of TYKES from the Ministry of Labour to the Finnish Funding Agency for Technology and Innovation (TEKES), indicating that the policy rationale for promoting workplace innovation has moved from an Industrial Relations niche to the mainstream industrial and competitiveness policy framework (Alasoini, 2009). The annual budget of these national programmes was around 12 million Euros – in a country of 5.2 million inhabitants. Recently, the government decided to move from a series of project-based programmes to a programme which is fully integrated into a specialist national government research and technological development organisation. That means that quality of working life gained a legislative backing. Between 1996 and 2003 TYKES provided financial support for nearly 670 projects in approximately 1,600 Finnish workplaces. The clear majority were Development projects, based on the needs of the workplaces, with a duration of up to three years. Typically, they aimed at improving key areas of practice such as work processes, the functioning of the work community, personnel management, the team-based organisation of work, external networking, as well as developing expertise and wellbeing at work. In fact HR and work organisation innovations (social innovation) were dominant. The programme also supported smaller, diagnostic activities, lasting a few months, as well as network projects designed to test organisational innovations. The focus of the programme was the provision of expert support, 45% of which was provided by consultants, 35% by research institutions and the remainder from specialists from within the companies themselves. Industry and construction accounted for the highest proportion of participants in the programme (52% in the first phase and 39% in the second phase), while private service sector participation rose from 12% in the first phase to 20% in the second phase. The share of small and medium-sized enterprises (SMEs) rose from 46% in the first to 68% in the second phase. At the beginning of 2004, the Ministry of Labour launched the new TYKES programme, as a continuation of TYKE combined with two other smaller programmes – the National Productivity Programme (1993-2003) and the Wellbeing at Work Programme (2000-2003). TYKES is part of the programme of Prime Minister Vanhanen’s Government for the 2004-2009 period. At the beginning of 2008, the Ministry of Labour and the Ministry of Trade and Industry merged to form a new Ministry of Employment and the Economy. At this point responsibility for TYKES was transferred to TEKES, the Finnish national agency for innovation. This organisational rearrangement, together with a change in the legislation
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which underpins TEKES, consolidated the position of workplace innovation and development by establishing it as a permanent research and technology area within TEKES, and it also established the improvement of Quality of Working Life (QWL) as one of its goals. Moreover, staff at TYKES was awarded permanent contracts for the first time in thirteen years. It is expected that workplace development will be closely integrated within mainstream innovation policy planning and implementation in the future, backed by sufficient financial resources for its promotion and dissemination. Project funding has been extended until 2011 in order to avoid a gap in funding provision for businesses. Funding levels beyond this date are unknown, however, it is expected that the allocation for workplace development activities will be maintained or increased. It is in the interest of government policy-makers to demonstrate that the transfer of TYKES from the Ministry to TEKES will be of benefit to businesses and will consolidate its position, particularly since the press had suggested that workplace innovation would be lost in sheer scale of TEKES. At the moment, the idea of a continuation programme for TYKES is being discussed, together with universities, research institutes and social partners. Discussions include the identification of themes within which future activities will be located. It is hoped that this will commence in 2010, and there is a level of confidence that resources will continue at the same level. However, at project level, TYKES will be integrated into other TEKES projects and the TYKES brand will be relinquished. This change in structure means that companies and organisations can continue to apply for funding for workplace development projects, but using different procedures. Since August 2009, support for workplace innovation is no longer being project-based, but part of the permanent funding of TEKES. Now there are strands within existing programmes which allow companies to get funding for issues relating to workplace innovation. Improvements in productivity and QWL are one of the statutory tasks within TEKES, following the change in legislation and giving the activities pioneered by TYKES a much stronger foothold. It is probably the first legal act in which QWL has acquired statutory status. The ability to create a statutory definition of QWL was questioned at Parliamentary level, but, as the “expert body” in the field, TYKES was given the autonomy to define the relevant criteria. The TYKES definition focuses on the need of employees for greater opportunities to learn at work, higher influence on their work, higher job satisfaction/well-being, higher levels of trust and a co-operative spirit within workplace communities.
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Every new programme which is launched in the framework of TEKES is based on tailor-made funding criteria to enable companies to secure funding for developments in workplace innovation. The TYKES programme is based on the view that close cooperation and interaction between the three “actors” workplaces, research and development units and policy makers is the most effective way to generate new and innovative solutions for working life. This is referred to as the “triple helix model”. Trade unions are part of the third party and have a formal position in the process as a whole, at different levels (the programme as a whole, dissemination and networking between projects, and the single workplaces applying). 5.3 The Netherlands For a long time already, trade unions and works councils have the possibility to play a role in innovation processes in the Netherlands. Unions focus on participation at national (political) level via the tripartite Social Economic Council (SER) and the bipartite Labour Foundation. These two bodies have regularly advised the government on long term development and innovation. However, they were not invited in the “Innovation Platform”, which was created in 2002 to anticipate and to develop the national Lisbon strategy agreed in the EU. Works councils, as the legally based workers representation at company level, have the right to advise management on innovation and take initiatives to work on innovation in co-operation with management and with the support of external experts or consultants. Despite these rights, most works councils, in particular in smaller companies, are not very often initiators or co-organisers of innovation projects. Most works councils are overburdened with “daily business” and lack instruments and special competences to use their formal possibilities. In some cases trade unions have been able to use collective contracts for involvement in (bigger) companies to create themselves a position as initiator or co-designer of innovation. Research on change projects since 1975 showed that the most successful projects were those which last longer than three or four years, and which are characterised by unions and works councils taking responsibilities as partners of the management and empowering employees during the process. However, the price could be rather high: Even if the innovation included improvements in work organisation and work quality, the visibility of this as a “union result” was a difficult task regarding the communication to the mass of employees (Van Klaveren & Sprenger, 2004). Moreover, the works council could have a comparable performance problem: Even if the
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management and other stakeholders admired the work of the employee representatives, they do not always receive the same positive feedback from the people represented. The government left this arena for a long period to the social partners and did not provide many incentives which could have stimulated social innovation. In 2002, the “Innovation Platform” was born on national level as a five year governmental programme for innovation. Three ministries of the Balkenende government (the Prime Minister, the Minister of Education and Science and the Minister of Economic Affairs) took part in the Platform. Besides government representatives, captains of industry, scientists and consultants got involved in the work of the Platform (18 people in total). However, trade unions were not represented. Of all formal tripartite representatives only the president of the Social and Economic Council (SER) was invited to share the Platform. Companies participated by “personal tickets” of some experts. Five years later, the Netherlands Centre for Social Innovation (NCSI) started its activities for a period of four years. The general idea behind this initiative has been that the Lisbon innovation strategy adopted and implemented by the government by means of the Innovation Platform lacked an important pillar: the social aspects of innovation by management, employees and their representatives. These actors found each other on the concept of smarter working as a driver for the work of the Institute, financed by government and social partners.3 Research from the Erasmus University/Rotterdam School of Management (Volberda et al., 2005) covering various industrial sectors shows that 25% of innovation success can be traced back to technological innovation, and 75% to social innovation (“innovation paradox”). Figure 1 illustrates the relative importance of social innovation for implementing innovative measures and processes.
3
The Netherlands Centre for Social Innovation (NCSI) is an initiative of the Dutch innovation platform in cooperation with the employers’ associations AWVN and FME, the trade unions FNV Bondgenoten and CNV Bedrijvenbond, the academic institutions RSM Erasmus University in Rotterdam and AIAS University of Amsterdam and the technological research centre TNO.
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Technological Innovation
Social Innovation
Technological Knowledge
Management Knowledge
R&D and ICT Investments
Education and Experience
Research and Development
Organisation, Management, Labour
Knowledge Creation
Acquisition, Integration, Application, new Knowledge
Explains 25% of Innovation Success
Explains 75% of Innovation Success
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Fig. 1: Technological & Social Innovation, and Their Impact on Innovation Success (Volberda et al., 2005)
“Smarter working” (instead of extended working-time or more stress and fatigue) had been a common topic for some employers and trade union representatives in the profit sectors. FNV and CNV, the two main umbrella union confederations, were the initiators of the “smarter working” concept, and in its slipstream the establishment of NCSI some years later. In particular, the sectoral unions FNV Bondgenoten and CNV Bedrijvenbond, together with the employers’ organisation AWVN, ran common experimental projects since 2005. So they tried to develop “smarter working” in companies and to empower employees and union representatives to find tailor-made solutions in order to increase work quality and performance. The concept was laid down in collective agreements and company projects in which the works councils took an active part. When the Innovation Platform did not seem to bother much regarding the social aspects of innovation, these parties pushed the institutionalisation and facilitation of social innovation. The creation of NCSI was in fact partly a correction of the earlier neglect of unions and employer organisations as bearers of innovation.
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The three founding fathers of the newly born institute sponsored the activities by posting employees at NCSI in the role of developers and networkers for the organisations they represented. However, the idea was to support the activities in companies and in workplaces by this institutionalisation. Unions and employers in sectors and in the bigger companies “used” the NCSI as a symbol to negotiate social innovation projects and facilities. The core activities of NCSI are:
to enhance experiments and projects in companies to develop a database on social innovation to disseminate (good) examples, practices and studies to monitor existing projects to initiate scientific research in this field4
NCSI also takes into consideration the relation between (social) innovation and productivity or growth. According to NCSI and a recent study among 650 SMEs companies practising forms of smarter working had 9% higher productivity rates than other companies. In 2008, NCSI concentrated on: Gathering and spreading information and knowledge on social innovation Running and promoting practical experiments and change processes in sectors, companies or company networks and public institutes Developing and organising training and courses for managers, consultants and employees in key positions concerning social innovation Designing, coaching and evaluating projects fit to accelerate social innovation in the Netherlands 5 Promoting dialogue between various stakeholders and organising (international) workshops, learning networks, conferences and trainee or exchange programmes Developing knowledge and pushing independent and (international) praxis oriented scientific research in the field (NCSI Jaarverslag/Annual Report, 2008).
4
A short overview of NCSI’s mission and activities can be obtained via http://www.ncsi.nl/English/
5
In 2008, five projects were selected, for instance the projects “organising flexibility and self scheduling of working time” and “innovation bottom-up”. Using the experiences in this last project NCSI has developed the game “teambrain”. The game facilitates teams to deliver improvement ideas on work processes, distribution of tasks, decision making and responsibilities on work schedules.
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NCSI will exist until 2011. Financed by government, social partners and some bigger companies as sponsors, the institute was meant to be a temporary co-operation platform for social partners and knowledge providers. A key question is if NCSI has been able to start and disseminate the social innovation process at a scale broad enough to keep it going and developing after 2011 (Baden, 2009). What is “social innovation” according to the NCSI? Social innovation is a renewal in labour organisation and in labour relations that leads to improved performance by the organisation and to the realisation of talents. It implies a series of social goals (maintaining prosperity and encourage its growth, improvement of the competitive position of the private sector, overcoming the expected shortage of skilled labour in the future, increasing the participation rate on the Dutch labour market, promoting and allowing technological innovation). Within companies social innovation should help to: improve performance by increasing labour productivity utilise the organisation’s knowledge, competencies and technology in a better and more effectively way accelerate development of new products and services strengthen the motivation and commitment of employees make the organisation more attractive in a tight labour market For employees the social innovation concept should improve job satisfaction, should help to find a balance between work and private life and should promote personal development opportunities and lasting employability. Furthermore, social innovation should also change the future labour relations at the workplace.6 The causal relations between some of these objectives are not very clear: Are they the result of, or the condition for social innovation? Are they additional to formal representation or an alternative (as trust between management and employees)? What will unions and employers do, when NCSI will leave the arena? The general picture is that social innovation as a concept for trade union innovation policy is more widespread than in the years before. Social innovation has become a part of many company and sectoral agreements. And it has been widely recognised as a common theme
6
Such as: Employees and management jointly formulate the organisation's ambitions. Employees have a voice in the organisation and its decisions. Management and employees encourage each other to (learn to) innovate and to show creativity and courage. Management and employees trust each other. Employees are responsible for managing their tasks autonomously. Employees and managers are allowed to make mistakes and dare to admit these.
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of employee and employers representatives. This creates the possibility to combine representative innovation policy with direct employee participation in the workplace. NCSI has made a start with bundling, analysing and disseminating practices, and at the same time it started a process focussing on social innovation. For social partners it has “opened the road” for common learning and experimenting. Even during the crisis social partners continue these common initiatives. The future will soon show if this incentive for employee driven innovation has been substantially and sustainable enough to survive after the death of the institution. 5.4 Spain There are not many examples of unions directly involved in innovation processes in Spain. Observers found out that the reigning industrial relations system, which is based on power bargaining and conflict orientation, was not fit for common innovative initiatives run by social partners. However, the actual economic crisis seems to have produced two examples of shifting orientation. The first example is the national pact on Research and Innovation in Catalonia between the government of Catalonia, political parties, universities and social partners (the confederation UGT and the young entrepreneurs organisation PIMEC). This Pact was signed in 2008, the first year of the crisis which hit the country and its regions severely. The basic common assumption for the pact was that a new model of economic progress for Catalonia was needed, based on education, research and innovation. These three topics should become the “structural priorities” in political agendas, in social and economic life and for the agents influencing them (including trade unions). It remains to be seen if the common signature of trade unions representatives and employers could be “translated” in common activities or programmes at company or sectoral level. It seems that the initiative is in particular symbolic, and involves unions only at one level: the national level of Catalonia, its universities, government and social players. The second example is a special conference on promoting “R+D+I” (research, development and innovation), which was organised by the trade union confederation CCOO
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on November 23, 2009.7 Various stakeholders were invited to take part in the discussion on promoting R&D in combination with innovation at different levels. One of the conference’s goals was to analyse the character of the relations between R&D (Science and Technology) on the one hand and innovation in companies on the other hand. The conference took into reference how unions in other countries see their role in the knowledge and innovation processes. Observing the enormous impact of the crisis on work and employees, the participants of this conference were convinced that the unions should have to enter the arena of innovation. Therefore, one of the CCOO secretaries summarised that paradigm shifts will (have to) happen not only in the strategy of wealth creation, but simultaneously in the way production and innovation are organised: “The societal change in the way of creating growth will have to be accompanied by a change in the way of producing. The experience of several European countries shows the trade union participation in this process will be fundamental. Trade union participation can generate better competitiveness and productiveness in the companies. An active role of unions, influencing company innovation processes will be a matter of cardinal importance in the future.” The next years will show if the Spanish unionists can step from analysing at national levels into innovation activities at company level. Facilitating membership and representativeness in this process is one of the first conditions. There is a fear that these goals will not be fulfilled in a period of severe crisis and budget cuts in the country as a whole. 6
Conclusions
We started this chapter with a hypothesis, based on general literature: The effect that union activities in innovation can have on performance and employees’ well-being is highest where they can and do influence innovation at different levels, in various fields of innovation and with a longer term competence policy for representatives participating. The results of our investigations in four European countries tend to confirm lightly what we expected. In a country like Finland, where unions at all levels act as stake-
7
Cuadernos de la Fundacion, El papel de la ciencia y la tecnología en el cambio de modelo productivo (the role of science and technology in the changing productive model)
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holders in a formalised and sustainable set of conditions, the best chances seem to exist by building substantial results and a climate of common progress in which all parties are needed. Unions do not have to prove, they should participate – it is normal and profitable they do. In other countries there are less favourable positions for unions’ representatives or work councillors. In the UK, the need for union involvement has recently been reformulated, but at national or sectoral levels no incentives or “common playgrounds” are available. Unions have to concentrate on one level, the company, and cannot build on co-operation practices at other levels. It will not be easy to enlarge the influence and the role of trade unions as “innovation co-makers”, even if there seems to be a large tacit knowledge that this would be of interest for many stakeholders. In The Netherlands, a careful initiative to create better conditions is on its way, and it seems that unions can build on it to better realise the potential rights and facilities they should be able to use. Since 2007, the different levels of innovation policy have been used more intensively than in the UK, and the conditions at company level seem to be better than before. However, it is too early to be very optimistic. In Spain, unions seem to be in the phase of reflection on possible relations between national innovation policy and their role in companies and industries. At the moment, it cannot be anticipated if unions can “bridge” these worlds and if they really can participate in company processes, while having a position of their own. In most of these countries, unions concentrate on social innovation, HR and work organisation as incentives and conditions for technology driven innovation. In fact, the Spanish unions have relatively high ambitions, but in practice the “middle road”, promoting and providing social innovation on a broad scale, could well be the way to more substantial involvement, as it can embed union innovation strategies in the core union objectives and activities.
