Handbuch Europarecht Band 2
Europåisches Kartellrecht
Walter Frenz
Handbuch Europarecht Band 2 Europåisches Kartellrecht
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Professor Dr. jur. Walter Frenz, MaÑtre en Droit Public RWTH Aachen Wçllnerstraûe 2 52062 Aachen
[email protected] www.rwth-aachen.de/bur
ISBN-10 3-540-28424-9 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-28424-6 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de ° Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Einbandgestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11543992
64/3153-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Für Edelgard und Hannah
Vorwort
Nach der positiven Aufnahme von Band 1 des auf sechs Bände angelegten Handbuchs Europarecht wird nunmehr der zweite Band vorgelegt. Er behandelt das europäische Kartellrecht, also das unternehmensbezogene Wettbewerbsrecht. Das öffentliche Wettbewerbsrecht, mithin das Beihilfen- und Vergaberecht, hat eine derart rasante Entwicklung genommen und eine so große praktische Bedeutung erlangt, dass ich hierzu einen eigenen und damit den dritten Band meines Handbuches verfassen werde. Auf diese Weise bewege ich mich weiterhin auf einem von der Verfassungsdiskussion losgelösten sicheren Grund, so dass der angestrebte Zwei-Jahres-Rhythmus für das Erscheinen der einzelnen Bände davon unberührt bleibt. Das Kartellrecht hat gerade in den letzten Jahren verschiedene fundamentale Veränderungen erfahren. Diese betrafen vor allem das Verfahrensrecht, hatten aber darüber hinaus noch tiefgreifendere Auswirkungen. Einen wahrhaften Systemwechsel brachte die Verordnung 1/2003, die neue Kartellverfahrensverordnung. Nach ihr müssen die Unternehmen nunmehr selbst beurteilen, ob ihr Verhalten gemeinschaftsrechtskonform ist oder nicht. Das verlangt eine zusätzliche intensive Beschäftigung mit dem Wettbewerbsrecht. Umfassend neu gestaltet wurde auch die Fusionskontrollverordnung; die dazu am 5.3.2005 veröffentlichten Leitlinien der Kommission sind bereits umfassend berücksichtigt. Das gilt ebenfalls für die neuen Gruppenfreistellungsverordnungen, die eine Konzentration und verschiedene inhaltliche Neuerungen brachten. Auch in diesem Band liegt der Schwerpunkt auf der näheren Strukturierung und Bewertung der Rechtsprechung, der im Kartellrecht naturgemäß die Entscheidungspraxis der Kommission an die Seite zu stellen ist. Jüngere, bereits ausführlich dargestellte Entscheidungen betrafen vor allem den Unternehmensbegriff (AOK Bundesverband), das Vorliegen einer Vereinbarung (Bundesverband der Arzneimittelimporteure), die Zurechnung von Wettbewerbsverstößen (Aalborg Portland), die missbräuchliche Vorenthaltung immaterialgüterrechtlich geschützter Leistungen (IMS Health, Microsoft) sowie die Beweisführung bei künftigen Entwicklungen (Tetra Laval). Dadurch wurden zentrale Fragen des EG-Kartellrechts aufgeworfen und zum Teil neu bewertet. Ein solches Werk rasch und möglichst gründlich fertig zu stellen, ist ohne ein eingespieltes Team nicht möglich. Für die kundige und engagierte Unterstützung im rechtlichen Bereich danke ich sehr herzlich meinen jetzigen und früheren wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen Inés Bollwerk, Dr. Andrea Kühl, Dirk Neumann und Kay Lingenberg, dessen allzu früher Tod bei einem tragischen Verkehrsunfall am 18.7.2005 die abschließenden Arbeiten überschattete. Das Manuskript am PC
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Vorwort
betreuten und vereinheitlichten zuverlässig wie immer Frau Sabine Domagala M.A., Ellen Rennen M.A., Claudia Schütt M.A. und Kristina Wimmers M.A. Ihnen danke ich nicht zuletzt sehr herzlich für die mühevolle Erstellung einer druckfertigen Vorlage. Beim Korrekturlesen wirkte auch Frau Christiane Domagala mit. Das rechtzeitige Erscheinen des Buches sicherte die reibungslose Zusammenarbeit mit Frau Brigitte Reschke vom Springer-Verlag. Bei einem solch groß angelegten Werk sind Verbesserungen immer möglich. Über Ihre Hinweise und Anregungen freue ich mich. Sie erreichen mich unter: Univ.-Prof. Dr. jur. Walter Frenz RWTH Aachen Wüllnerstraße 2 52062 Aachen T: (0241) 80-95 691 e-mail:
[email protected] Aachen, im Oktober 2005
Walter Frenz
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis....................................................................... XIII Abkürzungsverzeichnis............................................................ XLIII Teil I Grundlagen.............................................................................1 Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts ................................................................................ 3 §1 §2 §3 §4
Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt.................................... 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten ................................................ 14 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte..................................................... 43 Sondervorschriften .................................................................................. 48
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung .............................................................................. 51 §1 §2
Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ........................................................................................ 51 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts............ 71
Teil II Unternehmenskooperationen und -koordinierungen....101 Kapitel 3 Kartellverbot...........................................................................103 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §7 §8 §9 § 10
Grundstruktur und Zielsetzung .............................................................. 103 Verpflichtete .......................................................................................... 128 Vereinbarungen zwischen Unternehmen .............................................. 145 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen ...................................... 161 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen ........................................ 166 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal ........................................... 182 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung ....... 189 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.......... 237 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen ....................... 254 Rule of Reason?.................................................................................... 267
Kapitel 4 Freistellungen ........................................................................271 §1 §2 §3 §4
System .................................................................................................. 271 Gruppenfreistellungsverordnungen ....................................................... 285 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels ........................................... 310 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher .............................. 330
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Inhaltsübersicht §5 §6 §7
Unerlässlichkeit ..................................................................................... 340 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil................................................................................... 352 Weitere Rechtfertigungsgründe?........................................................... 360
Kapitel 5 Praxis der horizontalen Vereinbarungen ............................ 371 §1 §2 §3 §4
Klassische Kartellabsprachen, Marktaufteilungen, Preisabsprachen .... 371 Strukturkrisenkartelle ............................................................................ 374 Vereinbarungen aus den Leitlinien........................................................ 376 Besondere Kooperationsformen............................................................ 399
Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen................................................ 405 §1 §2 §3
Nichtigkeit.............................................................................................. 405 Unterlassungsansprüche ...................................................................... 409 Schadenersatzansprüche ..................................................................... 410
Teil III Ausnutzung dominanter Stellungen ............................. 415 Kapitel 7 Missbrauchsverbot ................................................................ 417 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §7
Systematik und Bedeutung ................................................................... 417 Beherrschende Stellung ........................................................................ 436 Missbräuchliche Ausnutzung................................................................. 465 Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch mehrere Unternehmen ........................................................................................ 527 Potenzielle Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels ...... 530 Rechtfertigung von Verstößen............................................................... 535 Rechtsfolgen ......................................................................................... 536
Teil IV Kartellverfahren und Fusionskontrolle ........................ 541 Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht .......................................................... 543 §1 §2 §3 §4 §5
Allgemeines........................................................................................... 543 Kommissionsverfahren.......................................................................... 557 Verfahren vor den nationalen Wettbewerbsbehörden ........................... 599 Rechtsschutz......................................................................................... 601 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens .......................................... 609
Kapitel 9 Fusionskontrolle .................................................................... 617 §1 §2 §3 §4 §5
Grundlagen ........................................................................................... 617 Erfasste Zusammenschlüsse ................................................................ 622 Beurteilungsmaßstab ............................................................................ 654 Verfahren .............................................................................................. 684 Entscheidungen und Rechtsschutz ....................................................... 709
Teil V Besonderheiten bei staatlichem Einfluss ..................... 721 Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten.......... 723 §1 §2
Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs ................................... 723 Freistellung bzw. Rechtfertigung ........................................................... 731
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Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte..................................737 §1 §2 §3 §4
Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln ................................... 737 Begrenzte Sonderstellung .....................................................................753 Bestehende Gestaltung......................................................................... 771 Bedeutung von Art. 16 EG .................................................................... 774
Literaturverzeichnis....................................................................791 Rechtsprechungsverzeichnis (EuGH, EuG) .............................819 Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen .......................831 Vorschriftenverzeichnis .............................................................839 Sachwortverzeichnis ..................................................................845
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis............................................................ XLIII Teil I Grundlagen.............................................................................1 Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts ..............................................................3 § 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt ....................... 3 A. Der Wettbewerb als Integrationsfaktor............................................................3 B. Geänderte Integrationsausrichtung ..................................................................5 I. Weitere Verstärkung nach dem VE ........................................................5 II. Eingang in das Wettbewerbsrecht ..........................................................6 C. Leistungssteigerung durch freie Entfaltung im Wettbewerb ...........................7 D. Unverfälschter Wettbewerb .............................................................................8 E. Chancengleichheit als Grundlage ..................................................................10 F. Wettbewerb als Teil des gemeinschaftlichen Wirtschaftssystems.................11 G. Unverfälschter Wettbewerb als System.........................................................13 § 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten..................................... 14 A. Enge sachliche und rechtssystematische Verbindung....................................14 I. Funktionsidentität? ...............................................................................14 II. Funktionszusammenhang .....................................................................15 1. Tatsächlich .......................................................................................15 2. Systematisch ....................................................................................15 III. Vereinigung in allgemeiner Marktfreiheit? ..........................................16 B. Die Wettbewerbsfreiheit als Grundfreiheit....................................................18 I. Begrifflich ............................................................................................18 II. Paralleler Kreis von Berechtigten und möglichen Verpflichteten ........18 III. Andere Durchsetzung ...........................................................................19 IV. Mögliche Gleichstellung mit den herkömmlichen Grundfreiheiten .....20 C. Parallele Struktur ...........................................................................................21 I. Schutz- und Anwendungsbereich .........................................................22 1. Eröffnung .........................................................................................22
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a) Sachlich ....................................................................................... 22 b) Personell ...................................................................................... 24 c) Räumlich ..................................................................................... 24 d) Zeitlich ........................................................................................ 25 2. Begrenzungen .................................................................................. 25 a) Eingegliederte Unternehmen und Personen................................. 26 b) Rule of Reason ............................................................................ 27 c) Wettbewerbsfördernde Maßnahmen............................................ 28 d) De-minimis-Regel ....................................................................... 29 II. Beeinträchtigung .................................................................................. 30 1. Dassonville-Formel.......................................................................... 30 2. Unabhängig von Diskriminierung oder Beschränkung .................... 32 III. Rechtfertigung ...................................................................................... 33 1. Parallele Grundstruktur.................................................................... 33 2. Zur Übertragbarkeit von Rechtfertigungsgründen ........................... 34 a) Praktische Konkordanz................................................................ 35 b) Grundsätzliches zur Übertragung der Cassis-Formel.................. 35 c) Staatliche Maßnahmen ................................................................ 37 d) Private Maßnahmen..................................................................... 38 IV. Rechtfertigungsschranken .................................................................... 39 V. Fazit...................................................................................................... 40 D. Abgrenzung ................................................................................................... 41 § 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte .......................................... 43 A. Abgrenzung und Parallelen ........................................................................... 43 B. Ausfluss grundrechtlicher Schutzpflichten.................................................... 45 C. Überschneidungen ......................................................................................... 46 § 4 Sondervorschriften.......................................................................... 48 A. B. C. D. E.
Verkehrssektor............................................................................................... 48 Landwirtschaft............................................................................................... 49 Kohle und Stahl ............................................................................................. 49 Atomkraft ...................................................................................................... 50 Maßnahmen zur Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen..... 50
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung .................................................................. 51 § 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten................................................................................. 51 A. Entwicklungsstand......................................................................................... 51 I. VO (EG) Nr. 1/2003 als Weichenstellung............................................ 51
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II.
Ursprüngliche Rechtslage.....................................................................52 1. Zuständigkeitsverteilung ..................................................................52 2. Parallele Rechtsordnungen bei Anwendungsvorrang des EGKartellrechts.....................................................................................53 a) Walt Wilhelm ...............................................................................53 b) Guerlain.......................................................................................53 c) Zweigleisiges Verfahren und Bußgeldanrechnung......................54 d) Ausdruck des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts ...54 III. Durchgehender Vorranganspruch bei institutioneller Rücknahme des europäischen Wettbewerbsrechts ...................................................55 B. Materielle Verschränkung von nationalem und europäischem Kartellrecht ....................................................................................................57 I. Notwendige Zusammenschau...............................................................57 II. Stufenübergreifende Durchsetzung des europäischen Kartellrechts.....58 III. Mögliche nationale Sonderwege zur Missbrauchsbekämpfung............60 1. Ansatz ..............................................................................................60 2. Konkretisierung anhand des GWB...................................................61 IV. Ausklammerung nicht wettbewerblicher Zwecke ................................63 C. Organisatorische Verschränkung...................................................................63 I. Miteinander statt Nebeneinander..........................................................63 II. Parallele Zuständigkeit mit Selbsteintrittsrecht der Kommission.........64 1. Zuständigkeitsverteilung ..................................................................64 2. Problem der territorial beschränkten Handlungskompetenz ............65 a) Ansätze in der VO (EG) Nr. 1/2003 ............................................65 b) Konsequenzen der begrenzten nationalen Souveränität...............66 III. Federführung der Kommission .............................................................68 1. Gegenüber nationalen Wettbewerbsbehörden..................................68 2. Gegenüber nationalen Gerichten......................................................69 § 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts.......................................................................... 71 A. Einleitung ......................................................................................................71 B. Erstreckung der EG-Wettbewerbsregeln auf international tätige Unternehmen .................................................................................................72 I. Anwendbarkeit nach dem Auswirkungsprinzip....................................72 1. Grundsätzlicher Inhalt in Abgrenzung zum Territorialitätsprinzip .......................................................................72 2. Durchführungsprinzip ......................................................................73 3. Überlegenheit des Auswirkungsprinzips..........................................74 4. Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht..................................................74 5. Fallbeispiele .....................................................................................76 a) Importe aus Drittstaaten in die Gemeinschaft..............................76 b) Exporte aus der Gemeinschaft in Drittstaaten .............................77
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c) Weltmarktbezogene Wettbewerbsbeschränkungen ..................... 77 6. Durchsetzungshemmnisse................................................................ 78 a) Begrenzte Hoheitsgewalt............................................................. 78 b) Zuständigkeit für die Anwendung europäischen Kartellrechts auf Unternehmen in Drittstaaten.................................................. 78 c) Zustellungen ................................................................................ 78 d) Handlungen im Ermittlungsverfahren ......................................... 79 e) Zwangsvollstreckung................................................................... 81 II. Fusionskontrolle bei Drittstaatsunternehmen ....................................... 81 1. Anwendbarkeit der FKVO (EG) Nr. 139/2004 außerhalb des Gemeinsamen Marktes..................................................................... 81 2. Vollzugsverbot................................................................................. 82 3. Ungleichbehandlungen von EU-Unternehmen in Drittstaaten......... 83 C. Die Zusammenarbeit mit Wettbewerbsbehörden von Drittstaaten am Beispiel der USA........................................................................................... 83 I. Kooperationsabkommen....................................................................... 83 1. Allgemeiner Rahmen ....................................................................... 83 2. Das Abkommen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln der EU und der USA (1991) ............................................................ 84 3. Positive-Comity-Abkommen (1998)................................................ 85 II. Entwicklung der Zusammenarbeit........................................................ 86 D. Zur Vereinbarkeit der EG-Wettbewerbsregeln mit GATT und WTO........... 87 I. Die Regelung des internationalen Wettbewerbs durch GATT und WTO .................................................................................. 87 1. Die Entwicklung des GATT hin zur WTO ...................................... 87 2. Grundstrukturen des WTO-Abkommens ......................................... 87 3. Wesentlicher Inhalt der Regelungen des GATT (1994) und ihre Durchsetzung ................................................................................... 88 II. Die WTO/GATT-Rechtsordnung als Maßstab für das europäische Wettbewerbsrecht................................................................................. 90 1. Die Stellung des WTO/GATT-Abkommens im Gemeinschaftsrecht.......................................................................... 90 2. Die Rechtsprechung des EuGH........................................................ 91 a) Die gemeinschaftsrechtliche Bedeutung des GATT (1947) ........ 91 b) Die WTO-Übereinkünfte und das Gemeinschaftsrecht ............... 92 c) Völkerrechtliche Verträge als Prüfungsmaßstab des EuGH........ 93 3. Die unmittelbare Wirkung des WTO/GATT-Abkommens als Streitpunkt des Wirtschaftsvölkerrechts .......................................... 95 4. Das WTO/GATT-Abkommen als Rechtsordnung........................... 95 III. Die Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EG im Vergleich mit den WTO/GATT-Regeln...................................................................... 98
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Teil II Unternehmenskooperationen und -koordinierungen....101 Kapitel 3 Kartellverbot................................................................103 § 1 Grundstruktur und Zielsetzung ....................................................103 A. Zweck ..........................................................................................................103 I. Spezifische Ergänzung zu den Grundfreiheiten..................................103 II. Freier unternehmerischer Wettbewerb als Selbstwert ........................104 III. Umfassender Wettbewerbsschutz für den Binnenmarkt durch Art. 81 f. EG .......................................................................................105 B. Verhältnis zu den anderen Wettbewerbsregeln............................................106 I. Grundsätzliche Idealkonkurrenz zum Missbrauchsverbot..................106 II. Gegenseitige Beeinflussung und Abgrenzung von Tatbestand und Rechtfertigung ....................................................................................108 III. Zusammenschlüsse von Unternehmen ...............................................109 1. Abgrenzung zur Fusionskontrollverordnung..................................109 2. Vereinbarungen zwischen verbleibenden selbstständigen Unternehmen..................................................................................110 3. Nebenabreden ................................................................................110 IV. Beihilfenverbot ...................................................................................111 V. Öffentliche und monopolartige sowie Versorgungsunternehmen.......112 C. Entwicklung.................................................................................................112 I. Primärrecht .........................................................................................112 II. Sekundärrecht .....................................................................................114 1. Bleibende Bedeutung .....................................................................114 2. Mehrfacher Paradigmenwechsel durch die VO (EG) Nr. 1/2003 ..115 3. Materielle Rücknahme der Wettbewerbskontrolle.........................116 4. Stärkere Einbeziehung der Mitgliedstaaten....................................118 D. Systematik ...................................................................................................119 I. Struktur in Parallele zu den Grundfreiheiten ......................................119 II. Anwendungsbereich ...........................................................................120 1. Persönlich.......................................................................................120 2. Räumlich ........................................................................................121 3. Sachlich..........................................................................................122 III. Beeinträchtigung.................................................................................123 IV. Rechtfertigung ....................................................................................124 V. Prüfungsschema..................................................................................127 § 2 Verpflichtete ...................................................................................128 A. Unternehmen ...............................................................................................128 I. Unternehmensbegriff ..........................................................................128 II. Abgrenzung im Einzelnen ..................................................................129 1. Wirtschaftliche Tätigkeit................................................................129
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a) Allgemein .................................................................................. 129 b) Privater Verbrauch .................................................................... 130 c) Selbstständige und unselbstständige Tätigkeiten....................... 131 aa) Abgrenzung ........................................................................ 131 bb) Handelsvertreter.................................................................. 132 d) Künstlerische, sportliche und soziale Tätigkeiten ..................... 134 e) Sittenwidrige und verbotene Tätigkeiten................................... 136 2. Nicht notwendig rechtlich selbstständiges Rechtssubjekt.............. 136 3. Der Staat als Adressat .................................................................... 137 4. Wirtschaftliche Selbstständigkeit des Unternehmens .................... 139 5. Veränderungen im Unternehmen ................................................... 141 B. Unternehmensvereinigungen....................................................................... 142 C. Geltung für Unternehmen in Drittstaaten .................................................... 144 § 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen .................................... 145 A. Bedeutung und Abgrenzung zu den anderen Verhaltensweisen.................. 145 I. Vielfache Entbehrlichkeit einer genauen Abgrenzung innerhalb des Kartellverbots............................................................................... 145 II. Keine Zusammenfassung zu einem einheitlichen Tatbestand der „Koordinierung“................................................................................. 147 III. Missbrauchsverbot.............................................................................. 147 B. Gemeinsame Willenserklärung ................................................................... 148 I. Verträge.............................................................................................. 148 II. Informelles Verhalten und bloße Willensübereinstimmungen ........... 149 III. Maßgeblichkeit der gemeinsamen wettbewerbsverfälschenden Absicht ............................................................................................... 151 IV. Notwendigkeit freiwilliger Erklärungen............................................. 153 V. Wettbewerbsbezogener Inhalt ............................................................ 154 VI. Keine lediglich einseitigen Erklärungen............................................. 154 VII. Keine Maßnahmen gleicher Wirkung................................................. 156 C. Zwischen Unternehmen............................................................................... 157 I. Verschiedene Unternehmen................................................................ 157 II. Offenheit der Unternehmensform auch für staatliche Unternehmen .. 158 III. Vereinbarung einer Unternehmensvereinigung.................................. 159 § 4 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen .......................... 161 A. B. C. D.
Unternehmensvereinigung als Kooperationsform ....................................... 161 Mögliche Beschlussfassungen..................................................................... 163 Tatsächliche Maßnahmen............................................................................ 164 Zur Frage der Verbindlichkeit ..................................................................... 165
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§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen .............................166 A. Bedeutung und Grundstruktur .....................................................................166 I. Auffangfunktion .................................................................................166 II. Verhältnis von Abstimmung und Verhaltensweise.............................166 1. Keine notwendige Gleichsetzung...................................................166 2. Erforderliche Wettbewerbsverfälschung? ......................................167 3. Notwendigkeit tatsächlichen Marktverhaltens ...............................167 B. Abstimmung ................................................................................................169 I. Rahmenbedingungen ..........................................................................169 II. Nähere Eingrenzung ...........................................................................170 1. Abweichung von autonomem Verhalten als Ansatzpunkt .............170 2. Fühlungnahme und Informationsaustausch....................................171 3. Handeln Dritter ..............................................................................172 4. Horizontale und vertikale Ebene ....................................................173 III. Nachweisbarkeit als Hauptproblem....................................................173 IV. Einzelabgrenzung zu bewusstem Parallelverhalten ............................175 1. Indizien ..........................................................................................175 2. Preispolitik .....................................................................................176 3. Isolation von Teilmärkten ..............................................................177 4. Festigung von Marktpositionen......................................................178 C. Verhalten .....................................................................................................178 I. Große Bandbreite................................................................................178 II. Informationsaustausch ........................................................................180 1. Formen ...........................................................................................180 2. Wettbewerbsrelevanz .....................................................................180 3. Internetmarktplätze ........................................................................181 § 6 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal ................................182 A. Begründung und Definition .........................................................................182 B. Bagatellbekanntmachung.............................................................................183 I. Bedeutung...........................................................................................183 II. Bagatellbekanntmachung 2001...........................................................186 1. Allgemeiner Rahmen .....................................................................186 2. Maßgebliche Martkanteilsschwellen..............................................186 3. Kernbeschränkungen......................................................................187 4. Rechtsfolgen ..................................................................................188 § 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung .....................................................189 A. Struktur ausgehend vom Wortlaut ...............................................................189 I. Verfälschung als Auffangbegriff ........................................................189 II. Wettbewerbsbeeinträchtigung auch Dritter ........................................190
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III. Erfolg oder tauglicher Versuch........................................................... 191 B. Geschützter Wettbewerb ............................................................................. 191 I. Wettbewerbsbegriff ............................................................................ 191 II. Schutz eines wirksamen, unverfälschten Wettbewerbs ...................... 192 III. Freiheit der Unternehmensentscheidungen......................................... 194 1. Wettbewerbsbezogener Gehalt ...................................................... 194 2. Zusammenhang mit der allgemeinen Handlungsfreiheit................ 195 3. Keine Aufladung mit weiteren Gesichtspunkten ........................... 195 IV. Vergleich von natürlichen und künstlichen Marktverhältnissen als Maßstab .............................................................................................. 197 1. Ansatz ............................................................................................ 197 2. Konzentration auf bestimmte Verhaltensweisen............................ 198 3. Horizontale Vereinbarungen .......................................................... 198 4. Entstehen neuen Wettbewerbs ....................................................... 199 5. Vertikale Vereinbarungen .............................................................. 200 a) Naturgemäß enge Verbindung von Herstellern und Vertreibern ................................................................................ 200 b) Selektive Vertriebssysteme ....................................................... 201 6. Informationsaustausch ................................................................... 203 V. Maßgeblicher Markt ........................................................................... 204 1. Verhaltensbestimmter Markt.......................................................... 204 a) Unterschiede zum Missbrauchsverbot....................................... 204 b) Gebiet des Vertrages oder seiner Auswirkungen....................... 205 2. Substituierbarkeit der Leistungen .................................................. 206 3. Kundenperspektive ........................................................................ 207 4. Prüfungsreihenfolge....................................................................... 208 VI. Potenzieller Wettbewerb .................................................................... 209 1. Fähigkeit zum Markteintritt ........................................................... 209 2. Überwindung von Marktzutrittschancen........................................ 211 3. Unternehmerische Zweckmäßigkeit............................................... 212 4. Weiter Schutz................................................................................. 214 VII. Schutz nur des lauteren Wettbewerbs – auch gegen unlauteren Wettbewerb.................................................... 215 1. Lauterkeit nach nationalem Recht.................................................. 215 2. Übernahme in das Kartellverbot .................................................... 217 3. Keine Selbsthilfe............................................................................ 218 C. Absicht oder Effekt ..................................................................................... 219 I. Stufenfolge ......................................................................................... 219 II. Bezweckung ....................................................................................... 220 1. Wettbewerbsbeschränkende Eignung der beabsichtigten Verhaltensweise ............................................................................. 220 2. Konzentration auf sog. Kernbeschränkungen?............................... 221 3. Ausklammerung wirtschaftlich vorteilhafter Vertragstypen.......... 222 4. Anhaltspunkte für eine Bezweckung ............................................. 223
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III.
Bewirkung ..........................................................................................224 1. Grundsätzliches Vorgehen .............................................................224 2. Kausalität als Grundbedingung – auch bei kumulativen Wirkungen ..................................................226 a) Ganzheitliche Betrachtung gleichartiger Vorgänge...................226 b) Adäquanz...................................................................................227 c) Objektive Betrachtung...............................................................228 3. Spürbarkeit.....................................................................................229 D. Beispielskatalog nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG.......................................229 I. Bedeutung...........................................................................................229 II. Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit. a))............................................................230 III. Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen (lit. b))....................233 IV. Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit. c)) ...................235 V. Benachteiligung von Handelspartnern (lit. d))....................................236 VI. Zusammenhanglose zusätzliche Leistungen (lit. e))...........................237 § 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ...........................................................................................237 A. Stellenwert...................................................................................................237 B. Verallgemeinernde Regeln ..........................................................................239 C. Handel zwischen Mitgliedstaaten ................................................................240 I. Einbeziehung aller Leistungsformen und -gebiete .............................240 II. Bei Beschränkung der Koordinierung auf einen Mitgliedstaat...........241 III. Lösung bei Drittstaatsbezug ...............................................................242 1. Unternehmen von außerhalb der EU..............................................242 2. In der EU ansässige Unternehmen auf Drittstaatsmärkten.............243 3. Besonderheiten...............................................................................244 4. Potenzieller Wettbewerb ................................................................245 D. Eignung zur Beeinträchtigung .....................................................................246 I. Genügen potenzieller Beschränkung ..................................................246 II. Antastung der Wettbewerbsstruktur ...................................................247 III. Einbeziehung der Vertragsziele..........................................................248 IV. Gesamtbetrachtung .............................................................................249 V. Notwendiger Tatsachenkern ...............................................................250 VI. Auch indirekte Ursachen ....................................................................250 E. Spürbarkeit ..................................................................................................251 I. Ansatz.................................................................................................251 II. Nähere Anwendung ............................................................................253 § 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen ..........254 A. Einordnung ..................................................................................................254
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B. Relevanz staatlicher Einwirkung ................................................................. 255 I. Hohe Anforderungen für einen Ausschluss unternehmerischer Verantwortlichkeit.............................................................................. 255 II. Einflussnahme durch Gesetz .............................................................. 256 1. Staatliche Rahmengestaltung ......................................................... 256 2. Inhaltliche Vorgaben...................................................................... 258 3. Grundsätzliches Verbleiben unternehmerischer Gestaltungsfreiheit ......................................................................... 258 4. Tatsächliche Kausalität als maßgeblicher Gesichtspunkt .............. 259 III. Einflussnahme durch Druck ............................................................... 261 IV. Staatliche Beteiligung an einer Koordinierung................................... 262 C. Tatbestandslosigkeit umweltbezogenen wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltens?.................................................................................................. 263 D. Tatbestandslosigkeit wettbewerbseröffnender Maßnahmen........................ 265 I. Teleologische Reduktion des Kartellverbots ...................................... 265 II. Grenzen .............................................................................................. 266 § 10 Rule of Reason? ............................................................................ 267
Kapitel 4 Freistellungen ............................................................ 271 § 1 System ............................................................................................ 271 A. Unmittelbare Anwendung der Freistellungstatbestände .............................. 271 I. Legalausnahme................................................................................... 271 1. Entfallen einer Anmeldung und vorherigen Entscheidung ............ 271 2. Notwendige Selbsteinschätzung von Unternehmen ....................... 272 II. Vereinbarkeit mit dem System des Kartellverbots ............................. 274 1. Wortlaut ......................................................................................... 274 2. Hinreichende Bestimmtheit............................................................ 276 III. Leitlinien ............................................................................................ 277 B. Gruppenfreistellungen ................................................................................. 278 I. Eigenständige Bedeutung im Rahmen des Kartellverbots.................. 278 1. Fortbestehende Verordnungsermächtigung und -funktion............. 278 2. Konkretisierungsfunktion auch bei unmittelbarer Wirkung........... 279 3. Einbettung in den primärrechtlichen Rahmen und Parallelfunktion.............................................................................. 280 II. Standort und Prüfungsreihenfolge ...................................................... 281 C. Einzelfreistellungen..................................................................................... 282 I. Verhältnis zu Gruppenfreistellungsverordnungen .............................. 282 II. Kumulative Voraussetzungen............................................................. 283 III. Beweislast der Unternehmen .............................................................. 284
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§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen ............................................285 A. Allgemeine Anforderungen .........................................................................285 B. Gesamtsystem..............................................................................................287 I. Abgedeckte Bereiche..........................................................................287 II. Typische Merkmale ............................................................................289 C. Einzelne Gruppenfreistellungsverordnungen ..............................................291 I. Vertikale Koordinierungen (VO (EG) Nr. 2790/1999).......................291 1. Konzeption.....................................................................................291 2. Erfasste Koordinierungen...............................................................291 3. Erforderliche Marktanteilsschwellen .............................................294 4. Kernbeschränkungen......................................................................295 II. Technologietransfer (VO (EG) Nr. 772/2004)....................................297 1. Erfasste Vereinbarungen: Ablösung und Erweiterung der VO (EG) Nr. 240/96.......................................................................297 2. Marktanteilsschwellen ...................................................................298 3. Anwendungsausschlüsse ................................................................298 4. Kernbeschränkungen......................................................................299 5. Ausgenommene Beschränkungen ..................................................301 III. Kraftfahrzeugwesen (VO (EG) Nr. 1400/2002) .................................301 1. Einordnung und Anwendungsbereich ............................................301 2. Kernbeschränkungen......................................................................303 3. Weitere Verhaltensanforderungen..................................................305 IV. Horizontale Vereinbarungen...............................................................305 V. Spezialisierungsvereinbarungen (VO (EG) Nr. 2658/2000)...............306 VI. Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (VO (EG) Nr. 2659/2000) ..................................................................307 1. Anwendungsbereich.......................................................................307 2. Begrenzungen ................................................................................307 3. Entzug ............................................................................................308 VII. Versicherungssektor (VO (EG) Nr. 358/2003)...................................308 § 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels ...............................310 A. Grundstruktur ..............................................................................................310 I. Notwendigkeit spürbarer Vorteile ......................................................310 II. Besonders gravierende Vor- und Nachteile ........................................311 III. Wertungsoffener Wortlaut..................................................................313 B. Ausfüllung durch den Gemeinsamen Markt................................................313 I. Ansatz.................................................................................................313 II. Relevante Politikfelder .......................................................................314 III. Gleichberechtigte Abwägung der aufeinander treffenden Komponenten .....................................................................................316 IV. Auch kein Vorrang des Umweltschutzes............................................317
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C. Hinreichende Wahrscheinlichkeit direkter Effizienzgewinne ..................... 318 I. Zukunftsbezogene Betrachtung .......................................................... 318 II. Beweislast für Unternehmen .............................................................. 319 III. Zubilligung von Unsicherheiten ......................................................... 320 IV. Wahrscheinlichkeitsbeurteilung ......................................................... 321 V. Objektive Tatsachengrundlage ........................................................... 321 D. Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung ................................... 322 I. Warenerzeugung................................................................................. 322 II. Warenverteilung ................................................................................. 324 III. Verbesserung ...................................................................................... 324 E. Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts...................... 325 I. Technischer Fortschritt....................................................................... 325 II. Wirtschaftlicher Forschritt.................................................................. 326 F. Umweltschutz als zusätzlicher Freistellungsgrund? .................................... 328 G. Keine notwendige Kohärenz mit gemeinschaftlichen oder nationalen Zielen........................................................................................................... 329 § 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher .................. 330 A. Verbraucher................................................................................................. 330 B. Gewinn ........................................................................................................ 331 I. Notwendiger hinreichender Verbraucherbezug.................................. 331 II. Hinreichende Wahrscheinlichkeit....................................................... 332 III. Finanzielle Vorteile ............................................................................ 333 IV. Leistungsverbesserungen.................................................................... 334 V. Verbesserung von Gemeinwohlbelangen ........................................... 335 VI. Früherer Erfolgseintritt....................................................................... 337 C. Angemessene Gewinnbeteiligung ............................................................... 337 I. Abwägung der Vor- und Nachteile für den Verbraucher ................... 337 II. Überwiegen der Vorteile .................................................................... 338 § 5 Unerlässlichkeit ............................................................................. 340 A. Durchgehende Erforderlichkeitsprüfung in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht........................................................................................ 340 I. Kein milderes unternehmerisches Mittel ............................................ 340 II. Sachlich .............................................................................................. 341 1. Typenabhängigkeit......................................................................... 341 2. Anhaltspunkte aus den Gruppenfreistellungsverordnungen........... 343 3. Stufenbezogenheit.......................................................................... 345 III. Zeitlich ............................................................................................... 346 IV. Räumlich ............................................................................................ 347 V. Keine partielle Reduktion................................................................... 347 B. Frühere Zielerreichung ................................................................................ 348 C. Inkaufnahme eines höheren Kostenaufwandes............................................ 349
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D. Ausgrenzung von Konkurrenten aus anderen Mitgliedstaaten ....................350 E. Das Problem der Prognoseunsicherheiten ...................................................351 § 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil ...........................................................................352 A. Keine Fähigkeit zur Verdrängung der Konkurrenz .....................................352 B. Bezug zur Innehabung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG ...................................................................................................353 C. Untersuchungsansatz ...................................................................................354 D. Gleitender Maßstab .....................................................................................355 E. Restwettbewerb bei flächendeckenden Kooperationen ...............................357 I. Gesamtbetrachtung verschiedener Wettbewerbsmöglichkeiten .........357 II. Möglichkeit des Marktzugangs...........................................................358 § 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?.................................................360 A. Begrenzte analoge Anwendung der Schranken der Warenverkehrsfreiheit .................................................................................360 I. Entwicklungsstand..............................................................................360 1. Übertragung der im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit entwickelten Rechtfertigungsgründe..............................................360 2. Weitere Annäherung der Wettbewerbsfreiheit an die Grundfreiheiten ..............................................................................361 II. Begrenzte Auflockerung des unterschiedlichen personellen Bezugs 362 III. Ableitung privater Spielräume aus Bürgernähe und Subsidiarität......364 B. Praktische Konkordanz mit Gemeinschaftszielen .......................................366 I. Notwendigkeit ....................................................................................366 II. Durchführung im Rahmen der vorhandenen Freistellungsgründe ......367
Kapitel 5 Praxis der horizontalen Vereinbarungen..................371 § 1 Klassische Kartellabsprachen, Marktaufteilungen, Preisabsprachen............................................................................371 A. Allgemeines.................................................................................................371 B. Wettbewerbsbeschränkung..........................................................................371 C. Freistellung ..................................................................................................373 § 2 Strukturkrisenkartelle....................................................................374 A. Allgemeines.................................................................................................374 B. Freistellung ..................................................................................................375
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§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien.............................................. 376 A. Allgemeines................................................................................................. 376 B. Gemeinsame Forschung und Entwicklung .................................................. 377 I. Allgemeines........................................................................................ 377 II. Wettbewerbsbeschränkung................................................................. 377 III. Spürbarkeit ......................................................................................... 379 IV. Gruppenfreistellung............................................................................ 380 V. Einzelfreistellung................................................................................ 380 C. Produktions- und Spezialisierungsvereinbarungen...................................... 382 I. Allgemeines........................................................................................ 382 II. Wettbewerbsbeschränkung................................................................. 383 III. Spürbarkeit ......................................................................................... 384 IV. Freistellung......................................................................................... 385 1. Gruppenfreistellung ....................................................................... 385 2. Einzelfreistellung ........................................................................... 386 D. Einkaufsvereinbarungen .............................................................................. 387 I. Allgemeines........................................................................................ 387 II. Spürbare Wettbewerbsbeschränkung ................................................. 388 III. Freistellung......................................................................................... 389 E. Gemeinsame Vermarktung.......................................................................... 390 I. Allgemeines........................................................................................ 390 II. Wettbewerbsbeschränkung................................................................. 391 III. Spürbarkeit und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 392 IV. Freistellung......................................................................................... 393 F.Normen- und Typenvereinbarungen.............................................................. 395 I. Allgemeines........................................................................................ 395 II. Spürbare Wettbewerbsbeschränkung ................................................. 395 III. Freistellung......................................................................................... 396 G. Umweltschutzvereinbarungen ..................................................................... 397 I. Allgemeines........................................................................................ 397 II. Spürbare Wettbewerbsbeschränkung ................................................. 398 III. Freistellung......................................................................................... 399 § 4 Besondere Kooperationsformen.................................................. 399 A. Marktinformationsverfahren und Informationsaustausch............................ 399 I. Allgemeines........................................................................................ 399 II. Wettbewerbsbeschränkung................................................................. 400 III. Freistellung......................................................................................... 402 B. Arbeitsgemeinschaften ................................................................................ 402 I. Allgemeines........................................................................................ 402 II. Wettbewerbsbeschränkung................................................................. 403
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Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen .....................................405 § 1 Nichtigkeit.......................................................................................405 A. B. C. D.
Einbindung in das gesamte Kartellverbot....................................................405 Unmittelbares Eingreifen.............................................................................405 Absolutheit ..................................................................................................406 Begrenzte sachliche Reichweite ..................................................................407
§ 2 Unterlassungsansprüche..............................................................409 § 3 Schadenersatzansprüche .............................................................410 A. B. C. D.
Anwendbares Recht.....................................................................................410 Gerichtsstand ...............................................................................................411 Effektivität...................................................................................................411 Grundvoraussetzungen ................................................................................412
Teil III Ausnutzung dominanter Stellungen ..............................415 Kapitel 7 Missbrauchsverbot .....................................................417 § 1 Systematik und Bedeutung ..........................................................417 A. Grundlagenfunktion für den Binnenmarkt...................................................417 B. Missbrauchsverbot als Garant funktionsfähigen Restwettbewerbs..............419 C. Umfassende Schutzwirkung ........................................................................420 I. Einbeziehung der Wettbewerbsstruktur..............................................420 II. Kein Kausalitätserfordernis ................................................................421 III. Positionsverstärkung...........................................................................422 D. Abgrenzung zu anderen Wettbewerbstatbeständen .....................................423 I. Kartellverbot.......................................................................................423 1. Einheit mit Unterschieden..............................................................423 2. Ergänzungsverhältnis .....................................................................425 II. Fusionskontrollverordnung.................................................................427 III. Art. 86 EG ..........................................................................................428 E. Unmittelbar wirkendes Verbot ....................................................................430 F. Systematik des Missbrauchsverbots ............................................................431 I. Aufbau im Vergleich zum Kartellverbot ............................................431 1. Grundstruktur.................................................................................431 2. Beispielstatbestände .......................................................................432 3. Keine Freistellung ..........................................................................432 4. Keine Rechtsfolgenanordnung .......................................................433 II. Anwendungsbereich ...........................................................................433 1. Persönlich und räumlich.................................................................433
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2. Sachlich.......................................................................................... 434 III. Mögliche Beeinträchtigung ................................................................ 434 IV. Prüfungsschema.................................................................................. 435 § 2 Beherrschende Stellung ............................................................... 436 A. Primärrechtliche Anhaltspunkte .................................................................. 436 I. Fähigkeit zu marktunabhängigem Verhalten...................................... 436 II. Beherrschung des Wettbewerbs.......................................................... 437 III. EGKS ................................................................................................. 438 IV. Mögliche Betroffene........................................................................... 439 V. Ursachenunabhängigkeit .................................................................... 439 B. Relevanter Markt......................................................................................... 440 I. Bedeutung und Kontext...................................................................... 440 II. Substituierbarkeit der Leistungen als Kernkriterium.......................... 442 1. Maßgebliche Sicht der Abnehmer.................................................. 442 2. Eigenschaften als Ausgangspunkt.................................................. 443 3. Massenprodukte ............................................................................. 444 4. Enge Märkte................................................................................... 444 5. Austausch des Abnehmers ............................................................. 445 6. Kreuzpreiselastizität....................................................................... 446 III. Räumlich relevanter Markt................................................................. 446 1. Nachfrageverhalten als Ausgangspunkt......................................... 446 2. Angebotsbegrenzung...................................................................... 448 3. Erforderliche Wesentlichkeit des relevanten Marktes.................... 449 IV. Zeitlich parallele Wettbewerbssituation ............................................. 451 C. Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung ......................................... 452 I. Relevante Aspekte und deren Gewichtung......................................... 452 II. Berechnung des Marktanteils ............................................................. 453 III. Folgerungen........................................................................................ 454 IV. Gleitender Maßstab je nach Marktanteil............................................. 455 1. Hoher Marktanteil als hinreichende Größe .................................... 455 2. Hinzunahme weiterer Gesichtspunkte............................................ 456 3. Niedrige Marktanteile .................................................................... 457 V. Marktzutrittsschranken ....................................................................... 458 VI. Struktur des Marktführers................................................................... 459 1. Bedeutung ...................................................................................... 459 2. Kommerzielle Überlegenheit ......................................................... 460 3. Bedeutung der Unternehmensgröße............................................... 461 4. Technologische Leistungsfähigkeit................................................ 462 5. Nachfragemacht ............................................................................. 462 VII. Einbeziehung von Marktverhalten und Marktergebnissen ................. 463
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§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung.......................................................465 A. Umfassende Einbeziehung wettbewerbsverfälschenden Verhaltens ...........465 I. Vermeintlich enger Wortlaut ..............................................................465 II. Teleologische Auslegung ...................................................................466 III. Offenheit des Tatbestandes.................................................................468 1. Beispielstatbestände .......................................................................468 2. Generalklausel................................................................................469 3. Zusammenschau.............................................................................469 B. Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen (Art. 82 lit. a) EG)...470 I. Weiter Anwendungsbereich der Erzwingung .....................................470 II. Unangemessene Einkaufs- oder Verkaufspreise.................................472 1. Zentrale Bedeutung ........................................................................472 2. Preisvergleich im Hinblick auf die Gestehungskosten...................473 a) Ermittlung..................................................................................473 b) Pflicht zur Effizienz...................................................................473 c) Regionale Unterschiede.............................................................474 d) Erzielung von Gewinn ...............................................................475 3. Vergleich mit Preisen auf anderen Märkten...................................475 a) Möglichkeit ...............................................................................475 b) Zeitlicher Vergleichsmarkt ........................................................476 c) Sachlicher Vergleichsmarkt.......................................................476 d) Räumlicher Vergleichsmarkt .....................................................476 III. Unangemessene Geschäftsbedingungen .............................................477 1. Geschäftsbedingungen ...................................................................477 2. Unangemessenheit .........................................................................478 3. Erzwingung ....................................................................................479 C. Einschränkung von Erzeugung, Absatz oder technischer Entwicklung mit Verbraucherschaden (Art. 82 lit. b) EG) ...............................................479 I. Weite Konzeption und Ergänzung durch die Generalklausel .............479 II. Einschränkung der technischen Entwicklung .....................................480 1. Bedeutung ......................................................................................480 2. Vorenthaltung ................................................................................481 3. Positives Handeln...........................................................................481 III. Einschränkung der Erzeugung............................................................482 1. Produktionsreduzierungen und -einstellungen ...............................482 2. Vereinbarungen..............................................................................483 3. Lieferungsverweigerung ................................................................483 a) Erfasste Konstellationen ............................................................483 b) Wettbewerbsausschluss nur auf einem abgeleiteten Markt?......484 c) Abgrenzung zur essential facilities doctrine..............................485 4. Lizenzverweigerung.......................................................................486 a) Magill: Verbindung von Lieferungs- und Lizenzverweigerung ..................................................................486
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b) IMS Health: Marktzutritt ........................................................... 486 c) Microsoft: Schutz vor Verdrängung .......................................... 487 aa) Abhängigkeit von Wettbewerbern durch künstliche Leistungsverknüpfung ........................................................ 487 bb) Gleichbehandlung von neuen Wettbewerbern? .................. 488 cc) Entwicklungsstillstand? ...................................................... 489 IV. Einschränkung des Absatzes, insbesondere Leistungsverweigerung 490 1. Bei fehlenden vernünftigen wirtschaftlichen Interessen ................ 490 2. Leistungsverweigerung als Einschränkung des Absatzes .............. 491 3. Vielfältige Formen der Absatzeinschränkung................................ 492 a) Verbote und Nachteile............................................................... 492 b) Rabatte....................................................................................... 493 c) Indirekte Beschränkungen ......................................................... 494 D. Diskriminierung von Handelspartnern (Art. 82 lit. c) EG).......................... 495 I. Überschneidungen und Abgrenzung .................................................. 495 1. Zerfließen mit den anderen Beispielstatbeständen......................... 495 2. Allgemeines Diskriminierungsverbot ............................................ 495 3. Generalklausel ............................................................................... 496 4. Kartellverbot .................................................................................. 496 II. Unterschiedliche Bedingungen........................................................... 496 1. Leistungsbezogenheit..................................................................... 496 2. Marktbezogenheit .......................................................................... 497 3. Weitere Rechtfertigungen von Unterschieden ............................... 498 III. Gleichwertigkeit der Leistungen ........................................................ 500 1. Bezugspunkt................................................................................... 500 2. Wertende Betrachtung ................................................................... 500 3. Marktbezogenheit .......................................................................... 501 4. Normalqualität ............................................................................... 502 IV. Gegenüber Handelspartnern ............................................................... 502 V. Benachteiligung im Wettbewerb ........................................................ 503 E. Sachfremde Zusatzleistungen (Art. 82 lit. d) EG) ....................................... 504 I. Bedeutung........................................................................................... 504 II. Abschluss eines Abnahmevertrages als Hauptgeschäft ...................... 504 III. Zusatzleistungen................................................................................. 506 IV. Sachlicher oder brauchmäßiger Bezug ............................................... 507 F. Generalklausel nach Art. 82 S. 1 EG........................................................... 509 I. Lückenfunktion und eigene Bedeutung .............................................. 509 II. Diskriminierungen.............................................................................. 510 1. Fallgruppen .................................................................................... 510 2. Mittelbare Diskriminierungen........................................................ 510 3. Diskriminierung von Endverbrauchern.......................................... 511 III. Geschäftsverweigerung ...................................................................... 511 1. Verbindung zu den Beispielstatbeständen ..................................... 511 2. Monopole – vor allem für Infrastruktur ......................................... 513
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a) Essential facilities......................................................................513 b) Notwendigkeit einer Zugangsberechtigung ...............................514 c) Zugangsschranken .....................................................................515 IV. Behinderung von Wettbewerb ............................................................516 1. Vielfältige Verbindung zu den Beispielstatbeständen....................516 2. Niedrigpreise..................................................................................517 a) Keine hinreichende Erfassung durch die Beispielstatbestände..517 b) Kostenermittlung .......................................................................518 c) Einbeziehung weiterer Umstände ..............................................518 d) Besonderheiten bei Einkaufspreisen..........................................519 e) Rechtsfolgen ..............................................................................520 f) Anwendung in netzgebundenen Wirtschaftszweigen ................520 3. Auffangklausel ...............................................................................521 V. Unternehmenszusammenschlüsse.......................................................522 1. Anwendungsbereich der Generalklausel........................................522 2. Voraussetzungen und Vielfalt der Konstellationen........................523 a) Ansatz........................................................................................523 b) Effektive Kontrolle ....................................................................523 c) Einfluss auf die Geschäftspolitik ...............................................523 d) Vertikale und horizontale Zusammenschlüsse...........................524 e) Nicht Begründung einer marktbeherrschenden Stellung ...........524 3. Missbräuche ...................................................................................525 § 4 Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch mehrere Unternehmen..................................................................................527 A. Begründung einer beherrschenden Stellung ................................................527 B. Gemeinsame missbräuchliche Ausnutzung .................................................530 § 5 Potenzielle Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels ...........................................................................................530 A. Notwendige Transnationalität......................................................................530 B. Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel oder die Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt ............................................531 I. Gefährdungsklausel ............................................................................531 II. Die Antastungen der Wettbewerbsstruktur.........................................532 C. Spürbarkeit ..................................................................................................534 § 6 Rechtfertigung von Verstößen .....................................................535 § 7 Rechtsfolgen ..................................................................................536 A. Effektives Verbot.........................................................................................536 B. Unwirksamkeit ............................................................................................537
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C. Die Grenzen der Nichtigkeit........................................................................ 538 D. Unterlassung und Schadensersatz................................................................ 538
Teil IV Kartellverfahren und Fusionskontrolle ........................ 541 Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht............................................... 543 § 1 Allgemeines.................................................................................... 543 A. Einführung................................................................................................... 543 B. Behördenzuständigkeiten ............................................................................ 544 I. Auf Gemeinschaftsebene.................................................................... 544 II. Auf nationaler Ebene.......................................................................... 544 III. Das Netzwerk der Wettbewerbsbehörden .......................................... 545 1. Die Zusammenarbeit...................................................................... 545 a) Allgemeines............................................................................... 545 b) Selbsteintrittsrecht der Kommission.......................................... 546 c) Austausch von Informationen.................................................... 548 d) Aussetzung oder Einstellung des Verfahrens ............................ 549 2. Der Beratende Ausschuss .............................................................. 550 a) Anhörung des Beratenden Ausschusses .................................... 550 b) Sonstige Aufgaben des Beratenden Ausschusses ...................... 551 3. Amtshilfe ....................................................................................... 552 4. Konkurrenzen................................................................................. 552 a) Grundsätze der Fallverteilung nach der Netzwerkbekanntmachung ........................................................ 552 b) Rechte der betroffenen Unternehmen und Kronzeugenprogramme ............................................................. 553 C. Verhältnis Gemeinschaftsrecht und nationales Recht ................................. 555 I. Materiell-rechtlich .............................................................................. 555 II. Verfahrensrechtlich ............................................................................ 556 1. Grundsatz ....................................................................................... 556 2. Vorgaben der VO (EG) Nr. 1/2003................................................ 556 § 2 Kommissionsverfahren................................................................. 557 A. Einleitung und Aktivitäten im Vorfeld........................................................ 557 B. Ermittlungsbefugnisse ................................................................................. 558 I. Bedeutung........................................................................................... 558 II. Untersuchung bestimmter Wirtschaftszweige (Art. 17 VO (EG) Nr. 1/2003) ............................................................ 559 III. Auskunftsverlangen (Art. 18 VO (EG) Nr. 1/2003) ........................... 560 1. Einfaches Auskunftsverlangen....................................................... 560 2. Qualifiziertes Auskunftsverlangen................................................. 560 3. Wahlrecht der Kommission ........................................................... 561
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4. Wirkungen eines Auskunftsverlangens..........................................561 IV. Befragungen (Art. 19 VO (EG) Nr. 1/2003).......................................562 V. Nachprüfungen (Art. 20, 21 VO (EG) Nr. 1/2003).............................562 1. Allgemeiner Rahmen .....................................................................562 2. Verfahrensregelungen ....................................................................563 3. Befragungen bei einer Nachprüfung ..............................................564 a) Verfahrensregelungen................................................................564 b) Zulässigkeit von Anschlussfragen .............................................564 c) Sanktionen für das Unternehmen...............................................565 4. Auswirkungen einer Nachprüfung .................................................566 5. Rechtsschutz im Fall einer Nachprüfung .......................................567 6. Sonderfall: Nachprüfungen in privaten Räumlichkeiten (Art. 21 VO (EG) Nr. 1/2003)........................................................568 a) Verfahrensregelungen................................................................568 b) Grundrechtliche Implikationen..................................................569 C. Verfahrensgrundsätze ..................................................................................569 I. Anspruch auf rechtliches Gehör .........................................................570 1. Information als Grundlage .............................................................570 2. Schriftliche Stellungnahme ............................................................571 3. Mündliche Verhandlung ................................................................571 4. Teilnahme an einer Anhörung........................................................572 5. Fallzusammenfassung und Information über weiteres Vorgehen ..572 II. Akteneinsicht......................................................................................572 III. Schutz von Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Informationen .....................................................................................573 IV. Legal Professional Privilege ...............................................................574 V. Auskunftsverweigerungsrechte...........................................................575 D. Mögliche Handlungsweisen der Kommission .............................................576 I. Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen (Art. 7 VO (EG) Nr. 1/2003) ..............................................................577 1. Abstellung von Zuwiderhandlungen ..............................................577 2. Feststellung von Zuwiderhandlungen ............................................578 II. Einstweilige Maßnahmen (Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003).....................578 III. Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003).........................579 1. Einordnung.....................................................................................579 2. Nähere Handhabung.......................................................................579 a) Anwendungsbereich ..................................................................579 b) Verfahrenserfordernisse.............................................................580 c) Materielle Anforderungen .........................................................581 3. Nur begrenzte Rechtsfolgen...........................................................581 a) Bindung der Kommission und der Unternehmen ......................581 b) Fehlende Bindung nationaler Gerichte und Behörden...............583 IV. Feststellung der Nichtanwendbarkeit (Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003) ............................................................584
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V. Beratungsschreiben ............................................................................ 585 VI. Entzug des Rechtsvorteils einer GVO (Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003) ............................................................ 587 E. Sanktionen................................................................................................... 587 I. Bußgeld (Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003).............................................. 588 1. Ansatzpunkte ................................................................................. 588 2. Bemessung ..................................................................................... 588 a) Grundlagen ................................................................................ 588 b) Leitlinien der Kommission ........................................................ 589 c) Kronzeugenregelung ................................................................. 591 d) Allgemeine Grenzen.................................................................. 592 e) Anpassung durch die Rechtsprechung....................................... 592 3. Zahlungspflicht .............................................................................. 593 4. Verwaltungsrechtliche Sanktionen ohne strafrechtlichen Charakter........................................................................................ 594 5. Zwangsvollstreckung ..................................................................... 595 II. Zwangsgeld (Art. 24 VO (EG) Nr. 1/2003)........................................ 596 III. Verjährung (Art. 25 f. VO (EG) Nr. 1/2003)...................................... 596 IV. Ne bis in idem .................................................................................... 597 1. Doppelbestrafungsverbot ............................................................... 597 2. Anrechnung von Bußgeldern innerhalb der EU............................. 597 3. Keine Anrechnung außerhalb der EU verhängter Bußgelder......... 598 § 3 Verfahren vor den nationalen Wettbewerbsbehörden............... 599 A. Allgemeines................................................................................................. 599 B. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003.......................................................................... 600 § 4 Rechtsschutz ................................................................................. 601 A. Gegen Entscheidungen der Kommission..................................................... 601 I. Allgemeines........................................................................................ 601 1. System............................................................................................ 601 2. Prüfungsdichte im Wandel............................................................. 602 II. Sonderfälle ......................................................................................... 603 1. Buß- und Zwangsgelder................................................................. 603 2. Konkurrentenrechtsschutz.............................................................. 603 3. Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003) .................... 604 4. Einstweilige Maßnahmen (Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003)................ 605 B. Gegen Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden.................... 606 I. Allgemeines........................................................................................ 606 II. Regelungen der VO (EG) Nr. 1/2003................................................. 606 1. Art. 35 Abs. 3, 4 VO (EG) Nr. 1/2003........................................... 606 2. Art. 15, 16 VO (EG) Nr. 1/2003 .................................................... 607
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C. Zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellverbots vor nationalen Gerichten .....................................................................................................608 I. Allgemeines........................................................................................608 II. Beweislast (Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003) ............................................608 § 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens ...............................609 A. Zulässigkeit einer Beschwerde ....................................................................609 I. Formale Anforderungen .....................................................................609 II. Berechtigtes Interesse .........................................................................610 B. Verfahrensablauf .........................................................................................611 I. Gemeinschaftsinteresse ......................................................................611 II. Schwerpunkte der Prüfung durch die Kommission ............................611 III. Verfahren bei der Behandlung einer Beschwerde ..............................612 1. Verfahrensschritte ..........................................................................612 2. Rechte des Beschwerdeführers ......................................................613 a) Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission .................613 b) Zurückweisung der Beschwerde durch die Kommission...........614 C. Alternative: Klage vor einem nationalen Gericht ........................................615
Kapitel 9 Fusionskontrolle .........................................................617 § 1 Grundlagen.....................................................................................617 A. Rechtsregime ...............................................................................................617 B. Zwischen Wettbewerbsbeeinträchtigung und -förderung ............................617 C. Ansätze des EuGH.......................................................................................618 I. Continental Can..................................................................................618 II. Philip Morris ......................................................................................619 D. Vorverlagerung des primärrechtlichen Wettbewerbsschutzes .....................621 § 2 Erfasste Zusammenschlüsse .......................................................622 A. Systematik ...................................................................................................622 B. Zusammenschluss........................................................................................622 I. Zwischen zwei selbstständigen Unternehmen ....................................622 II. Kontrollerwerb als maßgebliches Kriterium.......................................623 III. Rechtliche und wirtschaftliche Fusionen............................................623 IV. Kontrollerwerb ...................................................................................624 V. Vermögenserwerb...............................................................................625 VI. Einflusserwerb....................................................................................626 1. Anteilserwerb.................................................................................626 2. Verträge..........................................................................................627 3. Sonstige Kontrollfaktoren ..............................................................628 4. Gemeinsamer Kontrollerwerb........................................................629
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VII. Gemeinschaftsunternehmen ............................................................... 630 1. Zwischen Fusionskontrolle und Kartellverbot ............................... 630 2. Vorliegen eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens .......... 631 a) Wirtschaftlich völlig selbstständige Einheit .............................. 631 b) Auf Dauer.................................................................................. 633 c) Koordinierung mit Gründerunternehmen .................................. 633 3. Kartellverbot innerhalb der Fusionskontrolle ................................ 634 a) Doppelkontrolle im Fusionsverfahren ....................................... 634 b) Grenzen ..................................................................................... 635 aa) Ausklammerung der Gründung .......................................... 635 bb) Rechtswidrige Gründungen ................................................ 635 cc) Spätere Verhaltensweisen................................................... 636 c) Vorrang des Primärrechts .......................................................... 636 d) Besonders zu prüfende Aspekte ................................................ 637 aa) Grundlagen ......................................................................... 637 bb) Marktpräsenz mindestens zweier Gründerunternehmen..... 637 cc) Nennenswerte Präsenz ........................................................ 638 e) Spürbar wettbewerbsbeschränkende Koordinierung ................. 639 aa) Marktanteile........................................................................ 639 bb) Unmittelbarkeit der Koordinierung .................................... 640 f) Freistellung................................................................................ 641 aa) Ansatz ................................................................................. 641 bb) Zwecksetzung ..................................................................... 641 cc) Grenzen............................................................................... 641 VIII. Nebenabreden..................................................................................... 642 1. Gesamtbetrachtung mit dem Zusammenschluss ............................ 642 2. Beantwortung neuer Einzelfragen.................................................. 643 3. Selbstständige Prüfung unabhängiger Nebenabreden .................... 644 4. Unmittelbare Verbindung mit dem Zusammenschluss .................. 644 5. Notwendigkeit................................................................................ 645 6. Verhältnismäßigkeit....................................................................... 647 IX. Ausnahmen......................................................................................... 648 1. Charakter........................................................................................ 648 2. Reine Veräußerungsgeschäfte durch Finanzinstitute ..................... 648 3. Unternehmensauflösungen............................................................. 649 4. Beteiligungsgesellschaften............................................................. 649 C. Erforderliche Umsatzschwellen................................................................... 650 I. Verbindung von Gesamtumsatz und dessen Aufspaltung auf Mitgliedstaaten ................................................................................... 650 II. Berechnung des Umsatzes.................................................................. 652 D. Verfahrensbedingte Erweiterungen ............................................................. 653
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§ 3 Beurteilungsmaßstab ....................................................................654 A. Erhebliche Wettbewerbsbehinderung (SIEC-Test)......................................654 I. Marktbeherrschende Stellung als Regelbeispiel .................................654 II. Abweichung vom SLC-Test ...............................................................655 III. Systematik ..........................................................................................656 B. Relevanter Markt .........................................................................................657 I. Ansatz.................................................................................................657 II. Sachlich ..............................................................................................658 III. Räumlich ............................................................................................658 C. Wettbewerbsbehinderung bei hohem Marktanteil .......................................659 I. Verbleibende überragende Bedeutung des Marktanteils ....................659 II. Ermittlung und Bewertung der Marktanteile ......................................661 1. Berechnung ....................................................................................661 2. Mögliche Schwellen.......................................................................662 D. Potenzieller Wettbewerb als gleichgewichtiger Faktor ...............................665 E. Prognoseunsicherheiten für künftige und komplexe Entwicklungen...........666 I. Erhöhte Bedeutung künftiger Entwicklungen in der Fusionskontrolle .................................................................................666 II. Notwendige Abschwächung der Beweisanforderungen .....................667 1. Rechtlich gebundener Beurteilungsspielraum................................667 2. Besonders hohe Beweisanforderungen?.........................................667 3. Vergangene und künftige Verhaltensweisen..................................668 III. Komplexe Fusionssachverhalte ..........................................................669 1. Vertikale Integration mit konglomeraten Wirkungen (General Electric/Honeywell) ........................................................669 2. Partielle räumliche Überschneidungen (Unicredito/HVB).............670 3. Hebelwirkungen und Portfolioeffekte (Tetra Laval, BaByliss)......670 4. Bewertung ......................................................................................673 F. Messung der Veränderungen des Konzentrationsgrades .............................673 G. Kollektive beherrschende Stellung ..............................................................674 H. Marktbedingtes gleichförmiges Verhalten als kollektive beherrschende Stellung (Gencor, Airtours)? .......................................................................675 I. Ansatz.................................................................................................675 II. Voraussetzungen.................................................................................675 III. Bewertung ..........................................................................................677 VI. Erhebliche Behinderungen wirksamen Wettbewerbs durch Oligopole ............................................................................................678 1. Abgrenzung zu Koordinierungen und marktbeherrschender Stellung ..........................................................................................678 2. Anwendungsfälle ...........................................................................679 a) Verschiebung der Marktstruktur................................................679 b) Vertikale Erweiterung................................................................680 c) Horizontaler Zusammenschluss.................................................680
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d) Parallelverhalten........................................................................ 681 J. Effizienzvorteile .......................................................................................... 681 K. Sanierungsfusionen ..................................................................................... 682 § 4 Verfahren ........................................................................................ 684 A. Grundablauf................................................................................................. 684 B. Anmeldung .................................................................................................. 685 I. Zeitpunkt ............................................................................................ 685 II. Vorgelagerter Antrag als Weichenstellung für die Zuständigkeit ...... 686 1. Verweisung an eine nationale Behörde.......................................... 686 a) Voraussetzungen ....................................................................... 686 b) Ermessensentscheidung der Kommission.................................. 687 c) Folgen........................................................................................ 688 2. Verweisung an die Kommission .................................................... 689 III. Antragsinhalt ...................................................................................... 689 IV. Veröffentlichung ................................................................................ 690 V. Rücknahme......................................................................................... 690 C. Vorabprüfung und Einleitung des Verfahrens sowie Vollzugshemmung ... 692 I. Entscheidung über die Verfahrenseinleitung...................................... 692 II. Möglichkeit von Zusagen ................................................................... 693 III. Widerruf ............................................................................................. 695 IV. Grundsätzliche Vollzugshemmung..................................................... 695 D. Auskünfte, Nachprüfungen, Anhörung ....................................................... 696 I. Auskunftsverlangen (Art. 11 FKVO (EG) Nr. 139/2004) .................. 696 II. Nachprüfung (Art. 12, 13 FKVO (EG) Nr. 139/2004) ....................... 698 1. Verflechtung mit nationalen Behörden .......................................... 698 2. Befugnisse...................................................................................... 698 3. Duldungspflicht ............................................................................. 699 4. Zwang ............................................................................................ 699 III. Anhörung und Beschwerderecht ........................................................ 700 1. Beteiligte........................................................................................ 700 2. Dritte .............................................................................................. 701 3. Konsequenzen für den Rechtsschutz.............................................. 702 IV. Fortlaufende Abstimmung.................................................................. 703 E. Verflechtung mit den nationalen Behörden................................................. 703 I. Prüfung und Vollzug durch nationale Behörden ................................ 703 II. Genereller Austausch ......................................................................... 704 III. Entscheidungsbeteiligung................................................................... 705 IV. Verweisung durch nationale Behörden an die Kommission............... 706 V. Belange der Mitgliedstaaten ............................................................... 707 F. Vereinfachtes Verfahren.............................................................................. 708
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§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz.............................................709 A. Mögliche Entscheidungen und deren Veröffentlichung ..............................709 B. Entscheidungsbefugnisse (Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004) .....................710 I. Vereinbarerklärung.............................................................................710 II. Fristen.................................................................................................711 III. Fiktion ................................................................................................712 IV. Unvereinbarerklärung.........................................................................712 V. Sonderformen .....................................................................................712 VI. Mitteilungspflicht ...............................................................................714 C. Verweisung an die nationalen Wettbewerbsbehörden nach Anmeldung (Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004) ..............................................................714 I. Grundvoraussetzungen .......................................................................714 II. Ermessen der Kommission .................................................................715 III. Rechtsfolgen .......................................................................................717 D. Geldbußen und Zwangsgelder (Art. 14, 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004) .....717 E. Rechtsschutz ................................................................................................718
Teil V Besonderheiten bei staatlichem Einfluss ......................721 Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten......................................................................................723 § 1 Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs .......................723 A. Entwicklungsstand.......................................................................................723 I. Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit..............................................723 II. Dogmatischer Ansatz..........................................................................723 III. Relevanz in der Praxis ........................................................................724 IV. Effet-utile-Gedanke und auftretende Probleme ..................................726 B. Aussonderung von Art. 86 Abs. 1 EG .........................................................727 C. Direkte Anwendung von Art. 81 Abs. 1, 82 EG..........................................728 I. Begründung ........................................................................................728 II. Die Anwendung im Einzelnen............................................................730 § 2 Freistellung bzw. Rechtfertigung.................................................731 A. B. C. D.
Problematik .................................................................................................731 Wettbewerbseröffnendes Verhalten.............................................................732 Art. 81 Abs. 3 EG ........................................................................................732 Analoge Anwendung der für die Warenverkehrsfreiheit anerkannten Schranken ....................................................................................................733 I. Partiell erleichterte Übertragung auf staatliche Maßnahmen..............733 II. Praktische Konsequenzen ...................................................................735 III. Wahrung praktischer Konkordanz......................................................735
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Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte ...................... 737 § 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln ....................... 737 A. Doppelter Ansatz......................................................................................... 737 I. Verpflichtung der Unternehmen (Art. 86 Abs. 2 EG) ........................ 737 1. Bedeutung im System der Wettbewerbsregeln .............................. 737 2. Bedeutung für die Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten Unternehmen.................................................................... 738 II. Verpflichtung der Mitgliedstaaten (Art. 86 Abs. 1 EG) ..................... 738 1. Abstinenzpflicht............................................................................. 738 2. Gestaltungspflicht .......................................................................... 740 3. Verbindung und Verhältnis zu Art. 31 EG..................................... 740 B. Öffentliche und mit herausgehobenen Rechten ausgestattete Unternehmen ............................................................................................... 741 I. Monopole und andere Sonderrechte ................................................... 741 1. Nähebeziehung bestimmter Unternehmen zum Staat .................... 741 2. Ausschließliche Rechte.................................................................. 742 3. Besondere Rechte .......................................................................... 743 4. Übertragung ................................................................................... 743 II. Öffentliche Unternehmen ................................................................... 744 1. Staatlich beeinflusste wirtschaftliche Tätigkeit.............................. 744 2. Abgrenzung für Sozialversicherungen........................................... 745 C. Mitgliedstaatliche Pflichten......................................................................... 746 I. Weite Konzeption zur Zügelung staatsnaher Unternehmen ............... 746 1. Vielgestaltigkeit der erfassten Maßnahmen ................................... 746 2. Notwendiger Bezug auf Unternehmen mit Nähe zum Staat .......... 748 II. Anwendung für die Wettbewerbsregeln ............................................. 748 1. Unschädlichkeit der bloßen Begründung, nicht hingegen der Ausdehnung eines Monopols ......................................................... 748 2. Gewährleistung wettbewerbsadäquater Rahmenbedingungen ....... 750 a) Ansatz........................................................................................ 750 b) Präventionspflichten.................................................................. 750 c) Reaktionspflichten..................................................................... 752 3. Rechtfertigung ............................................................................... 752 § 2 Begrenzte Sonderstellung ............................................................ 753 A. Fortbestehende Maßgeblichkeit von Art. 86 Abs. 2 EG trotz Art. 16 EG ... 753 B. Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ................................. 754 I. Tätigkeitsbereiche .............................................................................. 754 1. Notwendiger Gemeinwohlbezug.................................................... 754 2. Versorgungsdienste........................................................................ 756 3. Post und Arbeitsvermittlung .......................................................... 758 4. Entsorgung ..................................................................................... 758
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XLI
II.
Betrauung ...........................................................................................759 1. Handlungsformen...........................................................................759 2. Maßgeblichkeit staatlichen Einflusses ...........................................759 3. Konkludent.....................................................................................760 C. Finanzmonopole ..........................................................................................761 D. Dispenserfordernisse ...................................................................................761 I. Behinderung der Aufgabenerfüllung ..................................................761 1. Keine notwendige Verhinderung ...................................................761 2. Ausgleich mit der Erfüllbarkeit von Sonderpflichten ....................762 3. Gründe der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes als nicht hinreichende Rechtfertigung............................................763 II. Besondere Verpflichtungen ................................................................764 III. Erforderlichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung – auch bei Quersubventionierung ..........................................................765 1. Ansatz ............................................................................................765 2. Sonderpflichtenbedingter Kostenausgleich....................................766 3. Ausgreifen in Nachbarbereiche......................................................767 4. Beschränkung auf Zusatzkosten.....................................................768 IV. Verhältnismäßige Einschränkung des Handelsverkehrs .....................768 V. Handhabung und Darlegungslast........................................................769 § 3 Bestehende Gestaltung.................................................................771 A. Art. 86 Abs. 3 EG als Rechtsgrundlage .......................................................771 B. Transparenzrichtlinie ...................................................................................772 C. Telekommunikation.....................................................................................773 § 4 Bedeutung von Art. 16 EG ............................................................774 A. Entstehung ...................................................................................................774 B. Verhältnis zu Art. 86 EG .............................................................................775 I. Genetischer Rückbezug ......................................................................775 II. Gemeinsame Betrachtung...................................................................776 C. Art. 16 EG als bereichsübergreifender gleichgewichtiger Abwägungsbelang .......................................................................................777 I. Allgemeine Bedeutung .......................................................................777 II. Keine Verengung auf eine Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts...................................................................................778 III. Bedeutung für die Wettbewerbsregeln ...............................................779 1. Ohne Modifikation? .......................................................................779 2. Eigenständiger Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse..............................................................780 3. Einfügung in Art. 86 Abs. 2 EG.....................................................780 IV. Gleichgewichtiger Rang .....................................................................781 D. Gestaltungsauftrag.......................................................................................783
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I.
II.
III.
Allgemeiner Rahmen.......................................................................... 783 1. Förderpflicht .................................................................................. 783 2. Einbindung in die Wettbewerbsregeln ........................................... 784 3. Auswirkungen auf den Aufgabenbestand ...................................... 784 Auftrag an die Gemeinschaft.............................................................. 785 1. Einbeziehung bei anderen Politiken............................................... 785 2. Keine Pflicht zur Gleichbehandlung .............................................. 787 Eingeschränkter Gestaltungsauftrag an die Mitgliedstaaten............... 788
Literaturverzeichnis................................................................... 791 Rechtsprechungsverzeichnis (EuGH, EuG) ............................ 819 Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen ...................... 831 Vorschriftenverzeichnis ............................................................ 839 Sachwortverzeichnis ................................................................. 845
Abkürzungsverzeichnis
a.A. a.a.O. abl. ABl. Abs. abw. a.E. a.F. AG Alt. Anm. AöR Art. AT Aufl. AusfG Ausn. AWD AWG AZ B2B BAT BB BBG Bd. BDE BDI bes. Beschl. BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BMI bspw. BStBl. BT BT-Drucks. Bull. EG
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt Absatz abweichend am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Ausführungsgesetz Ausnahme Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Business to Business Bundesangestelltentarifvertrag Betriebsberater Bundesbeamtengesetz Band Betriebliche Datenerfassung Bund der deutschen Industrie besonders Beschluss Bundesfinanzhof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesministerium des Inneren beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestag Bundestags-Drucksache Bulletin der Europäischen Gemeinschaft
XLIV
Abkürzungsverzeichnis
BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. CDE CEEP CMLR DB ders. d.h. dies. diesbzgl. Dok. DÖV DSB DStR DStZ DSU DVBl. EAG E EAGFL EC ECLR ECU EEA EEC EEG EFA EFTA EG EGKS EGMR EGRC EGV Einf. Einl. ELR EMRK endg. EStG etc. EU EuG EuGH
Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise Cahiers de droit européen Centre européen des entreprises à participation publique Common Market Law Review Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe diesbezüglich Dokument Die Öffentliche Verwaltung Dispute Settlement Body Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung Dispute Settlement Understanding Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Atomgemeinschaft Entscheidung/Entwurf Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft European Commission European Competition Law Review European Currency Unit Einheitliche Europäische Akte European Economic Community Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien Europäisches Fürsorgeabkommen European Free Trade Association Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Nizza vom 26.2.2001 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Grundrechtecharta Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Maastricht vom 7.2.1992 Einführung Einleitung European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Einkommenssteuergesetz et cetera (und so weiter) Europäische Union/Vertrag von Maastricht über die Europäische Union vom 7.2.1992 Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Europäischer Gerichtshof
Abkürzungsverzeichnis EuGRZ EuGVO
EuGVÜ
EuR EuV EuZW EV e.V. EWG EWGV EWR EWS f./ff. FAZ FCLI F&E FG FIFA FKVO Fn. FS GA GATS GATT GD gem. GewArch. GG ggf. GmbH GO grds. GRUR GS GVO GWB GZT h.A. HHI h.L. h.M. Hrsg. HS. i.d.F. i.d.R. IIC
XLV
Europäische Grundrechte-Zeitschrift VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europarecht Europäischer Verein Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende/fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fordham Corporate Law Institute Forschung und Entwicklung Finanzgericht Fédération Internationale de Football Association Fusionskontrollverordnung Fußnote Festschrift Generalanwalt General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Generaldirektion gemäß Gewerbearchiv Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeindeordnung grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Gruppenfreistellungsverordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gemeinsamer Zolltarif herrschende Ansicht Herfindahl-Hirschman-Index herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung in der Regel International Review of Intellectual Property and Competition Law
XLVI
Abkürzungsverzeichnis
insbes. i.S.d. IStR i.S.v. i.V.m. i.w.S. JdT Jura JuS JZ Kap. KFZ KOM KOME krit. KrW-/AbfG LIEI li. lit. Lit. LKW LLM Mio. MMR m.N. MOEL m.w.N. NAAT Nachw. NachwG NJW Nr(n). NuR NVwZ NZG o. öff. OLG OVG OVGE PC PET PKW RabelsZ RdE RIW RL RMC Rn. Rs. Rspr.
insbesondere im Sinne der/des Internationales Steuerrecht im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Journal des Tribunaux Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kraftfahrzeug Dokument der Europäischen Kommission Kommissionsentscheidung kritisch Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Legal Issues of Economic Integration links Buchstabe Literatur Lastkraftwagen Master of Law Million/en MultiMedia und Recht mit Nennung Mittel- und osteuropäische Länder mit weiteren Nennungen No Appreciable Affectation of Trade Nachweis Nachweisgesetz Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht oben öffentlich(e/r) Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des Oberverwaltungsgerichts Personal Computer Polyethylen Personenkraftwagen Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Energiewirtschaft Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Revue du marché commun Randnummer Rechtssache Rechtsprechung
Abkürzungsverzeichnis RTDE s. S. s.a. SIEC SLC Slg. s.o. sog. Sp. StGB StIGH str. StrEG st. Rspr. s.u. SZ teilw. TRIPS TT TV Tz. u. u.a. UAbs. u.ä. UEFA UK unstr. UrhG Urt. USA usw. u.U. UWG v. v.a. VAG VE
Verf. VerfO VerpackV VerwArch. vgl. VO VOB/A Vorb.
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Revue trimestrielle du droit européen siehe Satz/Seite siehe auch Substantial Impediment to Effective Competition Substantial Lessening of Competition Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz siehe oben so genannte(r/s) Spalte Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof des Völkerbundes streitig/strittig Stromeinspeisungsgesetz ständige Rechtsprechung siehe unten Süddeutsche Zeitung teilweise Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights Technologietransfer Television Teilziffer und/unten und andere/unter anderem Unterabsatz und ähnliche(s) Union of European Football Associations United Kingdom unstrittig Urheberrechtsgesetz Urteil United States of America und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von/vom/van vor allem Vermögensanlagegesetz Vertrag über eine Verfassung für Europa, Entwurf in der von den Staats- und Regierungschefs und den Außenministern der 25 Mitgliedstaaten am 29.10.2004 unterzeichneten Fassung, ABl. 2004 C 310, S. 1 Verfasser/Verfassung Verfahrensordnung Verpackungsverordnung Verwaltungsarchiv vergleiche Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Vorbemerkung
XLVIII VR VwVfG wbl. weit. WiR WM WRP WTO WUR WuW zahlr. z.B. ZfU ZG ZHR Ziff. ZögU z.T. zust. ZWeR
Abkürzungsverzeichnis Verwaltungsrundschau Verwaltungsverfahrensgesetz Wirtschaftsrechtliche Blätter weitere/r Wirtschaftsrecht Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis World Trade Organisation Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Wirtschaft und Wettbewerb zahlreich/e/en zum Beispiel Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen zum Teil zustimmend Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
Die anderen Abkürzungen erklären sich selbst bzw. ergeben sich aus Kirchner, Hildebert/ Butz, Cornelie: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl. 2003.
Teil I Grundlagen
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
§ 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt A.
Der Wettbewerb als Integrationsfaktor
Art. 81 ff. EG beziehen die Wettbewerbsregeln auf den Gemeinsamen Markt, in- 1 dem sie die Unvereinbarkeit mit diesem als Verbotstatbestand aufstellen und ihn damit zur Zielgröße machen. Das gilt für das Kartell-, das Missbrauchs- und das Beihilfenverbot. Der nicht eigens definierte Gemeinsame Markt, dessen Errichtung nach Art. 2 EG eine der Hauptaufgaben der Europäischen Gemeinschaft ist, beruht auf einem Zusammenwachsen der Märkte der verschiedenen Mitgliedstaaten durch einen freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum. Das spricht Art. 14 Abs. 2 EG für den Binnenmarkt eigens an. Dieser ist das Nachfolgeziel, ohne dass der Gemeinsame Markt bereits verwirklicht war und ohne dass sich dadurch gravierende Änderungen ergeben haben. Die Schaffung eines möglichst hindernisfreien europäischen Marktes ist eine 2 Daueraufgabe, unabhängig davon, ob sie unter dem Leitgedanken eines Gemeinsamen Marktes oder des Binnenmarktes verfolgt wird. Beide stehen daher in einer Linie und haben dieselbe Ausrichtung.1 Auch der Gemeinsame Markt, der vor Aufnahme des Binnenmarktziels in den Vertrag am 1.7.1987 durch die Einheitliche Europäische Akte das insoweit alleinige Gemeinschaftsziel darstellte, impliziert die „Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt“.2 Der Gemeinsame Markt ist also wie der Binnenmarkt auf die Beseitigung aller Hindernisse im innergemeinschaftlichen Handel gerichtet. Ein solcher Wirtschaftsraum könnte von vornherein nicht entstehen, wenn sich 3 der Wettbewerb zwischen den Wirtschaftssubjekten nicht entfalten könnte.3 Vo1 2
3
Im Einzelnen zum Verhältnis von Gemeinsamem und Binnenmarkt Frenz, Europarecht 1, Rn. 34 ff. m.w.N. EuGH, Rs. 15/81, Slg. 1982, 1409 (1431 f., Rn. 33) – Gaston Schul; Rs. C-41/93, Slg. 1994, I-1829 (1847, Rn. 19) – Frankreich/Kommission; Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission; s. auch näher Zuleeg, EuR 1982, 21 (27) m.w.N. Vgl. allgemein Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 132 ff.
4
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
raussetzung von Wettbewerb aber ist die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer, also ihre Freiheit, selbstständig und unabhängig wettbewerbsaktiv zu sein. Diese muss vor Verfälschungen geschützt sein.4 Dem dient das in Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG grundsätzlich statuierte und in Art. 81 ff. EG ausgestaltete System unverfälschten Wettbewerbs.5 Für die Verwirklichung dieses unverfälschten Wettbewerbs muss daher in den 4 Worten des EuGH ein wirksamer Wettbewerb (workable competition) auf dem Markt und damit „soviel Wettbewerb vorhanden sein, dass die grundlegenden Forderungen des Vertrages erfüllt und seine Ziele, insbesondere die Bildung eines einzigen Marktes … erreicht werden“.6 Dadurch wird wieder der Rückbezug des Wettbewerbs zu den übergeordneten allgemeinen Vertragszielen deutlich. Es handelt sich um eine Art Wechselwirkung: der Wettbewerb dient den allgemeinen Vertragszielen und diese beeinflussen die Ausgestaltung des Wettbewerbs. Das gilt vor allem für die Auslegung.7 Konkrete Auswirkung für die Wettbewerbsverhältnisse ist, dass die Art und In5 tensität des Wettbewerbs in unterschiedlichen Bereichen je nach wirtschaftlicher Struktur divergieren kann.8 Allerdings spricht die Bezogenheit der Wettbewerbsfreiheit auf die Herstellung eines kohärenten Marktes dafür, die Wettbewerbsverhältnisse auch in verschiedenen Bereichen möglichst gleichmäßig sein zu lassen, es sei denn, im Vertrag sind wie für die Landwirtschaft oder den Verkehr Sonderregeln vorgesehen. Unterschiedliche tatsächliche Verhältnisse können in Verordnungen aufgefangen werden, welche die Wettbewerbsvorschriften wie in Art. 83 EG vorgesehen näher ausgestalten und dabei bereichsspezifische Besonderheiten aufnehmen können. Dafür stehen vor allem die Gruppenfreistellungsverordnungen.9 Art. 81 ff. EG sollen als konkrete Vorschriften die Hindernisse für den Wett6 bewerb beseitigen und die Einheit des Gemeinsamen Marktes bekräftigen und gewährleisten.10 Das klingt auch in der 4. Erwägung zum EG an. Daher dient die Wettbewerbsfreiheit der Schaffung des Gemeinsamen Marktes11 und letztlich der europäischen Einigung.12 Sie bildet einen wesentlichen Integrationsfaktor. Insbesondere als solcher ist sie eine Institution,13 um die allgemeinen Vertragsziele 4
5 6 7 8 9 10 11
12 13
Günther, Wege zur europäischen Wettbewerbsordnung, 1968, S. 44; Blank, Europäische Fusionskontrolle im Rahmen der Art. 85, 86 des EWG-Vertrages, 1991, S. 34 f. m.w.N.; s. auch Zuleeg, in: ders., Wirtschafts- und gesellschaftliche Ordnungsprobleme der Europäischen Gemeinschaften, 1978, S. 76. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission. S. auch und näher sogleich Rn. 15 ff. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I. S. grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244 f., Rn. 22 f.) – Continental Can. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I. S.u. Rn. 782 ff. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14, Rn. 5) – Walt Wilhelm für Art. 85 EGV. Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 233; Weltrich, Franchising im EG-Kartellrecht, 1992, S. 150. Krimphove, Europäische Fusionskontrolle, 1992, S. 46 m.w.N. in Fn. 89. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Vorbem. zu Art. 81-89 Rn. 14.
§ 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt
5
und dabei insbesondere binnenmarktähnliche Verhältnisse zu verwirklichen.14 Die so geschützte Wettbewerbsfreiheit ist mithin ein essenzieller Bestandteil des Gemeinsamen Marktes15 und genießt Verfassungsrang.16 Vor diesem Hintergrund liegt die Wettbewerbsfreiheit nicht nur im privaten, 7 sondern auch im öffentlichen Interesse.17 In den Wettbewerbsvorschriften selbst zeigt sich dies darin, dass sie verletzt sind, wenn der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann. Die unternehmerische Freiheit ist demgegenüber nicht eigens als Schutzgut benannt. Die Sicherung privater Entfaltung ist vielmehr Mittel zum Zweck. Dieser geht damit aber über den Schutz privater Entfaltung hinaus und bezieht sich auf übergreifende Integrationsgesichtspunkte im öffentlichen Interesse.
B.
Geänderte Integrationsausrichtung
I.
Weitere Verstärkung nach dem VE
Der Gemeinsame Markt hat ebenso wie der Binnenmarkt zwar eine starke wirt- 8 schaftliche Ausrichtung, doch sollten daneben noch andere Ziele verwirklicht werden. Bereits Art. 2 EG vereint eine Vielfalt teilweise divergierender Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft, die in Art. 3 Abs. 1 EG näher konkretisiert sind. Diese Orientierung an Zielen jenseits des Wirtschaftslebens wird in Art. I-3 Abs. 3 VE weiter befestigt. Ist auch der Ratifizierungsprozess angehalten, handelt es sich doch immerhin um eine von allen Regierungen der Mitgliedstaaten getragene Fassung, welche für eine mögliche künftige Entwicklung steht. Art. I-3 Abs. 3 VE verpflichtet auf ein „ausgewogenes Wirtschaftswachstum“ und eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige ... Marktwirtschaft“. Die Marktwirtschaft wird aber explizit mit einer sozialen Komponente verknüpft; angestrebt wird eine „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“. Die eher für eine liberale Konzeption stehende Begrifflichkeit „offene Marktwirtschaft“ in Art. 4 EG/III-177 VE wird damit relativiert und inhaltlich anders ausgerichtet. Waren auch soziale Belange bislang nicht ausgeschlossen, werden sie im VE explizit aufgenommen und damit zum prägenden Bestandteil des angestrebten marktwirtschaftlichen Systems. Daher handelt es sich nicht um eine bloße neue „Akzentsetzung“,18 sondern eine partielle materielle Neubestimmung. Daraus können sich tiefgreifende Auswirkungen auf 14 15 16
17
18
Aus der Lit. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 607. Vgl. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (243 f., Rn. 18 ff.) – Continental Can. S. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 608; Hossenfelder/Müller/Parlasca, ZHR 160 (1996), 1 (3); auch EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (548, Rn. 9) – ADBHU: allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts neben den Grundsätzen der Handelsfreiheit und des freien Warenverkehrs. S. EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 (2926, Rn. 25) – Hoechst; Rs. 136/79, Slg. 1980, 2033 (2057, Rn. 20) – National Panasonic, wo das öffentliche Interesse vor den einzelnen Unternehmen und den Verbrauchern genannt wird, sowie Bunte, in: Langen/Bunte, Einf. EG-Kartellrecht Rn. 25. So Schwarze, EuZW 2004, 135 (136).
6
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
die Interpretation und Handhabung des Wettbewerbsrechts ergeben, ebenso aus der erfolgten Verstärkung der Querschnittsmaterien.19 Damit ist die Wettbewerbsfreiheit im VE nicht mehr so dominant wie nach der 9 geltenden Vertragskonzeption. Schon bislang wirkten hier die außerökonomischen Ziele des Art. 3 EG relativierend. Diese Ziele wurden in Art. I-3 Abs. 3 VE fortgeschrieben und zum Teil verstärkt, so die Ziele „Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt“. Erhalten bleibt, „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ anzustreben. Diese Ziele sind nicht mehr wie in Art. 2 EG mit der Errichtung des Gemeinsamen Marktes verknüpft, sondern stehen für sich selbst. Zuerst genannt ist „die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums“. Dadurch werden ökonomische mit ökologischen und sozialen Belangen a priori verbunden, wie es Kennzeichen einer nachhaltigen Entwicklung ist.20 Im vorhergehenden Art. I-3 Abs. 2 VE wird zwar der Binnenmarkt lediglich 10 mit dem Zusatz „mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ verbunden und steht nur neben dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen. Diese Komponente ist aber spezifisch auf Grenzkontrollen, Einwanderung, Asyl und die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz bezogen. Daher kann diese Bestimmung keinen Gehalt haben, der Art. I-3 Abs. 3 VE derogiert. Vielmehr ist Art. I-3 mit allen seinen Absätzen und zudem Art. I-4 VE als Gesamtheit zu sehen. Die ausschließliche Erwähnung des freien und unverfälschten Wettbewerbs vermag daher die Festlegung auf eine nicht nur wettbewerbsfähige, sondern auch soziale Marktwirtschaft nicht zu verschieben. II.
Eingang in das Wettbewerbsrecht
11 Diese weit über die ökonomischen Belange hinausreichende Ausrichtung ist schon deshalb im Rahmen des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen, weil dieses explizit in den Kontext des Gemeinsamen Marktes bzw. nach dem VE in den des Binnenmarktes gestellt ist. Je stärker daher der Gesamtvertrag auf nichtökonomische Belange ausgerichtet ist, desto eher erlangen diese Gewicht und drohen das wirtschaftsrechtliche Umfeld der Wettbewerbsfreiheit zu unterhöhlen. Im äußersten Falle wird der Inhalt der Wettbewerbsfreiheit durch nichtökonomische Belange aufgeladen und damit von seinem Ursprung gelöst.21 Nach aktuellem und auch durch den VE vorgesehenem Vertragsrecht geht es dagegen nur um einen Eingang anderer Belange in die weiterhin ökonomisch geprägte Wettbewerbsfreiheit. Es stellt sich nur die Frage nach dem Gewicht dieser Gesichtspunkte. Der Ort dieser Fragestellung ist zudem auf die Ebene der Rechtfertigung von 12 Wettbewerbsbeschränkungen konzentriert. Die Wettbewerbsregeln sehen partiell 19 20 21
Terhechte, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 107 (109, 113 f.). S. z.B. Frenz/Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, 1999, S. 111 f., 129 ff. Im Sinne einer ökologischen Uminterpretation Scherhorn, ZfU 2005, 135 (141, 149 ff.) dazu abl. u. Rn. 1007.
§ 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt
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den Ausgleich widerstrebender Belange eigens vor, so insbesondere in Art. 81 Abs. 3 und 87 Abs. 3 EG. Darin sind allerdings nicht alle Aspekte enthalten, die für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes eine Rolle spielen. Namentlich die in Art. 81 Abs. 3 EG enthaltenen wertungsbedürftigen Begriffe wie technischer und wirtschaftlicher Fortschritt sind aber offen für eine Einbeziehung verschiedener außerökonomischer Belange wie dem Umweltschutz.22 Soweit eine solche Integration für andere vertraglich festgelegte Elemente nicht gelingt, stellt sich die Frage, ob sie gleichwohl im Wege praktischer Konkordanz wettbewerbswidriges Verhalten rechtfertigen können.23
C.
Leistungssteigerung durch freie Entfaltung im Wettbewerb
Der Gemeinsame Markt verfolgt wie der Binnenmarkt als wesentliche Ziele, den 13 Wettbewerb zu steigern, eine Produktion in optimalen Betriebsgrößen zu erreichen und in unverfälschtem Wettbewerb uneffiziente Unternehmen auszusondern.24 Gerade der letzte Aspekt und damit der Regelungsbereich der Wettbewerbsfreiheit ermöglicht es, dass europaweit ungestört ungenutzte Energien freigesetzt und die Verteilung und Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen optimiert werden können. Somit ist es auch möglich, Waren und Dienstleistungen den Verbrauchern zu verbesserten Bedingungen anzubieten und die Unternehmen zu ständiger Erneuerung im Sinne eines technischen und wirtschaftlichen Fortschritts anzutreiben. So entfaltet der Wettbewerb seine Anreiz- und Leistungsfunktion25 und bildet damit eine ökonomisch vorteilhafte Institution,26 die letztlich wiederum dem Verbraucher zugute kommt.27 Damit dient die Wettbewerbsfreiheit sowohl einzelnen Unternehmen als auch dem Verbraucher,28 dessen Lebensstandard angehoben werden soll. Zugleich sichert sie die notwendige Anpassung der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer an die sich ändernden Verhältnisse und Nachfragebedingungen durch ein laufend modifiziertes Angebot, ohne dass die Produktion oder die Beschäftigungssituation tiefgreifend gestört werden. Die Leistungsanpassung durch 22
23 24 25
26 27 28
S. näher u. Rn. 857 ff., 877 f., 885, 887 ff. sowie Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 351 ff.; ders., Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 65 ff. S.u. Rn. 1003 ff. Näher etwa Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, 1977, S. 6 f. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (392) – Consten Grundig; Birk, Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs und seine Bedeutung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 164 mit Fn. 739 unter Rückführung bereits auf Hesiod, Werke und Tage, 1990, Vers 17-26. Bunte, in: Langen/Bunte, Einf. EG-Kartellrecht Rn. 24. Vgl. Oppermann, Europarecht, § 15 Rn. 9; Krimphove, Europäische Fusionskontrolle, 1992, S. 44 f. m.w.N. Beide explizit nebeneinander nennend EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 (2926, Rn. 25) – Hoechst sowie bereits Rs. 136/79, Slg. 1980, 2033 (2057, Rn. 20) – National Panasonic.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Wettbewerb gewährleistet damit nicht nur eine Verbesserung der individuellen Verhältnisse, sondern auch der Wirtschaft insgesamt.29 Wettbewerb ermöglicht die Konzentration von Produktion dort, wo sie am ef14 fektivsten vorgenommen werden kann und hat damit als zentrale Komponente die Allokationsfunktion.30 Er sichert die Verteilung der Produktionsfaktoren auf unterschiedliche Verwendungszwecke zu möglichst günstigen Bedingungen. Durch ihn können die knappen Ressourcen für die Zwecke eingesetzt werden, die an dem jeweiligen Standort am wirksamsten erreicht werden können, ohne dass insgesamt die Produktion eines anderen Gutes gesenkt werden muss. Eine Umverteilung nach diesen Maßstäben führt eine Wohlfahrtssteigerung herbei. Man erzielt das sog. Pareto-Optimum.31
D.
Unverfälschter Wettbewerb
15 Entscheidend ist dabei der Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen,32 die diesen natürlichen, sich selbst optimierenden Wirtschaftsprozess stören. Diese Kernkomponente der Wettbewerbsregeln hat nicht nur dienenden Charakter im Hinblick auf die Marktintegration, sondern tritt als Eigenwert der Wettbewerbsfreiheit hervor. Ursprünglich lediglich als Ergänzung der Grundfreiheiten gesehen, um die nicht nur von staatlichen Stellen, sondern auch von Privaten aufgerichteten Markthindernisse zu überspringen und damit in erster Linie der Öffnung der Märkte dienend,33 rückt mit zunehmend geöffneten Märkten der Wettbewerb als marktprägendes Prinzip in den Vordergrund. Er strukturiert das Wirtschaftsleben auf einem zusammengewachsenen Markt34 und bildet daher ein wirtschaftliches Ordnungsprinzip, um europaweit einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen.35 Insoweit ist eine Emanzipation eingetreten.36 Die Zielrichtung des unverfälschten Wettbewerbs steht daher auf eigenen Bei16 nen und ist nicht etwa dem Zweck der Marktintegration untergeordnet. So ist allerdings auch nicht die frühe Rechtsprechung zu verstehen. Im Urteil Consten Grundig wird die Förderungsfunktion des Wettbewerbs als solchem betont und die Verfälschung des Wettbewerbs festgestellt, wenn auch innerhalb des Gemeinsa29 30 31 32 33 34 35 36
Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Vorbem. zu Art. 81-89 Rn. 14 unter Verweis auf den 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik der Kommission von 1971, Einl. S. 11 f. S. Schmidbauer, Allokation, technischer Fortschritt und Wettbewerbspolitik, 1974, S. 32 ff. Vgl. zur Bedeutung der Grundfreiheiten Frenz, Europarecht 1, Rn. 12 ff. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 ff.) – Continental Can, bezogen auf die Zielvorgabe nach Art. 3 (damals noch lit. f) EWGV). Näher Mestmäcker, in: FS für Böhm, 1966, S. 345 (363 ff.). S. in diesem Zusammenhang EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (391 f.) – Consten Grundig. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, 1999, S. 217 sowie ähnlich bereits Ullrich, IIC 1992, 583 (613). Caspari, WuR 1989, 14 (16 f.) sowie vergleichbar Ehlermann, WuW 1992, 5 (7). Nowak, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 77 (80); näher dazu Baquero Cruz, Between Competition and Free Movement, 2002, S. 98 ff.
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men Marktes.37 Dieser bleibt aber der Bezugspunkt der Wettbewerbsvorschriften und damit auch des unverfälschten Wettbewerbs unabhängig davon, welchen Eigenwert die Unverfälschtheit des Wettbewerbs hat. Dass der EuGH den Wettbewerb in den Kontext des Gemeinsamen Marktes stellt, bedeutet also noch nicht, dass er lediglich dienenden Charakter hat. Sein fördernder Charakter für dieses übergeordnete Ziel ist ohnehin außer Frage und steht auch nicht in Widerspruch zu einer eigenständigen Funktion des unverfälschten Wettbewerbs. Das gilt selbst vor dem Hintergrund, dass zunächst die einzelnen mitgliedstaatlichen Märkte erst einmal zusammenwachsen mussten. Die Unverfälschtheit des Wettbewerbs ist dabei nicht nur grundlegend für die Öffnung der Märkte, sondern zugleich prägend für effektiven Wettbewerb und damit für diesen konstitutiv. Diese Zielrichtung wird auch nicht dadurch unterhöhlt, wenn eine künftige Ver- 17 fassung wie der VE außerökonomische Komponenten stärker betont und eine sowohl wettbewerbsfähige als auch soziale Marktwirtschaft verlangt.38 Insoweit wird nur der übergeordnete Zweck der Wettbewerbsfreiheit beeinflusst, mithin die Integrationsfunktion, nicht aber die Unverfälschtheit des Wettbewerbs als Selbstzweck. Dafür spricht auch, dass lediglich der freie unverfälschte Wettbewerb zusammen mit dem Binnenmarkt in Art. I-3 Abs. 2 VE genannt wird. Gerade für dessen Verwirklichung kommt also einem nicht mit anderen Komponenten angereicherten Wettbewerb eine maßgebliche Funktion zu. Die außerökonomischen Belange spielen daher erst bei der Frage möglicher Beeinträchtigungen mit herein, nicht hingegen bei der Definition dessen, was Wettbewerb ist und vom Ausgangspunkt her gewährleistet sein muss. Es gibt keinen im Ansatz sozialstaatlich ausgerichteten Wettbewerb. Soziale Belange können Wettbewerb nur beschränken. Primär jedenfalls für die Grundausrichtung des Wettbewerbs selbst ist daher 18 dessen Freiheitsfunktion. Die Unternehmen sollen sich ihren Möglichkeiten entsprechend entfalten können. Das setzt im negativen Sinne voraus, dass kein Zwang zum Handeln besteht;39 dieser kann nicht nur vom Staat kommen, sondern auch von Privaten. In erster Linie vor Letzterem schützt die Wettbewerbsfreiheit, aber auch vor subtiler Steuerung des Staates, die bei entsprechender Massivität auch zu faktischem Zwang werden kann. Daher unterliegt nicht nur öffentliche Unternehmenstätigkeit im Ansatz dem Wettbewerbsrecht sowie staatliche Beihilfengewährung einem grundsätzlichen Verbot. Weiter gehend sind auch (sonstigen) staatlichen Einwirkungen auf den Wettbewerb Grenzen gesetzt. Die Unverfälschtheit des Wettbewerbs, auf welcher die Freiheit der Marktteilnehmer beruht, wird daher sowohl vor privaten als auch vor staatlichen Verfremdungen geschützt. Freiheit beinhaltet im positiven Sinne, nach eigenen Vorstellungen zu handeln. 19 Grundlage dafür ist, dass sich diese Vorstellungen tatsächlich unbeeinflusst vom Druck anderer zu entfalten vermögen, sowie die Chancengerechtigkeit. Erst sie stellt einen von äußeren Einflüssen unberührten Rahmen zur Verfügung, in dem
37 38 39
EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (392) – Consten Grundig. S.o. Rn. 8. Birk, Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs und seine Bedeutung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 164.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
sich die individuelle Unternehmerfreiheit unverfälscht entwickeln kann.40 Beides sichert die Wettbewerbsfreiheit.
E.
Chancengleichheit als Grundlage
20 Damit ist die Brücke zur Gleichheitsfunktion der Wettbewerbsfreiheit geschlagen. Die Entfaltung jedes einzelnen Unternehmens im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten setzt die gleichen Ausgangsbedingungen voraus. Es darf keine Benachteiligung gegenüber Mitbewerbern eintreten. Die Wettbewerbsregeln sichern also die Gleichbehandlung der Unternehmen.41 Die wettbewerbsrechtliche Gleichbehandlung gewährleistet umgekehrt unver21 fälschte Wettbewerbsbedingungen42 und damit Chancengleichheit. Sie beinhaltet nicht Nivellierung. Vielmehr sollen die Ausgangsbedingungen für Unternehmen vergleichbar gehalten werden. Diese sollen sich in ihren unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeit entfalten können. Eine vermehrte Leistungsfähigkeit soll auch zu Vorteilen für das Unternehmen führen können und nicht durch Verfälschungen gebremst werden. Dadurch hat die Gleichheitsfunktion im Rahmen des Wettbewerbsrechts die gleiche Zielrichtung wie die Leistungsfunktion. Es geht um Leistung auf der Basis von Gleichheit, nicht hingegen wie im Rahmen der staatlichen Leistungsverwaltung um die Korrektur von Ungleichheiten, die durch unterschiedliche Leistungsergebnisse auftreten. Diese Ungleichheiten will das Wettbewerbsrecht gerade erhalten und sichern. Dadurch haben die Wettbewerbsregeln nur eine begrenzte Gleichheitsfunktion. 22 Sie unterscheiden sich insoweit gleichwohl nicht fundamental von den anderen Gleichheitsgewährleistungen in Form des Diskriminierungsverbotes und des allgemeinen Gleichheitssatzes, sondern weisen sogar Parallelen auf. Im Rahmen des Gemeinschaftsrechts sichern auch diese Gleichheitsrechte die Gleichheit in den Ausgangsbedingungen i.S.v. Chancengleichheit. Insbesondere die Grundfreiheiten stehen dafür, dass sich die Marktteilnehmer unter gleichen Wettbewerbsbedingungen entfalten können.43 Nur müssen sie regelmäßig aus verschiedenen Mitgliedstaaten sein, um unter den Schutzbereich zu fallen.44 Dieser bezieht sich lediglich auf Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. Die Wettbewerbsfreiheit erfasst hingegen bereits vom Ansatz her Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen derselben Nationalität, sofern nur der Handel zwischen den 40
41 42 43
44
Birk, Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs und seine Bedeutung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 164; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 241. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Vorbem. zu Art. 81-89 Rn. 15. EuGH, Rs. 15 u. 16/76, Slg. 1979, 321 (340, Rn. 31) – EAGFL im Zusammenhang mit Beihilfen. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 39 ff., behandeln daher die Grundfreiheiten im Abschnitt „Wettbewerb im Binnenmarkt“. Ausführlich zu den Bezügen zur Wettbewerbsfreiheit u. § 2 sowie zu den Grundfreiheiten insoweit Frenz, Europarecht 1, Rn. 125 ff. auch zum Folgenden. Z.B. EuGH, Rs. 180/83, Slg. 1984, 2539 (2547, Rn. 14 f.) – Moser.
§ 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt
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Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann. Das gilt aber im Ergebnis auch für die sachbezogenen Grundfreiheiten.45 Der Hauptunterschied liegt daher in der primären Stoßrichtung, die Gleichbehandlung zwischen Privaten zu gewährleisten.46 Letztlich sichert die Wettbewerbsfreiheit in Übereinstimmung mit den Grund- 23 freiheiten die Entfaltung unterschiedlicher Leistungspotenziale über die nationalen Grenzen hinweg. Lediglich der Ausgangspunkt in den staatlich sowie durch die Wettbewerber beeinflussbaren Bedingungen muss gleich sein, nicht hingegen das erzielte Ergebnis. Vielmehr ist dem Wettbewerb Differenzierung inhärent. Er soll gerade für eine leistungsgerechte Verteilung des Einkommens sorgen und erfüllt in dieser Weise eine Gerechtigkeitsfunktion.47
F.
Wettbewerb als Teil des gemeinschaftlichen Wirtschaftssystems
Die Verwirklichung dieses Gerechtigkeitsansatzes erfolgt über den Markt als Aus- 24 tauschplattform der verschiedenen Leistungsangebote, und diesen Austausch am Markt sichert der Wettbewerb. Daraus ergibt sich zugleich eine enge Verbindung des Wettbewerbs zu einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem. Er kann sich letztlich nur in einer solchen Ordnung voll entfalten. Diese Fixierung folgt aus der Leistungsbezogenheit des Wettbewerbsgedankens, welcher dem Staat nur die Sicherstellung eines gleichmäßigen Rechtsrahmens vorgibt und ihm weitere Eingriffe gerade vorenthält. Von dieser Grundlinie sind Art. 81 ff. EG geprägt. Das gilt auch für die Rechtsangleichung, die Art. 96 EG eigens für Wettbewerbsverzerrungen vorsieht. Damit setzen die Wettbewerbsvorschriften ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem voraus. Diese Ausrichtung entspricht der generellen Verpflichtung der Gemeinschaft 25 auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb nach Art. 4, 98 EG.48 Die beiden Vorschriften treffen eine Grundsatzentscheidung für ein marktwirtschaftliches System. Die EG-Wirtschaftsverfassung ist daher auch nicht grundsätzlich offen.49 Zugleich verknüpft sie dieses Wirtschaftssystem mit freiem Wettbewerb. 45
46
47 48
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Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 258, 772 f. unter Bezug insbes. auf EuGH, Rs. C-321324/94, Slg. 1997, I-2343 (2374, Rn. 43) – Pistre. Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, 1997, S. 35 ff., 55 ff. lässt darüber hinaus Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen dem Handel der Mitgliedstaaten genügen; s. auch ders., EuR 1998, 435 (443): Auswirkungen auf den Wettbewerb der nationalen Märkte. Auch insoweit wirken aber die Grundfreiheiten partiell; am weitesten geht insoweit EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4172, Rn. 34) – Angonese; im Einzelnen Frenz, Europarecht 1, Rn. 319 ff. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 364; näher Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 29 ff. Näher dazu Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 136 ff.; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 49 ff.; Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 112 f. S. dagegen Bunte, in: Langen/Bunte, Einf. EG-Kartellrecht Rn. 20, der aber gleichfalls das Beruhen auf marktwirtschaftlichen Grundlagen annimmt.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Dieser ist damit ein Kennzeichen und geht zugleich über eine offene Marktwirtschaft hinaus, stellt also ein Element mit zusätzlichem Gehalt dar. Ansonsten hätte der freie Wettbewerb gar nicht erwähnt werden müssen. Damit bildet die Wettbewerbsfreiheit einen maßgeblichen Bestandteil des ge26 meinschaftsrechtlichen Wirtschaftssystems, das sich in dieses einfügt und ihm zugleich Form gibt. Die Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EG machen die allgemeine Vorgabe für eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb in entscheidenden Bereichen konkret und sichern damit das möglichst reibungslose Funktionieren des Wirtschaftslebens, wie es im Vertrag vorgezeichnet ist. Diese Komponente kann dann praktische Bedeutung erlangen, wenn es um die Gewichtung der anderen Elemente des Gemeinschaftsrechts geht, die gleichfalls auf das Wirtschaftssystem einströmen. So sollen die sozialpolitischen Zielsetzungen zusammen mit den dazu gehörigen Einzelvorschriften nach Art. 136 ff. EG der offenen Marktwirtschaft ein „soziales Gepräge“ geben.50 Mit der Vorgabe eines freien Wettbewerbs werden allerdings eher industriepo27 litische Zielsetzungen zusammenprallen, wenn es etwa um die Frage geht, wie stark eine staatliche Förderung einzelner Unternehmen ausfallen darf und inwieweit sich zulässigerweise industrielle Kooperationen bilden können. Insoweit findet nach Art. 81 bzw. 87 Abs. 3 EG im Rahmen des Wettbewerbsrechts eine entsprechende Abwägung statt, um die Vereinbarkeit mit Art. 81 ff. EG festzustellen.51 Diese Bestimmungen können freilich mit ihren Grundwertungen bereits im Vorfeld den politischen Entscheidungsprozess zur Verabschiedung von Gemeinschaftsleitlinien zur Ausgestaltung des gemeinschaftlichen Wirtschaftssystems beeinflussen oder auch davon abhalten, da ein zu stark reglementiertes Wirtschaftssystem freien Wettbewerb eher behindert als fördert. Daher müssen sich interventionistische und planerische Regulierungen vor der Wettbewerbs- und Marktfreiheit legitimieren lassen.52 Aus den allgemeinen wirtschaftsrechtlichen Vorgaben werden sich aber schon 28 deshalb keine konkreten Schranken ableiten lassen, weil der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb keine klare und unbedingte Verpflichtung konstituiert und schon deshalb auch kein eigenständig einklagbares subjektives Gemeinschaftsrecht bildet.53 Rechtliche Auswirkungen hat daher die interpretationsleitende Bedeutung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb auf die sie ausgestaltenden Wettbewerbsregeln. Diese allgemeine Vorgabe legt eine weite Auslegung der Verbotstatbestände und eine restriktive Handhabung von Ausnahmen im Sinne einer möglichst wirksamen Sicherung freien Wettbewerbs
50 51 52
53
Kempen, in: Streinz, Art. 4 Rn. 15. S.u. Rn. 851 ff.; 1003 ff. zu Art. 81 Abs. 3 EG. M.w.N. Nowak, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 77 (90); Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 683 (698); Müller-Graff, in: Hatje (Hrsg.), Das Binnenmarktrecht als Daueraufgabe, EuR 2002, Beiheft 1, S. 7 (22). Bezogen auf den Binnenmarkt Bungenberg, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 57 (75). EuGH, Rs. C-9/99, Slg. 2000, I-8207 (8235, Rn. 25) – Échirolles Distribution.
§ 1 Grundlagenfunktion für einen europaweiten Markt
13
zusätzlich nahe. Die Wettbewerbsfreiheit bildet die Regel, die Wettbewerbsbeschränkung die Ausnahme.
G.
