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ISBN 3448068756 ISBN ab 1.1.2007: 9783448068757
BestellNr. 071320001
© 2006, Rudolf Haufe Verlag GmbH & Co. KG Niederlassung München Redaktionsanschrift: Postfach, 82142 Planegg bei München Hausanschrift: Fraunhoferstraße 5, 82152 Planegg bei München Telefon: (089) 895 170, Telefax: (089) 895 17290 www.haufe.de
[email protected] Lektorat: Ulrich Leinz Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie die Auswertung durch Datenbanken, vorbehalten. Redaktion: Dr. Stephanie Kaufmann DesktopPublishing: Peter Böke Umschlag: HERMANNKIENLE, 70199 Stuttgart Druck: BoschDruck GmbH, 84030 Ergolding Zur Herstellung dieses Buches wurde alterungsbeständiges Papier verwendet.
Das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz in der betrieblichen Praxis
Michael Stuber DiplomWirtschaftsingenieur
unter Mitarbeit von Sonja Leyendecker Assessorin
Haufe Mediengruppe Freiburg · Berlin · München · Würzburg
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
8
Die häufigsten Fragen zum neuen Recht
9
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8
Die Gleichbehandlung in der betrieblichen Praxis Das AGG in der Praxis Die sechs Gleichbehandlungsmerkmale Die vier Tatbestände Die Ausnahmen vom Tatbestand Die praktischen Auswirkungen Die Anwendungsbereiche des AGG Der Betroffene muss beweisen Die praktische Umsetzung des AGG
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
4
13 13 14 14 16 17 17 17 18
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn Das Benachteiligungsverbot Das Maßregelungsverbot Die Organisationspflichten Informationspflichten Die Pflicht zur Einrichtung einer internen Beschwerdestelle 2.6 Die Dokumentationspflicht 2.7 Die Aufbewahrungspflicht 2.8 Die dauerhafte Überwachungspflicht 2.9 Die Kooperationspflichten 2.10 Die Pflicht zur sozialen Verantwortung
19 20 20 20 22
3 3.1 3.2 3.3 3.4
27 27 29 30 31
Nutzen und Vorteile des AGG für Ihr Unternehmen Gesellschaftliche Veränderungen Unternehmensinterne Veränderungen Erfahrungen mit „Diversity“ in anderen Staaten Vorteile für Ihr Unternehmen
23 24 24 25 25 26
Inhaltsverzeichnis
4 4.1 4.2 4.3 5 5.1 5.2 5.3 5.4
6 6.1 6.2 6.3 6.4
7 7.1 7.2 7.3 7.4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung Trennen Sie zwei Diskriminierungsarten: Benachteiligung und Belästigung Schritt für Schritt gegen Benachteiligung vorgehen Schritt für Schritt gegen Belästigungen vorgehen Stellenbeschreibungen benachteiligungsfrei gestalten Unterscheiden Sie zwischen Stellenbeschreibung und Stellenausschreibung So erkennen Sie die Schwachpunkte Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Stellenbeschreibung So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der BewerberInnen um So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus Was bei der Auswahl zu beachten ist So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl So gehen Sie mit Ansprüchen der BewerberInnen richtig um Gestalten Sie Ihr Vergütungssystem benachteiligungsfrei So vergüten Sie richtig So decken Sie die Schwachpunkte auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Vergütung So gehen Sie mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen richtig um
33 34 37 43 48 48 51 58 66
68 68 69 76 84
87 87 90 96 103
5
Inhaltsverzeichnis
8 8.1 8.2 8.3 8.4
9 9.1 9.2 9.3 9.4
10 10.1 10.2 10.3 10.4
11 11.1 11.2 11.3 11.4
6
So gestalten Sie benachteiligungsfreie Arbeitsbedingungen Vier Faktoren sind zu unterscheiden So decken Sie die Schwachpunkte der betrieblichen Praxis auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Arbeitsbedingungen So gehen Sie mit den Ansprüchen der Beschäftigten richtig um Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten Drei Bereiche sind zu unterscheiden So decken Sie die Schwachpunkte auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Aus und Weiterbildung So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei Drei Bereiche sind zu unterscheiden So decken Sie die Schwachpunkte auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Personalentwicklung So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um So führen Sie Entlassungen benachteiligungsfrei durch Unterscheiden Sie zwischen Aufhebung, Beendigung und Kündigung So decken Sie die Schwachpunkte auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Entlassung Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen
107 107 109 114 121
124 124 126 129 135
139 139 143 150 157
161 161 164 168 176
Inhaltsverzeichnis
12 12.1 12.2 12.3
Der benachteiligungsfreie KundInnenkontakt Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr So decken Sie die Schwachpunkte auf Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung des Kundenkontakts 12.4 Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen von InteressentInnen und KundInnen 13
180 180 182 186 191
13.4
Schaffen Sie eine benachteiligungsfreie Unternehmenskultur Unternehmenskultur: Was ist das eigentlich? So decken Sie die Schwachpunkte Ihrer Unternehmenskultur auf Anleitung für eine belästigungsfreie Gestaltung der Unternehmenskultur So gehen Sie mit Belästigungsbeschwerden richtig um
202 209
14 14.1 14.2 14.3
DiversityControlling sorgt für dauerhafte Ergebnisse DiversityControlling: Was ist das eigentlich? So decken Sie Schwachpunkte auf Anleitung für ein effektives DiversityControlling
213 213 218 224
15 15.1 15.2 15.3
Die rechtlichen Grundlagen des AGG Die bisherige Rechtslage Die Europäischen Richtlinien Das AGG
228 228 229 230
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
245
Stichwortverzeichnis
263
13.1 13.2 13.3
194 194 197
7
Vorwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, als ich vor bald 10 Jahren meine Diversity-Beratung gründete, war Diversity nur in Fachkreisen bekannt. Seitdem hat das Thema Karriere gemacht und viele Befürworter gewonnen. In größeren Unternehmen gehört es inzwischen zum Alltag. Aber auch auf politischer Ebene hat das Thema Einzug gehalten und ist nun, gewissermaßen durch die Hintertür, für alle Arbeitgeber als Folge des AGG verpflichtend geworden. Personalprozesse und Kundenkontakte müssen benachteiligungsfrei gestaltet werden; andernfalls drohen Prozesse und Imageschäden. Unternehmer empfinden die Verpflichtung durch das Gesetz häufig als maßregelnd. Mit diesem Buch will ich auf einen Leitgedanken des Gesetzes aufmerksam machen, den es angesichts gesellschaftlicher und ökonomisch rasanter Veränderungen nicht aus dem Blick zu verlieren gilt: Unterschiede gezielt in die Management- und Personalprozesse einzubeziehen, erhöht die Produktivität, stärkt die Innovationskraft und macht letztendlich Ihre Kunden zufriedener und Ihr Unternehmen erfolgreicher. Mit diesem Buch biete ich Ihnen daher an, die zentralen Personalprozesse in Ihrem Unternehmen gemeinsam zu überprüfen und – soweit rechtlich erforderlich und unternehmerisch sinnvoll – neu auszurichten. Nutzen Sie die Pflicht des Gesetzes als Chance, nutzen Sie die Vielfalt Ihrer Belegschaft und Ihrer Kunden! Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, finden Sie auf www.ungleich-besser.de weitere Informationen. Autorenkontakt:
[email protected] Viel Erfolg wünscht Ihnen
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Michael Stuber
Die häufigsten Fragen zum neuen Recht
War ein Gleichbehandlungsgesetz nötig? Mit dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“ setzte die Bundesregierung vier EU-Richtlinien aus den Jahren 2000, 2002 und 2004 um. Diese wollen, Diskriminierungen auf Grund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung eines Menschen bekämpfen und verhindern. Deutschland hat zusammen mit allen EU Staaten diese Richtlinien erlassen, um die europäische Menschenrechtspolitik weiter umzusetzen und neuen Rahmenbedingungen der Wirtschaft wie Globalisierung und Migration zu begegnen. Für Arbeitgeber ist es wirtschaftlich sinnvoll, die Regeln zu beachten und eventuell benachteiligte Gruppen einzubinden und deren Potenziale zu nutzen (siehe Kapitel 1, 2 und 15).
Auf welche Unternehmensbereiche wirkt sich das AGG aus? Das AGG betrifft viele Bereiche, vor allem aber die Bereiche Beschäftigung und Beruf. Mit dem AGG müssen sich künftig alle ArbeitgeberInnen auf neue rechtliche Anforderungen an ihr Personalwesen einstellen. Betroffen sind aber auch Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen. So soll künftig verhindert werden, dass etwa Senioren mit 70 Jahren grundsätzlich keine Kredite mehr erhalten, ein gleichgeschlechtliches Paar im Hotel kein Doppelbett erhält oder Behinderte in Restaurants nicht erwünscht sind. Ihr Unternehmen muss also künftig sicherstellen, dass Benachteiligungen sowohl von KundInnen als auch Beschäftigten vermieden werden (siehe Kapitel 2, 12).
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Die häufigsten Fragen zum neuen Recht
Drohen meinem Unternehmen künftig viele Klagen? Nach den Erfahrungen víeler anderer Länder ist keine Flut von Klagen zu erwarten. Das AGG ermöglicht beispielsweise abgelehnten BewerberInnen, wenn Indizien beweisen, dass eine Benachteiligung vorliegen könnte, Klage zu erheben. ArbeitgeberInnen müssen dann nachweisen, dass dies nicht der Fall war. Dieses Buch bereitet Sie darauf vor, Benachteiligungen zu erkennen und hilft Ihnen, Nachweise darüber zu führen, dass es keine Benachteiligung gegeben hat (siehe Kapitel 1, 15).
Entstehen meinem Unternehmen zusätzliche Kosten? Es ist davon auszugehen, dass insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, nur geringe oder keine zusätzlichen Kosten entstehen, wenn sie die Vorschriften umsetzen. Ihnen entstehen am ehesten Kosten aus der Überprüfung Ihrer derzeitigen Personalpraxis und für Informationsaktivitäten. Dokumentationen Ihrer Personalprozesse sollten im Rahmen professioneller Personalarbeit ohnehin erfolgen. Durch die Beachtung des AGG stellen Sie sicher, die Qualifikationen und Potenziale all Ihrer Beschäftigten und der Märkte auszuschöpfen (siehe Kapitel 2, 3).
Muss ich mein Personalwesen komplett neu gestalten? Das AGG soll verhindern, dass Menschen z. B. wegen ihrer sexuellen Identität, ihres Alters oder ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt werden. Sind Ihre Personalprozesse für alle Beschäftigten und BewerberInnen gleichermaßen fair und ist sichergestellt, dass niemand benachteiligt wird, hat das Gesetz kaum Einfluss auf Ihre Personalpraxis. Sie sollten jedoch systematisch überprüfen, ob dies der Fall ist. Hierfür liefert dieses Buch eine Anleitung (siehe Kapitel 5, 12).
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Die häufigsten Fragen zum neuen Recht
Wie kann ich mein Unternehmen auf das AGG vorbereiten? Das AGG schreibt keine spezifischen Maßnahmen vor. Um sich jedoch vor Schadenersatzklagen zu schützen, sollten Sie Ihre Beschäftigten über das Gesetz informieren und Ihre Personalprozesse bzw. Ihre Unternehmenskultur auf Benachteiligungs- bzw. Belästigungspotenziale hin überprüfen. Durch Informationsveranstaltungen, Schulungen, Broschüren oder im Intranet können Führungskräfte und MitarbeiterInnen darüber informiert werden, was konkret zu beachten ist (siehe Kapitel 4, 13, 14).
Mein Unternehmen diskriminiert doch niemanden, oder? Nicht immer sind Benachteiligungen offensichtlich oder leicht erkennbar. Sie können subtil auftreten, beispielsweise wenn Frauen überwiegend wenig anspruchsvolle Aufgaben erhalten. Dieses Buch hilft Ihnen, die verschiedenen Formen von Benachteiligung und die negativen Auswirkungen für die Beteiligten und für Ihr Unternehmen oder Ihre Organisation zu erkennen (siehe Kapitel 4, 7, 11).
Wer muss die Benachteiligung beweisen? Das AGG sieht eine Beweislasterleichterung vor, jedoch keine Beweislastumkehr. Das bedeutet, dass Betroffene Indizien beweisen müssen, die eine Diskriminierung oder Belästigung vermuten lassen. Dann muss der Beklagte, meist der Arbeitgeber, beweisen, dass keine Benachteiligung oder Belästigung vorgelegen hat. Daher sollten Sie rechtzeitig Benachteiligungspotenziale erkennen, diese auflösen und sich darauf vorbereiten, den Nachweis der Nichtbenachteiligung zu führen (siehe Kapitel 1.7, 4).
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Die häufigsten Fragen zum neuen Recht
Führt das AGG zu umgekehrter Diskriminierung? Das AGG führt nicht dazu, dass einzelne Gruppen künftig bevorzugt behandelt werden. Spezifische Fördermaßnahmen – z. B. Frauenförderprogramme oder Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen – bleiben weiterhin zulässig.
Lohnt sich eine Vorbereitung auf das AGG? Wie hoch ist das Risiko? Bislang existierten nur wenige Antidiskriminierungsregelungen im deutschen Arbeitsrecht. Deshalb ist es kaum möglich abzuschätzen, wie groß das Potenzial für Vorwürfe auf Basis des AGG für Sie sein wird. Auch die konkreten Auswirkungen können noch nicht abgeschätzt werden – jedenfalls drohen Ihnen keine Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe wie das in den USA der Fall sein kann. Das Risiko negativer Schlagzeilen besteht aber auch hier. Arbeitgeber sehen hierin eine wesentliche Gefahr, da das Image und Ansehen immer wichtiger für den Markterfolg, den Erfolg auf Finanzmärkten und bei Fachkräften wird.
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1
Die Gleichbehandlung in der betrieblichen Praxis
Durch das Inkrafttreten des AGG ergeben sich für Sie als ArbeitgeberIn vielfältige Anforderungen an eine benachteiligungs- und belästigungsfreie Gestaltung Ihrer Personalprozesse und Ihrer Unternehmenskultur. Dieses Kapitel stellt die Grundlagen des Konzepts „Allgemeine Gleichbehandlung“ und die Kerninhalte des AGG im Überblick dar. Eine detaillierte Darstellung der rechtlichen Grundlagen finden Sie in Kapitel 15.
1.1
Das AGG in der Praxis
Basierend auf drei Richtlinien der Europäischen Union1 trat zum 01.08.2006 in Deutschland das AGG in Kraft, das zuvor unter dem Namen „Antidiskriminierungsgesetz“ für kontroverse politische und gesellschaftliche Diskussionen gesorgt hat. Achtung: Lassen Sie sich nicht von Begriffen in die Irre führen! Das AGG ersetzt die Begriffe „Diskriminierung“ durch „Benachteiligung“ und im Gesetzestitel „Antidiskriminierung“ durch „Gleichbehandlung“. Damit zog man vor allem Konsequenzen aus den heftigen emotionalen Reaktionen auf die ersten Entwürfe eines Antidiskriminierungsgesetzes. Der Begriff „Diskriminierung“ löst in Deutschland – vor dem Hintergrund unserer Geschichte – starke negative Gefühle aus. Dies ist auch für Sie bei der innerbetrieblichen Arbeit von Bedeutung. Es ist daher wichtig, dass Sie zwischenmenschliche Aspekte im Auge behalten und das AGG nicht als formalistische Übung betrachten. Dabei müssen Sie auch be achten, dass die Begriffe „Gleichbehandlung“ und „Benachteiligung“ häufig nicht wörtlich im umgangssprachlichen Sinn interpretiert wer den dürfen. Sie wurden gewählt, „um deutlich zu machen, dass nicht jede unterschiedliche Behandlung, die mit der Zufügung eines Nachteils 1
2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG.
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Die Gleichbehandlung in der betrieblichen Praxis
verbunden ist, diskriminierenden Charakter hat“. Es gibt indessen auch Fälle der zulässigen unterschiedlichen Behandlung. Umgekehrt müssen Sie jedoch beachten, dass Gleichbehandlungen nicht selten zu unge rechtfertigen Benachteiligungen führen, wenn man Unterschiede igno riert. Auch existieren viele subtile Formen von Diskriminierung, die durch unser Alltagsverständnis von Benachteiligung nicht abgedeckt sind. Achten Sie deshalb in der betrieblichen Umsetzung des AGG auf die Definitionen, Merkmale und Geltungsbereiche – dieses Buch stellt hierfür eine systematische Hilfestellung dar. In allen Kapiteln werden die Begriffen Benachteiligung, Diskriminierung oder Gleichbehandlung so verwendet, wie es der Autor für effektiv im Sinne der Verständlich keit erachtet.
Das Gesetz normiert ein zentrales Benachteiligungsverbot hinsichtlich sechs verschiedener Merkmale für den arbeits- und zivilrechtlichen Bereich. Es gibt vier verschiedene Arten des Verstoßes gegen dieses Verbot, die verschiedene Rechte der Beschäftigten nach sich ziehen und als deren Kehrseite Sie als ArbeitgeberIn eine ganze Reihe von Pflichten treffen.
1.2
Die sechs Gleichbehandlungsmerkmale
Das Gesetz beinhaltet insgesamt sechs Merkmale auf Grund derer keine Benachteiligung erfolgen darf: 1. Alter 2. Behinderung 3. Rasse/ethnische Herkunft 4. Geschlecht 5. Religion/Weltanschauung 6. Sexuelle Identität.
1.3
Die vier Tatbestände
Mit Blick auf diese Merkmale definiert das Gesetz vier verschiedene Tatbestände, die jeweils einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot darstellen:
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Die vier Tatbestände
1
1. Tatbestand: Die unmittelbare Benachteiligung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines Merkmals eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Beispiel: Ignoriert auf Grund des Alters Ein/eine BewerberIn wird auf Grund seines/ihres Alters nicht zum Vor stellungsgespräch eingeladen. Hierbei handelt es sich um einen Fall der unmittelbaren Benachteiligung.
2. Tatbestand: Die mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines Merkmals gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Beispiel: Unfairer Ausschluss Eine Weiterbildungsveranstaltung findet in Räumlichkeiten statt, die für RollstuhlfahrerInnen nicht zugänglich sind. Hierbei handelt es sich um einen Fall von mittelbarer Belästigung.
3. Tatbestand: Die Belästigung Eine Belästigung liegt vor, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem Merkmal in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Beispiel: Feindliche Witze Ein/eine MitarbeiterIn erzählt am Arbeitsplatz wiederholt schwulen feindliche Witze. Hierbei handelt es sich um einen Fall von Belästigung.
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Die Gleichbehandlung in der betrieblichen Praxis
4. Tatbestand: Die sexuelle Belästigung Um eine sexuelle Belästigung handelt es sich, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Beispiel: Pornokalender im Büro Im Büro haben Kalender mit pornografischen Darstellungen nichts zu suchen. Hängen solche an der Wand, kann ein Fall der sexuellen Belä stigung vorliegen. Achtung: Eine Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen. Sie ist auch dann gegeben, wenn der/die Benachteiligende das Vorhandensein eines Merkmals irrig annimmt. Auch die Anweisung zu einer Benachtei ligung wird mit dieser selbst gleichgesetzt.
1.4
Die Ausnahmen vom Tatbestand
Ausnahmen vom Tatbestand der Benachteiligung gelten für besondere berufliche Merkmale und Anforderungen, für bestimmte Konstellationen im Hinblick auf das Alter und für positive Maßnahmen. Beispiel: Minderheiten bevorzugt Eine zulässige unterschiedliche Behandlung kann beispielsweise vorlie gen, wenn eine Organisation der in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten Personen bevorzugt einstellt, die diesen jeweiligen Gruppen angehören.
Näheres hierzu finden Sie in Kapitel 15.
16
Die praktischen Auswirkungen
1.5
1
Die praktischen Auswirkungen
Der Tatbestand der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung betrifft im Wesentlichen Ihre Unternehmensprozesse. Im Gegensatz dazu betrifft der Tatbestand der Belästigung vor allem Ihre Unternehmenskultur.
1.6 1.6.1
Die Anwendungsbereiche des AGG Der arbeitsrechtliche Bereich
Das Gesetz umfasst eine Reihe von Anwendungsbereichen, die die gesamte Wertschöpfungskette des Personalmanagements abdecken: • Zugang zur Beschäftigung (Suche, Auswahl, Einstellung) • Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (inklusive Arbeitsentgelt und Entlassung) • Mitgliedschaft in Organisationen (inklusive Gewerkschaften)
1.6.2
Der zivilrechtliche Bereich
Zudem wird auch ein Teil des zivilrechtlichen Bereichs mit einem Benachteiligungsverbot belegt. Hierauf wird in Kapitel 12 ausführlich eingegangen.
1.7
Der Betroffene muss beweisen
Das Gesetz bestimmt in § 22, dass der/die Betroffene die ungünstige Behandlung beweisen und Indizien beweisen muss, die eine Benachteiligung oder Belästigung vermuten lassen. Der/die Beklagte, im Allgemeinen Sie als ArbeitgeberIn, muss dann nachweisen, dass keine solche vorgelegen hat oder zulässig war (so genannte Beweislasterleichterung). Achtung: Um unternehmensintern die Maßgaben des AGG zu erfüllen und gege benenfalls den Beweis der Benachteiligungsfreiheit führen zu können, müssen Sie im Allgemeinen Auditierungen Ihrer Personalprozesse und Analysen Ihrer Unternehmenskultur sowie gegebenenfalls Anpassungen derselben vornehmen.
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Die Gleichbehandlung in der betrieblichen Praxis
1.8
Die praktische Umsetzung des AGG
Insgesamt wird deutlich, dass das Konzept „Gleichbehandlung“ vielschichtig ist. Zusammen mit Konzepten, die für das deutsche Rechtssystem neu sind, entsteht ein komplexes Handlungsfeld, das nur teilweise durch juristische Ansätze abgedeckt werden kann. Daher wählt dieses Buch bewusst eine pragmatische, managementorientierte Perspektive bei der Bearbeitung des Themas. Es basiert auf fundierten Kenntnissen der Konzepte, die den EUAntidiskriminierungsrichtlinien, dem AGG und damit auch der künftigen Rechtsprechung für diesen Bereich zugrunde liegen. Juristische Analysen und Empfehlungen nimmt das Buch nur ansatzweise vor (vgl. Kapitel 15). Dagegen stehen praktische Herangehensweisen und präventive Umsetzungsmöglichkeiten im Vordergrund.
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2
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn
Das AGG beinhaltet eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Vorschriften zur Schaffung und Erhaltung eines benachteiligungsfreien Arbeitsumfelds. Dadurch kommen auf Sie als ArbeitgeberIn eine Reihe unterschiedlicher Pflichten zu. Achtung: Noch gibt es keine Rechtsprechung. In den gerichtlichen Verfahren wer den aber zukünftig Konkretisierungen und Detaillierungen vorgenommen, die zu mehr Rechtssicherheit führen.
Dieses Kapitel beschreibt folgende Pflichten, die Sie als ArbeitgeberIn beachten müssen: Übersicht: Arbeitgeberpflichten Pflichten
Paragraph
Kapitel
Benachteiligungsverbot
§7
2.1
Maßregelungsverbot
§ 16
2.2
§ 12 Abs. 1
2.3.1
Organisationspflichten • Schutzpflichten
2.3
• Sanktionspflichten
§ 12 Abs. 3
2.3.2
• Prüfungs und Mitteilungspflichten
§ 13 Abs. 1 S. 2
2.3.3
§ 12 Abs. 2
2.4.1
§ 13
2.5
Informationspflichten • Hinweis und Schulungspflichten
2.4
• Bekanntmachungspflichten Pflicht zur Schaffung einer internen Beschwer destelle
2.4.2
Dokumentationspflicht Aufbewahrungspflicht
2.6 § 15 Abs. 4
2.7
Dauerhafte Überwachungspflicht/Monitoring
2.8
Kooperationspflichten
2.9
Pflicht zu sozialer Verantwortung
§ 17 Abs. 1
2.10
19
2
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn
Diese Aufgaben bestehen in allen Geltungsbereichen des Gesetzes, nehmen allerdings in den verschiedenen PersonalmanagementDisziplinen unterschiedliche Gestalt und Intensität an.
2.1
Das Benachteiligungsverbot
Aus § 7 AGG als zentraler Norm ergibt sich für Sie als ArbeitgeberIn (aber auch für KollegInnen und Dritte) in erster Linie ein umfassendes Benachteiligungsverbot hinsichtlich aller sechs Benachteiligungsmerkmale (Näheres dazu siehe unten in Kapitel 15). Jede Verletzung dieses Verbots löst nicht nur die in § 15 AGG normierten Entschädigungs- und/oder Schadensersatzansprüche von benachteiligten MitarbeiterInnen oder BewerberInnen aus, sondern stellt zudem auch eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten gemäß § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar, wie § 7 Abs. 3 AGG zur Verdeutlichung ausführt. Entsprechendes gilt für den vorvertraglichen Bereich gemäß § 311 Abs. 2 BGB.
2.2
Das Maßregelungsverbot
Gemäß § 16 AGG dürfen diejenigen Beschäftigten nicht benachteiligt werden, die ihre Rechte aus diesem Gesetz wahrnehmen. Dieser Schutz wird ausgedehnt auf Personen, die die Beschäftigten unterstützen sowie auf ZeugInnen. Die Ausführung einer Anweisung, die andere Beschäftigte benachteiligen würde, wäre nach § 7 Abs. 1 ebenso rechtswidrig wie die Erteilung der Anweisung selbst. Die Weigerung, eine derartige Weisung auszuführen, darf vom Arbeitgeber nicht mit Sanktionen belegt werden.
2.3
Die Organisationspflichten
Zu den Organisationspflichten gehören die Schutz-, Sanktions-, Prüfungs- und Mitteilungspflichten:
20
Die Organisationspflichten
2.3.1
2
Schutzpflichten
Sie sind gemäß § 12 Abs. 1 AGG verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligung und Belästigung zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. Was erforderlich ist, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten. Welche Maßnahmen geboten sind, kann je nach Größe und Struktur des Betriebs unterschiedlich ausfallen. Die Verpflichtung besteht nur insoweit, wie Sie als ArbeitgeberIn dazu rechtlich und tatsächlich in der Lage sind. Achtung: Wichtig ist, dass Beschäftigte mit geeigneten Maßnahmen vor Benach teiligungen durch andere Beschäftigte und Dritte geschützt werden müssen (Näheres dazu im Kapitel 15). Allein aus diesem Grund ist es sinnvoll, wenn Sie ein unbürokratisches, niederschwelliges, internes Beschwerdeinstrument schaffen, um zeitnah Kenntnis von Benachteili gungsfällen oder potenzialen zu erlangen und schnell und effizient geeignete Maßnahmen ergreifen zu können.
Wenn Ihre Beschäftigten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte (z. B. KundInnen, GeschäftspartnerInnen) benachteiligt werden, haben Sie gemäß § 12 Abs. 4 AGG ebenfalls die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.
2.3.2
Sanktionspflichten
Im Falle des Verstoßes eines/einer Mitarbeiters/in gegen das Benachteiligungsverbot müssen Sie gemäß § 12 Abs. 3 AGG die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen disziplinarischen Maßnahmen, wie z. B. Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung, zur Unterbindung einer Benachteiligung treffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die einzelne Maßnahme verhältnismäßig sein muss, d. h. der verfolgte Zweck muss mit dem Mittel überhaupt erreicht werden können, es darf keine mildere Maßnahme mit demselben Erfolg möglich sein und der beabsichtigte Zweck darf nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen.
21
2
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn
2.3.3
Prüfungs und Mitteilungspflichten
Nach § 13 Abs. 1 S. 2 AGG haben Sie eine bei der zuständigen Stelle des Betriebs oder Unternehmens eingelegte Beschwerde zu prüfen und das Ergebnis dem/der BeschwerdeführerIn mitzuteilen. Gerade für den Fall, dass Sie der Beschwerde – aus welchen Gründen auch immer nicht abhelfen – sollte die Mitteilung möglichst ausführlich sein. Sofern dies tatsächlich möglich ist, empfiehlt es sich, eine spezielle Beschwerdestelle einzurichten, deren Mitglieder über eine hohe Verhandlungs- und Schlichtungskompetenz verfügen. Zudem sollten Sie für eine möglichst enge Vernetzung zwischen Ihnen und dieser Stelle sorgen.
2.4
Informationspflichten
Zu den Informationspflichten gehören zum einen die Hinweis- und Schulungspflichten und zum anderen die Bekanntmachungspflichten.
2.4.1
Hinweis und Schulungspflichten
Gemäß § 12 Abs. 2 AGG haben Sie die Pflicht, auf die Unzulässigkeit von Benachteiligungen hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass solche Benachteiligungen unterbleiben. Beispiel: Rechtzeitige Aufmerksammachen Ihrer Hinweispflicht kommen Sie beispielsweise nach, wenn Sie aus drücklich auf die Unzulässigkeit von Benachteiligungen in der nächsten Betriebsversammlung hinweisen. In diesem Fall können Sie gemäß § 43 Abs. 3 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vom Betriebsrat, sofern dieser bei Ihnen vorhanden ist, verlangen, dass er eine Versammlung einberuft und diesen Punkt auf die Tagesordnung setzt.
Diese Pflicht besteht nur, soweit wie Sie dazu rechtlich und auch tatsächlich in der Lage sind. Wichtig ist daher, dass Sie allen MitarbeiterInnen deutlich machen, dass Benachteiligungen unzulässig sind und daher zu unterbleiben haben.
22
Die Pflicht zur Einrichtung einer internen Beschwerdestelle
2
Achtung: Wenn Sie sich erfolgreich darauf berufen wollen, dass Sie alles Notwen dige getan haben, dann sollten Sie Ihre Beschäftigten umfassend und im Hinblick auf Ihre spezielle betriebliche Situation schulen. Alle damit verbundenen Maßnahmen sollten Sie dokumentieren und aufbewahren, damit Sie im Fall einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung die erforder lichen Beweise erbringen können.
2.4.2
Bekanntmachungspflichten
Das AGG müssen Sie im Betrieb genauso bekanntmachen wie § 61b Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden zuständigen Stellen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb üblichen Informations- und Kommunikationstechnik (z. B. Intranet) erfolgen.
2.5
Die Pflicht zur Einrichtung einer internen Beschwerdestelle
Obwohl § 13 AGG nur von einem Beschwerderecht der Beschäftigten bei der zuständigen Stelle des Betriebs oder Unternehmens spricht, erscheint die Einrichtung einer möglichst kompetenten und effizienten Stelle sinnvoll. Mangels gesetzlicher Konkretisierungen haben Sie als ArbeitgeberIn einen umfassenden Spielraum hinsichtlich der genauen Ausgestaltung. Angesichts der Tatsache, dass eine Beschwerde gemäß § 13 Abs. 1 AGG umfassend zu prüfen und das Ergebnis dem/der Betroffenen mitzuteilen ist, empfiehlt es sich, eine Stelle mit entsprechender Ermittlungskompetenz einzurichten. Diese kann beispielsweise paritätisch mit Mitgliedern aus ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenkreisen besetzt sein. Wichtig ist, dass die dort tätigen Personen über eine hohe Schlichtungskompetenz verfügen, um einem gerichtlichen Verfahren vorzubeugen.
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2
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn
Achtung: Im Rahmen einer Ermittlung sollten Sie immer zuerst an ein Gespräch zwischen den betroffenen Parteien denken, um den Vorfall möglichst einvernehmlich regeln zu können. Zudem sollten Sie beachten, dass es im Einzelfall durchaus sinnvoll sein kann, weitere Personen (z. B. die/den Gleichstellungsbeauftragte/n, Mitglieder des Betriebsrats) in das Beschwerde bzw. Schlichtungsverfahren einzubeziehen.
2.6
Die Dokumentationspflicht
Aus dem AGG ergibt sich schließlich – gerade im Hinblick auf drohende Entschädigungs- und/oder Schadensersatzansprüche – eine umfassende Dokumentationspflicht Ihrerseits. Ein Vorwurf der Benachteiligung kann sich richten gegen: • alle Personalmaßnahmen und -entscheidungen, die Sie in Ihrem Unternehmen zukünftig treffen • das Verhalten von KollegInnen und Dritten gegenüber Ihren Beschäftigten • Ihr Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen Auf Grund der Beweislasterleichterung liegt es nach erfolgreichem Beweis einer ungünstigen Behandlung und erfolgreichem Indizienbeweis einer Benachteiligung an dem/der Beklagten – meist Ihnen als ArbeitgeberIn – darzulegen und zu beweisen, dass keine solche vorgelegen hat oder dass diese ausnahmsweise zulässig war. Dies wird Ihnen vor allem dann gelingen, wenn Sie nachvollziehbar festhalten, welche Gründe oder Kriterien zu einer bestimmten Maßnahme, Entscheidung oder einem bestimmten Verhalten geführt haben.
2.7
Die Aufbewahrungspflicht
Ihre umfassenden und genauen Dokumentationen müssen Sie im Hinblick auf die Klagefrist über einen Zeitraum von mindestens fünf Monaten aufbewahren. Gemäß § 15 Abs. 4 AGG besteht eine Frist zur schriftlichen Geltendmachung von Ansprüchen im außerge-
24
Die dauerhafte Überwachungspflicht
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richtlichen Bereich von zwei Monaten ab Kenntnis. Eine Ausnahme gilt, wenn ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung eine längere Frist vorsehen. Gemäß § 61b Abs. 1 ArbGG gilt eine Klagefrist für Entschädigungen von drei Monaten nach Geltendmachung eines Anspruchs. Es ist davon auszugehen, dass auf Grund dieser neuartigen Dokumentationspflicht auch die entsprechenden datenschutzrechtlichen Normen geändert bzw. angepasst werden. Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll laut Gesetzesbegründung nicht mit einer über Gebühr langen Aufbe wahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
2.8
Die dauerhafte Überwachungspflicht
Mit Blick auf drohende Benachteiligungs- und Belästigungsvorwürfe ergibt sich aus dem AGG die Pflicht, Ihre Unternehmenskultur sowie die Neutralität Ihrer Personalprozesse regelmäßig zu überprüfen. Dies wird ausführlich unten in Kapitel 13 behandelt.
2.9
Die Kooperationspflichten
Kooperationspflichten sind mit einer Ausnahme im AGG nicht geregelt. Dennoch bieten sich Kooperationen mit dem Betriebsrat, der Frauen- oder Schwerbehindertenbeauftragten und weiteren Institutionen und Personen an, die sich für die ArbeitnehmerInnenbelange einsetzen. Zum einen sorgt eine solche Kooperation dafür, dass die Beschäftigten erkennen, dass Ihnen das Thema Antidiskriminierung wichtig ist. Zum anderen zeigt es, dass Sie sich nicht nur an die rechtlichen Vorgaben halten, sondern auch darüber hinaus engagiert sind. Außerdem führen solche Kooperationen, wenn sie auch extern kom-
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2
Ihre Pflichten als ArbeitgeberIn
muniziert werden, zu einer Steigerung des öffentlichen Ansehens Ihres Unternehmens. Schließlich können Sie durch Kooperationen schneller und umfassender Kenntnis von Problemfällen erlangen und entsprechend tätig werden. Vor allem mit dem Betriebsrat erscheint eine Zusammenarbeit mit Blick auf dessen Möglichkeit, gemäß § 17 Abs. 2 AGG, § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG auf Unterlassung, Duldung oder Vornahme einer bestimmten Handlung zu klagen, sinnvoll.
2.10 Die Pflicht zur sozialen Verantwortung In § 17 Abs. 1 AGG ist ausdrücklich geregelt, dass die Tarifvertragsparteien, ArbeitgeberInnen, Beschäftigte und deren Vertretungen aufgefordert sind, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des Ziels „Gleichbehandlung“ mitzuwirken. Die Verwirklichung des Benachteiligungsverbots durch eine Beobachtung der betrieblichen Praxis, durch Tarifverträge, Verhaltensregeln, Forschungsprojekte und Erfahrungsaustausch soll gefördert werden.
26
3
Nutzen und Vorteile des AGG für Ihr Unternehmen
Freilich bringt das neue Gesetz eine Vielzahl von Pflichten für Sie als ArbeitgeberIn mit sich – wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben. Doch erscheint es sehr sinnvoll die Blickrichtung auch zu wechseln: Ein Unternehmen, das konsequent benachteiligungsfrei vorgeht, kann hieraus einen großen Nutzen und eine Vielzahl von Vorteilen ziehen. Und Nutzen und Vorteile sind sowohl inner- als auch außerhalb des Unternehmens zu finden. Mitentscheidend für den Erfolg Ihrer Umsetzung der rechtlichen Maßgaben des AGG wird sein, ob Sie dies als lästige, unumgängliche Pflicht oder aber als umfassende Chance verstehen. Nach der Einschätzung des Autors werden nur die Unternehmen, die Benachteiligungsfreiheit als eine Aufgabe mit großem Entwicklungspotential und „Vielfaltsdividende“ begreifen, und diese in ihrer Unternehmenspolitik umfassend etablieren, auch zukünftig als bevorzugte DienstleisterInnen, AnbieterInnen, ArbeitgeberInnen und gesellschaftliche AkteurInnen anerkannt und national wie international erfolgreich sein. Denn es geht in diesem Gesetz darum, Veränderungen, die unternehmensintern und gesellschaftlich voranschreiten, positiv aufzugreifen und konstruktiv umzusetzen.
3.1
Gesellschaftliche Veränderungen
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien und das AGG sind kein abstraktes, rechtliches Konstrukt, sondern stellen vielmehr eine Folge der sich stark und schnell wandelnden Gesellschaft dar. Insofern tragen die rechtlichen Regelungen letztlich den veränderten Gegebenheiten Rechnung. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten fand eine ganze Reihe von demographischen Entwicklungen
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3
Nutzen und Vorteile des AGG für Ihr Unternehmen
statt, die sich nicht zuletzt auch auf die Arbeits- und Absatzmärkte ausgewirkt haben. Benachteiligungsfreiheit führt dazu, in diesen neuen Umfeldern effektiv und erfolgreich tätig sein zu können. Unsere Gesellschaft hat sich beispielsweise in folgenden Bereichen verändert: • Die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen und Personen in einer größer gewordenen Europäischen Union sowie die zunehmende Globalisierung führen zu immer mehr kultureller Vielfalt und der Notwendigkeit, diese als Stärke zu nutzen. • Immer mehr Frauen sind erwerbstätig und bringen immer höhere Qualifikationen mit. Der Frauenanteil unter den Studienanfängern liegt bei knapp 50 Prozent, der unter den Abiturienten darüber. Wirtschaft und Gesellschaft müssen diese Potenziale einsetzen. • Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt stetig an. Laut einer Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes wird im Jahr 2050 die Hälfte der deutschen Bevölkerung älter als 48 Jahre, ein Drittel 60 Jahre oder älter sein. Es entsteht die Notwendigkeit, eine neue positive Haltung gegenüber dem Alter(n) zu entwickeln und auch in einer älteren Gesellschaft eine Chance zu sehen. • Homosexuelle Frauen und Männer gehen mit ihrer sexuellen Ausrichtung immer offener und selbstverständlicher auch am Arbeitsplatz um. Die Gesellschaft akzeptiert die 4,2 Millionen erwachsenen Homosexuellen zunehmend, so dass auch in den Betrieben kein Produktivitätsverlust durch Verstecken hingenommen werden sollte. • Menschen mit Behinderungen präsentieren sich zunehmend als anspruchsvolle und leistungsstarke ArbeitnehmerInnen. Durch technischen Fortschritt wird es immer besser und einfacher möglich, ihre Fähigkeiten und Potenziale zu nutzen. • Religion und Glaubensfragen spielen trotz rückläufiger Mitgliedszahlen der großen christlichen Kirchen eine zunehmende gesellschaftliche und politische Rolle. Die Beachtung nicht nur christlicher Anforderungen an die Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten erscheint eine natürliche Konsequenz aus der Zunahme von Vielfalt.
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Unternehmensinterne Veränderungen
3
•
Darüber hinaus wandelt sich die Gesellschaft auch in Bezug auf Familienstrukturen, Lebensentwürfe, -ziele und -prioritäten sowie Kommunikations- und Umgangsformen. Diese Trends weisen in Richtung von mehr Vielfalt und Individualität bzw. in Richtung weniger Uniformität. Neben messbaren Veränderungen in der Gesellschaft stellen Wissenschaftler und Praktiker ein zunehmendes Bewusstsein der Menschen für werteorientierte Unternehmenskulturen fest: Viele ArbeitnehmerInnen zeigen höhere Erwartungen an ArbeitgeberInnen mit Blick auf die Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit, Fähigkeiten, Lebenssituation und Karriereplanung, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Gleichzeitig sind auch die KundInnen und InvestorInnen im Laufe der Zeit anspruchsvoller und aufgeklärter geworden, was den fairen und respektvollen Umgang von Unternehmen mit ihren MitarbeiterInnen, ZuliefererInnen und dem gesellschaftlichen Umfeld angeht. Themen wie „Soziale Verantwortung“ oder Ranglisten wie „Beste Arbeitgeber“ nehmen heute einen wichtigen Stellenwert bei der Unternehmensführung ein.
3.2
Unternehmensinterne Veränderungen
Der gesellschaftliche Wandel stellt mitunter existierende monokulturelle Denk- und Arbeitsweisen und eine tradierte Personalpolitik in Frage. MitarbeiterInnen werden einem Unternehmen nur dann mit ihrer ganzen Leistung, Kreativität und Motivation zur Verfügung stehen, wenn sie ein Umfeld vorfinden, indem sie als vollwertige, gleichberechtigte und leistungsfähige Person mit ihrer gesamten Persönlichkeit anerkannt und wertgeschätzt werden. Beispiel: Verschwendete Zeit und Kraft Ein schwuler Arbeitnehmer (statistisch gesehen sind neun Prozent jeder Belegschaft homosexuell) verwendet an einem Arbeitsplatz, an dem keine Offenheit gegenüber homosexuellen Lebensformen besteht, viel Zeit und Energie darauf, sein Privatleben geheim zu halten oder als heterosexuell darzustellen. Diese verlorene Produktivität steht Unter nehmen mit aufgeschlossenem Klima zusätzlich zur Verfügung – in quantitativer und qualitativer Hinsicht.
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3
Nutzen und Vorteile des AGG für Ihr Unternehmen
Auch KundInnen und InvestorInnen machen zunehmend ihre Kauf- oder Investitionsentscheidungen von ethischen Überlegungen abhängig, etwa mit Blick auf unwürdige Produktionsbedingungen. Beispiel: Mehr gesellschaftliches Bewusstsein Eine selbstbewusste Käuferin (statistisch gesehen sind 51 Prozent des Marktes weiblich) legt ihrer Kaufentscheidung nicht nur das Preis LeistungsVerhältnis der Ware zu Grunde. Selbst wenn ihr keine Infor mationen über die Personalpolitik des/der Herstellers/in vorliegen, be einflusst das Frauenbild, das ein Unternehmen in der Werbung zeichnet die Kaufentscheidung. Das gilt ebenso bzgl. des Engagements im ge sellschaftlichen Bereich sowie für den Umgang des Verkaufs oder Be ratungspersonals.
Die Beispiele zeigen, dass Vielfalt und Aufgeschlossenheit weit reichende, vielschichtige und ökonomische Verbesserungen mit sich bringen können. Eben diese ergeben sich aus der Benachteiligungsfreiheit in Ihrem Unternehmen.
3.3
Erfahrungen mit „Diversity“ in anderen Staaten
In anderen Staaten – wie z. B. den USA, Großbritannien oder Australien – wird die Anerkennung und Wertschätzung aller MitarbeiterInnen in ihrer gesamten Vielfalt schon seit rund zwanzig Jahren im Rahmen des Konzepts „Diversity“ umgesetzt. „Diversity“ berücksichtigt, dass sich Menschen in vielerlei Hinsicht unterscheiden oder auch ähneln. Dabei wird im Wesentlichen auf die sechs so genannten Kerndimensionen abgestellt, die identisch mit den Benachteiligungsverbotsmerkmalen sind: Alter, Behinderung, ethnischkulturelle Prägung, Geschlecht, Religion bzw. Weltanschauung und sexuelle Identität. Hinzu können weitere Merkmale, wie z. B. Fremd- oder Muttersprache(n), Familienstand oder Bildung, kommen. „Diversity“ strebt an, durch die gezielte interne und externe Berücksichtigung, Wertschätzung und Einbeziehung zu einer Nutzung von interner und externer Vielfalt zu gelangen und so Erfolgssteigerungen zu erzielen. Zahlreiche Studien zeigen über Jahre hin-
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Vorteile für Ihr Unternehmen
3
weg, dass Unternehmen, die Diversity konsequent und umfassend verfolgen, zu den begehrtesten ArbeitgeberInnen zählen. Sie weisen in der öffentlichen Wahrnehmung und bei KundInnen ein herausragendes Image auf und eine überdurchschnittliche Aktienkursperformance vor.
3.4
Vorteile für Ihr Unternehmen
Die wichtigsten Vorteile, die Ihr Unternehmen aus der konsequenten Schaffung eines benachteiligungsfreien Arbeitsumfeldes erzielen kann, teilen sich in unternehmensinterne und -externe Vorteile auf:
3.4.1 • • • • • • • •
verbesserte Produktivität der Beschäftigten (Quantität und Qualität) erhöhte Loyalität und Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen Verbesserung der kollegialen Gruppen- und Zusammenarbeit Senkung der durch Abwesenheit, Krankheit und Fluktuation entstehenden Kosten höhere Attraktivität als ArbeitgeberIn größerer, vielfältigerer und qualifizierterer BewerberInnenpool mehr Offenheit gegenüber Veränderungen effektivere Reorganisation durch Flexibilität
3.4.2 • • • • • • •
Interne Vorteile und Verbesserungen
Externe Vorteile und Verbesserungen
bessere Erschließung und Durchdringung neuer Marktsegmente schnellere Entwicklung neuer Produkte und Strategien höhere Marktanteile engere KundInnenbeziehungen Verbesserung des öffentlichen Ansehens Schaffung eines Differenzierungsmerkmals gegenüber MitbewerberInnen Verbesserung des Ratings auf den Finanzmärkten
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3
Nutzen und Vorteile des AGG für Ihr Unternehmen • • •
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effektivere Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen/Kulturen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung und Verständnis von Vielfalt in der Gesellschaft Erhöhung der Glaubwürdigkeit durch externes Engagement der Beschäftigten
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
Dieses Kapitel stellt Ansätze und Instrumente dar, mit denen Sie die Maßgaben des AGG passgenau in Ihrem Unternehmen umsetzen können. Die folgenden Kapitel gehen auf die konkrete Anwendung und Anpassung der Ansätze und Instrumente in den einzelnen Personalmanagement-Disziplinen ein. Folgende Basis-Mechanismen benötigen Sie immer wieder bei der Arbeit gegen Diskriminierung: Trennung zwischen den Risikobereichen • Benachteiligung und • Belästigung Instrumente gegen Benachteiligung: 1. 2. 3. 4. 5.
Überprüfung/Auditierung Ihrer betrieblichen Situation Anpassung Ihrer betrieblichen Situation spezielle Kommunikation Qualifizierung von Fach- und Führungskräften Dokumentation
Instrumente gegen Belästigung: 1. 2. 3. 4. 5.
Analyse Ihrer betrieblichen Situation Anpassung Ihrer betrieblichen Situation allgemeine Kommunikation Beschwerdemöglichkeiten/Eskalation/Sanktion Dokumentation Das Ziel dieser Instrumente Das zentrale Ziel ist es, beweisbar sicherzustellen, dass Ihr Unternehmen die erforderlichen Maßnahmen unternimmt, ein benachteiligungs und belästigungsfreies Umfeld bereit zu stellen.
In einem Streitfall müssen Sie gegebenenfalls Maßnahmen darlegen, die Benachteiligungs- und Belästigungspotenziale beseitigt haben,
33
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
um Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderungen von Beschäftigten oder BewerberInnen und einen möglichen Imageschaden abzuwenden.
4.1
Trennen Sie zwei Diskriminierungsarten: Benachteiligung und Belästigung
Das AGG nimmt de facto eine Zweiteilung möglicher Tatbestände vor: Unterschieden wird zwischen Benachteiligung – unmittelbarer oder mittelbarer Natur – und (sexueller) Belästigung. Letztere soll laut § 3 Abs. 3 und 4 AGG wie Benachteiligung angesehen werden, also die gleichen Rechtsfolgen nach sich ziehen.
4.1.1
Vorwürfe gegen Arbeitgeber und/oder Kollegen
Eine getrennte Betrachtung ist notwendig, da sich potenzielle Auseinandersetzungen grundsätzlich voneinander unterscheiden. Benachteiligung Der Vorwurf einer Benachteiligung richtet sich in der Regel gegen Sie als ArbeitgeberIn und gegen bestimmte Personalprozesse. Fragen der unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung betreffen somit Unternehmensprozesse, die von Ihnen als ArbeitgeberIn grundsätzlich eingerichtet und gegebenenfalls durch spezifische Richtlinien geregelt werden. Ihre Fach- und Führungsebenen verantworten die korrekte Umsetzung und Anwendung der Personalprozesse. Belästigung Der Vorwurf einer Belästigung hingegen richtet sich gegen Sie als ArbeitgeberIn und/oder gegen das Verhalten eines/einer Beschäftigten (oder eines/einer Dritten) im Rahmen des Arbeitsumfelds. Der Bereich der Belästigung bezieht sich vor allem auf Ihre Unternehmenskultur und den Umgang aller Beschäftigten miteinander (Kommunikation und Verhalten).
34
Trennen Sie zwei Diskriminierungsarten: Benachteiligung und Belästigung
4
Für die beiden Bereiche der (unmittelbaren und mittelbaren) Benachteiligung und der Belästigung ergibt sich somit für deren jeweilige Geltung innerhalb der einzelnen PersonalmanagementDisziplinen folgendes Schema: Unmittelbare Mittelbare Beläs Benachteiligung Benachteiligung tigung
Stellenbeschreibung und ausschreibung
X
X
BewerberInnenauswahl
X
X
Vergütung
X
X
Beschäftigungs und Arbeits bedingungen
X
X
Personalentwicklung
X
X
Aus und Weiterbildung
X
X
Beförderung
X
X
Versetzung
X
X
Entlassung
X
X
Verhalten gegenüber KundIn nen und InteressentInnen
X
X
durch gehend fü r alle Be reiche
Tätigkeitsfeld im Personalmanagement
Hinsichtlich der einzelnen, von Ihnen vorzunehmenden Schritte innerhalb der beiden Risikobereiche der (unmittelbaren und mittelbaren) Benachteiligung und der Belästigung ergibt sich folgendes Schema:
35
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
Unmittelbare Mittelbare Belästigung Benachteiligung Benachteiligung siehe Kapitel
4.2
4.3
Überprüfung
Auditierung der einzelnen PersonalmanagementDisziplinen
Analyse der Unter nehmenskultur (Mit arbeiterInnen und Fokusgruppenbefra gung, Netzwerke usw.) Was ist unerwünscht?
36
Anpassung
Eliminierung riskanter Prozesse (z. B. durch spezielle Policies, Interviewleitfä den usw.) im Einzelfall und generell
Etablierung eines belästigungsfreien Umfelds (z. B. durch Diversity Policies, Betriebsvereinbarun gen, Codes of conduct usw.)