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Teil V: Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen – Forschungsergebnisse aus dem Projekt BMInno
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern Erko Martins & Alexander Pundt
1
Einleitung
Die Suche nach Bedingungen und Wegen, das innovative Verhalten der Mitarbeiter in Organisationen zu initiieren und zu fördern, um entsprechend die Innovativität der Organisation zu erhalten bzw. zu verbessern, ist bereits seit einiger Zeit ein Thema der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung. Mit verschiedenen theoretischen Ansätzen und Modellen wurde versucht, das innovative Verhalten von Mitarbeitern aus Merkmalen
des Mitarbeiters, der Arbeitstätigkeit, der Führungskraft, der Arbeitsgruppen, Kollegen und sozialer Faktoren, der Organisation und aus externen Faktoren
zu erklären. In verschiedenen Studien wurden diese Zusammenhänge auch empirisch untersucht (siehe z.B. Überblick in Pundt et al., 2009). Die Rolle weiterer betrieblicher Akteure, wie z.B. der Betriebsräte, und deren Einfluss auf das innovative Verhalten der Mitarbeiter wurden aber bislang nicht systematisch untersucht. Verschiedene ökonometrische Studien, die das Betriebsratshandeln bzw. die gesetzliche Mitbestimmung im Zusammenhang mit der Innovativität bzw. Innovationstätigkeit von Organisationen betrachten, machen deutlich, dass Zusammenhänge zwischen der Betriebsratstätigkeit und Innovationen bzw. innovativem Verhalten im Unternehmen bestehen können (vgl. Überblick in Pundt et al., 2009). Inwieweit hier ein Einfluss des Betriebsrats auf das innovative Verhalten der Mitarbeiter erfolgt und damit auch Wirkungen auf die Innovativität und das innovative Verhalten des Unternehmens nachzuweisen sind, wird aus diesen Studien nicht ersichtlich – ist aber damit auch nicht ausgeschlossen. Das innovative Verhalten des einzelnen Mitarbeiters und der Einfluss des Betriebsrats auf dieses Mitarbeiterverhalten stehen in diesen Studien nicht im Mittelpunkt. Vielmehr wird auf Innovationen, Innovationsprozesse und innovatives Verhalten auf der Ebene des Unternehmens – nicht des Individuums bzw. Mitarbeiters – fo-
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kussiert. Darüber hinaus wird in vielen dieser Arbeiten ein eher passives Bild der Mitarbeiter gezeichnet: Es geht zumeist um die Frage, was der Betriebsrat machen kann, damit die Mitarbeiter vom Unternehmen geplante Innovationsprozesse nicht blockieren. Eine systematische Erkundung, wie die Mitarbeiter durch den Betriebsrat und sein Handeln zu aktivem innovativen Verhalten angeregt werden können, ist bislang in der Wissenschaft nicht erfolgt. In der Literatur finden sich lediglich vereinzelt Hinweise darauf, dass der Betriebsrat das innovative Verhalten der Mitarbeiter fördern kann. Beispielsweise berichten Stracke und Witte (2006; S. 20) in einer Fallstudie von einem Betriebsrat in einem Unternehmen, der ein wichtiger Ansprechpartner für Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter ist: „Bevor die Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten an den dafür zuständigen Ausschuss weitergeleitet werden, suchen viele die Unterstützung des Betriebsrats.“ Auch in der Aufzählung möglicher Instrumente der Innovationsförderung durch den Betriebsrat von Rundnagel (2004) werden Aspekte genannt, die vermuten lassen, dass der Betriebsrat das aktive Innovationsverhalten der Mitarbeiter initiieren bzw. beflügeln kann, wie z.B. mit dem so genannten „Innovationsarbeitskreis“ des Betriebsrats mit Sachverständigen und Beschäftigten des Unternehmens oder mit dem Instrument „Information“ zur Innovationsförderung im Sinne eines direkten Kontakts des Betriebsrats zur Belegschaft. Ausgehend von diesen Hinweisen wird im vorliegenden Beitrag der Einfluss des Betriebsrats auf das innovative Verhalten der Mitarbeiter aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht betrachtet. Dazu wird ein Modell des innovativen Verhaltens der Mitarbeiter vorgestellt, in das der Einfluss des Betriebsrats integriert werden kann. Das Modell liefert aus theoretischen Überlegungen abgeleitete Erklärungen, wie und wodurch der Betriebsrat das innovative Mitarbeiterverhalten beeinflussen kann. Danach werden zwei Studien aus dem Projekt BMInno skizziert, in denen die Modellzusammenhänge empirisch untersucht wurden. In der ersten Studie wurde das aufgestellte Modell anhand empirischer Daten geprüft, um zu ermitteln, inwieweit es auch in der Praxis Gültigkeit aufweist. In der zweiten Studie wurde ein bislang theoretisch und empirisch nicht thematisierter möglicher Einfluss des Betriebsrats auf das innovative Mitarbeiterverhalten gezielt beleuchtet: die Rolle des Betriebsrats als Referenzgruppe für das innovative Verhalten des Mitarbeiters. Hier wird untersucht, inwieweit der Betriebsrat mit seinen Eigenschaften und Verhaltensweisen den einzelnen Mitarbeitern als Orientierungshilfe dient, für sich zu bestimmen, welche Art und wie viel innovatives Verhalten gezeigt werden sollte. Abschließend werden die Ergebnisse aus diesen
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
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theoretischen und empirischen Arbeiten diskutiert und Implikationen für die weitere Forschung und die unternehmerische Praxis dargestellt. 2
Innovationsförderliches Handeln von Betriebsräten – Ein psychologisches Forschungsmodell
Im Folgenden wird ein Modell vorgestellt, das eine Erklärung liefert, wie Betriebsräte das innovative Verhalten der Mitarbeiter fördern können. In der Forschung zum innovativen Mitarbeiterverhalten liegen bislang hauptsächlich empirische Befunde vor, jedoch kein ausgereiftes theoretisches Modell des spezifischen innovativen Verhaltens der Mitarbeiter, in das die Rolle der Betriebsräte zur Förderung des innovativen Mitarbeiterverhaltens adäquat und sinnvoll integriert werden kann. Daher wurde ein in verschiedenen Kontexten bewährtes allgemeines psychologisches Modell als Basis gewählt, mit dem menschliches Verhalten erklärt werden kann: die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991). Diese Theorie wurde auf das spezifische innovative Verhalten angewandt und um den Einfluss des Betriebsrats erweitert. Innovatives Verhalten eines Mitarbeiters entsteht nach diesem Modell aus der Innovationsintention, d.h. der Absicht des Mitarbeiters, innovatives Verhalten zu zeigen. Sie bestimmt, wie sehr sich die Person anstrengt, innovativ tätig zu werden und enthält damit die motivationalen Komponenten, die das innovative Verhalten beeinflussen. Die Innovationsintention wiederum wird von drei Faktoren bestimmt: der Einstellung zum innovativen Verhalten der subjektiven Innovationsnorm der Verhaltenskontrolle Die Einstellung zum innovativen Verhalten bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Mitarbeiter innovatives Verhalten positiv oder negativ bewertet. Sie hängt einerseits vom Wert des innovativen Verhaltens und den damit verbundenen Konsequenzen ab. Andererseits wird sie von der Erwartung der Person bestimmt, dass das innovative Verhalten zu den gewünschten Konsequenzen führt. Die subjektive Innovationsnorm beschreibt den sozialen Druck, der den Mitarbeiter dazu bewegt, innovatives Verhalten zu zeigen oder nicht zu zeigen. Hierin spiegeln sich Erwartungen des sozialen Umfeldes des Mitarbeiters im Hinblick auf das innovative Verhalten wider sowie die Bereitschaft des Mitarbeiters, diesen Erwartungen auch zu entsprechen. Subjektive Innovationsnormen entstehen durch den Einfluss von relevanten Referenzgruppen oder -personen bezüglich des innovativen Verhaltens. Die Erwartungen der Referenzgruppen bzw. -personen an den Mitarbeiter bezüglich seines
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innovativen Verhaltens beeinflussen seine subjektive Innovationsnorm. Referenzgruppen für innovatives Verhalten können beispielsweise Kollegen oder Vorgesetzte, aber auch die Familie oder Freunde und nicht zuletzt auch der Betriebsrat mit seinen Mitgliedern sein. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beschreibt das Ausmaß, in dem der Mitarbeiter es als wahrscheinlich ansieht, in der Lage zu sein, innovatives Verhalten auszuführen. Sie bestimmt sich einerseits dadurch, inwieweit sich der Mitarbeiter aufgrund seiner Fähigkeiten selbst zutraut, kreativ zu sein und innovative Ideen zu entwickeln bzw. umzusetzen. Andererseits wird sie davon beeinflusst, inwieweit der Mitarbeiter der Meinung ist, innovatives Verhalten unabhängig von seinen persönlichen Fähigkeiten z.B. aufgrund organisationaler Bedingungen überhaupt zeigen zu können. Dieses Modell des innovativen Verhaltens bietet Ansatzpunkte zur Erklärung des möglichen Einflusses des Betriebsrats auf das innovative Verhalten der Mitarbeiter. Indem durch den Betriebsrat die Einstellung des Mitarbeiters zur Innovation verbessert und seine subjektive Innovationsnorm sowie seine wahrgenommene Verhaltenskontrolle verstärkt werden, kann eine Erhöhung der Innovationsintention und schließlich ein verstärktes innovatives Verhalten des Mitarbeiters vermutet werden.
Änderung der Einstellung des Mitarbeiters zum innovativen Verhalten durch den Betriebsrat Die Einstellung des Mitarbeiters zum innovativen Verhalten kann entsprechend der Überlegungen im Modell einerseits durch die Erhöhung des Wertes der mit dem innovativen Verhalten angestrebten Ziele und Konsequenzen erreicht werden. Andererseits kann eine Erhöhung der Erwartung des Mitarbeiters, dass ein innovatives Verhalten auch tatsächlich zur Zielerreichung bzw. Erreichung der Konsequenzen beiträgt, zur Verbesserung der Einstellung zu innovativen Verhalten beitragen (Ajzen, 1991). Mitarbeiter haben also dann eine bessere Einstellung zum innovativen Verhalten, wenn damit ein für sie attraktives Ziel verbunden ist und wenn sie glauben, dass ihr eigenes innovatives Verhalten zur Erreichung dieses Ziels beiträgt. Um die Einstellung der Mitarbeiter zu innovativen Verhaltensweisen zu beeinflussen, können Betriebsräte versuchen, die Mitarbeiter vom Sinn solcher Verhaltensweisen zu überzeugen. Dazu könnten sie den Mitarbeitern den angestrebten Zielzustand verdeutlichen. Sie könnten z.B. selbst eine attraktive Vorstellung von der Zukunft des Unternehmens, d.h. eine Vision entwickeln und diese Vorstellung an die Mitarbeiter kom-
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
233
munizieren. Wenn sie es schaffen, die Mitarbeiter von dieser Vorstellung zu begeistern, sollte sich der Wert des innovativen Verhaltens für die Mitarbeiter erhöhen. Die Mitarbeiter bekommen auf diese Weise eine Vorstellung davon, zu welchem Zweck sie innovativ sein sollen und für welches Ziel es sich lohnt, Ideen zu entwickeln und Vorschläge einzureichen. Gleichzeitig könnten Betriebsräte versuchen, die Erwartungen der Mitarbeiter, dass sich ihre innovativen Bemühungen auch lohnen und tatsächlich etwas zur Erreichung des großen Ziels beitragen, zu erhöhen. Sie könnten also kommunizieren, warum das innovative Verhalten der Mitarbeiter so wichtig ist und welche Bedeutung diesem Verhalten konkret für die Erreichung des in der Vision beschriebenen Zustandes zukommt. Diese umschriebenen Handlungsmöglichkeiten für Betriebsräte werden am besten durch das in der Führungsforschung weit verbreitete Konzept der transformationalen Führung beschrieben (Felfe, 2006a; Avolio, Walumbwa & Weber, 2009). Transformationale Führung besteht – der Idee von Bass (1985) folgend – aus vier Komponenten: Vermitteln einer attraktiven Vision für das Unternehmen (inspirierende Motivierung) Vorbildliches Eintreten für diese Vision und Aufzeigen der Bedeutung bestimmter Verhaltensweisen für das Erreichen der Vision (idealisierender Einfluss) Anregen der Mitarbeiter zum Überdenken etablierter Vorgehensweisen (intellektuelle Stimulierung) Individuelle Förderung der Mitarbeiter im Hinblick auf ihre Weiterentwicklung Da Betriebsräte jedoch keine Führungskräfte sind, aber – besonders in ihrer zunehmend in der Literatur diskutierten Funktion als Co-Manager (vgl. Stracke & Nerdinger, 2010) – in Teilen die Aufgaben von Führungskräften mit übernehmen und damit bewusst und zielbezogen einen gewissen Einfluss auf die Mitarbeiter ausüben und sie so in gewisser Weise führen, soll bezüglich der Verhaltensweisen des Betriebsrats nicht von transformationaler Führung, sondern vom transformationalen Verhalten des Betriebsrats die Rede sein. Ein sich transformational verhaltender Betriebsrat würde demnach selbst eine Vision für die Zukunft des Unternehmens entwickeln und diese glaubwürdig und motiviert an die Mitarbeiter kommunizieren. Er würde weiterhin darauf hinweisen, welche Bedeutung den Mitarbeitern auf dem Wege zur Erreichung dieser Vision zukommt und was die Mitarbeiter dafür tun müssten, z.B. sich innovativ zu verhalten, und er würde selbst als Vorbild für das innovative Verhalten fungieren. Außerdem würde er die Mitarbeiter dazu anregen, die üblichen Arbeitsabläufe zu überdenken und Ideen zur Neugestaltung dieser Abläufe zu entwickeln (Pundt et al.,
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Erko Martins & Alexander Pundt
2009). So ist zu vermuten, dass ein transformationales Verhalten des Betriebsrats die Einstellung der Mitarbeiter zum innovativen Verhalten verbessern kann, da den Mitarbeitern der Wert der Zielerreichung ihres innovativen Verhaltens verdeutlicht bzw. die Wertigkeit erhöht wird und der Mitarbeiter zudem erkennt, dass sein innovatives Verhalten auch zu den anzustrebenden Zielzuständen führen kann.
Erhöhung der subjektiven Innovationsnorm des Mitarbeiters Auf der Basis von Ajzen (1991) kann vermutet werden, dass die subjektive Innovationsnorm der Mitarbeiter dadurch beeinflusst werden kann, dass eine relevante Personengruppe oder eine wichtige Person konkrete Erwartungen bezüglich des innovativen Verhaltens an die Mitarbeiter richtet. Unklar ist jedoch bislang, ob der Betriebsrat bezüglich des innovativen Verhaltens überhaupt als eine solche normative Referenzgruppe (vgl. Merton, 1959) fungieren kann und damit die subjektive Innovationsnorm der Mitarbeiter prägen kann. Bislang liegen keine empirischen Befunde oder ausgereiften theoretischen Überlegungen vor, die verdeutlichen, dass der Betriebsrat als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten der Mitarbeiter fungieren kann. Daher soll an dieser Stelle der direkte Einfluss des Betriebsrats auf die subjektive Innovationsnorm in Form der Referenzgruppe nicht thematisiert werden. Ein Konzept, das in die Betrachtungen stattdessen aufgenommen wird, da es die Entstehung subjektiver Innovationsnormen erklären kann, ist das Innovationsklima. Innovationsklima ist ein Aggregat der situationalen Gegebenheiten in einem Unternehmen mit dem Fokus auf Innovation. Es beschreibt das Ausmaß, in dem die Mitarbeiter seitens des Unternehmens dazu ermutigt und dabei unterstützt werden, neue Ideen und innovative Lösungsansätze bei der Arbeit zu entwickeln, sowie die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Organisation ihre Strukturen an veränderte Umgebungsbedingungen anpasst (Patterson et al., 2005). Innovationsklima entsteht aus der Wahrnehmung innovationsrelevanter Organisationsstrukturen sowie organisationaler Methoden und Praktiken durch die Mitarbeiter. Im Allgemeinen bildet das Organisationsklima das Wertesystem des Unternehmens ab und gibt den Mitarbeitern Orientierung darüber, was auf welche Art und Weise getan werden soll (vgl. James et al., 2008). Im Innovationsklima schlägt sich folglich nieder, inwieweit Innovationen und innovatives Verhalten seitens der Mitarbeiter im Unternehmen für wichtig bzw. unwichtig gehalten werden und ob diese erwünscht sind bzw. erwartet werden (vgl. Patterson et al., 2005).
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
235
In unserer Untersuchung haben wir uns auf einen speziellen Aspekt des Innovationsklimas gestützt: Die sogenannte konsequente Implementierung, welche beschreibt, ob neue Ideen und Lösungsansätze im Unternehmen auch tatsächlich umgesetzt werden oder ob die Mitarbeiter immer wieder mit den gleichen Problemen zu tun haben, ohne dass je ein Änderungsversuch unternommen wird, ob Fehler offen benannt werden, um dafür eine Lösung zu finden und daraus zu lernen, oder ob Fehler eher mit Schuldzuweisungen verbunden sind und daher häufig verheimlicht werden (Kauffeld et al., 2004). Da das Organisationsklima den Mitarbeitern allgemein Orientierung für die Ausrichtung ihres Handelns vermittelt, dient auch das so beschriebene Innovationsklima den Mitarbeitern als Anhaltspunkt bei der Entscheidung, ob sie sich innovativ verhalten oder eher nicht. Das Innovationsklima übt somit einen normativen Einfluss auf die Mitarbeiter aus. Ist es im Unternehmen üblich, aus Fehlern zu lernen, für auftretende Probleme neue Ideen zu entwickeln und diese auch umzusetzen, dann kommen die Mitarbeiter zu dem Schluss, dass innovatives Verhalten in der Organisation erwünscht ist und von ihnen erwartet wird. Es bildet sich somit eine subjektive Norm, sich innovativ zu verhalten.
Subjektive Verhaltenskontrolle durch aktivierendes Verhalten des Betriebsrats Die innovationsbezogene Verhaltenskontrolle kann dadurch gesteigert werden, dass der Mitarbeiter die Gelegenheit bekommt, innovative Verhaltensweisen erfolgreich auszuführen, das innovative Verhalten anderer Mitarbeiter zu beobachten sowie dadurch, dass der Mitarbeiter verbale Unterstützung bezüglich seines innovativen Verhaltens erfährt (vgl. Bandura, 1977). Hier können Betriebsräte ansetzen, indem sie z.B. dafür sorgen, dass Mitarbeiter eine innovative Handlung ausführen. Sie könnten Mitarbeiter auch ermuntern, z.B. eigene Vorschläge zu entwickeln und im betrieblichen Vorschlagswesen des Unternehmens einzureichen und ihnen die entsprechenden Gelegenheiten dazu verschaffen. Beispielsweise könnte der Betriebsrat einzelne Mitarbeiter in die Lösung von Problemen einbeziehen. Erarbeitet ein Mitarbeiter in diesem Rahmen einen guten Vorschlag zur Problemlösung, der von anderen anerkannt wird, kann er dies als Erfolg wahrnehmen und sich beim nächsten Mal mit größerer Wahrscheinlichkeit zutrauen, selbst einen Vorschlag zu machen – seine subjektive Verhaltenskontrolle kann somit gesteigert werden. Darüber hinaus kann die Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter im Sinne eines Lernens am Modell (vgl. Bandura, 1977) durch Betriebsratsaktivitäten gesteigert werden. Macht der Betriebsrat z.B. selbst viele Verbesse-
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Erko Martins & Alexander Pundt
rungsvorschläge und hat er damit Erfolg im Unternehmen, können die Mitarbeiter indirekt von seinem Verhalten lernen. Ein dritter Ansatzpunkt zur Förderung der Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter ist die verbale Unterstützung (vgl. Bandura, 1977). Indem Betriebsräte die Mitarbeiter ermuntern oder direkt auffordern, Verbesserungsvorschläge zu machen und sie dabei positiv bestärken, können Mitarbeiter eine gesteigerte Verhaltenskontrolle erleben. Diese verschiedenen Verhaltensweisen werden bei Kauffeld et al. (2004) als aktivierende Führung bezeichnet, in der vorliegenden Arbeit wurden sie im Kontext des Betriebsratshandelns als aktivierendes Verhalten des Betriebsrats konzipiert. Vermutlich beeinflusst das aktivierende Verhalten des Betriebsrats die Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter. Insgesamt ergibt sich aus diesen Ausführungen das folgende Modell des innovativen Verhaltens der Mitarbeiter mit den innovationsförderlichen Verhaltensweisen des Betriebsrats:
Mitarbeiter Transformationales Verhalten BR
Einstellung zur Innovation
Innovationsklima
Subjektive Innovationsnorm
Aktivierendes Verhalten BR
Verhaltenskontrolle
Innovationsintention
Innovatives Verhalten
Abb. 1: Modell des innovativen Mitarbeiterverhaltens mit Einfluss des Betriebsrats (BR)
3
Empirische Befunde aus dem Verbundprojekt BMInno
3.1 Studie 1: Prüfung des psychologischen Forschungsmodells Zur Prüfung des aufgestellten Forschungsmodells in Abbildung 1 wurden insgesamt 433 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Unternehmen – darunter auch die am Projekt BMInno teilnehmenden Unternehmen – befragt. Die Unternehmen waren überwiegend in der Telekommunikationsbranche, in der Energieversorgung sowie in der Metall-
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
237
und Elektrobranche tätig. Die Befragung wurde teilweise als Online-Befragung und teilweise als klassische Mitarbeiterbefragung in Papierform durchgeführt. Die Befragten waren im Alter zwischen 19 und 65 Jahren (M = 36.0 Jahre, SD = 11.3 Jahre). Die Stichprobe bestand aus 214 Frauen und 214 Männern, 5 der Befragten machten bezüglich ihres Geschlechts keine Angabe. 17.0% der Befragten hatten selbst eine Führungsposition inne, 14.9% waren selbst Mitglied im Betriebsrat. Die Größen des Forschungsmodells wurden in Anlehnung an etablierte psychologische Fragebogenskalen operationalisiert. Den Befragten stand für ihre Antworten jeweils eine fünfstufige Likertskala von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 5 („stimme voll zu“) zur Verfügung. Tabelle 1 enthält die Mittelwerte und Standardabweichungen der verwendeten Skalen. Innovatives Verhalten wurde mittels der sechs Items umfassenden Skala voice behavior (Aussprechen von Ideen) von Van Dyne und LePine (1998) erfasst. Ein Beispielitem lautet: „Ich mache Vorschläge zu Fragen, die mein Unternehmen betreffen.“ Die Innovationsintention wurde über vier angepasste Items der Skala taking charge (Verantwortung für Ideen und deren Umsetzung übernehmen) von Morrison und Phelps (1999) operationalisiert. Ein Beispielitem für diese Skala lautet: „In naher Zukunft werde ich neue und effektivere Arbeitsmethoden im Unternehmen etablieren.“ Die Einstellung zur Innovation wurde über die auf Einstellungen angepasste Version der sieben Items umfassenden Skala Eigeninitiative von Frese et al. (1997) erfasst. Ein Beispielitem lautet: „Ich finde es wichtig, dass ich Probleme aktiv angehe.“ Analog wurde die Skala von Frese et al. (1997) auch für die subjektive Innovationsnorm angepasst. Ein Beispielitem dafür lautet: „In diesem Unternehmen wird von mir erwartet, dass ich Probleme aktiv angehe.“ Die Skala zur Erfassung der subjektiven Verhaltenskontrolle setzt sich zusammen aus drei angepassten Items der Skala zum innovativen Verhalten von Martins et al. (2008) sowie aus einem angepassten Item von Klusemann (2003). Ein Beispielitem für diese Skala lautet: „Ich fühle mich in der Lage, Möglichkeiten zur Verbesserung im Unternehmen zu entdecken.“ Zur Erfassung der Verhaltensweisen des Betriebsrats wurde auf Skalen zurückgegriffen, die in anderen Untersuchungen auf Führungskräfte angewendet werden. Transformationales Verhalten des Betriebsrats wurde über eine für den Betriebsrat angepasste, 16 Items umfassende Skala zur Erfassung der transformationalen Führung operationalisiert (vgl. Felfe, 2006b). Ein Beispielitem für diese Skala lautet: „Die Leute bei uns im Betriebsrat bringen mich dazu, Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln zu be-
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Erko Martins & Alexander Pundt
trachten.“ Aktivierendes Verhalten des Betriebsrats wurde über eine angepasste Version der fünf Items umfassenden Skala aktivierende Führung nach Kauffeld et al. (2004) erfasst. Ein Beispielitem für diese Skala lautet: „Die Leute bei uns im Betriebsrat unterstützen mich, wenn ich einen Verbesserungsvorschlag habe.“ Zur Erfassung des Innovationsklimas wurde auf die Skala konsequente Implementierung aus dem Innovationsklimafragebogen von Kauffeld et al. (2004) zurückgegriffen. Ein Beispielitem für diese Skala lautet: „Wir haben immer wieder mit den gleichen Fehlern bzw. Problemen zu tun.“
Ergebnisse Die Tabelle 1 zeigt die deskriptiven Statistiken zu den im Forschungsmodell enthaltenen Modellgrößen.