Unverfälschter Wettbewerb als System
Dass das Gemeinschaftsrecht von einem Gesamtsystem auch des Wettbewerbs 29 ausgeht, zeigt bislang Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG explizit. Diese Vorschrift wurde auch in Zusammenhang mit der Wettbewerbsfreiheit vom EuGH aufgegriffen. Die Einzelvorschriften dienen zugleich der Erreichung der übergreifenden Gemeinschaftsziele und damit nicht nur eines Gemeinsamen Marktes bzw. nunmehr des Binnenmarktes,54 sondern auch des Systems unverfälschten Wettbewerbs.55 Auch diesem Ziel spricht der EuGH zwingende Geltung zu und sieht darauf die verschiedenen Tatbestände von Art. 81 f. EG bezogen. Das verlangt eine kohärente Anwendung dieser Bestimmungen.56 Die Vorgabe des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs wirkt aber für sich 30 nicht unmittelbar mit Rechten und Pflichten zulasten von Staaten oder Privatrechtssubjekten. Zwingende Geltung besteht nur für das Ziel. Die Konkretisierung erfolgt in Art. 81 ff. EG und erst aus diesen Bestimmungen folgen im Einzelfall Vorgaben, die zu einem konkreten Verhalten verpflichten.57 Indem diese Vorschriften allerdings auf dieses Gesamtsystem rückbezogen sind, werden sie durch diese allgemeine Zielsetzung beeinflusst. Daraus folgt insbesondere, dass der Wettbewerb als solcher auch bei Beschränkungen erhalten bleiben muss. Das ergibt sich freilich bereits aus Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG.58 Eine Zwischenstellung nehmen Folgerungen im Sinne eines allein auf die Ziel- 31 vorschrift gestützten, von Einzelvorschriften losgelösten Strukturprinzips Wettbewerb59 ein. Generell ist es problematisch, Einzelgehalte aus einer Zielvorgabe abzuleiten, zumal Art. 3 Abs. 1 EG nur Tätigkeitsfelder „nach Maßgabe dieses Vertrags“ festlegt, mithin eine nähere Spezifizierung voraussetzt. Es ergibt sich auch das Problem der Begrenzung.60 Soweit darauf verwiesen wird, dass zahlreiche Einzelbestimmungen den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen verlangen,61 spricht dies umgekehrt gerade für eine Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus die54 55 56 57 58 59
60 61
Zum Verhältnis o. Rn. 1. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can, noch bezogen auf Art. 2 und 3 lit. f) EWGV. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 a.E.) – Continental Can. So auch die Konzeption des EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. Dafür Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 251 ff.; s. auch Bleckmann, in: FS für Lukes, 1989, S. 271 (273); Schwintowski, RabelsZ 58 (1994), 232 (234), die von einem verbindlichen Rechtsprinzip ausgehen; abl. hinsichtlich der Mitgliedstaaten Slot, ELR 1987, 179 (186). Galmot/Biancarelli, RTDE 1985, 269 (299). Bleckmann, in: FS für Lukes, 1989, S. 271 (273 f.).
14
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
sen. Auch aus ihnen kann durch erweiterte Auslegung in einer Gesamtschau ein umfassender Charakter des Verbots von Wettbewerbsverzerrungen abgeleitet werden und sei es im Lichte der Systemvorgabe nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG.62 Diese allein ist aber wie die übrigen Vertragsziele zu behandeln,63 deren bloßer Zielcharakter allgemein anerkannt ist.64 Von daher ist unschädlich, wenn eine Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG vergleichbare Vorschrift in einer künftigen Verfassung nicht (mehr) existiert. Um die Bedeutung eines unverfälschten Wettbewerbs zu betonen, muss diese Komponente freilich an zentraler Stelle aufgenommen bleiben. Die Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EG bilden damit die alleinige 32 Grundlage für konkrete Inhalte und Rechtsfolgen im Wettbewerbsrecht, soweit nicht Einzelpolitiken Spezialvorschriften enthalten, wie dies für die Landwirtschaft und den Verkehr zutrifft und dadurch die Wettbewerbsregeln verdrängen.65 Dass sie in ein Gesamtsystem unverfälschten Wettbewerbs eingebettet sind, macht nur eine harmonische Interpretation erforderlich, vermittelt aber keine Rechtsgehalte, die von den Einzelvorschriften losgelöst sind.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten A.
Enge sachliche und rechtssystematische Verbindung
I.
Funktionsidentität?
33 Sowohl die Wettbewerbsfreiheit als auch die Grundfreiheiten bilden eine entscheidende Grundlage für die Verwirklichung des Binnenmarktes. Sie erfüllen dabei spezifische Funktionen. Die Wettbewerbsfreiheit garantiert insbesondere die konkurrierende freie Entfaltung der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer und eine sich daraus ergebende optimale Entfaltung des Wirtschaftspotentials.66 Die Grundfreiheiten sichern den für die Entfaltung dieses Wettbewerbs erforderlichen grenzüberschreitenden Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital, aber auch den Wechsel von Arbeitnehmern sowie die Eröffnung von Niederlassungen in Länder(n) mit hohen ökonomischen Chancen. Ohne sie wären Freihandel und freier Wettbewerb in der EU gar nicht möglich.67 Solchermaßen sind beide auf freien Handel und die Verwirklichung des Bin34 nenmarktes bezogen. Zwischen der Wettbewerbsfreiheit und den Grundfreiheiten 62 63 64 65 66 67
Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 231. Näher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 22. EuGH, Rs. 13/83, Slg. 1985, 1513 (1596) – Parlament/Rat; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 3 Rn. 2. Für die Landwirtschaft EuGH, Rs. 139/79, Slg. 1980, 3393 (3421 f., Rn. 23 f.) – Maizena. S. vorstehend Rn. 13 f. Ausführlich für die einzelnen Grundfreiheiten Frenz, Europarecht 1, Rn. 14 ff.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
15
besteht deshalb „Funktionsidentität“.68 Dieser Begriff darf allerdings nicht überdecken, dass lediglich die grobe Zielrichtung identisch ist, hingegen Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten eher ineinander spielen als sich überschneiden. Sie ergänzen sich in ihren positiven Wirkungen für den Binnenmarkt, ohne sich zu überlappen. Vielmehr kommen ihnen unterschiedliche Einzelfunktionen zu. Die Grundfreiheiten sind wesentlich stärker auf die Verwirklichung der Marktintegration bezogen als die Wettbewerbsvorschriften; unverfälschtem Wettbewerb kommt in höherem Ausmaß ein Eigenwert als Ordnungselement des Marktgeschehens zu.69 Daher ist die Annahme eines engen Funktionszusammenhangs, der auch in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck kam,70 passender.71 II.
Funktionszusammenhang
1.
Tatsächlich
So sind die unternehmensbezogenen Grundfreiheiten ihrerseits maßgeblich von 35 der Wettbewerbsfreiheit abhängig. Der grenzüberschreitende Warenverkehr beruht darauf, dass Unternehmen der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten in Austausch und Wettbewerb stehen. Dienstleistungen über Staatsgrenzen hinweg setzen ebenfalls eine Konkurrenz zu regelmäßig vorhandenen inländischen Anbietern voraus. Eine Niederlassung im EU-Ausland gründet ein Unternehmen dann, wenn es in diesem Mitgliedstaat Geschäfte betreibt bzw. betreiben will und damit in Wettbewerb mit inländischen Anbietern treten kann. Im Gefolge davon wird Kapital verlagert bzw. werden Unternehmensanteile übernommen. Die Entfaltung all dieser Freiheiten beruht daher auf einem funktionierenden Wettbewerb. Die durch sie angestrebte Chancengleichheit mit inländischen Anbietern72 ist nur bei einem redlichen und unverfälschten Wettbewerb voll gewährleistet, wie er ausweislich Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG und der 4. Erwägung der Präambel zum EG durch Art. 81, 82 EG angestrebt ist.73 2.
Systematisch
An dieser Grundlagenfunktion der Wettbewerbsfreiheit für die Verwirklichung an- 36 derer gemeinschaftsvertraglich gewährleisteter Freiheiten ändert auch die in Art. 3 68 69 70 71 72 73
Begriff etwa bei Drexl, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 747 (777). Näher Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, 1999, S. 217 f. m.w.N. sowie o. Rn. 15 ff. S. bereits EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (499, Rn. 6 ff.) – Deutsche Grammophon. Deshalb mit Vorbehalten auch insoweit Nowak, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 77 (80). Insoweit handelt es sich immer noch um die ursprüngliche Basisfunktion, näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 105 ff., 141 ff. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission; Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I.
16
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
EG von den anderen, in lit. a) und c) benannten Freiheiten getrennte Erwähnung in lit. g) nichts, ebenso wenig das Ziel eines Wettbewerbssystems, das durch seinen Binnenmarktbezug umgekehrt die Frage aufwirft, ob dazu nicht auch die Grundfreiheiten gehören.74 Ohnehin bildet Art. 3 EG lediglich eine der Konkretisierung bedürftige Zielnorm,75 so dass die näheren Ausprägungen und deren Anordnung zählen. Seit den Änderungen durch den EUV ist die Wettbewerbspolitik mit den herkömmlich anerkannten Grundfreiheiten in dem Dritten Teil „Politiken der Gemeinschaft“ und nicht mehr getrennt von ihnen wie im EWGV geregelt; dort bildeten die Grundfreiheiten noch den Zweiten Teil „Grundlagen der Gemeinschaft“. Auch dies spricht für ein Zusammenwachsen. Die Wettbewerbsfreiheit ist also mit den anderen unternehmensbezogenen Frei37 heiten untrennbar verquickt, ohne dass diese Verbindung durch das System des EG durchschnitten wäre. Vielmehr ist die erfolgte Zusammenfassung in einem Teil ein gewisser, wenn auch im Hinblick auf die Einschließung auch sämtlicher anderer, keine Freiheiten darstellender Politiken lediglich schwacher Anhaltspunkt im Vertrag selbst. Der VE wollte die Wettbewerbsfreiheit direkt an die herkömmlichen Grundfreiheiten heranrücken; das Verkehrskapitel sollte nicht mehr dazwischen stehen. Stärkeres Gewicht hat, dass alle Grundfreiheiten und die Wettbewerbsfreiheit über Art. 2 EG auf die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes bezogen sind und dabei jeweils unabdingbare und ineinander spielende Säulen bilden. III.
Vereinigung in allgemeiner Marktfreiheit?
38 Der enge Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten wird zum Teil unter Rückgriff auf die verschiedenen Einzelbestimmungen zu einem Gemeinschaftsgrundrecht der allgemeinen Marktfreiheit verdichtet, das gerichtlich überprüfbar sein soll.76 Das erinnert an die Ableitung eines Grundsatzes des bestmöglichen Umweltschutzes aus verschiedenen Einzelbestimmungen zum Umweltschutz.77 Für beide Institute gilt, dass sie eine Überwölbung darstellen, die sich als solche schwerlich an einzelnen Bestimmungen festmachen lässt. Dass die Gewährleistungen jeweils spezifisch in verschiedenen Komponenten verankert sind, deutet eher auf die Vielfalt der Einzelgehalte als auf ihre Fassbarkeit auch in einem übergeordneten Prinzip. Ein solches führt auch nicht weiter. Die allgemeine Marktfreiheit ist in verschiedenen Ausprägungen für bestimmte Bereiche im Einzelnen gewährleistet. Letztlich lässt sich eine solche aus einer Zusammenschau 74 75 76 77
Vgl. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 209. Art. 3 Abs. 1 lit. c) EG ist allerdings lex specialis, s. Frenz, Europarecht 1, Rn. 14. S.o. Rn. 30. S. näher Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, 1999, S. 334 ff.; abl. Schmidt, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 83 Rn. 26; Nicolaysen, EuR 2003, 719 (741). Z.B. Zuleeg, NVwZ 1987, 280 (283 ff.); ders., NJW 1993, 31 (32 ff.); Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 10 ff.; Scheuing, EuR 1989, 152 (178 f.); abl. Everling, in: Behrens/Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 29 (44); Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 169 f.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
17
der einzelnen Grundfreiheiten begrifflich ableiten, aber nicht als juristischer Gehalt. Konkret fassbar ist dieser vielmehr nur in den Einzelbestimmungen. Zudem haben die Grundfreiheiten im Vergleich zu den Grundrechten durchaus 39 ihre Eigenheiten – trotz vielfältiger Parallelen.78 Entsprechendes gilt für die Wettbewerbsfreiheit. Daher lässt sich aus diesen unterschiedlichen Fundamenten kein zusätzliches Grundrecht ableiten. Marktfreiheitsbezogene Gehalte ergeben sich freilich aus den grundrechtlichen Festschreibungen in der EGRC namentlich in Form der Berufs- und Unternehmensfreiheit. Daraus folgt aber gleichfalls nur eine enge Verbindung und gegenseitige Beeinflussung, nicht ein übergreifendes Prinzip. Dieses würde die Gefahr in sich bergen, dass die Einzelgehalte in ihren Unterschieden verwischt würden. Das Ergebnis wäre nicht notwendig eine Verstärkung der Freiheitsgehalte des Gemeinschaftsrechts. Allerdings zeigt die Gesamtheit der Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln, 40 dass dem Freiheitsgedanken im Marktgeschehen eine dominierende Rolle zukommen soll. Daran ändern auch gewisse Gewichtsverschiebungen zugunsten sozialer und anderer Elemente im europäischen Vertragswerk nichts. Im Zentrum stehen weiterhin die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsregeln. Die anderen Komponenten bedingen nur eine leichtere Rechtfertigung von Beeinträchtigungen dieser Rechte mit sich. Damit bleibt aber eine Vermutung für das Eingreifen einer Grundfreiheit oder Wettbewerbsregel erhalten. Das prägt tiefgehend die Auslegung der einzelnen Freiheiten. Ausnahmetatbestände sind damit eher eng zu interpretieren.79 Insoweit ist auch der Hintergrund relevant, dass das Gemeinschaftsrecht zahlreiche Freiheitsverbürgungen enthält, die in ihrer Gesamtheit den freien Wirtschaftsverkehr nahezu lückenlos gewährleisten. Dazu bedarf es aber keiner eigenen übergeordneten Freiheit, sondern einer entsprechend weiten Auslegung der vorhandenen Einzelgarantien.80 Der Gedanke einer allgemeinen Marktfreiheit erlangt seine Bedeutung daher 41 nicht als justiziables Gemeinschaftsgrundrecht, sondern als gewichtige Auslegungsdeterminante. Diese kommt vor allem dann zum Zuge, wenn es um Abwägungen mit anderen gemeinschaftsrechtlich verankerten Strukturprinzipien geht, wie etwa dem Umweltschutz. Insoweit wird dann relevant, dass die allgemeine Marktfreiheit mehr ist als die Summe ihrer Teile und zudem sich übergreifend aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten lässt. Sie vermag daher ein adäquates Gegengewicht zu anderen bereichsübergreifenden und damit vor allem als Querschnittsklausel verankerten Elementen zu bilden.81 Die allgemeine Marktfreiheit bildet letztlich selbst ein solches Querschnittselement, das im Rahmen aller anderen Politiken zu berücksichtigen ist.
78 79 80 81
Dazu im Einzelnen Frenz, Europarecht 1, Rn. 42 ff. S. für die Grundfreiheiten z.B. EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 (1350, Rn. 18/19) – van Duyn. Für das Wettbewerbsrecht z.B. EuG, Rs. T-66/92, Slg. 1994, II-531 (543, Rn. 32) – Herlitz. Vgl. für das GG Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 212.
18
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
B.
Die Wettbewerbsfreiheit als Grundfreiheit
I.
Begrifflich
42 Sowohl die Wettbewerbsfreiheit als auch die Waren- und Kapitalverkehrs-, die Niederlassungs- und die Dienstleitungsfreiheit wie auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleisten auf ihre Weise eine bestimmte Freiheit, die grundlegend für die Entwicklung eines gesamteuropäischen Marktes ist. Damit handelt es sich jedenfalls begrifflich bei allen einschließlich der Wettbewerbsfreiheit um Grundfreiheiten.82 Für eine solch weite Konzeption spricht auch die parallele Struktur, aufgeteilt in Schutzbereich, Beeinträchtigung und Rechtfertigung bzw. deren Schranken.83 Darin spiegelt sich die inhaltliche Verwandtschaft wider, die durch den Bezug und die gegenseitige Ergänzung im Hinblick auf die Verwirklichung des Gemeinsamen bzw. des Binnenmarktes begründet wird. II.
Paralleler Kreis von Berechtigten und möglichen Verpflichteten
43 In dem so garantierten Freiraum kann sich der Einzelne entfalten und gegen Beeinträchtigungen wenden. Im Rahmen der Grundfreiheiten kann er dies gegenüber staatlichen Einheiten. Auch die Wettbewerbsfreiheit kann von staatlichen Einheiten beeinträchtigt und gegen deren Einwirkungen verteidigt werden. Das gilt in einem (nahezu) ausschließlichen Sinne84 für das Beihilfenverbot, aber auch im Hinblick auf die Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen, jedenfalls wenn man Art. 86 und 10 EG hinzunimmt.85 Zwar begründet die zweitgenannte Gruppe in erster Linie Pflichten für Private. Solche können indes umgekehrt auch aus den Grundfreiheiten erwachsen, wie die Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit belegt.86 Im Übrigen haben die staatlichen Behörden auch im Rahmen der Grundfreiheiten eine Schutzfunktion, damit nicht Private die Ausübung vereiteln.87
82 83 84
85
86
87
Frenz, Europarecht 1, Rn. 21. Näher sogleich Rn. 52 ff. Private Einheiten können das Beihilfenverbot nur dann verletzen, wenn sie vom Staat zur Durchführung der Beihilfenregelung errichtet oder beauftragt worden sind, EuGH, Rs. 78/76, Slg. 1977, 595 (612 f., Rn. 21 f.) – Steinike & Weinlig; Rs. 290/83, Slg. 1985, 439 (449, Rn. 14 f.) – Kommission/Frankreich; Rs. 57/86, Slg. 1988, 2855 (2872, Rn. 12 f.) – Griechenland/Kommission. EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3998, Rn. 49) – Corsica Ferries II; Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3899 f., Rn. 53 f.) – CNSD, ohne wie die frühere Rspr. zusätzlich noch auf Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG zurückzugreifen; näher u. Rn. 1956. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4172, Rn. 34) – Angonese. Diese Entscheidung kann allerdings nicht verallgemeinert werden, näher dazu Frenz, Europarecht 1, Rn. 319 ff. S. EuGH, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 (6999, Rn. 31 ff.) – Kommission/Frankreich (Agrarblockaden); Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (5713 f., Rn. 57 ff.) – Schmidberger (Brenner-Blockade); näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 190 ff.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
19
Diese Gewährleistungsaufgabe steht allerdings im Rahmen der Wettbewerbs- 44 aufsicht im Vordergrund und wird neben den nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten vor allem von der Kommission wahrgenommen. Die Unternehmen sind die Adressaten. Damit ist die Hauptstoßrichtung eine andere, nicht aber der Kreis der Verpflichteten, da sich auch staatliche Einheiten an die Wettbewerbsregeln halten müssen und dabei jedenfalls von der Kommission überwacht werden (s. Art. 86 Abs. 3 EG). Der Kreis der Begünstigten ist im Rahmen der Grundfreiheiten und der Wett- 45 bewerbsregeln weitgehend deckungsgleich. Beide begünstigen primär Private und dabei mit Ausnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit88 in erster Linie Unternehmen. Zwar berechtigen auch die wirtschaftsbezogenen Freiheiten jeden Unionsbürger und Gesellschaften werden lediglich gem. Art. 48 EG gleichgestellt. Faktisch sind es aber in erster Linie sie, die Schwierigkeiten mit Zöllen haben, Waren ex- oder importieren, Niederlassungen gründen, Dienstleistungen erbringen oder auch entgegen nehmen, in anderen Mitgliedstaaten investieren oder dorthin zahlen. Staatliche Einheiten sind aus den Grundfreiheiten nur insoweit berechtigt, als 46 sie einen Erwerbszweck verfolgen.89 Das gilt in erster Linie für öffentliche Unternehmen. Diese unterliegen umgekehrt gem. Art. 86 EG den Wettbewerbsvorschriften. Das schließt aber ihre Berechtigung nicht aus, wie sich aus Art. 86 Abs. 1 EG ergibt, der den Mitgliedstaaten auch die Ergreifung oder Beibehaltung den Wettbewerbsvorschriften zuwider laufender Maßnahmen verbietet. Diese Berechtigung besteht gegenüber dem Staat; Art. 86 Abs. 2 EG bildet demgegenüber die Verpflichtungsnorm gegenüber Privaten.90 Diese Gesamtkonzeption entspricht der Rechtsprechung des EuGH, der hoheitliche Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EG fallen lässt.91 Korrespondierend dazu können außerhalb von Erwerbszwecken handelnde staatliche Einheiten auch nicht von Wettbewerbsverstößen Privater berührt werden. III.
Andere Durchsetzung
Allerdings ist die Art der Durchsetzung eine andere. Die Grundfreiheiten verlei- 47 hen den Begünstigten subjektiv-öffentliche Rechte und sind daher vom Einzelnen individuell vor den Behörden und Gerichten einforderbar.92 Die Wettbewerbsregeln werden demgegenüber primär behördlich durchgesetzt. Der Einzelne hat frei88
89 90 91
92
Dass diese nach EuGH, Rs. C-350/96, Slg. 1998, I-2521 (2545, Rn. 19 ff.) – Clean Car auch Arbeitgeber berechtigt, bildet die Ausnahme und ist rückbezogen auf die (gleichzeitige) Sicherung der Arbeitnehmerrechte, Frenz, Europarecht 1, Rn. 1217 f. Frenz, Europarecht 1, Rn. 246 f. Vgl. zu den Grundfreiheiten Weiß, DVBl. 2003, 564 (568 f.); ders., EuR 2003, 165 (169 ff.); Frenz, Europarecht 1, Rn. 239 f. EuGH, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 (63 f., Rn. 30 f.) – SAT Fluggesellschaft; Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 (1587 ff., Rn. 16 ff.) – Diego Cali & Figli; ebenso etwa v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 113 f. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 83 ff.
20
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
lich bei berechtigtem Interesse die Möglichkeit, sich an die zuständige Behörde mit einschlägigem Vorbringen zu wenden und muss insoweit auch unterrichtet werden. Auf Kommissionsebene greift insoweit das Beschwerdeverfahren nach Art. 5 ff. VO (EG) Nr. 1/2003.93 Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen von Unternehmen bedürfen nach 48 neuem Recht ebenso wenig wie potenziell die Grundfreiheiten tangierenden Handlungen von Staaten oder im Falle von Art. 39 EG auch von Arbeitgebern nicht mehr der Anmeldung und Genehmigung. Vielmehr hat das entsprechende Unternehmen selbst eine entsprechende Beurteilung vorzunehmen und die zuständigen Behörden haben insoweit zu überwachen, ob diese Beurteilung zutrifft. Im Beihilfenrecht ist indes weiterhin eine Vorabunterrichtung der Kommission nach Art. 88 Abs. 3 EG notwendig. Andernfalls ist bei einer späteren Rücknahme ein guter Glaube ausgeschlossen.94 Benachteiligte Private haben gegen die aus den Wettbewerbsregeln Verpflich49 teten nur begrenzte Klagerechte unmittelbar auf der Basis von Gemeinschaftsrecht. Sie können in erster Linie auf nationalrechtlicher Grundlage Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen.95 Aus Gemeinschaftsrecht unmittelbar können sie lediglich insoweit klagen, als die Kommission wettbewerbsrechtlich einschreiten müsste, jedoch untätig bleibt. Voraussetzung für eine solche Untätigkeitsklage nach Art. 232 Abs. 3 EG ist eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit.96 Daher müssen konkrete Auswirkungen auf die eigene Wirtschaftssituation vorhanden sein,97 wenn nicht gar eine formale Beteiligung am vorherigen Verfahren erfolgt sein muss.98 Die Position des Einzelnen zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln ist daher wesentlich schwächer ausgeprägt als im Bereich der Grundfreiheiten. IV.
Mögliche Gleichstellung mit den herkömmlichen Grundfreiheiten
50 Von der Funktion im Rahmen des Binnenmarktes her, aufgrund paralleler Strukturen sowie als Garantie von Freiräumen für den Einzelnen ist die Wettbewerbsfreiheit mit den herkömmlich als Grundfreiheiten bezeichneten Freiheiten gleichzustellen und kann selbst als Grundfreiheit eingestuft werden. Der Unterschied liegt 93 94 95 96 97 98
Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. Ausführlich u. Rn. 1630 ff. EuGH, Rs. C-5/89, Slg. 1990, I-3437 (3457 f., Rn. 14 ff.) – BVG-Aluminium; a.A. BVerwGE 92, 81 (84). Dazu Baur, EuR 1988, 257 ff. sowie u. Rn. 1098 ff. EuGH, Rs. C-68/95, Slg. 1996, I-6065 (6105, Rn. 59) – Port. EuGH, Rs. 169/84, Slg. 1986, 391 (415 f., Rn. 27 f.) – Cofaz. So EuGH, Rs. 169/84, Slg. 1986, 391 (415, Rn. 24 ff.) – Cofaz unter Hinweis auf Rs. 264/82, Slg. 1985, 849 (866, Rn. 16) – Timex; nicht verlangt dagegen von EuG, Rs. T-266/94, Slg. 1996, II-1399 (1419 f., Rn. 46 ff.) – Skibsvaerftsforeningen; näher Klingbeil, Das Beihilfeverfahren nach Art. 93 EG-Vertrag, 1998, S. 231 ff. S. dagegen für das Kartellverfahren u. Rn. 1614 ff. und für die Fusionskontrolle Rn. 1902, 1951.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
21
insbesondere in der Durchsetzung durch die Begünstigten sowie der personellen Hauptzielrichtung, was den Kreis der Verpflichteten der Wettbewerbsregeln anbetrifft. Daraus ergibt sich allerdings auch eine divergierende Freiheitswirkung: Die Grundfreiheiten erweitern den Rechtskreis Privater nahezu ausschließlich, soweit sie nicht ausnahmsweise auch Private verpflichten.99 Die Wettbewerbsregeln verengen ihn hingegen insofern, als sie wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verbieten und damit zugleich in großem Umfang freiheitsbeschränkend zulasten Privater wirken.100 In der Rechtsprechung des EuGH zeigt sich dieser Unterschied namentlich da- 51 rin, dass eine Bagatellgrenze für die Warenverkehrsfreiheit abgelehnt wird, weil diese nicht wie die Wettbewerbsregeln die Vertragsfreiheit der Unternehmen beeinträchtigt, was nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinaus erfolgen soll.101 Allerdings gewährleisten die Wettbewerbsregeln trotz ihrer insoweit bestehenden Einschränkung ebenfalls Freiheit zugunsten Privater. Nur erfolgt dies über eine Verpflichtung insbesondere Privater und nicht wie im Rahmen der Grundfreiheiten über eine Verpflichtung nahezu ausschließlich staatlicher Stellen. Damit bleibt die Freiheitswirkung im Ergebnis vergleichbar; nur wird diese über eine unterschiedliche Verpflichtungsrichtung erreicht.
C.
Parallele Struktur
Mit den Grundfreiheiten hat die Wettbewerbsfreiheit insbesondere gemein, dass 52 sie einen sachlich bestimmten Freiraum gewährleistet. Dieser Freiraum kann gem. Art. 81 Abs. 3 EG bzw. Art. 87 Abs. 3 EG unter spezifisch benannten Voraussetzungen eingeschränkt werden. Damit ist auch die Struktur zu den Grundfreiheiten, bestehend aus Schutzbereich, dessen Beeinträchtigung und Rechtfertigung von Beschränkungen, parallel. Zudem enthält Art. 81 Abs. 3 EG explizite Schranken namentlich in Form der Erforderlichkeit einer Koordinierung, einer angemessenen Gewinnbeteiligung der Verbraucher sowie der Erhaltung des Wettbewerbs als solchem in einem bestimmten Bereich. Diese erinnern an die Verhältnismäßigkeit und die Wesensgehaltsgarantie im Bereich der Grundfreiheiten.
99 100 101
S.o. Rn. 43. Insbes. darauf abhebend Nowak, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 77 (81). S. EuGH, Rs. 177 u. 178/82, Slg. 1984, 1797 (1812, Rn. 11) – van de Haar; mit anderem Ansatz Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 28 Rn. 59.
22
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
I.
Schutz- und Anwendungsbereich
1.
Eröffnung
a)
Sachlich
53 Der Schutzbereichskern der Wettbewerbsregeln liegt in der Sicherung eines ungehinderten Wettbewerbs. Bezogen auf diesen Kern enthalten Art. 81 ff. EG unterschiedliche Schutzgewährleistungen, die sich im Verbot bestimmter Verhaltensweisen niederschlagen. Während die Grundfreiheiten positiv einen Vorgang ermöglichen und absichern, wollen die Wettbewerbsregeln private bzw. staatliche Maßnahmen explizit verbieten. Das tun jedoch auch die Grundfreiheiten, indem sie alle staatlichen Maßnahmen untersagen, welche eine bestimmte Freiheitsgewährleistung beschränken. Die Zoll-, die Warenverkehrs-, die Niederlassungs-, die Dienstleistungs-, die Kapital- und die Zahlungsverkehrsfreiheit enthalten explizite Verbote. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit umfasst eine Gewährleistung, welche die Ab54 schaffung bestimmter unterschiedlicher Behandlungen umfasst, diese also verbietet. Damit enthalten sowohl die Wettbewerbsregeln als auch die Grundfreiheiten Verbotstatbestände, die der Sicherung eines bestimmten Freiraumes dienen. Für Art. 81 EG sind dies Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit festgelegten, näher spezifizierten Auswirkungen, die aber erst eine relevante Beeinträchtigung konstituieren. Art. 82 EG enthält das Verbot, eine beherrschende Marktstellung missbräuchlich auszunutzen. Art. 87 EG erklärt staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen mit partieller Begünstigungswirkung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verbietet sie damit. Auch in diesen beiden Fällen ist eine potenzielle bzw. tatsächliche Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten notwendig, damit eine Beeinträchtigung vorliegt. Allerdings sind diese Tatbestände von den erfassten Verhaltensweisen her kon55 zipiert. Die Form der verbotenen Maßnahmen wird konkret benannt: in Art. 81 EG verschiedene Formen des Zusammenwirkens zwischen Unternehmen, in Art. 82 EG Missbräuche marktbeherrschender Stellungen und in Art. 87 EG staatliche Beihilfen. Die Art der Verhaltensweise spielt demgegenüber im Rahmen der Grundfreiheiten kaum eine Rolle. Entscheidend ist die staatliche Herkunft und der potenziell schutzgutgefährdende Effekt. Nur unterliegen unmittelbare Diskriminierungen engeren Grenzen, da sie lediglich auf die expliziten Rechtfertigungsgründe gestützt werden können.102 Demgegenüber ist in den Wettbewerbsvorschriften das Schutzgut des unver56 fälschten Wettbewerbs zwar vorhanden, tritt aber in der Prüfung im Gegensatz zu den Grundfreiheiten nicht hervor, weil die in den Wettbewerbsvorschriften benannten Verhaltensweisen tendenziell wettbewerbsfeindlich sind und daher ihr Verbot zwar dem Schutzgut des unverfälschten Wettbewerbs dient, dessen eigene Prüfung als Voraussetzung für die Anwendungseröffnung der Wettbewerbsregeln 102
Z.B. EuGH, Rs. C-1 u. 176/90, Slg. 1991, I-4151 (4184, Rn. 13) – Aragonesa de Publicidad für alle Grundfreiheiten.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
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aber entbehrlich macht. Insoweit sind auch eigens aufgeführte Tatbestandsmerkmale wie die Bezweckung oder Bewirkung einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs speziell. Daher ist die Einschlägigkeit der Wettbewerbsvorschriften eingangs ausschließlich dadurch bedingt, dass eine darin aufgeführte Verhaltensweise erfüllt ist. Dann ist der Anwendungsbereich eröffnet. Dieser Begriff ist daher im Rahmen der Wettbewerbsregeln präziser als die Bezeichnung Schutzbereich, die im Rahmen der Grundfreiheiten dem jeweils bezeichneten Schutzgut als Ausgangspunkt entspricht.103 Infolge der Verschiedenheit der verbotenen Verhaltensweisen ergeben sich 57 kaum Abgrenzungsprobleme. Zudem sind die Tatbestände regelmäßig parallel anwendbar. Insbesondere schließen sich Art. 81 und 82 EG nicht gegenseitig aus; sie stehen zueinander in Idealkonkurrenz.104 Allerdings bezieht sich Art. 81 EG auf das Zusammenwirken verschiedener Unternehmen oder das Verhalten einer Unternehmensvereinigung, während Art. 82 EG vornehmlich das Agieren eines (beherrschenden) Unternehmens erfasst, außer mehrere Unternehmen verfügen gemeinsam über eine beherrschende Stellung und nutzen diese aus. Dann können diese beiden Vorschriften eine solche wettbewerbsrelevante Verhaltensweise unter verschiedenen Aspekten ergreifen; sie sind allerdings sukzessiv und nicht gleichzeitig parallel anwendbar.105 Insgesamt geht es darum, den Wettbewerb umfassend vor Verfälschungen zu schützen. Daher sind etwaige Schutzlücken durch eine in sich stimmige Interpretation der beiden Tatbestände in ihrer Zusammenschau zu schließen.106 Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten steht allerdings für die Wettbewerbsre- 58 geln ein grenzüberschreitendes Element nicht derart im Vordergrund. Die Grundfreiheiten enthalten es explizit, indem sie nur grenzüberschreitende Vorgänge ansprechen (z.B. Art. 43 EG: Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates). Daher konstituiert es bereits den Schutzbereich.107 Im Rahmen der Wettbewerbsregeln wird hingegen dieses grenzüberschreitende Element erst im Rahmen der Beeinträchtigung bzw. der Eignung dazu angesprochen und auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten bezogen. Grundlegend bleibt dieses Merkmal gleichwohl notwendigerweise deshalb, weil das primäre Gemeinschaftsrecht letztlich völkerrechtlichen Ursprungs ist. Damit können auch die Wettbewerbsregeln nicht rein innerstaatliche Sachver- 59 halte ohne zumindest grenzüberschreitende Auswirkungen erfassen. Allerdings ist dieses Merkmal, obgleich konstituierend für das Eingreifen des primären gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts,108 in den Wettbewerbsregeln mit der tatsächlichen oder potenziellen Beeinträchtigung verbunden. Zudem wird es von der Recht103 104 105 106 107 108
Demgegenüber auch im Rahmen der Grundfreiheiten vom Anwendungsbereich sprechend Jarass, EuR 2000, 705 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 23. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 24. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 373 ff. Anders Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 84 f. Über Sekundärrecht können darüber hinausgehende Regelungen erfolgen, namentlich um eine Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen zu erzielen.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
sprechung des EuGH eher am Rande geprüft. Damit ist allerdings die Beeinträchtigung letztlich eng mit dem sachlichen Anwendungsbereich verflochten, da dieser ohne grenzüberschreitende Auswirkungen nicht eröffnet sein kann. Gleichwohl folgt die Darstellung hier der normativen Gestaltung der Wettbewerbsregeln und behandelt die Frage des grenzüberschreitenden Moments erst auf der Ebene der Beeinträchtigung. b)
Personell
60 Die Frage nach dem personellen Anwendungsbereich fällt zusammen mit den Begünstigten. Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten kommt diesen indes keine originär aus den Wettbewerbsregeln folgende Rechtsstellung zu. Sie haben vielmehr ein Beschwerderecht auf sekundärrechtlicher Grundlage. Eine Klagebefugnis bei Untätigbleiben der Kommission setzt eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit und damit konkrete Auswirkungen auf die eigene Wirtschaftssituation bzw. eine vorherige Beteiligung am Verfahren voraus.109 Damit können selbst Wettbewerber nur begrenzt ein Einschreiten gegen einen Verstoß auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage fordern.110 Daher stellt sich die Frage des personellen Schutzbereichs auf der Begünstigtenseite nicht in dem Maße wie bei den Grundfreiheiten, wenngleich im Ergebnis der einzubeziehende Kreis durchaus vergleichbar ist.111 Diese Parallelität besteht aber auch für die Verpflichteten. Insoweit ist im Rahmen der Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen nicht 61 zuletzt zu prüfen, inwieweit diese einbezogen sind, wenn sie ihren Sitz außerhalb der EU haben. Diese Thematik überschneidet sich mit dem Geltungsbereich der europäischen Wettbewerbsregeln im internationalen Kontext und wird daher spezifisch dort behandelt.112 Im Ergebnis unterliegen ihnen Unternehmen mit Sitz in der EU und außerhalb davon, soweit ihr Verhalten Auswirkungen nicht nur auf dem nationalen, sondern auch auf dem Gemeinsamen Markt und damit im grenzüberschreitenden Kontext haben kann. c)
Räumlich
62 Damit wird zugleich die Frage des räumlichen Anwendungsbereiches der Wettbewerbsregeln berührt. Gewährleistet ist der unverfälschte Wettbewerb innerhalb der EU. Entsprechend dem allgemeinen Geltungsumfang des EG sind das gem. Art. 299 EG die Mitgliedstaaten; für die überseeischen Territorien nach Art. 299 Abs. 2 EG113 können dabei Sonderregeln greifen.114 Die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete nach Anhang II zum EG unterliegen gem. Art. 299 Abs. 3 EG dem 109 110
111 112 113 114
S.o. Rn. 49 sowie u. Rn. 1614. Allerdings besteht auch im nationalen Recht kaum ein Anspruch auf eine kartellrechtliche Verbotsverfügung, s. etwa Commichau/Schwartz, Grundzüge des Kartellrechts, 2002, Rn. 573 ff. m.w.N. S.o. Rn. 45 f. S.u. Rn. 197 ff. Die französischen départements d´outre mer sowie die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln. Näher etwa Callies/Ruffert, Art. 299 Rn. 15 ff.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
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besonderen Assoziierungsregime nach Art. 182 ff. EG, das die Wettbewerbsregeln nicht festschreibt. Art. 299 Abs. 4 EG erfasst nur Gibraltar,115 nicht hingegen die europäischen Mikrostaaten Andorra, Monaco, San Marino und Vatikanstadt.116 Die Geltung des Vertrages ist nach Art. 182 Abs. 6 EG generell für die Färöer und die britischen Hoheitszonen auf Zypern ausgeschlossen; die Wettbewerbsregeln sind für die Kanalinseln und die Insel Man durch das Protokoll Nr. 3 zur Beitrittsakte von 1972117 nicht erfasst und gelten daher nach Art. 182 Abs. 6 lit. c) EG nicht. d)
Zeitlich
Die Wettbewerbsregeln galten von Anfang an unmittelbar, ohne dass Übergangs- 63 fristen eingriffen. Für neue Mitgliedstaaten greifen sie allerdings bei besonderen Bestimmungen in der jeweiligen Beitrittsakte ggf. auch erst nach dem Beitrittstermin ein. Übergangsweise kann sich eine modifizierte Geltung der Wettbewerbsregeln daraus ergeben, dass im Zuge von Beitrittsvereinbarungen Übergangsfristen oder zunächst abgeschwächte Geltungsmodi festgelegt werden. Art. 81 ff. EG gelten wie der Gesamtvertrag nach Art. 312 EG unbegrenzt und sind höchstens dann und insoweit ausgeschlossen, als sich ein Mitgliedstaat zulässigerweise im Zuge einer Kündigung von der Gemeinschaft gelöst hat. Bislang kann dies höchstens bei außerordentlichen Umständen118 oder einvernehmlich119 erfolgen. Art. I-60 VE sieht ein nicht an bestimmte Voraussetzungen gebundenes einseitiges Kündigungsrecht für jeden Mitgliedstaat vor, im Zuge dessen mit In-Kraft-Treten des Austrittsabkommens oder sonst regelmäßig nach zwei Jahren die Vertragsvorschriften keine Anwendung mehr finden, sondern durch ein Sonderregime auf der Basis einer bilateralen Vereinbarung abgelöst werden. 2.
Begrenzungen
Der Anwendungsbereich einer Wettbewerbsvorschrift ist lediglich dann eröffnet, 64 wenn das jeweilige Verhalten nicht unter eine Anwendungsbereichsbegrenzung fällt. Eine solche führt also nicht lediglich zur Rechtfertigung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens, sondern schließt bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus. Der Anwendungsbereich erfasst dieses Verhalten erst gar nicht. Die Rechtfertigung einer etwaigen Beeinträchtigung ist nicht mehr zu prüfen, eine Verletzung scheidet schon vorher aus.120 Ansatzpunkte für das Bestehen einer solchen Begrenzung im Rahmen der Wettbewerbsvorschriften sind eingegliederte Unternehmen und Personen, die Rule of Reason, wettbewerbsfördernde Maßnahmen sowie die de-mini115 116 117 118 119 120
S. Anfrage Nr. 655/85 vom 10.6.1985, ABl. 1985 C 341, S. 8 f. Näher Kokott, in: Streinz, Art. 299 Rn. 7. Näher Stapper, Europäische Mikrostaaten und autonome Territorien im Rahmen der EG, 1999. ABl. 1972 L 73, S. 5. Diese für zulässig haltend Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 312 Rn. 2 f. m.w.N. Zumindest davon ausgehend BVerfGE 89, 155 (190) – Maastricht. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 386 f.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
mis-Regel. Geschriebene Begrenzungen des Anwendungsbereichs finden sich im Gegensatz zu den Grundfreiheiten (z.B. Art. 39 Abs. 4 EG) nicht. a)
Eingegliederte Unternehmen und Personen
65 Art. 81 Abs. 1 EG verlangt Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Solche fehlen, wenn es sich nur um ein Unternehmen handelt. Das ist dann der Fall, wenn zwei an einer Vereinbarung beteiligte Personen insgesamt nur ein Unternehmen bilden. Sie können dann gar keine Vereinbarung treffen. Eine solche setzt nämlich wie das Vorliegen zweier Unternehmen voraus, dass zwei im Wettbewerb unabhängige Personen gegeben sind. Ist dies nicht der Fall, kann Art. 81 Abs. 1 EG gar nicht eingreifen, sondern allenfalls Art. 82 EG.121 Auch sein Schutzzweck, nämlich ein unverfälschter Wettbewerb zwischen Unternehmen, ist nicht zu verwirklichen. Insoweit handelt es sich bereits um eine tatbestandsmäßige Beschränkung. Die Hauptbeispiele für diese Fallgruppe bilden die Handelsvertreter und die 66 Kommissionsagenten.122 Das für den EuGH maßgebliche Kriterium ist das der Eingliederung. Sind die Handelsvertreter oder Kommissionsagenten in das sie einschaltende Unternehmen eingebunden, können sie nicht mehr von ihm verschiedene Partner einer Vereinbarung sein. Art. 81 Abs. 1 EG will nicht die innere Organisation eines Unternehmens antasten.123 Außerhalb dieses Bereichs steht indes ein Handelsvertreter oder Kommissionsagent, der auf eigenes Risiko handelt und damit selbstständiger Akteur mit eigener Marktstellung im Wettbewerbsgeschehen ist. Er ist daher als Eigenhändler selbst ein Unternehmen i.S.d. Kartellverbots.124 Das gilt auch dann, wenn er nur für bestimmte Bereiche eine eigene Risikostellung hat, in anderen hingegen in das beauftragende Unternehmen eingegliedert ist.125 Diese Unterscheidung nach der vollständigen Eingliederung deckt sich im Wesentlichen mit der durch die Kommission nunmehr benutzten,126 wonach nur ein echter Handelsvertretervertrag nicht dem Kartellverbot unterfällt. Auch dies richtet sich nach der Risikoverteilung.127 Hingegen wird die Eingliederung von Tochterunternehmen in einen Konzernverbund über eine a priori fehlende Beschränkung des Wettbewerbs gelöst. Es liegt nur eine relevante wirtschaftliche Einheit vor,128 deren Teileinheiten wegen bestehender Weisungsbefugnisse nicht im Wettbewerb zueinander stehen.
121
122 123 124 125 126 127 128
Diese Vorschrift (noch Art. 86 EWGV) explizit nennend EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (486) – Italien/Kommission; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2016 f., Rn. 482/ 483) – Suiker Unie. Näher u. Rn. 355 ff. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (486) – Italien/Kommission. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2016 f., Rn. 482/483; 2024, Rn. 541/542) – Suiker Unie. S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2024, Rn. 544/547) – Suiker Unie. Früher stimmte sie mit der des EuGH voll überein, s. KOME 73/109/EWG, ABl. 1973 L 140, S. 17 (41) – Europäische Zuckerindustrie. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 13 ff.). Näher abgrenzend u. Rn. 355 ff. S.u. Rn. 323, 373 ff.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
b)
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Rule of Reason
Die Rule of Reason geht davon aus, dass nur unvernünftige Verhaltensweisen ge- 67 gen die Wettbewerbsfreiheit verstoßen. Ob eine Verhaltensweise vernünftig ist, beurteilt sich nach allen im konkreten Fall maßgeblichen, für den betroffenen Markt charakteristischen Umständen.129 Bei dieser ursprünglichen, aus dem amerikanischen Recht stammenden Konzeption wirkt die Rule of Reason tatbestandsausschließend.130 Eine solche Verhaltensweise kann von vornherein nicht in Konflikt mit der Wettbewerbsfreiheit geraten, ist also von einem ihrer Sicherung dienenden Verbot nicht erfasst. Darauf deutet auch eine Formulierung des EuGH in der Rechtssache Haecht, soweit man darin einen Anhaltspunkt für die Verwendung der Rule of Reason sieht.131 Nach dieser Entscheidung müssen die Wirkungen einer Verhaltensweise auf den Wettbewerb in dem dafür jeweils relevanten wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang betrachtet werden. „Eine Vereinbarung darf also für die Entscheidung, ob sie unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 fällt, nicht aus diesem Zusammenhang ... gelöst werden.“132 Bereits im Urteil Maschinenbau Ulm zweifelt der EuGH das Vorliegen einer 68 Wettbewerbsstörung durch für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens notwendige Maßnahmen an.133 Damit schränkt er die Verhaltensweisen ein, durch die eine Wettbewerbsverfälschung bewirkt werden kann. Das weist auf die Prüfung einer Beeinträchtigung. Eine solche liegt allerdings a priori nicht vor, wenn eine vernünftige Verhaltensweise vorliegt. Derartige Verhaltensweisen sind damit im Rahmen der Wettbewerbsregeln eigentlich gar nicht relevant. Hieran zeigt sich bereits die Schwierigkeit, die Rechtsprechung des EuGH im Sinne einer Rule of Reason einzuordnen. Demgegenüber zieht der EuGH in einem anderen Urteil Überlegungen, die mit 69 der Rule of Reason in Verbindung gebracht werden, erst auf der Ebene der Rechtfertigung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen heran. So greift nach Auffassung des EuGH die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG ein, wenn „die Erfordernisse der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs mit der Wahrung andersartiger Ziele in Einklang gebracht werden“ und daraus „bestimmte Beschränkungen des Wettbewerbs“ entspringen, die „für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich sind und nicht zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes führen“.134 Damit spricht der EuGH sogar die
129 130 131 132
133
134
S. etwa Ulmer, RIW 1985, 517 (519 f.). Gegen eine Qualifizierung als Rechtfertigungsgrund Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 113. Dafür Väth, Die Wettbewerbskonzeption des Europäischen Gerichtshofs, 1987, S. 73, 256, 267. EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (556) – Haecht noch für Art. 85 Abs. 1 EWGV. Unter Bezug darauf EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (984 f., Rn. 14, 20) – Delimitis; s. auch EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3402, Rn. 20) – Coditel II. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm; s. auch EuGH, Rs. 19 u. 20/74, Slg. 1975, 499 (521, Rn. 14) – Kali und Salz; Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 55 ff.) – Nungesser. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f., Rn. 21) – Metro I.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Rechtfertigungsschranken an und geht explizit von einer Wettbewerbsbeschränkung aus. Die Vor- und Nachteile einer unternehmerischen Verhaltensweise bereits auf 70 Tatbestandsebene im Hinblick auf ihre Vernünftigkeit abzuwägen, widerspricht der klaren Trennung zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung in der Normstruktur des Art. 81 EG.135 Damit kann die Rule of Reason allenfalls auf der Ebene der Rechtfertigung eingreifen.136 Aber auch dies ist wegen der klaren Struktur der Freistellungstatbestände nach Art. 81 Abs. 3 EG problematisch. Eine Verdrängung durch eine doch recht vage Beurteilung, ob eine Verhaltensweise vernünftig ist, verwässert diese feststehenden Klauseln. Diese gilt es eher durch interpretatorische Öffnungen im Lichte des Gesamtvertrages zu erweitern,137 statt sie durch eine Rule of Reason komplett zu überspielen. Soweit die Rechtsprechung des EuGH auf Tatbestandsebene Anklänge an die Rule of Reason aufweist, handelt es sich nur um die Einbeziehung des für die Beurteilung von Wettbewerbsfragen unabdingbaren Gesamtzusammenhangs,138 wie ihn schon Art. 81 Abs. 1 EG durch seinen Bezug auf den Gemeinsamen Markt erfordert, ohne dass damit eine Beurteilung einer Verhaltensweise als vernünftig verbunden wäre, wie es dem amerikanischen Ursprung der Rule of Reason entspricht. Eine Rule of Reason ist daher im Rahmen des europäischen Wettbewerbsrechts generell abzulehnen und in der Rechtsprechung nicht zu erkennen139 bzw. nicht akzeptiert.140 c)
Wettbewerbsfördernde Maßnahmen
71 In der Entscheidung Maschinenbau Ulm sieht der EuGH „das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung ... vor allem dann“ als möglicherweise zweifelhaft erscheinend an, „wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist“.141 Dies betrifft den klassischen Fall der Ermöglichung einer technischen Entwicklung, die anschließend vermarktet werden soll. Eine Verstärkung des Wettbewerbs zwischen Herstellern reicht allerdings für sich nicht aus, um einen Verstoß gegen das Kartellverbot zu verneinen.142 Vielmehr stellte die Rechtsprechung immer wieder auf die wettbewerbliche 72 Notwendigkeit ab. Sie bezieht diesen Umstand auf Vertragstypen, die im Wirtschaftsleben gängig sind und von lebendigem Wettbewerb zeugen, indes bestimm135 136 137 138 139
140
141 142
So aber Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 153 ff. Dafür Steindorff, CMLR 1984, 639 (642 ff.). Ausführlich u. Rn. 1006 ff. Explizit EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (555) – Haecht. Abl. auch z.B. Everling, WuW 1990, 995 (1003); van der Esch, WuW 1988, 563 (569 ff.); Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31 (49); s. insbes. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (390) – Consten Grundig; näher u. Rn. 721 ff. Sehr zurückhaltend EuG, Rs. T-14/89, Slg. 1992, II-1155 (1246, Rn. 265) – Montedipe; Rs. T-148/89, Slg. 1995, II-1063 (1107 f., Rn. 109) – Tréfilunion: „selbst wenn eine solche Regel im Rahmen des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft Anwendung finden sollte“. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (366) – Consten Grundig.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
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ter Vorkehrungen bedürfen, um wirksam zu sein und einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten. Das kann beschränkte Lizenzen143 oder Schutzklauseln in Franchise-Systemen144 betreffen. Weiter gehend hat der EuGH diesen Ansatz auf Wettbewerbsverbote im Anschluss an Unternehmensveräußerungen erstreckt.145 Auch insoweit handelt es sich um eine Verhaltensweise, die einen redlichen Wettbewerb sichert, da dieser zur Verwirklichung des Grundgeschäfts der Unternehmensveräußerung gerade eingeschränkt sein muss.146 Entsprechendes kann bei Nebenabreden zu Fusionsvereinbarungen gelten.147 Verhaltensweisen, welche unabdingbar sind, um die Produkten und Systemen 73 immanenten Startnachteile im Wettbewerb zu überwinden und unschädlich zu machen, gewährleisten erst einen wirksamen, unverfälschten redlichen Wettbewerb, wie er in Art. 81 Abs. 1 EG vorgesehen ist und können daher dagegen nicht verstoßen.148 Ebenso können partielle Wettbewerbsbeschränkungen die Voraussetzung dafür bilden, um den Wettbewerb fördernde Verhaltensweisen in größerem Umfang erst zu ermöglichen. Es geht also um die Förderung von Wettbewerb, sei es unmittelbar zur Einführung bestimmter Produkte oder Systeme oder mittelbar zur Ermöglichung übergeordneter Verhaltensweisen. Das entspricht in der Sache den beiden Gruppen der Wettbewerbsförderung durch Marktzutritt oder der Funktionsnotwendigkeit.149 d)
De-minimis-Regel
Eine Verhaltensweise muss spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, 74 damit sie überhaupt unter den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG fallen kann.150 Der Markt darf also durch das fragliche Unternehmen nicht lediglich geringfügig beeinträchtigt werden. Ansonsten sind auch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen nicht verboten. Eine Konkretisierung des Merkmals der Spürbarkeit erfolgt in der jeweils aktuellen Bagatellbekanntmachung.151 Je nach Ausgestaltung lässt sie allerdings bestimmte besonders gravierende Wettbewerbsverstöße von vorgegebenen Spürbarkeitswerten unberührt und grenzt sie daher nicht aus dem Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln aus.152
143 144 145 146
147 148 149 150 151
152
EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 57 f.) – Nungesser. EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (381, Rn. 14 f.) – Pronuptia. EuGH, Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2571, Rn. 19) – Remia. Auf die Notwendigkeit zur vollständigen Vertragserfüllung, die als solche den Wettbewerb stärkt, abstellend EuGH, Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2571, Rn. 20) – Remia; ebenso schon KOME 76/743/EWG, ABl. 1976 L 254, S. 40 – BASF. Näher u. Rn. 1730 ff. Etwa Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 83; Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 42 f. So Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 113. Bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de-minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Näher u. Rn. 505 ff. und auch 595 ff.
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75
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Die Frage, inwieweit eine Verhaltensweise den Markt beeinträchtigen kann und welche Auswirkungen sie auf diesem hat, ist an sich ein Problem der Eignung zur Beeinträchtigung. Eine solche scheidet aber von vornherein aus, wenn die Spürbarkeit fehlt. Die Relevanz der Verhaltensweise als solche bleibt von ihren Auswirkungen auf den Markt sowie den Wettbewerb unberührt. Zunächst ist also die Tatbestandsmäßigkeit der fraglichen Verhaltensweise als solcher zu klären und erst dann zu prüfen, inwieweit eine Beeinträchtigung vorliegt. Im Bereich der Grundfreiheiten wird zwar eine Bagatellgrenze gerade nicht eingezogen,153 weil auch Maßnahmen mit nur geringfügigen, zumindest potenziellen Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Verkehr erfasst werden sollen. Durch diesen umfassenden Schutz vor Beeinträchtigungen wird in diesem Bereich auch die Vertragsfreiheit weitest gehend erhalten. Diesem Ziel dient hingegen für die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln eine Begrenzung, da beachtliche Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln regelmäßig zur Nichtigkeit von Verträgen führen (s. Art. 81 Abs. 2 EG).154 Der auch an den Effekten einer Maßnahme ansetzende Argumentationsstrang, Auswirkungen auf die Warenverkehrsfreiheit seien zu ungewiss, bezieht sich aber gleichfalls auf die Eignung zur Beeinträchtigung. Diese ist in einem solchen Falle von vornherein ausgeschlossen, so dass es keiner näheren Prüfung mehr bedarf.155 II.
Beeinträchtigung
1.
Dassonville-Formel
76 Wie die Grundfreiheiten verlangen die Wettbewerbsregeln eine Beeinträchtigung bzw. zumindest die Eignung dazu.156 Das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG greift ein, wenn eine aufgeführte Verhaltensweise den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt. Das Missbrauchsverbot nach Art. 82 EG setzt voraus, dass die Ausnutzung ei77 ner marktbeherrschenden Stellung dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Beihilfen sind gem. Art. 87 Abs. 1 EG dann ver153 154 155
156
Grundlegend EuGH, Rs. 177 u. 178/82, Slg. 1984, 1797 (1812 f., Rn. 13) – van de Haar; später etwa Rs. 103/84, Slg. 1986, 1759 (1773, Rn. 18) – Kommission/Italien. Frenz, Europarecht 1, Rn. 419 f., 805 ff. m.w.N. EuGH, Rs. C-69/88, Slg. 1990, I-583 (597, Rn. 11) – Krantz; Rs. C-379/92, Slg. 1994, I-3453 (3497, Rn. 24) – Peralta; Rs. C-96/94, Slg. 1995, I-2883 (2914, Rn. 41) – Spediporto; Rs. C-140-142/94, Slg. 1995, I-3257 (3297, Rn. 29) – DIP/Bassano del Grappa. Wenn die Grundfreiheiten die Formulierung „Beschränkungen“ enthalten, ist diese gleichwohl mit dem Begriff „Beeinträchtigungen“ deckungsgleich. Letztere verwendet auch der EuGH z.B. in der Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5068, Rn. 92) – Bosman. So wird auch eine begriffliche Vorfestlegung für den Streit vermieden, ob die Grundfreiheiten lediglich Diskriminierungs- oder auch Beschränkungsverbote darstellen. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 425 f.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
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boten, wenn sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Zudem müssen sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Auch insoweit wird eine Antastung des Schutzgutes der Wettbewerbsregeln verlangt. Wo dies wie in Art. 82 EG nicht ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal aufgeführt ist, ergibt sich eine Antastung des Wettbewerbs aus der (potenziellen) Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten. Jedenfalls die Wettbewerbssituation von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen wird dann verschlechtert. Letztlich kommt es darauf an, ob der grenzüberschreitende Leistungsaustausch im Wettbewerb zumindest potenziell tangiert wird. Die geforderte Intensität der Beeinträchtigung bzw. deren Wahrscheinlichkeit 78 sind in den Grundfreiheiten und den Wettbewerbsregeln vergleichbar geregelt. Die Eignung zur bzw. die Möglichkeit der Beeinträchtigung genügt auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln für Unternehmen.157 Lediglich das Beihilfenverbot setzt eine tatsächliche Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten voraus, lässt indes eine drohende Verfälschung des Wettbewerbs genügen. Ein solcher drohender Effekt basiert auf einer Eignung dazu, ohne dass das Eintreten gewiss sein muss; das Potenzial dazu reicht aus und führt dazu, dass der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann. Ungehindert erfolgt dieser grenzüberschreitende Leistungsaustausch nur bei unverfälschtem Wettbewerb. Diesen engen Zusammenhang zwischen Leistungsaustausch und unverfälschtem Wettbewerb machte der EuGH im Rahmen des Kartellverbots deutlich. Eine Wettbewerbsstörung ist nur dann geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sich aufgrund einer vorausschauenden Beurteilung „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann“.158 Damit korrespondiert in allen drei Beeinträchtigungstatbeständen im Rahmen 79 der Wettbewerbsregeln die geforderte Beeinträchtigungsintensität mit der Dassonville-Formel, die so oder ähnlich bei allen Grundfreiheiten den Maßstab bildet.159 Danach werden alle (hier: staatlichen) Maßnahmen durch die jeweiligen Verbotstatbestände erfasst, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, aktuell oder potenziell zu behindern.160 Diese Formulierung entspricht sogar nahezu wörtlich der aus dem Urteil Maschinenbau Ulm zitierten. Nur stammt dieses Urteil schon aus dem Jahre 1966. Es stellt daher letztlich den Ursprung dieser Formel zur Feststellung einer Beeinträchtigung gemeinschaftsrechtlicher Freiheiten dar.
157 158 159 160
Näher im Hinblick auf die vorgegebene Alternativität „bezwecken oder bewirken“ u. Rn. 591. Bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 429 ff. EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville; auch etwa Rs. C-470/93, Slg. 1995, I-1923 (1940 f., Rn. 12 f.) – Mars.
32
2.
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Unabhängig von Diskriminierung oder Beschränkung
80 Im Rahmen der Wettbewerbsregeln spielt der im Bereich der Grundfreiheiten geführte Streit, ob es sich lediglich um Diskriminierungsverbote oder auch um Beschränkungsverbote handelt,161 keine Rolle. Entscheidend ist eine (mögliche) Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels durch eine in den Wettbewerbsregeln genannte Verhaltensweise. Jedoch stehen auch die Wettbewerbstatbestände in engem Kontext mit Diskriminierungen. Treffen einige Unternehmen eine wettbewerbsschädliche Vereinbarung oder legen ein entsprechendes Verhalten an den Tag, ohne vergleichbar strukturierte Konkurrenten einzubeziehen, werden diese ungleich behandelt und damit diskriminiert (s. auch Art. 81 Abs. 1 lit. d) EG).162 Dem Missbrauchstatbestand sind vielfach Diskriminierungen inhärent. Das zeigt besonders das in Art. 82 lit. c) EG aufgeführte Regelbeispiel, das die Anwendung unterschiedlicher und bestimmte Handelspartner benachteiligender Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen voraussetzt. Weiter gehend beinhaltet eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherr81 schenden Stellung durch mehrere Unternehmen zusammen, dass andere benachteiligt und damit gegenüber anderen diskriminiert werden. Nutzt ein Unternehmen allein eine solche Position aus, behandelt es möglicherweise die anderen Unternehmen immer noch gleich, wenn auch in wettbewerbsverfälschender Weise. Im Rahmen des Beihilfenverbots werden tatbestandsmäßig nach Art. 87 Abs. 1 EG bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt, die anderen also diskriminiert. Gleichwohl wurden die Wettbewerbsvorschriften anders als die Grundfreihei82 ten163 nie auf ein Diskriminierungsverbot reduziert, sondern maßgeblich waren stets die (möglichen) Beeinträchtigungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten bzw. die (drohende) Wettbewerbsverfälschung. Eine Beschränkung insoweit genügte. Inzwischen wird allerdings auch im Bereich der Grundfreiheiten zum Teil auf eine strikte Trennung zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot verzichtet.164
161 162
163 164
Ausführlich Frenz, Europarecht 1, Rn. 141 ff. mit zahlr. Nachw. Eine Diskriminierung besteht in der Ungleichbehandlung gleichartiger oder zumindest vergleichbarer Konstellationen, EuGH, Rs. C-279/93, Slg. 1995, I-225 (259, Rn. 30) – Schumacker; Frenz, Europarecht 1, Rn. 441 m.w.N. S. früher etwa Seidel, NJW 1967, 2081 ff. m.w.N. S. EuGH, Rs. C-79/01, Slg. 2002, I-8923 (8950, Rn. 26 f.) – Payroll; Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 (9974, Rn. 95) – Überseering für die Niederlassungsfreiheit und bereits EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 (1309, Rn. 10/12) – van Binsbergen für die Dienstleistungsfreiheit.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
III.
Rechtfertigung
1.
Parallele Grundstruktur
33
Die Wettbewerbsregeln enthalten wie die Grundfreiheiten geschriebene Rechtfer- 83 tigungsgründe: das Kartellverbot in Art. 81 Abs. 3 EG, das Beihilfenverbot in Art. 87 Abs. 2 und 3 EG. Missbräuche lassen sich nach Art. 82 EG nicht rechtfertigen. So verhält es sich aber auch mit Verstößen gegen das Zollverbot. Damit ist auch die Rechtfertigungsfähigkeit von Beeinträchtigungen im Rahmen von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln vergleichbar. Dass Art. 81 Abs. 3 EG vorsieht, die Bestimmungen des Kartellverbots „können für nicht anwendbar erklärt werden“, unterscheidet ihn von dem a priori gegebenen Anwendungsausschluss nach Art. 39 Abs. 4 und 45 (i.V.m. 55) EG für die Personenfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit. Der Ausschluss vom Kartellverbot muss vielmehr geprüft werden und zwar auch darauf, ob er angemessen und unerlässlich ist, also im Hinblick auf Schranken, die als solche im Rahmen der Grundfreiheiten nur bei der Rechtfertigung von Beeinträchtigungen auftreten. Art. 87 Abs. 2 und 3 EG sprechen denn auch ausdrücklich von der (möglichen) Vereinbarkeit bestimmter Beihilfen, was eine Beeinträchtigung voraussetzt. Verschieden sind damit die kontrollierenden Organe. Zwar entscheiden in bei- 84 den Fallgruppen letztlich die Gerichte darüber, ob ein tatbestandsmäßiges Verhalten gerechtfertigt werden kann oder nicht. Jedoch hat im Rahmen der Wettbewerbsregeln die Kommission eine stärkere Stellung sowohl in formaler als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht. Das gilt in vollem Umfang weiterhin bezüglich des Beihilfenverbotes. Dafür schreibt Art. 88 EG ein Überprüfungsverfahren durch die Kommission vor, das sich auf die Unvereinbarkeit und damit auch auf die Rechtfertigung von Beihilfen erstreckt. Nach Art. 87 Abs. 3 EG können Beihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden. Insoweit besteht also ein Entscheidungsspielraum. Vergleichbar ist Art. 81 Abs. 3 EG formuliert. Insoweit liegt das materielle Recht parallel. Jedoch hat die Rechtsprechung jedenfalls im Bereich der Fusionskontrolle die Überprüfung der Kommissionsentscheidungen deutlich verschärft, was nicht ohne Rückwirkungen auf Art. 81 Abs. 3 EG mit seinem jetzigen Charakter als Legalausnahme bleiben kann.165 Zudem wird das Kartellverbot mittlerweile aufgrund der VO (EG) Nr. 1/2003 in weiten Teilen durch die nationalen Behörden vollzogen (Art. 5). Soweit noch ein materiell-rechtlicher Entscheidungsspielraum vorhanden ist, steht er in diesen Fällen den mitgliedstaatlichen Stellen zu. Die Kommission kann allerdings das Verfahren übernehmen (Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003).166 Vor allem aber besteht im Rahmen des Kartellverbotes kein Anmeldeverfahren 85 mehr wie beim Beihilfenverbot. Dadurch erfolgt eine faktische Verschiebung der Rolle der Freistellungen nach Art. 81 Abs. 3 EG. Ein Anmeldeverfahren war durch die VO Nr. 17167 auch im Rahmen der Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen 165 166 167
S.u. Rn. 1608 ff. Dazu näher u. Rn. 169 f. VO Nr. 17/62 des Rates – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABl. Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr.
34
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
vorgesehen. Einen grundlegenden Systemwandel brachte insoweit die KartellverfahrensVO (EG) Nr. 1/2003. Nach ihr entfällt eine Anmeldung; die Unternehmen müssen vielmehr selbst beurteilen, ob ihr Verhalten wettbewerbswidrig und damit bei Tatbestandsmäßigkeit rechtfertigungsfähig ist. Es handelt sich somit um eine Legalausnahme wie im Rahmen der Grundfreiheiten. Deshalb zählen rechtliche Maßstäbe; ein Entscheidungsspielraum besteht allenfalls begrenzt.168 Sowohl bei den Grundfreiheiten als auch im Rahmen der Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen greift daher die Kommission erst dann ein, wenn sie Pflichtverstöße feststellt. Hierzu verleiht ihr die KartellverfahrensVO (EG) Nr. 1/2003 verstärkte Befugnisse zur Nachprüfung und verweist sie im Übrigen auf eine enge Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, für die ein eigenes System etabliert wurde.169 Bei den Grundfreiheiten spielen die Mitgliedstaaten insofern eine Rolle, als 86 auch sie Pflichtverstöße durch andere Mitgliedstaaten vor dem EuGH geltend machen können, allerdings erst nach Befassung der Kommission (Art. 227 EG). Der Einzelne kann sowohl im Rahmen der Grundfreiheiten als auch bei den Wettbewerbsregeln auf Pflichtverstöße hinweisen: im ersten Fall insbesondere vor Gericht, im zweiten Fall primär gegenüber der Kommission.170 Die Sicherstellung der Gemeinschaftskonformität von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten sowie der Wettbewerbsregeln für Unternehmen und damit insbesondere des Rechtfertigungssystems liegt insgesamt von den Grundstrukturen her parallel. 2.
Zur Übertragbarkeit von Rechtfertigungsgründen
87 Wegen dieser parallelen Struktur stellt sich die Frage einer Übertragbarkeit auch der im Rahmen der Grundfreiheiten angewandten Rechtfertigungsgründe auf die Wettbewerbsfreiheit.171 Diese drängt sich dann auf, wenn es sich um staatliche Maßnahmen handelt.172 Für sie aber auch für private Wettbewerbsverstöße ist daher im Rahmen der Wettbewerbsregeln ebenfalls zu diskutieren, ob über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe hinaus ungeschriebene existieren. Diese Frage wurde vor allem für den Umweltschutz problematisiert, der nicht nur bei den Grundfreiheiten, sondern auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln nicht explizit als Rechtfertigungsgrund aufgeführt ist.173
168 169 170 171
172 173
1216/1999, ABl. 1999 L 148, S. 5; sie wurde durch die VO (EG) Nr. 1/2003 mit Wirkung seit 1.5.2004 abgelöst. S.u. Rn. 740. S. vorerst Terhechte, in: Hartje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 107 (116 f.) sowie näher u. Rn. 168 ff. S.o. Rn. 49. Bejahend Forrester/Norall, CLMR 1984, 11 (40). Für eine klare Trennlinie zwischen Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln allerdings Roth, in: FS für Everling II, 1995, S. 1231 (1243). S. Dreher, WuW 1994, 193 (209). Jacobs, LIEI 93/2, 37 (40); Pernice, EuZW 1992, 139 (142); abl. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 110 f.; Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drucks. 13/10195 S. 144 Tz. 302.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
a)
35
Praktische Konkordanz
Ein Ansatz für eine Berücksichtigung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe ist 88 die Herstellung einer praktischen Konkordanz, um die Einheit des Gemeinschaftsrechts zu wahren.174 Dieser Ansatz lässt sich auch im Bereich der Grundfreiheiten fruchtbar machen. Schließlich enthalten Art. 2 und 3 EG verschiedene Elemente, die sehr leicht in Widerspruch zueinander geraten können.175 Dieser Ausgleich könnte auch jenseits der in Art. 81 Abs. 3, 87 Abs. 2, 3 EG festgelegten Rechtfertigungsansätze für Wettbewerbsbeschränkungen durchgeführt werden. Damit würde zwar das strenge Korsett des Wettbewerbsrechts durchbrochen. Diese Öffnung entspräche jedoch der verstärkten Bedeutung außerökonomischer Belange, die gerade in der Europäischen Verfassung durch die Aufnahme weiterer und die Akzentuierung vorhandener Elemente sowie eine Vermehrung von Querschnittsmaterien nochmals gesteigert wurde. Problematisch an einer solchen Vorgehensweise ist, dass dann die Wettbewerbs- 89 regeln nicht mehr wettbewerbsimmanent gehandhabt werden, sondern wettbewerbsfremde Elemente die Anwendung wesentlich mitbestimmen. Der behutsamere Weg liegt sicherlich darin, die Wettbewerbsverstöße rechtfertigenden Tatbestände erweiternd auszulegen und in diese etwa industrie- bzw. strukturpolitische oder Umweltschutzbelange zu integrieren.176 Indes führt er nicht zur Integration sämtlicher außerökonomischer Belange in das Wettbewerbsrecht. Vielmehr setzt der Wortlaut von Art. 81 Abs. 3 und Art. 87 Abs. 2 und 3 EG Grenzen. b)
Grundsätzliches zur Übertragung der Cassis-Formel
Für die Grundfreiheiten wurden ohne Rückgriff auf eine praktische Konkordanz 90 ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt. Dies erfolgte unabhängig von einer Festschreibung im Vertrag etwa für den Umweltschutz.177 Vielmehr ging es um „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen … ergeben“ und die aus zwingenden Erfordernissen notwendig sind.178 Die Mitgliedstaaten sollten also ihre ureigenen Belange wie Lauterkeit des Handelsverkehrs und Verbraucherschutz wahren können. Nach der Cassis-Formel kommen für eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit alle zwingenden Erfordernisse als Rechtfertigungsgründe in Betracht. Damit
174
175 176
177 178
Für den Umweltschutz Pernice, NVwZ 1990, 201 (208); Hoffmann-Riem, in: Behrens/ Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 9 (25 f.); Wiegand, DVBl. 1993, 533 (537); Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995, S. 67. Näher allgemein u. Rn. 1003 ff. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 503 f. m.w.N. S. etwa KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 37) – Kunstfasern sowie 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (Rn. 59) – Lichtwellenleiter; zum Ganzen Schmidt, Die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, 1992, S. 106 ff. Das Urteil EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (549 f., Rn. 14 f.) – ADBHU lag vor der EEA vom 28.2.1986, die den Umweltschutz als Gemeinschaftspolitik aufnahm. Grundlegend EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
ist grundsätzlich auch eine Adaption an Erfordernisse denkbar, welche Wettbewerbsverfälschungen erzwingen. Eine Übertragbarkeit der Cassis-Rechtsprechung setzt einmal voraus, dass sie 91 sich in das System des Rechts einfügen lässt, für das sie zur Legitimation von Beeinträchtigungen herangezogen werden soll. Für die anderen Grundfreiheiten ist dies aufgrund ihrer parallelen Struktur zu bejahen, die die Bestimmung eines bestimmten Schutzbereiches und die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen beinhaltet.179 Der EuGH hat die Cassis-Formel auf sämtliche Grundfreiheiten übertragen.180 Diese Grundstruktur weisen auch die Wettbewerbsregeln auf. Zudem enthalten auch sie nur einige explizit benannte Rechtfertigungsgründe, welche jedenfalls bei enger Auslegung nicht alle auftretenden Phänomene abdecken.181 Allerdings sind die Tatbestände der Cassis-Rechtsprechung auf staatliche Maß92 nahmen zugeschnitten. Auch der Inhalt der rechtfertigenden Gründe ist zum Teil spezifisch darauf bezogen, wie beispielsweise die Wahrung der Erfordernisse einer wirksamen steuerlichen Kontrolle.182 Jedoch gehören dazu auch Rechtfertigungsgründe, die auf Handlungen Privater passen, so der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs. Die Gründe der Cassis-Formel sind nicht abschließend formuliert,183 sondern wurden gerade fortwährend ausgebaut und aktuellen Erfordernissen angepasst, wie etwa dem des Schutzes der Grundrechte.184 Auch auf Beeinträchtigungen durch Private wurden die Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Grundfreiheiten angewendet; dies betraf den geschriebenen Rechtfertigungsgrund des Art. 39 Abs. 3 EG sowie die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der zwingenden nichtwirtschaftlichen Erfordernisse.185 Der EuGH prüfte sie dabei mit dem Inhalt, der ihnen auch für staatliche Maßnahmen zukommt. Jedoch unterliegt privates Handeln gerade nicht öffentlich-rechtlichen Bindun93 gen und besitzt daher tendenziell weitere Spielräume. Es wird primär aus wirtschaftlichen und nicht aus Gemeinwohlmotiven gespeist. Daher passt insoweit besser die Formulierung des EuGH, dass sich Private auf „sachliche Erwägungen“ berufen können.186 Sie müssen sich daher gerade auf wirtschaftliche Beweggründe stützen können, hat doch das unternehmerische Handeln auf Gemeinschaftsebene 179 180
181 182 183 184 185
186
Im Einzelnen Jarass, EuR 1995, 202 ff.; vgl. auch Bleckmann, DVBl. 1986, 69 (73 f.). Für die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. 110 u. 111/78, Slg. 1979, 35 (52, Rn. 28) – van Wesemael; Rs. 279/80, Slg. 1981, 3305 (3325, Rn. 17 ff.) – Webb; für die Niederlassungsfreiheit Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 (1697, Rn. 32) – Kraus; Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 (4197 f., Rn. 37) – Gebhard; für die Arbeitnehmerfreizügigkeit Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5070 f., Rn. 103 f.) – Bosman; für die Kapitalverkehrsfreiheit insbes. die Goldene-Aktien-Rspr., beginnend mit Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 (4775, Rn. 49) – Goldene Aktien I (Kommission/Portugal). S. für die Grundfreiheiten Frenz, Europarecht 1, Rn. 483. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis: „insbesondere“. Nach einigen Vorläuferentscheidungen deutlich EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (5718 f., Rn. 74 ff.) – Schmidberger (Brenner-Blockade). EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5066, Rn. 86; 5071, Rn. 104; 5075, Rn. 121) – Bosman; nicht mehr erwähnt in Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4174, Rn. 42) – Angonese. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4174, Rn. 42) – Angonese.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
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vor allem die wirtschaftsbezogenen Grundfreiheiten und -rechte zur Basis.187 Derartige privatwirtschaftliche Motive benennt Art. 81 Abs. 3 EG, allerdings nur solche, die auch eine verbraucherbezogene Relevanz haben. Damit ist ein Mindestmaß an Gemeinwohlbezug verlangt, der über die rein gewinnorientierten Belange der Unternehmen hinausreicht. Darüber hinaus beliebige weitere Motive zuzulassen, würde diesen explizit eng gezogenen Rahmen sprengen. Jedoch sind auch und gerade die im Rahmen der Cassis-Rechtsprechung entwickelten Rechtfertigungsgründe gemeinwohl- und vielfach auch verbraucherbezogen. c)
Staatliche Maßnahmen
Das Problem weiterer Rechtfertigungsmöglichkeiten stellt sich zumal bei staatli- 94 chen Maßnahmen. Soweit sie von den auf Unternehmen bezogenen Wettbewerbsvorschriften erfasst werden, sind die darin genannten Rechtfertigungsgründe auf Unternehmen zugeschnitten. Allerdings lassen sich die Elemente nach Art. 81 Abs. 3 EG durchaus übertragen, so beispielsweise die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Damit werden aber nicht ohne weiteres die vielfach allgemeineren Motive staatlicher Maßnahmen erfasst, obgleich solche Beweggründe den Zielen des EG durchaus entsprechen können; das gilt namentlich für den Umweltschutz (Art. 174 ff. EG), die Beschäftigung (Art. 125 ff. EG) und die Industriepolitik (Art. 157 EG).188 Die Rechtfertigungsgründe für Beihilfen sind in Art. 87 Abs. 2 und 3 EG spezifisch benannt. Darin sind gemeinwohlbezogene Motive herausgegriffen. Das gilt allerdings auch für die expliziten Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Grundfreiheiten, welche gleichwohl erweitert wurden. Daher sind die für die Grundfreiheiten entwickelten Rechtfertigungsgründe und damit vor allem die der Cassis-Rechtsprechung auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln jedenfalls hinsichtlich staatlicher Maßnahmen übertragbar.189 Freilich wollen die Beihilfebestimmungen noch stärker als die Grundfreiheiten 95 Unebenheiten zwischen den Mitgliedstaaten verhindern. Während die Grundfreiheiten in erster Linie die Inländergleichbehandlung und den Marktzugang zugunsten von Bewerbern aus anderen EU-Staaten sichern wollen, zielt das Beihilfenverbot auf die Vermeidung von unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen im Markt und will damit nicht Unterschiede in, sondern zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten vermeiden, unabhängig davon, ob In- oder EU-Ausländer begünstigt werden. Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind daher a priori grundsätzlich nicht hinnehmbar. Das Gemeinschaftsrecht hat allerdings verstärkt außerökonomische und damit 96 auch nichtwettbewerbliche Zielsetzungen aufgenommen. Im Beihilfenrecht zeigt sich dies vor allem im Hinblick auf Umweltschutzbeihilfen. Die Kommission privilegiert insoweit spezifisch benannte umweltschutzfördernde Maßnahmen besonders. Diese außerökonomischen Belange lassen sich für die Mitgliedstaaten in Parallelität zu den Grundfreiheiten über die Cassis-Dogmatik auch in die Wettbe187 188 189
Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 516 ff., 1725 f. Ausführlich Rn. 851 ff., 890 ff., 1006 ff. Ebenso Niemeyer, WuW 1994, 721 (730); für Art. 30 EG Dreher, WuW 1994, 193 (209), der aber auf die Staatsgerichtetheit des Art. 10 Abs. 2 EG abhebt.
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
werbsregeln einführen. Diese Übertragung ist aber auf die Gründe zu beschränken, die im Gemeinschaftsrecht eigens verankert sind. So wird der Ausweitung der Gemeinschaftsgehalte Rechnung getragen, die auch im Rahmen des auf den so zusätzlich angereicherten Gemeinsamen bzw. Binnenmarkt bezogenen Wettbewerbsrechts nicht ausgeblendet werden können. Eine enge Grenze ist allerdings auf der Ebene der Rechtfertigungsschranken zu ziehen, um die Wettbewerbsvorschriften nicht der beliebigen Beschränkbarkeit preiszugeben. Diese Grenzen sind auch zu wahren, wenn man den Ansatz der praktischen Konkordanz vorzieht. Dieser passt jedenfalls für Maßnahmen von Gemeinschaftsorganen besser, da gerade sie allen Vertragsbestimmungen des Gemeinschaftsrechts verpflichtet sind und bei Widersprüchen einen Ausgleich herbeiführen müssen. d)
Private Maßnahmen
97 Privates Handeln engeren Grenzen zu unterwerfen als staatliches ist allerdings widersprüchlich. Zu diesem Ergebnis würde es aber führen, die Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Cassis-Rechtsprechung auf staatliche Maßnahmen anzuwenden, auf private hingegen nicht. Deshalb ist eine Gleichstellung erforderlich.190 Diese ergibt sich zumal für Unternehmensvereinigungen, wenn sie über dieselben Machtbefugnisse verfügen wie staatliche Einheiten; private Verbände werden auch im Rahmen der Grundfreiheiten staatlichen Einheiten gleichgestellt.191 Allerdings richten sich die Wettbewerbsregeln in erster Linie an Unternehmen, 98 die unverfälscht miteinander konkurrieren sollen, um allen Unternehmen eine freie Entfaltung zu gewährleisten. Daher sind gerade auf sie bezogen die Ausnahmetatbestände eng zu handhaben und nicht gleichsam die Dämme zu öffnen, indem eine Vielzahl weiterer Rechtfertigungsgründe zugelassen wird. Da Unternehmensvereinigungen in Art. 81 EG neben Unternehmen angesprochen sind und damit offenbar diesen wettbewerbsmäßig gleichgestellt werden, muss dies auch für sie gelten. Ansonsten bräuchten Unternehmen nur über von ihnen beeinflussbare Unternehmensvereinigungen zu agieren, um die Rechtfertigungsgründe zu erweitern. Im Ergebnis wird aber dadurch eine grundsätzliche Gleichstellung mit staatli99 chen Einheiten erreicht, dass für unternehmensspezifische Belange in Art. 81 Abs. 3 EG ein darauf zugeschnittener Rechtfertigungskanon besteht und dieser entsprechend seinem offenen Wortlaut auch um vertraglich festgelegte, übergeordnete Belange wie Umweltschutz und industriepolitische Aspekte erweitert werden kann,192 jedenfalls soweit sie durch Unternehmen verwirklicht werden. Denn sie setzen auch diese allgemeineren Belange notwendig in konkrete unternehmerische Maßnahmen um, die sich damit auch bei entsprechend weiter Auslegung jedenfalls in einem technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt nach Art. 81 Abs. 3 EG niederschlagen.
190 191 192
Im Zusammenhang mit Selbstverpflichtungen als Ausdruck privater Spielräume Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 350 f. Insbes. EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5065 f., Rn. 82 ff.) – Bosman. Näher u. Rn. 851 ff., 890 ff., 1006 ff.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
IV.
39
Rechtfertigungsschranken
Die Wettbewerbsregeln enthalten explizite Rechtfertigungsschranken: In Art. 81 100 Abs. 3 EG durchgehend für alle Rechtfertigungsgründe, in Art. 87 Abs. 2 und 3 EG bezogen auf einzelne Vereinbarkeitstatbestände und nicht für alle einheitlich. Für die Warenverkehrsfreiheit nennt Art. 30 S. 2 EG Rechtfertigungsschranken, die bei Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit zu wahren sind, nämlich das Verbot willkürlicher Diskriminierung sowie verschleierter Beschränkung. Diese beiden Schranken sind zwar vom Ansatz her auf andere Grundfreiheiten übertragbar, haben aber praktische Bedeutung allenfalls im Bereich der Warenverkehrsfreiheit erlangt.193 Bei ihrem Vorliegen scheitert eine Maßnahme indes spätestens bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle. Diese hat daher dominierende Bedeutung erlangt.194 Das gilt für alle Grundfreiheiten. Darüber hinaus haben sich insoweit auch die Grundrechte einen eigenen Platz erobert.195 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit Dominanz der Erforderlichkeit, wie er 101 mit dieser Betonung im Rahmen der Grundfreiheiten gepflegt wird,196 hat auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln maßgebliche Bedeutung. Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG verlangt, dass die auferlegten Wettbewerbsbeschränkungen für die Verwirklichung der verfolgten Ziele unerlässlich sind. Allerdings geht es dabei nicht darum, dass das mildeste Mittel im Vergleich zu anderen möglichen Vorgehensweisen gewählt wird, die etwa dem Staat zur Verfügung stehen.197 Vielmehr wird die Maßnahme als solche isoliert auf ihre Unerlässlichkeit geprüft, also in der ihr eigenen Intensität, Zeitdauer und Eintrittswahrscheinlichkeit.198 Die mit ihr angestrebten Wirkungen dürfen also nicht mit einer geringeren Wettbewerbsbeschränkung erreicht werden können. Eine ähnliche Prüfung verfolgt aber der EuGH vielfach auch im Rahmen der Grundfreiheiten, wenn er die Prüfung darauf beschränkt, ob die gewählte Maßnahme in dem ihr eigenen Zuschnitt erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen.199
193 194 195
196 197
198 199
Im Einzelnen m.w.N. Becker, in: Schwarze, Art. 30 Rn. 81 ff.; Frenz, Europarecht 1, Rn. 520 f., 1045 ff. S. Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 30 Rn. 50. S. EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (5718 ff., Rn. 71 ff.) – Schmidberger (Brenner-Blockade), Rn. 73 sieht eigens die notwendige Vereinbarkeit von Maßnahmen mit den Grundrechten vor, wozu nicht nur Unterlassungen gehören können, sondern auch positive Handlungen, die aus anderen Gründen als den Grundrechten gerechtfertigt werden. Allgemein Frenz, Europarecht 1, Rn. 539. Zum Zurücktreten der Angemessenheit Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 30 Rn. 57. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drucks. 13/10195 S. 143 f. Tz. 301 a.E. Vgl. demgegenüber im Rahmen der Grundfreiheiten z.B. EuGH, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227 (1271, Rn. 35) – Kommission/Deutschland. S. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1916, Rn. 44 f.) – Metro I; Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 177. S. z.B. EuGH, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 (4633 f., Rn. 69 ff.) – Goldene Aktien IV (Kommission/Spanien); jüngst Rs. C-463/01, EuZW 2005, 49 (53, Rn. 78 ff.) – Pfandpflicht; Rs. C-309/02, EuZW 2005, 81 (84 f., Rn. 79 ff.) – Radlberger zum zeitlichen Beginn; allgemein Frenz, Europarecht 1, Rn. 529 ff.
40
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
Im Rahmen des Beihilfenverbotes tritt die Erforderlichkeit ebenfalls hervor, nämlich explizit in Art. 87 Abs. 2 lit. c) EG. In den anderen Fällen erfolgt eher eine Abwägung, da Beihilfen nicht in einer Weise fördern und damit privilegieren dürfen, dass dies dem gemeinsamen Interesse zuwider läuft (s. Art. 87 Abs. 3 lit. c), d) EG). Das Ausmaß der Förderung darf also nicht zu intensiv sein, gemessen an dem gemeinsamen Interesse. Art. 81 Abs. 3 EG verlangt eine angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher. Grundlage dafür ist zwar erst einmal die Feststellung der Vorteile für die Verbraucher.200 Die Angemessenheit bildet aber eine wertende Komponente und benötigt dabei eine Bezugsgröße. Sie ist gegeben, wenn der Gewinn für den Verbraucher die sich für ihn aus der Wettbewerbsbeschränkung ergebenden Nachteile etwa in Form höherer Preise übersteigt.201 Auch insoweit ist daher eine Abwägung vorgegeben, die zu einem zumutbaren Verhältnis im Hinblick auf die erfolgte Wettbewerbsbeeinträchtigung führen muss. Schließlich darf der Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG nicht für einen 103 wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet sein. Diese Voraussetzung weist insofern gewisse Parallelen zur Wesensgehaltsgarantie auf, als der Wettbewerb als solcher erhalten bleiben muss.202 Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Wesensgehaltsgarantie einzelfallbezogen versteht.203 Betrachtet man sie hingegen absolut, muss insgesamt von der betroffenen Freiheit etwas übrig bleiben.204 Das erfordert eine Gesamtschau. Die Freiheit als solche darf nicht durch zahlreiche verschiedene Einzelmaßnahmen ausgehöhlt werden. Bei einer solchen Sicht wird der Wesensgehalt der Wettbewerbsfreiheit als solcher erst angetastet, wenn die verschiedenen Einzelbeschränkungen zusammen den Wettbewerb ausschalten. Das dürfte praktisch nie der Fall sein. 102
V.
Fazit
104 Insgesamt ergibt sich also eine weitgehend parallele Struktur zwischen Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten. Bei beiden ist ein bestimmter Gewährleistungsbereich geschützt. Wird dieser beeinträchtigt, was regelmäßig durch die Erfüllung der vertraglich normierten Verbotstatbestände erfolgt, bedarf es einer Rechtfertigung. Hierfür stehen explizite Rechtfertigungsgründe zur Verfügung. Eine Ausnahme bilden die Zollfreiheit und das Missbrauchsverbot; sie dürfen überhaupt nicht beeinträchtigt werden, eine Rechtfertigung ist nicht vorgesehen. Im Übrigen stellt sich die Frage nach einer Erweiterung der Beeinträchtigungs105 möglichkeiten durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe. Das ergibt sich für die Wettbewerbsregeln vor dem Hintergrund, dass der Vertragstext in immer stärkerem und vielfältigerem Maße außerökonomische Zielsetzungen aufgenommen hat. Die Ausnahmetatbestände nach Art. 81 Abs. 3 sowie Art. 87 Abs. 2, 3 EG 200 201 202 203 204
Es genügt bereits eine höhere Warenqualität, EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (636, Rn. 118 ff.) – Matra Hachette. Z.B. KOME 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 (22) – Wand- und Bodenfliesen. S. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244 ff., Rn. 24 f.) – Continental Can. So zu Art. 19 Abs. 2 GG BVerfGE 80, 367 (373), st. Rspr. Für die deutschen Grundrechte Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 7.
§ 2 Wettbewerbsfreiheit und Grundfreiheiten
41
können diese Elemente nur schwer in ihrer vollen Tragweite adäquat berücksichtigen. Lässt man darüber hinaus eine Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen zu, wird allerdings auf dieser Ebene die Tendenz durchbrochen, den Schutzzweck des unverfälschten Wettbewerbs auch allein und nicht lediglich in seiner günstigen Funktion für die Marktintegration zu betrachten. Das System der Wettbewerbsregeln droht sich zu verschieben, statt lediglich eine Aufnahme anderer Belange in seinem Rahmen zu ermöglichen. Für privates Verhalten ist daher eine Einbindung solcher außerökonomischer Elemente in Art. 81 Abs. 3 EG vorzuziehen, was aufgrund der im Vergleich zu Art. 30 EG offeneren Begrifflichkeit und der notwendigen Verwirklichung in konkreten unternehmerischen Maßnahmen auch gelingen kann. Weiter gehend kommt eine Rechtfertigung von Beeinträchtigungen im Wege 106 praktischer Konkordanz in Betracht. Deutlichere Konturen hat indes eine Übertragung der Cassis-Formel aus den Grundfreiheiten in die Wettbewerbsregeln. Voraussetzung ist allerdings eine Anpassung an das primär einen wirksamen Wettbewerb sichernde System des Kartellverbots, welches nicht durch allzu viele Rechtfertigungsgründe ausgehöhlt werden darf. Für unternehmerische Maßnahmen sichert dies eine Einbindung in die Freistellungsgründe nach Art. 81 Abs. 3 EG, für die vielfach allgemeiner gehaltenen und daher oft schwer in Art. 81 Abs. 3 EG einfügbaren staatlichen Maßnahmen eine Begrenzung der Gründe und der Anwendung im Einzelnen. Um einen Dammbruch durch beliebig motivierte Wettbewerbsbeschränkungen 107 zu verhindern, können für staatliches wettbewerbsbeeinträchtigendes Verhalten einschließlich das der Gemeinschaftsorgane nur solche Rechtfertigungsgründe akzeptiert werden, die vertraglich festgeschrieben sind und sei es auch außerhalb von Art. 81 Abs. 3 EG. Weiter ist die Erforderlichkeit streng zu prüfen. Jedenfalls bei einer Rechtfertigung mit anderen vertraglich festgeschriebenen Elementen bedarf es zur Erfüllung der im Zuge einer praktischen Konkordanz notwendigen Abwägung einer Angemessenheitsprüfung, wie sie auch auf der Ebene der Grundfreiheiten durchgehend zu fordern ist.205 Insgesamt muss dafür gesorgt werden, dass die Wettbewerbsfreiheit als elemen- 108 tarer Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ein schlagkräftiges Instrument bleibt, damit sich private Initiative gemeinschaftsweit unter gleichen Rahmenbedingungen entfalten kann. Im Ausgangspunkt steht die Freiheit, und deren Beeinträchtigungen sind sowohl bei den Grundfreiheiten als auch bei den Wettbewerbsregeln rechtfertigungspflichtig.
D.
Abgrenzung
Die unterschiedliche personelle Verpflichtungswirkung von unternehmensbezoge- 109 nen Wettbewerbsregeln und den an die Mitgliedstaaten gerichteten Grundfreiheiten schließt Überschneidungen im Anwendungsbereich weitgehend aus. Ein paralleles Eingreifen ist insoweit möglich, als Art. 81 ff. EG auch staatliche Einheiten 205
Dazu näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 536.
42
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
verpflichten. Das gilt namentlich aufgrund von Art. 81 Abs. 1 EG.206 Sofern Staaten an Wettbewerbsverstößen von Unternehmen beteiligt sind, sei es, dass sie eine dazu führende Regulierung geschaffen oder zur Geltung verholfen haben,207 sei es, dass sie selbst etwa durch Verträge oder Abmachungen einbezogen sind,208 ist ihr Verhalten zwar immer noch notwendigerweise auf die Wettbewerbsverstöße von Unternehmen bezogen. Das schließt allerdings Rückwirkungen auf andere Unternehmen etwa für den Warenverkehr nicht aus, die gerade von diesen staatlichen Maßnahmen ausgehen. Ihre Effekte dürfen dann aber nicht vom wettbewerbswidrigen unternehmerischen Handeln überlagert werden, sondern müssen staatlich bestimmt sein. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Staat eine Selbstverpflichtung erzwingt, nicht hingegen, wenn er sie lediglich anstößt oder fördert.209 Eine Ausnahme besteht vor allem in dem Maße, wie die Grundfreiheiten auch 110 Private verpflichten. Im Allgemeinen erfolgt das aber nur dann, wenn Private in ihrer Stellung staatlichen Einheiten vergleichbar sind.210 Das weiter gehende Urteil Angonese211 erklärt sich aus den Besonderheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit und deren Schutzbedürftigkeit. Im Aktionskreis von Unternehmen wollen hingegen die Grundfreiheiten einen möglichst großen Freiraum wahren und daher Private nicht verpflichten, sondern berechtigen. Dabei entstehende Auswüchse sollen ausschließlich die Wettbewerbsregeln bannen.212 Daher ist insoweit eine parallele Anwendung der Grundfreiheiten ausgeschlossen. Das Beihilfenverbot erfasst hingegen wie die Grundfreiheiten staatliche Verhal111 tensweisen. Daraus ergeben sich parallele Anwendungsfelder. Diese betreffen etwa die Subventionierung nationaler Produktionen, welche den Absatz von Waren aus anderen EU-Staaten behindert. Dann ist nach den normativen Voraussetzungen sowohl die Warenverkehrsfreiheit als auch das Beihilfenverbot einschlägig, das eine tatsächliche Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten fordert. Solche Überschneidungen kommen jedoch auch im Rahmen der verschiedenen 112 Grundfreiheiten vor. Dabei wird teilweise auf den Schwerpunkt abgestellt. Kann danach das betreffende Verhalten eindeutig dem Schutzbereich einer Grundfreiheit zugeordnet werden, ist nur diese einschlägig, wenn die vom Schutzbereich einer anderen Grundfreiheit erfasste Komponente lediglich Annexcharakter besitzt.213 Ansonsten sind beide Grundfreiheiten einschlägig, was der EuGH durch206 207
208 209 210 211 212
213
S. z.B. EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 (4124 ff., Rn. 35 ff.) – Dusseldorp. Z.B. EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3829, Rn. 23 f.) – Vlaamse Reisbureaus; näher mit Beispielen aus der Abfallwirtschaft Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 1 ff. Ausführlich Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 380 ff.; s.u. Rn. 708. Näher Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 263 ff. sowie u. Rn. 688 ff. S. EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5065 f., Rn. 82 f.) – Bosman. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4172 f., Rn. 33 ff.) – Angonese. Canaris, in: Geburtstagsschrift für R. Schmidt, 2002, S. 29 (43); ebenfalls für eine Unterscheidung Kluth, AöR 122 (1997), 557 (574 f.); näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 336 ff.; anders Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S. 72 ff. EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 408 (428 f., Rn. 7/8) – Sacchi; Rs. C-17/92, Slg. 1993, I-2239 (2271, Rn. 10 f.) – Fedicine; jüngst EuGH, Rs. C-36/02, EuZW 2004, 753 (754,
§ 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte
43
aus häufig bejaht, auch wenn er infolge paralleler Ergebnisse auch nur eine von ihnen vollständig durchprüft.214 Vergleichbar löst der EuGH traditionell auch ein Zusammentreffen von Warenverkehrsfreiheit und Beihilfenverbot. Beide können nebeneinander angewendet werden.215 Letzteres greift allerdings ausschließlich ein, wenn Modalitäten einer Beihilfe untrennbar mit dem Zweck der Begünstigung verbunden sind. Hingegen sind auch Bestandteile einer Beihilfe, die für deren Zweck und Funktionieren nicht unabdingbar sind, an der Warenverkehrsfreiheit zu messen.216 Der EuGH begründet die mögliche parallele Heranziehung beider Verbotstat- 113 bestände damit, dass ihr gemeinsames Ziel darin besteht, den grenzüberschreitenden freien Warenverkehr zu gewährleisten.217 Damit schließt sich der Kreis: Die parallele Schutzrichtung von Grundfreiheiten und Beihilfenverbot ermöglicht auch deren parallele Anwendung, ohne dass unüberwindbare Konflikte auftreten. Diese Schutzrichtung weisen allerdings auch die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln auf, ohne dass in nennenswertem Umfang Überschneidungen zu den Grundfreiheiten auftreten können. Dies liegt jedoch an der unterschiedlichen personellen Ausrichtung, die zur Abdeckung verschiedener Bereiche führt und so erst den grenzüberschreitenden freien Wirtschaftsverkehr umfassend gewährleistet, nämlich unabhängig davon, ob er durch den Staat oder durch Private gestört wird. Deshalb deuten auch die fehlenden Überschneidungen in Einzelfällen nicht auf eine fehlende Funktionsgleichheit, sondern belegen diese gerade, indem sie erst die ganze Bandbreite möglicher Störungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten erfassen.
§ 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte A.
Abgrenzung und Parallelen
Nach deutschem Recht kann die individuelle Wettbewerbsfreiheit aus den Grund- 114 rechten abgeleitet werden. Sie ist durch die Berufsfreiheit, jedenfalls aber durch
214
215 216
217
Rn. 26 f.) – Omega jeweils zur Abgrenzung von Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit. Dafür stehen insbes. die Goldene-Aktien-Entscheidungen, z.B. EuGH, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 (4638, Rn. 85 f.) – Goldene Aktien IV (Kommission/Spanien) zur parallelen Betroffenheit von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit, aber auch etwa Rs. C-79/01, Slg. 2002, I-8923 – Payroll. Näher zum Ganzen Frenz, Europarecht 1, Rn. 363 ff. Z.B. EuGH, Rs. 18/84, Slg. 1985, 1339 (1347 f., Rn. 13) – Kommission/Frankreich; Rs. C-21/88, Slg. 1990, I-889 (922, Rn. 21) – Du Pont de Nemours Italiana. EuGH, Rs. 74/76, Slg. 1977, 557 (576, Rn. 14 f.) – Iannelli; Rs. 18/84, Slg. 1985, 1339 (1347 f., Rn. 13) – Kommission/Frankreich; näher dargestellt bei Frenz, Europarecht 1, Rn. 901 f. EuGH, Rs. 103/84, Slg. 1986, 1759 (1774, Rn. 19) – Kommission/Italien.
44
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
die allgemeine Handlungsfreiheit abgesichert.218 Nach dem europäischen Grundrechtskatalog dürfte in erster Linie die Unternehmerfreiheit gem. Art. 16 EGRC219 einschlägig sein.220 Schließlich ist die Wettbewerbsfreiheit elementar für die Entfaltung von Unternehmen. Nicht umsonst verweisen die Erläuterungen zur Entstehung von Art. 16 EGRC auf die Anerkennung freien Wettbewerbs in Art. 4 EG.221 Auf der Ebene der europäischen Grundrechte geht es um den Schutz der Wettbewerbsfreiheit vor staatlichen Eingriffen und zwar entsprechend der Zielrichtung der gemeinschaftlichen Grundrechte vor Beeinträchtigungen durch Gemeinschaftsorgane; dazu gehören mitgliedstaatliche Stellen nur, wenn sie Gemeinschaftsrecht vollziehen.222 Die Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen nach Art. 81 ff. EG ordnen hin115 gegen primär das Verhalten zwischen Privaten. Staatliche Verhaltensweisen werden nur einbezogen, soweit sie kausal für Wettbewerbsverstöße Privater sind.223 Das Beihilfenverbot richtet sich in erster Linie an die Mitgliedstaaten. Damit ergeben sich schon im Hinblick auf die Hauptadressaten grundlegende Unterschiede zu den Grundrechten, welche die differierende Stoßrichtung deutlich machen. Die Wettbewerbsregeln sollen den freien Wettbewerb zwischen Privaten sichern, die Grundrechte hingegen Private vor den Gemeinschaftsorganen schützen. In beide Freiheitsgewährleistungen werden mitgliedstaatliche Verhaltensweisen insoweit einbezogen, als sie Teil der abgewehrten Beeinträchtigungen sind, sei es, dass sie private Wettbewerbsverstöße hervorrufen oder verstärken, sei es, dass sie Gemeinschaftsrecht durchführen.224 Aus dieser unterschiedlichen Stoßrichtung ergeben sich allerdings unterschied116 liche Wirkungen für den individuellen Freiheitsbereich. Die Grundrechte berechtigen Private und verpflichten sie nicht, außer ihnen kommt ausnahmsweise unmittelbare Drittwirkung zu; eine solche sieht indes Art. 51 EGRC nicht vor,225 und der EuGH nahm sie bislang nicht an.226 Die Wettbewerbsregeln richten sich dem218
219
220 221 222
223 224 225 226
Vgl. für die Grundrechte nach dem Grundgesetz BVerfGE 86, 28 (37); 65, 196 (210); BVerwGE 65, 167 (174); unter Hinzunahme von Art. 14 GG Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 79, 136 f. Ist auch die lediglich feierlich proklamierte EGRC nicht formal verbindliches Recht, gibt sie doch den aktuellen Stand der Grundrechtsentwicklung wieder und bietet daher neben der EuGH-Rechtsprechung den maßgeblichen Anhalt, s. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, Rn. 58. Offen allerdings Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, Rn. 801 ff. m.w.N. Darauf weisen auch Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, Rn. 795 hin. S. Art. 51 Abs. 1 EGRC sowie bereits EuGH, Rs. 60 u. 61/84, Slg. 1985, 2605 (2627, Rn. 26) – Cinéthèque; Rs. 355/85, Slg. 1986, 3231 (3242, Rn. 11) – Cognet; Rs. 80 u. 159/85, Slg. 1986, 3359 (3384, Rn. 24) – Edah: Notwendigkeit europäischer Regulierung; weiter gehend die ausschließliche Gemeinschaftskompetenz für ausreichend haltend Jürgensen/Schlünder, AöR 121 (1996), 200 (222 ff.). Näher u. Rn. 688 ff. S. Art. 51 Abs. 1 EGRC. Enger insoweit Huber, AöR 116 (1991), 210 (233 ff.): Geltung nur der nationalen Grundrechte. S. dagegen Frenz, DVBl. 1995, 408 (414). S. Magiera, DÖV 2000, 1017 (1025). Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EUV Rn. 63 auch zu weiter gehenden Ansätzen in der Lit.
§ 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte
45
gegenüber in erster Linie an private Unternehmen. Sie begrenzen deren Wettbewerbs- und Wirtschaftsfreiheit und damit die diese absichernden Grundrechte in erheblicher Weise,227 also insbesondere die unternehmerische Freiheit. Die Wettbewerbsregeln beschränken damit die Privatautonomie und erweitern sie nicht.228 Das gilt allerdings wie bei den Grundfreiheiten229 nur bei unmittelbarer Betrachtung aus Sicht der Verpflichteten. Vergleichbar sind die Freiheitswirkungen insoweit, als sowohl die Grundrechte als auch die Wettbewerbsregeln einen bestimmten individuellen Freiraum absichern, obgleich gegenüber im Wesentlichen unterschiedlichen Störern. Auch die Wettbewerbsregeln verbürgen damit unternehmerische Freiheit, die weder von anderen Unternehmen noch von staatlichen Stellen angetastet werden darf. Erst sie gewährleisten, dass sich die unternehmensbezogenen Grundrechte im Rahmen eines unverfälschten Wettbewerbs entfalten können.
B.
Ausfluss grundrechtlicher Schutzpflichten
Trotz der unterschiedlichen Stoßrichtung lassen sich daher die auf das Verhalten 117 Privater bezogenen Wettbewerbsregeln auf die Grundrechte zurückführen. Sie können auf die grundrechtlichen Schutzpflichten gestützt werden. Schutzpflichten sind vom EuGH bislang zwar nur für die Grundfreiheiten explizit abgeleitet worden, lassen sich aber auch für die Grundrechte begründen.230 Der gedankliche Ansatz des EuGH, die Mitgliedstaaten müssten gem. Art. 10 EG alle geeigneten Maßnahmen auch zur Verwirklichung der Grundfreiheiten ergreifen und diese daher wirksam schützen,231 ist auf die Grundrechte modifiziert übertragbar. Müssen schon die Mitgliedstaaten Schutzvorkehrungen zur Erfüllung des Gemeinschaftsrechts treffen, gilt das erst recht für die Gemeinschaftsorgane, welche aus den Grundrechten nach Art. 51 Abs. 1 EGRC explizit verpflichtet sind. Entsprechendes gilt für die mitgliedstaatlichen Organe in Durchführung von Gemeinschaftsrecht; dann bilden sie den „verlängerte(n) Arm der Gemeinschaft“,232 die ohne sie ihr Recht nicht vollziehen kann.233 Damit können aber die Grundrechte wie auch die Grundfreiheiten unmittelbar als Grundlage für die Ableitung von Schutzpflichten dienen. Letztere sind Bestandteil ihrer Effektivität und resultieren aus der Tat-
227 228 229 230 231
232 233
Näher Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 23 ff. Darauf v.a. abstellend Nowak, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 77 (81). S.o. Rn. 43. Ausführlich Suerbaum, EuR 2003, 390 ff. EuGH, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 (6999, Rn. 31 ff.) – Kommission/Frankreich (Agrarblockaden); Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (5713 f., Rn. 57 ff.) – Schmidberger (Brenner-Blockade). Jürgensen/Schlünder, AöR 121 (1996), 200 (212). Darauf im Zusammenhang mit den grundfreiheitlichen Schutzpflichten verweisend Meurer, EWS 1998, 196 (197).
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Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
sache, dass in den jeweiligen Freiheitsrechten bestimmte Schutzgüter verkörpert sind; sie nehmen eine unabdingbare Grundlagenfunktion ein.234 Unverzichtbar für eine wirksame Verwirklichung der Berufs-235 bzw. der Unter118 nehmensfreiheit ist ein unverfälschter Wettbewerb. Den zu gewährleisten obliegt auf Gemeinschaftsebene den Gemeinschaftsorganen. Diese haben effektive Wettbewerbsregeln sicherzustellen und durchzusetzen, um die Freiheit des Wettbewerbs zu garantieren. Insoweit enthalten die grundrechtlichen Schutzpflichten eine Gewährleistung jedenfalls in Form eines Mindeststandards. Die getroffenen Vorkehrungen dürfen nur nicht „gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich“ sein, das gebotene Schutzziel zu erreichen.236 Darüber hinaus besitzen die verpflichteten Organe ein weites Ermessen, wie sie 119 ihren Schutzpflichten nachkommen. Das ist im Rahmen der Grundrechte nicht anders als für die Grundfreiheiten. Auch insoweit sind daher die verschiedenen aufeinander prallenden Interessen auszutarieren, was durch eine lediglich auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbare Beurteilung zu erfolgen hat.237 Die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln gleichen die in Frage kommenden Freiheits- und Schutzbelange der im Wettbewerb stehenden Unternehmen adäquat aus. Die Abwägung hat hier insbesondere zwischen der Berufs- bzw. Unternehmensfreiheit als Freiheitsgewährleistung und als Schutzpflicht zu erfolgen. Vor allem sollen sich einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen starke Wirtschaftsteilnehmer nicht durch unfaire, den Wettbewerb verfälschende Verhaltensweisen gegen schwächere Mitbewerber oder Vertragspartner durchsetzen können.
C.
Überschneidungen
120 Die grundrechtlichen Schutzpflichten wirken damit auf das Wettbewerbsrecht insoweit ein, als dieses einen adäquaten Ausgleich zwischen den verschiedenen aufeinander prallenden berufs- und unternehmensfreiheitlichen Belange sicherstellen muss. Unmittelbare Anwendung finden aber nur die diesen Ausgleich jedenfalls im Allgemeinen hinreichend sicherstellenden Wettbewerbsvorschriften. Lediglich dann, wenn insoweit Defizite auftauchen oder Auslegungsprobleme entstehen, sind die grundrechtlichen Schutzpflichten zu Interpretationszwecken heranzuziehen. Umgekehrt untermauert dieser Bezug die Bedeutung der Wettbewerbsregeln 121 für die Verwirklichung der Grundrechte.238 Die Wettbewerbsvorschriften stellen die Chancengleichheit der Marktteilnehmer und auf dieser Basis deren freie Ent234 235 236 237
238
Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 191 ff. Speziell daraus Schutzpflichten ableitend BVerfGE 81, 242 (255 f.) – Handelsvertreter. So BVerfGE 92, 26 (46) für die aus dem GG folgenden grundrechtlichen Schutzpflichten. Zu den grundfreiheitlichen Schutzpflichten in Abwägung mit den Grundrechten EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (5720, Rn. 81 ff.) – Schmidberger (Brenner-Blockade). Dazu Frenz, Europarecht 1, Rn. 200 f. Diese Bedeutung bejaht allgemein auch Mager, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 41 (54).
§ 3 Wettbewerbsfreiheit und Grundrechte
47
faltung sicher. Damit decken sie zugleich wichtige Freiräume der Berufs- und Unternehmensfreiheit ab, obwohl sie privatautonomes Verhalten beschränken, soweit es den freien Wettbewerb verfälscht.239 Sie bilden die Grundlage dafür, dass sich die Unternehmen im Wettbewerb am Markt entfalten können und damit Freiräume entstehen, welche gegen staatliche Interventionen verteidigt werden können. Aber auch dies zeigt die primäre Bedeutung der Wettbewerbsregeln als Ausfluss grundrechtlicher Schutzfunktionen, welche erst den Boden für das Eingreifen der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat bereiten. Eine Bedeutung, die über eine bloße Hintergrundfunktion ohne tatsächliches 122 Eingreifen im Einzelfall hinausgeht, erlangen die Grundrechte als Abwehrrechte. Diese Seite wird im Rahmen des Wettbewerbsrechts dann aktualisiert, wenn es unmittelbar von staatlichen Organen vollzogen wird. Das ist bei Durchsuchungen der Fall. Hier ist ein Eingreifen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung angelegt. Bislang lehnte allerdings der EuGH einen Grundrechtsschutz von Geschäftsräumen ab.240 Auch Art. 7 EGRC beschränkt sich auf den Schutz der Privatwohnung. Eine Weiterung schafft allenfalls Art. 52 Abs. 3 EGRC, wonach eine Konvergenz mit den in der EMRK parallel gewährleisteten Rechten bestehen muss. Deren Art. 8 Abs. 1 soll entgegen seinem Wortlaut auch Geschäftsräume schützen.241 Jedoch wird nicht erwartet, dass das vom EuGH inzwischen erheblich präzisierte Anforderungssystem an Durchsuchungen242 davon gravierend beeinflusst wird.243 Jedenfalls zeigt sich in diesem Feld der unmittelbare Einfluss der Grundrechte auf das Vorgehen staatlicher Organe bei Durchsuchungen zur Ermittlung von Wettbewerbsverstößen. Abgesehen von solch speziellen Feldern ergeben sich allerdings keine paral- 123 lelen Anwendungsbereiche unmittelbar eingreifender Grundrechte und Wettbewerbsregeln. Es besteht aber ein erheblicher gegenseitiger Nutzen sowie eine weiter gehende Verschränkung. Insbesondere sind die Wettbewerbsregeln grundrechtlich über die Schutzpflichten verortet und dienen umgekehrt der Entfaltung der Grundrechte. Damit sind die Wettbewerbsregeln nicht nur über die Grundfreiheiten, welche sie ergänzen und denen sie erheblich ähneln, sondern auch über die Grundrechte Teil des europäischen Freiheitssystems. Dieses hat damit drei Koordinaten: Grundfreiheiten, Wettbewerbsregeln und Grundrechte. Sie enthalten jeweils spezifische Gewährleistungen, die sich gegenseitig ergänzen und durchdringen.