Kommunikation
Speziell für Führungskräfte, aber auch für alle anderen Beschäftigten
Allgemeine Kommuni kation für Führungs kräfte und Beschäf tigte
Prävention
Speziell Fach und Führungskräfte, aber auch für alle anderen Beschäftigten
Einführung von Be schwerdemöglichkeit/ Eskalation/ Sanktion
Dokumentation
Alle vorgenommenen Maßnahmen
Alle vorgenommenen Maßnahmen und Handlungen
Ziel: Beweis führung
Beweis, dass keine Benachteiligung oder ausnahmsweise zulässige unter schiedliche Behandlung vorlag
Beweis, dass keine Belästigung vorlag
Hintergrund: Vorwurfs richtung
Gegen ArbeitgeberIn wegen Arbeitgebe rIn
Gegen ArbeitgeberIn wegen ArbeitgeberIn und/oder Arbeitneh merIn bzw. Dritten
4
Schritt für Schritt gegen Benachteiligung vorgehen
4.2
Schritt für Schritt gegen Benachteiligung vorgehen
Der Bereich der Benachteiligung teilt sich in unmittelbare und mittelbare Benachteiligung. Diese unterscheiden sich in ihrem Tatbestand, lassen sich jedoch praktisch auf gleiche Art und Weise bearbeiten. Ihr Ziel Das Ziel besteht darin, im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtli chen) Auseinandersetzung als Folge eines Benachteiligungsvorwurfes erfolgreich nachzuweisen, •
dass keine Benachteiligung vorgelegen oder • dass es sich um eine zulässige unterschiedliche Behandlung gehan delt hat.
Anwendungsbereiche sind dabei die Geltungsbereiche des AGG, die sich im Wesentlichen mit den Funktionsbereichen des betrieblichen Personalwesens decken. Um diesen Nachweis führen zu können, werden Sie darlegen und beweisen müssen, dass sich Ihre Prozesse neutral gegenüber dem fraglichen Benachteiligungsmerkmal verhalten. • Hierfür ist es erforderlich, dass Sie überprüft haben, ob diese Prozesse zu einer direkten oder indirekten Benachteiligung führen können (Auditierung). • Je nach Ergebnis dieser Analyse nehmen Sie entsprechende Anpassungen vor, um eine nachhaltige Benachteiligungsfreiheit zu gewährleisten. • Anschließend sollten Sie die vorgenommenen Regelungen so kommunizieren, dass Ihre Belegschaft die wesentlichen Inhalte und künftige Anwendung (er)kennt. • Eine spezielle Kommunikation und eine entsprechende Qualifizierung Ihrer Fach- und Führungskräfte erscheinen hierbei als Prävention sinnvoll. • Zusätzlich empfiehlt es sich, den Vorgang der Auditierung umfassend zu dokumentieren.
Übersicht
37
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
4.2.1
Überprüfung/Auditierung des IstZustands
Eine effiziente Überprüfung, ob Ihre derzeitigen Personalprozesse Benachteiligungspotenziale beinhalten, sollte sich eng an den Vorgaben des Gesetzes orientieren. Eine entsprechende Auditierung umfasst insofern einen systematischen, unabhängigen und dokumentierten Prozess zur objektiven Auswertung, ob Merkmale vorhanden und Forderungen erfüllt sind, die sich aus dem Gesetz ergeben. Achtung: Wichtig ist, dass Sie als ArbeitgeberIn nicht vorschnell mit der Bemer kung „In meinem Unternehmen wird niemand benachteiligt“ reagieren. Seien Sie kritisch gegenüber den derzeit in Ihrem Unternehmen gelten den Maßstäben und Praktiken und offen für Verbesserungen. Sehen Sie eine Auditierung als Chance an!
Ihr Analyseprozess sollte alle Geltungsbereiche des Gesetzes umfassen und sich kritisch mit Ihrer bisherigen Unternehmenspraxis auseinandersetzen. Im Einzelnen sind dies folgende Bereiche: • Stellenbeschreibung und -ausschreibung • BewerberInnenauswahl • Vergütung • Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen • Aus- und Weiterbildung • Personalentwicklung • Beförderung • Versetzung • Entlassung • Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen. Beispiel: Einzelfälle und allgemeine Situationen Die Auditierung behält sinnvollerweise einerseits Einzelfälle im Auge (z. B. Analyse der Situation der derzeit bei Ihnen beschäftigten Men schen mit Behinderung), zum anderen sollte sie allgemein gehalten sein (z. B. welche Situation potenzielle BewerberInnen über 55 Jahren in Ihrem Unternehmen vorfinden).
38
Schritt für Schritt gegen Benachteiligung vorgehen
4
Achtung: Je ausführlicher Sie eine solche Auditierung gestalten, desto wahr scheinlicher ist, dass Sie Schwachpunkte aufdecken und desto geringer ist das Risiko, in einem Beschwerdefall zu unterliegen.
Ferner kann die Auditierung dazu dienen, nach einer erfolgreichen Behebung etwaiger Schwachpunkte und Anpassung an die neuen rechtlichen Anforderungen eine Erfolgsmessung und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchzuführen. In der Praxis müssen Sie die im Gesetz genannten Merkmale auf die ebenfalls im Gesetz genannten Forderungen hin überprüfen, und zwar für jede Personalfunktion gesondert. Damit entsteht eine Matrix, die zu Checklisten ausgebaut werden kann, die für jedes Benachteiligungsmerkmal gesondert das unmittelbar und mittelbare Benachteiligungspotenzial überprüft. Die Überprüfung erfordert, dass jeder Funktionsbereich untersucht wird, ob Ihre bisherigen Grundsätze, Regeln, Prozesse oder Verfahren entweder direkt oder indirekt zu Benachteiligungen auf Grund des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der sexuellen Identität führen können. Die Überprüfung muss für den jeweiligen Themenbereich erfolgen, d. h. Sie müssen in mehrere Richtungen denken: Alt, jung, mittlere Altersgruppe, Mann, Frau, Deutsche, MigrantInnen usw. Das Konzept kennt grundsätzlich keine Bevorzugung bestimmter Gruppen.
4.2.2
Die Anpassung Ihrer betrieblichen Situation
Nach der oben beschriebenen Überprüfung/Auditierung sollten Sie in einem zweiten Schritt dort, wo Benachteiligungspotenziale aufgedeckt wurden oder noch keine Regelungen bestehen, Ihre betriebliche Praxis so anpassen, dass sie Benachteiligungsvorwürfen standhält. Der ganzheitliche (Diversity)Ansatz Halten Sie sich das Ziel einer Anpassung vor Augen. Wollen Sie nur die gesetzlich vorgegebenen Mindestanforderungen erfüllen, oder verfolgen Sie einen darüber hinaus gehenden, ganzheitlichen (Diversity-)Ansatz, der zu umfassenden Vorteilen führen kann? Ent-
39
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
sprechend der unterschiedlichen Ausgangs- und Zielsituationen kann in dieser Hinsicht keine allgemeinverbindliche Empfehlung zur Umsetzung gegeben werden. Vielmehr muss die Vorgehensweise sich konkret an Ihrer Situation mit all ihren Besonderheiten und an den Ergebnissen Ihrer Überprüfung/Auditierung orientieren. Beispiel: Weiterbildung mit Gebärdendolmetschern Gundsätzlichen Angebot von Gebärdendolmetschern auf Weiterbil dungsveranstaltungen führen (ohne, dass diese bei jedem Training vor handen sein müssten). Beispiel: Feiertage Besondere Feiertagsregelungen für unterschiedliche Religionen.
Andere Anpassungsmaßnahmen beziehen sich auf das grundsätzliche Bewusstsein für benachteiligende Prozesse und angemessenes, vorurteilsfreies Verhalten im Rahmen derselben (z. B. Interviewtrainings oder -leitfäden). Erlassen Sie interne Richtlinien Neben der Beseitigung etwaiger Schwachpunkte in einzelnen Prozessen sollten Sie auch an den Erlass interner Richtlinien (Policies oder Betriebsvereinbarungen) mit klaren Verhaltens- und Entscheidungsmaßstäben denken. Z. B. bietet sich für den Bereich der Stellenausschreibungen eine Richtlinie an, die sowohl beschreibt, wie und wo Stellen benachteiligungsfrei auszuschreiben sind, als auch angibt, welche Formulierungen hierbei nicht verwendet werden dürfen. Achtung: Das Gesetz sieht grundsätzlich die Möglichkeit von Ausnahmen vor, bei denen eine unterschiedliche Behandlung auch nach Benachteiligungs merkmalen zulässig ist. Daher können und sollten Sie im Rahmen Ihrer Anpassungsüberlegungen stets prüfen, ob die Bedingungen für eine zulässige Unterscheidung erfüllt sind (Näheres siehe Kapitel 15).
40
Schritt für Schritt gegen Benachteiligung vorgehen
4.2.3
4
So kommunizieren Sie die Ergebnisse
Sowohl die Überprüfung/Auditierung als auch die Anpassung von Prozessen entfalten ihre volle Wirkung vor allem dann, wenn die Ergebnisse innerhalb Ihres Unternehmens kommuniziert werden. Dies erscheint erforderlich, wenn Sie anstreben, den Beweis der Nicht-Benachteiligung im Streitfall führen zu können. Kernzielgruppe Fach und Führungskräfte Für die Kommunikation im Unternehmen stellen Fach- und Führungskräfte die Kernzielgruppe dar. Diese müssen über den Auditierungsprozess und die daraus entstandenen Veränderungen informiert werden. Dies erscheint von besonderer Bedeutung, da sie die meisten Personalprozesse anwenden und somit für die Einhaltung der neuen Regelungen verantwortlich sind. Das gilt z. B. bei der Besetzung offener Stellen, bei der Karriereplanung Ihrer MitarbeiterInnen, in Jahresgesprächen oder Vergütungsverhandlungen usw. Allgemeine Information an die Beschäftigten Darüber hinaus ist eine allgemeine Information an die Beschäftigten dringend zu empfehlen. Diese sollen wissen, dass Sie als ArbeitgeberIn die Personalprozesse durchleuchtet und wo nötig angepasst haben. Schulung der MitarbeiterInnen Mit einer Schulung der Beschäftigten haben Sie gemäß § 12 Abs. 2 AGG die allgemein erforderlichen Schutzmaßnahmen erfüllt. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, realistische Erwartungen an den Effekt etwaiger Anpassungen zu wecken: Die neuen Vorgehensweisen werden in den meisten Fällen keine einschneidenden Veränderungen mit sich bringen und nicht bedeuten, dass z. B. Frauen nun grundsätzlich Bevorzugung finden. Die Kommunikation an alle Beschäftigten bewirkt indes, dass diese sich wohlwollender auf die jeweiligen Prozesse einlassen und weniger empfänglich für Aufrufe von Interessensgruppen sind, sich mit Benachteiligungsvorwürfen zu äußern.
41
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
4.2.4
Qualifizieren Sie Ihre Fach und Führungskräfte
Allein mit der Kommunikation der Auditierung und der Anpassung von Prozessen ist noch keine erfolgreiche Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben garantiert. Vielmehr bedarf es einer Qualifizierung der Fach- und Führungskräfte mit Blick auf eine benachteiligungsfreie Handhabung der Prozesse. Dies geschieht am besten durch Workshops, Informationsveranstaltungen, Leitfäden oder Online-Tools, über die die rechtlichen Grundlagen erläutert und die praktische Umsetzung in Ihrem Unternehmen dargestellt werden. Beispiel: Dabei bietet es sich an, den Fokus auf die Veränderungen in der Praxis zu legen: Was haben Sie bisher gemacht und wie machen Sie es künftig? Außerdem sollten Sie möglichst klare Vorgaben machen: Was darf im Interview gefragt werden, wie muss bei der Potenzialanalyse vorgegan gen werden usw.
4.2.5
So dokumentieren Sie Ihr Vorgehen
Um das Ziel einer erfolgreichen Beweisführung des Nichtvorliegens von Benachteiligung möglichst leicht erreichen zu können, bietet es sich an, dass Sie alle vier oben genannten Schritte von Auditierung über Anpassung und Kommunikation bis Qualifizierung umfassend dokumentieren. So können Sie als ArbeitgeberIn darlegen und beweisen, was Sie unternommen haben und dass Sie damit Ihren gesetzlichen Pflichten in vollem Umfang nachgekommen sind. Beispiel: Eine dokumentierte Auditierung und Anpassung von Prozessen ermög licht und erleichtert im Streitfall die Argumentation, dass beispiels weise der/die angeblich benachteiligte KandidatIn einfach nicht die nötige Qualifikation für die fragliche Stelle, Vergütungsstufe oder Weiterbildung vorzuweisen hatte.
42
4
Schritt für Schritt gegen Belästigungen vorgehen
4.3
Schritt für Schritt gegen Belästigungen vorgehen
Für den Bereich „Vermeidung von Belästigung“ ergeben sich deutliche Unterschiede gegenüber der „Vermeidung von Benachteiligung“. Achtung: Ihr Ziel Ihr grundlegendes Ziel wird sein, im Falle einer (gerichtlichen oder au ßergerichtlichen) Auseinandersetzung wegen einer behaupteten Belä stigung erfolgreich zu beweisen, dass eine solche nicht vorgelegen hat.
Hierbei wird sich eine potenzielle Klage gegen Sie als ArbeitgeberIn wegen des eigenen Verhaltens oder dem eines/einer anderen Beschäftigten oder Dritten richten. • Gegenstand Ihrer Auditierungen, Anpassungen oder Vorbeugung ist daher Ihre Unternehmenskultur. Wie im Risikobereich der Benachteiligung ist für den Risikobereich der Belästigung zunächst eine Analyse Ihrer betrieblichen Situation vorzunehmen. • Sodann ist auf Grund der Ergebnisse eine Anpassung Ihrer Unternehmenskultur anzustreben. • Um dieses Ziel zu erreichen, bietet sich eine breite Kommunikation an. • Weiterhin sollten Sie Beschwerdemöglichkeiten mit optionaler Eskalation und Sanktionen vorsehen, um Streitfälle möglichst intern zu halten und zu lösen. • Auch diese Prozesse sollten dokumentiert werden, damit Sie später einen einfachen und schlüssigen Beweis der Nichtbelästigung führen können.
4.3.1
Übersicht
Auditierung: Analysieren Sie Ihre bisherige betrieblichen Situation
Eine erfolgreiche Beweisführung, dass in Ihrem Unternehmen keine Belästigung stattfindet, wird durch eine Analyse des Ist-Zustands wesentlich erleichtert.
43
4
Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
Achtung: Auf Grund der Definition des Begriffs „Belästigung“ sollten Sie Ihre Analysen auf Ihre Unternehmenskultur konzentrieren. Damit befassen Sie sich – anders als bei der rein sachlichen Auditierung im Themenfeld Benachteiligung – mit persönlichen Fragestellungen und Sichtweisen innerhalb Ihres Unternehmens.
Zur Auditierung Ihrer Unternehmenskultur mit Blick auf das vorhandene Belästigungspotenzial bieten sich vor allem MitarbeiterInnen- und Fokusgruppenbefragungen (z. B.: ältere Beschäftigte oder Frauen) oder die Nutzung von MitarbeiterInnennetzwerken an. Weiterhin kann eine erneute Analyse bereits erfolgter MitarbeiterInnenbefragungen durchgeführt werden. Alternativ ist eine erstmalige, speziell auf das Thema Benachteiligungsvermeidung zugeschnittene MitarbeiterInnenbefragung sowie eine dementsprechende Befragung des Betriebsrats, der Frauen- und der Schwerbehindertenbeauftragten usw. möglich. In diesem Rahmen sollten Sie ein umfassendes kulturelles Audit durchführen, indem Sie statistisch erheben, wie Ihre Beschäftigten zu Beginn der Einführung eines umfassenden Gleichbehandlungskonzepts mit den verschiedenen Benachteiligungsthemen umgehen. Dies wiederholen Sie in regelmäßigen Abständen, so dass Sie nach einer erfolgreichen Einführung des Konzepts Vergleiche anstellen und somit eine Erfolgsmessung vornehmen können. Diese Methoden ermöglichen zum einen eine Analyse Ihrer herrschenden Kultur hinsichtlich Werten, Normen und Ritualen. Zum anderen lassen sich daraus Rückschlüsse auf das bei Ihnen herrschende Arbeitsumfeld mit Blick auf Kommunikation und Kooperation ziehen. Die Befragungen sollten in jedem Falle herausfiltern, welchen Umgang die einzelnen Beschäftigtengruppen für akzeptabel erachten. Hintergrund hierfür ist, dass es sich bei Belästigung per definitionem um unerwünschte Verhaltensweisen handelt. Dies bedeutet aber nicht, dass die betreffende Person in der konkreten Situation oder generell zum Ausdruck gebracht haben muss, dass etwas unerwünscht ist. Die Kenntnis von Gewünschtem und Unerwünschtem erleichtert jedoch eine Vermeidung von Belästigung erheblich.
44
Schritt für Schritt gegen Belästigungen vorgehen
4
Weiterhin ermöglichen Befragungen, die betriebliche Situation bei der späteren Aufklärung und Prävention anhand konkreter Beispiele anschaulich zu machen und die gesamte Belegschaft für spezielle Verhaltensweisen zu sensibilisieren.
4.3.2
Passen Sie Ihre betriebliche Situation an
Nach der oben beschriebenen Analyse gilt es in einem zweiten Schritt überall dort, wo Belästigungspotenziale aufgedeckt wurden, Ihre Unternehmenskultur so anzupassen, dass sie etwaigen Belästigungsvorwürfen standhält. Der ganzheitliche (Diversity)Ansatz Wollen Sie nur die gesetzlich vorgegebenen Mindestanforderungen erfüllen, oder verfolgen Sie einen (eventuell geringfügig) darüber hinaus gehenden, ganzheitlichen (Diversity-)Ansatz, der zu umfassenden Vorteilen führen kann? Entsprechend der unterschiedlichen Ausgangs- und Zielsituationen kann in dieser Hinsicht keine allgemeinverbindliche Empfehlung zur Umsetzung einer belästigungsfreien Unternehmenskultur gegeben werden. Vielmehr muss die Vorgehensweise sich konkret an Ihrer Situation mit all ihren Besonderheiten und an den Ergebnissen Ihrer Analyse orientieren. Erlassen Sie interne Richtlinien Neben der Eliminierung konkreter Schwachpunkte sollte wiederum an die Verabschiedung von Diversity Policies oder Verhaltensrichtlinien mit speziell festgelegten Verhaltensmaßstäben gedacht werden (z. B. „Respektvolles Miteinander“). Immer mehr Unternehmen erlassen alternativ oder zusätzlich so genannte Codes of Conduct als freiwillige Vereinbarungen (Selbstverpflichtung), in denen grundlegende Verhaltensregeln festgelegt werden. Außerdem kommen für eine Umgestaltung Ihrer Unternehmenskultur auch Betriebsvereinbarungen in Frage, die gemäß § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG unmittelbare und zwingende Wirkung haben.
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Ihre Instrumente gegen Diskriminierung
Achtung: Bei Betriebsvereinbarungen ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebs rats hinsichtlich der Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der ArbeitnehmerInnen im Betrieb gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten.
4.3.3
So kommunizieren Sie die Ergebnisse
Wie im Falle der Personalsysteme entfaltet eine Auditierung und Anpassung Ihrer Unternehmenskultur vor allem dann ihre volle Wirkung, wenn die Ergebnisse innerhalb Ihres Unternehmens kommuniziert werden. Dies ist zudem erforderlich, wenn Sie anstreben, den Beweis der Nichtbelästigung im Streitfall zu führen. Hier handelt es sich – anders als im Bereich der Aufklärung zu Benachteiligungsfragen – um eine allgemeine, breite Kommunikation, d. h. dass sowohl Ihre Fach- und Führungskräfte als auch alle Ihre Beschäftigten über neue Erwartungen an ihre Verhaltensweisen und ihre Kommunikation zu informieren sind.
4.3.4
So sanktionieren Sie die Nichtbeachtung
Allein mit der Kommunikation von Analyseergebnissen und Verhaltensregeln ist noch keine erfolgreiche Umsetzung der Maßstäbe für eine Nichtbelästigung garantiert. Eine glaubhafte Implementierung sollte auch Sanktionen vorsehen, die für den Fall der Nichtbeachtung der Vorgaben eintreten. Auch sollten Sie allen Beschäftigten eine Beschwerdemöglichkeit anbieten, die unabhängig von Vorgesetzten etwaige Vorwürfe prüft und gegebenenfalls schlichten kann. Dieses Angebot sollte niedrigschwellig sein, um einer Eskalation in Richtung externer oder gerichtlicher Auseinandersetzung vorzubeugen. Zum anderen sehen interne Schlichtungsprozesse die Möglichkeit vor, die Angelegenheit innerhalb Ihres Unternehmens an höhere Ebenen zu verweisen, wenn keine Beilegung erzielt wird. Auch dies dient der Vermeidung gerichtlicher Streitigkeiten.
46
Schritt für Schritt gegen Belästigungen vorgehen
4.3.5
4
So dokumentieren Sie Ihr Vorgehen
Um das Ziel einer erfolgreichen Beweisführung des Nichtvorliegens von Belästigung möglichst leicht erreichen zu können, bietet es sich an, dass Sie alle vier oben genannten Schritte von der Analyse bis zu den Beschwerdemöglichkeiten umfassend dokumentieren. So können Sie als ArbeitgeberIn darlegen und beweisen, was Sie unternommen haben und dass Sie Ihren gesetzlichen Pflichten in vollem Umfang nachgekommen sind. Eine dokumentierte Auditierung und Anpassung Ihrer Unternehmenskultur ermöglicht oder erleichtert im Streitfall die Argumentation, dass der/die angeblich belästigte KandidatIn unverhältnismäßige Erwartungen stellt oder dass der/die MitarbeiterIn, von dem/der die Belästigung ausgegangen sein soll, entgegen der Anweisungen des Unternehmens gehandelt hat.
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5
Stellenbeschreibungen benachteiligungsfrei gestalten
In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Stellenbeschreibung und -ausschreibung dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte, die zu Schadensersatzforderung von BewerberInnen führen können, aufgezeigt werden. Dabei wird entsprechend der im vorigen Kapitel dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfen zu entgehen, wird illustriert, welche Punkte Sie beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der Stellenbeschreibung benachteiligungsfrei zu gestalten. Empfehlungen, Muster, Checklisten usw. helfen Ihnen, ein benachteiligungsfreies Stellenbeschreibungs- und -ausschreibungsverfahren zu schaffen sowie mit möglichen Ansprüchen von BewerberInnen richtig umzugehen.
5.1
Unterscheiden Sie zwischen Stellen beschreibung und Stellenausschreibung
Die hier verwendete Bedeutung des Begriffs Stellenbeschreibung umfasst den Prozess der unternehmensinternen Beschreibung einer speziellen Stelle. In einer solchen Beschreibung sind die in dieser Stelle zu verrichtenden Aufgaben und Ziele hinsichtlich Art und Umfang aufzulisten sowie die zur Übernahme dieser Stelle erforderlichen Qualifikationen in Form von Bildungsabschlüssen, Kenntnissen und Erfahrungen zu präzisieren. Zudem erfolgt eine genaue Beschreibung der Beurteilungsmaßstäbe für die Leistung des/der zukünftigen Stelleninhabers/in, der hierarchischen Einordnung und der Einbindung der Stelle in das Informations- und Kommunikationssystem Ihres Unternehmens. Die Beschreibung ist zudem Fun-
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Unterscheiden Sie zwischen Stellenbeschreibung und Stellenausschreibung
5
dament für eine Leistungsbeurteilung, auf welche in den Kapiteln Vergütung und Personalentwicklung eingegangen wird. Achtung: Der Stellenbeschreibung kommt innerhalb des Personalmanagements eine zentrale Rolle zu. Sie ist die Grundlage für nachgelagerte Prozesse bezüglich der zu besetzenden Stelle und hat somit stets zumindest in direkten Einfluss auf alle sich anschließenden Maßnahmen. Gerade deshalb sollten Sie Ihr Augenmerk auf eine benachteiligungsfreie Ge staltung der Stellenbeschreibung legen.
Tipp: Legen Sie die jeweilige Stellenbeschreibung bereits im Vorfeld, d. h. vor ihrer internen und/oder externen Ausschreibung detailliert fest. Nach geschobene Gründe und Anforderungen dürfen laut arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen vorge bracht und berücksichtigt werden.
Der Begriff der Stellenausschreibung umfasst sowohl die interne als auch die externe Ausschreibung zu besetzender Stellen auf Grund der zuvor von Ihnen gefertigten Stellenbeschreibung. Es bestand vor Inkrafttreten des AGG bereits eine Regelung, die eine Diskriminierung bei der Stellenausschreibung hinsichtlich des Merkmals „Geschlecht“ untersagte. § 611b BGB normierte, dass ein Arbeitsplatz weder öffentlich noch innerhalb des Betriebs nur für Männer oder nur für Frauen ausgeschrieben werden darf. Eine Ausnahme bestand für den Fall, dass ein bestimmtes Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit ist. Beispiel: Stellenausschreibung für Fotomodelle Wenn ein Fotomodell oder Mannequin gesucht wird, darf sich die Stellenausschreibung ausschließlich an Frauen oder an Männer rich ten. Bei dieser Beschäftigung ist das Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung.
§ 11 AGG legt für den Bereich der Stellenausschreibung ausdrücklich das Verbot der Benachteiligung fest. Sofern bei Ihnen ein Betriebsrat vorhanden ist, kann dieser gemäß § 93 BetrVG verlangen, dass zu besetzende Arbeitsplätze allgemein oder für bestimmte Arten
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von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. Achtung: Einer Stellenausschreibung mit benachteiligendem Charakter kommt eine entscheidende prozessuale Wirkung zu: Im Rahmen des § 611b BGB stellt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine nicht geschlechtsneutrale Stellenausschreibung ein so starkes Indiz dar, dass Sie dieses als ArbeitgeberIn kaum widerlegen können. Diese Rechtsprechungspraxis wird wohl auch für das AGG übernommen werden.
Eine nicht neutrale Stellenausschreibung kann negative Auswirkungen haben. Einerseits schaden Ausgrenzungen, die Personengruppen direkt oder indirekt ausgrenzen, Ihrem Ansehen. Andererseits verringern sie den Pool qualifizierter BewerberInnen. Achtung: Gehen Sie bei den Stellenausschreibungen besonders sorgfältig vor. Hier liegt ein hohes Benachteiligungspotenzial und somit ein hohes Risiko potenzieller (gerichtlicher) Auseinandersetzungen zugrunde. Auf Grund der Vielzahl von Bewerbungen gibt es auch viele potenzielle Anspruch stellerInnen.
Tipp: Gerade im Bereich der Stellenbeschreibung und ausschreibung ist die Umsetzung eines möglichst umfassenden, über die Maßgaben des AGG hinausgehenden DiversityGedankens für das Personalmarketing beson ders sinnvoll und effektiv. Bei Anwendung eines solchen Gedankens können Sie aus einem enorm großen Pool unterschiedlicher Talente schöpfen, die jeweilige Stelle optimal besetzen und damit direkt zu Be ginn der Beschäftigung das Fundament für einen größtmöglichen Erfolg legen.
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So erkennen Sie die Schwachpunkte
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So erkennen Sie die Schwachpunkte
Im Rahmen der Stellenbeschreibung und -ausschreibung gibt es eine Vielzahl potenzieller betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in merkmalsspezifischer Hinsicht:
5.2.1
Die allgemeinen Schwachpunkte
Im Bereich der Stellenbeschreibung und -ausschreibung sind folgende Benachteiligungspotenziale denkbar: Ausgrenzung Eine Ausgrenzung einzelner Personen oder bestimmter Personengruppen auf Grund eines bestimmten Merkmals sowohl in der Stellenbeschreibung als auch der -ausschreibung ist unzulässig. Dies kann sich sowohl direkt als auch indirekt aus Ihrem Anforderungsprofil und/oder Ihrer Ausschreibung ergeben. Beispiel: Ausgrenzung von Bewerberinnen Wenn Sie ein Anforderungsprofil formulieren, aus dem sich ergibt, dass Frauen für die Stelle nicht in Frage kommen, ist das in aller Regel eine unzulässige Ausgrenzung. Dasselbe gilt für Formulierungen, wie z. B.: „Von Bewerbungen von Menschen mit Behinderung und Personen über 50 Jahren bitten wir abzusehen.“
Subjektive Beschreibung Bei einer Stellenbeschreibung müssen Sie darauf achten, dass es tatsächlich ausschließlich um die zu besetzende Stelle geht. Ist dies nicht der Fall und grenzen Sie durch nicht erforderliche Anforderungen bestimmte Merkmalsgruppen aus, handelt es sich um eine Benachteiligung.
5.2.2
Die speziellen Merkmale
Die in Unternehmen vielfach verbreitete Praxis der Stellenbeschreibung und -ausschreibung anhand von Merkmalen, die ein/eine BewerberIn unbedingt und/oder erwünschter Weise aufweisen soll, birgt die Gefahr, dass diese Merkmale mit einem bestimmten Be-
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nachteiligungsmerkmal verbunden werden und somit mittelbar benachteiligend wirken können. Beispiel: Das kann mittelbar benachteiligend wirken • „Durchsetzungsstark“ wird eher mit Männern assoziiert. • „Kommunikativ“ wird eher mit Frauen assoziiert. • „Dynamisch und lernbereit“ wird eher mit Jüngeren assoziiert. • „Erfahren und zuverlässig“ wird eher mit Älteren assoziiert.
Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht mit Blick auf erwünschte Eigenschaften, die jedoch nicht zwingend für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind (z. B. Offenheit und Kommunikativität erleichtern Projektbesprechungen im Team). Je nach Gewichtung können auch sie eine Benachteiligung bewirken, insbesondere wenn sie „bei gleicher Qualifikation“ letztlich den Ausschlag geben. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang daher, dass Auswahlkriterien definiert werden müssen, die sich tatsächlich – auch mittelbar – im Hinblick auf die Benachteiligungsmerkmale neutral verhalten. Dies wird zum einen nur sehr schwer möglich sein, da die überwiegende Zahl gängiger Kriterien zumindest ansatzweise stereotypisch mit einem oder mehreren Merkmalen in Verbindung gebracht wird. Zum anderen wären solche „rein objektiven“ Merkmale wegen ihrer Neutralität nicht mehr aussagekräftig für das Bewerberprofil. Des Weiteren garantiert auch eine (nahezu) vollständige Übereinstimmung der Qualifikationen eines/einer Bewerbers/in mit den Stellenanforderungen nicht, dass er/sie auch eine vollständig überzeugende Leistung auf der Position erbringen wird. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass die meisten Qualifikationskriterien auf Grund individueller Vorstellungen und Assoziationen verschiedener Personen für ganz unterschiedliche Interpretationen offen sind (z. B. kann „verantwortungsbewusst“ mit Führungsqualität oder mit sozialer Verantwortung in Verbindung gebracht werden). Beispiel: So wie man es versteht Interpretationsoffene Merkmale, mit denen man unterschiedliche Dinge assoziiert, gibt es viele. Z. B. kann man das Merkmal „konfliktfreudig“ sowohl positiv als auch negativ werten.
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Spezielles Merkmal „WunschkandidatIn“ Auch eine scheinbar völlig neutrale Stellenbeschreibung und -ausschreibung kann (un)bewusst von dem Bild eines/einer Wunschkandidaten/in geprägt sein. Verdeutlichen Sie sich, dass – sofern nicht ausnahmsweise spezielle Gründe vorhanden sind, die ein bestimmtes Merkmal unentbehrlich machen – grundsätzlich jede Person für die beschriebene Stelle potenziell gleich geeignet sein kann. Vorsicht mit Formulierungen und Bildern Innerhalb der Stellenausschreibung können sich mehrere Schwachpunkte ergeben: Dies können zum einen die Sprache (z. B. männlich geprägt), zum anderen auch bestimmte sachliche Anforderungen (z. B. Ausschluss bestimmter Gruppen) sein. Nicht nur der Text allein, auch die Bilder, die Sie eventuell zur Gestaltung einer Stellenausschreibung einsetzen, können zumindest mittelbar benachteiligend wirken. Beispiel: Benachteiligende Bilder • Männer in Führungsrunde – Frauen als Sekretärinnen • Nur Personen einer Ethnie sind abgebildet Solche und ähnliche Fotos, Bilder usw. können benachteiligend sein.
Das Wo und Wann der Stellenausschreibung Sofern Sie sich im Rahmen der Umsetzung der rechtlichen Vorgaben für Gleichbehandlung für die Umsetzung eines umfassenden Diversity-Gedankens entschieden haben, erscheint es wesentlich, dass Sie dementsprechend ein möglichst umfassendes Personalmarketing betreiben. Mit Blick auf eine mögliche Benachteiligung ist es auch entscheidend, wo und wie Sie eine zu besetzende Stelle ausschreiben. Eine Konzentration auf bestimmte Medien und dort auf bestimmte Sparten stellt zwar keine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes dar, wird jedoch dazu führen, dass sich nur bestimmte Gruppen bei Ihnen bewerben und Ihnen somit eine geringere Auswahl an Talenten zur Verfügung steht. Im Zuge etwaiger späterer Benachteiligungsvorwürfe kann sich eine stark begrenzte Ausschreibungspraxis nachteilig auswirken, während eine breite Handhabung
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Ihre Beweisführung der Nichtbenachteiligung wesentlich stützen wird. Bei Recruitings an Hochschulen sollten Sie ein breites Spektrum verschiedener Institutionen mit geeigneter Schwerpunktsetzung in der Studienausrichtung abdecken. Beispiel: Stellenausschreibung ausschließlich im Internet Eine Stellenausschreibung ausschließlich im Internet wird wahrschein lich dazu führen, dass sich vor allem jüngere ArbeitnehmerInnen an gesprochen fühlen, die dieses Medium statistisch häufiger nutzen. Entsprechend zahlreich werden die Bewerbungen dieser Altersgruppe sein. Ältere Kandidaten könnten sich benachteiligt fühlen.
Wenn Sie Dritte einschalten Die Einschaltung von Dritten im Rahmen der Personalsuche ist insofern riskant, als dass Ihnen auch deren Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot zugerechnet werden, wenn Sie keine dem entgegen wirkenden geeigneten, erforderlichen und angemessenen Schutzmaßnahmen ergreifen (siehe § 12 Abs. 4 AGG). Fraglich ist, ob diese Norm auch bereits für den Prozess der Stellenausschreibung gelten kann, da das Gesetz ausdrücklich nur von einer Benachteiligung der „Beschäftigten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit“ spricht. Es ist jedoch über den Wortlaut hinaus davon auszugehen, dass der Gesetzgeber gerade in einer solch extrem risikoträchtigen Situation den Schutz vor Benachteiligung nicht versagen wollte, so dass auch dieser Bereich hiervon erfasst sein wird.
5.2.3
Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte
Folgende Schwachpunkte ergeben sich speziell für die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Im Rahmen des Alters stellen Altersgrenzen – vor allem als Mindestalter, wohl weniger als Höchstalter – grundsätzlich eine unmittelbare Benachteiligung dar. Hiervon gibt es jedoch einige Ausnahmen (siehe unten). Dabei müssen Sie sich kritisch fragen, ob ein bestimmtes Lebensalter für die konkrete Tätigkeit tatsächlich erforderlich ist. Mittelbar benachteiligend wirken Anforderungen an die
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körperliche Konstitution, die z. B. ältere ArbeitnehmerInnen benachteiligen können. Ebenso können bestimmte Formulierungen in Ihrer Stellenausschreibung dafür sorgen, dass bei BewerberInnen der Eindruck entsteht, dass Sie ausschließlich KandidatInnen eines bestimmten Alters suchen und damit andere mittelbar benachteiligen. Dies gilt auch für in Stellenausschreibungen verwendete Bilder, die nur Personen einer bestimmten Altersgruppe zeigen. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Suchen Sie eine/einen kaufmännische/r GruppenleiterIn dürfte die kör perliche Leistungsfähigkeit meist irrelevant sein. Verzichten Sie also auf Beschreibungen, die den Anschein erwecken, körperliche Fitness sei entscheidend. Dasselbe gilt für Beschreibungen wie „dynamisch und flexibel“, da man dies eher mit jüngeren Personen verbindet. „Erfahren und loyal“ wird hingegen eher mit Älteren assoziiert.
Behinderung Eine unmittelbare Benachteiligung stellt der Ausschluss von BewerberInnen mit Behinderung dar. Es genügt, dass sich dies indirekt aus der von Ihnen erstellten Stellenbeschreibung ergibt. Zudem wirken Ausschreibungsverfahren, die eine bestimmte Form der Sinneswahrnehmung voraussetzen, mittelbar benachteiligend. Gleiches gilt für bestimmte Merkmale in Ihrer Stellenausschreibung, von denen sich BewerberInnen mit Behinderung ausgeschlossen fühlen können. Dies gilt auch für bestimmte Orte von Recruitingveranstaltungen, die für Menschen mit Behinderung nicht zugänglich sind. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Eine ausschließliche Ausschreibung in Printmedien kann für Menschen mit Sehbehinderung oder für Blinde eine Benachteiligung darstellen. Begriffe wie „mobil“ und „körperlich belastbar“ verbindet man eher mit Menschen ohne Behinderung.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss von BewerberInnen einer bestimmten ethnischen Herkunft. Dies gilt auch für die Nichtberücksichtigung ausländischer (Hoch-)Schulabschlüsse und im Ausland erworbener Zusatzqualifikationen und Berufserfahrungen.
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Wenn die jeweiligen geforderten Sprachkenntnisse zu der betreffenden Tätigkeit nur einen geringen oder keinen Bezug aufweisen, liegt eine mittelbare Benachteiligung vor. Gleiches gilt für eine Stellenausschreibung, deren Sprache auf Grund von Fremdwörtern, Fachtermini, bürokratischer Sprache usw. für Nichtmuttersprachler schwer oder gar nicht verständlich ist. Dies kann auch für den Fall zutreffen, dass die in einer Stellenausschreibung verwendeten Bilder nur Personen einer Ethnie zeigen. Geschlecht Eine Stellenbeschreibung oder -ausschreibung nur für Männer oder nur für Frauen stellt eine unmittelbare Benachteiligung dar. Mittelbar benachteiligend ist eine stereotype Beschreibung bestimmter männer- und/oder frauentypischer Eigenschaften. Bestimmte Begriffe, die Sie in Ihrer Stellenbeschreibung oder -ausschreibung verwenden, sind mittelbar benachteiligend, wenn sie auf Grund ihrer Konnotation oder Assoziation mit einem bestimmten Geschlecht verbunden werden können. Gleiches gilt für Bilder, die Sie in Ihren Stellenausschreibungen verwenden und die nur ein Geschlecht oder bei mehreren Geschlechtern bestimmte unterschiedliche Hierarchien für diese oder nur bestimmte Rollenbilder wiedergeben. Beispiel: Mittelbar benachteiligendes Bild Ein Bild, dass Männer in einer Führungsrunde und Frauen als Sekretä rinnen zeigt, ist zumindest mittelbar benachteiligend. Begriffe wie „durchsetzungsstark und karriereorientiert“ werden eher mit Männern verbunden. Begriffe wie „kommunikativ und sozial kompetent“ werden eher mit Frauen verbunden. Wenn Sie Bilder einsetzen, die Formel 1, Fußball, Boxen usw. zeigen, kann dies mittelbar benachteiligend wirken, da diese Freizeitaktivitäten typischerweise als männlich bewertet werden.
Mittelbar benachteiligend sind nicht durchgängig geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen. Nicht nur die direkte Berufsbezeichnung (z. B. durch den Zusatz m/w oder mit Binnen-„I“, also Endung -In), sondern auch alle weiteren Formulierungen müssen Geschlechtsneutralität aufweisen. Eine mittelbare Benachteiligung liegt auch dann vor, wenn Sie in Ihrer Ausschreibung typisch männliche oder typisch weibliche Freizeitaktivitäten in der Beschreibung oder
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den Bildern verwenden. Gleiches gilt für eine rein interne Stellenausschreibung, wenn in Ihrem Unternehmen weniger Frauen als Männer beschäftigt sind, da sich das proportionale Verhältnis zu Ungunsten der Frauen hierdurch weiter verschlechtert. Zudem sind Frauen durch eine geringere Netzwerkbildung bzw. -beteiligung benachteiligt. Religion/Weltanschauung Die Forderung nach einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungszugehörigkeit ist unmittelbar benachteiligend. (Ausnahmen bestehen für Tendenzbetriebe wie kirchliche Kindergärten.) Mittelbar benachteiligend ist die Verwendung bestimmter religiöser Symbole in einem herabsetzenden Kontext oder die Verwendung von Symbolen nur einer Religion oder Weltanschauung. Dies gilt auch für Recruitings, die an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten veranstaltet werden, bei denen bestimmte Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften keine Möglichkeit der Teilnahme haben. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Wenn Sie eine Recruitingveranstaltung an einem muslimischen Feiertag oder am Samstag (Sabbat) ausrichten, kann es sich um eine Benachtei ligung handeln.
Sexuelle Identität Eine bestimmte sexuelle Identität darf wegen des unmittelbar benachteiligenden Charakters kein Kriterium innerhalb einer Stellenbeschreibung und/oder -ausschreibung sein. Die Betonung von Familienfreundlichkeit kann auch eine potenzielle Benachteiligung darstellen, da homosexuelle Frauen und Männer nur selten dem traditionellen Muster von Familie folgen. Regelungen, die den Familienstand der Ehe direkt betreffen stellen jedoch nicht unbedingt einen Konflikt zum AGG dar, da für dieses Themenfeld nach den EU-Richtlinien nationale Sonderregelungen explizit möglich sind.
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Stellenbeschreibungen benachteiligungsfrei gestalten
5.3
Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Stellenbeschreibung
Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
5.3.1
Was Sie immer machen müssen
Folgende Maßgaben müssen Sie unbedingt unternehmensintern umsetzen: Neutrale Beschreibung und Ausschreibung Die Stelle muss hinsichtlich aller Benachteiligungsmerkmale in jeder Hinsicht neutral be- und ausgeschrieben werden. Befreien Sie sich von dem Gedanken an eine/einen eventuell vorhandene/n derzeitige/n StelleninhaberIn und/oder an eine/einen Wunschkandidaten/in. Gehen Sie allein auf sachliche und messbare Anforderungen ein. Geschlechtsneutrale Formulierungen Fast alle Unternehmen praktizieren bereits auf Grund der früheren gesetzlichen Regelung des § 611b BGB eine geschlechtsneutrale Formulierung Ihrer Stellenausschreibungen. Hierbei muss beachtet werden, dass es nicht ausreicht, lediglich in der Überschrift geschlechtsneutrale Formulierungen, wie z. B. m/w, …In zu nutzen, sondern diese Neutralität muss sich vielmehr durch den gesamten Anzeigentext ziehen. Beispiel: Geschlechtsneutrale Formulierung „Sie haben Ihre Ausbildung als BetriebswirtIn mit überdurchschnittli chem Erfolg abgeschlossen.“
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Benachteiligungsfreie Formulierungen und Bilder Sowohl die sprachliche Formulierung als auch die sachlichen Anforderungen und die Bilder, die Sie eventuell zur Gestaltung einer Stellenausschreibung einsetzen, müssen benachteiligungsfrei gestaltet sein. Lassen Sie eine Stellenausschreibung entweder von mehreren Personen gemeinschaftlich erstellen oder lassen Sie sie von unterschiedlichen Menschen kritisch überprüfen. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der Stellenbeschreibung und -ausschreibung grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Überprüfung Lesen Sie sowohl Ihre Stellenbeschreibung als auch Ihre Stellenausschreibung kritisch aus dem Blickwinkel einer erdachten Person, die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Durch welche Formulierungen könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Formulierungen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Formulierungen ersetzt werden. Überwachung Sie sollten die bei Ihnen herrschende Praxis der Stellenbeschreibung und -ausschreibung überwachen. Haben Sie kritisierte oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich in Kapitel 14 eingegangen. Weite Verbreitung Sofern Sie sich einen umfassenden Diversity-Ansatz zum Ziel gesetzt haben, sorgen Sie dafür, dass die Form der Distribution Ihrer Stellenausschreibung möglichst weit gefächert ist. Nutzen Sie verschiedene Medien (Printmedien, Internet usw.) und dort verschiedene Sparten (überregionale Zeitungen, spezielle Zeitschriften, deutschsprachige und fremdsprachige Zeitungen, Jobportale, unternehmenseigene Homepage usw.).
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Anweisungen für Dritte Wenn Sie Dritte mit einer Personalsuche beauftragen, sollten Sie geeignete, deutliche und umfassende schriftliche Anweisungen erteilen, die sicherstellen, dass von deren Seite kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot stattfinden kann. Prüfen Sie vorab, dass Informationen bezüglich der Stellenbeschreibung und -ausschreibung, die Sie an Dritte weitergeben, keinen benachteiligenden Inhalt enthalten. Überprüfen Sie die einzelnen Schritte, die Dritte für Sie unternehmen, kritisch auf Benachteiligungspotenziale und wirken Sie, sobald ein solches erkennbar ist, gezielt entgegen. Spätestens wenn ein Verstoß von dritter Seite vorliegt, müssen Sie gemäß § 12 Abs. 4 AGG geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen zum Schutz Ihrer BewerberInnen ergreifen.
5.3.2
Was Sie niemals machen sollten
Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Ausgrenzung Sie dürfen keine Person auf Grund eines der sechs Benachteiligungsmerkmale direkt oder indirekt in Ihrer Stellenbeschreibung und/oder -ausschreibung ausgrenzen. Beispiel: Ausgrenzung in der Stellenbeschreibung Aus einer Stellenbeschreibung ergibt sich direkt oder indirekt, dass Mi grantInnen für die zu besetzende Position nicht in Frage kommen. Hier handelt es sich um eine Ausgrenzung. Das gilt ebenso für Formulierun gen, wie z. B.: „Bewerbungen von Menschen mit Behinderung werden nicht berücksichtigt.“
Speziell konnotierte Begriffe Verwenden Sie keine Begriffe, die in irgendeiner Weise eng mit einem der sechs Benachteiligungsmerkmale verbunden werden. Beispiel: Benachteiligende Konnotation Eine „dynamische Arbeitsweise“ wird mit jüngeren ArbeitnehmerInnen in Verbindung gebracht. Der „echte Kämpfertyp“ wird mit Männern in Verbindung gebracht.
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Stereotype und Vorurteile Vermeiden Sie Stereotype und Vorurteile. Um sicher zu gehen, sollten Sie Ihre Stellenbeschreibungen und -ausschreibungen entweder in Zusammenarbeit mit mehreren Personen erstellen oder überprüfen lassen. Merkmalsorientierte Beschreibung Es empfiehlt sich auf Grund möglicher negativer Konnotationen oder unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten möglichst wenige konkrete Eigenschaftsanforderungen zu nennen, insbesondere soweit diese ohnehin nur geringe Aussagekraft aufweisen (z. B.: „dynamisch“, „durchsetzungsstark“, „kommunikativ“ usw.).
5.3.3
Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen
Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung § 8 Abs. 1 AGG besagt, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung darstellt, wenn das betreffende Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Der Zweck muss dabei rechtmäßig und die Anforderung angemessen sein. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen können nicht zu einer zulässigen Ungleichbehandlung führen. Noch nicht abschließend geklärt ist, wie sich Vorstellungen von KundInnen usw. hinsichtlich bestimmter Merkmale (z. B. Erwartung, dass nur unter 40jährige, weißhäutige Frauen in einem Modegeschäft als Verkaufspersonal arbeiten) auf diesen Personalprozess auswirken können. Von den meisten Juristen werden solche Vorstellungen als unbeachtlich eingestuft. Etwas anderes wird aber wohl für den Fall gelten, dass ein solcher Wunsch im Einzelfall berechtigt ist. Tipp: Auf Grund der bestehenden rechtlichen Unsicherheit ist es empfehlens wert, auf solche KundInnenwünsche grundsätzlich nicht einzugehen.
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Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben dient. Wichtig ist, dass Sie selber auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben anhand strenger Maßstäbe ebenso streng verfahren müssen. Beispiel: Berufliche Anforderung Uneingeschränkte Bewegungsfähigkeit darf für eine/einen TänzerIn verlangt werden. Ebenso darf sich die Stellenbeschreibung ausschließ lich an Männer richten, wenn Fotomodelle für Herrenmode gesucht werden.
Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabs gilt das zuvor Erwähnte. Beispiel: Jung und Alt fördern § 10 Nr. 1 AGG besagt beispielsweise, dass eine zulässige unterschiedli che Behandlung insbesondere auch darin liegen kann, besondere Be dingungen für den Zugang zur Beschäftigung festzulegen, um die be rufliche Eingliederung von Jugendlichen und älteren Beschäftigten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen. Nach § 10 Nr. 2 AGG können ausnahmsweise Mindestanforderungen an das Alter oder die Berufser fahrung gestellt werden. Eine bestimmte Mindestaltersgrenze ist dann zulässig. Es empfiehlt sich jedoch eher an die Berufserfahrung als an das Lebensalter anzuknüpfen. Nach § 10 Nr. 3 AGG kann ein Höchstal ter für die Einstellung festgesetzt werden, wenn dies auf spezifischen Ausbildungsanforderungen oder der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand beruht.
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Achtung: Es empfiehlt sich, vor jeder einzelnen Maßnahme eine Analyse auf po tenzielle Benachteiligungen vorzunehmen. Haben Sie Zweifel, gehen Sie von einer benachteiligenden Wirkung aus und unterlassen die Maß nahme.
5.3.4
Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen
Folgende Verfahren sind grundsätzlich unbedenklich: Genaue Be und/oder Ausschreibung Sie dürfen die jeweilige Stelle in sachlicher Form so genau und detailliert wie möglich be- und/oder ausschreiben. Vergleich mit anderen Stellen Sie dürfen zur Erstellung einer speziellen Stellenbeschreibung und -ausschreibung sachliche Vergleiche mit anderen Stellen innerhalb Ihres Unternehmens ziehen. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung oder Einschränkung innerhalb der Stellenbeschreibung und -ausschreibung, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden. Beispiel: Ausgleich von Benachteiligung In Stellenausschreibungen dürfen Sie auch weiterhin darauf hinweisen, dass Menschen mit Behinderung bei gleicher Eignung bevorzugt werden.
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Stellenbeschreibungen benachteiligungsfrei gestalten
5.3.5
Was sich empfiehlt zu unternehmen
Gewisse Maßgaben sind nicht zwingend erforderlich, jedoch sind sie empfehlenswert: Schriftlicher Maßgabenkatalog Es empfiehlt sich, schriftlich einen Maßgabenkatalog für den Bereich der Stellenbeschreibung und –ausschreibung zu erstellen. Die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler sollten darin festgehalten werden. Den Katalog verteilen Sie an alle personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell verbunden mit einem ergänzenden Training. Dies kann beispielsweise auch in Form einer Policy zur benachteiligungsfreien Stellenbeschreibung und -ausschreibung geschehen. Qualifizierung von Führungskräften Dieses grundlegende System sollten Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine entsprechende Richtlinie zu erstellen. Sensibilisierung von Führungskräften Machen Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam und sensibilisieren Sie diese dafür, dass das Vorhandensein von Vorurteilen und Stereotypen zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer benachteiligungsfreien Handhabung der Stellenbeschreibung und -ausschreibung zu gelangen, vermieden werden müssen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, entsprechende Trainings mit einem umfassenderen Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein solches kombiniertes Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Politik der Benachteiligungsfreiheit vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer umfassenden Gleichbehandlung und Gleichwertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen.
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Dokumentation des Prozesses Vom Gesetz nicht direkt vorgegeben, jedoch äußerst empfehlenswert ist es, nicht nur die Stellenbeschreibung und -ausschreibung selbst, sondern auch die Prozesse, die zur Erstellung einer solchen geführt haben (Untersuchung der Stelle, Vergleich mit anderen Stellen usw.) und alle damit direkt oder indirekt verbundenen Maßnahmen zu dokumentieren. Vorgaben für Dritte Auch müssen Sie im Falle der Beauftragung von Dritten dokumentieren, dass Sie diesen klare Anweisungen gegeben haben, die ihrerseits kein Benachteiligungspotenzial enthalten haben. Auf die Pflicht zur Benachteiligungsfreiheit müssen Sie Dritte hinweisen. Ist eine Benachteiligung im Einzelfall entstanden, müssen Sie nachweisen, dass Sie in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise einen Schutz Ihrer potenziellen Beschäftigten erwirkt haben. Aufbewahrung Um sich für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgreich vom Vorwurf der Benachteiligung exkulpieren zu können, müssen Sie sämtliche Unterlagen, die Ihnen von den BewerberInnen zur Verfügung stehen und solche, die Sie selber intern erstellt haben, über einen Zeitraum, der über die zweimonatige Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG aufbewahren. Dementsprechend ist eine Änderung der derzeitigen datenschutzrechtlichen Handhabe zu erwarten. Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll laut Gesetzesbegründung nicht mit einer über Gebühr langen Aufbe wahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
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Stellenbeschreibungen benachteiligungsfrei gestalten
5.4
So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der BewerberInnen um
Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligung bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit erhobenen Ansprüchen von BewerberInnen umzugehen haben. Eine Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung eines/einer Bewerbers/in auf Grund einer benachteiligenden Stellenbeschreibung wird praktisch nur selten vorkommen, da eine außerhalb des Unternehmens stehende Person in unternehmensinterne Vorgänge regelmäßig nicht ausreichend Einblick nehmen kann. Völlig auszuschließen ist ein solcher Fall allerdings nicht. Anders verhält es sich für den Prozess der Stellenausschreibung. Achtung: Im Bereich der Stellenausschreibung besteht auf Grund einer zu erwar tenden hohen Anzahl von BewerberInnen ein dementsprechend hohes Prozessrisiko. Zudem haben solche externen Personen – anders als Ihre MitarbeiterInnen – eine niedrigere Hemmschwelle bezüglich einer Klage, da diese keine Vertrauensbeziehung zu Ihnen verlieren.