M*
SD
Innovatives Verhalten
3.54
.86
.84
Innovationsintention
3.22
.88
.76
Einstellung zur Innovation
3.79
.81
.89
Subjektive Innovationsnorm
3.71
.87
.88
Verhaltenskontrolle
3.22
.60
.66
Transformationales Verhalten des Betriebsrats
2.95
.81
.95
Aktivierendes Verhalten des Betriebsrats
2.96
.93
.87
Innovationsklima
2.71
.90
.83
* Werte zwischen 1 und 5 möglich
Tab. 1: Deskriptive Statistiken zu den Modellgrößen
Das Forschungsmodell (siehe Abbildung 1) wurde mittels eines sogenannten Strukturgleichungsmodells – einem statistischen Verfahren zur Analyse komplexer Zusammenhangsvermutungen – getestet. Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse dieses Tests. Bei den dargestellten Zahlen handelt es sich um sogenannte Pfadkoeffizienten. Diese können als Maß für den jeweils dargestellten Zusammenhang interpretiert werden, d.h. je höher die Zahl ausfällt, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen zwei Modellgrößen. Je positiver also beispielsweise die Einstellung der Mitarbeiter zum innovati-
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
239
ven Verhalten ist, desto stärker ist auch ihre Innovationsintention. Alle in der Abbildung dargestellten Pfadkoeffizienten sind statistisch signifikant.
Transformationales Verhalten BR
.21
Einstellung zur Innovation
.46
.24
Subjektive Innovationsnorm
.29
.14
Verhaltenskontrolle
.54
.27
.90
Innovationsklima
Innovationsintention
.99
Innovatives Verhalten
.25 Aktivierendes Verhalten BR
2 = 3638; df = 1420; p < .01; 2/df = 2.56; CFI = .97; RMSEA = .06
Abb. 2: Ergebnisse des empirischen Modelltests (alle dargestellten Zusammenhänge sind statistisch signifikant: p < .01)
Die dargestellten Ergebnisse sprechen für die Gültigkeit des Forschungsmodells. Zum einen weisen die Ergebnisse auf die Anwendbarkeit der Theorie des geplanten Verhaltens zur Erklärung innovativer Verhaltensweisen der Mitarbeiter hin. Sowohl die Einstellungen der Mitarbeiter zum innovativen Verhalten als auch die subjektive Innovationsnorm sowie die subjektive Verhaltenskontrolle stehen in einem positiven Verhältnis zur Innovationsintention. Das bedeutet: Mitarbeiter, die innovatives Verhalten positiv bewerten, die das Gefühl haben, innovatives Verhalten werde von ihnen gefordert und die sich selbst in der Lage fühlen, innovativ zu sein, haben auch eher die Absicht, innovativ zu handeln. Diese Absicht zur Innovation wiederum steht in einem positiven Verhältnis zum tatsächlichen innovativen Verhalten, d.h. je stärker die Innovationsabsicht eines Mitarbeiters, desto wahrscheinlicher wird er sich auch innovativ verhalten. Über die Bestätigung der Theorie des geplanten Verhaltens hinaus geben die Ergebnisse dieser Studie Aufschluss über die Frage, was im Unternehmen getan werden kann und was speziell der Betriebsrat tun kann, um die Einstellungen, subjektiven Normen oder die Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter zu fördern. Hier zeigt sich, dass die Mit-
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Erko Martins & Alexander Pundt
arbeiter innovative Verhaltensweisen umso positiver bewerten, je mehr der Betriebsrat sich transformational verhält, d.h. je mehr er den Mitarbeitern einen Sinn für ihr Handeln vermittelt, sie zum innovativen Denken anregt und sich allgemein vorbildlich verhält und den Mitarbeitern die geforderten Verhaltensweisen vorlebt. Die subjektive Verhaltenskontrolle entsteht dem Modell nach als Ergebnis aktivierender und unterstützender Verhaltensweisen des Betriebsrats. Die subjektive Innovationsnorm steht erwartungsgemäß in einem positiven Verhältnis zum Innovationsklima des Unternehmens. Während die Ergebnisse dieser Studie Anhaltspunkte dafür geben, durch welche Verhaltensweisen Betriebsräte die innovationsbezogenen Einstellungen der Mitarbeiter sowie ihre subjektive Verhaltenskontrolle fördern können, kann die Frage nach der Förderung der subjektiven Innovationsnorm durch das Verhalten des Betriebsrats vorläufig noch nicht beantwortet werden. Zwar wurde im Modell mit dem Innovationsklima eine wichtige Einflussgröße für die subjektive Innovationsnorm spezifiziert, zu welcher sicher auch der Betriebsrat durch sein Verhalten beitragen kann. Zudem finden sich positive Zusammenhänge zwischen dem transformationalen bzw. dem aktivierenden Verhalten des Betriebsrats und dem Innovationsklima, was die Vermutung eines Einflusses des Betriebsrats auf das Innovationsklima untermauert. Die Frage, ob und falls ja, wie der Betriebsrat durch sein Verhalten bei den Mitarbeitern direkt eine subjektive Innovationsnorm fördern kann und auf diese Weise zu innovativem Mitarbeiterverhalten beiträgt, lässt sich anhand der Daten dieser Studie bislang jedoch nicht beantworten. Aus diesem Grund wurde eine zweite Studie durchgeführt, die an der Theorie der normativen Referenzgruppe nach Merton (1959) ansetzt und untersucht, inwieweit und wodurch der Betriebsrat als normative Referenzgruppe von Mitarbeitern für das innovative Verhalten wahrgenommen wird und auf diese Weise zur Innovationsnorm und dem innovativen Verhalten beiträgt. Diese Studie wird im folgenden Abschnitt dargestellt. 3.2 Studie 2: Betriebsrat als Referenzgruppe für innovatives Verhalten der Mitarbeiter Nach der Theorie des geplanten Verhaltens, die im Forschungsmodell (siehe Abbildung 1) auf das innovative Mitarbeiterverhalten angewendet wurde, entsteht die subjektive Innovationsnorm und in der Folge das innovative Verhalten aus den vom Mitarbeiter wahrgenommenen Erwartungen der normativen Referenzgruppe an sein innovatives Verhalten. Zur Beeinflussung der subjektiven Innovationsnorm des Mitarbei-
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
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ters ist somit einerseits entscheidend, inwieweit er das Gefühl hat, der Betriebsrat erwarte innovatives Verhalten von ihm. Erreichen kann der Betriebsrat eine solche Wahrnehmung beim Mitarbeiter, indem er beispielsweise klar und deutlich seine Erwartung äußert. Andererseits ist für die subjektive Innovationsnorm und damit das innovative Verhalten relevant, inwieweit der Betriebsrat vom Mitarbeiter als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten angesehen wird. Wodurch er zur normativen Referenzgruppe für den Mitarbeiter wird, ist bislang in der Forschung eine ungeklärte Frage. Im Projekt BMInno wurde diese Frage anhand einer empirischen Studie untersucht. In einem ersten, explorativen Teil dieser Studie wurde erkundet, ob und wodurch der Betriebsrat als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten vom Mitarbeiter wahrgenommen wird. Daraus wurden Forschungshypothesen über Zusammenhänge zwischen Merkmalen bzw. Verhaltensweisen des Betriebsrats und der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe durch den Mitarbeiter abgeleitet. Auch über die weitere Beziehung zwischen der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe und dem resultierenden innovativen Verhalten wurde eine Hypothese aufgestellt. In einem zweiten Teil der Studie wurden die aufgestellten Hypothesen geprüft. Die Ergebnisse erlauben vor allem Aussagen dazu, wodurch der Betriebsrat zur normativen Referenzgruppe für innovatives Mitarbeiterverhalten wird und somit zum innovativen Verhalten der Mitarbeiter beitragen kann. Die beiden Teilstudien werden im Folgenden dargestellt.
Explorative Teilstudie Zunächst fanden im Oktober/November 2009 qualitative Interviews mit 153 Personen (83 männlich, 69 weiblich, eine fehlende Angabe) statt. Die Befragten wurden gebeten einzuschätzen, inwieweit sie den Betriebsrat in ihrem Unternehmen als normative Referenzgruppe für das innovative Verhalten erleben (zur Beschreibung dieser Studie im Detail, auch mit konkreten Fragen des Interviewleitfadens siehe Martins & Breyer, 2010). Danach wurden sie intensiv dazu befragt, wodurch der Betriebsrat aus ihrer Sicht (nicht) zur normativen Referenzgruppe für das innovative Verhalten wurde. Die in den Interviews genannten verschiedenen Aspekte, die mögliche Bedingungen darstellten, wodurch der Betriebsrat zur normativen Referenzgruppe werden kann, wurden anschließend inhaltlich sortiert. Für die inhaltlich verschiedenen Aspekte wurden jeweils in Anlehnung an den Wortlaut der Befragten in den Interviews Fragebogenitems formuliert. 89 Items wurden auf der Basis der Aussagen entwickelt. Diese Items wurden daraufhin in einer quantitativen Fragebogenstudie verwendet, um mit Hilfe
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Erko Martins & Alexander Pundt
quantitativ-statistischer Analyseverfahren diese explorativ gewonnenen möglichen Bedingungen für die Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe weiter zu erkunden und vor allem inhaltlich auf einige wenige Aspekte zu verdichten. Befragt wurden im Dezember 2009 bis Januar 2010 403 Personen (195 männlich, 204 weiblich, 4 fehlende Angaben) aus verschiedenen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen (zu weiteren Details dieser quantitativen Studie und zum verwendeten Fragebogen siehe Martins & Breyer, 2010). Zur statistischen Analyse der möglichen Bedingungen für die Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten wurden explorative Faktorenanalysen durchgeführt. Diese Methode erlaubt es, eine Vielzahl von Variablen – hier: 89 Items – auf wenige Variablen, die so genannten Faktoren, zu reduzieren, die sich (aus statistischer Sicht) hinter den vielen einzelnen Variablen verbergen. 18 solcher Faktoren wurden mit Hilfe dieser Methode herauskristallisiert, wie z.B. „Betriebsrat ist Promotor für Innovationen“, „Betriebsrat ist Mentor für Mitarbeiter bezüglich ihres persönlichen innovativen Verhaltens“, „Betriebsrat ist zuständig für Innovationen“ oder „Einfluss des Betriebsrats im Unternehmen“ (alle ermittelten Faktoren sind in der Tabelle 2 aufgeführt). Entsprechend wurde eine Reihe von Hypothesen formuliert über die Bedingungen der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe, wie z.B. „Je stärker der Betriebsrat als Promotor für Innovationen im Unternehmen auftritt, desto mehr wird er als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten durch die Mitarbeiter wahrgenommen.“ Bislang wurde beleuchtet, wodurch der Betriebsrat vermutlich zur normativen Referenzgruppe für die Mitarbeiter bezüglich ihres innovativen Verhaltens wird. Der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung des Betriebsrats als Referenzgruppe und dem gezeigten innovativen Verhalten der Mitarbeiter wurde noch nicht betrachtet. Aus der Theorie des geplanten Verhaltens ist hierzu zu vermuten, dass nicht allein die Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe ausschlaggebend für das daraus folgende innovative Verhalten der Mitarbeiter ist. Die Theorie postuliert, dass die vom Mitarbeiter wahrgenommenen Erwartungen der normativen Referenzgruppe die subjektive Verhaltensnorm und in der Folge das Verhalten bestimmen (vgl. Ajzen, 1991). Inwieweit aus einer stärkeren Erwartung, die der Betriebsrat z.B. gegenüber dem Mitarbeiter bezüglich innovativer Aktivitäten äußert, tatsächlich mehr innovatives Verhalten des Mitarbeiters resultiert, hängt somit davon ab, inwieweit der Betriebsrat auch als normative Referenzgruppe angesehen wird. Ist er keine oder nur sehr geringfügig eine Referenzgruppe für die Mitarbeiter bezüglich ihres innovativen Verhaltens, führt eine stärkere Erwartung des Betriebsrats nicht zu einer Erhöhung des innovativen
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
243
Verhaltens. Wird er jedoch als Referenzgruppe von den Mitarbeitern angesehen, ist aus der gesteigerten Erwartung des Betriebsrats an die Mitarbeiter auch eine Erhöhung des innovativen Verhaltens der Mitarbeiter zu erwarten. Zwischen den Erwartungen des Betriebsrats und seiner Wahrnehmung als normative Referenzgruppe vermuten wir somit eine Interaktionsbeziehung im Hinblick auf die Entstehung des innovativen Verhaltens, die in Abbildung 3 veranschaulicht wird:
Wahrnehmung des BR als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten
Erwartungen des BR an Mitarbeiter, innovatives Verhalten zu zeigen
Innovatives Verhalten
Abb. 3: Die Wirkung des Betriebsrats (BR) als normative Referenzgruppe
Die aufgestellten Hypothesen wurden anschließend in der nachfolgend beschriebenen Teilstudie geprüft.
Hypothesen prüfende Teilstudie Die Hypothesenprüfung erfolgte mit Hilfe der bereits beschriebenen quantitativen Fragebogenstudie mit 403 Befragten. Zusätzlich zu den beschriebenen 89 Items über Bedingungen zur Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe wurde im Fragebogen Folgendes abgefragt: Stärke der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe Erwartung des Betriebsrats an die Mitarbeiter, innovatives Verhalten zu zeigen Stärke des innovativen Verhaltens der Mitarbeiter Zur Erfassung der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe wurde die Frage verwendet: „Wenn es um Ihr persönliches innovatives Verhalten geht: Wie stark orientieren Sie sich dabei am Betriebsrat?“ (Antwortmöglichkeiten von „0 = überhaupt nicht“ bis „8 = sehr stark“).
244
Erko Martins & Alexander Pundt
Die Erwartung des Betriebsrats an die Mitarbeiter, innovatives Verhalten zu zeigen, wurde operationalisiert durch eine Skala mit drei Items: „Der Betriebsrat gibt vor, wie innovativ wir sein sollen“, „Er fordert uns auf, innovativ zu sein“ und „Der Betriebsrat erwartet von mir, dass ich innovatives Verhalten zeige“ (Antwortmöglichkeiten: „0 = stimme überhaupt nicht zu“ bis „4 = stimme voll und ganz zu“). Diese drei Items bildeten in der weiter oben beschriebenen explorativen Faktorenanalyse einen eigenen Faktor. Da diese Items deutlich die Erwartungen der normativen Referenzgruppe darstellen und daher neben der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe zur Entstehung der subjektiven Verhaltensnorm und damit des innovativen Verhaltens wichtig sind, wurden sie – anders als die übrigen identifizierten Faktoren in der Faktorenanalyse – nicht als Bedingungsfaktoren für die Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe betrachtet. Die ermittelte Skala aus diesen drei Items lieferte ausreichende psychometrische Eigenschaften (u.a. Cronbachs Alpha von .77, M = 1.39, SD = .89). Die Stärke des innovativen Verhaltens wurde mit Hilfe einer Skala aus elf Items gemessen, die sowohl das Ideenpotenzial (Beispielitem: „Ich habe gute Ideen, die für das Unternehmen nützlich sein könnten.“), Voice Behavior (Beispielitem: „Probleme im Unternehmen spreche ich offen an.“) als auch Taking Charge (Beispielitem: „Ich suche aktiv nach Möglichkeiten, gute Ideen im Unternehmen umzusetzen.“) enthielt (Antwortmöglichkeiten jeweils: „0 = stimme überhaupt nicht zu“ bis „4 = stimme voll und ganz zu“; zu diesen einzelnen Skalen siehe Martins et al., 2008). Diese Skala erwies sich als eindimensional und zeigte gute psychometrische Eigenschaften (Cronbachs Alpha von .92, M = 2.34, SD = .79) und wurde daher ohne weitere Beachtung der drei Facetten des innovativen Verhaltens im Sinne einer globalen Verhaltensweise verwendet.
Ergebnisse Die Prüfung der aufgestellten Hypothesen zur Frage, wodurch der Betriebsrat als normative Referenzgruppe wahrgenommen wird, erfolgte durch bivariate Korrelationsanalysen. Zwischen den 18 Bedingungsfaktoren, die subjektiv von den Befragten eingeschätzt wurden und nicht unbedingt der objektiven Realität entsprechen müssen, und der Wahrnehmung des Betriebsrats als normativer Referenzgruppe zeigen sich signifikante Zusammenhänge (siehe Tabelle 2). Die entsprechenden Hypothesen können damit bestätigt werden. Kein signifikanter Zusammenhang zeigt sich lediglich für den
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
245
Bedingungsfaktor „Beeinflussung des Betriebsrats durch die Gewerkschaft“ (r = -.07, p > .05) – die zugehörige Hypothese war hiernach abzulehnen.
r
p
Betriebsrat ist Mentor für Mitarbeiter bezüglich ihres persönlichen innovativen Verhaltens
.76
.00
Betriebsrat ist Promotor für Innovationen im Unternehmen
.62
.00
Betriebsrat ist guter Mitarbeitervertreter
.59
.00
Mitarbeiter hat mit Betriebsrat nichts zu tun
-.51
.00
Betriebsrat interagiert aktiv mit Mitarbeiter
.50
.00
wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Mitarbeiter und Betriebsrat
.47
.00
Betriebsrat setzt sich für Mitarbeiterinteressen ein
.42
.00
Betriebsrat ist für Mitarbeiter auf Abruf bereit
.40
.00
Nähe zum Betriebsrat
.39
.00
Einfluss des Betriebsrat im Unternehmen
-.37
.00
Betriebsrat repräsentiert die Belegschaft
.35
00
Betriebsrat ist zuständig für Innovationen
.34
.00
Betriebsrat legt im Unternehmen Regeln fest
.28
.00
Betriebsrat hat guten Kontakt zur Geschäftsführung
.25
.00
Betriebsrat ist bürokratisch
-.21
.00
Betriebsrat kommuniziert per E-Mail mit Mitarbeitern
.12
.02
Betriebsrat ist nicht zuständig für den einzelnen Mitarbeiter
-.10
.05
Bedingungsfaktor
Tab. 2: Korrelationen mit der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe
Mit Hilfe dieser bivariaten Korrelationsanalysen ist nicht auszuschließen, dass verschiedene unberücksichtigte Drittvariablen einen Einfluss auf die untersuchten bivariaten Zusammenhänge hatten und die ermittelte Korrelation möglicherweise verzerrt haben. Darüber hinaus weisen zum Teil erhebliche und signifikante Interkorrelationen zwischen den verschiedenen Bedingungsfaktoren darauf hin, dass möglicherweise bestimmte Faktoren als bedeutsam und andere vergleichsweise redundant zur Erklärung der Wahrnehmung des Betriebsrats als Referenzgruppe sind. Zur Berück-
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Erko Martins & Alexander Pundt
sichtigung dieser beiden Aspekte wurde eine Regressionsanalyse durchgeführt, in der Kontrollvariablen wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und die Mitgliedschaft des Befragten im Betriebsrat und alle 18 betrachteten Bedingungsfaktoren zugleich als Prädiktoren aufgenommen wurden, die die Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe (Kriterium) erklären sollten. In dieser Regression zeigt sich, dass lediglich die fünf Bedingungsfaktoren „Betriebsrat ist Promotor für Innovationen im Unternehmen“, „Betriebsrat ist Mentor für Mitarbeiter bezüglich ihres persönlichen innovativen Verhaltens“, „Einfluss des Betriebsrats im Unternehmen“, „Betriebsrat ist zuständig für Innovationen“ sowie „Beeinflussung des Betriebsrats durch die Gewerkschaft“ einen von den übrigen Bedingungsfaktoren und den Kontrollvariablen unabhängigen signifikanten Einfluss zur Erklärung der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe haben. Die übrigen Bedingungsfaktoren erweisen sich als vergleichsweise redundant. Zur Prüfung der Hypothese über die Interaktionsbeziehung zwischen den Erwartungen des Betriebsrats an die Mitarbeiter und der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe bezüglich der Entstehung des innovativen Verhaltens wurde eine weitere, moderierte hierarchische Regressionsanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese über die Interaktionsbeziehung (Interaktionsterm mit = .31 und p < .05 signifikant). Das bedeutet, dass der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung des Betriebsrats als normative Referenzgruppe und innovativem Verhalten in seiner Stärke tatsächlich durch die geäußerten Erwartungen des Betriebsrats signifikant beeinflusst wird. Die folgende Abbildung 4 verdeutlicht diesen Interaktionseffekt.