239 240 241 242
243
S.o. Rn. 116 sowie u. Rn. 527. EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 (2924, Rn. 17 f.) – Hoechst; Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (9054, Rn. 29) – Roquette Frères. EGMR, Urt. v. 16.12.1992, AZ.: 72/1991/324/394 – Niemietz/Deutschland; Urt. v. 16.4.2002, AZ.: 37971/97 – Stés Colas Est u.a./Frankreich. EuGH, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (9053 f., Rn. 27 ff.) – Roquette Frères auf der Basis eines Schutzes vor willkürlichen oder unverhältnismäßigen Eingriffen in die Sphäre der privaten Betätigung einer natürlichen oder juristischen Person. Zu den Anforderungen näher u. Rn. 1508. Mager, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 41 (46, 55).
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§ 4 Sondervorschriften 124 Die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften der Art. 81 ff. EG gelten entsprechend dem umfassenden Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EG und auch von Art. 82 EG für alle Bereiche der Wirtschaft.244 Ausnahmevorschriften für einzelne Wirtschaftsbereiche sind weder im Kartellverbot noch im Missbrauchsverbot enthalten. Insoweit ist das Wettbewerbsrecht nur dann nicht anwendbar, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist.245
A.
Verkehrssektor
125 Die Wettbewerbsvorschriften finden grundsätzlich auch auf den Verkehrssektor Anwendung. Der Titel V des Vertrages enthält keine Vorschrift, die insoweit eine Ausnahmeregelung vorsieht. Doch hat der Rat zahlreiche Verordnungen erlassen, die wettbewerbsrechtliche Regelungen für den Bereich des Verkehrs enthalten. Mit der VO Nr. 141246 hat der Rat die VO Nr. 17247 über das Kartellverfahren hinsichtlich der Verkehrsleistungen für nicht anwendbar erklärt. Diese Lücke ist durch die VO (EWG) Nr. 1017/68248 für den Bereich des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs geschlossen worden. Diese den Art. 81 und 82 EG nachgebildete Verordnung formuliert die Wettbewerbsregeln für den Bereich des Landverkehrs. Die Anwendung des Kartellrechts auf den Seeverkehr wird durch die VO (EWG) Nr. 4056/86249 geregelt. Die entsprechenden Durchführungsvorschriften für den Luftverkehr sind in der VO (EWG) Nr. 3975/87250 sowie in der VO (EWG) Nr. 3976/87251 enthalten. Die Kommission beabsichtigt schon länger, diese unübersichtliche Rechtslage 126 durch eine einheitliche Regelung, die für den gesamten Verkehrsbereich gilt, zu 244
245 246
247 248 249 250
251
Vgl. zur Anwendbarkeit auf die Versicherungswirtschaft EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (451, Rn. 14) – Verband der Sachversicherer; auf Banken Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2030, Rn. 8) – Züchner; auf Versorgungsunternehmen Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1518, Rn. 35) – Almelo. Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 2. VO Nr. 141 des Rates über die Nichtanwendung der VO Nr. 17 des Rats auf den Verkehr, ABl. 1962 Nr. 124, S. 2751, aufgehoben durch die VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1. ABl. 1962 Nr. 13, S. 204. Des Rates vom 19.7.1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehrs, ABl. L 175, S. 1. Des Rates vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr, ABl. L 378, S. 4. Des Rates vom 14.12.1987 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABl. L 374, S. 1, zuletzt geändert und teilweise aufgehoben durch VO (EG) Nr. 411/2004, ABl. 2004 L 68, S. 1. Des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABl. L 374 S. 9, zuletzt geändert und teilweise aufgehoben durch VO (EG) Nr. 411/2004, ABl. 2004 L 68, S. 1.
§ 4 Sondervorschriften
49
beenden.252 Für den Bereich der Verfahrensvorschriften ist eine solche Harmonisierung durch die VO (EG) Nr. 1/2003253 nunmehr erfolgt. In Art. 36 ff. dieser neuen Kartellverfahrensordnung werden diese speziellen Verordnungen teilweise tiefgreifend geändert.254 Sie finden aber weiterhin Anwendung, wenn auch zum Teil nur noch partiell. Ausgenommen von der VO (EG) Nr. 1/2003 bleiben gem. deren Art. 32 internationale Trampdienste, Seeverkehrsdienstleistungen zwischen Häfen desselben Mitgliedstaats und der Luftverkehr zwischen Flughäfen der Gemeinschaft und Drittstaaten.
B.
Landwirtschaft
Gem. Art. 36 Abs. 1 EG sind die Wettbewerbsvorschriften auf die Produktion und 127 den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen nur insoweit anwendbar, als der Rat das bestimmt. In Anhang II des Vertrages sind die Erzeugnisse, die von dieser Regelung erfasst werden, im Einzelnen aufgelistet. Der Rat hat mit der VO (EWG) Nr. 26255 von der Ermächtigung in Art. 36 Abs. 1 EG Gebrauch gemacht. Diese Verordnung erklärt die Art. 81 ff. EG grundsätzlich auf den Bereich der Landwirtschaft für anwendbar, enthält aber auch ausdrückliche Ausnahmen wie etwa diejenige für Kartelle, die wesentlicher Bestandteil einer einzelstaatlichen Marktordnung oder zur Verwirklichung der Ziele des Art. 33 EG notwendig sind.256 Der Verordnung kommt kein abschließender Charakter zu,257 der Rat kann auf der Grundlage des Art. 37 Abs. 2 bis 4 EG weitere Ausnahmeregelungen erlassen.
C.
Kohle und Stahl
Gem. Art. 305 Abs. 1 EG änderte der EG-Vertrag die Bestimmungen des EGKS- 128 Vertrages258 nicht. Da der EGKS-Vertrag mit Art. 65, 66 eigene Wettbewerbsvorschriften enthielt, gingen diese als leges speciales vor,259 ohne eine ergänzende Anwendung der Art. 81 ff. EG grundsätzlich auszuschließen. Soweit sich aus dem beschränkten Anwendungsbereich dieser Vorschriften Lücken im Wettbewerbs252
253 254 255
256 257 258 259
Vgl. Kommission, 19. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1989, S. 42 ff.; XXVI. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1996, Tz. 101; XXVII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997, SEK (1998) 636 endg., KOM (1997) 628 endg., Tz. 87. ABl. 2003 Nr. L 1, S. 1. Näher Sauter, in: Dauses, H. I § 3 Rn. 20 f. Des Rates zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen, ABl. 1962 Nr. 30, S. 993. Ausführlich Winkler, in: Immenga/Mestmäcker, XVI. Abschnitt Landwirtschaft C. Kommentierung VO Nr. 26. Art. 2 VO (EWG) Nr. 26. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 47. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. II 1952 S. 447, in Kraft getreten am 23.7.1952. Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 EG, Rn. 3.
50
Kapitel 1 Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit im Gefüge des Gemeinschaftsrechts
schutz ergaben – etwa wenn nur ein Montanunternehmen i.S.d. Art. 80 EGKSVertrags an einer Vereinbarung beteiligt war –, konnte deshalb Art. 81 EG herangezogen werden.260 Allerdings ist der EGKS-Vertrag nach Ablauf seiner auf fünfzig Jahre festgelegten Geltungsdauer zum 22.7.2002 außer Kraft getreten. Die Wettbewerbsregeln der Art. 65, 66 EGKS-Vertrag gelten deshalb nur für vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene Sachverhalte. Im Übrigen greifen nunmehr Art. 81 ff. EG ein.
D.
Atomkraft
129 Die Vorschriften des EAG-Vertrags werden gem. Art. 305 Abs. 2 EG durch den EG-Vertrag nicht berührt. Bis auf Art. 62 Abs. 2 lit. c), der mit Art. 81 Abs. 1 lit. b) und d) vergleichbar ist, enthält der EAG-Vertrag keine Wettbewerbsvorschriften. Insoweit sind hier Art. 81 ff. EG anzuwenden.
E.
Maßnahmen zur Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen
130 Nach Art. 296 und 297 EG können die Mitgliedstaaten zur Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen261 auch Maßnahmen ergreifen, die zu einer Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen führen. Insoweit wird ein zumindest zeitweiser Verstoß gegen Art. 81 ff. EG durch den Vertrag hingenommen. Allerdings hat der betroffene Staat gem. Art. 298 Abs. 1 EG zusammen mit der Kommission dann zu prüfen, wie diese Maßnahmen mit den Vertragsvorschriften in Einklang gebracht werden können.
260 261
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 49. Dazu näher Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 296 Rn. 1 ff., 6 f.; Calliess, in: ders./ Ruffert, Art. 297 Rn. 1 ff.
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten A.
Entwicklungsstand
I.
VO (EG) Nr. 1/2003 als Weichenstellung
Laufen auch nach der GWB-Reform deutsches und gemeinschaftsrechtliches 131 Wettbewerbsrecht weitgehend parallel, sind gleichwohl Überschneidungen möglich. Betroffen sind allerdings dem begrenzten Anwendungsbereich von Art. 81, 82 EG entsprechend nur Sachverhalte, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind bzw. eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Eine Lösung insoweit auftretender Konflikte durch gemeinschaftsrechtliche Regelung nach Art. 83 Abs. 2 lit. e) EG war lange Zeit außer im Bereich der Fusionskontrolle1 nicht erfolgt.2 Eine die anderen Bereiche des europäischen Wettbewerbsrechts erfassende, nä- 132 here Regelung enthält nunmehr die KartellverfahrensVO (EG) Nr. 1/2003.3 Sie erweitert die Vorgängerregelung der VO Nr. 17,4 welche zwar die Wettbewerbskontrolle auf die Kommission zuschnitt, aber das Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten nur punktuell ordnete, und regelt neben der Kooperation zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden auch das Verhältnis des materiellen Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft und der 1
2 3 4
Art. 21 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 395, S. 1. Der gesamte Wortlaut wurde in Form einer berichtigten Textfassung veröffentlicht, ABl. 1990 L 257, S. 13. S. Geiger, Art. 83 Rn. 12; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 1300. Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. VO Nr. 17 des Rates – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABl. Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1216/1999, ABl. 1999 L 148, S. 5; sie wurde durch die VO (EG) Nr. 1/2003 mit Wirkung seit 1.5.2004 abgelöst.
52
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Mitgliedstaaten. Mit der Umstellung vom Anmeldeverfahren zur Legalausnahme im Rahmen der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln vollzog diese Verordnung auch einen tiefgreifenden Wandel der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden sind für den Vollzug von Art. 81, 82 EG insgesamt und damit auch für das Eingreifen einer Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG im Ansatz gleichermaßen zuständig.5 Durch diese Kombination einer Verfahrenserleichterung mit einer Freistellungsbefugnis der Mitgliedstaaten6 wurde die zuvor schon vielfach diskutierte dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts realisiert. II.
Ursprüngliche Rechtslage
1.
Zuständigkeitsverteilung
133 Auch vor dieser Umstellung vom Anmeldeverfahren zur Legalausnahme wurden die nationalen Wettbewerbsbehörden nicht notwendig durch die Kommission verdrängt, wenn nämlich die Kommission kein Verfahren einleitete und auch keine förmliche Entscheidung nach Art. 81 Abs. 1 oder 3 bzw. Art. 82 EG fällte.7 Grundlage eines Prüfverfahrens durch die Kommission waren Anmeldungen aller unter Art. 81 oder 82 EG fallenden Vereinbarungen durch die Unternehmen. Bei fehlenden Bedenken erging ein Negativattest oder ein sog. comfort letter, der die Unbedenklichkeit bescheinigte, so dass die Unternehmen davon ausgehen konnten, den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln gemäß zu handeln.8 Stellte hingegen die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln fest, konnte sie nach Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 17 eine Entscheidung erlassen, in der sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zur Abstellung verpflichtete. Hatte die Kommission das Verfahren nicht an sich gezogen, blieben allerdings 134 gem. Art. 9 Abs. 3 VO Nr. 17 die mitgliedstaatlichen Stellen auch für die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zuständig. Das korrespondierte mangels Sperrung dieser Kompetenz durch Verordnung nach Art. 83 Abs. 2 lit. e) EG mit Art. 84 EG, der den Mitgliedstaaten eine vorläufige Kompetenz zuweist und mit Art. 85 EG, welcher eine grundsätzliche Aufsichtsfunktion der Kommission vorsieht. Allerdings bestand eine ausschließliche Zuständigkeit der Kommission nach Art. 9 Abs. 1 VO Nr. 17 für die nach Art. 81 Abs. 3 EG mögliche Nichtanwendbarerklärung der Verbotsnorm des Art. 81 Abs. 1 EG. Einer solchen Ent5 6
7 8
S. dagegen Art. 9 Abs. 1 VO Nr. 17, welcher insoweit eine ausschließliche Zuständigkeit der Kommission vorsah. Krit. zu diesem Weg Lässig, Dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts, 1997, S. 78 ff. Die darin enthaltenen Aspekte sind auch auf der Grundlage der VO (EG) Nr. 1/2003 noch von Bedeutung, soweit sie nicht an ein Anmeldeerfordernis vor nationalen Behörden gekoppelt sind. Bechtold, GWB, Einführung Rn. 37 auch für den Fall, dass ein Verwaltungsschreiben der Kommission erging. Zur Bindungswirkung näher Ehricke, ZHR 158 (1994), 170 ff.
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
53
scheidung bedurfte es jedoch schon damals nicht, wenn eine Gruppenfreistellungsverordnung eingriff. 2.
Parallele Rechtsordnungen bei Anwendungsvorrang des EG-Kartellrechts
a)
Walt Wilhelm
Im Konfliktfall räumte der EuGH dem gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbs- 135 recht in einer frühen Entscheidung9 insoweit den Vorrang ein, als eine mit diesem konforme Maßnahme auch dann erlaubt ist, wenn sie gegen nationales Wettbewerbsrecht verstößt. Eine Verhaltensweise muss danach also nicht stets gemäß der zuvor von Norbert Koch entwickelten „Zweischrankentheorie“10 sowohl gemeinschaftsrechtlichem als auch nationalem Wettbewerbsrecht entsprechen. Dessen Schutzbereich lässt sich nämlich entgegen dieser Theorie nicht klar von dem des nationalen Wettbewerbsrechts abgrenzen.11 Daher lässt sich die Rangfrage in Konfliktfällen nicht vermeiden. Ein Konflikt tritt aber nur auf, wenn eine Prüfung am mitgliedstaatlichen Recht 136 zu einem anderen Ergebnis führt als die Kontrolle am Gemeinschaftsrecht. Die (Un-)Vereinbarkeit mit diesem ist daher maßgeblich, wenn sie die Kommission festgestellt hat. Wurde kein Verfahren der Kommission eingeleitet oder ein begonnenes nicht abgeschlossen, können die mitgliedstaatlichen Behörden zwar zuständig bleiben, dürfen indes keine Maßnahmen treffen, welche mit den Maßstäben des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts unvereinbar sein können. Im Ergebnis müssen sie also beide Rechtsordnungen prüfen. Sie dürfen aber bei der Anwendung ihres Landesrechts keinesfalls die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts sowie die Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen beeinträchtigen.12 b)
Guerlain
Eine parallele Überprüfbarkeit ist danach, wie der EuGH im Urteil Giry und Guer- 137 lain nochmals aufgreift,13 grundsätzlich möglich. Sie bereitet keine Probleme, wenn eine Maßnahme nach beiden Wettbewerbsordnungen gleich eingeschätzt wird. Die Beurteilung nach Gemeinschaftsrecht muss allerdings durch eine Entscheidung der Kommission festgestellt sein, um das Eingreifen nationalen Rechts hindern zu können. Das bloße Nichtaufgreifen des Verfahrens genügt hierfür nicht.14 Insoweit ist die Betrachtung des EuGH rein formal auf die Entscheidung
9 10 11 12 13 14
EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14, Rn. 7) – Walt Wilhelm. Grundlegend Koch, BB 1959, 241 ff. S. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (13, Rn. 3) – Walt Wilhelm. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14 f., Rn. 8 f.) – Walt Wilhelm. EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2375, Rn. 16) – Giry und Guerlain. EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2375, Rn. 18) – Giry und Guerlain für den Fall eines das Verfahren einstellenden Verwaltungsschreibens.
54
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
der Kommission und nicht auf das materielle Recht bezogen.15 Dieses schimmert höchstens am Ende seiner Erwägungen durch, wenn er ausführt, das Kartellverbot sei nur auf die Kartelle beschränkt, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind. Daher sei keineswegs ausgeschlossen, „dass diese Praktik von den nationalen Stellen unter dem Gesichtspunkt der restriktiven Wirkungen betrachtet wird, die sie im innerstaatlichen Recht entfalten kann“.16 Aber auch diese Sentenz knüpfte an die Beurteilung des konkreten Falles durch die Kommission an. Sie ist somit auf die Verwaltungsentscheidung und nicht auf die Gesetzeskonkurrenz als solche bezogen. Fehlt also eine Entscheidung der Kommission, kann das nationale Wettbewerbsrecht angewendet werden, auch wenn es strengere Maßstäbe als das Gemeinschafsrecht anlegt.17 c)
Zweigleisiges Verfahren und Bußgeldanrechnung
138 Die Konkurrenz zwischen europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht wird vom EuGH aber auch anhand der Zwecksetzung gelöst. Danach können zwei parallele Verfahren in vollem Umfang durchgeführt werden, wenn sie verschiedene Ziele verfolgen. Am weitesten fällt dieser Ansatz dann aus, wenn man den staatlichen Kartellgesetzgebungen generell vom Gemeinschaftsrecht divergierende Erwägungen zuschreibt und Überkreuzungen nur im Einzelfall durch die wirtschaftliche Verflechtung der Sachverhalte bedingt sieht.18 Aber auch bei einem Abstellen auf die unterschiedlichen Gesichtspunkte, welche die europäische Wettbewerbsordnung und die innerstaatlichen Regelungen erfassen,19 kam man jedenfalls früher zu erheblichen Divergenzen. Danach greifen grundsätzlich beide Rechtsordnungen ein und es findet lediglich eine Ergebniskorrektur im Einzelfall statt. Auf der Ebene der Strafbemessung muss hingegen aus Billigkeitsgründen eine frühere Sanktionsentscheidung berücksichtigt werden, es sei denn, diese stammt aus Staaten außerhalb der EU.20 d)
Ausdruck des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts
139 Diese Lösung der Konkurrenz zwischen europäischer und nationaler Wettbewerbsordnung ist die Konsequenz des grundsätzlichen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts.21 Bewegt sich die Anwendung nationaler Vorschriften in diesem Rahmen, ist sie unproblematisch. Das gilt bei einer Übereinstimmung der erzielten Ergebnisse sowie dann, wenn diese Bestimmungen eine andere Zielrichtung haben und 15
16 17 18 19 20 21
EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2374, Rn. 14) – Giry und Guerlain: „Hauptproblem“. Näher analysierend Walz, Der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Kartellrecht, 1994, S. 37 f. EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2375, Rn. 18 a.E.) – Giry und Guerlain. EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2375, Rn. 18) – Giry und Guerlain. So EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (13, Rn. 3) – Walt Wilhelm. EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2375, Rn. 18) – Giry und Guerlain. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm. Ausführlich u. Rn. 1594 ff. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14, Rn. 6) – Walt Wilhelm. Allgemein EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269 ff.) – Costa/E.N.E.L.; Rs. C-184/89, Slg. 1991, I-297 (321, Rn. 20) – Nimz; BVerfGE 75, 223 (244); 85, 191 (204).
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
55
daher mit den gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln nicht in Konflikt kommen können. Insoweit geht es dann nur um die Abstimmung der Sanktionen. Wesentlich strenger muss hingegen der Maßstab sein, wenn es materiell-rechtliche Überschneidungen gibt. Könnte es nämlich Fälle mit Gemeinschaftsbezug geben, die zwar gemein- 140 schaftsrechtlich erlaubt, aber nach nationalem Wettbewerbsrecht verboten sind, käme das Gemeinschaftsrecht insoweit nicht zum Durchbruch; es würde im Ergebnis durch nationales Recht verdrängt. Seine gleichwohl gegebene Anwendung in Form der Prüfung wäre nur formal. Die vorrangige Anwendung des Gemeinschaftsrechts hat indes zum Ziel, die europäische Integration sicherzustellen.22 Damit ist eine europaweit einheitliche Anwendung und Durchsetzung gegenüber widersprechendem nationalen Recht verlangt. Nur eine solche tatsächliche Wirkung vermag es, einen zusammenhängenden europaweiten Wirtschaftsraum als Grundlage des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten. Dieser hat zur Grundlage, dass sich der Wettbewerb zwischen den Wirtschaftssubjekten ungehindert entfalten kann und damit Wettbewerbsfreiheit besteht.23 Eine solche Entfaltung ist aber nur dann möglich, wenn für grenzüberschreitende Vorgänge oder für Aktionen mit gemeinschaftsrelevanten Auswirkungen auch im Ergebnis dieselben Grenzen bestehen. Gemeinschaftsrelevante Sachverhalte, die vom Gemeinschaftsrecht erfasst sind, müssen nicht nur an diesem gemessen, sondern durch dieses materiell bestimmt werden. Dies gilt namentlich für die Wettbewerbsfreiheit. Gemeinschaftsrechtlich erlaubte Vorgänge mit Gemeinschaftsbezug sind daher zulässig, auch wenn sie gegen nationales Wettbewerbsrecht verstoßen. III.
Durchgehender Vorranganspruch bei institutioneller Rücknahme des europäischen Wettbewerbsrechts
Dieser Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts gilt nach dem neuen Kartellver- 141 fahrensrecht in verstärkter Form. Das bisherige grundsätzliche Nebeneinander von gemeinschaftlichem und nationalem Wettbewerbsrecht, das nur bei Konflikten im Ergebnis verdrängt wurde, hat die KartellverfahrensVO (EG) Nr. 1/2003 weitgehend durch eine notwendige Gesamtbetrachtung ersetzt. Gleichwohl statuiert sie keinen Vorrang in dem Sinne, dass nur noch Gemeinschaftsrecht und nicht mehr nationales Wettbewerbsrecht Anwendung findet.24 Gem. Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 sind die gemeinschaftlichen Wettbewerbsre- 142 geln neben dem nationalen Wettbewerbsrecht heranzuziehen, wenn die mitgliedstaatlichen Behörden tätig werden; diese sind insoweit auch gem. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 zuständig. Die Verordnung sieht ausdrücklich diesen doppelten Prü-
22 23 24
EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 (644, Rn. 17/18) – Simmenthal; Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345 (2359, Rn. 14) – Albako. Im Einzelnen o. Rn. 1 ff. Dafür letztlich Walz, Der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Kartellrecht, 1994, S. 265.
56
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
fungsmaßstab vor.25 Damit wird einerseits dem Bedürfnis nach materieller Bestimmung der Wettbewerbsfreiheit durch das Gemeinschaftsrecht entschiedener Rechnung getragen, gleichzeitig wird aber die Anwendung nationalen Kartellrechts im Grundansatz beibehalten. In dieser fortbestehenden dualen Wettbewerbsordnung ergeben sich Konflikte jedoch umso weniger, je stärker die nationalen Rechtsordnungen an das europäische Wettbewerbsrecht angeglichen werden. In dem Maße, in dem eine solche Angleichung erfolgt, erübrigt sich auch eine Harmonisierung des Wettbewerbsrechts auf europäischer Ebene.26 Die weiterhin mögliche parallele Anwendbarkeit des nationalen Wettbewerbs143 rechts wird in Fortführung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze präzisiert. Sie darf nach Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 insbesondere nicht zum Verbot von Verhaltensweisen führen, die nach Art. 81 EG erlaubt sind und sei es nur über die Rechtfertigungsgründe oder Gruppenfreistellungen. Auch diese setzen sich also gegen mitgliedstaatliche Verbote durch.27 Lediglich rein innerstaatliche Sachverhalte, also solche, die keine Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel haben können, dürfen durch die Mitgliedstaaten mit strengeren Vorschriften belegt werden. Zudem können einseitige Handlungen von Unternehmen gem. Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 strengeren innerstaatlichen Vorschriften unterliegen. Allerdings geht diese materiell-rechtliche Verschiebung mit einem Verlust an 144 tatsächlichen Kontrollmöglichkeiten einher, da das Anmeldeverfahren durch ein System der Legalausnahme ersetzt wurde. Art. 81 Abs. 3 EG mit seinen Ausnahmetatbeständen ist nunmehr unmittelbar anwendbar. Die Unternehmen müssen ihre wettbewerbsrechtlich zweifelhaften Vereinbarungen nicht mehr anmelden, sondern dürfen diese selbst beurteilen. Damit entfällt eine nahezu jeden Einzelfall betreffende Kontrolle der Kommission. Diese wird nur auf Verdacht tätig, sei es, dass sie diesen selbst hegt, sei es, dass er durch Hinweise namentlich von Konkurrenten begründet wird. Das entspricht den Zwängen einer auf 25 Mitgliedstaaten angewachsenen Union. Darüber hinaus entbindet es die Unternehmen von dem Anmeldeerfordernis und dem damit verbundenen Aufwand. Damit hängt es auch von der Mitwirkung anderer ab, inwieweit den Wettbe145 werbsregeln tatsächlich zum Durchbruch verholfen werden kann. Zumeist wird sich jedoch ein benachteiligter Anbieter gegen Wettbewerbsverstöße konkurrierender Unternehmen wenden und gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 eine Beschwerde an die Kommission richten. Oder ein Beteiligter offenbart sich, angeregt durch die Kronzeugenregelung. Nicht zuletzt kann auch die Kommission selbst ihre durch Umstrukturierungsmaßnahmen verstärkten Ressourcen zu erfolgreicherer Verfolgung jedenfalls von Kernkartellen nutzen.28 Der Wegfall einer umfassenden 25 26 27 28
Dies verpflichtet die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch nicht dazu, in jedem Fall neben dem Gemeinschaftsrecht auch das nationale Recht zu prüfen, näher u. Rn. 146. Ausführlich zum Ganzen die Habilitationsschrift von Hucke, Erforderlichkeit einer Harmonisierung des Wettbewerbsrechts in Europa, 2001, passim. Akzentuiert Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 22 f.; näher sogleich Rn. 148, 152 ff. Beides erwartend die Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Tz. 30, 724 auch zum folgenden Aspekt.
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
57
Präventivkontrolle durch die Kommission wird zudem über organisatorische Vorkehrungen vor allem in Form verstärkter Nachprüfungsbefugnisse sowie einer engen Verschränkung mit den mitgliedstaatlichen Stellen teilweise aufgefangen.
B.
Materielle Verschränkung von nationalem und europäischem Kartellrecht
I.
Notwendige Zusammenschau
Durch Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 wird zwar die Existenz mitgliedstaatli- 146 chen Wettbewerbsrechts vorausgesetzt. Wenden die nationalen Behörden dieses aber auf von Art. 81 Abs. 1 EG erfasste Verhaltensweisen an, müssen sie „auch“ Art. 81 EG anwenden. Entsprechendes gilt für Marktmissbräuche nach Art. 82 EG. Damit kann das nationale Wettbewerbsrecht nicht isoliert herangezogen werden, sondern nur in Zusammenschau mit europarechtlichen Normen. A priori ist also eine parallele Anwendung vorgeschrieben. Diese gilt allerdings nur zugunsten des Gemeinschaftsrechts. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 enthält keine Verpflichtung, das nationale Recht tatsächlich anzuwenden. Es kann also auch ausschließlich das Gemeinschaftsrecht geprüft werden; die mitgliedstaatlichen Vorschriften können dann gänzlich außer Betracht bleiben.29 Werden sie allerdings herangezogen, ist das Gemeinschaftsrecht ebenfalls zu prüfen. Diese notwendige Einbeziehung des Gemeinschaftsrechts erstreckt sich auf alle 147 Sachverhalte, die in den sachlichen Anwendungsbereich der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln fallen. Voraussetzung ist also eine von Art. 81 f. EG erfasste Verhaltensweise namentlich in Form einer unternehmerischen Vereinbarung oder sonstigen Kooperation bzw. des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Hinzu kommen muss die Eignung dieser Verhaltensweise, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Ohne diesen grenzüberschreitenden Bezug kann das nationale Wettbewerbsrecht ungeachtet seines Inhalts zum Zuge kommen. Insoweit ist das EG-Wettbewerbsrecht und damit auch die VO (EG) Nr. 1/2003 ohnehin nicht einschlägig. Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 flankiert diese notwendige Parallelprü- 148 fung durch die Gewährleistung eines gleichlaufenden Ergebnisses entsprechend den Grundsätzen des Walt-Wilhelm-Urteils, die allerdings weiter verschärft werden. Die Anwendung einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts darf nämlich auch dann nicht dazu führen, dass mit Art. 81 EG konforme Vereinbarungen verboten werden, wenn sie lediglich nach dessen Maßstäben oder denen einer Gruppenfreistellungsverordnung gerechtfertigt sind. Ist dies sichergestellt, können freilich auch parallele nationale wettbewerbsrechtliche Vorschriften weiterhin zur Anwendung kommen.
29
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 9 a.E.).
58
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 erweitert dieses mögliche Nebeneinander von mitgliedstaatlichem und europäischem Wettbewerbsrecht um strengere nationale Vorschriften, aber nur im Hinblick auf einseitige Handlungen von Unternehmen. Lediglich auf diese bezogen erlaubt die VO (EG) Nr. 1/2003 Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet strengere Vorschriften zur Unterbindung oder Ahndung von unternehmerischen Handlungen festzulegen. Das betrifft namentlich Missbräuche einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG, welche zumeist durch ein Unternehmen erfolgen. Art. 82 EG wird denn auch in Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht genannt. Im Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EG sind die europäischen Wettbe150 werbsregeln hingegen durchgehend mit heranzuziehen. Es ist nicht nur das Ergebnis von nationalem und gemeinschaftlichem Wettbewerbsrecht zu vergleichen und im Konfliktfall zugunsten des Europarechts auszutarieren, sondern Art. 81 f. EG sind von vornherein nebenher mit zu prüfen. Daraus können sich auch Rückwirkungen auf verschiedene Tatbestandsmerkmale des nationalen Wettbewerbsrechts ergeben. In Deutschland werden Divergenzen durch eine weitgehende Ausrichtung des GWB auf das europäische Kartellrecht vermieden. Letztlich geht das europäische Wettbewerbsrecht immer vor. Das gilt selbst 151 dann, wenn es sich nur in einer Beziehung und damit etwa lediglich in der Rechtfertigung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vom nationalen Recht unterscheidet. Dann prägt es die juristische Beurteilung des gesamten Sachverhalts. Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 schreibt dies explizit fest, indem er die mögliche Subsumtion unter Art. 81 Abs. 3 EG bzw. eine zu dessen Anwendung ergangene Verordnung eigens erwähnt. Woraus sich die gemeinschaftskartellrechtliche Zulässigkeit ergibt, ist also gleichgültig.30 Entscheidend ist, dass im Binnenmarkt für Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Ergebnis dieselben Bedingungen bestehen. Daher dürfen diese Verhaltensweisen entsprechend der 8. Begründungserwägung der VO (EG) Nr. 1/2003 in den Mitgliedstaaten nur dann untersagt sein, wenn sie auch gemeinschaftsrechtlich verboten sind. Im Ergebnis haben die Unternehmen bei Vereinbarungen, die den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr betreffen, lediglich EG-Kartellrecht einzuhalten. 149
II.
Stufenübergreifende Durchsetzung des europäischen Kartellrechts
152 Konkret wird diese durchgehende Maßgeblichkeit des Gemeinschaftskartellrechts bereits dann, wenn ein Sachverhalt tatbestandlich eine Verbotsnorm des nationalen Wettbewerbsrechts erfüllt, aber trotz Vorliegens einer Abstimmung zwischen Unternehmen und einer potenziellen Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten z.B. den Wettbewerb nach Art. 81 Abs. 1 EG nicht beschränkt. Dann ist das Verhalten nur nach nationalen, nicht aber nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben tatbestandsmäßig. Da die Maßnahme aber grundsätzlich in den 30
Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, 118 (120).
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
59
Anwendungsbereich des Art. 81 EG fällt, setzt sich die Wertung des Gemeinschaftsrechts durch, d.h. das Handeln ist trotz Erfüllens einer nationalen Verbotsnorm erlaubt. Oder eine Vereinbarung zwischen Unternehmen kann zwar den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und ist tatbestandsmäßig sowohl nach Art. 81 Abs. 1 EG als auch nach nationalem Wettbewerbsrecht, ist aber nach Art. 81 Abs. 3 EG gerechtfertigt, nicht hingegen nach nationalem Recht. Auch in diesem Fall ist die Maßnahme wettbewerbsrechtlich zulässig. Beide Fälle können auch ineinander spielen, d.h. ein Sachverhalt mit Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels verstößt nur nach nationalem Recht gegen einen wettbewerbsrechtlichen Tatbestand, ist aber nach Art. 81 Abs. 3 EG rechtfertigungsfähig. Diese Ausnahmeklausel erstreckt sich damit auch auf nach nationalem Recht verbotene grenzüberschreitende Sachverhalte und kassiert etwaige mitgliedstaatliche Verbote. Schließlich enthält Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 ein „oder“ und lässt damit Art. 81 Abs. 3 EG gerade unabhängig vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG eingreifen. Es zählt mithin die Gesamtheit des Art. 81 EG und damit auch die Stufe der Rechtfertigung, selbst wenn diese losgelöst vom gemeinschaftlichen Tatbestand des Kartellverbots steht. Die Legalausnahme soll auch auf mitgliedstaatlicher Ebene durchgesetzt werden.31 Dadurch wird mit genereller und unmittelbarer Wirkung fortentwickelt und auf die normative Ebene gehoben, was der EuGH zumindest angedeutet hatte, als er den Kartellbehörden der Gemeinschaft „auch gewisse positive, obgleich mittelbare Eingriffe zur Förderung einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft“ im Zusammenhang mit Art. 81 Abs. 3 EG zubilligte.32 Nationale Verbotstatbestände müssen sich daher für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zumindest potenziell beeinträchtigende und somit grenzüberschreitende Sachverhalte durch europarechtlich eröffnete Freistellungen beschränken lassen. Parallel dazu ist ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß gegen nationale Vorschriften auch dann ausgeschlossen, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Gruppenausnahme besteht. Sie löst ein Verhalten gerade aus dem wettbewerbsrechtlich Verbotenen heraus. Das tut sie unabhängig davon, ob es sich um eine positive Freistellung über sog. weiße Listen, also explizit benannte freigestellte Verhaltensweisen, handelt.33 Solche weiße Listen existieren als solche in den neuen Gruppenfreistellungsverordnungen gar nicht mehr. Die vorstehend erwähnte Passage des EuGH von der Förderung einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens, welche in diesem Zusammenhang für eine restriktive Haltung ins Feld geführt wird,34 befindet sich im Zusammenhang mit der Bejahung des Vorrangs des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts und steht daher im Gegenteil für eine weite Konzeption.35 31 32 33 34 35
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 26. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14, Rn. 5) – Walt Wilhelm. Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 23 f.; Wiedemann, in: ders., Kartellrecht, § 6 Rn. 6 f. S. näher m.w.N. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung F. Rn. 17 ff. Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 22.
153
154
155
156
60
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob ein in grenzüberschreitender Weise wettbewerbsrelevantes Verhalten überhaupt gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstößt oder nur und damit losgelöst davon durch Art. 81 Abs. 3 EG gerechtfertigt ist.36 Die Gruppenausnahme lässt diese Frage vielmehr offen und legt nur fest, dass ein Verhalten gemeinschaftsrechtskonform ist. Deshalb kann es nicht nach nationalem Wettbewerbsrecht verboten sein. Ist ein Verhalten nach nationalen Ausnahme- bzw. Rechtfertigungstatbeständen 158 erlaubt, die über die gemeinschaftsrechtlichen Legitimationsmöglichkeiten hinausgehen, fehlt eine Zulässigkeit nach europäischem Kartellrecht. Dieses ist vorrangig und verbietet das nach mitgliedstaatlichem Recht erlaubte Verhalten. Insoweit setzen sich trotz fehlender Erwähnung dieser Fallkonstellation in Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die alten Rechtsgrundsätze fort. Ansonsten wäre die wirksame Durchsetzung des Verbots nach Art. 81 f. EG durch mitgliedstaatliches Recht gehemmt. Dies widerspräche dem allgemeinen Vorrang des Gemeinschaftsrechts. 157
III.
Mögliche nationale Sonderwege zur Missbrauchsbekämpfung
1.
Ansatz
159 Für Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinflussen können, greifen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln nicht ein. Hier besitzen die Mitgliedstaaten a priori die Regelungskompetenz. Darüber hinaus erlaubt Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 den Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet strengere Vorschriften zu erlassen und anzuwenden, um einseitige Handlungen von Unternehmen zu unterbinden oder zu ahnden. Zunächst setzt ein nationaler Sonderweg nach dieser Vorschrift also voraus, 160 dass er sich auf einseitige Handlungen von Unternehmen bezieht. Diese dürfen nicht zusammen wirken. Damit können die Mitgliedstaaten im gesamten Anwendungsbereich des Art. 81 EG, der tatbestandsmäßig Koordinierungen voraussetzt und damit lediglich zweiseitige Handlungen von Unternehmen erfasst, keine strengeren Vorschriften erlassen. Auch im Eingriffsfeld des Art. 82 EG sind die Verhaltensweisen nicht einbezogen, welche auf einem gemeinsamen Handeln von mindestens zwei Unternehmen beruhen.37 Den Regelfall bilden allerdings Missbrauchshandlungen eines Unternehmens. Namentlich auf diese Konstellation bezieht sich Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003. Insoweit wird der sonst umfassende Vorrang des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts durchbrochen. Eine parallele Anwendung von Art. 82 EG nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 kann insoweit nicht zu einer Modifikation nationalen Rechts führen. Ansonsten könnte 36
37
Dies als „fraglich“ ansehend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 23 a.E., allerdings in Rn. 25 im vorstehend geschilderten Kontext befürwortend. Zurückhaltend auch Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung F. Rn. 26 auf der Basis der sog. Kernbereichslehre. Auch eine „durch mehrere Unternehmen“ zustande gekommene Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung wird vom Missbrauchsverbot erfasst.
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
61
dieses nicht mehr strenger sein, sondern würde auf das gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Maß zurückgeführt. Voraussetzung für eine solche Verdrängung des Vorrangs des Gemeinschafts- 161 rechts ist weiter, dass es sich um strengere mitgliedstaatliche Regelungen handelt. Diese dürfen also nicht lediglich parallel anwendbar sein. Ansonsten ist gem. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 „auch“ Art. 82 EG anzuwenden. Zu diesem dürfen dann keine Widersprüche auftreten. Strengere mitgliedstaatliche Regelungen i.S.v. Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 können sich sowohl auf Tatbestandsebene als auch auf der Rechtsfolgenseite ergeben: Im ersten Fall sind sie strenger, wenn sie durch weniger scharfe Voraussetzungen bereits zum Verbotstatbestand führen. So ist die überragende Marktstellung nach § 19 Abs. 2 Ziff. 2 GWB rascher erreicht als eine beherrschende Stellung gem. Art. 82 EG. Der zweite Fall ist bei gravierenderen Sanktionen erfüllt. Problematisch ist, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen beider Normen er- 162 füllt sind, also etwa eine beherrschende Stellung nach Art. 82 EG erreicht ist, die allerdings zugleich eine überragende Marktstellung nach § 19 Abs. 2 Ziff. 2 GWB beinhaltet. Dann greifen „auch“ die gemeinschaftsrechtlichen Regeln ein,38 so dass bei einer unterschiedlichen Handhabung Divergenzen in der Fallbetrachtung auftreten könnten. Deshalb muss auch insoweit das EG-Kartellrecht vorgehen. Strengeres nationales Recht liegt also nur in dem Maße vor und kann daher zur Anwendung kommen, als es sich nicht im Anwendungsbereich mit Art. 82 EG überschneidet. Das trifft für nationale Tatbestände zu, die einen anderen Ansatz verfolgen. So wird die Marktmacht in § 20 Abs. 2 GWB durch eine Abhängigkeit und nicht durch eine beherrschende Marktstellung definiert.39 Damit ist eine tatbestandliche Überschneidung von vornherein ausgeschlossen und Art. 82 EG kann gar keine parallele Anwendung finden. Auf diese Konstellation verweist eigens Satz 6 der 8. Erwägung zur VO (EG) Nr. 1/2003. Die Erwähnung dieser Fallgruppe entspricht dem genetischen Hintergrund, dass die Regelung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 insbesondere dem Betreiben Deutschlands geschuldet ist, das anfangs den Vorrang des EG-Wettbewerbsrechts nicht akzeptieren wollte.40 2.
Konkretisierung anhand des GWB
Die durch § 20 GWB erfassten Verhaltensweisen sind mit Rücksicht auf seine Be- 163 deutung als Diskriminierungsverbot und als Verbot unbilliger Behinderung zu bestimmen. Insoweit stellt sich die Frage eines anderen Ansatzes gegenüber Art. 82 EG, so dass auch Handlungen mehrerer Unternehmen gemeinsam nicht dem Vorrang des EG-Kartellrechts unterliegen könnten.41 Indes greift auch Art. 82 EG in Abs. 2 lit. c) unterschiedliche Behandlungen auf und benennt in Abs. 2 38 39 40 41
Ebenso Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 29. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 30. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 33. Dafür Weitbrecht, EuZW 2003, 69 (72) unter Verweis auf die 8. Begründungserwägung. Die Wortlautinterpretation geht allerdings vor.
62
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
lit. d) unbillige Verhaltensweisen.42 Zudem setzt auch § 20 GWB vom Ansatz her marktbeherrschende Stellungen voraus. Deshalb können nur einzelne Fallgruppen dieser Norm und damit namentlich § 20 Abs. 2 GWB auch hinsichtlich Verhaltensweisen mehrerer Unternehmen ungeachtet des EG-Kartellrechts eingreifen. Unter diesem Blickwinkel ist selbst zweifelhaft, ob § 20 Abs. 4 GWB einen ei164 genständigen, überhaupt nicht vom Vorrang des Art. 82 EG erfassten Tatbestand bildet.43 Denn auch Art. 82 EG umfasst gerade die Konstellationen, in denen eine marktbeherrschende Stellung gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern besteht. Daher ist diese nationale Vorschrift nur insoweit vom Gemeinschaftsrecht unbeeinflusst, als sie auch eine überlegene Marktmacht erfasst, die noch nicht den Grad einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG erreicht. Der Netzzugang ist in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB spezifisch geregelt, ohne dass im 165 Gemeinschaftsrecht dieser Tatbestand (voll) erfasst wäre. Diese Regelung geht nämlich über die gemeinschaftsrechtliche essential facilities doctrine hinaus. Danach bildet die Verweigerung unerlässlicher Rohstoffe, Lizenzen oder Dienstleistungen wie Hauszustellungen an andere Unternehmen nur dann einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, also nicht generell, sondern nur in bestimmten Fällen bereits bei Unentbehrlichkeit für das behinderte Unternehmen.44 § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB stellt demgegenüber einen allgemeinen Zugangsanspruch auf, der nur durch fehlende Möglichkeit oder Unzumutbarkeit beschränkt ist. Damit werden allerdings auch die Fälle einer Ausschaltung von Wettbewerb(ern) erfasst, die im Einzelfall nicht zu rechtfertigen sind, worauf der EuGH abstellt.45 Insoweit besteht eine Parallelität der Anwendungsbereiche. Auch der Ausgangspunkt liegt parallel, leitet doch auch der EuGH wie § 19 GWB aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Zugangsrecht ab, wenn auch eingeschränkter. Lediglich in dem weiteren Anwendungsbereich kann damit § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB aufgrund von Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 unabhängig vom Gemeinschaftsrecht zur Anwendung kommen, da er strenger ist. Das gilt aber nur für einseitige Unternehmenshandlungen.46 Unternehmensverbünde unterliegen daher lediglich den milderen Schranken des Art. 82 EG, soweit Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel in Frage stehen.47 Für sie wird daher der weitere Anwendungsbereich des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB durch Art. 82 EG begrenzt.
42 43 44
45 46 47
Zu Überschneidungen näher Bechtold, GWB, § 20 Rn. 93 f. Davon ausgehend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 30 a.E. S. bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents; Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3278, Rn. 26) – CBEM; dogmatisch grundlegend EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (823, Rn. 49 ff.) – Magill; Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7830 f., Rn. 38 ff.) – Bronner; Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 – IMS; näher u. Rn. 1277 ff., 1354 ff. S.u. Rn. 1279, 1284 ff. Von solchen im Regelfall ausgehend Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 34. EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7828, Rn. 31) – Bronner.
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
IV.
63
Ausklammerung nicht wettbewerblicher Zwecke
Nationales Recht ist nicht mit dem europäischen Kartellrecht verschränkt, wenn es 166 sich zwar an Unternehmen richtet, aber andere Zwecke verfolgt. Nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 können die Mitgliedstaaten weiter Normen anwenden, deren hauptsächlicher Zweck sich von den Zielsetzungen der Art. 81, 82 EG unterscheidet. Das gilt insbesondere für die Bekämpfung unlauterer Verhaltensweisen. Diese nennt eigens die 9. Begründungserwägung der VO (EG) Nr. 1/2003. Ein weiteres praktisch wichtiges Beispiel ist der Schutz von Urheberrechten. Soweit Verwertungsgesellschaften Urheberrechte wahrnehmen und insoweit Abschlüsse tätigen müssen, dient dies einerseits dem Schutz der Urheberberechtigten und andererseits dem Zugang zu den Urheberrechten durch die Nutzer; also außerwettbewerblichen Zwecken. Durch die Regelungen des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrech- 167 ten und verwandten Schutzrechten, die Schiedsstellen und Gerichten Kompetenzen im Hinblick auf Gesamtverträge und Tarife für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten geben (§§ 14-16 UrhG), kommen auch staatliche Einwirkungen ins Spiel, die den Wettbewerb beschränken. Soweit sie dem Anwendungsbereich der Art. 81 bzw. 82 (i.V.m. Art. 10) EG unterliegen,48 können aufgrund ihrer anderen Zielsetzung die nationalen Vorschriften gleichwohl eingreifen. Auch in solchen Konstellationen hat Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 ein wichtiges Anwendungsfeld.49 In allen Fällen ist sonstiges Gemeinschaftsrecht und dabei insbesondere die Waren- sowie die Dienstleistungsfreiheit zu wahren.
C.
Organisatorische Verschränkung
I.
Miteinander statt Nebeneinander
Mit der Neuregelung durch die VO (EG) Nr. 1/2003 wurden auch wichtige orga- 168 nisatorische Grundlagen novelliert. Die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission wurden verstärkt. In Privaträumen können sie allerdings nur auf Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts ausgeübt werden (Art. 21 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003) und ihre Wahrnehmung bedarf vielfach des Rückgriffs auf nationale Bedienstete (Art. 20 Abs. 5, 6 VO (EG) Nr. 1/2003), ggf. einhergehend mit einer gerichtlichen Entscheidung (Art. 20 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1/2003). Über diesen Bereich der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts hinaus wurde in Art. 11 ff. VO (EG) Nr. 1/2003 generell eine Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten von der gegenseitigen Information über die Konsultation bis hin zur gemeinsamen Beratung in einem Ausschuss etabliert. An die Stelle eines Nebeneinander tritt damit ein enges Miteinander. In Art. 11 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 wird diese Kooperation grundsätzlich festgelegt und in den folgenden Bestimmungen näher ausgeformt. Dadurch wird die all48 49
Im Einzelnen u. Rn. 1954 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 32.
64
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
gemeine Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit unter Wahrung der vertraglich vorgesehenen Rollenverteilung50 konkretisiert. II.
Parallele Zuständigkeit mit Selbsteintrittsrecht der Kommission
1.
Zuständigkeitsverteilung
169 Eine parallele Zuständigkeit besteht insoweit, als in Einzelfällen nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 die Mitgliedstaaten für die Anwendung von Art. 81 f. EG zuständig sind. Dementsprechend sind dafür nach Art. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 auch die einzelstaatlichen Gerichte zuständig. Befasst sich bereits eine andere mitgliedstaatliche Behörde mit demselben Sachverhalt, braucht die nationale Behörde den Fall nicht weiter zu bearbeiten; sie kann ihn nach Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 aussetzen oder eine Beschwerde zurückweisen. Diese Möglichkeit hat auch die Kommission. Dass damit sogar das zuständige Gemeinschaftsorgan auf eine Bearbeitung durch eine nationale Wettbewerbsbehörde verweisen kann, zeigt die grundsätzliche Gleichrangigkeit beider Tätigkeitsebenen. Allerdings kann die Kommission nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 eine 170 Sache an sich ziehen,51 wenn auch erst nach Konsultation einer bereits tätigen nationalen Wettbewerbsbehörde. Konsultation bedeutet Information und Austausch, nicht hingegen Mitentscheidung. Die Kommission ist zwar verpflichtet, ihre Absicht der nationalen Behörde wie auch den anderen Mitgliedern des Netzwerks der verschiedenen Wettbewerbsbehörden rechtzeitig mitzuteilen, damit diese nach Art. 14 Abs. 7 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 den Beratenden Ausschuss einschalten können, sowie die Gründe für ihren Verfahrenseintritt schriftlich zu erläutern.52 Doch muss die Kommission nicht notwendig einvernehmlich mit anderen Organen entscheiden; sie ist auch nicht an eine Stellungnahme des Beratenden Ausschusses gebunden (Art. 14 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003). Damit ist letztlich sie das entscheidende Organ, das die Fäden in Händen hält.53 Die Stellung der Kommission, welche die mitgliedstaatliche Zuständigkeit nach 171 der Normstruktur zu überlagern vermag, ist weiterhin dominant. Daher ist es problematisch, eine Klage des Mitgliedstaates, in dem die nationale Wettbewerbsbehörde sitzt, gegen die Verfahrenseinleitung durch die Kommission nach Art. 230 EG für zulässig zu halten.54 Im Verhältnis zur Kommission kommt den nationalen Wettbewerbsbehörden keine eigenständige Stellung zu.
50 51 52
53 54
Im Hinblick auf nationale und Gemeinschaftsgerichte sowie die Kommission EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11430, Rn. 56) – Masterfoods. Näher u. Rn. 1434 ff. Gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zur Arbeitsweise des Netzes der Wettbewerbsbehörden vom 10.12.2002, 15435/02 ADD 1, RC 22, Interinstitutionelles Dossier: 2000, 0243 (CNS), Rn. 22. Im Gesamtkontext u. Rn. 183 ff. Dafür Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 11.
§ 1 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten
65
Soweit die Kommission das Verfahren nicht an sich zieht, sind die mitglied- 172 staatlichen Stellen grundsätzlich gleichgestellte Wettbewerbsorgane zur Durchsetzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln. Nach Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 haben sie von Amts wegen oder auf eine Beschwerde hin die gängigen Befugnisse, um Anordnungen zur Abstellung von Zuwiderhandlungen oder zu einstweiligen Maßnahmen zu treffen, Verpflichtungszusagen anzunehmen oder Geldbußen, Zwangsgelder bzw. sonstige nationalrechtlich vorgesehene Sanktionen zu verhängen. Eine nähere Ausformung zugunsten der Kommission besteht in Art. 7 bis 9 VO (EG) Nr. 1/2003. Nur dort sind Abhilfemaßnahmen struktureller Art eigens festgelegt (Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003). Die vorgesehenen Maßnahmen sind aber im Ausgangspunkt parallel. Infolge dieser parallelen Ausgangslage können die mitgliedstaatlichen Befug- 173 nisse, soweit sie nicht hinreichend festgeschrieben sind, durch Übertragungen aus den Vorschriften zugunsten der Kommission ergänzt werden. Ausgeschlossen ist eine solche Anreicherung allerdings in dem Maße, in dem die näheren Festlegungen ausschließlich für die Tätigkeit der Kommission als Wettbewerbsbehörde passen. Das ist aber regelmäßig nicht der Fall. So greift etwa auch Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 für die Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer Verpflichtungszusage, die nicht eingehalten wird oder erschlichen wurde oder deren tatsächliche Grundlage sich in einem Punkt wesentlich geändert hat. Insoweit handelt es sich nicht um Umstände, die für die europäische Ebene spezifisch sind. Dass Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 wesentlich weniger Details enthält, ermöglicht 174 die Einpassung der Behandlung von Wettbewerbsverstößen in das nationale Verfahrensrecht der jeweiligen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde.55 Durch dieses Recht ist aber nicht der Inhalt der Entscheidung vorgegeben, so dass auch strukturelle Abhilfen nach Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 angeordnet werden können. Die nationalen Wettbewerbsbehörden dürfen gem. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 explizit entscheiden, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht; diese Bestimmung liegt parallel zu Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003 und ist daher wegen der Einzelheiten aus dieser Ermächtigungsgrundlage zugunsten der Kommission zu ergänzen, auch wenn im jeweiligen nationalen Verfahrensrecht eine entsprechende Regelung fehlt. 2.
Problem der territorial beschränkten Handlungskompetenz
a)
Ansätze in der VO (EG) Nr. 1/2003
Die Befugnisse der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden sind aufgrund der 175 Reichweite nationaler Verwaltungskompetenzen im Grundsatz auf ihr Gebiet begrenzt. Sie erfassen damit sowohl die in den jeweiligen Mitgliedstaaten angesiedelten Unternehmen als auch diejenigen, die sich in Ausübung der durch die Grundfreiheiten vermittelten Möglichkeiten in diesem Mitgliedstaat wirtschaftlich betätigen. Zudem besitzen die Mitgliedstaaten die Territorialhoheit, so dass die sich auf ihrem Gebiet zeigenden Wirkungen erfasst sind. Besonders deutlich wird diese 55
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 36.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
territoriale Begrenztheit in Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003. Nach dessen Abs. 2 haben auch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden die Befugnis, den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung zu entziehen, jedoch nur auf ihrem Gebiet. Es handelt sich wie auf Kommissionsebene um eine Ermessensentscheidung. Die Grundlage ist allerdings gemeinschaftsbezogen, weil Art. 81 Abs. 3 EG zuwider laufende Wirkungen auf einem gemeinschaftsrechtlich relevanten (Teil-) Markt notwendig sind. Dieser muss sich auf dem Gebiet des jeweiligen Staates befinden. Vielfach sind aber von Wettbewerbsbeschränkungen mehrere Staaten betroffen.56 Jedoch kann auch das Gebiet eines Mitgliedstaates oder auch nur ein Teilgebiet einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes bilden,57 so dass jedenfalls für Deutschland diese Bedingung regelmäßig erfüllt sein dürfte. Da sich eine Entzugsentscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde nach 176 Art. 29 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nur auf das eigene Gebiet auswirkt, kann die Gruppenfreistellung in anderen Mitgliedstaaten jedenfalls so lange greifen, wie dort keine Auswirkungen auftreten, die Art. 81 Abs. 3 EG zuwider laufen. Die Kommission kann demgegenüber nach Art. 29 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 für das Gebiet der gesamten EU den Vorteil aus einer Gruppenfreistellung entziehen. Entsprechend weit vermögen sich auch ihre sonstigen Entscheidungen zu erstrecken. Somit ist Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 ein Beleg für eine durchgehende unterschiedliche Reichweite der wettbewerbsbehördlichen Befugnisse. Allerdings sind die mitgliedstaatlichen Behörden grundsätzlich umfassend in 177 das durch Art. 11 ff. VO (EG) Nr. 1/2003 aufgerichtete Kooperationssystem eingebunden. Bearbeitet eine von ihnen eine Sache, so kann jede andere nach Art. 13 VO (EG) Nr. 1/2003 das Verfahren aussetzen oder eine bei ihr erhobene Beschwerde zurückweisen. Dann aber kann die Entscheidung dieser zuständigen Behörde schwerlich allein auf ihr Gebiet beschränkt bleiben, sondern muss die in Frage stehende Wettbewerbsstörung insgesamt erfassen können, zumal auch die Kommission dieses Zurückweisungsrecht besitzt und sich damit für unzuständig erklären kann. Schließlich erfassen Art. 81 f. EG lediglich grenzüberschreitende Auswirkungen auf den Handel. Diese müssen daher auch von einer nationalen Wettbewerbsbehörde unterbunden werden können, wenn sie im Hinblick auf die EG-Wettbewerbsregeln entscheiden darf. Die Kommission kann allerdings das Verfahren auch nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 an sich ziehen. Das kommt vor allem bei europaweiten Auswirkungen in Betracht.58 b)
Konsequenzen der begrenzten nationalen Souveränität
178 Zwar geht die durch Art. 5 ff. VO (EG) Nr. 1/2003 aufgerichtete Zuständigkeitsordnung a priori davon aus, dass auch nationale Behörden Wettbewerbsverstöße mit potenziellen grenzüberschreitenden Auswirkungen unterbinden können. Danach ist es auch unschädlich, wenn sich die Rechtsfolgen der Entscheidung natio56 57 58
S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284 f., Rn. 45/56) – United Brands. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2012 f., Rn. 448) – Suiker Unie. Näher u. Rn. 1192. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 59.
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naler Wettbewerbsbehörden auch jenseits des eigenen Territoriums erstrecken. Jedoch bleibt die Hoheitsgewalt nationaler Behörden auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt. An dieser völkerrechtlichen Begrenzung aufgrund der Souveränität jedes einzelnen Staates kann auch eine Gemeinschaftsverordnung nichts ändern, außer sie verleiht den mitgliedstaatlichen Behörden jenseits ihres eigenen Zuständigkeitsbereichs Gemeinschaftsgewalt und macht sie damit gleichsam zu Gemeinschaftsorganen, die nicht nur als mitgliedstaatliche Behörden EG-Recht vollziehen, sondern dieses wie die Kommission europaweit durchsetzen. Dafür liegen indes keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr werden grundsätzlich alle mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden gleichgestellt, so dass für ein Ausgreifen über die jeweiligen angestammten, nationalrechtlich fundierten Zuständigkeitsbereiche kein Anlass besteht. Eine solche über das eigene Territorium reichende Gewalt wird auch nicht eigens begründet. Die Limitierung der nationalen Wettbewerbsbehörden auf das Gebiet des jewei- 179 ligen Mitgliedstaates gilt für die Anordnung von Rechtsfolgen wie auch für die Ermittlung eines Sachverhaltes, wenn hierfür etwa Durchsuchungen notwendig sind. Deshalb wirken die Entscheidungen einer nationalen Wettbewerbsbehörde nur auf dem Gebiet dieses Mitgliedstaates und sind lediglich auf diesem Territorium von den Unternehmen zu befolgen.59 Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden stellt zwar darauf ab, inwieweit die Behandlung eines Wettbewerbsverstoßes durch eine nationale Wettbewerbsbehörde angemessen ist, leitet die gute Eignung aber vor allem aus der Betroffenheit des eigenen Territoriums und der möglichen Beendigung der gesamten Zuwiderhandlung ab.60 Daher wird eine nationale Wettbewerbsbehörde einen Fall nur dann bearbeiten, 180 wenn dieser auch einen Bezug zu ihrem Territorium hat, sei es, dass das handelnde Unternehmen auf ihm ansässig ist, sei es, dass sich dort wettbewerbsrelevante Auswirkungen ergeben. Die Netzwerkbekanntmachung nennt explizit drei kumulativ erforderliche Bezugspunkte: Der Wettbewerbsverstoß muss Auswirkungen auf das eigene Hoheitsgebiet haben, dort umgesetzt werden oder seinen Ursprung genommen haben sowie von der jeweiligen Wettbewerbsbehörde insgesamt wirksam beendet bzw. angemessen geahndet werden sowie von dieser im erforderlichen Umfang bewiesen werden – ggf. mit Unterstützung anderer Behörden.61 Damit wird also ein paralleles Vorgehen mehrerer nationaler Behörden nicht ausgeschlossen. Das gilt sowohl für die Beweiserhebung (Rn. 9) als auch im Hinblick auf eine effektive Beendigung der Wettbewerbsbehandlung sowie eine adäquate Ahndung (Rn. 12). Bei einem notwendigen parallelen Vorgehen kann auch eine nationale Wettbewerbsbehörde als federführende bestimmt werden (Rn. 13). Doch belegt die etwaige Notwendigkeit, eine andere Wettbewerbsbehörde hin- 181 zuzuziehen, gerade die Begrenztheit des Aktionsradius einer nationalen Wettbe59 60 61
S.u. Rn. 211 ff. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 10 f.). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 8).
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
werbsbehörde. Diese benötigt einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für ein Tätigwerden und dieser muss hinsichtlich der Hervorrufung sowie der Bekämpfung eines Wettbewerbsverstoßes auf ihr Gebiet bezogen sein. Damit wird auch ein beliebiges forum shopping von Beschwerdeführern vermieden. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen sind demgegenüber Auswirkungen von Ent182 scheidungen nationaler Behörden auch auf das Gebiet anderer Mitgliedstaaten jedenfalls im Ergebnis insofern unschädlich, als diese infolge der vorgegebenen einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts ohnehin europaweit parallel liegen; zudem bestehen enge Abstimmungspflichten. Solche gebietsübergreifenden Effekte können auftreten, wenn das im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates ansässige Unternehmen auch in anderen Mitgliedstaaten agiert und insofern durch die Wettbewerbsbehörde des Heimatstaates gemaßregelt wird. Wegen des Unternehmenssitzes genügt ein Handeln der Wettbewerbsbehörde des Sitzstaates, um die gesamte Zuwiderhandlung zu beenden.62 III.
Federführung der Kommission
1.
Gegenüber nationalen Wettbewerbsbehörden
183 Da das Handeln der nationalen Wettbewerbsbehörden territorialbezogen ist und jedenfalls bei darüber hinausgehenden Ursprüngen des Wettbewerbsverstoßes oder Aufklärungsmaßnahmen zu dessen Ermittlung auch andere Wettbewerbsbehörden eingeschaltet werden müssen, ist die Kommission namentlich dann besonders gut für die Behandlung eines Falles geeignet, wenn mehr als drei Mitgliedstaaten von Wettbewerbsverstößen erfasst werden.63 Dies kann der Fall sein, weil zwei Unternehmen für das gesamte Gebiet der Gemeinschaft eine Aufteilung der Märkte vereinbaren oder Preise absprechen. Oder ein Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung räumt seinen Händlern in allen Märkten Treuerabatte ein, außer jeder nationale Markt erfordert eine eigene Beurteilung. Dann genügt eine Leitentscheidung der Kommission; die anderen Märkte werden von den jeweiligen nationalen Wettbewerbsbehörden behandelt. Hingegen erweist sich die Zuständigkeit der Kommission als besonders sinnvoll, wenn weitere Verknüpfungen mit Gemeinschaftsrecht bestehen64 – so mit den Grundfreiheiten.65 Daraus ergeben sich zugleich Anhaltspunkte, wann die Kommission einen Fall 184 nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 an sich ziehen soll und wie sie dies sachgerecht begründet.66 Durch dieses Selbsteintrittsrecht, das nicht an nähere zwingende sachliche Voraussetzungen geknüpft ist, sondern im sachgerechten Ermes62 63 64 65 66
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. C 101, S. 43 (Rn. 11). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. C 101, S. 43 (Rn. 14) auch mit den folgenden Beispielen. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. C 101, S. 43 (Rn. 15). Zum Konkurrenzverhältnis o. Rn. 109 ff. S.o. Rn. 170.
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sen der Kommission steht und nach hier vertretener Auffassung auch keiner gerichtlichen Anfechtung durch die Mitgliedstaaten unterliegt,67 besitzt die Kommission bereits im Hinblick auf die Zuständigkeit die dominierende Position. Auch wenn die nationalen Wettbewerbsbehörden entscheiden, hat die Kommis- 185 sion immer noch eine gewisse federführende Rolle. Sie bleibt der Bezugspunkt. Das gilt insbesondere für den Beratenden Ausschuss nach Art. 14 VO (EG) Nr. 1/2003: Die Kommission hört ihn (Abs. 1), beruft die Sitzungen ein (Abs. 3), wenn auch ggf. auf Antrag eines Mitgliedstaates (Abs. 4 sowie auch Abs. 7) und verarbeitet die Stellungnahmen des Ausschusses. 2.
Gegenüber nationalen Gerichten
Gegen die Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden können die mitgliedstaatlichen Gerichte angerufen werden. Insoweit setzt sich die Parallelzuständigkeit für den Vollzug der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln fort. Wie auch sonst in Fällen des mitgliedstaatlichen Vollzugs von Gemeinschaftsrecht sind gegen Handlungen nationaler Behörden die jeweiligen nationalen Gerichte anzurufen. Art. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 schreibt deren Zuständigkeit ausdrücklich fest. Sie folgt aber bereits aus der unmittelbaren Geltung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln.68 Jedenfalls lässt sich der expliziten Festschreibung in Art. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 direkt nach der Vorschrift zur Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden die Parallelität des Rechtsschutzes entnehmen: gegen das Handeln Letzterer vor den nationalen Gerichten, gegen Maßnahmen der Kommission vor dem EuG bzw. dem EuGH. Sie entspricht der behördlichen Parallelzuständigkeit. Diese parallelen Entscheidungs- und Rechtswege werden aber schon dadurch abgemildert, dass Art. 15 VO (EG) Nr. 1/2003 einen engen Informationsaustausch zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission vorgibt. Die Gerichte können Informationen anfordern, die Kommission wird durch die Mitgliedstaaten über die Urteile informiert. Inhaltlich besteht eine enge Verzahnung von Kommission und nationalen Gerichten, indem Erstere als Verwaltungsbehörde die richterliche Tätigkeit determiniert. Die Kommission stellt vor allem den Entscheidungsmaßstab auf. Die nationalen Gerichte dürfen nämlich nach Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 in gleich gelagerten Fällen nicht von Entscheidungen der Kommission abweichen, die somit vorrangig sind. Ein solcher Vorrang lässt sich namentlich auch bei der Rückforderung von Beihilfen ausmachen, wo die mitgliedstaatlichen Gerichte gleichfalls verbindliche Kommissionsentscheidungen zu wahren und durchzusetzen haben.69 Hintergrund ist der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, der insoweit durch die Kommission in Einzelfällen konkretisiert wird. Diese aber unterliegt der gerichtli67 68 69
S.o. Rn. 171. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (992, Rn. 45) – Delimitis. EuGH, Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591 (1623, Rn. 54) – Alcan; Rs. C-298/96, Slg. 1998, I-4767 (4794, Rn. 35 ff.) – Oelmühle; bedingt auch Rs. C-453/00, DVBl. 2004, 373 – Kühne & Heitz; im Zusammenhang Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 609 ff.
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chen Kontrolle nur durch die Europäischen Gerichte und nicht durch die nationalen.70 Für die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln hat der EuGH ebenfalls die Entscheidung eines nationalen Gerichts ausgeschlossen, die einer Entscheidung der Kommission zuwider läuft; das gilt auch dann, wenn Letzterer eine anderslautende Entscheidung eines nationalen erstinstanzlichen Gerichts vorausging, diese also in Widerspruch zur Kommissionsentscheidung steht.71 Das ist auch in Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 hineinzulesen, der diesen Grundsatz der Widerspruchsfreiheit zu ergangenen Kommissionsentscheidungen formuliert. Art. 16 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 stellt den Vorrang der Kommissionsentscheidungen vor den nationalen Gerichten weiter dadurch sicher, dass auch kein Widerspruch zu künftigen Kommissionsentscheidungen auftreten darf. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kommission bereits ein Verfahren eingeleitet hat. Dadurch wird die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission, um die vorgegebene Rollenverteilung zu wahren,72 vorverlagert. Dann kann das nationale Gericht gem. Art. 16 Abs. 1 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 das vor ihm anhängige Verfahren auch aussetzen. Eine solche Auslegung sollte entsprechend der Masterfoods-Entscheidung so lange erfolgen, bis die Gemeinschaftsgerichte eine endgültige Entscheidung über eine vor ihnen angegriffene Kommissionsentscheidung erlassen haben. Infolge dieses langen Zeitraums sind nur vorläufige Maßnahmen zu prüfen, die das nationale Gericht dann erlassen kann.73 Dadurch ist jedoch gleichwohl der verfahrensmäßige Vorrang der Kommission bzw. dann der Europäischen Gerichte umfassend gewahrt, um inhaltliche Divergenzen auszuschließen. Damit besteht eine nach Art. 16 Abs. 1 S. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 zusätzliche und zudem jedes nationale Gericht zwingend erfassende Sicherung neben dem Vorlageverfahren an den EuGH nach Art. 234 EG, um die einheitliche Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln sicherzustellen. Welches im Einzelfall zu wählen ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab.74 Diese enge Anbindung der mitgliedstaatlichen Gerichte an die Kommissionspraxis führt indirekt auch zu einer Disziplinierung der nationalen Wettbewerbsbehörden, gegen deren Entscheidungen innerstaatlicher Rechtsschutz möglich ist. Die so erreichte Dezentralisierung der Wettbewerbskontrolle als Tribut an das Anwachsen der EU, welches eine zentrale Wettbewerbsaufsicht undurchführbar
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Daher ergeben sich auch keine Bedenken im Hinblick auf die Gewaltenteilung; näher Odersky, in: FS für Mestmäcker, 1996, S. 699 ff.; Bornkamm, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 343 ff. EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11431, Rn. 60) – Masterfoods; s. bereits Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (992, Rn. 46) – Delimitis im Hinblick auf ein Abweichen von einer Freistellungsverordnung. EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11430, Rn. 56) – Masterfoods im vorliegenden Kontext. Für eine Nichtigkeitsklage gegen eine Kommissionsentscheidung EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11430, Rn. 57 f.) – Masterfoods. EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11430, Rn. 57 a.E.) – Masterfoods.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
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erscheinen lässt,75 bleibt jedenfalls immer noch mit einer einheitlichen Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts verbunden. Es wird nur der Zustand erreicht, der auch in anderen wichtigen Feldern des Gemeinschaftsrechts, so insbesondere im Rahmen der Grundfreiheiten herrscht: Die einzelnen nationalen Stellen wachen über die Einhaltung, und eine einheitliche Anwendung wird in erster Linie dadurch sichergestellt, dass die nationalen Gerichte bei Verstößen angerufen werden können, welche an die Rechtsprechung des EuGH gebunden sind. Für die Wettbewerbsregeln kommt sogar eine Abstimmungspflicht mit der Kommissionspraxis hinzu. Zudem können sich Betroffene direkt bei der zuständigen Wettbewerbsbehörde formell beschweren und damit ein Verfahren in Gang setzen. Sie sind also nicht auf die Anrufung der nationalen Gerichte beschränkt.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts A.
Einleitung
Das Ziel der Wettbewerbsregeln ist es, einen unverfälschten Wettbewerb im Ge- 194 meinsamen Markt zu sichern. In den Tatbeständen der Art. 81 ff. EG werden ohne eine weitere Eingrenzung die Unternehmen als Verbotsadressaten genannt. Auf der Grundlage dieses weiten Wortlautes kann auch das Handeln von Unternehmen erfasst werden, die ihren Sitz außerhalb der Gemeinschaft haben. Parallel dazu werden von Art. 87 EG ohne eine Beschränkung auf die Mitgliedstaaten allgemein staatliche Beihilfen erfasst. Zwar liegt es nahe, dass Beihilfen von staatlichen Stellen oder aus staatlichen Mitteln zugunsten bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige aus den Mitgliedstaaten stammen, auf deren Territorium die Begünstigten agieren. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass auch Staaten von außerhalb der EU Unternehmen unterstützen, welche auf dem europäischen Binnenmarkt auftreten und Fuß fassen bzw. sich behaupten wollen. In erster Linie stellt sich das Problem einer Verpflichtung internationaler Ak- 195 teure für die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln. Zahlreiche Unternehmen mit Sitz in Staaten außerhalb der EU agieren auf dem Binnenmarkt und kooperieren mit Unternehmen aus der EU oder solchen, die ebenfalls aus anderen Staaten auf den europäischen Markt kommen. Weitere Probleme bilden Fusionen und Lizenzverweigerungen,76 die in Staaten außerhalb der EU erfolgen, sich aber auf den Gemeinsamen Markt dadurch auswirken, dass auf diesem die Marktmacht des aus der Fusion hervorgehenden Unternehmens bzw. des Marktbeherrschers steigt. Gleichwohl hat dieses Unternehmen seinen Sitz weiterhin außerhalb der EU, so dass sich die Frage einer Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen 75 76
Terhechte, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.), Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, S. 107 (124) gegen Emmerich, WuW 2001, 3 ff. S. KOME COMP/C-3/37.792 – Microsoft und auch EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 – Microsoft.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Wettbewerbsregeln stellt. Das ist eine Facette des Wirtschaftskollisionsrechts. Zu Konflikten führte diese Problematik bislang vor allem im Verhältnis zu US-amerikanischen Unternehmen.77 Daher wird die Frage der Notwendigkeit eines einheitlichen Weltkartellrechts aufgeworfen.78 Da eine dafür zuständige, durchsetzungskräftige Instanz jedoch nicht in Sicht ist, bleibt eine Abstimmung und Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Wettbewerbsbehörden vorzugswürdig.79 Dazu kann auch jeder Staat die ihm wichtig erscheinenden Wettbewerbsaspekte für sein Territorium verankern und anwenden. Eine zweite Seite der internationalen Dimension des europäischen Wettbe196 werbsrechts liegt im Verhältnis zum Regelwerk des GATT bzw. der WTO. Aus diesem können sich Regeln ergeben, die für bereits von den EG-Wettbewerbsvorschriften erfasste Konstellationen eingreifen. Dann stellt sich die Frage einer parallelen Anwendung bzw. des Vorrangs bei Widersprüchen. Unabhängig von einem Eingreifen auf denselben Sachverhalt ist auch zu untersuchen, ob EG-Wettbewerbsvorschriften und ihre Handhabung an den Regeln des GATT bzw. der WTO zu messen sind und welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.
B.
Erstreckung der EG-Wettbewerbsregeln auf international tätige Unternehmen
I.
Anwendbarkeit nach dem Auswirkungsprinzip
1.
Grundsätzlicher Inhalt in Abgrenzung zum Territorialitätsprinzip
197 Gem. Art. 299 EG gilt das Gemeinschaftsrecht in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Außerhalb dieses Gebietes kann es grundsätzlich keine Geltung beanspruchen. Dies entspricht dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip, wonach ein Staat Rechte und Pflichten von Personen sowie Rechtsverhältnisse an Sachen nur auf seinem Territorium regeln darf.80 Entsprechend ist für die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts zu fordern, dass die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Handlung bzw. ihr wesentlicher Teil auf dem Territorium der Gemeinschaft vorgenommen wurde. Nach diesem Prinzip kann gegen Absprachen zwischen Unternehmen, die zwar außerhalb des Gemeinschaftsgebiets getroffen werden, aber den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt beeinträchtigen sollen, nicht eingeschritten werden. Insoweit führt das Territorialitätsprinzip zu einer
77
78 79 80
Vgl. zu den Zusammenschlüssen Boeing/McDonell Douglas Corp. KOME 97/816/EG, ABl. 1997 L 336, S. 16 und KOME 2004/134/EG, ABl. 2004 L 48, S. 1 – General Electric/Honeywell; zusammenfassend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 108 ff., § 25 Rn. 78 ff. V. Meibom/Geiger, EuZW 2002, 261 ff. S.u. Rn. 227 ff. Vgl. zu diesem Begriff Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 501.
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Schutzlücke bei wettbewerbswidrigen Handlungen, die von Drittstaaten aus vorgenommen werden.81 Diese Lücke kann mit Hilfe des Auswirkungsprinzips geschlossen werden. Da- 198 nach ist nicht erforderlich, dass die verbotene Handlung auf dem Gebiet der Gemeinschaft begangen wird. Vielmehr ist ausreichend, dass eine in einem Drittstaat vorgenommene Handlung sich wahrscheinlich oder möglicherweise innerhalb der Gemeinschaft auswirkt.82 Auf der Grundlage dieses Prinzips hat die Kommission in den Farbstoff-Fällen entschieden.83 Gegenstand dieses Verfahrens waren die Preisabsprachen mehrerer Farbstoffhersteller, die ihren Sitz teilweise außerhalb der Gemeinschaft hatten. Die Kommission entschied, dass EG-Wettbewerbsrecht anwendbar sei. Zur Begründung verwies sie auf den Wortlaut des Art. 81 EG. Danach sei entscheidend, dass die Wettbewerbsbeschränkungen Auswirkungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes haben. Deshalb komme es nicht darauf an, ob die verursachenden Unternehmen ihren Sitz innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft haben.84 Auch auf Absprachen eines internationalen Zellstoffkartells, dessen Mitglieder 199 ihren Sitz allesamt außerhalb der Gemeinschaft hatten, hat die Kommission mit derselben Begründung die Wettbewerbsvorschriften angewandt. Die Kommission stellte zwar fest, dass einige der betroffenen Unternehmen über Zweigniederlassungen, Tochterunternehmen oder andere Einrichtungen in der Gemeinschaft verfügten, stützte ihre Entscheidung aber ausschließlich auf die Auswirkungen der Vereinbarungen und Verhaltensweisen des Kartells auf den Gemeinsamen Markt.85 2.
Durchführungsprinzip
Demgegenüber basiert das Durchführungsprinzip auf der Unterscheidung zwi- 200 schen der Bildung und der Durchführung eines Kartells. Dabei ist ausreichend, dass der zweite Schritt auf dem Territorium der Gemeinschaft stattfindet. Insoweit lehnt sich dieser Grundsatz an das Territorialitätsprinzip an, da auch er ein Handeln auf dem Gebiet der Gemeinschaft erfordert. Er entwickelt dieses aber im Hinblick auf die Differenzierung zwischen der wettbewerbswidrigen Verabredung und deren Umsetzung etwa in Form von Kaufverträgen zu zuvor festgelegten Preisen fort. Deshalb können im Gegensatz zum reinen Territorialitätsprinzip auch Absprachen erfasst werden, die von in Drittstaaten ansässigen Unternehmen getroffen werden. Auf dem Durchführungsprinzip beruht die Entscheidung des EuGH, mit der er 201 die Kommissionsentscheidung gegen das Zellstoffkartell bestätigt hat. In seinem Urteil stellt der Gerichtshof ausdrücklich fest, dass die Wettbewerbsregeln auch 81
82 83 84 85
Dies gilt allerdings nur für die hier vertretene Definition des Territorialitätsprinzips. Teilweise wird dieses weiter gefasst mit der Folge, dass auch die Auswirkung eines Handelns im Ausland auf dem Territorium eines anderen Staates mit umfasst wird, krit. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 504 ff. Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 526. KOME 69/243/EWG, ABl. 1969 L 195, S. 11 – Farbstoffe. KOME 69/243/EWG, ABl. 1969 L 195, S. 11 – Farbstoffe. KOME 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 (Rn. 79) – Zellstoff.
74
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
auf Unternehmen anwendbar sind, die ihren Sitz außerhalb der Gemeinschaft haben.86 Ein Verstoß gegen Art. 81 EG durch Preisabsprachen weise zwei Elemente auf, nämlich die Bildung des Kartells und seine Durchführung. Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts könne aber nicht von dem Ort der Bildung des Kartells abhängig sein, sonst könnten die Unternehmen sich ohne weiteres seiner Geltung entziehen. Deshalb zähle nur der Ort der Durchführung des Kartells.87 Den Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht sieht der EuGH konkret darin, dass die Unternehmen den Verträgen mit den Kunden in der Gemeinschaft die abgesprochenen Preise zugrunde legen. Diese Differenzierung erübrigt eine Argumentation, gestützt auf die Zurechnung des Handelns einer Tochtergesellschaft zum Mutterunternehmen, wie der EuGH sie noch in den Farbstoff-Fällen vorgetragen hatte.88 3.
Überlegenheit des Auswirkungsprinzips
202 Die Differenzierung nach dem Durchführungsprinzip ist zwar mit Art. 81 ff. EG vereinbar. Die Anknüpfung an Folgeverträge wie etwa Kaufverträge, die im Rahmen einer Kartellvereinbarung mit Dritten abgeschlossen werden, werden jedoch von dem Verbotstatbestand gar nicht erfasst.89 Bei immanenter Betrachtung des Durchführungsprinzips ist einzuwenden, dass die Fälle nicht eingeschlossen sind, in denen Kartellabreden sowie darauf beruhende Verträge außerhalb der Gemeinschaft durchgeführt werden, aber den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt beeinträchtigen. Das Auswirkungsprinzip verfügt demgegenüber wegen des Verzichts auf einen territorialen Anknüpfungspunkt über einen weiteren Anwendungsbereich und ist deshalb vorzuziehen. Darüber hinaus erscheint es auch in dem weiten Wortlaut des Art. 81 EG angelegt. 4.
Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht
203 Die Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts auf Unternehmen in Drittstaaten kann zu Konflikten führen, wenn deren Handeln den dort geltenden Wettbewerbsregeln entspricht und möglicherweise auch wirtschaftspolitisch erwünscht ist. Insoweit stellt sich die Frage nach den völkerrechtlichen Grenzen der extraterritorialen Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts.90 Mit diesem Problemkreis hat sich in anderem Zusammenhang bereits 1927 der 204 Internationale Gerichtshof befasst. Gegenstand des Verfahrens war die strafgerichtliche Verurteilung französischer Seeoffiziere durch ein türkisches Gericht wegen des durch sie verschuldeten Untergangs eines türkischen Schiffes. Hier stellte sich die Frage, inwieweit es Hoheitsträgern völkerrechtlich erlaubt ist, im Ausland vorgenommene Handlungen ausländischer Staatsangehöriger, die sich im Inland aus86 87 88 89 90
EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 14) – Ahlström. EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 16) – Ahlström. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (664, Rn. 126/130 ff.) – ICI. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 41 m.w.N. Zur Frage der Geltung des Völkerrechts im Gemeinschaftsrecht grundlegend EuGH, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1227 f., Rn. 10/13 ff.) – International Fruit Company.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
75
wirken, strafrechtlich zu ahnden. Ausgangspunkt der Entscheidung war der völkerrechtliche Grundsatz der Gebietshoheit, wonach auf dem Hoheitsgebiet eines fremden Staates ohne dessen Zustimmung keine staatlichen Hoheitsakte vollzogen werden dürfen.91 Nach Auffassung des Gerichtshofs folgt daraus aber kein völkerrechtliches Verbot, auf dem eigenen Staatsgebiet die Gerichtsbarkeit über Taten auszuüben, die sich im Ausland ereignet haben. Dies spiegelt sich auch im deutschen Recht wider, so im Schutzprinzip des § 5 StGB, wonach das deutsche Strafrecht in bestimmten Fällen auch für Taten gilt, die im Ausland begangen wurden. Der internationale Gerichtshof ging über diese Feststellung hinaus, indem er nicht nur das Fehlen eines völkerrechtlichen Verbotes feststellte, sondern darlegte, dass es insoweit auch keiner völkerrechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf.92 Diese Entscheidung und die in ihr entwickelten Grundsätze sind in der Literatur 205 nicht unumstritten. Teilweise wird für jedes Handeln mit Auslandsbezug eine völkerrechtliche Kompetenzzuweisung gefordert.93 Doch hat sich in der überwiegenden Literaturmeinung das Auswirkungsprinzip durchgesetzt. Danach stellt das Erfordernis von spürbaren Auswirkungen der im Ausland vorgenommenen Handlungen im Inland einen sinnvollen Anknüpfungspunkt dar, der die Anwendung inländischen Wettbewerbsrechts rechtfertige.94 Auch in der gesetzgeberischen Praxis der Staaten wird das Auswirkungsprinzip umgesetzt, so in § 130 Abs. 2 GWB, wonach das GWB auf alle Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung findet, die sich in seinem Geltungsbereich auswirken, auch wenn sie außerhalb dieses Geltungsbereichs veranlasst werden.95 Gleichzeitig besteht jedoch Einigkeit darüber, dass dem Auswirkungsprinzip im 206 Einzelfall Grenzen gesetzt werden müssen, um berechtigte Interessen des betroffenen Drittstaates berücksichtigen zu können.96 Hier werden als Grenzen völkerrechtlichen Ursprungs etwa das Missbrauchsverbot, das Einmischungsverbot oder der Grundsatz der Interessenabwägung diskutiert.97 Doch bilden diese Kriterien nur ungefähre Anhaltspunkte, so dass die Ausarbeitung konkreter Grundsätze den Gerichten, bezogen auf den europäischen Rechtsraum dem EuGH überlassen bleibt. Im Hinblick auf das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten wird darüber hinaus geltend gemacht, dass dieses bei der extraterritorialen Anwendung von Rechtsnormen überhaupt nicht einschlägig sei. Soweit eine Handlung Wirkungen auf dem Territorium eines anderen Staates erzeuge, sei sie nicht mehr die exklusive innere Angelegenheit nur eines Staates.98 Weiterhin wird gegen die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes argumentiert, dass die durch das Auswir91 92 93 94 95 96 97 98
S. zu diesem Grundsatz Hailbronner, in: Vitzthum, Völkerrecht, 3. Abschnitt Rn. 144. StIGH 5, 71 (89 ff.). Zur Diskussion Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 48 f.; Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (279). Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 541 ff. Gesetzgebungsbeispiele aus anderen Staaten bei Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 64 Fn. 146. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 65; Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (273 ff.); Basedow, NJW 1989, 627 (636); Knebel, EuZW 1991, 265 (270 f.). Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 65 ff. So Knebel, EuZW 1991, 265 (271).
76
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
kungsprinzip ausgelösten Jurisdiktionskonflikte keine hinreichende Einflussnahme darstellten.99 Das Gebot der Interessenabwägung, wonach die Interessen des handelnden mit denen des betroffenen Staates abzuwägen sind, wird für den vorliegenden Konflikt als zu weitgehend kritisiert. Die Zurückstellung der Interessen des handelnden Staates im Falle des Überwiegens der Interessen des betroffenen Staates stelle eine Selbstbeschränkung dar, die über das völkerrechtlich geforderte Maß hinausgehe.100 Besser geeignet zur Grenzziehung erscheint demgegenüber die Schrankentrias 207 der unmittelbaren, wesentlichen und vorhersehbaren Wirkung eines wettbewerbsrelevanten Verhaltens,101 die in weiten Teilen der Literatur102 und in der Rechtsprechung des EuG103 anerkannt ist. Das Merkmal der Unmittelbarkeit erfordert einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Handeln und dem Eintritt des wettbewerbswidrigen Erfolges. Dabei scheiden fernere Auswirkungen als Anknüpfungspunkt aus, doch muss das jeweilige Handeln auch nicht das erste Glied einer Kausalkette darstellen.104 Das Kriterium der Wesentlichkeit ist im Sinne einer Bagatellgrenze zu verstehen, die geringfügige Auswirkungen ausnimmt. Das Erfordernis einer vorhersehbaren Wirkung schließlich soll dazu dienen, gänzlich außerhalb der Lebenserfahrung liegende Folgewirkungen aus der Betrachtung auszunehmen. 5.
Fallbeispiele
a)
Importe aus Drittstaaten in die Gemeinschaft
208 Die Vorschriften der Art. 81 ff. EG sind entsprechend dem Auswirkungsprinzip auch auf Vereinbarungen von Unternehmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft anwendbar, wenn diese geeignet sind, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen.105 Hier ist zum einen die Fallgruppe der Importkartelle in Drittstaaten relevant, die darauf abzielen, den Wettbewerb der Mitgliedsunternehmen im Hinblick auf Lieferungen in den Gemeinsamen Markt zu kontrollieren bzw. zu beschränken. Inwieweit diese Kartelle zu einer Beeinträchtigung des Handels auf dem Gemeinsamen Markt führen, ist abhängig von den Wettbewerbsverhältnissen innerhalb der Gemeinschaft. Existiert auf dem Gemeinsamen Markt keine nennenswerte Anzahl von konkurrierenden Unternehmen, die dasselbe Produkt herstellen, so können Preisabsprachen
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104 105
Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 66. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 616 ff. Diese Jurisdiktionsschranken finden auch in der US-Rechtspraxis Anwendung, vgl. den Hinweis bei Schwarze, WuW 2001, 1190 (1200). Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 69; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 535 ff. Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (785 ff., Rn. 92 ff.) – Gencor; s. auch die Schlussanträge der GA Mayras, EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (702) – ICI und GA Darmon, EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5224 ff., Rn. 47 ff.) – Ahlström. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 536. S.o. Rn. 197 ff.
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77
oder die Vereinbarung von Liefer- bzw. Gebietsquoten zwischen Drittstaatsunternehmen durchaus zu einer solchen Beeinträchtigung führen.106 b)
Exporte aus der Gemeinschaft in Drittstaaten
Art. 81 EG schützt nur den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes. 209 Deshalb unterliegen Exportbeschränkungen für den Handel aus der Gemeinschaft in Drittstaaten grundsätzlich nicht den Verbotsvorschriften der Art. 81 ff. EG.107 Etwas anderes gilt aber dann, wenn solche Vereinbarungen Rückwirkungen auf den Gemeinsamen Markt haben, wie beispielsweise, wenn neben der Festlegung von Exportquoten auch Informationen über die Preisgestaltung auf dem Gemeinsamen Markt ausgetauscht werden108 oder aber Exportvereinbarungen dazu dienen, Produktionsüberschüsse abzuschöpfen und so die Preisentwicklung im Gemeinsamen Markt zu steuern.109 Weiterhin können Exportverbote dann einen Verstoß gegen Art. 81 EG darstellen, wenn sie gleichzeitig mit einem Ausschluss von Reimporten in die Gemeinschaft verbunden sind. Dies setzt allerdings voraus, dass ein solches Handeln im konkreten Fall auch wirtschaftlich sinnvoll wäre.110 c)
Weltmarktbezogene Wettbewerbsbeschränkungen
Das europäische Wettbewerbsrecht ist nicht lediglich auf Vereinbarungen von Un- 210 ternehmen anwendbar, die gezielt nur auf den Gemeinsamen Markt ausgerichtet sind. Vielmehr ist der Gemeinsame Markt ein wichtiger Teil des Weltmarktes und als solcher von Wettbewerbsbeschränkungen mitbetroffen, die von weltweit agierenden Unternehmen vereinbart werden. Deshalb sind die Art. 81 ff. EG auch auf Weltkartelle anwendbar, soweit die konkreten Abreden zu einer Wettbewerbsbeeinträchtigung auf dem Gemeinsamen Markt führen. Zu solchen Vereinbarungen gehören typischerweise Preisabsprachen oder das Festlegen bestimmter Verkaufsmengen für die einzelnen Märkte.111
106 107
108 109 110 111
Vgl. KOME 75/77/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 26 (28) – Pilze; 85/618/EWG, ABl. 1985 L 376, S. 29 (Rn. 24) – Siemens/Fanuc. EuGH, Rs. 174/84, Slg. 1986, 559 (589, Rn. 44) – Bulk Oil; s. indes bei Rückwirkungen auf den Gemeinsamen Markt KOME 75/94/EWG, ABl. 1975 L 38, S. 10 (Rn. 8) – Goodyear Italiana/Euram: hier bloß keine Spürbarkeit. KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (Rn. 47) – Zement. KOME 79/90/EWG, ABl. 1979 L 21, S. 16 (Rn. 29) – Bleiweiß. KOME 75/94/EWG, ABl. 1975 L 38, S. 10 (Rn. 8) – Goodyear Italiana/Euram. KOME 2001/418/EG, ABl. 2001 L 152, S. 24 (Rn. 231 ff.) – Aminosäuren; 2003/2/EG, ABl. 2003 L 6, S. 1 (Rn. 565 ff.) – Vitamine.
78
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
6.
Durchsetzungshemmnisse
a)
Begrenzte Hoheitsgewalt
211 Materiell-rechtliche Entscheidungen der Kommission müssen in einem Kartellverfahren112 vorbereitet und umgesetzt werden. Sind in Drittstaaten ansässige Unternehmen betroffen, stellt sich die Frage, inwieweit notwendige Verfahrenshandlungen dort zulässig sind. Soweit die konkrete Handlung mit der Ausübung von Hoheitsrechten verbunden ist, steht dem das allgemeine völkerrechtliche Verbot entgegen, Hoheitsgewalt auf fremdem Staatsgebiet auszuüben. Im Vorfeld von Zwangsmaßnahmen können Verfahrenshandlungen nötig sein, wie etwa Zustellungen, die Vorladung von Zeugen oder die Anforderung von Beweismaterial, deren Zulässigkeit auf fremdem Territorium zu klären ist. b)
Zuständigkeit für die Anwendung europäischen Kartellrechts auf Unternehmen in Drittstaaten
212 Vor der Betrachtung einzelner Verfahrenshandlungen stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Zuständigkeit für die Anwendung europäischen Kartellrechts gegenüber Unternehmen in Drittstaaten vorliegt.113 Der EuGH wendet europäisches Kartellrecht an, wenn Unternehmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen.114 Insoweit vertritt der Gerichtshof den Grundsatz der Sachrechtsanknüpfung, wonach die internationale Zuständigkeit zur Durchführung eines Verfahrens nicht eigenen Kollisionsnormen folgt, sondern dem materiellen Recht.115 Aus dem materiell-rechtlichen Auswirkungsprinzip folgt danach auch die Zuständigkeit für die verfahrensrechtliche Durchsetzung der Wettbewerbsnormen. Diese Zuständigkeit ist deshalb unabhängig davon gegeben, ob das jeweilige Drittstaatsunternehmen auf dem Territorium der Gemeinschaft über eine Tochtergesellschaft oder Niederlassung verfügt. c)
Zustellungen
213 Bei Zustellungen in einem Drittstaat wird nach der konkreten Art der Übermittlung116 sowie nach dem Inhalt des jeweiligen Schriftstücks differenziert.117 Die 112
113 114 115 116
Das Verfahrensrecht ist in der VO (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1, sowie in der VO (EG) Nr. 802/2004 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 L 133, S. 1, geregelt. Allgemein dazu u. Rn. 1423 ff. Vgl. zu dieser Differenzierung Knebel, EuZW 1991, 265 (271). EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 13 f.) – Ahlström. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 77; Knebel, EuZW 1991, 265 (271). Nach Art. 21 Abs. 1 VO (EG) Nr. 802/2004 gibt es für Ladungen und Schriftstücke der Kommission fünf mögliche Arten der Übermittlung: a) durch Übergabe gegen Empfangsbekenntnis; b) durch Einschreiben mit Rückschein; c) durch Telefax mit Aufforderung zur Bestätigung des Eingangs; d) durch Fernschreiben sowie e) durch elektronische Post mit Aufforderung zur Bestätigung des Eingangs.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
79
formlose Übersendung eines Schriftstücks ist danach zulässig. Eine förmliche Zustellung wie etwa mittels Einschreiben mit Rückschein wird nur dann für völkerrechtskonform gehalten, wenn das zugestellte Schriftstück einen für den Betroffenen günstigen Verfahrensakt enthält oder der Wahrung seiner Verfahrensrechte dient. Dagegen wird die Zustellung von Entscheidungen mit Zwangscharakter abgelehnt. Gegen die Privilegierung der Schriftstücke, die der Wahrung der Verfahrensrechte der Betroffenen dienen, ist einzuwenden, dass Mitteilungen der Kommission häufig ambivalenter Natur sind.118 So stellt die Mitteilung der Beschwerdepunkte einerseits die Wahrung des rechtlichen Gehörs sicher, andererseits trifft die Beteiligten auch die Obliegenheit, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu äußern, da die Kommission gem. Art. 13 Abs. 2 S. 5 VO (EG) Nr. 802/2004119 verspätete Stellungnahmen nicht mehr berücksichtigen muss. Der EuGH hat zu den unterschiedlichen Formen der Zustellung soweit ersicht- 214 lich noch nicht Stellung genommen. Ohne nach einzelnen Formen der Zustellung zu differenzieren, hat er festgestellt, dass eine Zustellung grundsätzlich der internationalen Praxis zu folgen hat und so vorgenommen werden muss, dass die Kompetenzbereiche sowohl der EG als auch des jeweiligen Drittstaats beachtet werden.120 Soweit ein Drittstaat jedoch keine Art der Zustellung anerkennt, muss der Gemeinschaft die einfache Postzustellung möglich sein, um gegen wettbewerbsbeeinträchtigende Handlungen eines Drittstaatsunternehmens vorzugehen.121 Nur so ist eine effektive Durchsetzung möglich. Schließlich hat der Gerichtshof die Folgen von etwaigen Zustellungsfehlern re- 215 lativiert: Sie führen nicht zur Rechtswidrigkeit der zugestellten Entscheidung, sondern verhindern allenfalls, dass die Klagefrist zu laufen beginnt.122 Inwieweit die Zustellung in einem Drittstaat durch die Zustellung an eine im Gemeinsamen Markt ansässige Tochtergesellschaft ersetzt werden kann, hat der Gerichtshof unter Rückgriff auf diese Argumentation offen gelassen.123 d)
Handlungen im Ermittlungsverfahren
In der VO (EG) Nr. 1/2003124 sind verschiedene Ermittlungsbefugnisse der Kom- 216 mission geregelt.125 So kann sie etwa an die beteiligten Unternehmen Auskunftsverlangen richten (Art. 18 VO (EG) Nr. 1/2003), zum Zwecke von Nachprüfungen 117 118 119 120 121
122 123 124 125
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 106. Vgl. v. Stoephasius, Anwendung des Europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, 1971, S. 134 f. VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1. EuGH, Rs. 52/69, Slg. 1972, 787 (826, Rn. 11) – Geigy. EuGH, Rs. 52/69, Slg. 1972, 787 (826, Rn. 11) – Geigy; krit. dazu Haymann, Extraterritoriale Wirkungen des EWG-Wettbewerbsrechts, 1974, S. 347. Er vermisst eine differenzierte Auseinandersetzung mit den völkerrechtlichen Schranken der Zustellung an Betroffene im Ausland. EuGH, Rs. 52/69 Slg. 1972, 787 (828, Rn. 18) – Geigy. Krit. dazu Knebel, EuZW 1991, 265 (273 f.). ABl. 2003 L 1, S. 1. Zu den Ermittlungsbefugnissen nach dieser VO im Einzelnen Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 9 sowie u. Rn. 1477 ff.
80
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Grundstücke und Geschäftsräume betreten (Art. 20 Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 1/ 2003) oder Geschäftsunterlagen prüfen (Art. 20 Abs. 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2003). Die VO (EG) Nr. 1/2003 trifft keine Aussage darüber, inwieweit diese Befugnisse auch gegenüber Unternehmen in Drittstaaten bestehen sollen. Deshalb ist diese Frage wiederum unter Berücksichtigung allgemeiner völkerrechtlicher Grundsätze zu beantworten. Danach darf ein einfaches Auskunftsersuchen auch an ein in einem Drittstaat ansässiges Unternehmen gerichtet werden.126 Allerdings muss das Auskunftsverlangen auf die Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens beschränkt sein.127 Eine Verpflichtung zur Ermittlung von Tatsachen außerhalb des Unternehmens besteht nicht.128 Umstritten ist, wie es sich auswirkt, wenn das Recht des Herkunftsstaates des 217 jeweiligen Unternehmens die geforderte Auskunft verbietet.129 Nach einer Auffassung entfaltet allein das rechtliche Verbot bereits eine Sperrwirkung.130 Damit wird zwar in jedem Fall die Hoheitsgewalt des Herkunftsstaates voll respektiert, aber diesem auch die Möglichkeit zu übermäßiger Protektion seiner Unternehmer gegeben und die wirksame Durchsetzung des EG-Wettbewerbsrechts behindert. Daher ist eine Einzelfallabwägung erforderlich. Dabei sind das Interesse der Gemeinschaft an der vollständigen Sachverhaltsaufklärung, das Gewicht des Wettbewerbsverstoßes sowie die Möglichkeit der Rechtshilfe mit Gewicht der in dem Verbotsgesetz geschützten Drittstaatsinteressen abzuwägen.131 Problematisch ist auch der Umfang des Auskunftsrechts gegenüber den Lei218 tungsgesellschaften transnationaler Konzerne. Während hier Auskünfte über die Beziehungen zu anderen Unternehmen für zulässig erachtet werden, ist ein solches Recht im Hinblick auf andere zum Konzern gehörige Unternehmen umstritten.132 Die Ausübung von Zwangsbefugnissen wie etwa die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, Durchsuchung von Gebäuden oder die Zeugenvernehmung auf fremdem Territorium ist dagegen nach allgemeiner Auffassung unzulässig.133 Doch stehen diese Zwangsbefugnisse der Kommission auch gegenüber Mitgliedstaatsunternehmen nach der VO (EG) Nr. 1/2003 nicht zu. Die völkerrechtliche Grenze des Territorialitätsprinzips kann auch nicht da219 durch umgangen werden, dass die Kommission im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens sich die benötigten Auskünfte nicht mittels formeller Hoheitsakte, sondern durch den Einsatz von Privatpersonen auf dem fremden Territorium beschafft. 126 127 128 129
130 131 132 133
Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 124 f.; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 108. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 127; ihm folgend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 109. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 127. So etwa durch sog. „blocking statuts“, die inländischen Unternehmen verbieten, an ausländische Gerichte oder Behörden Informationen herauszugeben, s. dazu Pallek, AVR 38 (2000), 169 (172). Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 581 f. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 129. Bejahend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 110; abl. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 128. Haymann, Extraterritoriale Wirkungen des EWG-Wettbewerbsrechts, 1974, S. 340 f.; Knebel, EuZW 1991, 265 (272).
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Denn für die Völkerrechtswidrigkeit macht es keinen Unterschied, ob sie als verschleierte Amtshandlung oder als offener Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates erfolgt.134 e)
Zwangsvollstreckung
Gem. Art. 256 Abs. 2 EG erfolgt die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften 220 des Zivilprozessrechts des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet. „Staat“ im Sinne dieser Vorschrift können nur die Mitgliedstaaten sein, da die Zwangsvollstreckung eine hoheitliche Maßnahme ist, die auf dem Territorium eines Drittstaates ohne dessen Zustimmung völkerrechtlich unzulässig ist.135 Zwar ist insoweit die Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines Drittstaatsunternehmens im Sitzstaat nicht möglich, doch kann in Vermögen, das innerhalb des Gemeinschaftsgebietes belegen ist, vollstreckt werden.136 II.
Fusionskontrolle bei Drittstaatsunternehmen
1.
Anwendbarkeit der FKVO (EG) Nr. 139/2004137 außerhalb des Gemeinsamen Marktes
Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 ist die FKVO (EG) Nr. 139/2004 unabhängig 221 vom Sitz der fusionierenden Unternehmen anwendbar, also auch auf Zusammenschlüsse von Unternehmen in Drittstaaten, soweit der Zusammenschluss sich auf den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt auswirkt.138 Dies wird unterstützt durch die 10. Begründungserwägung, wonach ein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung i.S.v. Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unabhängig davon als gegeben gelten soll, ob sich der Sitz der beteiligten Unternehmen in der Gemeinschaft befindet oder diese dort ihr Hauptgeschäft ausüben. Zu diesem Ergebnis kommt auch das EuG in der Entscheidung Gencor. Der 222 Wortlaut des Art. 1 VO (EWG) Nr. 4064/89139 setze nicht voraus, dass die betreffenden Unternehmen in der Gemeinschaft niedergelassen sind oder dass die Erzeugungstätigkeiten, die von dem Zusammenschluss betroffen sind, im Gebiet der Gemeinschaft ausgeübt werden.140 Bei den in diesem Verfahren betroffenen Un134 135 136 137 138 139
140
Haymann, Extraterritoriale Wirkungen des EWG-Wettbewerbsrechts, 1974, S. 340 f. Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 256 Rn. 3; Haymann, Extraterritoriale Wirkungen des EWG-Wettbewerbsrechts, 1974, S. 340. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 81. Des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. L 24, S. 1. Insoweit liegt eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage vor, vgl. für die VO (EWG) Nr. 4064/89 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 83. Des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 395, S. 1. Wegen einer Reihe von Fehlern, die in den verschiedenen Sprachfassungen der Verordnung enthalten waren, wurde deren gesamter Wortlaut in Form einer berichtigten Textfassung veröffentlicht, ABl. 1990 L 257, S. 13. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (782, Rn. 79) – Gencor.
82
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ternehmen handelte es sich um zwei Gesellschaften des südafrikanischen bzw. des englischen Rechts, die den Abbau und den Handel von in Südafrika gewonnenem Platin unter dem Dach einer gemeinsamen Gesellschaft zusammenführen wollten. Dies hätte zur Folge gehabt, dass anstelle von drei nur noch zwei südafrikanische Platinlieferanten existiert hätten. Das EuG stellte fest, dass die Verfälschung des Wettbewerbs auch von Zusammenschlüssen ausgehen kann, deren Abbau- und Produktionstätigkeit zwar außerhalb der Gemeinschaft liegt, die jedoch zu einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt führen und insoweit den Wettbewerb erheblich behindern.141 Es stützt sich hier auch auf die Zellstoff-Entscheidung des EuGH und das darin herangezogene Durchführungsprinzip:142 Danach reicht es für die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts auf in Drittstaaten ansässige Unternehmen aus, wenn das Kartell durch den Verkauf innerhalb der Gemeinschaft durchgeführt wird, unabhängig davon, ob die Produktionsanlagen oder Versorgungsquellen in einem Drittstaat gelegen sind.143 Auch völkerrechtlich hält das EuG die Anwendung der FKVO (EG) Nr. 139/2004 für gerechtfertigt, da der geplante Zusammenschluss unmittelbare, wesentliche und voraussehbare Auswirkungen auf den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt gehabt hätte.144 2.
Vollzugsverbot
223 Art. 7 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 statuiert ein Vollzugsverbot für Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung bzw. solchen, die zwar keine gemeinschaftsweite Bedeutung haben, aber auf Antrag von der Kommission geprüft werden. Diese dürfen erst nach der Anmeldung und der Vereinbarkeitserklärung der Kommission vollzogen werden. Es ist umstritten, ob dieses Verbot in vollem Umfang auch auf Zusammenschlüsse anwendbar ist, an denen ausschließlich Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten beteiligt sind. Teilweise wird die Vereinbarkeit des Vollzugsverbots mit dem Völkerrecht in Frage gestellt. Einzelne Länder oder die Europäische Gemeinschaft könnten einen Zusammenschluss, der sich ausschließlich in einem Drittstaat vollziehe, nicht vorsorglich insgesamt verbieten und bei der Prüfung des Zusammenschlusses nur die unmittelbaren und wesentlichen Auswirkungen auf das jeweilige Land bzw. die Gemeinschaft berücksichtigen.145 Gegen ein solches Vorgehen spreche auch das Prinzip der Unverhältnismäßigkeit.146 Indes ist die Fusionskontrolle nach der FKVO (EG) Nr. 139/2004 als präventi224 ve Kontrolle angelegt, die noch vor Eintritt wettbewerbsbehindernder Effekte Zusammenschlüsse verhindern soll. Diese Systementscheidung würde konterkariert, wenn nicht sichergestellt werden könnte, dass während des Prüfungsverfahrens 141 142 143 144 145 146
EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (783, Rn. 82) – Gencor. EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 16 f.) – Ahlström. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (784, Rn. 87) – Gencor; s.o. Rn. 200 ff. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (785 f., Rn. 92 ff.) – Gencor. S.o. Rn. 207. Bechtold, The European Legal Forum 2000/01, 19 (20). Bechtold, The European Legal Forum 2000/01, 19 (21).
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keine wettbewerbsverzerrenden Zusammenschlüsse vollzogen werden. Insoweit ist das Vollzugsverbot mit der Prüfung der Fusion als solcher untrennbar verknüpft. Eine getrennte Bewertung der Vorschriften zur Zusammenschlusskontrolle und des Vollzugsverbots ist deshalb abzulehnen.147 3.
Ungleichbehandlungen von EU-Unternehmen in Drittstaaten
Nach Art. 24 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unterrichten die Mitgliedstaaten 225 die Kommission über die allgemeinen Schwierigkeiten bei Zusammenschlüssen ihrer Unternehmen in einem Drittstaat.148 Werden Mitgliedstaatsunternehmen in einem Drittland nicht so behandelt wie Unternehmen dieses Staates in der Gemeinschaft, so kann die Kommission dem Rat gem. Art. 24 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Vorschläge unterbreiten, um ein Mandat für Verhandlungen zu erhalten mit dem Ziel, für Gemeinschaftsunternehmen eine vergleichbare Behandlung zu erreichen. Die in dieser Vorschrift angestrebte Äquivalenz zwischen den Wettbewerbs- 226 vorschriften der Gemeinschaft und Drittstaaten ist gemeinschaftsrechtlich jedoch nicht zulässig. Die FKVO (EG) Nr. 139/2004 bietet keine Rechtsgrundlage, um bei der Prüfung eines Zusammenschlusses zu berücksichtigen, ob der Herkunftsstaat eines beteiligten Drittstaatsunternehmens Unternehmen aus der Gemeinschaft fusionsrechtlich strengeren Regeln unterwirft als sie für Unternehmen dieses Drittstaats in der Gemeinschaft gelten.149 Als Schranken sind aber internationale bilaterale und multilaterale Abkommen zu berücksichtigen, auf die in Art. 24 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch ausdrücklich hingewiesen wird.
C.
Die Zusammenarbeit mit Wettbewerbsbehörden von Drittstaaten am Beispiel der USA
I.
Kooperationsabkommen
1.
Allgemeiner Rahmen
Die Anwendung nationaler Kartellgesetze über das eigene Territorium hinaus auch 227 auf Zusammenschlüsse, die auf fremdem Staatsgebiet vollzogen werden, führt zu Konflikten. Es treffen möglicherweise widersprüchliche Wettbewerbsregeln aufeinander, die aber gleichermaßen Geltung beanspruchen. Diese Situation führt zu 147 148
149
So auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 93. Diese Vorschrift wird ergänzt durch Art. 24 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004, wonach die Kommission regelmäßig einen Bericht erstellt, in dem die Behandlung von Unternehmen, die ihren Sitz oder ihr Hauptgeschäft in der Gemeinschaft haben, bei Zusammenschlüssen in Drittländern untersucht wird. Soweit ersichtlich, ist ein solcher Bericht bislang nicht erstellt worden, so dass davon auszugehen ist, dass eine Ungleichbehandlung nicht stattfindet. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 95.
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Rechtsunsicherheit, höheren Transaktionskosten für die beteiligten Unternehmen und u.U. sogar zu politischen Spannungen zwischen den betroffenen Staaten.150 Weder die nationalen Rechtsordnungen noch das Völkerrecht bieten Regelungen, die diese Konflikte lösen könnten. Deshalb stellen multi- oder bilaterale Abkommen ein geeignetes Mittel zur Problemlösung dar.151 Vor diesem Hintergrund hat die EU mit einzelnen Staaten Abkommen über eine Kooperation in wettbewerbsrechtlichen Fragen geschlossen. Das gilt vor allem für die USA, Kanada und Japan.152 Mit dem wichtigen Handelspartner USA, auf dessen Territorium zahlreiche wettbewerbsrelevante Fusionen von Großunternehmen abgewickelt werden,153 hat die EU zwei wettbewerbsrechtliche Abkommen geschlossen, die nachfolgend näher dargestellt werden. 2.