5.4.1
Es gibt keinen Einstellungsanspruch
Wesentlich ist, dass allein auf Grund einer Stellenausschreibung mit einer festgestellten Benachteiligung kein Einstellungsanspruch eines/ einer Bewerbers/in besteht (§ 15 Abs. 6 AGG).
5.4.2
Entschädigungs und Schadensersatz forderungen sind möglich
Jedoch kann der/die Abgelehnte Entschädigung und/oder Schadensersatz gemäß § 15 AGG verlangen. Laut den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien müssen diese Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschreckungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit unkalkulierbar und wird durch die Ge-
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richte in Zukunft festgesetzt. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann ein/eine BewerberIn bei Nichteinstellung eine Entschädigung in Höhe von maximal drei Monatsgehältern geltend machen, wenn er/sie auch ohne Benachteiligung nicht eingestellt worden wäre. Achtung: Damit wird allerdings der Schadensersatz und die Entschädigung für den Fall nicht begrenzt, in dem der/die BewerberIn eingestellt worden wäre.
Wird eine solche Forderung seitens eines/einer Bewerbers/in gegen Sie geltend gemacht, vor Gericht Indizien bewiesen hat, die eine Benachteiligung vermuten lassen, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Benachteiligung vorgelegen hat oder dass die Ablehnung aus anderen Gründen erfolgte oder dass die Benachteiligung ausnahmsweise zulässig war. Hierfür ist eine ausführliche Dokumentation des jeweiligen Prozesses naheliegend. Tragen Sie vor, dass der/ die KlägerIn auch dann nicht eingestellt worden wäre, wenn das Merkmal keine Rolle gespielt hätte. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien auf Grund des Konfliktpotenzials (unabhängig von der tatsächlichen Benachteiligung) aus Ihrem bisherigen Verfahren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Für Ihre benachteiligungsfreie Praxis der Stellenbeschreibung finden Sie auf der CD-ROM eine Checkliste
Siehe CDROM
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
In diesem Kapitel werden die Grundzüge der BewerberInnenauswahl dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte, auf Grund derer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderungen drohen können, aufgezeigt werden. Dabei wird entsprechend der in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfe zu vermeiden, wird illustriert, welche Punkte Sie beachten und umsetzen, d. h. ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der BewerberInnenauswahl benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen dafür, wie Sie mit möglichen Ansprüchen von BewerberInnen richtig umgehen. Schließlich bieten Muster, Checklisten usw. Hilfe für Ihre unternehmensinterne Umsetzung eines benachteiligungsfreien BewerberInnenauswahlverfahrens.
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Was bei der Auswahl zu beachten ist
Der hier verwendete Begriff der BewerberInnenauswahl umfasst das auf der jeweiligen Stellenbeschreibung und -ausschreibung beruhende interne oder externe Auswahlverfahren eines/einer geeigneten Kandidaten/in. Gegenstand der BewerberInnenauswahl ist ein Abgleich der BewerberInneneignung mit den Anforderungen der jeweiligen Stelle in Form der konkreten Stellenbeschreibung und -ausschreibung unter Zuhilfenahme spezieller Instrumente, wie z. B.: Analyse der Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgespräch, Testverfahren oder Assessment-Center.
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So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte
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Achtung: Die BewerberInnenauswahl ist eine zentrale personalwirtschaftliche Aufgabe. Von ihr hängt Ihr unternehmerischer Erfolg entscheidend ab, da die Auswahl geeigneter BewerberInnen eine optimale Erfüllung Ihrer Unternehmensaufgaben sicherstellt und zukünftige Transaktionskosten des Arbeitsvertrags reduziert.
Ihnen als ArbeitgeberIn kann auch das Verhalten von Dritten, die Sie mit einer Personalsuche und -auswahl beauftragt haben, als eigenes Verhalten zugerechnet werden. Für diesen Fall haben Sie geeignete Maßnahmen zu treffen, dass es zu keinem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kommt. Sofern in Ihrem Unternehmen allgemeine Beurteilungsgrundsätze zur BewerberInnenauswahl erstellt wurden, ist zu beachten, dass ein Betriebsrat hierbei gemäß § 94 Abs. 2 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat. Zudem besteht ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 94 Abs. 1 BetrVG für Personalfragebögen. Ferner ist in der Personalauswahl an die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen zu denken. Achtung: Der BewerberInnenauswahl wohnt ein besonders hohes Risikopotenzial inne, da es hier bei einer Vielzahl von BewerberInnen auch ebenso viele potenzielle AnspruchstellerInnen gibt. Außerdem sind gerade Beurtei lungen häufig tendenziös, da sie eng mit persönlichen Einstellungen zusammen hängen. Dementsprechend haben Sie mit besonderer Sorg falt für eine Benachteiligungsfreiheit dieses Prozesses zu sorgen.
6.2
So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte
Im Rahmen der BewerberInnenauswahl gibt es eine Vielzahl betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht:
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
6.2.1
Fragen Sie richtig?
Hinsichtlich der in Bewerbungsgesprächen häufig gestellten Fragen ergibt sich aus der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung eine Einschränkung für deren Zulässigkeit: Frage nach einer Schwerbehinderung Die Frage nach einer Schwerbehinderteneigenschaft im Bewerbungsgespräch ist nach derzeitiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte wegen der rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen für Sie als ArbeitgeberIn noch uneingeschränkt, d. h. unabhängig von einer arbeitsplatzbezogenen Relevanz, zulässig. Auf Grund des vor einiger Zeit neu geschaffenen Diskriminierungsverbots des § 81 Abs. 2 SGB IX ist eine Änderung der Rechtsprechung dahingehend zu erwarten, dass die Frage nur noch dann zulässig sein wird, wenn eine Schwerbehinderung für den konkret zu besetzenden Arbeitsplatz relevant ist. Frage nach einer Schwangerschaft Die Frage nach einer Schwangerschaft im Bewerbungsgespräch ist nach neuester Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs generell, d. h. auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen, unzulässig. Frage nach der Konfessionszugehörigkeit Die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit ist außer bei konfessionell gebundenen Arbeitgebern grundsätzlich unzulässig. Frage nach einer HIVInfektion Die Frage nach einer HIV-Infizierung bzw. nach Aids ist grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen gelten für bestimmte Tätigkeiten z. B. im medizinischen Bereich, bei denen ein höheres Risiko für eine Infizierung vorliegen kann. Frage nach weiteren Merkmalen Auch weitere Fragen, die darauf abzielen, etwas über das (Nicht-) Vorhandensein eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale herauszufinden und diese Information evtl. zur Basis einer verbotenen Benachteiligung zu machen, sind nunmehr unzulässig. Teilweise wird in der juristischen Fachliteratur sogar die Ansicht vertreten,
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So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte
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dass zukünftig auch nicht mehr nach dem Alter eines/einer Bewerbers/in gefragt werden darf. Dies ist jedoch eine sehr enge Auslegung. Zum einen würden somit die verschiedenen Ausnahmetatbestände, die an das Alter anknüpfen, reine Makulatur. Zum anderen besteht in dieser Forderung eine Außerachtlassung der Tatsache, dass Personen, die sich z. B. im Bewerbungsgespräch physisch gegenüber sitzen, das Alter zumindest schätzen können. Allerdings erscheint die Forderung mit Blick auf ein rigoroses Überdenken aller derzeit verwendeten Altersgrenzen durchaus sinnvoll.
6.2.2
Die allgemeinen Schwachpunkte
Folgende allgemeine Schwachpunkte sind im Bereich der BewerberInnenauswahl denkbar: Ausgrenzung Eine Ausgrenzung einzelner Personen(-Gruppen) wegen des Vorhandenseins eines bestimmten Merkmals ist unzulässig. Beispiel: Ausgrenzung BewerberInnen, die älter als 40 Jahre sind, erhalten ohne weitere Prüfung sofort eine Absage.
Subjektive Bewertung Auf Grund der Bewerbungsunterlagen machen sich Personalverantwortliche ein Bild von dem/der jeweiligen BewerberIn. Hierbei können jedoch neben den rein sachlichen Informationen (beruflicher Werdegang, Zeugnisse usw.) auch Informationen persönlicher Art, die grundsätzlich mit der Eignung eines/einer Kandidaten/in nichts zu tun haben, wie z. B. Hautfarbe, Religion oder Hobbies, zu einem Gesamteindruck beitragen, der zumindest in mancher Hinsicht sachfremd ist. WunschkandidatIn Auch ein vordergründig völlig neutraler Auswahlprozess kann (un)bewusst von dem Bild eines speziellen MitarbeiterInnenprototyps oder eines/einer Wunschkandidaten/in geprägt sein. Häufig orientieren sich derartige Wunschbilder einerseits an früheren, er-
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
folgreichen StelleninhaberInnen, andererseits an den persönlichen Präferenzen von KollegInnen und Vorgesetzten. Subjektive Tests Bei Tests, die in einem Bewerbungsverfahren angewandt werden, ergibt sich das Problem, dass diese sich auf die als wesentlich ermittelten Anforderungen und Merkmale zu beschränken haben. Hierfür müssen sie sich als geeignete Diagnoseinstrumente erwiesen haben (Validierung). Persönlichkeitstests Verschiedene gängige Persönlichkeitstests sind häufig ungeeignet, um eine BewerberInnenauswahl durchzuführen, da sie, wenn überhaupt, Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ermöglichen, selten jedoch auf die Qualifikation einer Person in Bezug auf bestimmte Fähigkeiten. Unbeschränktes Bewerbungsgespräch Bewerbungsgespräche müssen sich allein auf die vorher festgelegten Kriterien und Merkmale, die für die fragliche Tätigkeit tatsächlich erforderlich sind, beziehen und diese müssen durch das Gespräch tatsächlich festgestellt werden können. Anschlussfragen bieten die Gefahr der Offenlegung und Verwertung nicht relevanter und somit benachteiligender Fakten. Unflexible Handhabung von AssessmentCenter Häufig werden bekannte Situationen von Assessment-Center ohne Beachtung der besonderen Situation der jeweiligen Stelle und der jeweiligen BewerberInnen unreflektiert übernommen. Dies erscheint insofern problematisch, als dass hierbei kein Bezug zur Stelle besteht und damit möglicherweise sachfremde Umstände bei der Auswahl herangezogen werden. Nichteinhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen In einem Bewerbungsgespräch werden entweder anhand eines Personalfragebogens oder im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs eine ganze Reihe persönlicher Daten von den BewerberInnen offen gelegt und von dem/der InterviewerIn gesammelt. Dies fällt unter den Geltungsbereich des BDSG: § 3a BDSG normiert den Grundsatz der
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So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte
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Datenvermeidung und -sparsamkeit, d. h. dass sowenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben und diese soweit wie möglich zu anonymisieren und zu pseudonymisieren sind. Eine solche Erhebung personenbezogener Daten ist gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG dann zulässig, wenn sie sich innerhalb der Grenzen hält, die die Rechtsprechung für zulässige Fragen des/der Arbeitgebers/in entwickelt hat. Dies bezieht sich jedoch ausschließlich auf die beiden Merkmale Alter und Geschlecht, nicht auf die übrigen vier Merkmale. Da für die Grenzen dieses Fragerechts unter anderem die Benachteiligungsverbote ausschlaggebend sind, kann ein Verbot sich so auswirken, dass eine entsprechende Frage und somit eine entsprechende Datenerhebung unzulässig sind. Zudem müssen Sie gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 BDSG bereits bei der Erhebung personenbezogener Daten die Zwecke, für die die Daten verarbeitet oder genutzt werden sollen, konkret festlegen. § 3 Abs. 9 BDSG stellt für die hier relevanten so genannten besonderen Arten personenbezogener Daten (unter anderem rassische und ethnische Herkunft, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gesundheit – worunter auch eine (Nicht-) Behinderung zu verstehen ist – und Sexualleben) ein noch stärker eingeschränktes Zulässigkeitserfordernis auf. Deren Erhebung ist gemäß § 28 Abs. 6 Nr. 2 und 3 BDSG nur dann zulässig, wenn • entweder eine qualifizierte Einwilligung des/der Betroffenen gemäß § 4a Abs. 3 vorliegt oder • es sich um Daten handelt, die der/die Betroffene offenkundig öffentlich gemacht hat, oder • wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des/der Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung überwiegt. Hauptsächlich dient die Datenerhebung im Rahmen des Bewerbungsverfahrens dazu, dem/der ArbeitgeberIn eine Prüfung der Eignung des/der BewerberIn für den zu besetzenden Arbeitsplatz zu ermöglichen. Dies allein stellt keine Erforderlichkeit im oben genannten Sinn dar. Daneben kommen potenzielle Ansprüche des/der Arbeitgebers/in z. B. wegen einer im Falle der unberechtigten Falschoder Nichtbeantwortung bestimmter Fragen auszusprechenden
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
Kündigung in Betracht. Hier ist allerdings – wie bereits oben erwähnt – immer für den betreffenden Einzelfall zu prüfen, ob eine bestimmte Frage zulässig ist. Von einem Großteil der juristischen Literatur wird auch die Verteidigung des/der ArbeitgeberIn gegen eine seitens eines/einer Bewerbers/in geltend gemachte Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung als zulässigkeitsbegründend erachtet, dies bedarf jedoch der in Streitfällen zu erwartenden Entscheidung durch die mit dieser Frage befassten Gerichte. Einschaltung von Dritten Die Einschaltung von Dritten im Rahmen der Personalsuche ist insofern riskant, als dass Ihnen deren Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot im Rahmen des § 12 Abs. 4 AGG zugerechnet werden können. Tritt eine Benachteiligung durch Dritte ein, haben Sie geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen zum Schutz Ihrer Beschäftigten zu ergreifen. Fraglich ist, ob diese Norm auch bereits für den Prozess der BewerberInnenauswahl gelten kann, da das Gesetz ausdrücklich nur von einer Benachteiligung der „Beschäftigten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit“ spricht. Es ist jedoch über den Wortlaut hinaus davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Schutz vor Benachteiligung nicht versagen wollte, so dass auch dieser Bereich hiervon erfasst wird.
6.2.3
Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte
Folgende Schwachpunkte der BewerberInnenauswahl ergeben sich speziell für die sechs Merkmale des Benachteiligungsverbots: Alter Der Ausschluss bestimmter Personen auf Grund eines bestimmten Alters ist grundsätzlich eine unmittelbare Benachteiligung. Zu den besonderen Ausnahmen siehe unten. Eine mittelbare Benachteiligung stellen Anforderungen dar, die vor allem eine bestimmte Altersgruppe in Frage kommen lassen, für die Tätigkeit jedoch ohne wesentliche Bedeutung sind. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Eine bestimmte körperliche Fitness, die eher jüngeren ArbeitnehmerIn nen zugesprochen wird, ist für eine Stelle als BuchhalterIn nicht rele vant. Anders verhält es sich bei einem/r TennislehrerIn.
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So erkennen Sie Ihre Schwachpunkte
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Behinderung Eine unmittelbare Benachteiligung stellt der Ausschluss von BewerberInnen mit einer Behinderung dar. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn Menschen mit Behinderung in Ihrem Unternehmen keine barrierefreien Möglichkeiten vorfinden oder der Auswahlprozess nicht barrierfrei gestaltet ist. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Rampe für RollstuhlfahrerInnen, Gebärdendolmetscher für Hörgeschä digte usw.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss von BewerberInnen einer bestimmten ethnischen Herkunft. Sprach- und kulturabhängige Einstellungstests wirken mittelbar benachteiligend. Geschlecht Die Nichtberücksichtigung auf Grund eines bestimmten Geschlechts stellt eine unmittelbare Benachteiligung dar. Die Terminierung von Vorstellungsgesprächen auf besonders frühe oder späte Tageszeiten kann mittelbar benachteiligend auf Eltern wirken, wodurch eine indirekte Benachteiligung von Frauen entstünde, die weit überproportional mit der Kinderbetreuung belastet sind. Entsprechendes gilt für Testverfahren, die von geschlechtsspezifischen Stereotypen geprägt oder beeinflusst sind. Religion/Weltanschauung Der Ausschluss bestimmter Religions- oder Weltanschauungszugehörigkeiten ist unmittelbar benachteiligend. Mittelbar benachteiligend kann die Terminierung von Vorstellungsgesprächen auf einen Feiertag bestimmter Religionsgemeinschaften wirken. Sexuelle Identität Eine bestimmte sexuelle Identität darf wegen des unmittelbar benachteiligenden Charakters nicht als Auswahlkriterium herangezogen werden. Dies bedeutet auch, dass das Vorhandensein einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die üblicherweise auf Homosexualität hinweist, nicht als Auswahlkriterium verwendet werden
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
darf. Wird aus dem Nichtvorhandensein einer Ehe oder von Kindern abgeleitet, dass der/die KandidatIn über wenig Verantwortungsbewusstsein oder Bindungsfähigkeit verfügt und hiermit eine negative Beurteilung abgeleitet, so kann dies eine mittelbare Benachteiligung darstellen. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall der Bevorzugung von Ledigen.
6.3
Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl
Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
6.3.1
Was Sie immer machen müssen
Folgende Maßgaben sind von Ihnen zwingend unternehmensintern umzusetzen: Einhaltung datenschutzrechtlicher Grenzen Sie müssen unter Vermeidung der oben aufgezeigten Fehler die datenschutzrechtlichen Vorgaben im Auswahlverfahren einhalten. Tipp: Zur Umgehung der Unsicherheiten hinsichtlich der derzeitigen Rechts lage empfiehlt es sich, dass Sie eine Einwilligung jedes/jeder Bewerbers/in zur Datenerhebung einholen. Achtung: Für eine wirksame Einwilligung des/der Betroffenen gemäß § 4a BDSG bedarf es neben der freien Entscheidung des/der Betroffenen vor allem des Hinweises Ihrerseits auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung sowie auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung. Zudem muss sich die Einwilligung darüber hinaus ausdrücklich auf die Erhebung der besonderen Arten personenbezogener Daten beziehen. Schließlich be darf die Einwilligung der Schriftform.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl
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Rein objektive Bewertung Lassen Sie alle Gesichtspunkte, die auf die jeweilige Position keinen Einfluss haben, unbeachtet. Halten Sie sich nur die Stellenbeschreibung vor Augen und lassen Sie alle Faktoren, die in diesem Kontext keine Bedeutung aufweisen, unberücksichtigt. Flexibilität bei Testverfahren Richten Sie Assessment-Center und andere Testverfahren speziell auf die Anforderungen der Stelle und auf die Situation der jeweiligen BewerberInnen ein. Lassen Sie den Test von möglichst vielen Personen mit möglichst geringer Stereotypen- und Vorurteilsausprägung beobachten und bewerten. Keine WunschkandidatIn Verabschieden Sie sich von der eigenen Vorstellung eines/einer Wunschkandidaten/in. Verdeutlichen Sie sich, dass – sofern nicht ausnahmsweise spezielle Gründe vorhanden sind, die ein bestimmtes Merkmal unentbehrlich machen – grundsätzlich jede Person für die auszuschreibende Stelle potenziell gleich geeignet sein kann. Maßnahmen für Menschen mit Behinderung Wenn Sie eine/einen BewerberIn mit Behinderung zu einem Vorstellungsgespräch einladen, haben Sie sicherzustellen, dass diese/dieser barrierefrei hieran teilnehmen kann. Beispiel: Sehbehinderung Wenn Sie einen/eine Kanditaten/in mit einer Sehbehinderung zum Gespräch einladen, sollten Sie darauf achten, dass zum Einsatz kom mende Schriftstücke entsprechend groß sind. Extra groß geschriebene Personalfragebögen sind für Menschen mit Sehbehinderung wichtig.
Maßnahmen für andere Sprachen und Kulturen Bei BewerberInnen aus einem anderen Kulturkreis können die Qualifikation und der berufliche Werdegang nicht immer 1:1 auf die in Deutschland geltenden Maßstäbe übertragen werden. Stattdessen sollten Sie eine flexible Betrachtung des Einzelfalls vornehmen.
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
Beispiel: Ausländische Abschlüsse Beachten Sie z. B., dass ein britischer Abschluss als Master dem deut schen Abschluss mit Diplom entspricht.
Wenn Sie KandidatInnen zu einem Vorstellungsgespräch einladen, deren Muttersprache nicht deutsch ist, müssen Sie dafür sorgen, dass keine Verständigungsschwierigkeiten bestehen. Im Gespräch mit BewerberInnen aus einer anderen Kultur müssen Sie zudem die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen. Beispiel: Kulturspezifisches Beachten Sie, dass Kandidaten/innen aus einem anderen Kulturkreis z. B. andere Vorstellungsrituale und andere Arten der Gesprächsführung kennen.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern sich ein Mensch mit Schwerbehinderung bei Ihnen beworben hat, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX der Schwerbehindertenvertretung Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen gewähren und die Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen ermöglichen. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der BewerberInnenauswahl grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken, welche Fragen unterlassen werden müssen, welche datenschutzrechtlichen Besonderheiten bestehen und was dementsprechend zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen geltende BewerberInnenauswahlpraxis generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer erdachten Bewerbers/in, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese beseitigt und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl
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Überwachung Sie müssen die bei Ihnen herrschende Praxis der BewerberInnenauswahl kritisch überwachen. Haben Sie fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich unten in Kapitel 14 eingegangen. Anweisungen für Dritte Sollten Sie Dritte mit einer Personalsuche und -auswahl beauftragen, müssen Sie durch geeignete, deutliche und umfassende schriftliche Anweisungen sicherstellen, dass von deren Seite kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot stattfinden kann. Sollte trotzdem ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot von deren Seite aus eintreten, müssen Sie gemäß § 12 Abs. 4 AGG die geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz Ihrer Beschäftigten ergreifen. Stellen Sie sicher, dass Informationen bezüglich der BewerberInnenauswahl, die Sie an diese weitergeben, keinen benachteiligenden Inhalt haben. Überprüfen Sie die einzelnen Schritte, die Dritte für Sie unternehmen, kritisch auf ein Benachteiligungspotenzial. Sollten Sie ein solches feststellen, müssen Sie sofort geeignete Maßnahmen treffen, um dem entgegen zu wirken.
6.3.2
Was Sie niemals machen sollten
Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Ausgrenzung Sie dürfen keine/keinen BewerberIn auf Grund eines der sechs Benachteiligungsmerkmale direkt oder indirekt ausgrenzen oder negativ bewerten. Stereotype und Vorurteile Vermeiden Sie Stereotype und/oder Vorurteile. Da es gelegentlich an einem ausreichend kritischen und reflektierten Bewusstsein für diese psychologischen Mechanismen fehlt, sollten Sie vielfältige Teams für die BewerberInnenauswahl bilden, bei denen jede einzelne Person eine möglichst geringe Stereotypen- und Vorurteilsneigung mitbringt.
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
Unzulässige Fragen Die oben genannten unzulässigen Fragen dürfen Sie in Auswahlgesprächen nicht stellen. Persönlichkeitstests Auf Persönlichkeitstests sollten Sie auf Grund der meist mittelbar benachteiligenden Wirkung und der zudem begrenzten Aussagekraft verzichten.
6.3.3
Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen
Gewisse Dinge sind nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige allgemeine Benachteiligung § 8 Abs. 1 AGG besagt, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung darstellt, wenn das betreffende Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Noch nicht abschließend geklärt ist, wie sich Vorstellungen von KundInnen und anderen hinsichtlich bestimmter Merkmale (z. B. Erwartung, dass nur unter 40jährige, hellhäutige Frauen in einem Modegeschäft als Verkaufspersonal arbeiten) auf diesen Personalprozess auswirken können. Von den meisten Juristen werden solche Vorstellungen als unbeachtlich eingestuft. Tipp: Auf Grund der derzeit noch ungeklärten Rechtslage ist es empfehlens wert, auf solche KundInnenwünsche grundsätzlich nicht einzugehen.
Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Präferenzen gilt. Wichtig ist, dass Sie angesichts einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben eigene strenge Maßstäbe hierfür anlegen.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl
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Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG ausnahmsweise dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig. Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend. Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Nehmen Sie vor jeder einzelnen Maß nahme eine Analyse auf potenzielle Benachteiligungen hin vor. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnahme zu unterlassen.
6.3.4
Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen
Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Auswahl nach Eignung Sie können für den Fall, dass tatsächlich alle BewerberInnen objektiv gleich qualifiziert sein sollten, den-/diejenige/n auswählen, den/die Sie persönlich für den/die Geeignetste/n halten. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung innerhalb der BewerberInnenauswahl, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweisen, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligung Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachtei-
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
ligungen wegen eines oder mehrerer Merkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte (-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden. Beispiel: Ausgleich von Benachteiligung Sie dürfen bei gleicher Eignung auch weiterhin Menschen mit Behin derung bevorzugt einstellen.
6.3.5
Was sich empfiehlt zu unternehmen
Folgende Maßgaben sind nicht zwingend von Ihnen umzusetzen, jedoch äußerst empfehlenswert: Hinzuziehung von ZeugInnen Es empfiehlt sich aus Gründen einer eventuell erforderlich werdenden Beweisführung zu Bewerbungsgesprächen und Auswahlverfahren stets einen oder mehrere Beteiligte hinzu zu ziehen. Schriftlicher Maßgabenkatalog Ferner ist es sinnvoll, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der BewerberInnenauswahl, in dem die oben genannten Maßnahmen, typischen Fehler, datenschutzrechtlichen Besonderheiten und unzulässigen Fragen festgehalten werden, zu erstellen und diesen an alle personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Am besten erstellen Sie für Bewerbungsgespräche einen Interviewleitfaden, der alle genannten Kriterien berücksichtigt und unabhängig vom jeweiligen Einzelfall als Basisinstrument eingesetzt werden kann. Qualifizierung von Führungskräften Das System der merkmalsunabhängigen Bewertung und Auswahl sollten Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der BewerberInnenauswahl
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Sensibilisierung von Führungskräften Machen Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam, dass das Vorhandensein von Vorurteilen und Stereotypen zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer benachteiligungsfreien Handhabung der BewerberInnenauswahl zu gelangen, vermieden werden müssen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, entsprechende Trainings mit einem umfassenderen Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein solches übergreifendes, umfassendes Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven benachteiligungsfreien Politik vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer Wertschätzung von Unterschieden für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch praktisch äußerst empfehlenswert ist es, die BewerberInnenauswahl und alle anderen damit direkt oder indirekt verbundenen Maßnahmen schriftlich zu dokumentieren. Protokoll durch ZeugInnen Ziehen Sie zu Bewerbungsgesprächen und Auswahlverfahren aus Gründen der Dokumentation und der damit einhergehenden erleichterten Beweisführung immer einen oder mehrere ZeugInnen hinzu, die den Gesprächsverlauf ebenfalls dokumentieren. Maßgaben für Dritte Auch müssen Sie im Falle der Beauftragung von Dritten dokumentieren, dass Sie diesen klare Anweisungen gegeben haben, die benachteiligungsfrei waren. Außerdem müssen Sie auf die Pflicht zur Benachteiligungsfreiheit hingewiesen haben. Dies gilt auch für den Fall, dass Sie einer dabei entstandenen Benachteiligung mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln zum Schutz Ihrer potenziellen Beschäftigten entgegengewirkt haben. Dies ist erforderlich, um sich gegebenenfalls exkulpieren zu können.
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
Aufbewahrung Um sich für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgreich vom Vorwurf der Benachteiligung exkulpieren zu können, müssen Sie sämtliche Unterlagen, die Ihnen von allen BewerberInnen zur Verfügung stehen und die von Ihnen selber für den Auswahlprozess erstellt wurden, über einen Zeitraum hinweg aufbewahren, der über die zweimonatige Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG hinausgeht. Dementsprechend ist eine Änderung der derzeitigen datenschutzrechtlichen Handhabe zu erwarten. Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, müssen Sie die Unterlagen entsprechend länger aufbewahren. Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll laut Gesetzesbegründung nicht mit einer über Gebühr langen Aufbe wahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
6.4
So gehen Sie mit Ansprüchen der BewerberInnen richtig um
Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben. Im Bereich der BewerberInnenauswahl kommt ein Anspruch eines/einer Bewerbers/in wegen unmittelbarer oder mittelbarer Benachteiligung und der daraus resultierenden Nichteinstellung auf Grund eines oder mehrerer bestimmter Merkmale in Frage. Achtung: Gerade im Bereich der BewerberInnenauswahl kann es zu einer vermehr ten Anzahl von Klagen auf Grund der hohen Anzahl potenziell betroffener Personen kommen. Zudem haben solche externen Personen – anders als Ihre MitarbeiterInnen – eine wesentlich niedrigere Hemmschwelle zu klagen, da diese keine Vertrauensbeziehung zu Ihnen verlieren.
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So gehen Sie mit Ansprüchen der BewerberInnen richtig um
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Sie müssen im Streitfall darlegen und beweisen können, dass entweder keine Benachteiligung vorgelegen hat oder dass die Ablehnung nicht wegen eines Benachteiligungsmerkmals erfolgt ist oder aber, dass sie ausnahmsweise zulässig war. Zudem müssen Sie beweisen, dass der/die abgelehnte BewerberIn nicht so gut qualifiziert war wie andere KandidatInnen. Mit anderen Worten müssen Sie den Beweis führen, dass der/die AnspruchstellerIn auch bei einer benachteiligungsfreien Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Entscheidend ist dabei, dass sogar dann eine Benachteiligung vorliegen soll, wenn – ganz abgesehen von dem Vorhandensein eines Benachteiligungsmerkmals – andere Gründe vorliegen, auf Grund derer eine Nichteinstellung rechtmäßig gewesen wäre. Somit wirkt sich ein vorhandenes Benachteiligungsmerkmal immer stark aus.
6.4.1
Es gibt keinen Einstellungsanspruch
Wesentlich ist, dass allein auf Grund einer benachteiligenden BewerberInnenauswahl kein Einstellungsanspruch eines/einer Bewerbers/in besteht. Dies stellt § 15 Abs. 6 AGG ausdrücklich klar.
6.4.2
Protokollieren Sie die Nichteinstellungsgründe
Aus der Beweislasterleichterung gemäß § 22 AGG folgt auch, dass für jede Absage, die Sie erteilen, fundierte, objektive und nachvollziehbare Gründe vorliegen müssen, weshalb der/die Betreffende nicht eingestellt wurde. Diese müssen Sie schriftlich festhalten und über einen ausreichend langen Zeitraum aufbewahren.
6.4.3
Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht
Jedoch kann der/die Abgelehnte Entschädigung und/oder Schadensersatz gemäß § 15 AGG verlangen. Laut den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien müssen diese Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschreckungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit unkalkulierbar und wird durch die Ge-
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So wählen Sie BewerberInnen benachteiligungsfrei aus
richte festgesetzt werden. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann ein/eine BewerberIn bei Nichteinstellung eine Entschädigung in Höhe von maximal drei Monatsgehältern geltend machen, wenn er/sie auch ohne Benachteiligung nicht eingestellt worden wäre. Achtung: Davon wird allerdings keine Begrenzung eines Schadensersatzes und einer Entschädigung für den Fall geschaffen, dass eine Einstellung stattgefunden hätte.
In einem Verfahren mit mehreren Hundert BewerberInnen wollen Sie jedoch vermeiden, diesen Betrag gegebenenfalls vielfach entrichten zu müssen. Wird eine Forderung seitens eines/einer Bewerbers/in gegen Sie geltend und werden vor dem angerufenen Gericht Indizien bewiesen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Benachteiligung vorgelegen hat oder dass die Ablehnung nicht auf Grund eines Benachteiligungsmerkmals erfolgte oder dass die Benachteiligung ausnahmsweise zulässig war (§ 22 AGG). Hierfür ist eine Dokumentation des jeweiligen Prozesses erforderlich. Tragen Sie vor, dass der/ die KlägerIn auch dann nicht eingestellt worden wäre, wenn das Merkmal keine Rolle gespielt hätte. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens müssen Sie stets auch den damit einhergehenden – meist negativen – Imageeffekt für Ihr Unternehmen berücksichtigen. Zeigen Sie sich daher kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Anspruchsteller und versuchen Sie, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrer bisherigen Praxis und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Siehe CDROM
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Für Ihre benachteiligungsfreie BewerberInnenauswahl finden Sie auf der CD-ROM Arbeitsmittel, wie z. B. eine Checkliste.
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Gestalten Sie Ihr Vergütungs system benachteiligungsfrei
In diesem Kapitel werden die Grundzüge der benachteiligungsfreien Vergütung dargestellt, wobei typische Schwachpunkte, die zu Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderungen führen können, aufgezeigt werden. Hier wird entsprechend der Systematik dieses Buches das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfe zu vermeiden, wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der Vergütung benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen, wie Sie mit unterschiedlichen Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen wegen Benachteiligung im Bereich der Vergütung richtig umgehen. Schließlich stehen Ihnen Arbeitshilfen für die unternehmensinterne Umsetzung eines benachteiligungsfreien Vergütungsverfahrens zur Verfügung.
7.1
So vergüten Sie richtig
Der Begriff der Vergütung bzw. Arbeitsentgelt bezeichnet sowohl geldliche als auch geldwerte Leistungen, die Sie dem/der einzelnen ArbeitnehmerIn gegenüber erbringen. Hiervon werden sämtliche Formen der Vergütung, wie z. B. Sachbezüge, Zulagen, Sondervergütungen wie Prämien, Gratifikationen und Ruhegelder, erfasst. Nach deutschem Recht gilt hinsichtlich des Arbeitsentgelts grundsätzlich der Grundsatz der Vertragsfreiheit, d. h. dass die Vergütung – in den Grenzen des Lohnwuchers gemäß § 138 BGB – zwischen den Parteien frei ausgehandelt werden kann. Gerade im Hinblick auf eine potenzielle Benachteiligung erlangt das Schlagwort der „Lohngerechtigkeit“ zentrale Bedeutung. Gleiche Tätigkeiten und gleiche
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Gestalten Sie Ihr Vergütungssystem benachteiligungsfrei
Leistungen sollten zu einem gleichen Arbeitsentgelt führen. Andererseits darf und soll ungleiche Tätigkeit und/oder ungleiche Leistung zu unterschiedlichem Arbeitsentgelt führen. Diese Unterschiede müssen aber von Ihren ArbeitnehmerInnen und auch von Ihnen als ArbeitgeberIn erkannt und akzeptiert werden. Dies wird dann der Fall sein, wenn die einzelnen ArbeitnehmerInnen in Grundzügen wissen, warum sie unterschiedliches Arbeitsentgelt erhalten. Tipp: Für ein Unternehmen ist die Leistung der Beschäftigten einer der zen tralen Schlüssel zum Erfolg. Der/die einzelne MitarbeiterIn wird aller dings nur dann volle Leistung zeigen, wenn er/sie das Gefühl hat, ge recht beurteilt und dementsprechend entlohnt zu werden. Somit ist eine benachteiligungsfreie Unternehmenspraxis gerade in diesem Be reich ein Motor Ihres Erfolges.
Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht für Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere für die Aufstellung von neuen Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Gleiches gilt gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG für die Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einschließlich der Geldfaktoren. Der Bereich der Vergütung ist in zwei unterschiedliche Unterbereiche geteilt: 1. allgemeine Arbeitsbewertung 2. spezielle Leistungsbeurteilung
7.1.1
Die allgemeine Arbeitsbewertung
Die Arbeitsbewertung bezieht sich ganz allgemein, unabhängig von der ausübenden Person, auf die Ermittlung und Quantifizierung der Anforderungen des jeweiligen Arbeitsplatzes, für den die Vergütung zu ermitteln ist.
7.1.2
Die spezielle Leistungsbeurteilung
Die Leistungsbeurteilung hingegen bezieht sich speziell auf den/die jeweilige/n InhaberIn des Arbeitsplatzes und dessen/deren in der
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So vergüten Sie richtig
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Vergangenheit erbrachte Leistung. Die Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze bedarf gemäß § 94 Abs. 2 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Für die Beurteilung sind neben anderen Möglichkeiten vor allem zwei häufig angewandte Formen zu unterscheiden: • merkmalsorientierte Einstufung • zielorientierte Einstufung Merkmalsorientierte Einstufung Die merkmalsorientierte Einstufung wird in den meisten Unternehmen angewendet. Sie erfolgt durch die Festlegung bestimmter Merkmale (z. B. „kreativ“, „engagiert“, „motiviert“, „durchsetzungsstark“), die der/die jeweilige StelleninhaberIn aufweisen soll. Anhand der Übereinstimmung dieser Merkmale und der Eigenschaften des/der StelleninhaberIn wird die Leistung nach Noten auf einer Skala erstellt. Zielorientierte Einstufung Die zielorientierte Einstufung wird seltener angewendet. Sie erfolgt durch die Festlegung messbarer und quantitativer Ziele, die innerhalb einer gewissen Zeit zu erreichen sind (z. B. Steigerung der akquirierten Aufträge innerhalb von sechs Monaten um 10 Prozent). Wichtig ist hierbei, dass die Ziele neutral und erreichbar formuliert werden. Achtung: Die spezielle Leistungsbeurteilung ist nicht nur für den Bereich der Ver gütung, sondern darüber hinaus auch für die Bereiche Personalent wicklung und Entlassung von zentraler Bedeutung. In den genannten Funktionen wird sich eine Maßnahme zumindest mittelbar darauf stützen, welche Leistungsbeurteilung erfolgte. Dabei ist wesentlich, dass Sie das zusätzliche Risikopotenzial erkennen, da sich eine Benachteiligung im Bereich der Leistungsbeurteilung nicht allein auf den Bereich der Ver gütung beschränken wird, sondern unmittelbar oder mittelbar auch auf diese weiteren Bereiche auswirken kann. Daher muss die Leistungsbe urteilung mit besonderer Sorgfalt und Genauigkeit erfolgen.
ArbeitnehmerInnen haben gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG ein Einsichtsrecht in Personalakten und somit die Möglichkeit der Kenntnisnahme von Beurteilungen.
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7.2
So decken Sie die Schwachpunkte auf
Im Rahmen der Vergütung gibt es eine Reihe potenzieller betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in merkmalsspezifischer Hinsicht.
7.2.1
Die allgemeinen Schwachpunkte
Folgende allgemeine Schwachpunkte müssen Sie in den Prozessen aufdecken: Merkmalsorientierte Einstufung Das merkmalsorientierte Einstufungsverfahren im Rahmen der Leistungsbeurteilung ist gegenüber dem zielorientierten Einstufungsverfahren mit gravierenden Nachteilen behaftet: Es ist starr, schwieriger operationalisierbar, und damit schlechter mess- und überprüfbar. Zudem kann der Fall, dass ein Merkmal grundsätzlich nicht erforderlich jedoch für eine bestimmte Zielerreichung hilfreich ist – oder umgekehrt –, nur schwer bzw. gar nicht erfasst werden. Der entscheidende Nachteil des Verfahrens besteht darin, dass es Merkmale erfordert, die tatsächlich neutral sind und keine der Benachteiligungsmerkmalsgruppen benachteiligen. Beispiel: Mittelbar benachteiligende Merkmale • „Durchsetzungsstark und präsent“ führt zu einer höheren Einstufung von Männern. • „Kommunikativ und sozial“ führt zu einer höheren Einstufung von Frauen. • „Dynamisch und flexibel“ führt zu einer höheren Einstufung von Jüngeren. • „Erfahren und loyal“ führt zu einer höheren Einstufung von Älteren.
Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht mit Blick auf erwünschte Eigenschaften, die jedoch nicht zwingend für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind (z. B. Offenheit und Kommunikativität erleichtern Projektbesprechungen im Team). Je nach Gewichtung können auch sie eine Benachteiligung bewirken, insbesondere, wenn sie „bei gleicher Qualifikation“ zu einer höheren Vergütung führen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Vergü-
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tungskriterien definiert werden müssen, die sich tatsächlich – auch mittelbar – im Hinblick auf die Benachteiligungsmerkmale neutral verhalten. Dies wird zum einen nur sehr schwer möglich sein, da die überwiegende Zahl gängiger Kriterien zumindest ansatzweise stereotypisch mit einem oder mehreren Merkmalen in Verbindung gebracht wird. Zum anderen wären solche „rein objektiven“ Merkmale wegen ihrer Neutralität nicht mehr aussagekräftig für die zu vergütende Leistung. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass die meisten Bewertungskriterien auf Grund individueller Vorstellungen und Assoziationen verschiedener Personen für ganz unterschiedliche Interpretationen offen sind (z. B. kann „verantwortungsbewusst“ mit Führungsqualität oder mit sozialer Verantwortung in Verbindung gebracht werden). Zielorientierte Einstufung Ein Nachteil an diesem Beurteilungsverfahren besteht darin, dass die Festlegung der Ziele im Wesentlichen das Ergebnis eines Abstimmungsprozesses darstellt und insofern stark vom Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängt. Dabei wirken sich unterschiedliche Charaktere und Eigenschaften günstig oder ungünstig aus. Zudem können auch externe, nicht von der Person beeinflussbare Faktoren, Auswirkung auf deren Leistung haben. Insgesamt ist diese Methode jedoch auf Grund ihrer besseren Mess- und Überprüfbarkeit und ihrer höheren Objektivität der merkmalsorientierten Einstufung vorzuziehen. Beurteilungsfehler In der Leistungsbeurteilung können unterschiedliche Beurteilungsfehler auftreten: 1. Der/die Beurteilende urteilt generell oder bei bestimmten Personen(-Gruppen) zu milde. 2. Der/die Beurteilende urteilt generell oder bei bestimmten Personen(-Gruppen) zu streng. 3. Der/die Beurteilende nimmt ein Leistungsmerkmal in seiner entweder besonders guten oder besonders schlechten Ausprägung so extrem positiv oder negativ wahr, dass dies die Beurteilung der anderen Merkmale stark verzerrt (so genannter HaloEffekt).
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4. Der/die Beurteilende hat Begünstigungs-, Schädigungs- oder Vergeltungsabsichten. Alle vier Varianten können in Verbindung mit jedem der sechs Benachteiligungsmerkmale auftreten, wenn nicht die tatsächliche Leistung, sondern darüber hinaus auch ein oder mehrere Merkmale der Person in die Beurteilung – sei es bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – einfließen. Beispiel: Beurteilungsfehler Ein/eine Personalverantwortliche/r beurteilt einen Mitarbeiter schlech ter als alle anderen, weil er/sie weiß oder vermutet, dass dieser schwul ist.
Hierbei ist jedoch nicht nur an eine Benachteiligung Einzelner auf Grund eines bestimmten Merkmals, sondern auch an eine mögliche Bevorzugung Anderer zu denken. Diese Bevorzugung stellt eine Benachteiligung dar, wenn sich nicht aus § 5 AGG ergibt, dass eine solche Ungleichbehandlung als positive Maßnahme ausnahmsweise erlaubt ist. Beispiel: Beurteilungsfehler bei Bevorzugung Ein/eine MitarbeiterIn mit Behinderung wird trotz gleicher Leistung besser bewertet als seine/ihre KollegInnen ohne Behinderung. Eine weibliche Führungskraft bewertet grundsätzlich ihre Mitarbeiterinnen besser als männliche Kollegen.
Nicht transparente Ergebnisse Die Ergebnisse sowohl der Arbeitsplatz- als auch der Leistungsbeurteilung müssen überprüfbar, d. h. mess- und nachprüfbar sein. Beachtung der Bezeichnung Die jeweilige Bezeichnung der Position oder des Berufs ist für die Arbeitsplatz- und Leistungsbeurteilung nicht maßgeblich. Ungleicher Maßstab Für alle Personen gelten dieselben Kriterien und Maßstäbe. Niemand darf – auf Grund welcher Maßgaben und Vorstellungen auch immer – bevorzugt oder benachteiligt werden.
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Benachteiligende einzelne Kriterien Die einzelnen Bewertungskriterien müssen benachteiligungsfrei ausgelegt, angewandt und gewichtet sein. Benachteiligendes Gesamtsystem Nicht nur die einzelnen Kriterien müssen benachteiligungsfrei sein. Auch das Gesamtsystem der Bewertung darf nicht benachteiligen. Subjektivität der Arbeitsplatzbeurteilung Es muss die Tätigkeit, nicht die Person bewertet werden. Eine Arbeitsplatzbeurteilung muss stets unabhängig von dem/der StelleninhaberIn erfolgen. Keine weiteren Faktoren Bei der Arbeitsbewertung sind sämtliche Arbeitsinhalte und -anforderungen zu berücksichtigen. Hierzu gehören unter Umständen auch notwendige nichtfachliche Qualifikationen wie Verantwortungsbewusstsein und Kommunikativität. Willkürliche Gratifikationen Gratifikationen, die Sie Ihren Beschäftigten zuteilen, dürfen nicht willkürlich einzelne Beschäftigte ausschließen. Achtung: Die Vergütung birgt ein nicht zu unterschätzendes Risikopotenzial: Es ist der Bereich, in dem sich Ihre MitarbeiterInnen am wahrscheinlich sten untereinander austauschen werden. Da bei Kenntnis von unter schiedlichen Vergütungen für vermeintlich gleiche Arbeitsplätze und Leistungseinschätzungen der Unmut bei den ArbeitnehmerInnen groß sein wird, muss hier mit einer häufigeren Geltendmachung von Ent schädigungs und/oder Schadensersatzforderungen als in anderen Be reichen gerechnet werden.
7.2.2
Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte
Folgende Schwachpunkte ergeben sich im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale:
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Alter Wenn einem/einer Beschäftigten allein auf Grund seines/ihres Lebensalters ein höheres Gehalt gezahlt wird, ohne dass dies für die ausgeübte Tätigkeit von Bedeutung ist, liegt grundsätzlich eine unmittelbare Benachteiligung vor. Etwas anderes gilt für den Fall, dass dies eine Vergünstigung für einen im Alter erhöhten finanziellen Bedarf, z. B. auf Grund der erhöhten Kosten für Gesundheitsvorsorge, darstellt. Eine mittelbare Benachteiligung stellt eine stereotype Leistungsbeurteilung ohne Berücksichtigung altersspezifischer Besonderheiten dar. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung BerufsanfängerInnen werden bei gleicher Ausbildung, Tätigkeit und Leistung ungleich entlohnt, weil sie ein unterschiedliches Alter haben. Beispiel: Keine Benachteiligung Ein/eine MitarbeiterIn, der/die bereits mehrere Jahre einschlägige Er fahrung im Unternehmen gesammelt hat, kann besser vergütet werden als ein/eine Beschäftigte/r, der/die aus einem anderen Unternehmen neu eintritt.
Dies gilt nicht für den Fall, dass auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit für die Entgelthöhe oder für Jubiläumszuwendungen und Zuschüsse zum Krankengeld abgestellt wird, da dies dem Schutz älterer Beschäftigter dient. Behinderung Eine Entgeltpolititk, die allein auf Grund einer Behinderung ein schlechteres Grundentgelt vorsieht, stellt grundsätzlich eine unmittelbare Benachteiligung dar. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die betreffende Person auf Grund ihrer Behinderung tatsächlich weniger Leistung erbringt als andere, vergleichbare Beschäftigte ohne Behinderung. Stereotype Leistungsbeurteilungen, die nicht die speziellen Besonderheiten im Blick haben, wirken mittelbar benachteiligend. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Ein/eine ProgrammiererIn wird auf Grund seiner/ihrer Lähmung schlechter entlohnt als nicht behinderte KollegInnen.
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Ethnische Herkunft Ein höheres Entgelt für Deutsche als für MigrantInnen stellt eine unmittelbare Benachteiligung dar. Bei Beschäftigten, die aus einem anderen Kulturkreis stammen, ist zu beachten, dass es große Unterschiede sowohl in der (Arbeits-)Mentalität als auch in der Darstellung von Leistung geben kann. Beispiel: Unterschiedliche ethnische Hintergründe Im asiatischen Kulturkreis stellt der/die Einzelne seine/ihre persönliche Leistung nicht nach außen zur Schau, sondern übt sich vielmehr in zu rückhaltender Bescheidenheit.
Solche kulturellen Unterschiede müssen sich in einer flexiblen Betrachtungsweise der Leistung und/oder der Merkmale für die Leistungsbeurteilung niederschlagen. Vor der eigentlichen Bewertung müssen Sie sich hinreichend Gedanken machen, was für einen sozialen und kulturellen Hintergrund der/die Beurteilte hat und dies in Ihre Bewertung mit einfließen lassen. Achtung: Eine solche differenzierte Beurteilung darf ihrerseits jedoch nicht dazu führen, dass hinsichtlich verschiedener Kulturen Stereotype oder Vor urteile in die Beurteilung einfließen.
Geschlecht Eine Bezahlung, die bei gleicher Tätigkeit und Leistung Männer gegenüber Frauen oder umgekehrt benachteiligt, ist unmittelbar benachteiligend. Mittelbar benachteiligend ist ein Entgeltsystem, das ein höheres Grundgehalt allein auf Grund der Bereitschaft zu Überstunden oder wegen einer höheren zeitlichen oder örtlichen Flexibilität vorsieht. Dies gilt auch für eine stereotype Leistungsbeurteilung ohne Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Besonderheiten. Religion/Weltanschauung Unterschiedlich hohe Gehälter auf Grund bestimmter Religionszugehörigkeiten oder Weltanschauungen sind unmittelbar benachteiligend. Eine mittelbare Benachteiligung liegt bei einer stereotypen Leistungsbeurteilung ohne Beachtung religionsspezifischer Besonderheiten vor.
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Sexuelle Identität Niedrigere Entgelte für Lesben, Schwule, Bi- oder Transsexuelle und zwischengeschlechtliche Menschen sind eine unmittelbare Benachteiligung. Dies gilt auch für den Fall, dass gleichgeschlechtliche LebenspartnerInnen keine Versorgungsansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung erwerben. Sozialleistungen, die von ihren Voraussetzungen her an den Bestand einer Ehe anknüpfen, stellen hingegen keine mittelbare Benachteiligung dar, da sie dem rechtmäßigen Ziel der Förderung und Unterstützung von Familien und solchen Partnerschaften, die eine Familie werden können, dienen.
7.3
Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Vergütung
Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
7.3.1
Was Sie immer machen müssen
Um eine benachteiligungsfreie Vergütungspolitik zu betreiben, müssen Sie einige Punkte immer beachten: Transparente Ergebnisse Die Ergebnisse der Arbeitsbewertung und Leistungsbeurteilung bedürfen der Transparenz, d. h. sie müssen mess- und nachprüfbar sein. Erstellen Sie daher genaue Schemata zur Einordnung und Skalierung. Prüfen Sie, ob auch jemand, der mit der Beurteilung nicht befasst ist, die Ergebnisse und deren Herleitung verstehen würde. Positionsbezeichnung ignorieren Sie dürfen ausschließlich den objektiven Gehalt der Tätigkeit bewerten, ohne die Bezeichnung der Position zu berücksichtigen. Lassen Sie sich von unterschiedlichen Benennungen nicht in die Irre führen, sondern beurteilen Sie ausschließlich den Inhalt der Tätigkeit.