Abb. 4: Interaktionseffekt
Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
247
Hiernach ist für den Fall, dass der Betriebsrat für die Mitarbeiter keine normative Referenzgruppe darstellt, die vom Betriebsrat geäußerte Erwartung an die Mitarbeiter, sich innovativ zu verhalten, nicht relevant für die Stärke des gezeigten innovativen Verhaltens: Sowohl bei geringen Erwartungen als auch bei hohen Erwartungen zeigt sich ein gleiches Niveau des innovativen Verhaltens. Ist er allerdings eine starke normative Referenzgruppe für die Mitarbeiter, spielt die geäußerte Erwartung eine Rolle: Sind seine Erwartungen an die Mitarbeiter, innovatives Verhalten zu zeigen, gering, verhalten die Mitarbeiter sich weniger innovativ, sind die Erwartungen hoch, ist auch das innovative Verhalten der Mitarbeiter vergleichsweise hoch. Diese Studie belegt, dass es für das innovative Mitarbeiterverhalten eine Rolle spielt, inwieweit der Betriebsrat als normative Referenzgruppe wahrgenommen wird und welche Erwartungen er – sofern er normative Referenzgruppe ist – bezüglich des innovativen Verhaltens äußert. Der Betriebsrat kann also – beispielsweise entsprechend den oben untersuchten Bedingungsfaktoren – zur normativen Referenzgruppe für innovatives Verhalten werden und in diesem Falle das innovative Verhalten durch stärkere Erwartungen an die Mitarbeiter, sich innovativ zu verhalten, fördern. Die Abbildung 4 verdeutlicht aber auch, dass das innovative Verhalten der Mitarbeiter höher ist (sogar signifikant höher), wenn der Betriebsrat kaum bzw. nicht als normative Referenzgruppe für innovatives Verhalten wahrgenommen wird im Vergleich zum Fall, dass er eine starke Referenzgruppe für die Mitarbeiter darstellt. Wodurch dieser Befund zustande kommt, kann anhand dieser Studie nicht geklärt werden. Möglicherweise sind im Falle, dass der Betriebsrat keine Referenzgruppe für innovatives Verhalten ist, andere Referenzgruppen für den Mitarbeiter relevant, die viel stärker als der Betriebsrat Erwartungen an den Mitarbeiter bezüglich seines innovativen Verhaltens herantragen. Das kann z.B. durch den direkten Vorgesetzten geschehen, der den Mitarbeiter direkt auffordert, sich innovativ zu verhalten. Verbindet er vermittels seiner Positionsmacht diese Anordnung noch mit entsprechenden positiven oder negativen Konsequenzen, die aus dem innovativen Verhalten für den Mitarbeiter resultieren werden, können die subjektive Innovationsnorm und das gezeigte innovative Mitarbeiterverhalten stärker auftreten. Andererseits ist es denkbar, dass verschiedene Einflussgrößen die Entstehung des innovativen Verhaltens moderieren, die in ihrer Wirkung besonders davon abhängig sind, ob das zu zeigende innovative Verhalten der Mitarbeiter durch den Betriebsrat initiiert wurde oder durch andere Referenzgruppen, wie z.B. die Geschäftsführung oder Kollegen.
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Erko Martins & Alexander Pundt
Diskussion und Implikationen für die Forschung und Praxis
Aus den theoretischen Überlegungen und den Ergebnissen der vorgestellten Studien wird deutlich, dass der Betriebsrat auf das innovative Verhalten der Mitarbeiter Einfluss nehmen kann. Dabei steht nicht – wie es bislang in der Literatur überwiegend diskutiert wurde – im Vordergrund, dass er mögliche Widerstände der Mitarbeiter gegenüber Innovationsprozessen im Unternehmen abbaut und damit zur Innovativität von Unternehmen beiträgt. Vielmehr kann er das aktive innovative Verhalten der Mitarbeiter fördern. Unsere Studien liefern verschiedene Ansatzpunkte, wie der Betriebsrat das erreichen kann. Zum einen kann er durch transformationales Verhalten das innovative Mitarbeiterverhalten initiieren bzw. verstärken. Beispielweise könnte er bezüglich unternehmerischer Innovationsinitiativen mit gutem Beispiel vorangehen und selbst innovative Ideen erarbeiten und im Unternehmen einbringen. Er kann zudem Visionen für das Unternehmen entwickeln und den Mitarbeitern die Bedeutung ihres innovativen Verhaltens zur Erreichung dieser Vision vermitteln. Er kann auch Mitarbeiter direkt dazu anregen, sich innovativ zu verhalten, indem er sie z.B. zu innovativem Verhalten auffordert oder sie anregt, vorhandene Produkte und Prozesse des Unternehmens neu zu überdenken, Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und einzubringen. Der Betriebsrat kann auch durch aktivierendes Verhalten das innovative Verhalten der Mitarbeiter fördern. Hier könnte er den Mitarbeitern beispielsweise helfen, ihre Ideen zur Verbesserung oder Erneuerung im Unternehmen zu konkretisieren bzw. auszuarbeiten, sie an geeigneter Stelle zu kommunizieren oder in das betriebliche Vorschlagswesen einzubringen. Er kann die Mitarbeiter in betriebliche Prozesse oder auch in seine eigene Arbeit stärker einbinden, damit sie Verbesserungs- bzw. Veränderungsmöglichkeiten erkennen und Ideen dazu entwickeln können. Darüber hinaus kann er die Mitarbeiter ermutigen, aktiv innovative Ideen zu erarbeiten und im Unternehmen einzubringen. Hier könnte er z.B. die Mitarbeiter auf mögliche Prämien, die im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens für Ideen gezahlt werden, hinweisen. Weiterhin kann der Betriebsrat auch als normative Referenzgruppe fungieren und damit den Mitarbeitern Orientierung bezüglich ihres innovativen Verhaltens geben. In der Wahrnehmung der Mitarbeiter kann er zur Referenzgruppe werden, wenn er als Mentor für die Mitarbeiter und deren innovatives Verhalten auftritt. Er kann hier beispielsweise die Mitarbeiter bei der Erarbeitung bzw. Konkretisierung innovativer Ideen unterstützen. Außerdem kann er zur Referenzgruppe werden, wenn er als Promotor für Innovationen im Unternehmen wahrgenommen wird. Das könnte er bei-
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spielsweise erreichen, indem er sich für die Umsetzung innovativer Ideen im Unternehmen nachhaltig und für die Mitarbeiter deutlich sichtbar einsetzt, für Innovationen im Unternehmen ausspricht und gegen unternehmerische Bestrebungen, die Innovationen bremsen wollen oder könnten, aktiv vorgeht. Darüber hinaus kann er zur Referenzgruppe werden, wenn er gegenüber den Mitarbeitern seine Zuständigkeit für Innovationen im Unternehmen verdeutlicht, z.B. indem er die Position des Verantwortlichen für das betriebliche Vorschlagswesen übernimmt oder durch personelle Beteiligung an Gremien, die die Innovationen im Unternehmen vorantreiben sollen. Zudem sollte er, um zur Referenzgruppe für innovatives Verhalten in der Wahrnehmung der Mitarbeiter zu werden, gegenüber den Mitarbeitern eine gewisse Unabhängigkeit von den Gewerkschaften signalisieren. Die Wahrnehmung des Betriebsrats als Referenzgruppe durch die Mitarbeiter allein ist jedoch noch nicht innovationsförderlich. Wird er von den Mitarbeitern so erlebt, sollte er gegenüber den Mitarbeitern klar und deutlich äußern, dass er von ihnen innovatives Verhalten im Unternehmen erwartet. Aus den beschriebenen Studien im Projekt BMInno ergeben sich auch Ansatzpunkte für die weitere Forschung, die hier nur beispielhaft skizziert werden sollen. In erster Linie sind die in den Modellen und Hypothesen formulierten Kausalbeziehungen zu prüfen, was die vorliegenden empirischen Studien aufgrund ihrer Querschnittdesigns nicht möglich machten. Darüber hinaus ist zu untersuchen, inwieweit die gezeigten Zusammenhänge von bestimmten Bedingungen, wie z.B. der Art oder Branche des Unternehmens, der Zusammensetzung der Belegschaft oder externen Einflüssen, abhängig sind. Auch sollte, insbesondere mit Blick auf den empirischen Befund, wonach sich ein stärker ausgeprägtes innovatives Verhalten der Mitarbeiter zeigt, wenn die Mitarbeiter den Betriebsrat nicht bzw. kaum als Referenzgruppe ansehen, die Rolle anderer Referenzgruppen im Zusammenspiel mit dem Betriebsrat beleuchtet werden. Diese Erkenntnisse könnten helfen, den relativen Einfluss des Betriebsrats auf das innovative Mitarbeiterverhalten noch besser zu verstehen und gezielt Maßnahmen im Unternehmen zu ergreifen, diesen Einfluss optimal zu gestalten und zur Förderung der Innovativität des Unternehmens nutzbar zu machen.
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Erko Martins & Alexander Pundt
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Einfluss von Betriebsräten auf das innovative Verhalten von Mitarbeitern
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Innovatives Verhalten – Ein Geben und Nehmen? Eine Studie zum innovationsbezogenen Austausch zwischen Mitarbeitern und Unternehmen Susanne Curth & Tina Breyer
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Innovatives Verhalten durch Tausch?
Innovatives Verhalten von Mitarbeitern äußert sich nach Rank, Pace und Frese (2004) in Kreativität, in der Kommunikation von Innovationsideen sowie in der aktiven Mitwirkung bei der Umsetzung dieser Ideen. Sowohl Theorie als auch Praxis beschäftigen sich bereits seit Jahren mit der Frage nach den Bedingungen für die Generierung innovativen Verhaltens (siehe z.B. Anderson, De Dreu & Nijstad, 2004; Maier et al., 2007; Shalley, Zhou & Oldham, 2004). Innovationsfreundliche Bedingungen im Unternehmen zu schaffen, wird dabei überwiegend als Aufgabe der Führungskräfte angesehen (Detert & Burris, 2007; Pundt & Schyns, 2005). Dementsprechend lag der Fokus der Forschung bislang auf der Bedeutung des Managements und der Rolle der Mitarbeiter für die Förderung von Innovation und Kreativität im Unternehmen (Gebert, 2002). Die Rolle der Mitarbeiter ist hierbei nicht selten darauf beschränkt, vom Management angestoßene Innovationen nicht zu blockieren statt eigeninitiativ innovativ tätig zu werden. Was die Unternehmensseite konkret dazu beitragen kann, um die Mitarbeiter zu selbstständigem innovativen Verhalten zu motivieren, und was sie hierfür im Gegenzug von den Arbeitnehmern erwarten kann, wurde im Rahmen einer qualitativen, explorativ angelegten Studie im Rahmen des Verbundprojektes BMInno im Jahre 2009 untersucht (Breyer et al., 2010). In der Studie wurde der betriebliche Innovationsprozess als ein Tauschhandel zwischen dem Unternehmen auf der einen und seinen Mitarbeitern auf der anderen Seite betrachtet. Im Sinne der Austauschtheorie führt ein derartiges Geben und Nehmen im Idealfall zu einer Win-Win-Situation (Homans, 1972), wenn die jeweils eingebrachten Beiträge von beiden Tauschpartnern als kostenmäßig äquivalent wahrgenommen werden (Arránz Becker, 2008). Hierbei wird unter dem Begriff „Beiträge“ der beteiligten Parteien ein Beisteuern von Sachen (u.a. Geld, Arbeitsaufwand) bzw. die Beteiligung an etwas verstanden. Foa und Foa (1974) sprechen in diesem Zusammenhang auch von Ressourcen: “a ‘resource’ is any commodity – concrete or symbolic – which is transmitted through interpersonal behaviour” (Foa & Foa, 1974; S. 36).
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Susanne Curth & Tina Breyer
Erste empirische Hinweise darauf, dass innovatives Verhalten der Mitarbeiter durch den Austausch zwischen Mitarbeiter und Organisation erklärt werden kann, liefern Pundt, Martins und Nerdinger (2010). Hierbei stützen sich die Autoren auf die „organizational support theory“ (Eisenberger et al., 1986), welche postuliert, dass sich Mitarbeiter im Sinne der Reziprozitätsnorm (Blau, 1964; Gouldner, 1960) für die Belange der Organisation verantwortlich zeigen, wenn sie von der Organisation Wertschätzung und Unterstützung erfahren. Die wahrgenommene Unterstützung („perceived organizational support“) kann dabei entweder direkt durch die Organisation oder indirekt über das Verhalten ihrer Repräsentanten (wie z.B. Vorgesetzten) erzeugt werden (Levinson, 1965; Rhoades & Eisenberger, 2001). Pundt, Martins und Nerdinger (2010) können empirisch aufzeigen, dass die Bereitstellung innovationsbezogener Ressourcen seitens des Arbeitgebers von den Mitarbeitern als organisationale Unterstützung wahrgenommen wird, welche in ein globales Gefühl der Verpflichtung mündet. Diese Verpflichtung kann sich wiederum in innovativem Verhalten der Mitarbeiter äußern. Auch wenn die Studie erste Ansatzpunkte für die Existenz eines innovationsbezogenen Austausches zwischen Unternehmen und Mitarbeitern liefert, lässt sie einige Fragen offen. Einerseits beleuchtet die Untersuchung mit dem „voice behavior“1 nur eine Facette des innovativen Verhaltens von Mitarbeitern. Andererseits werden verschiedene Aspekte von Unternehmensbeiträgen zu einer eindimensionalen Skala zusammengefasst, wodurch ein differenzierter Blick auf mögliche Tauschelemente verloren geht. Zudem sind unterschiedliche Beiträge in den Tauschprozessen nicht ohne Weiteres vergleichbar und mehr oder weniger individuell von einer subjektiven Wertigkeit geprägt (Foa & Foa, 1974). Demzufolge bleibt offen, welche Beiträge die Tauschpartner im Unternehmensumfeld konkret einzubringen bereit sind. Weiterhin stellen sich Fragen nach der subjektiven Bedeutung eines solchen innovationsbezogenen Tauschprozesses zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern und nach den Umständen unter denen ein Tauschprozess zustande kommt. Nur wenn beiden Parteien die Idee der Reziprozität einer derartigen Austauschbeziehung bewusst ist und diese als sinnvoll bzw. nützlich erachtet wird, besteht der Anreiz, einen solchen Tausch einzugehen (Gouldner, 1960). Zudem können unter den Tauschpartnern unter-
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Unter „voice behavior“ ist die Kommunikation von Innovationsideen zu verstehen (Pundt et al., 2009). Dabei wenden sich Mitarbeiter mit von ihnen entwickelten Ideen und Verbesserungsvorschlägen an bestimmte Ansprechpartner und legen somit den Grundstein für Innovationsprozesse im Unternehmen.
Innovatives Verhalten – Ein Geben und Nehmen?
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schiedliche Ansichten über ein faires Input-Output-Verhältnis existieren (Adams, 1965). Folglich scheint es von Bedeutung zu erfahren, für welche Kombinationen konkreter Objekte ein Austausch als ausgeglichen angesehen wird. Einen Ansatzpunkt für die Frage nach äquivalent empfundenen Tauschobjekten liefert die Ressourcentheorie von Foa und Foa (1974). Hiernach können Tauschobjekte an Hand ihrer Personengebundenheit (Partikularität) und ihrer Gegenständlichkeit (Konkretheit) in sechs Klassen von Ressourcen eingeteilt werden. In Analogie zu den Überlegungen von Foa und Foa ist zu hinterfragen, ob eine derartige Zuordnung auch für Tauschbeiträge eines innovationsbezogenen Tauschprozesses zwischen Mitarbeitern und dem Unternehmen existiert und welcher Austausch zwischen welchen Ressourcen am wahrscheinlichsten erscheint. Bis dato wurden keine Studien publiziert, die einen interorganisationalen und innovationsbezogenen Tausch mit Bezug auf die Ressourcentheorie nach Foa und Foa beleuchten und Vermutungen über mögliche Tauschkonstellationen zulassen. Vor dem Hintergrund dieser Forschungsdefizite ist es das Ziel der Forschungsarbeiten, anhand einer qualitativen Studie einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis eines derartigen Tauschhandels in Bezug auf innovatives Verhalten in Unternehmen zu leisten. Unabhängig von anderen Unternehmenspraktiken – wie z.B. Vereinbarungen zum Thema Innovation im Rahmen von Ergänzungstarifverträgen – sollen durch die Anwendung und Weiterentwicklung bestehender Theorien des sozialen Austausches konkrete Ansätze gefunden werden, wie innovatives Verhalten in Unternehmen initiiert und gefördert werden kann. Auf Basis der angeführten theoretischen Überlegungen und der genannten empirischen Befunde lässt sich die zentrale Problemstellung der durchgeführten Studie in drei inhaltlichen Forschungsschwerpunkten konkretisieren: Welche Beiträge können Mitarbeiter in Form innovativen Verhaltens in den Tauschprozess einbringen? Was bietet die Organisation den Mitarbeitern für deren innovatives Verhalten? Welche Bedeutung hat der beidseitige Tausch für die Parteien im Unternehmen? 2
Anlage und Ablauf der Untersuchung
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojektes BMInno teilstandardisierte Interviews auf der Basis eines Interviewleitfadens zu Innovationsprojekten in Unternehmen der Metall- und Elektroin-
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dustrie durchgeführt. Bei unterschiedlichen Akteursgruppen im Unternehmen lassen sich auch verschiedene Blickwinkel vermuten, so dass im Sinne einer Triangulation von Perspektiven (vgl. dazu Flick, 2008) für Betriebsräte, Führungskräfte, Innovationsmanager und Mitarbeiter jeweils leicht abgewandelte Leitfäden entwickelt wurden. Die Interviewleitfäden enthielten u.a. Fragen zum Thema „Innovation als Austauschprozess zwischen Mitarbeitern und Unternehmen.“ Der erste Teil dieses für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Interviewteils bezog sich auf die von den Mitarbeitern eingebrachten Ressourcen. Hier sollte also erfragt werden, welche konkreten Verhaltensweisen von Seiten der Mitarbeiter bzw. welche Ressourcen in den innovationsbezogenen Tausch eingebracht werden. Der zweite Teil zielte auf die Beiträge, die das Unternehmen in den innovationsbezogenen Tausch einbringt. Hier sollte erfragt werden, was das Unternehmen für die innovationsbezogenen Ressourcen der Mitarbeiter bietet. Der dritte Teil der Fragen zum innovationsbezogenen Austausch bezog sich auf die Bedeutung, die die Befragten einem ausgeglichenen Austauschverhältnis beimessen. Hier wurde erfragt, wie wichtig ein ausgeglichener innovationsbezogener Austausch ist und was sich ändern würde, wenn dieser Austausch nicht zustande käme. Insgesamt wurden 29 teilstandardisierte Interviews durchgeführt, die jeweils zwischen ca. 60 und 120 Minuten dauerten. Die Interviewpartner stammten aus sechs verschiedenen Unternehmen aus der Metall- und Elektrobranche, waren durchschnittlich 48 Jahre alt und im Durchschnitt seit 21 Jahren im Unternehmen tätig. Unter den Interviewpartnern waren acht Betriebsräte, elf Führungskräfte, drei Innovationsmanager, zwei Personaler und fünf Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Insgesamt wurden eine Frau und 28 Männer befragt. 3
Ergebnisse der Interviewstudie
3.1 Was bringen die Mitarbeiter in den Tausch ein? Im Rahmen einer inhaltsanalytischen Auswertung der Interviews wurden Kategorien gebildet, die sich grob in direkte und indirekte Beiträge gliedern lassen. Unter direkte Beiträge sind all jene Aussagen zu subsumieren, die von einer Partei – hier den Mitarbeitern – gezielt und willkürlich der anderen Partei zur Verfügung gestellt werden können. Indirekte Beiträge sind solche Beiträge, die nicht willentlich in einer konkret beeinflussbaren Ausprägung in einer bestimmten Situation von einem Tauschpartner zum anderen weitergegeben werden können. Dieser Untergliederung folgend, wurden
Innovatives Verhalten – Ein Geben und Nehmen?
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die nachstehenden direkten Beiträge bzw. Kategorien im innovationsbezogenen Austausch identifiziert: kognitive Leistungen, materielle und immaterielle Beiträge bzw. der Verzicht darauf und Feedback geben. Tabelle 1 stellt diese Kategorien dar und gibt an, in wie vielen der Interviews die jeweilige Kategorie genannt wurde.