Das Abkommen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln der EU und der USA (1991)154
228 Nach Art. 1 Abs. 1 des Abkommens ist es Zweck der Vereinbarung, die Kooperation und Koordination zu verbessern sowie die Differenzen der Vertragsparteien bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts zu verringern. Dies erfolgt zum einen durch Mitteilung der Fälle, die von den Wettbewerbsbehörden einer Partei bearbeitet werden und durch die möglicherweise Interessen der anderen Partei berührt sind (Art. 2). Als weiteres Mittel der Kooperation ist ein allgemeiner Informationsaustausch zwischen den Wettbewerbsbehörden vorgesehen einschließlich regelmäßiger Treffen von Behördenvertretern (Art. 3). Nach Art. 4 können die Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten und ihre Tätigkeit koordinieren. Darüber hinaus kann jede Vertragspartei die andere ersuchen einzuschreiten, wenn auf dem jeweils anderen Territorium wettbewerbswidrige Tätigkeiten vorgenommen werden, die wichtige Interessen der ersuchenden Partei verletzen (sog. Positive-Comity-Verfahren, Art. 5). Schließlich soll jede Vertragspartei durch die Berücksichtigung der Belange der anderen Vertragspartei das Entstehen von Konflikten im Zusammenhang mit der Tätigkeit ihrer Wettbewerbsbehörden vermeiden (Art. 6). 150 151 152
153 154
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 111. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 112 f.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 51 ff. Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts, ABl. 1999 L 175, S. 50; Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung von Japan über die Zusammenarbeit bei wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, ABl. 2003 L 183, S. 12. Zu dem Abkommen zwischen der EU und den USA s. sogleich Rn. 228 ff. Zur bilateralen Zusammenarbeit mit anderen Drittstaaten vgl. XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Rn. 698 ff. S. die bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 107 Fn. 143 genannten Beispielsfälle aus dem Jahre 1998. Abkommen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Anwendung ihrer Wettbewerbsregeln, ABl. 1995 L 95, S. 47. Diesem Vertrag kommt eine Art Vorreiterrolle zu. Es ist das erste der genannten Abkommen, an das die nachfolgenden in Aufbau und Wortlaut angelehnt sind.
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Auf der Grundlage dieses Abkommens wurde auch eine Verwaltungsvereinba- 229 rung zwischen den Wettbewerbsbehörden der EG und den USA geschlossen, der die Kommission am 31.3.1999 zugestimmt hat.155 Hierin räumen diese sich gegenseitig die Möglichkeit ein, in Fällen, in denen die Belange beider Seiten berührt sind, an den wettbewerbsrechtlichen Verfahren der jeweils anderen Behörde teilzunehmen. So können die US-Wettbewerbsbehörden an Anhörungen vor der EUKommission teilnehmen, während umgekehrt die Kommission zur Teilnahme an Zusammenkünften zwischen den US-Wettbewerbsbehörden und den beteiligten Unternehmen berechtigt ist. Dem Ersuchen um Teilnahme wird nach der Verwaltungsvereinbarung stattgegeben, wenn ausreichende Garantien oder Vereinbarungen über die Vertraulichkeit und Verwendung der Informationen vorliegen und die betroffenen Personen ihre Zustimmung gegeben haben. 3.
Positive-Comity-Abkommen (1998)
Das oben dargestellte Grund-Abkommen wurde 1998 durch ein weiteres Abkom- 230 men156 ergänzt, das insbesondere die „Positive-Comity“-Grundsätze157 ausgeweitet hat. Nach Art. 4 dieses Abkommens können die Wettbewerbsbehörden der Parteien vereinbaren, dass eine Partei, die durch wettbewerbswidriges Verhalten auf dem Gebiet der anderen Partei beeinträchtigt wird, regelmäßig die eigenen wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen zugunsten der anderen Partei aussetzen oder aufschieben wird. Damit wird der Partei, auf deren Territorium die Verstöße stattfinden, eine Art Recht des ersten Zugriffs eingeräumt. Dies gilt vor allem dann, wenn die wettbewerbswidrigen Handlungen keine direkten, spürbaren und voraussehbaren Auswirkungen auf die Verbraucher der eigene Aktivitäten aufschiebenden Partei haben (Art. IV Abs. 2 lit. a) Ziff. i)). Das Vorrecht der territorial betroffenen Partei greift jedoch nur dann, wenn sie zum einen für die Verfolgung zuständig ist und auch unverzüglich gegen die Wettbewerbsverstöße vorgehen kann und will (Art. 1 Abs. 2 lit. b)). Hat eine Partei die Ahndung der Wettbewerbsverstöße übernommen, soll sie die andere Partei über das weitere Verfahren auf dem Lau-
155
156
157
Bulletin EU 3-1999, Tz. 1.3.44 (unter dem Index-Stichwort „Wettbewerb“). Die Kommission hat hier ausdrücklich klargestellt, dass es sich bei der Verwaltungsvereinbarung und dem zugehörigen Briefwechsel nicht um ein verbindliches völkerrechtliches Abkommen handelt. Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Anwendung der „Positive Comity“-Grundsätze bei der Durchsetzung ihrer Wettbewerbsregeln, ABl. 1998 L 173, S. 28. Was darunter zu verstehen ist, wird in Art. III dieses Abkommens so dargestellt: „Die Wettbewerbsbehörden der ersuchenden Partei können im Fall wettbewerbswidriger Verhaltensweisen bei den Wettbewerbsbehörden der ersuchten Partei eine Untersuchung und ggf. Abhilfe in Übereinstimmung mit den Wettbewerbsregeln der ersuchten Partei beantragen. Ein solcher Antrag kann unabhängig davon gestellt werden, ob die betreffenden Verhaltensweisen auch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der ersuchenden Partei darstellen und ob die Wettbewerbsbehörden dieser Partei aufgrund ihrer eigenen Wettbewerbsregeln Durchsetzungsmaßnahmen erlassen haben oder zu erlassen beabsichtigen.“
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fenden halten, soweit dies mit den für sie geltenden Vorschriften zum Schutz der Vertraulichkeit vereinbar ist (Art. IV Abs. 2 lit. c) Ziff. iii)).158 II.
Entwicklung der Zusammenarbeit
231 Die Zusammenarbeit zwischen der EG und den USA in Wettbewerbsfragen, vor allem im Bereich der Fusionen, hat sich auf der Grundlage der genannten Abkommen deutlich verstärkt.159 Die Kommission arbeitet auf diesem Gebiet inzwischen eng mit der Kartellabteilung des Justizministeriums der USA sowie mit der Bundesbehörde zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und zur Durchführung der Kartellgesetze zusammen.160 Im Oktober 2002 gab die Kommission gemeinsam mit den zuständigen Behörden der USA einen Leitfaden mit Hinweisen zur Prüfung von Fusionsvorhaben heraus, um die Gefahr unterschiedlicher Verwaltungsentscheidungen zu verringern.161 Als besonders effektiv erweist sich die Zusammenarbeit, wenn die beteiligten Unternehmen auf Geheimhaltung verzichten und es den Behörden der USA und der EU möglich ist, bei der Anmeldung einer Fusion übermittelte Sachinformationen auszutauschen.162 In der Folge stimmten die Kartellrechtsbehörden ihre Untersuchungen ab und führten zeitgleich bei beteiligten Unternehmen Untersuchungen durch.163 Insgesamt ist festzustellen, dass die Kommission und die US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden sich in wettbewerbsrechtlichen Fragen weiter angenähert haben.164
158 159
160 161 162 163 164
In diesem Vertraulichkeitsschutz wird ein großes Hindernis für eine effiziente Zusammenarbeit gesehen, vgl. Pallek, AVR 38 (2000), 169 (195 ff.). Vgl. Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Regierung Kanadas über die Anwendung ihrer Wettbewerbsregeln (Januar-Dezember 2002), KOM (2003) 500 endg. S. KOM (2003) 500 endg., Tz. 1.2. KOM (2003) 500 endg., Tz. 1.4. XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Rn. 682. S. mit Hinweis auf konkrete Fälle XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Rn. 684. KOM (2003) 500 endg., Tz. 1.6.; s. dazu auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 107 ff.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
D.
Zur Vereinbarkeit der EG-Wettbewerbsregeln mit GATT und WTO
I.
Die Regelung des internationalen Wettbewerbs durch GATT und WTO
1.
Die Entwicklung des GATT hin zur WTO
87
Das allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT entstand 1947 in dem Bemü- 232 hen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Welthandel und das internationale Währungssystem neu zu organisieren. Vor allem sollte der protektionistischen Abschottung der nationalen Märkte begegnet werden, die vor dem Krieg zu der bis dahin schlimmsten Weltwirtschaftskrise geführt hatte.165 Die Wiederbelebung des internationalen Handels sollte gleichzeitig den Wiederaufbau befördern und den allgemeinen Wohlstand verbessern.166 Dieses Abkommen wurde im Rahmen internationaler Handelsrunden um zusätzliche Regelungen zum Abbau von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen beständig erweitert. Allerdings fehlte dem GATT ein alle Abkommen umspannender institutioneller Rahmen. Das GATT-Recht setzte sich zusammen aus einer Reihe rechtlich selbstständiger Vereinbarungen, die nur für diejenigen Vertragspartner verbindlich waren, die sie auch ratifiziert hatten. Für die Durchführung jedes Abkommens waren überdies eigene Organe und Streitschlichtungsmechanismen vorgesehen.167 Die Folge war, dass die Handelsregeln nur beschränkt eingehalten und durchgesetzt wurden.168 Dieses Defizit sollte durch die Errichtung einer Welthandelsorganisation beseitigt werden. 1994 wurden als Ergebnis der Uruguay-Runde169 das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation WTO sowie weitere internationale Verträge geschlossen. Das GATT wurde in erneuerter Fassung (GATT 1994) in dieses Vertragswerk integriert, das seit dem 1.1.1995 in Kraft ist.170 2.
Grundstrukturen des WTO-Abkommens
Die WTO ist anders als das GATT (1947) gem. Art. VIII WTO-Übereinkommen 233 mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet. Insoweit handelt es sich um eine internationale Organisation, der Völkerrechtssubjektivität zukommt.171 Alle Vertragsstaaten des GATT (1947) mussten dieser Organisation neu beitreten und die 165 166 167 168 169 170 171
Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 2. Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 3. Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 18. S. Dolzer, in: Vitzthum, Völkerrecht, 6. Abschnitt Rn. 64. Zur Verhandlungsgeschichte s. Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 20 ff. Vgl. das deutsche Zustimmungsgesetz zum GATT, BGBl. II 1994 S. 1438; zum WTOÜbereinkommen, BGBl. II 1994 S. 1625. Tietje, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 9; ders., Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 95.
88
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
Gesamtheit aller Abkommen, die durch die WTO zu einer Einheit zusammengefasst wurden, annehmen. Damit wurde die zuvor bestehende Rechtszersplitterung beseitigt.172 Die WTO bietet den institutionellen Rahmen für die Anwendung der in den 234 vier Anhängen des WTO-Abkommens aufgeführten Vereinbarungen. Der erste Anhang besteht aus drei Teilen:173 Anhang 1A umfasst die multilateralen Übereinkünfte für den Warenhandel, darunter das GATT (1994). Anhang 1B enthält das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) und Anhang 1C beinhaltet das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS). In Anhang 2 sind die Regeln und das Verfahren über die Beilegung von Streitigkeiten (DSU) und in Anhang 3 die Regelungen zur Überprüfung der Handelspolitik enthalten. Das DSU enthält die wesentlichen Verfahrensnormen für die Streitbeilegung sowie Regelungen über die Streitbeilegungsorgane wie etwa den Appellate Body oder den Dispute Settlement Body (DSB).174 3.
Wesentlicher Inhalt der Regelungen des GATT (1994) und ihre Durchsetzung
235 Das GATT enthält für den internationalen Handel wesentliche Prinzipien. Dazu gehören etwa die Grundsätze der Meistbegünstigung (Art. I), der Inländerbehandlung (Art. III), der allgemeinen Beseitigung mengenmäßiger Import- oder Exportbeschränkungen (Art. XI) sowie der nichtdiskriminierenden Anwendung der ausnahmsweise erlaubten mengenmäßigen Beschränkungen (Art. XIII).175 Der zentrale Grundsatz der Meistbegünstigung fordert, dass ein Mitgliedstaat 236 alle Handelsvorteile, die er einem anderen Staat gewährt, grundsätzlich auch allen anderen Vertragsstaaten gewähren muss. Dieses Prinzip soll vor allem Wettbewerbsverzerrungen beim Handel mit Importwaren unterschiedlicher Herkunft verhindern und es so ermöglichen, die Waren vom günstigsten Exporteur zu beziehen.176 Der Grundsatz der Inländerbehandlung zielt auf die Gleichstellung von auslän237 dischen mit einheimischen Produkten ab.177 So verbietet dieses Prinzip die Anwendung nationaler Normen, Steuern oder sonstiger Belastungen auf eingeführte Waren mit dem Ziel, die einheimische Produktion zu schützen. Weiterhin ist es den Vertragsstaaten verboten, aus anderen Vertragsstaaten eingeführte Produkte mit Steuern oder sonstigen Belastungen zu erheben, die über diejenigen für ein172 173 174
175 176
177
Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 32. S. Krenzler, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil A Rn. 34. Dazu gehören weiterhin Panels, Arbitrators und Expert Review Groups; zu Zusammensetzung und Aufgaben dieser Organe s. im Einzelnen Ohlhoff, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil C Rn. 71 ff. Dazu und zu weiteren Regeln des GATT (1994) ausführlich Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 24 ff. Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 82; zu weiteren Funktionen der Meistbegünstigungsklausel s. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 196 f. Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 26.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
89
heimische Produkte hinausgehen. Auch dieser Grundsatz zielt darauf ab, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und dadurch eine optimale Allokation der Ressourcen zu ermöglichen.178 Das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Import- und Exportbeschränkungen ist weit zu verstehen. Damit werden nicht nur Quoten erfasst, sondern alle Maßnahmen, die den Handel in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht beschränken oder sich konkret negativ auf den Marktzugang auswirken.179 Der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes liegt parallel zu dem der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG.180 Dieser Grundsatz dient der Transparenz handelsregulierender Maßnahmen. Denn im Gegensatz zu Zöllen, Steuern und sonstigen Abgaben sind nichttarifäre Handelshemmnisse weniger bekannt und deshalb auch schwieriger zu überwachen.181 Zwar sind mengenmäßige Beschränkungen grundsätzlich verboten, doch gibt es von diesem Prinzip auch Ausnahmen. Diese Ausnahmen dürfen aber von den Mitgliedstaaten nichtdiskriminierend angewendet werden, d.h. einzelne Staaten dürfen anderen gegenüber nicht benachteiligt werden.182 Diese Pflicht, mengenmäßige Beschränkungen nichtdiskriminierend anzuwenden, stellt neben dem Meistbegünstigungsgrundsatz und dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung die dritte Ausprägung des Nichtdiskriminierungsprinzips im GATT dar.183 Kommt es zwischen den Vertragsstaaten zu Auseinandersetzungen über diese Regeln, sieht das WTO-Abkommen einen besonderen Streitbeilegungsmechanismus vor, dessen Bestandteil auch eigene Spruchkörper sind. Von den drei möglichen Verfahrenstypen hat die sog. Verletzungsbeschwerde die größte praktische Relevanz erlangt.184 Gegenstand dieses Verfahrens ist die Beschwerde eines Mitgliedstaats, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen Regeln des WTO-Rechts verstoßen habe. Das WTO-Abkommen selbst enthält nur organisatorische Regelungen zur Streitbeilegung zwischen den Mitgliedstaaten. Die Rechtsgrundlagen sind die Streitbeilegungsklauseln der einzelnen völkerrechtlichen Abkommen wie die des GATT 1994, die wiederum auf das DSU verweisen, in dem die Verfahren vor den Streitschlichtungsorganen geregelt sind. Das Streitbeilegungsverfahren lässt sich in fünf Abschnitte gliedern:185 In einem ersten Abschnitt finden Beratungen zwischen den Streitparteien statt (Konsultati178 179
180
181 182
183 184 185
Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 223. Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 146 f.; Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATTRechtsordnung, 1998, S. 278 ff. Diese Parallele betont auch Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 283; s. dazu noch u. Rn. 265. Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 143. Insoweit ist dieses Diskriminierungsverbot lex specialis zu dem Meistbegünstigungsgrundsatz in Art. I GATT, s. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 264 f. Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil B Rn. 101 ff. Ohlhoff, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil C Rn. 16. Vgl. Ohlhoff, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil C Rn. 17.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
onsphase). Führen diese nicht zu einer Einigung, kann der Beschwerdeführer die Durchführung eines Panelverfahrens verlangen, in dem durch ein für diesen Fall gebildetes Panel die Sach- und Rechtslage umfassend geprüft wird (Panelphase). Gegen die Entscheidung des Panels ist die Revision zum Appellate Body, dem ständigen Rechtsprechungsorgan der WTO zulässig (Revisionsphase). Die Berichte des Panels sowie des Appellate Body werden regelmäßig186 durch den DSB angenommen und verpflichten den unterlegenen Beschwerdegegner zur Befolgung der Entscheidungen. Die Umsetzung wird durch den DSB überwacht. Erfolgt diese nicht fristgemäß, schließt sich nicht wie im nationalen Recht eine Vollstreckung der Entscheidung durch gesonderte Organe an. Vielmehr kann der Beschwerdeführer wählen, ob er mit dem Beschwerdegegner Kompensationsmaßnahmen vereinbart oder gegen ihn Sanktionen ergreift, um ihn zur Befolgung der Entscheidung zu veranlassen (Normdurchsetzungsphase). II.
Die WTO/GATT-Rechtsordnung als Maßstab für das europäische Wettbewerbsrecht
1.
Die Stellung des WTO/GATT-Abkommens im Gemeinschaftsrecht
242 Gem. Art. 300 Abs. 7 EG sind durch die Gemeinschaft abgeschlossene völkerrechtliche Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verbindlich. Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass diese Verträge mit ihrem In-Kraft-Treten einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bilden“.187 Das heißt, dass sie ihren völkerrechtlichen Charakter beibehalten und nicht etwa in Gemeinschaftsrecht umgewandelt werden.188 Nach völkerrechtlichen Grundsätzen können die Gemeinschaftsorgane, die den Vertrag ausgehandelt haben, gemeinsam mit dem Vertragspartner auch vereinbaren, welche Wirkung den einzelnen Regelungen des Vertrags in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien zukommen soll. Nur wenn der Vertrag darüber keine Regelungen enthält, ist die Auslegung der Vertragsbestimmungen Aufgabe des Gerichtshofs. Unmittelbare Wirkung misst der Gerichtshof der einzelnen völkervertragsrechtlichen Regelung nur dann zu, wenn sie unter Berücksichtigung des Wortlauts und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck eine klare und eindeutige Verpflichtung
186
187 188
Die Annahme kann nur unterbleiben, wenn gegen eine Panel-Entscheidung Revision eingelegt wird oder wenn der DSB einstimmig entscheidet, den Bericht nicht anzunehmen, vgl. Art. 16 Abs. 4 DSU. EuGH, Rs. 181/73, Slg. 1974, 449 (460, Rn. 2/6) – Haegemann; Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641 (3662, Rn. 13) – Kupferberg; Rs. 12/86, Slg. 1987, 3719 (3750, Rn. 7) – Demirel. Dies kann Folgen für die Auslegung haben: So hat der Gerichtshof etwa den Rechtsbegriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ in einem Freihandelsabkommen anders ausgelegt als im Rahmen von Art. 28 EG, vgl. Rs. 270/80, Slg. 1982, 329 (348 f., Rn. 14 ff.) – Polydor.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
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enthält, deren Erfüllung oder Wirkungen nicht vom Erfolg eines weiteren Akts abhängen.189 Nach diesen Grundsätzen sind auch die im Rahmen der WTO abgeschlossenen 243 Abkommen einschließlich des GATT (1994) für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verbindlich. In der gemeinschaftsrechtlichen Normenhierarchie gehen sie dem Sekundärrecht vor.190 Dies wird aus Art. 300 Abs. 7 EG abgeleitet, dem insoweit auch eine Aussage über die Einordnung in die gemeinschaftsrechtliche Rangordnung beigemessen wird.191 Im Verhältnis zum Primärrecht sind diese Abkommen aber nachrangig. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 300 Abs. 5 und 6 EG i.V.m. Art. 48 EU. Nach Art. 300 Abs. 5 EG sind Änderungen des EG durch ein völkerrechtliches Abkommen vor dessen Abschluss in einem gesonderten Verfahren nach Art. 48 EU durch die Mitgliedstaaten anzunehmen. Der Rat, die Kommission oder ein Mitgliedstaat können gem. Art. 300 Abs. 6 EG beim Gerichtshof ein Gutachten über die Vereinbarkeit eines Abkommens mit dem EG einholen. Sowohl das gesonderte Verfahren als auch die Möglichkeit des Gutachtens machen nur dann Sinn, wenn einem völkerrechtlichen Abkommen ein Rang unterhalb des Primärrechts zukommt.192 Insoweit stehen völkerrechtliche Abkommen im Range zwischen dem Sekundär- und dem Primärrecht. 2.
Die Rechtsprechung des EuGH
Im Hinblick auf den Vorrang völkerrechtlicher Abkommen vor europäischem Se- 244 kundärrecht wäre zu folgern, dass der Gerichtshof deshalb Verordnungen oder Richtlinien auch auf ihre Vereinbarkeit mit den GATT/WTO-Regeln hin überprüft. Doch zieht der EuGH diese Konsequenz bislang gerade nicht.193 a)
Die gemeinschaftsrechtliche Bedeutung des GATT (1947)
Der Gerichtshof erkennt seit der Entscheidung in der Rechtssache International 245 Fruit Company von 1972 die Bindung der Europäischen Gemeinschaft an das Völkerrecht und somit auch an das GATT in ständiger Rechtsprechung an.194 Er begründet dies mit der Rechtsnachfolge in die von den Mitgliedstaaten vor Gründung der Gemeinschaft übernommenen völkerrechtlichen Pflichten: Zum Zeit189
190
191 192 193 194
EuGH, Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641 (3665, Rn. 23) – Kupferberg; Rs. 12/86, Slg. 1987, 3719 (3750, Rn. 7) – Demirel; Rs. C-300 u. 392/98, Slg. 2000, I-11307 (11359, Rn. 42) – Dior u.a. EuGH, st. Rspr. seit Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1227, Rn. 5/6 f.) – International Fruit Company; Rs. 181/73, Slg. 1974, 449 (462, Rn. 28/30) – Haegemann; Rs. C-61/94, Slg. 1996, I-3989 (4020 f., Rn. 52) – Kommission/Deutschland; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 Rn. 77; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 Rn. 84. Schroeder/Selmayr, JZ 1998, 344 (348). Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 Rn. 77; Tomuschat, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 300 Rn. 83; Epiney, EuZW 1999, 5 (7). Zu den in zwei Fallgruppen zusammengefassten Ausnahmen s. sogleich Rn. 246 a.E. EuGH, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1227 f., Rn. 10/13 ff.) – International Fruit Company.
92
Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
punkt der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft waren die Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten an die Vereinbarungen des GATT gebunden.195 Da die Gemeinschaft die Aufgaben in der Zoll- und Handelspolitik von den Mitgliedstaaten übernommen hat, sind auch die insoweit durch die Mitgliedstaaten ausgeübten Befugnisse auf die Gemeinschaft übergegangen. Deshalb ist die Gemeinschaft nunmehr an die Bestimmungen des GATT gebunden.196 Gleichzeitig stellt der Gerichtshof aber klar, dass aus dieser Bindung nicht not246 wendig eine unmittelbare Anwendung der GATT-Vorschriften innerhalb der Gemeinschaft folgt. Vielmehr schließt er aus einer Auslegung des GATT nach Wortlaut, Sinn und Aufbau, dass seine Vorschriften dem Einzelnen gerade kein Recht vermitteln, sich vor Gericht auf seine Vorschriften zu berufen.197 Insoweit sind diese Vorschriften nach Auffassung des Gerichtshofes grundsätzlich kein Rechtmäßigkeitsmaßstab für das Gemeinschaftsrecht. Von diesem Grundsatz hat er jedoch zwei Ausnahmen anerkannt: Danach sind die Vorschriften des GATT unmittelbar anwendbar, wenn in einer Verordnung ausdrücklich auf die Regeln des GATT verwiesen wird198 oder eine Verordnung zur Durchführung dieser Vorschriften erlassen wurde.199 Allerdings betont der EuGH, dass die Anwendbarkeit des GATT in diesen Ausnahmefällen nicht auf seiner unmittelbaren Anwendbarkeit, sondern auf der Geltung des Gemeinschaftsrechtsakts beruhe, der den Gemeinschaftsbürgern das Recht verleihe, sich auf das GATT zu berufen.200 b)
Die WTO-Übereinkünfte und das Gemeinschaftsrecht
247 Der EuGH hat auch zur Geltung der WTO-Regeln innerhalb des Gemeinschaftsrechts Stellung genommen. Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, die Portugal gegen einen Beschluss des Rates erhoben hatte, argumentierte die Klägerin, dass der Ratsbeschluss, der Vereinbarungen der Gemeinschaft mit Indien und Pakistan über den Marktzugang von Textilien genehmigte, wegen Verstoßes gegen Vorschriften und Grundsätze des WTO nichtig sei.201 Der Hintergrund der Klage waren Befürchtungen Portugals, dass mit dem erleichterten Marktzugang für Textilien aus Pakistan und Indien die eigene Textilindustrie erheblichen Schaden erleiden würde.202 Der Gerichtshof lehnte eine Überprüfung des Ratsbeschlusses am Maßstab der WTO-Übereinkünfte jedoch ab.
195 196 197
198 199 200 201 202
EuGH, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1227, Rn. 10/13) – International Fruit Company. EuGH, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1227 f., Rn. 14/18) – International Fruit Company. EuGH, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, 1219 (1228 f., Rn. 21 ff.) – International Fruit Company; bestätigt durch Rs. 266/81, Slg. 1983, 731 (780, Rn. 28) – SIOT; Rs. 267-269/81, Slg. 1983, 801 (830, Rn. 23) – SPI und SAMI; Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781 (1830 f., Rn. 19) – Fediol; Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (5073, Rn. 109) – Bananen. EuGH, Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781 (1830 f., Rn. 19) – Fediol. EuGH, Rs. C-69/89, Slg. 1991, I-2069 (2178, Rn. 30 ff.) – Nakajima. EuGH, Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781 (1831, Rn. 22) – Fediol. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8434, Rn. 25 ff.) – Portugal/Rat. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8445, Rn. 71) – Portugal/Rat.
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Der EuGH stellte zunächst fest, dass es jeder Vertragspartei einer völkerrecht- 248 lichen Vereinbarung freistehe, die rechtlichen Maßnahmen festzulegen, die zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind, es sei denn, das Abkommen lege die Umsetzungsmaßnahmen selbst fest.203 Obwohl die WTO-Übereinkünfte erheblich von früheren Regelungen des GATT (1947) abwichen, komme im Falle von Verstößen gegen die WTO-Vorschriften den Verhandlungen zwischen den Mitgliedern immer noch eine große Bedeutung zu. Dürften mit den Vorschriften der WTO-Übereinkünfte unvereinbare innerstaatliche Normen nicht angewandt werden, bestünde kein Raum mehr für eine Konfliktregelung der Mitglieder untereinander im Verhandlungswege. Aus dieser Überlegung zieht der EuGH den Schluss, dass die WTO-Übereinkünfte gerade offen lassen, mit welchen rechtlichen Maßnahmen die Mitglieder diese Regelungen in ihre eigene Rechtsordnung umzusetzen haben.204 Weiterhin argumentiert der Gerichtshof, dass einige Mitglieder der WTO, die 249 gleichzeitig zu den wichtigsten Handelspartnern der Gemeinschaft gehören, die Rechtsauffassung vertreten, dass den WTO-Übereinkünften keine unmittelbare und im Verhältnis zum innerstaatlichen Recht höherrangige Wirkung zukomme. Eine anderslautende Auffassung der Gemeinschaft würde deshalb zu einem Ungleichgewicht führen, das mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit, das der Errichtung der WTO zugrunde lag, nicht vereinbar sei.205 Parallel zu seiner Rechtsprechung zum GATT (1947) hält der EuGH die Handlungen der Gemeinschaft deshalb nur ausnahmsweise für auf ihre Vereinbarkeit mit WTO-Übereinkünften hin überprüfbar. Lediglich dann, wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzt oder wenn der jeweilige Gemeinschaftsakt ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Verträge verweist, bilden die WTO-Regeln danach einen Rechtmäßigkeitsmaßstab.206 c)
Völkerrechtliche Verträge als Prüfungsmaßstab des EuGH
Im Hinblick auf andere völkerrechtliche Abkommen rückte der Gerichtshof in ge- 250 wissem Umfang von den oben dargestellten Grundsätzen ab. Bereits 1998 hat er entschieden, dass das Völkergewohnheitsrecht einen Rechtmäßigkeitsmaßstab für eine EG-Verordnung darstellt und die Einhaltung dieses Maßstabs deshalb auch vom EuGH zu prüfen ist.207 Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen eine Richtlinie hat der EuGH in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung zum WTO-Abkommen zwar zunächst festgestellt, dass dieses Übereinkommen wegen seiner Natur und Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften gehört, an denen er die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst.208 Doch 203 204 205 206 207 208
EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8436, Rn. 35) – Portugal/Rat. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8437, Rn. 41) – Portugal/Rat. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8438, Rn. 42 f.) – Portugal/Rat. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 (8439, Rn. 49) – Portugal/Rat; bestätigt in Rs. C-307/99, Slg. 2001, I-3159 (3171, Rn. 27) – OGT Fruchthandelsgesellschaft. EuGH, Rs. C-162/96, Slg. 1998, I-3655 (3705 f., Rn. 51) – Racke. EuGH, Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079 (7164, Rn. 52) – Niederlande/Parlament und Rat.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
soll dies nicht für solche Übereinkommen gelten, die anders als das WTO-Abkommen nicht strikt auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit zum beiderseitigen Nutzen beruhen.209 Im Anschluss daran führt der EuGH aus, dass auch Regelungen eines völker251 rechtlichen Übereinkommens, die keine unmittelbare Wirkung haben, Verpflichtungen sind, die der Gemeinschaft als Vertragspartei obliegen und die deshalb vom Richter auf ihre Einhaltung durch die Gemeinschaftsorgane hin zu überprüfen sind.210 Insoweit entscheidet der EuGH hier entgegen dem im Rahmen seiner GATT-Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, dass nur die völkerrechtlichen Vorschriften mit unmittelbarer Rechtswirkung zugunsten eines Einzelnen Rechtmäßigkeitsmaßstab für Handlungen von Gemeinschaftsorganen sein können.211 Diese Rechtsprechung hat bislang aber nicht zu Rückwirkungen auf die Be252 handlung des GATT/WTO-Abkommens geführt. In seinen jüngsten Entscheidungen zur Bedeutung der GATT/WTO-Abkommen hält der EuGH vielmehr an deren Sonderstellung fest und betont, dass diese aufgrund des besonderen Streitschlichtungsmechanismus grundsätzlich keinen Rechtmäßigkeitsmaßstab für Gemeinschaftshandlungen bilden,212 zuletzt in der Entscheidung vom 1.3.2005 zur Rechtmäßigkeit einzelner Bananenmarktverordnungen.213 Auch das Vorliegen des in seiner Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefalls, dass die Gemeinschaft mit dem beanstandeten Sekundärrechtsakt eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen wolle, lehnte der EuGH hier ab.214 Die Klägerin, ein belgischer Bananenimporteur, hatte darauf abgestellt, dass hier ein solcher Sonderfall vorliege, da die streitentscheidende Verordnung vom Rat auf eine Entscheidung des DSB hin erlassen wurde. Der DSB hatte die Vorgängervorschrift als teilweise mit dem GATT unvereinbar erklärt. Der EuGH argumentierte dagegen mit dem besonderen Streitschlichtungssystem des GATT, das mit einer Entscheidung des DSB nicht beendet sei. Vielmehr bestünde auch danach noch die Möglichkeit einer Verhandlungslösung zwischen den streitenden Parteien. Diese Verhandlungen könnten durch die Annahme einer Prüfungskompetenz der Gemeinschaftsrichter in Frage gestellt werden.215
209 210 211 212
213 214 215
EuGH, Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079 (7164, Rn. 53) – Niederlande/Parlament und Rat. EuGH, Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079 (7165, Rn. 54) – Niederlande/Parlament und Rat. S.o. Rn. 246. EuGH, Rs. C-27 u. 122/00, Slg. 2002, I-2569 (2627 f., Rn. 89 ff.) – Omega Air u.a.; Rs. C-76/00 P, Slg. 2003, I-79 (141, Rn. 53 f.) – Petrotub und Republica; Rs. C-93/02 P, Slg. 2003, I-10497 (10558, Rn. 52 f.) – Biret International. EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 39 f.) – Van Parys. EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 41 ff.) – Van Parys. EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 42 ff.) – Van Parys.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
3.
95
Die unmittelbare Wirkung des WTO/GATT-Abkommens als Streitpunkt des Wirtschaftsvölkerrechts216
Die Auffassungen zur Rechtsprechung des EuGH in der Literatur sind gespalten. 253 Teilweise wird die Ablehnung einer unmittelbaren Wirkung des WTO/GATTRechts kritisiert. Sie basiere auf einer mangelnden Kenntnis dieser Rechtsvorschriften und sei mit deren Gewährleistungsinhalt nicht vereinbar. So garantierten sie auch einzelnen Bürgern Rechts- und Gerichtsschutz.217 Zudem sei das Verbot nichttarifärer Handelshemmnisse in diesen völkerrechtlichen Abkommen sehr viel präziser und unbedingter formuliert als in den Grundfreiheiten des EG, deren unmittelbare Wirkung in der Rechtsprechung des EuGH seit langem anerkannt ist.218 Weiterhin wird der dogmatische Ausgangspunkt des EuGH abgelehnt, der eine 254 Prüfung des Sekundärrechts der Gemeinschaft am Maßstab des Völkerrechts davon abhängig macht, dass die jeweilige völkerrechtliche Regelung unmittelbar anwendbar ist, d.h. der Einzelne sich auch darauf berufen kann. Vielmehr seien diese beiden Aspekte voneinander zu trennen. Die Frage nach der Rechtswidrigkeit eines Sekundärrechtsaktes erfordere lediglich eine objektiv-rechtliche Prüfung und setze in den zugrunde liegenden gerichtlichen Verfahrensarten der Nichtigkeitsklage sowie der Vorabentscheidungsklage keine subjektiv-rechtliche Rechtsposition voraus.219 Schließlich wird kritisiert, dass die durch den EuGH anerkannten Ausnahmefälle der Überprüfung des Sekundärrechts am Maßstab der WTO/ GATT-Übereinkommen dogmatisch nicht überzeugend begründet seien.220 Demgegenüber findet die Rechtsprechung des Gerichtshofs vielfach auch Zu- 255 stimmung. Die Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung der WTO/GATT-Vorschriften sei mit dem im DSU verankerten Streitbeilegungsmechanismus nicht vereinbar. Das Leitprinzip der einvernehmlichen Lösung von Streitfällen unter Rückgriff auf Kompensationen oder Sanktionen als Druckmittel vertrage kein Eingreifen durch innerstaatliche Gerichte.221 4.
Das WTO/GATT-Abkommen als Rechtsordnung
Es ist zu vermuten, dass diejenigen, die eine unmittelbare Wirkung ablehnen, die 256 Regelungen des WTO/GATT als Bestandteile einer eher „politischen“ und nicht rechtlichen Ordnung bewerten, deren Anwendung deshalb besonderen Regeln folgen müsse. Dies zeigt sich etwa an der Argumentation mit dem Gegenseitigkeitsprinzip sowie dem Hinweis auf den besonderen Streitschlichtungsmechanismus und den damit verbundenen Verhandlungsspielraum der Vertragsparteien. So hat die EU-Kommission in ihrem Vorschlag an den Rat der Europäischen Union für 216 217 218 219 220 221
Nach der Einschätzung von Hilf/Schorkopf, EuR 2000, 74 (74) gehört diese Frage zu den umstrittensten dieses Rechtsgebiets. Petersmann, EuZW 1997, 325 (327). Petersmann, EuZW 1997, 325 (327). Epiney, EuZW 1999, 5 (11). Petersmann, EuZW 1997, 325 (327). Hilf/Schorkopf, EuR 2000, 74 (90); ähnlich Sack, EuZW, 1997, 650 ff.; ders., EuZW 1997, 688 ff.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
einen Beschluss über die Annahme der Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT festgestellt: „Es kommt darauf an, auszuschließen, dass die Bestimmungen des WTO-Abkommens und seiner Anhänge eine direkte Wirkung haben dergestalt, dass sie von natürlichen oder juristischen Personen des privaten Rechts bei den Gerichten ihrer Länder in Anspruch genommen werden können. Bereits jetzt ist bekannt, dass die Vereinigten Staaten ebenso wie eine ganze Reihe unserer Handelspartner eine solche direkte Wirkung ausdrücklich ausschließen. Ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Ausschluss in dem Rechtsakt der Gemeinschaft über die Annahme der Ergebnisse könnte es zu einem erheblichen Ungleichgewicht bei der tatsächlichen Umsetzung der Verpflichtungen der Gemeinschaft einerseits und der genannten Drittländer andererseits kommen.“222 Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass das WTO/GATTAbkommen als Teil des Völkerrechts in engem Zusammenhang mit der internationalen Politik steht und insoweit „politisches“ Recht darstellt.223 Auch fehlt in diesem Abkommen anders als im nationalen Recht ein Organ zur Vollstreckung von Entscheidungen der Rechtsprechungsinstanzen.224 Doch rechtfertigt dies nicht, eine Überprüfung von europäischem Sekundär257 recht am Maßstab des WTO/GATT-Rechts abzulehnen. Denn bei den Regelungen dieser völkerrechtlichen Verträge handelt es sich um justiziable Normen, über deren Auslegung und Anwendung im Streitfall spezielle Spruchkörper entscheiden. Soweit argumentiert wird, dass eine unmittelbare Anwendbarkeit der WTO/ GATT-Normen den Verhandlungsspielraum der EU in Kompensationsverhandlungen beeinträchtige, so ist dem entgegenzuhalten, dass auch ohne die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit der verurteilte Staat vorrangig verpflichtet ist, eine Panel- oder DSB-Entscheidung umzusetzen. Die Leistung einer Kompensation oder das Belegtwerden mit einer Sanktion befreit den betroffenen Staat nicht von dieser Verpflichtung.225 Schließlich ist seit dem In-Kraft-Treten des GATT (1994) im Hinblick auf die institutionelle Straffung, die Reformierung des Streitbeilegungsmechanismus und die Änderung der Spruchpraxis der Panels eine „Verrechtlichung“ des WTO/GATT-Systems festzustellen.226 Insgesamt stellen diese Abkommen deshalb keine politischen Absichtserklärungen dar, sondern sind Bestandteil der völkerrechtlichen Rechtsordnung, deren Regelungen Normcharakter zukommt.227 Die Argumentation des EuGH geht auf diese Entwicklung des WTO/GATT258 Systems nicht ein, sondern verweist auf den besonderen Streitschlichtungsmecha222 223 224 225 226 227
KOM (1994) 143 endg., S. 5a. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 115. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 115. EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 43, 48) – Van Parys; s. auch Ohlhoff, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, Teil C Rn. 117. S. näher dazu Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 117 ff. S. dazu ausführlich Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S. 112 ff.
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nismus. Doch ist auch dieses Streitschlichtungssystem letztlich auf die Rücknahme der betroffenen Maßnahme ausgerichtet, nur dass den Streitparteien eine gewisse Frist eingeräumt wird, selbstständig eine mit den Vorschriften der Abkommen vereinbare Lösung zu finden. Dass solche Verhandlungen Bestandteil des Streitschlichtungssystems sind, ist darauf zurückzuführen, dass die Verfahren stets auch mit politischen Implikationen behaftet sind, auf die im Rahmen von Verhandlungen zwischen den Verfahrensbeteiligten besser Rücksicht genommen werden kann. Doch soll dies gerade nicht den verpflichtenden Charakter der wettbewerbsrechtlichen Normen in Frage stellen und sie in das Belieben der Mitgliedstaaten stellen. Die Reformierung des WTO/GATT-Systems und vor allem der Streitschlich- 259 tungsregeln sollte die bestehenden Defizite in Einhaltung und Durchsetzung der Welthandelsregeln gerade beseitigen. Die grundsätzliche Ablehnung einer unmittelbaren Wirkung der WTO/GATT-Normen ist insoweit mit deren Sinn und Zweck nicht vereinbar.228 Es ist nicht einsichtig, inwieweit die Feststellung des EuGH, dass eine bestimmte Maßnahme nicht mit dem WTO/GATT-Abkommen vereinbar ist, die Verhandlungsposition der Gemeinschaft verschlechtern soll. Sie erhöht natürlich den Druck, einen mit den Abkommen vereinbaren Zustand herzustellen, doch entsteht diese Verpflichtung nicht erst mit dem Richterspruch des EuGH, sondern bereits mit dem Verstoß gegen die WTO/GATT-Norm.229 Hinzu kommt, dass die Ausnahmen-Rechtsprechung des EuGH in sich nicht 260 konsistent ist.230 So hat der EuGH in seiner ständigen Rechtsprechung anerkannt, dass die europäische Gerichtsbarkeit eine Gemeinschaftshandlung dann am Maßstab der WTO/GATT-Abkommen überprüfen kann, wenn die Gemeinschaft damit eine bestimmte, im Rahmen dieser Abkommen übernommene Verpflichtung erfüllen wollte.231 In der genannten jüngsten Entscheidung zu den Bananenmarktverordnungen232 hat der EuGH festgestellt, dass eine Entscheidung des DSB, die den Verstoß gegen eine Gemeinschaftsverordnung feststellte und zum Erlass einer neuen Verordnung führte, kein Anwendungsfall dieser Rechtsprechung sei.233 Damit setzt sich der EuGH jedoch in Widerspruch zu seiner eigenen Spruchpraxis. So hat er in der Rechtssache Petrotub und Republica ausdrücklich auf die Begründungserwägung einer Verordnung abgestellt, in der auf ein Antidumping-Abkommen hingewiesen wurde, dessen Regeln mittels dieser Verordnung ins Gemeinschaftsrecht übertragen werden sollten.234 Damit hat der EuGH in dieser Entscheidung das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Sinne seiner Rechtsprechung und damit die Überprüfung der Verordnung am Maßstab eines völkerrechtlichen Abkommens 228 229
230 231 232 233 234
Meng, in: FS für Bernhardt, 1995, S. 1063 (1085). Meng, in: FS für Bernhardt, 1995, S. 1063 (1076), weist darauf hin, dass die Einhaltung von WTO/GATT-Normen auch mittels der Instrumente der Wiener Vertragsrechtskonvention erzwungen werden könne; insoweit greife das Argument des Ungleichgewichts nicht durch. Vgl. die Kritik von Steinbach, EuZW 2005, 331 (334 f.). S. nur zuletzt EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 40) – Van Parys. S.o. Rn. 252. EuGH, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 (215, Rn. 41 ff.) – Van Parys. EuGH, Rs. C-76/00 P, Slg. 2003, I-79 (141, Rn. 55) – Petrotub und Republica.
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Kapitel 2 Gemeinschaftliche, nationale und internationale Wettbewerbsordnung
begründet. Auch in der 2. Begründungserwägung der Bananenmarkt-VO (EG) Nr. 1637/98235 wird auf die Verpflichtungen der Gemeinschaft im Rahmen der WTO Bezug genommen, die durch den Erlass dieser Verordnung eingehalten werden sollten, nachdem eine DSB-Entscheidung Verstöße gegen GATT-Vorschriften in der Vorgänger-VO (EWG) Nr. 404/93236 festgestellt hatte.237 Die Bejahung einer Prüfungskompetenz des EuGH könnte zu einer erhöhten 261 Akzeptanz der WTO/GATT-Normen nicht nur innerhalb der Gemeinschaft, sondern auch innerhalb der anderen Mitgliedstaaten dieser Abkommen führen. An dieser Stelle drängt sich eine Parallele zur Entwicklung des Gemeinschaftsvertrags auf, dessen Grundfreiheiten erst mit der Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung ihre Funktion als Maßstabsnormen für die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entfalten konnten und damit erhebliche Bedeutung für die Durchsetzung der Ziele der Gemeinschaft entwickelten.238 Deshalb ist den WTO/GATT-Normen im Ergebnis entgegen der Rechtspre262 chung des EuGH eine Maßstabsfunktion für das europäische Sekundärrecht beizumessen, d.h. die Rechtswidrigkeit etwa von Verordnungen oder Richtlinien kann mit einem Verstoß gegen das in den WTO/GATT-Normen verankerte internationale Handelsrecht begründet werden.239 III.
Die Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EG im Vergleich mit den WTO/GATT-Regeln240
263 Die Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EG sind als Primärrecht gegenüber dem Völkerrecht vorrangig.241 Als höherrangige Normen müssen sie nicht mit den WTO/GATT-Regeln vereinbar sein. Doch ist zum einen fraglich, ob diese normenhierarchische Einordnung ohne weiteres dazu führen kann, dass gegen Primärrecht verstoßende völkerrechtliche Verträge von der Gemeinschaft nicht anzuwenden wären.242 Zum anderen bildet das Primärrecht den Rahmen für das europäische Sekundärrecht, das von der Rangordnung her durchaus in Konflikt mit dem WTO/GATT-Recht geraten kann, wenn auch der EuGH bislang eine Über235 236 237 238 239 240 241 242
VO (EG) Nr. 1637/98 des Rates vom 20.7.1998 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 404/93 über die Gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl. L 210, S. 28. VO (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13.2.1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl. L 47, S. 1. ABl. 1998 L 210, S. 28; weitere Indizien für die Umsetzungsabsicht der EG bei Steinbach, EuZW 2005, 331 (334). Walter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 1 Rn. 37 f. So auch Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 220 ff. Für den Vergleich werden nur die o. bei Rn. 235 ff. dargelegten wichtigsten Handelsgrundsätze des GATT (1994) herangezogen. S. dazu o. Rn. 243. Vgl. dazu Epiney, EuZW 1999, 5 (8), die zu dem Ergebnis kommt, dass die Nichtanwendung eines völkerrechtlichen Vertrags bei Verstoß gegen das Primärrecht nur dann in Betracht kommt, wenn seine Verbindlichkeit aus völkerrechtlichen Gründen nicht (mehr) gegeben ist.
§ 2 Internationale Dimension des europäischen Wettbewerbsrechts
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prüfung von Sekundärrecht am Maßstab dieser Regeln ablehnt. Deshalb ist ein Gegenüberstellen der EG-Wettbewerbsregeln mit den Normen des WTO/GATTSystems nicht nur von rechtsvergleichendem Interesse. Die gegen wettbewerbsbeeinträchtigendes Handeln von Unternehmen und Un- 264 ternehmensvereinigungen gerichteten Art. 81, 82 und 86 EG finden auf der Ebene des GATT keine Entsprechung. Doch ist der Anwendungsbereich teilidentisch mit dem Meistbegünstigungsgrundsatz. So nennt Art. 81 Abs. 1 lit. d) EG als Fallbeispiel für verbotenes Handeln die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, die dadurch Wettbewerbsnachteile erleiden. Dies ist auch nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz verboten, der fordert, allen Handelspartnern dieselben Vorteile zu gewähren. Auch in Art. 87 EG sind Elemente des Meistbegünstigungsprinzips enthalten, da auch er darauf ausgerichtet ist, die wettbewerbsverzerrende Begünstigung einzelner durch staatliche Beihilfen zu verhindern. Umgekehrt finden der Grundsatz der Inländergleichbehandlung sowie das Ver- 265 bot der mengenmäßigen Import- und Exportbeschränkungen keine Entsprechung in den Art. 81 ff. EG. Vielmehr sind sie an anderer Stelle des Vertrags, nämlich bei den Grundfreiheiten im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG mit enthalten. Insgesamt ist festzustellen, dass die Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EG 266 mit den internationalen Handelsregeln des WTO/GATT vereinbar sind und teilweise parallele Anwendungsbereiche haben. Die Problematik der Geltung eines gegen Primärrecht verstoßenden völkerrechtlichen Vertrages stellt sich somit im Hinblick auf die Handelsregeln des GATT (1994) nicht.
Teil II Unternehmenskooperationen und -koordinierungen
Kapitel 3 Kartellverbot
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung A.
Zweck
I.
Spezifische Ergänzung zu den Grundfreiheiten
Die Wettbewerbsregeln stellen zusammen mit den Grundfreiheiten einen freien 267 Wirtschaftsverkehr im europäischen Binnenmarkt sicher1 und erfassen in der Gesamtschau sowohl private als auch staatliche Verhaltensweisen. Das verleiht ihnen erst ihre flächendeckende Effektivität. Aufgrund ihrer sich gegenseitig ergänzenden Funktion überlappen sie sich dabei kaum.2 Das gilt zumal für die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln. Deren bedeutendste Ausprägung ist das an der Spitze stehende Kartellverbot nach Art. 81 EG. Spezifisch das Kartellverbot will privates Verhalten domestizieren, damit der 268 Wettbewerb im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr unverfälscht erfolgen kann. Es sollen nicht von Unternehmen Wettbewerbsbeschränkungen wieder aufgebaut werden, welche in ihren Wirkungen den durch den EG abgeschafften staatlichen Hürden entsprechen.3 Daraus ergibt sich ein spezifischer Funktionszusammenhang zwischen Grundfreiheiten und Kartellverbot, bei dem Letzteres insbesondere die Zoll- und die Warenverkehrsfreiheit in ihrem Erfolg sicherstellt und vor privaten Beeinträchtigungen schützt. Gerade staatsübergreifende Kartelle können Zöllen und Kontingenten in ihrem Effekt gleichkommen, indem Märkte aufgeteilt und Preise abgesprochen werden. Sie dürfen daher nicht an die Stelle staatlicher Maßnahmen treten.4 Ein ungehinderter grenzüberschreitender Wirtschaftsverkehr beruht deshalb auf einem Verbot sowohl staatlicher als auch privater Beeinträchtigungen.
1 2 3 4
Ausführlich o. Rn. 1 ff. O. Rn. 109 ff. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 6. Kommission, XXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1993, KOM (1994) 161 endg., Tz. 212; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 6.
104
Kapitel 3 Kartellverbot
II.
Freier unternehmerischer Wettbewerb als Selbstwert
269 Das Verbot privater Wettbewerbsbeeinträchtigungen dient dazu, den funktionierenden Wettbewerb zwischen autonom entscheidenden Privaten nicht zu verfälschen. Die Selbstständigkeit unternehmerischer Entscheidungen soll erhalten bleiben.5 Der Charakter des Kartellverbots als Freiheitsrecht rückt damit in den Vordergrund. Die Unverfälschtheit des Wettbewerbs steht in enger Verbindung mit der Wettbewerbsfreiheit. In Art. 4 Abs. 1 und 2 EG wird der Wettbewerb denn auch ausdrücklich als freier Wettbewerb benannt, wenngleich in Verbindung mit einer offenen Marktwirtschaft. Dieser Zusammenhang belegt indes die freiheitliche Ausrichtung des Wettbewerbsgedankens. Soweit die Marktwirtschaft in Art. I-3 Abs. 3 VE als in hohem Maße wettbewerbsfähige und soziale propagiert wird, wird dadurch in erster Linie die Wirtschaftspolitik für andere Einflüsse geöffnet. Der Wettbewerb selbst wird aber in Art. I-3 Abs. 2 VE gleichermaßen mit den Adjektiven „frei“ und „unverfälscht“ versehen, und zwar in Verbindung mit dem Binnenmarkt. Somit bleibt weiterhin anerkannt, dass der Wettbewerb ein freier sein muss.6 Daraus ergibt sich weiter gehend, dass die Freiheit unternehmerischer Initiative 270 einen Selbstwert bildet, der in erster Linie über das Kartellverbot sicherzustellen ist. Nur so können auch die übergeordneten Ziele erreicht werden, in deren Kontext der Wettbewerb eingebunden ist. Aus dieser ganzheitlichen Sicht mag der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt kein Selbstzweck sein.7 Indes ist Wettbewerb ohne Freiheit nicht vorstellbar und taugt daher auch nicht für die Erreichung der anderen Vertragsziele. Freier unternehmerischer Wettbewerb bildet deshalb einen Selbstwert, zumal er auch in dieser Kombination an zentraler Stelle im Vertrag genannt wird. Freier Wettbewerb wird insbesondere durch kooperative Verhaltensweisen von 271 Unternehmen und Unternehmensvereinigungen behindert, die dem Wettbewerb zuwider laufen, indem sie einzelne Mitbewerber ausgrenzen. Diese Verhaltensweisen wirken sich stärker wettbewerbsverfälschend aus als etwa staatliche Subventionen, weil sie von den am Wettbewerb Beteiligten kommen und das Gleichgewicht der im Wettbewerb stehenden Unternehmen von innen verschieben. Sie drohen daher neben der Aufrichtung von Handelshürden im grenzüberschreitenden Verkehr etwa durch Gebietsabsprachen die Struktur freien Wettbewerbs zwischen den Konkurrenten schleichend auszuhöhlen und damit eine im Idealfall vom Geiste fairen Wettbewerbs beherrschte Unternehmenskultur zu zerstören. Darum liegt in der wettbewerbsorientierten Handhabung des Kartellverbots der Schlüssel zu einem in sich ruhenden unverfälschten Wettbewerb. Nicht zuletzt deshalb kann gerade das Kartellverbot schwerlich in den Dienst 272 anderer Gemeinschaftsziele gestellt werden, sondern muss eine aus sich selbst wirkende Größe sein, welche die Basis für die Sekundärziele des Wettbewerbs5 6 7
Bunte, in: Langen/Bunte, Einf. EG-Kartellrecht Rn. 25: „Sicherung der unternehmerischen Autonomie“. S.o. Rn. 8 ff. Insoweit abl. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Vorbem. zu Art. 81-89 Rn. 9.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
105
rechts und deren erfolgreiche Einbettung in den Gesamtvertrag bildet. Bei der Auslegung dürfen deshalb nicht beliebig andere Komponenten des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden. Damit der Wettbewerb in freier Entscheidung der einzelnen Wirtschaftsteil- 273 nehmer erfolgen kann, müssen diese zugleich eine unverfälschte Entscheidungsgrundlage haben. Das impliziert zugleich, dass der Wettbewerb ein redlicher sein muss. In der 4. Erwägung zum EG ist denn auch ausdrücklich ein redlicher Wettbewerb genannt. Das Ziel eines freien, redlichen, unverfälschten Wettbewerbs wird nicht um- 274 sonst mit dem Ziel eines wirksamen Wettbewerbs verbunden.8 Die Effektivität ist also mit diesen Anforderungen an den Wettbewerb verknüpft. Der effet-utileGedanke, der bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht immer wieder im Vordergrund steht, lässt sich so konkretisieren und inhaltlich beziehen. Daher ist bei der Interpretation gerade der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln darauf zu achten, dass der Wettbewerb möglichst frei, redlich und unverfälscht ist. III.
Umfassender Wettbewerbsschutz für den Binnenmarkt durch Art. 81 f. EG
In dieser Form bildet der Wettbewerb und damit insbesondere das ihn sicherstel- 275 lende Kartellverbot eine wesentliche Säule des Binnenmarktes, der auch und gerade vor privaten Beschränkungen geschützt werden soll. Trotz Anreicherung des Gemeinschaftsrechts um weitere Elemente handelt es sich insoweit immer noch um eine klassische Konstante des Gemeinschaftsrechts. Es spricht nicht umsonst von einem System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG), das eigens auf den Binnenmarkt bezogen ist. Diese Zielrichtung wie auch die grundlegenden Ziele der auf die Verwirklichung des Gemeinsamen bzw. des Binnenmarktes ausgerichteten Gesamtzielsetzung nach Art. 2 EG haben daher auch prägende Bedeutung für die Auslegung.9 Art. I-3 Abs. 2 VE verbindet den Binnenmarkt explizit mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb. Dessen Ausgangspunkt bildet das Kartellverbot als Basisregel für wettbewerbskonformes Verhalten Privater. Allerdings weist dieses System über das Verbot von Kartellen hinaus, vielmehr 276 will es den unverfälschten Wettbewerb umfassend sicherstellen. Das kann zwar auch in anderen Vorschriften geschehen, und Art. 82 ff. EG enthalten noch verschiedene weitere wettbewerbshindernde Verhaltensformen. Bereits Art. 81 EG benennt Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Er bezieht also die unterschiedlichsten Handlungsformen und -ebenen (horizontal/vertikal) ein und erhebt damit seinen umfassenden Anspruch, einen unverfälschten Wettbewerb
8 9
Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Vorbem. zu Art. 81-89 Rn. 8: „gleichzeitig“. S. nur EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (254, Rn. 32) – Commercial Solvents. Das gilt selbst für das Verfahrensrecht, vgl. EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 (2926, Rn. 25) – Hoechst.
106
Kapitel 3 Kartellverbot
zwischen Unternehmen sicherzustellen.10 Damit ist die Bezeichnung Kartellverbot zu eng. Vielmehr handelt es sich um ein Verbot der Wettbewerbsverfälschung durch mehrere Unternehmen. Handelt nur ein einzelnes Unternehmen, greift hingegen Art. 82 EG ein, ohne 277 darauf begrenzt zu sein („ein oder mehrere Unternehmen“). Um Schutzlücken zu vermeiden, stehen beide Vorschriften in einem Ergänzungsverhältnis, das Anleihen bei der Auslegung erlaubt, um einen umfassenden Wettbewerbsschutz zu ermöglichen.11 Dies ergibt sich aus ihrer gemeinsamen Ausrichtung auf die gemeinschaftsrechtlichen Vertragsziele. Das stellt sie in den Dienst der Verwirklichung derselben Ziele. Sie formen insoweit einen Wirkungsverbund. Dieser verlangt eine Harmonisierung der Auslegung, um die angestrebte umfassende Schutzeffektivität sicherzustellen. Deshalb ist es ausgeschlossen, Art. 81 und 82 EG in einem einander widersprechenden Sinne zu interpretieren.12
B.
Verhältnis zu den anderen Wettbewerbsregeln
I.
Grundsätzliche Idealkonkurrenz zum Missbrauchsverbot
278 Damit ist bereits das Verhältnis zu den anderen Wettbewerbsregeln angesprochen. Art. 81 und 82 EG unterscheiden sich vor allem dadurch, dass sie schon von der Teilnehmerstruktur her verschiedene Verhaltensweisen in den Vordergrund stellen: Art. 81 EG das Zusammenwirken mehrerer Unternehmen, Art. 82 EG hingegen primär die Durchsetzungshandlungen eines Unternehmens. Beide Vorschriften wollen das gleiche Ziel eines wirksamen Wettbewerbs im Binnenmarkt auf unterschiedlichen Ebenen erreichen.13 Trotz ihres gemeinsamen Bezugs namentlich auf das System eines umfassenden Schutzes des Wettbewerbs vor Verfälschungen nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG bilden sie daher „zwei unabhängige Rechtsinstrumente für unterschiedliche Sachverhalte“.14 Damit stehen sie nebeneinander und sind nicht durch ein Verhältnis der Spezialität oder Subsidiarität etwa wegen der Nennung des Kartellverbots an erster Stelle oder seiner umfassenderen Ausgestaltung verbunden. Die Heranziehbarkeit der einen Bestimmung schließt die der anderen nicht aus. 279 Der Wortlaut ist offen und enthält keine sich gegenseitig ausschließenden Tatbestandsmerkmale. Vielmehr überschneiden sich Art. 81 Abs. 1 lit. a), b), d) und e) sowie Art. 82 lit. a)-d) EG. Es besteht daher Idealkonkurrenz.15 Die Verfahrenser10 11 12 13 14 15
Vgl. die ausdehnende Auslegung in der Gesamtschau mit Art. 82 EG in EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. Grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 25 a.E.) – Continental Can: „jedenfalls“, aber mit dem vorhergehend aufgezeigten umfassenderen Ansatz. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (356 f., Rn. 22) – Tetra Pak I. Explizit EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1457, Rn. 33) – Compagnie martitime belge transports sowie vorher z.B. Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1518 ff., Rn. 33 ff.) – Almelo; auch ganz h.M. in der Lit., etwa Aicher/Schuhmacher, in: Gra-
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
107
öffnung in einem Wettbewerbsverfahren kann also nach der einen oder der anderen Bestimmung erfolgen.16 Darüber hinaus können beide in bestimmten Fällen nebeneinander herangezo- 280 gen werden, so wenn die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zugleich das Missbrauchsverbot nach Art. 82 EG erfüllt. Entscheidend ist insoweit nur das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung; eines zusätzlichen Merkmals bedarf es dafür nicht, um beide Vorschriften heranzuziehen.17 Ein anderes Beispiel ist, wenn die Anwendung einer Art. 81 Abs. 1 EG unterfallenden Vereinbarung die Ausnutzung einer missbräuchlichen Stellung bildet.18 Bereits aus diesem letztgenannten Beispiel ergibt sich aber, dass Art. 81 und 82 281 EG regelmäßig nicht gleichzeitig, sondern nacheinander anwendbar sind. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn kooperatives Verhalten zu einer beherrschenden Stellung führt, die dann missbräuchlich ausgenutzt wird. Sind in diesem Fall einander nachfolgende Vorgänge gegeben, können sie jeweils isoliert beurteilt werden. Überlappen sie sich, kann unter Umständen ein Schwerpunkt ermittelt werden, nach dem sich dann die zu prüfende Vorschrift richtet.19 Nach der Konzeption des EuGH richtet sich die mögliche Anwendung des 282 Art. 82 EG danach, ob der bedeutende Anteil an einem Markt auf einer Absprache zwischen mehreren Unternehmen der gleichen Gruppierung beruht. Bei einem Parallelverhalten mehrerer unabhängiger Unternehmen greift hingegen nicht Art. 82 EG unter dem Gesichtspunkt der Kollektivmacht ein. Für diese verlangt der EuGH, dass die relevanten verschiedenen Unternehmen auf einem bestimmten Markt gemeinsam als kollektive Einheit auftreten oder handeln, so dass eine „kollektive beherrschende Stellung“ vorliegt.20 Ansonsten muss ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung besitzen, damit ein missbräuchliches Verhalten relevant wäre.21 Insoweit können freilich Schutzlücken auftreten, welche bei einer weiten Konzeption der Wendung der beherrschenden Stellung durch mehrere Unternehmen zu vermeiden wären. Eine solche ist daher vor dem Hintergrund der im Urteil Continental Can begründeten Zusammenschau von Art. 81 und 82 EG vorzuziehen.
16 17 18 19 20 21
bitz/Hilf, Art. 81 Rn. 40; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 6; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 82 Rn. 37 mit zahlr. weit. Nachw. in Fn. 91 auch mit früheren Veröffentlichungen; a.A. aktuell soweit ersichtlich nur De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 110 f.: Gesetzeskonkurrenz. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (550, Rn. 116) – Hoffmann-La Roche. Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 40 a.E. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (849, Rn. 37; 851, Rn. 46) – Ahmed Saeed Flugreisen. Vgl. o. Rn. 112. EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1458, Rn. 36) – Compagnie maritime belge transports. Näher u. Rn. 1392 ff. EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6010 f., Rn. 20 ff.) – Alsatel.
108
Kapitel 3 Kartellverbot
II.
Gegenseitige Beeinflussung und Abgrenzung von Tatbestand und Rechtfertigung
283 Sind wegen gleichgewichtiger Vorgänge beide Vorschriften einschlägig, ist das Ergebnis deshalb deckungsgleich, weil Kartelle mit beherrschender Stellung nach Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG grundsätzlich nicht freigestellt werden können. Bereits der Konzentrationsgrad auf einem Markt ist im Rahmen einer Freistellungsentscheidung zu berücksichtigen.22 Von daher erscheint die Anwendung von Art. 82 EG überflüssig,23 sollte aber dennoch nicht gänzlich entfallen, falls doch einmal wegen der geringen Beherrschungskraft eines Kartells eine Ausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EG in Betracht kommt. Besteht eine Gruppenfreistellung, ist diese im Einzelfall zu entziehen, nunmehr 284 nach Art. 29 Abs. 1 bzw. 2 VO (EG) Nr. 1/200324 durch die Kommission oder auch eine nationale Wettbewerbsbehörde. Das darin eingeräumte Ermessen ist in dem Maße als gebunden anzusehen, in dem in solchen Fällen aus der Wertung des Art. 82 EG zu entnehmen ist, dass ein absolutes Verbot für die missbräuchliche Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen besteht. Entsprechend sind die Wertungen des Art. 82 EG generell im Rahmen des 285 Art. 81 Abs. 3 EG einzubeziehen.25 Auch darin zeigt sich die gegenseitige Ergänzungsfunktion, die Wertungswidersprüche ausschließt. Insoweit ist das Urteil Continental Can fortzuentwickeln, obwohl sich das EuG in der Beeinflussung der Freistellungstatbestände des Art. 81 Abs. 3 EG nicht festgelegt hatte.26 Immerhin aber hat der EuGH, wie am Beginn dieses Absatzes gezeigt, den Konzentrationsgrad am Markt in die Bewertung mit einfließen lassen.27 Dass Art. 81 und 82 EG im Ausgangspunkt nebeneinander stehen, bedingt die 286 Selbstständigkeit ihrer jeweiligen Systematik. Die Freistellungstatbestände nach Art. 81 Abs. 3 EG und infolge dessen auch die Gruppenfreistellungsverordnungen können nicht für Art. 82 EG fruchtbar gemacht werden,28 weil das Missbrauchsverbot schlicht keine Ausnahmen vorsieht. Das liegt nicht zuletzt in der Schwere des Verstoßes begründet; ein solcher ist daher nicht freistellungsfähig. Das gilt selbst dann, wenn Art. 81 und 82 EG in einem Fall parallel anwendbar sind.29 Die Freistellung beschränkt sich dann auf das Kartellverbot. Nur auf dieses bezieht sich auch der Wortlaut von Art. 81 Abs. 3 EG. Ebenso sind Gruppenfreistellungs22
23 24 25 26 27 28 29
So im Hinblick auf individuelle Freistellungsanträge EuGH, Rs. 43/85, Slg. 1987, 3131 (3154, Rn. 13) – Ancides; KOME 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 (Rn. 91 ff.) – Decca Navigator System. Mittlerweile besteht aber das System der Legalausnahme, so dass keine eindeutige Entscheidung erfolgen muss und daher divergierende Ergebnisse nicht sicher auszuschließen sind. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 39. Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 42. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (637, Rn. 124; 648, Rn. 153 f.) – Matra Hachette. Näher u. Rn. 964 ff. A.A. De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 111. EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (358 f., Rn. 25) – Tetra Pak I.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
109
verordnungen sowohl von ihrem Inhalt als auch von ihrer Funktion auf das Kartellverbot bezogen und betreffen letztlich gleichfalls die Freistellung von einem Verbot und nicht bereits die Unbeachtlichkeit eines Verhaltens im Hinblick auf den Tatbestand.30 Art. 82 EG ist daher uneingeschränkt anwendbar.31 III.
Zusammenschlüsse von Unternehmen
1.
Abgrenzung zur Fusionskontrollverordnung
Art. 81 EG setzt ein Zusammenwirken verschiedener Unternehmen voraus. Ist ei- 287 ne Fusion vollzogen, besteht hingegen regelmäßig nur noch ein Unternehmen. Daher greift das Kartellverbot jedenfalls unmittelbar regelmäßig nicht mehr ein. Das gilt auch für das Missbrauchsverbot, da selbst das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung nicht genügt, sondern deren Missbrauch hinzukommen muss, damit eine unzulässige Verhaltensweise vorliegt. Somit bleiben Fusionen von den Wettbewerbsregeln des EG-Primärrechts weitgehend unerfasst.32 Diese Lücke schließt die Fusionskontrollverordnung. Sie wurde 1989 erlassen33 288 und 2004 neu gefasst.34 Vom materiellen Recht her vermag das Kartellverbot nur noch insoweit zum Zuge zu kommen, als selbstständige Unternehmen zurückbleiben, welche kooperieren. Das kann bereits bei einem bloßen Beteiligungserwerb an einem Konkurrenten der Fall sein.35 Insoweit ist Art. 81 EG anwendbar. Es gilt wettbewerbsrelevante Verhaltensweisen umfassend abzudecken.36 Sekundärrecht vermag daran nichts zu ändern. Allerdings ist die Funktionsweise des Kartellverbots einzubeziehen. Aufgrund 289 der notwendigen Ausgestaltung der EG-Wettbewerbsregeln durch Verordnung nach Art. 83 EG, ohne welche die Kommission Art. 81 EG nicht unmittelbar durchsetzen kann,37 ergeben sich nämlich weitere Beschränkungen. Die FKVO (EG) Nr. 139/2004 schließt in Art. 21 die Geltung des allgemeinen Kartellverfah30 31
32 33
34
35 36
37
Näher EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (360 f., Rn. 29 f.) – Tetra Pak I. EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1480, Rn. 130) – Compagnie maritime belge transports; bereits Rs. C-310/93 P, Slg. 1995, I-865 (904, Rn. 11) – BPB Industries und British Gypsum. Näher u. Rn. 1659 ff. VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 395, S. 1. Wegen einer Reihe von Fehlern, die in den verschiedenen Sprachfassungen der Verordnung enthalten waren, wurde deren gesamter Wortlaut in Form einer berichtigten Textfassung veröffentlicht, ABl. 1990 L 257, S. 13. VO Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 24, S. 1, seit dem 1.5.2004 auf alle Zusammenschlüsse anwendbar, Art. 26 Abs. 2. EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4575, Rn. 31) – BAT und Reynolds. S. näher mit Streitpunkten im Einzelnen z.B. Riesenkampff, WuW 1988, 465 ff.; Satzky, DB 1988, 379 ff.; Schödermaier, WuW 1988, 185 ff.; Steindorff, ZHR 152 (1988), 57 ff.; Vonnemann, DB 1988, 2085 ff.; v. Winterfeld, RIW 1988, 958 ff. S.u. Rn. 303.
110
Kapitel 3 Kartellverbot
rensrechts auf Zusammenschlüsse aus. Daher kann Letztere namentlich nach ihrem Art. 1 die unmittelbare Durchsetzbarkeit des Kartellverbots nicht sicherstellen. Die Kommission kann nur das Fusionskontrollrecht unmittelbar heranziehen. Dieser Ausschluss bezieht sich allerdings nach Art. 21 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/ 2004 ausdrücklich nicht auf Gemeinschaftsunternehmen ohne gemeinschaftsweite Bedeutung nach Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004, welche bezwecken oder bewirken, das Wettbewerbsverhalten von unabhängig bleibenden Unternehmen zu koordinieren. Insoweit greifen die allgemeinen Regeln. Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Kartellverbot und Fusionskontrolle 290 muss daher der Begriff des Zusammenschlusses nach Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/ 2004 sein. Einen solchen bilden Fusionen unabhängiger Unternehmen (Abs. 1 lit. a), der unmittelbare oder mittelbare Kontrollerwerb an einem anderen Unternehmen (Abs. 1 lit. b) sowie Gründungen von Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen (Abs. 4).38 Liegen solche Vorgänge vor, greift ausschließlich die Fusionskontrollverordnung und nicht das Kartellverbot. Das gilt – abgesehen von Art. 21 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 – unabhängig vom Erreichen der Schwellenwerte nach Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Insoweit bestehen regelmäßig auch keine selbstständigen Unternehmen mehr, so dass eine Überschneidung a priori schon sachlich ausgeschlossen ist. Sind hingegen diese Vorgänge nicht gegeben, ist nach Art. 81 EG zu prüfen und das allgemeine Kartellverfahrensrecht einschlägig. So liegt kein Zusammenschluss vor, wenn ein Gemeinschaftsunternehmen nicht auf Dauer die Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt.39 2.
Vereinbarungen zwischen verbleibenden selbstständigen Unternehmen
291 Aber auch bei Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen liegen Fusion und das Verbleiben selbstständiger Unternehmen eng beieinander. Es kann zwar eine fusionierte Einheit vorliegen, die aber das Verhalten von weiterhin eigenständig gebliebenen Unternehmen steuert. Koordinierungen solcher unabhängig bleibender Unternehmen sind gem. Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nach Art. 81 Abs. 1 und 3 EG zu beurteilen. Damit wird dem auf diese Fälle anwendbaren Maßstab des Kartellverbots Rechnung getragen. Die formale Prüfung erfolgt aber im Rahmen und damit auch nach dem Verfahren der Fusionskontrollverordnung.40 3.
Nebenabreden
292 Eine nicht nur formell-, sondern auch materiell-rechtliche Überlagerung des Kartellverbots erfolgt für Nebenabreden, die mit einem Zusammenschluss unmittelbar verbunden und dafür notwendig sind. Derartige direkt mit einer Fusion gekoppelte Nebenabreden sind generell und damit unabhängig von Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) 38 39 40
Zu diesen Tatbeständen im Einzelnen Rn. 1672 ff. Im hiesigen Zusammenhang Langeheine/Dittert, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 22 FKVO Rn. 3 mit Fn. 8. S.u. Rn. 1701 ff.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
111
Nr. 139/2004 der Fusionskontrolle unterworfen. Es können zwar sachliche Überschneidungen mit dem Kartellverbot dadurch auftreten, dass im Hinblick auf Zusammenschlüsse Nebenabreden getroffen werden. Sind sie unmittelbar mit der Durchführung eines Zusammenschlusses verbunden und für diesen notwendig, gelten sie aber nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) und Art. 8 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zusammen mit der positiven Fusionsentscheidung als genehmigt. Damit werden diese Nebenabreden, wie auch Erwägungsgrund 21 der FKVO (EG) Nr. 139/2004 zeigt, in den ausschließlichen Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung einbezogen und dem des Kartellverbots entwunden,41 auch wenn sie zwischen selbstständig bleibenden Unternehmen getroffen wurden. Die Abgrenzung im Einzelnen richtet sich damit letztlich nach dem Umfang der 293 fusionskontrollrechtlichen Freigabeentscheidung, inwieweit diese also Nebenabreden abdeckt, ohne dass dies aber im Einzelnen geprüft wird.42 Nähere Kriterien hierfür ergeben sich aus der Bekanntmachung der Kommission vom 4.7.2001 über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind.43 Fehlt ein solcher enger Zusammenhang der Nebenabrede, findet auf sie in vollem Umfang das Kartellverbot Anwendung. Zusammenschluss und Nebenabrede sind dann getrennt zu betrachten und nach unterschiedlichen Rechtsregeln zu beurteilen.44 IV.
Beihilfenverbot
Das Beihilfenverbot betrifft staatliche Begünstigungen zugunsten von Unterneh- 294 men. Das Kartellverbot kann auf staatliches Verhalten höchstens insoweit Anwendung finden, als dieses wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen fördert oder gar erst ermöglicht. Das kann auch durch gesetzliche Maßnahmen erfolgen. Verschieben diese aber lediglich die Wettbewerbsbedingungen zwischen Unternehmen, fallen sie als solche auch bei einer Begünstigung einzelner Unternehmen regelmäßig nicht unter das Beihilfenverbot, weil dafür eine Zuwendung unter Minderung staatlicher Mittel verlangt wird.45 Selbst bei einer systemwidrigen Begünstigung einzelner Unternehmen mit finanziellen Entlastungen, die unmittelbar zu Lücken in staatlichen Mitteln führen,46 wird es sich praktisch kaum um eine Förderung oder Ermöglichung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen i.S.v. Art. 81 oder auch 82 EG handeln. Eher denkbar sind Überschneidungen im Bereich von Forschungs- und Ent- 295 wicklungskooperationen, die staatlich gefördert werden und in Vereinbarungen von verschiedenen Unternehmen bestehen, die erst auf der Basis von Zuwendungen aus staatlichen Mitteln zustande kommen. Insoweit sind Art. 81 und 87 EG parallel anwendbar, da ganz unterschiedliche Formen von Wettbewerbsbeeinträch41 42 43 44 45 46
Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 44. S.u. Rn. 1724 f. ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 10 ff.). Zum Ganzen u. Rn. 1723 ff. Bes. deutlich EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 (2181, Rn. 58) – PreussenElektra. S. EuGH, Rs. 173/73, Slg. 1974, 709 (719 f., Rn. 33/35) – Italien/Kommission.
112
Kapitel 3 Kartellverbot
tigungen hervortreten: eine Verfälschung durch staatliche Förderung sowie eine solche durch das Zusammenwirken von Unternehmen, wenn dieses auch staatlich begünstigt ist. Indem die staatliche Begünstigung dann auch ein wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen hervorruft bzw. beschirmt, muss sie sich auch daran messen lassen.47 V.
Öffentliche und monopolartige sowie Versorgungsunternehmen
296 Art. 86 EG verweist hinsichtlich der öffentlichen und monopolartigen Unternehmen in Abs. 1 auf die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Regeln, welche die Mitgliedstaaten beachten müssen, und dabei insbesondere auch auf das Kartellverbot nach Art. 81 EG. Die nationalen Behörden dürfen daher diese Unternehmen nicht von wettbewerbsrechtlichen Pflichten freistellen oder ihnen Verstöße dagegen ermöglichen oder erleichtern. Insoweit ist die Geltung der Wettbewerbsregeln auch zulasten der Mitgliedstaaten eigens gemeinschaftsrechtlich festgeschrieben.48 Weiter gehend bezieht sich Art. 86 Abs. 2 EG auf die Unternehmen selbst, wel297 che eine Sonderstellung innehaben. Indem für die Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, insbesondere die Wettbewerbsregeln partiell nicht gelten,49 greifen sie im Grundsatz ein. Art. 86 Abs. 2 EG verpflichtet damit auch diese Gruppe von Unternehmen trotz ihrer Sonderstellung. Insoweit handelt es sich um keine potenziell konkurrierende Norm, sondern um eine Vorschrift, welche die Anwendung namentlich der EG-Wettbewerbsregeln festschreibt. Diese sind damit aufgrund von Art. 86 EG insgesamt zulasten sowohl von öffentlichen und monopolartigen Unternehmen als auch von staatlichen Stellen einschlägig. Alle diese Gruppen dürfen in ihrem Handeln grundsätzlich nicht von den EG-Wettbewerbsvorschriften abweichen. Diese sind daher in Verbindung mit Art. 86 EG anwendbar. Es liegt eine Verweisungsnorm insbesondere auf die Wettbewerbsregeln vor.50
C.
Entwicklung
I.
Primärrecht
298 Die Wettbewerbsregeln bilden wie die Grundfreiheiten eine maßgebliche Konstante des bisherigen Gemeinschaftsrechts. Vorbild des Kartellverbots nach Art. 81 EG war vor allem der mittlerweile außer Kraft getretene Art. 65 EGKS.51 Auch er er47 48 49 50 51
Näher u. Rn. 1954 ff. S. allgemein u. Rn. 1985 ff. S.u. Rn. 2023 ff. Allerdings nur eine eingeschränkte Rechtsgrundverweisung, s. Rn. 1139. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. II 1952 S. 447, in Kraft getreten am 23.7.1952, ausgelaufen am 23.7.2002.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
113
fasste alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen sowie alle Beschlüsse sowohl von Verbänden als auch von Unternehmen. Damit ging er aber nur scheinbar über Art. 81 Abs. 1 EG hinaus. Denn auch die in Art. 81 Abs. 1 EG nur angesprochenen Unternehmensvereinigungen müssen nicht selbst Unternehmen und damit erwerbswirtschaftlich tätig sein, sondern lediglich auf die Folgen abzielen, welche das Kartellverbot unterbinden will.52 Abweichend von der Formulierung „aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen“ erfasste Art. 65 § 1 EGKS „alle verabredeten Praktiken“. In der Sache ergaben sich daraus aber praktisch ebenfalls keine Erweiterungen, da vielmehr Art. 81 Abs. 1 EG nebeneinander bestehende gleiche Verhaltensweisen auch ohne vorherige nachweisbare Verabredung einbezieht, sofern nur eine bewusste Zusammenarbeit besteht; bloße einfache Parallelverhalten sind allerdings ebenfalls nicht inbegriffen.53 Bei allen diesen Verhaltensweisen war erforderlich, dass sie auf Wettbewerbshinderung, -einschränkung oder -verfälschung abzielen würden. Eine entsprechende Bezweckung genügte, ob auch ein Bewirken, geht aus dem Wortlaut selbst nicht eindeutig hervor. Indes ist einem Bewirken zumeist ein Bezwecken vorgelagert; zudem ging es um die Bekämpfung bestimmter Praktiken, die darauf abzielen würden, so dass ein solches Abzielen nicht zwingend erforderlich war. Im Ergebnis war dieses Tatbestandsmerkmal durch die auch in Art. 81 Abs. 1 lit. a)-c) EG aufgeführten Verhaltensweisen spezifiziert. Auch in den möglichen Genehmigungstatbeständen nach Art. 65 § 2 EGKS 299 finden sich Anklänge an den heutigen Art. 81 Abs. 3 EG, der allerdings detaillierter ausgestaltet ist und von daher eine Fortentwicklung bildet, indes nicht mehr formal zwischen Vereinbarungen über Spezialisierung oder gemeinsamen Einoder Verkauf sowie analoge Vereinbarungen trennt, sondern allgemeine Anforderungen in einem Absatz stellt. Darüber hinaus enthält Art. 65 EGKS in den folgenden Absätzen und Paragraphen zusätzliche Verfahrens- und Beweiserhebungsregeln, die weitgehend so oder ähnlich im Rahmen des EG-Kartellverbots auf die Ebene der Verordnung gewandert sind. Geblieben ist allerdings in Art. 81 Abs. 2 EG die Rechtsfolge der Nichtigkeit (s. Art. 65 § 4 Abs. 2 EGKS). Die Regelung des Art. 81 EG blieb seit dem In-Kraft-Treten des EWGV am 300 1.1.1958 unverändert; nur war sie bis zur Amsterdamer Vertragsänderung mit Wirkung zum 1.5.1999 in Art. 85 EGV enthalten. Auch der VE stellt das Kartellverbot nur örtlich um und nimmt es unter Art. III-161 auf, und zwar direkt hinter den Vorschriften über den Kapital- und Zahlungsverkehr. Diese Stellung nach den Grundfreiheiten macht den Bezug zu diesen deutlicher, da die bisherige Trennung von ihnen durch das Verkehrskapitel entfällt. Im Wortlaut wird lediglich der Gemeinsame Markt durch den Binnenmarkt ersetzt. Dieser enthält aber die Gehalte, die bisher an den Gemeinsamen Markt geknüpft waren, und bildet daher den notwendigen Bezugsrahmen für die Unvereinbarkeit und das darauf bauende Verbot.
52 53
Schon EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 88) – van Landewyck. Geiger, Art. 81 Rn. 20 f.
114
Kapitel 3 Kartellverbot
II.
Sekundärrecht
1.
Bleibende Bedeutung
301 Das Kartellverbot selbst war zwar von Anfang an unmittelbar anwendbar.54 Es enthält ein direkt zwischen Privaten wirksames Verbot. Dieses Verbot ist seiner Natur nach geeignet, zwischen Privaten Rechte entstehen zu lassen, welche die Gerichte zu wahren haben. Das Sekundärrecht kann hieran nichts ändern, also den nationalen Gerichten nicht die Urteilskompetenz verwehren, sondern nur die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Behörden einschränken.55 Die Bedeutung des Sekundärrechts lag und liegt indes darin, dass gem. Art. 83 302 EG die in Art. 81 f. EG niedergelegten Grundsätze durch Verordnungen verwirklicht und dabei die Zuständigkeiten zwischen Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden abgegrenzt werden. Ohne Verordnungen entscheiden nach Art. 84 EG die nationalen Behörden auch im Hinblick auf die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und dabei vor allem wegen etwaiger Freistellungen vom Kartellverbot. Sie unterstehen nach Art. 85 EG nur der Aufsicht durch die Kommission, die untersuchen und feststellen, aber die Wettbewerbsvorschriften nicht durchsetzen kann. Auch Art. 85 Abs. 2 EG ermöglicht der Kommission nur eine Feststellungsentscheidung, die allerdings die Unvereinbarkeit mit Art. 81 EG definitiv feststellt und von den nationalen Gerichten zugrunde zu legen ist.56 Außerhalb dieses gestuften Verfahrens kann die Kommission nicht über eine 303 Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG befinden, was die Grundlage für eine abschließende Entscheidung und damit auch eine Nichtigkeit gem. Art. 81 Abs. 2 EG bildet; verboten im Sinne dieser Vorschrift ist eine Maßnahme erst dann, wenn sie den Tatbestand des Kartellverbots erfüllt und zudem keine Freistellung eingreift.57 Damit wird die Durchsetzungsmacht der Kommission, wie auch die in Art. 83 Abs. 2 EG vorgesehenen Regelungskomponenten belegen, erst durch eine Verordnung begründet. Diese Funktion erfüllte bislang die VO Nr. 17,58 die sog. Kartellverordnung. Sie 304 begründete in Art. 9 Abs. 1 die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission für Freistellungen nach Art. 81 Abs. 3 EG. Hingegen können Art. 81 und im Übrigen 82 EG schon aufgrund ihrer unmittelbaren Wirkung daneben auch von den nationalen Gerichten angewendet werden.59 Die nationalen Behörden blieben insoweit 54
55 56 57 58
59
Ohne bestimmten Anfangszeitpunkt EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 (62, Rn. 15/17) – BRT/SABAM I; auch z.B. Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11428, Rn. 47) –Masterfoods. EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 (62, Rn. 15/17) – BRT/SABAM I; Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 (2500, Rn. 13) – Estée Lauder. EuGH, Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 (1469 f., Rn. 63, 68 f.) – Asjes. EuGH, Rs. 13/61, Slg. 1962, 99 (112 f.) – Bosch. VO Nr. 17 des Rates – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABl. Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1216/1999, ABl. 1999 L 148, S. 5; mit Ausnahme von Art. 8 Abs. 3 für Altfälle außer Kraft getreten mit Ablauf des 30.4.2004, Art. 43 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003. S.o. Rn. 301; auch EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (991 f., Rn. 44 f.) – Delimitis; Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11428, Rn. 47) – Masterfoods.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
115
allerdings nur so lange zuständig, wie die Kommission noch kein Verfahren eingeleitet hatte; Art. 9 Abs. 3 VO Nr. 17 verwies auf Art. 84 EG. Art. 10 VO Nr. 17 sicherte den Informationsaustausch mit und die Beratung durch die nationalen Kartellbehörden. Art. 3 VO Nr. 17 ermöglichte der Kommission Verpflichtungsentscheidungen, um Zuwiderhandlungen abzustellen. Voran ging ein Anmeldeverfahren nach Art. 4 ff. VO Nr. 17. Danach hatten Unternehmen ihre beabsichtigten Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen grundsätzlich anzumelden, damit eine Freistellungsentscheidung nach Art. 81 Abs. 3 EG getroffen werden konnte. Verstöße konnte die Kommission gem. Art. 15 und 16 VO Nr. 17 mit Geldbußen und Zwangsgeldern ahnden. Damit waren die Eckpunkte bestimmt, um den unternehmensbezogenen Wett- 305 bewerbsregeln zu effektiver Geltung zu verhelfen. Sie werden seit 1.5.2004, wenn auch in vielfach geänderter Form, durch die VO (EG) Nr. 1/200360 ausgefüllt. Insbesondere enthält diese Verordnung weiterhin eine generelle Zuständigkeit der Kommission (Art. 4) und gibt ihr hinreichende Ermittlungsbefugnisse (Art. 17 ff.) sowie Sanktionsmöglichkeiten durch Geldbußen und Zwangsgelder (Art. 23 f.). 2.
Mehrfacher Paradigmenwechsel durch die VO (EG) Nr. 1/2003
Da das Primärrecht im Bereich der Wettbewerbsregeln im Zuge der Vertragsände- 306 rungen praktisch unangetastet blieb und der Ausfüllung durch Verordnungen bedurfte, um voll durchsetzbar zu sein, erfolgten die maßgeblichen Änderungen des EG-Kartellrechts auf der Ebene der Rechtsverordnungen. Über 40 Jahre galt die VO Nr. 17, nämlich ab ihrem In-Kraft-Treten am 12.3.1962. An ihre Stelle trat mit Wirkung ab 1.5.2004 die KartellverfahrensVO (EG) Nr. 1/2003, welche die bisher fest anerkannten und etablierten Grundsätze nicht unerheblich verschob. Insbesondere trat an die Stelle des bisherigen Anmeldeverfahrens das System der Legalausnahme. Damit gilt auch die Freistellung von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen, welche die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, unmittelbar. Nach Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 bedarf es auch insoweit ausdrücklich keiner vorherigen Entscheidung. Damit ist der vom EuGH ursprünglich angebrachte Entscheidungsvorbehalt 307 durch Verordnung überspielt. Das lässt sich dadurch erklären, dass der EuGH diesen Vorbehalt im Hinblick auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vor In-KraftTreten der Kartellverordnung anbrachte. Er wollte vermeiden, dass diese Maßnahmen zunächst als nichtig angesehen und dann doch freigestellt wurden.61 Dieses Bedürfnis besteht angesichts der erfolgten Konkretisierung auf Verordnungsebene und der Einbeziehung auch der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG in den Verbotstatbestand nach Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht mehr. Ein Verbot besteht nunmehr von vornherein nur, wenn der Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt ist und zudem die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 81 Abs. 3 EG nicht vorliegen. In beiderlei Hinsicht bedarf es keiner Entscheidung mehr. Damit
60 61
ABl. 2003 L 1, S. 1. EuGH, Rs. 13/61, Slg. 1962, 99 (112 f.) – Bosch.
116
Kapitel 3 Kartellverbot
entfällt auch die Konzentration der Freistellungsentscheidung bei der Kommission nach Art. 9 Abs. 1 VO Nr. 17. Eine Vorreiterfunktion für die Abkehr vom Anmeldeverfahren hatte insofern 308 bereits die VO (EG) Nr. 1216/1999 zur Änderung der VO Nr. 17,62 welche vertikale Absprachen auch dann von der Anmeldepflicht bei der Kommission befreite, wenn sie nicht unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fielen und daher eigentlich der Einzelfreistellung bedurften; die weiterhin möglichen freiwilligen Anmeldungen erfolgten kaum noch.63 Der Wechsel vom Anmeldeverfahren zur Legalausnahme ermöglicht es auch, 309 dass nationale Gerichte und Behörden und nicht mehr ausschließlich die Kommission über die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG befinden.64 Diese Freistellungsmerkmale sind damit dem Tatbestand des Kartellverbotes gleichgestellt, dessen Beurteilung wegen seiner unmittelbaren Anwendbarkeit bereits bisher auch den nationalen Gerichten offen stehen musste.65 Die nationalen Behörden befanden sich allerdings nach Art. 9 Abs. 3 VO Nr. 17 in einer subsidiären Stellung. Dass damit auf behördlicher Ebene die Kommission auch den Tatbestand des Kartellverbots grundsätzlich durchgehend beurteilte, ist in der VO (EG) Nr. 1/2003 durch eine nahezu gleichberechtigte Stellung der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden und ein Netz intensiver Zusammenarbeit abgelöst.66 Damit einher gehen auch verfahrensmäßige Änderungen großen Stils, welche nur teilweise vorher in Einzelbereichen angelegt waren.67 3.
Materielle Rücknahme der Wettbewerbskontrolle
310 In die nunmehr durch die VO (EG) Nr. 1/2003 definitiv eingeschlagene Richtung zeigten bereits vorherige Änderungen von Verordnungen und Bekanntmachungen in den Neunzigerjahren. Die Anmeldepflicht wurde faktisch dadurch zurückgenommen, dass die Kommission in ihrer Bagatellbekanntmachung von 199768 auf die traditionelle Anmeldepflicht ab einem bestimmten Umsatz verzichtete, womit Großunternehmen mit hohem Gesamtumsatz, aber bislang geringem Marktanteil herausfielen, für vertikale Absprachen die Marktanteilsschwelle auf 10 % anhob und die Kartellaufsicht über kleine und mittlere Unternehmen aufgab.69 Diese Rücknahme der Durchsetzung des Kartellverbots wog auch die lediglich 311 punktuelle Verschärfung im Bereich der „Kernbeschränkungen“ nicht auf: Horizontale Preis-, Quoten- und Marktaufteilungskartelle wurden ebenso wie in Verti62 63 64 65 66 67 68
69
Vom 10.6.1999, ABl. L 148, S. 5. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 46 a.E. unter Verweis auf die Kommission, XXXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2001, SEK (2002) 462 endg., S. 60. Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 5. S. vorstehend Rn. 304. Ausführlich u. Rn. 1430 ff. S. sogleich Rn. 315 f. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft fallen, ABl. 1997 C 372, S. 13. S. Abschnitt III der Bekanntmachung, ABl. 1997 C 372, S. 13.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
117
kalabsprachen enthaltene Preisbindungsklauseln und Gebietszuweisungen als solche und damit unabhängig von Marktanteilen der Beteiligten als spürbar angesehen („qualitative Spürbarkeit“). Darin wird eher die beabsichtigte Konzentration auf faktisch nicht nach Art. 81 Abs. 3 EG freistellungsfähige Absprachen deutlich.70 Dieser Prozess wurde dadurch verstärkt, dass nach den Leitlinien für vertikale Beschränkungen und über horizontale Zusammenarbeit71 lediglich diese Kernbeschränkungen durchgehend unter das Kartellverbot fallen sollen, sonstige Beschränkungen aber nur dann, wenn zumindest einer der Beteiligten über Marktmacht verfügt. Darin zeigt sich eine weitere Rücknahme der Wettbewerbskontrolle. Verordnungen72 erweiterten zudem den Bereich der gesetzlichen Ausnahmen 312 vom Kartellverbot. Die Grundlage dafür bildete für vertikale Absprachen die Erweiterung möglicher Gruppenfreistellungen durch Art. 1 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 1215/199973 auf alle, außer sie haben die Übertragung oder Nutzung von gewerblichen Schutzrechten oder von Know-how zum Gegenstand. Diesen Spielraum nutzte die Kommission bereits in der VO (EG) Nr. 2790/199974 voll aus. Eine Einschränkung für eine Gruppenfreistellung besteht danach nur insoweit, als die an der vertikalen Absprache beteiligten Unternehmen höchstens 30 % Marktanteil haben (Art. 3 VO (EG) Nr. 2790/1999) und keine besonders schädlichen Wettbewerbsbeschränkungen vereinbaren oder praktizieren dürfen (Art. 4 VO (EG) Nr. 2790/1999). Im Übrigen gilt ein Vorbehalt von Spezialregelungen. Insbesondere blieb im Kraftfahrzeugbereich der branchenspezifische Ansatz erhalten. Er wurde verschärft, indem die VO (EG) Nr. 1400/200275 die Verbindung von Allein- mit selektivem Vertrieb nicht mehr vom Kartellverbot freistellt.
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S. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 42. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1; Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2. Insbes. VO (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 336, S. 21; VO (EG) Nr. 2658/2000 und VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen und Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. L 304, S. 3 und 7. Des Rates vom 10.7.1999 zur Änderung der VO Nr. 19/65/EWG über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 148, S. 1; s. auch Art. 1 Abs. 1 lit. a) der dadurch geänderten VO Nr. 19/65/EWG vom 2.3.1965, ABl. Nr. 36, S. 533. ABl. 1999 L 336, S. 21. VO (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. L 203, S. 30, welche die VO (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28.6.1995 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge, ABl. L 145, S. 25 ablöste.
118
Kapitel 3 Kartellverbot
Während solche Spezialregelungen im Bereich der vertikalen Absprachen und Vereinbarungen die Ausnahme bilden, haben sie für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen ein viel stärkeres Gewicht. Aber auch in diesem Feld wurde der Rahmen möglicher Freistellungen deutlich erweitert, und zwar nach dem Vorbild der vorerwähnten VO (EG) Nr. 2790/1999:76 Die Grundlage bildet, dass bestimmte Marktanteilsgrenzen und Bedingungen eingehalten werden sowie Kernbeschränkungen fehlen, welche in einer „schwarzen Liste“ präzisiert sind. Auf dieses System sind sowohl die Verordnung für Spezialisierungsvereinbarungen77 als auch die Verordnung für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen78 bezogen, die auch darüber hinaus Erleichterungen für eine Freistellung brachten.79 Schließlich wurde die gebietsübergreifende Rücknahme des Kartellverbots da314 durch verstärkt, dass die Marktanteilsschwellen in der Bagatellbekanntmachung von 200180 für vertikale Absprachen81 nochmals auf nunmehr 15 % und für horizontale Absprachen von 5 % auf 10 % angehoben wurden. Für Absprachen mit darunter liegenden Werten sollten allenfalls nationale Vorschriften eingreifen und mitgliedstaatliche Maßnahmen einschlägig sein können.82 313
4.
Stärkere Einbeziehung der Mitgliedstaaten
315 Zudem wurden die mitgliedstaatlichen Stellen bereits vor Erlass der VO (EG) Nr. 1/2003 aufgewertet. Schon die Zusammenarbeitsbekanntmachung von 199383 enthielt stärkere Möglichkeiten für eine Unterstützung der nationalen Gerichte durch die Kommission bei der Anwendung der unmittelbar wirksamen gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln. Eine nähere Regelung hat diese Frage nunmehr in Art. 15 VO (EG) Nr. 1/2003 erfahren.84 Die vermehrte Zuständigkeit der nationalen Gerichte nach Art. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 wird durch eine explizite Pflicht
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Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 53. VO (EG) Nr. 2658/2000, ABl. 2000 L 304, S. 3; s. insbes. Art. 1, 3, 4 u. 5. VO (EG) Nr. 2659/2000, ABl. 2000 L 304, S. 7; s. v.a. Art. 1, 3, 4 u. 5. So die Einbeziehung auch einseitiger Spezialisierungen (Art. 1 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2658/2000) bzw. die Erweiterung der Freistellung unabhängig vom Marktanteil von fünf auf sieben Jahre (Art. 4 Abs. 1 u. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000). Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Diese wurden allerdings enger gefasst. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft fallen, ABl. 1997 C 372, S. 13 (Rn. 8). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 85 und 86 des EWG-Vertrags, ABl. 1993 C 39, S. 6. Weitere Einzelheiten finden sich in der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 54 (Rn. 15 ff.).
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
119
zur Harmonisierung mit den Entscheidungen der Kommission nach Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 aufgefangen. Die jetzt in Art. 11 ff. VO (EG) Nr. 1/2003 institutionalisierte Kooperation zwi- 316 schen gemeinschaftlicher und nationaler Wettbewerbsebene wurde schon vorher in der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten85 behandelt, allerdings um die nach Art. 9 Abs. 3 VO Nr. 17 festgelegte subsidiäre Zuständigkeit für die Durchsetzung der EG-Wettbewerbsregeln zu aktivieren.86 Darin zeigt sich aber bereits die geplante Umverteilung der Zuständigkeit hin zu den Mitgliedstaaten, ohne dass freilich der damals bestehende Rechtsrahmen geändert werden sollte. Dies erfolgte nun durch die VO (EG) Nr. 1/2003. Dass auch die Mitgliedstaaten den Rechtsvorteil aus einer Gruppenfreistellungsverordnung im Einzelfall entziehen können, wenn auf ihrem Gebiet oder einem darauf befindlichen gesonderten Teilmarkt (s. Art. 29 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003) wettbewerbswidrige Verhaltensweisen auftreten, sah für vertikale Absprachen bereits Art. 1 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1215/1999 vor.87
D.
Systematik
I.
Struktur in Parallele zu den Grundfreiheiten
Die Grundstruktur der Wettbewerbsregeln liegt parallel zu der bei den Grundfrei- 317 heiten: Ein Schutzbereich ist definiert, indem ein bestimmtes Schutzgut benannt wird. Im Falle des Kartellverbotes nach Art. 81 Abs. 1 EG ist dies der unverfälschte Wettbewerb. Zu dessen Schutz sind allerdings bestimmte Verhaltensweisen verboten. Treten diese auf, kann der unverfälschte Wettbewerb bedroht sein. Ausgangspunkt der Prüfung ist aber nicht das Vorliegen einer Wettbewerbssituation, sondern ob eine näher benannte Verhaltensweise vorliegt. Daher ist die Bezeichnung „Anwendungsbereich“ sachgerechter.88 Benannt werden Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Diese werden in Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG beispielhaft präzisiert. Ist eine der benannten Grundverhaltensweisen gegeben, ist der Anwendungsbereich des Kartellverbots eröffnet. Hinzu kommen muss allerdings eine Beeinträchtigung. Hierfür genügt nach 318 Art. 81 Abs. 1 EG eine Eignung dazu, wie dies auch im Rahmen der Grundfreiheiten der Fall ist.89 Hier ist die Eignung wie im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit auf eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten bezogen. Ei85
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Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Bearbeitung von Fällen im Anwendungsbereich der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1997 C 313, S. 3. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 44. S. auch Art. 7 Abs. 2 der dadurch geänderten VO Nr. 19/65/EWG. S.o. Rn. 56. Insoweit grundlegend EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville. S.o. Rn. 76 ff.
120
Kapitel 3 Kartellverbot
ne solche Eignung reicht auch für die zweite Komponente der Prüfung der Beeinträchtigung, nämlich ob eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird. Eine Bezweckung liegt nämlich dann vor, wenn eine Maßnahme zumindest dazu geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Ansonsten ist sie von vornherein untauglich, und eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs ist ausgeschlossen. Hinzu kommen muss aber noch eine subjektive Komponente, nämlich der Wil319 le zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Sie ist nur dann entbehrlich, wenn der Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigt wird und damit seine Beschränkung bewirkt wird. Eine Alternativität besteht zwar auch im Rahmen der Grundfreiheiten; bei ihnen genügt es allerdings, dass eine Maßnahme geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Verkehr aktuell oder potenziell zu behindern.90 Ein subjektives Element muss also nicht vorliegen, die Eignung zur Beeinträchtigung, und sei es auch in der Zukunft, genügt in jedem Fall. Wie bei den Grundfreiheiten durch Art. 30, 39 Abs. 3, 46 (i.V.m. 55) und 58 320 EG werden von Art. 81 Abs. 3 EG explizite Befreiungstatbestände für wettbewerbsbeeinträchtigende Verhaltensweisen benannt. Trotz der Formulierung „können für nicht anwendbar erklärt werden“, die eher den Anwendungsausschlüssen im Rahmen der Grundfreiheiten nach Art. 39 Abs. 4 und 45 (i.V.m. 55) EG entspricht, handelt es sich insoweit um Rechtfertigungsgründe, weil eine Prüfung der Angemessenheit und Unerlässlichkeit ausdrücklich gefordert wird.91 Diese Prüfung markiert Schranken und ist daher den Rechtfertigungsschranken im Rahmen der Grundfreiheiten gleichzustellen. Damit ergibt sich ein weitgehend paralleler Aufbau zur Prüfung der Grundfreiheiten. Die Hauptunterschiede des Kartellverbotes sind die verhaltens- statt schutzgutbezogene Anknüpfung des Verbotes bestimmter Maßnahmen und die primäre Verpflichtung von Unternehmen. II.
Anwendungsbereich
1.
Persönlich
321 Als erste Wettbewerbsregel verpflichtet Art. 81 Abs. 1 EG Unternehmen sowie Unternehmensvereinigungen, also Zusammenschlüsse von Unternehmen, um deren Interessen wahrzunehmen. Diese personelle Komponente wird im Rahmen des Kartellverbots gemeinhin an erster Stelle geprüft. Dadurch lassen sich unbeachtliche Verhaltensweisen vielfach schon ausscheiden. So ist das Verhalten privater Verbraucher, aber auch dasjenige von Handelsvertretern, die in den Betrieb eingebunden sind, mangels eigener Unternehmereigenschaft nicht umfasst,92 ebenso 90 91 92
EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville. Näher mit weiteren Aspekten o. Rn. 83 ff. Mit Abgrenzungsschwierigkeiten und -differenzen im Einzelnen, s.u. Rn. 349 ff. Der EuGH stellt auf das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit ab, z.B. Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 (3516, Rn. 19) – Volkswagen und VAG Leasing für Handelsvertreter; Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 (5495 f., Rn. 15 ff.) – Viho im Hinblick auf Tochtergesellschaften.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
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wenig das staatlicher Einheiten, soweit diese nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und damit so wie Private unternehmerisch handeln. Art. 86 Abs. 1 EG hebt die Geltung der Wettbewerbsregeln für öffentliche und mit besonderen Rechten betraute Unternehmen hervor, und auch Art. 86 Abs. 2 EG mit seiner Ausnahme belegt die Regel, dass staatlich eingeschaltete Unternehmen grundsätzlich den Wettbewerbsregeln unterliegen. Hier kommt auch die Parallele zu den Grundfreiheiten durch, welche gleichfalls 322 auf öffentliche Unternehmen Anwendung finden, wie Art. 48 Abs. 2 EG deutlich macht,93 der sogar juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Erwerbszweck einbezieht und namentlich in diesem Punkt für alle Grundfreiheiten steht.94 Handeln staatliche Einheiten ohne Erwerbszweck, können sie nur insoweit aus dem Kartellverbot verpflichtet sein, als sie auf das Verhalten von Unternehmen einwirken, indem sie deren Wettbewerbsverstöße hervorrufen oder begünstigen.95 Neben diesen Anhaltspunkten im Wortlaut ist Art. 81 EG wirkungsbezogen zu 323 interpretieren. Das bedingt ein weites Verständnis. Auf die Rechtsform oder die Gewinnerzielungsabsicht kommt es hingegen nicht an. Entscheidend ist die Möglichkeit, auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen negativ einzuwirken. Diese fehlt etwa einer Tochtergesellschaft, die den Anweisungen ihrer Muttergesellschaft gehorchen muss. Entscheidend ist die eigene Teilnahme am Wettbewerb, die fehlt, wenn ein Unternehmen keine eigenen autonomen Entscheidungen zu treffen vermag, sondern denen einer anderen Gesellschaft folgen muss und auch folgt.96 Dann besteht eine wirtschaftliche Einheit.97 Ihre Untergliederungen können mangels eigener Beteiligung am Wettbewerb untereinander keine Vereinbarung nach Art. 81 EG treffen. Sie handeln vielmehr einseitig gegenüber den Wettbewerbspositionen Dritter, so dass nur Art. 82 EG erfüllt sein kann.98 2.
Räumlich
Mit der Frage des personellen Anwendungsbereichs ist die des räumlichen eng 324 verknüpft. Auch das Kartellverbot gilt gem. Art. 299 EG für das Gebiet der Gemeinschaft. Wirkt sich das Verhalten in der EU ansässiger Unternehmen auf dem Gebiet anderer Staaten aus, gehen diese Wettbewerbsbeeinträchtigungen immerhin vom Gebiet der Gemeinschaft aus, tangieren allerdings nicht den in Art. 81 EG geschützten und zum Maßstab erhobenen Gemeinsamen Markt. Dieser wird jedoch beeinträchtigt, wenn Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU auf ihm agieren oder ihn mit ihrem Verhalten zumindest negativ beeinflussen. Im ersten Fall gilt das Territorialitätsprinzip ohne Weiteres. Im zweiten Fall besteht eine räumli93 94 95 96 97 98
Diese Vorschrift im vorliegenden Kontext nennend Geiger, Art. 81 Rn. 6. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 233, 236 ff. Mittlerweile st. Rspr., z.B. EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3998, Rn. 49) – Corsica Ferries II unter Hinzuziehung von Art. 10 EG; näher u. Rn. 1956 ff. S. bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (255 f., Rn. 39 ff.) – Commercial Solvents. EuGH, Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 (5495 f., Rn. 15 f.) – Viho für Tochtergesellschaften; Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (255 f., Rn. 39 ff.) – Commercial Solvents. EuGH, Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 (5496, Rn. 17) – Viho. Näher u. Rn. 373 ff.
122
Kapitel 3 Kartellverbot
che Anknüpfung nicht im Hinblick auf das Verhalten, sondern nur wegen der Auswirkungen. Lässt man diese unter Rückgriff auf das Ahlström-Urteil des EuGH genügen,99 erstreckt sich das Kartellverbot auch auf Handlungen jenseits der Grenzen der EU, was völkerrechtlich nicht unproblematisch, aber letztlich mit dem EuGH unter Rückbezug auf das Territorialitätsprinzip zulässig ist.100 Damit bilden der Gemeinsame Markt und die Auswirkungen auf ihn den maß325 geblichen Bezugspunkt, um die räumlichen Grenzen des Kartellverbots festzulegen. Der räumliche Anwendungsbereich reicht dadurch wirkungsbedingt über den der personenbezogenen Grundfreiheiten hinaus, welche an die Grenzen des Art. 48 EG stoßen, der für Gesellschaften zumindest einen Sitz in der Gemeinschaft verlangt. Die sachbezogenen Grundfreiheiten sind demgegenüber ebenfalls wirkungsbezogen zu sehen und beziehen Drittstaatsangehörige ein.101 3.
Sachlich
326 Damit leitet die Frage des räumlichen Anwendungsbereiches zu den sachlich relevanten Bestandteilen des Kartellverbots über. Als potenzielle Angriffe auf das Schutzgut der Norm, den unverfälschten Wettbewerb,102 werden Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sachlich erfasst und jeweils personell bezogen. Da Art. 81 EG in Abgrenzung zu Art. 82 EG nur das Verhalten mehrerer Unternehmen erfasst, sind Beschlüsse mit Unternehmensvereinigungen als Unternehmenszusammenschlüssen und damit Kooperationen mehrerer Unternehmen verbunden. Vereinbarungen werden mit Unternehmen genannt, während die abgestimmten Verhaltensweisen nicht mit einem Urheber gekoppelt werden, freilich zumeist ebenfalls von Unternehmen ausgehen werden. Alle diese Verhaltensweisen gilt es zur Vermeidung negativer Wirkungen auf den Wettbewerb zu erfassen. Daher erübrigt sich bei Überschneidungen eine Differenzierung im Einzelnen, sofern nur eine Verhaltensweise sicher gegeben ist. In Randbereichen gilt es darauf zu achten, dass auch in der Zusammenschau mit Art. 82 EG, mit dem gemeinsam das Kartellverbot den Wettbewerb umfassend sichern soll,103 keine Schutzlücken entstehen. Allerdings führten einige ungeschriebene Tatbestandsmerkmale zur Ausklam327 merung bestimmter Verhaltensweisen. Dadurch treten aber keine Schutzlücken auf, weil der Zweck des Kartellverbots gewahrt bleibt und höchstens unnötiger Ballast abgeworfen wird, um die erfassten Verhaltensweisen noch überschaubar zu halten und sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Ausdruck des Schutzzwecks ist die Herausnahme von solchen Verhaltensweisen, die gerade der Verwirklichung des Wettbewerbs dienen und diesen damit befördern, indem sie etwa die Entwicklung neuer Produkte erst ermöglichen.104 Das ist aber eine Frage 99 100 101 102 103 104
EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 16 f.) – Ahlström. EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 18) – Ahlström. Ausführlich dazu o. Rn. 197 ff. Frenz, Europarecht 1, Rn. 223, 225 ff. S.o. Rn. 53, 56. S.o. Rn. 57. Deutlich EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 57 f.) – Nungesser.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
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der Störung und damit der Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Die Einflechtung einer Rule of Reason, die umfassend Vor- und Nachteile von wettbewerbsrelevanten Verhaltensweisen abwägt, würde dagegen über diese zweckbezogenen Ausnahmen hinausgehen und die strikte Kontur des Kartellverbots verwischen. Sie hat sich deshalb in der Rechtsprechung des EuGH zu Recht nicht etablieren können.105 Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs entspricht der Parallelentwicklung 328 im Rahmen der Grundfreiheiten durch die Keck-Rechtsprechung. Diese lässt sich selbst freilich schwerlich auf das Kartellverbot übertragen, da gerade vertriebsbezogene Vorgänge106 besonders anfällig für wettbewerbsbeeinträchtigende Verhaltensweisen sind, wie die Beispiele nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG zeigen. Für den Wettbewerb unbedeutende Verhaltensweisen schließt das ungeschrie- 329 bene Merkmal der Spürbarkeit aus, welches im Rahmen der Grundfreiheiten gerade keine Anwendung finden kann, da diese sämtliche Vorgänge erfassen wollen.107 Durch die Bagatellbekanntmachungen der Kommission wird insoweit die relevante Schwelle festgelegt, ab der von Art. 81 Abs. 1 EG erfasste Verhaltensweisen überhaupt einen Verstoß gegen das Kartellverbot begründen können. Unterhalb sind sie nicht dafür geeignet, den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt negativ zu beeinflussen, weil sie schlicht insoweit keine Rolle spielen. Die Reichweite des Kartellverbots wird dadurch eingeschränkt, aber zugleich effektuiert, indem unbedeutende Fälle nicht in sein Blickfeld geraten. Zugleich sind diese Vorgänge nicht geeignet, eine Beeinträchtigung im Handel zwischen Mitgliedstaaten hervorzurufen. Das gilt auch für Verhaltensweisen, die den Wettbewerb gerade fördern. Die ungeschriebenen Bereichsausnahmen im Rahmen des Kartellverbots haben daher einen engen Bezug zur Beeinträchtigung, schließen diese allerdings von vornherein aus. III.