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Gleicher Maßstab Legen Sie für alle Personen dieselben Kriterien und Maßstäbe an. Niemand darf – auf Grund welcher Maßgaben und Vorstellungen auch immer – bevorzugt oder benachteiligt werden. Benachteiligungsfreie einzelne Kriterien Die einzelnen Bewertungskriterien müssen benachteiligungsfrei ausgelegt, angewandt und gewichtet sein. Benachteiligungsfreies Gesamtsystem Das System darf seinerseits in seiner Gesamtheit in keiner Weise benachteiligend sein. Objektivität Bewerten Sie die reine Arbeitstätigkeit, nicht die Person. Halten Sie sich die Stellenbeschreibung vor Augen und lassen Sie alle davon unabhängigen Faktoren unberücksichtigt. Weitere Faktoren Bei der Arbeitsbewertung sind alle Arbeitsinhalte und -voraussetzungen mit einzubeziehen. Dies können auch nichtfachliche Qualifikationen wie Verantwortungsbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit usw. sein. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern es sich um eine Maßnahme handelt, die einen Menschen mit Schwerbehinderung berührt, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Zudem müssen Sie dieser die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der Vergütung grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren.
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Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen herrschende Vergütungspraxis generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Überwachung Sie müssen die bei Ihnen herrschende Praxis der Vergütung kritisch überwachen. Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich unten in Kapitel 14 eingegangen.
7.3.2
Was Sie niemals machen sollten
Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Merkmalsorientierte Einstufung Auf Grund der geschilderten Nachteile und Ungenauigkeiten, birgt die merkmalsorientierte Einstufung der Leistungsbeurteilung ein hohes Risikopotenzial für Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderungen von MitarbeiterInnen. Sie sollten deshalb in Ihrem Unternehmen möglichst die zielorientierte Einstufung zur Leistungsbeurteilung einführen. Stereotype Betrachtung und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise der Leistungen Ihrer ArbeitnehmerInnen führt dazu, dass Ihre Beschäftigten nur in den seltensten Fällen entsprechend ihrer tatsächlichen Leistungen beurteilt werden. Lassen Sie alle Faktoren, die nichts mit der fachlichen und sozialen Qualifikation eines/einer Beschäftigten zu tun haben, unberücksichtigt.
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Willkürliche Gratifikationen Sofern Sie einzelne Beschäftigte von Gratifikationen ausschließen, müssen dafür sachliche und nachvollziehbare Gründe vorliegen. Ein Ausschluss ohne Vorliegen eines solchen Grundes ist unzulässig.
7.3.3
Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen
Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige allgemeine Benachteiligung Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dabei muss es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln. Jedoch besagt § 8 Abs. 2 AGG speziell für den Bereich der Vergütung, dass die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines Benachteiligungsmerkmals nicht dadurch gerechtfertigt wird, dass wegen dieses Grundes besondere Schutzvorschriften gelten. Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben dient. Dabei ist wichtig, dass Sie auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben eigene strenge Maßstäbe anlegen. Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG ausnahmsweise dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hin-
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sichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend. Beispiel: Zulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters Ein/eine ältere/r ArbeitnehmerIn kann bei gleicher Leistung und Qualifi kation schlechter entlohnt werden als ein/eine andere/r ArbeitnehmerIn auf dem gleichen Arbeitsplatz, wenn hierdurch beispielsweise nach län gerer Arbeitslosigkeit eine berufliche Wiedereingliederung ermöglicht wird. Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Es empfiehlt sich, vor jeder einzelnen Maßnahme eine Analyse potenzieller Benachteiligungen vorzunehmen. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnahme zu unterlassen.
7.3.4
Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen
Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Unterscheidung nach Leistung und Qualifikation Selbstverständlich ist, dass für unterschiedliche Arbeitsplätze und/oder unterschiedliche Leistungen bzw. Qualifikationen auch ein unterschiedliches Arbeitsentgelt erfolgen kann und soll. Stellen Sie sicher, dass Sie dabei tatsächlich objektiv mess- und nachprüfbare Kriterien anwenden. Eine Differenzierung innerhalb der Vergütung, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden.
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Was sich empfiehlt zu unternehmen
Statistische Erhebungen Innerhalb der Arbeitsbewertung empfiehlt es sich, eine statistische Untersuchung der Vergütung jeweils für die Merkmale Alter, Behinderung, Ethnie, Geschlecht und Religion/Weltanschauung vorzunehmen. Das Merkmal sexuelle Identität wird im Allgemeinen mangels Erhebbarkeit außen vor gelassen. Hierbei werden die einzelnen Gruppen miteinander verglichen (Männer und Frauen, Alte und Junge und mittleres Alter, Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung, Deutsche und MigrantInnen, Christen und Muslime und gegebenenfalls andere Religionszugehörigkeiten). Hierbei dürfen Sie jeweils nur vergleichbare Arbeitsplätze miteinander vergleichen. Beispiel: Statistische Erhebung Innerhalb der Gruppe der in der Sachbearbeitung beschäftigten Arbeit nehmerInnen wird das Entgelt von Männern und Frauen, Alten und Jungen usw. verglichen. Häufig werden dabei unerwartete und nicht erklärbare Unterschiede sichtbar.
Ein solcher Vergleich ist nur dann objektiv und somit relevant für das Ergebnis, wenn die Leistungsunterschiede der einzelnen Personen, die sich aus den jeweiligen Leistungsbeurteilungen ergeben, mitberücksichtigt werden. Gerade diese Leistungsunterschiede sind es ja, die zu einer unterschiedlichen Bemessung des Entgelts führen. Ist hier eine ungleiche Verteilung erkennbar, müssen Sie Schritte einleiten, um die bestehende Benachteiligung zu beseitigen. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Frauen, die in der Sachbearbeitung tätig sind, werden schlechter be zahlt als ihre männlichen Kollegen, ohne dass Leistungsunterschiede erkennbar sind.
Um eine statistische Untersuchung möglichst schnell und effektiv durchzuführen, empfiehlt es sich, die Ergebnisse der Arbeitsbewertung und der Leistungsbeurteilung zentral zu erfassen, um somit das Verfahren zu vereinheitlichen und einen leichteren Vergleich zu ermöglichen.
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Zweit und Drittbeurteilung Um eine subjektive Färbung der Beurteilung möglichst weitgehend auszuschließen, empfiehlt es sich, dass eine zweite oder auch dritte Person mit einer möglichst geringen Stereotypen- und Vorurteilsausprägung eine weitere, unabhängige Beurteilung vornimmt. Diese sollte dann mit der ersten und gegebenenfalls zweiten Beurteilung kritisch verglichen und in Einklang gebracht werden. Schriftlicher Maßgabenkatalog Ferner ist es sinnvoll, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der Vergütung, in dem die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an alle personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Qualifizierung von Führungskräften Dieses System müssen Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen. Sensibilisierung von Führungskräften Wie bereits oben ausgeführt, entstehen die meisten Fehler innerhalb der Arbeitsbewertung und vor allem der Leistungsbeurteilung dadurch, dass diese aus einer subjektiven (und damit menschlichen) Perspektive erfolgen, der bestimmte Stereotype und/oder Vorurteile inne wohnen. Wichtig ist es daher, dass Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam machen und sensibilisieren, dass das Vorhandensein solcher Vorurteile und Stereotype zwar menschlich ist, dass diese aber vermieden werden müssen, um zu einer benachteiligungsfreien Beurteilung und Vergütung zu gelangen. Es bietet sich an, solche Trainings mit einem umfassenden Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein solch übergreifendes Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven benachteiligungsfreien Unternehmenspo-
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litik vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer durchgängigen Wertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht vorgegeben, jedoch ist es empfehlenswert, die Kriterien und Verfahren der Beurteilung und Vergütung schriftlich zu fixieren. Hierbei kommt der oben dargestellte Maßnahmenkatalog in Frage, eine Anweisung, generell auf eine zielorientierte Leistungsbeurteilung umzustellen oder die für den Einzelfall angefertigten Arbeitsbewertungen und Leistungsbeurteilungen, die entsprechend der dargestellten Maßgaben erstellt worden sind. Aufbewahrung Um sich für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgreich vom Vorwurf der Benachteiligung exkulpieren zu können, müssen Sie sämtliche Unterlagen, die im Rahmen der Beurteilung und Entgeltfestlegung verwendet werden, über einen mindestens zweimonatigen Zeitraum, der für die Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG gilt, hinweg aufbewahren.
7.4
So gehen Sie mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen richtig um
Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben. Im Bereich der Vergütung sind verschiedene Ansprüche Ihrer Beschäftigten wegen einer Benachteiligung im Bereich der Arbeitsbewertung, der Leistungsbeurteilung und/oder der eigentlichen Vergütung denkbar:
7.4.1
Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet
Die vorherige Anrufung der gemäß § 13 Abs. 1 AGG zuständigen unternehmensinternen Beschwerdestelle ist zwar für die Geltendmachung einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung
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nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Nehmen Sie jede Beschwerde ernst, lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen und unterrichten Sie den/die Betroffene/n von dem jeweiligen Ergebnis (siehe § 13 Abs. 1 AGG). Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Es empfiehlt sich, dass Sie hierbei nicht nur den worst case einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung vor Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und damit deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie im Falle einer behaupteten Benachteiligung mit ihnen umgehen. Versuchen Sie im Sinne aller Beteiligten zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Beobachten Sie dabei benachteiligungsanfällige Prozesse genau und nehmen Sie im Zweifelsfall Abstand von der fraglichen Handhabung. Für den Fall, dass Sie eine interne Schlichtungsstelle eingerichtet haben, hat diese das Verfahren zu übernehmen und nach Möglichkeit zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.
7.4.2
Anspruch auf gleiche Bezahlung wird geltend gemacht
§ 8 Abs. 2 stellt zusammen mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eine Anspruchsgrundlage auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit dar. Wenn ein solcher Anspruch geltend gemacht wird und seine Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, sind Sie zur Zahlung des gleichen Entgelts verpflichtet.
7.4.3
Es kommt zur Leistungsverweigerung
Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Benachteiligung und deren Nichtabhilfe verweigert. Ein solches Zurückbehaltungsrecht sieht § 14 S. 1 AGG für den Fall vor, dass Sie als ArbeitgeberIn keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästi-
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gung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreifen, obwohl dies zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Hierbei besteht Ihre Pflicht zur Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts uneingeschränkt fort. Für den Bereich der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung wird ein solches Zurückbehaltungsrecht teilweise aus § 273 Abs. 1 BGB i. V. m. § 14 S. 2 AGG hergeleitet; dies ist jedoch umstritten. Unabhängig davon sollten Sie eine Leistungsverweigerung ernst nehmen und den zugrunde liegenden Sachverhalt erforschen. Je nachdem, ob eine Benachteiligung tatsächlich vorgelegen hat oder nicht, ist der/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe aufzufordern oder der entsprechende Umstand ist umgehend abzustellen. Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerung sollten Sie von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Abmahnung, Ermahnung) absehen, da dies zu einer unnötigen Verschlechterung des Betriebsklimas führen würde. Anders verhält es sich aber im Falle einer wiederholten unberechtigten Leistungsverweigerung.
7.4.4
Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschrekkungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft von den Gerichten festgelegt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schäden, wie beispielsweise eine Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was
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genau angemessen ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls (z. B. der Schwere der Benachteiligung, der Häufigkeit der Benachteiligung, dem Grad des Verschuldens, der individuellen Auswirkungen). In diesem Zusammenhang stellt die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Anforderung, dass zur Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes eine Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn zu haben und auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen 2 Schaden stehen muss. Achtung: Anders als beim Schadensersatz erfordert die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung ausweislich der Gesetzesbegründung kein Vertreten müssen.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Wird eine solche Forderung seitens eines/einer Ihrer Beschäftigten geltend gemacht und werden vor Gericht Indizien bewiesen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die Belästigung ausnahmsweise zulässig war (siehe § 22 AGG). Hierfür ist eine ausführliche Dokumentation des jeweiligen Prozesses sinnvoll. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Siehe CDROM
Für Ihr benachteiligungsfreies Vergütungssystem finden Sie auf der CD-ROM Checklisten und weitere Arbeitshilfen.
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EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
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So gestalten Sie benachteili gungsfreie Arbeitsbedingungen
In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte aufgezeigt werden. Hier wird entsprechend der bereits in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfen zu vermeiden, wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um die bei Ihnen geltenden Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen für den Umgang mit den unterschiedlichen Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen. Arbeitshilfen, wie z. B. Muster, Checklisten usw., helfen Ihnen bei der Einführung von belästigungsfreien Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen.
8.1
Vier Faktoren sind zu unterscheiden
Mit dem Terminus Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen werden vier Faktoren bezeichnet, unter denen Arbeit zu leisten ist: • Arbeitszeit • Arbeitsort • Arbeitsinhalt • Sachmittel
8.1.1
Arbeitszeit
Unter den Begriff Arbeitszeit fällt zum einen die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Zum anderen bedeutet dies auch die Verteilung derselben auf die verschiedenen Tageszeiten,
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So gestalten Sie benachteiligungsfreie Arbeitsbedingungen
Wochentage, Monate und das Jahr. Auch die (Sonder-) Urlaubsregelungen zählen hierzu. In rechtlicher Hinsicht sind vor allem die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) und Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) zu beachten. Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und hinsichtlich der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Gleiches gilt gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG für die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne ArbeitnehmerInnen, sofern zwischen Ihnen als ArbeitgeberIn und den beteiligten ArbeitnehmerInnen kein Einverständnis erzielt wird.
8.1.2
Arbeitsort
Der Begriff Arbeitsort beschreibt den Ort, an dem die Arbeit zu leisten ist. Dies kann an verschiedenen Orten innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens der Fall sein. Gemeint sind hiermit nicht nur die Räumlichkeit selbst, sondern auch alle damit unmittelbar und mittelbar zusammenhängenden Faktoren (z. B. Kundenbesuche usw.).
8.1.3
Arbeitsinhalt
Der Begriff Arbeitsinhalt bezeichnet die Anforderungen an die betreffende Stelle in sachlicher und persönlicher Hinsicht. Dies beinhaltet zum einen die Stellenbeschreibung und die damit zusammenhängenden Faktoren und auch die darüber hinausgehenden tatsächlichen Gegebenheiten.
8.1.4
Sachmittel
Der Begriff Sachmittel umfasst die materiellen Hilfsmittel, die Ihren Beschäftigten zur Verrichtung ihrer Arbeit zur Verfügung stehen, also z. B. PC, Arbeitskleidung usw.
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So decken Sie die Schwachpunkte der betrieblichen Praxis auf
8.2
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So decken Sie die Schwachpunkte der betrieblichen Praxis auf
Im Rahmen der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gibt es eine Vielzahl potenzieller betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht:
8.2.1
Die allgemeinen Schwachpunkte
Folgende allgemeine Schwachpunkte sind im Bereich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen denkbar: Arbeitszeit 1. Tagesarbeitszeit Eine längere oder kürzere Tagesarbeitszeit, die allein auf dem Vorhandensein eines bestimmten Merkmals beruht, ist unmittelbar benachteiligend. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Jüngere Männer müssen länger arbeiten als andere Beschäftigte.
Im Rahmen der Tagesarbeitszeit kann eine Regelung, die nicht auf bestimmte Besonderheiten, die sich aus dem Vorhandensein eines Benachteiligungsmerkmals ergeben, mit einer flexiblen Verteilung reagiert, mittelbar benachteiligend wirken. Stattdessen müsste eine Regelung bestehen, die es ermöglicht, die täglich zu leistende Arbeitszeit sowohl flexibel aufzuteilen als auch auf den Tag selber zu verteilen. Beispiel: Unterschiedliche Bedürfnisse • Väter oder Mütter (mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern) be vorzugen eventuell eine längere Mittagspause oder einen früheren Arbeitsbeginn. • Muslimische Beschäftigte bevorzugen eventuell während ihres Fa stenmonats eine Arbeitszeit, die möglichst früh beginnt.
2. Wochenarbeitszeit Eine längere oder kürzere Wochenarbeitszeit, die allein auf dem Vorhandensein eines bestimmten Merkmals beruht, ist unmittelbar
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benachteiligend. Auch die Wochenarbeitszeit müsste, um nicht mittelbar benachteiligend zu wirken, eine flexible Reaktion auf die unterschiedlichen, aus dem Vorhandensein eines bestimmten Merkmals folgenden Bedürfnisse ermöglichen. Hier muss eine Regelung vorhanden sein, die es ermöglicht, dass die ArbeitnehmerInnen die wöchentlich zu leistende Arbeitszeit sowohl flexibel aufteilen als auch verteilen können. Beispiel: Unterschiedliche Bedürfnisse Jüdischen MitarbeiterInnen sollte, falls gewünscht, die Teilnahme an mehreren aufeinander folgenden Festtagen ihrer Religion möglich sein. Ein/e homosexuelle/r Mitarbeiter/in, der/die seinen/ihren Partner/in pflegt, arbeitet eventuell an bestimmten Tagen kürzer und an anderen länger als andere Beschäftigte.
3. Monatsarbeitszeit Eine längere oder kürzere Monatsarbeitszeit, die allein auf dem Vorhandensein eines bestimmten Merkmals beruht, ist unmittelbar benachteiligend. Auch die monatliche Arbeitszeit ist dann mittelbar benachteiligend, wenn sie nicht die spezifischen, merkmalseigenen Bedürfnisse bestimmter MitarbeiterInnen berücksichtigt. In diesem Bereich müsste es daher ebenfalls eine flexible Auf- und Verteilungsmöglichkeit geben. Beispiel: Unterschiedliche Bedürfnisse Frauen oder Männer mit Kindern bevorzugen eventuell einen freien Tag zur Kinderbetreuung.
4. Jahresarbeitszeit Eine längere oder kürzere Jahresarbeitszeit, die allein auf dem Vorhandensein eines bestimmten Merkmals beruht, ist unmittelbar benachteiligend. Um eine mittelbare Benachteiligung auszuschließen, müsste eine Verteilung der Jahresarbeitszeit möglich sein. Auch dies erfordert eine flexible Ver- und Aufteilungsmöglichkeit. Beispiel: Unterschiedliche Bedürfnisse Ältere ArbeitnehmerInnen bevorzugen eventuell längere arbeitsfreie Phasen.
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Urlaub Eine Regelung, die die Dauer oder die Verteilung des Urlaubs unmittelbar von einem bestimmten Merkmal abhängig macht, ist unmittelbar benachteiligend. Ferner müsste auch die Urlaubsregelung so angelegt sein, dass sie nicht mittelbar benachteiligend wirkt. Beispiel: Unterschiedliche Bedürfnisse • ArbeitnehmerInnen, die aus einem weiter entfernten Land stammen und dort die Familie besuchen wollen, bedürfen eventuell einer län geren, durchgängigen Urlaubszeit. • Ein/eine ArbeitnehmerIn, die an einer Pilgerreise teilnehmen möch te, bedarf eventuell einer längeren Urlaubszeit als dies für nicht religiöse Beschäftigte erforderlich ist.
Sonderurlaub Auch bei Regelungen, die den Sonderurlaub betreffen, darf nicht unterschiedlich an das Vorhandensein eines der Benachteiligungsmerkmale angeknüpft werden. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Sonderurlaub, der nur für eine Eheschließung, nicht aber für den Ein trag einer Lebenspartnerschaft gewährt wird, wirkt benachteiliegend.
Arbeitsort Unmittelbar benachteiligend ist es, wenn ein/eine Beschäftigte/r auf Grund des Vorhandenseins eines Merkmals an einen besonders populären oder besonders unpopulären Arbeitsort gesetzt wird. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung • Homosexuelle MitarbeiterInnen, Rollstuhlfahrer oder Beschäftigte, die ein Kopftuch tragen werden vom Kundenkontakt ausgeschlossen. • Die junge Mitarbeiterin wird an einem Ort mit ausgeprägt machoi stischem Kundenkontakt eingesetzt.
Mittelbar benachteiligend ist es, wenn der jeweilige Arbeitsort von der betreffenden Person schwerer als von anderen erreicht werden kann.
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Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • schlechter Zugang für RollstuhlfahrerInnen • besonders langer Arbeitsweg für allein erziehende Väter oder Mütter
Arbeitsinhalt Unmittelbar benachteiligend ist ein Arbeitsinhalt, der allein auf Grund eines bestimmten Merkmals von anderen Arbeitsinhalten abweicht. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung • Frauen bekommen grundsätzlich in fachlicher Hinsicht weniger an spruchsvolle Aufgaben übertragen als Männer. • MigrantInnen bekommen grundsätzlich Aufgaben übertragen, in denen es kaum auf Kenntnisse der Landessprache ankommt.
Sachmittel Unmittelbar benachteiligend wirken Regelungen, die Personen wegen eines bestimmten Merkmals schlechtere oder weniger Sachmittel zuweisen. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Jüngere ArbeitnehmerInnen erhalten weniger sachliche Hilfsmittel als Ältere.
8.2.2
Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte
Folgende Schwachpunkte der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen ergeben sich für die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Eine längere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel stellen grundsätzlich eine unmittelbare Benachteiligung dar, wenn keine Ausnahme gerechtfertigt ist. Eine kürzere Arbeitszeit, zusätzliche arbeitsfreie Tage und ein längerer Erholungsurlaub für ältere Beschäftigte sind, da sie deren Schutz dienen, ausnahmsweise zulässig. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn die Arbeitsmittel nicht den Bedürfnis-
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sen bestimmter Altersgruppen Rechnung tragen oder wenn kein vernünftiger Altersaufbau der Belegschaft besteht, d. h. wenn gewisse Altersgruppen unter- bzw. überrepräsentiert sind. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Arbeitsvorschriften und wichtige Unterlagen sind auch für Ältere nur in normal großer Schrift vorhanden. Auf Wunsch müssten Materialien in Großschrift zur Verfügung gestellt werden.
Behinderung Eine unmittelbare Benachteiligung stellen eine andere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel für Menschen mit Behinderung dar. Dies gilt auch für mangelnden Kundenkontakt. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn die Arbeitsmittel nicht für Menschen mit Behinderung geeignet sind oder wenn kein barrierefreier Zugang zum Arbeitsort für Menschen mit Behinderung besteht. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • Der jeweilige Arbeitsort ist für eine/einen RollstuhlfahrerIn nur schlecht erreichbar. • Die Sachmittel sind allein für Sehende und Hörende ausgerichtet.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend sind eine andere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel für bestimmte Ethnien. Dies gilt auch für den Ausschluss von Kundenkontakt. Arbeitsvorschriften und sonstige schriftlichen Unterlagen nur in einer Sprache wirken mittelbar benachteiligend. Geschlecht Eine andere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel sind eine unmittelbare Benachteiligung. Dies gilt auch für den Ausschluss von Kundenkontakt auf Grund des Geschlechts. Unflexible Arbeitszeitmodelle und Arbeitskleidung, die keine geschlechtsspezifischen Besonderheiten berücksichtigt, sind mittelbar benachteiligend. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Schutzhandschuhe sind nur in Männerhandgröße vorhanden.
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Religion/Weltanschauung Eine andere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel für bestimmte Religionen oder Weltanschauungen sind unmittelbar benachteiligend. Dies ist auch der Fäll für einen Ausschluss von Kundenkontakt auf Grund eines religiösbedingten äußeren Erscheinungsbildes. Mittelbar benachteiligend sind Feiertagsregelungen, die nicht allen Religionen und Weltanschauungen Rechnung tragen. Sexuelle Identität Eine andere Arbeitszeit, ein schlechterer Arbeitsort oder -inhalt sowie weniger oder schlechtere Sachmittel für Beschäftigte einer bestimmten sexuellen Identität stellen eine unmittelbare Benachteiligung dar. Dies gilt auch für den Ausschluss von Kundenkontakt auf Grund einer bestimmten sexuellen Identität.
8.3
Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Arbeitsbedingungen
Um die oben genannten Schwachpunkte zu umgehen, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
8.3.1
Was Sie immer machen müssen
Folgende Maßgaben sind von Ihnen zwingend unternehmensintern umzusetzen: Flexibles Arbeitszeitsystem Um eine vollständig benachteiligungsfreie Arbeitsumgebung zu schaffen, müssen Sie eine Arbeitszeitregelung (Tag, Woche, Monat und Jahr) treffen, die so flexibel ist, dass sie den unterschiedlichen Beschäftigtenbedürfnissen (z. B. Betreuung, Religionsausübung, Familienurlaube usw.) Rechnung trägt. Auf Grund der beschränkten
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Möglichkeiten und der unterschiedlichen Bedürfnisse ist dies wohl nicht immer möglich. Sie müssen aber anstreben, dass die Punkte, die keine Berücksichtigung finden, alle ArbeitnehmerInnen und nicht nur bestimmte Personen annähernd gleich stark betreffen. Überprüfung der Arbeitsorte Prüfen Sie, welche Beschäftigten mit welchen Benachteiligungsmerkmalen an welchen Arbeitsorten beschäftigt sind. Ist hier eine nachteilige überproportionale Verteilung in bestimmten Bereichen zu erkennen, ändern Sie dies. Auch wenn ein Benachteiligungspotenzial mit Blick auf den Einsatzort vorhanden ist, sollten Sie gegensteuern. Überprüfung der Arbeitsinhalte Prüfen Sie die in Ihrem Unternehmen maßgeblichen Arbeitsinhalte und passen Sie diese jeweils an die spezielle Situation einer bestimmten Person(-engruppe) an. Sofern ein Benachteiligungspotenzial erkennbar ist, nehmen Sie eine entsprechende Anpassung vor. Überprüfung der Sachmittel Prüfen Sie die bei Ihnen verwendeten Sachmittel jeweils in merkmalsspezifischer Hinsicht. In diesem Bereich ist besonderer Wert darauf zu legen, dass die Mittel dem Umstand Rechnung tragen, dass sie von Personen mit bestimmten Benachteiligungsmerkmalen benutzt werden. Sie müssen z. B. speziell für Menschen mit Behinderung geeignet sind. Zudem müssen beispielsweise Arbeitsvorschriften und andere schriftliche Unterlagen auch für Nichtmuttersprachler verständlich sein. Sofern Benachteiligungspotenzial vorhanden ist, nehmen Sie eine entsprechende Anpassung vor. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern es sich um eine Maßnahme handelt, die einen Menschen mit Schwerbehinderung berührt, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Zudem müssen Sie dieser die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen.
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Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte genauestens darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der Arbeitsbedingungen grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Generelle Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen geltenden Arbeitsbedingungen generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Überwachung Sie müssen die bei Ihnen herrschende Praxis der Arbeitsbedingungen kritisch überwachen. Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt?
8.3.2
Was Sie niemals machen sollten
Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Benachteiligung Sie dürfen keine/keinen Beschäftigte/n auf Grund eines der sechs Benachteiligungsmerkmale direkt oder indirekt im Hinblick auf die vier Aspekte der Arbeitsbedingungen benachteiligen. Stereotype und Vorurteile Für jeden der vier Bereiche der Arbeitsbedingungen muss zwar eine genaue und kritische Analyse der jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnisse erfolgen, wenn Sie Benachteiligungsklagen wirksam abwehren wollen. Diese Überprüfung muss aber frei von Stereotypen und Vorurteilen vorgenommen werden. Halten Sie sich immer
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vor Augen, dass beispielsweise ein/eine Beschäftigte/r mit Behinderung bestimmte Bedürfnisse und Möglichkeiten haben kann, nicht aber zwangsläufig haben muss.
8.3.3
Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen
Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Es muss sich dabei um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln. Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben dient. Wichtig ist, dass Sie selber auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben anhand strenger Maßstäbe ebenso streng verfahren müssen. Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend.
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Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Es empfiehlt sich, vor jeder einzelnen Maßnahme eine Analyse auf potenzielle Benachteiligungen vorzuneh men. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnahme zu unterlassen.
8.3.4
Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen
Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Festlegung der Arbeitszeit Sie dürfen auf Grund Ihres arbeitsrechtlichen Direktionsrechts die tägliche, wöchentliche, monatliche und jährliche Arbeitszeit entsprechend den individuellen Anforderungen Ihres Unternehmens gestalten. Im Rahmen des Ihnen unternehmerisch Zumutbaren sind allerdings die oben genannten Flexibilisierungen zu treffen. Festlegung des Arbeitsortes Gleiches gilt für die Festlegung des Arbeitsortes. Auch hier sind jedoch die Besonderheiten bestimmter Personen(-Gruppen) zu beachten. Festlegung des Arbeitsinhalts Auch hinsichtlich der Festlegung des Arbeitsinhalts kommt Ihnen ein Direktionsrecht zu. Zudem können Sie hier die Anforderungen unbeschränkt entsprechend der Qualifikationen des/der Arbeitnehmers/in festlegen. Festlegung der Sachmittel Schließlich haben Sie hinsichtlich der Sachmittel ein arbeitgeberInnenseitiges Direktionsrecht. Dies wird durch die oben genannten Besonderheiten leicht eingeschränkt. Tragen von religiös motivierter Kleidung Im Arbeitsvertrag, durch das Direktionsrecht oder in einer Betriebsvereinbarung (Kleiderordnung) ist es in engen Grenzen möglich eine Regelung aufzustellen, die religiös motivierte Kleidung oder
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Symbole am Arbeitsplatz verbietet. Gerade das Argument, dass andernfalls der Betriebsfrieden gestört wurde, dürfte hier tragend sein. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung innerhalb der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden.
8.3.5
Was sich empfiehlt zu unternehmen
Folgende Maßgaben sind nicht zwingend von Ihnen umzusetzen, jedoch äußerst empfehlenswert: Schriftlicher Maßgabenkatalog Es ist sinnvoll, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, in dem die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an Ihre personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Policy für Arbeitszeit Gerade für den Bereich der Arbeitszeit empfiehlt es sich, eine Policy zu vereinbaren. Zum einen handelt es sich hierbei um einen umfassenden und für die Beschäftigten besonders wichtigen Bereich. Zum anderen ist hier – wie oben gezeigt – das Benachteiligungspotenzial besonders hoch. Qualifizierung von Führungskräften Dieses System müssen Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer
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(gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen. Sensibilisierung von Führungskräften Wichtig ist, dass Sie die personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam machen und sensibilisieren, dass flexible Arbeitsbedingungen, die vielfältige Bedürfnisse berücksichtigen, für die Beschäftigten und das Unternehmen von Vorteil sind und mitunter ein Umdenken erforderlich machen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, Trainings mit einem umfassenden Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein solches Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Politik der Nichtbenachteiligung vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer umfassenden Gleichbehandlung und Gleichwertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht vorgegeben, jedoch ist es empfehlenswert, dass Sie die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen und alle damit verbundenen Maßnahmen detailliert schriftlich dokumentieren. Aufbewahrung Um sich für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgreich vom Vorwurf der Benachteiligung exkulpieren zu können, müssen Sie sämtliche Unterlagen, die im Rahmen der Beurteilung und Entgeltfestlegung verwendet werden, über einen mindestens fünfmonatigen Zeitraum, der für die Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG gilt, hinweg aufbewahren.
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So gehen Sie mit den Ansprüchen der Beschäftigten richtig um
8.4
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So gehen Sie mit den Ansprüchen der Beschäftigten richtig um
Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben.
8.4.1
Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet
Die vorherige Anrufung der betriebs- oder unternehmensinternen Beschwerdestelle gemäß § 13 AGG ist zwar für die Geltendmachung einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Nehmen Sie jede Beschwerde ernst und lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen. Zudem müssen Sie dem/der Betreffenden das Ergebnis dieser Prüfung mitteilen. Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Es empfiehlt sich, dass Sie hierbei nicht nur den worst case einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung vor Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und damit deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie im Falle einer behaupteten Benachteiligung mit ihnen umgehen. Versuchen Sie im Sinne aller Beteiligten zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Beobachten Sie dabei die benachteiligungsanfälligen Prozesse und nehmen Sie im Zweifelsfall Abstand von der fraglichen Handhabung. Für den Fall, dass Sie eine interne Schlichtungsstelle eingerichtet haben, hat diese das Verfahren zu übernehmen und nach Möglichkeit zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.
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So gestalten Sie benachteiligungsfreie Arbeitsbedingungen
8.4.2
Es kommt zur Leistungsverweigerung
Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Benachteiligung und deren Nichtabhilfe verweigert. Dieses Zurückbehaltungsrecht ergibt sich aus § 14 S. 1 AGG für den Fall, dass Sie als ArbeitgeberIn keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreifen, obwohl dies zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Hierbei besteht Ihre Pflicht zur Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts uneingeschränkt fort. Für den Bereich der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung wird ein solches Zurückbehaltungsrecht teilweise aus § 273 Abs. 1 BGB i. V. m. § 14 S. 2 AGG hergeleitet; dies ist jedoch umstritten. Unabhängig davon sollten Sie eine solche Leistungsverweigerung ernst nehmen und den zugrunde liegenden Sachverhalt erforschen. Je nachdem, ob eine Benachteiligung tatsächlich vorgelegen hat oder nicht, ist der/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe aufzufordern oder die entsprechende Maßnahme umgehend abzustellen. Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerung sollten Sie von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Abmahnung, Ermahnung) absehen, da dies zu einer unnötigen Verschlechterung des Betriebsklimas führen würde. Anders verhält es sich allerdings im Falle einer wiederholten unberechtigten Leistungsverweigerung.
8.4.3
Entschädigungs und Schadensersatzforderung werden geltend gemacht
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschrekkungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft durch die Gerichte festgelegt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die
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So gehen Sie mit den Ansprüchen der Beschäftigten richtig um
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Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schäden, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was genau angemessen ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls (z. B. der Schwere der Benachteiligung, der Häufigkeit der Benachteiligung, dem Grad des Verschuldens, der individuellen Auswirkungen). Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verlangt, dass für einen wirksamen Rechtsschutz eine Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn haben muss und in einem angemessenen Verhältnis 3 zum erlittenen Schaden stehen muss. Achtung: Anders als beim Schadensersatz kann sich die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung auch dann ergeben, wenn der/die ArbeitgeberIn den Schaden nicht vertreten muss.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Wird eine solche Forderung gegen Sie geltend gemacht, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die Belästigung ausnahmsweise zulässig war (siehe § 22 AGG). Hierfür ist eine ausführliche Dokumentation des jeweiligen Prozesses sinnvoll. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrem bisherigen Verfahren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Für Ihre benachteiligungsfreien Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen finden Sie auf der CD-ROM einige Arbeitsmittel, wie z. B. Checklisten. 3
Siehe CDROM
EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Aus- und Weiterbildung dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte aufgezeigt werden. Entsprechend der bereits in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix wird das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfe zu vermeiden, wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der Aus- und Weiterbildung benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen, für den Umgang mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen wegen Benachteiligung im Bereich der beruflichen Bildung. Arbeitshilfen, wie z. B. Muster, Checklisten usw., helfen Ihnen, unternehmensintern ein benachteiligungsfreies berufliches Bildungsverfahren zu etablieren.
9.1
Drei Bereiche sind zu unterscheiden
Der Begriff der Aus- und Weiterbildung umfasst die Erweiterung und/oder Vertiefung bereits bestehender und/oder die Vermittlung neuer Qualifikationen für Ihre ArbeitnehmerInnen. Unterscheiden Sie die folgenden drei Bereiche: • Ausbildung Ausbildung bezeichnet die berufliche Erstausbildung, die neben einer umfassenden beruflichen Grundausbildung dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen dient. • Weiterbildung Die Weiterbildung hat zum Ziel, die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten an die betrieblichen Erfordernisse zu erhalten, anzupassen oder zu erweitern.
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Drei Bereiche sind zu unterscheiden •
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Umschulung Die Umschulung ist eine Zweitausbildung zum Zwecke der beruflichen Neuorientierung. Sie kann aus Gründen der Arbeitsmarktsituation oder wegen eines Unfalls bzw. einer Krankheit erfolgen. Tipp: Obwohl Sie als ArbeitgeberIn keine Verpflichtung zum Angebot von Umschulungsmaßnahmen haben, ist es sinnvoll, wenn Sie solche Maß nahmen anbieten: Zum einen können Sie auf diese Weise verdiente und fähige MitarbeiterInnen in Ihrem Unternehmen halten. Zum anderen wird dies seitens der Betroffenen, aber auch seitens nicht betroffener ArbeitnehmerInnen und Dritter als positiver Schritt zu einem respekt vollen Miteinander gewertet. Damit verbessern Sie die Zufriedenheit und Leistung Ihrer MitarbeiterInnen und Ihr öffentliches Ansehen.
Im Rahmen der rechtlichen Vorgaben sind vor allem das Berufsbildungsgesetz (BBiG) und für minderjährige Auszubildende das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) zu beachten. Der Betriebsrat hat im Rahmen der beruflichen Bildung mehrere Rechte: § 92 Abs. 1 BetrVG gibt ihm ein Informationsrecht über die Personalplanung. Aus § 92 Abs. 2 BetrVG folgt ein entsprechendes Vorschlagsrecht. §§ 96, 97 BetrVG beinhalten ein Beratungsrecht hinsichtlich bestimmter Maßnahmen und für Fragen der Bildung. Zudem hat er auch ein Vorschlagsrecht für Bildungsfragen. Aus § 98 Abs. 1 BetrVG folgt ein Mitbestimmungsrecht bei der Art der Durchführung einzelner Maßnahmen. Das Vorgenannte gilt jedoch nicht für Bildungsmaßnahmen leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG. Hier hat der Betriebsrat gemäß § 105 BetrVG nur ein Informationsrecht. Achtung: Nur durch eine konsequente und umfassende Chancengleichheit im Bereich der beruflichen Bildung können die Weichen für eine erfolgrei che Personalpolitik und ein erfolgreiches Unternehmensmanagement gestellt werden.
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
Tipp: Ziehen Sie eine interne berufliche Bildung einer externen Personalbe schaffung vor, um Folgendes zu erreichen: Verbesserung der Motivation durch Aufstiegsmöglichkeiten, geringeres Auswahlrisiko, einfachere Personalbeschaffung und auswahl, bessere Ausschöpfung des Perso nalpotenzials, Verminderung der Fluktuation, Verkürzung der Einarbei tungszeiten, geringere Arbeitsplatzbesetzungskosten. Gleichzeitig soll ten Sie in ausgewogenem Maße externe Einstellungen vornehmen, um neue Sichtweisen und andere Erfahrungen in Ihren Betrieb zu bringen.
9.2
So decken Sie die Schwachpunkte auf
Im Rahmen der beruflichen Bildung sind eine Vielzahl betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht denkbar.
9.2.1
Die allgemeinen Schwachpunkte
Folgende allgemeine Schwachpunkte können im Bereich der beruflichen Bildung bestehen: Ausschluss wegen eines Merkmals Der Ausschluss von Bildungs- oder Umschulungsmaßnahmen auf Grund der Tatsache, dass der/die Betreffende ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, ist unzulässig. Nichtberücksichtigung spezieller persönlicher Besonderheiten Eine Maßnahme der beruflichen Bildung kann – unabhängig davon, in welcher konkreten Form sie stattfindet – nur dann erfolgreich sein, wenn die jeweilige Maßnahme die persönliche Situation des/der Betreffenden berücksichtigt. Sie müssen die angestrebte Maßnahme entsprechend den persönlichen Fähigkeiten, Bedürfnissen, Interessen und Zielen ausrichten. Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise einzelner Beschäftigtengruppen in Bezug auf mögliche Entwicklungsmaßnahmen führt dazu, dass bestimmte Beschäftigte Zugang
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zu Maßnahmen haben und andere ganz davon ausgeschlossen werden. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Bei Umschulungsmaßnahmen für Frauen werden nur frauenspezifische Berufsbilder abgedeckt. Beispiel: Stereotype Betrachtung • Trainings, die soziale Kompetenzen vermitteln und steigern sollen, werden überwiegend Frauen angeboten. • Trainings, die fachliche und methodische Kompetenzen vermitteln und steigern sollen, werden überwiegend Männern angeboten. • Weiterbildungen in unteren Hierarchiestufen werden äußerst selten angeboten.
Einseitige Entscheidung Wenn in Ihrem Unternehmen stets dieselbe/n Person/en über Bildungsmaßnahmen entscheidet/n, besteht auf Grund der dort möglicherweise vorhandenen Stereotype und/oder Vorurteile die Gefahr, dass Personen(-Gruppen) von bestimmten Bildungsmaßnahmen in positiver oder in negativer Hinsicht betroffen sein werden. Beispiel: Stereotype Betrachtungsweise Männer mittleren Alters können dazu neigen, ihren Fokus auf Männer des gleichen Alters und der gleichen Hierarchiestufe zu richten. Jüngere werden als „noch nicht so weit“, ältere als „nicht mehr lohnend“ ange sehen.
9.2.2
Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte
Folgende Schwachpunkte ergeben sich speziell im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Mit Blick auf das Alter stellen Altersgrenzen in der Auswahl und Zuteilung bestimmter Bildungsmaßnahmen eine unmittelbare Benachteiligung dar.
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters Weiterbildungs und Umschulungsmaßnahmen werden nur bis zur Voll endung des 40. Lebensjahres angeboten.
Mittelbar benachteiligend wirken stereotype Zuteilungen sowie Lerninhalte oder -methoden, die nicht auf die jeweils teilnehmenden Altersgruppen abgestimmt sind. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung wegen des Alters Auch für ältere ArbeitnehmerInnen werden Weiterbildungen aus schließlich per ELearning angeboten.
Behinderung Eine unmittelbare Benachteiligung stellt der Ausschluss von Menschen mit Behinderung von Maßnahmen der beruflichen Bildung dar. Mittelbar benachteiligend wirken Bildungsmaßnahmen, die nicht barrierefrei gestaltet sind sowie stereotype Zuteilung und Lerninhalte. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • Die Räumlichkeiten der Umschulungsmaßnahmen sind für Roll stuhlfahrerInnen nicht zugänglich. • Es ist kein Gebärdendolmetscher für Menschen mit Hörbehinderung im Weiterbildungstraining vorhanden.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss bestimmter Ethnien von Bildungsmaßnahmen. Bei der Durchführung bestimmter Maßnahmen nur in einer Sprache kann eine mittelbare Benachteiligung vorliegen. Dies gilt auch für stereotype Zuteilungen und Lerninhalte. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung MigrantInnen müssen ohne Überprüfung ihrer Sprachkenntnisse grundsätzlich einen Deutschkurs absolvieren. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Die Teilnahme an einer Umschulung zum/zur LagerarbeiterIn setzt her vorragende Deutschkenntnisse voraus.
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Geschlecht Der Ausschluss der Teilnahme an der beruflichen Bildung auf Grund eines bestimmten Geschlechts stellt eine unmittelbare Benachteiligung dar. Mittelbar benachteiligend sind bestimmte stereotype Lerninhalte oder -methoden und Zuteilungen sowie eine Einschränkung der Entwicklungsangebote für Teilzeitbeschäftigte – diese Regelung würde in den meisten Unternehmen Frauen in überproportionaler Weise treffen. Religion/Weltanschauung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn Beschäftigte mit bestimmter Religion oder Weltanschauung an Bildungsmaßnahmen nicht teilnehmen dürfen. Mittelbar benachteiligend sind bestimmte Formen des Zeitpunkts oder Ablaufs einer Veranstaltung, die gewisse Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften ausschließen. Dies gilt auch für stereotype Lerninhalte oder Zuteilungen. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • Seminar an einem muslimischen Feiertag oder am Samstag (Sabbat). • Manche Rollenspiele, zum Beispiel mit Körperkontakt, abhängig von den Beteiligten.
Sexuelle Identität Bei einem Ausschluss von Maßnahmen der beruflichen Bildung auf Grund einer bestimmten sexuellen Identität handelt es sich um eine unmittelbare Benachteiligung. Bei stereotypen Lerninhalten oder Zuteilungen liegt eine mittelbare Benachteiligung vor.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Aus und Weiterbildung
Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
9.3.1
Was Sie immer machen müssen
Folgende Maßgaben beachten Sie immer: Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern es sich um eine Maßnahme handelt, die einen Menschen mit Schwerbehinderung berührt, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Zudem müssen Sie dieser die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der beruflichen Bildung grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis zu etablieren. Überprüfung Überprüfen Sie Ihre Bildungspraxis generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Überwachung Sie müssen die Praxis der beruflichen Bildung kritisch überwachen. Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt?
9.3.2
Was Sie niemals machen sollten
Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Ausschluss wegen eines Merkmals Sie dürfen niemanden allein auf Grund der Tatsache, dass er/sie ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, von der beruflichen Bildung ausschließen.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Aus und Weiterbildung
9
Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise Ihrer ArbeitnehmerInnen oder Bildungsmaßnahmen führt dazu, dass immer nur einzelne Beschäftigte in einer bestimmten Weise Zugang zu einer Maßnahme haben und manche ganz davon ausgeschlossen werden. Lassen Sie alle Faktoren, die nichts mit der fachlichen und sozialen Qualifikation eines/einer Beschäftigten zu tun haben, unberücksichtigt.
9.3.3
Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen
Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dabei muss es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln. Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben dient. Wichtig ist, dass Sie selber auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben anhand strenger Maßstäbe ebenso streng verfahren müssen. Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG ausnahmsweise dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend.
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9
Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Vor jeder Maßnahme sollten Sie eine Analyse auf potenzielle Benachteiligungen hin vornehmen. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnah me zu unterlassen.
9.3.4
Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen
Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Auswahl nach fachlicher und persönlicher Qualifikation Selbstverständlich dürfen Sie bei allen Maßnahmen der beruflichen Bildung auf die jeweils vorhandene oder mangelnde fachliche und persönliche Qualifikation des/der Beschäftigten oder Bewerbers/in abstellen. Begrenzte Kapazität Sie müssen berufliche Bildungsmaßnahmen nur im Rahmen der tatsächlich in Ihrem Unternehmen vorhandenen Kapazitäten durchführen. Externe Personalbeschaffung Trotz der mit einer internen Personalentwicklung verbundenen Vorteile können Sie auch eine externe Personalbeschaffung vornehmen. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung innerhalb der beruflichen Bildung, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden.
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Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Aus und Weiterbildung
9.3.5
9
Was sich empfiehlt zu unternehmen
Folgende Punkte müssen Sie nicht umsetzen, es empfiehlt sich aber: Berücksichtigung der speziellen persönlichen Besonderheiten Der Erfolg einer Maßnahme der beruflichen Bildung hängt wesentlich davon ab, wie sehr diese den speziellen Fähigkeiten, Bedürfnissen, Interessen und Zielen des/der Betreffenden entgegen kommt. Beobachten Sie alle Beschäftigten genau und führen Sie in regelmäßigen Abständen diese Faktoren evaluierende Befragungen mit entsprechender Auswertung durch. Mehrseitige Entscheidung Damit nicht durch eine einseitige Entscheidung immer dieselben Personen(-Gruppen) bei Bildungsmaßnahmen bevorzugt oder benachteiligt werden, sollten Sie für die Entscheidung über solche Maßnahmen ein Gremium, am besten mit möglichst geringer Stereotypen- und Vorurteilsausprägung, einrichten. Passgenaue Ausrichtung der Maßnahmen Sie sollten die jeweiligen beruflichen Bildungsmaßnahmen passgenau auf ihre TeilnehmerInnen ausrichten. Hierbei sind Besonderheiten im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale zu berücksichtigen, ohne diese jedoch ihrerseits zu pauschalieren und zu typisieren. Schriftlicher Maßgabenkatalog Es empfiehlt sich, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der beruflichen Bildung, in dem die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an Ihre personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Dies kann beispielsweise auch in Form einer Policy zur benachteiligungsfreien Aus- und Weiterbildung bzw. Umschulung geschehen. Qualifizierung von Führungskräften Dieses System müssen Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Doku-
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9
Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
mentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen. Sensibilisierung von Führungskräften Wie bereits oben ausgeführt, können Maßnahmen der beruflichen Bildung nur dann erfolgreich sein, wenn keine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtung Ihrer ArbeitnehmerInnen erfolgt. Wichtig ist es daher, dass Sie die personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam machen und sensibilisieren, dass das Vorhandensein solcher Vorurteile und Stereotype zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer benachteiligungsfreien Handhabung der beruflichen Bildung zu gelangen, bewusst gemacht und abgestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, Trainings mit einem umfassenden Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein solches Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Politik der Nichtbenachteiligung vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer umfassenden Gleichbehandlung und Gleichwertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch empfehlenswert ist es, dass Sie nicht nur die jeweilige Maßnahme der beruflichen Bildung selber, sondern auch die Gründe, die zur Durchführung einer solchen geführt haben (bestimmte Verhaltensweisen des/der Arbeitnehmers/in usw.) und alle anderen damit direkt oder indirekt verbundenen Maßnahmen detailliert schriftlich dokumentieren. Aufbewahrung Diese Dokumente sind mindestens über einen Zeitraum von zwei Monaten aufzubewahren. Dies entspricht der Frist für eine Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 15 Abs. 4, § 61b Abs. 1 ArbGG. Sofern es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen sollte, verlängert sich der Zeitraum entsprechend.
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So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um
9
Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll nicht mit einer über Gebühr langen Aufbewahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
9.4
So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um
Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben. Sofern es sich um Ansprüche wegen Nichteinstellung eines/einer Bewerbers/in um einen Ausbildungsplatz handelt, gilt das oben im Rahmen des Kapitels der BewerberInnenauswahl Dargestellte entsprechend. Im Bereich der beruflichen Bildung sind mehrere Ansprüche Ihrer ArbeitnehmerInnen wegen Benachteiligung denkbar:
9.4.1
Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet
Die vorherige Anrufung der betriebs- oder unternehmensinternen Beschwerdestelle gemäß § 13 AGG ist zwar für die Geltendmachung einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Nehmen Sie jede Beschwerde ernst und lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen. Zudem müssen Sie dem/der Betreffenden das Ergebnis der Prüfung mitteilen (siehe § 13 Abs. 1 AGG). Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Es empfiehlt sich, wenn Sie hierbei nicht nur den worst case einer zukünftigen Entschädigungsund/oder Schadensersatzforderung, die daraus resultieren kann, vor
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und damit deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie auf eine behauptete Benachteiligung reagieren. Beobachten Sie benachteiligungsanfällige Prozesse genau und nehmen Sie im Zweifel Abstand von der fraglichen Handhabung. Für den Fall, dass Sie eine interne Schlichtungsstelle eingerichtet haben, hat diese das Verfahren zu übernehmen und nach Möglichkeit zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.
9.4.2
Es kommt zur Leistungsverweigerung
Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Benachteiligung und deren Nichtabhilfe Ihrerseits verweigert. Dieses Zurückbehaltungsrecht ist gemäß § 14 S. 1 AGG für den Fall vorgesehen, dass Sie als ArbeitgeberIn keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreifen, obwohl dies zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Hierbei besteht Ihre Pflicht zur Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts uneingeschränkt fort. Für den Bereich der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung wird ein solches Zurückbehaltungsrecht teilweise aus § 273 Abs. 1 BGB i. V. m. § 14 S. 2 AGG hergeleitet; dies ist jedoch umstritten. Prüfen Sie die getroffene Maßnahme der beruflichen Bildung kritisch. Hat hierbei keine Benachteiligung vorgelegen, ist der/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe aufzufordern. Wenn die betreffende Maßnahme tatsächlich benachteiligend gewesen sein sollte, haben Sie diese sofort rückgängig zu machen. Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerung sollten Sie von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Abmahnung, Ermahnung) absehen, da dies zu einer unnötigen Verschlechterung des Betriebsklimas führen würde. Anders verhält es sich allerdings im Falle einer wiederholten unberechtigten Leistungsverweigerung.
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So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um
9.4.3
9
Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschreckungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft durch die Gerichte festgesetzt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schäden, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was angemessen ist, richtet sich nach den Umstände des Einzelfalls (z. B.: Schwere der Benachteiligung, Häufigkeit der Benachteiligung, Grad des Verschuldens, individuelle Auswirkungen). Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt, dass für einen wirksamen Rechtsschutz eine Entschädigung geeignet sein, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn haben 4 und in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden stehen muss. Achtung: Die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung kann anders als beim Scha densersatz auch eintreten, wenn der/die ArbeitgeberIn den Schaden nicht zu vertreten hat.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Wird ein solcher Anspruch gegen Sie geltend gemacht, müssen Sie beweisen, dass entweder keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als 4
EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
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Aus und Weiterbildung benachteiligungsfrei gestalten
dem Vorliegen eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die Belästigung zulässig war (§ 22 AGG). Hierfür ist eine ausführliche Dokumentation sinnvoll. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrem bisherigen Verfahren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Siehe CDROM
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Für Ihre benachteiligungsfreie Praxis der beruflichen Bildung finden Sie auf der beiliegenden CD-ROM einige Arbeitshilfen, wie z. B. eine Checkliste.