Kategorie Kognitive Leistungen (Mitdenken/Ideen anstoßen/Ideen einbringen)
Anzahl Interviews 12
Materieller/immaterieller Verzicht
6
Materieller Beitrag
2
Feedback geben
4
Tab. 1: Direkte Tauschbeiträge der Mitarbeiter (Breyer et al., 2010; S.9)
In zwölf der Interviews wurden Aspekte genannt, die sich zur Kategorie kognitive Leistungen des Mitarbeiters zusammenfassen ließen. Diese scheinen somit einen wesentlichen Teil von Mitarbeiterbeiträgen auszumachen. Hierzu zählen neben dem „Mitdenken“ auch das aktive Einbringen von Ideen („Ideen produzieren“). Ersteres findet sich in Aussagen wie „sich Sachen überlegen“, „zu Hause mal nachgrübeln“, die „Mitarbeiter gucken sich Sachen an“ oder „Nachdenken“ wieder, wobei sich der Mitarbeiter hier eher Gedanken um ein bestehendes Problem macht, als selbst neue Ideen oder Denkanstöße zu generieren. Im Sinne von Ideenproduktion sollen demgegenüber Verhaltensweisen wie „Ideen suchen“, „Ideen auf einen Zettel“ oder „Kommt auf Ideen und sagt, dass man das ja eigentlich anders machen könnte“ unter dem Oberbegriff Ideen haben kategorisiert werden. Während hierbei die verbale oder schriftliche Äußerung dieser Vorschläge seitens der Mitarbeiter außen vor bleibt, findet diese Art des Beitrages darüber hinaus seine Erweiterung im aktiven Einbringen von Ideen. Hierunter fallen alle im Interview genannten Aspekte wie u.a. das Äußern von „Vorschlägen“ bzw. „Verbesserungsvorschlägen“, „trägt die Idee am nächsten Tag in die Firma“, „bringt sogar selbst Lösungsvorschläge“, „erklärt, das wäre vielleicht noch effektiver“ oder „bringt seine Ideen ein“ – also all jene Aussagen, die sich sinngemäß auf das „voice behavior“ (Pundt et al., 2009) der Mitarbeiter beziehen. Feedback geben wurde ebenfalls als Kategorie von Mitarbeiterbeiträgen aus zwei Interviews extrahiert. Hierunter ist eine Rückmeldung von Informationen des Mitarbeiters an seinen Arbeitsgeber zu verstehen. Dazu zählen Verhaltensaspekte wie: der Mitarbeiter „stößt Diskussionen an“, äußert „sachliche Kritik“, gibt „Rückmeldungen (...),
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Susanne Curth & Tina Breyer
dass man Dinge anders machen kann“ oder „Rückmeldung (...), dass sich da was verändert.“ Das Feedback ähnelt dem „voice behavior“, das zuvor den kognitiven Leistungen zugeordnet wurde, da sich die Mitarbeiter mit ihren Meinungen zu bestimmten Sachverhalten an zuständige Stellen wenden. Durch das Verkünden der eigenen Gedanken können Innovationsprozesse angestoßen werden, auch wenn es sich beispielsweise bei der Äußerung von sachlicher Kritik nicht zwangsläufig um konkrete Verbesserungsvorschläge handeln muss. So gesehen bilden die kognitiven Leistungen zusammen mit dem Feedback geben das eigentliche innovative Verhalten der Mitarbeiter. Überraschend wies eine Vielzahl von Kodiereinheiten auf Mitarbeiterbeiträge mit finanziellen Aspekten hin, obwohl Antworten zu den gefragten innovativen Verhaltensweisen zu erwarten waren. In sechs Interviews war die Rede von materiellem und immateriellem Verzicht. Während der materielle Verzicht hierbei die Entbehrung von Gehalt (z.B. in Form von „Weihnachtsgeld“) beinhaltet, wird unter immateriellen Verzicht nicht vergütete Arbeitszeit (u.a. „Zeitaufwand“, „[zusätzliche; Anmerkung der Verfasser] Stunden im Betrieb“, „Zeit einbringen“) verstanden. „Eher im Gegenteil, er [der Mitarbeiter; Anmerkung der Verfasser] hat ja Geld geben müssen oder Zeit wie man will oder Weihnachtsgeld und zusätzlich muss er das auch noch machen und er hat im Prinzip ja nichts zurückgekriegt“ [Betriebsratsmitglied]. Darüber hinaus waren in zwei Interviews Hinweise auf das Einbringen von Geld in das Unternehmen zu finden (u.a. „Geld geben“), die in der Kategorie materieller Beitrag zusammengefasst wurden. Diese Beiträge mit finanziellem Aspekt scheinen einen neuen, wenn auch unerwarteten Gedanken zu beinhalten, der auf den ersten Blick nichts mit dem zuvor beschriebenen innovativen Verhalten zu tun hat. Statt durch neuartige Gedanken und Ideen werden durch materielle Beiträge Innovationen eher gefördert und von den Mitarbeitern finanziell mitgetragen als selbstständig initiiert. Da diese neue Idee allerdings in insgesamt acht Interviews vorkam und somit den am zweithäufigsten angesprochenen direkten Mitarbeiterbeitrag darstellt, scheint das finanzielle Einbringen durch Verzicht (z.B auf Geld oder die Bezahlung von zusätzlicher Arbeit in der Freizeit) oder durch ein tatsächliches Einbringen von Geld (Geld geben) für die Befragten ein bedeutender Punkt in Verbindung mit innovativem Verhalten zu sein. Im Zuge der Kategorisierung von Mitarbeiterbeiträgen wurden neben den konkreten, direkten Tauschobjekten vier weitere Gruppen von Kodiereinheiten ermittelt, die im Sinne der oben angeführten Definition indirekte Tauschbeiträge darstellen. Diese un-
Innovatives Verhalten – Ein Geben und Nehmen?
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terscheiden sich von den bisher beschriebenen Kategorien dahingehend, dass sie vielmehr nähere Beschreibungen, Voraussetzungen oder auch Ergebnisse des innovationsbezogenen Austausches beinhalten. Dennoch sind sie für weitere Untersuchungen nicht zu vernachlässigen, da sie hinsichtlich ihrer Nennungshäufigkeit durch die Interviewten im Vergleich zu den bisher betrachteten Kategorien gleich bedeutend erscheinen. Die Befragten sehen in der Leistung der Mitarbeiter eine zentrale Facette im innovationsbezogenen Austausch, welche als Kategorie aus insgesamt zehn Interviews herausgefiltert werden konnte. Hierbei geht es weniger um konkrete Verhaltensweisen an sich, sondern vielmehr darum, das gezeigte innovative Verhalten näher zu beschreiben. In der Kategorie Leistung wird beispielsweise erläutert, mit wie viel persönlichem Einsatz und Eigeninitiative an Innovationen mitgewirkt wird. Dabei kristallisiert sich eine Zweiteilung in das Intra-Rollen- und Extra-Rollenverhalten heraus. Ersteres bezeichnet das vertraglich vereinbarte Verhalten, welches vom Mitarbeiter offiziell gefordert wird (Van Dyne & LePine, 1998; Mayhew et al., 2007). Auf die Frage, was der Mitarbeiter einbringt, wurde demnach u.a. „seine Arbeitsleistung“, „Leistung“ oder „Leistungen vernünftig ausführen“ genannt. Demgegenüber werden als ExtraRollenverhalten alle Verhaltensweisen in Organisationen bezeichnet, die vertraglich nicht festgelegt sind und vom Mitarbeiter aus eigener Initiative – über das IntraRollenverhalten hinaus – gezeigt werden (Nerdinger, 2004). Diese Verhaltensweisen kommen in Aussagen zum Tragen wie u.a. „noch zusätzlich machen“, „Mitarbeiter, die sich am Wochenende tolle Sachen überlegen“ „besonderen Einsatz“ zeigen, „im Betriebsratsbüro sitzen“ oder „gute Ideen zu Hause“ entwickeln. In sieben Interviews konnte eine weitere Kategorie ohne direkten Tauschcharakter extrahiert werden, die Aussagen zu Wirkungsfolgen oder Ergebnisse des Innovationsprozesses im Unternehmen beinhaltet. Hierunter fallen Aspekte, die häufig auf lange Sicht entstandene oder zukünftige Verbesserungen in den betrieblichen Prozessen durch den innovationsbezogenen Austausch betreffen. Hierbei wurde von einigen Befragten beschrieben, welche Veränderungen durch den Einsatz bzw. durch die Beiträge der Mitarbeiter im Unternehmen zu erwarten sind. Folglich reflektieren die Nennungen Ergebnisse, die aus dem Einbringen nicht spezifizierter Beiträge resultieren. Der Mitarbeiter leistet demnach einen Beitrag, der auf lange Sicht im Unternehmen eine positive Wirkung entfaltet. Typische Aussagen sind in diesem Zusammenhang die „Einsparung im Einkauf“, die „Verbesserung der Produktivität“, „Verbesserung im Prozess“ oder „Verbesserung der Effektivität“. Neben der Verwirklichung monetärer Zielgrößen wurden außerdem die „Verbesserung im Wohlbefinden“, ein „gutes Betriebsklima“
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und die Auswirkungen auf die Firmenkultur („ ... trägt zur Firmenkultur bei“) aufgeführt. Diese spiegeln soziale Veränderungsprozesse im Unternehmen wider, die – so die Befragten – ebenfalls durch innovatives Verhalten hervorgerufen werden können. Ähnlich wie bei der Kategorie Leistung stellt das Engagement die Intensität der Anstrengung des Mitarbeiters in Bezug auf sein innovatives Verhalten dar. Hierunter fallen Kodiereinheiten aus fünf Interviews mit dem Wortlaut „bringt sich selbst ein“, „Einsatz, den ich zeige“, „Motivation“ oder „das ist so ein Ansporn“. Demnach handelt es sich um Aussagen, die sich zum einen – ohne nähere Erläuterung der Befragten – auf den gezeigten intensiven persönlichen Einsatz der Mitarbeiter beziehen, der sich jedoch nicht in Intra- bzw. Extra-Rollenverhalten untergliedern lässt. Neben dem Engagement des Mitarbeiters konnte aus fünf Interviews eine Sammlung von Persönlichkeitsfaktoren herausgearbeitet werden. Sie beinhaltet Kodiereinheiten wie „Idealismus“, „Kreativität“, „Ehrgeiz“, „Fleiß“ und „Neugier“. Es handelt sich hierbei um Eigenschaften einer Person, die ihr Verhalten prägen können. In diesem Sinne können sie unter zwei Gesichtspunkten beleuchtet werden. Aus Sicht der Befragten bringt die Person zum einen etwas Wichtiges von sich selbst in den Tausch ein. Zum anderen stellen diese Persönlichkeitseigenschaften eher eine Voraussetzung für das Erbringen eines Beitrages und nicht ein Tauschobjekt an sich dar. Persönlichkeitsmerkmale sind zeitlich stabil und können den Einsatz von Ressourcen intensivieren oder dämpfen (Berg & Wiebe, 1993). Daher ist zu vermuten, dass ein ehrgeiziger und fleißiger Mitarbeiter größeres Engagement, gesteigerte kognitive Leistung und in höherem Maße Extra-Rollenverhalten zeigt als Mitarbeiter, bei denen diese Eigenschaften weniger stark ausgebildet sind. Persönlichkeitsmerkmale stellen Antezedenzen dar, die die Intensität, sich kognitiv oder körperlich in den Innovationsprozess einzubringen, beeinflussen und je nach ihrer Ausprägung innovatives Verhalten fördern oder abschwächen (Organ & McFall, 2006). Von drei Interviewten wurde das Einsetzen von Erfahrungswissen als Ressourcen genannt, die die Mitarbeiter in den innovationsbezogenen Austausch einbringen können. Unter Erfahrungswissen werden laut North (2005) sowie nach Nonaka und Takeuchi (1995) solche Kenntnisse der Arbeitenden verstanden, die durch einen Lernprozess – eingebettet in einen spezifischen praktischen Kontext – erworben werden. Dieses implizite Wissen beinhaltet Kenntnisse über Besonderheiten der betrieblichen Abläufe oder die Eigenheiten von Funktionsweisen bestimmter Maschinen. Dieser Kategorie werden daher Kodiereinheiten wie „unmittelbare Erfahrung aus eigener Tätigkeit“, „langjähriges Potenzial“ oder das Einbringen von „Gehirnschmalz“ sowie „Kenntnisse
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über die tägliche Praxis“ zugeordnet. Die letzte ermittelte Gruppe von Aussagen beschreibt den inneren Antrieb der Mitarbeiter. Aussagen dieser Kategorie beantworten ebenfalls weniger die Frage nach direkten Tauschobjekten, welche die Mitarbeiter dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Vielmehr sind in dieser Gruppe diejenigen Äußerungen zusammengefasst, die Auskunft darüber geben, aus welchem Grund sich Mitarbeiter eines Unternehmens einbringen. Dieser Kategorie zugeordnete Kodiereinheiten sind beispielsweise „begeistert für die Sache“, „Bereitschaft“ oder „ich find das interessant“ und „für einen persönlich“. Als problematisch stellte sich die Einordnung von Äußerungen wie „Wünsche“, „Gefühle“, „Emotionen“ und Aussagen wie „ist so ein gefühltes Glücksgefühl“ heraus. Diese Aspekte wurden unter Sonstiges zusammengefasst und wurden für die folgende Analyse nicht unberücksichtigt. 3.2 Was bringt die Organisation in den Tausch ein? Verschiedene Aspekte wurden von den Interviewten genannt, die vom Unternehmen in den Tausch eingebracht werden, um innovatives Verhalten auszulösen bzw. zu fördern. Analog zu den Tauschbeiträgen der Mitarbeiter wurden aus inhaltlich jeweils gleichen Aspekten Kategorien gebildet. Die Tabelle 2 stellt diese Kategorien dar und gibt zudem an, wie viele der Interviewten die jeweilige Kategorie nannten. Finanzielle Vergütung von Ideen wird von den Interviewten vergleichsweise oft angeführt. Neun von 16 Interviewten äußerten die finanzielle Vergütung von Innovationen bzw. innovativen Ideen als Ressource seitens der Organisation in der Austauschbeziehung zwischen der Organisation und den Mitarbeitern. Im Einzelnen wurden z.B. „Geld“, „Prämien“, „monetäre Vergütung“ oder „Bonus“ seitens der Organisation für Vorschläge und Ideen der Mitarbeiter genannt. Fünf Interviewte sahen als Ressource der Organisation in der Tauschbeziehung die Anerkennung von Ideen durch die Organisation. In drei Interviews wurde darüber hinaus spezifiziert, dass die Anerkennung öffentlich durch die Organisation bzw. ihrer Vertreter zu äußern ist, d.h. dass z.B. im Rahmen einer Weihnachtsfeier gesagt wird, „wer den tollsten Vorschlag mit der besten Einsparung gebracht hat“ bzw. „wer eine geniale Idee gehabt hat“. Die Anerkennung kann auch symbolisch erfolgen, z.B. durch eine überreichte „Urkunde“. Fünf Interviewte nannten die Arbeitsplatzsicherheit als Beitrag der Organisation in der Tauschbeziehung mit dem Mitarbeiter. Ebenfalls in fünf Interviews nannten die Be-
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fragten die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter als Ressource der Organisation. Im Detail wurden „Qualifizierungsmaßnahmen“ für Mitarbeiter „off the job“ und „on the job“ genannt. In einem der Interviews wurde dazu u.a. beschrieben, dass Mitarbeiter zum Lieferanten von Vormaterial bzw. zum Kunden für das angefertigte Endprodukt mitgenommen werden, um ihre Kenntnisse über die Fertigungskette im betrieblichen Alltag zu erweitern.
Kategorie
Anzahl Interviews
Finanzielle Vergütung von Ideen
9
Bedeutung von Ideen vermitteln/Verdeutlichung der Resultate der eingebrachten Ideen
6
Anerkennung von Ideen
5
Arbeitsplatzsicherheit
5
Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter
5
Freiräume bei der Arbeit
4
Soziale Wertschätzung der Mitarbeiter
4
Mitarbeiterbeteiligung/Partizipation
3
Soziale Events
3
Wohlbefinden
3
Abwechslungsreicher und guter Arbeitsplatz
2
Kümmern um private Belange der Mitarbeiter
2
Besondere (geldwerte) Vergütung von Ideen
1
Verantwortung an Mitarbeiter delegieren
1
Tab. 2: Direkte Tauschbeiträge des Unternehmens (Breyer et al., 2010; S. 14)
Vier Interviewte nannten Freiräume bei der Arbeit schaffen als eine Ressource seitens der Organisation im Tauschprozess. Ebenfalls von vier Interviewten wurde das Einbringen von sozialer Wertschätzung der Mitarbeiter durch die Organisation in den Tauschprozess beschrieben. Im Detail sahen die Interviewten als Tauschelement beispielsweise an, dass die Organisation „vernünftig mit den Mitarbeitern“ umgeht und „die Menschen ernst“ nimmt. Mitarbeitern Beteiligung bzw. Partizipation (im Sinne direkter Mitwirkungs- und Mitentscheidungsgelegenheiten) zu ermöglichen, nannten drei der Interviewten als Ressource der Organisation im Tauschprozess. Aus den einzelnen Aussagen der Interviewten wird zudem deutlich, dass die Beteiligung nicht als Pseudo-Partizipation (vgl.
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Weber, 1999) erfolgen darf, wobei der Mitarbeiter keine wirkliche Stimme im Unternehmen hat bzw. die Beteiligung zu nichts führt, sondern dass sie so gestaltet sein muss, dass die Mitarbeiter „wirklich davon überzeugt sind, mitgestalten zu können“, dass der Mitarbeiter das Gefühl haben muss, „dass ... seine Meinung wichtig ist“. Ebenfalls von drei Interviewten wurde das Veranstalten sozialer Events, wie z.B. Weihnachtsfeiern oder Fußballturniere, und das Sorgen für das Wohlbefinden der Mitarbeiter in der Organisation als Ressource der Organisation im Tauschprozess genannt. Zwei Interviewte nannten einen abwechslungsreichen und guten Arbeitsplatz sowie ein Sich-Kümmern auch um private Belange des Mitarbeiters durch die Organisation als Ressourcen im Austausch zwischen der Organisation und dem Mitarbeiter. Ebenfalls von zwei Interviewten wurde der Aspekt der Vermittlung der Bedeutung von Ideen der Mitarbeiter durch die Organisation als Ressource genannt, indem die Organisation den Mitarbeitern z.B. Informationen liefert, „dass das, was [der Mitarbeiter] an Ideen äußert, für ... [das] Unternehmen von großer Wichtigkeit ist“. Dies kann auch darüber erfolgen, dass den Mitarbeitern konkrete Resultate aus früheren Veränderungsprozessen vor Augen geführt werden. Folgende Aussage gibt eine solche Situation wieder: „Ja, wenn ich was einbringe, seh‘ ich, dass sich was verändert.“ Jeweils von einem Interviewten wurden zudem die Ressourcen der Organisation besondere (geldwerte) Vergütung von Ideen der Mitarbeiter, wie z.B. ein gemeinsames Wellness-Wochenende des Mitarbeiters, der eine gute Idee eingebracht hat, mit seiner Frau und die Delegation von Verantwortung an die Mitarbeiter genannt. Neben den beschriebenen Aspekten, die als Ressource seitens der Organisation im Tauschprozess fungieren können, nannten die Interviewten weitere, die nicht plausibel als Ressource interpretiert werden konnten. Hierunter fallen kulturelle Aspekte wie Unternehmens- bzw. Betriebskultur und das -klima oder Gerechtigkeit, Offenheit für Ideen (jeweils durch zwei Interviewte genannt) und Grundhaltung (in drei Interviews genannt) der Mitglieder einer Organisation. Ebenfalls konnten aus den Interviewdaten die Kategorien Einsatz von Innovationsinstrumenten (in drei Interviews genannt), moderne Organisationsformen und Innovationsmanagement etablieren (jeweils in zwei Interviews genannt) herausgearbeitet werden. Die Kategorie mit Mitarbeitern kommunizieren stellt demgegenüber weniger eine Ressource dar, die eine Organisation in den Tausch einbringt, sondern schafft eher die Rahmenbedingung, wie der Tausch realisiert werden kann. Schließlich wurden durch sechs Interviewte verschiedene Aspekte genannt, die nicht sinnvoll in eine Kategorie eingeordnet werden konnten.