Beeinträchtigung
Ist der Anwendungsbereich persönlich, räumlich und sachlich eröffnet, setzt das 330 Kartellverbot weiter voraus, dass die fragliche Verhaltensweise geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Zudem muss sie bezwecken oder bewirken, dass der Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes verhindert, eingeschränkt oder verfälscht wird. Im ersten Fall genügt wie bei den Grundfreiheiten die Eignung zu negativen Wirkungen auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr. Diese müssen also entsprechend der Dassonville-Formel108
105
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S. aus jüngerer Zeit EuG, Rs. T-14/89, Slg. 1992, II-1155 (1246, Rn. 265) – Montedipe; T-148/89, Slg. 1995, II-1063 (1107 f., Rn. 109) – Tréfilunion; im Übrigen u. Rn. 720 ff. sowie o. Rn. 67 ff. auch zum Folgenden. Auf diese bezieht sich die Keck-Rechtsprechung; grundlegend EuGH, Rs. C-267 u. 268/91, Slg. 1993, I-6097 (6131, Rn. 16) – Keck. EuGH, Rs. 16/83, Slg. 1984, 1299 (1326, Rn. 20) – Prantl. EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville.
124
Kapitel 3 Kartellverbot
nicht bereits eingetreten, sondern nur möglich sein. Außerdem können sie mangels Beschränkung auch in mittelbaren Folgen bestehen.109 Weit konzipiert ist auch die zweite Voraussetzung. Für diese muss nur eine 331 subjektive oder eine objektive Bedingung vorliegen. Entweder muss die Absicht bestehen, den Wettbewerb zu beeinträchtigen oder gar auszuschalten. Oder dieser Effekt muss tatsächlich eingetreten sein. Damit ist weder stets ein Nachweis der subjektiven Komponente notwendig, weil die objektive Wirkung genügt, noch müssen die tatsächlichen Auswirkungen näher festgestellt werden, wenn bereits der Wille hierzu feststeht. In jedem Fall muss allerdings die Eignung zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs bestehen.110 Insgesamt zeigt damit die Struktur der Voraussetzungen für das Vorliegen einer 332 Beeinträchtigung, dass eine solche relativ leicht angenommen werden kann. Auch dadurch wird ein umfassender Schutz eines unverfälschten Wettbewerbs sichergestellt, da dieser nicht notwendig konkret eingeengt sein muss, sondern diese Gefahr bereits ausreicht, um das Kartellverbot eingreifen zu lassen. Besonders typische wettbewerbsverfälschende Verhaltensweisen führen Art. 81 333 Abs. 1 lit. a)-e) EG an. Sind sie vorhanden, werden eine Eignung zur Beeinträchtigung ebenso wie eine zumindest wettbewerbsverfälschende Wirkung bzw. deren Bezweckung regelmäßig anzunehmen sein. Damit besitzen sie eine Indikationsfunktion; ihr Vorliegen ist aber nicht konstitutiv. IV.
Rechtfertigung
334 Ist das Kartellverbot beeinträchtigt, stellt sich die Frage einer Rechtfertigung, bevor eine Verletzung angenommen und damit eine Verhaltensweise nach Art. 81 Abs. 2 EG als nichtig angesehen werden kann. Nach Art. 81 Abs. 3 EG kann das Kartellverbot unter bestimmten Voraussetzungen für nicht anwendbar erklärt werden. Diese Umstände erlauben ein Abweichen vom Kartellverbot, konstituieren insoweit also eine Ausnahme, machen eine Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit jedoch nicht entbehrlich. Vielmehr sind Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EG nacheinander zu prüfen, wie Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 deutlich macht. Dabei ist eine Anmeldung nicht mehr erforderlich. Die Unternehmen haben selbst zu beurteilen, ob der Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt ist, aber ggf. die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vorliegen und damit das Eingreifen des Kartellverbotes hindern. Ob sie dies zutreffend tun, ist von den Wettbewerbsbehörden zu beurteilen. Damit haben auch sie zu prüfen, ob ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG durch Art. 81 Abs. 3 EG geheilt und somit im Ergebnis gerechtfertigt wird, ohne allerdings eine eigene Freistellungsentscheidung treffen zu müssen. Deshalb entspricht das System des Kartellverbots nunmehr dem der Grundfrei335 heiten: Auch bei diesen haben die Verpflichteten für sich zu prüfen, ob sie tatbestandsmäßig handeln und ggf. gerechtfertigt sind. Die Kommission wacht darüber
109 110
Näher o. Rn. 76. S.o. Rn. 318 a.E.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
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und leitet bei einem Fehlverhalten ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG ein. Art. 81 Abs. 3 EG eröffnet bei allen drei vom Kartellverbot erfassten Verhaltensformen eine Vereinbarkeit mit diesem, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Als legitime Zwecke werden eine Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und eine Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts benannt. Nur die zur Erreichung dieser Ziele unerlässlichen Beschränkungen für die betroffenen Unternehmen sind hinzunehmen. Das erinnert an das Merkmal der Erforderlichkeit, das im Rahmen der Grundfreiheiten bei der Prüfung einer Rechtfertigung zentrale Bedeutung hat.111 Hinzu kommen muss eine angemessene Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn. Insoweit und mit dieser speziellen Blickrichtung ist also auch die Angemessenheit und damit das Verhältnis zwischen Vor- und Nachteilen einer Wettbewerbsbeeinträchtigung relevant, welches im Rahmen der Prüfung der Grundfreiheiten als Abwehrrechte bislang regelmäßig zurücktrat.112 Die notwendig objektiven Vorteile der Wettbewerbsbeeinträchtigung müssen mithin spürbar zum Verbraucher gelangen und so kanalisiert werden; dabei haben sie die eingetretenen Nachteile für den Wettbewerb zumindest auszugleichen.113 Schließlich darf der Wettbewerb nicht derart gravierend angetastet werden können, dass er für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet ist. Das erinnert an die auch im Rahmen der Grundfreiheiten heranziehbare114 Wesensgehaltsgarantie, bezogen auf einen Einzelausschnitt und damit einen konkreten Fall.115 Damit ergibt sich auch im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG die Unterteilung in Rechtfertigungsgrund und -schranken, die bei der Prüfung der Grundfreiheiten fest etabliert ist. Die als Grund tauglichen legitimen Zwecke sind ausdrücklich genannt. Die Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung sowie die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts sind allerdings vielfach von wirtschaftlichen Zielsetzungen getragen, die bei den Grundfreiheiten als Rechtfertigungsgründe ausscheiden.116 Dass sie für Art. 81 Abs. 3 EG relevant sind, ergibt sich aus dem generellen wirtschaftsbezogenen Kontext des Kartellverbots und dem Bezug auf privates Handeln, das auch im Rahmen der Grundfreiheiten zu weiter gehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten in Form notwendiger sachlicher Erwägungen führt.117 111 112 113 114 115
116
117
Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 529 ff. S. Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 30 Rn. 57; Frenz, Europarecht 1, Rn. 533 ff. Bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (396 f.) – Consten Grundig. Frenz, Europarecht 1, Rn. 537. Wie sie auch im Rahmen von Art. 19 Abs. 2 GG angewendet wird, BVerfGE 80, 367 (373), st. Rspr.; s. etwa auch BVerfG, NJW 2004, 999 und Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 258. EuGH, Rs. 72/83, Slg. 1984, 2727 (2752, Rn. 35) – Campus Oil für die geschriebenen Rechtfertigungsgründe, Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 (1884, Rn. 39) – Decker für die ungeschriebenen. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4174, Rn. 42) – Angonese; Frenz, Europarecht 1, Rn. 1725 für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, der auch unmittelbare Drittwirkung zukommt.
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126
Kapitel 3 Kartellverbot
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach zusätzlichen, ungeschriebenen Rechtfertigungsmöglichkeiten, wie sie für die Grundfreiheiten fest anerkannt sind. Die Beantwortung hängt davon ab, ob man Art. 81 Abs. 3 EG als abschließenden Tatbestand ansieht, der nicht durch die Anerkennung zusätzlicher Gesichtspunkte ausgedehnt werden kann, um damit das Kartellverbot nicht auszuhöhlen. Auch dieser Weg bringt allerdings wegen des Bezuges von Art. 81 EG auf den Gemeinsamen Markt mit sich, daraus Elemente zu entnehmen, welche die Kohärenz mit dem gesamten Gemeinschaftsrecht sicherstellen. Sie müssen sich aber in die Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 3 EG einfügen. Somit erfolgt eine Erweiterung durch Interpretation vor dem Hintergrund des gemeinschaftsrechtlichen Gesamtkontextes. Die andere Möglichkeit, die Vereinbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen in341 klusive ihrem Verbot mit dem europarechtlichen Ganzen sicherzustellen, besteht darin, auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anzuerkennen, sofern sie im Vertrag festgeschrieben sind. Besonders nahe liegt dies für den Umweltschutz und industriepolitische Strukturüberlegungen. Sie dienten aber in der Praxis vielmehr der Erweiterung der geschriebenen Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 3 EG.118 Diese genügen regelmäßig wegen ihrer offenen Formulierung. Zudem bleibt so das wettbewerbsrechtliche System erhalten. Der Wettbewerb kann, wie in Art. 81 EG angelegt, als Selbstwert fungieren.119
340
118
119
S. schon KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 (19) – Carbon Gas Technologie sowie KOME 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (Rn. 59) – Lichtwellenleiter; 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 – Ford/Volkswagen im Hinblick auf eine „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“. S. bereits o. Rn. 115 ff. und ausführlich u. Rn. 1006 ff.
§ 1 Grundstruktur und Zielsetzung
V.
127
Prüfungsschema 1. Schutzbereich a) Unternehmen und Unternehmensvereinigungen b) Auch ausländische Unternehmen bei Auswirkungen im Gemeinsamen Markt c) Vereinbarung, Beschluss oder abgestimmte Verhaltensweise 2. Beeinträchtigung a) Eignung, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen b) Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt: Regelbeispiele lit. a)-e) 3. Rechtfertigungsgrund a) Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung b) Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts c) Gemeinschaftsziele (z.B. Umweltschutz) integriert oder als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe (str.) 4. Rechtfertigungsschranken a) Unerlässlichkeit für angestrebten Zweck b) Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher c) Keine Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil möglich
342
128
Kapitel 3 Kartellverbot
§ 2 Verpflichtete A.
Unternehmen
I.
Unternehmensbegriff
343 Art. 81 Abs. 1 EG nennt als Adressaten des Kartellverbots Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Eine nähere Definition dieser Tatbestandselemente enthält die Vorschrift nicht. Da es sich um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handelt, kann zur Auslegung nicht auf nationales Recht zurückgegriffen werden.120 Vielmehr ist eine eigenständige Begriffsbestimmung erforderlich.121 Die Rechtsprechung hat eine Definition entwickelt, die sich jedoch im Laufe der 344 Zeit gewandelt hat. Seinen Ursprung hat der gemeinschaftsrechtliche Unternehmensbegriff in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dem mit Art. 81 Abs. 1 EG vergleichbaren Art. 65 EGKS.122 Danach ist ein Unternehmen eine „einheitliche, einem selbstständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit welcher auf Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird“.123 Ganz ähnlich hat das EuG Unternehmen definiert als „wirtschaftliche Einheiten, die jeweils in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestehen, mit der dauerhaft ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird und die an einer Zuwiderhandlung i.S.d. Vorschrift beteiligt sein kann“.124 Der EuGH legt mittlerweile eine andere Definition zugrunde, die das Vorliegen 345 einer wirtschaftlichen Tätigkeit in den Mittelpunkt stellt, dagegen nicht mehr an ein selbstständiges Rechtssubjekt anknüpft. Danach umfasst der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.125 Entscheidend sind schließlich die Auswirkungen auf den Wirtschaftsverkehr, die bei Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit auftreten können. Die Rechtsform und die Finanzierung sind insoweit irrelevant. Dieses Abstellen auf die wirtschaftliche Tätigkeit und Zurücktreten der Rechts346 form der Einheit spricht weiter dafür, bei „gespaltenen“ Einheiten auf den jeweiligen Einzelbereich abzustellen. Praktische Relevanz gewinnt dies vor allem dann, wenn lediglich Teilbereiche als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden kön120 121 122
123 124 125
Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 31. Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 10. S.o. Rn. 298 f. Eine Definition des Unternehmens enthielt Art. 80 EGKS. Diese Vorschrift ist jedoch mit dem gesamten EGKS gem. dessen Art. 97 am 23.7.2002 außer Kraft getreten. EuGH, Rs. 17 u. 20/61, Slg. 1962, 652 (687 f.) – Kloeckner; Rs. 19/61, Slg. 1962, 717 (750) – Mannesmann. EuG, Rs. T-352/94, Slg. 1998, II-1989 (2020, Rn. 87) – Mo och Domsjö; bereits Rs. T-11/89, Slg. 1992, II-757 (884, Rn. 311) – Shell. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016, Rn. 21) – Höfner und Elser; später Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 (727, Rn. 22) – Cisal; Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (243, Rn. 46) – AOK.
§ 2 Verpflichtete
129
nen, andere Sektoren hingegen namentlich fest in der staatlichen Aufgabenerfüllung verhaftet bleiben. Das gilt vor allem im Bereich der Sozialversicherungen.126 II.
Abgrenzung im Einzelnen
1.
Wirtschaftliche Tätigkeit
a)
Allgemein
Die Beschränkung auf wirtschaftliche Tätigkeiten soll ein Ausklammern von Ver- 347 haltensweisen und Lebensbereichen ermöglichen, die nach allgemeinem Verständnis nicht zum wirtschaftlichen Verkehr gehören.127 Der EuGH versteht darunter insbesondere jede Tätigkeit, mit der Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt angeboten werden.128 Entscheidend ist danach allein die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr als solche, unabhängig von der Organisations- bzw. Unternehmensform. Ob und welche weiteren Zwecke damit verfolgt werden, ist unerheblich. Deshalb ist auch eine Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich.129 Kennzeichen der Teilnahme am Wirtschaftsverkehr ist allerdings die Entgeltlichkeit. Insoweit besteht eine Parallele zum Begriff der Erwerbstätigkeit im Rahmen der Niederlassungsfreiheit.130 Indes muss die wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf Dauer angelegt sein.131 Zwar 348 hat der EuGH in seiner ursprünglichen Unternehmensdefinition noch auf die Dauerhaftigkeit der Tätigkeit abgestellt,132 doch spielt dieses Merkmal in der neueren Rechtsprechung keine Rolle mehr.133 Die Bindung an die Wettbewerbsvorschriften kann nicht davon abhängen, ob eine einmalige oder auf Dauer angelegte Teilnahme am Wirtschaftsverkehr vorliegt. Wettbewerbsverfälschungen können unabhängig davon eintreten. Auf dieser Basis ergibt sich ein grundsätzlich in alle Wirt126 127 128 129
130
131
132 133
Näher im Hinblick auf EuGH, Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (244, Rn. 54 f.) – AOK; Koenig/Engelmann, EuZW 2004, 682 (685 f.) sowie u. Rn. 2002 ff. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 21. EuGH, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 (2621, Rn. 7) – Kommission/Italien; Rs. C-180184/98, Slg. 2000, I-6451 (6520 f., Rn. 75) – Pavlov u.a. EuGH, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 (4030, Rn. 21) – Fédération française des sociétés d’assurance; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 19; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 31. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 88) – van Landewyck; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 57; vgl. zum Merkmal der Entgeltlichkeit im Rahmen der Niederlassungsfreiheit Frenz, Europarecht 1, Rn. 1909 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 29; Roth/ Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 18; a.A. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 21; unklar Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 58. Vgl. EuGH, Rs. 17 u. 20/61, Slg. 1962, 652 (687 f.) – Klöckner; Rs. 19/61, Slg. 1962, 717 (750) – Mannesmann. Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016, Rn. 21) – Höfner und Elser; Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 (727, Rn. 22) – Cisal; Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (243, Rn. 46) – AOK.
130
Kapitel 3 Kartellverbot
schaftsbereiche ausgreifender Anwendungsbereich der europäischen Wettbewerbsvorschriften.134 b)
Privater Verbrauch
349 Private Endverbraucher, die ihren persönlichen Bedarf decken, üben nach allgemeiner Auffassung keine wirtschaftliche Tätigkeit aus.135 Auch wenn sie in ihrer Gesamtheit durch ihr Einkaufsverhalten über eine Marktmacht verfügen, so fehlt die notwendige Organisationsstruktur, um den Wettbewerb zu beeinflussen. Eine Aufnahme auch dieser Personengruppe in den Unternehmensbegriff würde diesen konturenlos werden lassen und den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln überdehnen.136 Verbraucher sollen durch Art. 81 ff. EG gerade geschützt und nicht aus ihnen verpflichtet werden.137 Nach Auffassung des EuG kann die Unternehmenseigenschaft durch die reine 350 Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen grundsätzlich nicht begründet werden. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit sei nicht durch die nachfragende Einkaufstätigkeit als solche, sondern allein durch das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt gekennzeichnet.138 Würden gekaufte Erzeugnisse später im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet, so soll dies entscheidend sein. Der Kauf wird insoweit nicht von der späteren Verwendung durch den Käufer getrennt.139 Nach dieser Rechtsprechung unterfällt der private Endverbraucher schon deshalb nicht dem Unternehmensbegriff, weil er keine Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anbietet. Allerdings gibt es Bereiche, die eine Abgrenzung zwischen privater Nachfrage 351 und einer wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlich machen. Hier ist etwa die Vermögensverwaltung zu nennen. Der Ankauf und Verkauf von Immobilien oder von Wertpapieren stellt als solcher noch keine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Werden diese Geschäfte aber gewerbsmäßig betrieben, so begründen sie die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr und somit die Anwendung der Art. 81 ff. EG. Allgemeine Regeln für diese Abgrenzung existieren nicht, vielmehr ist jeweils auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.140 Möglicherweise können hier die Indizien herangezogen werden, die von der fi352
134
135
136 137 138 139 140
Zur umfassenden Geltung der Wettbewerbsvorschriften vgl. EuGH, Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 (1465, Rn. 40) – Asjes; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (451, Rn. 12) – Verband der Sachversicherer; Aicher/Schumacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 22; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 42; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 1. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 25; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 60; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 20. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 25. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 23; Roth/Ackermann, Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 20. EuG, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 (372 f., Rn. 36 f.) – FENIN. EuG, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 (372 f., Rn. 36) – FENIN. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 25.
§ 2 Verpflichtete
131
nanzgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen des § 15 Abs. 2 S. 1 EStG141 zur Abgrenzung privater Vermögensverwaltung von einer gewerblichen Betätigung herangezogen werden. So wertet der BFH es als Hinweise auf eine gewerbliche Tätigkeit, wenn aufgrund des Umfangs der Geschäfte ein in kaufmännischer Weise eingerichtetes Büro bzw. eine entsprechende Organisation zur Durchführung der Geschäfte unterhalten, ein Markt unter Einsatz beruflicher Erfahrungen ausgenutzt wird und (Wertpapier-)Geschäfte auch für fremde Rechnung angeboten werden.142 Der EuGH hat es als wirtschaftliche Tätigkeit betrachtet, wenn Fachärzte Beiträge in eine Berufszusatzrentenkasse zahlen. Diese auf dem Solidaritätsprinzip beruhende Versicherung ist eng mit der Berufstätigkeit als Facharzt verknüpft, so dass der einzelne Arzt nicht wie ein Endverbraucher handelt, der eine beliebige finanzielle Anlage tätige.143 c)
Selbstständige und unselbstständige Tätigkeiten
aa)
Abgrenzung
Selbstständige Tätigkeiten stellen eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, unabhängig 353 davon, ob sie im Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsbereich erbracht werden.144 Standesrechtliche Bindungen etwa für Rechtsanwälte oder Ärzte sind unschädlich.145 Sie regeln die Tätigkeit in Einzelheiten und ordnen organisatorisch zu, verändern aber nicht ihren selbstständigen wirtschaftlichen Charakter. Berufsverbände freier Berufe sind nur dann Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinn, soweit sie selbst wirtschaftlich tätig sind.146 Demgegenüber sind Arbeitnehmer, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum 354 Arbeitgeber stehen, keine Unternehmen.147 Sie handeln für einen anderen, dem ihr wirtschaftliches Tun zugerechnet wird, außer dies trifft nicht in vollem Umfang 141
142 143 144 145
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147
Diese Vorschrift definiert den Begriff des Gewerbebetriebs im Rahmen des Einkommensteuerrechts wie folgt: „Eine selbstständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbstständige Arbeit anzusehen ist.“ BFH, Urt. v. 20.12.2000, Az.: X R 1/97, DB 2001, 1287 (1288 ff.) = NJW 2001, 3214 (3215 f.) EuGH, Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6521 f., Rn. 78 ff.) – Pavlov u.a. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 23. EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1677, Rn. 49) – Wouters; Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6521, Rn. 77) – Pavlov u.a.; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 30. EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1692, Rn. 112) – Wouters. Ist die Tätigkeit des Berufsverbands auf die Vertretung der Mitgliederinteressen gerichtet, gilt das Kartellverbot auch insoweit, vgl. u. Rn. 384, 583 f. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 24; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 60; a.A. Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 24 mit der Begründung, dass die Arbeitnehmer vor Abschluss eines Arbeitsvertrages ihre Arbeitsleistung am Markt gegen Entgelt angeboten haben.
132
Kapitel 3 Kartellverbot
zu. Üben sie nebenberuflich eine selbstständige Tätigkeit aus, so unterliegen sie insoweit den Wettbewerbsregeln.148 Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände treten grundsätzlich nicht selbst im allgemeinen Wirtschaftsverkehr auf, sondern nehmen vor allem die tarif- und arbeitsbezogenen Interessen ihrer Mitglieder wahr, machen darauf bezogene Angebote und treffen insoweit Vereinbarungen, ohne mit anderen zu konkurrieren. Sie unterfallen daher nicht Art. 81 EG, soweit sich ihre Absprachen auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Mitglieder beschränken. Geht ihre Tätigkeit jedoch darüber hinaus, indem sie einzelne Fragen der wirtschaftlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder regeln, sind die Wettbewerbsregeln auf sie anwendbar.149 bb)
Handelsvertreter
355 Parallel zu der Differenzierung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit liegt die Frage nach der Einordnung von Handelsvertretern. Gemäß § 84 Abs. 1 HGB sind Handelsvertreter selbstständige Gewerbetreibende, die ständig damit betraut sind, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Da sie insoweit selbstständig am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, könnten die Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EG auf sie und somit auf Absprachen mit dem Geschäftsherrn anwendbar sein. Zu diesen Absprachen gehören typischerweise Wettbewerbsverbote oder die Verpflichtung, nur in einem bestimmten Gebiet für den Geschäftsherrn tätig zu sein. Vergleichbare Absprachen können zwar auch mit Franchisenehmern geschlossen werden. Jedoch sind die Handelsvertreter in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingebunden. Der EuGH differenziert danach, inwieweit der Handelsvertreter ein „Hilfsor356 gan“ darstellt, das mit dem Unternehmen des Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildet.150 Liegt eine solche Einheit vor, wendet der Gerichtshof die Wettbewerbsvorschriften auf das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter nicht an. Als weiteres Unterscheidungskriterium zieht der EuGH heran, inwieweit den Handelsvertreter die Gefahren aus den von ihm vermittelten Geschäften treffen. Trägt der Geschäftsherr diese Risiken namentlich bezüglich des Absatzes und der Abwicklung der vermittelten Geschäfte, wertet der Gerichtshof dies auch als Indiz gegen eine Unternehmenseigenschaft des Handelsvertreters.151 Ist der Handelsvertreter auch nur teilweise Eigenhändler, so lässt der EuGH die Wett148 149
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151
S. den Beispielsfall bei EuGH, Rs. 210/81, Slg. 1983, 3045 (3061, Rn. 3) – DemoStudio Schmidt. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 23; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 24 unter Bezugnahme auf die Antwort der Kommission zur schriftlichen Anfrage Nr. 777/89, ABl. 1990 C 328, S. 3. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (387 f.) – Consten Grundig; Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (485) – Italien/Kommission; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2016 f., Rn. 478/481 f.) – Suiker Unie; Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 (3516, Rn. 19) – Volkswagen und VAG Leasing. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2016 f., Rn. 482/483) – Suiker Unie; Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 (3516, Rn. 19) – Volkswagen und VAG Leasing; zu den Konsequenzen für die Vertragsgestaltung Lubitz, EWS 2003, 556 (559).
§ 2 Verpflichtete
133
bewerbsvorschriften jedoch für seine gesamte Tätigkeit eingreifen.152 Ebenso wendet er sie auf diejenigen Handelsvertreter an, die für mehrere Firmen gleichzeitig tätig sind.153 Demgegenüber stellt die Kommission allein auf die Risikoverteilung ab. Ein 357 Handelsvertreter ist danach nur, wer keine oder nur geringe Risiken hinsichtlich des vermittelten Geschäfts trägt. Wer auf eigene Kosten ein Warenlager unterhält oder die Bedingungen der Geschäfte bestimmt,154 ist deshalb kein Handelsvertreter, sondern Eigenhändler. Dagegen ist nach Auffassung der Kommission unerheblich, ob der Handelsvertreter für einen oder mehrere Auftraggeber handelt. Hinsichtlich der Verhältnisse mit Doppelprägung155 vertritt die Kommission eine andere Auffassung als der Gerichtshof. Sie differenziert zwischen der Tätigkeit als Absatzmittler und der als Eigenhändler und wendet Art. 81 EG auf die Absatzmittlergeschäfte nicht an.156 In der Literatur wurde das Kriterium der Eingliederung als zu formal kriti- 358 siert.157 Dem ist insoweit zuzustimmen, als unverständlich ist, warum das Kartellverbot für den teilweisen Eigenhändler und den Mehrfirmenvertreter in vollem Umfang gelten soll. Auch dieser kann in die einzelnen Unternehmen, für die er tätig ist, eingegliedert sein.158 Zudem wird beim noch nebenberuflich tätigen Arbeitnehmer nach Tätigkeitsbereichen differenziert. Konsequenterweise wird eine Abgrenzung vertreten, die nicht pauschal auf die Stellung des Handelsvertreters im Verhältnis zum Geschäftsherrn, sondern zunächst auf die Art der Tätigkeit abstellt, die durch die jeweilige Abrede betroffen ist. Insoweit wird unterschieden zwischen dem Produkt- und dem Dienstleistungsmarkt.159 Auf dem Produktmarkt, der durch Preis- und Konditionenbindungen betroffen ist, tritt der Handelsvertreter nicht als eigenständiger Marktteilnehmer auf. Wettbewerbsverbote oder Gebietsbeschränkungen betreffen dagegen den Markt für Handelsvertreter-Dienstleistungen, auf dem der Handelsvertreter seine Leistung anbietet. Die genannten Beschränkungen sollen nur dann Art. 81 ff. EG unterliegen, wenn sie nicht zur Interessenwahrung des Geschäftsherrn erforderlich sind. Das ist bei einem in das Unternehmen eingegliederten Handelsvertreter, der die Risiken der von ihm vermittelten Geschäfte nicht selbst trägt, aber gerade der Fall, da ihn erhöhte Interessenwahrungspflichten gegenüber dem Geschäftsherrn treffen.160 Nur dort, wo der Handelsvertreter auch als Wettbewerber auftritt, ist der Schutzbereich des Kartell-
152 153 154 155 156 157 158 159 160
EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2024 f., Rn. 544/547) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3827 f., Rn. 17, 20) – Vlaamse Reisbureaus. Vgl. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 16). S. diesen Begriff bei EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2024 f., Rn. 544/547) – Suiker Unie. KOME 88/84/EWG, ABl. 1988 L 45, S. 34 (Rn. 26) – ARG/Unipart. Freund, EuZW 1992, 408 f.; Kapp, WuW 1990, 814 (819). So zutreffend Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 121. Ausführlich dazu Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109 (120 ff.). Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109 (125 ff.); Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 124.
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Kapitel 3 Kartellverbot
verbots überhaupt betroffen.161 Diese den Kerngedanken der Wettbewerbsregeln treffende Differenzierung erlaubt auch eine sinnvolle Behandlung von Mischformen der Handelsvertretertätigkeit. Letztlich zählt damit gleichwohl die Eingliederung in das Unternehmen des 359 Geschäftsherrn, lediglich bezogen auf das jeweilige Tätigkeitsfeld wie auch beim Arbeitnehmer. Nur ist diese Eingliederung bei manchen Tätigkeitsfeldern typischerweise gegeben, bei anderen nicht. Die Erforderlichkeit von Verhaltensbeschränkungen zulasten des Handelsvertreters kann hingegen auch z.B. bei Franchisenehmern gegeben sein, ohne dass diese dadurch unselbstständig werden. Entscheidend ist vielmehr das Tragen eigener Risiken. Dieses ist typisch für die eigene Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einer eigenen Einheit. Es ist konstitutiv für die Unternehmereigenschaft. Gehen trotz einer solchen Risikozuweisung Beschränkungen einher, behindern diese die unternehmerische Entfaltung und sind daher nicht von den Wettbewerbsvorschriften auszunehmen, sondern gerade an ihnen zu messen. Nach deren Maßstab ist dann die Erforderlichkeit für den Geschäftsgeber zu ermitteln. Diese Prüfung schon in die Frage der Eröffnung des Anwendungsbereichs zu legen, verschiebt die in Art. 81 EG vorgesehene Stufung und ist zirkulär. d)
Künstlerische, sportliche und soziale Tätigkeiten
360 Künstlerische, sportliche und soziale Tätigkeiten haben selbst keinen wirtschaftlichen Charakter. Doch kann ihre Vermarktung die Anwendung der Art. 81 ff. EG bewirken.162 Denn entscheidend ist die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr, nicht der Umstand, dass diese Teilnahme durch Leistungen ermöglicht wird, die von ihrem Charakter her wirtschaftlich sind.163 So hat der EuGH etwa den Abschluss von Exklusivverträgen von Künstlern mit einem Schallplattenhersteller als unternehmerische Tätigkeit beurteilt.164 Parallel dazu sind auf sportliche Betätigung die Wettbewerbsvorschriften anwendbar, wenn damit am Wirtschaftsverkehr teilgenommen wird.165 Danach sind Sportvereine Unternehmen, wenn sie öffentliche Wettkämpfe oder Spiele veranstalten, die sie etwa durch das Verlangen von Eintrittsgeld oder das Vermieten von Werbeflächen vermarkten.166 Entsprechendes 161 162
163 164 165 166
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 31; s. Roth/Ackermann, Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 35 ff. So liegt unternehmerisches Handeln vor z.B. beim Künstler, der öffentlich auftritt (vgl. KOME 78/516/EWG, ABl. 1978 L 157, S 39 – RAI/Unitel; 81/1030/EWG, ABl. 1981 L 370, S. 49 – GVL) oder beim Forscher, der seine Erfindung wirtschaftlich verwertet (KOME 76/29/EWG, ABl. 1976 L 6, S. 8 – AOIP/Beyrard; 76/743/EWG, ABl. 1976 L 254, S. 40 – BASF; 79/86/EWG, ABl. 1979 L 19, S. 32 – Vaessen/Moris). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 21. EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (500 f., Rn. 14 ff.) – Deutsche Grammophon. Vgl. zur Teilnahme eines Profiradrennfahrers am Wirtschaftsleben EuGH, Rs. 36/74 Slg. 1974, 1405 (1418 f., Rn. 4/10) – Walrave. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 22; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 26 unter Hinweis auf die Entscheidungen der Kommission KOME 92/521/EWG, ABl. 1992 L 326, S. 31 – Fußballweltmeisterschaft 1990; 2000/12/EG, ABl. 2000 L 5, S. 55 – Fußballweltmeister-
§ 2 Verpflichtete
135
gilt für die Sportverbände, wenn sie Hörfunk- oder Fernsehrechte an Sportveranstaltungen verkaufen.167 Solche Rechte können sich schließlich auch auf andere Gegenstände beziehen. Sportspezifisch ist hingegen die Dopingbekämpfung. Sie will die Sauberkeit des Sports und damit seinen ureigentlichen Charakter bewahren. Daher lässt das EuG das grundsätzlich unentgeltliche, nichtwirtschaftliche Wesen des Sports durchschlagen, selbst wenn es sich um die Dopingkontrolle von Profisportlern handelt.168 Jedoch werden auch dabei insbesondere Laboruntersuchungen durchgeführt, die an anderer Stelle wirtschaftlichen Charakter haben. Entgegen dem EuG ist daher eine wirtschaftliche Tätigkeit zu bejahen.169 Da eine wirtschaftliche Tätigkeit auch vorliegen kann, wenn sie nicht auf Erzie- 361 lung eines Gewinnes ausgerichtet ist,170 unterliegen auch soziale Tätigkeiten den Wettbewerbsvorschriften, die im Wirtschaftsverkehr erbracht werden. Insoweit können auch Kirchengemeinden oder Wohltätigkeitsvereine Unternehmen sein.171 Nur wenn eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter wahrgenommen wird, ist die Anwendung der Wettbewerbsregeln ausgeschlossen. Einen solchen ausschließlich sozialen Charakter misst der EuGH dem Bereich 362 der gesetzlichen Sozialversicherung bei. Dies begründet er damit, dass diese Versicherung auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruht. Hinzu kommt, dass ihre Leistungen von Gesetzes wegen und unabhängig von der Beitragshöhe erbracht werden.172 Auch für das deutsche System der gesetzlichen Krankenkassen hat der EuGH mit derselben Begründung eine Anwendung der Art. 81 ff. EG abgelehnt. Daran ändert auch die gesetzliche Einführung gewisser Wettbewerbselemente nichts, mittels derer die Krankenkassen zu wirtschaftlicherem Handeln angehalten werden sollen.173 Denn die Leistungserbringung erfolgt unabhängig von der Beitragshöhe und damit im Kern weiterhin außerhalb eines Wettbewerbsansatzes.174 Doch hat der EuGH die Unternehmenseigenschaft der Krankenkassen nicht 363 gänzlich abgelehnt. Vielmehr differenziert er nach deren konkreter Tätigkeit und schließt nicht aus, dass die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland neben ihren Aufgaben rein sozialer Art auch Geschäftstätigkeiten mit wirtschaftlichem Zweck ausüben.175 Insoweit ist die Frage der Anwendbarkeit der Kartellvorschrif-
167 168
169 170 171 172
173 174 175
schaft 1998; GA Lenz, EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5026 f., Rn. 255) – Bosman. Vgl. GA Lenz, EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5026 f., Rn. 255) – Bosman. EuG, Rs. T-313/02 (Rn. 44 ff.) – Meca-Medina und Majcen für die vom Internationalen Olympischen Komitee vorgegebene Dopingkontrolle des Internationalen Schwimmverbandes. Vgl. Frenz, Europarecht 1, Rn. 1229 ff. allgemein zum Profisport als Wirtschaftssektor. S. bereits o. Rn. 347. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 23; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 57. Vgl. für die Alters- und Krankenversicherung EuGH, Rs. C-159 u. 160/91, Slg. 1993, I-637 (669 f., Rn. 15, 18) – Poucet und Pistre; für die gesetzliche Unfallversicherung Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 (730 ff., Rn. 34 ff.) – Cisal. S. m.w.N. u. Rn. 2002 f. EuGH, Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (244, Rn. 51 f.) – AOK. S. auch u. Rn. 2002 ff. im Rahmen von Art. 86 EG. EuGH, Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (244, Rn. 58 f.) – AOK.
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ten auf die deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen und der Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG weiterhin virulent.176 Erfolgt hier Wettbewerb mit Privaten, verlangt der umfassende Schutzzweck von Art. 81 EG ein Eingreifen. Dass die Aktivitäten eines Unternehmens wettbewerbsrechtlich teilbar sind, liegt parallel zu der Beurteilung von Handelsvertretern177 und entspricht dem erforderlichen zweckbezogenen materiellen an Stelle eines personal ausgerichteten Konzepts. Abweichend davon behandelt der Gerichtshof gesetzlich geregelte Zusatzren364 tenversicherungen, die nach dem Kapitalisierungsgrundsatz arbeiten und deren Leistungen sich ausschließlich nach der Höhe der von den Leistungsempfängern eingezahlten Beiträge richten. Diese Funktionsprinzipien führen trotz einer fehlenden Gewinnerzielungsabsicht und der Verfolgung eines sozialen Zwecks zur Anwendung der Art. 81 ff. EG.178 e)
Sittenwidrige und verbotene Tätigkeiten
365 Hingegen ist eine Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen, wenn eine Tätigkeit in allen Mitgliedstaaten verboten ist; Wettbewerb darf dann gar nicht stattfinden. Die Sittenwidrigkeit beinhaltet dagegen lediglich ein moralisches Urteil, sofern sie nicht mit einem Verbot einhergeht. So wird etwa die anrüchige Prostitution in vielen Mitgliedstaaten geduldet oder gar ausdrücklich zugelassen bzw. lediglich reglementiert.179 Die Ergebnisse liegen daher parallel zu denen im Rahmen der Einschlägigkeit der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit.180 2.
Nicht notwendig rechtlich selbstständiges Rechtssubjekt
366 Ursprünglich knüpfte der EuGH den Unternehmensbegriff an das Vorhandensein eines selbstständigen Rechtssubjekts an.181 Gemeint ist damit eine einheitliche Organisation, in der personelle, materielle und immaterielle Faktoren zusammengefasst werden.182 In seiner neueren Rechtsprechung hat der Gerichtshof diese Voraussetzung aufgegeben und fordert lediglich das Vorliegen einer „Einheit“, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.183 Demgegenüber wird in der Literatur teil176 177 178
179 180 181 182 183
So zutreffend Koenig/Engelmann, EuZW 2004, 682 (685 f.). Näher dazu u. Rn. 2004. S.o. Rn. 358 f. EuGH, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 (4028 f., Rn. 17 f.) – Fédération française des sociétés d´assurance; Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5887 f., Rn. 81 ff.) – Albany; Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 (6148 f., Rn. 71 ff.) – Drijvende Bokken; s. auch u. Rn. 2003 im Rahmen von Art. 86 EG, wo diese Frage am ehesten auftaucht, da vom Staate besondere Rechte verliehen wurden. S. EuGH, Rs. C-268/99, Slg. 2001, I-8615 (8682, Rn. 57) – Jany für das Vorliegen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 43 Abs. 2 EG. Ausführlich Frenz, Europarecht 1, Rn. 1915 ff., 2448 ff. S. nur EuGH, Rs. 17 u. 20/61, Slg. 1962, 652 (687) – Klöckner. Vgl. insoweit die Unternehmensdefinition bereits in EuGH, Rs. 17 u. 20/61, Slg. 1962, 652 (687) – Klöckner. St. Rspr. seit Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016, Rn. 21) – Höfner und Elser; zuletzt Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (243, Rn. 46) – AOK.
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weise an der eigenen Rechtspersönlichkeit als Voraussetzung für die Qualifikation als Unternehmen i.S.d. Art. 81 EG festgehalten.184 Dem Zweck des Art. 81 EG entsprechend, nämlich der Sicherung eines unver- 367 fälschten Wettbewerbs als Grundlage für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes,185 ist der Unternehmensbegriff weit auszulegen. Nur eine solche Interpretation sichert eine möglichst breite Anwendung des Art. 81 EG.186 Zudem steht die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Vordergrund, nicht etwa die Erhaltung der rechtlichen Selbstständigkeit der Unternehmen. Deshalb ist die Unternehmenseigenschaft nicht ausschließlich an äußere Merkmale zu knüpfen. Vielmehr ist die Tätigkeit der potenziellen Normadressaten und ihre Auswirkung auf den Wettbewerb entscheidend. Das Bestehen einer eigenen Rechtspersönlichkeit ist insoweit nicht erforderlich.187 Vielfach ist sie bei den im Wirtschaftsverkehr Handelnden gegeben, wie etwa bei natürlichen Personen oder Kapitalgesellschaften. Soweit die Rechtsfähigkeit fehlt, ist dies aber kein Grund, die Unternehmensei- 368 genschaft abzulehnen. Denn die Rechte und Pflichten, die im Zusammenhang mit den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften entstehen, können bei nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen von deren Trägern wahrgenommen werden,188 wie etwa bei nicht rechtsfähigen Vereinen von deren Vorstand oder bei Personengesellschaften von den Gesellschaftern. Dem verfahrensrechtlichen Erfordernis, dass im Hinblick auf etwaige Verbotsentscheidungen ein rechtsfähiger Adressat vorhanden sein muss,189 ist insoweit Genüge getan.190 3.
Der Staat als Adressat
Der Unternehmensbegriff ist weder an eine bestimmte Rechtsform gebunden noch 369 auf das Handeln von Privatrechtssubjekten beschränkt. Deshalb sind Art. 81 ff. EG auch auf den Staat und seine Untergliederungen (Länder, Städte, Gemeinden und Kreise) sowie auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit sie sich wirtschaftlich betätigen.191 Demgegenüber ist hoheitliches Handeln nach allgemeiner Ansicht von der Geltung der Wettbewerbsvorschriften ausge-
184 185 186 187 188
189 190 191
Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 52 f. Aicher/Schumacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 10 ff. Ausführlich o. Rn 1 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 17. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 27; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 31; a.A. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 52. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 27; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 33: Der Unternehmensträger muss Rechtssubjekt sein; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 17. Vgl. KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 141) – Karton; 94/599/EG, ABl. 1994 L 239, S. 14 (Rn. 44) – PVC. Zu Konzernverbünden u. Rn. 373 ff. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 28; Weiß, in: Calliess/ Ruffert, Art. 81 Rn. 35 (unter Hinweis auf Art. 86 EG); Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 37; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 EG Rn. 67; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, S. 69 (71).
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nommen.192 Insoweit ist für die Anwendung des Wettbewerbsrechts die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeit des Staates entscheidend. Diese Differenzierung ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.193 Teilweise wird in der Literatur die Notwendigkeit von allgemeinen Differenzierungskriterien betont,194 andere stellen demgegenüber fest, dass die Traditionen der einzelnen Mitgliedstaaten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben können.195 Der EuGH hat eine Reihe von Einzelfallentscheidungen getroffen, anhand derer 370 sich bislang noch kein allgemein gültiger Unterscheidungsmaßstab ableiten lässt.196 So hat der Gerichtshof die Überwachung des Luftraums durch die internationale Organisation Eurocontrol als „typischerweise“ hoheitliche Aufgabe eingestuft, mit der Folge, dass er diese Organisation nicht als Unternehmen i.S.d. Wettbewerbsvorschriften angesehen hat.197 Ebenfalls als hoheitlich hat der EuGH die Tätigkeit einer italienischen Aktiengesellschaft qualifiziert, die auf der Grundlage einer von der Hafenbehörde in Genua erteilten Lizenz einen Teil des Hafens überwachte, um Umweltverschmutzungen zu verhindern. Die Überwachung stelle einen im Allgemeininteresse stehenden Auftrag dar, der zu den wesentlichen Staatsaufgaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes gehöre. Eine solche Tätigkeit stehe in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung von Befugnissen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, die typischerweise hoheitlich seien. Deshalb wiesen sie keinen wirtschaftlichen Charakter auf.198 Diese Entscheidungen machen deutlich, dass der EuGH nicht maßgeblich auf 371 die Rechtsform abstellt, mittels der gehandelt wird, sondern auf die Art der Tätigkeit.199 Bei deren Qualifikation nimmt er Bezug auf die traditionelle Zuordnung einer Tätigkeit zum Staat, indem er feststellt, inwieweit sie „typischerweise“ hoheitlich ist. Diese Differenzierung erscheint problematisch, weil hier innerhalb der Gemeinschaft unterschiedliche Traditionen bestehen können. Auch stellt sich die Frage, wie lange eine Zeitspanne bemessen sein muss, um traditionsbildend zu wirken.200 Schließlich findet gerade in diesem Bereich gegenwärtig ein großer 192
193 194 195 196 197 198 199
200
EuGH, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 (63 f., Rn. 30 f.) – SAT Fluggesellschaft; Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 (1587 ff., Rn. 16 ff.) – Diego Cali & Figli; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 21; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 34; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, S. 69 (71). S. allerdings u. Rn. 1954 ff. So die zutreffende Bewertung von Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, S. 69 (72). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 35. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 30. Einen ausführlichen Überblick hierzu bei Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Wandel, 2001, S. 69 (72 ff.). Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 (63 f., Rn. 30 f.) – SAT Fluggesellschaft. Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 (1587 ff., Rn. 16 ff.) – Diego Cali & Figli. S. hierzu die KOME 82/861/EWG, ABl. 1982 L 360, S. 36 – British Telecommunications; bestätigend EuGH, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 (885 f., Rn. 16 ff.) – Italien/Kommission: Hier bewertete der Gerichtshof das Betreiben öffentlicher Fernmeldeanlagen durch eine öffentliche Körperschaft als wirtschaftliche Tätigkeit. Im Falle des früheren Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur für Arbeit) hat der EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016,
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Umbruch statt; die öffentliche Hand lagert aus Kostengründen zunehmend Tätigkeiten in die Privatwirtschaft aus und gibt insoweit „Traditionen“ auf. Die einheitliche Anwendung des Wettbewerbsrechts erfordert die Entwicklung 372 allgemeiner Differenzierungskriterien, die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen anwendbar sind.201 Dem Anknüpfen an eine mitgliedstaatsbezogene Tradition ist deshalb eine Abgrenzung vorzuziehen, die darauf abstellt, inwieweit die konkrete Tätigkeit unter Anwendung hoheitlicher Befugnisse ausgeübt wird.202 Damit wird ein Kernbereich staatlicher Tätigkeit erfasst, den Private nicht übernehmen können, so dass hier wirtschaftliches Handeln des Staates ausgeschlossen ist. 4.
Wirtschaftliche Selbstständigkeit des Unternehmens
Fraglich ist, ob im Rahmen des Unternehmensbegriffs über die organisatorische 373 Selbstständigkeit hinaus auch eine wirtschaftliche Selbstständigkeit vorauszusetzen ist. Dies ist etwa bei der Beurteilung konzerninterner Absprachen von Bedeutung. Setzt der Unternehmensbegriff in Art. 81 EG die wirtschaftliche Selbstständigkeit voraus, unterliegen konzernangehörige Unternehmen nicht dem Verbot des Art. 81 EG, da sie nicht einzeln, sondern als Teil einer Einheit betrachtet werden.203 Doch ist das Merkmal der wirtschaftlichen Selbstständigkeit abzulehnen,204 da die Problematik der Absprachen von miteinander verbundenen Unternehmen nicht auf der Ebene des Unternehmensbegriffs zu lösen ist. Dieser soll gerade eine möglichst weite Anwendung der Art. 81 ff. EG sichern, um einen effektiven Wettbewerb zu gewährleisten. Daher zählen die Auswirkungen auf diesen.205 Solche negativen Folgen sind indes von vornherein ausgeschlossen, wenn Wettbewerb gar nicht vorhanden ist. Deshalb ist entsprechend dem Schutzgegenstand der Wettbewerbsregeln zu fragen, inwieweit im Verhältnis etwa zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften überhaupt noch Raum für Wettbewerb besteht, der beschränkt werden könnte.206 Bilden diese beiden Ebenen eine „wirtschaftliche Einheit“,207 ist Wettbewerb zwischen ihnen ausgeschlossen. Der Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ wird auch im Rahmen der Zurech- 374
201 202 203 204
205 206
207
Rn. 22) – Höfner und Elser sich darauf beschränkt festzustellen, dass die Vermittlung nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben wurde. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 35. So auch Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 44. So angedeutet in der KOME 94/599/EG, ABl. 1994 L 239, S. 14 (Rn. 44) – PVC; s. auch EuG, Rs. T-11/89, Slg. 1992, II-757 (885, Rn. 312) – Shell. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 31 f.; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 62; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 15. Allgemein o. Rn. 345. S.o. Rn. 323, 358 a.E. EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3199, Rn. 49 ff.) – AEG; Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 (5495 f., Rn. 15 ff.) – Viho; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 32; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 65. Zu dem Begriff s. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2513, Rn. 19) – Bodson; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848, Rn. 35) – Ahmed Saeed Flugreisen.
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nungsproblematik herangezogen.208 Auch wenn konzernangehörige Gesellschaften Unternehmen i.S.d. Art. 81 ff. EG sind, ist damit noch nicht entschieden, ob sie für Wettbewerbsverstöße selbst verantwortlich sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Voraussetzung für eine Zurechnung an die Muttergesellschaft, dass eine „wirtschaftliche Einheit“ vorliegt. Wesentliche Prüfungsmerkmale für das Vorliegen einer solchen Einheit sind die Beteiligungsverhältnisse und die Kontrollmöglichkeiten zwischen den konzernangehörigen Gesellschaften. Allerdings sind diese nicht abstrakt zu betrachten; vielmehr sind die konkreten Umstände des Einzelfalls entscheidend. So ist eine wirtschaftliche Einheit zu bejahen, wenn eine Tochtergesellschaft 375 ihr Handeln am Markt nicht autonom bestimmen kann, sondern den Weisungen der Konzernleitung unterliegt.209 Handelt es sich um eine 100%ige Tochter, hat der Gerichtshof eine solche Weisungsgebundenheit vermutet.210 Das Vorliegen einer konkreten Weisung ist insoweit nicht erforderlich. Fällt die Beteiligung niedriger aus, ist entscheidend, dass die Muttergesellschaft Kontrollmöglichkeiten hat und diese auch wahrgenommen werden, etwa durch Weisungen.211 Dann besteht kein Raum für Wettbewerb, und die Tochtergesellschaft bildet kein Unternehmen nach Art. 81 EG. Doch wird eine wirtschaftliche Einheit abgelehnt, wenn zwar eine 100%ige Be376 teiligung vorliegt, aber die Tochtergesellschaft aus eigenem Antrieb handelt und getrennt von der Muttergesellschaft am Markt tätig ist.212 Demnach ordnet der EuGH die kartellrechtliche Verantwortlichkeit grundsätzlich demjenigen Rechtsträger zu, der auch über das Verhalten des Konzerns bzw. einzelner Konzernmitglieder als Wettbewerber bestimmt.213 Der Konzern selbst ist regelmäßig kein Unternehmen i.S.d. Art. 81 EG, da er als solches nicht am Markt tätig ist.214 Übt er allerdings selbst wirtschaftliche Tätigkeiten aus, die von denen der anderen Konzerngesellschaften zu unterscheiden sind, kommt ihm selbst Unternehmenscharakter zu.215
208 209 210 211 212
213 214 215
Zur doppelten Relevanz dieses Begriffs s. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 45 ff.; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 38 ff. Vgl. EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3199, Rn. 49 ff.) – AEG; Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 (5495 f., Rn. 15 ff.) – Viho. EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3199, Rn. 50) – AEG; s. auch EuG, Rs. T-102/92, Slg. 1995, II-17 (35, Rn. 51 ff.) – Viho Europe. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (255 f., Rn. 39 ff.) – Commercial Solvents. S. etwa KOME 78/155/EWG, ABl. 1978 L 46, S. 33 – BMW Belgium; EuGH, Rs. 32 u.a./78, Slg. 1979, 2435 (2475 f., Rn. 24) – BMW Belgium: Hier hatte die Muttergesellschaft versucht, gegen das kartellrechtswidrige Verhalten der Tochtergesellschaft vorzugehen; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 77; Weiß, in: Calliess/ Ruffert, Art. 81 Rn. 41. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 78, der aber die bisherigen Zurechnungskriterien als zu unklar bewertet. Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 70. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 32.
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Veränderungen im Unternehmen
Kommt es noch während oder auch nach Wettbewerbsverstößen zu unternehmens- 377 oder gesellschaftsrechtlichen Veränderungen innerhalb eines Konzerns, so stellt sich die Frage, wem diese Handlungen zuzurechnen sind bzw. wer dafür einzustehen hat. Ein Rückgriff auf nationales Gesellschaftsrecht scheidet aus; es kann hier nur auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage argumentiert werden.216 Die Kommission stellt darauf ab, inwieweit Unternehmenskontinuität vorliegt, d.h. ob es sich nach der Umstrukturierung wirtschaftlich und funktional noch um dasselbe Unternehmen handelt.217 Ist dies der Fall, geht die wettbewerbsrechtliche Verantwortung nicht unter, sondern trifft das Unternehmen, das an die Stelle desjenigen getreten ist, das den Verstoß begangen hat. Die kartellrechtliche Verantwortlichkeit endet auch nicht mit dem Verkauf des 378 an dem Rechtsverstoß beteiligten Unternehmensteils bzw. der Betriebsstätte. Vielmehr bleibt es bei der Verantwortlichkeit des Unternehmensträgers, in dessen Unternehmensteil der Kartellrechtsverstoß begangen wurde.218 Dieses Ergebnis wird zum einen den Interessen des Käufers gerecht, der nicht mit der Haftung für Taten belastet werden soll, für die er nicht verantwortlich ist und auf die er auch keinen Einfluss hatte.219 Gleichzeitig soll das Unternehmen, in dessen Verantwortungsbereich der Rechtsverstoß begangen wurde, sich nicht durch Verkauf seiner Verantwortung entziehen können.220 Entsprechendes gilt auch, wenn das Unternehmen, das den Kartellverstoß begangen hat, nunmehr eigene Rechtspersönlichkeit erworben hat.221 Damit wird auch Ausgründungen in finanzschwache Gesellschaften vorgebeugt, welche etwa festzusetzende Geldbußen und Schadensersatzleistungen nicht tragen könnten. Etwas anderes gilt aber, wenn das gesamte Unternehmen verkauft und der 379 Rechtsträger liquidiert bzw. der unternehmensführende Rechtsträger mit einem anderen verschmolzen wird. In diesen Fällen geht die Verantwortlichkeit für begangene Rechtsverstöße auf den Erwerber bzw. neuen Rechtsträger über.222 Zur Begründung stellt die Kommission wieder auf die wirtschaftliche und funktionelle Kontinuität zwischen dem ursprünglichen und dem erwerbenden bzw. aufnehmenden Unternehmen ab. Deshalb kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Er-
216 217 218
219 220 221 222
Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 63. KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 154 ff.) – Karton. EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4208 f., Rn. 145) – Anic Partecipazioni; EuG, Rs. T-6/89, Slg. 1991, II-1623 (1695, Rn. 238) – Enichem; KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 145) – Karton; 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 101) – Polypropylen. KOME 89/190/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 1 (Rn. 42) – PVC; 89/191/EG, ABl. 1989 L 74, S. 21 (Rn. 49) – LDPE; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 64. GA Vesterdorf, EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (921) – Rhône-Poulenc; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 64. EuGH, Rs. C-297/98 P, Slg. 2000, I-10101 (10144, Rn. 27) – SCA Holding. Bereits EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1951, Rn. 84/87) – Suiker Unie; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 65.
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Kapitel 3 Kartellverbot
werber den Rechtsverstoß gebilligt oder fortgesetzt hat.223 Vielmehr erfolgt dann eine rückwirkende Zurechnung an die Muttergesellschaft.224 Dieses sog. Kriterium der wirtschaftlichen Kontinuität kann nur greifen, wenn 380 die juristische Person, welche zur Zeit des Kartellrechtsverstoßes für die Bewirtschaftung des Unternehmens verantwortlich war, danach rechtlich nicht mehr existiert.225 Das kann aber lediglich im Hinblick auf die das Wettbewerbsrecht verletzende Einheit gelten. Besteht die juristische Person hingegen fort, aber nicht mehr als operative Einheit, sondern als Holding, und hat so seinen Charakter grundlegend verändert, so ist die weitere Existenz ohne Belang, wenn der gesamte frühere Unternehmensgegenstand übertragen wurde.226 Darauf bezogen bildet das fortbestehende Unternehmen nur eine leere Hülle, während sein früheres und nunmehr kartellverstricktes Tätigkeitsfeld an ein anderes Unternehmen ging. Bildet dieses insoweit den neuen Rechtsträger, ist es ebenso verantwortlich, als ob das alte Unternehmen nicht mehr existiert. Der EuGH hob freilich im Fall Aalborg Portland auf eine im vorliegenden Fal381 le bestehende strukturelle Verbindung zwischen übernehmendem und weiter existierendem Unternehmen ab; Letzteres bildete nämlich die übergreifende Holding.227 Damit aber hat diese weiterhin eine besondere Nähebeziehung zu dem bisherigen Unternehmensgegenstand. Das spricht auch für ihre fortbestehende Verantwortlichkeit. Entgegen dem EuGH lässt daher eine strukturelle Verbindung die kartellrechtliche Verantwortlichkeit nicht entfallen, sondern hält sie aufrecht. Das gilt zumal im Hinblick darauf, dass die Holding finanzkräftiger sein dürfte als das übernehmende Unternehmen und damit Umgehungen durch eine schwache Finanzausstattung der neuen operativen juristischen Person nicht auszuschließen sind.
B.
Unternehmensvereinigungen
382 Neben Unternehmen sind in Art. 81 EG auch Unternehmensvereinigungen als Adressaten der Wettbewerbsvorschriften genannt. Damit soll eine ansonsten mögliche Umgehung des Kartellverbots verhindert werden, da wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen der Mitgliedsunternehmen durch einen Beschluss der Vereinigung ersetzt werden könnten.228 Wie der Unternehmensbegriff ist auch der Begriff 223
224 225 226 227 228
KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 145) – Karton; 89/190/EG, ABl. 1989 L 74, S. 1 (14, Rn. 42) – PVC; 89/191/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 21 (35, Rn. 49) – LDPE; 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 100) – Polypropylen. Abl. Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit und -umstrukturierung nach EG-Kartellrecht, 2005, S. 155 ff. EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4209, Rn. 145) – Anic Partecipazioni; s. bereits EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1950 f., Rn. 77/80) – Suiker Unie. EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P (Rn. 358 f.) – Aalborg Portland. EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P (Rn. 344, 359) – Aalborg Portland; krit. Berg, EWS 2005, 49 (51 f.). Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 74; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 82.
§ 2 Verpflichtete
143
der Unternehmensvereinigung weit auszulegen.229 Erfasst ist jeder Zusammenschluss von Unternehmen, dessen Tätigkeit mindestens auch darauf ausgerichtet ist, die Interessen seiner Mitglieder wahrzunehmen.230 Eine bestimmte Rechtsform oder eine eigene Rechtspersönlichkeit ist nicht erforderlich.231 Daher fallen nicht nur privatrechtliche Unternehmensvereinigungen wie Verei- 383 ne,232 Genossenschaften233 und BGB-Gesellschaften234 darunter, sondern auch öffentlich-rechtliche Kammern,235 Berufsverbände236 oder spartenübergreifende Organisationen. Gerade wenn für solche Einheiten die rechtliche Einordnung in den Mitgliedstaaten differiert, ist dies im Hinblick auf das Kartellverbot gleichgültig, weil es darauf nicht ankommt.237 Die Unternehmensvereinigung muss selbst auch nicht wirtschaftlich tätig sein.238 Nimmt sie selbstständig am Wirtschaftsverkehr teil, kommt ihr gleichzeitig auch Unternehmenscharakter zu.239 Auch öffentlich-rechtliche Verbände und Kammern freier Berufe können Un- 384 ternehmensvereinigungen sein. Da diese aber zum Teil auch hoheitlich handeln und insoweit nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegen,240 muss diese Tätigkeit von der wettbewerbsrechtlich relevanten Interessenwahrnehmung für die Mitglieder abgegrenzt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Zusammenschluss dann eine dem Wettbewerbsrecht unterfallende Unternehmensvereinigung, wenn staatliche Behörden keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Organe haben und er durch keine nationale Rechtsvorschrift verpflichtet wird, öffentliche Interessen zu berücksichtigen.241 Danach unterliegen etwa auch die deutschen Rechts-
229 230 231
232 233 234 235 236 237 238 239 240 241
Näher o. Rn. 343 ff. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 36; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 38. EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 17) – BNIC/Clair; Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3896 f., Rn. 40) – CNSD; Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6523, Rn. 85) – Pavlov u.a.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 36; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 26; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 83; zu eng Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 38: „alle in vereins- oder gesellschaftsrechtlicher Form organisierten Zusammenschlüsse“. KOME 71/224/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 15 – GEMA. EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 – DLG. KOME 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 – Milchförderungsfonds. KOME 95/188/EG, ABl. 1995 L 122, S. 37 – COAPI (Kammer der Patentanwälte). EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3896 f., Rn. 40) – CNSD; zuvor schon KOME 93/438/EWG, ABl. 1993 L 203, S. 27 – CNSD (Berufsverband der Zollspediteure). EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 17) – BNIC/Clair. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 87 f.) – van Landewyck; EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (847 f., Rn. 1320) – Cimenteries CBR. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 87 f.) – van Landewyck; EuG, Rs. T-61/89, Slg. 1992, II-1931 (1952, Rn. 50) – Dansk Pelsdyravlerforening. S.o. Rn. 370 ff. Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3896 f., Rn. 40) – CNSD; Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6523, Rn. 85) – Pavlov u.a.; Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1679, Rn. 58 ff.) – Wouters.
144
Kapitel 3 Kartellverbot
anwaltskammern dem Wettbewerbsrecht,242 da zum einen der Vorstand nur durch die Mitglieder gewählt wird243 und die Staatsaufsicht sich auf eine reine Rechtsaufsicht beschränkt.244 Zum anderen bestehen ihre Aufgaben überwiegend in der Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder.245 Ein Zusammenschluss von Unternehmensvereinigungen ist ihrerseits eine Un385 ternehmensvereinigung und damit Adressat des Art. 81 Abs. 1 EG.246 In der Praxis wird der Unterscheidung zwischen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen jedoch keine große Bedeutung zugemessen. Beide sind gleichermaßen Adressaten des Kartellverbots. Entscheidend ist daher, möglichst alle Erscheinungsformen unternehmerischer Zusammenarbeit zu erfassen, um eine Umgehung der Art. 81 ff. EG zu verhindern.247
C.
Geltung für Unternehmen in Drittstaaten
386 Das Wettbewerbsrecht gilt gem. Art. 299 EG in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft.248 Deshalb greifen Art. 81 ff. EG gegen wettbewerbswidrige Handlungen, die sich ausschließlich auf die Märkte außerhalb der Gemeinschaft auswirken, nicht ein. Doch bindet es alle Unternehmen, die innerhalb der Gemeinschaft wirtschaftlich tätig sind. Unerheblich ist, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Aufgrund des Territorialitätsprinzips besitzt die Gemeinschaft die Regelungsmacht für Handlungen, die auf ihrem Territorium vorgenommen werden. Deshalb gilt das europäische Kartellrecht für EG-Inländer wie für Drittstaatsangehörige gleichermaßen, soweit sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb des Territoriums der Gemeinschaft entfalten.249 Problematisch ist demgegenüber die Geltung für wettbewerbswidrige Handlun387 gen, die zwar von außerhalb der EU ansässigen Unternehmen vorgenommen werden, sich aber auf den europäischen Markt auswirken, ohne dass etwa eine innerhalb der Gemeinschaft agierende Tochtergesellschaft beteiligt ist. Die überwiegende Meinung in der Literatur250 und die Kommission251 stützen eine Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts in diesen Fällen auf das Auswirkungsprinzip. 242 243 244 245 246 247 248 249 250
251
Für die niederländische Rechtsanwaltskammer s. EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1679 f., Rn. 61 f.) – Wouters. Vgl. §§ 64 ff. BRAO. Vgl. § 62 Abs. 2 BRAO. Vgl. § 73 BRAO. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 40; Roth/ Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 75. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 86. Näher o. Rn. 324 f. Näher o. Rn. 197 ff. Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 33; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 53; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 11; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 34; Knebel, EuZW 1991, 265 (270 f.). KOME 85/206/EWG, ABl. 1985 L 92, S. 1 (46) – Aluminium Einfuhren aus Osteuropa; 85/202/EWG ABl. 1985 L 85, S. 1 (Rn. 79) – Zellstoff.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
145
Danach ist ausreichend, dass eine in einem Drittstaat vorgenommene Handlung sich wahrscheinlich oder möglicherweise innerhalb der Gemeinschaft auswirkt. Diese Auffassung stützt sich vor allem auf den weiten Wortlaut der Art. 81, 82 EG, der alle spürbaren Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt erfassen will.252 Darüber hinaus muss es angesichts der weltweiten Vernetzung der Märkte einer Staatengemeinschaft möglich sein, ihre Marktordnung auch gegen Angriffe von außen zu schützen.253 Der EuGH argumentiert auf der Basis des Territorialitätsprinzips. Dabei lässt er 388 es allerdings ausreichen, wenn die auf wettbewerbswidrigen, im Ausland getroffenen Absprachen beruhenden Folgeverträge auf dem Gebiet der Gemeinschaft abgeschlossen werden.254 Mit dem Auswirkungsprinzip existiert eine dogmatische Grundlage, wettbewerbswidrige Einwirkungen auf den Gemeinsamen Markt zu erfassen, die aus Drittstaaten herrühren. Wegen seines weiterreichenden Anwendungsbereichs ist es dem Territorialitätsprinzip vorzuziehen. Doch kann die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts auf Auslandsfälle nicht nur mit europäischem Recht begründet werden. Jedoch hält dieses Ergebnis grundsätzlich auch einer völkerrechtlichen Überprüfung stand.255
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen A.
Bedeutung und Abgrenzung zu den anderen Verhaltensweisen
I.
Vielfache Entbehrlichkeit einer genauen Abgrenzung innerhalb des Kartellverbots
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereini- 389 gungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen werden in Art. 81 Abs. 1 EG gleichgeordnet benannt. Der häufigste Fall sind aber Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Der gleichfalls auf Unternehmen zu beziehende Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen hat eine Auffangfunktion, wenn sich eine Vereinbarung nicht nachweisen lässt, aber ein koordiniertes Verhalten gleichwohl sichtbar wird.256 Welche Form im Einzelnen vorliegt, ist für die Erfül252 253
254 255 256
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 34; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 11; Aicher/Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 33. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. zu den Art. 81-85 EG Rn. 59; vgl. unter Hinweis auf die Ordnungshoheit jedes Staates Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 519; Breitenmoser, Praxis des Europarechts, 1996, S. 448. EuGH, Rs. 89 u.a./85, Slg. 1988, 5193 (5243, Rn. 16 f.) – Ahlström. Zum Hintergrund o. Rn. 201. Dazu und allgemein zum Verhältnis Europäisches Wettbewerbsrecht/Völkerrecht ausführlich o. Rn. 197 ff. M.w.N. z.B. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 106.
146
Kapitel 3 Kartellverbot
lung des Tatbestandes von Art. 81 Abs. 1 EG vor allem insoweit beachtlich, als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen ein zur Koordinierung hinzukommendes Verhalten verlangen, während für Vereinbarungen und auch Beschlüsse ein solches über die Absprache hinaus nicht erforderlich ist.257 Bedeutsam ist dieser Unterschied insbesondere im Hinblick auf die Beweisbarkeit, die für das tatsächliche Erfolgen einer Abstimmung von Verhaltensweisen tendenziell schwerer fallen dürfte. Darüber hinaus ist eine genaue Abgrenzung entbehrlich, da für das Eingreifen 390 von Art. 81 Abs. 1 EG allein entscheidend ist, dass eine der genannten Verhaltensweisen vorliegt. Aufgrund seiner Auffangfunktion handelt es sich jedenfalls um eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise,258 vorausgesetzt es liegen hinreichende objektive Umstände vor. Die Einschlägigkeit des Kartellverbots als solchem wird vielfach bereits dadurch indiziert, dass eines der Regelbeispiele nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG erfüllt ist.259 Die Prüfung der weiteren Voraussetzungen liegt ebenso parallel wie die möglichen Rechtfertigungsgründe nach Art. 81 Abs. 3 EG. Eine Unterscheidung ist vor allem dann verzichtbar, wenn ohnehin zwei der in 391 Art. 81 Abs. 1 EG aufgeführten Verhaltensweisen vorliegen und es nur um eine Zuordnung auf einzelne Verhaltensabschnitte geht. Deren Ausdifferenzierung ist nicht notwendig, da wegen der gleichen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtfertigungsmöglichkeiten eine einheitliche Prüfung erfolgen kann, es sei denn verschiedene Verhaltensabschnitte unterliegen verschiedenen Zwecksetzungen, die eine unterschiedliche Rechtfertigung mit sich bringen. Die Kommission ordnet daher mit Billigung der Rechtsprechung unternehmerische Maßnahmen auch kumulativ als „Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise“ ein260 oder wählt den Begriff der Absprache für „Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen“.261 Diese nicht näher differenzierende Einordnung erfolgt auch für eine Maßnahme allein, bei der nicht entschieden zu werden braucht, ob es sich um eine Vereinbarung oder eine abgestimmte Verhaltensweise handelt.262
257
258 259 260
261 262
Deutlich v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 115; s. auch EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1993, Rn. 355; 2035, Rn. 577 f.) – Suiker Unie; Daig, EuR 1976, 213 (216 ff.); nicht differenzierend bzw. eine Trennung für nicht bedeutsam haltend die KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 79 ff.) – Polypropylen; Burkhardt, Kartellrecht, 1995, S. 103. Zäch, Wettbewerbsrecht in der Europäischen Union, 1994, S. 11. EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1539, Rn. 330) – SIV für Art. 81 Abs. 1 lit. a) EG. KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 – Karton; 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 – Polypropylen; gebilligt vom EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (1075, Rn. 127) – Rhône-Poulenc. KOME 89/515/EWG, ABl. 1989 L 260, S. 1 (7) – Betonstahlmatten; gebilligt vom EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (823 ff., Rn. 70 ff.) – Tréfileurope. EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1539, Rn. 330) – SIV; bereits KOME 89/93/EWG, ABl. 1989 L 33, S. 44 (Rn. 63) – Flachglas.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
II.
147
Keine Zusammenfassung zu einem einheitlichen Tatbestand der „Koordinierung“
Damit sind die einzelnen Tatbestandsvarianten nach Art. 81 Abs. 1 EG jedoch 392 nicht gänzlich entbehrlich. Sie sind nicht etwa „nur als beispielhafte Auflistung für einen allgemeineren Tatbestand der „Koordinierung“ oder „Abstimmung“ aufzufassen“.263 Zwar bestehen in diesen Punkten die maßgeblichen Kernelemente aller drei Verhaltensvarianten des Art. 81 Abs. 1 EG. Dieser zählt aber immer noch alle drei selbstständig nebeneinander auf, ohne einen übergeordneten Bezugspunkt zu benennen. Die Freistellungsklausel des Art. 81 Abs. 3 EG führt ebenfalls alle drei Verhaltensformen explizit nacheinander auf, und auch die Nichtigkeitsanordnung nach Art. 81 Abs. 2 EG wählt keinen übergeordneten Begriff, sondern bezieht sich auf „Vereinbarungen oder Beschlüsse“. Abgestimmte Verhaltensweisen können als solche schwerlich nichtig sein, sondern höchstens eine ihnen zugrunde liegende Vereinbarung. Indes müssen auch solche tatsächlichen Abstimmungen, die auf einer faktischen Kooperation beruhen, unterbunden werden. Bereits dies deutet Abweichungen an, die in der Natur der verschiedenen erfassten Verhaltensweisen liegen. Zudem ergeben sich trotz vielfacher Angleichungen und Erweiterungen zur Er- 393 reichung einer möglichst schlagkräftigen Wettbewerbssicherung weitere Unterschiede im Detail bereits bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen. Das betrifft schon vom Wortlaut her die personelle Zuordnung zu Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen sowie den Zuschnitt, der insbesondere bei abgestimmten Verhaltensweisen differiert: Sie benötigen im Gegensatz zu Vereinbarungen und Beschlüssen nicht ein so starkes Willenselement und erfüllen „schon ihrem Wesen nach nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung“. Allein deshalb haben sie notwendig einen eigenen Anwendungsbereich.264 Zudem kommt bei ihnen gleichsam als Korrelat einer geringer ausgeprägten subjektiven Komponente tendenziell der Frage der Durchführung und damit einer tatsächlich bewirkten Wettbewerbsverfälschung größere Bedeutung zu.265 Diese Unterschiede gilt es bei der Anwendung des Kartellverbots zu beachten. 394 Sie können immer wieder zum Tragen kommen, auch wenn in den meisten Fällen eine einheitliche Prüfung ausreicht. Daher ist, wenn möglich, eine Unterscheidung zu treffen. Sie ist zwingend, sofern es infolge der Sachverhaltskonstellation auf die beschriebenen Divergenzen ankommt. Die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Tatbestand scheidet daher entsprechend mit dem Wortlaut aus. III.
Missbrauchsverbot
Vereinbarungen zwischen Unternehmen können auch mit Missbräuchen einer 395 marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG zusammenfallen oder in diese 263 264 265
So Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 114. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64/67) – ICI. S. bereits eingangs Rn. 390.
148
Kapitel 3 Kartellverbot
einmünden. So können die nach Art. 81 EG verbotswidrig zusammenarbeitenden Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen und diese missbräuchlich ausnutzen. Oder aber die Vereinbarung zwischen Unternehmen bezieht sich von vornherein auf die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. In solchen Fällen können Art. 81 und 82 EG parallel anwendbar sein, wenn beide Verhaltenskomponenten eine selbstständige Bedeutung haben.266 Etwaige Lücken werden durch die Fusionskontrollverordnung geschlossen, welche ein eigenes Wettbewerbsregime aufrichtet.
B.
Gemeinsame Willenserklärung
I.
Verträge
396 Eine Vereinbarung i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG kann jedenfalls in Form eines Vertrages zwischen verschiedenen privaten Unternehmen bestehen. Die grundsätzliche Anwendung dieser Vorschrift ist insoweit dann unzweifelhaft, wenn es sich um einen privatrechtlichen Vertrag zwischen Unternehmen handelt. In diesem Fall liegen zwei übereinstimmende Willenserklärungen vor. Damit haben die Beteiligten ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, wie es die Rechtsprechung fest fordert.267 Zudem haben sich die Unternehmen entsprechend gebunden. Besteht der Vertrag in einer Wettbewerbsbeschränkung, haben sie sich zu deren Vornahme verbindlich verpflichtet. Auf den Vertragstyp kommt es nicht an. Deshalb ist auch die Qualifikation nach 397 nationalem Recht unbeachtlich.268 Vielmehr können wettbewerbsrelevante Vereinbarungen in ganz unterschiedlichen Typen von Verträgen und Vertragsklauseln enthalten sein. Das betrifft Allgemeine Geschäftsbedingungen,269 Rahmen- bzw. Gesamtvereinbarungen,270 Satzungen271 und Vergleiche vor Gericht.272 Die Verträge müssen auch nicht mehr in Kraft sein, sofern sie weiterhin Aus- bzw. Nachwirkungen haben273 und daher den Wettbewerb beeinflussen können. Sie beruhen 266 267
268 269 270 271 272 273
S.o. Rn. 278 ff. EuGH, Rs. 41/69, Slg. 1970, 661 (696, Rn. 110/114) – Chemiefarma; Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 86) – van Landewyck; EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (830, Rn. 95) – Tréfileurope. EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 17) – BNIC/Clair. KOME 80/1283/EWG, ABl. 1980 L 377, S. 16 – Johnson & Johnson; 82/203/EWG, ABl. 1982 L 94, S. 7 – Möet et Chandon. EuG, Rs. T-7/89, Slg. 1991, II-1711 (1804, Rn. 255 f.) – Hercules Chemicals in Billigung der KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 – Polypropylen. EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 (5687 f., Rn. 35) – DLG; bereits EuG, Rs. T-61/89, Slg. 1992, II-1931 (1960 ff., Rn. 73 ff.) – Dansk Pelsdyravlerforening. EuGH, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 (5286, Rn. 15) – Bayer in Abweichung von der Kommission. EuGH, Rs. 243/83, Slg. 1985, 2015 (2040, Rn. 17) – Binon; EuG, Rs. T-7/89, Slg. 1991, II-1711 (1805, Rn. 257) – Hercules Chemicals.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
149
dann immer noch auf dieser Vereinbarung, die daher auch nachträglich noch erfasst sein muss. Das Kartellverbot erstreckt sich allerdings nur auf wettbewerbsrelevante Ver- 398 einbarungen. Im Vordergrund dieser Vorschrift steht der Zweck, einen unverfälschten Wettbewerb sicherzustellen. Daher sind auch nur die Vereinbarungen wettbewerbsrelevant, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Der Begriff der Vereinbarung ist daher schon auf dieser Ebene teleologisch reduziert. Die Nichtigkeitsfolge nach Art. 81 Abs. 2 EG ist entsprechend begrenzt. Aus einem Gesamtvertrag werden daher nur die Klauseln erfasst, welche die Wettbewerbsbeeinträchtigung zum Inhalt oder zur Folge haben oder zumindest untrennbar mit dieser verbunden sind.274 Das muss umso mehr deshalb gelten, weil in ganz unterschiedlichen Typen von Verträgen und Vertragsklauseln wettbewerbsrelevante Vereinbarungen enthalten sein können275 und diese zum Teil wie eine Satzung größtenteils gar nicht auf das Wettbewerbsverhalten bezogen sind. II.
Informelles Verhalten und bloße Willensübereinstimmungen
Entscheidend ist die Vereinbarung als solche, nicht deren Form und auch nicht die 399 Frage der Bindungswirkung. Diese ist bereits nach Art. 81 Abs. 2 EG ausgeschlossen, sofern keine Freistellung eingreift, so dass es allenfalls um eine angestrebte Rechtsverbindlichkeit geht. Das Bezwecken einer Wettbewerbsverzerrung ist aber erst im Rahmen der Beeinträchtigung zu prüfen und zudem nicht davon abhängig, welche Bindungswirkung die zugrunde liegende Vereinbarung hatte oder auch nur haben sollte. Daher ist es unbeachtlich, wenn kein nach nationalem Recht verbindlicher und wirksamer Vertrag vorliegt.276 Zudem muss er auch gar nicht angestrebt worden sein.277 Ansonsten würde man sich wieder in den Schablonen des nationalen Vertragsrechts bewegen, wenn auch lediglich auf der subjektiven Ebene. Im Rahmen der Prüfung einer Vereinbarung zählt nur die gemeinsame Planung 400 einer Wettbewerbsverfälschung. Damit kommt es auf dieser Ebene darauf an, ob ein gemeinsamer Wille nach außen hervorgetreten ist und sich in der fraglichen Maßnahme „getreu“,278 also nach dem erstrebten Gehalt, niedergeschlagen hat. Die geplante Wettbewerbsverfälschung muss sich mithin unverfälscht ausgewirkt
274
275 276 277 278
EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm, allerdings erst im Hinblick auf die Rechtsfolge sowie zuvor S. 303 einschränkend im Hinblick auf die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Näher u. Rn. 1091 ff. Von einer Teilbarkeit im Hinblick auf einen gerichtlichen Vergleich ausgehend EuGH, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 (5286, Rn. 15) – Bayer. EuGH, Rs. C-277/87, Slg. 1990, I-45 (46, 1. Leitsatz) – Sandoz. Hingegen für eine von den Parteien angestrebte Rechtsverbindlichkeit Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 37, 42 f. Bes. deutlich aus den vorgenannten Entscheidungen EuGH, Rs. 41/69, Slg. 1970, 661 (696, Rn. 110/114) – Chemiefarma: „brachten den gemeinsamen Willen der Kartellmitglieder hinsichtlich ihres Verhaltens auf dem Gemeinsamen Markt getreu zum Ausdruck“.
150
Kapitel 3 Kartellverbot
haben, damit auf einen entsprechenden Willen rückgeschlossen werden kann. Das kann auch durch ein Gentlemen´s Agreement279 oder eine Empfehlung280 erfolgen. Selbst eine bloße Willensübereinstimmung kann genügen, wenn für sie der Be401 weis erbracht werden kann,281 sie mithin in ihrer Kontur so zum Ausdruck gekommen ist, dass sie nachvollziehbar belegbar ist. Hierfür können auch Zeugenaussagen aus Gesprächen genügen. Eine besonders effektive Variante aufgrund der neuen Medien sind Belege aus E-Mails, die zwar meist informell gefasst werden, indes gleichwohl einen gemeinsamen Willen dokumentieren können. Hier bleiben in Unternehmen oft auch die Vorsichtsmaßregeln außer Acht, die beim offiziellen Schriftverkehr in Papierform angewendet werden. Fehlt es daher an offiziellen Dokumenten, die einen Vertrag enthalten, ist das Vorliegen einer informellen Willensübereinstimmung zu prüfen. Dies gilt zumal deshalb, weil auch ein solches nicht formelles Vorgehen nicht 402 zwingend mit weniger Durchsetzungswillen erfolgt als ein formeller Vertrag. Entscheidend ist insoweit der Wille der Beteiligten, die gemeinsame Erklärung oder Absprache umzusetzen, woraus sich dann bereits eine Wettbewerbsgefährdung ergibt. Ob die Einhaltungsbereitschaft aus der zwingenden rechtlichen Form oder aus anderen Umständen wie Imageverlusten bei Nichteinhaltung oder öffentlichem Druck resultiert, ändert am Auftreten von Wettbewerbsbeeinträchtigungen nichts, zumal nach Art. 81 Abs. 1 EG potenzielle genügen, sofern diese so (auch) bezweckt sind.282 Deshalb ist es sachgerecht, auf die faktische und nicht auf die rechtliche Verbindlichkeit einer Absprache abzustellen.283 Dementsprechend stuft die Kommission Gentlemen´s Agreements als Vereinbarungen ein, wenn ihre Nichtbefolgung wirtschaftlich, gesellschaftlich, moralisch oder in ähnlicher Weise sanktioniert wird.284 Die Nichteinhaltung von Selbstverpflichtungen hat regelmäßig solche negativen 403 Folgen. Die meist informierte Öffentlichkeit reagiert mit Imageabstrichen zulasten der betreffenden Unternehmen, die Verbraucher meiden die säumigen Firmen. Vielfach folgt eine von den Unternehmen nicht gewünschte gesetzliche Regelung. Selbstverpflichtungen können deshalb im Regelfall ebenfalls als Vereinbarungen i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG angesehen werden.285
279 280 281 282 283 284
285
EuGH, Rs. 41/69, Slg. 1970, 661 (696, Rn. 110/114) – Chemiefarma; EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (830 f., Rn. 96) – Tréfileurope. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 86) – van Landewyck. EuG, Rs. T-15/89, Slg. 1992, II-1275 (1378, Rn. 301) – Chemie Linz. S.o. Rn. 331. Dafür Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 74; zurückhaltend Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 81 Rn. 52. KOME 89/190/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 1 (Rn. 29 ff.) – PVC; 89/191/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 21 (32) – LDPE; ebenso GA Vesterdorf, EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (922) – Rhône-Poulenc; ihr folgend auch Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 74. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 116; im Einzelnen Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 301 ff.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
III.
151
Maßgeblichkeit der gemeinsamen wettbewerbsverfälschenden Absicht
Auch bei fehlendem Druck von außen kann der feste Wille kooperierender Unter- 404 nehmen bestehen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dieser innere und mit dem Abschluss der Vereinbarung schon zum Teil ins Werk gesetzte Wille lässt bereits Wettbewerbsbeeinträchtigungen absehbar werden. Er macht einen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen etc. Druck von außen entbehrlich. Er ist mit ihm in seinen negativen Auswirkungen für den Wettbewerb vergleichbar und kann sich unabhängig von einer Sanktionsdrohung286 durchzusetzen suchen. So kann eine bloße Verabredung vorliegen, die einen geheimen Plan enthält, der zwar wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen mit sich bringt, aber keine negativen Folgen für abweichendes Verhalten vorsieht, weil dieses womöglich gar nicht genau abgesehen werden kann und den äußeren Umständen flexibel angepasst werden muss. Insoweit reicht es aus, wenn der feste Wille der beteiligten Firmen vorhanden 405 ist, ihre Zielvereinbarung umzusetzen. Dafür entfalten die vorgenannten äußeren Umstände eine Vermutungswirkung. So genügt es dem EuG zu Recht, dass die beteiligten Unternehmen ihren gemeinsamen Willen, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten, irgendwie zum Ausdruck gebracht haben.287 Eine faktische Verbindlichkeit ist damit nicht erforderlich.288 Die Abgrenzung zu den aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ist gleich- 406 wohl möglich. Zwar zerfließen die Grenzen insoweit, als bei abgestimmten Verhaltensweisen regelmäßig keine Sanktionsdrohung im Hintergrund steht, sondern eine Koordination unter den Beteiligten freiwillig erfolgt und eine Abweichung folgenlos bleibt.289 Bei ihnen steht das Element der tatsächlichen Verwirklichung wesentlich stärker im Vordergrund. Mag es auch nicht immer erforderlich sein, weil bereits die Bezweckung einer Wettbewerbsverfälschung auch insoweit genügt,290 so lässt doch der Begriff „Verhaltensweise“ eine deutlichere objektive Komponente erkennen. Der bei Vereinbarungen sich nach außen zeigende wettbewerbsschädliche Wille macht ein darüber hinausgehendes objektives Verhalten demgegenüber entbehrlich. Der Unterschied zwischen beiden Verhaltensvarianten besteht also darin, dass im Rahmen der Vereinbarungen das Willenselement im 286 287
288 289
290
Deren Notwendigkeit hervorhebend Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 68. EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (1073, Rn. 120) – Rhône-Poulenc; Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (830, Rn. 95) – Tréfileurope; nicht so deutlich die im zweiten Judikat immerhin nur mit „vgl.“ in Bezug genommenen Urteile EuGH, Rs. 41/69, Slg. 1970, 661 (696, Rn. 110/114) – Chemiefarma (auch Vertragsklausel und tatsächliches gemeinsames Verhalten); Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 86) – von Landewyck (ebenfalls tatsächliche Befolgung); anders Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 67. Ebenso Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 99. Daher abl. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 68 a.E.; s. auch Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 109; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 90; Goldman/Lyon-Caen/Vogel, Droit commercial européen, Rn. 490. Ausführlich u. Rn. 450 ff.
152
Kapitel 3 Kartellverbot
Vordergrund steht, hingegen bei abgestimmten Verhaltensweisen die objektive Komponente im Allgemeinen stärker zum Tragen kommt. Das Adjektiv „abgestimmt“ in Art. 81 Abs. 1 EG beschreibt den objektiven Begriff der Verhaltensweise und kann daher schwerlich die Hauptrolle übernehmen. Ist lediglich ein Willenselement vorhanden, ist eher der Begriff der Vereinbarungen weit zu fassen. Zählt der einer Abstimmung entnehmbare Wille, den Wettbewerb nachteilhaft 407 zu beeinflussen, kommt es auf die nach außen sichtbare Existenz dieses Willens an, nicht hingegen darauf, wie konkret er bereits ist. Vielfach steht am Anfang einer Unternehmenskooperation zulasten der Konkurrenz eine allgemeine Verabredung, unter Ausschluss von Mitbewerbern zum eigenen Nutzen zusammenzuwirken. Soll der Wettbewerb wirksam geschützt werden, bevor eine Verfestigung einer solchen allgemeinen Verabredung eintritt und dadurch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs konkret werden kann, muss auch eine inhaltlich eher vage, aber durchaus mit dem Ziel der Wettbewerbsverfälschung getroffene Abmachung eine Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 EG bilden können. Das gilt für einen Konsens in allgemeiner Form über den generellen Rahmen künftigen Marktverhaltens291 sowie für einen die wirtschaftliche Handlungsfreiheit bindenden bzw. das Marktverhalten vorzeichnenden gemeinsamen Plan.292 Die Durchführung hingegen ist keine Voraussetzung dafür, dass eine Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 EG vorliegt. Sie kann daher auch ausgesetzt oder nur teilweise vollzogen werden, ohne ihre Tatbestandsrelevanz zu verlieren.293 Indes fehlt es dann am Bewirken einer Wettbewerbsverfälschung, so dass eine solche bezweckt worden sein muss, damit das Kartellverbot unabhängig vom tatsächlichen Effekt eingreift.294 Können damit auch eher für ein konkretes Handeln vorbereitende Absprachen 408 und informelle Verhaltensweisen Vereinbarungen nach Art. 81 Abs. 1 EG bilden, kann es auf die Form schwerlich ankommen. Vielmehr werden solche Verabredungen oft mündlich getroffen. Dies genügt.295 Das kann etwa in Sitzungen erfolgen, die dann allerdings ggf. protokolliert werden, so dass ein schriftlicher Beweis vorliegt.296 Ebenso kommt konkludentes Handeln in Betracht,297 durch welches auch Verträge abgeschlossen werden können, insbesondere aber informelle Erklärungen akzeptiert und in einem konkreten Verhalten befolgt werden. Geeignete Beweismittel sind insoweit vor allem Notizen, die sich bei den involvierten Unternehmen finden,298 oder ein Briefwechsel.299 291 292 293 294 295 296 297 298 299
KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 126) – Karton. KOME 89/190/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 1 (Rn. 30) – PVC; 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 81) – Polypropylen. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 100. Bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (390 f.) – Consten Grundig. KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 – Polypropylen; ebenso GA Vesterdorf, EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (922) – Rhône-Poulenc. S. EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (1052 f., Rn. 43 f.) – Rhône-Poulenc. GA Vesterdorf, EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (922) – Rhône-Poulenc: „wohl auch“. EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (818 f., Rn. 54 f.) – Tréfileurope. S. z.B. EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 (1055 f., Rn. 52 ff.) – Rhône-Poulenc.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
IV.
153
Notwendigkeit freiwilliger Erklärungen
Wirksamkeitsvoraussetzung von Willenserklärungen ist im Zivilrecht, dass sie ohne Zwang abgegeben wurden. Lediglich dann liegt auch ein autonomes Verhalten eines Unternehmens vor. Ansonsten handelt dieses gar nicht selbstständig, sondern auf Veranlassung eines anderen. Es besteht dann keine Vereinbarung zwischen (verschiedenen) Unternehmen. Vielmehr ist dann zu prüfen, ob nicht das Missbrauchsverbot eingreift, weil ein Unternehmen durch seine wirtschaftliche Machtstellung ein anderes dazu zwingen konnte, eine „Vereinbarung“ mit ihm einzugehen und auf diese Weise z.B. unangemessene Geschäftsbedingungen zu akzeptieren (s. Art. 82 lit. a) EG). Die Rechtsprechung allerdings lässt den Einwand des Zwanges nicht gelten. Sie verweist demgegenüber darauf, statt sich dem Druck zu beugen, hätten die Betroffenen Anzeige erstatten und Beschwerde einlegen können.300 Im wirtschaftlichen Geschäft sind jedenfalls Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen aufgrund geschäftlicher Verbindungen, die erhalten werden sollen und z.T. zur Existenzsicherung auch erhalten werden müssen, weit verbreitet. Diese Abhängigkeiten müssen nicht notwendig auf einer marktbeherrschenden Stellung des Gegenübers beruhen, so dass bei einem ausschließlichen Abstellen auf das durch Art. 82 EG vorgegebene Maß an Beherrschungsmacht nicht unerhebliche Schutzlücken für die Sicherung des Wettbewerbs auftreten würden. Vielmehr können sich Verhaltensweisen a priori beiden Verbotstatbeständen zuordnen lassen, wenn sie die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen. Das gilt unabhängig vom Inhalt und von der Art und Weise des Zustandekommens. Deshalb können insbesondere nicht vertikale Vereinbarungen aus dem Kartellverbot ausgeklammert werden,301 obgleich bei diesen tendenziell häufiger Abhängigkeitslagen auftreten werden. Vielmehr erfasst das Kartellverbot und nicht nur das Missbrauchsverbot gerade auch solche Vereinbarungen. Daher kann eine Kooperation, die auf einer bloßen Abhängigkeit beruht, noch nicht aus dem Begriff der Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 EG herausgenommen werden. Insoweit kommt nur eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Geldbuße in Betracht.302 Aber auch das Argument des Zwanges ist schwierig zu handhaben, da der Übergang zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und ökonomischem Zwang, der leicht aus einer einseitigen Ausrichtung auf einen Vertragspartner erwachsen kann, fließend ist. Würde man dieses Argument akzeptieren, wären Vereinbarungen wesentlich schwieriger nachzuweisen. Zudem ist es immer noch eine ökonomische Abwägungsentscheidung, sich dem Druck eines Vertragspartners zu widersetzen und dafür unter Umständen nicht unerhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen oder sich ihm unter dem Risiko der Sanktion nach dem EG-Kartellrecht zu beugen. Daher kann zwar physischer Zwang dazu führen, dass eine Vereinba300 301 302
Explizit EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (820, Rn. 58) – Tréfileurope. Zur Beschwerde u. Rn. 1630 ff. Schon EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (387) – Consten Grundig. S. sogleich näher nachfolgende Rn. 412. EuGH, Rs. 32 u.a./78, Slg. 1979, 2435 (2482, Rn. 52 ff.) – BMW Belgium.
409
410
411
412
154
Kapitel 3 Kartellverbot
rung nicht unter das Kartellverbot fällt, nicht aber bloßer wirtschaftlicher Druck, und sei er auch sehr stark. V.
Wettbewerbsbezogener Inhalt
413 Der Inhalt der Vereinbarung wird in Art. 81 Abs. 1 EG nicht näher festgelegt. Entscheidend ist vom Zweck des Kartellverbots her, dass sie sich negativ auf den Wettbewerb auswirken kann. Das ist dann der Fall, wenn sie die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Kartellverbots erfüllen kann.303 Darin wird näher definiert, unter welchen Bedingungen eine wettbewerbsrelevante Auswirkung i.S.d. Kartellverbots möglich ist. Beispiele für solche Vereinbarungen werden in Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG genannt. Insoweit handelt es sich um besonders wettbewerbsrelevante Vereinbarungen. Dabei wird aber zugleich das weite Spektrum möglicher Abmachungen deutlich. Wie bereits aus dem Beispiel nach lit. c) (Aufteilung der Märkte nach lit. c)) hervorgeht, kann es sich um horizontale, also Wirtschaftsteilnehmer der gleichen Wirtschaftsstufe erfassende Vereinbarungen handeln. Oder aber um vertikale Vereinbarungen, welche Wirtschaftsteilnehmer verschiedener Wirtschaftsstufen einbeziehen,304 etwa bestehend in der Festsetzung unterschiedlicher Lieferbedingungen nach lit. d). Die Verhaltensweisen müssen allerdings nicht notwendig einen derartig engen Bezug zum Wettbewerbsgeschehen haben, sondern können etwa auch Vorstufen der Produktvermarktung und damit namentlich die Produktentwicklung betreffen.305 Das ergibt sich aus den Freistellungstatbeständen des Art. 81 Abs. 3 EG. Dieser bedürfte es nicht für Vereinbarungen zur Förderung des technischen Fortschritts, wenn diese von vornherein nicht dem Kartellverbot unterfielen. VI.
Keine lediglich einseitigen Erklärungen
414 Dadurch dass gem. Art. 81 Abs. 1 EG Vereinbarungen vorliegen und diese zudem „zwischen Unternehmen“ geschlossen werden müssen, reichen einseitige Erklärungen nicht aus, auch wenn diese etwa in ein Folgeverhalten einmünden. Dann handelt es sich höchstens um abgestimmte Verhaltensweisen, sofern dieses Folgeverhalten in einer Kooperation mit zumindest einem anderen Unternehmen besteht. Ist es rein einseitig oder zumindest einseitig auferlegt, greift höchstens
303
305
Darauf abhebend Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 95. S. auch o. Rn. 331.304 Bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (302 f.) – Maschinenbau Ulm und Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (386 f.) – Consten Grundig hoben auf die Unbeachtlichkeit der Handelsstufe ab. F&E-Tätigkeit, Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 95.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
155
Art. 82 EG, der in erster Linie Verhaltensweisen erfasst, die nur von einem Unternehmen ausgehen. Damit Art. 81 EG einschlägig sein kann, müssen sich also einseitige Verhaltens- 415 weisen in zweiseitige einfügen und als Gesamttatbestand qualifizieren lassen.306 Das ist dann möglich, wenn eine einseitige Handlung den Bestandteil einer umfassenden Vertragsbeziehung wie im Rahmen eines Händlervertrages bildet307 bzw. in eine allgemeine Vereinbarung wie einen vorherigen Lieferungsvertrag eingebettet ist und sich als deren logische Konsequenz erweist.308 So kann auch eine Maßnahme mit hinreichend engem Zusammenhang zu einer bestehenden Vereinbarung ausreichen,309 z.B. der Ausschluss bestimmter Händler im Rahmen eines zwischen Hersteller und Händlern vereinbarten Verkaufs- und Vertriebssystems.310 Nachträglich einbeziehend wirkt eine spätere konkludente Zustimmung etwa zu einer Vertragsänderung.311 Voraussetzung ist allerdings, dass dann die vorherige Handlung in die Vereinbarung einbezogen wird und damit noch auf dieser beruht; möglicherweise ist sie ja bereits im Vorgriff auf die spätere Vereinbarung vorgenommen worden und so mit dieser eng verbunden. Nach neuerer Rechtsprechung ist ein subjektives Element erforderlich, um Maß- 416 nahmen, die isoliert betrachtet einseitig sind, als Bestandteil einer Vereinbarung bewerten zu können. Sie dürfen nicht nur einseitig geplant und ergriffen worden sein, sondern der Betroffene muss ihnen zumindest stillschweigend zugestimmt haben.312 Ansonsten besteht keine Kooperation, die ein zentrales Element des Kartellverbots bildet. Darin unterscheidet sich das Kartellverbot maßgeblich vom Missbrauchsverbot, welches einseitiges Handeln erfasst. Diese Zweiseitigkeit muss mindestens subjektiv vorhanden sein. Daran fehlt es, 417 wenn sich die Händler eines Herstellers wie im Fall Bayer lediglich fügen, ohne dass ein Verkaufsverbot des Herstellers und eine stillschweigende Zustimmung hierzu nachgewiesen werden können. Im konkreten Fall ging es um Begrenzungen der Lieferungen eines Medikaments an Großhändler, die dieses Mittel neben Bayer zu erhöhten Preisen in ein anderes Land mit höherem Preisniveau weiterexportieren konnten. Einem Verbot von Parallelexporten, das die Kommission implizit annahm, wollten sich die Bayer-Produkte vertreibenden Großhändler gerade widersetzen. Sie täuschten nämlich einen gestiegenen Bedarf auf den heimischen Märkten vor. Zwar bewegten sie sich damit im Rahmen der Strategie von Bayer, billigten sie aber nicht, sondern versuchten diese im Gegenteil zu ihrem Vorteil
306 307 308 309 310 311 312
Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 101 auch zu den im Folgenden genannten Beispielen. EuGH, Rs. 25 u. 26/84, Slg. 1985, 2725 (2743, Rn. 21) – Ford II. EuGH, Rs. C-277/87, Slg. 1990, I-45 (45, 1. Leitsatz) – Sandoz. S. EuGH, Rs. 228 u. 229/82, Slg. 1984, 1129 (1161 f., Rn. 21) – Ford I. KOME 82/267/EWG, ABl. 1982 L 117, S. 15 – AEG-Telefunken. KOME 88/172/EWG, ABl. 1988 L 78, S. 34 – Konica. EuG, Rs. T-41/96, Slg. 2000, II-3383 (3444, Rn. 173) – Bayer; bestätigt durch EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, EuZW 2004, 309 (313, Rn. 102 ff.) – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V.; ebenso EuGH, Rs. C-338/00 P, Slg. 2003, I-9189 (9258 f., Rn. 66 ff.) – Volkswagen.
156
Kapitel 3 Kartellverbot
auszunutzen und dadurch zu ihrem eigenen Gewinn zu unterlaufen.313 Es handelte sich um eine bloße Reaktion auf ein einseitiges Verhalten des dominanten Partners, dem man nicht ausweichen konnte. Von der Anlage der Verhaltensweise bewegte man sich daher höchstens im Rahmen des Missbrauchsverbots. Die Wettbewerbsbeschränkung muss also gemeinsam gewollt und darf insbe418 sondere nicht lediglich einseitig auferlegt sein. Das gilt auch dann, wenn sie in eine laufende Geschäftsbeziehung eingebettet ist.314 Eine vertragliche Vereinbarung deckt nicht folgende wettbewerbswidrige Verhaltensweisen ab, wenn ihnen nicht konkret zugestimmt wurde.315 Damit muss sich die subjektive Komponente nicht nur auf eine allgemeine Geschäftsbeziehung, sondern auf die konkrete Handlung erstrecken. Diese muss also Teil des gemeinsamen Willens geworden sein. Das Kartellverbot bezieht sich schließlich auf konkrete wettbewerbsrelevante Handlungen. Deshalb müssen zugleich mehrere Unternehmen für die konkrete Handlung nicht nur passiv involviert, sondern jedenfalls duldend beteiligt sein und sich damit zum Komplizen gemacht haben. Die bloße Anpassung an Kontroll- und Sanktionsmechanismen eines dominanten Partners genügt dafür nicht,316 sondern schließt ein bilaterales Verhalten eher aus und spricht für eine einseitige Vorgehensweise, die höchstens im Rahmen von Art. 82 EG zu kontrollieren ist, sofern eine marktbeherrschende Stellung vorliegt. VII.
Keine Maßnahmen gleicher Wirkung
419 Im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit, die mit der Wettbewerbsfreiheit zahlreiche Verbindungslinien aufweist,317 werden traditionell den mengenmäßigen Beschränkungen Maßnahmen gleicher Wirkung gleichgestellt und dabei entsprechend der Zielsetzung dieser Grundfreiheit weit gefasst. Sie müssen nur den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, aktuell oder potenziell zu behindern geeignet sein.318 Eine solche zielorientierte Betrachtungsweise erfolgt auch bei anderen Grundfreiheiten. So wurde für die Kapitalverkehrsfreiheit jedenfalls faktisch die vorgenannte Dassonville-Formel übernommen.319 Auch die Wettbewerbsregeln zielen maßgeblich darauf ab, den grenzüberschrei420 tenden Leistungsaustausch zu sichern, und nehmen als dafür entscheidendes Ele-
313 314
315 316 317 318 319
EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, EuZW 2004, 309 (314, Rn. 123 ff.) – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V.; zust. Wertenbruch, EWS 2004, 145 (149 f.). So zusammenfassend EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, EuZW 2004, 309 (314, Rn. 141) – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V.; ebenso Kamann/Bergmann, EWS 2004, 151 (154 f.). S. EuG, Rs. T-208/01, EWS 2004, 174 (176 f., Rn. 45, 58) – Volkswagen. EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, EuZW 2004, 309 (311 f., Rn. 78 ff.) – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V. S.o. Rn. 35 ff. Grundlegend EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville; später z.B. Rs. C-470/93, Slg. 1995, I-1923 (1940 f., Rn. 12 f.) – Mars. Frenz, Europarecht 1, Rn. 2796 f. unter Rückgriff u.a. auf EuGH, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 (4773 f., Rn. 45) – Goldene Aktien I (Kommission/Portugal).
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
157
ment die Gewährleistung freien, unverfälschten Wettbewerbs heraus.320 Jedoch werden sowohl in Art. 81 EG als auch in Art. 82 EG nur bestimmte wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen herausgegriffen. Diese müssen daher jedenfalls im Ansatz verwirklicht sein. Eine lediglich wirkungsorientierte Betrachtungsweise kann deshalb nicht weiterführen. Ansonsten hätte es einer eigenen Fusionskontrollverordnung nicht bedurft.321 Auch die klassischen Grundfreiheiten greifen bestimmte, für den grenzüber- 421 schreitenden Leistungs- und Personenaustausch besonders bedeutsame Felder heraus und werden nicht gänzlich davon losgelöst interpretiert, wie die Keck-Rechtsprechung zeigt.322 Zudem fehlt bei allen diesen Tatbeständen eine notwendige subjektive Komponente in Form einer Koordinierung, wie sie Art. 81 Abs. 1 EG explizit nennt. Im Gegenteil erfassen die klassischen Grundfreiheiten nur einseitige Maßnahmen und damit etwa Selbstverpflichtungen mit staatlicher Beteiligung lediglich dann, wenn das jeweilige staatliche Verhalten den beeinträchtigenden Effekt allein hervorzurufen geeignet ist.323 Von den Wettbewerbsregeln bezieht sich nur Art. 82 EG auf einseitige Maßnahmen und stellt damit die insoweit erfolgende Wettbewerbskontrolle in einen bestimmten Kontext. Fehlt dieser, kann nicht durch die Hintertür Art. 81 EG ausgeweitet und auf einseitige Maßnahmen erstreckt werden. Die Annahme von Maßnahmen gleicher Wirkung wie Vereinbarungen scheidet daher aus, auch wenn Unternehmen durch Kontroll- und Sanktionsmechanismen eines anderen Unternehmens in ihrem freien Wettbewerbsverhalten beeinträchtigt werden.324 Sie müssen aber einer solchen Beschränkung selbst zustimmen.
C.
Zwischen Unternehmen
I.
Verschiedene Unternehmen
Art. 81 Abs. 1 EG setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut Vereinbarungen zwi- 422 schen Unternehmen voraus. Das trifft jedenfalls zu, wenn die Unternehmen personenverschieden sind. Auch wenn man mittlerweile wegen der wirkungsorientierten Betrachtungsweise im Rahmen des Kartellverbots nicht mehr auf die rechtliche Selbstständigkeit abstellt, die in Art. 81 Abs. 1 EG auch nicht explizit vorausgesetzt wird, müssen zwei wirtschaftliche Einheiten vorliegen, die eigenständig am Wettbewerb teilnehmen. Besteht wie bei Vereinbarungen zwischen Mutterund konzernabhängiger Tochtergesellschaft nur eine wirtschaftliche Einheit, fehlt es jedenfalls an einer Wettbewerbsbeschränkung.325 Das Abheben des EuGH auf 320 321 322 323 324 325
S.o. Rn. 53, 56. S.u. Rn. 1659 ff. EuGH, Rs. C-267 u. 268/91, Slg. 1993, I-6097 (6131, Rn. 16 f.) – Keck. Näher dazu Frenz, Europarecht 1, Rn. 810 ff. S.o Rn. 109; sowie Frenz, Europarecht 1, Rn. 728. EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, EuZW 2004, 309 (310, Rn. 78 ff.) – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V. So unter Berufung auf die h.A. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 92.
158
Kapitel 3 Kartellverbot
die bestehende wirtschaftliche Einheit spricht aber eher für ein Ausscheiden solcher Vereinbarungen bereits auf personeller Ebene. Nur wirkt sich die a priori ausgeschlossene Wettbewerbsbeschränkung auf diese Ebene aus. Die notwendige Verschiedenheit der einander im Wettbewerb gegenüberstehen423 den und daher eigenständigen wirtschaftlichen Einheiten muss zwischen Unternehmen bestehen und kann daher nicht durch die handelnden Akteure hergestellt werden. Deren Handeln wird vielmehr den Unternehmen zugerechnet, denen diese Personen zuzuordnen sind. Das gilt selbst dann, wenn sie außerhalb der ihnen zustehenden Vertretungsmacht gehandelt haben. Auch in diesem Fall traten sie im Wirtschaftsleben nach außen für ihr Unternehmen auf, und das Unternehmen wählte sie immerhin aus. Deshalb ist eine von ihnen getroffene Vereinbarung gleichwohl dem Unternehmen unter dem Gesichtspunkt eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens zurechenbar.326 Es genügt die allgemeine Berechtigung, für das Unternehmen zu handeln.327 II.
Offenheit der Unternehmensform auch für staatliche Unternehmen
424 Die Rechtsnatur der Unternehmensform ist nicht näher vorgegeben und daher offen, sofern nur überhaupt zwei Unternehmen vorhanden sind. Beteiligt sich der Staat an einer Vereinbarung, ist Art. 81 Abs. 1 EG daher dann unproblematisch anwendbar, wenn er dies als Unternehmer tut, indem er am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teilnimmt.328 Es muss sich nicht einmal um eine organisatorisch verselbstständigte Einheit handeln.329 Entscheidend ist das Handeln des Staates als Unternehmer in dem entsprechenden Tätigkeitsfeld. In welcher Rechts- und Organisationsform dies nach nationalem oder auch Gemeinschaftsrecht erfolgt, ist unbeachtlich, sofern der betroffene Bereich nach erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen wahrgenommen wird. Nur so kann angesichts der vielfältigen staatlichen Organisations- und Handlungsformen das Wettbewerbsrecht effektiv gewahrt werden.330 Daher kann der Staat selbst aus Art. 81 Abs. 1 EG unmittelbar verpflichtet sein.331 Ist der Staat hingegen als Hoheitsträger Vertragspartner, fehlt es an der Unter425 nehmereigenschaft. Daher ist entsprechend der Rechtsprechung des EuGH und der ganz h.M., nach der staatliche nichtunternehmerische Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbots fallen,332 Art. 81 Abs. 1 EG nicht heranzu-
326 327 328 329 330 331 332
KOME 92/426/EWG, ABl. 1992 L 233, S. 27 (Rn. 16) – VIHO; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 82. EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 (1903, Rn. 97) – Musique Diffusion Française. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 30; s. dazu näher EuGH, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 (885 f., Rn. 17 ff.) – Italien/Kommission; Marenco, CDE 1986, 285 (297 ff.) m.w.N. Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (537 f.). EuGH, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 (2621, Rn. 6 f.) – Kommission/Italien im Hinblick auf das Beihilfenverbot. S.o. Rn. 369 ff. S.o. Rn. 370 ff.
§ 3 Vereinbarungen zwischen Unternehmen
159
ziehen.333 Für die Unternehmen, die sich binden, kann gleichwohl Art. 81 Abs. 1 EG greifen, sofern der Vertrag bereits kooperative Elemente enthält, um eine von den Unternehmen zu tragende gemeinsame Verpflichtung zu erfüllen, und daher sich zugleich die beteiligten Unternehmen gegenseitig verpflichten. Das ist insbesondere bei einer Selbstverpflichtung der Fall.334 Gerade bei staatlicher Beteiligung kann es sich je nach Abschlussform und Ge- 426 genstand um öffentlich-rechtliche Verträge handeln.335 Jedoch sind bei einer Qualifizierung ausschließlich nach dem Inhalt öffentlich-rechtliche Verträge auch zwischen Privaten möglich.336 Aufgrund dieser Qualifikation die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln für private Unternehmen auszuschließen, hätte allerdings zur Folge, dass deren Eingreifen von der unterschiedlichen nationalen Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Bereich abhinge. Damit würden sie nicht mehr einheitlich angewendet, und ihr Anwendungsbereich wäre für mitgliedstaatliche Manipulation offen. Die Rechtsform ist daher nicht entscheidend.337 Die Zuordnung einer Maßnahme zum öffentlich-rechtlichen Bereich kann deshalb die Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 EG nicht ausschließen.338 III.
Vereinbarung einer Unternehmensvereinigung
An einem Vertrag kann auch ein Verband und damit eine Unternehmensvereini- 427 gung beteiligt sein. So können Unternehmen Verträge mit Unternehmensvereinigungen etwa einer anderen Branche schließen, oder aber Unternehmensvereinigungen treffen untereinander Vereinbarungen. Der EuGH fasste eine entsprechende Vereinbarung ohne nähere Problematisierung unter das Kartellverbot und sah auch darüber hinweg, dass die beiden abschließenden Gruppierungen in einer gemeinsamen Stelle zusammenfasst waren.339 Indes nennt Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG lediglich Unternehmen und bezieht Unternehmensvereinigungen nur auf Beschlüsse. Dies ist insofern unschädlich, als der Vereinbarung einer Unternehmensvereinigung regelmäßig ein Beschluss vorausgehen wird, so dass es nur auf diesen und nicht auf die spätere Vereinbarung ankommen muss, um das Kartellverbot eingreifen zu lassen. Indes kann der Beschluss allgemeiner Natur sein und erst in der Ver333 334 335 336
337 338
339
Für Selbstverpflichtungen v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 113 f. Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 299. S. am Beispiel von Selbstverpflichtungen Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 90 ff. S. OVG Lüneburg, OVGE 27, 341 (343); Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 117; eng begrenzend Knebel/Wicke/ Michael, Selbstverpflichtungen und normersetzende Umweltverträge als Instrumente des Umweltschutzes, 1999, S. 171; unter Verweis auf insbes. spezialgesetzliche Regelungen Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 54 Rn. 7. Allgemein EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 17) – BNIC/Clair. Mestmäcker, in: FS für Börner, 1992, S. 277 (278 f.); v. Bernuth, Umweltschutz-fördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 113; a.A. wohl Pernice, EuZW 1992, 139 (142). EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 20) – BNIC/Clair.