10 Gestalten Sie Ihre Personalent wicklung benachteiligungsfrei In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Personalentwicklung dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte aufgezeigt werden. Hier wird entsprechend der in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfe zu vermeiden, wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der Personalentwicklung benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen zum richtigen Umgang mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen. Arbeitshilfen, wie z. B. Muster, Checklisten usw., helfen Ihnen ein benachteiligungsfreies Personalentwicklungsverfahren zu etablieren.
10.1 Drei Bereiche sind zu unterscheiden Der Begriff der Personalentwicklung umfasst drei Bereiche: 1. Personalförderung 2. Beförderung 3. Versetzung Soweit es um die benachteiligungsfreie Gestaltung Ihrer darüber hinausgehenden, umfassenden Unternehmenskultur geht, wird diese ausführlich in Kapitel 13 behandelt.
10.1.1 Personalförderung Die Personalförderung bezieht sich auf bestimmte Arbeitsplätze bzw. Positionen und Arbeitsinhalte. Sie umfasst unter anderem Fördergespräch, Coaching, Mentoring und Networking und zielt
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
darauf ab, die Beschäftigten in ihrer persönlichen Entwicklung im Unternehmen zu unterstützen. 1. Fördergespräch Das Fördergespräch ist ein Gespräch mit dem die zukunftsgerichteten Erwartungen, Möglichkeiten und Maßnahmen der Förderung eines einer einzelnen Mitarbeiters/in geklärt werden. 2. Coaching Das Coaching ist nach deutscher Auffassung eine Betreuung von Führungskräften durch eine/einen außen stehende/n BeraterIn. 3. Mentoring Das Mentoring dient der Anleitung und Beratung neuer Beschäftigter unter Einsatz regelmäßiger Gespräche. 4. Networking Das Networking bezeichnet die interne und/oder externe Vernetzung bestimmter MitarbeiterInnen untereinander und/oder mit Dritten, um Informationen und Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.
10.1.2 Beförderung Der Begriff der Beförderung meint die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, der in der Unternehmenshierarchie höher angesiedelt ist als der bisherige. Wichtig für die Beförderung ist unter anderem die individuelle Karriereplanung Ihrer MitarbeiterInnen.
10.1.3 Versetzung Der Begriff der Versetzung beschreibt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs für länger als einen Monat und/oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist (§ 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG). Dabei meint der Begriff „anderer Arbeitsbereich“ eine andere Aufgabe, Verantwortung, Art der Tätigkeit oder Einordnung in den betrieblichen Ablauf (vgl. § 81 Abs. 1 und 2 BetrVG). Für eine Versetzung ist die individuelle Karriereplanung Ihrer MitarbeiterInnen von Bedeutung. Zwar ist eine Versetzung – anders als eine Beförderung – kein unmittelbarer Aufstieg auf der Karriereleiter, jedoch kann diese mittelbar, z. B. durch Kompetenz- und Kenntniserweiterung in dem neuen Arbeitsbereich,
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Drei Bereiche sind zu unterscheiden
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dazu dienen. Wesentliche Gründe für eine Versetzung können betriebliche Umstellungen und Ereignisse bei KollegInnen (z. B. Ende der Ausbildung, Krankheit, Wechsel des Unternehmens) bzw. Vorgesetzten (z. B. Urlaub, Krankheit, beruflicher Aufstieg, mangelnde Eignung) sein. Dabei kann es zu einer beruflichen Verbesserung, Verschlechterung oder auch gar keiner Veränderung kommen. Prüfen Sie dabei genau, ob eine Versetzung noch von Ihrem Direktionsrecht als ArbeitgeberIn erfasst oder aber einer Änderungskündigung erforderlich ist: Eine direktionsrechtliche Weisung ist nur dann möglich, wenn dies von dem jeweiligen Arbeitsvertrag gedeckt ist, d. h. wenn der neue Arbeitsbereich innerhalb der vertraglich umschriebenen Tätigkeit der betreffenden Person liegt. Zudem muss auch der neue Leistungsort von der arbeitsvertraglichen Regelung erfasst sein. Schließlich darf keine geringere Entlohnung als vorher stattfinden, selbst dann nicht, wenn dies arbeitsvertraglich so vorgesehen ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kommt nur eine Änderungskündigung in Betracht. Sie kündigen dem/der Beschäftigten und bieten gleichzeitig einen neuen Arbeitsvertrag zu entsprechend geänderten Bedingungen an. Tipp: Es handelt sich nicht um eine Versetzung, wenn ArbeitnehmerInnen nach der Eigenart des jeweiligen Arbeitsvertrags üblicherweise nicht an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt werden. In einem solchen Fall üben Sie nur Ihr Direktionsrecht aus.
Sowohl der Beförderung als auch der Versetzung geht üblicherweise eine Personalbeurteilung voraus, die grundsätzlich in zwei verschiedenen Formen möglich ist: 1. Als Leistungsbeurteilung, die sich speziell auf die jeweiligen Personen und deren in der Vergangenheit auf ihrem derzeitigen Arbeitsplatz gezeigtes Verhalten und erbrachte Leistungen bezieht. 2. Als Potenzialbeurteilung, die sich auf die Eignung für bestimmte Aufgaben und Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung in Zukunft bezieht.
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
Tipp: Die Personalbeurteilung kann ein wesentlicher Ansporn für Ihre Mitar beiterInnen zu einem bestimmten Leistungsverhalten sein. Zudem wird die Bedeutung der Beurteilung noch dadurch gesteigert, dass diese auch für die Entgeltbemessung ausschlaggebend ist.
Der/die Beurteilte hat gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG ein Einsichtsrecht in die Personalakte auch damit die Möglichkeit, Beurteilungen zur Kenntnis zunehmen. Der Betriebsrat hat im Rahmen der Personalentwicklung mehrere Rechte: § 92 Abs. 1 BetrVG gibt ihm ein Informationsrecht über die Personalplanung, aus § 92 Abs. 2 BetrVG folgt ein entsprechendes Vorschlagsrecht, §§ 96, 97 BetrVG geben dem Betriebsrat ein Beratungsrecht hinsichtlich bestimmter Maßnahmen und aus § 98 Abs. 1 BetrVG folgt ein Mitbestimmungsrecht bei der Art der Durchführung einzelner Maßnahmen. Dies gilt jedoch nicht für Personalentwicklungsmaßnahmen leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG. Hier müssen Sie den Betriebsrat nur gemäß § 105 BetrVG informieren. Achtung: Nur durch eine konsequente und umfassende Personalentwicklung kön nen die Weichen für eine erfolgreiche Personalpolitik und eine erfolg reiche Unternehmensführung gestellt werden. Tipp: Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum Sie eine interne Personalent wicklung einer externen Personalbeschaffung vorziehen sollten: • Verbesserung der Motivation durch Aufstiegsmöglichkeiten • geringeres Auswahlrisiko • einfachere Personalbeschaffung und –auswahl • bessere Ausschöpfung des Personalpotenzials • Verminderung der Fluktuation • Verkürzung der Einarbeitungszeiten • geringere Arbeitsplatzbesetzungskosten. Gleichzeitig sollten Sie in ausgewogenem Maße externe Einstellungen vornehmen, um neue Sichtweisen und andere Erfahrungen in Ihren Be trieb zu bringen.
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So decken Sie die Schwachpunkte auf
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10.2 So decken Sie die Schwachpunkte auf Im Rahmen der Personalentwicklung sind eine Vielzahl betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht denkbar:
10.2.1 Die allgemeinen Schwachpunkte Folgende allgemeine Schwachpunkte können im Bereich der Personalentwicklung bestehen: Ausschluss oder (Nicht)Versetzung wegen eines Merkmals Der Ausschluss von einer Maßnahme der Personalentwicklung oder eine (Nicht-)Versetzung auf Grund der Tatsache, dass der/die Beschäftigte ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, ist unzulässig. Nichtberücksichtigung spezieller persönlicher Besonderheiten Eine Personalentwicklung kann – unabhängig davon, in welcher konkreten Form sie stattfindet – nur dann erfolgreich sein, wenn sie die persönliche Situation des/der Betreffenden berücksichtigt. Sie müssen diese entsprechend der persönlichen Fähigkeiten, Bedürfnissen, Interessen und Zielen ausrichten. Dies gilt ebenso für das jeweils in Ihrem Unternehmen angewendete Beurteilungsverfahren. Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise Ihrer ArbeitnehmerInnen oder der möglichen Entwicklungsmaßnahmen führt dazu, dass immer nur einzelne Beschäftigte an Entwicklungsmaßnahmen teilnehmen. Beispiel: Stereotype Betrachtung Männer werden auf Grund ihrer größeren Präsenz eher als Leistungs träger wahrgenommen und befördert als Frauen.
Einseitige Entscheidung Wenn in Ihrem Unternehmen stets dieselbe/n Person/en über Personalentwicklungsmaßnahmen entscheidet/n, besteht auf Grund der möglicherweise vorhandenen Stereotype oder Vorurteile und der
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
einseitigen Sichtweise die Gefahr, dass immer ähnliche Personen (-Gruppen) an Maßnahmen teilnehmen können. Beispiel: Stereotype Betrachtung Deutsche werden wahrscheinlich dazu neigen, ihren Fokus bei der Ent wicklung auf andere Deutsche zu richten und Menschen mit Migrations hintergrund seltener für Karriereschritte vorschlagen (systemischer Effekt der Autopoesis).
Eingeschränkte Karriereplanung Der Ausschluss bestimmter Personen(-Gruppen) von der Karriereplanung auf Grund eines vorhandenen Benachteiligungsmerkmals ist unzulässig. Gerade im Kontext eines umfassenden Diversity-Ansatzes sollten Sie die Karriereplanung als Instrument auf alle Beschäftigten anwenden, so dass jede/jeder sich bestmöglich entwickeln kann und gleiche Chancen erhält, zum Unternehmenserfolg beizutragen. Merkmalsorientierte Einstufung Das merkmalsorientierte Einstufungsverfahren im Rahmen der Leistungsbeurteilung ist gegenüber dem zielorientierten Einstufungsverfahren mit Nachteilen behaftet. Beispiel: Unmittelbar benachteiligende Merkmale • „Durchsetzungsstark und präsent“ wird eher mit Männern assoziiert. • „Kommunikativ und sozial“ wird eher mit Frauen assoziiert. • „Dynamisch und flexibel“ wird eher mit Jüngeren assoziiert. • „Erfahren und loyal“ wird eher mit Älteren assoziiert.
Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht mit Blick auf erwünschte Eigenschaften, die jedoch nicht zwingend für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind (z. B. Offenheit und Kommunikationsfähigkeit erleichtern Projektbesprechungen im Team). Je nach Gewichtung können auch sie eine Benachteiligung bewirken, wenn sie „bei gleicher Qualifikation“ letztlich den Ausschlag für eine Karriereentwicklung geben. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Personalentwicklungskriterien definiert werden müssen, die sich tatsächlich – auch mittelbar – im Hinblick auf die Benachteiligungsmerkmale neutral verhalten. Dies wird zum einen nur sehr
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So decken Sie die Schwachpunkte auf
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schwer möglich sein, da die überwiegende Zahl gängiger Kriterien zumindest ansatzweise stereotypisch mit einem oder mehreren Merkmalen in Verbindung gebracht wird. Zum anderen wären solche „rein objektiven“ Merkmale wegen ihrer Neutralität nicht mehr aussagekräftig. Des Weiteren garantiert auch eine (nahezu) vollständige Übereinstimmung der Qualifikationen eines/einer Bewerbers/in mit den Stellenanforderungen nicht, dass er/sie auch eine vollständig überzeugende Leistung auf der Position erbringen wird. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass die meisten Karrierekriterien auf Grund individueller Vorstellungen und Assoziationen verschiedener Personen für ganz unterschiedliche Interpretationen offen sind (z. B. kann „verantwortungsbewusst“ mit Führungsqualität oder mit sozialer Verantwortung in Verbindung gebracht werden). Zielorientierte Einstufung Der Nachteil an diesem Einstufungsverfahren ist, dass die Festlegung der Ziele in der Regel in Abstimmung mit der/dem betreffenden Beschäftigten erfolgt. Damit hängen sie von dessen/deren Verhandlungsgeschick ab und es zeigt sich, dass sich die unterschiedlichen Charaktere und Eigenschaften günstig oder ungünstig auswirken werden. Zudem können auch externe, nicht von der Person beeinflussbare Faktoren Auswirkung auf deren Leistung haben. Insgesamt ist diese Methode jedoch auf Grund ihrer besseren Mess- und Überprüfbarkeit und ihrer wesentlich höheren Objektivität gegenüber der merkmalsorientierten Einstufung vorzuziehen. Potenzialbeurteilung Ein mögliches Manko der Potenzialbeurteilung liegt darin, dass sich diese Methode zwar an der Leistung orientiert, ansonsten jedoch rein zukunftsorientiert ist. Zwar gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der/die Beurteilte auch im Rahmen einer anderen Tätigkeit, zu der er/sie (nicht) befördert oder versetzt wird, wie bisher gute bzw. bessere Leistungen erbringen wird. Jedoch ist eine solche zukunftsgerichtete Beurteilbarkeit begrenzt und mit Unsicherheiten behaftet.
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
Beurteilungsfehler In der Leistungs- und Potenzialbeurteilung können unterschiedliche Beurteilungsfehler auftreten: 1. Der/die Beurteilende urteilt generell oder bei bestimmten Personen(-Gruppen) zu milde. 2. Der/die Beurteilende urteilt generell oder bei bestimmten Personen(-Gruppen) zu streng. 3. Der/die Beurteilende nimmt ein Leistungsmerkmal in seiner entweder besonders guten oder besonders schlechten Ausprägung so extrem positiv oder negativ wahr, dass dies die Beurteilung der anderen Merkmale stark verzerrt (so genannter HaloEffekt). 4. Der/die Beurteilende hat Begünstigungs-, Schädigungs- oder Vergeltungsabsichten. Alle vier Varianten können in Verbindung mit jedem der sechs Benachteiligungsmerkmale auftreten, wenn nicht die tatsächliche Leistung, sondern darüber hinaus auch ein oder mehrere Merkmale der Person in die Beurteilung – sei es bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – mit einfließen. Beispiel: Beurteilungsfehler Ein/eine Personalverantwortliche/r beurteilt einen Mitarbeiter schlech ter als alle anderen, weil er/sie weiß oder glaubt, dass dieser schwul ist.
Hierbei ist jedoch nicht nur an eine Benachteiligung Einzelner sondern auch an eine Bevorzugung zu denken. Die Bevorzugung stellt den anderen ArbeitnehmerInnen gegenüber, die das betreffende Merkmal nicht aufweisen, eine Benachteiligung dar, wenn sich nicht aus dem AGG ergibt, dass eine solche Ungleichbehandlung ausnahmsweise erlaubt ist. Beispiel: Beurteilungsfehler • Ein/eine MitarbeiterIn mit Behinderung wird trotz gleicher Leistung besser bewertet als seine/ihre KollegInnen ohne Behinderung. • Eine weibliche Führungskraft bewertet grundsätzlich ihre Mitarbei terinnen besser als deren männliche Kollegen.
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Umfang und Häufigkeit der Beurteilung Unabhängig davon, welche Beurteilungsmethode in Ihrem Unternehmen für Personalentwicklungsentscheidungen verwendet wird, sollte sie alle Beschäftigten, die für eine Personalentwicklungsmaßnahme in Frage kommen, erfassen und die Beurteilung in regelmäßigen Zeitabständen durchführen. Nicht transparente Ergebnisse Die Ergebnisse der Leistungs- oder Potenzialbeurteilung müssen überprüfbar, d. h. mess- und nachprüfbar sein. Ungleicher Maßstab Für alle Personen eines Bereiches gelten dieselben Kriterien und Maßstäbe. Niemand darf – auf Grund welcher Maßgaben und Vorstellungen auch immer – bevorzugt oder benachteiligt werden. Benachteiligende einzelne Kriterien Die einzelnen Bewertungskriterien innerhalb der jeweiligen Form der Beurteilung müssen benachteiligungsfrei ausgelegt, angewandt und gewichtet sein. Benachteiligendes Gesamtsystem Nicht nur die einzelnen Kriterien müssen benachteiligungsfrei sein. Auch das Gesamtsystem der Bewertung darf nicht benachteiligen. Weitere Faktoren Bei der Personal- und Potenzialbeurteilung sind sämtliche Arbeitsleistungen und -inhalte zu berücksichtigen. Hierzu gehören unter Umständen auch notwendige nichtfachliche Qualifikationen wie Verantwortungsbewusstsein oder Kommunikationsfähigkeit.
10.2.2 Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte Folgende Schwachpunkte ergeben sich speziell im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Im Rahmen des Alters stellen Altersgrenzen für eine Personalentwicklungsmaßnahme eine unmittelbare Benachteiligung dar. Gleiches
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
gilt für eine Beförderung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Lebens- oder Dienstalters ohne Berücksichtigung der Qualifikation und Leistung. Hiervon gibt es jedoch einige Ausnahmen. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung: Unabhängig von Leistung und Qualifikation finden alle fünf Lebens oder Dienstaltersjahre automatisch Beförderungen statt. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Versetzung eines/einer älteren Arbeitnehmers/in auf einen Arbeitsplatz, der ständigen Umgang mit technischen Neuerungen erfordert.
Mittelbar benachteiligend wirken stereotype Personalbeurteilungen, die nicht das jeweilige Alter berücksichtigen. Behinderung Der Ausschluss von Menschen mit Behinderung von einer Personalentwicklung stellt eine unmittelbare Benachteiligung dar. Mittelbar benachteiligend wirken stereotype Personalbeurteilungen, die nicht die Behinderung beachten. Dies gilt auch für eine Beförderung, bei der in dem neuen Arbeitsbereich keine Barrierefreiheit herrscht, ebenso für Entwicklungsmaßnahmen, die nicht barrierefrei gestaltet sind, sowie stereotype Zuteilung und Lerninhalte. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • Es ist kein Gebärdendolmetscher für Menschen mit Hörbehinderung für ein Fördergespräch vorhanden. • Am neuen Arbeitsplatz bestehen technische Hindernisse für einen Menschen mit Sehbehinderung.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss bestimmter Ethnien von Maßnahmen der Personalentwicklung. Bei Beschäftigten, die aus einem anderen Kulturkreis stammen, ist zu beachten, dass es große Unterschiede sowohl in der (Arbeits-)Mentalität als auch in der Darstellung von Leistung geben kann.
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So decken Sie die Schwachpunkte auf
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Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Versetzung eines/einer Migranten/in auf einen schlechteren Arbeits platz, weil Deutsch nicht in Perfektion beherrscht wird, was für die konkrete Tätigkeit aber auch nicht erforderlich ist.
Solche kulturellen Unterschiede müssen sich in einer flexiblen Betrachtungsweise und/oder der Auswahl und Einordnung der Merkmale für die Beurteilung niederschlagen. Vor der eigentlichen Bewertung muss sich der/die Beurteilende hinreichend Gedanken machen, was für einen sozialen und kulturellen Hintergrund der/die Beurteilte hat und dies in seine/ihre Bewertung einfließen lassen. Achtung: Eine solche differenzierte Beurteilung darf jedoch nicht dazu führen, dass hinsichtlich verschiedener Kulturen wieder unreflektiert Stereotype und/oder Vorurteile mit in die Beurteilung einfließen.
Geschlecht Der Ausschluss von Maßnahmen der Personalentwicklung auf Grund eines bestimmten Geschlechts ist eine unmittelbare Benachteiligung. Mittelbar benachteiligend sind Beförderungen, die sich an der herrschenden Geschlechterverteilung orientieren, wenn dieser nicht ausgeglichen ist. Dies gilt auch für eingeschränkte Beförderungen von Teilzeitkräften. Gleiches ist der Fall für Beurteilungen, die geschlechtsspezifische Besonderheiten außer Acht lassen. Zudem stellen bestimmte stereotype Lerninhalte oder -methoden und Zuteilungen sowie eine Einschränkung der Entwicklungsangebote für Teilzeitbeschäftigte – diese Regelung würde in den meisten Unternehmen Frauen in überproportionaler Weise treffen – eine mittelbare Benachteiligung dar. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Versetzung einer Arbeitnehmerin auf einen schlechteren Arbeitsplatz, weil diese wegen der Kinderbetreuung keine Überstunden leisten kann.
Religion/Weltanschauung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt bei einem Ausschluss von Beschäftigten mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung
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Gestalten Sie Ihre Personalentwicklung benachteiligungsfrei
vor. Mittelbar benachteiligend sind stereotype Personalbeurteilungen, die nicht auch bestimmte religionstypische Verhaltensmuster berücksichtigen. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Eine muslimische Frau mit Kopftuch wird wegen des Tragens eines Kopftuches in das Lager versetzt.
Sexuelle Identität Bei einem Ausschluss von Maßnahmen der Personalentwicklung auf Grund einer bestimmten sexuellen Identität handelt es sich um eine unmittelbare Benachteiligung. Bei Beförderungen nach Repräsentationsüberlegungen und stereotypen Personalbeurteilungen liegt eine mittelbare Benachteiligung vor.
10.3 Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Personalentwicklung Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
10.3.1 Was Sie immer machen müssen Folgende Maßgaben müssen Sie immer beachten: Transparente Ergebnisse Die Ergebnisse der Personalbeurteilung bedürfen der Transparenz, d. h. sie müssen mess- und nachprüfbar sein. Erstellen Sie genaue Schemata zur Einordnung und Skalierung. Prüfen Sie, ob auch jemand, der mit der Erstellung und Beurteilung nicht befasst ist, die Ergebnisse und deren Herleitung verstehen würde.
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Außerachtlassung der Bezeichnung Sie müssen nur den objektiven Gehalt der Tätigkeit bewerten, ohne die Bezeichnung der Position zu berücksichtigen. Lassen Sie sich von unterschiedlichen Benennungen nicht in die Irre führen, sondern beurteilen Sie ausschließlich den Inhalt der Tätigkeit. Gleicher Maßstab Legen Sie für alle Personen dieselben Kriterien und Maßstäbe an. Niemand darf – auf Grund welcher Maßgaben und Vorstellungen auch immer – bevorzugt oder benachteiligt werden. Benachteiligungsfreie einzelne Kriterien Die einzelnen Bewertungskriterien müssen benachteiligungsfrei ausgelegt, angewandt und gewichtet sein. Benachteiligungsfreies Gesamtsystem Das System darf in seiner Gesamtheit in keiner Weise benachteiligend sein. Objektivität Bewerten Sie die reine Arbeitstätigkeit, nicht die Person. Halten Sie sich die Stellenbeschreibung vor Augen und lassen Sie alle davon unabhängigen Faktoren unberücksichtigt. Weitere Faktoren Bei der Arbeitsbewertung sind alle Arbeitsinhalte und -voraussetzungen mit einzubeziehen. Dies können auch nichtfachliche Qualifikationen wie Verantwortungsbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit usw. sein, sofern diese sorgfältig eingesetzt werden. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern es sich um eine Maßnahme handelt, die einen Menschen mit Schwerbehinderung berührt, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Zudem müssen Sie dieser die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Umfassende Karriereplanung Sie müssen im Rahmen der Karriereplanung dafür sorgen, dass niemand von dieser alleine wegen eines vorhandenen Benachteiligungsmerkmals ausgeschlossen wird. Im Rahmen eines umfassenden
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Diversity-Ansatzes sollte die Karriereplanung als Instrument auf alle Beschäftigten angewendet werden, so dass jede/jeder Beschäftigte sich bestmöglich entwickeln kann und gleiche Chancen erhält, am Unternehmenserfolg mitzuwirken. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der Personalentwicklung grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen geltende Personalentwicklungspraxis generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Überwachung Sie müssen die bei Ihnen herrschende Praxis der Personalentwicklung kritisch überwachen. Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich unten in Kapitel 14 eingegangen.
10.3.2 Was Sie niemals machen sollten Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Ausschluss oder (Nicht)Versetzung wegen Merkmal Sie dürfen niemanden allein auf Grund der Tatsache, dass er/sie ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, von einer Personalentwicklungsmaßnahme ausschließen oder ihn deswegen (nicht) versetzen.
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Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise Ihrer ArbeitnehmerInnen oder der Entwicklungsmaßnahmen führt dazu, dass immer nur einzelne Beschäftigte in einer bestimmten Weise an Personalentwicklungsmaßnahmen teilnehmen können. Lassen Sie alle Faktoren, die nichts mit der fachlichen und sozialen Qualifikation eines/einer Beschäftigten zu tun haben, unberücksichtigt. Dasselbe gilt für die Art und die Kriterien der bei Ihnen herrschenden Beurteilung. Merkmalsorientierte Einstufung Auf Grund der geschilderten Nachteile und Ungenauigkeiten bietet die merkmalsorientierte Einstufung der Leistungsbeurteilung ein hohes Risikopotenzial für Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderungen von MitarbeiterInnen. Sie sollten deshalb die zielorientierte Einstufung zur Leistungsbeurteilung einführen.
10.3.3 Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dabei muss es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln. Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben gilt. Wichtig ist, dass Sie selber auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben anhand strenger Maßstäbe ebenso streng verfahren müssen. Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG ausnahmsweise dann nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vor-
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schriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend. Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Vor jeder einzelnen Maßnahme sollten Sie eine Analyse auf potenzielle Benachteiligungen hin vornehmen. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnahme zu unterlassen.
10.3.4 Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Auswahl nach fachlicher und persönlicher Qualifikation Selbstverständlich dürfen Sie bei allen Personalentwicklungen auf die jeweils vorhandene oder mangelnde fachliche und/oder persönliche Qualifikation des/der Beschäftigten abstellen. Begrenzte Kapazität Sie müssen Personalentwicklungen nur im Rahmen der tatsächlich in Ihrem Unternehmen vorhandenen Kapazitäten durchführen. Externe Personalbeschaffung Trotz der mit einer internen Personalentwicklung verbundenen Vorteile (siehe oben) können Sie statt dessen auch eine externe Personalbeschaffung vornehmen. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung innerhalb der Personalentwicklung, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig.
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Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden.
10.3.5 Was sich empfiehlt zu unternehmen Folgende Punkte sind von Ihnen nicht zwingend umzusetzen, jedoch empfiehlt es sich: Berücksichtigung der speziellen persönlichen Besonderheiten Der Erfolg einer Maßnahme der Personalentwicklung hängt wesentlich davon ab, wie sehr diese den speziellen Fähigkeiten, Bedürfnissen, Interessen und Zielen des/der Beschäftigten entgegen kommt. Beobachten Sie daher Ihre MitarbeiterInnen in dieser Hinsicht und führen Sie in regelmäßigen Abständen Befragungen und Gespräche samt Auswertung durch. Gremium trifft die Entscheidung Damit nicht das Risiko entsteht, dass durch eine einseitige Entscheidung stets dieselben Personen(-Gruppen) bei Maßnahmen der Personalentwicklung bevorzugt oder benachteiligt werden, sollten Sie für die Entscheidung über solche Maßnahmen ein Gremium aus mehreren Personen, am besten mit geringer Stereotypen- und Vorurteilsneigung, und mit unterschiedlichen Sichtweisen einrichten. Passgenaue Ausrichtung der Maßnahmen Sie sollten die jeweilige Maßnahme der Personalentwicklung passgenau auf die betreffende Person ausrichten. Hierbei sind Besonderheiten im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale zu berücksichtigen, ohne diese jedoch zu pauschalieren und zu typisieren. Verwendung der Leistungsbeurteilung Auf Grund der reinen Zukunftsorientierung der Potenzialbeurteilung sollten Sie im Rahmen der Beförderungsentscheidung auch die Methode der Leistungsbeurteilung einsetzen.
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Umfang und Häufigkeit der Beurteilung Unabhängig davon, welche Beurteilungsmethode in Ihrem Unternehmen verwendet wird, sollten Sie alle Beschäftigten, die für eine Maßnahme in Frage kommen, erfassen, in regelmäßigen Zeitabständen beurteilen und mit diesen Entwicklungsgespräche führen. Schriftlicher Maßgabenkatalog Es empfiehlt sich, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der Personalentwicklung, in dem die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an Ihre personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Dies kann beispielsweise auch in Form einer Policy zur benachteiligungsfreien Beförderung bzw. Versetzung geschehen. Qualifizierung von Führungskräften Dieses grundlegende System müssen Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen. Sensibilisierung von Führungskräften Wie bereits oben ausgeführt, können Maßnahmen der Personalentwicklung nur dann erfolgreich sein, wenn keine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtung Ihrer ArbeitnehmerInnen erfolgt. Wichtig ist es daher, dass Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam machen und sensibilisieren, dass das Vorhandensein solcher Vorurteile und Stereotype zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer benachteiligungsfreien Handhabung der Personalentwicklung zu gelangen, bewusst gemacht und abgestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, solche Trainings mit einem umfassenden Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein kombiniertes Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Politik der Nichtbenachteiligung vor Augen geführt, sondern dar-
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über hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer umfassenden Gleichbehandlung und Gleichwertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch empfehlenswert ist, dass Sie nicht nur die jeweilige Maßnahme der Personalentwicklung, sondern auch die Gründe, die zur (Nicht-)Durchführung einer solchen geführt haben (bestimmte Verhaltensweisen des/der Arbeitnehmers/in, Änderung der wirtschaftlichen oder betrieblichen Situation usw.) und alle anderen damit direkt oder indirekt verbundenen Maßnahmen detailliert schriftlich dokumentieren. Aufbewahrung Diese Dokumente sind mindestens über einen Zeitraum von zwei Monaten aufzubewahren. Dies entspricht der Frist der § 15 Abs. 4, § 61b Abs. 1 ArbGG für eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Sofern es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen sollte, verlängert sich der Zeitraum entsprechend. Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll nicht mit einer über Gebühr langen Aufbewahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
10.4 So gehen Sie richtig mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen um Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben. Im Bereich der Personalentwicklung sind mehrere Ansprüche Ihrer ArbeitnehmerInnen wegen Benachteiligung denkbar:
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10.4.1 Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet Die Anrufung der unternehmensinternen Beschwerdestelle gemäß § 13 AGG ist zwar für die Geltendmachung einer Entschädigungsoder Schadensersatzforderung nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Zudem müssen Sie den/die Betreffende über das Ergebnis unterrichten (siehe § 13 Abs. 1 AGG). Nehmen Sie jede Beschwerde ernst und lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen. Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Es empfiehlt sich, dass Sie hierbei nicht nur den worst case einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung vor Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und damit deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie auf eine behauptete Benachteiligung reagieren. Zudem kann sich eine solche Fürsorge Ihrerseits positiv in einem drohenden gerichtlichen Verfahren als Indiz auswirken. Beobachten Sie dabei zu Tage tretende benachteiligungsanfällige Prozesse genau und nehmen Sie im Zweifelsfall Abstand von der fraglichen Handhabung. Für den Fall, dass Sie eine interne Schlichtungsstelle eingerichtet haben, hat diese das Verfahren zu übernehmen und nach Möglichkeit zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.
10.4.2 Es kommt zur Leistungsverweigerung Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Benachteiligung und deren Nichtabhilfe verweigert. Dieses Zurückbehaltungsrecht ist gemäß § 14 S. 1 AGG für den Fall vorgesehen, dass Sie als ArbeitgeberIn keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreifen, obwohl dies zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Hierbei
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besteht Ihre Pflicht zur Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts uneingeschränkt fort. Für den Bereich der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung wird ein solches Zurückbehaltungsrecht teilweise aus § 273 Abs. 1 BGB i. V. m. § 14 S. 2 AGG hergeleitet; dies ist jedoch umstritten. Prüfen Sie die getroffene Maßnahme der Personalentwicklung kritisch. Hat keine Benachteiligung vorgelegen, ist der/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe aufzufordern. Wenn die betreffende Maßnahme tatsächlich benachteiligend war, haben Sie diese sofort rückgängig zu machen. Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerung sollten Sie von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Abmahnung, Ermahnung) absehen, da dies zu einer unnötigen Verschlechterung des Betriebsklimas führen würde. Anders verhält es sich allerdings im Falle einer wiederholten unberechtigten Leistungsverweigerung.
10.4.3 Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschrekkungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft durch die Gerichte festgesetzt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schäden, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (z. B.: Schwere der Benachteiligung, Häufigkeit der Benachteiligung,
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Grad des Verschuldens, individuelle Auswirkungen). Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verlangt, dass für einen wirksamen Rechtsschutz eine Entschädigung geeignet, eine abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn haben und in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden stehen muss.5 Achtung: Anders als beim Schadensersatz erfordert die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung kein Vertretenmüssen.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB geltend gemacht werden. Richtet sich ein solcher Anspruch gegen Sie, müssen Sie beweisen, dass entweder gar keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die Belästigung ausnahmsweise zulässig war (siehe § 22 AGG). Hierfür ist eine ausführliche Dokumentation des jeweiligen Prozesses sinnvoll. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrem bisherigen Verfahren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Siehe CDROM
Für Ihre benachteiligungsfreie Personalentwicklung finden Sie auf der CD-ROM einige Arbeitsmittel, wie z. B. eine Checkliste.
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EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
11 So führen Sie Entlassungen benachteiligungsfrei durch In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Entlassung dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte, die Ansatzmöglichkeiten für eine drohende Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung von ArbeitnehmerInnen bieten, aufgezeigt werden. Hier wird entsprechend der bereits in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert und dargestellt. Um Benachteiligungsvorwürfen zu entgehen, wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um den Prozess der Entlassung benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen für den Umgang mit den Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen und Arbeitsmittel in Form von Mustern, Checklisten usw. für Ihr benachteiligungsfreies Entlassungsverfahren.
11.1 Unterscheiden Sie zwischen Aufhebung, Beendigung und Kündigung Bei der Entlassung handelt es sich um eine Personalfreisetzung durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dies umfasst insgesamt drei Bereiche: 1. Aufhebungsvertrag 2. (automatische) Beendigung 3. Kündigung
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11.1.1 Das Arbeitsverhältnis endet mit einem Aufhebungsvertrag Bei einem Aufhebungsvertrag handelt es sich um eine einvernehmliche vertragliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies ist grundsätzlich auf Grund der im Zivilrecht herrschenden Vertragsfreiheit zulässig. Gemäß § 623 BGB bedarf ein solcher Vertrag zwingend der Schriftform. Zudem muss der Vertrag frei von Willensmängeln zustande gekommen sein.
11.1.2 Das Arbeitsverhältnis endet automatisch Bei der Beendigung handelt es sich um eine automatische Auflösung eines Arbeitsverhältnisses auf Grund eines bestimmten festgelegten Umstandes, wie z. B. die zeitliche Befristung.
11.1.3 Das Arbeitsverhältnis endet mit einer Kündigung Die Kündigung kann sowohl in ordentlicher als auch in außerordentlicher Form erfolgen. 1. Ordentliche Kündigung Eine ordentliche Kündigung erfolgt zu einem gesetzlich, tarifoder arbeitsvertraglich festgelegten Zeitpunkt. In bestimmten Fällen kann eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen sein, so z. B. für befristete Arbeitsverhältnisse, sofern dies nicht einzeloder tarifvertraglich vereinbart ist. 2. Außerordentliche Kündigung Hingegen erfolgt eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich ohne eine bestimmte Frist, jedoch kann ausnahmsweise eine Auslauffrist vereinbart werden. Sie bedarf immer eines wichtigen Grundes. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung muss unzumutbar sein. Formelle Voraussetzungen einer Kündigung Zu einer Kündigung, egal ob ordentlich oder außerordentlich, bedarf es weder der Mitwirkung noch der Zustimmung des/der betreffenden
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Arbeitnehmers/in. Allerdings muss gemäß § 623 BGB die Schriftform gewahrt werden und die Kündigung muss dem/der zu Kündigenden zugehen. Es gilt das „UltimaRatioPrinzip“ Das Kündigungsrecht steht unter dem so genannten Ultima-RatioPrinzip. Das bedeutet, dass eine Kündigung immer erst das letztmögliche arbeitsrechtliche Mittel sein darf, so dass Sie vorher an eine Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung usw. denken müssen. Die Kündigungsschutzvorschriften sind zu beachten Für einzelne ArbeitnehmerInnen (Schwangere, Elternzeitberechtigte, Schwerbehinderte, Auszubildende, Betriebsratsmitglieder, Wehrpflichtige und Zivildienstleistende) gibt es besondere Kündigungsregelungen und einen speziellen Kündigungsschutz. Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) kommt nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung: 1. Es muss sich um einen Betrieb mit mehr als fünf ArbeitnehmerInnen bzw. für Beschäftigte, die nach dem 31.12.2003 eingestellt wurden, mit mehr als zehn ArbeitnehmerInnen handeln. 2. Die Dauer des jeweiligen Arbeitsverhältnisses muss mehr als sechs Monate betragen. Achtung: § 2 Abs. 4 AGG stellt ausdrücklich fest, dass für den Bereich der Kündi gungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und beson deren Kündigungsschutz gelten. Hiermit ist vor allem das Kündigungs schutzgesetz (KSchG) angesprochen. Damit wird klargestellt, dass das AGG im Bereich der Kündigungen (nicht Aufhebungen oder sonstiger Beendigungen) keine Anwendung findet. Jedoch ist davon auszugehen, dass im Rahmen einer im jeweiligen Einzelfall stattfindenden Güter und Interessenabwägung auch die allgemeinen Wertungen des AGG und der entsprechenden europäischen Richtlinien zu berücksichtigen sind.
Eine Kündigung, bei der das KSchG zur Anwendung kommt, muss sozial gerechtfertigt sein. Bei einer betriebsbedingten Kündigung müssen Sie eine soziale Auswahl nach den folgenden Kriterien vornehmen: • Dauer der Betriebszugehörigkeit
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Lebensalter • Unterhaltspflichten • Schwerbehinderung Nach diesen Maßgaben müssen Sie unter den vergleichbaren ArbeitnehmerInnen den-/diejenige auswählen, der/die von einem Arbeitsplatzverlust am wenigsten hart getroffen wird. Der Betriebsrat ist gemäß § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor einer Kündigung anzuhören und ihm sind die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (Personalien des/der betreffenden Arbeitnehmers/in, Art der Kündigung, Kündigungstermin, -frist und -gründe). Eine Kündigung, die ohne eine solche Anhörung erfolgt, ist unwirksam. Einer ordentlichen, nicht jedoch einer außerordentlichen Kündigung kann der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen. Erklärt er sich binnen einer Woche nicht, gilt seine Zustimmung als erteilt. Achtung: Da es sich bei der Entlassung um eine den/die ArbeitnehmerIn massiv treffende Personalentscheidung handelt, ist in diesem Bereich beson dere Sorgfalt hinsichtlich einer benachteiligungsfreien Praxis geboten. Zudem sollten Sie bedenken, dass bei Kündigungen eine sehr große Anzahl von Betroffenen den Weg vor das Arbeitsgericht wählt.
11.2 So decken Sie die Schwachpunkte auf Im Rahmen der Entlassung sind eine Vielzahl betrieblicher Schwachpunkte sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht denkbar:
11.2.1 Die allgemeinen Schwachpunkte Folgende allgemeine Schwachpunkte können im Bereich der Entlassung bestehen: Entlassung wegen eines Merkmals Eine Entlassung allein auf Grund der Tatsache, dass ein/eine ArbeitnehmerIn ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, ist unzulässig.
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Fehlerhafte Sozialauswahl Sofern es sich um eine betriebsbedingte Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG handelt, müssen Sie die für die Sozialauswahl zu berücksichtigenden vier Kriterien Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung innerhalb der vergleichbaren ArbeitnehmerInnen sorgfältig berücksichtigen. Mildere arbeitsrechtliche Mittel Auf Grund des Ultima-Ratio-Prinzips müssen Sie vor Ausspruch einer Kündigung andere, mildere arbeitsrechtliche Mittel (z. B. Ermahnung, Abmahnung, Versetzung usw.) angewandt haben, um auf den/die ArbeitnehmerIn einzuwirken. Fehlerhafte Abwägung im Einzelfall Grundsätzlich müssen Ihr Interesse an einer Beendigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses und das Interesse des/der Arbeitnehmers/in an dessen Fortsetzung sorgfältig gegeneinander abgewogen worden. Keine genaue Festlegung des Kündigungsgrundes Für eine außerordentliche Kündigung ergibt sich das Erfordernis der genauen Festlegung eines Kündigungsgrundes bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 626 Abs. 1 BGB. Für eine ordentliche Kündigung im Geltungsbereich des BetrVG folgt dasselbe aus § 102 Abs. 1 S. 2, der eine Mitteilung des Kündigungsgrunds gegenüber dem Betriebsrat verlangt. Jedoch sollten Sie auch in allen anderen Fällen einer Kündigung die Gründe vor deren Ausspruch detailliert schriftlich festhalten. Nur so können Sie für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung darlegen und beweisen, dass die Kündigung weder unmittelbar noch mittelbar benachteiligend war, sondern sich vielmehr allein auf sachliche Gründe gestützt hat.
11.2.2 Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte Folgende Schwachpunkte ergeben sich speziell im Hinblick auf die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Hinsichtlich des Alters stellen Entlassungen, die auf Grund der Erreichung eines bestimmten Dienst- oder Lebensalters ausgesprochen
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werden, eine unmittelbare Benachteiligung dar. Dies gilt auch für eine automatische Beendigung auf Grund des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze. Hiervon sind jedoch Ausnahmen möglich (siehe unten). Mittelbar benachteiligend wirken Entlassungen, die sich auf eine mit zunehmendem Alter abnehmende Leistungsfähigkeit eines/einer Arbeitnehmers/in gründen und Entlassungen, die auf Grund altersbedingter Krankheiten ohne zukünftigen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis, ausgesprochen werden. Ältere ArbeitnehmerInnen unterliegen einem ungeschriebenen besonderen Schutz. Beispiel: Mittelbare Benachteiligung: Von einem/einer 58Jährigen wird verlangt, dass er/sie den gleichen Akkordsatz erbringt wie ein/eine 20Jährige/r.
Nach derzeitigem deutschem Recht ist das Alter, sofern das KSchG anwendbar ist und es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt, eines der vier Kriterien, die im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind. Mit zunehmendem Lebensalter steigt also die Schutzwürdigkeit der ArbeitnehmerInnen. Das AGG verbietet jedoch eine Benachteiligung auf Grund des Alters. Gemäß § 10 Nr. 6 AGG ist eine Berücksichtigung des Alters in den Fällen zulässig, in denen dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukommt, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden. Dies läuft in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation, bei der Menschen über 45 Jahren faktisch kaum noch eingestellt werden, darauf hinaus, dass ältere ArbeitnehmerInnen schützenswerter hinsichtlich dieses Merkmals sind. Behinderung Eine Entlassung auf Grund einer Behinderung ist eine unmittelbare Benachteiligung. Mittelbar benachteiligend wirken Entlassungen, die sich auf die Nichterreichung von Anforderungen in quantitativer oder qualitativer Hinsicht gründen, die an einen Menschen mit Behinderung nicht gestellt werden können.
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Beispiel: Mittelbare Benachteiligung Für einen Menschen mit geistiger Behinderung wird eine gleich lange Einarbeitungsphase wie für Menschen ohne Behinderung festgelegt. Der behinderte wird entlassen, weil er die Einarbeitungszeit über schritten hat.
Eine Schwerbehinderung ist, sofern das KSchG anwendbar ist und es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt, eines der vier Kriterien, die im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind. Das bedeutet, dass unter sonst gleichen Voraussetzungen ein/eine schwerbehinderte/r ArbeitnehmerIn schutzwürdiger als ein/eine ArbeitnehmerIn ohne Behinderung ist. Tipp: Eine Schwerbehinderung kann unabhängig von einer amtlichen Fest stellung vorliegen. Daher sollten Sie sich vor Ausspruch einer Kündi gung von dem/der Betroffenen schriftlich zusichern lassen, dass keine Schwerbehinderung vorliegt.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist eine Entlassung, die auf das Vorhandensein einer bestimmten ethnischen Herkunft gestützt wird. Bei einer Entlassung wegen Nichtbeherrschung einer bestimmten Sprache, die für die Tätigkeit nicht direkt erforderlich ist, liegt eine mittelbare Benachteiligung vor. Dies gilt auch für eine verhaltensbedingte Kündigung, wenn das Verhalten nach den jeweiligen Sitten und Gebräuchen als nicht verwerflich gilt. Geschlecht Eine Entlassung auf Grund eines bestimmten Geschlechts ist eine unmittelbare Benachteiligung. Mittelbar benachteiligend ist eine Entlassung, die erfolgt, weil eine Arbeitnehmerin wegen der Kinderbetreuung keine Überstunden leisten kann oder die Kündigung auf Grund von einer Schwangerschaft. Religion/Weltanschauung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt bei einer Entlassung auf Grund einer bestimmten Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung vor. Mittelbar benachteiligend ist eine verhaltensbedingte Kündigung, die religiöse Besonderheiten nicht berücksichtigt.
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Sexuelle Identität Wird ein/eine ArbeitnehmerIn auf Grund ihrer/seiner sexuellen Identität entlassen, handelt es sich um eine unmittelbare Benachteiligung. Bei einer Entlassung auf Grund einer HIV-Infektion eines schwulen Mitarbeiters liegt eine mittelbare Benachteiligung vor. Weiterhin zu beachten sind Unterhaltspflichten, sofern das KSchG anwendbar ist und es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt. Dies ist eines der vier Kriterien, die im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind. Für eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft gilt, dass die PartnerInnen einander – wie in einer Ehe – gegenseitig gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet sind. Tipp: Die Schließung einer Lebenspartnerschaft ist – anders als eine Ehe schließung – nicht aus den Eintragungen auf einer Lohnsteuerkarte er sichtlich. Die Nichtberücksichtigung einer solchen Partnerschaft kann Ihnen also nur dann als Benachteiligung vorgeworfen werden, wenn Sie tatsächlich davon wussten.
11.3 Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung der Entlassung Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
11.3.1 Was Sie immer machen müssen Folgende Maßgaben sind immer zu beachten: Mildere arbeitsrechtliche Mittel Auf Grund des Ultima-Ratio-Prinzips müssen Sie vor Ausspruch einer Kündigung mildere arbeitsrechtliche Mittel (z. B. Ermahnung, Abmahnung, Versetzung usw.) angewandt haben, um auf den/die
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ArbeitnehmerIn einzuwirken. So müssen Sie bei einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich vorher eine Abmahnung, d. h. eine Beanstandung des betreffenden Fehlverhaltens unter Androhung von Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis im Wiederholungsfall, erteilen. Etwas anderes gilt in der Regel bei Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich oder wenn das Fehlverhalten so eklatant war, dass es auch für den/die Betreffende/n offensichtlich war und zudem eine Abmahnung keinen Erfolg verspricht. Abwägung im Einzelfall Grundsätzlich müssen Ihr Interesse an einer Beendigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses und das Interesse des/der Arbeitnehmers/in an einer Fortsetzung gegeneinander abgewogen worden. Genaue Festlegung des Kündigungsgrundes Sie sollten bei jeder Entlassung die Gründe vor deren Ausspruch detailliert schriftlich festhalten. Nur so können Sie für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung darlegen und beweisen, dass die Kündigung weder unmittelbar noch mittelbar benachteiligend war, sondern sich vielmehr allein auf sachliche Gründe gestützt hat. Tipp: Zwar sind Sie bei einer ordentlichen Kündigung grundsätzlich nicht ver pflichtet, dem/der Betroffenen die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Es empfiehlt sich dennoch, in allen Kündigungsfällen eine Mitteilung vor zunehmen, damit der/die Betroffene erkennt, dass die Kündigung gerade keine Benachteiligung darstellt, sondern sachlich gerechtfertigt ist. Achtung: Sachverhalte aus der Zeit vor Ausspruch der Kündigung können grund sätzlich nicht nachgeschoben werden. Dies gilt jedoch dort nicht, wo die Begründung der Kündigung (z. B. im Ausbildungsverhältnis) Wirk samkeitsvoraussetzung ist und Gründe nachgeschoben werden, die der Kündigung ein völlig anderes Gesicht geben. Gleiches gilt für Gründe, die erst nach Zugang der Kündigung entstanden sind und für Gründe, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurden, Ihnen bei dessen Anhörung aber bereits bekannt waren.
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Sozialauswahl im Einzelfall Handelt es sich um eine betriebsbedingte Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG, müssen Sie eine fehlerfreie Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 1 KSchG für den betreffenden Einzelfall durchführen. Die vier maßgeblichen Kriterien sind Lebensalter, Schwerbehinderung, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten. Hierbei sind ArbeitnehmerInnen mit besonderem Kündigungsschutz und solche ganz ohne Kündigungsschutz unberücksichtigt zu lassen. Von der Sozialauswahl können Sie ferner Beschäftigte ausnehmen, deren Weiterbeschäftigung auf Grund der Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Hier muss wegen eines möglichen Prozessrisikos eine genaue schriftliche Fixierung der Auswahl erfolgen. Achtung: Es ist nicht möglich, unter diesem Aspekt mit gezielten Kündigungen eine spezielle Personalstruktur herzustellen. Beispiel: Unzulässige Errichtung einer Personalstruktur Durch Kündigung aller Beschäftigten, die älter als 40 Jahre sind, soll eine junge Belegschaft geschaffen werden.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Sofern es sich um eine Maßnahme handelt, die einen Menschen mit Schwerbehinderung berührt, müssen Sie gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Zudem müssen Sie dieser die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Unterrichtung von Führungskräften Sie müssen die personalverantwortlichen Führungskräfte genauestens darüber unterrichten, welche Praktiken im Bereich der Entlassung grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken und was zu veranlassen oder umzusetzen ist, um eine benachteiligungsfreie Praxis in Ihrem Unternehmen zu etablieren.
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Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen geltende Entlassungspraxis generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Kriterien oder Maßnahmen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen, müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Überwachung Sie müssen die bei Ihnen herrschende Praxis der Entlassung kritisch überwachen. Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich unten in Kapitel 14 eingegangen.
11.3.2 Was Sie niemals machen sollten Es gibt etwas, das Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Sie dürfen niemanden allein auf Grund der Tatsache, dass er/sie ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist, entlassen.
11.3.3 Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsgründe steht, keine Benachteiligung, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dabei muss der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen sein. Hinterfragen Sie immer kritisch, ob die jeweilige Anforderung tatsächlich wesentlich, entscheidend und angemessen ist und ob der Zweck rechtmäßig ist und nicht nur der Durchsetzung eigener Vorlieben dient. Wichtig ist, dass Sie selber auf Grund einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Maßgaben anhand strenger Maßstäbe ebenso streng verfahren müssen.
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So führen Sie Entlassungen benachteiligungsfrei durch
Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG nicht vor, wenn die hiervon betroffenen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Hinsichtlich des Merkmals Alter sind eine ganze Reihe von teilweise beispielhaft aufgezählten Ausnahmen zulässig (§ 10 AGG). Hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes gelten die zuvor erwähnten Kriterien entsprechend. Beispiel: Zulässige Ungleichbehandlung • Nach § 10 Nr. 5 AGG ist eine Vereinbarung zulässig, die die Beendi gung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung (also z. B. durch Auflösungsvertrag) zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der/die Beschäftige eine Rente wegen Alters beantragen kann. • § 10 Nr. 7 AGG erlaubt eine Vereinbarung der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters und einer bestimmten Be triebszugehörigkeit, soweit dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl grob fehlerhaft gemindert wird. Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Vor jeder einzelnen Maßnahme sollten Sie eine Analyse auf potenzielle Benachteiligungen vornehmen. Im Zweifel ist von einer benachteiligenden Wirkung auszugehen und die Maßnah me ist zu unterlassen.