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3.3 Zur Bedeutung des Tauschhandels Eine eher grundsätzliche Frage zum innovationsbezogenen Austausch zwischen Mitarbeiter und Organisation ist die nach der Bedeutung, die die Befragten diesem Austausch zuschreiben. Die Befragten antworteten hinsichtlich zweier Aspekte: Erstens beantworteten sie die Frage, wie wichtig eine ausgewogene Austauschbeziehung ist und zweitens, wofür konkret ein solcher Tausch von Bedeutung ist. Auf die erste Frage, wie wichtig der Tausch ist, äußerten sich die Befragten überwiegend positiv. Die diesbezüglichen Aussagen reichen von „schon recht wichtig“ bis hin zu „unabdingbar“. Einer der Befragten meinte dazu, er möchte es sich ohne einen ausgewogenen Austausch gar nicht vorstellen. Während diese Aussagen sich auf die allgemeine Bedeutung des innovationsbezogenen Austausches für die Unternehmung als Ganzes richten, weisen einige Befragte noch einmal explizit auf die große Bedeutung des Tausches für die Mitarbeiter hin. Dennoch wird die Einschränkung vorgenommen, dass für Mitarbeiter, die ohnehin innovativ und erfolgreich sind, der Austausch weniger wichtig sei als für andere. Gerade die innovativen Mitarbeiter würden „anders“ motiviert und seien nicht auf den Austausch als Anreiz angewiesen. Ein weiterer Befragter war der Meinung, der Austausch habe für Mitarbeiter mit höherem Bildungsstand eine größere Bedeutung. Zwei der Befragten äußerten außerdem Zweifel, ob der innovationsbezogene Austausch den Mitarbeitern überhaupt klar ist. Einer dieser beiden Befragten meinte dazu, ihm selbst sei diese Idee bisher nicht bewusst gewesen. Der andere meinte dazu, die Mitarbeiter „merken und wissen es gar nicht“, dass es einen solchen innovationsbezogenen Austausch zwischen Mitarbeiter und Unternehmen gibt. Die Antworten auf die Frage, wofür der Tausch bzw. die Ausgewogenheit der Tauschbeziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen wichtig ist, richteten sich auf den Nutzen des Tausches für die Mitarbeiter, auf den Nutzen für das Unternehmen sowie auf einen allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen. Einen auf die Mitarbeiter bezogenen Nutzen des innovationsbezogenen Austausches sahen die Befragten im Vermeiden von Demotivation, Resignation, Abstumpfung oder Lethargie der Mitarbeiter. Den Nutzen für die Mitarbeiter sahen die Befragten einerseits in der Steigerung ihres Wohlbefindens und ihrer Zufriedenheit, andererseits aber auch im Vermeiden von Eintönigkeit und in einer Steigerung des Spaßes bei der Arbeit. Ein Befragter sah in einem innovationsbezogenen Austausch einen besonderen Anreiz, der sich z.B. aus den Verbesserungen oder Arbeitserleichterungen ergibt, die die Mitarbeiter durch das Einbringen von Ideen erzielen. Das Interesse der Mitarbeiter am innovationsbezogenen Austausch
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richtet sich nach Ansicht der Befragten nicht allein auf das Geldverdienen. Vielmehr hat dieser Austausch für sie auch einen gewissen Selbstzweck, der sich daraus ergibt, dass bestimmte Probleme behoben werden. Einer der Befragten weist außerdem auf die mit dem innovationsbezogenen Austausch verbundene Steigerung der Arbeitsplatzsicherheit hin. Innovationen werden somit eindeutig als Weg gesehen, Unternehmen und Beschäftigung langfristig zu sichern. Den Nutzen für das Unternehmen sahen die Befragten zu einem großen Teil in der Vermeidung negativer Auswirkungen wie z.B. der Unzufriedenheit und der Fluktuation der Mitarbeiter bzw. dem Absinken der Qualität und der Kundenunzufriedenheit. Einen weiteren Nutzen sahen die Befragten in der Erhaltung einer grundlegenden Bereitschaft der Mitarbeiter, die Arbeit auszuführen, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren, sich zu engagieren oder sich mit neuen Techniken und Innovationen auseinanderzusetzen sowie in der Sicherung der Produktivität und der Verkaufszahlen. Einer der Befragten wies außerdem darauf hin, dass ein ausgewogener Austausch zwischen Mitarbeiter und Unternehmen eine Voraussetzung für die Umsetzung bestimmter Maßnahmen sein könnte. So lassen sich seiner Ansicht nach Maßnahmen wie Kurzarbeit nur auf der Basis einer ausgewogenen Austauschbeziehung durchführen. Nur bei einem als gerecht empfundenen Geben und Nehmen kann das für die Inkaufnahme solcher personalpolitischen Maßnahmen notwendige gegenseitige Vertrauen aufrecht erhalten werden. Einen gesellschaftlichen Nutzen sehen zwei der Befragten. Sie weisen mit ihren Aussagen indirekt auf die Bedeutung eines ausgewogenen Austausches für die Einhaltung der Reziprozitätsnorm hin. Dies sei, so einer der Befragten, ein grundsätzliches Prinzip der Menschlichkeit, das durch den innovationsbezogenen Austausch gewahrt werde. Ein anderer Befragter äußert die Meinung, man könne als Arbeitnehmer nicht immer nur nehmen, sondern müsse dem Unternehmen auch mal etwas zurückgeben. Dies ist besonders auffällig, weil dieser Befragte von einer sich ergebenden Verpflichtung des Arbeitnehmers spricht, während bei anderen Befragten eher die Verpflichtung des Arbeitgebers im Vordergrund zu stehen scheint. Seiner Ansicht nach ist es also seine Pflicht als Arbeitnehmer, einen Beitrag zu einem ausgewogenen innovationsbezogenen Austausch zwischen Unternehmen und Mitarbeiter zu leisten. Einen weiteren Nutzen sahen die Interviewten darin, dass etwas angeschoben oder umgesetzt werde, damit es besser funktioniert. Dies kann als allgemeiner, unternehmerischer und gesellschaftlicher Nutzen interpretiert werden. Schließlich wurde noch das Argument der Sicherung des Standortes, das sich aus einem ausgewogenen innovationsbezogenen Austausch ergibt, angeführt – ein weiterer zweifelsfrei allgemeiner positiver Effekt, da es
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in diesem Punkt sowohl um die Existenzsicherung für Arbeiter und Organisation als auch um die Attraktivität ganzer Gebiete im Umfeld eines bestimmten Unternehmens geht. 4
Innovatives Mitarbeiterverhalten gezielt herbeiführen
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Innovationen bestimmen die Zukunftsfähigkeit und somit das langfristige Überleben eines Unternehmens. Sie sind vor allem das Resultat einer Reihe innovativer Verhaltensweisen verschiedener betrieblicher Akteure. Zur Beantwortung der Frage, wie innovatives Verhalten in Unternehmen zustande kommt, wurde vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Ansätze der Innovationsprozess in der durchgeführten Studie als Tauschgeschäft im Sinne eines Gebens und Nehmens zwischen der Organisation auf der einen und Mitarbeitern auf der anderen Seite verstanden und untersucht. Ausgehend von der Annahme, dass innovatives Verhalten von Mitarbeitern als Ergebnis dieses Tauschprozesses zwischen Mitarbeitern und der Organisation als Ganzes entstehen kann (Pundt, Martins & Nerdinger, 2010), war es das Ziel der durchgeführten Forschungsarbeiten, potenzielle Tauschobjekte zu identifizieren. Zu diesem Zweck wurde ein offenes, qualitativ-exploratives Vorgehen (Bortz & Döring, 2006) gewählt. Auf Basis einer Interviewstudie und einer sich anschließenden qualitativen Datenauswertung wurden sowohl direkte als auch indirekte Beiträge auf Seiten der Mitarbeiter und auf der Organisationsebene als potenzielle Tauschobjekte ermittelt. Es wurden teilstrukturierte Interviews mit Betriebsräten, Führungskräften, Innovationsmanagern und Mitarbeitern in sechs verschiedenen Unternehmen aus der Metall- und Elektrobranche durchgeführt. Im Ergebnis konnten Kategorien für Mitarbeiterbeiträge und Kategorien für die Beiträge des Unternehmens extrahiert werden (Abschnitt 3). Die Zahl und Vielfalt der Kategorien zeigt das weite Verständnisspektrum von Beiträgen im Innovationsprozess. Auf Seite der Mitarbeiterbeiträge wurden neben tatsächlich tauschbaren, direkten Beiträgen wie u.a. kognitive Leistungen der Mitarbeiter sowie materieller und immaterieller Verzicht als Einsätze im Sinne des innovativen Verhaltens genannt. Darüber hinaus konnten indirekte Beiträge ermittelt werden, die an sich zwar nicht zum Tausch geeignet sind, jedoch auf Voraussetzungen oder Ergebnisse und auch nähere Beschreibungen des Einsatzes für innovatives Verhalten der Mitarbeiter hindeuten. Auf Seiten der unternehmerischen Tauschobjekte spielen nicht nur Ressourcen im Sinne von direkten
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Tauschobjekten eine Rolle, sondern es werden zudem Kontextfaktoren wie Mediatoren im Wirkprozess zwischen den in Tausch eingebrachten Ressourcen und dem innovativen Verhalten genannt. Auffällig ist dabei, dass nicht nur die direkten Ressourcen wie Arbeitsplatzsicherheit, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder Vergütung von Ideen, sondern auch „weiche“, indirekte Faktoren wie Offenheit, Gerechtigkeit oder soziale Gegebenheiten eine Rolle spielen. Dies unterstreicht die Bedeutung der gelebten Unternehmenskultur, um Innovationen zu erzeugen. Beiträge hierfür wurden allein der Unternehmensseite zugeordnet. Dies macht deutlich, dass vor allem den betrieblichen Führungsorganen Verantwortung für ein angemessenes Innovationsklima zugesprochen wird. Zur Bedeutung des innovationsbezogenen Austausches konnten Antworten auf die Frage nach der Wichtigkeit einer ausgewogenen Austauschbeziehung und deren Nutzen gefunden werden. Dabei äußerten sich die Probanden überwiegend positiv über die Bedeutung eines ausgewogenen innovationsbezogenen Austausches zwischen Mitarbeitern und Unternehmen. Wie wichtig der Austausch tatsächlich eingestuft wird, hängt – nach Meinung einiger Befragter – vor allem von der individuellen Innovativität und dem Bildungsstand der Person ab. Ferner äußerten sich einige Befragte skeptisch zum Bewusstsein eines innovationsbezogenen Austausches bei Mitarbeitern. Bezüglich der Frage, wofür solch eine Tauschbeziehung diene, nannten die Probanden allgemeine Gesichtspunkte wie die Vermeidung von Demotivation, von Resignation, von Abstumpfung oder von Lethargie der Mitarbeiter. Eine positive Wirkung wird dem Tauschgedanken auch im Hinblick auf die Prävention von Unzufriedenheit und Fluktuation zugesprochen. So lässt sich bereits in diesem Stadium der Untersuchungen die konkrete Handlungsempfehlung ableiten, dass die betrieblichen Akteure auf einen als gerecht empfundenen Tausch hinarbeiten sollten. Als mitarbeiterbezogene Nutzensaspekte wurden z.B. Steigerung von Wohlbefinden und Zufriedenheit durch die Vermeidung von Eintönigkeit genannt. Betont wurde zudem die Bedeutung einer ausgewogenen Austauschbeziehung, die zwar von einem gewissen Selbstzweck beider Parteien geprägt ist, aber auch der Einhaltung der gesellschaftlich verankerten Reziprozitätsnorm – also der sozialen Regel eines gegenseitigen Gebens und Nehmens – im Unternehmen dient. Es wurde deutlich, dass ein fairer Austausch im Sinne eines Gebens und Nehmens zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern von den Befragten für sinnvoll und wichtig erachtet wird. Offen bleibt jedoch weiterhin, für welche Kombinationen konkreter Objekte ein Austausch als ausgeglichen angesehen wird. Die RessourcenTheorie von Foa und Foa bietet einen Ansatzpunkt, die Frage nach möglichen Tausch-
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konstellationen zu klären. Die Ressourcentheorie trifft Aussagen darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit Objekte bestimmter Ressourcenklassen gegen andere Objekte ausgetauscht werden (vgl. hierzu Foa et al., 1993). Die Autoren gehen davon aus, dass die Gleichwertigkeit von Tauschobjekten als die Grundlage für einen erlebten fairen Tausch dann eher gegeben ist, wenn sie zu Ressourcenklassen gehören, die hinsichtlich der Dimensionen Personengebundenheit und Gegenständlichkeit identisch oder sehr ähnlich sind. So wäre denkbar, die ermittelten direkten Beiträge auf Mitarbeiterund auf Unternehmensseite an Hand ihrer Ausprägungen von Personengebundenheit und Gegenständlichkeit zu systematisierten und somit den von Foa und Foa verwendeten Ressourcenklassen zuzuordnen (vgl. Breyer et al., 2010). Anhand einer solchen Systematisierung ließen sich Vermutungen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Tausch zwischen bestimmten ermittelten Beiträgen zustande kommt, anstellen und anschließend in weiteren Erhebungen überprüfen. Aus so gewonnenen Erkenntnissen, wäre daraufhin eine Ableitung von ganz spezifischen Handlungsempfehlungen für das Management eines Unternehmens dahingehend möglich, welche Unternehmensbeiträge eher eine bestimmte Reaktion (z.B. innovatives Verhalten) von den Mitarbeitern auslösen als andere. 4.2 Grenzen der Untersuchung und Handlungsempfehlungen Zu beachten ist, dass die gewonnenen Erkenntnisse gewissen Beschränkungen unterliegen. Die geführten Interviews liefern aufgrund der explorativ-qualitativen Vorgehensweise zunächst nur weitere Ideen dazu, wie und welche innovationsbezogenen Tauschprozesse zwischen Mitarbeitern und Unternehmen entstehen könnten. Zur Fundierung der Erkenntnisse bedarf es daher quantitativer Überprüfungen. Da der Fokus der vorliegenden Untersuchung auf Probanden der unternehmerischen Führung und Mitbestimmungsorgane liegt, bietet sich die Durchführung weiterer qualitativer Interviewstudien an. So könnten die bis jetzt unterproportional vertretenen betrieblichen Akteure (die Mitarbeiter) zu diesem Thema befragt werden. Dies dient vor allem dazu, unterschiedliche Sichtweisen auf innovative Prozesse im Unternehmen zu identifizieren. Hierfür wird es von Vorteil sein, die Interviews auch in anderen Branchen durchzuführen. Eine weiter gefasste Auswahl an Probanden kann dazu beitragen, Antworttendenzen, die auf die moderierenden Wirkungen von Persönlichkeitsmerkmalen der Befragten zurückzuführen sind, zu reduzieren. Durch eine schrittweise Standardisie-
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rung folgender Untersuchungen – beispielsweise durch die sukzessive Einführung standardisierter Befragungselemente2 – könnten zukünftige Befragungen zu konkreteren, eindeutiger auswertbaren Aussagen führen. Eine solche Strukturierung weiterer Interviews könnte ebenfalls dazu beitragen, Interviewereinflüsse und den Anteil von Antworten gemäß sozialer Erwünschtheit zu verkleinern. Auch hinsichtlich der ermittelten Tauschbeiträge bedarf es der Erhebung weiterer Daten, um die bisher vorgenommene Einteilung in direkt tauschbare Objekte und Beiträge, die nur indirekt in einen innovationsbezogenen Austausch eingehen, weiter konkretisieren zu können. Außerdem ist nach der beschriebenen Analyse zu vermuten, dass neben den Tauschbeiträgen eine Unterteilung in Kontextfaktoren, Voraussetzungen oder Ergebnisse des innovationsbezogenen Tauschgeschäfts angebracht sein könnte. Eine zukünftige Untersuchung dieser Faktoren könnte klären, ob es sich bei den ermittelten Beiträgen – im Sinne von Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie (Herzberg, Mausner & Snyderman, 1959) –, um sogenannte Hygienefaktoren handelt, die zwar nicht zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit führen aber zur Prävention von Unzufriedenheit beitragen. Zur Prüfung solcher Parallelen zu bestehenden Theorien ist es notwendig, die Arten von Beiträgen noch differenzierter zu betrachten. Des Weiteren ist in zukünftigen Untersuchungen herauszufinden, welche Beiträge einzelne betriebliche Akteure wie z.B. Führungskräfte verschiedener Managementebenen oder Betriebsräte jeweils „in die Waagschale legen müssen“, damit ein als gerecht empfundener Tausch gegen innovatives Verhalten der Mitarbeiter zu Stande kommt. Antworten auf die Frage, welche Tauschobjekte als substitutiv angesehen werden, sollten insbesondere für das Unternehmensmanagement nicht uninteressant sein. Nur so ist es der Führung möglich, zielgerichtet Leistungsanreize zu setzen und dadurch gewünschte Mitarbeiterbeiträge zu erhalten. Darüber hinaus trägt dieses Wissen zur Klärung der Frage nach der durch die Mitarbeiter empfundenen organisationalen Gerechtigkeit bei. Vielfach konnte empirisch gezeigt werden, dass Arbeitnehmer, die sich von ihrem Arbeitgeber gerecht behandelt fühlen, auch eine höhere Arbeitszufriedenheit und ein höheres organisationales Commitment zeigen (Felfe, 2008). Diese und weitere Folgen unternehmerischer Gerechtigkeit können zu nutzbringendem ExtraRollenverhalten führen (Colquitt et al., 2001), die wiederum Mitarbeiterbeiträge in die unternehmerische Innovativität darstellen.
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Denkbar wäre die Integration von schriftlichen, möglichst anonym durchführbaren Frageteilen.
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Generell muss bei allen ermittelten Beiträgen hinterfragt werden, ob sie wirklich mit innovativem Verhalten in Verbindung stehen bzw. Innovationen im Unternehmen anregen können. So wurde beispielsweise der zusätzliche und nicht entlohnte Einsatz von Zeit als Mitarbeiterbeitrag genannt. Dies steht allerdings nur in unmittelbarem Zusammenhang mit innovativem Verhalten, wenn diese Zeit auch für Gedanken an die Innovativität genutzt wird. Ob ein Beitrag tatsächlich einen innovativen Mehrwert für das Unternehmen besitzt, kann von den Autoren bislang nur vermutet bzw. indirekt hergeleitet werden, da der Bezug nicht explizit in den Interviews erkennbar war. Die vorgestellte Studie ermöglicht es neben den genannten Implikationen für zukünftige Forschungsarbeiten, einige weitere Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis abzuleiten. So wurden auf Seite der Mitarbeiterbeiträge Persönlichkeitsfaktoren für Mitarbeiter genannt, die im Sinne von Moderatoren innovatives Verhalten der Mitarbeiter verstärken oder abschwächen können. Vor allem im Rahmen der Personalauswahl für bestimmte betriebliche Positionen ist es dem Management möglich, Mitarbeiter hinsichtlich solcher Charaktereigenschaften auszuwählen, um somit verstärkt das Innovationspotenzial im Unternehmen zu erhöhen (Schuler & Görlich, 2007). So könnte beispielsweise bei der Auswahl neuer Mitarbeiter darauf geachtet werden, dass diese ein hohes Maß an Kreativität besitzen und extrovertiert sind. Das Unternehmen könnte durch die Einstellung von Personen mit diesen Eigenschaften zum einen ein nachhaltiges Ideenpotenzial sicherstellen. Zum anderen würde dieses auch nutzbar, da der neue Mitarbeiter sich nicht scheuen würde, an die entscheidenden Stellen heranzutreten und seine innovativen Gedanken zu äußern. Darüber hinaus ließ sich feststellen, dass die gelebte Unternehmenskultur wie auch andere Kontextfaktoren für die betrieblichen Innovationsprozesse entscheidend sein könnten. Diese entsprechend zu gestalten und an die Mitarbeiter zu kommunizieren, sollte sowohl Aufgabe der betrieblichen Führungskräfte als auch der betrieblichen Interessenvertreter wie Betriebsräten sein. Durch eine solche Informationspolitik stünde dem Unternehmen ein effektives Instrument zur Verfügung, einen innovationsbezogenen Austausch gezielt zu fördern oder in Gang zu setzen. Dadurch könnte außerdem ein grundlegendes Bewusstsein über den innovationsbezogenen Austausch bei den Mitarbeitern geschaffen werden. Dies ist notwendig, da der Austausch zwar in der Regel als wichtig und positiv bewertet wird, jedoch nur teilweise ein wirkliches Bewusstsein bei den Beteiligten für solche unternehmerischen Prozesse herrscht. Die Aufklärung über die Bedeutung der Mitarbeiterbeiträge und deren „Vergütung“ durch unternehmensseitige Leistungen kann ein derartiges Verständnis schärfen und letztendlich zu nutzenstiftendem, innovativem Verhalten motivieren.
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Schließlich könnte das Management die im Verlauf der Untersuchung ermittelten Unternehmensbeiträge seinen Mitarbeitern gezielt zur Verfügung stellen, um ebenso gezielt bestimmte Reaktionen der Mitarbeiter hervorzurufen. Stellt sich in weiteren Forschungsarbeiten heraus, dass bestimmte Ressourcen, wie Foa und Foa im außerbetrieblichen Kontext zeigen konnten, zu spezifischen Verhaltensweisen bzw. Gegenleistungen der Mitarbeiter führen, könnten diese gezielter initiiert werden und zu einem alle beteiligten Parteien zufriedenstellenden, innovationsförderlichen Austauschprozess beitragen.
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Teil VI: Zusammenfassung und Ausblick
Innovation als Voraussetzung für Erfolg – Visionen und Zielvorstellungen Peter Wilke, Stefan Stracke, Judith Beile & Eckhard Voß
„Nichts in der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ (Victor Hugo)
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Einleitung: Was zeichnet ein erfolgreiches und nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen aus?