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Kapitel 3 Kartellverbot
einbarung seinen konkreten, wettbewerbsschädlichen Niederschlag finden. Zudem wird nur bei der Erfassung der Vereinbarung auch das beteiligte Einzelunternehmen einbezogen. Eine Vereinbarung kann aber wesentlich konkretere negative Wirkungen auf den Wettbewerb haben. Wird schon der ggf. vorbereitende Beschluss erfasst, muss dies erst recht für die folgende Vereinbarung gelten, zumal wenn sie den Beschluss konkretisiert und implementiert. Da die Wettbewerbsregeln auf möglichst vollständige Erfassung wettbewerbs428 schädlicher Verhaltensweisen angelegt sind, ist über personale Überschneidungen hinwegzusehen, sofern nur in der Sache eine Vereinbarung vorliegt, die den Wettbewerb beeinträchtigen kann. Weil Art. 81 in der Zusammenschau mit Art. 82 EG auf weitest gehende Lückenlosigkeit ausgelegt ist,340 sind erst recht die Tatbestände des Art. 81 Abs. 1 EG auf ein geschlossenes Schutzsystem hin zu interpretieren. Daher sind auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen einzubeziehen. Schon von der Begrifflichkeit her ist dies insoweit möglich, als Unternehmensvereinigungen zugleich selbst wirtschaftlich tätig sind und damit als Unternehmen handeln.341 Im Übrigen gebietet es der Sinn und Zweck des Kartellverbots, möglichst umfassend einen unverfälschten Wettbewerb sicherzustellen. Ansonsten wären zudem Umgehungen dadurch möglich, dass Unternehmensvereinigungen sich bewusst nicht wirtschaftlich betätigen und als Drehscheibe für die Organisation von Wettbewerbsverfälschungen fungieren, indem sie mit jedem einzelnen Unternehmen eine Einzelvereinbarung abschließen. Vertritt die Unternehmensvereinigung im Rahmen ihrer Handlungsmacht die 429 Mitgliedsfirmen, werden ohnehin diese Vertragspartner, so dass es sich um deren Vereinbarungen handelt.342 Da der Staat als Vertragspartner i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG nur bei einem Handeln als Unternehmer in Betracht kommt,343 muss ein mit ihm als Hoheitsträger geschlossener Vertrag auch die Unternehmen gegenseitig verpflichtende Elemente enthalten, um eine „Vereinbarung zwischen Unternehmen“ darstellen zu können. Oder aber die Unternehmen müssen an die Unternehmensvereinigung durch Vereinbarung rückgekoppelt sein, in der etwa die Erfüllung einer Selbstverpflichtung z.B. durch Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Mitgliedsfirmen geregelt wird. Dann haben allerdings vielfach zugleich die Einzelunternehmen zuerst untereinander eine Vereinbarung getroffen.
340 341 342 343
S.o. Rn. 57. GA Lenz, EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5027, Rn. 256) – Bosman. Dies als unstr. ansehend Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 82 a.E. Für Vereinbarungen mit dritten Unternehmen KOME 90/33/EWG, ABl. 1990 L 18, S. 35 (Rn. 33) – A.P.B.; 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (97 ff.) – Zement. S. vorstehend Rn. 424 ff.
§ 4 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
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§ 4 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen A.
Unternehmensvereinigung als Kooperationsform
So weit wie Vereinbarungen zwischen Unternehmen sind auch Beschlüsse von 430 Unternehmensvereinigungen zu fassen. Sie werden von der Kommission als jede satzungsmäßig vorgesehene und im Einklang mit den Vorschriften der Satzung zustande gekommene Willensäußerung definiert.344 Vor diesem Hintergrund können auch nicht formelle Erklärungen von Unternehmensverbänden, ja selbst Verbandsempfehlungen als Beschluss i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG angesehen werden.345 Zwar handelt es sich dabei um einseitige Erklärungen einer Unternehmensvereinigung. Das kooperative Element liegt aber hier darin, dass eine Unternehmensvereinigung mehrere Unternehmen vereint und damit deren Plattform bildet. „Entscheidend für die Anwendung dieses Begriffs“ des Beschlusses einer Unternehmensvereinigung „ist somit, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aus dem Beitritt zu der Vereinigung ergibt, in der sie zusammengeschlossen sind und die ihre Interessen vertritt, und dass die Satzung der Vereinigung ihre Zustimmung zu den von der Vereinigung getroffenen Maßnahmen impliziert“.346 Insoweit liegt auch eine Vereinbarung zwischen Unternehmen vor, nur vermit- 431 telt durch die Zwischenstufe der Unternehmensvereinigung. Daraus erklärt sich auch, dass insoweit eine Bindungswirkung verlangt wird.347 Diese belegt dann nicht notwendig die Ernsthaftigkeit der wettbewerbsverfälschenden Absicht, sondern stellt das Dreiecksverhältnis zwischen den auf dem Markt agierenden Unternehmen und der Unternehmensvereinigung erst her. Hierfür kommt es allerdings darauf an, dass sich die Unternehmen an die Vorgaben der Unternehmensvereinigung gebunden sehen, unabhängig davon, ob der Beschluss selbst Verbindlichkeit besitzt. Weil die Figur der Unternehmensvereinigung die Beziehung zwischen ver- 432 schiedenen Unternehmen erst herstellt, ist es notwendig, dass sich der Beschluss der Unternehmensvereinigung an Unternehmen richtet und damit ihr Verhalten beeinflusst. Nur dadurch handelt es sich auch insoweit um eine Vorschrift für Unternehmen, wie sie die Abschnittsüberschrift über Art. 81 Abs. 1 EG bezeichnet. Diese notwendige Anbindung von Unternehmen an die Unternehmensvereinigung kann allerdings auch indirekt erfolgen, etwa über eine Berufsorganisation, die Mitglied der Unternehmensvereinigung ist und ihre Mitgliedsunternehmen auf diesen Beschluss verpflichtet.348 Erforderlich ist allerdings, dass sich die Unternehmen durch den Beschluss dieser übergeordneten Vereinigung gebunden sehen. 344 345
346 347 348
KOME 85/75/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 20 (Rn. 23) – Feuerversicherung. Etwa KOME 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 (Rn. 46) – Niederländische Banken; 90/25/EWG, ABl. 1990 L 15, S. 25 (Rn. 16 ff.) – Concordato Incendio; 93/3/EWG, ABl. 1993 L 4, S. 26 (Rn. 16 ff.) – Lloyd`s Underwriters. So zusammenfassend GA Darmon, EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (437 f., Rn. 12) – Verband der Sachversicherer. Deutlich GA Mayras, EuGH, Rs. 8/72, Slg. 1972, 977 (998) – Cementhandelaren. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 66.
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Kapitel 3 Kartellverbot
Nur dann strahlt dieser hinreichend auf sie aus, um sie in das für Art. 81 Abs. 1 2. Alt. EG erforderliche Dreiecksverhältnis einzubeziehen. Unabdingbar ist weiter, dass der Beschluss einer vorhandenen Unternehmensvereinigung entspringt. Diese muss also entsprechend dem Wortlaut des Kartellverbots bereits bestehen. Fassen mehrere Unternehmen den Beschluss, eine Unternehmensvereinigung zu gründen, kann darin allenfalls eine Vereinbarung zwischen Unternehmen liegen, sofern bereits dieser Beschluss und nicht erst die der Unternehmensvereinigung entspringende Handlung wettbewerbsschädlich i.S.d. Kartellverbots sein kann. Demgegenüber geht die Geschäftsordnung regelmäßig bereits von den zuständigen Organen der Unternehmensvereinigung aus und bildet daher einen Beschluss.349 Bei der Satzung kommt es demgegenüber darauf an, ob sie noch von den Gründungsmitgliedern abgesprochen wird und damit einen Bestandteil der Vereinbarung zur Gründung einer Unternehmensvereinigung bildet oder erst im Rahmen der Unternehmensvereinigung etwa als endgültige in der ersten Mitgliederversammlung erstellt bzw. später geändert wird. Diese selbst wird aber kaum eine wettbewerbsschädliche Wirkung erzeugen, sondern eher die Grundlage insbesondere für die notwendige Einbeziehung der Mitgliedsunternehmen im Rahmen eines Beschlusses bilden. Konkret wettbewerbsschädlich können hingegen Absprachen von Mitgliedsunternehmen etwa in einem Unterausschuss und damit unter dem Dach einer Unternehmensvereinigung sein. Insoweit stellt die Unternehmensvereinigung aber nur den Rahmen zur Verfügung. Die konkret wettbewerbsrelevante Verhaltensweise geht von einzelnen Unternehmen aus. Deshalb handelt es sich um deren Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG.350 Das gilt auch dann, wenn die Unternehmensvereinigung nicht für sich selbst, sondern im Namen oder im Auftrag ihrer Mitgliedsunternehmen Abmachungen mit Unternehmen trifft, die nicht Mitglied bei ihr sind.351 Zudem kann die Unternehmensvereinigung auch selbst ein Unternehmen bilden. Agiert sie in dieser Eigenschaft und trifft Abmachungen mit anderen Unternehmen, handelt es sich gleichfalls um Vereinbarungen von Unternehmen.352 Unabhängig davon können dann wettbewerbsschädliche Wirkungen von solchen Verhaltensweisen ausgehen. Daher gilt es nicht, allzu hohe formale Anforderungen zu stellen, sondern möglichst sämtliche von Unternehmensvereinigungen ausgehende Verhaltensweisen zu erfassen.353 Die Kommission verzichtet denn in Grenzfällen auch auf eine eindeutige Unterscheidung.354 In welcher Form die Unternehmensvereinigung konstituiert wurde, ist unbeachtlich. Dazu zählen daher nicht nur Vereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit,
349 350 351 352 353 354
Z.B. KOME 95/551/EG, ABl. 1995 L 312, S. 79 (Rn. 15 f.) – Kraanverhuur. KOME 93/174/EWG, ABl. 1993 L 73, S. 38 (Rn. 20 ff.) – Tarifstrukturen im kombinierten Güterverkehr. KOME 90/33/EWG, ABl. 1990 L 18, S. 35 (Rn. 33) – A.P.B. S.o. Rn. 383. S.o. Rn. 428, 430. S.o. Rn. 427.
§ 4 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
163
sondern auch nichtrechtsfähige Gesellschaften und Vereine.355 Erforderlich ist nur eine organisatorische Einheit, welche die beteiligten Unternehmen vereinigt. Wodurch diese zustande gekommen ist und worauf sie gegründet ist, tritt demgegenüber zurück. In Betracht kommen also nicht nur Vereinbarungen, wie sie regelmäßig vorliegen werden,356 sondern auch Gesetze oder staatliche Hoheitsakte im Einzelfall,357 welche eine Unternehmensvereinigung vorgeben. Dass es sich insoweit um öffentlich-rechtliche Vorgänge handelt, ist deshalb unschädlich, weil lediglich das spätere Verhalten der Unternehmensvereinigung erfasst wird, nicht hingegen die Gründung und Organisation selbst. Damit ist auch die Rechtsform der Unternehmensvereinigung unbeachtlich. Sie kann auch öffentlich-rechtlich sein. Erfasst werden allerdings nur deren Beschlüsse, welche sich an Unternehmen richten, nicht etwaige Hoheitsakte.
B.
Mögliche Beschlussfassungen
Grundlage für das Eingreifen von Art. 81 Abs. 1 2. Alt. EG bildet die Beschluss- 438 fassung einer Unternehmensvereinigung. Diese kann auf verschiedenen Wegen erfolgen, da der Begriff des Beschlusses offen ist und zudem die Unternehmensvereinigung in ihrer Form nicht näher festgelegt wird.358 Zum einen ist das beschließende Organ gleichgültig. Es kann also sowohl die Unternehmensvereinigung als solche und damit vor allem die Gesamtheit der Mitglieder namentlich in einer Versammlung oder auch in einem schriftlichen Verfahren als auch ein hierfür eingesetztes Organ einen Beschluss fassen. Damit kommt insbesondere die Geschäftsführung in Betracht, aber auch etwa ein für die entsprechende Aufgabe zuständiger Ausschuss. Wie bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen stellt sich die Frage, inwieweit 439 eine Zurechnung erfolgt, wenn ein nicht satzungsgemäßes Organ gehandelt hat. Bei Kompetenzüberschreitungen wurde das Organ immerhin von der Unternehmensvereinigung eingesetzt, so dass diese sich sein Handeln zurechnen lassen muss. Zudem können von einem zumindest auf die Unternehmensvereinigung weisenden Beschluss wettbewerbsschädliche Auswirkungen ausgehen. Da gemeinschaftseinheitliche Maßstäbe nicht existieren, bedürfte es bei einem anderen Vorgehen schließlich der Durchforstung des nationalen Vereins- bzw. Vereinigungsrechts mit all seinen Regelungen zur Umgrenzung der Vertretungsmacht der Orga355
356
357
358
KOME 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 (Rn. 27) – Milchförderungsfonds; 86/507/EWG, ABl. 1986 L 295, S. 28 (Rn. 4) – Irish Banks Standing Committee; allgemeine Ansicht, z.B. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 80 mit Fn. 300 m.w.N. S. etwa KOME 90/25/EWG, ABl. 1990 L 15, S. 25 (Rn. 14 f.) – Concordato Incendio; 91/128/EWG, ABl. 1991 L 60, S. 19 (Rn. 13) – SIPPA; 95/551/EG, ABl. 1995 L 312, S. 79 (Rn. 15 f.) – Kraanverhuur. S. z.B. KOME 82/896/EWG, ABl. 1982 L 379, S. 1 (Rn. 47 ff.) – UGEL/BNIC; 93/438/EWG, ABl. 1993 L 203, S. 27 (Rn. 4, 10 f., 43) – CNSD; 1999/267/EG, ABl. 1999 L 106, S. 14 (Rn. 24) – EPI. S.o. Rn. 382 ff., 430.
164
Kapitel 3 Kartellverbot
ne. Es kommt indes nicht auf die rechtlichen Verhältnisse an, sondern auf die tatsächlichen, wie sogleich noch deutlicher wird. Kompetenzüberschreitungen sind daher unschädlich.359 Zum anderen kann die Beschlussfassung in ganz unterschiedlicher Form erfol440 gen. Entscheidend ist wie bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen, dass die wettbewerbsverfälschende Absicht nach außen sichtbar wird. Die Rechtsform nach nationalem Recht, ob also privat- oder öffentlichrechtlich, ist demgegenüber unbeachtlich, ebenfalls das Vorliegen von Mängeln im Beschlussverfahren.360 Die wettbewerbsverfälschende Absicht ist eindeutig bei formellen Beschlussfassungen durch die Geschäftsführung oder die Mitgliederversammlung, die in den Vereinigungspublikationen oder in der Presse veröffentlicht werden. Da es auf die Beschlussfassung als solche ankommt, spielen die Mehrheitsverhältnisse keine Rolle.361 Insbesondere werden dagegen stimmende Unternehmen, die an den Beschluss der Unternehmensvereinigung gebunden sind, nicht entlastet,362 weil es sich insoweit um ein bloßes Internum der Vereinigung handelt, das keine Wettbewerbsrelevanz hat.
C.
Tatsächliche Maßnahmen
441 Weiter sind auch faktische Maßnahmen erfasst, weil das Abzielen auf die von Art. 81 EG bekämpften Folgen entscheidend ist.363 Auch ihnen liegt regelmäßig ein Beschluss zugrunde, und sei er auch einseitig von einem handelnden Organ gefasst. Das genügt,364 da ansonsten die offizielle Beschlussform bewusst umgangen werden könnte, um das Kartellverbot zu meiden. Deshalb können auch Empfehlungen jedenfalls dann ausreichen, wenn sie be442 folgt werden.365 Indes ist der wettbewerbsschädliche Wille unabhängig davon vorhanden. Damit kann es auf die Befolgung ebenso wenig wie im Rahmen der Vereinbarungen zwischen Unternehmen ankommen.366 Sie spielt nur dann eine Rolle, wenn aufgrund der vorherigen Umstände der Beschlusscharakter fehlt und somit nur eine abgestimmte Verhaltensweise vorliegen kann, welche durch die Maßnahme der Unternehmensvereinigung unterstützt wird.367 359 360 361 362 363
364 365 366 367
KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (Rn. 44) – Zement. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 103 in Abgrenzung von KOME 85/75/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 20 (Rn. 23) – Feuerversicherung. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 81. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3251, Rn. 91) – van Landewyck. So explizit z.B. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 88) – van Landewyck. Bereits EuGH, Rs. 67/63, Slg. 1964, 321 (427) – SOREMA; Rs. 71/74, Slg. 1975, 563 (583 f., Rn. 30/31) – Frubo. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 84; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 81. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250, Rn. 88) – van Landewyck. Näher sogleich Rn. 445. S. näher o. Rn. 402 ff. So zu Recht die Konzeption von GA Darmon, EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (437, Rn. 12) – Verband der Sachversicherer.
§ 4 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
D.
165
Zur Frage der Verbindlichkeit
Zählt somit auch bei Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen368 der Wille zur Wettbewerbsverfälschung, der nur in irgendeiner Weise nach außen sichtbar geworden sein muss, kann auch die Verbindlichkeit nicht Voraussetzung sein. Das gilt vor allem für die rechtliche Verbindlichkeit. Daher genügt jedenfalls die faktische Verbindlichkeit.369 Speziell bei dieser Verhaltensform stellt sich das Problem, dass es im Verbandswesen tendenziell mehr Zwischenformen von formellen und informellen Willensäußerungen gibt als zwischen Unternehmen. Das gilt vor allem, wenn die Unternehmensvereinigung den ständigen Begleiter der Mitgliedsunternehmen bildet und dabei mit Empfehlungen zur Seite steht, die mehr oder weniger verbindlich gefasst sind. Alle diese subtilen, dadurch aber nicht zwingend weniger einflussreichen Formen, Unternehmensverhalten zu steuern, würden beim Abstellen auf eine Verbindlichkeit der Beschlussfassung aus dieser Tatbestandsalternative des Kartellverbots herausfallen. Dabei kann auch über sie wirksam das wettbewerbsrelevante Agieren von Unternehmen gesteuert werden. Damit würden erhebliche Schutzlücken entstehen, wenn entsprechende Empfehlungen der Unternehmensvereinigung nicht als abgestimmte Verhaltensweisen bewertet würden. Da Art. 81 Abs. 1 EG auf negative Folgen für den Wettbewerb abstellt, diese aber nur bei einer geplanten Umsetzung einer Äußerung zu erwarten sind, ist allerdings wie bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen der feste Wille zur Verwirklichung zu verlangen, wenn auch nicht notwendig eine faktische Verbindlichkeit370 (durch äußere Umstände). Dieser Wille wird jedenfalls dann nach außen sichtbar, wenn sich mehrere Mitgliedsunternehmen ausdrücklich bereit erklären, die Bestimmungen einer Empfehlung befolgen zu wollen oder sie eigens annehmen; das gilt unabhängig von einer Verbindlichkeit etwa kraft Satzung der entsprechenden Unternehmensorganisation.371 Handelt es sich hingegen um eine einseitige Erklärung, die von vornherein nur abgegeben wurde, um einen staatlichen Normierungsprozess zu verzögern oder eine sensibilisierte Öffentlichkeit zu besänftigen, ohne den Willen zur Verwirklichung zu haben, bildet diese keinen Beschluss i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG, zumal sie sich nicht wie erforderlich372 an Unternehmen richtet. Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen fließen oft ineinander. Das gilt auch für Beschlüsse, die an Unternehmen gerichtet sind, und Vereinbarungen zwischen der Unternehmensvereinigung und Einzelunternehmen bzw. zwischen Unternehmensvereinigungen selbst. Subsumiert man auch Letztere unter Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG,373 ist eine nähere Abgrenzung entbehrlich. Ohnehin verzichtet 368 369 370
371 372 373
Zu Vereinbarungen zwischen Unternehmen o. Rn. 404 ff. Auch z.B. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 82. So Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 85 ff.; ohne Festlegung bislang der EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250 f., Rn. 88 f.) – van Landewyck; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (454 f., Rn. 29 ff.) – Verband der Sachversicherer. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3250 f., Rn. 88 f.) – van Landewyck. S.o. Rn. 432. S.o. Rn. 427 ff.
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446
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Kapitel 3 Kartellverbot
die Kommission in einzelnen schwierigen Fällen auf eine eindeutige Zuordnung.374
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen A.
Bedeutung und Grundstruktur
I.
Auffangfunktion
447 Liegt weder eine Vereinbarung zwischen Unternehmen noch ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung vor, ist das Kartellverbot gleichwohl einschlägig, wenn eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise gegeben ist. Insoweit handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der erst dann zum Zuge kommt, sofern die vorher benannten Verhaltensweisen mit negativem Ergebnis geprüft wurden. Dessen Einschlägigkeit ist aber immer noch recht häufig, weil sich die für die ersten beiden Alternativen des Art. 81 EG erforderliche subjektive Komponente oft nicht nachweisen lässt. Eine abgestimmte Verhaltensweise verlangt nicht alle Merkmale einer Vereinbarung. Erforderlich ist, dass ggf. rein tatsächlich eine praktische Zusammenarbeit an 448 die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs und damit der normalen Marktbedingungen tritt. Jedenfalls so weit muss die Koordinierung zwischen Unternehmen gediehen sein, damit eine abgestimmte Verhaltensweise vorliegt.375 Nach hiesiger Konzeption ist deren Anwendungsbereich allerdings insofern kleiner, als für die Alternative der Vereinbarung zwischen Unternehmen weder eine rechtliche noch eine faktische Verbindlichkeit verlangt wird, sondern der subjektive Wille zur Durchsetzung der wettbewerbsschädlichen Verhaltensweise genügt. Damit fallen auch viele faktische Handlungen schon unter die erste Alternative des Kartellverbots. Umgekehrt legt schon der Wortlaut „abgestimmte Verhaltensweisen“ nahe, dass die objektive Komponente der Verhaltensweise nicht gänzlich vernachlässigt werden kann. Insoweit ergeben sich daher Mindestanforderungen im Rahmen der dritten Alternative des Art. 81 EG. II.
Verhältnis von Abstimmung und Verhaltensweise
1.
Keine notwendige Gleichsetzung
449 Allerdings legt Art. 81 Abs. 1 EG nicht fest, worin die fragliche Verhaltensweise bestehen muss. Sie muss nur abgestimmt sein. Damit ist nicht gesagt, ob sie selbst 374 375
Etwa die beiden IATA-Entscheidungen KOME 91/480/EWG, ABl. 1991 L 258, S. 18 (Rn. 47) – IATA und 91/481/EWG, ABl. 1991 L 258, S. 29 (Rn. 42) – IATA. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64/67) – ICI; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1942, Rn. 26/28) – Suiker Unie; s. auch Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2032 f., Rn. 17, 22) – Züchner.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
167
die Abstimmung beinhalten muss oder auch später auftreten kann. Für die zweite Sicht spricht, dass auch dann eine wettbewerbsrelevante Abstimmung erfolgt ist, wenn sie sich in einer späteren Verhaltensweise niederschlägt. Dass beide Vorgänge zeitgleich sein müssen, ist nach dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG zwar möglich, aber nicht verlangt. In dem weiteren Tatbestandsmerkmal, dass eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt wird, liegt eine Folge, nicht notwendig ein bestimmtes Verhalten. 2.
Erforderliche Wettbewerbsverfälschung?
Hat sich die Abstimmung selbst noch in keiner Verhaltensweise ausgedrückt, liegt 450 im Rahmen der dritten Alternative des Kartellverbots jedenfalls dann eine Verhaltensweise vor, wenn eine Wettbewerbsbeeinträchtigung tatsächlich bewirkt worden ist. Das ist unabhängig davon, ob schon die Abstimmung selbst mit einer konkreten Verhaltensweise einher ging. Danach muss die Abstimmung entweder selbst in einer objektiven Verhaltensweise bestehen oder eine solche zur Folge haben. Dementsprechend verlangte der EuGH bislang, dass sich die Abstimmung in einem konkreten koordinierten Verhalten niedergeschlagen hat.376 Soll damit eine tatsächliche Wettbewerbsbeschränkung verbunden sein,377 ver- 451 engt man allerdings bereits das spätere Tatbestandsmerkmal der Bezweckung oder Bewirkung von Wettbewerbsbeschränkungen auf dieser Ebene, obgleich es grundsätzlich alternativ geprüft werden muss. Diese Alternativität bleibt freilich erhalten, wenn eine objektive Verhaltensweise zwar vorhanden sein, aber weder in der Abstimmung selbst noch in der späteren Wettbewerbsverfälschung bestehen muss, die Verhaltensweise also in einer dritten Möglichkeit liegen kann. Der EuGH setzt nunmehr „über die Abstimmung zwischen den Unternehmen 452 hinaus“ nur noch „ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus“.378 Danach kann es genügen, wenn eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs als Folge der Abstimmung bezweckt wird.379 Sie muss also noch nicht eingetreten sein. Damit wird auch die Konstellation umfasst, dass eine Wettbewerbsbeschränkung nicht bewirkt ist. 3.
Notwendigkeit tatsächlichen Marktverhaltens
Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise verlangt also nach dem EuGH 453 „nicht notwendigerweise, dass dieses Verhalten sich konkret in einer Einschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs auswirkt“, „setzt“ aller-
376 377 378 379
Bereits EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64/67) – ICI. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 70. EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4203, Rn. 118) – Anic Partecipazioni; Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4386, Rn. 161) – Hüls. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 70 a.E.
168
Kapitel 3 Kartellverbot
dings „ein Marktverhalten der beteiligten Unternehmen voraus“.380 Damit ist eine objektive Verhaltensweise erforderlich, ohne dass der Wortlaut näher Aufschluss darüber gibt, worin diese zu bestehen hat. Die Verhaltensweise muss daher, wenn sie nicht bereits in der Abstimmung liegt und auch keine Verfälschung des Wettbewerbs bewirkt, anderweitig gegeben sein. Dadurch ist der Wortlaut „abgestimmte Verhaltensweise“ in vollem Umfang gewahrt,381 indem neben die subjektive Komponente eine objektive in Form eines tatsächlichen Verhaltens treten muss. Sichtbar wird dieses Verhalten jedenfalls dann, wenn es am Markt aufkommt und dadurch nach außen in Erscheinung tritt. Es können aber auch Informationen ausgetauscht werden, was die Grundlage dafür bildet, um am Markt bewusst parallel agieren zu können, indem zu dessen Aufteilung etwa Zielpreise und Mengenkontrollen festgelegt werden.382 Diese ausgetauschten Informationen bilden immerhin die Basis für die weiteren 454 Aktivitäten. Sie beseitigen Ungewissheiten über das eigene Wettbewerbsverhalten und damit eine wettbewerbstypische Selbstbestimmung unabhängig von der Konkurrenz lediglich aufgrund eigener Daten. Art. 81 Abs. 1 EG will den Wettbewerb umfassend schützen. Entscheidend sind die Folgen für den Wettbewerb; auf die Art der Verhaltensweise, von der diese Folgen rühren, kommt es daher nicht an. Somit kann auch ein Informationsaustausch als solcher eine Abstimmung i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG darstellen.383 Und selbst wenn der Informationsaustausch als einheitlicher Bestandteil der späteren Preisfestsetzung und Marktaufteilung zu sehen ist, bewirkt diese Gesamtverhaltensweise nicht notwendig eine Wettbewerbsverfälschung. Fehlt dieser angestrebte Erfolg und ist die Wettbewerbsverfälschung lediglich bezweckt, wurde doch das wettbewerbsverfälschende Verhalten sichtbar, wenn es auch vergeblich geblieben ist. Diese Konstellation will die Alternative des bloßen Bezweckens einer Wettbewerbsverfälschung gerade absichern. Noch weiter gehend könnte es genügen, dass eine abgestimmte Verhaltenswei455 se lediglich anvisiert, mithin objektiv noch gar nicht verwirklicht ist, und zwar weder in Form der Abstimmung selbst noch in Form einer Wettbewerbsbeeinträchtigung noch zwischen diesen beiden Vorgängen etwa durch Informationsaustausch. Die Abstimmung besteht dann in der Ausrichtung auf eine konkrete Verhaltensweise; deren Bezweckung genügt. Dies ist vom Wortlaut her insofern um-
380 381
382 383
EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4387, Rn. 165) – Hüls; Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539 (4616, Rn. 125) – Montecatini. Darauf explizit verweisend EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4387, Rn. 166) – Hüls; Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539 (4616, Rn. 126) – Montecatini. Die in Bezug genommene Entscheidung EuGH, Rs. 24/67, Slg. 1968, 85 (112) – Parke Davis ändert daran nichts, da sie sich spezifisch auf Patente und deren Verwertung bezieht. Im Übrigen hat der Tatbestand des Kartellverbots schwerlich einen restriktiven Charakter, wenn man sich die notwendige zweckorientierte Auslegung und die daraus folgende notwendige Schließung von Schutzlücken vor Augen hält, z.B. o. Rn. 428. So in EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4339 f., Rn. 7 sowie 4386, Rn. 162) – Hüls. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965 f., Rn. 172 f.) – Suiker Unie.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
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fasst, als eine solche Verhaltensweise ebenfalls abgestimmt, wenn auch noch nicht ins Werk gesetzt wurde. Dadurch entstehen allerdings drei Alternativen im Rahmen des Kartellverbots, 456 bei denen eine subjektive Komponente genügt, ohne dass ein objektives Verhalten nachgewiesen sein muss. Dass die Verhaltensweise das Hauptwort darstellt und abgestimmt das Adjektiv ist, deutet auf eine bestimmte Gewichtsverteilung hin. Die Verhaltensweise darf nicht lediglich einen Nebenbestandteil bilden und zum Anhängsel der Abstimmung werden. Damit muss eine Verhaltensweise vorliegen und darf nicht nur anvisiert sein. Die bloße Abstimmung, wenn auch einer bestimmten Verhaltensweise, ist für sich allein nicht hinreichend, um die dritte Alternative des Kartellverbots zu erfüllen.
B.
Abstimmung
I.
Rahmenbedingungen
Obwohl lediglich als Adjektiv beigestellt, ist im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 3. Alt. 457 EG zunächst zu prüfen, ob das Verhalten abgestimmt ist. Diese subjektive Komponente bildet die Grundlage dafür, dass ein Verhalten zustande kommt. Dadurch ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass Abstimmung und Verhalten zusammenfallen; vielfach besteht das Verhalten in der Abstimmung. Damit wird nur unterstrichen, dass ein bloßes Parallelverhalten ohne subjektive Komponente nicht ausreicht. Besteht das Verhalten in einer Abstimmung, liegt ein Wille dazu indes gerade vor. Dieses subjektive Erfordernis bereitet in der Praxis oft Beweisschwierigkeiten, weil es naturgemäß wesentlich weniger deutlich zutage tritt wie ein paralleles Marktverhalten. Letzteres genügt jedoch alleine nicht. Auch wenn beide Komponenten in einer Handlung zusammenfallen können, 458 muss doch wegen des erforderlichen subjektiven und objektiven Elementes zwischen Abstimmung und Verhalten materiell-rechtlich unterschieden werden.384 Damit ist aber noch nicht gesagt, worauf sich die Abstimmung beziehen muss. Erforderlich ist nur, dass mit der Abstimmung eine Verhaltensweise einhergeht; diese muss nicht notwendig bereits selbst eine Wettbewerbsverfälschung beinhalten. Es genügt, wenn sie eine solche bezweckt.385 Das ist aber auf der dafür im Rahmen des Kartellverbotes vorgesehenen späteren Prüfungsstufe zu klären.386 Hier geht es darum, ob die zutage getretene Verhaltensweise subjektiv untermauert und damit von einem gemeinsamen Willen getragen war. Der Begriff der Abstimmung ist weit, wie noch deutlicher in Art. 65 EGKS 459 zum Ausdruck kam, der entsprechend dem Verbot der pratiques concertées des französischen Rechts „verabredete Praktiken“ untersagte. Der Begriff der Verabredung zeigt noch deutlicher als der der Abstimmung, dass es nicht auf die Form ankommt, sondern nur auf eine gewollte Koordination. Jedenfalls dadurch unter384 385 386
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 16. S.o. Rn. 450 ff. S.u. Rn. 591 ff.
170
Kapitel 3 Kartellverbot
scheidet sich der Hauptanwendungsbereich der abgestimmten Verhaltensweisen von dem der Vereinbarungen nach Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG, wenngleich auch Letztere abgestimmte Verhaltensweisen darstellen, nur zumindest im ursprünglichen Anwendungsbereich in einer formalisierten Art und Weise und damit namentlich in einem Vertrag. Jedoch bildet Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG lediglich einen Auffangtatbestand. Des460 halb wird er umso mehr verengt, je weiter man den Begriff der Vereinbarungen in Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG fasst. Gleichberechtigt neben diesem Tatbestand stehend, darf daher dem Begriff der abgestimmten Verhaltensweise nicht ein so limitierter Bedeutungsgehalt gegeben werden, dass er nur noch einen besonderen Anwendungsfall einer Vereinbarung bildet. Der dritten Alternative des Kartellverbotes würde damit entgegen einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz die volle Wirkung und ganze Tragweite vorenthalten.387 Damit muss ein substanzieller eigener Anwendungsbereich verbleiben. Daher werden Gentlemen’s Agreements und sonstige unverbindliche Abreden den abgestimmten Verhaltensweisen zugeschlagen.388 Dazu gibt Anlass, dass der EuGH das besondere Kennzeichen von abgestimmten Verhaltensweisen darin sieht, dass sie nicht alle Merkmale einer Vereinbarung aufweisen müssen.389 Jedoch liegt, wie gezeigt, eine Vereinbarung auch bei einer fehlenden Formali461 sierung im Zuge der immer informelleren Verhaltensweisen im Wirtschaftsverkehr vor.390 Abgestimmte Verhaltensweisen haben weiterhin dadurch ein hinreichendes Gewicht, dass sie sämtliche faktischen Willensübereinstimmungen und subjektiv unterlegten Verhaltensweisen selbst unterhalb der Stufe einer informellen Übereinkunft und damit namentlich den bewussten Informationsaustausch erfassen. Gerade Letzterer hat eine maßgebliche, praktische Bedeutung.391 Durch die hier vertretene weite Konzeption der Vereinbarungen wird umgekehrt sichergestellt, dass dieser erste Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG im praktischen Anwendungsbereich nicht hinter die Bedeutung der abgestimmten Verhaltensweisen zurücktritt. II.
Nähere Eingrenzung
1.
Abweichung von autonomem Verhalten als Ansatzpunkt
462 Diese Weite des Anwendungsbereiches der abgestimmten Verhaltensweisen wird bestätigt durch ihren primären Ansatzpunkt. Zwar geht es einmal darum, Umgehungen des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen durch andere
387 388 389 390 391
S. GA Mayras, EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (674) – ICI. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 15. Bereits EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64) – ICI, sowie aus neuerer Zeit Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4385, Rn. 158) – Hüls. Näher o. Rn. 399 ff. Mestmäcker/Schweitzer widmen kooperativen Marktinformationen einen ganzen Abschnitt in Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 36 ff.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
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Verhaltensweisen zu vermeiden.392 Kernpunkt der weiten Fassung des Kartellverbotes gerade in der dritten Alternative ist indes, die Selbstständigkeit des unternehmerischen Verhaltens zu sichern. Alle diesem Selbstständigkeitspostulat zuwiderlaufenden Verhaltensweisen sollen daher einbezogen werden.393 Dadurch wird jede Abweichung von einem autonomen Verhalten durch zwei Unternehmen auf dem Markt zur abgestimmten Verhaltensweise. 2.
Fühlungnahme und Informationsaustausch
Das autonome Verhalten von Unternehmen wird bereits dann beeinträchtigt, wenn 463 die Verhaltensweisen anderer berechenbar werden oder auch nur bekannt sind, so dass das eigene Verhalten darauf eingestellt werden kann. Erfasst wird daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen verschiedenen Unternehmen, wenn Mitbewerber entweder in ihrem Marktverhalten beeinflusst werden oder über das eigene künftige Verhalten, sei es beschlossen oder auch nur geplant, ins Bild gesetzt werden.394 Eine solche Fühlungnahme genügt bereits dann, wenn sie bezweckt oder bewirkt, dass andere als in dem jeweiligen Bereich übliche Wettbewerbsbedingungen entstehen. Die Üblichkeit bemisst sich dabei nach der Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, der Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie dem Umfang des in Betracht kommenden Marktes.395 Anormale Wettbewerbsbedingungen liegen bereits dann vor, wenn das normale Risiko ungewisser Folgen einer Verhaltensänderung entfällt, namentlich weil ein Unternehmen das Verhalten des Wettbewerbers kennt.396 Daher kann eine Abstimmung auch im Austausch wettbewerbsrelevanter In- 464 formationen liegen.397 Von besonderer Brisanz ist die Mitteilung vertraulicher Unternehmensdaten,398 weil gerade sie normalerweise Mitbewerbern nicht zur Verfügung stehen. Weitere Formen sind gemeinsame Sitzungen, bei denen über die Lage des Marktes diskutiert wird,399 sowie die Erörterung oder auch nur die Vorlage 392 393
394 395
396 397 398 399
Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 84; vgl. KOME 1999/60/EG, ABl. 1999 L 24, S. 1 (Rn. 129 ff.) – Fernwärmetechnik-Kartell. St. Rspr., z.B. schon EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965 f., Rn. 173/174) – Suiker Unie; später etwa Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2573, Rn. 20) – Tournier; Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111 (3162 f., Rn. 86) – John Deere; Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4385 f., Rn. 159) – Hüls; aus der Literatur z.B. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 104; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 87 m.w.N. Bereits EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965 f., Rn. 173/174) – Suiker Unie; aktuell KOME COMP/C.38.238/B.2, (Rn. 268) – Rohtabak Spanien. EuGH, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2031 f., Rn. 14) – Züchner; Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111 (3163, Rn. 87) – John Deere; Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4386 f., Rn. 161 ff.) – Hüls. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (661 f., Rn. 101) – ICI. S. schon o. Rn. 461. KOME 1999/60/EG, ABl. 1999 L 24, S. 1 (Rn. 138) – Fernwärmetechnik-Kartell; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 117. KOME 69/243/EWG, ABl. 1969 L 195, S. 11 (13) – Farbstoffe; 80/256/EWG, ABl. 1980 L 60, S. 21 (Rn. 51 ff.) – Pioneer.
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von Entwürfen für eine Absprache, einen Gesamtplan oder von Leitlinien für künftiges Marktverhalten.400 Insoweit handelt es sich um inhaltlich konkretere Maßnahmen, die auf eine eher 465 enge Abstimmung deuten. Notwendig ist diese indes nicht. Weder muss ein Plan ausgearbeitet noch müssen Gesprächsrunden organisiert werden.401 Ein loser Kontakt bzw. ein gänzlich unverbindlicher Informationsaustausch genügen, wenn sie marktunüblich die Ungewissheit über die künftigen Marktverhältnisse abbauen. Gerade Informationen werden vielfach einseitig weitergegeben. Auch dadurch 466 wird die Ungewissheit über das Verhalten von Konkurrenten beseitigt und damit gegen die typischen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs verstoßen. Daher liegt auch insoweit eine abgestimmte Verhaltensweise vor.402 Der Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 3. Alt EG verlangt keine gegenseitig, sondern nur aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Solche können auch durch einseitige Handlungen einzelner Unternehmen bewirkt werden, sofern die anderen Unternehmen darauf einzugehen bereit sind. Deshalb ist es etwa bei einseitigen Preisankündigungen notwendig, dass ein anderes Unternehmen sein Verhalten danach ausrichtet und dies dem Ankündigenden auch bekannt ist, so dass er seine Ungewissheit über das Verhalten des Konkurrenten verliert.403 3.
Handeln Dritter
467 Dass nach Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG nur eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise vorliegen muss, lässt zudem eine personelle Erweiterung zu. Auch Dritte können das Verhalten der am Wettbewerb beteiligten Unternehmen koordinieren.404 Das gilt insbesondere, wenn Unternehmensvereinigungen das Verhalten ihrer Mitglieder beeinflussen.405 Eine Abstimmung durch Dritte kann auch durch einen Treuhänder erfolgen, der etwa mit dem Austausch von Unternehmensdaten betraut wurde.406 Dass ein Dritter tätig ist, genügt allerdings als solches noch nicht, wenn er kei468 ne Verklammerung zwischen den mit ihm verbundenen Unternehmen herstellt. Daher fehlt es an einer abgestimmten Verhaltensweise, wenn ein Unternehmen mit Abnehmern lediglich gleichartige Verträge schließt, ohne sie zusammenzubringen. Will etwa ein Hersteller dadurch das Marktverhalten der Vertragspartner verein400 401
402 403 404 405 406
Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 87. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 87, gegen eine früher weit verbreitete Auffassung, z.B. Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 23; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 13. GA Cosmas, EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4177, Rn. 40) – Anic Partecipazioni, unter Verweis auf den Schutz des freien Wettbewerbs auch als Institution. EuGH, Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1599, Rn. 64) – Ahlström. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 88. Hier etwa KOME 98/4/EGKS, ABl. 1998 L 1, S. 10 – Wirtschaftsvereinigung Stahl; bestätigend EuGH, Rs. 246/86, Slg. 1989, 2117 – Belasco. Ebenfalls KOME 98/4/EGKS, ABl. 1998 L 1, S. 10 (Rn. 39 ff.) – Wirtschaftsvereinigung Stahl, sowie schon 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (8) – IFTRA/Hüttenaluminium; 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 (Rn. 43 ff., 106 ff., 125 ff.) – Zellstoff.
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heitlichen, erfolgt dies isoliert voneinander, außer die Vertreiber wirken selbst bewusst und gewollt zusammen.407 Entsprechendes gilt bei individuellen Preisempfehlungen.408 Jedoch ist ohnehin vorrangig das Vorliegen einer Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 1. Alt. EG zu prüfen, die auch in Verträgen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftsstufen bestehen kann, selbst wenn nur der Wettbewerb auf der Vertriebsstufe eingeschränkt wird.409 4.
Horizontale und vertikale Ebene
Es ist gleichgültig, in welcher Wirtschaftsbeziehung die Abstimmung auftritt. Wie 469 bei Vereinbarungen ist daher sowohl das horizontale als auch das vertikale Verhältnis relevant. Ein abgestimmtes Parallelverhalten wird dabei insbesondere auf der horizontalen Ebene auftreten, wie die Farbstoff-Fälle deutlich machten.410 Im Vertikalverhältnis ist insbesondere die Konstellation relevant, dass Abnehmer von Waren und dabei vor allem Wiederverkäufer ihr Auftreten den Belangen des Lieferanten anpassen. Befinden sie sich in einem Markenverbund, bleibt ihnen vielfach nichts anderes übrig. Indes ist wirtschaftlicher Druck im ökonomischen Bereich nicht derart ungewöhnlich, dass dadurch eine Abstimmung ausgeschlossen wäre.411 Umgekehrt kann ein Warenanbieter auf die Nachfragemacht der Abnehmer treffen und deshalb sein Verhalten entgegen seinen Interessen und anders als bei seiner autonomen Entscheidung gestalten. Bei einer Koordination des Marktverhaltens zwischen Herstellern und mehreren Vertreibern handelt es sich um eine gemischt vertikal/horizontale.412 III.
Nachweisbarkeit als Hauptproblem
Die zuständige Wettbewerbsbehörde muss auch die Abstimmung beweisen, da ei- 470 ne bloße parallele Verhaltensweise nicht für das Vorliegen von Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG ausreicht. Dieser Beweis ist dann unproblematisch, wenn sich eine konkrete Verhaltensweise als Abstimmung nachweisen lässt, wie etwa durch Schriftwechsel zwischen den Unternehmen.413 Belege bilden auch Angaben gegenüber den Medien über die künftige Geschäftspolitik,414 da üblicherweise nur konkret 407 408 409 410 411
412 413 414
S. bereits Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 23; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 15. EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (384, Rn. 25) – Pronuptia. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 88 a.E.; s.o. Rn. 411. S. zu ihnen Rn. 198, 201. EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 (1897 ff., Rn. 73 ff.) – Musique Division Francaise; Rs. 86/82, Slg. 1984, 883 (903, Rn. 24) – Hasselblad; vgl. o. Rn. 412 im Zusammenhang mit Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 90. KOME 82/367/EWG, ABl. 1982 L 161, S. 18 (Rn. 12 ff.) – Hasselblad; ebenso EuGH, Rs. 86/82, Slg. 1984, 883 (903, Rn. 24) – Hasselblad. S. KOME 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 (Rn. 17) – Zellstoff; ebenso EuGH, Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1598, Rn. 57) – Ahlström.
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geplante Maßnahmen öffentlich bekannt gegeben werden.415 Haben regelmäßige Sitzungen stattgefunden, auf denen üblicherweise die Geschäftspolitik koordiniert wurde, genügen bereits Nachweise über die Sitzungsteilnahme bestimmter Unternehmen, um diese einer Abstimmung zu überführen.416 Liegen solche Abstimmungen in Form einer konkret nachweisbaren Verhaltensweise nicht vor, helfen u.U. Zeugenaussagen417 oder Geständnisse von Kartellmitgliedern weiter,418 die durch die damit verbundene Sanktionsfreiheit oder -minderung angeregt werden. Stehen derartige Beweismittel nicht zur Verfügung, kann nur ein Indizien471 nachweis geführt werden. Dessen Ausgangspunkt kann eine Verhaltensweise sein, zu welcher die angenommene Abstimmung geführt hat. Aus dieser Verhaltensweise muss dann noch rückgeschlossen werden, ob sie auf einer Abstimmung beruht und damit eine solche tatsächlich vorliegt. So kann insbesondere gleichförmiges Auftreten der beteiligten Unternehmen auf eine vorherige Abstimmung schließen lassen.419 Damit gilt es im jeweiligen Einzelfall nach den vorliegenden Umständen abzugrenzen. Die Anforderungen an die Nachweisbarkeit können dabei sehr hoch sein. Bei gleichförmigem Verhalten muss die Wettbewerbsbehörde darlegen, dass diese plausibel nur auf der vorherigen Abstimmung beruhen kann. Die Unternehmen dürfen nicht umgekehrt andere mögliche Ursachen für ihr Parallelverhalten anführen und durch Tatsachen untermauern können.420 Das gleichförmige Verhalten darf also mit autonomen Entscheidungen der Wettbewerbsteilnehmer nicht erklärbar sein.421 Zwar trägt die Wettbewerbsbehörde die Beweislast. Dieser kann freilich mit einem Anscheinsbeweis genügt sein. Diesen müssen dann die Unternehmen erschüttern, indem sie näher erklären, weshalb ihr Verhalten in einer typischerweise kartellrechtswidrigen Konstellation nicht koordiniert, sondern unabhängig erfolgte. Die autonome Entscheidung von Unternehmen ist strukturell insbesondere dann 472 gefährdet, wenn besonders lange oder sehr enge Verbindungen zwischen einzelnen Unternehmen bestehen. Solche Verflechtungen können vor allem sachlicher Art sein, so wenn vergleichbare Produkte vertrieben werden und zudem unterschiedliche Handelsstufen besetzt sind, so dass eine Abhängigkeit entsteht,422 oder
415
416 417 418 419 420 421
422
Zurückhaltend Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 131 ff., im Hinblick auf öffentliche Ankündigungen gegenüber der Kundschaft. Z.B. KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 87 a.E.) – Polypropylen. EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 – Musique Diffusion Française. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 95. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (662 f., Rn. 104/109 f.) – ICI; Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2574, Rn. 24) – Tournier. EuGH, Rs. 29 u. 30/83, Slg. 1984, 1679 (1702, Rn. 16 ff.) – CRAM und Rheinzink im Sinne eines Nachw. Bereits EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1969, Rn. 198; 1985, Rn. 292/293) – Suiker Unie; später etwa Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1601 ff., Rn. 71 ff.) – Ahlström; übereinstimmend EuG, z.B. Rs. T-145/89, Slg. 1995, II-987 (1022 ff., Rn. 74 ff.) – Baustahlgewebe. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1969 f., Rn. 198 ff.) – Suiker Unie.
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ein gemeinsames Vertriebsnetz vorliegt.423 Derartige Umstände können eine gegenseitige Abstimmung nicht nur fördern, sondern in Einzelfällen unausweichlich machen.424 Zum autonomen Verhalten von Unternehmen gehört auch, dass jedes seine ei- 473 genen wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Handelt ein Unternehmen diesem Eigeninteresse zuwider, deutet dies auf eine Verhaltensabstimmung.425 Insoweit auffällig ist der Verzicht von Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten oder die Abschreckung von Abnehmern durch zu hoch angesetzte Preise.426 Unnatürlich ist auch, außerhalb des Heimatmarktes nicht Händler oder Endverbraucher, sondern nur andere Hersteller zu beliefern und die dort gebräuchlichen Herstellerabgabepreise zu respektieren.427 IV.
Einzelabgrenzung zu bewusstem Parallelverhalten
1.
Indizien
Vielfach ist es Ausdruck normalen Wettbewerbs, dass sich Unternehmen parallel 474 verhalten. Wettbewerb lebt gerade davon, dass sich Unternehmen auf die Marktbedingungen und damit auch auf das Verhalten ihrer Mitbewerber einrichten. Daher haben sie, wie der EuGH schon früh betonte, das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber „mit wachem Sinn“ anzupassen.428 So ist es etwa normal, wenn mehrere Unternehmen gleichzeitig ihre Geschäftsverbindungen zu denselben anderen Unternehmen abbrechen, wenn diese schlicht ihre Rechnungen nicht bezahlt hatten.429 Hingegen wird eine abgestimmte Verhaltensweise dadurch indiziert, dass Wettbewerbsbedingungen auftreten, die sich von den normalen Marktbedingungen unterscheiden. Dann lassen sie sich regelmäßig nur durch die Abstimmung einleuchtend erklären.430
423
424 425
426 427 428 429 430
KOME 73/212/EWG, ABl. 1973 L 217, S. 3 (4) – Kali und Salz; 80/182/EWG, ABl. 1980 L 39, S. 51 (55) – FLORAL, auch im Hinblick auf die gemeinsame Kontrolle eines dritten Unternehmens. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 98. Darauf wird durchgängig in der Literatur abgestellt, etwa Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 132; Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/ Müller-Graff, Art. 85 Rn. 57. KOME 72/403/EWG, ABl. 1972 L 272, S. 35 (37) – Pittsburgh Corning Europe. KOME 73/109/EWG, ABl. 1973 L 140, S. 17 (30 ff.) – Europäische Zuckerindustrie. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965, Rn. 172) – Suiker Unie; Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111 (3162 ff., Rn. 86 ff.) – John Deere. EuGH, Rs. 29 u. 30/83, Slg. 1984, 1679 (1702, Rn. 17) – CRAM und Rheinzink. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64/67) – ICI; Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2031 f., Rn. 14) – Züchner; Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1601, Rn. 71; 1613, Rn. 126) – Ahlström; ebenso KOME 97/84/EG, ABl. 1997 L 26, S. 23 (Rn. 58) – Fährdienstbetreiber.
176
Kapitel 3 Kartellverbot
2.
Preispolitik
475 Besondere Bedeutung hat die Abgrenzung von Abstimmung und bloßem bewusstem Parallelverhalten im Bereich der Preispolitik. Hierzu ergingen auch die grundlegenden Farbstoff-Urteile des EuGH, deren Basis das ICI-Urteil bildet.431 In dieser Entscheidung wurde der zentrale Maßstab für die Abgrenzung entwickelt, dass es zu einer Abweichung von normalen Marktbedingungen kommen muss, und zwar im Hinblick auf die Art der Ware und die Bedeutung und Anzahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes.432 Aus einer konkreten Analyse der einzelnen Bedingungen im jeweils betroffenen Wettbewerbssegment ist daher zu klären, ob ein zutage getretenes Verhalten auf einer Abstimmung beruht oder lediglich der Autonomie der Unternehmen entspringt, selbst wenn diese sich bewusst auf den oder die Wettbewerber eingestellt haben. Gerade Preisanpassungen können lediglich eine Reaktion auf das Verhalten von 476 Konkurrenten sein. Wenn wenige Anbieter auf einem Markt vorhanden sind, liegt es nahe, dass Wettbewerber Vorstößen der Konkurrenz nachziehen. Erhöhen die Mineralölfirmen nacheinander ihre Benzinpreise, muss dies daher nicht notwendig ein abgestimmtes Verhalten bedeuten. Ein solches entfällt vor allem dann, wenn es einen Marktführer gibt, dessen Position kleinere Rivalen von vornherein nicht erschüttern können. Solche Preisanpassungen sind allerdings nur wettbewerbsrechtlich unproblematisch, sofern sie nicht auf vorherigem Informationsaustausch beruhen. Im Falle eines Informationsaustausches, der die Preise auch nur eines Teilneh477 mers von vornherein transparent macht, verlieren die Konkurrenten die Ungewissheit, welche das unternehmerische Handeln im Wettbewerb gerade kennzeichnet.433 Dem laufen auch regelmäßige Sitzungen zuwider, auf denen die wichtigsten Unternehmen eines Bereiches vom Marktführer über dessen künftige Preispolitik informiert werden. Das gilt selbst dann, wenn der Marktführer eine beherrschende Stellung besitzt. Zwar können dann keine Preise über seinem Niveau verlangt werden, weil dann nicht gekauft wird. Indes ist es nicht a priori ausgeschlossen, dass Mitbewerber den Preiserhöhungen des Marktführers nicht folgen.434 Werden die Preise immer parallel festgesetzt, deutet dies auf eine Abstimmung 478 in den jeweiligen Sitzungen. Dem steht nicht entgegen, dass die Informationen über die künftigen Preise der Konkurrenz auch auf andere Weise hätten erlangt werden können, weil durch diese regelmäßigen Sitzungen die Sicherheit entstand, diese Information zu bekommen und für das eigene Wettbewerbsverhalten nutzen zu können.435 Wenn eine solche Weitergabe von Informationen erfolgt, muss diese 431
432 433 434 435
EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 – ICI; die weiteren Urteile Rs. 49/69, Slg. 1972, 713 – BASF; Rs. 52/69, Slg. 1972, 787 – Geigy; Rs. 53/69, Slg. 1972, 845 – Sandoz; Rs. 54/69, Slg. 1972, 851 – Francolor sowie Rs. 55/69, Slg. 1972, 887 – Cassella. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (654, Rn. 64/67) – ICI; s. bereits o. Rn. 459, 462 ff. S.o. Rn. 463. EuG, Rs. T-202 u.a./98, Slg. 2001, II-2035 (2055 f., Rn. 44 ff.) – Tate & Lyle. EuG, Rs. T-202 u.a./98, Slg. 2001, II-2035 (2059 f., Rn. 60) – Tate & Lyle. Näher zu wettbewerbsrelevantem Informationsaustausch u. Rn. 550 f.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
177
schon konkret legitimiert sein, weil etwa die Nachfrager sich längerfristig an den zu erwartenden Preisen orientieren wollen. Der Schaden für den Wettbewerb und für die unternehmerische Unabhängigkeit 479 ist begrenzt, wenn der Markt ohnehin transparent ist und die Akteure von vornherein ihre Partner kennen. Ist solchermaßen eine Preisankündigung nur die Konsequenz eines engen Marktes und im Interesse der Nachfrager, nicht hingegen zur künstlichen Hochhaltung von Preisen, können auch vierteljährliche Preisankündigungen keine unzulässige Abstimmung von Verhalten bedeuten.436 3.
Isolation von Teilmärkten
Ein gleichförmiges Verhalten verschiedener Unternehmen in einem Oligopol be- 480 deutet also nicht von vornherein eine Abstimmung, sondern es müssen besondere Umstände hinzukommen. Neben dem Informationsaustausch ist es ein wichtiges Instrument, verschiedene Teilmärkte zu isolieren und darauf jeweils ein unterschiedliches Preisniveau zu halten. Denn eine „kollektive Gewinnmaximierung und einverständliche Aufteilung der Gewinne und Lasten sind ohne zusätzliche Maßnahmen der Koordinierung nur selten zu erwarten“.437 Dies zeigte sich bereits in dem anfangs angesprochenen Basisurteil des EuGH im Fall ICI. Denn auch dort war für den EuGH der entscheidende Ansatz, dass fünf nationale Märkte mit je verschiedenem Preisniveau isoliert wurden und auch isoliert gehalten wurden, indem Preise selbst dann nach dem Bestimmungsmarkt ausgerichtet wurden, wenn die Lieferung auch über einen anderen bedeutenden Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat hätte erfolgen können. Damit konnten nämlich nicht sämtliche Hersteller einander auf dem gesamten Gebiet des Gemeinsamen Marktes gegenüber treten.438 Die anderen Marktumstände in Form der Besonderheiten des Farbstoffabsatzes 481 und der Bedürfnisse der Kundschaft traten demgegenüber zurück. Im Gegenteil stehen unterschiedliche Strukturen und Wettbewerbsbedingungen auf den einzelnen Märkten im Gegensatz dazu, dass dieselben Preise genommen werden; vielmehr müsste bei normalem Verhalten eine differenzierte Marktstrategie die Folge sein.439 Parallele Erhöhungen der Preise beruhen dann gerade auf Abschottungen der einzelnen Märkte; ansonsten wären parallele Preisanpassungen unwahrscheinlich.440 Verstärkt wird dieses System durch die gegenseitige Mitteilung, welches Vorgehen im Bezug auf Zeitpunkt, Art und Ort der Preiserhöhungen beabsichtigt ist.441
436 437 438 439 440 441
So der Fall in EuGH, Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1601, Rn. 71 f.) – Ahlström. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 30 a.E.; bereits Mestmäcker, MMR 1998, Beilage zu Heft 8, 1 (13 f.). EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (659 f., Rn. 76/82) – ICI. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (662, Rn. 104/109) – ICI. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (662, Rn. 104/109) – ICI. EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (663 f., Rn. 115/119) – ICI; KOME 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 (Rn. 81 ff.) – Zellstoff.
178
Kapitel 3 Kartellverbot
4.
Festigung von Marktpositionen
482 Weiter verstärkend auf eine Abstimmung deutet, wenn verschiedene Unternehmen mit einem solchen gleichförmigen Marktverhalten bereits erlangte Marktpositionen festigen und dadurch einen freien Güteraustausch zwischen den Grenzen und eine freie Lieferantenauswahl verhindern.442 Treten diese Determinanten auch als Folge des Verhaltens der Wettbewerber auf, so werden sie ihnen gleichwohl zugerechnet, da sie von ihnen geschaffen wurden. Das gilt selbst dann, wenn die parallele Entwicklung durch natürliche Marktbedingungen begünstigt wird, die aber von den Marktteilnehmern ausgenutzt werden.443 Schließlich wird auch dann das normale Spiel der Kräfte verfälscht und damit der Wettbewerb zumindest potenziell angetastet. Zudem belegt die Grundwertung des Art. 82 EG, dass die Ausnutzung einer Vorteilsstellung im Markt zulasten der Wettbewerber nicht erlaubt ist, sofern bestimmte Umstände hinzu kommen. Art. 81 Abs. 1 EG zeigt, dass insoweit nicht das Maß eines Missbrauchs nach Art. 82 EG erreicht sein muss.
C.
Verhalten
I.
Große Bandbreite
483 Zu der vorhandenen subjektiven Komponente in Form einer Abstimmung muss eine tatsächliche Verhaltensweise als objektive Komponente kommen. Das Verhalten kann bereits den Ansatz bilden, um eine Abstimmung nachzuweisen. Das ist möglich, wenn es typischerweise mit einer Abstimmung einhergeht; dann besitzt es eine entsprechende indizielle Wirkung.444 Eine solche Rückwirkung ist vor allem deshalb möglich, weil sich ein Verhalten wesentlich leichter nachweisen lässt als eine Abstimmung. Die Palette der in Betracht kommenden Verhaltensweisen ist weit. Darunter 484 kann jedes wettbewerbsrelevante Tun oder Unterlassen eines Unternehmens fallen, sofern es nur mit einem anderen Unternehmen koordiniert wurde.445 Diese weite Bandbreite ergibt sich aus der fehlenden Einschränkung in Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG. Aus der Funktion als Auffangtatbestand folgt allerdings, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen vorrangig über die erste und zweite Alternative des Kartellverbots zu prüfen sind und daher für die dritte Alternative gesperrt sind. Deren Reichweite hängt daher maßgeblich davon ab, wie weit die vorrangigen Tatbestände gezogen werden. Insbesondere besteht die dritte Alternative aus Verhaltensweisen ohne rechtliche oder tatsächliche Bindungskraft. Informelle Verhaltensweisen werden zumindest 442
443 444 445
EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (658, Rn. 64/67) – ICI; ebenso Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1942, Rn. 25 f.; 1967 f., Rn. 186 ff.; 1984, Rn. 289 ff.) – Suiker Unie; Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2031 f., Rn. 20) – Züchner. Auch KOME 89/93/EWG, ABl. 1989 L 33, S. 44 (Rn. 69) – Flachglas. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 34. S.o. Rn. 457. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 92.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
179
darüber aufgefangen, sofern man sie nicht bereits ebenfalls als Vereinbarungen gelten lässt.446 Entscheidend ist das tatsächliche Auftreten eines wettbewerbsrelevanten Verhaltens. Denn dieses bestätigt die Abstimmung und lässt diese nicht lediglich im Versuchsstadium stecken. Ein Abstimmungsversuch ist nämlich kartellrechtlich irrelevant.447 Wie die Abstimmung auch, kann das wettbewerbsrelevante Verhalten sowohl 485 auf Horizontal- als auch auf Vertikalebene auftreten. Auf der Horizontalebene tritt vor allem ein abgestimmtes Parallelverhalten von Herstellern gleichartiger Erzeugnisse auf. Das gilt namentlich dann, wenn diese sich in einem Oligopol befinden und damit die Versuchung groß ist, vorhandene Marktmacht zu bündeln und auszunutzen. Im vertikalen Verhältnis wird hingegen insbesondere das Verhalten der Abnehmer von Produkten durch die Hersteller geprägt.448 Aufgrund der Offenheit des Verhaltensbegriffes ist es auch gleichgültig, ob das 486 Verhalten selbst bereits zu einer Wettbewerbsbeschränkung führt oder diese lediglich bezweckt. Diese Unterscheidung wird nämlich nur im weiteren Fortgang des Art. 81 Abs. 1 EG getroffen, ohne dass die bloße Bezweckung von Wettbewerbsbeschränkungen für die dritte Alternative des Kartellverbotes ausgenommen wäre. Es muss sich nur die Abstimmung in einem konkreten Verhalten manifestieren, weil das Verhalten als solches vorgegeben ist und ansonsten nur ein Versuch gegeben wäre. Das erfordert aber nicht, dass das koordinierte Marktverhalten in einer Wettbewerbsbeschränkung besteht.449 Der EuGH jedenfalls verlangt nur, dass neben einer Abstimmung auch ein Verhalten gegeben ist.450 Notwendig ist allerdings wegen des Wettbewerbsbezugs dieser Vorschrift, dass 487 überhaupt eine Auswirkung auf das Marktverhalten vorliegt. Insoweit lässt der EuGH den Gegenbeweis zu.451 Dieser muss aber jede Möglichkeit ausschließen, dass das Marktverhalten der Unternehmen beeinflusst wurde. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn es überhaupt einen wirksamen Wettbewerb geben konnte, der durch das abgestimmte Verhalten ggf. nicht zum Zuge gekommen ist.452 Das betrifft die Fälle, in denen eine Beschränkung des Wettbewerbs lediglich bezweckt wurde und nicht bewirkt worden ist.453
446 447 448 449
450
451 452 453
S.o. Rn. 399 ff., 447 f., 461. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 91. S. näher o. im Rahmen der Abstimmung Rn. 469. Mittlerweile wohl h.M., bereits Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 23; Joliet, CDE 1974, 251 (271); aktuell beispielsweise Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 118 f.; Goldman/Lyon-Caen/Vogel, Droit commercial européen, Rn. 490; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 92; anders hingegen die früher vorherrschende Strömung, Johannes, AWD 1968, 409 ff. und noch Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 92, 96; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 15. EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4386, Rn. 161) – Hüls; s.o. Rn. 453 sowie aus Rspr. und Lit. Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 123 f., insbes. Fn. 2 und 3 m.w.N.. EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 (4368, Rn. 87) – Hüls; Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4204, Rn. 126) – Anic Partecipazioni. S. EuGH, Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539 (4616 f., Rn. 127 f.) – Montecatini. S. auch EuG, Rs. T-9/99, Slg. 2002, II-1487 (1546 f., Rn. 217) – HFB.
180
Kapitel 3 Kartellverbot
II.
Informationsaustausch
1.
Formen
488 Die Öffnung von Art. 81 Abs. 1 3. Alt. EG auch für ein Marktverhalten, das nicht in einer Wettbeschränkung besteht, ermöglicht insbesondere die Einbeziehung des bloßen Informationsaustausches. Zum einen kann der Informationsaustausch Bestandteil von anderen wettbewerbsbeschränkenden Systemen sein. So ist er vor allem wichtig, um Preisabsprachen durchzusetzen. Diese beruhen nämlich gerade auf dem Austausch von Informationen. So entwickelte das Zement-Kartell ein System von Preisinformationen, in das die Mitglieder aus sämtlichen Mitgliedstaaten einbezogen waren.454 Diese Form des Informationsaustausches ist allerdings nur insoweit wettbewerbsrelevant und damit verboten, als er sich auf individuelle Informationen der Marktteilnehmer bezieht, die sie normalerweise nicht offen legen; rein statistische Daten globaler Art gehören dazu regelmäßig nicht,455 wohl aber der Austausch von Angeboten, um Ausschreibungen abzustimmen.456 Zum Teil geht es im Rahmen des Informationsaustauschs um die Wettbewerbs489 konformität des Gesamtverhaltens, so dass er als Teil der sonstigen, wettbewerbsrechtlich problematischen Verhaltensweisen beurteilt wird.457 Indes können auch selbstständige Marktinformationssysteme wettbewerbsrechtlich schwierig sein.458 Denn allein der Informationsaustausch kann sich auf den Wettbewerb auswirken und damit zu einem Verhalten führen, wie es unter normalen Bedingungen nicht stattfände. Bereits die Struktur des Informationsaustausches schweißt die daran Beteiligten zusammen und verringert damit den Wettbewerb, wenn sie auch nicht unmittelbar ein wettbewerbswidriges Verhalten fördert.459 Daraus ergibt sich auch die Begründung dafür, dass dieses Marktverhalten, nämlich die Schaffung des Informationsaustauschsystems, bereits genügt, auch wenn so keine Wettbewerbsverfälschung bewirkt, sondern nur bezweckt wird. 2.
Wettbewerbsrelevanz
490 Welche Wettbewerbsinformationen kritisch sind, ergibt sich aus der jeweiligen Marktstruktur und dem Konzentrationsgrad der Unternehmen. Daraus bestimmt sich, welche Inhalte von Informationen bei autonomem Verhalten der Unternehmen eigentlich geheim bleiben müssten, damit diese unabhängig agieren können.460 So kann bei einem zersplitterten Angebot auch ein Austausch von Informationen die am Markt übliche Unsicherheit über das Verhalten der Konkurrenz im 454 455 456 457 458 459 460
KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (Rn. 16 ff.) – Zement. EuG, Rs. T-354/94, Slg. 1998, II-2111 (2149 f., Rn. 112) – Stora. EuG, Rs. T-29/92, Slg. 1995, II-289 (354 f., Rn. 191) – SPO u.a.; in Abweichung von KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 61 ff.) – Karton. S. EuG, Rs. T-148/89, Slg. 1995, II-1063 (1095, Rn. 73) – Tréfilunion. Zur Frage der Abstimmung o. Rn. 463 ff. GA Ruiz-Jarabo Colomer, EuGH, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111 (3130, Rn. 47) – John Deere. S. bereits Kommision, 7. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1977, Tz. 5 ff.
§ 5 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
181
Einzelfall nicht nehmen.461 Grundsätzlich ist es aber problematisch, aus einem Informationsaustausch auf die Verstärkung des Wettbewerbs zu schließen, weil dadurch die Transparenz erhöht würde.462 Jedenfalls ist dies abzulehnen, wenn Preise, Rabatte und sonstige Geschäftskonditionen schon vor der Einführung im Geschäftsverkehr offen gelegt werden, weil dadurch ein Preiswettbewerb berechenbar wird. Der Wettbewerb wird auch verringert, wenn die Gesamtheit der anderen relevanten Absatzdaten mitgeteilt wird.463 Generell ist es problematisch, wenn sich Informationen nicht auf bereits geschehene Vorgänge beziehen, sondern aktuelle und vor allem zukünftige Handlungen betreffen. So genügt es, wenn durch Informationen eine ständige Kontrolle laufender Lieferungen ermöglicht wird.464 3.
Internetmarktplätze
Eine neue Form sensiblen Informationsaustausches sind Internetmarktplätze. Sie 491 vermitteln eine Marktübersicht und dienen der Geschäftsvermittlung. Damit sind die enthaltenen Informationen a priori neutral. Es können alle Zugriff nehmen, nicht nur einige besonders Ausgewählte. Die Marktgegenseite wird also beteiligt. Internetmarktplätze sind daher jedenfalls dann unproblematisch, wenn nicht der Kreis der Nutzer nur auf diejenigen beschränkt wird, welche an einem Zirkel teilhaben, und wenn die Informationen echt sind und nicht nur eine vermeintliche Preisübersicht geliefert wird, die ihrerseits auf einer Absprache beruht. Zudem wird verlangt, dass Marktinformationen anonymisiert werden, so dass sich nicht Mitbewerber unter anormalen Bedingungen Informationen verschaffen können, die ihnen die Ungewissheit am Markt nehmen. Die Kommission hob darauf ab, dass Firewalls den gegenseitigen Zugang zu 492 sensiblen Informationen verhindern sollen. Freilich sind in diesem Bereich die technische Entwicklung und daraus resultierende unbefugte Zugangs- und Manipulationsmöglichkeiten oft viel schneller, als wirksame Schutzeinrichtungen Schritt halten können. Jedoch ist das Erfordernis der Anonymisierung lediglich dann begründet, wenn es sich um Marktplätze nur für bestimmte Unternehmen handelt, so im konkreten Fall um einen B2B465-Marktplatz der Unternehmen der Automobilindustrie.466 Bei allgemeinem Zugang hingegen gehört es gerade zum Wesen der Internetmarktplätze, dass Informationen ausgetauscht werden und allen zugänglich sind. Daher können auch keine Vorteile zugunsten Einzelner entstehen. Anders verhält es sich bei einer abgestimmten, missbräuchlichen Nutzung. Dazu bedarf es aber einer zusätzlichen Absprache.
461 462 463 464 465 466
EuG, Rs. T-35/92, Slg. 1994, II-957 (986 f., Rn. 51) – John Deere. Näher Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 37 ff. EuG, Rs. T-35/92, Slg. 1994, II-957 (986 f., Rn. 51) – John Deere. EuG, Rs. T-148/89, Slg. 1995, II-1063 (1095, Rn. 72) – Tréfilunion. Business to Business, also nicht für Privatkunden. Presseerklärung IP 01/1155 vom 31.7.2001 zur Anmeldung einer Kooperationsvereinbarung COMP/38.064/F2, ABl. 2001 C 49, S. 4 – Covisint. Allgemein Kirchner, WuW 2001, 1030 ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik für den Cyberspace, Berlin 2001.
182
Kapitel 3 Kartellverbot
§ 6 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal A.
Begründung und Definition
493 Liegt eine von Art. 81 Abs. 1 EG erfasste Verhaltensweise vor, kann diese nur dann zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot führen, wenn sie spürbar ist. Lediglich dann ist sie überhaupt in der Lage, Auswirkungen auf den Wettbewerb zu haben. Die Spürbarkeit bildet also die Grundlage dafür, dass eine Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckt oder bewirkt sein kann sowie Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten eintreten können.467 Ist von vornherein ersichtlich, dass eine koordinierte Verhaltensweise keine spürbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb haben kann, scheidet ihre Tatbestandsmäßigkeit aus. Insoweit handelt es sich daher um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal,468 genauer um eine ungeschriebene Schutzbereichsausnahme – vergleichbar der Keck-Rechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit.469 Diese will zwar gerade sämtliche Verhaltensweisen erfassen, also auch geringfügige Beeinträchtigungen, erlaubt aber gleichfalls die Konzentration der Überprüfung von Verstößen auf das Wesentliche, nur ausgehend von den Eigenheiten dieser Grundfreiheit.470 Demgegenüber wird der Schutz des Wettbewerbs auch dann erreicht, wenn Verhaltensweisen, die für diesen unbedeutend sind, a priori ausgeklammert werden. Die (potenzielle) Schädlichkeit für den ungestörten Wettbewerb bestimmt die Bedeutung einer unternehmerischen Maßnahme in diesem Kontext und ist daher der Maßstab für die Spürbarkeit.471 Die Bedeutung einer Maßnahme für den Wettbewerb ist tendenziell umso grö494 ßer, je höher der Marktanteil eines Unternehmens liegt. Weiter ist der Wettbewerb auf dem europäischen Markt umso stärker betroffen, je größer der Teilmarkt ist, auf den sich das kartellrechtswidrige Verhalten bezieht.472 Ist der Marktanteil sehr gering und beträgt unter 5 %, bestehen regelmäßig keine fühlbaren Auswirkungen.473 Allerdings sind verschiedene gleichartige Verhaltensweisen zusammen zu rechnen, auch wenn sie von Unternehmen mit jeweils geringem Marktanteil stammen. Schließlich beeinflussen sie gleichzeitig den Wettbewerb und haben daher ggf. zusammen einen spürbaren Effekt. Das gilt aber nur, wenn sie in der Zusammenschau eine gemeinsame wettbewerbsschädliche Wirkung hervorrufen, indem sie etwa den Markt abschotten. Der jeweilige Einzelvertrag muss hierfür nach den gegebenen Marktbedingungen auch einen erheblichen Beitrag leisten, damit eine 467 468 469 470 471 472 473
Für den ersten Aspekt explizit bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm; deutlicher EuGH, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 5, 7) – Völk. Dazu ausführlich und grds. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, S. 139 ff. Näher o. Rn. 74 f. S.o. Rn. 75 und Frenz, Europarecht 1, Rn. 809 ff. S. auch u. Rn. 534. EuGH, Rs. 29 u. 30/83, Slg. 1984, 1679 (1704, Rn. 30) – CRAM und Rheinzink für den deutschen Markt. EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (149, Rn. 9 ff.) – Miller International Schallplatten; Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3201, Rn. 58) – AEG.
§ 6 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal
183
Zurechnung der von den anderen Verträgen ausgehenden Wirkungen möglich ist.474 Eine Gesamtbetrachtung bedingt freilich Unsicherheiten in den Auswirkungen der Einzelverträge. Ein wirksamer Wettbewerbsschutz ist nur bei einem insoweit großzügigen Maßstab möglich. Zudem kann sich etwa ein besonders aggressives Verhalten eines aufstrebenden Marktteilnehmers auch schon bei Werten von (zunächst) unter 5 % Marktanteil deutlich auswirken.475 Insoweit ist eine Brücke zu den sog. Kernbeschränkungen der Kommission geschlagen, für welche notwendige Marktanteilsschwellen entfallen.476 Darauf müssen aber besonders wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen nicht beschränkt sein, ist doch der unternehmerische Erfindungsreichtum groß. Deshalb müssen sämtliche Formen der Koordinierung einbezogen werden, un- 495 abhängig von ihrem Bezug auf bestimmte Produktentwicklungen oder Vertriebsmodalitäten.477 Daher werden jedenfalls potenziell alle Verhaltensweisen erfasst, die sich auf Marktanteile und Umsatzzahlen beziehen, welche die Schwellenwerte der jeweils gültigen Bagatellbekanntmachung überschreiten. Für sie muss dann näher geprüft werden, ob sie tatsächlich den Wettbewerb spürbar verhindern, einschränken oder verfälschen. Das ist also nicht bereits dann der Fall, wenn die von der Kommission festgelegten Schwellenwerte überschritten werden.478 Insoweit besteht kein Automatismus, sondern damit ist erst die weitere Sachprüfung eröffnet. Sie hat im Rahmen der anderen Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 1 EG zu erfolgen. Die Prüfung braucht hingegen außer beim Auftreten im Einzelnen festgelegter Kernbeschränkungen479 nicht mehr fortgesetzt zu werden, wenn eine Verhaltensweise lediglich Unternehmen mit Marktanteilen und Umsätzen unter den in der geltenden Bagatellbekanntmachung festgesetzten Schwellenwerten betrifft. Das Über- bzw. Unterschreiten dieser Schwellenwerte prüft daher die Rechtsprechung vorab und damit vor den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt wurde bzw. der grenzüberschreitende Handel beeinträchtigt werden kann.480
B.
Bagatellbekanntmachung
I.
Bedeutung
Die Spürbarkeit ist traditionellerweise von Relevanz sowohl für das Vorliegen ei- 496 ner Wettbewerbsbeschränkung als auch für die Eignung zu einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Sie wird im Rahmen der Rechtspre474
475 476 477 478 479 480
S. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (986 f., Rn. 24) – Delimitis; Rs. C-214/99, Slg. 2000, I-11121 (11148 f., Rn. 27) – Neste sowie näher u. Rn. 508 ff.; auch EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1572 ff., Rn. 99 ff.) – Langnese-Iglo. Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 90. Näher u. Rn. 609, 611. S.u. Rn. 505 ff. S.u. Rn. 595 ff. mit Kritik an Restriktionen durch Rspr. und Verwaltungspraxis. EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1572, Rn. 98) – Langnese-Iglo. S.u. Rn. 505 ff. S. EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1572, Rn. 97) – Langnese-Iglo.
184
Kapitel 3 Kartellverbot
chung des EuGH481 wie auch in der Literatur482 parallel interpretiert und gemeinsam behandelt. Der sachliche Zusammenhang ergibt sich daraus, dass eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung regelmäßig auch eine spürbare Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels mit sich bringt. Diesen Ansatz verfolgt die jüngste Bagatellbekanntmachung nicht mehr. Sie 497 behandelt die Eignung, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, gar nicht.483 Dass danach eine Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Leistungsaustausches auch dann gegeben sein kann, wenn die Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar ist, hat allerdings aufgrund des vorstehend aufgezeigten faktischen Zusammenhangs beider Komponenten keine große praktische Divergenz zur Folge. Der Hintergrund liegt in der Anpassung an Art. 3 der VO (EG) Nr. 1/2003484 und die darin zum Ausdruck kommende neue Abgrenzung zwischen dem gemeinschaftlichen und dem nationalen Wettbewerbsrecht.485 Letzteres wird immer dann verdrängt, wenn Verhaltensweisen den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen können.486 Das gilt umfassend, also auch dann, wenn das gemeinschaftliche Kartellverbot in der Sache nicht eingreift, weil etwa eine Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar ist. Dieser umfassende Vorrang des gemeinschaftlichen Kartellrechts wird in der neuesten Bagatellbekanntmachung dadurch sichergestellt, dass das Eingreifen des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts nicht an einer fehlenden Spürbarkeit im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels scheitert. Das mitgliedstaatliche Wettbewerbsrecht kann insofern nicht zu einem Verbot führen, und das Verhalten bleibt erlaubt.487 Bekanntmachungen der Kommission binden in erster Linie ihr eigenes Verhal498 ten, indem sie Leitlinien für die Anwendung des ihr zustehenden Aufgreifermessens aufstellen und durch ihre Heranziehung die Wettbewerbsbehörde selbst binden. Das erfolgt jedenfalls über den Gleichheitssatz, weil eine Ungleichbehandlung vorliegt, wenn die Kommission sich in einem Fall an die Bagatellbekanntmachung hält und in einem anderen nicht. Als Wettbewerbsbehörden nach der VO (EG) Nr. 1/2003 gelten mittlerweile auch die nationalen Wettbewerbsinstanzen sowie Gerichte. Indem sie sich letzten Endes nach der Verwaltungspraxis der Kommission zu richten haben, sind darüber auch sie an die Bagatellbekanntmachung der Kommission gebunden. Durch diese Ausrichtung der mitgliedstaatlichen Stellen auf die Kommissionspraxis wird auch überspielt, dass die Bekanntmachung der Kommission keine Norm bildet, sondern bloßen Hinweischarakter
481 482 483
484 485 486 487
Z.B. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1986, Rn. 308) – Suiker Unie. Z.B. Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien Rn. 101. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 3, 7). ABl. 2003 L 1, S. 1. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 85. Ausführlich o. Rn. 141 ff. S.o. Rn. 143, 152 ff.
§ 6 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal
185
hat.488 Das Abstimmungssystem nach der VO (EG) Nr. 1/2003 verpflichtet auch die mitgliedstaatlichen Stellen, eine Gleichbehandlung nach der insgesamt sich zeigenden Vollzugspraxis zu gewährleisten. Hingegen vermögen die Bekanntmachungen der Kommission nicht die euro- 499 päische Gerichtsbarkeit in ihrer Auslegung des Primärrechts zu binden. Vielmehr obliegt dem EuGH sowie dem EuG gerade die Überprüfung, ob die Bagatellbekanntmachung der Kommission den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln entspricht. Räumen diese allerdings der Kommission ein Ermessen ein, wird dieses zulässigerweise durch die Bagatellbekanntmachung der Kommission konkretisiert, soweit die Bekanntmachung ihrerseits mit Primärrecht in Einklang steht. Daher ist es nur konsequent, dass der EuGH ebenso wie das EuG auf die von der Kommission festgelegten Anhaltspunkte zurückgreifen.489 Jedenfalls insoweit ergibt sich auch eine Bindung der nationalen Gerichte; bei Unsicherheiten über die Vereinbarkeit mit gemeinschaftlichem Primärrecht haben sie dem EuGH vorzulegen. Da sich damit letztlich das gemeinschaftliche Primärrecht durchsetzt, ist auch 500 die Bagatellbekanntmachung in dessen Lichte auszulegen. Daher ist die Wertung relevant, die sich aus der besonderen Nennung bestimmter Verhaltensweisen in den Beispielstatbeständen nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG ergibt. Diese Verhaltensweisen sind als besonders wettbewerbsschädlich zu betrachten. Bei ihnen besteht daher eine Vermutung dafür, dass sie eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken bzw. hierfür geeignet sind und damit auch bezwecken, also in diesem Sinne spürbar sind.490 Weiter gehend zeigt dieser Beispielskatalog die Relevanz von Verhaltensformen. Solche können also nicht generell und pauschal durch bestimmte Umsatzschwellen, ab denen erst eine Spürbarkeit angenommen werden soll, als wettbewerbsunschädlich betrachtet werden. Vielmehr ist umgekehrt beim Eingreifen bestimmter Verhaltensweisen von einer Wettbewerbsschädlichkeit und damit auch von einer Spürbarkeit auszugehen. Dem entspricht die Konzeption der neuen Bagatellbekanntmachung, welche eine schwarze Liste mit bestimmten Verhaltensweisen aufstellt, in denen unabhängig von der Stellung der beteiligten Unternehmen eine Spürbarkeit angenommen wird.
488
489 490
GA Lamothe, EuGH, Rs. 1/71, Slg. 1971, 351 (381) – Cadillon/Höss; eine bloße Berücksichtigungspflicht nehmen auch an Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 327 unter Hinweis auf Art. 10 EG; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 215 unter Hinweis auf die Bagatellbekanntmachung von 1997 (ABl. 1997 C 372, S. 13), Rn. 7 S. 2. S. EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1572, Rn. 98) – Langnese-Iglo. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 141.
186
Kapitel 3 Kartellverbot
II.
Bagatellbekanntmachung 2001
1.
Allgemeiner Rahmen
501 In dem vorgenannten Rahmen legt die „de-minimis-Bekanntmachung“ der Kommission aus dem Jahre 2001491 die derzeit bestimmenden Grundsätze für die Beurteilung der Spürbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen, nicht hingegen der Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels fest. In den dadurch ausgeschlossenen Fällen will die Kommission weder auf Antrag noch von Amts wegen ein Verfahren eröffnen und bindet dadurch ihr Aufgreifermessen. Leitet die Kommission ein Verfahren ein, obwohl die Unternehmen gutgläubig von einer fehlenden Erheblichkeit ihrer Vereinbarung im Hinblick auf den Wettbewerb ausgehen, wird jedenfalls keine Geldbuße verhängt. In dieser Weise dient die Bekanntmachung als Leitfaden, ist allerdings, wie die Kommission betont, für nationale Gerichte und Behörden nicht verbindlich (Rn. 4).492 2.
Maßgebliche Martkanteilsschwellen
502 Den Ausgangspunkt für die Bestimmung fehlender Spürbarkeit bilden wie in vorhergehenden Bekanntmachungen Marktanteilsschwellen. Diese gelten nicht nur für Vereinbarungen, sondern auch für Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Rn. 5). Treten sie auf der horizontalen Ebene auf, darf der Marktanteil, welcher von den daran beteiligten Unternehmen gehalten wird, auf keinem betroffenen relevanten Markt 10 % überschreiten. Für die vertikale Ebene und damit für Koordinationen zwischen NichtWettbewerbern auf derselben Handelsstufe wird diese Schwelle auf 15 % festgesetzt. Ist eine Zuordnung auf diese vertikale Ebene mit Schwierigkeiten verbunden, greift hingegen nicht diese 15-%-Schwelle, sondern die 10-%-Schwelle (Rn. 7). Diese notwendigen Marktanteilsschwellen verändern sich bei der Beurteilung 503 von kumulativen Wirkungen nebeneinander bestehender Vereinbarungen mit ähnlichen Effekten auf dem Markt.493 Die an dem koordinierten Verhalten Beteiligten brauchen nur eine Marktanteilsschwelle von 5 % zu überschreiten. Das gilt für Wettbewerbsbeschränkungen sowohl auf der horizontalen als auch auf der vertikalen Ebene. Liegen die Schwellen der Beteiligten auf keinem Markt darüber, soll regelmäßig kein kumulativer Abschottungseffekt, erzeugt durch die gleichartigen verschiedenen Vereinbarungen, vorliegen. Im Gegensatz zu den Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen494 beziehen sich diese Schwellen auf den gesamten Marktanteil und nicht auf den gebundenen Marktanteil. Für das Vorliegen eines kumulativen Abschottungseffektes und damit einer spürbaren Wett491
492 493 494
Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. S. allerdings zur faktischen Ausrichtung o. Rn. 497 f. S.o. Rn. 494 sowie näher u. Rn. 604 ff. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (insbes. Rn. 73, 142, 143, 189).
§ 6 Spürbarkeit als ungeschriebenes Merkmal
187
bewerbsbeschränkung muss hinzukommen, dass mindestens 30 % des relevanten Marktes von nebeneinander bestehenden (Netzen von) Vereinbarungen mit ähnlichen Wirkungen auf dem Markt abgedeckt werden (Rn. 8). Diese Marktanteilsschwellen bis auf die letztgenannte von 30 % können auch leicht überschritten werden, ohne dass bereits eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung erreicht wäre. Das gilt bis zu einer Grenze von zwei Prozentpunkten während zwei aufeinander folgender Kalenderjahre (Rn. 9). Bei der Berechnung all dieser Marktanteilsschwellen ist jeweils der relevante 504 Markt im Hinblick auf die einschlägige Produktpalette und die räumliche Ausdehnung zugrunde zu legen. Dies sollte anhand der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes i.S.d. Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft495 erfolgen. Für die Marktanteilsberechnung ist im Regelfall vom Absatzwert bzw. bei Erheblichkeit vom Wert der auf dem Markt getätigten Käufe auszugehen. Bei fehlenden Wertangaben können auch auf anderen verlässlichen Marktdaten einschließlich Mengenangaben beruhende Schätzungen durchgeführt werden (Rn. 10). 3.
Kernbeschränkungen
Die Notwendigkeit bestimmter Marktanteilsschwellen, um im Regelfall eine spür- 505 bare Wettbewerbsbeschränkung annehmen zu können, entfällt für bestimmte Vereinbarungen. Damit wird für gewisse Verhaltensweisen die Spürbarkeit als solche festgelegt. Diese sind derart schwerwiegend, dass unabhängig von Marktanteilsschwellen eine Wettbewerbsbeschränkung angenommen werden kann. Daher handelt es sich um Kernbeschränkungen. Diese sog. Schwarze Liste wurde neu in die Bekanntmachung von 2001 aufgenommen. Entsprechend Rn. 5 ist auch diese Klausel auf Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zu übertragen. Entscheidend ist der wettbewerbsbeschränkende Gehalt der jeweiligen Verhaltensweise, unabhängig davon, in welcher Form er zutage tritt. Die Kernbeschränkungen werden unterteilt in solche, die durch Wettbewerber 506 und damit auf der horizontalen Ebene erfolgen, und solche, die durch Nicht-Wettbewerber und damit auf der vertikalen Ebene vorkommen. Die dabei erfassten Zwecke weisen vielfach Anklänge an die besonders herausgestellten Beispielstatbestände nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG auf, bei denen ohnehin bereits primärrechtlich von einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung auszugehen ist.496 Für horizontale Vereinbarungen gelten daher folgende in koordinierten Verhaltensweisen auftretende Zwecke als spürbare Wettbewerbsbeschränkungen: Preisfestsetzungen beim Verkauf von Erzeugnissen an Dritte, Beschränkungen der Produktion oder des Absatzes sowie die Aufteilung von Märkten oder Kunden (Rn. 11 Abs. 1). Wesentlich differenzierter ist die Regelung für koordinierte Verhaltensweisen 507 auf der vertikalen Ebene. Dies entspricht den Sachgesetzlichkeiten dieser Liefer495 496
ABl. 1997 C 372, S. 5; ausführlich zur Bestimmung des relevanten Marktes s.u. Rn. 553 ff., 1170 ff. S.o. Rn. 499.
188
Kapitel 3 Kartellverbot
beziehungen. So wird zunächst die Beschränkung aufgegriffen, dass der Käufer den Wiederverkaufspreis selbst festsetzt, wobei allerdings nur konkrete Festsetzungen von Fest- oder Mindestverkaufspreisen oder vergleichbare Wirkungsintensitäten erfasst werden (Rn. 11 Abs. 2). Ebenso spürbar sind gebiets- oder kundenbezogene Absatzbeschränkungen des Abnehmers. Davon werden allerdings bestimmte Beschränkungen ausgenommen, bei deren Auftreten daher die ansonsten maßgeblichen Marktanteilsschwellen erfüllt sein müssen, damit eine Spürbarkeit im Regelfall bejaht werden kann. Das betrifft bestimmte Schutzmechanismen zugunsten des Verkäufers, die er zur Ermöglichung eigener Lieferungen oder paralleler Vertriebsvereinbarungen (1. Spiegelstrich) oder von selektiven Vertriebssystemen (3. Spiegelstrich) trifft. Ebenso bilden keine Kernbeschränkungen Limitierungen des Verkaufs an Endbenutzer durch Käufer, welche auf der Großhandelsstufe tätig sind (2. Spiegelstrich) und des Verkaufs von Elementen an Hersteller, die diese für Konkurrenzerzeugnisse zulasten des Ausgangslieferanten verwenden würden (4. Spiegelstrich). Kernbeschränkungen sind auch gegeben, wenn im Rahmen selektiver Vertriebs508 systeme auf der Einzelhandelsstufe der aktive oder passive Verkauf von Endverbrauchern begrenzt wird, so weit dadurch nicht lediglich der Verkauf von zugelassenen Niederlassungen aus sichergestellt wird (lit. c)). Dem steht die Beschränkung von Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb von selektiven Vertriebssystemen gleich, unabhängig davon, ob sie auf der gleichen oder unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind (lit. d)). Weiterhin werden Beschränkungen von Ersatzteilverkäufern erfasst (lit. e)). Sind Wettbewerber auf unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufen tä509 tig, um eine koordinierte Verhaltensweise durchzuführen, handelt es sich um eine Mischform von horizontalen und vertikalen Vereinbarungen. Daher greifen die Festlegungen für beide Typen ein, und sämtliche vorgenannten Kernbeschränkungen gelten als spürbar (Rn. 11 Abs. 3). 4.
Rechtsfolgen
510 Werden die vorgenannten Marktanteilsschwellen überschritten oder ist eine der aufgeführten Kernbeschränkungen einschlägig, so ist von einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Diese Bedeutung wird aber in Bezug auf Marktanteilsschwellen in Rn. 2 relativiert. Vereinbarungen zwischen Unternehmen, deren Marktanteile über diesen Schwellen liegen, müssen nämlich nicht notwendigerweise den Wettbewerb tatsächlich spürbar beschränken. Für sie ist nur nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie keine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung mit sich bringen. Haben sie gleichwohl nur geringfügige, also nicht spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb, unterliegen sie nicht dem Kartellverbot.497 Im Gegensatz zu früheren Bagatellbekanntmachungen bezieht sich die von 511 2001 explizit nicht darauf, ob spürbare Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel vorliegen. Jedoch hebt sie immerhin auf den faktischen Zusammen497
Rn. 2 (ABl. 2001 C 368, S. 13) und feste Rechtsprechung des EuGH, z.B. Rs. C-215 u. 216/96, Slg. 1999, I-135 (175, Rn. 34 f.) – Bagnasco.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
189
hang zwischen einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung und der Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten ab.498 Es ist danach zu berücksichtigen, dass Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen kaum geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen (Rn. 3). Kleine und mittlere Unternehmen, also solche mit weniger als 250 Beschäftig- 512 ten, einem Jahresumsatz von bis zu 40 Mio. Euro sowie einer Bilanzsumme von maximal 27 Mio. Euro,499 besitzen regelmäßig nicht hinreichende Marktanteilsschwellen, um eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung auslösen zu können.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung A.
Struktur ausgehend vom Wortlaut
I.
Verfälschung als Auffangbegriff
Vereinbarungen zwischen Unternehmen sowie Beschlüsse von Unternehmensver- 513 einigungen erfüllen ebenso wie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen nur dann den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Sowohl die Aneinanderreihung dreier Formen der Beeinträchtigung des Wettbewerbs als auch das Genügen einer Absicht ebenso wie eines tatsächlichen Erfolges zeigen, dass die Störungsfreiheit des Wettbewerbs umfassend abgesichert werden soll. Eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs muss also nur bezweckt worden sein; in diesem Falle brauchen die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht mehr festgestellt zu werden.500 Wird Wettbewerb verhindert, so führt dies zu seiner Einschränkung, und zwar 514 gänzlich. Damit ist der erste Begriff nur eine Verstärkung des zweiten. Beide lassen sich also unter den Oberbegriff der Wettbewerbsbeschränkung subsumieren.501 Eine Beschränkung des Wettbewerbs bildet zugleich eine Verfälschung bzw. beruht auf einer solchen und ist deren Folge. Auf die Verfälschung des Wettbewerbes lassen sich daher auch die vorgenannten Begriffe zurückführen. Insoweit han498 499
500 501
S.o. Rn. 496 f. S. die Definition im Einzelnen im Anhang zur Empfehlung 96/280/EG der Kommission vom 3.4.1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. 1996 L 107, S. 4, berichtigt durch die Empfehlung 2003/61/EG der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. 2003 L 124, S. 36. EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 22) – BNIC/Clair; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (457, Rn. 39) – Verband der Sachversicherer. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1908 f., Rn. 27; 1913, Rn. 37) – Metro I; Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (381 f., Rn. 16 f.) – Pronuptia.
190
Kapitel 3 Kartellverbot
delt es sich auch um den zentralen Begriff nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG, der ein System benennt, welches den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. Art. 81 Abs. 1 EG spezifiziert diese allgemeine Systemvorgabe502 und benennt so weitere Anwendungsfälle der Wettbewerbsverfälschung.503 Danach führt die Verhinderung und Einschränkung des Wettbewerbs immer zu seiner Verfälschung.504 Eine Verhinderung des Wettbewerbs besteht vor allem darin, diesen erst gar 515 nicht entstehen zu lassen, besonders auf einem bisher monopolistischen Markt.505 Eine Einschränkung liegt vor, wenn der vorhandene oder künftige Wettbewerb teilweise ausgeschaltet wird.506 Die Tatbestandsalternative der Wettbewerbsverfälschung gewinnt insbesondere dann selbstständige Bedeutung, wenn die beteiligten Unternehmen ihre Handlungsfähigkeit nicht einschränken, sondern nur die Marktbedingungen künstlich verändern und dadurch die Wettbewerbsintensität verringern.507 Solche Verschiebungen können durch private Ausfuhrbeihilfen – etwa im Rahmen eines von den Unternehmen errichteten Fonds – oder durch Verpflichtungen zu Ausgleichslieferungen und -zahlungen zur Abstützung von Gebietsschutzabkommen oder Quotenkartellen erzielt werden.508 II.
Wettbewerbsbeeinträchtigung auch Dritter
516 Die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der Kartellmitglieder wird insbesondere dann nicht geschmälert, wenn nicht sie, sondern Dritte in ihren Wettbewerbspositionen beeinträchtigt werden, etwa durch besonders langfristige Liefer- oder Bezugsverträge.509 Insoweit kommt jedoch nicht nur häufig auch die Anwendung des Missbrauchsverbotes in Betracht,510 sondern es wird auch zulasten dieser Dritten Wettbewerb eingeschränkt oder gar verhindert, so dass auch diese Alternativen des Kartellverbots in Betracht kommen. Jedenfalls ist es nicht notwendig, dass die beteiligten Unternehmen ihre wettbewerbliche Handlungsfreiheit beschränken,511 502 503
504 505 506 507 508
509 510 511
Näher o. Rn. 29 ff. S. etwa Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 59; Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 24; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 20; gegen jegliche Unterscheidung aber Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 149 f. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 181; Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 7 Rn. 17. S. EuGH, Rs. 61/80, Slg. 1981, 851 (867, Rn. 13) – Coöperative Stremsel- en Kleurselfabriek. Etwa Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 115. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 115. KOME 72/474/EWG, ABl. 1972 L 303, S. 24 (Rn. 13d) – CIMBEL; 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 (Rn. 29) – Milchförderungsfond; 85/383/EWG, ABl. 1985 L 219, S. 35 (Rn. 51) – EATE-Abgabe; ebenso EuGH, Rs. 272/85, Slg. 1987, 2201 (2224 f., Rn. 21 ff.) – ANTIB. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 164 f. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 4. Solch eine Verhaltensbindung verlangend beispielsweise Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 26 f.; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 136.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
191
sondern es genügt die Antastung von Marktpositionen dritter Unternehmen.512 Damit können auch reine Austauschverträge Art. 81 Abs. 1 EG unterfallen, selbst wenn sie Wettbewerbsstörungen gar nicht zum Gegenstand haben, sondern diese lediglich namentlich durch Konsequenzen für Dritte bewirken. Es muss sich dabei allerdings um eine künstliche Veränderung der Marktverhältnisse handeln; dieser negative Effekt darf nicht lediglich Ausfluss des normalen vertraglichen Verhaltens sein.513 III.
Erfolg oder tauglicher Versuch
Der zweite Teil dieses Tatbestandsmerkmales besteht darin, dass eine solche Ver- 517 hinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt worden sein muss. Ein tatsächlicher Erfolg ist damit nicht notwendig; der versuchte und fest beabsichtigte Angriff auf den Wettbewerb genügt. Das unterscheidet dieses Tatbestandsmerkmal von dem der abgestimmten Verhaltensweise. Insoweit muss jedenfalls die Abstimmung tatsächlich erfolgt und nicht nur versucht worden sein.514 Für eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs genügt bereits die Eignung der Verhaltensweise, diesen zu stören. Fehlt sie, handelt es sich um einen untauglichen Versuch, der auch im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals nicht verboten sein kann.
B.
Geschützter Wettbewerb
I.
Wettbewerbsbegriff
Welcher Wettbewerb vor Störungen geschützt wird, ist in Art. 81 Abs. 1 EG nicht 518 näher definiert. Um diese Lücke zu schließen, ist an den generellen Bedeutungsgehalt des Wettbewerbsbegriffes und der Wettbewerbsfreiheit anzuknüpfen. Der Inhalt dieses Begriffes wird daher maßgeblich vom Zweck der Wettbewerbsfreiheit bestimmt. Zum einen ist die Wettbewerbsfreiheit von elementarer Funktion für den Binnenmarkt. Damit sich der grenzüberschreitende Warenstrom entfalten und Europa zu einem gemeinsamen, offenen Markt zusammenwachsen kann, bedarf es eines unverfälschten Wettbewerbs. Dessen Voraussetzung sind zumal angesichts dieser Zielrichtung allerdings die individuellen Freiheiten der Unternehmen. Daher hat der Wettbewerb nicht nur eine institutionelle, den Binnenmarkt absichernde Funktion, sondern zum anderen enthält er einen Selbstzweck, und in 512
513 514
Allein darauf abstellend Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 2-103; Roth/Ackermann, Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 221 ff., 228 ff.; Drittwirkungen für ausreichend haltend etwa Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 80; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81 Rn. 200 ff. m.w.N. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 110. S.o. Rn. 389.
192
Kapitel 3 Kartellverbot
diesem Rahmen bildet die Erhaltung der Freiheit der Einzelunternehmen ein zentrales Element.515 II.
Schutz eines wirksamen, unverfälschten Wettbewerbs
519 Die Unverfälschtheit des Wettbewerbs fungiert auch als zentraler Begriff des Art. 81 Abs. 1 EG. Die Verhinderung und die Einschränkung des Wettbewerbs bilden dazu Unterbegriffe und füllen zudem den Begriff der Unverfälschtheit nicht vollständig aus.516 Damit ist zugleich die Zielgröße für den durch das Kartellverbot zu sichernden Wettbewerb definiert. Diese Zielgröße stimmt auch mit der allgemeinen Stoßrichtung der Wettbewerbsfreiheit nach dem Konzept des Gesamtvertrages insbesondere gem. Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG überein. Der Wettbewerb ist daher darauf auszurichten, dass er die Verwirklichung des Binnenmarktes fördert. Im Hinblick auf diese gesamtvertragliche Zielsetzung muss es sich um einen wirksamen Wettbewerb handeln.517 Diese Komponenten sind daher auch heranzuziehen, wenn es um die nähere Ausfüllung des Wettbewerbsbegriffs in Art. 81 Abs. 1 EG geht. Damit ist auch hier ein freier, redlicher, unverfälschter, wirksamer Wettbewerb zu gewährleisten.518 Diesen gilt es im Hinblick auf die jeweilige Situation sicherzustellen. Dabei sind dann die Besonderheiten des von der Koordinierung betroffenen Leistungsfeldes einschließlich seiner wirtschaftlichen Struktur zu berücksichtigen. Danach bestimmt sich wie und in welcher Intensität der Wettbewerb gestaltet sein muss, um „die Bildung eines einzigen Marktes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen“ zu erreichen.519 Dieser Rückbezug auf den Kontext des Gesamtvertrags wird in den Leitlinien 520 der Kommission zur horizontalen Zusammenarbeit sehr deutlich. Danach muss eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise „auch einen Abbau des Wettbewerbes in einem Maße bewirken, dass negative Auswirkungen hinsichtlich Preisen, Produktion, Innovation oder Vielzahl und Qualität der Waren und Dienstleistungen zu erwarten sind“, um eine Beschränkung des Wettbewerbs darzustellen.520 Schließlich zielt die Wettbewerbsfreiheit auf einen funktionierenden Markt, der natürlich durch eine wirksame Preisbildung und die Hervorrufung von Innovationen gekennzeichnet ist. Zudem steht sie in engem Kontext mit der Waren- und Dienstleistungsfreiheit.521 Jedoch steht die Wettbewerbsfreiheit für sich selbst. Nur wenn der Wettbewerb 521 redlich und unverfälscht ist, vermag er seine positive Wirkung sowohl für den Bin-
515 516 517 518 519 520
521
Ausführlich o. Rn. 1 ff. S.o. Rn. 514 f. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I; ausführlich o. Rn. 4. Ebenso Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 100. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 16). S.o. Rn. 33 ff.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
193
nenmarkt als auch für die Verwirklichung der Grundfreiheiten zu entfalten.522 Er muss daher isoliert stehen und ist nicht von vornherein mit anderen Elementen zu verquicken. Diese Reinheit des Wettbewerbsrechts darf nicht durch irgendwelche systemtheoretischen und wohlfahrtsökonomischen Erwägungen verwässert werden.523 Eine solche Abwägung mit Faktoren außerhalb der Wettbewerbsfreiheit erfolgt erst im Rahmen der Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen und ist damit durch Art. 81 Abs. 3 EG vorgezeichnet, nicht aber schon auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit durchzuführen. Ansonsten wird die Wettbewerbsfreiheit von innen heraus ausgehöhlt, der Wettbewerb von vornherein für bestimmte Zwecke instrumentalisiert. Dabei kann er nur als Selbstwert seine positive Rolle wirksam entfalten. Damit lässt sich auch nicht jeder höhere Preis mit einem Versagen des Wettbewerbs und jeder niedrigere Preis mit einem funktionierenden Wettbewerb erklären. Entscheidend ist der Hintergrund ihres Zustandekommens, nicht das Ergebnis. Dieses Ergebnis wird durch das Missbrauchsverbot in Art. 82 lit. b) EG und das dortige Adjektiv „unangemessen“ aufgegriffen, nicht hingegen in Art. 81 EG. In dessen Abs. 1 lit. a) geht es lediglich um die Festsetzung von An- oder Verkaufspreisen als solchen, nicht jedoch um deren Höhe.524 Die Trennung von Art. 81 und 82 EG geht auch verloren, wenn bereits im Rah- 522 men von Art. 81 EG die Marktmacht eine wesentliche Rolle spielen soll. In Art. 82 EG wird diese vorausgesetzt, nicht aber in Art. 81 EG. Demgegenüber nimmt die Kommission in ihren Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit die Stellung der Parteien in den von der Zusammenarbeit betroffenen Märkten zum Ausgangspunkt, „um zu ermitteln, ob die Parteien durch die Zusammenarbeit Marktmacht erlangen oder ausbauen können“.525 Zwar sind Art. 81 und 82 EG als Gesamtheit zu sehen, die gemeinsam dem Ziel eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbes als wesentlichem Bestandteil des Gesamtvertrages zu dienen haben. Deshalb bedarf es auch der gegenseitigen Ergänzung.526 Diese Ergänzungsfunktion darf aber nicht soweit gehen, dass von vornherein 523 die Tatbestandselemente vermischt werden. Denn dadurch würden beide Tatbestände zu einer Einheit verschmelzen, obwohl sie in a priori eigenständiger Funktion den Wettbewerb schützen sollen. Nur wenn diese eigenständige Funktion nicht ausreicht, um den kompletten Bereich der Wettbewerbsstörungen abzudecken und zu bekämpfen, sind gegenseitige Anleihen notwendig, nicht bereits vom Ansatz her. Ansonsten würde die Entscheidung der Vertragsväter, die Wettbewerbsfreiheit durch mehrere eigenständige Tatbestände zu sichern, zumindest partiell übergangen. Zudem geht eine solche Sicht über den Kern des Kartellverbotes hinweg, 522 523
524 525
526
S.o. Rn. 15 ff. S. dagegen Caspar, Wettbewerbliche Gesamtwürdigung von Vereinbarungen im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV, 2001, S. 42; gegen sie unter Hinweis auf damit verbundene Vergröberungen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 15 Fn. 20 sowie Rn. 16 ff. auch zum Folgenden. Eindringlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 25. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 27). O. Rn. 57.
194
Kapitel 3 Kartellverbot
das die Selbstständigkeit der Unternehmen auch unabhängig von einer bestimmten Marktmacht bewahren will.527 III.
Freiheit der Unternehmensentscheidungen
1.
Wettbewerbsbezogener Gehalt
524 Damit ist bereits auf einen Punkt übergeleitet, der ebenfalls einen maßgeblichen Bestandteil des Kartellverbotes bildet: die Bewahrung unternehmerischer Entscheidungsfreiheit. Diese bildet nämlich die Grundlage dafür, dass sich die einzelnen Unternehmen autonom und in unverfälschtem Wettbewerb entfalten können. In der Rechtsprechung des EuGH wird dieser Gedanke in dem Selbstständigkeitspostulat zusammengefasst.528 Eine Störung des Wettbewerbs liegt immer dann vor, wenn die Unternehmen nicht mehr selbstständig ihre Entscheidungen treffen (können), sondern durch von den normalen Wettbewerbsbedingungen abweichende Rahmensetzungen ihre Autonomie, zumindest partiell, verlieren. Nicht umsonst wird der Wettbewerb immer wieder (s. vor allem Art. 4 Abs. 1 EG) im Zusammenhang mit offener Marktwirtschaft und verbunden mit dem Adjektiv „frei“ genannt. Kennzeichen eines freien Wettbewerbs ist auch, wie ein Unternehmen auf das 525 Verhalten seiner Konkurrenz reagiert, indem es sich „mit wachem Sinn“ anpasst.529 Dies muss aber freiwillig erfolgen und darf nicht durch fremden Einfluss bedingt sein oder auch nur auf der Fühlungnahme zu einem anderen Unternehmen beruhen, welche die für die Selbstständigkeit von Unternehmen typische Ungewissheit über das Verhalten der Konkurrenz beseitigt. Dazu kann auch der Austausch von Informationen gehören.530 Bereits dies verfälscht den natürlichen Wettbewerb in freier, unabhängiger unternehmerischer Entscheidung. Daher unterliegt die Entscheidung, welche Geschäftspolitik er auf dem Gemein526 samen Markt betreiben will, notwendigerweise der Selbstbestimmung jedes Marktteilnehmers.531 Dazu gehört, welche Märkte besetzt werden sollen, welcher Vertragspartner gewählt wird, welche Geschäfte wie, d.h. zu welchen Bedingungen, geschlossen werden.532 Wird eine dieser Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. schon durch Fühlungnahme verfälscht, beeinträchtigt dies zugleich die wirtschaftliche Handlungsfreiheit und deshalb den Wettbewerb. Dies entspricht dem engen Zusammenhang von Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit mit der
527 528 529 530 531 532
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 24. S. bereits o. Rn. 269 ff. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965 f., Rn. 173/174) – Suiker Unie; Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2031 f., Rn. 14) – Züchner. S. jüngst EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P – Aalborg Portland; dazu näher u. Rn. 550 f. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1965 f., Rn. 173/174) – Suiker Unie; Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2031, Rn. 13) – Züchner. Etwa Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 35; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 102.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
195
Wettbewerbsfreiheit. Werden solche grenzüberschreitenden Bewegungen gehindert, berührt dies letztlich auch die Intensität des Wettbewerbs.533 2.
Zusammenhang mit der allgemeinen Handlungsfreiheit
Zwar sind diese Austauschvorgänge durch eigene Freiheiten abgesichert. Die all- 527 gemeine Handlungsfreiheit von Unternehmen wird grundrechtlich namentlich durch die Unternehmens- und die Berufsfreiheit abgesichert.534 Sie besteht in der Verwirklichung einer selbstständigen Geschäftspolitik, die durch das Kartellrecht begrenzt wird.535 Dieses sichert zugleich neben der Wettbewerbsfreiheit die allgemeine Handlungsfreiheit ab, da auch diese durch wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen eingeschränkt wird. Insoweit erfüllt das Kartellrecht eine wichtige Schutzfunktion.536 Allerdings erfasst Art. 81 Abs. 1 EG nur Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die wirtschaftliches Gestalten einschränken, ist also nicht umfassend, weder im Hinblick auf eine Einschränkung der allgemeinen (wirtschaftlichen) Handlungsfreiheit noch zu deren Schutz. Jedoch wird der Kern der Wettbewerbsstörungen erfasst.537 Weiter wird der Fokus des Kartellverbots dadurch eingeschränkt, dass eine Ver- 528 einbarung, ein Beschluss oder eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise eine Wettbewerbsverfälschung bezwecken oder bewirken müssen. Soll dieses Tatbestandsmerkmal eine eigenständige Bedeutung behalten, kann nicht jede erfasste Verhaltensweise zugleich den Wettbewerb stören. Die Beeinträchtigung der unternehmerischen Handlungsfreiheit ist auch deshalb nicht stets mit einer Wettbewerbsverfälschung gleichzusetzen.538 3.