11.3.4 Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Kündigung wegen AidsErkrankung Sie dürfen eine/einen Beschäftigte/n außerordentlich kündigen, wenn eine akute Erkrankung mit Aids vorliegt und dies tatsächlich Auswirkungen auf die konkrete Tätigkeit hat.
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Kündigung wegen nicht vorhandener Arbeitsgenehmigung Sofern eine Arbeitsgenehmigung erforderlich ist und von der betreffenden Behörde verweigert oder versagt wird, kommt eine ordentliche personenbedingte Kündigung in Betracht. Kündigung wegen Beleidigung Wenn ein/eine Beschäftigte/r eine/einen andere/n beleidigt, z. B. weil diese/dieser eines oder mehrere der Benachteiligungsmerkmale aufweist, können Sie den/die Beleidigende/n ordentlich verhaltensbedingt kündigen, sofern eine von gegenseitiger Achtung getragene Zusammenarbeit durch das Fehlverhalten nicht mehr möglich ist. Hier ist grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich. Für den Fall der groben Beleidigung kommt auch eine außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung in Betracht. Kündigung wegen mangelnder Eignung Eine Kündigung wegen mangelnder Eignung, die mit keinem der Benachteiligungsmerkmale in Zusammenhang steht, ist möglich. Kündigung wegen Erkrankung Eine Kündigung wegen einer Erkrankung, die keinen Bezug zu einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist möglich, sofern diese bereits zu häufigen Fehlzeiten geführt hat, für die Zukunft weitere häufige Fehlzeiten zu erwarten sind und dadurch eine erhebliche Störung des Betriebsablaufs stattfindet. Hier bedarf es jedoch einer genauen und strengen Einzelfallbetrachtung und -abwägung. Differenzierungen auf Grund anderer Merkmale Eine Differenzierung innerhalb der Entlassung, die aus Gründen erfolgt, die keinen Zusammenhang mit einem der Benachteiligungsmerkmale aufweist, ist zulässig. Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Beschäftigte(-ngruppen) unzulässig benachteiligt werden.
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11.3.5 Was sich empfiehlt zu unternehmen Folgende Punkte sind von Ihnen nicht zwingend umzusetzen, jedoch sind sie empfehlenswert: Schriftlicher Maßgabenkatalog Es empfiehlt sich, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für den Bereich der Entlassung, in dem die oben genannten Maßnahmen für eine benachteiligungsfreie Praxis und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an alle personalverantwortlichen Fach- und Führungskräfte – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Dies kann beispielsweise auch in Form einer Policy zur benachteiligungsfreien Entlassung geschehen. Qualifizierung von Führungskräften Dieses System müssen Sie Ihren Führungskräften beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Policy zu erlassen. Sensibilisierung von Führungskräften Machen Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte z. B. durch Workshops und Trainings darauf aufmerksam und sensibilisieren Sie diese, dass das Vorhandensein von Vorurteilen und Stereotypen zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer benachteiligungsfreien Handhabung der Entlassung zu gelangen, bewusst gemacht und abgestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, entsprechende Trainings mit einem umfassenderen Diversity-Training zu kombinieren. Durch ein kombiniertes Training wird Ihren Führungskräften nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Politik der Nichtbenachteiligung vor Augen geführt, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht, welche Vorteile in einer umfassenden Gleichbehandlung und Gleichwertschätzung für den/die Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen liegen.
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Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch empfehlenswert ist, nicht nur die Entlassung selber, sondern auch die Gründe, die zur Kündigung geführt haben (bestimmte Verhaltensweisen des/der Arbeitnehmers/in, Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation usw.), vorausgehende Maßnahmen (Ermahnung, Umsetzung usw.) und alle anderen damit direkt oder indirekt verbundenen Maßnahmen schriftlich zu dokumentieren. Eine eventuell vorzunehmende Sozialauswahl ist detailliert dahingehend zu dokumentieren, wer mit dem/der betreffenden ArbeitnehmerIn vergleichbar ist, wer nicht einzubeziehen ist, wer nach der Leistungsklausel herauszunehmen ist, wie das jeweilige Auswahlkriterium bei den einzelnen Personen ausgestaltet ist und welches Ranking bezüglich der Schutzwürdigkeit sich hieraus ergibt. Dies gilt auch für die grundsätzlich im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung. Aufbewahrung Diese Dokumente sind mindestens über einen Zeitraum von zwei Monaten aufzubewahren. Dies entspricht der Frist, die die § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen festsetzen. Sofern es zu einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung kommen sollte, verlängert sich der Zeitraum entsprechend. Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll nicht mit einer über Gebühr langen Aufbewahrungspflicht gemäß der allgemeinen Verjährung belastet werden. Auf Grund von zu erwartenden gerichtlichen Auseinandersetzungen gerade im Bereich der Kündigung, ist eine besonders genaue und sorgfältige Dokumentation erforderlich.
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11.4 Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen bereits im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit entsprechenden Behauptungen umzugehen haben. Achtung: Der Bereich der Kündigung ist derjenige, der mit Abstand am häufigsten zu einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung führt.
Im Bereich der Kündigung sind mehrere Ansprüche Ihrer ArbeitnehmerInnen wegen Benachteiligung denkbar:
11.4.1 Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet Die vorherige Anrufung der unternehmensinternen Beschwerdestelle gemäß § 13 AGG ist zwar für die Geltendmachung einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Zudem haben Sie den/die Betreffende über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten (siehe § 13 Abs. 1 AGG). Nehmen Sie jede Beschwerde ernst und lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen. Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Es empfiehlt sich, dass Sie hierbei nicht nur den worst case einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung vor Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und damit deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie auf den Vorwurf reagieren. Zudem kann sich eine solche Fürsorge Ihrerseits positiv in einem drohenden gerichtlichen Verfahren als Indiz auswirken. Beobachten Sie dabei zu Tage tretende benachteiligungsanfällige Prozesse genau und nehmen Sie im Zweifelsfall Abstand von der fraglichen Handhabung. Für den Fall, dass
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Sie eine interne Schlichtungsstelle eingerichtet haben, hat diese das Verfahren zu übernehmen und nach Möglichkeit zu einer gütlichen Einigung zu gelangen. Halten Sie sich vor Augen, dass Sie sich zwar von dem/der Betreffenden trennen wollen, dass dies aber nicht zu einem schlechten Exempel gegenüber den übrigen Beschäftigten führen darf.
11.4.2 Es kommt zur Leistungsverweigerung Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Benachteiligung und deren Nichtabhilfe verweigert. Ein solches so genanntes Zurückbehaltungsrecht normiert § 14 S. 1 AGG ausdrücklich für den Fall, dass Sie als ArbeitgeberIn keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreifen, soweit dies zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Hierbei besteht Ihre Pflicht zur Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts uneingeschränkt fort. Für den Bereich der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung wird ein solches Zurückbehaltungsrecht teilweise aus § 273 Abs. 1 BGB i. V. m. § 14 S. 2 AGG hergeleitet; dies ist jedoch umstritten. Im Bereich der Kündigung verhält es sich wegen der ohnehin beabsichtigten Trennung von dem/der Beschäftigten anders als in anderen Personalmanagement-Disziplinen. Im Falle einer ordentlichen Kündigung können bei langjähriger Beschäftigung noch mehrere Monate vergehen, in denen der/die ArbeitnehmerIn in Ihrem Unternehmen tätig ist. Wenn Sie nicht von einer Freistellung für den betreffenden Zeitraum Gebrauch machen, sollte Ihnen im Sinne einer produktiven und respektvollen Unternehmenskultur (siehe Kapitel 13) daran gelegen sein, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Prüfen Sie die ausgesprochene Kündigung erneut kritisch. Hat hierbei keine Benachteiligung vorgelegen, ist der/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe aufzufordern. Wenn die Kündigung benachteiligend gewesen sein sollte, können Sie für den Fall, dass andere Gründe vorliegen, die eine Kündigung sachlich rechtfertigen, eine solche aussprechen. Eine zugegangene Kündigung kann nicht mehr einseitig zurückgenommen werden.
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11.4.3 Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschreckungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft durch die Gerichte festgesetzt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schäden, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was genau angemessen ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls (z. B.: Schwere der Benachteiligung, Häufigkeit der Benachteiligung, Grad des Verschuldens, individuelle Auswirkungen). Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt, dass für einen wirksamen Rechtsschutz eine Entschädigung geeignet, eine abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn haben 6 und in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden stehen muss. Achtung: Anders als beim Schadensersatz erfordert die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung kein Vertretenmüssen.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Wird eine solcher Anspruch gegen Sie geltend gemacht, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder 6
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EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
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dass die Belästigung ausnahmsweise zulässig war (siehe § 22 AGG). Hierfür ist eine Dokumentation des jeweiligen Prozesses sinnvoll. Für den Fall eines Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu bedenken. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Achtung: Gerade im Bereich einer Kündigung und dabei behaupteter Benachteili gung wird das öffentliche Interesse besonders groß sein.
Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrem bisherigen Verfahren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Für Ihre benachteiligungsfreie Entlassungspraxis finden Sie auf der CD-ROM einige Arbeitsmittel, wie z. B. eine Checkliste.
Siehe CDROM
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12 Der benachteiligungsfreie KundInnenkontakt In diesem Kapitel werden die Grundzüge des Verhaltens gegenüber InteressentInnen und KundInnen dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte, die Ansatzmöglichkeiten für eine Beseitigungsbzw. Unterlassungsklage sowie eine Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung bieten, aufgezeigt werden. Hier wird entsprechend der in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung für die sechs Merkmale des AGG systematisch analysiert. Um etwaigen Beseitigungs- oder Unterlassungsklagen sowie Entschädigungsund/oder Schadensersatzforderungen vorzubeugen und zu entgehen wird illustriert, welche Punkte Sie unternehmensintern beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um das Verhalten gegenüber Ihren KundInnen und InteressentInnen benachteiligungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen für den richtigen Umgang mit den Ansprüchen von InteressentInnen und KundInnen. Arbeitshilfen in Form von Mustern, Checklisten usw. unterstützen Sie im benachteiligungsfreien Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen.
12.1 Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr §§ 19 ff. AGG regeln den Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr. Ausgenommen sind gemäß § 19 Abs. 4 und 5 AGG familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse sowie Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis begründet wird. Das Benachteiligungsverbot gilt dabei sowohl für die Begründung, Durchführung als auch für die Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, und zwar für Geschäfte,
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die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben. Achtung: Dies gilt – anders als von den EUAntidiskriminierungsrichtlinien vorge geben (dort nur für Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht) – für alle sechs Benachteiligungsmerkmale. Das Merkmal der Weltanschauung ist jedoch auf Grund seiner vielfältigen Interpretierbarkeit ausdrücklich durch § 19 Abs. 1 AGG für den zivil rechtlichen Bereich ausgenommen worden.
Ein Massengeschäft liegt nur dann vor, wenn es sich um einen nicht einmaligen Sachverhalt handelt und die sonstigen oben genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Einordnung erfolgt nach einer allgemein typisierenden Betrachtungsweise. Darüber hinaus ist eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Bereich des Sozialschutzes, der sozialen Vergünstigungen, der Bildung und dem Zugang und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, unzulässig (§ 19 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG). Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn ein Angebot durch Tageszeitungen, Schaufensterauslagen, im Internet usw. öffentlich gemacht wird. Auf die Größe der Öffentlichkeit kommt es nicht an, sondern nur darauf, dass das Angebot über den Privatbereich des/der Anbietenden hinaus geht. Dies betrifft also nicht nur eine interne Personalmanagement-Disziplin und somit Ihr Verhalten gegenüber Ihren Beschäftigten, sondern das Verhalten gegenüber Dritten, nämlich InteressentInnen und KundInnen. Dieser Bereich ist für Ihre Unternehmensprozesse und Ihr Personalmanagement von Bedeutung, da Ihre Beschäftigten das Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen bestimmen. Somit muss die Belegschaft über die neuen Maßgaben unterrichtet und entspre-
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chend sensibilisiert und qualifiziert werden, um nicht auf Beseitigung oder Unterlassung verklagt oder schadensersatzpflichtig zu werden. Zwar hat gemäß § 21 Abs. 2 AGG der Benachteiligende selber den Schaden zu ersetzen, jedoch sind Sie als ArbeitgeberIn durch § 12 Abs. 1 AGG verpflichtet, auch gegenüber Ihren KundInnen und InteressentInnen die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Zudem wird Ihnen das Verhalten Ihrer Angestellten in der Regel über die §§ 831, 278, 31 BGB zugerechnet. Das Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen umfasst die Art und Weise, in der Sie und Ihre Beschäftigten mit Dritten, die von Ihnen eine Ware, Dienstleistung usw. erwerben, umgehen. Gemeint ist der gesamte Kontakt mit Ihren KundInnen bzw. potenziellen KundInnen von der ersten „Begrüßung“ über die Informationen und Produktangebote, die Konditionen, Beratungsgespräche oder Verhandlungen bis hin zu einem Vertragsschluss. Achtung: In diesem Bereich geht es um Dritte, die nicht Ihrem Unternehmen an gehören. Eine Benachteiligung Ihrerseits oder seitens Ihrer Mitarbeite rInnen kann sich deshalb besonders nachteilig auf die öffentliche Wahrnehmung Ihres Unternehmens und das Image auswirken.
12.2 So decken Sie die Schwachpunkte auf Im Rahmen Ihres Verhaltens gegenüber InteressentInnen und KundInnen sind eine Vielzahl von betrieblichen Schwachpunkten sowohl in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht denkbar:
12.2.1 Die allgemeinen Schwachpunkte Folgende allgemeine Schwachpunkte können im Bereich des Verhaltens gegenüber InteressentInnen und KundInnen bestehen: Ausschluss wegen eines Merkmals Der Ausschluss von Beratungs- bzw. Verhandlungsgesprächen oder von einem Vertragsabschluss auf Grund der Tatsache, dass der/die InteressentIn ein bestimmtes Merkmal aufweist, ist unzulässig.
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Schlechtere Behandlung Gleiches gilt für eine Behandlung, die wegen eines Merkmals schlechter ist als gegenüber anderen Personen, die das betreffende Merkmal nicht aufweisen. Dies umfasst zum einen den rein emotionalen Umgang (Freundlichkeit, Offenheit, Interesse usw.), zum anderen aber auch harte Faktoren wie Vertragskonditionen, Kaufpreis, Tarif, Gewährleistung usw. Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise Ihrer InteressentInnen oder KundInnen führt dazu, dass sich diese zumindest mittelbar benachteiligt fühlen können. Eigener Maßstab Versuchen Sie im Umgang mit InteressentInnen und KundInnen nicht ihren eigenen Maßstab hinsichtlich der gewünschten Behandlung zu Grunde zu legen, sondern sich in deren Lage zu versetzen. Mit anderen Worten: Behandeln Sie Andere nicht so, wie Sie selbst behandelt werden möchten, sondern so, wie diese Menschen es möchten.
12.2.2 Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte Folgende Schwachpunkte ergeben sich speziell im Hinblick auf die Benachteiligungsmerkmale: Alter Im Rahmen des Alters stellen schlechtere Konditionen für bestimmte Altersgruppen oder ein Nichtzutrittsrecht bestimmter Altersgruppen eine unmittelbare Benachteiligung dar. Dies gilt auch für eine schlechtere Behandlung als sie anderen Altersgruppen zuteil wird. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Personen über 60 Jahren wird in Ihren Geschäften kategorisch der Zu tritt verwehrt.
Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungs- und Behandlungsweise führt oft zu einer mittelbaren Benachteiligung.
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Behinderung Eine unmittelbare Benachteiligung stellt der Ausschluss von Menschen mit Behinderung dar z. B. durch Verweigerung des Zutritts, Ablehnung von Verkaufsgesprächen, schlechtere als die üblichen Konditionen. Dies gilt auch für eine schlechtere Behandlung als sie Nichtbehinderten gegenüber der Fall ist. Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Begegnung führt häufig zu einer mittelbaren Benachteiligung. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Menschen mit Behinderung werden nicht beraten.
Ethnische Herkunft Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss von Gesprächen, Vertragsverhandlungen, Angeboten, Vertragsabschlüssen usw. auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie. Gleiches gilt für eine schlechtere Behandlung als der, die anderen InteressentInnen und KundInnen, die das Merkmal nicht aufweisen, entgegen gebracht wird. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung • MigrantInnen werden grundsätzlich nicht willkommen geheißen oder ihnen wird keine Hilfe angeboten. • KundInnen, die offensichtlich einen Migrationshintergrund haben, werden in „Ausländerdeutsch“ angesprochen.
Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungs- und Behandlungsweise eines Migrationshintergrundes führt häufig zu einer mittelbaren Benachteiligung. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn Sie in Beratungen oder Verträgen eine stark technische, formelle oder komplizierte Sprache verwenden, die von Personen mit anderer Muttersprache nicht oder nur schwer verstanden werden kann. Entsprechendes gilt für Verhaltensweisen, die die jeweiligen kulturellen Besonderheiten nicht angemessen berücksichtigen (z. B. unangemessene Anforderungen an die Kleidung). Geschlecht Unmittelbar benachteiligend ist der Ausschluss von Gesprächen, Vertragsverhandlungen, Angeboten, Vertragsabschlüssen usw. auf
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Grund eines bestimmten Geschlechts. Gleiches gilt für eine schlechtere Behandlung als der, die Personen des anderen Geschlechts entgegen gebracht wird. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Frauen werden grundsätzlich schlechtere Rabattkonditionen einge räumt als Männern (oder umgekehrt).
Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungs- und Behandlungsweise von Männern oder Frauen führt oft zu einer mittelbaren Benachteiligung. Gleiches gilt für Verhaltensweisen, die grundsätzlich keine geschlechtsspezifischen Besonderheiten angemessen berücksichtigen. Religion Eine unmittelbare Benachteiligung liegt bei einem Ausschluss von Gesprächen, Vertragsverhandlungen, Angeboten, Vertragsabschlüssen usw. auf Grund einer bestimmten Religion vor. Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungs- und Behandlungsweise religiöser Besonderheiten führt häufig zu einer mittelbaren Benachteiligung. Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung Frauen mit Kopftuch wird der Zugang zu Geschäftsräumen verweigert. Achtung: Das Merkmal der Weltanschauung ist ausdrücklich gemäß § 19 Abs. 1 AGG nicht von dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erfast.
Sexuelle Identität Bei einem Ausschluss von Gesprächen, Vertragsverhandlungen, Angeboten, Vertragsabschlüssen usw. auf Grund einer bestimmten sexuellen Identität handelt es sich um eine unmittelbare Benachteiligung. Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsund Behandlungsweise unterschiedlicher sexueller Orientierungen führt häufig zu einer mittelbaren Benachteiligung.
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12.3 Anleitung für eine benachteiligungsfreie Gestaltung des Kundenkontakts Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
12.3.1 Was Sie immer machen müssen Folgende Maßgaben sind von Ihnen immer zu beachten: Berücksichtigung spezieller Besonderheiten Das Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen muss merkmalsspezifische Besonderheiten jeweils angemessen berücksichtigen. Sofern Sie einen darüber hinaus gehenden (Diversity-) Ansatz verfolgen, sollten Sie auch Besonderheiten berücksichtigen, die sich hinsichtlich weiterer Merkmale wie Elternschaft oder Familienstand ergeben. Dies wird Ihre Kundenbeziehungen spürbar verbessern und Ihren Markterfolg messbar steigern. Informationen für Beschäftigte mit InteressentInnen und KundInnenkontakt Sie sollten Ihre Beschäftigten, die Kontakt zu InteressentInnen und KundInnen haben, darüber unterrichten, welche Verhaltensweisen grundsätzlich oder ausnahmsweise benachteiligend wirken können und was gegebenenfalls zu veranlassen ist, um benachteiligungsfreie Kundenbeziehungen in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Überprüfung Überprüfen Sie die bei Ihnen geltende Verhaltenspraxis gegenüber InteressentInnen und KundInnen kritisch aus der Sicht einer (erdachten) Person, die jeweils eines der Benachteiligungsmerkmale aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Wodurch könnte sich der-/diejenige benachteiligt fühlen? Sind Ihnen dabei Regelungen oder Umgangsformen mit Benachteiligungspotenzial aufgefallen,
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müssen diese gestrichen und durch neutrale Äquivalente ersetzt werden. Dies gilt für Produkte und Angebote ebenso wie für Werbemaßnahmen und den Kundenkontakt. Überwachung Sie sollten die bei Ihnen herrschende Verhaltenspraxis gegenüber InteressentInnen und KundInnen kritisch überwachen. Verhalten sich alle Beschäftigten entsprechend den Maßgaben, die Sie für diesen Bereich aufgestellt haben? Haben Sie angegriffene oder fehlerhafte Maßnahmen und/oder Kriterien in diesem Bereich durch neutrale Äquivalente ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich unten in Kapitel 14 eingegangen.
12.3.2 Was Sie niemals machen sollten Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Ausschluss wegen eines Merkmals Sie dürfen niemanden nur auf Grund der Tatsache, dass er/sie eines der Benachteiligungsmerkmale aufweist, von Zutritt, Beratungsgesprächen, Angeboten oder einem Vertragsschluss ausschließen. Schlechtere Behandlung Gleiches gilt für eine Behandlung, die auf Grund eines Merkmals schlechter ist als gegenüber anderen Personen, die das betreffende Merkmal nicht aufweisen. Dies umfasst den persönlichen Umgang ebenso wie die Konditionen und die Kundenbetreuung (Service, After Sales). Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtungsweise Ihrer KundInnen führt häufig dazu, dass sich diese mittelbar benachteiligt fühlen. Lassen Sie daher alle Faktoren, die nichts mit der Geschäftsbeziehung zu tun haben, unberücksichtigt. Eigener Maßstab Stellen Sie hinsichtlich der gewünschten Verhaltensweise Dritten gegenüber nicht auf Ihren eigenen Maßstab ab, sondern überlegen Sie sich vielmehr, wie der-/diejenige in der konkreten Situation behandelt werden möchte.
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Beauftragung Dritter Sie sind in der Regel über die allgemeinen Zurechnungsnormen der §§ 831, 278, 31 BGB auch für das Verhalten von Dritten verantwortlich, die Sie mit der Wahrnehmung Ihrer Kundenkontakte oder Verkaufsaktivitäten beauftragen. Dies gilt auch für outgesourcte Call-Center und FranchisenehmerInnen.
12.3.3 Was Sie nur in Ausnahmefällen machen dürfen Gewisse Punkte sind nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich: Zulässige unterschiedliche Behandlung Gemäß § 20 AGG liegt keine Verletzung des Benachteiligungsverbots vor, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Achtung: Eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft ist niemals zulässig. Die Anforderungen an die Zu lässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung sind im zivilrechtlichen Bereich wesentlich geringer als im arbeitsrechtlichen Bereich.
Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung kann beispielsweise sein wenn der Grund • der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient. • dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt. • besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt. • an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.
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Beispiel: • Preisnachlässe für SchülerInnen und StudentInnen sind zulässig, da diese daran anknüpfen, dass die Zielgruppe kein eigenes Einkommen zur Verfügung hat. • Das Bereitstellen von besonderen Parkplätzen für Frauen ist zulässig.
Hier ergeben sich vor allem Änderungen für den Versicherungssektor: Im Rahmen von privaten Versicherungen wurden bislang Kosten der Schwangerschaft und Entbindung einseitig Frauen als „Krankheitskosten“ zugerechnet. Solche Kosten müssen künftig zwingend geschlechtsneutral verteilt werden. Sofern nach dem Geschlecht unterschieden wird, ist dies nur dann erlaubt, wenn bei der jeweiligen Versicherung das Geschlecht ein bestimmender Faktor bei der Risikobewertung ist. Das Datenmaterial und die Berechnung müssen offen gelegt werden. Achtung: An dieser Stelle kann keine pauschale Beurteilung erfolgen, wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Sie müssen selbst eine kritische Einzelfallprüfung vornehmen. Dabei können sich die sachlichen Gründe aus dem Schuldverhältnis selber, aus der Sphäre desjenigen, der die Unterscheidung trifft oder aus der Sphäre desjenigen, der von der Un terscheidung betroffen ist, ergeben. Im Zweifel ist von einer benachtei ligenden Wirkung auszugehen und somit eine sachgrundlose Ungleich behandlung zu unterlassen.
12.3.4 Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen Folgende Punkte sind grundsätzlich unbedenklich: Freie Wahl des/der Vertragspartners/in Solange nicht ein Benachteiligungsmerkmal ausschlaggebend ist, dürfen Sie Ihren/Ihre VertragspartnerIn frei wählen. Differenzierungen aus anderen Gründen Differenzierungen aus anderen Gründen als denen der Benachteiligungsmerkmale sind zulässig. Auf Grund des damit verbundenen Risikos des Imageverlustes, empfiehlt es sich aber nicht.
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Beispiel: Zulässig ist, einem/er einzelnen Kunden/in einen besonderes hohen Preisnachlass zu gewähren, weil diese/diese so gut verhandelt.
Verhinderung und Ausgleich von Benachteiligungen Schließlich bleibt es Ihnen unbenommen, gewisse Formen des Umgangs beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines oder mehrerer Merkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht KundInnen(-gruppen) unzulässig benachteiligt werden (§ 5 AGG).
12.3.5 Was sich empfiehlt zu unternehmen Folgende Punkte sind von Ihnen nicht zwingend umzusetzen, es empfiehlt sich jedoch: Schriftlicher Maßgabenkatalog Es empfiehlt sich, einen schriftlich fixierten Maßgabenkatalog für das Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen, in dem die oben genannten Maßnahmen für einen benachteiligungsfreien Umgang und die typischen Fehler festgehalten werden, zu erstellen und diesen an Ihre in diesem Bereich beschäftigten ArbeitnehmerInnen – eventuell mit einem ergänzenden Training – weiterzuleiten. Dies kann beispielsweise auch in Form einer Policy zu benachteiligungsfreiem Verhalten gegenüber InteressentInnen und KundInnen erfolgen. Qualifizierung von Beschäftigten, die KundInnenkontakt haben Dieses grundlegende System müssen Sie Ihren Beschäftigten, die InteressentInnen- bzw. KundInnenkontakt haben, beispielsweise in Trainings oder Workshops nahe bringen. Nicht zuletzt aus Dokumentations- und damit Beweiserleichterungsgründen im Falle einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Auseinandersetzung empfiehlt es sich, eine dementsprechende Richtlinie zu erlassen. Sensibilisierung von Beschäftigten, die KundInnenkontakt haben Wie bereits oben ausgeführt, kann das Verhalten gegenüber unterschiedlichen InteressentInnen und KundInnen nur dann erfolgreich sein, wenn keine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Betrachtung erfolgt. Wichtig ist es daher, dass Sie Ihre Beschäftigten, die
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Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen von InteressentInnen und KundInnen
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Kontakt mit InteressentInnen und KundInnen haben, z. B. durch Workshops und Trainings hierzu sensibilisieren und qualifizieren. Die Kernbotschaft solcher Veranstaltungen besteht häufig darin, dass Vorurteile und Stereotype durchaus menschlich sind, dass ihre wahrscheinlich benachteiligende Wirkung jedoch bewusst gemacht und abgestellt werden muss. Es bietet sich an, solche Trainings mit einem umfassenden Diversity-Training zu kombinieren. Dadurch wird Ihren Beschäftigten nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Antidiskriminierungspolitik vor Augen geführt, sondern auch die Vorteile einer umfassenden Wertschätzung aller individuellen Stakeholder Ihres Unternehmens. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch empfehlenswert ist es, dass Sie die Unterrichtung, Qualifizierung und Sensibilisierung Ihrer MitarbeiterInnen mit InteressentInnen- und KundInnenkontakt sowie alle anderen damit verbundenen Maßnahmen detailliert schriftlich dokumentieren. Hintergrund ist, dass Sie sich mit einer solchen Dokumentation exkulpieren können. § 20 AGG ist als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet, so dass Sie im Streitfall zu beweisen haben, dass die unterschiedliche Behandlung zulässig war. Auch für diesen Bereich gilt gemäß § 21 Abs. 5 AGG eine Frist zur Anspruchsstellung von zwei Monaten. Eine Verlängerung kommt in Betracht, wenn der/die Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.
12.4 Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen von InteressentInnen und KundInnen Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Benachteiligungen im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit Behauptungen von InteressentInnen und KundInnen umzugehen haben. Achtung: Hier ist mit einer höheren Anzahl von Klagen zu rechnen als in internen Angelegenheiten. Denn wenn Externe Ansprüche geltend machen, haben sie nicht den Verlust einer Vertrauensbeziehung zu befürchten.
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Der benachteiligungsfreie KundInnenkontakt
12.4.1 Beseitigung und Unterlassung wird verlangt In erster Linie kommen gemäß § 21 Abs. 1 AGG die Möglichkeit des Anspruchs auf Beseitigung der Beeinträchtigung bzw. ein Unterlassungsanspruch in Betracht. Diese Ansprüche bestehen verschuldensunabhängig. Achtung: Diese Möglichkeit gibt es im Arbeitsrecht nicht.
12.4.2 Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht Neben einem Anspruch auf Beseitigung und/oder Unterlassung kann Schadensersatz und/oder Entschädigung verlangt werden. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschreckungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft von den Gerichten festgesetzt. § 21 Abs. 2 regelt die Schadensersatzpflicht des Benachteiligenden für den Fall, dass er den Schaden vertreten muss. Die Entschädigungspflicht besteht unabhängig vom Vertretenmüssen. Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Für die Entschädigung wird im Einzelfall der Gesichtspunkt der Genugtuung im Vordergrund stehen, so dass auch hier bzgl. der Höhe keine pauschale Aussage getroffen werden kann. Wird ein Anspruch von einem/einer Kunden/in geltend, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Benachteiligung vorlag oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die unterschiedliche Behandlung zulässig war (§ 22 AGG). Hierfür empfiehlt sich eine ausführliche Dokumentation. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der
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Ihr richtiger Umgang mit Ansprüchen von InteressentInnen und KundInnen
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damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Verhaltensweisen und/oder Kriterien aus Ihrem bisherigen Geschäftsgebaren und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Für Ihre benachteiligungsfreie Verhaltenspraxis gegenüber InteressentInnen und KundInnen finden Sie auf der CD-ROM einige Arbeitsmittel, wie z. B. eine Checkliste und ein Beispiel für einen Verhaltenskodex gegenüber Beschäftigten und KundInnen.
Siehe CDROM
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13 Schaffen Sie eine benachteili gungsfreie Unternehmenskultur In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Gestaltung Ihrer Unternehmenskultur dargestellt, wobei die typischen Schwachpunkte aufgezeigt werden. Dabei wird entsprechend der in Kapitel 4 dargestellten allgemeinen Matrix das Potenzial von Belästigung für die sechs Merkmale des AGG analysiert. Um etwaigen Forderungen zu entgehen, wird illustriert, welche Punkte Sie beachten und umsetzen, d. h. gegebenenfalls ändern oder neu einführen müssen, um Ihre Unternehmenskultur belästigungsfrei zu gestalten. Sie erhalten Empfehlungen, wie Sie mit Ansprüchen von ArbeitnehmerInnen richtig umgehen. Die Arbeitshilfen, wie z. B. Muster, Checklisten usw., unterstützen Sie bei der Etablierung einer belästigungsfreien Unternehmenskultur.
13.1 Unternehmenskultur: Was ist das eigentlich? Die Unternehmenskultur bezeichnet die in einem Unternehmen geltenden Verhaltens- und Denkweisen, Wertvorstellungen sowie Normen und Rituale. Dabei werden unterschiedliche Bereiche wie Kleidungsstil, Vorbilder, Art und Weise von Feiern, (An-)Sprache, informelle Netzwerke, Art und Umfang von Humor, Verknüpfung von Beruf und Privatleben (z. B. gemeinsame Freizeitgestaltung), aber auch die Wahrnehmung oder Sichtbarkeit von Minderheiten berührt. Es handelt sich um den in Ihrem Unternehmen herrschenden Umgang miteinander und die Frage, welches Verhalten toleriert, akzeptiert oder gefördert wird. Die Grundzüge der Unternehmenskultur finden sich in allen Bereiche, Funktionen und Standorten Ihres Unternehmens wieder. Soweit einzelne Personalmanagement-
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Unternehmenskultur: Was ist das eigentlich?
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Prozesse (Disziplinen) betroffen sind, werden diese im jeweiligen Kapitel gesondert behandelt. Tipp: Gerade hinsichtlich Ihrer Unternehmenskultur können Sie durch eine konsequente, schnelle und umfassende Umsetzung des AGG neben in ternen, vor allem auch externe Vorteile in Form von Kundennähe und positivem Image erzielen, da eine solche Umsetzung üblicherweise stark nach außen wirkt und kommuniziert werden kann.
Im Bereich der Unternehmenskultur erscheint – anders als bei den einzelnen Personalmanagement-Disziplinen – vor allem das Phänomen potenzieller Belästigungen relevant, während innerhalb der Prozesse unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen von Bedeutung sind. Der Tatbestand der Belästigung wird aber mit Benachteiligungen gleichgesetzt wenn dieselben Rechtsfolgen eintreten. Während innerhalb der einzelnen Personalmanagement-Disziplinen hauptsächlich die Fach- und Führungskräfte mit der Umsetzung des Benachteiligungsverbots befasst sind, betrifft das Belästigungsverbot alle Beschäftigten unmittelbar. Ein Verstoß gegen das Belästigungsverbot kann zum einen dem/der ArbeitgeberIn selbst zur Last werden. Zum anderen haben Sie als ArbeitgeberIn gemäß § 12 Abs. 4 AGG für den Fall, dass Dritte Ihre Beschäftigten bei der Arbeit benachteiligen Maßnahmen zum Schutz der MitarbeiterInnen zu ergreifen. Schließlich müssen Sie für den Fall, dass die MitarbeiterInnen gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen Maßnahmen zur Unterbindung treffen. Somit haben Sie als ArbeitgeberIn auch für den Bereich der Belästigung umfangreiche Pflichten bei einem Verstoß durch Dritte. Tipp: Ziehen Sie unternehmensintern möglichst enge Grenze hinsichtlich der Maßgaben und Verhalten, die noch toleriert werden.
Im deutschen Recht existierte mit § 611a BGB bereits ein Benachteiligungsverbots auf Grund des Geschlechts. Bis zum Inkrafttreten des AGG war das Beschäftigtenschutzgesetz (BeschäftigtenschutzG) für den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz maßgeblich.
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Schaffen Sie eine benachteiligungsfreie Unternehmenskultur
13.1.1 Anforderungen an das Leitbild In den letzten Jahren sind Unternehmen und andere Organisationen mehr und mehr dazu übergegangen, eine schriftliche Fixierung ihrer Kultur in Form von so genannten Leitbildern vorzunehmen. Für eine praktische Umsetzung der beschriebenen Werte, Grundsätze oder Verhaltensweisen ist stets entscheidend, inwieweit die aufgestellten Normen tatsächlich gelebt werden. Ein gängiger Ansatz in diesem Bereich besteht in den so genannten „Betriebsvereinbarungen zu partnerschaftlichem Verhalten am Arbeitsplatz“, die meist aus den Bereichen Anti-Rassismus, Mobbing, sexuelle Belästigung und in manchen Fällen auch Chancengleichheit hervorgegangen sind.
13.1.2 Anforderungen an die Corporate Identity Aus dem Angelsächsischen kommt der etwas umfangreichere Ansatz der „Corporate Identity“ (= Erkennen, Gestalten und Verwirklichen der Identität eines Unternehmens). Die Unternehmenskultur bildet die Basis einer solchen Unternehmensidentität, zu der auch Aspekte wie Erscheinungsbild (Logo, Architektur, Kleidung) und ethischsoziale Grundsätze (Policies) gehören.
13.1.3 Die Schlüsselrolle der Führungskräfte Wesentlich für die Unternehmenskultur ist die Rolle der Führungskräfte bei der Umsetzung von Werten, Grundsätzen und Verhaltensweisen. Ihnen kommen mehrere Schlüsselfunktionen zu: Sie sind hinsichtlich ihres eigenen Verhaltens Vorbild. Sie geben Anweisungen und bewerten das Verhalten ihrer MitarbeiterInnen. Und schließlich ist entscheidend, ob und wann sie bei belästigendem Verhalten einschreiten. Für die Ausgestaltung der Führungsrolle gibt es eine Vielzahl von Modellen, die so genannte Managementkompetenzen definieren. Die sozialen, zwischenmenschlichen, steuernden, koordinierenden usw. Kompetenzen von Führungskräften treten mit Erreichen höherer Hierarchieebenen gegenüber den fachlichen Qualifikationen zurück. Beim Berufseinstieg und auf unteren Leitungsebenen sind die fachlichen Qualifikationen vorrangig von
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So decken Sie die Schwachpunkte Ihrer Unternehmenskultur auf
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Bedeutung. Diversity und Antidiskriminierung erfordern eine Reihe von komplexen, persönlichen Kompetenzen, die häufig gegen die vorherrschenden Mechanismen der Leitkultur eingesetzt werden müssen. Damit wird gewährleistet, dass ein Arbeitsumfeld frei von jeder Art von Belästigung ist, so dass sich alle Potenziale gleichermaßen zum Wohle des Unternehmens entfalten können. Achtung: Mit einer Unternehmenskultur, in der Antidiskriminierung und gleichbe rechtigte Wertschätzung für alle Beschäftigten gelten und gelebt werden, werden Sie die Zufriedenheit und Motivation Ihrer Beschäftigten erhöhen. Gleichzeitig schaffen Sie dadurch optimale Rahmenbedingungen, um auch die einzelnen PersonalmanagementDisziplinen benachteiligungsfrei zu gestalten. Tipp: Sie werden die verschiedenen PersonalmanagementProzesse vor allem dann umfassend benachteiligungsfrei gestalten können, wenn allen Beschäftigten Ihres Unternehmens bewusst ist, welchen rechtlichen und welchen wirtschaftlichen Stellenwert Antidiskriminierung für je den/jede Einzelne/n und für Ihr gesamtes Unternehmen hat. Gehen Sie daher selbst mit gutem Beispiel voran und zeigen sie Ihre Anerkennung und Wertschätzung gegenüber jedem/jeder Kollegen/in.
13.2 So decken Sie die Schwachpunkte Ihrer Unternehmenskultur auf In der Unternehmenskultur kann es eine Vielzahl von Schwachpunkten in allgemeiner als auch in jeweils merkmalsspezifischer Hinsicht geben:
13.2.1 Die allgemeinen Schwachpunkte Im Bereich der Unternehmenskultur sind folgende allgemeine Schwachpunkte denkbar: Respektloses Miteinander Sowohl in grundlegenden Einstellungen oder der herrschenden Denkweise als auch in der täglichen Kommunikation und Zusam-
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menarbeit oder aber in Normen und Ritualen ist ein respektloser Umgang der Beschäftigten untereinander unzulässig. Tipp: Zwar ahndet das AGG nur eine Belästigung auf Grund der sechs Merk male Alter, Behinderung, Ethnie, Geschlecht, Religion und sexuelle Identität. Dennoch ist es empfehlenswert, dass Sie als ArbeitgeberIn bzgl. der Unternehmenskultur einen ganzheitlichen (Diversity)Ansatz verfolgen, der eine umfassende Wertschätzung hinsichtlich jedes Aspektes der individuellen Persönlichkeiten anstrebt. Dies wird zu einer höheren Zufriedenheit und Leistung aller MitarbeiterInnen und zu einer Steigerung des öffentlichen Ansehens führen.
Stereotype und Vorurteile Stereotype und/oder vorurteilsbelastete Denk- und Verhaltensweisen innerhalb der Belegschaft können dazu führen, dass sich einige MitarbeiterInnen belästigt fühlen, weil unterschiedliche Personen oder Gruppen durch Stereotype kategorisiert und durch Vorurteile ausgegrenzt werden. Sie können leicht zu Klischees werden, die zu einer pauschalen Abwertung und damit zu systematischer Benachteiligung führen. Vorurteile sind allgegenwärtig und häufig subtil. Sie tragen unabhängig von ihrer Ausprägung stets zu einem spannungsgeladenen oder feindlichen Umfeld und zu einer Leistungsminderung des Einzelnen, des Teams und der Organisation bei. Kulturgestaltung als negatives Korrektiv Häufig wird die Gestaltung einer Organisationskultur vorrangig als negatives Korrektiv aufgefasst, d. h. sie wird als Instrument zur Behebung von Konflikten, Widerständen oder Spannungen innerhalb des Unternehmens angesehen und genutzt. Dies wird jedoch der gestaltenden, orientierenden und motivierenden Zielsetzung von Unternehmenskulturen nicht gerecht und wird zudem nur bedingt dazu beitragen, Belästigungen zu vermeiden. Begrenzte Flexibilität Ihrer Maßgaben Ihre Maßgaben bzgl. der Unternehmenskultur dürfen nicht so starr ausfallen, dass sie sich nicht an neue Gegebenheiten anpassen können. In diesem Fall bestünde neues Potenzial für Belästigungen.
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So decken Sie die Schwachpunkte Ihrer Unternehmenskultur auf
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Subjektiver Spielraum Es darf hinsichtlich dessen, was in Ihrer Unternehmenskultur nicht toleriert wird, kein Interpretationsspielraum vorhanden sein. So muss z. B. der Begriff „Respekt“ unmissverständlich die Perspektive des „Betroffenen“ beinhalten. So wird vermieden, dass sich Beschäftigte auf ein Ermessen bzw. ihre eigene Interpretation berufen. Gerade im Hinblick auf eine potenzielle Belästigung ist es wichtig zu wissen und zu respektieren, dass jede Person eigene Grenzen hat („comfort zone“). Dies kann zum Ausdruck kommen im Distanzbedürfnis eines Menschen bzw. in der persönlichen Nähe, die nicht als unangenehm oder belästigend empfunden wird. Nostalgie Es ist durchaus menschlich und vor dem Hintergrund früherer Erfolge auch verständlich, dass Menschen und Organisationen gleichermaßen an Bekanntem oder Bewährtem hängen. Dies sollte jedoch nicht Strukturen, Prinzipien oder Werte betreffen, die im Lichte neuer Rahmenbedingungen (Globalisierung, Technisierung, Veränderungsgeschwindigkeit, Wettbewerb) nicht mehr relevant oder zeitgemäß erscheinen, oder die mit Blick auf Benachteiligung oder Belästigung womöglich kontraproduktiv wirken könnten. Homogene Führungsebene Wenn sich die Führungsebene Ihrer Organisation homogen zusammensetzt, z. B. im Hinblick auf eigene (nicht) vorhandene Benachteiligungsmerkmale oder auf andere Faktoren, wie z. B. Bildung, Werdegang, Herkunft und Lebensentwurf, besteht die Gefahr, dass dort nicht ausreichend Erfahrungen mit unterschiedlichen KollegInnen vorhanden sind, um Schwachstellen der Kultur zu erkennen oder auf Bedürfnisse proaktiv eingehen zu können. So entstehen leicht „geschlossene Strukturen“, die nur für Beschäftigte durchlässig sind, die einem bestimmten Typus entsprechen. Darin besteht ein wesentlicher Aspekt von Kulturen, die ausgrenzend und insofern belästigend wirken. Fehlende Zeit Die Gestaltung Ihrer Unternehmenskultur stellt einen Prozess dar, der eine gewisse Zeit und eine klare Überzeugung erfordert, da Ver-
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änderungen stets Widerstände überwinden müssen. Vor allem mit Ihren Führungskräften müssen Sie ausreichend Zeit verbringen, um diese in die Entstehung, Verankerung und Verbreitung der neuen Unternehmenskultur einzubinden. Auch die Kommunikation mit den Beschäftigten braucht Zeit, da Fragen oder auch Kritik aufkommen können. Wenn MitarbeiterInnen negative Punkte nicht anbringen können oder abgewiegelt werden, kann dies leicht als Indiz für eine ausgrenzende, belästigende Kultur angesehen werden.
13.2.2 Die merkmalsspezifischen Schwachpunkte Folgende Schwachpunkte der Unternehmenskultur ergeben sich speziell für die sechs Benachteiligungsmerkmale: Alter Eine nicht altersgemäße Anrede kann belästigend wirken. Beispiel: Belästigung Auszubildende werden, unabhängig von ihrem Lebensalter, grundsätz lich geduzt.
Ebenso verhält es sich bei dem Ausschluss bestimmter Altersgruppen von Kommunikation und Kooperation. Gleiches gilt für eine stereotype Zuschreibung bestimmter Eigenschaften. Beispiel: Belästigung Jüngere Beschäftigte müssen grundsätzlich Botengänge erledigen.
Dies ist auch der Fall, wenn klischeehafte Äußerungen oder Witze über bestimmte Altersgruppen gemacht werden. Beispiel: Belästigung Ältere ArbeitnehmerInnen werden als senil oder schwach dargestellt.
Behinderung Eine Belästigung liegt dann vor, wenn Menschen mit Behinderung von Kommunikation und Kooperation ausgegrenzt werden. Dies gilt auch für eine Kontaktvermeidung gegenüber Menschen mit Behinderung. Belästigend sind ferner Witze über Behinderungen und Nachahmungen. Dies betrifft zudem Vorannahmen über Status und Tätigkeit.
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Beispiel: Belästigung Ein/eine sprachbehinderte/r MitarbeiterIn wird von den KollegInnen nachgeahmt.
Ethnische Herkunft Es handelt sich um eine Belästigung, wenn bestimmte Personen auf Grund ihrer Ethnie von Kommunikation und Kooperation ausgeschlossen werden. Gleiches gilt, wenn MigrantInnen in einer stereotypen Weise angeredet oder behandelt werden. Beispiel: Belästigung • Ein/eine MigrantIn wird, obwohl er/sie bereits 45 Jahre alt ist, von seinen/ihren KollegInnen geduzt. • MigrantInnen werden in „Ausländerdeutsch“ angesprochen.
Belästigend sind auch Witze auf Kosten einer bestimmten Ethnie oder Nachahmungen der Sprache und Sitten usw. Dies gilt auch für Vorannahmen über Status und Tätigkeit. Geschlecht Klischeehafte Ansprachen oder Behandlungen von Männern oder Frauen stellen eine Belästigung dar. Beispiel: Belästigung Frauen werden als „Weiber“ bezeichnet.
Dies ist auch der Fall für abschätzige oder sexistische Körpersprache und Vorannahmen über Status und Tätigkeit. Beispiel: Belästigung Frauen werden als Sekretärinnen oder Assistentinnen angesehen und mit entsprechenden Aufgaben bedacht.
Gleiches gilt für eine geschlechtszentrierte Sprache sowie sexistische Äußerungen, Handlungen und Symbole. Bei Kleidungsvorschriften, die stereotyp und/oder vorurteilsbelastet auf das Geschlecht abstellen, handelt es sich ebenso um Belästigungen. Zudem sind gemeinsame Umkleidekabinen für Männer und Frauen belästigend.
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Religion/Weltanschauung Beleidigend und damit ausgrenzend und belästigend wirken unpassende Einladungen. Beispiel: Belästigung Ein/eine jüdische/r oder moslemische/r MitarbeiterIn wird zum Haxen essen eingeladen.
Gleiches gilt für klischeehafte Äußerungen und Witze. Ebenso betrifft dies bestimmte stereotype Kleidungsvorschriften. Beispiel: Belästigung Eine muslimische Frau, die am Empfang tätig ist, soll einen kurzen Rock tragen.
Dies gilt ferner auch für Vorannahmen über Status und Tätigkeit. Sexuelle Identität Einladungen zu Betriebsfeiern, die sich ausschließlich auf Ehepartner beschränken, wirken belästigend. Gleiches gilt für klischeehafte Äußerungen, Witze und anzügliche Bemerkungen. Dies betrifft zudem Annahmen über Status und Tätigkeit.
13.3 Anleitung für eine belästigungsfreie Gestaltung der Unternehmenskultur Um die oben genannten Schwachpunkte zu vermeiden, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer anwenden müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die nur in Ausnahmefällen begründet sind • Maßnahmen, die grundsätzlich unbedenklich sind • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
13.3.1 Was Sie immer machen müssen Folgende Maßgaben müssen Sie unternehmensintern umsetzen: Klare interne Richtlinien Sowohl in der Verhaltens- und Denkweise als auch der Kommunikation und Kooperation sowie den Normen und Ritualen sollte ein
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respektvoller Umgang der Beschäftigten untereinander und mit Dritten diesen verbindlich vorgeschrieben werden. Eindeutige Definitionen dafür, welches Verhalten nicht toleriert wird, erscheinen sinnvoll, um eine konsistente interne Umsetzung zu gewährleisten. Tipp: Zwar ahndet das AGG nur eine Belästigung auf Grund der sechs spezi ellen Merkmale Alter, Behinderung, Ethnie, Geschlecht, Religion und sexuelle Identität. Dennoch ist es empfehlenswert, dass Sie bzgl. der Unternehmenskultur einen ganzheitlichen (Diversity)Ansatz verfolgen, der eine gleichartige Wertschätzung hinsichtlich jedes persönlichen, individuellen Aspekts, also z. B. auch im Hinblick auf Fremdsprachigkeit, Familienstand, Bildung, praktiziert.
Bestandsaufnahme Eine Analyse Ihrer internen Unternehmenskultur erscheint insofern wesentlich, als dass ihnen später nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, sie hätten sich in Ihrer Organisationskultur nie nach ausgrenzenden Verhaltensweisen erkundigt. Weiteres zu regelmäßigen Analysen finden Sie im folgenden Kapitel zum DiversityControlling. Unterrichtung und Anweisung aller Beschäftigter Sie müssen sowohl Ihre Fach- und Führungskräfte wie auch alle Beschäftigten über die rechtlichen Maßgaben des AGG sowie die sich daraus ergebenden tatsächlichen Umsetzungskonsequenzen in Form einer geänderten Unternehmenskultur unterrichten. Eine Schulung der Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung gilt als Erfüllung der arbeitgeberInnenseitigen Pflicht gemäß § 12 Abs. 1 AGG. Dabei sollten Sie deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, welche Verhaltens- und Denkweisen, Kommunikation und Kooperation sowie Normen und Rituale ab sofort nicht mehr geduldet werden bzw. welche an den Tag zu legen sind. Sanktionen Sie sollten für jeden Fall einer Zuwiderhandlung gegen die von Ihnen aufgestellten Maßgaben Sanktionen vorsehen. Diese disziplinarischen Maßnahmen müssen so gestaltet sein, dass sie wirkungsvoll
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von einem erneuten Verstoß abhalten, aber auch die Umstände des Verstoßes im Einzelfall berücksichtigen. Dies kann im Extrem- und Wiederholungsfall bis zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehen. Die Sanktion sollte umso drastischer ausfallen, je höher die Vorbildfunktion der verstoßenden Person ist. Alle Beschäftigten sollten über die vorgesehenen Sanktionen unterrichtet werden. Aus Beweiserleichterungsgründen empfiehlt es sich, dass Sie eine entsprechende schriftliche Vereinbarung treffen. Unterrichtung von Führungskräften Gerade im Hinblick auf deren Führungsrolle müssen Sie die personalverantwortlichen Führungskräfte darüber unterrichten, welche Elemente der Unternehmenskultur grundsätzlich oder im Einzelfall belästigend wirken (können) und was zu veranlassen und umzusetzen ist, um eine belästigungsfreie Kultur in Ihrem Unternehmen zu etablieren und sicherzustellen (Intervention). Unterrichtung und Anweisung von Dritten Da Sie als ArbeitgeberIn auch das belästigende Verhalten von Dritten gegenüber Ihren Beschäftigten zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen verpflichtet (§ 12 Abs. 4 AGG), sollten Sie klare Maßgaben und Anforderungen an deren Verhalten aufstellen. Aus Beweiserleichterungsgründen empfiehlt es sich, dass Sie eine entsprechende schriftliche Vereinbarung mit wirkungsvollen Sanktionen treffen. Überprüfung Überprüfen Sie Ihre Unternehmenskultur generell und im jeweiligen Einzelfall kritisch aus der Sicht eines/einer (erdachten) Beschäftigten, der/die jeweils ein bestimmtes Benachteiligungsmerkmal aufweist (so genannter Perspektivenwechsel). Dies gilt vor allem dann, wenn es bei Ihnen bereits eine niedergeschriebene Kultur gibt. Wodurch könnte sich der-/diejenige belästigt fühlen? Sind Ihnen dabei Verhaltensweisen oder gängige Äußerungen mit Belästigungspotenzial aufgefallen, müssen diese geändert werden. Überwachung Sie sollten Ihre Unternehmenskultur kritisch überwachen. Verhalten sich alle Beschäftigten entsprechend der Maßgaben, die für Ihr Unternehmen festgelegt wurden? Haben Sie kritisierte Verhaltenswei-
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sen oder belästigende Rituale abgestellt und durch integrierende Maßnahmen ersetzt? Auf den Prozess des Controllings wird ausführlich im folgenden Kapitel eingegangen.