In den letzten Jahren hat es eine wachsende Zahl von Beiträgen in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion gegeben, die von Unternehmen, Managern und Mitarbeitern neben technischer Innovation auch umfassende soziale Innovation fordern (vgl. im Überblick z.B. Kirner, Weißfloch & Jäger, 2010; Howaldt & Jacobsen, 2010; Bertelsmann Stiftung, 2008). Soziale Innovation meint dabei alle Ansätze, die das Unternehmen nach innen in seinem Management und seiner Unternehmenskultur befähigen, auf technische Neuerung, globale Konkurrenz und veränderte Anforderungen des Marktes und der Gesellschaft schneller und effizienter zu reagieren. Unternehmen als komplexe Systeme, so die Argumentation, sind nur dann hinreichend lernfähig und in der Lage, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, wenn sie nicht länger als hierarchisch von oben nach unten gelenkte starre Systeme agieren, sondern neue Steuerungsformen ausbilden und Innovationsprozesse zulassen, die jenseits traditionellen Managements und damit jenseits traditioneller Steuerung das System „Unternehmen“ reaktionsschneller und effizienter machen, ohne die Unternehmensziele als solche zu gefährden. Genau an diesem Punkt setzte das Projekt BMInno – Betriebsräte und Mitarbeiter in betrieblichen Innovationsprozessen an. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Tatsache, dass Unternehmen seit einigen Jahren mit beschleunigten Marktveränderungen und neuen Finanzmarktanforderungen konfrontiert werden. Gleichzeitig stehen Unternehmen vor der Herausforderung, im internationalen Wettbewerb zu bestehen und sogar an Leistungsstärke zuzulegen. Voraussichtlich wird sich in den kommenden Jahren die Art der erzeugten Güter, Produkte und Dienstleistungen noch schneller verändern. Daher muss ein effektives Innovationsmanagement ins Zentrum des strategischen Handelns der Unternehmen rücken. Denn ohne ein offensives Innovationsverhalten der Unternehmen wird es wahrscheinlicher, dass auf lange Sicht betriebliche Chancen un-
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Peter Wilke, Stefan Stracke, Judith Beile & Eckhard Voß
genutzt bleiben. Die Folge wären sinkende Wettbewerbsfähigkeit und steigende Arbeitsplatzrisiken für die Beschäftigten. Zugespitzt formuliert: Nicht mit jeder Innovation lassen sich Arbeitsplätze und Standorte sichern, aber jede versäumte Innovation bringt Arbeitsplätze und eine nachhaltige Unternehmensentwicklung in Gefahr. Dabei reicht Technikförderung allein nicht aus. Entscheidend für den Erfolg von Innovationsprozessen, so die Ausgangsthese des Projektes, ist die Beteiligung der Mitarbeiter und ihrer Interessenvertretungen. Aber inwieweit können Innovation und Beteiligung zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung beitragen? Bevor wir auf dieses Problem eingehen, soll geklärt werden: Was kennzeichnet überhaupt nachhaltiges Wirtschaften? Unternehmen werden heutzutage nicht mehr nur nach rein ökonomischen, sondern auch nach sozialen und ökologischen Kriterien bewertet (vgl. z.B. Laszlo, 2003; Haas et al., 2007; Weißenrieder & Kosel, 2010). Um Nachhaltigkeit zu messen, lassen sich eine Reihe von Kriterien heranziehen, dazu zählen: Die Orientierung der Unternehmensziele an mittel- und langfristigem Erfolg am Markt im Gegensatz zu einseitig kurzfristiger Ertragsorientierung Ein klares Bekenntnis zu Prinzipien „guter“ Unternehmensführung nach innen und außen, d.h. transparente Corporate Governance, offene Unternehmenskultur und klare Mitarbeiterorientierung Ein solides Risikomanagement in der Unternehmensführung Die Berücksichtigung von sozialen Kriterien nach innen und außen Eine Strategie und Praxis der Minimierung ökologischer Kosten in der Tätigkeit des Unternehmens Die aktive Nutzung von Mitarbeiterbeteiligung auf allen Ebenen Die Liste ließe sich fortsetzen, aber auch so wird klar, dass hinter dem Schlagwort „nachhaltiges Unternehmen“ der Versuch steht, wirtschaftliche, soziale und ökologische Anforderungen in der Unternehmenspraxis so weit wie möglich in Einklang zu bringen. Damit ist die Erwartung verbunden, dass Unternehmen mit diesem Führungsansatz und einer entsprechenden Unternehmenskultur in Zukunft zu den Gewinnern am Markt zählen werden, da sie auch in Fragen der Innovation und der Bindung der besten Mitarbeiter führend sind. So verstanden bedeutet nachhaltiges Wirtschaften auch und vor allem, den Unternehmenswert langfristig durch Innovation und Investition in Personal, Unternehmensausstattung und Infrastruktur zu sichern, Qualität ganzheitlich zu verstehen und Produkte und Prozesse laufend zu verbessern sowie
Innovation als Voraussetzung für Erfolg – Visionen und Zielvorstellungen
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die Beschäftigten, aber auch die Kunden und weitere wichtige Stakeholder in die Zukunftsentwicklung einzubeziehen. Wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit ist leicht zu fordern, aber in der Praxis schwer umzusetzen. Für die meisten Unternehmen bedeutet dies, das gesamte Unternehmen, seine Grundannahmen, seine Produktionsmethoden und Führungsgrundsätze zu hinterfragen, zu analysieren und in vielen Bereichen Altbewährtes zu verändern. Dabei wird es Widerstände geben, auch Irrtümer und unnötige Umwege. Wie bei allen Lern- und Veränderungsprozessen sind aber auch die Fehler und Irrtümer Teil des Weges. Es gibt gleichwohl eine Reihe von Regeln und Erfahrungswerten, die helfen können, zumindest einige Fehler zu vermeiden. Der vorliegende Beitrag versucht, diese Erfahrungen noch einmal zusammenzustellen und kritisch zu reflektieren. 2
Innovation als Bestandteil nachhaltiger Unternehmensführung – Lehren aus der Praxis
Ein echtes Konzept nachhaltiger Unternehmensführung zu realisieren und es gemeinsam mit den Mitarbeitern und den Kunden umzusetzen, ist ein ambitioniertes Ziel. Für jedes Unternehmen bedeutet dies unabhängig von seiner Unternehmensgröße und seiner Struktur eine Herausforderung. Dabei ist es meist gar nicht der große strategische Plan, sondern die Realisierung vieler einzelner, kleiner Schritte, die ein erfolgreiches Unternehmen von seinen weniger erfolgreichen Konkurrenten unterscheidet. Wichtig ist allerdings, dass die vielen kleinen und natürlich auch die großen Schritte erkennbar in ein Konzept und eine Vision eingebunden sind. Dann wird sich auch ein Impuls zu nachhaltiger Veränderung und Innovation ergeben und auch die Beteiligung der Mitarbeiter wird Wirkung zeigen. Das Vorgehen lässt sich in sechs praktische Schritte aufteilen, die sich in ähnlicher Form auch in den in diesem Buch analysierten Beispielen wiederfinden:
Schritt 1: Gemeinsamer Erfolg kann organisiert werden Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Diese alte Erkenntnis gilt auch für Veränderungsprozesse in Unternehmen. Grundsätzlich kann dabei jedes Unternehmen von jedem beliebigen Punkt aus starten. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Reise angenehmer wird und schneller zum selbst gesteckten Ziel führt, wenn die Ziele klar kommuniziert werden und es ein Team gibt, das sich für Reisefortschritte verant-
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wortlich fühlt. In die Unternehmenspraxis übersetzt: Es ist sinnvoll, sich zunächst eine personelle und organisatorische Struktur zu geben, d.h. ein Team zusammenzustellen und es in die Unternehmensorganisation einzubinden, das den Auftrag hat, eine gemeinsame Vision für Veränderung zu entwickeln. Die Erfahrungen des fit-Projektes bei Sterling SIHI belegen eindrucksvoll, wie wichtig es ist, die Methoden und Vorgehensweisen von Innovationsprozessen an die Verhältnisse des Unternehmens anzupassen. Ganz entscheidend für den Erfolg des Projektes war, dass das gesamte Vorhaben von Anfang bis Ende klar, strukturiert und nachvollziehbar organisiert war. Damit konnten gravierende Missverständnisse und Konflikte vermieden und die gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen schnell umgesetzt werden. Ein solches Team braucht gerade zu Beginn die deutliche Unterstützung der Unternehmensleitung. Ohne diese Unterstützung wird es in dem hierarchischen Umfeld der meisten Unternehmen sehr schwierig, Prozesse anzustoßen und Veränderungen einzuleiten. Hierbei muss erkennbar sein, dass Beteiligung gewollt wird und Vorschläge auch eine Chance zur Umsetzung haben. Ein Veränderungsprozess braucht aber auch das Vertrauen der Mitarbeiter, dass solche Vorschläge nicht ihren Interessen entgegenstehen und diese gesichert sind. Hier sind vor allem der Betriebsrat, seine Unterstützung der Prozesse und seine Beteiligung gefragt.
Schritt 2: Möglichst alle Mitarbeiter und Stakeholder einbeziehen Das Unternehmen wird nur dann die vorhandenen Möglichkeiten für Innovationsprozesse ausnutzen können, wenn es gelingt, eine möglichst große Zahl von Mitarbeitern einzubinden und ihr Wissen und ihre Ideen abzufragen. Dafür gibt es vielfältige Methoden, die sich in der Praxis bewährt haben. Eine Möglichkeit ist es, in einem großen Gruppenevent eine Aussprache über vorhandene Probleme und eine Sammlung von Veränderungsvorschlägen zu organisieren. Man kann dies als „Marktplatz“ oder als „open space“-Veranstaltung organisieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Start des Projektes „MitArbeitergetragene Prozessoptimierung“, kurz „MAP 2008“, das bei der Firma SAM Electronics durchgeführt wurde. Zu Beginn des Projektes wurden alle Mitarbeiter zu einem „Marktplatz“ in der Kantine eingeladen, bei dem Kritik und Unzufriedenheit an Abläufen im Unternehmen geäußert werden durfte. Alle Mitarbeiter konnten ihre Anregungen und Positionen aufschreiben. Dadurch entstanden ein Diskussionsprozess und ein gemeinsames Verständnis für anstehende und längst überfällige Veränderungen.
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Eine andere Methode ist die Durchführung von Workshops mit möglichst vielen Mitarbeitern und nach Bereichen und Abteilungen organisiert. Ein solcher Prozess kann mit eigenen Mitarbeitern oder auch mit Hilfe externer Moderatoren und Berater gestaltet werden. In vielen Unternehmen ist es sogar sinnvoll, den Bogen noch weiter zu spannen und auch externe Stakeholder des Unternehmens einzubinden. Dies können Kunden, Lieferanten, aber auch Vertreter von Interessengruppen sein (Gewerkschaften, NGOs u.a.).
Schritt 3: Veränderungspotenziale benennen und Ziele setzen Die Bestandsaufnahme hat das Ziel, alle Veränderungs- und Innovationspotenziale möglichst umfassend zu benennen. Dabei werden Interessengegensätze insbesondere bei den „interessanteren“ Innovationsvorschlägen auftauchen, da die alten Abläufe und Ordnungen Vorteile für bestimmte Mitarbeiter und Gruppen haben, die von neuen Vorschlägen infrage gestellt werden. Das kann sowohl Fragen der Arbeitsorganisation, der Ausbildung oder auch der Arbeitszeit betreffen. Hier ist es wichtig, nicht vorschnell einzelne Punkte auszusortieren. „Geht bei uns nicht“ oder „Haben wir immer so gemacht“ sind bekannte und beliebte Argumente zur Vermeidung von Veränderungen. Das Beispiel ThyssenKrupp Nirosta belegt eindrucksvoll, welche neuen Wege man gehen kann, um solche Abwehrhaltungen in der Belegschaft möglichst zu vermeiden und die Beschäftigten auf notwendige Veränderungen vorzubereiten. Das dort entwickelte Modell zum Wissenstransfer zeigt, auf welch einfache Weise personengebundenes Erfahrungswissen der Beschäftigten identifiziert und zur Qualifizierung jüngerer Mitarbeiter nutzbar gemacht werden kann. „Lebenslanges Lernen“ kann als eine Voraussetzung gesehen werden, um auch in Zukunft Verbesserungspotenziale im Betrieb greifbar zu machen. Ein anderer Ansatz ist rund um Fragen der Gesundheitsförderung der Mitarbeiter möglich, wie das Konzept der gesundheitsfördernden Personalund Organisationsentwicklung bei der Atlas Copco Construction Tools GmbH demonstriert.
Schritt 4: Umsetzung schnell beginnen Bei Beratern, die in Veränderungsprozessen – sogenannten Change-Management- und Re-Engineering-Prozessen – arbeiten, kann man immer wieder feststellen, dass die Präsentationen für Veränderungsprozesse nach der ersten Phase der Bestandsaufnahme drei Kategorien von Vorschlägen enthalten: Erstens sogenannte „quick win“-Vor-
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schläge, zweitens Ideen mit einem gewissen Vorlauf und einem überschaubaren Investitionsvolumen und drittens langfristig mögliche Ansätze mit hohen Investitionskosten und Risiken. Eine solch simple Einteilung sollte auch jedes beteiligungsorientierte Projekt nutzen und „quick wins“ öffentlichkeitswirksam realisieren. Es ist wichtig, in Veränderungsprozessen – wo immer möglich – auch schnelle Erfolge erzielen zu können. Gerade beteiligungsorientierte Veränderungsprojekte brauchen sichtbare Ergebnisse, die motivieren und Anstöße geben. Dies belegen u.a. die Beispiele Sterling SIHI, SAM Electronics und Flowserve.
Schritt 5: Laufend über Erfolge und Fortschritte berichten Eine kontinuierliche Kommunikation über Ziele, Schritte und Erfolge ist in beteiligungsorientierten Veränderungsprozessen einer der wichtigsten Bausteine. Alle Mittel der Kommunikation sollten hier genutzt werden. Das reicht vom Intranet, der Informationsbroschüre oder Projektzeitung bis zur Betriebsversammlung. Auch hier kann man u.a. von den Erfahrungen professioneller Berater in Bezug auf Methoden und Ansätze des Lean Managements lernen. Visualisierung und Kommunikation hat dort einen hohen Stellenwert. Dabei sollte die persönliche Ansprache nicht vergessen werden. Betriebsräte können durch ihre direkten Kontakte mit allen Bereichen eines Unternehmens eine wichtige unterstützende Funktion übernehmen. Diese Rolle wird am Beispiel des Betriebsrats bei Lufthansa Technik anschaulich vermittelt. Die Anbindung des gesamten Betriebsratsgremiums im Rahmen des bei Lufthansa Technik durchgeführten Lean-Projektes durch eine regelmäßige Berichterstattung und eine den Betriebsräten zugängliche Dokumentation der Ergebnisse war eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Kommunikation im Unternehmen.
Schritt 6: Umsetzung messen und Mitarbeiter am Erfolg beteiligen Der letzte Schritt, der sich aus der Analyse der betrieblichen Veränderungsprojekte im Rahmen der Unternehmensprojekte von BMInno, aber auch von vielen anderen Projekten ableiten lässt, umfasst die Messung von Umsetzungserfolgen nach geeigneten Kriterien und „das Teilen“ von Unternehmenserfolgen. Dabei wird es jeweils vom Unternehmen und seinem Umfeld abhängen, wie ein Projekterfolg zu messen ist. In den meisten Fällen wird als ein Kriterium der wirtschaftliche Erfolg wichtig sein – gemessen am Gewinn, an mehr Umsatz, an eingesparten Kosten, aber auch an der Sicherung von Arbeitsplätzen und dem langfristigen Überleben des Unternehmens. Um Verände-
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rungsprozesse dauerhaft anzulegen, ist es nach unserer Erfahrung wichtig, Erfolge zu teilen. Es mag banal klingen: Mitarbeiter sollten Innovation und wirtschaftlichen Erfolg auch auf ihrem Konto sehen können. Der moralische Appell allein genügt auf Dauer nicht. Man kann die Liste der Erfolgsfaktoren sicherlich noch um einige Punkte erweitern. Aus unserer Sicht sind aber mit diesen sechs Schritten die wichtigsten Punkte genannt. Werden sie berücksichtigt, dann haben Unternehmen eine gute Chance, beteiligungsorientiert Innovationen umzusetzen und nachhaltig erfolgreicher zu sein als andere Unternehmen bzw. Konkurrenten, die diesen Weg nicht gehen. Aber wirken solche Ansätze auch in der Krise und im Konfliktfall? 3
Innovationsprozesse in der Krise: Unternehmen im Stresstest
Innovationsprozesse in Unternehmen brauchen für einen Erfolg drei Voraussetzungen: Zeit, Geld und Vertrauen. Das sind aber genau die Ressourcen, die in einer Krisensituation knapp sind. Die aktuelle Finanzkrise mit ihren abrupten Nachfrageeinbrüchen hat daher in vielen Unternehmen auch die laufenden Innovationsprojekte infrage gestellt, verlangsamt und manchmal auch gestoppt. Das ist verständlich, aber nicht immer die klügste Entscheidung. Bei der Bewertung, ob und wie Ansätze und Instrumente einer beteiligungsorientierten Innovationspolitik sich in der Krise bewähren, gibt es einige generelle Punkte, die zeigen, wie erfolgreiche Beteiligung Unternehmen erlaubt, flexibel auch auf abrupte Veränderungen am Markt zu reagieren. Gleichzeitig gibt es jeweils in den besonderen Umständen liegende Gründe, die im Einzelfall auch die Grenzen dieser Ansätze aufzeigen. Zu den Faktoren einer beteiligungsorientierten Innovationspolitik, die grundsätzlich die Flexibilität und damit auch die Krisenstabilität eines Unternehmens erhöhen, gehören wechselseitiges Vertrauen der Betriebsparteien, Offenheit und Transparenz in wirtschaftlichen Fragen und erprobte Kommunikations- und Verhandlungswege. Hinzu kommt in vielen Fällen auch eine deutlich über dem Durchschnitt liegende Bereitschaft der Mitarbeiter, sich für ihr Unternehmen einzusetzen und selbst Beiträge zur Bewältigung von Krisensituationen zu leisten. Gerade das deutsche System der industriellen Beziehungen und die besondere Bereitschaft des Staates, auf Kooperation der Betriebsparteien aufbauende Lösungen finanziell und gesetzgeberisch zu unterstützen, hat in der Bewältigung der aktuellen Krise eine in Europa vorbildliche Rolle gespielt. Die Einführung von flexiblen Arbeitszeitsystemen, die Anwendung von Kurzarbeit, die Veränderung von Entlohnungssystemen
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und anderes mehr waren die „Innovations“instrumente, die vielen Unternehmen eine vorher nicht gekannte Flexibilität erlaubt haben, um Umsatzrückgänge von 30% und mehr wirtschaftlich bewältigen zu können. Dies setzt aber auf Seiten der Eigentümer und des Managements die Bereitschaft voraus, vorübergehend auf Gewinne zu verzichten und möglicherweise sogar zeitweilig Verluste zu akzeptieren, um in gemeinsamer Anstrengung eine Krise zu bewältigen. Da Beteiligung die grundsätzlich vorhandenen Interessenkonflikte in einem Unternehmen nicht aufhebt, sondern nur gemeinsam bearbeitbar macht, wird eine Krise gerade den Verteilungskonflikt besonders deutlich machen. Um es sehr einfach zu formulieren: Wo das Management auf der einseitigen Vorgabe einer fixen Gewinnerwartung beharrt, wird es sehr schwer für den Betriebsrat, Krisenbewältigungsmechanismen zuzustimmen, mit denen wirtschaftliche Kosten allein auf die Belegschaft umgelegt werden. Insoweit ist eine wirtschaftliche Krise für Unternehmen ein Stresstest, der zeigt, wie belastbar Verfahren und Sicherungsmechanismen sind. Anhand der in diesem Buch dargestellten Beispiele lässt sich zeigen, dass eine gemeinsame Krisenbewältigung klare Vorteile haben kann, da so Know-how und Personal gehalten werden. Jeder Aufbauprozess in sich wieder erholenden Märkten verläuft dann reibungsloser und zudem werden hohe Kosten für Entlassungswellen und Restrukturierungen vermieden. Es wäre allerdings naiv zu leugnen, dass in einzelnen Fällen den Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen auch die wirtschaftliche Kraft oder das Potenzial fehlen kann, um eine Krise ohne größere Einschnitte zu bewältigen. Personalabbau, die Aufgabe von (geplanten oder bereits begonnenen) Projekten und der Ausstieg aus Märkten sind manchmal unvermeidlich. Beteiligung kann auch in solchen Fällen funktionieren, aber da Betriebsräte in einer Doppelfunktion sind und Unternehmensinteressen und Mitarbeiterinteressen gleichzeitig vertreten sollen, entstehen notwendigerweise Konfliktsituationen (zu Interessen- und Rollenkonflikten von Betriebsräten vgl. ausführlich Stracke & Nerdinger 2009, 2010). 4
Chancen und Risiken von Beteiligung
Aus den vorhandenen Erfahrungen mit beteiligungsorientierten Innovationsprozessen lassen sich verschiedene Chancen und Risikoprofile erstellen – für das Management, für den Betriebsrat, für Mitarbeiter und für das Unternehmen. In der Gegenüberstellung wird deutlich, dass die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Interessen
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Grenzen setzen für Beteiligung. Die Chancen und gemeinsamen Interessen bleiben aber dennoch erheblich. Das Risikoprofil aus Sicht des Managements bei einer stark beteiligungsorientierten Innovationspolitik enthält u.a. folgende Punkte: Zusätzliche Kosten (durch Zeitaufwand bei allen Mitarbeitern) Zeitaufwand beim Management durch Koordinationszwang in Form von Sitzungen etc. Eine große Zahl von wenig fokussierten Beiträgen Eine Verwischung von Zuständigkeiten und Hierarchien Kritik an einzelnen Personen/leitenden Mitarbeitern Die Chancen liegen sowohl in wirtschaftlichen als auch immateriellen Faktoren: Erschließung von neuen Ideen der Mitarbeiter (vor allem für Abläufe und Verfahren) Deutlicher Motivationsschub Höhere Identifikation der Mitarbeiter und bessere Unternehmenskultur Deutliche Verringerung von Konfliktkosten Verringerung des Steuerungsaufwands durch höhere Selbststeuerung der Mitarbeiter Erhöhung der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an Krisen Besserer Ertrag und höhere Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens Eine vergleichbare Auflistung von Punkten für den Betriebsrat muss aus mehreren Gründen abweichend sein. Denn Betriebsräte sind von den Mitarbeitern gewählte Vertreter, die qua gesetzlicher Vorgabe Verantwortung für das Unternehmen und für die Interessen der Mitarbeiter als Arbeitnehmer haben. Das Risikoprofil von Betriebsräten enthält u.a. die Punkte: Zu weitgehende Identifikation mit Management und Unternehmensinteressen und dadurch Verlust der Möglichkeit zu glaubwürdiger Interessenwahrnehmung gegenüber Mitarbeitern Fachliche Überforderung einzelner Betriebsratsmitglieder Verzicht auf Nutzung von Verteilungsspielräumen Konflikte mit Tarifpolitik und Gewerkschaften durch stark betrieblich geprägte Sichtweise Dem stehen folgende Chancen gegenüber: Bessere betriebliche Mitsprache bei wichtigen Unternehmensentscheidungen Mehr Verteilungsspielräume im Falle einer erfolgreichen Innovationspolitik
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Kompetenzgewinn in den Augen der Mitarbeiter (und Wähler) Besseres Unternehmensklima Erweiterung informeller Regelungsspielräume in Kooperation mit dem Management Stärkere Beteiligungsbereitschaft im Angestelltenbereich im Betriebsrat Solch unterschiedliche Chancen und Risikoprofile bei Management und Betriebsrat lassen sich auch für die Mitarbeiter, das Unternehmen und externe Stakeholder wie Gewerkschaften aufstellen. Es kommen dann einige Punkte hinzu, die hier nur exemplarisch genannt werden sollen. Für die Mitarbeiter ist dies vorrangig sicher die Chance, sich mit mehr Beteiligung umfassender mit allen Kompetenzen einbringen zu können und selbstständiger zu entscheiden. Für das Unternehmen als Ganzes muss die Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, d.h. seiner Innovationskraft und seines Ertrags im Vordergrund stehen. Für die Gewerkschaften ist es eine Chance, neue Mitglieder zu gewinnen und erfolgreich Verteilungsspielräume zu nutzen. Aber es ist auch eine Gefahr, im allgemeinen Konsens der Betriebsparteien an den Rand gedrängt zu werden. Diese Gefahr kann letztlich nur gelöst werden durch die Gewerkschaftsmitglieder selbst, d.h. durch Betriebsräte und Vertrauensleute, die auch bei einer beteiligungsorientierten Innovationspolitik nicht auf Mobilisierung und Mitgliedergewinnung im Betrieb verzichten. 5
Fazit und offene Forschungsfragen
Die in diesem Band geschilderten Erfahrungen mit beteiligungsorientierter Innovationspolitik sind in vieler Hinsicht typische Beispiele für die besonderen Umstände des „deutschen Produktionssystems“ mit seinen Elementen der Mitbestimmung, der Betriebsräte und den Aktivitäten der Gewerkschaften in der Tarifpolitik und den Unternehmen. Dieses System war ohne Zweifel in der Vergangenheit sehr erfolgreich. Um diesen Erfolg fortzuschreiben, kommt es darauf an, die Beteiligungs- und Mitbestimmungselemente auf betrieblicher Ebene weiter zu nutzen und zu erweitern. Der Innovationsprozess sollte dabei nicht nur technisch im Sinne von neuen Produkten und Produktionsverfahren verstanden werden. Es geht auch um eine breite Öffnung des Innovationsprozesses nach innen, in die Unternehmen hinein (vgl. Gerlach & Ziegler, 2010). Wie kann dies erreicht werden? Das war die zentrale Frage aller Beiträge in unserem Projekt BMInno. Einige sich daraus ergebenden Forschungsfragen sollen zum Abschluss benannt werden:
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Wie lässt sich das Verhältnis von Mitbestimmung und Innovation in seinen Stärken und Schwächen analytisch genau fassen? Gibt es empirische Belege für einen „Innovationstreiber“ Beteiligung und Mitbestimmung über den Einzelfall hinaus? Wie ist das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit einerseits und Gestaltung von Innovation und Veränderung andererseits für Betriebsräte aufzulösen? Kann man Erfahrungen in großen Unternehmen auf die vielen kleinen und mittleren Betriebe übertragen? Diese Fragen lassen sich erst durch zukünftige weitere Forschungsarbeiten hinreichend beantworten. Aber schon heute wird durch die in diesem Buch dargestellten Unternehmensbeispiele deutlich: Innovationsstrategien jenseits traditionellen Managements sind ein Schlüssel zum zukünftigen Erfolg und damit auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zur nachhaltigen Verbesserung von Arbeit und Arbeitsbedingungen. Die vorgestellten Unternehmensbeispiele unterstreichen, dass „Innovation“ hier nicht nur als Schlagwort gebraucht wird. Es werden auch entsprechende Aktivitäten eingeleitet, von denen sowohl die Unternehmen als auch die Beschäftigten profitieren sollen. Innovation im Unternehmen darf jedoch nicht auf ein einmaliges „Projekt“ beschränkt bleiben. Eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ist nur dann möglich, wenn der eingeschlagene Weg weiter beschritten und von allen betrieblichen Akteuren weiter vorangetrieben wird. Wichtig dabei ist, dass Unternehmen auf ihre (historisch) gewachsenen und kulturell verankerten Fähigkeiten und auf die eigenen Mitarbeiter zurückgreifen. Ein Unternehmen, das diese Ressourcen nutzt, kann hieraus echte Wettbewerbsvorteile und Stärken ziehen.