Keine Aufladung mit weiteren Gesichtspunkten
Lediglich diese Einschränkungen sind im Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EG enthal- 529 ten. Art. 81 Abs. 3 EG führt Rechtfertigungstatbestände auf, die nicht nur Ausdruck unternehmerischer Freiheit sind, sondern für darüber hinausgehende Belange stehen und schon deshalb den Wettbewerbsbegriff als Freiheitsbegriff nicht begrenzen können. Bereits ausgehend von Art. 81 Abs. 1 EG wird argumentiert, der Schutzzweck dieser Bestimmung würde verfehlt, wenn auch Verträge als wettbewerbsstörend einbezogen würden, die ihn fördern.539 Eine solche Förderung des 533 534 535 536 537
538 539
S. Frenz, Europarecht 1, Rn. 12 ff. S.o. Rn. 121. S.o. Rn. 116. S.o. Rn. 118 f. S. dazu bereits Emmerich, EuR 1971, 295 (314 f.); Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 26 f.; s. bei Erstreckung auf einen ganzen Mitgliedstaat auch noch etwa EuGH, Rs. C-70/93, Slg. 1995, I-3439 (3469, Rn. 20) – BMW; Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 (3518, Rn. 26) – Volkswagen und VAG Leasing. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 103 gegen Koch, in: Grabitz/Hilf, 3. Lieferung 1983, Art. 85 Rn. 33, 65 ff. Näher Caspar, Wettbewerbliche Gesamtwürdigung von Vereinbarungen im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV, 2001, etwa S. 12 f. auch mit dem Hinweis darauf, dass Ver-
196
Kapitel 3 Kartellverbot
Wettbewerbs kann indes nur aufgrund einer Abwägung der Vor- und Nachteile einer Verhaltensweise gewonnen werden. Dabei sind Wertungen erforderlich.540 Diese wertenden Abwägungen – werden sie von den Wettbewerbsbehörden vorgenommen – müssen nicht notwendig mit den Erwägungen der beteiligten Parteien übereinstimmen. Werden diesen gar Zwecke untergeschoben oder werden gemeinwohlbezogene Zwecke von Marktverhaltensweisen zugrunde gelegt, handelt es sich nicht mehr um einen Ausdruck unternehmerischer Handlungsfreiheit. Marktbezogenes Handeln wird dann vielmehr bereits auf dieser Ebene von der unternehmerischen Handlungsfreiheit gelöst. Das Kartellverbot zielt indes auf deren Bewahrung und muss sich daher auf die 530 Prüfung beschränken, ob diese unternehmerische Handlungsfreiheit in ihren wettbewerbsbezogenen Voraussetzungen und Bedingungen verfälscht wurde. Nicht umsonst kann eine Rule of Reason im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG keinen Platz haben.541 Ansonsten würde die Handlungsfreiheit der Unternehmen von innen heraus ausgehöhlt, indem ihnen gute und schlechte Zwecke untergeschoben werden könnten. Es geht aber auch nicht um die Erhaltung der unternehmerischen Handlungs531 freiheit als solcher. Vielmehr sollen Rahmenbedingungen gesichert werden, in denen sich diese Handlungsfreiheit ungestört entfalten kann. Maßgeblich im Rahmen des Kartellverbotes ist die Unverfälschtheit und Redlichkeit des Wettbewerbs, in dem sich diese Handlungsfreiheit unabhängig von Verzerrungen entwickeln kann. Darum kann es auch auf keine festen inhaltlichen Eckpunkte ankommen, innerhalb deren sich diese Handlungsfreiheit realisieren soll. Vielmehr sollen die Unternehmen selbst bestimmen, welche Zwecke sie verfolgen. Einzige Grenze ist eine Störung des Wettbewerbs. Ansonsten würde das Wettbewerbsverbot inhaltlich aufgeladen. Entgegen der Kommission muss es daher für eine Beschränkung des Wettbewerbs genügen, wenn eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise den Wettbewerb zwischen den Parteien einschränkt, ohne dass noch Auswirkungen auf Preise, Produktion, Innovation oder Qualität hinzukommen müssen.542 Insoweit handelt es sich nur um gewichtige Indizien, dass natürliche von künstlichen Marktverhältnissen abgelöst werden. Grundsätzlich bleibt es indes der Entscheidung eines Unternehmens überlassen, inwieweit es Innovationen vorantreibt oder eher auf Preissenkungen für etablierte Produkte abzielt. Daraus allein folgt noch keine Wettbewerbsverfälschung, sondern allenfalls der Missbrauch einer beherrschenden Stellung.543 Vielmehr ergeben sich positive Wirkungen auf Innovationen, Qualität und Preis erst aus einer ungestörten Entwicklung des Wettbewerbs
540 541 542
543
träge eine Voraussetzung des Wettbewerbs seien. Sie können ihn indes auch beschränken; das Kartellverbot scheidet insofern die Spreu vom Weizen. Abl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 17 ff. mit weiteren Argumenten. Allerdings im System der Legalausnahme nur noch begrenzt möglich, s.u. Rn. 740. S.o. Rn. 70. So hingegen die Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 16). S.o. Rn. 520. S.u. Rn. 1253 f., 1271.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
197
zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern mit ihren jeweils eigenen Entscheidungen.544 Die günstigen Effekte sind aber die Folge ungestörten Wettbewerbs, ohne eine konstitutive Funktion für den Wettbewerb bzw. dessen Beschränkung zu haben. IV.
Vergleich von natürlichen und künstlichen Marktverhältnissen als Maßstab
1.
Ansatz
Soll damit die unternehmerische Entscheidungsfreiheit im jeweils individuellen 532 Zuschnitt erhalten bleiben, ist maßgeblich, ob eine Verhaltensweise geeignet ist, die sich bei normaler Marktentwicklung ergebenden Verhältnisse zu verändern.545 Daher ist die Wettbewerbssituation bei unbeeinflusstem Marktgeschehen mit der nach einer Absprache oder in deren Gefolge zu erwartenden zu vergleichen.546 Durch eine solche Verfälschung der Marktverhältnisse kann sich nämlich die individuelle Unternehmensfreiheit nicht mehr so verwirklichen, wie sie angelegt ist, sondern sie wird durch äußere Einflüsse in andere Bahnen gelenkt. Genau dies will das Kartellverbot vermeiden. Natürliche Marktverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass unternehmeri- 533 sches Verhalten sich nach den jeweils individuellen Vorstellungen entfalten kann, ohne durch nicht-marktgemäßes Verhalten anderer verbogen zu werden. Allerdings ist im Marktgeschehen wirtschaftlicher Druck, das nachdrückliche Aufzeigen von missbilligten Praktiken oder das Drängen zu einem bestimmten Verhalten nichts Ungewöhnliches. Das Kartellverbot untersagt deshalb auch nur bestimmte Verhaltensweisen und verlangt zudem, dass sie koordiniert erfolgen. Dies zeigt bereits, dass das Kartellverbot nicht jeden Angriff auf die Autonomie von Einzelunternehmen verhindern will. Das weitere Erfordernis der Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbs- 534 störung ist eine zusätzliche Einschränkung. Damit muss nicht nur die ins Visier genommene Verhaltensweise von einer bestimmten Form sein, sondern zudem eine gewisse Qualität haben. Sie muss den Wettbewerb zu beeinträchtigen geeignet sein. Das hat in einer Weise zu erfolgen, dass dadurch die Autonomie unternehmerischer Entscheidungen substanziell angetastet werden kann. Lediglich dann liegt eine künstliche Veränderung der Marktbedingungen vor, die auch bei natürlichem Ablauf von einem gewissen Druck und Drängen der einzelnen Wettbewerbsteilnehmer gekennzeichnet sind. In diesen Rahmen fügen sich die Bagatellbekannt544 545
546
S.o. Rn. 13 ff. S. neben Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 103 auch EuGH, Rs. C-70/93, Slg. 1995, I-3439 (3468 f., Rn. 19) – BMW; Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 (3517 f., Rn. 21 ff.) – Volkswagen und VAG-Leasing; Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2002, Rn. 13) – Javico. Bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303 f.) – Maschinenbau Ulm; Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (960, Rn. 16/18) – Béguelin; Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2571, Rn. 18) – Remia.
198
Kapitel 3 Kartellverbot
machungen der Kommission, die für den Wettbewerb unwesentliche Verhaltensweisen dem Kartellverbot entziehen. Da sie für den Wettbewerb unwesentlich sind, vermögen sie darüber auch nicht das autonome Verhalten von Unternehmen über die natürlichen Beeinflussungen des allgemeinen Marktgeschehens hinaus zu steuern. 2.
Konzentration auf bestimmte Verhaltensweisen
535 Teilweise problematisch ist allerdings die zu beobachtende Konzentration der Kommission auf bestimmte Verhaltensweisen.547 Damit wächst die Gefahr von Umgehungen. Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweisen ist gerade weit. Die Ausscheidung erfolgt über das Merkmal der Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsverfälschung. Dafür sind aber die Wirkungen einer Maßnahme entscheidend. Die Art einer Verhaltensweise kann nur insofern eine Rolle spielen, als sie regelmäßig mit bestimmten Wirkungen verbunden ist und daher den Wettbewerb zumeist negativ antastet oder nicht. Insofern macht es auch Sinn, bestimmte Verhaltensweisen herauszugreifen und diese einer besonderen Beobachtung zu unterwerfen, wie es die Kommission immer stärker tut.548 Bedenklich ist es aber, wenn unstreitig als wettbewerbsbeschränkend angese536 hene Vereinbarungen in Form der sog. „Hard-Core-Kartelle“, einer Kombination aus einer Ausschaltung des Binnenwettbewerbs, Verhaltensbindung und Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt, nicht mehr in die weitere Betrachtung einbezogen werden.549 Dadurch werden offensichtliche Wettbewerbsverfälschungen insoweit gar nicht näher gewürdigt. Je stärker aber eine Verfälschung des Wettbewerbs ausfällt, desto weniger kommt eine Freistellung in Betracht; außer man sieht die Kernbeschränkungen von vornherein durchgehend nicht als freistellungsfähig an.550 3.
Horizontale Vereinbarungen
537 Horizontal wettbewerbsbeschränkende Verträge sollen eindeutig und klar nach Zweck und Wirkung auf das Verhalten im Wettbewerb bezogen sein, indem sie die wettbewerbliche Handlungsfreiheit mindestens eines der beteiligten Unternehmen einschränken.551 Dies mag sicherlich häufig zutreffen. Daher unterzieht auch die Kommission die horizontale Zusammenarbeit von Unternehmen tenden547 548 549
550 551
S. näher Rn. 595. O. Rn. 505 ff. So die Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 25) sowie Caspar, Wettbewerbliche Gesamtwürdigung von Vereinbarungen im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV, 2001, S. 13; abl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 19, um weiterhin die Kriterien klar hervortreten zu lassen, die verbotene Wettbewerbsbeschränkungen von anderen Verträgen unterscheiden. Dazu u. Rn. 844 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 20.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
199
ziell stärkerer Kontrolle als die vertikale.552 Dennoch mag es auch auf der horizontalen Beziehungsebene Kooperationen geben, die sich nicht wesentlich auf den Wettbewerb auswirken. Das betrifft etwa den Austausch von Personal. Auch Forschungs- und Entwicklungskooperationen werden insoweit positiv gesehen. Durch sie wird der Wettbewerb gefördert, wenn erst die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen derselben Wirtschaftsstufe kleineren Unternehmen das Eindringen in einen neuen Markt ermöglicht.553 Dem kann auch ein Gemeinschaftsunternehmen dienen.554 Bei Produktionsgemeinschaftsunternehmen werden daher ansonsten fast immer von Art. 81 Abs. 1 EG erfasste Verhaltensweisen von diesem Automatismus ausgenommen.555 4.
Entstehen neuen Wettbewerbs
Generell werden die Konstellationen, in denen neuer Wettbewerb entsteht, als 538 nicht wettbewerbsstörend angesehen.556 Insoweit wird der Zweck des Kartellverbotes nicht unterlaufen, weil Wettbewerb beflügelt und nicht behindert wird. Das gilt aber nur im Hinblick auf eine Gesamtbetrachtung. Die Konkurrenten der zusammenarbeitenden Unternehmen werden dies anders sehen. Deren autonomes Verhalten wird insoweit beeinträchtigt und mag dazu führen, dass sie sich aus dem betroffenen Marktsegment zurückziehen oder ihr Preisverhalten ändern, jedoch bedingt durch eine Zusammenarbeit. Genau solche Reaktionen will das Tatbestandsmerkmal der Bezweckung oder Bewirkung von Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Zwar wird insgesamt der Wettbewerb durchaus gefördert, indem neue Produkte erst auf den Markt gebracht werden können.557 Damit können aber diese Verhaltensweisen nicht auf dieser Ebene in ihren Wirkungen neutralisiert werden. Vielmehr ist dann auf einer anderen Ebene die Entscheidung zu treffen, dass 539 die positive Wirkung für den Wettbewerb insgesamt die negativen Wirkungen für einzelne Wettbewerber überwiegen muss. Dies kann erfolgen, indem solche Koordinationen, die tatsächlich auf zusätzlichen Wettbewerb zielen, von vornherein aus dem sachlichen Anwendungsbereich des Kartellverbotes ausgenommen werden. Insoweit handelt es sich dann um eine teleologische Reduktion. In eine Sachprüfung, ob eine Wettbewerbsverfälschung bezweckt oder bewirkt wird, braucht dann gar nicht eingetreten zu werden. Dann stellt sich auch nicht das Problem, dass eine Sachprüfung nach den tatbestandsimmanenten Merkmalen zu einem negativen Ergebnis und insoweit zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot führt. Bei einem solchen Vorgehen würde nur noch eine Rechtfertigung helfen, die etwa über eine Förderung des technischen Fortschrittes gewonnen werden könnte. 552 553 554 555
556 557
S. im Zusammenhang Rn. 1013 ff. S. bereits KOME 68/317/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 1 – Machines-outils; 72/23/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 44 – SAFCO. S. KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 – Elopak. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 25 Fn. 18). Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 104. S. grundlegend EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303 f.) – Maschinenbau Ulm.
200
Kapitel 3 Kartellverbot
Der EuGH tritt aber nicht in eine Prüfung des Art. 81 Abs. 3 EG ein, sondern verneint bereits die Tatbestandsmäßigkeit. Entsprechendes gilt in der Kommissionspraxis im Hinblick auf Arbeitsgemeinschaften, weil die Beteiligten einzeln und damit ohne eine Zusammenarbeit ein Angebot nicht abgeben, bestimmte Leistungen oder Erzeugnisse nicht am Markt platzieren oder Forschungs- und Entwicklungsarbeiten allein nicht leisten würden.558 Die Koordinierung muss aber für die Markterschließung unabdingbar sein, mithin die Marktfähigkeit der Beteiligten erst herstellen;559 sie darf nicht lediglich die Effizienz steigern. Dies entspricht der übergeordneten Funktion der Wettbewerbsfreiheit. Die Freiheit der Einzelunternehmen kann daher nicht entgegen stehen, wenn, auf das Ganze betrachtet, Wettbewerb gefördert wird, und zwar in dem Sinne, wie ihn das Kartellverbot will.560 Diese Konstellation ist zu unterscheiden von einer gemeinwohlbezogenen Über541 fremdung und einer damit verbundenen Aushöhlung des Wettbewerbsgedankens von innen heraus. Der normalen Beurteilung nach dem Kriterium der Wettbewerbsverfälschung im Hinblick auf Konkurrenzunternehmen unterliegen daher solche Verhaltensweisen, die über den individuellen Zweck einer wettbewerbsfördernden Kooperation hinaus schießen, also von übergeordneten Motiven getragen werden oder auch nur im Rahmen individueller Beweggründe nicht erforderlich sind. Das ist etwa eine Verhaltensweise, die der allgemeinen Innovation dienen soll oder nicht mehr die unternehmensbezogene Forschung und Entwicklung betrifft, sondern bereits den Vertrieb. Findet auch insoweit eine Kooperation statt, handelt es sich um eine den Wettbewerb konkret verfälschende Verhaltensweise, deren Wettbewerbsschädlichkeit nicht mehr durch eine Förderung des Wettbewerbs insgesamt überdeckt wird. 540
5.
Vertikale Vereinbarungen
a)
Naturgemäß enge Verbindung von Herstellern und Vertreibern
542 Der Bereich vertikaler Vereinbarungen beinhaltet demgegenüber bereits bei natürlichem Marktgeschehen eine stärkere Einschränkung des freien Verhaltens der Vertragspartner. Das beruht darauf, dass vielfach der Hersteller von Waren darauf angewiesen ist, dass sich der Vertreiber seinen Vorgaben entsprechend verhält, damit ein bestimmter Marken- bzw. Vertriebsstandard gehalten wird oder die Erfinderrechte des Produzenten gewahrt bleiben. Die Vertreiber sind oft in eine bestimmte Marktorganisation eingebunden, die durch legitime Interessen des Herstellers getragen ist. Besonders intensiv ist dieser Kontakt im Rahmen von Franchisevereinbarungen. Deren notwendiges Element ist der Ausschluss ungeeigneter An558
559 560
S. KOME 88/568/EWG, ABl. 1988 L 311, S. 36 – Eurotunnel; 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 – Elopak; 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 – ECR 900; 2000/182/EG, ABl. 2000 L 58, S. 16 – GEAE/P&W sowie nunmehr Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 24, 143 ff.). S.u. Rn. 1084 und auch o. Rn. 529 ff. Im Vergleich zum nationalen Recht Koenig/Kühling/Müller, WuW 2005, 126 ff. S.o. Rn. 73.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
201
bieter und die Vorgabe bestimmter Verhaltensweisen, denen umgekehrt Vertriebsbeschränkungen zulasten des Herstellers gegenüber stehen können. Dadurch wird auch erst die vielfache Vermarktung der Idee des Franchisegebers ermöglicht.561 Darüber hinaus geht es um den Schutz von Patenten und sonstigen Schutzrech- 543 ten. Diese sind notwendig, damit überhaupt neue Produkte entwickelt werden, und damit wettbewerbsfördernd, so dass sie erst gar nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen. Die Verleihung eines Exklusivrechts verstößt daher als solche nicht gegen den Kartelltatbestand, sondern höchstens seine Ausübung im konkreten wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext.562 Zu einem solchen Verstoß kann führen, wenn ein solches Recht gezielt nicht an bestimmte Unternehmen weitergegeben wird, obwohl sie eigentlich zur Nutzung geeignet und in der Lage wären.563 Oder der Inhaber des Schutzrechts verlangt im Verhältnis zu den getätigten Investitionen eine zu hohe Vergütung oder eine zu lange ausschließliche Bindung.564 Auch bei solchen vertikalen Kooperationen ist darauf zu achten, dass nicht im 544 Gewande legitimer Schutzinteressen wettbewerbshindernde Elemente hinzukommen. Das kann etwa in Form von Gebietsaufteilungen geschehen, obwohl diese in ihrem Zuschnitt für eine wirksame Vermarktung gar nicht notwendig sind und damit nur zusätzliche Wettbewerber vom Markt fernhalten. Zulasten solcher zukünftiger Konkurrenten können Vereinbarungen zwischen Herstellern und von diesen eingeschalteten Vertreibern geschlossen werden. Ein Zusammenwirken dieser beiden Gruppen kann auch eine hinreichende Marktmacht begründen, um solche Marktzugangsbeschränkungen etablieren zu können. Damit greift es zu kurz, solche Behinderungen nur zu erwarten, wenn das andere an sich bindende Unternehmen über eine bedeutende Marktstellung verfügt.565 Problematisch sind auf dieser Ebene auch zusätzliche Serviceleistungen, die 545 neben der Abnahme von Produkten vereinbart werden. Über sie können nicht ohne weiteres vertikale Wettbewerbsbeschränkungen abgedeckt werden, indem zu ihnen auch Verhaltensweisen zum Absatz der Produkte des Herstellers gerechnet werden, deren Gegenleistung teilweise der Schutz vor Wettbewerb durch den Hersteller darstellt.566 Es kommt jeweils auf den Einzelfall an. Der EuGH hat hier auf bestimmte Fallgruppen bezogene Grundsätze entwickelt. b)
Selektive Vertriebssysteme
Besondere Bedeutung haben selektive Vertriebssysteme. Insoweit liegen gewisse 546 Wettbewerbsverengungen vielfach in der Natur der Sache. Langlebige, hochentwickelte Erzeugnisse können sachgerecht nur von entsprechend qualifizierten Ver561 562 563 564 565 566
EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (380 ff., Rn. 13 ff.) – Pronuptia für das Vertriebsfranchising. EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 57) – Nungesser; Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3401, Rn. 15 ff.) – Coditel II. Vgl. zu selektiven Vertriebssystemen sogleich Rn. 546 ff. EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3402, Rn. 19) – Coditel II. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 21. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 21, gegen Posner, Antitrust Law, 2001, S. 171 ff.
202
Kapitel 3 Kartellverbot
treibern verkauft werden. Daher ist eine Auswahl567 nach fachlicher Eignung und sachlicher Ausstattung als einheitlich für alle in Betracht kommenden Verkäufer geltende Kriterien wettbewerbsimmanent, sofern sie nichtdiskriminierend angewendet werden568 und für das betroffene Erzeugnis erforderlich sind; mithin auch nicht durch nationale Regelungen etwa zur Berufszulassung z.B. von Parfümerieinhabern oder Pharmazeuten entbehrlich sind.569 Dabei sind objektive Maßstäbe anzulegen, die auch von spezifisch unternehmensbezogenen Gegebenheiten losgelöst werden müssen. So genügen bloße Werbeanstrengungen oder Verkaufsstrategien nicht, könnte doch sonst jeder Hersteller die Rechtfertigung für ein selektives Vertriebssystem selbst herbeiführen.570 Insbesondere dürfen fachliche Anforderungen nicht auf quantitativen Erwägungen beruhen, um die Verkaufsstellen zahlenmäßig unabhängig von Angebot und Nachfrage zu beschränken.571 Vielmehr bedarf es einer positiven Wirkung auf den Wettbewerb,572 nämlich durch Etablierung eines hochwertigen Produktes. Das erinnert an die Fallgruppe der Entstehung von Wettbewerb, bei der gleichfalls begrenzte negative Wirkungen auf den Wettbewerb durch überwiegende positive Effekte kompensiert werden, so dass schon der Kartelltatbestand nicht greift.573 Die Voraussetzungen für kartelltatbestandsgemäße selektive Vertriebssysteme 547 müssen auch im Interesse der Verbraucher erfüllt sein,574 deren Nutzen die Wettbewerbsregeln dienen sollen. Dieser Bezug erinnert schon sehr an die eigentliche Rechtfertigungsprüfung nach Art. 81 Abs. 3 EG. Kann eine objektive Rechtfertigung im Interesse auch des Verbrauchers die Tatbestandsmäßigkeit ausschließen, werden Kartelltatbestand und die Rechtfertigung eines Verstoßes vermengt. Zusammenfassend muss ein selektives Vertriebssystem also, um nicht unter den 548 Kartelltatbestand zu fallen, • • • 567
568 569 570 571 572 573 574
durch die Eigenschaften des betroffenen Erzeugnisses bedingt sein (technische Entwicklung, hohe Qualität), die Auswahl der Wiederverkäufer nach objektiven Gesichtspunkten qualitativer Art einheitlich und ohne Diskriminierung gewährleisten, dabei die Erforderlichkeit wahren und Dabei besteht naturgemäß ein Ermessen (Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 12 Rn. 12, auf EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3205 ff., Rn. 79 ff.) – AEG verweisend) bzw. besser fachlicher Beurteilungsspielraum. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3790 f., Rn. 15) – L’Oréal. EuGH, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3791, Rn. 16) – L’Oréal; EuG, Rs. T-19/91, Slg. 1992, II-415 (444, Rn. 71) – Vichy. EuG, Rs. T-88/92, Slg. 1996, II-1961 (2009 f., Rn. 111) – Leclerc; Rs. T-19/91, Slg. 1992, II-415 (444, Rn. 71) – Vichy. EuGH, Rs. 243/83, Slg. 1985, 2015 (2044, Rn. 33 f.) – Binon; Rs. T-19/91, Slg. 1992, II-415 (442 f., Rn. 67 f.) – Vichy. Bes. deutlich EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3194, Rn. 33 f.; 3204, Rn. 73) – AEG. S.o. Rn. 538 ff. Bereits EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f., Rn. 21) – Metro I; EuG, Rs. T-19/91, Slg. 1992, II-415 (443 f., Rn. 69 ff.) – Vichy.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
•
203
positive Wirkungen für den Wettbewerb erzeugen, welche die negativen ausgleichen.575
Unter diesen Voraussetzungen ist es zulässig, dass der Hersteller seine Erzeug- 549 nisse nur an von ihm ausgewählte Vertragshändler abgibt und diese lediglich an Endverbraucher oder andere zugelassene Händler liefern dürfen; in Fortsetzung dessen darf auch die Herstellergarantie auf diesen Vertriebsweg beschränkt werden,576 ist doch ansonsten kein sachgerechter Verkauf mit Erklärung und u.U. anschließender Beseitigung von Ungewissheiten bzw. Wartung garantiert. Darüber hinaus gehende Einschränkungen namentlich des Preiswettbewerbs sind dagegen nicht mehr produktimmanent und somit auch Bestandteil eines gesunden Wettbewerbs; sie bedürfen daher der Rechtfertigung nach Art. 81 Abs. 3 EG.577 6.
Informationsaustausch
Verständlicherweise behält jedes Unternehmen die seine Geschäfts- und Preispoli- 550 tik betreffenden Informationen für sich. Diese Kernpunkte unternehmerischen Gestaltens bilden die Basis eigenen Handelns und grenzen das jeweilige Unternehmen von Konkurrenten ab. Andere sollen darüber jedenfalls im Vorfeld nichts erfahren. Der natürliche Wettbewerb ist daher dadurch geprägt, dass jedes Unternehmen in Unkenntnis der Geschäfts- und Preispolitik der Konkurrenz handeln muss. Absprachen zum Austausch dieser Informationen verfälschen daher den Wettbewerb, da sie den anderen Unternehmen die Unkenntnis nehmen und daher eine gegenseitige Abstimmung der Geschäfts- und Preispolitik ermöglichen – zum Schaden der Verbraucher, die womöglich einem künstlich hochgehaltenen Preisniveau ausgesetzt sind. Diese enge Verbindung zwischen Informationsaustausch und Abstimmung der 551 Unternehmenspolitik lässt selbst die gegenseitige Weitergabe von Informationen problematisch erscheinen, die ihrem Wesen nach nicht geheimhaltungsbedürftig sind, weil sie etwa öffentlich zugänglich oder vergangenheitsbezogen bzw. statistischer Natur sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieser Informationsaustausch andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen wie die gemeinsame Festsetzung von Preisen flankiert. Durch den Informationsaustausch kann auch besser überwacht werden, inwieweit andere Abreden eingehalten werden.578 Aber bereits der Austausch von Informationen als solcher führt zur Fühlung- 552 nahme von zwei ansonsten ohne näheren Kontakt miteinander handelnden Unternehmen. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Koordinierung, die über den Informationsaustausch hinausgeht. Jedenfalls erhöht sich die Transparenz auf dem Markt. So kann es leichter sein, Informationen direkt vom Wettbewerber zu erhalten als sie sich erst in Publikationen mühsam suchen zu müssen. Selbst bei wenigen Wett575 576 577 578
EuG, Rs. T-88/92, Slg. 1996, II-1961 (2007 f., Rn. 106) – Leclerc. EuGH, Rs. C-376/92, Slg. 1994, I-15 (39 f., Rn. 33 f.) – Metro für teure Uhren; krit. Reich, EuZW 1995, 71 ff. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f., Rn. 21) – Metro I; s. zur Rechtfertigung näher u. Rn. 798 f., 822 ff., 876 ff. EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P (Rn. 281) – Aalborg Portland.
204
Kapitel 3 Kartellverbot
bewerbern auf einem Markt kann sich daher die Offenheit weiter steigern, weil eine automatische und möglicherweise umfassendere Information zwischen Unternehmen erfolgt. Der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern als solcher verändert daher natürliche Wettbewerbsverhältnisse künstlich und ist daher jedenfalls grundsätzlich geeignet, den Wettbewerb zu beschränken. Inwieweit dies konkret der Fall ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. V.
Maßgeblicher Markt
1.
Verhaltensbestimmter Markt
a)
Unterschiede zum Missbrauchsverbot
553 Wettbewerb erfolgt immer auf einem konkreten Markt. Daher bildet dieser auch im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG den Bezugspunkt, obwohl er in dessen Grundtatbestand im Gegensatz zu Art. 82 EG nicht genannt wird. Indes geht das Fallbeispiel des Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG in Form der Aufteilung der Märkte ebenso von diesem Bezugspunkt aus wie die Freistellungsklausel des Art. 81 Abs. 3 in lit. b), wo es um die Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren geht. Dass nach dem Grundtatbestand der Wettbewerb nicht „innerhalb des Gemeinsamen Marktes“ verfälscht werden darf, zeigt den Bezug der Wettbewerbsfreiheit auf Gesamteuropa, verlangt aber nicht, dass auf dem gesamten Gemeinsamen Markt der Wettbewerb gestört sein muss. Es genügt, wenn dies auf einem Teil desselben der Fall ist. Art. 82 EG benennt dieses Erfordernis explizit. Dass es ein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes sein muss, ist im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG nicht verlangt. Deshalb handelt es sich in Art. 82 EG um eine Verengung, nicht hingegen um die Nennung eines exklusiven Merkmales, das im Kartellverbot irrelevant wäre. Allerdings zeigen diese Unterschiede in der Norm bereits auf, dass der jeweils relevante Markt in Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 82 EG nicht identisch sein muss. Vielmehr bestehen gravierende Unterschiede. Der erste Unterschied liegt bereits in der praktischen Bedeutung. In Art. 82 EG 554 eigens erwähnt, bildet die Bestimmung des relevanten, wesentlichen Teilmarktes einen sehr breiten Prüfungspunkt, der grundlegend für die Annahme des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung ist.579 Demgegenüber hat die Rechtsprechung für das Kartellverbot diese Frage selten thematisiert.580 Dieser Punkt hat keine eigenständige, konstruktive Bedeutung, sondern ist in das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsverfälschung integriert und nur bei Bedarf581 zu behandeln, wenn nämlich ohne eine Abgrenzung des relevanten Marktes nicht bestimmt werden kann, ob eine Koordinierung eine Verhinderung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt und sich zudem für eine Beein579 580 581
S. etwa EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (282 f., Rn. 23/33 ff.) – United Brands. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 132. EuG, Rs. T-29/92, Slg. 1995, II-289 (317 f., Rn. 74) – SPO; Rs. T-62/98, Slg. 2000, II-2707 (2802 f., Rn. 230) – Volkswagen: „gegebenenfalls“.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
205
trächtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten eignet.582 Gleichwohl ist bei Unsicherheiten darüber näher darauf einzugehen. Jedenfalls insoweit gilt, „dass die angemessene Festlegung des relevanten Marktes notwendig jeder Beurteilung eines angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens vorauszugehen hat“.583 Bestehen keine Zweifel an einer Wettbewerbsbeschränkung und Handelsbeeinträchtigung, ist freilich auch eine kurze Beurteilung „angemessen“; so wenn bei zwei möglichen Varianten oder schon anhand des Vorbringens der Kartellmitglieder der Kartelltatbestand erfüllt ist. Aufgrund des unterschiedlichen Kontextes ist mithin die Rolle verschieden, 555 welche die Abgrenzung des relevanten Marktes im Rahmen des Missbrauchs- und des Kartellverbotes spielt.584 Eine Übertragbarkeit wird zwar im Hinblick auf Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG bejaht, nicht aber ohne weiteres für Art. 81 Abs. 1 EG.585 Insoweit gelten fallbezogene Maßstäbe, welche die Kommission in kasuistischer Weise entwickelt hat. Diese Situationsbezogenheit ergibt sich insbesondere daraus, dass im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG Koordinationen von Einzelunternehmen im Visier sind, welche einen individuellen Zuschnitt haben. Verträge betreffen daher oft nur Ausschnitte der jeweiligen unternehmerischen Tätigkeit. Eine beherrschende Stellung in einem wesentlichen Markt wird demgegenüber außer bei Unternehmenszusammenschlüssen nicht vertraglich begründet, sondern besteht aufgrund einer Gesamtheit von tatsächlichen, das Unternehmen als solches betreffenden Umständen und wird dann benutzt. Beim Kartellverbot zählt der durch das jeweilige Verhalten erfasste Unternehmensbereich. b)
Gebiet des Vertrages oder seiner Auswirkungen
So bestimmt sich in vielen Fällen der relevante Markt nach dem Vertragsgebiet; 556 das gilt vor allem für Vertriebs- und Lizenzverträge.586 Dabei kann bereits der Vertragstyp selbst indizieren, dass etwa das Gebiet eines Mitgliedstaates den räumlichen Markt bildet. So werden Bierlieferungsverträge „noch ganz überwiegend auf nationaler Ebene geschlossen“.587 Nur dann, wenn die Vereinbarung selbst ohne Hinweis auf den räumlichen Bezugspunkt ist, zählt das Gebiet, auf welches sie sich auswirkt. Dann besteht regelmäßig eine Übereinstimmung mit dem Gebiet, in welchem sich die beteiligten Unternehmen bisher betätigten;588 insoweit besteht Übereinstimmung mit dem relevanten Markt nach Art. 82 EG. Im Gegensatz dazu 582 583
584 585 586 587
588
EuG, Rs. T-29/92, Slg. 1995, II-289 (317 f., Rn. 74) – SPO; Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 (3180 f., Rn. 93 ff.) – European Night Services. EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1463, Rn. 159) – SIV, betreffend eine Absprache in einem Fall mit tatsächlichen Unsicherheiten über die Marktabgrenzung ohne eindeutigen Bezug nur auf das Missbrauchsverbot. EuG, Rs. T-62/98, Slg. 2000, II-2707 (2802 f., Rn. 230) – Volkswagen. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 203; Thiesing, in: FS für Hartmann, 1976, S. 355 (364 f.). S. EuGH, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 7) – Völk; Rs. 1/71, Slg. 1971, 351 (356, Rn. 7/10) – Cadillon/Höss. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (985, Rn. 18) – Delimitis. Dieser Befund gilt wohl weiterhin für Deutschland, wo auch der angeführte Rechtsfall seinen Ursprung hat. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 136.
206
Kapitel 3 Kartellverbot
kann allerdings das Gebiet insoweit über das bisherige Betätigungsfeld hinausreichen, als Auswirkungen auf Dritte in anderen Gebieten auftreten oder ein Vertragspartner gerade auf eine Ausdehnung seines Absatzgebietes verzichtet.589 Neben dem sachlich und räumlich relevanten Markt geht es auch um den zeit557 lich relevanten Markt. Dieser ist allerdings regelmäßig mit der Dauer der Wettbewerbsbeschränkung konform, außer das Kartell wirkt später nach und stört z.B. erst nach seiner Auflösung den Wettbewerb.590 Zumeist hat diese Frage aber keine praktische Bedeutung,591 wie auch überhaupt die Frage des relevanten Marktes in der Rechtsanwendung des Art. 81 Abs. 1 EG eine deutlich geringere Rolle spielt als im Rahmen des Missbrauchsverbotes.592 2.
Substituierbarkeit der Leistungen
558 Vom Ansatz her gilt es auch für das Kartellverbot bei der Bestimmung des relevanten Marktes zugrunde zu legen, welche Leistungen miteinander in Wettbewerb stehen. Diese werden insoweit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt, als sie von Anbietern stammen, welche durch die abgestimmten Verhaltensweisen in ihrer Autonomie beschränkt werden. Leistungen stehen dann miteinander in Wettbewerb, wenn sie substituierbar sind.593 Diese Frage der Austauschbarkeit von Leistungen hat vor allem Bedeutung für den sachlich relevanten Markt. Dessen Bestimmung steht im Zentrum der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes,594 welche diesen Begriff übergreifend für die einzelnen Wettbewerbstatbestände der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln näher ausgestalten will. Zum sachlich relevanten Markt zählen die jeweils den Gegenstand der wettbewerbsrelevanten Verhaltensweise darstellenden Waren und Dienstleistungen einschließlich aller, durch die sie ersetzt werden können. Ob ein solcher Austausch möglich ist, richtet sich nach den Eigenschaften, der Preislage und dem Verwendungszweck. Dadurch wird deutlich, welche Angebotssparte durch die jeweilige Koordination wie betroffen ist. Einzubeziehen sind auch und gerade die Leistungen von Anbietern, welche bei der Koordination außen vor bleiben und daher im Wettbewerb Nachteile erleiden können.595 Es ist damit die Gesamtheit der Wettbewerbsverhältnisse einzubeziehen. 589
590
591 592 593 594 595
Zum zweiten Fall Schröter, in: Van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 460 (513 ff.) m.w.N. S. EuGH, Rs. 51/75, Slg. 1976, 811 (850, Rn. 30/32) – EMI Records/CBS; Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 (909 f., Rn. 27/29) – EMI Records/CBS Grammofon; Rs. 96/75, Slg. 1976, 913 (951, Rn. 15) – EMI Records/CBS Schallplatten. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 137. S.o. Rn. 554 und EuG, Rs. T-62/98, Slg. 2000, II-2707 (2802 f., Rn. 230 f.) – Volkswagen. Dazu und zum Folgenden ausführlich u. Rn. 1176 ff. im Rahmen des Missbrauchsverbots. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 130 m.w.N.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
207
Der Verwendungszweck kann dabei dasselbe Erzeugnis mehreren Märkten zu- 559 gehören596 oder technisch verschiedenartige Produkte zu einem einzigen Markt zusammenwachsen lassen.597 Bei technisch hoch entwickelten Produkten sind die Verwendungszwecke allerdings regelmäßig als differenziert anzusehen. Daher werden Geräte der Unterhaltungselektronik ebenso wenig einem einheitlichen Markt zugerechnet598 wie Filmkameras; insoweit wird ein eigener Markt für teure Spiegelreflexkameras angenommen.599 3.
Kundenperspektive
Waren oder Dienstleistungen werden angeboten, wie sie die Verbraucher nachfra- 560 gen. Daher zählt die Perspektive derjenigen, welche die Erzeugnisse abnehmen, jedenfalls dann, wenn es sich um eine Absprache zwischen den Anbietern handelt („Bedarfsmarktkonzept“).600 Bei verschiedenen Produktketten ist dies jeweils derjenige, der die Erzeugnisse benötigt. Am Ende steht der Verbraucher, der immer den Endzielpunkt bildet. Daher bestimmt sich der relevante Markt wesentlich nach den Verbraucherpräferenzen. So ist eine Schallplatte nicht gleich eine Schallplatte, auch wenn sie die gleiche Qualität und denselben Preis hat. Vielmehr gibt es verschiedene Segmente. Auch ein Erzeugnis mit einem berühmten Warenzeichen kann deshalb einen eigenen Markt bilden.601 Dieses Abstellen auf das Nachfrageverhalten der Verbraucher stellt zugleich sicher, dass die beteiligten Unternehmen den sachlich relevanten Markt nicht subjektiv verschieben können. Koordinieren allerdings die Nachfrager von Waren auf einer bestimmten Ver- 561 triebs- oder Herstellungsstufe ihr Verhalten zulasten der Anbieter, muss es maßgeblich sein, ob diese mit ihrem Angebot andere Nachfrager bedienen können und nicht auf den Druck der durch sie belieferten Vertreiber bzw. Hersteller reagieren müssen. Dazu ist es aber erforderlich, dass diese Anbieter ihr Sortiment sehr rasch und ohne größere Umstellungen bzw. Risiken anzubieten vermögen.602
596 597 598 599 600
601
602
EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (516 f., Rn. 28) – Hoffmann-La Roche. Etwa EuGH, Rs. 19 u. 20/74, Slg. 1975, 499 (519 f., Rn. 6) – Kali und Salz; EuG, Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 (3178 f., Rn. 90) – European Night Services. KOME 80/256/EWG, ABl. 1980 L 60, S. 21 – Pioneer; ebenso EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 (1900, Rn. 83) – Musique Diffusion Française. EuGH, Rs. 86/82, Slg. 1984, 883 (902 f., Rn. 21 f.) – Hasselblad; schon zuvor KOME 82/367/EWG, ABl. 1982 L 161, S. 18 – Hasselblad. S. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 7 ff., 25 ff., 36 ff.). EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (391) – Consten Grundig. Mit zahlreichen weiteren Beispielen Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 133 f. Vgl. zum Missbrauchsverbot u. Rn. 1178. S. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 22 ff.).
208
Kapitel 3 Kartellverbot
4.
Prüfungsreihenfolge
562 In der Praxis der Kommission hat sich ein bestimmtes Vorgehen herausgebildet. Dieses ist in der bereits mehrfach erwähnten Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes i.S.d. Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft603 im Einzelnen niedergelegt und kann als Prüfungsreihenfolge dienen. Danach ist der sachliche und der räumliche Markt zunächst anhand eines ersten Eindrucks abzugrenzen: Der sachliche anhand der Zugehörigkeit verschiedener Produkte zu ihm, der räumliche aufgrund allgemeiner Angaben zur Verteilung der Marktanteile der verschiedenen Wettbewerber, zu den geltenden Preisen und zu den Preisunterschieden. Sind solchermaßen der sachliche und der räumliche Markt grob bestimmt, er563 folgt eine Einzelanalyse im Hinblick auf die Substituierbarkeit. Ein Wettbewerbsmarkt ist insoweit gegeben, als der Kunde aus einer Palette von Leistungen mit gleichen Merkmalen auswählen kann (Nachfragesubstituierbarkeit) und umgekehrt verschiedene Wettbewerber diese Leistungen auf diesem Markt ungehindert anbieten können (Angebotssubstitution). Relevante Wettbewerber sind dabei solche, die ihre Produktion und Vermarktung unmittelbar und wirksam so umstellen können, dass sie auf den relevanten Markt gelangen können, wenn sie auf diesem noch nicht präsent sind.604 Inwieweit Kunden zu anderen gleichartigen Produkten wechseln, will die Kommission anhand einer angenommenen geringen, aber dauerhaften Preiserhöhung des zu substituierenden Produkts um 5 bis 10 % testen. Das ist allerdings schwierig zu bewerkstelligen und auch nicht notwendig, da die Auswechselbarkeit als solche und zu einem gleichbleibenden Preis zählt.605 Die nähere Prüfung der Substituierbarkeit ermöglicht eine Eingrenzung der mit564 einander konkurrierenden Produkte und Anbieter und ermöglicht daher eine sicherere Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes. Es spielen aber auch weitere Kriterien eine Rolle, insbesondere die Zugangsbedingungen zu einem bestimmten Markt. Diese überschneiden sich allerdings mit den Umstellungsmöglichkeiten von Wettbewerbern, um den fraglichen Markt beliefern zu können. Das gilt ebenso für regulatorische und andere Schranken sowie Kosten einer Nachfrageverlagerung, jüngste Preisentwicklungen, welche die Kunden wechseln ließen, die Nachfrageelastizität eines Produkts anhand ökonomischer und statistischer Tests sowie Verbraucherpräferenzen.606 Diese von der Kommission benannten Kriterien sind auf der Ebene der detaillierten Bestimmung des relevanten Marktes einzubeziehen. Zu einem Sondermarkt kann führen, wenn eine gesonderte Kundengruppe diskriminiert werden kann. Dabei sind die Bedingungen des Gemeinschaftsmarktes einzubeziehen. Inwieweit der anhand all dieser Kriterien ermittelte Markt in die Märkte der EU integriert ist, muss abschließend geprüft werden. Daraus kann sich möglicherweise eine Zusammenfassung mehrerer
603 604 605 606
ABl. 1997 C 372, S. 5. Näher u. Rn. 567 ff. Näher u. Rn. 1183 im Rahmen des Missbrauchsverbots. Auch dazu näher u. Rn. 1176 f.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
209
Märkte oder gar ein europaweit einheitlich zu betrachtender Markt ergeben. Das ist allerdings eher selten der Fall.607 Daraus ergibt sich insgesamt folgendes Vorgehen: 565 1. 2. 3.
grobe Eingrenzung des sachlichen und räumlichen Marktes nach allgemeinen Merkmalen; Einzelanalyse entsprechend Nachfrage- und Angebotssubstitutierbarkeit; nähere Bestimmung des sachlichen und räumlichen Marktes: Integration in die Märkte der EU.
Auf dieser Basis können dann für einen konkreten Markt die Akteure, die Grö- 566 ße des Marktes insgesamt sowie die Marktanteile der Anbieter für eine bestimmtes Produkt als Grundlage dafür ermitteln, inwieweit durch das Verhalten verschiedener Unternehmen der Wettbewerb beeinträchtigt wird. VI.
Potenzieller Wettbewerb
1.
Fähigkeit zum Markteintritt
Das Kartellverbot will die natürliche Entwicklung des Marktes gegen Wettbe- 567 werbsstörungen sichern. Zu einer solchen Entwicklung gehört es auch, dass neue Unternehmen auf einem Markt Fuß fassen können. Diese stehen noch nicht im Wettbewerb, sondern wollen sich erst daran beteiligen. Daher ist auch der potenzielle Wettbewerb vor Störungen abgesichert.608 Potenzieller Wettbewerb betrifft mögliche Konkurrenzunternehmen, die auf dem betroffenen Markt nicht präsent sind. Das gilt dann, wenn sie eine entsprechende Leistung überhaupt nicht erbringen oder aber in dem in Frage stehenden geographischen Markt nicht anbieten.609 Ein Markt ist auch dann nicht besetzt, wenn zwar die Konkurrenz dasselbe Produkt herstellt, indes in einem gänzlich anderen Preissegment oder für eine andere Verwendungsart einsetzt und damit ein anderes Wettbewerbsfeld besetzt, weil die Substituierbarkeit nicht gegeben ist.610 Wettbewerb ist nur dann zu erwarten, wenn Unternehmen zum Eintritt in bis- 568 lang nicht besetzte Märkte bzw. Marktsegmente fähig sind. Diese Fähigkeit ist leicht dann zu bejahen, wenn ein Wettbewerber seine Produktion ohne weiteres auf die relevanten Produkte umstellen und sie kurzfristig auf den Markt bringen kann, ohne spürbare zusätzliche Kosten oder Risiken im Hinblick auf die Preisentwicklung gewärtigen zu müssen. Für diesen Fall nimmt die Kommission aber
607 608
609 610
S.u. Rn. 1185 ff. S. Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 53 ff.; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 122 ff.; Ritter/Braun/Rawlinson (Hrsg.), EEC Competition Law, 1991, S. 98 f., Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 168 ff. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 112. Vgl. o. Rn. 558 ff.
210
Kapitel 3 Kartellverbot
bereits einen vorhandenen tatsächlichen Wettbewerb an.611 Die Anhaltspunkte für die Möglichkeit, in den Markt einzutreten, können daher niedrig sein. Die Kommission sieht einen potenziellen Wettbewerber bei Anhaltspunkten da569 für, dass ein Unternehmen aus eigener Kraft die notwendigen zusätzlichen Investitionen und andere erforderliche Zusatzkosten auf sich nehmen könnte und wahrscheinlich auch würde, um als Reaktion auf eine geringfügige, aber dauerhafte Heraufsetzung der relativen Preise ggf. in den Markt einzutreten. Dabei genügen allerdings keine vagen Anhaltspunkte, sondern es bedarf realistischer Erwägungen.612 Damit ist die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwartende Entwicklung des Wettbewerbs ohne eine nach Art. 81 EG benannte Koordination zugrunde zu legen. Bestehen danach Möglichkeiten des Markteintritts, ist ein potenzieller und damit durch das Kartellverbot geschützter Wettbewerb gegeben. Dieser darf dann nicht durch unternehmerische Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder abgestimmte Verhaltensweisen gestört werden. Die aufgezeigten Grundsätze der Kommission bezogen sich auf eine horizonta570 le Zusammenarbeit. Vor allem diese ist anfällig dafür, potenziellen Wettbewerb auszuschließen, indem bestimmte geographische Märkte unter wenigen Unternehmen aufgeteilt werden. Auch bei vertikalen Koordinationen ist ein potenzieller Wettbewerb nur dann eine realistische Option, wenn es Konkurrenzunternehmen gibt, welche etwa den in Frage stehenden Vertrieb bestimmter Produkte tatsächlich ins Werk zu setzen vermögen. Auch dazu bedarf es bestimmter Fähigkeiten und insbesondere finanzieller Ressourcen. Da dies generell im Hinblick auf den potenziellen Wettbewerb erforderlich ist, können weiterhin die Kriterien als Indiz herangezogen werden, welche die Kommission für die Bestimmung eines potenziellen Wettbewerbsverhältnisses in ihrer Bekanntmachung von 1993 über die Beurteilung kooperativer Gemeinschaftsunternehmen nach Art. 85 des EWG-Vertrages613 entwickelt hat. Zwar wurde diese Bekanntmachung formell durch die Bekanntmachung mit Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit ersetzt.614 Jedoch enthält sie sachlich weiterhin beachtliche Gesichtspunkte, zumal diese Kriterien aus dem 13. Bericht über die Wettbewerbspolitik von 1983615 übernommen wurden und sie ohne volle sachliche Entsprechung in den neuen Leitlinien sind.616 Jedenfalls lassen diese Kriterien aus der Bekanntmachung von 1993 näher da571 rauf schließen, wie die eher grobe Beschreibung in der Bekanntmachung von 2001 611
612
613 614 615 616
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 9 Fn. 8). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 9 Fn. 9). ABl. 1993 C 43, S. 2 (Rn. 18 ff.). S. dort ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 5, 8). Tz. 55. Für eine Fortgeltung Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 113. Gegen diese Sicht spricht aber die formale Ablösung durch die neuen Leitlinien von 2001 (ABl. 2001 C 3, S. 2); für eine Überholung daher Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 53 Fn. 72.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
211
auszufüllen ist. Vielfach ist eine Anknüpfung möglich. Dass ein Unternehmen die notwendigen zusätzlichen Investitionen und anderen erforderlichen Umstellungskosten für einen Markteintritt auf sich nehmen kann, fällt zusammen mit ausreichenden Mitteln. Für die Marktfähigkeit hinzukommen müssen allerdings auch, wie in der Bekanntmachung von 1993 verlangt, eine hinlängliche wirtschaftliche und technische Qualifikation und adäquate Kenntnisse, Zugang zu den notwendigen Produkten und Anlagen sowie zu den Vertriebswegen. Dass der potenzielle Wettbewerber die mit dem Marktzutritt verbundenen technischen und finanziellen Risiken alleine tragen kann, deckt sich mit den im Hinblick auf den tatsächlichen Wettbewerb angesprochenen zusätzlichen Risiken. Wenn diese beim aktuellen Wettbewerb eine Rolle spielen, gilt das erst recht für den potenziellen. Zudem sind bestehende Marktzutrittsschranken zu beachten. Diese bilden aber ohnehin die Grundlage für die Beurteilung, ob ein Unternehmen in einen bestimmten Markt eintreten kann.617 2.
Überwindung von Marktzutrittschancen
Die Höhe der Marktzutrittsschranken bestimmt darüber, welche Kosten und Risi- 572 ken ein neuer Anbieter von Waren und Dienstleistungen tragen muss. Somit lässt sich nur auf ihrer Grundlage abschätzen, inwieweit ein Markteintritt möglich ist. Dabei ist jede Wirtschaftsstufe gesondert zu betrachten. Auch ein lediglich in gemeinsamer Anstrengung zu entwickelndes Produkt kann anschließend ggf. allein produziert und abgesetzt werden, so dass insoweit jedenfalls eine potenzielle Wettbewerbssituation besteht.618 Je nach Wirtschaftsstufe können ebenso wie je nach Marktsituation unterschiedliche Kriterien eine maßgebliche Rolle spielen. Beim Markteintritt auf der Ebene von Forschung und Entwicklung kommt es insbesondere auf die technischen Kenntnisse an, um in einen Markt einzutreten,619 aber auch auf die Finanzkraft, um technische Entwicklungen finanzieren zu können.620 Da der Schritt zur Verbesserung bereits hergestellter Erzeugnisse regelmäßig nicht weit ist, besteht bei deren Existenz zumeist eine potenzielle Wettbewerbssituation.621 Bei der Produktion steht demgegenüber die wirtschaftliche Qualifikation vor allem in Form der Erfahrung im Vordergrund, und auch die Finanzkraft besitzt stärkeres Gewicht.622 Parallel zur Verbesserung der technischen Entwicklung liegt auf der Ebene der Produktion ein Übergreifen in benachbarte Bereiche, seien es
617 618 619
620 621 622
Von einer maßgeblichen Abhängigkeit gehen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 48 aus. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 113 a.E. S. KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 – Carbon Gas Technologie; 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 – Pasteur Meríeux-Merck; 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 – Asahi/Saint-Gobain. (Auch) darauf abstellend KOME 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 (Rn. 63) – Pasteur Meríeux-Merck; 94/579/EG, ABl. 1994 L 223, S. 36 (Rn. 3 f., 41 ff.) – BT/MCI. Zu dieser Thematik KOME 72/41/EWG, ABl. 1972 L 14, S. 14 (16) – Henkel/Colgate. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 114.
212
Kapitel 3 Kartellverbot
geographisch angrenzende Märkte oder verwandte Produkte.623 Dementsprechend existiert regelmäßig eine potenzielle Wettbewerbssituation, sofern ein Unternehmen seine bisher schon gegebenen Tätigkeiten nicht weiter ausdehnt oder in konsequenter Fortsetzung weiterentwickelt.624 Damit fügt sich auch die Entscheidungspraxis der Kommission in den Rahmen, 573 der nunmehr durch die Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit für den potenziellen Markt aufgestellt wurde und sei er auch nur kurz. Die dortigen knappen Bemerkungen können durch die jahrzehntelange Entscheidungspraxis der Kommission angefüllt werden. So werden die Risiken umso höher beurteilt, je eher der Markt von finanzkräftigen, in der technischen Entwicklung führenden „Platzhirschen“ beherrscht wird.625 Soweit dabei allerdings die Kommission auf die Bereitschaft zum alleinigen 574 Markteintritt trotz einer übermächtigen Konkurrenz abstellt, so steht dies in Widerspruch zur vorherigen Entscheidungspraxis, bei der die objektiven technischen, finanziellen und sonstigen Gegebenheiten die maßgebliche Beurteilungsgrundlage für einen potenziellen Wettbewerb bildeten.626 Diese objektiven Gesichtspunkte mögen allerdings aufgrund einer überragenden Marktmacht anderer Anbieter zurücktreten und daher die tatsächliche Bereitschaft von Konkurrenten, alleine auf den Markt zu gehen, sehr stark herabsetzen. Insoweit handelt es sich um einen jedenfalls faktisch sehr relevanten Gesichtspunkt, der einen potenziellen Wettbewerb ausschließen kann. Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen Zweckmäßigkeitserwägungen Unternehmen davon abhalten, allein auf einen Markt zu gehen.627 3.
Unternehmerische Zweckmäßigkeit
575 Gerade solche Zweckmäßigkeitserwägungen beeinflussen maßgeblich Entscheidungen von Unternehmen, ob sie als Einzelanbieter in einen Wettbewerb eintreten oder nicht. Zu solchen Zweckmäßigkeitserwägungen können insbesondere Kosteneinsparungseffekte gehören. Fehlen sie, kann dies namentlich zusammen mit pro623
624 625
626 627
Z.B. KOME 77/543/EWG, ABl. 1977 L 215, S. 11 (15) – De Laval/Stork; 77/781/EWG, ABl. 1977 L 327, S. 26 (31) – Natriumumwälzpumpen; 88/88/EWG, ABl. 1988 L 52, S. 51 (Rn. 31 ff.) – Olivetti/Canon; weitere Beispiele bei Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 114. Allgemeine Meinung, etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 126; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 178. S. aus jüngerer Zeit KOME 1999/242/EG, ABl. 1999 L 90, S. 6 (Rn. 98 f.) – TPS; 97/39/EG, ABl. 1997 L 16, S. 87 (Rn. 40) – Iridium; 94/895/EG, ABl. 1994 L 354, S. 75 (Rn. 55) – International Private Satellite Partners. Daher krit. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 114 a.E. insbes. unter Verweis auf KOME 94/579/EG, ABl. 1994 L 223, S. 36 (Rn. 43) – BT/MCI. KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 (Rn. 22 ff.) – Elopak; 94/895/EG, ABl. 1994 L 354, S. 75 (Rn. 55 f.) – International Private Satellite Partners; krit. unter Verweis auf die vorherige Praxis, die den potenziellen Wettbewerb eher bejahte und im Hinblick auf die Freistellung großzügig war, Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 114 m.w.N. in Fn. 448, 449; s. z.B. KOME 76/249/EWG, ABl. 1976 L 51, S. 15 (18) – KEWA und auch noch 88/469/EWG, ABl. 1988 L 230, S. 39 (Rn. 23 ff.) –Iveco/Ford.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
213
hibitiven Investitionskosten einen potenziellen Wettbewerb als wenig realistisch erscheinen lassen. Diesen Ansatz wählte das EuG628 für die Frage, ob neben einem Gemeinschaftsunternehmen weiterer Raum bleibt, ein Konkurrenzunternehmen zu gründen. Das EuG lehnte dies im Hinblick auf ein Gemeinschaftsunternehmen vier nationaler Eisenbahngesellschaften ab, das die Fahrkarten- und die Schlafwagendienste im Zugverkehr durch den Kanaltunnel beherrschte. Demgegenüber hatte die Kommission noch entschieden, dass die einzelnen Gesellschaften, welche dieses Gemeinschaftsunternehmen trugen, diese Leistungen auch selbst auf eigenständiger Grundlage oder in Kooperation mit einem anderen Unternehmen erbringen könnten.629 Jedenfalls insoweit wird der Nachweis konkreter unternehmerischer Handlungsmöglichkeiten verlangt.630 Müssen allerdings durchgehend solche konkreten Optionen belegt werden, um 576 einen potenziellen Wettbewerb annehmen zu können, wird der Bereich beschränkbaren Wettbewerbs sehr stark verkürzt. Vielfach ist nicht sicher, ob ein Markt von neuen Einzelunternehmen erobert werden kann. Insoweit besteht fast immer ein Unsicherheitsfaktor. Zudem bildet es eine der Kernschutzkomponenten des Wettbewerbsrechts, dass auch neue Anbieter am Markt auftreten können und nicht von den bisherigen Präsenzunternehmen ausgespielt werden. Deshalb darf sich keine Tendenz bilden, die im Zweifel einen potenziellen Wettbewerb ablehnt. Indes genügen auch keine bloßen Vermutungen „ins Blaue“ hinein, dass andere Unternehmen selbstständig auf einem Markt auftreten wollen. Es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte tatsächlicher Art dafür vorliegen, dass andere Unternehmen in einen Markt eintreten wollen. Da immer eine aktuelle Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt zählt, sind auch mögliche Beweggründe von solchen Einzelunternehmen mit in Betracht zu ziehen. Damit spielen dann auch Zweckmäßigkeitserwägungen und etwaige Abschreckungseffekte übermächtiger Konkurrenten eine Rolle. Die Übermacht selbst ist nur im Rahmen von Art. 82 EG verboten, nicht hingegen beim Kartellverbot. Daher ist eine solche bei der Beurteilung, ob ein potenzieller Wettbewerb vorliegt, neutral und kann damit voll Berücksichtigung finden, um einen etwaigen potenziellen Wettbewerb auszuschließen. Fehlt es an einer solchen Übermacht und sind gleichrangig Unternehmen in ei- 577 nem recht großen Marktsegment tätig, legt die Kommission zu Recht einen strengen Maßstab an, wenn man das Beispiel der Bieter- und Arbeitsgemeinschaften zugrunde legt.631 Geben Unternehmen ein gemeinsames Angebot ab und dürfen sie parallel kein eigenständiges abgeben, wird durch eine Vereinbarung der Wettbewerb zwischen ihnen beschränkt. Das ist nur dann unschädlich, wenn sich alle diese Unternehmen ohne die Gemeinschaft überhaupt nicht an der fraglichen Ausschreibung beteiligt hätten, weil sie dazu nicht fähig gewesen wären. Lediglich
628 629
630 631
EuG, Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 (3200 f., Rn. 145) – European Night Services. KOME 94/663/EG, ABl. 1994 L 259, S. 20 (Rn. 33) – Night Services. Der Konflikt wird ausführlich dargestellt bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 53 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 55. S. Stoephasius, in: Langen/Bunte, Art. 81 – Fallgruppen Rn. 32.
214
Kapitel 3 Kartellverbot
dann fehlt es insoweit an einem potenziellen Wettbewerb zwischen ihnen,632 nicht hingegen schon dann, wenn lediglich eines der beteiligten Unternehmen nicht die notwendige Ressourcenkraft hatte.633 In diesem Fall wird die Bietergemeinschaft nur um ein ansonsten nicht am Markt präsentes Unternehmen verstärkt, nicht aber der Eintritt in den Wettbewerb erst begründet, ohne dass die Beteiligten nicht auch zumindest teilweise hätten allein auftreten können. Die Notwendigkeit einer Arbeitsgemeinschaft ist allerdings grundsätzlich von unternehmerischen Einschätzungen freizuhalten, weil ansonsten subjektive Elemente dominieren.634 Wie bei der Beurteilung von übermächtigen Konkurrenten müssen diese Einschätzungen objektiv unterlegt sein und können nur auf dieser Basis eine Rolle spielen. 4.
Weiter Schutz
578 Insgesamt ist im Hinblick auf den potenziellen Wettbewerb zu bedenken, dass es sich insoweit um einen Kernbestandteil des Wettbewerbsrechts handelt. Nur wenn er gesichert wird, ist es Unternehmen möglich, neue Geschäftsfelder zu erschließen oder bereits vorhandene Tätigkeitsgebiete zu erweitern. Das ist fundamental für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr. Nur so werden sich auf den heimischen Märkten aktive Unternehmen auch in anderen Mitgliedstaaten geschäftlich betätigen. Damit gewinnt die Wettbewerbsfreiheit eine erhebliche Nähe insbesondere zur Niederlassungsfreiheit, bei der es gleichfalls um die Erweiterung und Begründung von geschäftlichen Aktivitäten von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten geht. Die Niederlassungsfreiheit aber wird im Zweifel weit ausgelegt. Entsprechendes muss daher auch für die Wettbewerbsfreiheit gelten. Im Zweifel ist daher ein potenzieller Markt anzunehmen. So wird auch gesi579 chert, dass die Rahmenbedingungen für einen wirksamen Wettbewerb möglichst günstig gestaltet werden, um so für autonomes unternehmerisches Verhalten eine Chance zu schaffen. Auf diese Weise wird ein gewisser Sicherheitsabstand gewahrt, so dass Wettbewerb erst gar nicht beschränkt wird, sondern sich von den zur Verfügung stehenden Gegebenheiten offen und kraftvoll entfalten kann.635 Eine entsprechende Prävention sichert auch den Wettbewerb. Essenziell dafür ist, den potenziellen Wettbewerb zu schützen.
632
633 634 635
S. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 143) sowie auch u. Rn. 1084. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 57 mit Fn. 78; s. dagegen etwa Karollus/Artmann, wbl. 2001, 453 (456). Abl. daher Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 58; ausführlich Maasch, ZHR 150 (1986), 657 (685). Eine solche Prävention ist insbes. für den Schutz der Umwelt etabliert. Um Schäden nicht abwehren zu müssen, soll die Umwelt von vornherein möglichst pfleglich behandelt und vor Schädigungen bewahrt werden; dazu etwa Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 142; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 21 ff.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
VII.
Schutz nur des lauteren Wettbewerbs – auch gegen unlauteren Wettbewerb
1.
Lauterkeit nach nationalem Recht
215
Der Wettbewerb wird so gewährleistet, wie er im Gemeinschaftsrecht niedergelegt 580 ist. Entsprechend der Präambel zum EG wird der redliche Wettbewerb geschützt. Daher ist unredlicher und damit unlauterer Wettbewerb nicht durch das Kartellverbot abgesichert. Das Gemeinschaftsrecht definiert freilich nicht, was lauterer Wettbewerb ist. 581 Die Lauterkeit des Wettbewerbs ist nur als Rechtfertigungsgrund für nationale Beschränkungen sowie nach der Cassis-Rechtsprechung636 etabliert.637 Daraus wird deutlich, dass nach dem Gemeinschaftsrecht die Lauterkeit des Wettbewerbs auf der Definition der Mitgliedstaaten beruht. Deren Gesetzgebung ist also dafür maßgeblich, welcher Wettbewerb lauter ist und welcher nicht und welcher daher durch das Kartellverbot Schutz genießt. Allerdings muss sich diese mitgliedstaatliche Rechtsetzung im Rahmen des gemeinschaftsrechtlich Zulässigen halten. Es kann also nur insoweit Wettbewerb als unlauter eingestuft und damit ausgeschlossen werden, als dies insbesondere mit den gemeinschaftlichen Freiheiten vereinbar ist. Primärer Prüfungsmaßstab dafür sind die Grundfreiheiten und dabei insbeson- 582 dere die Warenverkehrs- sowie die Dienstleistungsfreiheit. Dazu werden auch für das Wettbewerbsrecht Parallelen gezogen, wenn es darum geht, inwieweit Einschränkungen des Wettbewerbs aus Lauterkeitsgründen erforderlich sind, um etwa die ordnungsgemäße Ausübung eines Berufes zu gewährleisten.638 Im Rahmen der Grundfreiheiten erfolgt diese Prüfung freilich auf der Ebene der Rechtfertigung, genauer der Rechtfertigungsschranken. Gleichermaßen problematisch ist es für das Kartellverbot, den Tatbestand bereits durch Erwägungen zu beschränken, deren Erforderlichkeit erst noch festgestellt werden muss, die also erst durch eine Betrachtung der konkreten Situation und eine Abwägung mit den sich daraus ergebenden Rahmenbedingungen ein Verhalten legitimieren. Auch das EuG lehnt es ab, Regeln über die Ausübung eines Berufes schon allein deshalb prinzipiell vom Kartelltatbestand auszunehmen, weil die Standesorganisation es für eine Standespflicht ansieht. Es verlangt vielmehr eine Einzelfallprüfung der Auswirkungen insbesondere auf die Handlungsfreiheit der Berufsangehörigen und auf die Berufsorganisation sowie auf die Empfänger der fraglichen Dienstleistungen; diese ist darauf bezogen, „ob eine solche Regel gegenüber“ Art. 81 EG „Bestand hat“, weshalb die Erforderlichkeit zu prüfen ist.639
636 637 638
639
EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis. Dazu ausführlich Frenz, Europarecht 1, Rn. 997, 1002 ff. S. EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1690 f., Rn. 105 ff.) – Wouters. Näher zur Problematik standesrechtlicher Regelungen, um die Qualität vor Preisdumping und damit verbundenen schlechten Arbeiten zu schützen, Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10 Rn. 40 ff. EuG, Rs. T-144/99, Slg. 2001, II-1087 (1107 f., Rn. 64 f.; 1110, Rn. 78) – Institut des Mandataires Agréés.
216
Kapitel 3 Kartellverbot
Damit bedarf es einer einzelfallbezogenen Abwägung, die üblicherweise auf der Ebene der Rechtfertigung stattfindet. Will man insoweit eine Angleichung an die Grundfreiheiten erreichen, müssen jedenfalls solche Gesichtspunkte zur Sicherstellung eines lauteren Wettbewerbs auf der Ebene einer solchen Erforderlichkeitsprüfung herangezogen werden. Dabei ist es allerdings notwendig, die dafür einschlägigen Gesichtspunkte zu erweitern und auf diejenigen auszudehnen, die in Art. 30 EG sowie nach der Cassis-Rechtsprechung einschließlich ihrer Ausweitung auf andere Grundfreiheiten fest anerkannt sind. Dazu gehören etwa der Schutz des Verbrauchers vor irreführender Werbung640 und die Lauterkeit des Handelsverkehrs.641 Damit können namentlich den Wettbewerb beschränkende Werbeverbote legitimiert werden, wie sie Gegenstand der EPI-Entscheidung waren, in der freilich schon die objektive Erforderlichkeit eines absoluten Verbotes vergleichender Werbung nicht dargetan war.642 Ohne weiteres ist eine solche Ausweitung jedenfalls für solche Konstellationen 584 möglich, in denen Private eine staatlichen Einheiten vergleichbare Machtstellung haben, wie dies etwa auf Standesorganisationen und Kammern zutrifft.643 So entschied der EuGH im Urteil Wouters auch über ein Verbot der niederländischen Rechtsanwaltskammer, welches Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern untersagte.644 Das betrifft dann freilich eine Wettbewerbsbeschränkung durch eine solche übergeordnete Einheit. Agiert eine Unternehmensvereinigung, so liegt von dieser ausgehend ein Beschluss vor. Damit ist zunächst zu prüfen, ob ein solcher Beschluss den Wettbewerb entgegen Art. 81 Abs. 1 EG beschränkt, und in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob diese Beschränkung zur Sicherstellung eines lauteren Wirtschaftsverkehrs erforderlich ist. Das ist aber die typische Prüfungsabfolge von Tatbestandsmäßigkeit und Freistellung bzw. Rechtfertigung, die für staatlichen Einheiten vergleichbare Privatrechtssubjekte in eine Erweiterung der Rechtfertigungsgründe entsprechend der Cassis-Rechtsprechung mündet.645 Handelt es sich um eine staatliche Einheit, ist erst recht zu prüfen, ob deren Verhalten eine Wettbewerbsbeschränkung darstellt, die ggf. gerechtfertigt ist.646 Sind solche staatlichen Verbandsregelungen vorhanden, stellt sich für privates Verhalten die Frage, ob es gleichwohl in lauterem Wettbewerb besteht bzw. ob es durch das Kartellverbot geschützt ist, obwohl es gegen staatliche wettbewerbsbeschränkende Regelungen verstößt. Für dieses gleichgeordnete private Verhalten geht es daher nicht um eine Rechtfertigung von Beeinträchtigungen des Wettbewerbs, sondern um dessen Existenz. Es ist von einer solchen Regulierung betroffen und reagiert auf sie, gestaltet sie hingegen nicht selbst näher aus. Gehen Unternehmen über eine normierte Beschränkung hinaus, ist dieses Verhalten an sich 583
640 641
642 643 644 645 646
EuGH, Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755 (3803 f., Rn. 30) – Kommission/Deutschland. Bereits Grundentscheidung EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis und später z.B. EuGH, Rs. C-34-36/95, Slg. 1997, I-3843 (3893, Rn. 53) – De Agostini für die Dienstleistungsfreiheit. EuG, Rs. T-144/99, Slg. 2001, II-1087 (1110, Rn. 78) – Institut des Mandataires Agréés. S. allgemein u. Rn. 994. S. EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 – Wouters. S. im Einzelnen u. Rn. 985 ff. Dazu u. Rn. 1954 ff.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
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verboten und nicht etwa rechtfertigungsfähig. Die Frage ist vielmehr, ob das im mitgliedstaatlichen Rahmen verhängte Verbot im Kartellverbot fortwirkt und darin gleichfalls als untersagt zu betrachten ist. Ein Verbot wegen eines (zusätzlichen) Kartellverstoßes ist dann nicht mehr zu prüfen. 2.
Übernahme in das Kartellverbot
Nationales Recht vermag im Rahmen von Art. 81 EG nur insoweit zum Zuge zu 585 kommen, als es selbst auch mit dieser Vorschrift und sonstigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Ansonsten könnten die Mitgliedstaaten das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht entgegen dessen generellem Vorrang aushöhlen. Daher können die nationalen Regelungen mit ihren Wertungen nicht ohne weiteres für die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln übernommen werden,647 sondern sie müssen sich vielmehr an den Wertungen der gemeinschaftlichen Bestimmungen messen lassen.648 Vor diesem Hintergrund ist es auch unproblematisch, nicht nur spezifische nationale Lauterkeitsregeln einzubeziehen, sondern auch Vorschriften über die Sittenwidrigkeit sowie den gewerblichen intellektuellen Rechtsschutz.649 Regelungen dazu sind in Art. 30 S. 1 EG explizit genannt. Diese Ausklammerung unlauterer Handlungen aus dem Wettbewerbsbegriff des 586 Art. 81 Abs. 1 EG auf der Grundlage nationalen Rechts entspricht letztlich der Herausnahme von Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach Art. 39 Abs. 4 EG aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Allerdings wird in diesem Zusammenhang der Begriff der öffentlichen Verwaltung gemeinschaftsrechtlich bestimmt.650 Das Vorgehen im Rahmen des Wettbewerbsbegriffs erinnert daher eher an die Festlegung der öffentlichen Ordnung als Rechtfertigungsgrund für Einschränkungen der Personenfreizügigkeit. Auch dort können die Mitgliedstaaten näher bestimmen, was unter die öffentliche Ordnung fällt. Sie müssen sich dabei aber an die Bedeutung der Personenfreizügigkeit halten und dürfen daher nur sehr bedeutsame Gesichtspunkte berücksichtigen.651 Dementsprechend ist auch für den Wettbewerbsbegriff zu fordern, dass nur gewichtige Gründe eine Herausnahme aus dem Schutzbereich legitimieren. Eine Orientierung, welche Gründe wichtig sind, können die Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 30 EG und der Cassis-Rechtsprechung bieten. Stets ist zu berücksichtigen, dass die Wettbewerbsfreiheit von fundamentaler Bedeutung für die Verwirklichung des Binnenmarktes ist und möglichst weit reichen soll. Dies verbindet sie mit den Grundfreiheiten. 647 648
649 650 651
So noch Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 176. Mittlerweile ganz h.M. s. etwa Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 185; Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 116 m.w.N.; insbes. KOME 1999/267/EG, ABl. 1999 L 106, S. 14 (Rn. 39 ff.) – EPI sowie die im Kern bestätigende Entscheidung EuG, Rs. T-144/99, Slg. 2001, II-1087 (1109 f., Rn. 72 ff.) – Institut des Mandataires Agrèes. Unabhängig davon unstreitig, etwa Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 43 ff.; Roth/ Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Art. 81 Abs. 1 – Grundfragen Rn. 181 ff. EuGH, Rs. 66/85, Slg. 1986, 2121 (2146, Rn. 26) – Lawrie-Blum. EuGH, Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 (2013, Rn. 33/35) – Bouchereau; näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 1647 ff.
218
Kapitel 3 Kartellverbot
Daher ist es konsequent, dass Rechtsprechung und Kommissionspraxis die Verhaltensweisen nicht als unlauteren Wettbewerb ansehen, die durch die Grundfreiheiten gedeckt sind. Werden die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Rechte genutzt, kann kein unlauterer Wettbewerb vorliegen. Das gilt vor allem für den Grundsatz, dass legal in einem Mitgliedstaat hergestellte Waren in allen Mitgliedstaaten abgesetzt werden dürfen.652 Das betrifft auch Erzeugnisse, welche den Gegenstand gewerblicher Schutzrechte bilden, handelt es sich insoweit doch nach Art. 30 S. 1 EG nur um einen Rechtsfertigungsgrund, der die Warenverkehrsfreiheit gleichwohl vom Ansatz her eingreifen lässt. Daher hindern auch z.B. urheberoder warenzeichenrechtliche Abwehransprüche nicht das Entstehen von Wettbewerb durch die Einfuhr dieser Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat, in welchem sie vom Rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurden.653 Entsprechendes gilt für Ansprüche aus Patentrecht.654 Selbst eine vertragliche 588 Verpflichtung eines Unternehmens, Erzeugnisse nur in seinem Heimatland abzusetzen, kann diesen Grundsatz nicht derogieren und eine Verhaltensweise zur unlauteren machen.655 Es müssen also Umstände vorliegen, die von dem lediglich ein Recht wahrnehmenden Waren- bzw. Dienstleistungsverkehr zu unterscheiden sind und daher dessen Beschränkung rechtfertigen.656 Dazu gehört etwa, wenn Verwechslungsgefahr mit bereits auf dem heimischen Markt vorhandenen Erzeugnissen mit ähnlichem Warenzeichen besteht,657 oder wenn ein Patent bzw. sonstiges Schutzrecht verletzt wird.658 Werden dagegen Maßnahmen ergriffen, müssen sie das unbedingt erforderliche Maß wahren, so dass sowohl der freie Warenverkehr als auch der Wettbewerb möglichst geringfügig angetastet werden.659 587
3.
Keine Selbsthilfe
589 Die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs obliegt den Mitgliedstaaten. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn gemeinschaftsrechtliche Regelungen dazu vorliegen.660 Insoweit ist dann das dazu ergangene Gemeinschaftsrecht mit dem europäi652 653 654 655 656 657 658 659
660
S. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (664, Rn. 14) – Cassis; näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 168 ff. S. EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (499 f., Rn. 11) – Deutsche Grammophon; Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 (193 f., Rn. 12 f.) – Dansk Supermarked. EuGH, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163 f., Rn. 6/8 ff.) – Centrafarm/Sterling Drug; Rs. 19/84, Slg. 1985, 2281 – Pharmon/Hoechst. EuGH, Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 (195, Rn. 17) – Dansk Supermarket. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (959 f., Rn. 10/12) – Béguelin. EuGH, Rs. 3/78, Slg. 1978, 1823 (1841, Rn. 15 ff.) – American Home Products sowie schon Rs. 119/75, Slg. 1976, 1039 (1062, Rn. 6) – Terrapin/Terranova. EuGH, Rs. 24/67, Slg. 1968, 85 (112 f.) – Parke Davis. Neben den vorherigen Urteilen auch z.B. EuGH, Rs. 192/73, Slg. 1974, 731 (744 f., Rn. 7 ff.) – Van Zuylen/Hag; Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853 (2873, Rn. 24 ff.) – Keurkoop/Nancy Kean Gifts. S. RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
219
schen Kartellrecht abzugleichen. Aber auch dann gilt, dass lediglich staatliche Organe den lauteren, redlichen Handelsverkehr zu schützen haben, hingegen keine Selbsthilfe durch die Unternehmen erlaubt ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Private Befugnisse aneignen, die ihnen nicht zustehen, sowie unter dem Deckmantel des Selbstschutzes Einschränkungen des Wettbewerbs betrieben werden. Ein Beispiel sind die IFTRA-Fälle,661 welche die europäischen Hersteller von Verpackungsglas und Hüttenaluminium betrafen. Dabei ist auch die volle Härte des Wettbewerbes durch Konkurrenten hinzu- 590 nehmen, sofern er nur legal geführt wird. Damit dürfen sich selbst schwächere Unternehmen nicht mit unlauteren Mitteln dagegen wenden, dass sie aus dem Markt gedrängt werden.662 Auch ein Zusammenwirken zu im Wettbewerb gängigen Maßnahmen ist unschädlich, so die Verpflichtung zur Geheimhaltung technischen Wissens.663 Hier besteht bereits keine Unlauterkeit, wenn sich Maßnahmen in die normalen Regeln des Wirtschaftsverkehrs einfügen lassen.
C.
Absicht oder Effekt
I.
Stufenfolge
Nach Art. 81 Abs. 1 EG muss eine Vereinbarung von Unternehmen, ein Beschluss 591 einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise eine Störung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Das „oder“ steht für Alternativität.664 Die tatsächliche Prüfungsreihenfolge entspricht der aufeinanderfolgenden Nennung in Art. 81 Abs. 1 EG: Die tatsächlichen Auswirkungen einer Koordination brauchen „nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt“.665 Es ist also zuerst zu prüfen, ob die Absicht einer Wettbewerbsbeschränkung bestand. Dann erübrigt sich die Prüfung der tatsächlichen Wirkungen. Schließlich ist einer solchen Wirkung regelmäßig auch eine Absicht vorgelagert. Wenn sich bereits Letztere belegen lässt, brauchen weitere Nachforschungen nicht angestellt zu werden, es sei denn, die beabsichtigte Wettbewerbsstörung ist von vornherein un-
661
662 663 664 665
RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der VO (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149, S. 22. Also KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 33 ff.) – Verpackungsglas; 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (7 ff.) – IFTRA/Hüttenaluminium; dazu näher Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 121. KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 35) – Verpackungsglas sowie 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (7 ff.) – IFTRA/Hüttenaluminium. KOME 75/494/EWG, ABl. 1975 L 222, S. 34 (Rn. 12) – Kabelmetal. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm. Näher EuGH Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 (4434 f., Rn. 12 ff.) – Ferriere Nord. EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 (4197, Rn. 99) – Anic Partecipazioni, unter Bezug bereits auf EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (390) – Consten und Grundig sowie Rs. C-277/87, Slg. 1990, I-45 (46, Tz. 3) – Sandoz; Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 (4435, Rn. 14 f.) – Ferriere Nord.
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Kapitel 3 Kartellverbot
geeignet, den Wettbewerb überhaupt zu beschränken. Das wird aber regelmäßig nicht der Fall sein. Ist eine Prüfung der Wirkungen notwendig, erfolgt dies daher im Allgemeinen deshalb, weil eine Bezweckung nicht bewiesen werden kann. Diese zweite Alternative ist damit zumeist aus Beweisnot in Betracht zu ziehen. II.
Bezweckung
1.
Wettbewerbsbeschränkende Eignung der beabsichtigten Verhaltensweise
592 Die erste Alternative der Bezweckung einer Wettbewerbsbeschränkung setzt voraus, dass die in Frage stehende koordinierte Verhaltensweise darauf gerichtet ist, die natürlichen Marktbedingungen zu verfälschen. Dadurch wird die Autonomie von Unternehmen eingeschränkt und damit deren Handeln in eine andere Richtung gelenkt, so dass der Wettbewerb nicht mehr frei und redlich verläuft. Da dies die regelmäßige Folge einer Änderung der Marktbedingungen ist, muss nur auf deren Verfälschung der Zweck gerichtet sein, um den Wettbewerb zu beschränken. Es muss daher lediglich die Eignung bestehen, die Marktbedingungen tatsächlich aus der natürlichen Bahn bringen zu können. Ist selbst diese Eignung nicht gegeben, handelt es sich um einen untauglichen Versuch, der nicht unter das Kartellverbot fällt.666 Besteht diese Grundeignung zu einer Veränderung der Marktbedingungen, ist 593 es gleichgültig, ob dadurch der Wettbewerb in geringem oder in hohem Maße beschränkt wird.667 Der Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst jede Wettbewerbsstörung. Allerdings wurde als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Spürbarkeit einbezogen. Danach muss die Wettbewerbsbeschränkung spürbar sein können und in dieser Stärke auch bezweckt sein. Nur so ist das Kartellverbot effektiv handhabbar. Gleichwohl werden die gravierenden Wettbewerbsstörungen erfasst. Die Spürbarkeit wurde und wird in entsprechenden Bagatellbekanntmachungen konkretisiert und schließt von vornherein die Tatbestandsmäßigkeit solcher Konstellationen aus.668 Damit richtet es sich nach diesen Bekanntmachungen, welche Schwelle der Wettbewerbsstörung beabsichtigt sein muss. Zudem muss es möglich sein, dass diese Schwelle erreicht wird; ansonsten fehlt die Eignung, den Wettbewerb in einer Weise zu stören, wie er in der durch das Gemeinschaftsrecht gefundenen Ausgestaltung des Kartellverbotes gefordert wird. Unbeachtlich auf dieser Ebene bleibt hingegen, welche Vorteile eine Koordi594 nierung für den Wettbewerb hat. Eine Abwägung dazu findet erst im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG auf der Ebene der Freistellung statt. Handelt es sich um eine den Wettbewerb selbst fördernde Verhaltensabstimmung, fällt sie schon deshalb a priori aufgrund einer teleologischen Reduktion des Kartellverbots aus dem Tat-
666 667 668
S.o. Rn. 517. Einen entsprechenden Einwand nicht aufgreifend EuGH, Rs. 8/72, Slg. 1972, 977 (990 f., Rn. 15/17 ff.) – Cementhandelaren. S.o. Rn. 493 ff.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
221
bestand heraus. Eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 Abs. 1 EG ist damit nicht mehr möglich.669 2.
Konzentration auf sog. Kernbeschränkungen?
Nach den Leitlinien der Kommission für Vereinbarungen über horizontale Zu- 595 sammenarbeit670 sollen nur noch solche Absprachen eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken können, die als sog. Kernbeschränkungen in einem „Hard-CoreVerzeichnis“ aufgeführt sind. Bei ihnen ist schon durch ihr Vorhandensein davon auszugehen, dass sie negative Wirkungen auf den Markt haben. Bei den übrigen Absprachen soll eine solche Vermutung nicht bestehen; durch sie könnte eine Wettbewerbsbeschränkung höchstens bewirkt werden, wenn sie sich nämlich absehbar negativ auf Preise, Produktion, Innovation, Vielfalt oder Qualität der Waren oder Dienstleistungen auswirken. Diese Erwartung hänge wesentlich von der Marktmacht der Vertragspartner ab. Eine solche Beschränkung der ersten Alternative auf bestimmte Verhaltenswei- 596 se ist indes im Normtext des Art. 81 Abs. 1 EG nicht angelegt. Beide Alternativen beziehen sich auf sämtliche koordinierten Verhaltensweisen, die durch das Kartellverbot erfasst werden. Die Spürbarkeit, welche eine zentrale limitierende Rolle spielt, begrenzt das Kartellverbot im Hinblick auf alle Verhaltensweisen und nicht beschränkt auf einige spezielle. Durch ein Herausgreifen bestimmter Verhaltensweisen und die Ausblendung anderer wird die umfassende Struktur des Kartellverbots unterhöhlt. Es soll für alle in erster Linie ausreichen, dass eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt ist, um den Nachweis des Bewirkens nicht erbringen zu müssen und auch nicht realisierte Wettbewerbsbeschränkungen zu bekämpfen. Das Kartellverbot soll die natürlichen Marktbedingungen vor Verfälschung si- 597 chern. Deshalb greift es bereits präventiv ein. Es enthält einen Gefährdungstatbestand.671 Hintergrund ist, dass schon eine vorhandene Koordination das Verhalten der Beteiligten wie auch der Konkurrenten verändern kann, falls sich bereits durch einen solchen Zusammenschluss die natürlichen Marktbedingungen verändern; der angestrebte wettbewerbsbeschränkende Zweck muss daher noch gar nicht eingetreten sein, solange nur insbesondere ein Klima entstanden ist, welches den Rahmen für die Erreichung des angestrebten Zieles schafft.672 Eine solche Entwicklung kann aber grundsätzlich durch alle Verhaltensweisen hervorgerufen werden, welche in Art. 81 Abs. 1 EG genannt werden, nicht hingegen lediglich durch sog. Kernbeschränkungen, mögen diese dafür auch besonders prädestiniert sein. Deren besondere Bedeutung rechtfertigt höchstens eine Beweiserleichterung für die Bezweckung, nicht aber ein Abdrängen der übrigen Verhaltensweisen in die Bewirkung, welche eben gerade nicht immer eintritt, ohne dass dadurch wettbe669 670
671 672
S.o. Rn. 73. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 18 ff.). Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 139. EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (148, Rn. 7) – Miller International Schallplatten.
222
Kapitel 3 Kartellverbot
werbsschädliche Entwicklungen ausgeschlossen sind. Das entscheidende Abgrenzungsmerkmal für eine relevante Wettbewerbsbeschränkung kann daher nur die Spürbarkeit sein. Außen vor hat daher auch die Marktmacht der Vertragspartner zu bleiben.673 3.
Ausklammerung wirtschaftlich vorteilhafter Vertragstypen
598 Die Kommission stützt sich in ihren Leitlinien auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise, welche nach der neueren Rechtsprechung geboten sei.674 Die wirtschaftliche Betrachtungsweise bereits im Rahmen des Tatbestandes von Art. 81 EG ist jedoch problematisch, soweit sie mit Wertungen verbunden ist. Die jüngere Rechtsprechung greift allerdings ebenfalls Absprachen heraus, die sie von vornherein für ungeeignet hält, eine Wettbewerbsbeschränkung zu bezwecken. Dabei stellt sie aber auf bestimmte Vertragstypen ab und nimmt nicht sog. Kernbeschränkungen an, die sie von anderen Verhaltensweisen abgrenzt. Es handelt sich vielmehr um sektorale Besonderheiten, auf deren spezifischen Charakter die Rechtsprechung abhebt. So sollen Bierlieferungsverträge in Folge ihrer für alle Beteiligten positiven wirtschaftlichen Auswirkungen eine Wettbewerbsbeschränkung nicht bezwecken, sondern nur bewirken können.675 Dabei wird allerdings lediglich eine konkrete Marktbetrachtung angestellt, nicht hingegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Sinne einer Rule of Reason befürwortet.676 Aber auch die Vorteile einer Vereinbarung können nicht bereits im Rahmen des 599 Tatbestandes den Nachteilen gegenüber gestellt werden, sondern erst im Rahmen der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG.677 Ansonsten wird das System des Kartellverbotes durchbrochen, es sei denn, eine Vereinbarung hat lediglich wettbewerbsfördernde Zwecke. Erstreckt man diese Fallgruppe über solche eindeutigen Fälle hinaus auch auf bloße günstige wirtschaftliche Auswirkungen, ohne dass diese Vereinbarungen für die Erreichung von Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sind, droht das Kartellverbot unterhöhlt zu werden. Zudem werden seine Grenzen in dem Maße unsicher, in dem schwierige Abgrenzungsprobleme entstehen. Das gilt insbesondere dann, wenn man verstärkt subjektive Motive der Unternehmen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit hinzunimmt und damit objektive Kriterien in den Hintergrund drängt, mithin die Bezweckung nicht mehr auf objektiver Grundlage im Hinblick auf die beabsichtigten Wirkungen eingrenzt, sondern nach den Beweggründen der Unternehmen.678 Ungeachtet dessen setzte die Rechtsprechung den durch das Urteil Delimitis 600 eingeschlagenen Kurs fort, und auch Wettbewerbsverbote und Austrittsbeschrän-
673 674
675 676 677 678
Ebenso Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 143. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 6). EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (983 f., Rn. 11 ff.) – Delimitis. S.o. Rn. 67 ff. in Auseinandersetzung mit diesem und mit anderen Urteilen. S.o. Rn. 70. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 142.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
223
kungen in einer Bezugsgenossenschaft679 sowie Ausfuhrverbote in Vertriebsvereinbarungen für Drittstaaten wurden ihrem Wesen nach aus der möglichen Bezweckung einer Wettbewerbsbeschränkung ausgenommen.680 Die Rechtsprechung konzentriert sich vor allem auf langfristige Geschäftsbeziehungen, die ausschließlich auf bestimmte Partner fokussiert sind. Das gilt für typische Dauerschuldverhältnisse wie Bierlieferungsverträge sowie für genossenschaftliche Verbünde. Diesen sind aber nicht notwendigerweise günstige, wirtschaftliche Auswirkungen eigen. Vielmehr werden Konkurrenten vom Zugang auf einen Markt abgehalten.681 Dabei ist der Erhalt des potenziellen Wettbewerbes fundamental dafür, dass künstliche Marktzutrittsschranken nicht aufgerichtet werden und sich ein freier Warenverkehr entsprechend den Möglichkeiten auch neuer Unternehmen entwickeln kann.682 Bei immanenter Betrachtung der Rechtsprechung bilden solche Auswirkungen im Hinblick auf die Konkurrenz, aber auch im Hinblick auf die Vertragspartner und damit die Abnehmer nicht lediglich lästige Nebenfolgen, sondern zumal bei enger und lange dauernder Anbindung den zentralen Bestandteil der Vereinbarung und damit deren Zweck.683 Legt man gleichwohl diese Rechtsprechung zugrunde, ist sie vor dem Hinter- 601 grund des umfassenden Ansatzes von Art. 81 Abs. 1 EG auf diese Einzelfälle zu begrenzen und damit lediglich langfristigen Geschäftsverbindungen eigen, nicht aber sämtlichen Verhaltensweisen außerhalb der sog. Kernbeschränkungen, wie sie die Kommission vornimmt. Zudem ist sie einzelfallbezogen zu werten und kann damit nicht generell auf Dauerschuldverhältnisse ausgedehnt werden. Es zählen vielmehr die einzelnen Verhältnisse auf dem Markt, woraus sich ergeben muss, dass solche Wettbewerbsbeschränkungen für alle Beteiligten Vorteile beinhalten. Das ist im Einzelfall sehr schwierig, wie die vorgenannte immanente Betrachtung der Rechtsprechung zeigt. Solche Vorteile können eher auf der Basis einer umfassenden Industriepolitik gesehen werden als im Rahmen des Wettbewerbsrechts, dessen Sinn gerade darin besteht, Konkurrenz zu fördern und leistungsfähigere Betriebe auf dem Markt eine Chance zu geben. Demgegenüber ist Industriepolitik eher auf Bestandsschutz bedacht. 4.
Anhaltspunkte für eine Bezweckung
Scheiden damit pauschale und auf bestimmte Verhaltenweisen bzw. Vertragstypen 602 ausgerichtete Beurteilungen aus, bedarf es der Analyse in jedem Einzelfall, ob eine Wettbewerbsverfälschung bezweckt wurde. Bei den im „Hard-Core-Verzeich679 680
681 682 683
EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 (5687, Rn. 32 ff.) – DLG. EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2004 f., Rn. 18 ff.) – Javico; ebenso nur die Wirkung einer Alleinbezugsvereinbarung für Eiskrem untersuchend EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1571 ff., Rn. 94 ff.) – Langnese-Iglo; Rs. T-9/93, Slg. 1995, II-1611 (1641 ff., Rn. 71 ff.) – Schöller; hingegen eine Bezweckung bei einer Alleinbezugsvereinbarung für Pelztiere bejahend noch EuG, Rs. T-61/89, Slg. 1992, II-1931 (1971 ff., Rn. 103 ff.) – Dansk Pelsdyravlerforening. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 141. S.o. Rn. 567 ff. Darauf weist zu Recht Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 141 a.E. hin.
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Kapitel 3 Kartellverbot
nis“ aufgeführten Kernbeschränkungen mag eine Vermutung dafür sprechen.684 Allerdings kommt es zudem darauf an, in welche Unternehmensstrategie eine Verhaltensweise eingebettet ist. Aus dieser ergibt sich dann der verfolgte Zweck. Anhaltspunkte dafür sind Protokolle oder sonstige Aufzeichnungen der an der Koordinierung beteiligten Unternehmen bzw. entsprechende Zeugenaussagen. Insoweit ist die Sachlage vergleichbar zum notwendigen Nachweis der Abstimmung als unabdingbare subjektive Seite, damit aus einer parallelen Verhaltensweise eine abgestimmte wird.685 In den dafür benötigten Beweismitteln wird vielfach auch der Nachweis für eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liegen. Gelingt ein solcher Nachweis nicht eindeutig, wird relevant, dass Art. 81 Abs. 1 603 lit. a)-e) EG bestimmte Verhaltensweisen besonders heraushebt. Damit besteht eine vertragliche Indizwirkung dafür, dass sie wettbewerbsschädlich sind.686 Das gilt auch von der Sache her. In der Benachteiligung von Handelspartnern (lit. d)) wird die wettbewerbsverfälschende Wirkung explizit benannt. Eine Aufteilung der Märkte und Versorgungsquellen (lit. c)) geht mit einer Marktabschottung einher, aus der regelmäßig gravierende Wettbewerbsbeschränkungen resultieren. Entsprechendes gilt für abgesprochene Einschränkungen und Kontrollen von Wirtschaftsvorgängen (lit. b)) und für Preisabsprachen, welche den Betroffenen bzw. der Konkurrenz das Geschäft erheblich erschweren, werden doch Preise normalerweise individuell festgesetzt bzw. besteht im Regelfall Ungewissheit über die Preispolitik anderer Unternehmen. Wer solche Handlungen vornimmt, wird die genannten Folgen daher im Allgemeinen zumindest billigend in Kauf nehmen und jedenfalls insoweit bewirken wollen, wie er auch die entsprechende Handlung will, mit der dann die Wettbewerbsbeschränkungen regelmäßig verbunden sind. III.
Bewirkung
1.
Grundsätzliches Vorgehen
604 Kann die Bezweckung einer Wettbewerbsverfälschung nicht festgestellt werden, bedarf es deren Bewirkung. Ob eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirkt wird, ist in dem Kontext zu untersuchen, in den die fragliche Verhaltensweise gestellt ist. Nur anhand der konkreten Verhältnisse in dem jeweiligen Teilmarkt kann festgestellt werden, ob der Wettbewerb tatsächlich gestört wird. Daher ist nach gefestigter Rechtsprechung der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen, in dem die unternehmerische Koordinierung steht.687 Dabei ist allerdings keine umfassende Abwägung der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile durchzuführen. Denn dadurch würde die scharfe Kontur des Kartelltatbestandes zer684 685 686 687
S.o. Rn. 595. S.o. Rn. 457 ff. Näher u. Rn. 619. Grundlegend EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (555) – Haecht; unter Bezug darauf z.B. Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (984, Rn. 14) – Delimitis; EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1573, Rn. 100) – Langnese-Iglo.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
225
fließen. In diese Richtung kann deshalb die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nicht gedeutet werden.688 Für diese konkrete Betrachtung der auftretenden Wirkungen ist zunächst der re- 605 levante Markt herauszufiltern. Zentrales Merkmal ist die Substituierbarkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung. Dabei kommt es maßgeblich auf das Einsatzfeld an.689 So unterliegt Bier im Einzelhandel einer anderen Nachfragesituation als in Gaststätten, bei denen eine Dienstleistung hinzukommt. Daher sind insoweit zwei getrennte Märkte anzunehmen.690 Der Markt für Gaststätten ist national geprägt und damit räumlich auf den jeweiligen Mitgliedstaat begrenzt. In einem zweiten Schritt sind die Verhältnisse auf dem jeweiligen Markt zu un- 606 tersuchen. Wie viele Gaststätten wie lange vertraglich an einen Bierhersteller gebunden sind, bestimmt darüber, welchen Einfluss das dadurch entstehende Vertragsnetz auf den Gesamtmarkt hat. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der Marktabschottung. Wesentlicher Indikator dafür ist, welchen Marktanteil die Beteiligten der jeweiligen koordinierten Verhaltensweise bzw. des Vertragsnetzes haben. Das EuG sah dafür im Fall Langnese-Iglo für ein Netz von Alleinbezugsvereinbarungen durch zwei Hersteller eine Überschreitung von 30 % als ausreichend an.691 Eine nähere Ausgestaltung erfolgt in der Bagatellbekanntmachung der Kommission aus dem Jahre 2001. Eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung ist danach bei einem Marktanteil von über 10 % im Falle von horizontalen und von über 15 % bei vertikalen Vereinbarungen anzunehmen. Diese notwendige Schwelle sinkt für kumulative Marktabschottungseffekte durch nebeneinander bestehende, ähnlich wirkende Vereinbarungen auf 5 % im Hinblick auf die jeweils unmittelbar beteiligten Unternehmen. Sie erhöht sich hingegen auf 30 % im Hinblick auf die Gesamtheit der Unternehmen, die an nebeneinander bestehenden Vereinbarungen beteiligt sind.692 Zum Teil gelten höhere Werte aufgrund der Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen. Danach muss der gebundene Marktanteil bei mindestens 50 % liegen, damit eine Bindung im Vertrieb von Zwischenprodukten einen erheblichen Kumulativeffekt bewirkt.693 Tatsächlich kann eine Marktabschottung allerdings nur eintreten, wenn die Fä- 607 higkeiten der Mitbewerber entsprechend gering ausgeprägt sind, in dieses Vertragssystem einzudringen oder es zu umgehen.694 Dieses Vermögen hängt zwar wesentlich von dem Marktanteil der in das Vertragsnetz eingebundenen Unternehmen ab, ist aber auch im Hinblick auf die weiteren Wettbewerbsbedingungen 688 689 690 691 692
693 694
S.o. Rn. 67 ff. Ausführlich o. Rn. 558 ff. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (984 ff., Rn. 16 ff.) – Delimitis auch zum Folgenden. EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1574, Rn. 105) – Langnese-Iglo. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 7 und 8). Näher o. Rn. 502 ff. im Rahmen der Spürbarkeit. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 73, 142 ff., 189). S. näher o. Rn. 600 sowie Rn. 567 ff.
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Kapitel 3 Kartellverbot
auf dem relevanten Markt zu klären, also etwa die Verbrauchertreue zu bestimmten großen Marken, welche das Eindringen neuer Anbieter de facto ausschließt. Aus allen diesen Rahmenbedingungen der fraglichen Verhaltensweise sowie wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumständen ist dann zu klären, ob die untersuchte Koordination neuen Mitbewerbern den Marktzugang verschließt und damit eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt. Das Ausmaß der Bindungswirkung aufgrund der geschlossenen Ausschließlichkeitsverträge bildet also nur ein Element unter mehreren.695 2.
Kausalität als Grundbedingung – auch bei kumulativen Wirkungen
a)
Ganzheitliche Betrachtung gleichartiger Vorgänge
608 Diese Gesamtbetrachtungen betrafen insbesondere kumulative Wirkungen mehrerer gleichartiger Vereinbarungen. Darin wird zugleich klargestellt, dass trotz paralleler Kausalität anderer Verhaltensweisen der in Frage stehende Vorgang eine Wettbewerbsstörung bewirken kann. Er muss also nicht allein ursächlich sein. Insoweit ist ein Vergleich mit anderen gleichartigen Verträgen anzustellen und daraus abzuleiten, inwieweit sich ein Hindernis für Mitbewerber ergibt, auf dem relevanten Markt Fuß zu fassen. Das Gesamtbild dieser einzelnen Hindernisse ergibt erst das gesamte Ausmaß der Wettbewerbsbeeinträchtigung. Daher sind die verschiedenen Verträge auch in ihrer Gesamtheit zu betrachten und zu berücksichtigen. Ansonsten käme man bei einer Vielzahl gleichartiger Vorgänge, die alle etwas zur Wettbewerbshinderung beitragen, überhaupt nicht zu einer Wettbewerbsstörung. Aber auch auf dieser Basis werden durch den EuGH nur diejenigen Wirt609 schaftsteilnehmer erfasst, deren Beitrag zu der kumulativen Wirkung erheblich ist.696 Dies hängt wiederum von den einzelnen Begleitumständen ab, wie der Marktzusammensetzung und der Marktbedeutung einzelner Anbieter. Auf dieser Prüfungsstufe ist noch stärker auf die individuellen Verhältnisse abzustellen. Zeichnet sich ein Wirtschaftsteilnehmer durch besonders intensive Anbindungen seiner Abnehmer aus, indem er diesen etwa eine im Vergleich zu anderen Klauseln unverhältnismäßig lange Vertragsdauer auferlegt, leistet er einen namhaften Verursachungsbeitrag. Dieser kann wettmachen, dass es sich um einen relativ kleinen Anbieter handelt, da sein Verhalten sehr marktabschließend wirkt und damit aufgrund der Intensität, wenn auch nicht infolge der Marktmacht, eine Wettbewerbsstörung bewirkt.697 Die Kausalität im Einzelfall kann weiter gehend eine differenzierte Betrachtung 610 des Vertragsnetzes einzelner Unternehmen erfordern. Diese können unterschiedlich gestaltet sein und daher auch eine divergierende Beurteilung erfordern. So unterhielt die Firma Neste in Finnland ein Netz von Tankstellenverträgen mit Aus695 696 697
Ebenso EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1573, Rn. 101) – Langnese-Iglo. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (986 ff., Rn. 24 ff.) – Delimitis. S. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (987, Rn. 26) – Delimitis.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
227
schließlichkeitsbindung. Die einen hatten eine lange Laufzeit ohne Ausstiegsklausel, die anderen konnten nach Ablauf einer bestimmten Spanne jederzeit mit einer Frist von einem Jahr gekündigt werden. Zwar trugen beide Gruppen zu der Marktstellung von Neste bei. Indes bewirkten die jederzeit mit Jahresfrist kündbaren Verträge keine derart enge Anbindung, dass daraus eine relevante Marktabschottung und damit eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung resultieren konnte, zumal sie nur einen unerheblichen Teil ausmachten. Vielmehr handelt es sich insoweit um im Vergleich zu anderen Verträgen normale Bedingungen, da Tankstellen typischerweise nur mit einer einzigen Marke betrieben werden können. Daher fehlt es an einem den natürlichen Wettbewerb verfälschenden Element. Ein solches beinhalten hier nur die Verträge mit langer Bezugspflicht.698 Deshalb sind auch nur die Verträge mit einer solchen Klausel, nicht hingegen die Verträge mit einjähriger Kündigungsmöglichkeit zu berücksichtigen. Letztere sind nicht ursächlich für die Wettbewerbsbeschränkung. Sie sind auch nicht gleichartig mit den auf lange Dauer vereinbarten, so dass sich eine Gesamtbetrachtung verbietet. Das gilt immer dann, wenn die wirtschaftlichen Wirkungen im jeweiligen Kontext des betrachteten Marktes derart unterschiedlich sind,699 dass sich die Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht vergleichen lassen. Handelt es sich um ein Netz gleichartiger Verträge, genügt es, wenn die Wett- 611 bewerbsstörung von der fraglichen Verhaltensweise mitverursacht wurde. Das erklärt sich daraus, dass dann immerhin ein Abweichen von den natürlichen Abläufen des Marktes vorliegt, das im Ergebnis zum Erfolg geführt hat, nämlich zu einer Störung des Wettbewerbs. Würde man eine alleinige Ursächlichkeit fordern, käme man aufgrund der Verflochtenheit der wirtschaftlichen Vorgänge selten zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot und könnte daher die natürlichen Bedingungen des Marktes kaum aufrecht erhalten. Auch ist es inzwischen normal, dass der Staat in die Wettbewerbsbedingungen eingreift. Daher schließt auch eine Mitursächlichkeit staatlichen Verhaltens das Eingreifen des Kartellverbots nicht aus.700 b)
Adäquanz
Grundbedingung für eine Zurechnung den Wettbewerb störender Wirkungen ist 612 allerdings, dass diese ursächlich auf einer koordinierenden Verhaltensweise beruhen. Es muss also ein adäquater Kausalzusammenhang vorliegen.701 Damit handelt es sich um im Rahmen des Kartellverbotes unbeachtliche wettbewerbsschädliche Wirkungen, wenn diese unvorhersehbare Nebenwirkungen nach sich ziehen. Es muss sich also um eine „natürliche und wahrscheinliche Folge“ einer koordinierten Verhaltensweise handeln.702 Dies wird darauf gestützt, dass eine solche Wir-
698 699 700 701 702
EuGH, Rs. C-214/99, Slg. 2000, I-11121 (11150 f., Rn. 31 ff.) – Neste. GA Fennelly, EuGH, Rs. C-214/99, Slg. 2000, I-11121 (11149 f., Rn. 29) – Neste: Unterschied in wesentlichen Klauseln und aufgrund ganz unterschiedlicher Wirkungen. EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (853 f., Rn. 10 ff.) – Dassonville; näher o. Rn. 109 mit einer Abgrenzung im Einzelnen. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 145. KOME 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (8) – IFTRA/Hüttenaluminium.
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Kapitel 3 Kartellverbot
kung, welche unter normalen Umständen nicht zu erwarten ist, den beteiligten Unternehmen „billigerweise nicht zuzurechnen ist“.703 Damit kommen indes in diesen objektiven Tatbestand der Wirkungen sehr stark 613 Wertungen hinein, mit denen das Element der Billigkeit grundsätzlich befrachtet ist. Unvorhersehbare Nebenwirkungen sind jedoch schon als solche künstlich und müssen daher nicht erst durch eine Verfälschung der natürlichen Marktbedingungen hervorgerufen werden. Diese werden vielmehr nur dann negativ beeinflusst, wenn es sich um eine natürliche Folge einer koordinierten Verhaltensweise handelt, welche der Veränderung der normalen Marktbedingungen erst ihren künstlichen Charakter gibt. c)
Objektive Betrachtung
614 Das Element, dass eine Wettbewerbsstörung bewirkt werden muss, ist objektiv zu sehen und daher von subjektiven Elementen frei zu halten. Daher ist es gleichgültig, welchen Beweggrund das Handeln der Beteiligten hat. Die Wettbewerbsstörung braucht gar nicht gewollt gewesen zu sein. Entscheidend ist, dass sie bewirkt wird. Die koordinierende Verhaltensweise kann damit auch einen neutralen Charakter aufweisen.704 Es ist noch nicht einmal eine objektive Eignung notwendig, den Wettbewerb zu beschränken.705 Das ergibt sich auch aus einem Gegenschluss dazu, dass eine Eignung nur im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten gefordert wird. Insoweit genügt hier im Gegensatz zur Bezweckung einer Wettbewerbsbeschränkung die objektive Verursachung, die lediglich bei objektiver Unvorhersehbarkeit ausscheidet. Daher ist es gleichgültig, ob die Wirkung von den Beteiligten vorher gesehen 615 wird oder hätte vorher gesehen werden müssen.706 Daraus kann sich aber die Fahrlässigkeit oder gar die Vorsätzlichkeit des fraglichen Handelns ergeben, was Auswirkungen auf die Höhe möglicher Geldbußen hat.707 Die wettbewerbsschädliche Wirkung muss noch nicht eingetreten sein. Ent616 scheidend ist nur, dass eine solche Wirkung objektiv absehbar ist und damit in vorhersehbarer Zukunft eintreten wird.708 Dann ist die Gefahr für den Wettbewerb objektiv angelegt, so dass der Schutzzweck des Kartellverbotes greift. Der Wettbewerb soll vor Verfälschungen geschützt werden. Diese müssen daher präventiv bekämpft werden können. Deshalb benötigen die Kartellbehörden die Handhabe
703
704 705 706 707 708
Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 145, unter Berufung auf die allgemeine Ansicht, etwa Deringer, Art. 85 Abs. 1 Rn. 32; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 A. Rn. 248; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 166. Goldman/Lyon-Caen/Vogel, Droit commercial européen, Rn. 512; ebenso Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 145. Anders Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 147. Anders Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 163 im Hinblick auf kumulative Wirkungen von parallelen Vertragsnetzen. Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 145 a.E. KOME 74/432/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 12 (14) – Advocaat Zwarte Kip.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
229
für ein frühzeitiges Eingreifen.709 Damit bildet das Kartellverbot insgesamt und nicht nur in der Alternative des Bezweckens einen Gefährdungstatbestand.710 3.
Spürbarkeit
Die negativen Wirkungen auf den Wettbewerb dürfen nicht nur geringfügig sein. 617 Das ist etwa bei einer lediglich schwachen Stellung der Beteiligten auf dem Markt der Fall.711 Dieses Erfordernis der Spürbarkeit hat sich zum eigenen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal herausgebildet und wurde durch die „de-minimis-Bekanntmachung“ konkretisiert. Werden die darin festgelegten Schwellenwerte überschritten, können auftretende Wirkungen auf den Wettbewerb, sobald sie nach den vorstehenden Maßstäben festgestellt wurden, nicht als geringfügig angesehen werden. Bleiben sie darunter, ist dies a priori nicht der Fall, außer sog. Kernbeschränkungen liegen vor, welche die niedrigen Marktanteilsschwellen verhaltensbedingt in ihrer wettbewerbsschädigenden Wirkung kompensieren.712
D.
Beispielskatalog nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG
I.
Bedeutung
Die Beispiele nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG bezeichnen typische Konstellatio- 618 nen von Verstößen gegen das Kartellverbot. Daher lassen sich auf sie fast alle wesentlichen Konstellationen verteilen, in denen Verstöße gegen das Kartellverbot angenommen werden.713 Gleichwohl ist ihre Bedeutung im Wortlaut der Entscheidungen von Kommission sowie Rechtsprechung eher gering, weil auf sie selten explizit Bezug genommen wird, und selbst bei einer ausdrücklichen Erwähnung ist die Erörterung kurz und ohne tief gehende Konsequenzen, abgesehen von einer Indizienwirkung.714 Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG nennen bestimmte koordinierende Verhaltenswei- 619 sen. Deren Aufzählung in diesem expliziten Beispielkatalog deutet weiter darauf hin, dass diese Verhaltensweisen typischerweise wettbewerbsschädlich sind. Damit wird indiziert, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Schon aufgrund ihres Zuschnittes richten sie sich regelmäßig auf eine solche Wettbewerbsstörung, so dass der tatsächliche Effekt regelmäßig außer Betracht bleiben kann. Darauf hob der EuGH namentlich im Hinblick auf Preisabsprachen 709 710 711 712 713 714
Ähnlich Schröter, in: ders./Jakob/Mederer, Art. 81 Rn. 144. S. bereits o. Rn. 597. S. bereits EuGH, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 7) – Völk bei Untersuchung der tatsächlichen Begleitumstände; s.o. Rn. 502 ff. Näher o. Rn. 595. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 142: „Kein Zweifel daran … , dass … wesentliche(r) Gegenstand der kartellrechtlichen Verwaltungspraxis“. EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (457, Rn. 41) – Verband der Sachversicherer.