13.3.2 Was Sie niemals machen sollten Es gibt einige Punkte, die Sie in jedem Fall vermeiden müssen: Eigener Maßstab Benutzen Sie nicht Ihre eigenen Vorstellungen als Maßstab dafür, wie Sie Ihre Beschäftigten behandeln und welche Maßgaben Sie diesen für ihr Verhalten geben. Versuchen Sie vielmehr auf Basis von Befragungen und Gesprächen herauszufinden, wie die jeweilige Person(-engruppe) behandelt werden möchte. Stereotype und Vorurteile Eine stereotype und/oder vorurteilsbelastete Denk- und Verhaltensweise kann dazu führen, dass sich eine Vielzahl Ihrer MitarbeiterInnen belästigt fühlt, weil so die jeweilige Person(-engruppe) mit ihren spezifischen Besonderheiten nicht gerecht behandelt wird und ihre Stärken nicht entfalten kann. Stellen Sie sicher, dass sich Ihre Beschäftigten von überkommenen, klischeehaften Vorstellungen frei machen und jeder Person unvoreingenommen gegenüber treten. Ausnahmen Anders als bei der (unmittelbaren oder mittelbaren) Benachteiligung sind im AGG für den Bereich der Belästigung keine Ausnahmen vom Verbot vorgesehen. Hier kommt eine Rechtfertigung in der Regel nicht in Betracht.
13.3.3 Was Sie grundsätzlich immer machen dürfen Es bleibt Ihnen gemäß § 5 AGG unbenommen, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Belästigungen wegen eines oder mehrerer Benachteiligungsmerkmale verhindert oder ausgeglichen werden, solange dadurch nicht andere Gruppen unzulässig benachteiligt werden.
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13.3.4 Was sich empfiehlt zu unternehmen Gewisse Maßgaben sind nicht zwingend erforderlich, jedoch empfehlenswert: Einbindung der Führungskräfte Binden Sie Ihre Führungskräfte nicht erst bei der Umsetzung sondern bereits bei der Neuentwicklung oder Anpassung der Unternehmenskultur ein. Zum einen erhalten Sie dabei ein wichtiges Feedback von Kräften, die noch näher mit den speziellen Belangen der MitarbeiterInnen befasst sind. Zum anderen ist so gewährleistet, dass die Führungskräfte ihrer Schlüsselrolle innerhalb der Unternehmenskultur gerecht werden können. Befragungen und Interviews Zur Auditierung Ihrer Unternehmenskultur können Sie vor allem MitarbeiterInnenbefragungen und Fokusgruppen-Interviews (z. B. mit älteren Beschäftigten, Menschen mit Behinderung oder Frauen) durchführen oder bereits bestehende MitarbeiterInnennetzwerken nutzen. Weiterhin können Sie eine differenzierte Analyse bereits erfolgter MitarbeiterInnenbefragungen vornehmen. Alternativ ist eine erstmalige, speziell auf das Thema Antidiskriminierung oder Diversity zugeschnittene MitarbeiterInnenbefragung sowie eine dementsprechende Befragung des Betriebsrats, der Frauen- und der Schwerbehindertenbeauftragten, der Sozialberatung usw. möglich. Die Befragungen sollten herausfiltern, welchen Umgang die einzelnen Beschäftigtengruppen für akzeptabel erachten und welcher nicht akzeptiert wird. Sie erhalten Aufschluss darüber, wie die Unternehmenskultur von Menschen wahrgenommen wird, deren Perspektive sich wahrscheinlich von der der Hauptkultur unterscheidet. Ein wichtiger Hintergrund für Fokusgruppenbefragungen ist, dass es sich bei Belästigung per definitionem um unerwünschte Verhaltensweisen handelt. Dies bedeutet nicht, dass die betreffende Person die Unerwünschtheit in der konkreten Situation zum Ausdruck gebracht haben muss, die Kenntnis von Gewünschtem und Unerwünschtem erleichtert insofern eine Vermeidung von Belästigung erheblich. In Streitfällen wird ausweislich der Gesetzesbegründung jeweils die Perspektive eines fiktiven objektiven Dritten als Beobachter herangezogen werden.
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Interne Beschwerdemöglichkeit Es empfiehlt sich, dass Sie Ihren Beschäftigten eine Beschwerdemöglichkeit anbieten, die unabhängig von Vorgesetzten Vorwürfe prüft und gegebenenfalls schlichten kann. Dieses Angebot sollte niederschwellig sein, um einer Eskalation in Richtung externer oder gerichtlicher Auseinandersetzung vorzubeugen. Die hier tätigen Personen müssen über eine ausgeprägte Vermittlungs- und Schlichtungskompetenz verfügen. Interne Schlichtungsprozesse Ferner sollten Sie interne Schlichtungsprozesse einführen. Diese sehen eine strukturierte Möglichkeit vor, einen streitigen Vorfall innerhalb Ihres Unternehmens an höhere Ebenen und vordefinierte Gremien zu verweisen. Auch dies dient der Vermeidung gerichtlicher Streitigkeiten. Sensibilisierung und Qualifizierung von Führungskräften Machen Sie Ihre personalverantwortlichen Führungskräfte zu vorbildlichen Beispielen, indem Sie sie in Workshops und Trainings für Antidiskriminierung und Diversity sensibilisieren. Machen Sie klar, dass das Vorhandensein von Vorurteilen und Stereotypen zwar durchaus menschlich ist, dass diese aber, um zu einer belästigungsfreien Unternehmenskultur zu gelangen, bewusst gemacht und abgestellt werden müssen. Dies kann z. B. auch durch eine elektronische Schulung in Form des Online-Trainings geschehen. Das Produkt „eDiversity“ beschreibt nicht nur die rechtliche Notwendigkeit einer umfassenden und effektiven Antibenachteiligungs- und Antibelästigungspolitik, sondern darüber hinaus auch die Vorteile und Beispiele einer umfassenden Gleichberechtigung und Wertschätzung für die individuellen Persönlichkeiten in Ihrem Unternehmen. Schriftliche Fixierung Sie sollten vor allem an eine schriftliche Fixierung Ihrer Unternehmenskultur in Form der Verabschiedung von Diversity Policies oder Verhaltensrichtlinien (gegebenenfalls Betriebsvereinbarungen) mit speziell festgelegten Verhaltensmaßstäben (z. B. „Respektvolles Miteinander“) sowie alternativ oder zusätzlich an so genannte „Codes of Conduct“ als freiwillige Vereinbarungen (Selbstverpflichtung) den-
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ken, in denen grundlegende Verhaltensregeln, die über den Themenbereich der Antidiskriminierung hinaus gehen, festgelegt werden. Der Betriebrat hat Mitbestimmungsrechte hinsichtlich der Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der ArbeitnehmerInnen im Betrieb gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Der Vorteil einer schriftlichen Fixierung liegt darin, dass eine Informationsgrundlage für ein belästigungsfreies Verhalten vorhanden ist, dass Fehler erkannt und beseitigt und Unsicherheiten vermieden werden. Nicht unterschätzt werden sollte, dass ein solches Dokument bei entsprechender Publikation auch eine positive Außenwirkung entfaltet. Wichtig ist, dass die Policy, Betriebsvereinbarung oder ähnliches für alle Beschäftigten verständlich gestaltet ist. Hierfür bietet es sich an, Beispiele für gewünschtes und unerwünschtes Verhalten aufzuzeigen. Dabei sollten die schriftlichen Maßgaben nicht einfach nur erlassen werden, sondern diese sollten den Beschäftigten z. B. in einer Betriebsversammlung nahe gebracht werden. Errichtung von MitarbeiterInnennetzwerken Bieten Sie Ihren MitarbeiterInnen die Möglichkeit an, sich zu bestimmten gruppenspezifischen Netzwerken (z. B. Mütter, ArbeitnehmerInnen ab 40 Jahren, kulturell vielfältige Beschäftigte) zusammenzuschließen. Zwar besteht dadurch, dass Sie in Ihrem Unternehmen eine solche Vernetzung nicht anbieten, keine Belästigung im Sinne des AGG. Jedoch wird die Möglichkeit einer solchen Netzwirkbildung wesentlich dazu beitragen, dass sich Ihre MitarbeiterInnen umfassend wert geschätzt fühlen, so dass dies ihre Zufriedenheit und Leistung erhöhen wird. Zudem können Sie diese Netzwerke in vielfältiger Weise nutzen: Für Befragungen, zur Verbreitung von Botschaften, als Basis für Fokusgruppen, zur externen Vernetzung, Kommunikation und Marketing usw. Dokumentation des Prozesses Vom AGG nicht direkt vorgegeben, jedoch empfehlenswert ist es, dass Sie sowohl die einzelnen Prozesse der Analyse Ihrer Unternehmenskultur als auch die entsprechenden Veränderungsaktivitäten dokumentieren. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Vorgaben, die Sie Ihren Beschäftigten und Dritten gegenüber machen. Eine dokumentierte Auditierung und Anpassung der Unternehmenskultur
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ermöglicht oder erleichtert im Streitfall die Argumentation, dass der/die angeblich belästigte ArbeitnehmerIn unverhältnismäßige Erwartungen hat oder dass der/die MitarbeiterIn, von dem/der die Belästigung ausgegangen sein soll, entgegen der Anweisungen des Unternehmens gehandelt hat. Hintergrund ist, dass Sie sich mit einer solchen Dokumentation exkulpieren können.
13.4 So gehen Sie mit Belästigungs beschwerden richtig um Sie müssen nicht nur wissen, wie Sie Belästigungen im Vorfeld vermeiden können, sondern auch, wie Sie mit wegen einer behaupteten Belästigung erhobenen Ansprüchen von ArbeitnehmerInnen umzugehen haben. Im Bereich der Unternehmenskultur sind mehrere Ansprüche Ihrer ArbeitnehmerInnen wegen Belästigung denkbar:
13.4.1 Die interne Beschwerdestelle wird eingeschaltet Die vorherige Anrufung der unternehmensinternen Beschwerdestelle ist zwar die Geltendmachung einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung nicht zwingend vorgeschrieben, wird jedoch in der Praxis zuerst erfolgen. Sie müssen für eine enge Vernetzung zwischen der Beschwerdestelle und Ihnen selbst als ArbeitgeberIn sorgen, damit Sie bei Eingang einer Beschwerde sofort und umfassend unterrichtet werden. Nehmen Sie jede Beschwerde ernst und lassen Sie diese sorgfältig und umfassend prüfen. Teilen Sie dem/der betreffenden das Ergebnis der Prüfung mit (§ 13 Abs. 1 S. 2 AGG). Achten Sie darauf, dass die Personen, die die Beschwerdestelle bilden, eine hohe Vermittlungskompetenz haben. Sie sollten dabei nicht nur den worst case einer Entschädigungs- und/oder Schadensersatzforderung vor Augen haben. Vielmehr sollten Sie sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten und deren Arbeitsmotivation und Leistung auch davon abhängt, wie Sie auf eine behauptete Belästigung reagieren. Beobachten Sie dabei belästigungsanfällige Prozesse genau und nehmen Sie im Zweifelsfall Abstand von der fraglichen Handhabung.
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13.4.2 Es kommt zur Leistungsverweigerung Denkbar ist, dass ein/eine ArbeitnehmerIn seine/ihre Arbeitsleistung auf Grund einer behaupteten Belästigung oder einer nicht erfolgten oder unzureichenden Unterbindung verweigert. Ein solches Zurückbehaltungsrecht wird für den Bereich der (sexuellen) Belästigung ausdrücklich durch § 14 AGG gewährleistet. Prüfen Sie die angegriffene Maßnahme kritisch. Hat hierbei keine Belästigung vorgelegen, fordern Sie den/die ArbeitnehmerIn zur umgehenden Arbeitsaufnahme unter genauer Darlegung der Gründe auf. Wenn die betreffende Maßnahme tatsächlich belästigend gewesen sein sollte, haben Sie die belästigende Person umgehend zur Rechenschaft zu ziehen. Dies kann durch eine Ermahnung, Abmahnung oder vor allem durch eine Sanktion geschehen. Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerung sollten Sie von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Abmahnung, Ermahnung, Versetzung) absehen, da dies zu einer unnötigen Verschlechterung des Betriebsklimas führen würde. Anders verhält es sich allerdings im Falle einer wiederholten unberechtigten Leistungsverweigerung.
13.4.3 Entschädigungs und Schadensersatz forderungen werden geltend gemacht Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien überließen die Ausgestaltung der Sanktionen für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Sanktionen können auch Schadensersatzleistungen umfassen und müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Durch die Abschrekkungswirkung wird – anders als dies dem deutschen Recht bisher geläufig war – eine Generalprävention eingeführt. Folglich ist die Entschädigungshöhe im Einzelfall derzeit völlig unkalkulierbar und wird in Zukunft von den Gerichten festgesetzt. § 15 Abs. 1 AGG regelt den Schadensersatzanspruch, d. h. den Ersatz materieller Schäden. Dies gilt jedoch nicht, wenn der/die ArbeitgeberIn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, also gemäß § 276 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. § 15 Abs. 2 AGG regelt die Entschädigung, d. h. den Ersatz immaterieller Schä-
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So gehen Sie mit Belästigungsbeschwerden richtig um
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den, wie beispielsweise einer Gesundheitsschädigung. Hierfür kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Was genau angemessen ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls (z. B.: Schwere der Belästigung, Häufigkeit der Belästigung, Grad des Verschuldens, individuelle Auswirkungen). Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt für einen wirksamen Rechtsschutz, dass eine Entschädigung geeignet, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem/der ArbeitgeberIn haben und in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden 7 stehen muss. Achtung: Anders als beim Schadensersatz erfordert die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung kein Vertretenmüssen.
Daneben können Ansprüche aus §§ 1004, 252, 823 BGB in Betracht kommen. Wird ein solcher Anspruch gegen Sie geltend gemacht, haben Sie zu beweisen, dass entweder gar keine Belästigung vorgelegen hat oder dass die Ungleichbehandlung aus anderen Gründen als denen des Vorhandenseins eines Belästigungsmerkmals erfolgte oder dass die Belästigung ausnahmsweise zulässig war (siehe § 22 AGG). Hierfür empfiehlt sich eine Dokumentation des jeweiligen Prozesses. Für den Fall eines solchen Gerichtsverfahrens ist immer der damit einhergehende Imageverlust für Ihr Unternehmen zu berücksichtigen. Zeigen Sie sich kooperativ und aufgeschlossen gegenüber dem Verfahren und versuchen Sie zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Eliminieren Sie die angegriffenen Maßnahmen und/oder Kriterien aus Ihrer bisherigen Kultur und ersetzen Sie diese durch neutrale Äquivalente. Bei einer Belästigung durch eine/einen MitarbeiterIn kann es zu einem Zweispalt kommen, da es sowohl einer verhältnismäßigen Sanktion für diese/diesen als auch eines angemessenen Schutzes des/der Belästigten bedarf. Schwierig ist hierbei, dass einerseits ein nicht ausreichender Schutz oder auch eine nicht ausreichende Sanktionierung einen Entschädigungs- und/oder Schadensersatzanspruch des/der Belästigten nach sich ziehen kann. An-
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EuGH RS C-180/95 vom 22.04.1997 – Draehmpaehl.
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Schaffen Sie eine benachteiligungsfreie Unternehmenskultur
dererseits kann der/die Sanktionierte die Sanktion seiner-/ihrerseits auch als unverhältnismäßig angreifen. Tipp: Greifen Sie im Zweifel zu einer härteren Sanktion, da diese für den Fall einer deswegen geführten gerichtlichen Auseinandersetzung prozess rechtlich auch dem/der Belästigten entgegen gehalten werden kann.
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14 DiversityControlling sorgt für dauerhafte Ergebnisse In diesem Kapitel werden die Grundzüge des Diversity-Controllings dargestellt, das Ihnen hilft, eine dauerhafte Benachteiligungsfreiheit Ihrer Personalprozesse und eine konsistente Belästigungsfreiheit Ihrer Unternehmenskultur zu erhalten. Es orientiert sich an der dargestellten allgemeinen Matrix, die allgemeines Benachteiligungspotenzial und das spezifische Risikopotenzial für die sechs Merkmale berücksichtigt. Sie erfahren, welche Punkte Sie beachten und umsetzen müssen, um ein konsistentes Controlling vornehmen zu können. Dazu werden unter anderem Regelkreise für verschiedene Controllingarten und deren Zusammenspiel vorgestellt. Schließlich erhalten Sie Arbeitshilfen in Form von Mustern und Checklisten für eine erfolgreiche Umsetzung Ihres Diversity-Controllings.
14.1 DiversityControlling: Was ist das eigentlich? Das Diversity-Controlling besteht sowohl aus herkömmlichen Elementen des Personalcontrollings als auch aus neuen Ansätzen aus dem Diversity-Bereich. Das Personalcontrolling dient dazu, alle oder spezielle personalwirtschaftliche Prozesse zu analysieren, zu planen, zu kontrollieren und zu lenken. Das Diversity-Controlling verfolgt einen spezifischeren Ansatz, indem es überwacht, wie viel Vielfalt im Hinblick auf die Benachteiligungsmerkmale in einem Unternehmen vorhanden ist oder von der Unternehmenskultur integriert werden kann. Das Diversity-Controlling dient • der tatsächlichen Beibehaltung und/oder Einführung benachteiligungsfreier Personalprozesse und • der Überwachung einer belästigungsfreien Unternehmenskultur entsprechend den oben genannten Maßgaben.
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DiversityControlling sorgt für dauerhafte Ergebnisse
Darüber hinaus ermöglicht Ihnen das Diversity-Controlling, den Erfolg Ihrer unternehmensinternen Umsetzung von Antidiskriminierung zu messen. Dabei ist natürlich die Einhaltung der Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes BDSG von Bedeutung. Unterscheiden Sie drei Ansätze des Diversity-Controllings: 1. quantitatives Controlling 2. qualitatives Controlling 3. beschwerdeorientiertes Controlling
14.1.1 Quantitatives DiversityControlling Das quantitative Diversity-Controlling überwacht die Effekte, die die Eliminierung potenzieller Benachteiligung aus den Personalprozessen nach sich ziehen. Die wesentlichen Zielsetzungen bestehen in der Exkulpation für den Fall einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung und in der Überprüfung des Erfolges und der Wirksamkeit Ihrer Antidiskriminierungsarbeit. Das zentrale Elemente Ihres Diversity-Controllings besteht in einem Personal-Audit oder in einer vielfaltorientierten Personalstatistik, die die Vielfalt in Ihrem Unternehmen und in der Anwendung verschiedener Personalprozesse abbilden. Dies kann von besonderer Bedeutung sein, da bereits seine regelmäßige Durchführung die Beweisführung der Nichtbenachteiligung unterstützen kann. Weiterhin erleichtert es die Schwachstellenanalyse für verschiedene Personalprozesse. So kann beispielsweise dargestellt werden, wie viele Frauen sich auf verschiedene Stellenausschreibungen beworben haben, wie viele davon zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, wie viele ein Angebot erhielten und wie viele davon schließlich eingestellt wurden. Eine genaue Auswertung der Statistiken macht etwaige Diskrepanzen sichtbar. Starke Abweichungen der Erfolgsraten in den unterschiedlichen Prozessen (auch bezüglich anderer Kriterien), sind stets ein Hinweis auf eine mögliche Schwachstelle in einem Ihrer Prozesse oder in seiner Anwendung. So finden sich häufig stark unproportional verteilte Beförderungen oder Vergütungsstrukturen, die nicht alleine durch unterschiedliche Qualifikationen zu erklären sind. Eine Bewertung der Diskrepanzen führt in einem nächsten Schritt zu einer detaillierten Betrachtung und Überarbeitung des betroffenen Pro-
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zesses oder seiner Anwendung. Für eine einfache Handhabung sollten Sie einen Erwartungskorridor für die Anwendung künftiger Prozesse definieren. Nur, wenn dieser bei der nächsten Messung nicht erreicht wird, sollten Sie den Prozess und seine Anwendung erneut in Augenschein nehmen.
Quantitatives Controlling
Datenerhebung (Statistik, Audit)
Zielsetzung für künftige quantitative Ergebnisse
Auswertung & Bewertung
Anpassung von Prozessen oder deren Anwendung
Abb.: Quantitatives DiversityControlling
14.1.2 Qualitatives DiversityControlling Das qualitative Diversity-Controlling überwacht in erster Linie die Wirksamkeit Ihrer Maßnahmen gegen potenzielle Belästigungen im Kontext der Unternehmenskultur. Wie beim quantitativen DiversityControlling wird hiermit das Ziel einer erfolgreichen Exkulpation für den Fall einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung sowie der Überprüfung des Erfolgs und der Wirksamkeit Ihrer Antidiskriminierungsarbeit verfolgt. Weiterhin ermöglicht es Ihnen, ein besseres Verständnis für potenziell benachteiligende oder ausgrenzende Mechanismen in Personalprozessen zu erhalten. Für den ersten Schritt
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DiversityControlling sorgt für dauerhafte Ergebnisse
eines qualitativen Diverisity-Controllings bieten sich zwei unterschiedliche methodische Vorgehensweisen an: • MitarbeiterInnenbefragung • Fokusgruppenbefragung Eine MitarbeiterInnenbefragung im Rahmen des DiversityControllings zielt auf ein breite Erhebung unterschiedlicher kultureller Aspekte ab. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, verschiedene Rückmeldungen aus unterschiedlichen Teilgruppen der Beschäftigten zu ermöglichen. Hierdurch wird möglich, zwischen der Wahrnehmung von Angehörigen der Hauptkultur und der Wahrnehmung potenziell von Belästigung Betroffener zu unterscheiden. Gerade im Hinblick auf das Phänomen potenzieller Belästigung sind zwei unterschiedliche Frageweisen zu unterscheiden: • Nehmen die Befragten eine Belästigung wegen Merkmal X, Merkmal Y usw. wahr? • Erfahren die Befragten selbst eine Belästigung wegen Merkmal X, Merkmal Y usw.? Eine Fokusgruppenbefragung im Rahmen des Diversity-Controllings zielt auf eine tiefere, detailliertere Erhebung der Rahmenbedingungen für und Funktionsweisen von Benachteiligung oder Belästigung ab. Hierbei werden kleine, in sich homogene Gruppen (z. B. Beschäftigte mit einer körperlichen Behinderung, männliche Beschäftigte über 45 Jahren, junge Mütter) zu betrieblichen Themen befragt. Dabei bietet es sich an, dass Sie zu einem Merkmal jeweils mehrere Gruppen bilden, die dieses aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten: jüngere Beschäftigte – ältere Beschäftigte – Beschäftigte mittleren Alters, Beschäftigte mit Behinderung – Beschäftigte ohne Behinderung, Beschäftigte mit Migrationshintergrund – Beschäftigte ohne Migrationshintergrund, heterosexuelle Beschäftigte – homosexuelle Beschäftigte. Der Betriebsrat hat bei Befragungen ein Mitbestimmungsrecht. Dies ist zwar im BetrVG nicht ausdrücklich erwähnt, lässt sich jedoch aus mehreren Vorschriften herleiten (u.a. § 94 BetrVG). Eine Beteiligung des Betriebsrats bietet sich zudem an, da dieser positiv auf die Beschäftigten hinsichtlich der Teilnahme an solchen Befragungen einwirken kann und aufgeschlossen gegenüber einer Befragung zu den hier dargestellten Themen sein müsste. Die Ergebnisse Ihrer Beschäftigtenbefragung(en)
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sollten genau und ohne Vorbehalte ausgewertet werden. Sie enthalten wertvolle Informationen über Verbesserungsmöglichkeiten, die zu Produktivitäts- und Kreativitätssteigerungen führen können. Zur Bewertung der Ergebnisse sollten Sie zusätzlich weitere Informationen aus Ihrem betrieblichen Umfeld heranziehen, wie z. B. Erfahrungen von Führungskräften, Personalmanagern oder Betriebsräten. Insgesamt kommen Sie so zu einer Bewertung der Ergebnisse Ihrer Beschäftigtenbefragung, die Ihnen Ansatzpunkte für Verbesserungen Ihrer Unternehmenskultur aufzeigen. Entsprechend der identifizierten Ansatzpunkte können Sie nun gezielt Veränderungen Ihrer innerbetrieblichen Kommunikation, der Zusammenarbeit, der Umgangsformen oder anderer Aspekte vornehmen, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass einige Ihrer Beschäftigten (potenzielle) Belästigungen wahrgenommen haben. Für eine einfache Handhabung sollten Sie einen Erwartungskorridor für die Ergebnisse künftiger Befragungen definieren. Nur, wenn dieser bei der nächsten Befragung nicht erreicht wird, sollten Sie die fraglichen Aspekte Ihrer Unternehmenskultur erneut in Augenschein nehmen.
Qualitatives Controlling
Beschäftigten Befragung
Zielsetzung für künftige qualitative Ergebnisse
Auswertung & Bewertung Maßnahmen zur Veränderung von Kultur, Kommuni kation, Verhalten
Abb.: Qualitatives DiversityControlling
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14.1.3 Beschwerdeorientiertes DiversityControlling Das beschwerdeorientierte Controlling ist an der Schnittstelle zwischen quantitativem und qualitativem Controlling angesiedelt. Es kann einerseits herangezogen werden, um den quantitativen Aspekt der Häufigkeit von Benachteiligungs- und Belästigungsvorwürfen zu untersuchen. Andererseits ermöglicht das beschwerdeorientierte Diversity-Controlling eine themenorientierte Auswertung von Benachteiligungs- und Belästigungsvorfällen und damit eine qualitative Erhebung der betrieblichen Situation. Entsprechend dieser Zielsetzungen haben Sie die Möglichkeit, eingegangene Beschwerden nach Anzahl bzw. Häufigkeit und/oder nach Themen (d. h. Benachteiligungsmerkmalen) sowie nach betroffenen betrieblichen Bereichen (ein bestimmter Personalprozess oder ein Aspekt der Unternehmenskultur) auszuwerten. Die Ergebnisse können als ergänzende Information für die Bewertung Ihrer Personalstatistiken oder Ihrer Beschäftigtenbefragungen herangezogen werden. Sie können sie ebenso alternativ zu diesen verwenden, wobei die wesentlich geringere Datenbasis bei der Bewertung berücksichtigt werden muss. In jedem Fall folgt die weitere Verwendung der Ergebnisse der in den vorigen Abschnitten beschriebenen Vorgehensweise: Sie ergreifen Maßnahmen zur Veränderung der Prozesse oder der Unternehmenskultur und setzen sich einen Erwartungskorridor für künftige Auswertungsergebnisse.
14.2 So decken Sie Schwachpunkte auf Bei der Durchführung der unterschiedlichen Ansätze Ihres DiversityControllings können sich mehrere allgemeine und einige methodenspezifische Schwachpunkte ergeben, die Sie beachten bzw. vermeiden müssen.
14.2.1 Datenschutzrechtliche Schwachpunkte Bei jeder Form des Diversity-Controlling sind vor allem die datenschutzrechtlichen Grenzen für Erhebung, Speicherung und Verwertung personenbezogener Daten zu beachten: § 3a BDSG nor-
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miert den Grundsatz der Datenvermeidung und -sparsamkeit, d. h. es sind so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben, zu speichern und zu verwerten. Eine möglichst umfassende Anonymisierung und Pseudonymisierung hat stattzufinden. Zudem besteht eine Unterrichtungspflicht gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 BDSG, wenn Daten bei dem/der Betroffenen erhoben werden. Eine Datenerhebung, -speicherung und -verwertung ist gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG nur dann zulässig, wenn es für die Erfüllung eines Vertragsverhältnisses mit dem/der Betroffenen objektiv erforderlich ist. Somit bestimmt der Zweck des Arbeitsverhältnisses die datenschutzrechtlichen Grenzen. Dies bezieht sich – wie unten noch näher ausgeführt werden wird – allerdings nur auf die beiden Merkmale Alter und Geschlecht. Ob dies tatsächlich der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses dient, ist derzeit von der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Zweckdienlichkeit sich daher begründet, dass die Kenntnis dieser beiden Merkmale Voraussetzung dafür ist, dass der/die ArbeitgeberIn alles Erforderliche veranlassen kann, um Benachteiligungen und Belästigungen der betreffenden Person zu vermeiden und somit seinen rechtlichen Pflichten gerecht zu werden. Zudem können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch Daten einbezogen werden, die erst für die künftige Entwicklung des Beschäftigungsverhältnisses wichtig sind. Außerdem müssen Sie gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 BDSG bereits bei der Erhebung personenbezogener Daten die Zwecke, für die die Daten verarbeitet oder genutzt werden sollen, konkret festlegen. § 3 Abs. 9 BDSG stellt hinsichtlich so genannter besonderer Arten personenbezogener Daten (unter anderem rassische und ethnische Herkunft, religiöse und philosophische Überzeugungen, Gesundheit – worunter auch eine (Nicht)Behinderung fällt – und Sexualleben) ein noch stärker eingeschränktes Zulässigkeitserfordernis auf. Deren Erhebung, Speicherung und Verwertung ist gemäß § 28 Abs. 6 Nr. 2 und 3 BDSG nur dann zulässig, wenn 1. entweder eine qualifizierte Einwilligung im Sinne des § 4a Abs. 3 BDSG vorliegt oder 2. wenn es sich um Daten handelt, die der/die Betroffene offenkundig öffentlich gemacht hat, oder
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3. wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des/der Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung überwiegt. Die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung kann folgenden Zwecken dienen: Zum einen dient sie der Ermittlung der tatsächlich in Ihrem Unternehmen vorhandenen Vielfalt im Bezug auf die Benachteiligungsmerkmale. Hierbei handelt es sich um eine unzulässige Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung, da sie nicht für die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist. Achtung: Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung ist somit allein um den Grad der Vielfalt zu messen nicht möglich.
Zum anderen dient dies der Überwachung, Beibehaltung und möglichen Anpassung benachteiligungs- und belästigungsfreier unternehmensinterner Prozesse und somit der Vermeidung von Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot und damit von Entschädigungs- und/oder Schadensersatzansprüchen im Einzelfall. Dass auch die Verteidigung des/der Arbeitgebers/in gegen eine seitens eines/einer Bewerbers/in oder Arbeitnehmers/in geltend gemachte Entschädigungs- bzw. Schadensersatzforderung eine Zulässigkeit begründet, wird von der überwiegenden juristischen Literatur befürwortet, bedarf jedoch der abschließenden Entscheidung der mit dieser Frage befassten Gerichte. Zudem ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Ein schutzwürdiges Interesse der ArbeitnehmerInnen an einer Geheimhaltung dürfte aber zu verneinen sein, da es für diese ja vor allem darauf ankommt, wegen eines Benachteiligungsmerkmals nicht benachteiligt zu werden, was aber nur bei Kenntnis des/der Arbeitgebers/in möglich ist. Ohne die Kenntnis des/der Betroffenen von der Speicherung personenbezogener Daten bedarf es einer Benachrichtigung gemäß § 33 BDSG. Zudem hat der/die Betroffene ein Auskunftsrecht gemäß § 34 BDSG. Ferner ist § 35 BDSG zu beachten, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Berichtigung, Löschung oder Sperrung von Daten anordnet. Bei formularmäßigen, strukturierten Datenerhebungen in
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Arbeitsverhältnissen kommt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 94 BetrVG, § 75 Abs. 3 Nr. 8 BPersVG zu.
14.2.2 Schwachpunkte der Personalstatistiken Bei der Erhebung von Personalmerkmalen ergeben sich vor allem Fragen hinsichtlich der praktischen Durchführbarkeit. Nach der derzeitigen Gestaltung von Personalsystemen können nur die Faktoren Alter und Geschlecht und – für den Fall einer dementsprechenden Angabe – Schwerbehinderung unmittelbar und problemlos ermittelt werden. Familienstand und Elternschaft können nur bedingt ermittelt werden. Anders verhält es sich mit den Merkmalen Behinderung, ethnische Herkunft (nicht mit Staatsangehörigkeit zu verwechseln) und sexuelle Identität. Das Merkmal Religion ist nur dann erfassbar, wenn es bzgl. der Kirchensteuer angegeben wurde. Hier ist zu bedenken, dass die Angabe und die tatsächliche Praxis der betreffenden Person nicht überein stimmen müssen. Alter Das Merkmal Alter ist auf Grund der Angaben auf der Lohnsteuerkarte erfassbar. Behinderung Eine Behinderung ist – sofern es sich nicht um eine mitgeteilte Schwerbehinderung oder eine dieser gleichgestellten Behinderung handelt – statistisch nur dann erfassbar, wenn der/die Betreffende dies mitteilt oder eine solche offensichtlich vorliegt. In jedem Fall ist zu bedenken, dass es sehr unterschiedliche geistige und körperliche Behinderungen gibt, mit denen die betreffenden Personen zudem unterschiedlich umgehen. Ethnische Herkunft Auch das Merkmal der ethnischen Herkunft ist – anders als die hiermit nicht zu verwechselnde Staatsangehörigkeit – statistisch nur dann erfassbar, wenn eine Mitteilung dessen erfolgt. Zudem wird das Merkmal „Rasse“ in Deutschland auf Grund der nationalen Vergangenheit nicht öffentlich dargestellt.
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Geschlecht Das Geschlecht ist erfassbar. Bei Geschlechtsumwandlungen ist der Status der Transsexualität üblicherweise nicht erfassbar, d. h. ein Mann gilt bis zur endgültigen namensrechtlichen Geschlechtsumwandlung als Mann, dann erst als Frau (und umgekehrt). Religion/Weltanschauung Gerade die Religionen, bei denen die Kirchen- bzw. Kultursteuer nicht durch den Staat eingezogen wird, d. h. alle außer Christen und Juden, sind statistisch nur bei einer Mitteilung der Beschäftigten erfassbar. Zudem besteht die Schwierigkeit, dass kirchensteuerrechtliche Eintragung und Praxis bedeutend auseinander fallen können. Sexuelle Identität Auch die sexuelle Identität ist statistisch nicht erfassbar. Sie kann nur durch eine Selbstidentifikation erhoben werden. In diesem Fall ist es problematisch, dass keine klaren Grenzen zwischen Heterosexualität, Bisexualität und Homosexualität gezogen werden und die gemachten Angaben von der Realität abweichen können. Mangelnde Einbeziehung Ein Nachteil vieler Beschäftigtenbefragungen besteht darin, dass sie zwar breit ausgerichtet sein mögen, aber dennoch nur begrenzt die Wahrnehmung oder Sichtweisen vielfältiger Gruppen in der Belegschaft (oder im Markt) berücksichtigen können. Verallgemeinerung Bei jeder Beschäftigtenbefragung ergibt sich die Schwierigkeit, dass nur ein Teil der Belegschaft befragt werden kann, dass aber die Ergebnisse, insbesondere soweit sie sehr spezielle Themen betreffen, ein Stück weit verallgemeinert werden müssen. Hierbei ist zu bedenken, dass die Nichtbefragten unter Umständen eine grundlegend andere Sichtweise haben können, als die Befragten (z. B. [Schwer-] Behinderte, die ihre Behinderung nicht bekannt geben).
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14.2.3 Schwachpunkte in Beschwerdesystemen Eine Evaluierung der bei Ihnen auf Grund von behaupteter Benachteiligung und Belästigung auftretenden Beschwerden lässt nur bedingt Rückschlüsse auf den Erfolg Ihrer Umsetzung von Antidiskriminierung zu. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Tabuisierung der Beschwerde Auch wenn das AGG in § 13 ein Beschwerderecht für jeden/jede ArbeitnehmerIn vorsehen, ist dennoch zu erkennen, dass viele Beschäftigte, die sich benachteiligt oder belästigt fühlen, von einem solchen Recht gar keinen Gebrauch machen. Dies liegt vor allem daran, dass die Betroffenen – trotz des ausdrücklichen Verbots der Viktimisierung in § 16 AGG – Angst vor Repressalien haben. Möglich ist auch, dass dem die Überlegung zugrunde liegt, dass sich durch eine (einzige) Beschwerde doch nichts ändern werde. Insgesamt hat dies zur Folge, dass Maßgaben oder Verhalten, die benachteiligend oder belästigend wirken, nicht von Ihrem Beschwerdesystem erfasst werden. Subjektive Wahrnehmung Eine Beschwerde gibt auf Grund der subjektiven Sicht des/der Betroffenen immer nur einen Ausschnitt der Realität wieder. Gerade im Bereich der Belästigung kommt es entscheidend auf die subjektive Sichtweise und Wahrnehmung des/der Einzelnen an. Das bedeutet, dass eine vorgebrachte Beschwerde von einer anderen Person eventuell nicht erhoben worden wäre oder umgekehrt.
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14.3 Anleitung für ein effektives Diversity Controlling Um dauerhaft und nachhaltig Ihre Prozesse und Ihre Unternehmenskultur mit Blick auf Benachteiligung und Belästigung zu evaluieren, gibt es • Maßnahmen, die Sie immer durchführen müssen • Maßnahmen, von denen Sie keinen Gebrauch machen dürfen • Maßnahmen, die empfehlenswert sind
14.3.1 Was Sie immer beachten müssen Genaue Messinstrumente Die eingesetzten Messinstrumente für Ihr qualitatives oder quantitatives Diversity-Controlling müssen • objektiv, • zuverlässig, • gültig und • ökonomisch sein. Hierbei ist vor allem die Zuverlässigkeit Ausschlag gebend, d. h. das Instrument muss das, was es zu erfassen vorgibt, auch tatsächlich erfassen können. Stellen sie hierzu konkrete, detaillierte Fragen, soweit dies möglich ist. Je nach Bedarf können auch einige offene Fragen zur Erfassung allgemeiner Aspekte gestellt werden. Genaue Festlegung der Ziele Nur eine genaue Festlegung der Ziele einer Befragung oder Erhebung ermöglicht eine entsprechend exakte Formulierung der Fragen bzw. eine entsprechend spezielle Aufbereitung der Daten und eine daraufhin ausgerichtete aussagefähige Auswertung. Einhaltung datenschutzrechtlicher Grenzen Sie müssen unter Vermeidung der oben genannten Fehler und Risiken die datenschutzrechtlichen Grenzen einhalten. Tipp: Hinsichtlich des Datenschutzes besteht derzeit eine rechtliche Unsi cherheit. Lassen Sie sich deshalb eine Einwilligung der betreffenden Person geben.
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Achtung: Für eine wirksame Einwilligung des/der Betroffenen gemäß § 4a (ins besondere Abs. 3) BDSG bedarf es neben der freien Entscheidung des/der Betroffenen vor allem des Hinweises auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung sowie, soweit dies nach den Umständen des Ein zelfalls erforderlich ist oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verwei gerung der Einwilligung. Zudem muss sich die Einwilligung darüber hinaus ausdrücklich auf die Erhebung usw. der besonderen Arten perso nenbezogener Daten beziehen. Schließlich bedarf die Einwilligung der Schriftform.
Möglichst objektive Evaluation Versuchen Sie durch eine klare Zielsetzung der Untersuchung und durch eine Auswertung durch mehrere Personen zu einer möglichst objektiven Interpretation der Ergebnisse zu gelangen. Regelmäßigkeit der Befragung und Erhebung Führen Sie die Befragungen und Erhebungen in regelmäßigen Abständen durch. Nur so lassen sich Vergleiche auf die Entwicklung der ermittelten Situation und auf Fort- bzw. Rückschritte ziehen. Ausschöpfung ermittelbarer Faktoren Sie müssen versuchen, alle Faktoren, die im Rahmen der derzeitigen Gestaltung ermittelbar sind, tatsächlich zu erheben. So beugen Sie dem Vorwurf der aktiven Benachteiligung vor und ermöglichen vielfältige Themen im betrieblichen Kontext. Anonymität und Freiwilligkeit Nur wenn die Anonymität und Freiwilligkeit der Befragung gegeben ist, werden Sie engagierte, kritische und ehrliche Antworten bekommen. Bei (persönlichen) Fokusgruppenbefragungen bedeutet dies absolute Vertraulichkeit unter den Anwesenden. Ausreichende Standardisierung Die Fragebögen müssen in hohem Maße standardisiert sein, damit die Erhebungen untereinander vergleichbar sind. Auch im Zeitverlauf muss gewährleistet sein, dass die verwendeten Fragen annähernd gleich bleiben.
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Heterogene Gruppen Stellen Sie die Gruppen bei der Fokusgruppenbefragung so zusammen, dass diese zwar hinsichtlich eines Benachteiligungsmerkmals gleich, jedoch hinsichtlich anderer Merkmale möglichst unterschiedlich strukturiert sind.
14.3.2 Was Sie niemals machen sollten Rückschlüsse und Verallgemeinerungen Die Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung erlauben keine Rückschlüsse auf bestimmte Personen(-Gruppen) und lassen sich auch nicht für die gesamte Belegschaft verallgemeinern. Gleiches gilt für evaluierte Beschwerden, denen jeweils ein subjektiv geprägter Eindruck zugrunde gelegen hat. Tabuisierung von Beschwerden Machen Sie zum einen hinreichend deutlich, dass es immer möglich ist, eine Beschwerde zu erheben. Zum anderen sollten Sie dafür sorgen, dass tatsächlich niemand auf Grund des Vorbringens einer Beschwerde Nachteile oder Repressalien erleidet.
14.3.3 Was sich empfiehlt zu unternehmen Umfassende Dokumentation Eine Dokumentation im Bereich des Controllings ist keine aus dem AGG unmittelbar oder mittelbar folgende Pflicht. Dennoch sollten Sie eine solche Dokumentation vornehmen, damit Sie verfolgen können, wo fehlerhafte und riskante Aspekte vorhanden sind. Eine regelmäßige Erfolgskontrolle wird nur möglich sein, wenn Sie eine Dokumentation ihrer Erhebungen vornehmen. Konzeption von Befragungen Die Befragungen sollten kurz genug sein, damit die Befragten diese gerne beantworten. Gleichzeitig sollten sie ausführlich genug sein, um alles Relevante zu erfragen. Eine Bearbeitungszeit von 45 Minuten sollte keinesfalls überschritten werden. Wählen Sie zudem einen Zeitpunkt für die Befragung aus, zu dem weder gehäufte Abwesenheiten noch ein überproportionales Arbeitsaufkommen vorliegen.
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Durchführung von Befragungen Unterrichten Sie Ihre MitarbeiterInnen rechtzeitig und umfassend über Ziele und Form der Befragung. Der Einsatz des richtigen Mediums für die Befragung wird die Motivation zur Beantwortung und damit auch die Qualität der Antworten entscheidend beeinflussen. So kann beispielsweise ein Papierfragebogen als persönlicher und damit angenehmer empfunden werden als eine Online-Befragung. Diese mag wiederum als zeitgemäß und professionell angesehen werden. Publizieren Sie die Ergebnisse einer Befragung in ansprechender Form innerhalb der Belegschaft. Um Ihnen ein erfolgreiches Diversity-Controlling unkompliziert, effektiv und schnell zu ermöglichen, bieten wir Ihnen auf der beiliegenden CD-ROM einige Arbeitsmittel.
Siehe CDROM
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15 Die rechtlichen Grundlagen des AGG In diesem Kapitel wird kurz die bisherige nationale Rechtslage im Bezug auf Antidiskriminierung dargestellt. Außerdem wird der Inhalt der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien mit Blick auf die in diesem Buch relevanten Umsetzungsaspekte erläutert. Das Hauptaugenmerk liegt auf deren nationaler Umsetzung durch das in Kraft getretene AGG.
15.1 Die bisherige Rechtslage Bislang existierte in Deutschland – anders als in den meisten anderen (europäischen) Staaten – keine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung. Vielmehr waren unterschiedliche Regelungen für mehrere, meist isoliert betrachtete Themen der Antidiskriminierung auf einzelne Gesetze verteilt. Im Wesentlichen handelte es sich hierbei um: • Art. 3 Grundgesetz (GG): allgemeines Gleichbehandlungsgebot, Verankerung des Antidiskriminierungsgrundsatzes, unmittelbare Geltung nur im Verhältnis BürgerIn – Staat, jedoch über so genannte Generalklauseln im Bürgerlichen Recht (z. B. §§ 242, 138 BGB) mittelbare Geltung auch im Bereich der Beschäftigung • Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG: Zugang in alle Bereiche der Streitkräfte für Frauen • § 554a BGB: Barrierefreiheit im Mietrecht • § 611a BGB: ArbeitgeberInnen ist die geschlechtsbezogene Benachteiligung verboten • § 611b BGB: Verbot der Stellenausschreibung nur für Männer oder nur für Frauen • Sozialgesetzbuch IX (SGB IX): Teilhabe von Menschen mit Behinderung
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Die Europäischen Richtlinien •
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§§ 75, 80 BetrVG: Überwachung durch den Betriebsrat hinsichtlich des Verbots unterschiedlicher Behandlung wegen Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung oder Einstellung, Geschlecht oder sexueller Identität § 27 Sprecherausschussgesetz (SprAuG): Überwachung durch Arbeitgeber und Sprecherausschuss hinsichtlich des Verbots unterschiedlicher Behandlung leitender Angestellter wegen Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung oder Einstellung oder Geschlecht § 67 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG): Überwachung durch Dienststelle und Personalvertretung hinsichtlich des Verbots unterschiedlicher Behandlung wegen Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung oder Einstellung oder Geschlecht BeschäftigtenschutzG: Schutz von Männern und Frauen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz § 8 Bundesbeamtengesetz (BBG): keine Berücksichtigung von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöser oder politischer Anschauung, Herkunft oder Beziehung bei der Auslese von BewerberInnen Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG): Verbot der Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen KSchG: Verbot sozial ungerechtfertigter Kündigungen Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG): Ausweitung bestimmter Leistungen auf gleichgeschlechtliche LebenspartnerInnen Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG): Fördermaßnahmen gegen Diskriminierungen innerhalb der Bundesverwaltung.
15.2 Die Europäischen Richtlinien Der Rat der Europäischen Union hat in den Jahren 2000 bis 2002 drei Antidiskriminierungsrichtlinien und im Jahr 2004 eine weitere Antidiskriminierungsrichtlinie erlassen: • Richtlinie 2000/43/EG (29.06.2000) Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft; vorgegebene Umsetzung in nationales Recht bis 19.07.2003.
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Die rechtlichen Grundlagen des AGG •
Richtlinie 2000/78/EG (27.11.2000) Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf hinsichtlich Alter, Behinderung, sexueller Identität, Religion oder Weltanschauung; vorgegebene Umsetzung in nationales Recht bis 02.12.2003, für den Bereich Altersdiskriminierung bzw. -belästigung dreijährige Verlängerung der Frist bis 02.12.2006. • Richtlinie 2002/73/EG (23.09.2002) Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich Zugang zur Beschäftigung, Berufsbildung und beruflichem Aufstieg sowie in Bezug zu Arbeitsbedingungen, zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG; vorgegebene Umsetzung in nationales Recht bis 05.10.2005. • Richtlinie 2004/113/EG (13.12.2004) Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen; vorgegebene Umsetzung in nationales Recht bis 21.12.2007. Bislang wurden lediglich einzelne Normen zur Umsetzung der EURichtlinien erlassen. Erst durch das AGG erfolgte eine umfassende Umsetzung.
15.3 Das AGG Das deutsche AGG, das schon lange vor seinem Inkrafttreten zum 01.08.2006 als Antidiskriminierungsgesetz Gegenstand lebhafter und kontroverser politischer und gesellschaftlicher Diskussionen war, setzt die oben genannten EU-Richtlinien in nationales Recht um. Es handelt sich im Kern um ein sowohl arbeitsrechtliches wie auch zivilrechtliches Benachteiligungsverbot. An dieser Stelle wird nur auf den arbeitsrechtlichen Bereich eingegangen. Die Besonderheiten des zivilrechtlichen Bereichs sind in Kapitel 12 dargestellt.
15.3.1 Das Benachteiligungsverbot Zentrale Norm des AGG ist dessen § 7, das Benachteiligungsverbot. Er besagt in Abs. 1, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 genannten Merkmals benachteiligt werden dürfen. Sie finden hierzu Ausführungen im folgenden Abschnitt. Abs. 2 führt klarstellend aus, dass Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteili-
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Das AGG
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gungsverbot des Abs. 1 verstoßen, unwirksam sind. Schließlich stellt Abs. 3 klar, dass eine Benachteiligung nach Abs. 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte eine Verletzung vertraglicher Pflichten ist.
15.3.2 Die Benachteiligungsmerkmale Das AGG weist in § 1 sechs Merkmale auf, auf die sich das Benachteiligungsverbot bezieht: • Alter • Behinderung • Ethnische Herkunft bzw. Rasse • Geschlecht • Religion oder Weltanschauung • Sexuelle Identität Alter Der Begriff des Alters schützt – entgegen vielfach verbreiteter Ansicht – nicht nur ältere, sondern auch jüngere Arbeitnehmer und solche mittleren Alters, also Menschen jeden Alters. Behinderung Der Begriff der Behinderung entspricht gemäß der Gesetzesbegründung für das AGG der gesetzlichen Definition des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Danach sind Menschen behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“. Ethnische Herkunft/Rasse Der Begriff der ethnischen Herkunft oder Rasse meint Hautfarbe, Abstammung, nationaler Ursprung, Volkstum, Kulturkreis, äußeres Erscheinungsbild, Gebräuche usw. Beide Begriffe sind gemäß der Gesetzesbegründung des AGG weit auszulegen und in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Geschlecht Der Begriff des Geschlechts umfasst Männer und Frauen. Streng genommen müssten hier auch transsexuelle/transgender Männer und Frauen eingeschlossen sein, dies wird aber vom Merkmal der sexuellen Identität erfasst (s.u.).
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Religion/Weltanschauung Der Begriff der Religion oder Weltanschauung meint zumindest die anerkannten Religions- und Glaubensgemeinschaften der christlichen, jüdischen und muslimischen Organisationen. Was darüber hinaus auch vom Wortlaut erfasst wird (z. B. auch Sekten), ist derzeit noch nicht eindeutig abzusehen und bedarf einer Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Der Begriff der Weltanschauung ist eng zu verstehen. Sexuelle Identität Der Begriff der sexuellen Identität meint gemäß der Gesetzesbegründung homosexuelle, bisexuelle, transsexuelle und zwischengeschlechtliche Menschen. Anders als in den anderen Geltungsbereichen fehlt hier das Merkmal der Mehrheit, also die Heterosexualität, die jedoch im Sinne der Richtlinien ebenfalls als Nicht-Diskriminierungsgrund relevant ist.
15.3.3 Die Anwendungsbereiche des Benachteiligungsverbots Sachlicher Anwendungsbereich Das AGG gilt in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 1 für dieselben Bereiche: • die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg • die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg • den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung
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•
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen. Zudem werden auch Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung und Zugang und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, erfasst. Diese Bereiche werden jedoch in der Regel öffentlich-rechtlichen Regelungen unterfallen. Nach § 2 Abs. 3 bleibt die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote (wie z. B. § 4 TzBfG) oder Gebote der Gleichbehandlung unberührt. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des AGG umfasst gemäß § 6 Beschäftigte und Arbeitgeber. Gemäß § 6 Abs. 1 sind Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, • die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, • Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten. Als Beschäftigte gelten auch die BewerberInnen für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Nicht erfasst werden jedoch freie Dienstverhältnisse. Gemäß § 6 Abs. 2 sind ArbeitgeberInnen natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister. Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich gemäß § 6 Abs. 3 für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände eröffnet, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft.