Literatur Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2008). Innovationen im Unternehmen kultivieren. Fallstudien international erfolgreicher Unternehmen. Gütersloh: Bertelsmann. Haas, B., Oettinger, R., Ritter, A. & Thul, M.J. (Hrsg.) (2007). Nachhaltige Unternehmensführung. Excellence durch Verknüpfung wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Forderungen. München und Wien: Hanser. Howaldt, J. & Jacobsen, H. (Hrsg.) (2010). Soziale Innovation.: Auf dem Weg zu einem postindustriellen Innovationsparadigma. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Gerlach, F. & Ziegler, A. (2010). Das deutsche Modell auf dem Prüfstand. Innovation in der Krise. WSI-Mitteilungen, 63 (2), 63-70.
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Kirner, E., Weißfloch, U. & Jäger, A. (2010). Beteiligungsorientierte Organisation und Innovation. WSI-Mitteilungen, 63 (2), 87-94. Laszlo, C. (2003). The sustainable company – How to Create Lasting Value Through Social and Environmental Performance. Washington, DC: Island Press. Stracke, S. & Nerdinger, F.W. (2010). Mitbestimmung und Innovation aus Betriebsratsperspektive. Ergebnisse qualitativer Studien. Industrielle Beziehungen, 17 (1), 30-53. Stracke, S. & Nerdinger, F.W. (2009): „Zwischen vielen Stühlen“ – Interessen- und Rollenkonflikte von Betriebsräten im Spannungsfeld betrieblicher Innovation. Wirtschaftspsychologie, 11 (IV), 99-108. Weißenrieder, J. & Kosel, M. (Hrsg.) (2010). Nachhaltiges Personalmanagement in der Praxis – mit Erfolgsbeispielen mittelständischer Unternehmen. Wiesbaden: Gabler.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Judith Beile, Dr. phil., geb. 1966. Studium der Geschichts- und Politikwissenschaften in Tübingen, New York und Hamburg. 1993-1995 Politische Beraterin im Bundeskanzleramt, 1995-1996 Referentin im Deutschen Bundestag, 1997-2002 Beraterin bei ISA Consult GmbH. Seit 2003 Beraterin bei Wilke, Maack und Partner, Hamburg. Nationale und internationale Forschungs- und Beratungsprojekte u.a. zu den Themen Unternehmenskultur, Gender, Work-Life-Balance, Corporate Social Responsibility (CSR).
Martin Benkenstein, Univ.-Prof. für Absatzwirtschaft, Dipl.-Kfm., geb. 1957. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität München, nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marketing der Universität Münster. 1986 Promotion, 1992 Habilitation. Seit 1992 Direktor des Instituts für Marketing und Dienstleistungsforschung an der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkte: Messung und Steuerung der Dienstleistungsqualität, Commitment in Dienstleistungsbeziehungen, Emotionale Erlebniswerte in Dienstleistungsbeziehungen.
Tina Breyer, Dipl.-Kffr., geb. 1981. Studium der Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Rostock (2004-2009). Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-geförderten Forschungsprojekt BMInno am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkte: Innovatives Verhalten, betriebliche Mitbestimmung, normative Referenzgruppen, Perspektivenübernahme.
Susanne Curth, Dipl.-Kffr., geb. 1984. Studium der Betriebswirtschaftlehre an der Universität Rostock. Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock und wissenschaftliche Mitarbeiterin in BMBF-geförderten Forschungsprojekten. Forschungsschwerpunkte: Commitment und Customer Citizenship Behaviour von Kunden, Mitarbeiterbeteiligung und betriebliche Innovationen.
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Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Kai Deutzmann, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, geb. 1960. Ausbildungen zum Flugzeugmechaniker und Fluggerätbauer, seit 2002 Mitglied und seit 2007 stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats der Lufthansa Technik AG in Hamburg.
Birte Homann, M.A., geb. 1979. Nach dem Bachelorabschluss in International Business Administration in Newcastle-upon-Tyne, England, mehrjährige Berufstätigkeit in der Luftfahrtindustrie. Aufbaustudium European Studies in Hamburg und Prag. Seit 2008 Beraterin bei Wilke, Maack und Partner, Hamburg. Nationale und internationale Forschungs- und Beratungsprojekte u.a. in den Bereichen Corporate Social Responsibility (CSR) und industrielle Beziehungen.
Hans-Georg Klaus, geb. 1951. Nach der Ausbildung zum Industriekaufmann Studium der Betriebswirtschaft VWA, Fachrichtung Steuerrecht, Rechnungswesen, Personal. Seit 1975 betraut mit Aufgaben im Personalwesen der Krupp Industrietechnik und Folgegesellschaften, parallel dazu Qualifikation zum Personalfachkaufmann. Seit 2000 Personalleiter bei der Krupp Berco Bautechnik GmbH in Essen, ab 2002 bei der Atlas Copco Construction Tools GmbH. 2005-2006 parallel dazu Studium an der Uni Bielefeld zum Betrieblichen Gesundheitsmanager.
Klaus Kost, Prof. Dr., geb. 1953. Studium der Wirtschaftsgeographie an den Universitäten Heidelberg und Bonn. 1987-1997 Lehrbeauftragter und seit 1998 Professor am Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. 1986-1990 Leiter der nordrhein-westfälischen Niederlassung eines Consultingunternehmens mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Strukturpolitik, Kommunalberatung und Unternehmensanalyse, 1990-1991 Referatsleiter für Energie und Umwelt eines Landesministeriums in NRW, 1992-1993 Wissenschaftlicher Referent der Vorstandsverwaltung der IG Metall, 1993-1996 Prokurist und Mitglied der Geschäftsleitung eines großen überregional tätigen Wohnungsunternehmens, 1996-1997 Geschäftsführer eines bundesweit tätigen Consultingunternehmens mit den Schwerpunkten Personalberatung, Unternehmenssanierung und -umstrukturierung. Seit 1998 Geschäftsführender Gesellschafter der PCG - Project Consult GmbH in Essen.
Carmen Lühr, geb. 1953. Als Bürokauffrau seit 1991 bei Sterling SIHI beschäftigt. Seit 2002 Betriebsratsvorsitzende und im Aufsichtsrat. Zweite Bevollmächtigte und
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Mitglied des Ortsvorstandes und der Delegiertenvertretung in der IG Metall-Verwaltungsstelle Unterelbe sowie in der Tarif- und Verhandlungskommission des Bezirks Küste.
Bernd Manthey, Dipl.-Ing., geb. 1952. Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der RWTH Aachen mit den Schwerpunkten Strömungslehre, Thermodynamik, numerische Mathematik, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der DFVLR Köln-Porz (heute DLR), anschließend Assistent der Leitung Qualitätssicherung bei MBB Hamburg (heute Airbus). Seit 1985 verschiedene Funktionen in Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement bei der AEG Hamburg und ihren Nachfolgefirmen, seit 2009 Leitung des Qualitätsmanagements der SAM Electronics GmbH.
Erko Martins, Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., Bankkaufmann, geb. 1976. Studium der Betriebswirtschaftlehre an der Universität Rostock. Seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock und wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Forschungsprojekten. Forschungsschwerpunkte: Psychologische Eigentümerschaft in Organisationen, Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmenskultur, betriebliche Innovationen, computervermittelte Kommunikation.
Erik Merks, geb. 1947. Nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser Studium der Volkswirtschaft an der Universität Hamburg. Berufsausübung als Controller in mehreren Unternehmen. Seit 1990 Betriebsratsvorsitzender bei SAM Electronics und den Vorgängerunternehmen. Mitglied in den Aufsichtsräten der jeweiligen Konzerngesellschaften.
Friedemann W. Nerdinger, Univ.-Prof. für Wirtschafts- und Organisationspsychologie, Dr. phil., Dipl.-Psych., geb. 1950. Studium der Psychologie, Soziologie und Pädagogik an der Universität München, nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität München. 1989 Promotion, 1994 Habilitation. Seit 1995 Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkte: Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmenskultur, Psychologie der Dienstleistung und des persönlichen Verkaufs, Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit.
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Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Wolfgang Nettelstroth, geb. 1954. Ausbildung zum Elektroniker und Beruftätigkeit, Studium der Sozialarbeit mit Schwerpunkt Bildungsarbeit, 1984 abgeschlossen. Ab 1984 tätig als Jugendbildungsreferent beim DGB sowie in der regionalen Branchenund Strukturpolitik. Ab 1994 Abteilungsleiter für Branchen- und Strukturpolitik beim DGB NRW. Seit 2000 Bezirkssekretär bei der IG Metall NRW, zuständig für Pressearbeit sowie Branchen- und Strukturpolitik. Seit Nov. 2004 zudem Steuerung der Modernisierungsoffensive „Besser statt billiger“ der IG Metall NRW, Koordinator des Verbundprojektes Kompetenz und Innovation, gefördert vom BMBF und dem ESF.
Alexander Pundt, Dipl.-Psych., geb. 1978. 1997-2003 Studium der Psychologie an der Universität Leipzig. Seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock sowie seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter in BMBF-geförderten Forschungsprojekten. Forschungsschwerpunkte: Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmenskultur, Führung, Innovation.
Reinhard Röhrig, Dipl.-Pol., geb. 1956. Studium der Sozialwissenschaften, Fachrichtung Politik, Europarecht und Geschichte an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg. Nach dem Studium 5-jährige Tätigkeit in der Produktion eines Unternehmens des Maschinen- und Anlagenbaus, danach Leiter des Umweltbereichs der INTEC GmbH in Düsseldorf. Ab 1995 externer Junior Consultant bei der Vebacom, Düsseldorf. Seit 1997 tätig bei der PCG - Project Consult GmbH in Essen, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik, Studien, EU-, BMBF- und ESF-Projekte. Durchführung zahlreicher Forschungs- und Kooperationsprojekte im In- und Ausland.
Gabi Schilling, Dipl. Pädagogin, geb. 1959. Nach dem Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie in Köln wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) in Köln, Schwerpunkt: Arbeitszeit und Lebensführung. Ab 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Arbeit und Technik, Schwerpunkt: Arbeitszeit und Arbeitsorganisation, später Erziehung und Bildung im Strukturwandel, jetzt Flexibilität und soziale Sicherung. Zahlreiche Forschungs- und Beratungsprojekte im Bereich Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsorganisation. Zurzeit Mitarbeit im Projekt Kompetenz und Innovation, gefördert vom BMBF und dem ESF.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
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Peter Schuldt, geb. 1966. Seit 1981 bei Sterling SIHI als Zerspanungsmechaniker tätig. Seit 2002 Betriebsratsmitglied mit der Ausbildung zum ERA-Entgeltexperten. Gleichzeitig aktiv bei der IG Metall als Mitglied des Ortsvorstandes in der Verwaltungsstelle Unterelbe, in der Delegiertenvertretung und in der Tarifkommission des Bezirks Küste.
Wim Sprenger, Dr., geb. 1940. Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Amsterdam. 1968-2001 tätig als Forscher, Trainer, Politikberater und Projektkoordinator für den niederländischen Gewerkschaftsbund (NVV, FNV und angegliederte Institute). 1982-1988 Dozent für Industrielle Beziehungen an einem PostgraduiertenInstitut. Seit 2001 selbstständiger Forscher, seit 2009 tätig für Opus 8, ein Forschungsund Beratungsinstitut mit den Schwerpunkten Industrielle Beziehungen, Restrukturierung, Qualität der Arbeitsorganisation und Qualifizierung. Zahlreiche internationale Projekte und Forschungsarbeiten.
Theo Steegmann, Dipl. Berufspädagoge, geb. 1955. 1975 Ausbildung zum Verfahrensmechaniker Metallurgie bei der Krupp Stahl AG, Werk Rheinhausen, 1987-1993 zweiter Betriebsratsvorsitzender, 1994-2001 Geschäftsführer der Rheinhauser Qualifizierungsgesellschaft, seit 2001 Leiter der Zentralen Weiterbildung der ThyssenKrupp Nirosta GmbH.
Stefan Stracke, Dipl.-Geogr., geb. 1976. Studium der Geographie, Wirtschaftswissenschaften und Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum. Mehrjährige Tätigkeit in nationalen und internationalen Beratungs- und Forschungsprojekten u.a. zur Regionalund Strukturpolitik sowie zur Unternehmens- und Branchenentwicklung. Seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkte: Unternehmenskultur, Mitbestimmung, Innovation, Mitarbeiterbeteiligung. Seit Sommer 2010 Berater bei Wilke, Maack und Partner, Hamburg.
Achim Vanselow, Dipl. Pol., geb. 1964. Studium der Politikwissenschaft, Jura und Neueren Deutschen Literatur an der Philipps-Universität Marburg. Seit 1995 tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, ab 2007 am neu gegründeten Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-
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Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Essen in der Abteilung „Flexibilität und Sicherheit“. Zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte, u.a. zu den Themen wie atypische Beschäftigung und Niedriglohnentwicklung. Forschungsaufenthalte bei der Russell Sage Foundation (New York) und an der University of Strathclyde (Glasgow). Zurzeit Mitarbeit im Projekt Kompetenz und Innovation, gefördert vom BMBF und dem ESF.
Eckhard Voß, M.A., geb. 1961. Nach dem Studium der Politikwissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Forschungsaufenthalt in Großbritannien und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. Seit 1994 tätig in der Forschungs- und Beratungsarbeit. Seit 2001 Berater bei Wilke, Maack und Partner, Hamburg. Zahlreiche Forschungs- und Kooperationsprojekte im In- und Ausland. Arbeitsschwerpunkte sind industrielle Beziehungen, Arbeitspolitik, sozialer Dialog und Unternehmenskulturen im nationalen wie internationalen Kontext.
Geneviève Wagner, Dipl. Pädagogin, geb. 1981. Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung, Weiterbildung sowie Personal- und Organisationsentwicklung. 2006-2007 Praktikantin und Diplomandin bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH, seit 2008 Mitarbeiterin in der Zentralen Weiterbildung der ThyssenKrupp Nirosta GmbH.
Ulrich Weinreuter, Dipl.-Kfm., geb. 1961. Studium der Betriebswirtschaftslehre (technisch orientiert) mit den Schwerpunkten Controlling, Finanzwissenschaft, Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart, danach acht Jahre tätig bei Daimler Benz Aerospace AG, zuletzt als Leiter Wirtschaft. Danach acht Jahre bei der Dunlop GmbH, wo er nach zwei Jahren in die Geschäftsführung der Dunlop TECH GmbH berufen wurde. Seit 2003 Geschäftsführer der SAM Electronics GmbH mit mehr als 1.300 Mitarbeitern weltweit und einem Umsatz von 350 Mio Euro.
Peter Wilke, Dr. phil., Dipl.-Volksw., geb. 1954. Nach Studium der Volks- und Sozialwissenschaft in Göttingen wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und am Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg. Seit 1990 tätig als Berater. Seit 2001 Geschäftsführer von Wilke, Maack und Partner, Hamburg. Zahlreiche nationale und internationale Forschungs- und Beratungsprojekte u.a. zu den
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Themen Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmenskultur, Unternehmensentwicklung und Strukturpolitik.