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15.3.4 Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot Verstöße gegen § 7 Abs. 1 liegen gemäß § 3 bei unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen sowie bei (sexuellen) Belästigungen vor. Diese Vorschrift richtet sich sowohl an Arbeitgeber als auch an ArbeitskollegInnen und Dritte. Gemäß der Gesetzesbegründung ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot jeweils auch durch Unterlassen möglich. Unmittelbare Benachteiligung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 vor, wenn eine Person wegen eines Benachteiligungsmerkmals „eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Fall einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.“ Beispiel: Unmittelbare Benachteiligung In einer Stellenausschreibung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Bewerbungen von Menschen mit Behinderung und Personen über 45 Jahren keine Berücksichtigung finden werden.
Durch die Verwendung des Konjunktivs („erfahren würde“) kann bei der unmittelbaren Benachteiligung auch auf eine bloß hypothetische Vergleichsperson abgestellt werden. Wie eine solche Betrachtung praktisch erfolgen soll, ist ungeklärt und bedarf der Auslegung durch die Gerichte. Jedenfalls muss eine hinreichend konkrete Gefahr der weniger günstigen Behandlung vorliegen; eine rein abstrakte Gefahr ist nicht ausreichend. Mittelbare Benachteiligung Gemäß § 3 Abs. 2 liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“.
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Beispiel: Mittelbare Benachteiligung • In einem Einstellungsverfahren muss ein Test in einer bestimmten Sprache absolviert werden, obwohl diese Sprache für die ausge schriebene Stelle ohne Bedeutung ist. • Eine betriebsinterne Weiterbildung ist auf Grund ihrer Gestaltung als Vortrag ausschließlich Hörenden zugänglich.
Durch die genannte Formulierung „benachteiligen können“ ist eine lediglich potenzielle Benachteiligung in diesem Sinne ausreichend. Wenn sachlich rechtfertigende Gründe vorliegen (s. u.), liegt bereits tatbestandlich keine mittelbare Benachteiligung vor. Dies hat der/die AnspruchstellerIn darzulegen und zu beweisen. Belästigung Gemäß § 3 Abs. 3 liegt eine Belästigung vor, „wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“. Eine Belästigung ist eine Benachteiligung und zieht dieselben Rechtsfolgen nach sich. Allerdings stellt nicht jede Benachteiligung eine Belästigung dar. Vielmehr muss die Würde der betreffenden Person verletzt und ein entsprechendes Umfeld geschaffen werden. Ob eine Verletzung bezweckt wurde (Vorsatz), ist ohne Bedeutung. Auch können verbale und nonverbale Verhaltensweisen gleichermaßen zu einer Belästigung führen. Wann eine Verhaltensweise unerwünscht ist, bestimmt sich aus der Sicht eines/einer fiktiven objektiven Beobachters/in. Dies bedeutet, dass die Unerwünschtheit nicht schon vorab ausdrücklich geäußert worden sein muss. Insgesamt besteht die Regelung aus mehreren subjektiven Elementen. Dies ist mit Blick auf einen respektvollen Umgang miteinander durchaus gewollt, stellt jedoch an die Aufmerksamkeit der Beteiligten hohe Anforderungen: Ein häufiger Perspektivenwechsel und sich damit in die Lage der Anderen versetzen ist angebracht. Die entsprechenden Verhaltensweisen müssen mehr als nur geringfügig sein und eine insgesamt störende bzw. gestörte oder feindselige Arbeitsumgebung bewirken. Ein einmaliger Verstoß kann u.U. ausreichen.
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Beispiel: Belästigung Ein Mitarbeiter imitiert wiederholt vor der Belegschaft eine/einen Kol legen/in mit Sprachbehinderung.
Bei einer Belästigung sind – anders als bei einer Benachteiligung – keine Ausnahmen von einem solchen Verbot zugelassen worden. Sexuelle Belästigung Gemäß § 3 Abs. 4 handelt es sich um eine sexuelle Belästigung, wenn „wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“. Beispiel: Sexuelle Belästigung Die männlichen Mitarbeiter unterhalten sich im Beisein ihrer KollegInnen lautstark und in primitiver Weise über die sexuellen Vorzüge promi nenter Frauen.
Merkmale werden vermutet Eine belästigte oder benachteiligte Person muss ein Merkmal nicht tatsächlich aufweisen, damit der Tatbestand erfüllt ist. Vielmehr reicht es gemäß § 7 Abs. 1 Hs. 2 AGG aus, wenn der/die Benachteiligende oder Belästigende (irrtümlich) vom Vorhandensein eines solchen Merkmals ausgeht. Anweisung Ferner gilt gemäß § 3 Abs. 5 auch die Anweisung eine Person zu benachteiligen als Benachteiligung. Sie bedarf jedoch eines Vorsatzes. Ein Bewusstsein dafür, dass die Handlung verboten ist, muss nicht vorliegen. Unerheblich ist, ob der/die Angewiesene die Anweisung tatsächlich ausführt. Was genau unter einer solchen Anweisung zu verstehen ist, führt die Gesetzesbegründung nicht aus. Auch hier wird eine Klärung erst durch die Gerichte erfolgen.
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15.3.5 Die Ausnahmen vom Tatbestand Das Gesetz sieht einige zulässige unterschiedliche Behandlungen vor: Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen Eine Benachteiligung wegen eines Merkmals, das mit einem der Merkmale in Zusammenhang steht, stellt gemäß § 8 Abs. 1 keine Benachteiligung dar, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Beispiel: Keine unmittelbare Benachteiligung Eine Einrichtung, die sich der Beratung sexuell missbrauchter Frauen widmet, darf ihre Beratungsstellen ausschließlich für Frauen ausschrei ben, damit ihre Klientinnen sich bei ihrer Beratung sicher fühlen.
Da Ausnahmetatbestände immer eng auszulegen sind, muss hier eine strenge Einzelfallprüfung erfolgen. Keine mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung liegt schon tatbestandlich nicht vor, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Da Ausnahmetatbestände immer eng auszulegen sind, muss hier eine strenge Einzelfallprüfung erfolgen. Eine (sexuelle) Belästigung wird in der Regel nicht gerechtfertigt werden können. Positive Maßnahmen Spezifische Maßnahmen, die zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben beibehalten oder eingeführt werden, und mit denen Benachteiligungen wegen eines bestimmten Merkmals verhindert oder ausgeglichen werden, sind ausdrücklich gemäß § 5 zulässig. Dies können Abhilfemaßnahmen für bereits bestehende Nachteile und auch präventive Maßnahmen sein. Einen absoluten Vorrang der zu fördernden Gruppe gibt es nicht, so dass es einer Abwägung der Interessen und Beeinträchtigungen bedarf.
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Alter In bestimmten Konstellationen kann eine Ungleichbehandlung gerade im Hinblick auf das Alter gerechtfertigt sein. Für dieses Merkmal gibt es umfangreiche Ausnahmen mit einer beispielhaften Aufzählung (§ 10 AGG). Unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer Gründe Nach § 4 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer Gründe nur dann gerechtfertigt, wenn sich diese Rechtfertigung auf alle diese Gründe erstreckt. Kirchen und religiöse bzw. weltanschauliche Gemeinschaften Die Mitgliedsstaaten können gemäß § 9 für den Bereich des Merkmals Religion oder Weltanschauung Ausnahmen für Kirchen und Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, treffen.
15.3.6 Diese Pflichten haben Sie Schutz vor Benachteiligungen Gemäß § 12 Abs. 1 sind Sie als ArbeitgeberIn verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines der genannten Gründe zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. Der Gesetzgeber hat sich also in erster Linie für eine präventive Pflicht der ArbeitgeberInnen entschieden. Die Erforderlichkeit beurteilt sich nach objektiven Gesichtspunkten. Eine Pflicht kann nur soweit reichen, wie der/die ArbeitgeberIn dazu rechtlich und auch tatsächlich in der Lage ist. Hinweis und Schulungspflicht In § 12 Abs. 2 wird dies konkretisiert: Sie als ArbeitgeberIn sollen in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Haben Sie ihre Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung ihrer Pflichten nach Abs. 1, d. h. Sie können sich insoweit exkulpie-
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ren. Schon allein deshalb bietet sich eine umfassende Schulung Ihrer Beschäftigten an. Alle damit verbundenen Maßnahmen sollten Sie für den Fall, dass es zu einer Auseinandersetzung kommt, dokumentieren und aufbewahren. Vorgehen bei einem Verstoß durch andere Beschäftigte § 12 Abs. 3 regelt, dass Sie gegenüber Beschäftigten, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 verstoßen, die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen haben. Vorgehen bei einem Verstoß durch Dritte § 12 Abs. 4 betrifft den Bereich von Verstößen durch Dritte: Werden Ihre Beschäftigten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so haben Sie die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen. Beispiel: Schutzmaßnahmen Als Flughafenbetreiber oder Zollbehörde arbeiten einige Ihrer Beschäf tigten in Bereichen, in denen bei Reisenden mitunter starker Unmut wegen langer Wartezeiten entstehen. Sie können dazu beitragen, dass Ihre Beschäftigten vor Verstößen durch Dritte – in diesem Fall Kunden – geschützt werden, in dem Sie ein Schild anbringen, dass jeder Fall von Anfeindung, Beleidigung oder anderer Belästigung der Mitarbeiter ver folgt wird.
Maßregelungsverbot Das AGG schützt ebenfalls vor einer so genannten Maßregelung (§ 16). Es ist verboten, Beschäftigte, diese unterstützende Personen oder ZeugInnen wegen der Inanspruchnahme von Rechten oder wegen der Weigerung eine gegen das Benachteiligungsverbot verstoßende Weisung auszuführen, zu benachteiligen („Viktimisierungsverbot“). Zudem darf die Zurückweisung oder Duldung benachteiligenden Verhaltens durch betroffene Beschäftigte, diese unterstützende Personen oder ZeugInnen nicht als Grundlage für eine Entscheidung, die diese berührt, herangezogen werden.
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Bekanntmachung Gemäß § 12 Abs. 5 haben Sie das AGG und § 61b des ArbGG sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen im Betrieb bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen. Prüfungs und Mitteilungspflicht Nach § 13 Abs. 1 S. 2 AGG haben Sie eine bei der zuständigen Stelle des Betriebs oder Unternehmens eingelegte Beschwerde zu prüfen und das Ergebnis dem/der BeschwerdeführerIn mitzuteilen. Gerade für den Fall, dass Sie der Beschwerde – aus welchen Gründen auch immer – nicht abhelfen, sollte die Mitteilung möglichst ausführlich sein. Sofern dies möglich ist, empfiehlt es sich, eine spezielle Beschwerdestelle einzurichten, deren Mitglieder über eine hohe Verhandlungs- und Schlichtungskompetenz verfügen. Zudem sollten Sie für eine möglichst enge Vernetzung zwischen Ihnen und dieser Stelle sorgen.
15.3.7 Schadensersatz und Entschädigung § 15 enthält die Regelungen der Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot: diese sind namentlich Entschädigung und Schadensersatz. Schadensersatz § 15 Abs. 1 regelt den Schadensersatz, also den Ersatz materieller Schäden. Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot sind Sie als ArbeitgeberIn verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten haben, d. h. wenn Ihnen weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Entschädigung § 15 Abs. 2 regelt die Entschädigung, also den Ersatz immaterieller Schäden. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
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Achtung: Dies gilt – anders als die Schadensersatzpflicht – unabhängig vom Ver schulden.
Hinsichtlich der Höhe bleibt den Gerichten ein Beurteilungsspielraum, wobei vor allem der Gesichtspunkt der individuellen Genugtuung im Vordergrund steht und somit u.a. Art und Ausmaß der Benachteiligung, Wiederholung der Verstöße maßgeblich sind. Erste Entscheidungen – die allerdings noch auf den EU-Gleichbehandlungsrichtlinien beruhten und Ansprüche gegen den Staat bzw. ein Bundesland betrafen – lassen erkennen, dass die Gerichte hinsichtlich der Höhe der Ansprüche einen eher restriktiven Kurs verfolgen. Für den Bereich der kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) ist die Entschädigungspflicht auf den Fall des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit beschränkt (§ 15 Abs. 3 AGG). Achtung: Entschädigung und Schadensersatz schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können vielmehr nebeneinander geltend gemacht werden.
Daneben können auch Ansprüche auf Entschädigung gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, der Gesundheit und der sexuellen Selbstbestimmung in Betracht kommen. Frist Wichtig ist, dass die Geltendmachung der genannten Ansprüche innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich erfolgen muss, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Gemäß § 61b Abs. 1 ArbGG gilt eine Klagefrist von drei Monaten nach Geltendmachung eines Anspruchs.
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Achtung: Zwar spricht das Gesetz ausdrücklich nur von einer Frist für eine Klage auf Entschädigung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für Kla gen auf Schadensersatz diese kurze Frist gilt. Der/die ArbeitgeberIn soll nicht mit einer über Gebühr langen Aufbewahrungspflicht entsprechend der allgemeinen Verjährung belastet werden.
Kein Einstellungsanspruch Entscheidend ist, dass ein Verstoß Ihrerseits gegen das Benachteiligungsverbot keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg begründet, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.
15.3.8 Die Rechte der Beschäftigten Das Gesetz normiert in §§ 13 und 14 zwei Rechte der Beschäftigten bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot: Das Beschwerderecht § 13 gibt den Beschäftigten ein Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs oder des Unternehmens zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines Merkmals benachteiligt fühlen. Der Begriff der zuständigen Stelle ist umfassend zu verstehen. Zu beachten ist allerdings, dass ein solches Beschwerdeverfahren für die Geltendmachung eines Anspruchs nicht zwingend durchzuführen ist. Das Leistungsverweigerungsrecht § 14 gibt den Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall, dass Sie keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz getroffen haben. Die betroffenen Beschäftigten sind berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist. § 273 BGB bleibt unberührt.
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Achtung: Dies gilt ausschließlich für die Belästigung und die sexuelle Belästigung. Die ausdrücklich nicht erfasste Benachteiligung wird jedoch von § 273 bzw. § 311 BGB als arbeitgeberInnenseitige Pflicht, Maßnahmen nach § 12 AGG zu ergreifen bzw. nicht gegen § 7 AGG zu verstoßen, erfasst.
Rechte des Betriebsrats oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft § 17 Abs. 2 ermöglicht es dem Betriebsrat oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft bei einem groben Verstoß des/der Arbeitgebers/in unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG beim Arbeitsgericht zu beantragen, dem/der ArbeitgeberIn aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Hierfür gilt eine Schwelle von fünf Arbeitnehmern, die in dem Betrieb vorhanden sein müssen. Es wird ausdrücklich ausgeführt, dass mit einem solchen Antrag keine Ansprüche eines Benachteiligten geltend gemacht werden dürfen.
15.3.9 Besonderheiten im AGG Beweislasterleichterung Das AGG regelt in § 22 eine Erleichterung der Beweislast zu Gunsten von benachteiligten ArbeitnehmerInnen: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes“, d. h. eines Benachteiligungsmerkmals, „vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“ • Das bedeutet, dass die klagende Person den Vollbeweis dafür erbringen muss, dass eine ungünstigere Behandlung vorgelegen hat. • Zudem muss sie Indizien beweisen, aus denen sich ergibt, dass diese unterschiedliche Behandlung auf einem Benachteiligungsmerkmal beruht. Das bedeutet, dass so genannte Vermutungstatsachen vorgetragen werden müssen, aus denen sich schließen lässt, dass die unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 Abs. 1 unzulässigen Grund beruht. Anschließend obliegt es Ihnen als beklagtem/r ArbeitgeberIn, zu beweisen, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorgele-
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gen hat oder dass es sich um eine zulässige unterschiedliche Behandlung gehandelt hat. Hier gilt ein strengerer Maßstab als der oben Genannte, so dass die bewiesenen Indizien tatsächlich zu entkräften ist. Das Gesetz trifft keine Aussagen dazu, wie dies praktisch genau zu geschehen hat. Dies gilt gemäß § 16 Abs. 3 auch für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Nachträglich vorgebrachte Gründe können nur dann berücksichtigt werden, wenn besondere Umstände erkennen lassen, dass diese Gründe nicht nur vorgeschoben sind. Antidiskriminierungsverbände In §§ 23 ff. wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein so genannter Antidiskriminierungsverband gegeben ist und welche Rechte diesem zustehen. Hier ist insbesondere das unter bestimmten Umständen bestehende Recht auf Beistand in einem gerichtlichen Verfahren (nicht im Strafverfahren) zu nennen. Antidiskriminierungsstelle Nach §§ 25 ff. wird beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine so genannte Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet. Diese soll nach der Gesetzesbegründung der Beseitigung und Verhinderung von Diskriminierung Nachdruck verleihen und den Betroffenen eine wichtige Hilfestellung in Form der zentralen Anlaufstelle geben. Schlichtungsverfahren Die Bundesländer haben die Möglichkeit durch Landesgesetz zu bestimmen, dass vor Erhebung einer Klage wegen Benachteiligung ein Einigungsversuch vor einer Gütestelle stattzufinden hat (§ 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EGZPO). Unabdingbarkeit Gemäß § 31 AGG kann von den Regelungen des AGG nicht zuungunsten der geschützten Personen abgewichen werden. Somit unterliegt die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht der Disposition der geschützten Personen. Übergangsbestimmungen In § 33 AGG sind für bestimmte Formen von Benachteiligung Übergangsfristen geregelt.
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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Der hier abgedruckte Gesetzestext enthält die vom Bundestag beschlossenen Änderungen und folgt der BT-Drs. 16/1780 mit den Änderungen gemäß der BT-Drs. 16/2022. Maßgeblich ist der amtliche, im Bundesanzeiger veröffentlichte, bei Manuskripterstellung aber noch nicht vorliegende Text.
Abschnitt 1 Allgemeiner Teil § 1 Ziel des Gesetzes Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
§ 2 Anwendungsbereich (1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: 1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg, 2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individualund kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg, 3. den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
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4. die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen, 5. den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, 6. die sozialen Vergünstigungen, 7. die Bildung, 8. den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum. (2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz. (3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen. (4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.
§ 3 Begriffsbestimmungen (1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Fall einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor. (2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
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(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. (4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. (5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.
§ 4 Unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer Gründe Erfolgt eine unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer der in § 1 genannten Gründe, so kann diese unterschiedliche Behandlung nach den §§ 8 bis 10 und 20 nur gerechtfertigt werden, wenn sich die Rechtfertigung auf alle diese Gründe erstreckt, derentwegen die unterschiedliche Behandlung erfolgt.
§ 5 Positive Maßnahmen Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.
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Abschnitt 2 Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung Unterabschnitt 1 Verbot der Benachteiligung § 6 Persönlicher Anwendungsbereich (1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 2. die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, 3. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten. Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. (2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister. (3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.
§ 7 Benachteiligungsverbot (1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt. (2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam. (3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.
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§ 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen (1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. (2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.
§ 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung (1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. (2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemein-schaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.
§ 10 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels
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müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: 1. die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen, 2. die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile, 3. die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand, 4. die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen, 5. eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt, 6. eine Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl anlässlich einer betriebsbedingten Kündigung im Sinne des § 1 des Kündigungsschutzgesetzes, soweit dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukommt, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden, 7. die individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarung der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit, soweit dadurch nicht der Kündi-
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gungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes grob fehlerhaft gemindert wird, 8. Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.
Unterabschnitt 2 Organisationspflichten des Arbeitgebers § 11 Ausschreibung Ein Arbeitsplatz darf nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 ausgeschrieben werden.
§ 12 Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. (2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1. (3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. (4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall
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geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen. (5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.
Unterabschnitt 3 Rechte der Beschäftigten § 13 Beschwerderecht (1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen. (2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.
§ 14 Leistungsverweigerungsrecht Ergreift der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist. § 273 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt unberührt.
§ 15 Entschädigung und Schadensersatz (1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
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(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. (4) Ein Anspruch nach den Absätzen 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. (5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt. (6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.
§ 16 Maßregelungsverbot (1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen. (2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. (3) § 22 gilt entsprechend.
Unterabschnitt 4 Ergänzende Vorschriften § 17 Soziale Verantwortung der Beteiligten (1) Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen sind aufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken.
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(2) In Betrieben, in denen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes vorliegen, können bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen die Vorschriften aus diesem Abschnitt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft unter der Voraussetzung des § 23 Abs. 3 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes die dort genannten Rechte gerichtlich geltend machen; § 23 Abs. 3 Satz 2 bis 5 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt entsprechend. Mit dem Antrag dürfen nicht Ansprüche des Benachteiligten geltend gemacht werden.
§ 18 Mitgliedschaft in Vereinigungen (1) Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten entsprechend für die Mitgliedschaft oder die Mitwirkung in einer 1. Tarifvertragspartei, 2. Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören oder die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich innehat, wenn ein grundlegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht, sowie deren jeweiligen Zusammenschlüssen. (2) Wenn die Ablehnung einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 darstellt, besteht ein Anspruch auf Mitgliedschaft oder Mitwirkung in den in Absatz 1 genannten Vereinigungen.
Abschnitt 3 Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr § 19 Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot (1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder 2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, ist unzulässig.
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(2) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist darüber hinaus auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 unzulässig. (3) Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig. (4) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse. (5) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Bei Mietverhältnissen kann dies insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen. Die Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch ist in der Regel kein Geschäft im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.
§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung (1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung 1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, 2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, 3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt, 4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die
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sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des –jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist. (2) Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 bei den Prämien oder Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.
§ 21 Ansprüche (1) Der Benachteiligte kann bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen. (2) Bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots ist der Benachteiligende verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Benachteiligende die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Benachteiligte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. (3) Ansprüche aus unerlaubter Handlung bleiben unberührt. (4) Auf eine Vereinbarung, die von dem Benachteiligungsverbot abweicht, kann sich der Benachteiligende nicht berufen. (5) Ein Anspruch nach den Absätzen 1 und 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden. Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war.
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Abschnitt 4 Rechtsschutz § 22 Beweislast Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
§ 23 Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände (1) Antidiskriminierungsverbände sind Personenzusammenschlüsse, die nicht gewerbsmäßig und nicht nur vorübergehend entsprechend ihrer Satzung die besonderen Interessen von benachteiligten Personen oder Personengruppen nach Maßgabe von § 1 wahrnehmen. Die Befugnisse nach den Absätzen 2 bis 4 stehen ihnen zu, wenn sie mindestens 75 Mitglieder haben oder einen Zusammenschluss aus mindestens sieben Verbänden bilden. (2) Antidiskriminierungsverbände sind befugt, im Rahmen ihres Satzungszwecks in gerichtlichen Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte und Anwältinnen nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, als Beistände Benachteiligter in der Verhandlung aufzutreten. Im Übrigen bleiben die Vorschriften der Verfahrensordnungen, insbesondere diejenigen, nach denen Beiständen weiterer Vortrag untersagt werden kann, unberührt. (3) Antidiskriminierungsverbänden ist im Rahmen ihres Satzungszwecks die Besorgung von Rechtsangelegenheiten Benachteiligter gestattet. (4) Besondere Klagerechte und Vertretungsbefugnisse von Verbänden zu Gunsten von behinderten Menschen bleiben unberührt.
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Abschnitt 5 Sonderregelungen für öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse § 24 Sonderregelung für öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für 1. Beamtinnen und Beamte des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht des Bundes oder eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, 2. Richterinnen und Richter des Bundes und der Länder, 3. Zivildienstleistende sowie anerkannte Kriegsdienstverweigerer, soweit ihre Heranziehung zum Zivildienst betroffen ist.
Abschnitt 6 Antidiskriminierungsstelle § 25 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (1) Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird unbeschadet der Zuständigkeit der Beauftragten des Deutschen Bundestages oder der Bundesregierung die Stelle des Bundes zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) errichtet. (2) Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. Sie ist im Einzelplan des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einem eigenen Kapitel auszuweisen.
§ 26 Rechtsstellung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (1) Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernennt auf Vorschlag der Bundesregierung eine Person zur Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie steht nach Maßgabe dieses Gesetzes in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund. Sie ist in Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
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(2) Das Amtsverhältnis beginnt mit der Aushändigung der Urkunde über die Ernennung durch die Bundesministerin oder den Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (3) Das Amtsverhältnis endet außer durch Tod 1. mit dem Zusammentreten eines neuen Bundestages, 2. durch Ablauf der Amtszeit mit Erreichen der Altersgrenze nach § 41 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes, 3. mit der Entlassung. Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entlässt die Leiterin oder den Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf deren Verlangen oder wenn Gründe vorliegen, die bei einer Richterin oder einem Richter auf Lebenszeit die Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen. Im Falle der Beendigung des Amtsverhältnisses erhält die Leiterin oder der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine von der Bundesministerin oder dem Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vollzogene Urkunde. Die Entlassung wird mit der Aushändigung der Urkunde wirksam. (4) Das Rechtsverhältnis der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gegenüber dem Bund wird durch Vertrag mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geregelt. Der Vertrag bedarf der Zustimmung der Bundesregierung. (5) Wird eine Bundesbeamtin oder ein Bundesbeamter zur Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bestellt, scheidet er oder sie mit Beginn des Amtsverhältnisses aus dem bisherigen Amt aus. Für die Dauer des Amtsverhältnisses ruhen die aus dem Beamtenverhältnis begründeten Rechte und Pflichten mit Ausnahme der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Belohnungen oder Geschenken. Bei unfallverletzten Beamtinnen oder Beamten bleiben die gesetzlichen Ansprüche auf das Heilverfahren und einen Unfallausgleich unberührt.
§ 27 Aufgaben (1) Wer der Ansicht ist, wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt worden zu sein, kann sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden.
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(2) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützt auf unabhängige Weise Personen, die sich nach Absatz 1 an sie wenden, bei der Durchsetzung ihrer Rechte zum Schutz vor Benachteiligungen. Hierbei kann sie insbesondere 1. über Ansprüche und die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens im Rahmen gesetzlicher Regelungen zum Schutz vor Benachteiligungen informieren, 2. Beratung durch andere Stellen vermitteln, 3. eine gütliche Beilegung zwischen den Beteiligten anstreben. Soweit Beauftragte des Deutschen Bundestages oder der Bundesregierung zuständig sind, leitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Anliegen der in Absatz 1 genannten Personen mit deren Einverständnis unverzüglich an diese weiter. (3) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nimmt auf unabhängige Weise folgende Aufgaben wahr, soweit nicht die Zuständigkeit der Beauftragten der Bundesregierung oder des Deutschen Bundestages berührt ist: 1. Öffentlichkeitsarbeit, 2. Maßnahmen zur Verhinderung von Benachteiligungen aus den in § 1 genannten Gründen, 3. Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesen Benachteiligungen. (4) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages legen gemeinsam dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre Berichte über Benachteiligungen aus den in § 1 genannten Gründen vor und geben Empfehlungen zur Beseitigung und Vermeidung dieser Benachteiligungen. Sie können gemeinsam wissenschaftliche Untersuchungen zu Benachteiligungen durchführen. (5) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages sollen bei Benachteiligungen aus mehreren der in § 1 genannten Gründe zusammenarbeiten.
§ 28 Befugnisse (1) Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann in Fällen des § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Beteiligte um Stellungnahmen ersuchen, soweit die
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Person, die sich nach § 27 Abs. 1 an sie gewandt hat, hierzu ihr Einverständnis erklärt. (2) Alle Bundesbehörden und sonstigen öffentlichen Stellen im Bereich des Bundes sind verpflichtet, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten bleiben unberührt.
§ 29 Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll bei ihrer Tätigkeit Nichtregierungsorganisationen sowie Einrichtungen, die auf europäischer, Bundes-, Landes- oder regionaler Ebene zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes tätig sind, in geeigneter Form einbeziehen.
§ 30 Beirat (1) Zur Förderung des Dialogs mit gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die sich den Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zum Ziel gesetzt haben, wird der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein Beirat beigeordnet. Der Beirat berät die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei der Vorlage von Berichten und Empfehlungen an den Deutschen Bundestag nach § 27 Abs. 4 und kann hierzu sowie zu wissenschaftlichen Untersuchungen nach § 27 Abs. 3 Nr. 3 eigene Vorschläge unterbreiten. (2) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beruft im Einvernehmen mit der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie den entsprechend zuständigen Beauftragten der Bundesregierung oder des Deutschen Bundestages die Mitglieder dieses Beirats und für jedes Mitglied eine Stellvertretung. In den Beirat sollen Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen sowie Expertinnen und Experten in Benachteiligungsfragen berufen werden. Die Gesamtzahl der Mitglieder des Beirats soll 16 Personen nicht überschreiten. Der Beirat soll zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt sein. (3) Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bedarf.
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(4) Die Mitglieder des Beirats üben die Tätigkeit nach diesem Gesetz ehrenamtlich aus. Sie haben Anspruch auf Aufwandsentschädigung sowie Reisekostenvergütung, Tagegelder und Übernachtungsgelder. Näheres regelt die Geschäftsordnung.
Abschnitt 7 Schlussvorschriften § 31 Unabdingbarkeit Von den Vorschriften dieses Gesetzes kann nicht zu Ungunsten der geschützten Personen abgewichen werden.
§ 32 Schlussbestimmung Soweit in diesem Gesetz nicht Abweichendes bestimmt ist, gelten die allgemeinen Bestimmungen.
§ 33 Übergangsbestimmungen (1) Bei Benachteiligungen nach den §§ 611a, 611b und 612 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder sexuellen Belästigungen nach dem Beschäftigtenschutzgesetz ist das vor dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] maßgebliche Recht anzuwenden. (2) Bei Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft sind die §§ 19 bis 21 nicht auf Schuldverhältnisse anzuwenden, die vor dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] begründet worden sind. Satz 1 gilt nicht für spätere Änderungen von Dauerschuldverhältnissen. (3) Bei Benachteiligungen wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität sind die §§ 19 bis 21 nicht auf Schuldverhältnisse anzuwenden, die vor dem … [einsetzen: Erster Tag des vierten auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalendermonats] begründet worden sind. Satz 1 gilt nicht für spätere Änderungen von Dauerschuldverhältnissen. (4) Auf Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, ist § 19 Abs. 1 nicht anzuwenden, wenn diese vor dem 22. Dezember 2007 begründet worden sind. Satz 1 gilt nicht für spätere Änderungen solcher Schuldverhältnisse.
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Stichwortverzeichnis A Abmahnung 136, 159, 163, 165, 168, 173, 210, 239 Abschreckungswirkung 85, 122, 137, 159, 192, 210 Abwägung 169 AGG 9, 10, 11, 12, 13, 17, 18, 24, 25, 27, 33, 37, 50, 68, 83, 103, 107, 124, 139, 175, 180, 191, 194, 208, 228, 230, 231, 233, 243 Alter 9, 14, 30, 54, 62, 74, 81, 94, 99, 101, 112, 117, 127, 131, 147, 154, 165, 172, 183, 200, 221, 231, 238 Altersgruppe 55 Änderungskündigung 141 Anerkennung 30 Angebote 185 Anonymisierung 219 Anonymität 225 Anspruch auf gleiche Bezahlung 104 Antidiskriminierung 13, 25, 197, 206, 207, 208, 214, 228 Antidiskriminierungsgesetz 13, 230 Antidiskriminierungsrichtlinien 229 Antidiskriminierungsstelle 244 Antidiskriminierungsverbände 244 AntiRassismus 196 Anwendungsbereich 17, 232, 233 Arbeit 232 Arbeitsbedingungen 17, 35, 38, 107, 109, 112, 232 Arbeitsbereich 140 Arbeitsbewertung 88, 93, 101, 102 Arbeitsentgelt 17, 87, 159, 232 Arbeitsgenehmigung 173 Arbeitsgericht 164, 243
Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) 23 Arbeitsinhalt 107, 108, 112, 115, 118, 139 Arbeitsort 107, 108, 111, 114, 115, 118 Arbeitsplatzbeurteilung 93 arbeitsrechtlicher Bereich 14, 17 Arbeitsvertrag 118, 141 Arbeitsverweigerung 122, 136, 159, 210 Arbeitszeit 107, 109, 114, 118 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) 108 Arbeitszeitsystem 114 AssessmentCenter 72 Auditierung 17, 33, 36, 38, 41, 42, 208 Aufbewahrung 65, 84, 103, 120, 134, 157, 175 Aufbewahrungspflicht 24, 65, 135, 157, 175 Aufhebung 161 Aufhebungsvertrag 161, 162 Auflösung des Arbeitsverhältnisses 161, 162, 204 Aus und Weiterbildung 35, 38, 124 Ausbildung 124 Ausgrenzung 51, 60, 71, 79 Aushang 23 Auslauffrist 162 Auslegung 23 Ausschluss 126, 130, 143, 148, 149, 152, 182, 187 außerordentliche Kündigung 162 Auswahl 17, 68 Auswahl nach Eignung 81 Auswahlkriterien 232
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Stichwortverzeichnis Benachteiligung durch Dritte 74 benachteiligungsfrei 13, 48, 68, 83, 87, 93, 107, 124, 139, 150, 151, 156, 161, 168, 174, 180, 186 B benachteiligungsfreie Arbeitsbedingungen 107 Barrierefreiheit 228 benachteiligungsfreie Auswahl 85 Beauftragung von Dritten 83 benachteiligungsfreie Beurteilung Beendigung 161 102 Beförderung 35, 139, 140, 148, 149, benachteiligungsfreie Formulierungen 156, 214 59 Befragung 206, 225 benachteiligungsfreie Gestaltung der Befristung 162 Arbeitsbedingungen 114 Behinderung 9, 14, 28, 30, 55, 63, 75, 77, 92, 94, 101, 113, 128, 148, 166, benachteiligungsfreie Gestaltung der Aus und Weiterbildung 129 184, 200, 231 benachteiligungsfreie Gestaltung der Bekanntmachung 240 Stellenbeschreibung 58 Bekanntmachungspflichten 22, 23 Belästigung 11, 15, 17, 21, 33, 34, 35, benachteiligungsfreie Gestaltung der Vergütung 96 43, 105, 106, 122, 123, 137, 138, 158, 160, 177, 195, 197, 198, 199, benachteiligungsfreie Personalentwicklung 139 209, 210, 216, 235, 237 benachteiligungsfreie Vergütung 87 Belästigungsbeschwerden 209 benachteiligungsfreies belästigungsfrei 13, 194, 202, 213 Arbeitsumfeld 31 belästigungsfreies Umfeld 33 benachteiligungsfreies Bewerber Belästigungsfreiheit 213 Innenauswahlverfahren 68 Belästigungsmerkmal 106, 123 benachteiligungsfreies Gesamtsystem Belästigungspotenzial 33, 44, 45 97, 151 Belästigungsverbot 195 benachteiligungsfreies Beleidigung 173 Vergütungsverfahren 87 benachteiligende Benachteiligungsfreiheit 27, 30, 64, Stellenbeschreibung 66 69, 83 benachteiligendes Benachteiligungsmerkmale 20, 54, Gesamtsystem 93, 147 58, 63, 70, 85, 93, 99, 100, 115, Benachteiligung 11, 13, 16, 17, 21, 119, 144, 146, 152, 165, 171, 186, 22, 24, 33, 34, 35, 37, 41, 44, 48, 189, 204, 205, 213, 220, 231, 234 53, 54, 55, 63, 65, 66, 67, 70, 80, 81, 84, 85, 86, 87, 100, 103, 105, Benachteiligungspotenzial 38, 39, 51, 65, 79, 115, 213 106, 112, 116, 117, 119, 121, 122, 124, 131, 132, 137, 139, 144, 155, Benachteiligungsverbot 14, 17, 19, 20, 21, 26, 54, 60, 69, 73, 79, 122, 157, 158, 159, 168, 171, 173, 176, 137, 159, 178, 180, 188, 192, 195, 177, 178, 180, 182, 190, 191, 198, 210, 220, 230, 232, 233, 234, 240, 199, 203, 205, 216, 231, 235, 238, 242, 243 241 Auswahlprozess 84 Auswahlverfahren 68, 83 Auszubildende 163
264
Stichwortverzeichnis Beratungsrecht 125, 142 Beruf 9 berufliche Anforderungen 237 berufliche Bildung 126, 135 Berufsberatung 232 Berufsbildung 232 Berufsbildungsgesetz (BBiG) 125 Beschäftigtenbefragungen 222 Beschäftigtenschutzgesetz (BeschäftigtenschutzG) 195 Beschäftigung 9, 232 Beschwerde 22, 135, 158, 223, 240 Beschwerdefall 39 Beschwerdemöglichkeiten 33 Beschwerden 240 beschwerdeorientiertes Controlling 214 beschwerdeorientiertes Diversity Controlling 218 Beschwerderecht 223, 242 Beschwerdestelle 19, 22, 23, 103, 121, 135, 158, 176, 209, 240 Beschwerdesystem 223 Beschwerdeverfahren 24 Beseitigung 192 Beseitigungsklage 180 betriebliche Lohngestaltung 88 betriebsbedingte Kündigung 168, 170 Betriebsrat 22, 24, 25, 46, 69, 88, 108, 125, 142, 164, 165, 206, 216, 243 Betriebsratsmitglieder 163 Betriebsvereinbarung 118, 241 Betriebsvereinbarungen 45, 196, 207 Betriebsversammlung 22, 208 Betriebszugehörigkeit 94, 163, 170, 172 Beurteilungsfehler 91, 92, 146 Beweiserleichterung 190 Beweisführung 36, 42, 43, 47, 54 Beweislast 243 Beweislasterleichterung 11, 17, 24, 85, 243
Beweislastumkehr 11 BewerberInnen 68, 72, 84 BewerberInnenauswahl 35, 38, 68, 69, 71, 72, 74, 78, 79, 83, 84, 85 Bewerbungsgespräch 70, 71, 72, 83 Bi oder Transsexuelle 96 Bildung 30 Bildungsmaßnahmen 127, 133 Binnen„I“ 56 Bisexualität 222 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) 108
C Chancengleichheit 125, 196 Coaching 139, 140 Codes of Conduct 45 comfort zone 199 Controlling 152, 187 Controllingarten 213 Corporate Identity 196
D Datenerhebung 73, 219, 220 datenschutzrechtliche Bestimmungen 69, 72 datenschutzrechtliche Grenzen 76, 218, 224 Direktionsrecht 118, 141 Diskriminierung 9, 11, 13 Diskriminierungsverbot 70 Diversity 30, 39, 45, 53, 59, 64, 144, 152, 197, 207, 213 Diversity Policies 45, 207 DiversityControlling 213, 214, 218, 224 DiversityTraining 83, 102, 120, 134, 156, 191 Dokumentation 24, 33, 36, 65, 67, 83, 86, 103, 106, 120, 123, 134, 157, 160, 175, 179, 191, 208, 211, 226 Dokumentationspflicht 19, 24, 25 Duldung 26 Durchschnittsalter 28
265
Stichwortverzeichnis fehlerhafte Abwägung 165 fehlerhafte Sozialauswahl 165 Einstellung 17 Fehlverhalten 169 Einstellungsanspruch 66, 85, 242 Fokusgruppen 208 Einstellungsbedingungen 232 Fokusgruppenbefragung 44, 206, 216, Einstellungstest 75 225, 226 Einwilligung 73, 76, 219, 225 Fördergespräch 139, 140 Elternschaft 186 Fragerecht 73 Elternzeitberechtigte 163 Frauen 28 Entgeltpolititk 94 Entlassung 17, 35, 38, 161, 164, 166, Frauenbeauftragter 25 Freiwilligkeit 225 168 Frist 65, 84, 134, 135, 157, 162, 175, Entlassungsbedingungen 232 191, 241 Entlohnungsgrundsätze 88 Entschädigung 25, 65, 66, 85, 105, 123, 135, 137, 159, 176, 178, 180, G geldwerte Leistungen 87 210, 240 Geltungsbereiche 13 Entschädigungsforderung 66 Entschädigungshöhe 66, 85, 105, 137, Generalprävention 85, 105, 122, 137, 159, 178, 192, 210 159, 178, 210 gerichtliche Auseinandersetzung 84, Erfolgskontrolle 226 134, 165, 169, 212 Erhebung 225 Ermahnung 136, 159, 163, 165, 168, gerichtliches Verfahren 23 Gerichtsverfahren 106, 123, 160, 179 210 Geschlecht 9, 14, 30, 56, 95, 101, Ermittlungskompetenz 23 113, 129, 149, 167, 184, 201, 222 Eskalation 33, 207 Geschlechterproporz 149 Ethnie 101 ethnische Herkunft 9, 14, 55, 75, 95, geschlechtsneutrale Formulierungen 58 113, 128, 148, 167, 184, 201, 221, Geschlechtsneutralität 56 231 geschlossene Strukturen 199 ethnischkulturelle Prägung 30 Gewerkschaft 17, 243 EUAntidiskriminierungsrichtlinien 27, 66, 85, 105, 122, 137, 159, 178, Gleichbehandlung 13, 18, 53, 64, 120, 134, 157, 174, 188, 229, 230, 233 192, 210 Gleichbehandlungsgebot 228 EUGleichbehandlungsrichtlinien 241 Gleichbehandlungsgesetz 9 EURichtlinien 9, 57 Gleichbehandlungsmerkmale 14 Europäische Union 229 Gleichberechtigung 32, 207 Evaluation 225 gleicher Maßstab 97, 151 exkulpieren 84, 209 Gleichstellung 237 externe Personalbeschaffung 132 Gleichstellungsbeauftragte/n 24 Globalisierung 28, 199 F Gratifikationen 87, 93, 99 Fahrlässigkeit 123, 137 grobe Fahrlässigkeit 241 Familienstand 30, 186
E
266
Stichwortverzeichnis Kündigungsschutz 163, 172 Kündigungsschutzvorschriften 163 Heimarbeit 233 Kündigungstermin 164 heterogene Gruppen 226 KundInnenkontakt 180, 186, 190 Heterosexualität 222 Hinweispflichten 22 L HIVInfektion 70, 168, 172 Lebensalter 164, 170 homogene Führungsebene 199 LebenspartnerInnen 96 Homosexualität 222 homosexuelle Frauen und Männer 28 Lebenspartnerschaft 168 Leistung 100 homosexuelle Lebensformen 29 Leistungsbeurteilung 88, 101, 102, 141, 144, 155 I leistungsbezogene Entgelte 88 Identifikation 31 Leistungsklausel 175 Image 12, 182 Leistungsmerkmal 91 Imageschaden 34 Imageverlust 106, 123, 138, 160, 193 Leistungsverweigerung 104, 105, 122, 136, 158, 159, 177, 210 immaterieller Schaden 123, 137 Leistungsverweigerungsrecht 242 Informationspflichten 19, 22 Leitbild 196 Informationsrecht 125, 142 leitender Angestellter 142 Interessenabwägung 175, 220 interne Beschwerdemöglichkeit 207 Leitkultur 197 lesbische Arbeitnehmerinnen 96 interne Richtlinien 45, 202 Lohngerechtigkeit 87 interne Schlichtungsprozesse 207 Lohnwucher 87 Interviews 206 Loyalität 31
H
J Jahresarbeitszeit 110
K Klage 10, 135, 157, 175 Klagefrist 24 Kleiderordnung 118 Kleidungsstil 194 Konfessionszugehörigkeit 70 Kooperation 25, 202, 203 Kooperationspflichten 19, 25 Kulturkreis 77, 148 Kundenkontakt 186 Kündigung 161, 162, 164, 167, 175, 177, 239 Kündigungsfrist 162 Kündigungsgrund 165 Kündigungsrecht 163
M Maßgabenkatalog 64, 82, 102, 119, 133, 156, 174, 190 Maßregelungsverbot 19, 20, 239 materieller Schaden 122, 137 Mentoring 139, 140 Merkmal 13, 38, 48, 51, 53, 55, 61, 72, 101, 152, 154, 187, 219, 230, 236, 237, 242 merkmalsorientierte Einstufung 89, 90, 98, 144, 153 Messinstrumente 224 mildere arbeitsrechtliche Mittel 165, 168 mildere Maßnahmen 21 Minderheiten 16
267
Stichwortverzeichnis MitarbeiterInnenbefragung 44, 206, 216 MitarbeiterInnennetzwerken 208 Mitbestimmungsrecht 46, 69, 88, 108, 125, 142, 216 Mitteilungspflicht 22, 240 mittelbare Belästigung 15 mittelbare Benachteiligung 15, 34, 55, 56, 57, 62, 74, 81, 94, 99, 110, 117, 131, 153, 172, 185, 234, 237 Mobbing 196 Monatsarbeitszeit 110 Monitoring 19
N Networking 139, 140 Netzwerke 194 neutrale Beschreibung und Ausschreibung 58
Personalpraxis 10 Personalprozess 38, 41, 80, 213 Personalstatistiken 214, 218, 221 Personalsuche 54, 60, 69, 74, 79 Personalwesen 9, 10 personenbezogene Daten 73, 218 Persönlichkeitsrecht 241 Persönlichkeitstest 72, 80 Perspektivenwechsel 186, 204 Pflicht zur sozialen Verantwortung 26 Policies (Richtlinien) 40 Policy 64, 156, 174 Policy für Arbeitszeit 119 Positionsbezeichnung 96 Potenzialbeurteilung 141, 145 Prämien 87 Prüfungspflichten 22 Pseudonymisierung 219
Q O Objektivität 97, 151 ordentliche Kündigung 162, 165 Organisationspflichten 19, 20
P Personalakte 142 Personalarbeit 10 Personalauswahl 69 Personalbeschaffung 126, 142, 154 Personalbeurteilung 141, 150 Personalcontrolling 213 Personalentwicklung 35, 38, 139, 142, 149, 150, 156, 157, 159 Personalentwicklungsmaßnahmen 143, 153 Personalförderung 139 Personalfragebogen 69 Personalmanagement 20, 35, 49, 177, 194, 195, 197 Personalmaßnahmen 24 Personalplanung 125, 142 Personalpolitik 142
268
Qualifikation 100, 132, 145, 153, 154, 196 Qualifizierung 191 Qualifizierung von Fach und Führungskräften 33, 37, 42, 64, 82, 102, 119, 133, 156, 174 Qualifizierung von Führungskräften 207 qualitatives Controlling 214 qualitatives DiversityControlling 215 quantitatives Controlling 214 quantitatives DiversityControlling 214
R Rahmenbedingungen 199 Rasse 9, 14, 231 rechtliche Grundlagen 228 Rechtsschutz 211 Religion 9, 14, 28, 30, 57, 95, 101, 114, 129, 149, 167, 185, 202, 222, 231, 232 religiös motivierte Kleidung 118
Stichwortverzeichnis respektloses Miteinander 197 Richtlinien der Europäischen Union 13 RollstuhlfahrerInnen 15 Ruhegelder 87 Ruhepausen 107
S Sachbezüge 87 Sachmittel 107, 108, 112, 115, 118 Sanktionen 20, 33, 46, 85, 105, 122, 137, 159, 192, 203, 210, 212 Sanktionspflichten 21 Schadensersatz 25, 65, 66, 135, 240 Schadensersatzanspruch 24, 122, 137, 159, 178 Schadensersatzforderung 34, 48, 66, 74, 85, 87, 93, 104, 121, 122, 135, 137, 153, 158, 159, 161, 176, 178, 180, 209, 210, 220 Schadensersatzforderungen 192 Schadensersatzforderungen 105 Schadensersatzleistungen 178 Schlichtungskompetenz 23, 207 Schlichtungsstelle 158, 177 Schlichtungsverfahren 24, 244 Schlüsselrolle der Führungskräfte 196, 206 Schriftform 76, 163 Schuldverhältnisse 180 Schulung der Beschäftigten 41 Schulungspflicht 22, 238 Schutzmaßnahmen 54, 204 Schutzpflichten 21 Schwachstellenanalyse 214 Schwangere 163 Schwangerschaft 70, 189 Schwerbehinderte 163 Schwerbehindertenbeauftragter 25, 206 Schwerbehinderteneigenschaft 70 Schwerbehindertenvertretung 78, 97, 115, 130, 151, 170
Schwerbehinderung 70, 97, 164, 167, 170 schwule Arbeitnehmer 29, 96 selbstständige Erwerbstätigkeit 232 Sensibilisierung von Führungskräften 64, 83, 102, 120, 134, 156, 174, 191, 207 sexuelle Belästigung 16, 105, 122, 158, 236 sexuelle Identität 14, 30, 57, 96, 101, 114, 129, 150, 168, 185, 202, 222, 231, 232 sexuelle Orientierung 9 Sonderurlaub 111 Sondervergütungen 87 Sozialauswahl 166, 170, 175 soziale Verantwortung 19, 29, 52 Sozialleistungen 96 statistische Erhebungen 101 Stellenanforderungen 52 Stellenausschreibung 38, 40, 48, 49, 53, 55, 56 Stellenbeschreibung 35, 38, 48, 49, 51, 53, 57, 60, 68, 108 Stereotype 61, 79, 98, 116, 126, 131, 143, 153, 156, 183, 187, 198, 205 stereotype Beschreibung 56 subjektiver Spielraum 199
T Tagesarbeitszeit 109 Tarifvertrag 241 Tarifvertragsparteien 26 Tatbestand 16, 236, 237 Training 64, 83, 134, 156, 174 transparente Ergebnisse 92, 96, 147, 150
U Übergangsbestimmungen 244 Überprüfung 98, 116, 130, 152, 171, 186, 204
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Stichwortverzeichnis Überwachung 59, 79, 98, 116, 130, Versetzung 35, 139, 140, 152, 156, 165, 168, 210, 239 152, 171, 187, 204, 213, 220 Vertragsabschlüsse 184 Überwachungspflicht 19, 25 UltimaRatioPrinzip 163, 165, 168 Vertragsfreiheit 87, 162 Vertragsverhandlungen 184 umgekehrte Diskriminierung 12 Viktimisierungsverbot 239 Umschulung 125, 232 vorbeugende Maßnahmen 21 Umsetzung 163, 239 Ungleichbehandlung 92, 99, 106, 117, Vorbilder 194, 196 123, 131, 137, 146, 160, 171, 172, Vorsatz 123, 137, 241 Vorschlagsrecht 125, 142 178, 188, 192, 211 Vorstellungsgespräch 77, 78 ungleicher Maßstab 92, 147 unmittelbare Benachteiligung 15, 34, Vorurteile 61, 79, 98, 116, 126, 131, 143, 153, 156, 183, 187, 198, 205 74, 96, 149, 150, 166, 234 Unterhaltspflichten 164, 168, 170 W Unterlassung 26, 182, 192 Unterlassungsklage 180 Wehrpflichtige 163 Unternehmensführung 29, 142 Weiterbildung 124, 232 Unternehmenskultur 13, 17, 25, 29, Weiterbildungsveranstaltung 15 43, 44, 45, 139, 177, 194, 196, 197, Weltanschauung 9, 14, 30, 57, 95, 199, 202, 203, 206, 213, 215 101, 114, 129, 149, 167, 185, 202, Unternehmenspolitik 103 222, 231, 232 Unterrichtung der Mitarbeiter 191 Wertschätzung 30, 197, 207 Unterrichtung von Führungskräften Wochenarbeitszeit 109 204 Workshops 83, 134, 156, 174 unzulässige Fragen 80 worst case 158, 209 Urlaub 111 Z Urlaubsgrundsätze 108 ZeugInnen 82 V Ziele 224 zielorientierte Einstufung 89, 91, 145 Vergütung 35, 38, 87, 90, 93, 97 Vergütungssystem 87 Zivildienstleistende 163 verhaltensbedingte Kündigung 169 Zivilrecht 162, 180 Verhaltensrichtlinien 45 zivilrechtlicher Bereich 14, 17 Verjährung 25, 84, 135, 157, 242 Zulagen 87 Vermittlungskompetenz 121, 158, zulässige allgemeine Benachteiligung 176, 209 80, 99 zulässige unterschiedliche Behandlung Vermögensschaden 240 Vernetzung 209, 240 61, 117, 131, 153, 171, 188 Verschulden 123, 160, 211 Zurückbehaltungsrecht 122, 136, 158, 177, 210
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