230
Kapitel 3 Kartellverbot
ab und ließ es unbeachtlich sein, ob diese tatsächlich in der Praxis respektiert wurden.715 Es handelt sich damit um eine Konkretisierung der Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeschränkung, und zwar in der Weise, dass eine solche regelmäßig beabsichtigt ist. Jedenfalls steht fest, dass eine solche koordinierende Verhaltensweise geeignet ist, die Marktverhältnisse zu verändern und damit den Wettbewerb zu beschränken. Eine umfassende wirtschaftliche Analyse ist daher entbehrlich.716 Daraus folgt regelmäßig auch die Spürbarkeit.717 Zumeist wird auch der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt sein, es sei denn, es handelt sich um rein nationale Vorgänge ohne Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Leistungsaustausch. Die anderen Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Kartellverbot sind 620 hingegen voll zu prüfen. Grundlage ist damit das Vorliegen einer koordinierten Verhaltensweise. Zudem darf keine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG eingreifen.718 Das folgt schon aus der systematischen Stellung des Beispielkatalogs vor Art. 81 Abs. 3 EG. Dass indes dort bestimmte Verhaltensweisen explizit erwähnt werden, deutet darauf, dass sie in besonderer Weise gegen das Kartellverbot verstoßen können. Damit haben sie es tendenziell schwerer, vom Kartellverbot freigestellt zu werden. In der Praxis haben bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen keine Aussicht, dem Kartellverbot zu entschlüpfen. Das gilt namentlich für Preisabsprachen.719 Dass in dem Beispielskatalog nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG nur besonders 621 gravierende und typische Wettbewerbsbeschränkungen aufgeführt sind, zeigt zugleich, dass es darüber hinaus noch weitere Verhaltensweisen gibt, welche den Tatbestand des Kartellverbots erfüllen. Diesen nicht abschließenden Charakter belegt das vorangestellte „insbesondere“ sowie der Zweck, grundsätzlich sämtliche relevanten Wettbewerbsstörungen zu erfassen, um das Ziel der Norm zu erreichen, die Unverfälschtheit des Wettbewerbs möglichst umfassend zu sichern. II.
Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit. a))
622 Eine der häufigsten Wettbewerbsbeschränkungen besteht in der in Art. 81 Abs. 1 lit. a) EG erfassten Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen. Dabei spielt die erstgenannte Festsetzung der Ankaufspreise eine deutlich geringere Rolle. Sie tritt vor allem dann auf, wenn sich auf der Nachfrageseite Unternehmen zulasten der Anbieter zusammen tun und sog. Einkaufs-
715 716 717 718 719
EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423 f., Rn. 22) – BNIC/Clair; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (457, Rn. 41 f.) – Verband der Sachversicherer. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 141. S.o. Rn. 500. S. etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 278; Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 25 ff.; Emmerich/Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 78. Im Einzelnen Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 316 m.w.N.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
231
gemeinschaften bilden.720 Zumeist geben jedoch die Anbieter bestimmte Verkaufspreise vor, sei es im Zusammenwirken mit anderen Anbietern und damit auf derselben Wirtschaftsstufe, sei es zusammen mit Vertreibern und damit auf der vertikalen Ebene.721 Eine solche Vorgabe kann auch durch Beschluss einer Unternehmensvereinigung einschließlich einer „Empfehlung“ erfolgen.722 Dies liegt vor allem auf der horizontalen Ebene nahe, da dann Unternehmen gleichen Tätigkeitszuschnitts vorhanden sind, die eher in derselben Unternehmensvereinigung sein werden als Unternehmen verschiedener Handelsstufen. Allen Konstellationen ist gemeinsam, dass diese Festsetzungen von Preisen so- 623 wohl unmittelbar als auch mittelbar erfolgen können.723 Eine unmittelbare Festsetzung erfolgt, wenn konkrete Preisbedingungen durchgesetzt werden. Eine mittelbare Festsetzung wird durch die Verfälschung von Rahmenbedingungen erreicht. Dazu gehören etwa Vorgaben für Rabatte oder Rückvergütungen bzw. Bonusregelungen.724 Besondere Bedeutung in diesem Zusammenhang haben auch Preismeldesysteme, welche verhindern, dass die einzelnen Wettbewerber in der Ungewissheit des Verhaltens von Konkurrenten ihre Preise festlegen müssen und so den natürlichen Risiken des Marktes ausgesetzt sind.725 Der Begriff des Preises ist dabei sehr weit zu verstehen. Er bezieht sich nicht 624 nur auf die konkreten absoluten Verkaufs- bzw. Ankaufspreise, sondern kann auch durch Festlegungen anderer Art unmittelbar beeinflusst werden, so indem er um einen bestimmten Prozentsatz erhöht wird.726 Der Preis wird auch dadurch festgelegt, dass Höchst- oder Mindestpreise eingehalten werden müssen,727 oder durch ein Verbot des Verkaufs unter dem Selbstkostenpreis728 oder von Sonderpreisen.729 Damit werden Beeinflussungen von Preisen umfassend und in allen unterschiedli-
720 721
722 723 724
725 726 727 728 729
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 152; z.B. KOME 91/50/EWG, ABl. 1991 L 28, S. 32 – IJsselcentrale. S. einerseits z.B. den Fall Papiers peints de Belgique, KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 (8) – Papiers peints de Belgique sowie EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1513, Rn. 10/12) – Papiers peints de Belgique sowie später Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3252 ff., Rn. 95 ff.) – van Landewyck und auf der anderen Seite etwa KOME 70/488/EWG, ABl. 1970 L 242, S. 22 (28) – Omega. S. EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (455 f., Rn. 30 ff.) – Verband der Sachversicherer. EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1513, Rn. 10/12 ff.) – Papiers peints de Belgique. KOME 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 (18) – Wand- und Bodenfliesen; EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1513, Rn. 10/12) – Papiers peints de Belgique; Rs. 260/82, Slg. 1985, 3801 (3822, Rn. 33 ff.) – NSO. S. näher KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 37 ff.) – Verpackungsglas; 92/204/EWG, ABl. 1992 L 92, S. 1 (Rn. 78 ff.) – Niederländische Bauwirtschaft. Z.B. KOME 85/75/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 20 (Rn. 25) – Feuerversicherung; ebenso EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (Rn. 41) – Verband der Sachversicherer. KOME 83/546/EWG, ABl. 1983 L 317, S. 1 (Rn. 17, 27, 32, 34, 40) – Gußeisen- und Gußstahlwalzen. KOME 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (8 f.) – IFTRA/Hüttenaluminium. KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 35 ff.) – Verpackungsglas mit weiteren Beispielen.
232
Kapitel 3 Kartellverbot
chen Spielarten erfasst. Auf diese Weise werden auch Vorgaben von Bandbreiten einbezogen.730 Eine Vorgabe von Preisen enthalten auch Meistbegünstigungsklauseln, wenn625 gleich unter Bedingungen und in Gleichbehandlung der Betroffenen. Das ändert aber nichts daran, dass die daran Gebundenen in ihrer eigenen Preisgestaltung erheblich beeinträchtigt werden, müssen sie doch die Preise und Konditionen einräumen, die sie auch nur einem anderen zugestehen.731 Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass solche Meistbegünstigungsklauseln im Zusammenhang mit Forschungs- und Entwicklungsabreden stehen; insoweit besteht die Möglichkeit einer Freistellung. Jedoch lassen Meistbegünstigungsklauseln den daran Gebundenen immer noch insoweit einen Spielraum, als sie überhaupt diese Bedingungen anderen Vertragspartnern gewähren können. Damit ist das Preisverhalten nicht derart vorgeschrieben wie etwa bei der Bestimmung von Bandbreiten oder bestimmten Preismechanismen bzw. Bestandteilen. Daher unterfallen sie nicht dem preisbezogenen Beispielstatbestand des Art. 81 lit. a) EG, wie auch die Entscheidungspraxis der Kommission annimmt,732 ggf. aber der allgemeineren Alternative der Festlegung sonstiger Geschäftsbedingungen. Jedenfalls sind sie darauf zu überprüfen, ob sie Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken oder bewirken. Auch die Festsetzung von Geschäftsbedingungen spielt eine erhebliche Rolle 626 und erweitert zugleich die bereits erfasste Festsetzung von Preisen. Sie bezieht sich vor allem auf die Konstellationen, in denen keine klare Preisfestsetzung vorliegt. Zwischen solchen sonstigen Geschäftsbedingungen und Preisfestsetzungen besteht vielfach ein sehr enger Zusammenhang. Sie ergänzen sich oft gegenseitig.733 Der Begriff der sonstigen Geschäftsbedingungen ist aber nicht an den der Preise geknüpft, sondern zeigt gerade, wie umfassend Unternehmen vor der Aufoktroyierung anderen genehmer Bedingungen geschützt werden sollen. So kann es um die Einhaltung von Geschäftsöffnungszeiten gehen oder um eine Beschränkung von Werbekampagnen.734
730 731 732
733
734
Z.B. KOME 80/1333/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 11 (Rn. 20) – Hennessy/Henkell; 82/123/EWG, ABl. 1982 L 54, S. 36 (Rn. 42) – VBBB/VBVB. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 150. KOME 68/319/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 7 (Rn. 2, 4) – ACEC/Berliet sowie KOME 75/494/EWG, ABl. 1975 L 222, S. 34 (Rn. 8) – Kabelmetal, allerdings unter Verweis auf die Verbindung mit Klauseln über die gemeinsame Entwicklung und Vermarktung eines neuen technischen Erzeugnisses bzw. mit einem Patentlizenz- bzw. Know-howVertrag. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 154 unter Verweis auf KOME 72/22/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 34 – Vereniging van Cementhandelaren sowie neben anderen auch 89/44/EWG, ABl. 1989 L 22, S. 12 – „Nettobücher“-Vereinbarungen; s. auch EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1513, Rn. 13/14) – Papiers peints de Belgique. KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 (7 f.) – Papiers peints de Belgique.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
III.
233
Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen (lit. b))
Art. 81 Abs. 1 lit. b) EG benennt den zweiten Hauptanwendungsbereich koordi- 627 nierten Verhaltens, welches den Wettbewerb beschränken kann. Er erfasst die ganze Abfolge von der Vorbereitung in Form von Investitionen und technischer Entwicklung über die Erzeugung bis zum Absatz eines Produktes. Diese Vorgänge brauchen nicht unbedingt eingeschränkt zu werden, sondern es genügt bereits deren Kontrolle. Auch in diesem Falle ist die autonome Entscheidungsgewalt der betroffenen Unternehmen eingeschränkt und daher der Wettbewerb gestört. Betroffen ist dabei der Mengen- bzw. Qualitätswettbewerb durch eine Beschränkung des Leistungsangebotes.735 Das erfolgt insbesondere durch Quotenabsprachen, welche Lieferquoten festsetzen und dadurch den Absatz und darüber indirekt auch die Erzeugung limitieren. Das häufigste Instrument ist dabei, Höchstgrenzen für Liefermengen zu bestimmen.736 Noch offensichtlicher ist die Fixierung fester Lieferkontingente.737 Dabei kommen auch Poollösungen vor, indem für mehrere Unternehmen zusammen eine Gesamtquote bestimmt wird. Erfolgt eine Überschreitung der zugeteilten Quote, können Ausgleichszahlungen vorgesehen werden, welche an Unternehmen fließen, die unter der zugewiesenen Quote geblieben sind.738 Oder ein Ausgleich erfolgt in der nächsten Zeitperiode.739 Noch stärker wettbewerbsbeschränkend sind Verkaufsverbote. In der horizonta- 628 len Ebene verbieten sie anderen Mitbewerbern, in bestimmten Gebieten oder Zeiträumen im Einzelnen benannte Waren oder auch nur Warenkategorien nicht oder nur in einer bestimmten Art und Weise abzusetzen.740 Eine faktische Einschränkung bringen auch Gemeinschaftsunternehmen mit sich, welche eine bestimmte Produktsparte der Gründungsunternehmen abdecken, so dass sich die Träger entsprechend zurückhalten.741 Auf der vertikalen Ebene wird der Absatz durch Alleinvertriebs- bzw. -bezugsvereinbarungen beeinträchtigt.742 In verschärfter Form
735 736
737 738 739 740
741
742
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 159. Z.B. KOME 69/240/EWG, ABl. 1969 L 192, S. 5 (Rn. 28) – Internationales Chininkartell; 83/546/EWG, ABl. 1983 L 317, S. 1 (Rn. 53d) – Gußeisen- und Gußstahlwalzen; 89/515/EWG, ABl. 1989 L 260, S. 1 (Rn. 22 ff., 126 ff., 159 ff., 174 ff.) – Betonstahlmatten; 94/599/EG, ABl. 1994 L 239, S. 14 (Rn. 7, 10 ff., 35 ff.) – PVC. Z.B. KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (16 ff.) – Polypropylen wie bereits 72/68/EWG, ABl. 1972 L 22, S. 16 (23) – NCH. S. zu beiden Konstellationen KOME 89/515/EWG, ABl. 1989 L 260, S. 1 (Rn. 53 ff.) – Betonstahlmatten. KOME 79/90/EWG, ABl. 1979 L 21, S. 16 (Rn. 12 ff.) – Bleiweiß. S. KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 (7) – Papiers peints de Belgique; 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 35 ff.) – Verpackungsglas; 74/433/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 16 – FRUBO. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 165. Vgl. o. Rn. 575 ff., wo es um die Fortexistenz einer Konkurrenzsituation und damit von Wettbewerb ging, und u. Rn. 1084. S. KOME 79/934/EWG, ABl. 1979 L 286, S. 32 (Rn. 80) – BP Kemi.
234
Kapitel 3 Kartellverbot
erfolgt diese Einschränkung des Absatzes durch kollektive Liefer- und Bezugsbindungen.743 Bereits die Erzeugung und darüber mittelbar auch der Absatz wird durch Her629 stellungsverbote beschränkt. Diese können sich wie Verkaufsverbote nur auf bestimmte Erzeugnisse, Gebiete oder Qualitäten erstrecken.744 Dazu gehören namentlich Spezialisierungsvereinbarungen, welche implizieren, dass die Beteiligten bestimmte Erzeugnisse selbst nicht mehr herstellen, sondern anderen überlassen.745 Konsequenzen für die Herstellung ergeben sich auch dann, wenn bereits auf dieser Ebene ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet wird.746 Noch weiter dem Absatz vorgelagert sind Einschränkungen der technischen 630 Entwicklung. Solche liegen auch dann vor, wenn mehrere Unternehmen gemeinsam ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm im Hinblick auf bestimmte Tätigkeiten verabreden und dort ihre Aktivitäten konzentrieren.747 Insbesondere die Entfaltung solcher Entwicklungen, aber auch deren Findung wird erschwert durch eine Einschränkung von Investitionen. Eine solche Einschränkung liegt nicht nur vor, wenn auf einen Produktionsaufbau gänzlich verzichtet wird, sondern auch bei einer unterlassenen Erweiterung748 oder bei einem Kapazitätsabbau – so bei Strukturkrisenkartellen.749 Die bisherigen Fallkonstellationen bezogen sich auf die Einschränkung von Er631 zeugung, Absatz, technische Entwicklung und Investitionen. Häufig gehen mit darauf bezogenen Koordinationen Kontrollen einher, die etwa die Erzeugungsund Absatzzahlen nachhalten und daher insbesondere auf Meldepflichten begründet sind.750 Solche Meldesysteme müssen aber Bestandteil eines Netzes sein, um die Entscheidungsautonomie der beteiligten Unternehmen zu schmälern bzw. von ihrem natürlichen Verhalten abzubringen. Lediglich dann bezwecken speziell sie eine Wettbewerbsbeschränkung.751
743
744 745 746 747 748 749 750
751
S. z.B. KOME 72/22/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 34 – Vereniging van Cementhandelaren; 80/1074/EWG, ABl. 1980 L 318, S. 32 – Solnhofener Natursteinplatten; 2000/117/EG, ABl. 2000 L 39, S. 1 – FEG und TU. S. KOME 83/400/EWG, ABl. 1983 L 229, S. 1 (14) – Windsurfing International; 86/399/EWG, ABl. 1986 L 232, S. 15 (24) – Dach- und Dichtungsbahnen. KOME 74/17/EWG, ABl. 1974 L 19, S. 22 – Kali und Salz; 80/1334/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 19 – Gußglas in Italien; 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 – ENI/Montedison. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 163. S. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 11 lit. a) VO (EG) Nr. 2659/2000. S. KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 19) – Kunstfasern. KOME 82/866/EWG, ABl. 1982 L 362, S. 40 (48) – Zinkbleche; 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 9 ff.) – Stichting Baksteen. S. etwa KOME 75/77/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 26 (28) – Pilze; 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 61 ff.) – Karton. Auch bezogen auf Investitionen, s. KOME 72/474/EWG, ABl. 1972 L 303, S. 24 (Rn. 13) – CIMBEL; 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 (Rn. 68) – Zinc Producer Group. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 168; s. KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 – Karton; 2001/418/EG, ABl. 2001 L 152, S. 24 – Aminosäuren.
§ 7 Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
IV.
235
Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit. c))
Verpflichtungen zu Preisabsprachen gehören in einem weiteren Sinne zugleich zu 632 Festsetzungen von Preisen nach Art. 81 Abs. 1 lit. a) EG, beseitigen doch bereits sie die Ungewissheit über das Verhalten der Konkurrenz752 und beinhalten Bestimmungen im Hinblick auf die Festsetzung von Preisen. Die Aufteilung der Märkte nach Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG hängt insbesondere eng zusammen mit solchen Preisabsprachen sowie Absatzeinschränkungen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b) EG. Diese Konstellation bildet einen besonders schweren Fall der Wettbewerbsbeschränkung, weil die Märke unmittelbar aufgeteilt werden, ohne dass sich diese Folge erst aus einer anderen Verhaltensform ergeben müsste. Unterschiedliche Preisfestsetzungen auf verschiedenen Märkten bzw. der Ausschluss bestimmter Produkte von ihnen führt zu einem erheblichen Gefälle der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welches das angestrebte Zusammenwachsen der EU zu einem einheitlichen Markt mit unverfälschtem Wettbewerb gravierend erschwert bzw. in den betroffenen Feldern unmöglich macht. Besonders nahe liegt eine Verbindung der Marktaufteilung mit den in Art. 81 633 Abs. 1 lit. b) EG aufgeführten Konstellationen. Das betrifft etwa Absprachen, die Produktionstätigkeit auf dem Markt des jeweils anderen zu unterlassen753 oder dort keine Waren zu verkaufen. Damit ist die Brücke zu Spezialisierungsabsprachen geschlagen.754 Solche Marktaufteilungen nach Ländern oder Produkten werden vor allem zwischen Wettbewerbern derselben Wirtschaftsstufe vorgenommen. Eine Aufteilung der Märkte kann aber auch zwischen verschiedenen Wirtschaftsstufen erfolgen, so wenn sich etwa die Erzeuger zur Unterlassung des Vertriebs verpflichten, wie es im Rahmen von Alleinvertriebssystemen und selektiven Vertriebssystemen üblich ist. Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG meint zwar in erster Linie eine Aufteilung der inner- 634 halb der EU existierenden Teilmärkte. Der Wettbewerb wird aber auch dann eingeschränkt, wenn das gesamte Gebiet der Gemeinschaft gegen Konkurrenz aus dritten Staaten abgeschottet wird. Dann liegt ebenfalls eine Aufteilung der Märkte nach Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG vor.755 Eine andere Bedeutung hat die zweite Alternative nach Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG, die Aufteilung der Versorgungsquellen. Diese erfolgt zwischen den Beziehern. Deren Freiheit, die benötigten Waren und Dienstleistungen bei einem beliebigen Anbieter zu beschaffen, wird dadurch eingeschränkt.756
752 753 754 755 756
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 146. Z.B. KOME 69/240/EWG, ABl. 1969 L 192, S. 5 (Rn. 30) – Internationales Chininkartell; 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 10) – Stichting Baksteen. S. KOME 68/319/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 7 – ACEC/Berliet; 88/87/EWG, ABl. 1988 L 50, S. 18 – Enichem/ICI. EuGH, Rs. 51/75, Slg. 1976, 811 (850, Rn. 25/29) – EMI Records/CBS. KOME 74/433/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 16 – FRUBO; ebenso EuGH, Rs. 71/74, Slg. 1975, 563 (584, Rn. 36) – Frubo; später KOME 80/234/EWG, ABl. 1980 L 51, S. 19 – Lab sowie EuGH, Rs. 61/80, Slg. 1981, 851 (867, Rn. 12) – Coöperative Stremsel- en Kleurselfabriek.
236
Kapitel 3 Kartellverbot
V.
Benachteiligung von Handelspartnern (lit. d))
635 Art. 81 Abs. 1 lit. d) EG verbietet über das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG lediglich zwischen Staatsangehörigen hinaus eine Diskriminierung zwischen Handelspartnern. Eine solche liegt vor, wenn bei gleichwertigen Leistungen unterschiedliche Bedingungen zugrunde gelegt werden. Gleichzustellen ist der Fall, dass bei unterschiedlichen Leistungen gleiche Bedingungen angewendet werden.757 Die Gleichwertigkeit der Leistung bestimmt sich danach, ob sie in der Art, Qualität und im Umfang mit den Leistungen anderer Handelspartner vergleichbar sind.758 Für die Gleichwertigkeit der Leistung ist aber auch deren Einsatzort maßgeblich. Dieser hängt von der Funktion der Handelspartner ab. So sind Leistungen gegenüber dem Großhandel anders zu betrachten als gegenüber dem Einzelhandel.759 Mangels Gleichwertigkeit der Leistungen liegt daher bei divergierenden Lieferbedingungen keine Ungleichbehandlung vor. Bei dieser Beispielskonstellation ist eigens zu prüfen, ob die Handelspartner im 636 Wettbewerb benachteiligt werden. Sie müssen daher jedenfalls potenzielle Konkurrenten sein.760 Diese werden im Wettbewerb benachteiligt, wenn ihre bei natürlichem Marktablauf vorhandenen Rahmenbedingungen negativ beeinflusst werden. Hier muss eine tatsächliche Verschlechterung eintreten, eine bezweckte genügt nicht. Solche Wirkungen treten auf durch Gesamtumsatzrabattkartelle761 sowie Ungleichbehandlungen von Abnehmern aus anderen Mitgliedstaaten.762 Weiter muss die Wettbewerbsbenachteiligung gerade darauf beruhen, dass es 637 sich um ein koordiniertes Verhalten i.S.d. Grundtatbestandes handelt. Es werden mithin lediglich kollektive Diskriminierungen erfasst,763 nicht hingegen solche durch einzelne Unternehmen; handelt es sich dabei um marktbeherrschende, greift Art. 82 Abs. 1 lit. c) EG oder die Generalklausel, für welche auch eine Benachteiligung im Wettbewerb nicht eigens geprüft zu werden braucht.764 Die kollektive Lieferverweigerung, also der Boykott, ist nicht unter Art. 81 638 Abs. 1 lit. d) EG zu subsumieren, auch wenn den betroffenen Unternehmen weitaus negativere Folgen entstehen können als bei einer Diskriminierung. Bei dieser Konstellation werden überhaupt keine Leistungen erbracht. Dies gilt zwar nur im Hinblick auf den ausgeschlossenen Vertragspartner. Indem dieser nicht beliefert wird, wird er im Vergleich zu belieferten Handelspartnern unterschiedlich behandelt. Dies beruht aber nicht auf einer Anwendung unterschiedlicher Bedingungen
757 758 759 760 761
762 763 764
S. näher zum Ganzen u. Rn. 1311 ff. im Rahmen des Missbrauchsverbots. S. KOME 82/506/EWG, ABl. 1982 L 232, S. 1 (Rn. 99) – SSI; 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 (Rn. 22) – Niederländische Banken. Ausführlich u. Rn. 1319 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 174. S. KOME 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 (18) – Wand- und Bodenfliesen; 82/506/EWG, ABl. 1982 L 232, S. 1 (Rn. 98 ff.) – SSI, bestätigt von EuGH, Rs. 260/82, Slg. 1985, 3801 (3823 f., Rn. 39 ff.) – NSO: insoweit gleichwohl ohne Ergebnis. KOME 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 (Rn. 22 ff.) – Niederländische Banken. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 173. S.u. Rn. 1348 f.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
237
bei gleichwertigen Leistungen, sondern auf deren gänzlicher Verweigerung.765 Der Boykott ist jedoch unter die Generalklausel nach Art. 81 Abs. 1 EG zu subsumieren.766 VI.
Zusammenhanglose zusätzliche Leistungen (lit. e))
Art. 81 Abs. 1 lit. e) EG stellt die Aufzwängung von Leistungen besonders heraus, 639 die zu der Hauptleistung treten, jedoch zu dieser weder sachlich – etwa zusätzlich zur korrekten Handhabung des Haupterzeugnisses767 – noch nach Handelsbrauch in Bezug stehen, also sachfremd sind.768 Auch dadurch wird wirtschaftlicher Druck ausgeübt und die Entscheidungsautonomie der Vertragspartner eingeschränkt. Wie die anderen Beispielstatbestände ist auch dieser lediglich auf kollektive Koppelungspraktiken anwendbar, nicht hingegen auf das Verhalten einzelner Unternehmen und damit auf einfache Koppelungsgeschäfte ohne zugrunde liegende Absprache, 769 welche den Regelfall bilden werden. Ein Beispiel ist eine Absprache zwischen Lizenzgeber und -nehmer, nur komplette Surfbretter zu verkaufen und nicht lediglich die patentierten Teile.770
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels A.
Stellenwert
Mittlerweile prüfen Kommission771 und Gerichtshof772 die Eignung zur Beeinträch- 640 tigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nach der Wettbewerbsbeschränkung. Diese Prüfungsreihenfolge weicht zwar von der Aneinanderreihung im Wortlaut des Kartellverbotes ab. Beide Elemente besitzen jedoch Gleichrang, so dass die
765 766 767 768 769 770 771 772
Vgl. u. Rn. 1305 zum Missbrauchsverbot. EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1513 f., Rn. 16/19 ff.) – Papiers peints de Belgique, auch KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 (9) – Papiers peints de Belgique. S. KOME 90/186/EWG, ABl. 1990 L 100, S. 32 (Rn. 15) – Moosehead/Whitbread für Ausgangsstoffe, damit überlassenes Know-how sachgemäß verwertet werden kann. S. ausführlich u. Rn. 1329 ff. zum Missbrauchsverbot, wo dieser Tatbestand wesentlich relevanter ist. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 400; Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 34. EuGH, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611 (656 f., Rn. 54 ff.) – Windsurfing International. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 177. Z.B. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1518 f., Rn. 34 ff.) – Almelo; Rs. C-70/93, Slg. 1995, I-3439 (3468 f., Rn. 18 ff.) – BMW; Rs. C-230/96, Slg. 1998, I-2055 (2100 f., Rn. 48) – Cabour; anders hingegen frühere Entscheidungen, beginnend mit Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm; Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (389 f.) – Consten Grundig sowie auch noch Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563 (1578 ff., Rn. 12 ff.) – Salonia, wo der EuGH umgekehrt verfuhr.
238
Kapitel 3 Kartellverbot
Reihenfolge ihrer Behandlung ohne Bedeutung ist.773 Ohnehin überschneiden sie sich in der Sache.774 Sie sind inhaltlich insofern aneinander gekoppelt, als bei einer Wettbewerbsbeschränkung regelmäßig auch der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann.775 Insofern zeichnet die Prüfung der Wettbewerbsbeschränkung in weitem Umfang die Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels vor. Da die Prüfung der Wettbewerbsbeschränkung zumeist sehr ausführlich ausfällt, wenn Problemfälle auftreten, liegt es nahe, die Frage der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten später zu prüfen, um mögliche Folgerungen aus einer Bejahung der Wettbewerbsbeschränkung besser ziehen zu können. Über das Merkmal, ob eine Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwi641 schen Mitgliedstaaten besteht, werden diejenigen Verhaltensweisen ausgesondert, die lediglich eine nationale Relevanz haben. Dafür bildet die Existenz einer Wettbewerbsbeschränkung die Grundlage. Das Merkmal der Eignung ist daher nachgelagert und enger. Durch die Herausnahme der rein nationalen Sachverhalte kommt ihm die Funktion zu, den Anwendungsbereich des gemeinschaftlichen Kartellrechts zu bestimmen. Ist es nicht erfüllt, kann nur noch nationales Recht zur Anwendung kommen.776 So steckt diese Zwischenstaatlichkeitsklausel den sachlichen Anwendungsbereich des EG-Kartellverbotes ab.777 Damit handelt es sich um eine Kollisionsnorm.778 Nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 ist das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsrecht immer zumindest auch heranzuziehen, wenn ein Verhalten den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist.779 Nicht geregelt wird dagegen die Abgrenzung zum Recht dritter Staaten.780 642 Schließlich werden nur die Mitgliedstaaten und der Handel zwischen ihnen benannt. Ob die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln im Hinblick auf Vorgänge in dritten Staaten eingreifen, bemisst sich nach den Grundsätzen der Geltungskraft staatlicher Rechtsordnungen über die eigenen Grenzen hinaus. Diese Problematik ist damit völkerrechtlicher Natur.781 Von der Frage, welches Recht eingreift, hängt nicht allein ab, welche Organe 643 handeln. Da Gemeinschaftsrecht allgemein und das Wettbewerbsrecht der EG im Besonderen auch von den nationalen Organen vollzogen wird, handelt es sich ge-
773 774
775 776 777 778 779
780 781
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 177. S. bes. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (984, Rn. 14) – Delimitis; EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1572, Rn. 98) – Langnese-Iglo; T-9/93, Slg. 1995, II-1611 (1642 f., Rn. 75) – Schöller. S.o. Rn. 496; näher sogleich Rn. 644 ff. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (389) – Consten Grundig; Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 7) – Völk; Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2003, Rn. 16) – Javico. Etwa Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 177; s. näher o. Rn 131 ff. Etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 203; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 8. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 9). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 177. S.o. Rn. 197 ff.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
239
rade nicht um eine Kompetenznorm.782 Die Handlungsbefugnis der Gemeinschaftsorgane resultiert aus Art. 85 Abs. 1 S. 1 EG.783
B.
Verallgemeinernde Regeln
Ist eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder wird sie bewirkt, ist die ent- 644 sprechende unternehmerische Maßnahme auch ohne weiteres geeignet, wie von Art. 81 Abs. 1 EG verlangt, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. „Ein sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates erstreckendes Kartell“ hat nach Auffassung des EuGH eine solche Wirkung schon seinem Wesen nach, indem es durch verfestigende Abschottung eines nationalen Marktes die im EG gewollte gegenseitige Durchdringung der Märkte verhindert und die inländische Produktion schützt.784 Entscheidend müssen freilich die Umstände des Einzelfalls sein,785 die aber regelmäßig aufgrund der mit einem landesweiten Kartell verbundenen Strukturen die verlangte Eignung aufweisen werden. Bei Selbstverpflichtungen etwa tritt eine landesweite Verbreitung vielfach auf, so wenn Unternehmen eine bundesweite Regulierung verhindern wollen. Darüber hinaus sind sie aufgrund des vorstehend geschilderten Mechanismus marktabschließend.786 Auch EU-weite Absprachen sollen nach der Kommission schon „ihrem Wesen 645 nach“ geeignet sein, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen.787 Das tun sie aufgrund der Umstände des Einzelfalls trotz ihres länderübergreifenden Charakters regelmäßig deshalb, weil sie den Wettbewerb zwischen den Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten schmälern und ihre Bedeutung auf den entsprechenden Märkten meist recht hoch ist. Nur unter der Voraussetzung einer entsprechenden Marktstellung lohnt sich eine Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen zur Erreichung eines größeren Ziels. Deshalb kann auch das von der Kommission und dem EuGH aufgestellte Erfordernis der quantitativen Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und des zwischenstaatlichen Handels788 bejaht werden.789 Trotz dieser Vermutungswirkung müssen jedoch die Auswirkungen auf den 646 Handel zwischen den Mitgliedstaaten von den Wettbewerbsbehörden konkret und 782 783 784
785 786 787
788 789
Anders Zäch, Wettbewerbsrecht in der Europäischen Union, 1994, S. 58. Z.B. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 203; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 205. EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1515, Rn. 25/27) – Papiers peints de Belgique; auch schon Rs. 8/72, Slg. 1972, 977 (991, Rn. 28/30) – Cementhandelaren und etwa Rs. 246/86, Slg. 1989, 2117 (2190, Rn. 33) – Belasco. Etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 249 f.; s. auch EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1515, Rn. 25/27) – Papiers peints de Belgique. Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 304. KOME 83/672/EWG, ABl. 1983 L 376 S. 41 (47) – SABA II; 85/44/EWG, ABl. 1985 L 19, S. 17 (Rn. 18) – Grohe-Vertriebssystem; 85/45/EWG, ABl. 1985 L 20, S. 38 (Rn. 18) – Ideal-Standard. Insbes. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (960, Rn. 16/18) – Béguelin; näher s.o. Rn. 493 ff. Näher v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 122 f. für Selbstverpflichtungen.
240
Kapitel 3 Kartellverbot
nicht lediglich thematisch unter Verweis auf die Formel des EuGH belegt werden.790 In den meisten Fällen bedarf es einer Einzelanalyse. Diese wird auch nicht mehr von der Bagatellbekanntmachung der Kommission vorgezeichnet. Die aus dem Jahre 2001 stammende aktuelle Bekanntmachung nimmt nämlich explizit die Eignung zu spürbaren Beeinträchtigungen des grenzüberschreitenden Handels aus.791 Damit bleiben nur faktische Rückwirkungen aus einer bejahten spürbaren Wettbewerbsbeschränkung, da deren Erheblichkeit regelmäßig parallel zu der einer Eignung, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, untersucht wird. Vor diesem Hintergrund ergibt sich aber regelmäßig eine gleichlaufende Beurteilung. Die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung impliziert daher im Regelfall auch die Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels.792 Ausgangspunkt ist aber eine Einzelfallbetrachtung. Der Handel zwischen Mit647 gliedstaaten muss tatsächlich bestehen, und dieser muss beeinträchtigt werden können. Ersteres setzt eine Ist-Betrachtung voraus, die nur in besonderen Konstellationen näherer Erörterung bedarf. Letzteres erfordert eine Prognose, die häufig Schwierigkeiten bereitet, aber bei Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung zumeist zu bejahen sein dürfte. Jedoch sind auch Fälle denkbar, in denen der Wettbewerb nicht beschränkt wird, gleichwohl aber der zwischenstaatliche Handel. Das gilt etwa für eine auf rein qualitativen Auswahlkriterien beruhende und daher nicht wettbewerbsschädliche selektive Vertriebsvereinbarung.793 Ein Kartellrechtsverstoß muss als Ganzes den Handel zwischen Mitgliedstaaten 648 beeinträchtigen können. Damit muss weder jede einzelne Klausel einer zugrunde liegenden Vereinbarung noch jede daraus resultierende Wettbewerbsbeschränkung und auch nicht jedes einzelne daran beteiligte Unternehmen für sich gesehen den grenzüberschreitenden Leistungsverkehr zu beeinträchtigen geeignet sein.794
C.
Handel zwischen Mitgliedstaaten
I.
Einbeziehung aller Leistungsformen und -gebiete
649 Dass Art. 81 Abs. 1 EG das Merkmal der potenziellen Beeinträchtigung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten bezieht, bedeutet nicht etwa eine Beschränkung 790 791
792 793
794
EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1514 f., Rn. 25/27 ff.) – Papiers peints du Belgique. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 3). S.o. Rn. 496 f. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 16). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 14 f.).
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
241
lediglich auf den Warenaustausch. Vielmehr gilt das Kartellverbot umfassend für den ganzen Wirtschaftsverkehr. An anderer Stelle findet sich keine entsprechende Einschränkung, und der Zweck der Wettbewerbsregeln ist auf den Gemeinsamen bzw. den Binnenmarkt bezogen und daher umfassend zu verstehen.795 Damit werden namentlich auch Bankdienstleistungen einbezogen, worauf sich vor allem die Entscheidung Züchner bezog, aber auch z.B. Versicherungen796 oder Reisevermittlungsgeschäfte.797 Bezieht man den engen Zusammenhang zwischen der Wettbewerbsfreiheit und allen Grundfreiheiten einschließlich der Personenfreizügigkeit mit ein,798 gehören auch Niederlassungen dazu;799 deren Gründung kann durch Wettbewerbsbeschränkungen beeinträchtigt werden. Grenzüberschreitend können dabei auch konzerninterne Transaktionen sein.800 650 Da nur auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten abgestellt wird, ist gleichgültig, wodurch dieser gebildet und beeinträchtigt wird. So kann eine Beeinträchtigung auch bei einer Beschränkung von konzerninternen Lieferungen vorliegen.801 Nur die Koordinierung muss zwischen zwei hinreichend selbstständigen Unternehmen erfolgen, nicht notwendig hingegen der dadurch tangierte Leistungsaustausch. Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen kann sich auf ein Erzeugnis beziehen, das sie von ein und demselben konzernangehörigen Unternehmen erhalten haben. Es kommt daher nicht darauf an, wer den Handel betreibt, sondern darauf, dass er beeinträchtigt werden kann. Er ist also losgelöst von der tatsächlichen Betreiberstellung zu betrachten. Es ist nicht erforderlich, dass der Handel in einem ganzen Mitgliedstaat berührt 651 werden kann. Entscheidend ist, dass er zwischen zwei Mitgliedstaaten stattfindet, auch wenn nur in einem kleinen Gebiet, sofern dann die Beeinträchtigung noch spürbar ist; diese Frage ist unabhängig von dem räumlich relevanten Markt zu beantworten.802 II.
Bei Beschränkung der Koordinierung auf einen Mitgliedstaat
Es kommt auf eine potenzielle Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mit- 652 gliedstaaten an. Das setzt nicht voraus, dass die beteiligten Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, sondern maßgeblich ist eine negative Beeinflussung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und damit des Leistungsaus795 796 797 798 799
800 801 802
EuGH, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2032, Rn. 18) – Züchner. EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 – Verband der Sachversicherer. EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 – Vlaamse Reisbureaus. S.o. Rn. 22 f. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 19). EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (458 f., Rn. 46 ff.) – Verband der Sachversicherer. EuGH, Rs. 240 u.a./82, Slg. 1985, 3831 (3874, Rn. 49) – Stichting Sigarettenindustrie; EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1579, Rn. 122) – Langnese-Iglo. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 21 f.).
242
Kapitel 3 Kartellverbot
tausches. Eine solche Wirkung können auch in demselben Mitgliedstaat ansässige Unternehmen erzielen, wenn ihr Verhalten sich schädlich auf die Konkurrenz in anderen Mitgliedstaaten auswirkt und damit diese in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten auf einem relevanten Markt behindert. In besonders starker Weise erfolgt eine solche Behinderung dann, wenn die 653 grenzüberschreitende Ein- oder Ausfuhr gänzlich unterbunden wird, so etwa im Rahmen von Absatzverboten jenseits des Ansässigkeitsstaates, wie dies in Alleinvertriebsvereinbarungen vorkommt.803 Gleichzustellen ist der Fall, dass Unternehmen aus einem Mitgliedstaat den Export daraus in andere Mitgliedstaaten behindern, indem sie etwa durch Preisfestlegungen z.B. in Form von Mindestpreisen bei Exporten den Leistungsstrom in andere Mitgliedstaaten hemmen. Oder aber verschiedene Unternehmen in einem Mitgliedstaat schützen sich durch Preisabsprachen vor Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten, indem sie diese knapp unterbieten und damit Einfuhren unattraktiv machen.804 Damit ist es also nicht erforderlich, dass der Wettbewerb in einem anderen Mit654 gliedstaat beschränkt wird, sondern es genügt, dass über eine Einschränkung des Wettbewerbs im eigenen Land zugleich der Handel mit anderen Mitgliedstaaten negativ geprägt wird.805 Eine solche Wirkung auf den grenzüberschreitenden Handel tritt vor allem dann ein, wenn sich die koordinierte Verhaltensweise auf das ganze Gebiet eines Mitgliedstaates erstreckt; dann nimmt der EuGH schon von ihrem Wesen her eine Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels an.806 III.
Lösung bei Drittstaatsbezug
1.
Unternehmen von außerhalb der EU
655 Da nur der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden muss, ohne dass dadurch zugleich der Sitz des Unternehmens vorgegeben ist, kann die Eignung dazu auch von im Ausland ansässigen Unternehmen ausgehen. Diese können auch ausschließlich an einem koordinierten Verhalten beteiligt sein. Erforderlich ist nur, dass neben einer Wettbewerbsbeschränkung auf dem Gemeinsamen Markt der grenzüberschreitende Handel innerhalb der Gemeinschaft beschränkt wird.807 So verstößt gegen das Kartellverbot, wenn ausländische Firmen Gebietsaufteilungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes verabreden und dadurch den Wettbewerb sowie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Einen solchen Effekt 803
804 805
806 807
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 16). EuGH, Rs. C-359/01 P (Rn. 29) – British Sugar, bezogen auf die rentablen Exportpreise. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 186 mit Nachw. Bezogen auf die Erschwerung der Niederlassung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (384, Rn. 26) – Pronuptia. S.o. Rn. 645. KOME 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 – Zellstoff; 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 – ANSAC.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
243
können auch solche koordinierten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen außerhalb der EU haben, die Lieferungen in die Gemeinschaft beschränken oder quantitativ, qualitativ oder sonst wie regeln; das gilt jedenfalls bei einer entsprechenden Absicht.808 Aus den Auswirkungen ergibt sich die Geltung der EG-Wettbewerbsregeln.809 2.
In der EU ansässige Unternehmen auf Drittstaatsmärkten
Damit sich koordinierte Verhaltensweisen von in der EU ansässigen Unternehmen, 656 die sich auf Auslandsmärkte beziehen, auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten auswirken können, müssen sie gleichfalls Rückwirkungen auf das Gebiet der Gemeinschaft haben. Eine Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten besteht nur dann, wenn Erzeugnisse oder Dienstleistungen überhaupt in mehreren Mitgliedstaaten vermarktet werden könnten. Für Warenerzeugnisse müssen dann geeignete Wiederverkäufer vorhanden sein.810 Wird der Handel durch ex- oder importbezogene Koordinationen nur in einem Mitgliedstaat beeinträchtigt oder lediglich im Hinblick auf den Leistungsaustausch zwischen einem EU- und einem Drittstaat, fehlt es an dem Merkmal einer möglichen Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten. Das gilt auch dann, wenn die für den Export in Drittstaaten vorgesehenen Leistungen lediglich einen sehr geringen Prozentsatz des gesamten Marktes der entsprechenden Waren- oder Dienstleistung in der Gemeinschaft bilden.811 Sofern solche negativen Wirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten 657 auftreten können, ist es gleichgültig, worin die auf das Gebiet von Drittstaaten bezogene koordinierte Verhaltensweise besteht und welchen konkreten Zweck sie hat. So können sowohl Verbote für Unternehmen in der EU, Waren aus Drittstaaten zu importieren, als auch Regelungen zum Export in andere Staaten darunter fallen. Exportkartelle von in der EU ansässigen Unternehmen im Hinblick auf Leistungen in Drittstaaten können den zwischenstaatlichen Handel dadurch beschränken, dass sie zahlreiche Waren in Drittstaaten abfließen lassen und dadurch den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft weniger intensiv machen und so zugleich den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind.812
808 809 810
811 812
S. bereits Bekanntmachung der Kommission betreffend die Einfuhr japanischer Erzeugnisse in die Gemeinschaft, ABl. 1972 C 111, S. 13. S.o. Rn. 197 ff. EuGH, Rs. 51/75, Slg. 1976, 811 (850, Rn. 25/29) – EMI Records/CBS; Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 (908 f., Rn. 22/26) – EMI Records/CBS Grammofon; Rs. 96/75, Slg. 1976, 913 (951, Rn. 14) – EMI Records/CBS Schallplatten. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 190 a.E., 191 a.E. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2027 f., Rn. 560/561 ff.) – Suiker Unie; aus der Kommissionspraxis etwa KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (Rn. 99 ff.) – Zement.
244
Kapitel 3 Kartellverbot
3.
Besonderheiten
658 Unproblematisch ist die Feststellung von Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten regelmäßig dann, wenn ex- oder importbezogene Maßnahmen in Koordinierungen einbezogen sind, welche die Gemeinschaft selbst betreffen, so wenn Absatzgebiete in dieser aufgeteilt werden und zugleich Parallelimporte auch aus Drittstaaten verboten werden.813 Handelt es sich hingegen um ausschließlich auf den Handel mit Drittstaaten bezogene Maßnahmen, wird dem Ziel entscheidende Bedeutung zugemessen.814 Das kann aber nur insoweit gelten, als sie das einzige Mittel sind, um Wettbewerb in den Drittstaaten schaffen zu können, weil anders ein Absatz der entsprechenden Leistungen nicht möglich ist. Damit ist aber schon vom Sinn und Zweck her das Kartellverbot überhaupt nicht einschlägig, weil der Zweck vermehrten Wettbewerbs gerade durch eine Koordinierung verwirklicht wird,815 sofern dabei nicht die natürlichen Handelsbedingungen in der Gemeinschaft verschoben werden.816 Im Übrigen aber gelten die allgemeinen, vorstehend entwickelten Grundsätze. 659 Bestehen also Exportgebote, d.h. Waren müssen in Drittstaaten exportiert und dürfen nicht mehr in die Gemeinschaft reimportiert werden, kann der Handel zwischen Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft nur dann beeinträchtigt werden, wenn solche Wiedereinfuhren überhaupt möglich sind. Das ist nicht der Fall, wenn dem administrative, technische oder sonstige Hindernisse entgegenstehen. Das gilt entsprechend der Praxis der Kommission sowohl für Vertriebsverträge817 wie auch für Lizenz- und Know-how-Verträge.818 Die Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten wird aber nur so lange gehindert, wie solche Hindernisse tatsächlich bestehen; werden sie aufgehoben, kann die Eignung zur Beeinträchtigung wieder aufleben.819 Eine Wiedereinfuhr in die Gemeinschaft erscheint auch dann fraglich, wenn 660 keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Preisen innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft bestehen, weil sich dann eine Wiedereinfuhr nicht lohnt. Entsprechendes gilt für den Direktverkauf von Drittstaaten heraus. Dabei sind auch die Zölle, Transportkosten und sonstigen Aufwendungen für den Export einzubeziehen. Durch sie werden ggf. bestehende Preisunterschiede nivelliert. Der Handel innerhalb der Gemeinschaft kann dann nicht beeinträchtigt werden. Der EuGH
813 814 815 816 817 818
819
EuGH, Rs. 29 u. 30/83, Slg. 1984, 1679 ff. – CRAM und Rheinzink. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 188. S.o. Rn. 73. So im Ergebnis auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 188. S.u. Rn. 671. Bereits KOME 68/376/EWG, ABl. 1968 L 276, S. 25 (26) – Rieckermann/AEG Elotherm; 75/94/EWG, ABl. 1975 L 38, S. 10 (Rn. 6 ff.) – Goodyear Italiana/Euram. KOME 72/238/EWG, ABl. 1972 L 143, S. 39 (41) – Raymond/Nagoya; 78/253/EWG, ABl. 1978 L 70, S. 69 (74, 77) – Campari; 88/563/EWG, ABl. 1988 L 309, S. 34 (Rn. 25 ff.) – Delta Chemie. S. KOME 76/159/EWG, ABl. 1976 L 28, S. 19 (Rn. 11, 35) – SABA; 77/100/EWG, ABl. 1977 L 30, S. 10 (Rn. 24) – Junghans.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
245
nimmt dies vorgelagert bereits für die Frage an, ob eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wird.820 Diese Frage untersuchte der EuGH näher in Bezug auf oligopolistische Struktu- 661 ren auf dem Gemeinschaftsmarkt, die ohnehin nur noch einen geringen Wettbewerb zuließen. Zumal dann, wenn der Anteil der exportierten und daher auch reimportierbaren Erzeugnisse gering ist, kann eine Vertriebsvereinbarung im Hinblick auf Drittstaaten, die dem Wiederverkäufer eine Wiedereinfuhr in die Gemeinschaft wie auch einen Direktabsatz in dieser verbieten, den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten jedenfalls nicht spürbar beeinträchtigen.821 Auf diese Unterscheidung griff der EuGH allerdings zurück, weil er einer solchen Vereinbarung trotz ihres gebietsseparierenden Charakters nicht den Zweck zumaß, eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs zu bewirken.822 Auch wenn man einen solchen Zweck im Grunde bejaht, kommt es aber immer noch darauf an, ob die Maßnahme überhaupt geeignet ist, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes wie auch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.823 Ansonsten handelt es sich in beiderlei Hinsicht um einen untauglichen Versuch.824 4.
Potenzieller Wettbewerb
Im Rahmen der Prüfung, ob Wettbewerb beschränkt wird, reicht die Beeinträchti- 662 gung eines potenziellen Wettbewerbs aus. Dieser kann sich neben strukturellen Gründen825 daraus ergeben, dass die Preise in der Gemeinschaft unter Umständen dadurch günstiger gestaltet werden können, dass der Absatz in Drittstaaten floriert und sich daher insgesamt ein günstigeres Preisniveau verwirklichen lässt. Ein solcher potenzieller Wettbewerb ist im Rahmen des Tatbestandsmerkmals 663 der Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels adäquat zu berücksichtigen. Ansonsten würde der potenzielle Wettbewerb letztlich unbeachtlich sein und ausgehebelt. Daher kann es im Rahmen der Eignung nur darauf ankommen, ob tatsächlich oder potenziell Handel zwischen den Mitgliedstaaten betrieben werden kann. Somit ist nicht allein beachtlich, ob die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden, sondern maßgeblich ist, ob sie geschmälert werden können. Macht der fragliche Warenabsatz in Drittstaaten nur einen unbedeutenden Prozentsatz des Gesamtmarktes der entsprechenden Erzeugnisse in der EU aus, muss in Rechnung gestellt werden, inwieweit sich dieser Prozentsatz dadurch erhöhen kann, dass in Drittstaaten erhebliche Absatzerfolge
820 821 822 823
824 825
EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 24) – Javico. EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 23, 25 f.) – Javico. EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2004, Rn. 20)– Javico. Z.B. EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (150 f., Rn. 15) – Miller International Schallplatten; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3522 f., Rn. 104) – Michelin; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 32) – Höfner und Elser; Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 (4441, Rn. 33 ff.) – Ferriere Nord. S.o. Rn. 517. Darauf abhebend EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (150, Rn. 14) – Miller International Schallplatten.
246
Kapitel 3 Kartellverbot
erzielt werden können und so das gesamte Preisniveau auch innerhalb der Gemeinschaft herabgesetzt werden kann.
D.
Eignung zur Beeinträchtigung
I.
Genügen potenzieller Beschränkung
664 Die sich aus dem Wortlaut ergebende Kombination der Eignung zur Beeinträchtigung zeigt, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten noch nicht beeinträchtigt worden sein muss, damit das Kartellverbot eingreift. Die untersuchte Verhaltensweise muss nur dazu führen können. Die Frage ist, in welchem Maße tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen. Der EuGH verlangt, dass „sich anhand einer Gesamtheit objektiver Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann“.826 Damit wird zwar eine tatsächlich untermauerte, hinreichende und damit durchaus deutliche Wahrscheinlichkeit verlangt, aber letztlich nur im Hinblick darauf, dass die Koordinierung potenziell den grenzüberschreitenden Handel tangiert. Er muss also aktuell noch gar nicht beeinträchtigt werden. Das entspricht der weiten Konzeption der Dassonville-Formel im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit.827 Ausgangspunkt ist damit, dass der bisher natürlichen Bahnen folgende Handelsaustausch nunmehr anders verläuft als ohne wettbewerbsbeschränkende Handlung.828 Die nicht fernliegende Möglichkeit hierfür genügt.829 Daher ist auch potenzieller Wettbewerb zu berücksichtigen, der möglicherweise die Handelsbeziehungen ohne wettbewerbsverfälschenden Einfluss anders gelenkt hätte. Daraus ergeben sich folgende Elemente: 665 -
826
827 828
829
die hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände der unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potenziellen Beeinflussung EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm; Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 5) – Völk; ebenso Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3791 f., Rn. 18) – L´Oréal; Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 (4437, Rn. 20) – Ferriere Nord; EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1266, Rn. 201) – Compagnie maritime belge transports. S. bereits o. Rn. 76 ff. EuGH, Rs. 71/74, Slg. 1975, 563 (584, Rn. 37/38) – Frubo; Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3275, Rn. 172) – van Landewyck und auch noch Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 (4436, Rn. 34) – Ferriere Nord. Ebenso die KOME, z.B. noch 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 22) – ANSAC oder früher etwa 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (Rn. 55) – Lichtwellenleiter. Demgegenüber eine wahrscheinliche Änderung in absehbarer Zeit verlangend Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 41).
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
-
247
des Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten.830
Der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist dabei ebenso umfassend zu 666 sehen wie der grenzüberschreitende Handel. Es ist also insbesondere auch der Dienstleistungsverkehr umfasst. Auf das Volumen kommt es nicht an. Eine Beeinflussung ist auch dadurch möglich, dass das Handelsvolumen steigt.831 Das ist etwa die Folge einer Koordinierung, welche einen anderen Markt unter Ausschaltung der dortigen Konkurrenz erobern will, welche bislang auch exportiert hat. Dementsprechend braucht das beeinflusste Volumen nicht berechnet zu werden.832 Viel bedeutender sind gerade wegen der Relevanz potenzieller Beeinträchtigungen Einflüsse auf Rahmenbedingungen. Die Vorverlegung des Schutzes in den Bereich potenzieller Beeinflussung lässt 667 die Erhaltung von Möglichkeiten als besonders bedeutsam erscheinen. Daher müssen die Rahmenbedingungen so gewahrt bleiben, dass sich Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten entfalten kann. Die Unternehmen müssen auch künftige Chancen nutzen können, welche sich etwa durch Liberalisierungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaften bieten oder durch sonstige Beseitigungen rechtlicher Handelshemmnisse eröffnen.833 Solche Türöffner dürfen nicht durch private Hürden wieder verschlossen werden, mit der Folge, dass sie Wettbewerber gar nicht nutzen können. II.
Antastung der Wettbewerbsstruktur
Um die Chance auf künftigen Wettbewerb zu erhalten und damit ein grenzüber- 668 schreitendes Eindringen in andere Märkte zu ermöglichen, müssen insbesondere die Wettbewerbsstrukturen in ihrem natürlichen, durch unverfälschten Wettbewerb geprägten Zuschnitt erhalten bleiben. Daher wird der zwischenstaatliche Handel jedenfalls potenziell beeinträchtigt, sofern unternehmerische Koordinierungen die Wettbewerbsstrukturen im Gemeinsamen Markt tangieren. Dieser Aspekt wird sowohl vom EuGH834 als auch in einer stark ausgeprägten Kommissionspraxis835 he830
831
832
833
834 835
Unter Vorziehung des letzten Punktes an die zweite Stelle Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 24 ff.) auch mit weiteren Einzelheiten. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 34). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 27). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 41). Etwa EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin. Z.B. KOME 85/206/EWG, ABl. 1985 L 92, S. 1 (Rn. 13) – Aluminiumeinfuhren aus Osteuropa; 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 (Rn. 93 f.) – Polypropylen; 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (Rn. 55 f.) – Lichtwellenleiter und auch noch
248
Kapitel 3 Kartellverbot
rangezogen. Die Wettbewerbsstrukturen sind insbesondere dann betroffen, wenn Koordinierungen sich auf den gesamten Gemeinsamen Markt erstrecken oder für das Gebiet eines ganzen Mitgliedstaates gelten sollen. In diesem Fall aber besteht ohnehin eine Vermutungswirkung dafür, dass der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird.836 Soll diese Rechtsprechung eigenständige Bedeutung haben, müssen auch geringfügige Antastungen der Wettbewerbsstruktur genügen, etwa im Hinblick auf die Verhältnisse auf einem nationalen Teilmarkt. Insoweit fällt allerdings das Merkmal der Eignung zur Beeinträchtigung des 669 grenzüberschreitenden Handels mit dem der Wettbewerbsbeschränkung zusammen.837 Es hat praktisch nur noch die Funktion einer Kollisionsnorm zur Ausscheidung rein nationaler Sachverhalte.838 Ein solches Korrektiv existiert aber auch im Rahmen der klassischen Grundfreiheiten.839 Zudem ist jedenfalls die Einbeziehung von Koordinierungen, die sich auf den gesamten Gemeinsamen Markt erstrecken, die Konsequenz der Fortentwicklung zu einem einheitlichen Europäischen Binnenmarkt.840 Die adäquate Begrenzung im Rahmen der Wettbewerbsregeln liegt in dem Merkmal der Spürbarkeit, welches bereits für die Wettbewerbsbeschränkung herangezogen wurde und auch bei der potenziellen Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels anwendbar ist.841 III.
Einbeziehung der Vertragsziele
670 Die Wettbewerbsfreiheit hat insbesondere den Zweck, dass nicht nur Staaten, sondern auch Private keine neuen Hürden für den grenzüberschreitenden Leistungsaustausch aufrichten. Das klingt insbesondere in dem Merkmal der Eignung zu einer Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels an. Darüber ist die Wettbewerbsfreiheit eingebunden in die allgemeinen Vertragsziele.842 Deshalb ist es nur konsequent, dass die Rechtsprechung schon sehr früh für die Auslegung dieses Merkmals diesen Hintergrund einbezog. Sie hielt es für entscheidend, dass eine Koordinierung „geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann“, indem insbesondere die nationalen Kräfte abgeschottet oder die Wettbewerbsstrukturen im Gemeinsamen Markt verändert werden.843 Dementsprechend sind besonders solche Koordinierungen als
836 837 838 839 840 841 842 843
etwa 96/547/EG, ABl. 1996 L 239, S. 57 (Rn. 55 f.) – PHOENIX/GlobalOne; 97/781/EG, ABl. 1997 L 318, S. 24 (Rn. 67) – Uniworld. S.o. Rn. 644 f. Krit. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 14 a.E. Krit. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 238. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 262 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 182 a.E. S. näher u. Rn. 679 ff. Allgemein o. Rn. 1 ff. Grundlegend EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (389) – Consten Grundig; später z.B. Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin; Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (828, Rn. 69 f.) – Magill.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
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geeignet zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels anzusehen, die wie private Ein- und Ausfuhrverbote oder Alleinbezugsverpflichtungen Handelsschranken errichten.844 Weiter gehend schützt aber das Kartellverbot den freien und unverfälschten 671 Wettbewerb auch als solchen, weil er die Basis dafür bildet, dass die Wettbewerbsfreiheit die ihr zukommende Funktion im Gesamtvertrag insbesondere auch zum Schutz der Verbraucher entfalten kann.845 Daher sind auch solche Koordinierungen geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, welche den Zugang nicht gänzlich hindern, sondern nur erschweren oder auch nur anders und damit abweichend von den natürlichen Marktabläufen gestalten. Dazu gehören etwa private Handelsregelungen.846 Ausreichend ist damit die Verschiebung der natürlichen Handelsbedingungen, selbst wenn etwa Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten gesteigert werden; entscheidend ist, ob dies künstlich erfolgt.847 Denn dadurch können dem Mitgliedstaat, aus dem die Waren ausgeführt werden, entsprechende Erzeugnisse entzogen und damit unter Umständen die Preise gesteigert werden. Oder die Verbraucher haben durch eine Ausschaltung der heimischen Konkurrenz geringere Auswahlmöglichkeiten. IV.
Gesamtbetrachtung
Eine potenzielle Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handelsaustau- 672 sches ergibt sich wie auch eine Wettbewerbsbeschränkung unter Umständen erst aus einer Gesamtheit gleichartiger Verhaltensweisen. Daher sind diese auch nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit maßgeblich. Deshalb reicht es aus, wenn zwar nicht ein einzelner Vertrag, sondern erst eine Gesamtheit gleichartiger Verträge den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann. In Bezug auf die Koordinierung selbst zählt deren Gesamtheit, so dass nicht jede Klausel einer Vereinbarung den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen können muss.848 Damit darf keine getrennte Beurteilung erfolgen, sondern koordinierende Verhaltensweisen sind im Zusammenhang zu betrachten.849 Deren Bedeutung hängt allerdings wie im Rahmen der Wettbewerbsbeschränkungen davon ab, in welchem Kontext sie stehen und damit insbesondere, welches Ausmaß sie annehmen und wie stark sie daher den Marktzutritt anderer behindern.850 844
845 846 847 848 849 850
S. die Klassiker EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm; Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 – Haecht sowie z.B. auch noch Rs. C-279/87, Slg. 1990, I-261 – Tipp-Ex. Dazu ausführlich o. Rn. 13 ff. EuGH, Rs. 71/74, Slg. 1975, 563 (584, Rn. 33/35 ff.) – Frubo; EuG, Rs. T-143/89, Slg. 1995, II-917 (933 f., Rn. 34) – Ferriere Nord. S. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (389 f.) – Consten Grundig; KOME 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 (Rn. 29 ff.) – Milchförderungsfonds. EuGH, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611 (664, Rn. 96) – Windsurfing International. Bereits EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 544 (556) – Haecht; EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1578 f., Rn. 120 f.) – Langnese-Iglo. S.o. Rn. 572 ff.
250
673
Kapitel 3 Kartellverbot
Es sind die jeweiligen konkreten Verhältnisse für den jeweiligen Handelsstrom und dessen Bestandteil bildende Leistungen zu berücksichtigen. Maßgeblich ist dabei insbesondere, inwieweit die Nachfrage festgefügt oder elastisch ist. Im zweiten Fall sind Änderungen leichter möglich,851 eine Marktisolierung und Abschottung wirkt deshalb schwächer. V.
Notwendiger Tatsachenkern
674 Dass eine koordinierte Verhaltensweise lediglich geeignet sein muss, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, ermöglicht zwar eine sehr weite Interpretation. Grundlage ist aber immerhin ein gewisser Tatsachenkern, der auf eine solche Wirkung deutet. Vermutungen ins Blaue hinein oder bloße spekulative Erwägungen reichen nicht aus.852 Es muss vielmehr eine durch Tatsachen untermauerte Wahrscheinlichkeit bestehen, dass eine Handelsbeeinträchtigung eintritt. Diese muss durch objektive Umstände untermauert sein. Ein subjektiver Wille ist nicht erforderlich. Sein Vorliegen etwa in Form der Absicht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu behindern, die sich in Versuchen zur Behinderung von Ausfuhren oder Einfuhren gezeigt hat, kann aber ein Indiz bilden.853 Ein tatsächlich vorhandener Wille bildet auch einen objektiven Umstand. Es darf aber kein überhöhtes Anforderungsniveau aufgestellt werden, so dass 675 auch geplante Marktzutritte neuer Wirtschaftsteilnehmer möglich bleiben. Diese haben es umso schwerer, je stärker die Position der bereits vorhandenen Wettbewerber ist. In einem solchen Falle müssen daher auch relativ geringe Anhaltspunkte dafür genügen, dass der grenzüberschreitende Handel beeinträchtigt wird. Damit lässt sich die Tendenzregel aufstellen: Je höher die Marktzutrittsschranken ausfallen und damit der grenzüberschreitende Handel beeinträchtigt zu werden droht, desto geringer müssen die Anhaltspunkte für eine (zusätzliche) Beeinträchtigung des Leistungsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten sein. VI.
Auch indirekte Ursachen
676 Woher die Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels herrühren muss, ist nicht näher festgelegt. Entsprechend der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten zählen daher dazu sowohl direkte als auch indirekte Ursachen.854 Somit ist es nicht erforderlich, dass die Leistung, für die der Wettbewerb beschränkt wird, dann auch Gegenstand des grenzüberschreitenden Handels ist. Vielmehr kann ein Zwischenprodukt, das Gegenstand einer unternehmerischen Koordinierung ist, den Ausgangsstoff für die Herstellung eines Produktes bilden, 851 852 853
854
EuGH, Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563 (1579, Rn. 17) – Salonia. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899 ff., Rn. 18 ff.) – Hugin. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 25). S.o. Rn. 79 sowie EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5) – Dassonville.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
251
das in anderen Mitgliedstaaten vertrieben wird. Dann wirken sich Wettbewerbsbeschränkungen etwa durch Festsetzungen von Mindesteinkaufspreisen für ein Zwischenerzeugnis zugleich auf den Absatz des Endproduktes innerhalb der Gemeinschaft aus. Entsprechende Vereinbarungen sind daher geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.855 Auch muss keine personelle Kongruenz zwischen Kartellmitgliedern und be- 677 einträchtigten Handelsteilnehmern bestehen. Deshalb sind auch die Folgen von wettbewerbsbeschränkenden Koordinierungen für dritte Unternehmungen im grenzüberschreitenden Handel beachtlich. Wird deren Teilnahmemöglichkeit daran erschwert, ist dies auf die untersuchte Koordinierung zurückzuführen, auch wenn diese zwischen anderen Unternehmen besteht.856 Von Bedeutung ist dies vor allem bei sog. Abwehrkartellen.857 Es muss allerdings ein konkreter Bezug der Auswirkungen zum Wettbewerb be- 678 stehen. Daher genügt es nicht, dass die Verbraucher durch eine Verteuerung nicht handelbarer Waren nicht mehr die Mittel haben, um aus anderen Mitgliedstaaten stammende Waren zu kaufen.858
E.
Spürbarkeit
I.
Ansatz
Wie im Rahmen der Wettbewerbsbeschränkung859 sind auch im Rahmen der Eig- 679 nung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels nicht nur die fraglichen Koordinierungen selbst nach Gegenstand und Zweck zu prüfen, sondern die gesamten Begleitumstände einzubeziehen.860 Von diesen Begleitumständen besonders relevant sind Art und Menge der betroffenen Leistungen, Stellung und Bedeutung der Parteien auf dem Markt sowie das Bestehen paralleler gleichartiger Verträge.861 Damit fallen insbesondere singuläre Verhaltensweisen und Koordinierungen unter schwachen Marktteilnehmern aus dem Kartellverbot heraus. Das gilt etwa für eine Alleinvertriebsvereinbarung selbst mit absolutem Gebietsschutz, so855
856 857 858
859 860 861
EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (425, Rn. 29) – BNIC/Clair; Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1617, Rn. 142) – Ahlström, wo der Preis des Zellstoffes als Zwischenprodukt 50-75 % der Kosten des Papiers als Endprodukt ausmachte. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 15. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 183 a.E. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 43) unter Annahme einer spekulativen Auswirkung; sie ist aber auch zu entfernt, da nicht den Handelsaustausch beeinflussend, sondern die allgemeine Nachfrage. S.o. Rn. 532 ff. Grundlegend EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (556) – Haecht. EuGH, Rs. 99/79, Slg. 1980, 2511 (2536 f., Rn. 24) – Lancôme; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3792, Rn. 19) – L´Oréal; Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2003, Rn. 17) – Javico; bereits Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (556) – Haecht.
252
Kapitel 3 Kartellverbot
fern sie den Markt wegen der schwachen Stellung der Beteiligten darauf lediglich geringfügig beeinträchtigt.862 Dadurch entstehen Verbindungen zu dem Merkmal der Spürbarkeit,863 welches 680 im Rahmen der Wettbewerbsbeschränkung zentrale Bedeutung hat, auf die sich die jüngste Bagatellbekanntmachung der Kommission ausschließlich bezieht.864 Die darin enthaltenen Werte können auch für die Frage der Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels herangezogen werden. Die Spürbarkeit als Kriterium auch im Rahmen der Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels entspricht der Heranziehung bei Wettbewerbsbeschränkungen als vorgelagertem Prüfungspunkt; die potenzielle Handelsbeeinträchtigung sollte nicht weiter gefasst werden. Zudem wird auf dieser Ebene der Schutzzweck, einen unverfälschten Wettbewerb zu erhalten, nicht berührt, weil die Gefahr einer Verfälschung bei geringem Beeinträchtigungspotenzial auch des Handels nicht gegeben ist.865 Schließlich werden so auch auf dieser Ebene unwesentliche Vorgänge zur Entlastung der Wettbewerbsbehörden ausgesondert. So hat die Rechtsprechung früh die Eignung zu einer spürbaren Beeinträchti681 gung des Handels zwischen Mitgliedstaaten gefordert.866 Die Kommission legt die Spürbarkeit als Element ihren Leitlinien zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels zugrunde.867 Um die tatsächlich möglichen Handelsströme abschätzen zu können, ist danach die Lage ohne die fragliche Koordinierung zu sondieren.868 Hingegen kommt es nicht darauf an, ob der beeinträchtigte Handelsstrom zwischen den Mitgliedstaaten lediglich von geringem Ausmaß ist. Er kann auch dann immer noch beeinträchtigt werden.869 Beachtlich sind hingegen neben niedrigen Marktanteilen und einer schwachen Marktstellung der Wettbewerber870 eine überragende Dominanz der präsenten (Oligopol-)Unternehmen871 bzw. umgekehrt ein geringes Wettbewerbspotenzial von Newcomern, das auch künftigen Wettbewerb wenig wahrscheinlich erscheinen lässt. Bedenklich ist aber der Hinweis auf 862 863 864 865 866 867
868
869
870 871
EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 (1900, Rn. 85) – Musique Diffusion Française; Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2003, Rn. 17) – Javico. EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 25) – Javico. S.o. Rn. 497. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einleitung E. Rn. 20. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (960, Rn. 16/18) – Béguelin; Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 5, 7) – Völk. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 44 ff.) mit ausführlichen Kriterien. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (960, Rn. 16/18) – Béguelin; Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 5, 7) – Völk; Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (150 f., Rn. 15) – Miller International Schallplatten; später z.B. Rs. 27/87, Slg. 1988, 1919 (1940, Rn. 17) – La Hesbignonne. S. EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (459, Rn. 48 f.) – Verband der Sachversicherer; Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 25 f.) – Javico, wo lediglich auf die Schwierigkeiten des Marktzutritts bzw. auf die Marktanteile abgestellt wird, nicht hingegen auf die Geringfügigkeit des grenzüberschreitenden Handelsaustausches als solchem. Darauf abhebend EuGH, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302, Rn. 7) – Völk. S. EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 23) – Javico.
§ 8 Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
253
nicht erzielbare Preisvorteile,872 weil sich solche auch erst im Laufe der Zeit herausbilden können. II.
Nähere Anwendung
Somit lassen sich die Kriterien aus den auf die Beschränkung des Wettbewerbs 682 zugeschnittenen de-minimis-Regeln der Kommission nur bedingt übertragen. Der Marktanteil der beteiligten Unternehmen ist nämlich für die grenzüberschreitende Wirkung nicht allein maßgeblich. Selbst bei geringem Marktanteil können Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr eintreten, wenn kleine oder mittlere Unternehmen gerade grenzüberschreitend tätig sind.873 Allerdings darf es sich nicht um Vereinbarungen von rein lokaler Bedeutung handeln.874 Umgekehrt kann der Marktanteil aber auch einen wichtigen Hinweis bilden. Ist 683 der Marktanteil der Beteiligten hoch, ist die Wahrscheinlichkeit umso größer, dass auch der Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt wird.875 Dabei genügt ein geringerer Wert, wenn die Koordinierung schon als solche geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, etwa weil sie ein ganzes Land im Hinblick auf ein Produkt gegen Ein- oder Ausfuhren abschottet oder sich umgekehrt auf mehrere Mitgliedstaaten erstreckt.876 In solchen Fällen bedarf es auch gar nicht erst der Ermittlung der Marktanteile.877 Insoweit ist dann eher der betroffene Umsatz maßgeblich. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission als Anhalt dafür, dass eine Ver- 684 einbarung nicht geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, folgende kumulative Kriterien aufgestellt (NAAT-Regel).878 Die Beteiligten erreichen -
872 873
874
875 876 877
878
879
auf allen relevanten Märkten, die von der Vereinbarung betroffen sind, einen Marktanteil von zusammen höchstens 5 %879 und EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 (2005, Rn. 24.) – Javico. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 50). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 91). S. EuG, Rs. T-65/89, Slg. 1993, II-389 (437, Rn. 138) – BPB Industries und British Gypsum. S.o. Rn. 644 f. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 45, 48 und auch Rn. 79, 88 für auf einen ganzen Mitgliedstaat bezogene Kartelle). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 52). Vgl. bereits EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 (149, Rn. 9 f.) – Miller; Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3201, Rn. 58) – AEG.
254
-
Kapitel 3 Kartellverbot
bei horizontalen Vereinbarungen bezogen auf die davon erfassten Waren einen Gesamtumsatz von nicht über 40 Mio. Euro. Bei vertikalen Vereinbarungen darf der Jahresumsatz der Lieferanten insoweit nicht höher liegen.
Der Jahresumsatz darf auch zwei Jahre bis zu 10 % höher liegen, der Marktanteil um 2-%-Punkte darüber. Diese Werte begründen aber lediglich eine Vermutung und sind nur einschlägig, wenn sie im Einzelfall passen. Das gilt nicht für Märkte, die noch nicht existieren, sondern erst entstehen. Erzielen die Parteien daher weder einen relevanten Umsatz noch halten sie beachtliche Marktanteile, zählt eher die Stellung auf benachbarten Produktmärkten sowie ein etwaiger Technologievorsprung.880 Bei Vereinbarungen, die schon von ihrem Wesen her zur Beeinträchtigung des 686 grenzüberschreitenden Handelsverkehrs geeignet sind, bildet das Überschreiten der vorgenannten Werte ein positives Indiz.881 Im Übrigen bestehen zahlreiche Regeln für einzelne Typen von Vereinbarungen, die je nach Einzelfall heranzuziehen sind.882
685
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen A.
Einordnung
687 Bestimmte unternehmerische Verhaltensweisen können, auch wenn die vorstehenden Voraussetzungen vorliegen, von vornherein nicht unter den Kartelltatbestand fallen, bedürfen also auch keiner Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG. Das liegt daran, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EG nur formal erfüllt sind, indes von anderen Aspekten überlagert werden. So liegt der Fall, wenn zwar ein tatbestandsgemäßes Handeln von Unternehmen vorliegt, diese aber durch staatliche Regulierung oder behördlichen Druck dazu veranlasst werden (B.). Die Frage einer inhaltlichen Überlagerung durch äußere Aspekte stellt sich weiterhin, wenn Verhaltensweisen dem Schutz besonders hochwertiger Güter dienen; dies wird am Beispiel des Umweltschutzes untersucht (C.). Eine teleologische Reduktion des Kartelltatbestandes liegt nahe, wenn ein Verhalten den Wettbewerb fördert und ihn nicht beschränkt (D.). Dieser Ansatz wird auch mit der Rule of Reason in Ver880
881
882
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 52 a.E.). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 53). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004 C 101, S. 81 (Rn. 58 ff.).
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
255
bindung gebracht.883 Solche wertenden Gesichtspunkte werfen die Frage auf, inwieweit sie schon den Kartelltatbestand aufladen können oder aber erst im Rahmen der Freistellung einfließen dürfen, sei es im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG, sei es darüber hinaus durch erweiterte Legitimationsaspekte.884
B.
Relevanz staatlicher Einwirkung
I.
Hohe Anforderungen für einen Ausschluss unternehmerischer Verantwortlichkeit
Vereinbarungen zwischen Unternehmen und noch eher Beschlüsse von Unterneh- 688 mensvereinigungen können darauf beruhen, dass der Staat eine entsprechende, meist mit Vorteilen verbundene Möglichkeit gesetzlich einräumt oder namentlich mit Hinweis auf eine andernfalls ergehende gesetzliche Regelung Druck zu ihrer Eingehung ausübt, sie also fördert oder anschiebt. Das gilt etwa für Selbstverpflichtungen. Auch wenn diese Verhaltensweisen diesen staatlichen Einwirkungen nachzukommen versuchen, handelt es sich nicht lediglich um wirtschaftspolitische Maßnahmen, die erst dann kartellrechtlich bedeutsam werden, wenn die Durchführung der Vereinbarung weitere Koordinierungsakte zwischen den betroffenen Unternehmen erforderlich macht.885 Bereits der Abschluss erfolgt regelmäßig durch eine freiwillige Entscheidung Privater, außer eine zusätzliche staatliche Einwirkung etwa durch massiven Druck oder regulativen Zwang kommt hinzu. Es liegen daher Verträge bzw. Vereinbarungen von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen vor, die notwendig der Wettbewerbsordnung unterstehen.886 Erklärungen von Unternehmen oder Unternehmensverbänden beruhen gleichfalls auf eigenem Entschluss und sind Ausdruck privatwirtschaftlicher Gestaltung. Hat der Staat das Eingehen von unternehmerischen Koordinierungen beein- 689 flusst, hat er allerdings mit eine Ursache dafür gesetzt, dass der Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Deshalb stellt sich die Frage, ob das insoweit veranlasste unternehmerische Verhalten unter Art. 81 Abs. 1 EG fällt oder ausschließlich das dahinterstehende staatliche Verhalten den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Gemeinschaftskonformität bildet. Im Rahmen der Zielsetzung von Art. 81 EG, Verzerrungen des Wettbewerbs zu 690 verhindern, muss es auf die Erfassung von tatsächlichen Verursachungsbeiträgen ankommen. Allein das staatliche Einwirken auf das Zustandekommen einer freiwilligen Koordinierung kann daher die wettbewerbsrechtliche Beachtlichkeit des unternehmerischen Verhaltens nicht generell ausschließen,887 auch wenn der EuGH 883 884 885 886 887
Zu ihr u. Rn. 720 ff. S.u. Rn. 985 ff. So Schlarmann, NJW 1971, 1394 (1394). S. generell Freitag/Hansen/Markert/Strauch, Umweltschutz und Wettbewerbsordnung, 1973, S. 66. Spezifisch für den Umweltbereich Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 98 f.; für das GWB Friedrich, Möglichkeiten und
256
Kapitel 3 Kartellverbot
sich zu faktischem staatlichem Druck in einer Entscheidung von 1985 nicht eindeutig geäußert hat. Er verwies allerdings darauf, dass die bloße Vorgabe von Zielen und das Führen von Gesprächen nicht die Anwendung des Kartelltatbestands auf unternehmerisches Verhalten ausschließen kann, sondern allenfalls die Erklärung, diese Ziele müssten durch eine wettbewerbswidrige Vereinbarung erreicht werden.888 Voraussetzung ist also, dass staatliches Verhalten die Ursächlichkeit des priva691 ten Agierens überlagert und letztlich selbst die Ursache bildet. Die Unternehmen müssen mithin für ihr Verhalten noch verantwortlich sein, damit das gemeinschaftliche Kartellverbot greift.889 Für einen Ausschluss dieser Verantwortlichkeit sind aber hohe Anforderungen an die Intensität und Eindeutigkeit staatlicher Vorgaben zu stellen.890 Was die Intensität anbetrifft, ist unternehmerisches Verhalten in der modernen Gesellschaftswirklichkeit naturgemäß mit vielen staatlichen Einflüssen konfrontiert, welche vielfach auch wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkungen haben.891 Daher kann nicht jede staatliche Einflussnahme unternehmerische Verantwortlichkeit ausschließen. Ein solcher Ausschluss ist jedoch gegeben, wenn der Staat eine Koordinierung gleichsam vorformuliert und an Stelle einer Verordnung diktiert hat. Solche Konstellationen sind vor allem bei Selbstverpflichtungen denkbar. Ist die Bedingung eigenverantwortlichen Verhaltens hingegen gewahrt,892 kön692 nen auch hypothetische Kausalitäten keine Rolle spielen.893 Der Verweis auf die Folgen und die Beurteilung staatlicher Maßnahmen ist auch wegen der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit der Rechtsregimes irrelevant. II.
Einflussnahme durch Gesetz
1.
Staatliche Rahmengestaltung
693 Unternehmerische Koordinierungen können dadurch in eine gesetzliche Regelung eingebunden sein, dass eine Normierung eine entsprechende Möglichkeit gibt oder hinsichtlich der Ausgestaltung einen mehr oder weniger festen Rahmen vorgibt. Aufgrund der Vorgabe eines bestimmten Rahmens ist eine Kooperation zwischen Unternehmen dann angelegt, wenn die normativen Eckpunkte nur durch ein Zu-
888 889 890 891 892 893
kartellrechtliche Grenzen umweltschutzfördernder Kooperation zwischen Unternehmen, 1977, S. 77 f.; v. Wallenberg, GRUR 1980, 833 (836). EuGH, Rs. 240 u.a./82, Slg. 1985, 3831 (3871 f., Rn. 40) – Stichting Sigarettenindustrie. Näher u. Rn. 696 ff. Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1997, S. 318 m.w.N. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 109 f. Darauf zu Recht verweisend Baudenbacher, JZ 1988, 689 (694); Jacobs, LIEI 93/2, 37 (51). Es darf nicht die freie Willensentscheidung der am Verhalten Beteiligten ausgeschlossen sein, KOME 74/634/EWG, ABl. 1974 L 343, S. 19 (23) – Kugellager. Abl. auch Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 98 f.
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
257
sammenwirken zu erreichen sind. Bietet hingegen die normative Regelung lediglich eine Plattform, auf der sich Unternehmen bewegen können, ohne miteinander kooperieren zu müssen, ermöglicht sie eher Wettbewerb. Dies ist auch bei der Umweltzeichenverordnung der Fall. Dass nach Art. 5, 6 UmweltzeichenVO (EG) Nr. 1980/2000894 Produktgruppen gebildet und für diese spezifische Umweltkriterien festgelegt werden und nach Art. 4 i.V.m. Art. 1 UmweltzeichenVO Produkte mit geringeren Umweltauswirkungen gefördert werden sollen, belegt, dass die Vergabe des Umweltzeichens auf der Basis eines Produktvergleichs der einzelnen Antragsteller erfolgt895 und damit eine Konkurrenz der verschiedenen Unternehmen voraussetzt. Es handelt sich insofern um ein Mittel des Wettbewerbs. Der Staat gibt hingegen einen Anstoß für Unternehmenskooperationen und -ko- 694 ordinierungen und davon ausgehende Wettbewerbsbeeinträchtigungen, wenn er den Rahmen und die sich daraus ergebenden Anforderungen für staatliche Ziele so hoch gesteckt hat, dass nur gemeinsame Anstrengungen mehrerer Unternehmen zum Ziele führen. Ein Beispiel dafür ist § 6 Abs. 3 VerpackV896 mit seiner Vorgabe, ein flächendeckendes Ersatzsystem zu errichten. Ein solches wurde zwar von einem Unternehmen in Gestalt des Dualen Systems gebildet. Indes bedurfte es des Zusammenwirkens zahlreicher Unternehmen, um diese Gesellschaft ins Leben zu rufen.897 Dieser Weg war allerdings nicht der einzig mögliche. Vielmehr wäre die normative Voraussetzung auch dann erfüllt gewesen, wenn mehrere (vorhandene) Unternehmen zusammen ein flächendeckendes System errichtet hätten.898 Dieses Beispiel zeigt: Auch wenn der Staat einen Rahmen vorgibt, bleibt es den 695 an der Koordinierung beteiligten Unternehmen überlassen, wie sie diesen erfüllen. Somit obliegt es auch ihrer Verantwortung, inwieweit sie dabei wettbewerbsbeeinträchtigende Verhaltensweisen an den Tag legen, es sei denn, alle möglichen Wege schließen notwendig Kooperationen ein. Das gilt auch dann, wenn der Staat gesetzliche Vorteile gewährt. Können solche Vorteile nur durch ein Zusammenwirken von Unternehmen erreicht werden, gibt der Staat zwar einen Anreiz zu solchen Koordinierungen. Regelmäßig bleibt den Unternehmen aber ein gesetzlich nicht ausgefüllter Gestaltungsraum, in dem sie selbst darüber bestimmen, ob sie sich wettbewerbsgerecht verhalten. Die staatlich geschaffene Grundlage nimmt somit den Unternehmen nicht die Entscheidungsfreiheit, die sie aus eigenem Entschluss zu wettbewerbsbeeinträchtigendem Verhalten befähigt.
894 895 896 897 898
Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.7.2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens, ABl. L 237, S. 1. S. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997, S. 195; Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 585. Vom 27.8.1998, BGBl. I 1998 S. 2379, zuletzt geändert durch VO vom 24.5.2005, BGBl. I S. 1407. Näher Flanderka, BB 1996, 649 (651). Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1997, S. 108 f.; Frenz, GewArch. 1994, 145 ff.; ders., Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 37 f.
258
Kapitel 3 Kartellverbot
2.
Inhaltliche Vorgaben
696 Etwas grundsätzlich anderes kann indes dann gelten, wenn der Staat auch einen bestimmten Weg vorgegeben hat. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn er Vorteile, die sich an bestimmte Verhaltensweisen anschließen, nur bei Erreichen gesetzlicher Voraussetzungen gewährt, so bei Erfüllung der im Anhang zu § 6 Abs. 3 VerpackV aufgestellten Quoten: Insoweit handelt es sich um inhaltliche Determinanten. Wie diese von den Unternehmen erreicht werden, bleibt ihnen überlassen. Der Weg ist hingegen konkret vorgegeben, wenn gesetzlich ein Zusammenwirken von Unternehmen gefordert wird. Müsste sich das Ersatzsystem zur Erfassung und Entsorgung von Verkaufsverpackungen etwa statt mit den Kommunen gem. § 6 Abs. 3 VerpackV (auch) mit allen in seinem Aktionsgebiet bisher tätigen Entsorgungsunternehmen abstimmen, wäre eine solche Zusammenarbeit normativ bestimmt und damit hoheitlich auferlegt.899 In diesem Fall bleibt den so verpflichteten Unternehmen keine andere Wahl, so dass ausschließlich der Staat eine Ursache für ein wettbewerbsbeeinträchtigendes Verhalten gesetzt hat. Er hat die beteiligten Unternehmen durch seinen Zwang zu einem Kartell zusammengefasst, so dass Art. 81 EG nicht eingreift. 3.
Grundsätzliches Verbleiben unternehmerischer Gestaltungsfreiheit
697 Grundsätzlich indes ist es Kennzeichen von Koordinierungen auch bei staatlich gesetzten Bedingungen oder Anreizen, dass es den Unternehmen überlassen bleibt, ob sie eine Koordinierung – ggf. mit den sich daraus eröffnenden Vorteilen – auch um den Preis von wettbewerbsbeeinträchtigenden Kooperationen eingehen oder nicht. Das Gesetz setzt nur bestimmte Rechtsfolgen. Eine wettbewerbsbeschränkende Koordinierung selbst ist hingegen regelmäßig nicht zwingend vorgegeben. Sie unter den gesetzlich formulierten Bedingungen einzugehen, obliegt mithin immer noch der freiwilligen Entscheidung der sich bindenden Unternehmen. Sie beruht daher auf deren Verhalten, nicht auf dem Gesetz. Das gilt auch für das sich anschließende Folgeverhalten. Die Unternehmen handeln insoweit eigenverantwortlich. Daher müssen die agierenden Wirtschaftssubjekte auch für die Folgen von Wettbewerbsbeschränkungen einstehen. Der EuGH hat nur dann eine Prüfung der Wettbewerbsregeln aufgrund legisla698 tiver Maßnahmen ausgeschlossen, wenn die entsprechende Regelung – mit der daran anknüpfenden Praxis – das den betroffenen Unternehmen vorgeworfene Verhalten „in wesentlichen Zügen so entscheidend beeinflusst“ hat, „dass es ohne diese Regelung und die auf ihr beruhende Praxis zu der umstrittenen Zusammenarbeit offensichtlich entweder gar nicht oder in einer anderen ... Form gekommen wäre“.900 Dann soll „die beanstandete Verhaltensweise den Wettbewerb nicht spürbar beeinträchtigen“ können.901 Indem der EuGH die Regelung und das Verhalten der 899 900 901
S. allgemein KOME 74/634/EWG, ABl. 1974 L 343, S. 19 (23) – Kugellager. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1949, Rn. 65 f.) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1949, Rn. 72) – Suiker Unie.
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
259
Behörden zusammen betrachtet,902 stellt er auf den letztlich entstehenden tatsächlichen Druck ab. Freilich bleibt die Verwaltungspraxis bezogen auf die normative Regelung, so dass deren Gehalt im Kern dafür entscheidend ist, ob den Unternehmen ein ausreichender Spielraum für Wettbewerbsbeeinträchtigungen bleibt.903 Einen eindeutig rechtlichen Ansatzpunkt verfolgt die Kommission im Einklang 699 mit Stimmen aus der Literatur.904 Sie nahm unternehmerische Maßnahmen vom Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG aus, die „von den Behörden ihres Landes auferlegt“ bzw. durch Ausübung rechtlichen Zwangs herbeigeführt werden905 oder zu deren Abschluss eine Regierung durch gesetzliche Befugnis zwingen kann.906 Grundsätzlich aber handelt es sich um gesetzliche Regelungen, die – in den Worten der Kommission – „nichts an der Tatsache ändern, dass die beteiligten Unternehmen frei“ sind, „die besagte Vereinbarung nicht abzuschließen oder auf die besagte Verhaltensweise zu verzichten“, so dass insoweit die Anwendung von Art. 81 EG nicht ausgeschlossen ist.907 4.
Tatsächliche Kausalität als maßgeblicher Gesichtspunkt
Auf das Element der Spürbarkeit muss in diesem Zusammenhang nicht zurückge- 700 griffen werden. Art. 81 Abs. 1 EG setzt vielmehr als Grundlage voraus, dass Verhaltensweisen von Unternehmen den Wettbewerb beschränken oder dies bezwecken sowie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Die Verhaltensweisen der Unternehmen müssen also diese Folgen haben (können). Sie selbst müssen daher ursächlich sein, um von Art. 81 EG erfasst werden zu können, nicht lediglich hinter ihnen stehende staatliche Maßnahmen. Von einer aktiven Wirkung und keiner bloßen Transformationsfunktion geht auch Art. 82 EG mit seiner Formulierung der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung „durch ein oder mehrere Unternehmen“ aus. Erforderlich ist mithin die tatsächliche Kausalität des unternehmerischen Verhaltens für die wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkung bzw. Zielsetzung. Lediglich eine natürliche Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non908 ist jedoch gegeben, wenn das Verhalten von Unternehmen ausschließlich durch staatliche Regelungen determiniert ist und dieses nur als fremdgesteuerter Auslöser von Wettbewerbsverfälschungen fungiert. 902
903 904 905 906 907 908
EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1949, Rn. 67/70) – Suiker Unie. Ob nach der Rspr. ein bloßer behördlicher Druck ausreicht, damit daraus folgendes unternehmerisches Verhalten nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen kann, wird unter Rn. 704 ff. untersucht. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 108. S. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 350: eindeutiger Hoheitsakt. KOME 74/634/EWG, ABl. 1974 L 343, S. 19 (23) – Kugellager. KOME 85/206/EWG, ABl. 1985 L 92, S. 1 (Rn. 10) – Aluminiumeinfuhren aus Osteuropa. KOME 74/634/EWG, ABl. 1974 L 343, S. 19 (23) – Kugellager. Für die natürliche Kausalität kommen potenziell alle Ursachen in Betracht, wobei sich dann das Problem stellt, welche im Einzelfall als Anknüpfungspunkt relevant ist. Das ist Aufgabe der für die rechtliche Zurechnung entscheidenden, durch Wertung gewonnenen, an bestehende normative Regelungen anknüpfenden Kausalität.
260
Kapitel 3 Kartellverbot
Die Kommission scheint gleichwohl auch durch rechtlichen Zwang zustande gekommenes unternehmerisches Verhalten unter Art. 81 Abs. 1 EG zu subsumieren, indem sie sich an der Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift nicht dadurch gehindert sah, dass „etwa bestehende einzelstaatliche Rechtsvorschriften ... die Unternehmen zu bestimmten Verhaltensweisen verpflichten oder, wie im vorliegenden Fall, einer Unternehmensvereinigung den Auftrag erteilen, bestimmte Maßnahmen zu beschließen“.909 Die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln wollen indes unternehmerische Wettbewerbs- und damit Entfaltungsfreiheit sichern. Beide Elemente sind insoweit außer Kraft gesetzt, als staatliche Gesetze ein bestimmtes Verhalten anordnen. Ein privates Verhalten, das nicht mehr von freiem Wettbewerb geprägt ist und 702 daher dem durch Art. 81 f. EG zu sichernden Bezugsgegenstand nicht mehr entspricht, kann kein Anknüpfungspunkt im Rahmen des Kartellverbots sein. Es ist nicht relevant für die letztlich maßgebliche, durch den Normzweck geprägte wertende Kausalität. Auch die Frage einer fortbestehenden Verantwortung910 braucht dann nicht mehr gestellt zu werden. Entscheidend ist aufgrund der Zielrichtung der Wettbewerbsregeln vielmehr die Herausfilterung der Maßnahmen, die den Wettbewerb bereits vorher beeinträchtigt haben (konnten). Bildet den ausschließlichen Anknüpfungspunkt eine staatliche Maßnahme, kann deren ursächliche Wirkung nicht mehr durch nachfolgende unternehmerische Verhaltensweisen überlagert werden, außer diese sind Ausdruck eines eigenen Entscheidungsspielraumes, den die staatliche Maßnahme einräumte. Hat eine staatliche Handlung Verhaltensweisen der Unternehmen ersetzt, indem 703 sie ihren Entscheidungs- und Handlungsspielraum zunichte machte, fällt sie nicht mehr unter die Wettbewerbsregeln, die eine unternehmerische Gestaltungsfreiheit voraussetzen, sondern unter Art. 28 EG. Daher ist es auch ein Gebot der Abgrenzung zwischen den an die unternehmerische Selbstbestimmung anknüpfenden Art. 81, 82 EG und dem auf staatliches Ausgreifen bezogenen Art. 28 EG, privates wettbewerbsbeeinträchtigendes Verhalten dann nicht durch die Wettbewerbsvorschriften zu erfassen, wenn es ausschließlich staatlich determiniert ist.911 Die Wettbewerbsregeln erfassen gleichwohl den Zwischenbereich, in dem sowohl staatliche Lenkung als auch private Gestaltung prägend wirken und damit kausal sind. Die tatsächlich prägende Kausalität wird damit zum maßgeblichen Abgrenzungskriterium, ob privates Verhalten (noch) an ihnen zu messen ist.912 701
909 910 911
912
KOME 93/438/EWG, ABl. 1993 L 203, S. 27 (Rn. 44) – CNSD. Darauf Bezug nehmend v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 110. Näher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 37; s. auch van der Esch, ZHR 155 (1991), 274 (281 f.); vgl. EuGH, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 (33 ff., Rn. 19 ff.) – Leclerc/Au Blé Vert; aus Sicht der Warenverkehrsfreiheit Frenz, Europarecht 1, Rn. 728. Zur Erfassung staatlichen Verhaltens u. Rn. 1954 ff.
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
III.
261
Einflussnahme durch Druck
Statt durch Gesetze kann der Staat seinen Einfluss durch bloßen Druck geltend 704 machen, indem er etwa massive öffentliche Schelte übt, wenn Unternehmen ein bestimmtes von ihm gewünschtes Ziel nicht erreichen, oder mit einer Regulierung droht. Nach dem rechtsbezogenen Ansatz der Kommission913 ist bloßer Druck unbeachtlich. Dagegen hat der EuGH die behördliche Praxis in seine Untersuchungen einbezogen, allerdings auf der Basis der gesetzlichen Regelungen.914 Losgelöst von deren Existenz hat er im Urteil SSI den Aspekt aufgeworfen, „inwieweit ein Druck oder eine Anregung von Seiten des Staates dazu führen kann, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen der Anwendung von Art. 81 entzogen sind“. Das Führen von Gesprächen und die Vorgabe von Zielen sollen dafür nicht ausreichen. Erforderlich sei vielmehr der Nachweis, „dass der Staat erklärt hätte, diese Ziele sollten durch den Abschluss der mit der angefochtenen Entscheidung beanstandeten wettbewerbswidrigen Vereinbarungen erreicht werden“.915 Weil dieser Nachweis nicht erbracht werden konnte, prüfte der EuGH diesen Aspekt nicht näher, hat aber immerhin einen möglichen Ansatzpunkt für einen Ausschluss unternehmerischer Verhaltensweisen vom Anwendungsbereich des Art. 81 EG formuliert.916 Zugleich hat er deutlich gemacht, dass bloße Zielvorgaben für eine solche Irrelevanz keinesfalls ausreichen, sofern nicht auch der Weg dorthin gerade durch das Eingehen wettbewerbswidriger Vereinbarungen vorgegeben ist. Für diesen Ansatz spricht, dass es im Rahmen der Wettbewerbsregeln aufgrund 705 ihrer maßgeblichen Funktion für den Gemeinsamen Markt auf die tatsächliche Erhaltung der Wettbewerbsfreiheit ankommt.917 Deshalb liegt es nahe, auch bei den erfassten Verhaltensweisen auf die tatsächlichen Verhältnisse und Hintergründe abzustellen. Dies erfolgte bereits bei einer weiten Konzeption der Vereinbarungen zwischen Unternehmen, wozu auch faktische Verhaltensweisen zu rechnen sind.918 Zudem verlangt der Wortlaut einen aktiven Verursachungsbeitrag der wettbewerbsbeeinträchtigenden Unternehmen. Entsprechend der Sicherungsfunktion für den bestehenden Wettbewerb darf sich dieses Verhalten nicht schon außerhalb des Bereichs unternehmerischer Freiheit befinden. Daher darf nicht der staatliche Druck ein so dominanter Faktor sein, dass sich die Koordinierung insgesamt als ausschließlich staatlich veranlasste Maßnahme darstellt. Das gilt unabhängig davon, in welcher Form sich der staatliche Einfluss zeigt. Aus der Perspektive des Wirtschaftsgeschehens ist allerdings Druck nichts Un- 706 gewöhnliches. Ein Unternehmen wird von der Konkurrenz bedrängt, muss Ver913 914 915 916
917 918
S.o. Rn. 699, 701. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1949, Rn. 67/70) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 240 u.a./82, Slg. 1985, 3831 (3871 f., Rn. 40) – Stichting Sigarettenindustrie. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 109 spricht von „Aufgreifkriterium“ für eine nähere Prüfung, die damit prinzipiell eröffnet ist, so dass es nichts ausmacht, dass „kein umfassender Prüfungsmaßstab … formuliert wurde“, worauf v. Bernuth a.a.O. abstellt. S.o. Rn. 1 ff. S.o. Rn. 447 ff.
262
Kapitel 3 Kartellverbot
brauchererwartungen gerecht werden und auf von ihm nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen wie Lohnkosten, Steuerbelastung etc. reagieren. Trägt der Staat durch Druck zum Eingehen von Koordinierungen bei, greift er nur eine Rahmenbedingung heraus, indem etwa nunmehr neben der Verbrauchererwartung in Bezug auf umweltfreundliches Verhalten der staatliche Druck hinzu kommt. Er wirkt nur auf die Gestaltung des Gesamtrahmens unternehmerischen Verhaltens ein, ohne das Reagieren darauf den Unternehmen in seinem Sinne verbindlich vorzugeben. Der Staat verschiebt somit die Gegebenheiten des Marktes, jedoch ohne ihn 707 auszuschalten. Der insoweit bestehende staatliche Zwang tritt „vermittelt über den Marktmechanismus“ an den einzelnen Unternehmer heran und wirkt daher wie jeder andere Marktzwang.919 Das Unternehmen kann diesem Druck ausweichen oder ihm entsprechen. Die Entscheidungsfreiheit wird dem Unternehmen also nicht genommen. Der vom Staat verstärkte bzw. erzeugte Druck gehört daher zu den Bedingungen auf dem Markt, auf die es sich einzustellen hat.920 Der Wettbewerb wird mithin nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur in seinem Ausgangspunkt verändert. Deshalb ist grundsätzlich auch eine durch staatlichen Druck zustande gekommene Koordinierung als Anknüpfungspunkt im Rahmen der Wettbewerbsregeln beachtlich und auch vor dem Hintergrund des Zwecks dieser Normen kausal im wertenden Sinne, es sei denn, er ist so stark, dass er die freie Willensbestimmung unternehmerischer Entscheidungen überlagert. Das ist aber regelmäßig nicht der Fall. IV.
Staatliche Beteiligung an einer Koordinierung
708 Ist eine staatliche Einheit Partner einer Koordinierung, wie es etwa bei der „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge“ vom 9.11.2000921 und deren Folgevereinbarung vom 25.6.2001922 der Fall ist, handelt es sich nur dann um eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, wenn ansonsten mehrere Unternehmen beteiligt sind und die staatliche Beteiligung allenfalls formal ist, also keinen gestaltenden Einfluss hatte. Geht die staatliche Beteiligung darüber hinaus, fehlt es an dem Grundtatbestandsmerkmal des Art. 81 Abs. 1 EG, es sei denn, es schließt sich einer solchen Koordinierung unter staatlicher Beteiligung eine solche ausschließlich zwischen Unternehmen an, um etwa eine Vereinbarung mit dem Staat zu erfüllen. Jedenfalls hindert die staatliche Beteiligung an einer Vereinbarung nicht die Kausalität. Hätten die beteiligten Unternehmen sich nicht freiwillig gebunden, läge schon kein Vertrag vor. Hat gleichwohl die beteiligte staatliche Einheit „sanften“ Druck zur 919 920 921 922
Oldiges, WiR 1973, 1 (16). V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 110. Näher dazu Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 208 ff. sowie S. 299, 305 ff. zum Folgenden. Sog. KWK-Vereinbarung zur Minderung der CO2-Emissionen und der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung in Ergänzung zur Klimavereinbarung vom 9.11.2000.
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
263
Eingehung der vertraglichen Selbstverpflichtung ausgeübt, so ändert dieser an dem selbstbestimmten Verhalten wirtschaftlicher Einheiten nichts. Der Abschluss eines solchen Vertrages ist Ausdruck des Marktgeschehens, nicht Folge staatlichen Zwangs. Somit ist die Beteiligung von Unternehmen an einer Koordinierung mit einer staatlichen Einheit als Vertragspartner tatsächlich kausal für das Eintreten der daraus folgenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen bei einer Beteiligung bzw. späteren Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen. Allein die Verbindung zu staatlichen Stellen und deren Involvierung in eine Unternehmensvereinbarung hindert nicht das Eingreifen von Art. 81 Abs. 1 EG.923 Gänzlich unschädlich für die Subsumtion unter den Kartelltatbestand ist eine 709 staatliche Genehmigung oder Verbindlicherklärung,924 da sie an der Gestaltung der Unternehmen nichts ändert, sondern diese höchstens mit einem offiziellen Siegel versieht.
C.
Tatbestandslosigkeit umweltbezogenen wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltens?
Art. 81 Abs. 1 EG ist insoweit auf den Gemeinsamen Markt bezogen, als mit ihm 710 wettbewerbsbehindernde Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen unvereinbar und verboten sind. Entsprechend der Grundlagenbestimmung des Art. 2 EG soll durch die Errichtung des Gemeinsamen Marktes auch ein hohes Maß an Umweltschutz und an Verbesserung der Qualität der Umwelt gefördert werden. Zudem ist der Umweltschutz in Art. 3 Abs. 1 lit. l) EG als eigene Politik benannt. Vor diesem vertraglichen Hintergrund könnten wettbewerbsbeeinträchtigende, aber der Umwelt dienende Verhaltensweisen bereits nicht tatbestandsmäßig i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG sein. Jedenfalls könnte dadurch ein Spielraum eröffnet sein,925 sie nicht als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt gelten zu lassen.926 Die Diskussion zum Umweltschutz steht stellvertretend für andere Politikbereiche, die herausgehoben gewährleistet sind. Zwar prägt der in der Grundlagenbestimmung des Art. 2 EG als Ziel aufgestell- 711 te Gemeinsame Markt den Gehalt der nachfolgenden Vorschriften und damit auch des Art. 81 EG.927 Indem Art. 2 EG im Bezug zum Gemeinsamen Markt verschiedene Komponenten aufführt, könnten diese a priori über den Begriff des Gemeinsamen Marktes die Erfassung wettbewerbsbehindernder Verhaltensweisen modifizieren. In Art. 81 Abs. 1 EG steht allerdings der Begriff „Gemeinsamer Markt“ ebenso wie in Art. 82 EG in erster Linie auf der Rechtsfolgenseite und ist nicht der 923 924 925
926 927
In anderem Kontext EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (423, Rn. 19 f.) – BNIC/Clair. EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 (424, Rn. 23) – BNIC/Clair. Für eine entsprechende Restriktion aus Gründen des Umweltschutzes Becker-Schwarze, Steuerungsmöglichkeiten des Kartellrechts bei umweltschützenden Unternehmenskooperationen, 1997, S. 236 f. Abl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drucks. 13/10195 S. 143 Tz. 300. Darauf läuft der Ansatz von Portwood, Competition Law & The Environment, 1994, S. 78, hinaus. S. näher u. Rn. 851 ff.
264
Kapitel 3 Kartellverbot
durchgehende Ausgangspunkt auf der Tatbestandsebene. Schon deshalb vermag er die Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu derogieren.928 Eine solche Abweichung stünde auch in Widerspruch mit Art. 36 EG, der die modifizierte Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die Produktion und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beschränkt, also von ihrer grundsätzlichen Anwendbarkeit im Übrigen ausgeht. Tieferliegend führte eine an Art. 2 bzw. an den diesen in einzelnen Bereichen konkretisierenden Art. 3 EG angelehnte Ausklammerung oder auch nur Privilegierung bestimmter Sektoren zu einer weitgehenden Aushöhlung der Wettbewerbsfreiheit, werden doch in diesen Vorschriften zahlreiche Felder erfasst. Dies liefe der aufgezeigten fundamentalen Bedeutung eines unverfälschten Wettbewerbs für den Gemeinsamen Markt929 zuwider. Dass der unverfälschte Wettbewerb in Art. 2 EG nicht ausdrücklich benannt wird, mag seine Einstufung als Primärziel930 zweifelhaft erscheinen lassen,931 so dass seine Durchsetzung kein Selbstzweck wäre.932 Das ändert aber nichts an seiner unverzichtbaren Grundlagenfunktion, die auch in der vierten Erwägung der Präambel zum EG zum Ausdruck kommt. Im EG selbst wird diese durch die Nennung des Wettbewerbs in zahlreichen anderen Politiken indiziert.933 Dass der unverfälschte Wettbewerb in Art. 2 EG nicht aufgeführt wird, spricht daher eher dafür, dass er vorausgesetzt wird. Nach allem bildet er kein bloßes Mittel zum Zweck,934 das zur Verfolgung anderer Ziele verdrängt werden kann, sondern eine fest institutionalisierte Komponente.935 Der unverfälschte Wettbewerb ist außerdem zu den Vertragsgrundsätzen zu rechnen.936 Er braucht daher nicht dem in Art. 2 EG seit dem Amsterdamer Vertrag so stark betonten Umweltschutz zu weichen. Das bestätigt ein Blick auf Art. 3 Abs. 1 EG. In dieser Grundlagenbestimmung 712 wird in lit. g) auch ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, benannt, und zwar gleichberechtigt neben den anderen, gleichfalls Politikfelder der Gemeinschaft bildenden Bereichen. Das schließt eine einseitige Verdrängung aus und deutet auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs.937
928 929 930 931 932 933 934 935 936 937
Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 110. S.o. Rn. 1 ff. Kloepfer, JZ 1980, 781 (782). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 39. V. Miert, WuW 1995, 553 (553). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 39. S. allerdings Freitag/Hansen/Markert/Strauch, Umweltschutz und Wettbewerbsordnung, 1973, S. 75. Baldi, Die Freistellung vom EWG-Kartellverbot, 1972, S. 28; Schwintowski, RabelsZ 58 (1994), 232 (252). Van der Esch, WuW 1988, 563 (565). Zu diesem u. Rn. 1003 ff.
§ 9 Zur Tatbestandslosigkeit bestimmter Verhaltensweisen
D.
Tatbestandslosigkeit wettbewerbseröffnender Maßnahmen
I.
Teleologische Reduktion des Kartellverbots
265
In manchen Fällen bilden Unternehmenskooperationen und -koordinierungen den 713 einzigen Weg zur Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt vor allem bei kostenintensiven Vorhaben. So können etwa auf sich gestellte Unternehmen vielfach aufwändige Entwicklungen neuer Produkte allein nicht bewältigen, ohne insoweit die Konkurrenzfähigkeit zu verlieren. Hohe Investitionen und Anlaufkosten erfordernde Produktionssysteme können nur durch größere Einheiten bewältigt werden, wenn die daraus entstehenden Erzeugnisse wettbewerbsfähig sein sollen. In diesen Fällen wird durch Absprachen Wettbewerb nicht beschränkt, sondern erst geschaffen.938 Damit wird dem durch Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG939 und der 4. Erwägung der Präambel zum EG aufgezeigten Anliegen des Art. 81 Abs. 1 EG, einen wirksamen, unverfälschten, redlichen Wettbewerb zu gewährleisten,940 gerade Rechnung getragen. Die manchen Produkten und Systemen immanenten Startnachteile können durch eine Zusammenarbeit von Unternehmen überwunden und damit wettbewerbsfähig gemacht werden. Solche Verhaltensweisen können daher nicht von Art. 81 Abs. 1 EG verboten sein.941 Durch aufwändige Neuentwicklungen oder -organisationen werden sich die 714 Preise für den Verbraucher allerdings vielfach erhöhen. Der Gemeinsame Markt, auf den der freie Wettbewerb schon vom Wortlaut des Art. 81 EG bezogen ist und der daher die Wettbewerbsfreiheit prägt,942 zielt indes gem. Art. 2 EG auch auf ein umweltverträgliches Wachstum sowie die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität. Er ist insoweit weniger preis-, sondern in erster Linie standardbezogen. Auch die preistreibende Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit zur Hebung oder Sicherung von Standards einschließlich der Umweltqualität ist deshalb bereits nicht tatbestandsmäßig i.S.d. Wettbewerbsregeln.943 Werden Koordinierungen für verbesserte Entwicklungen von Unternehmen ein- 715 gegangen, die bereits einen Markt „besetzt“ haben, erfolgen Wettbewerbsbe938 939 940 941
942 943
Für die Entstehung des Entsorgungsmarktes durch die VerpackV Bock, EuZW 1994, 47 (50); s. auch Kiehne, in: BDI, Kartellrecht und Umweltschutz, 1995, S. 33 (37). Zur auslegungsprägenden Bedeutung EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244, Rn. 23) – Continental Can. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission; Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I; näher o. Rn. 15 ff. Grundlegend bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm; später z.B. Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 56 ff.) – Nungesser; Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2571, Rn. 19) – Remia (für Verstärkung des Wettbewerbs); s.o. Rn. 73; aus der Lit. Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 83 und insbes. Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31 (52 ff.), der auch zivilrechtlich oder wirtschaftlich „notwendige“ wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden einbeziehen will, also solche, die einen Leistungsaustausch sichern, der ansonsten unterbliebe (S. 56 f.). S.o. Rn. 711; näher u. Rn. 851 ff. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 43.
266
Kapitel 3 Kartellverbot
einträchtigungen zur Marktsicherung, nicht dagegen zur Neuerschließung. Aus diesem Grund wird ein Ausschluss vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG abgelehnt.944 Indes wird durch eine solche Zusammenarbeit Wettbewerb gesichert. Dies erfolgt, um Neuerungen durchzusetzen, die ansonsten auf dem Markt wegen zu hoher Kosten für Einzelunternehmen keine Chance hätten. Da sich auch in diesem Fall die Kosten durch die Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen minimieren, werden die Startnachteile von Produkten höherer Qualität, die deren Wettbewerbsfähigkeit wegen ihrer Neuerungen entgegenstehen, zum Nutzen des Verbrauchers ausgeglichen. Somit dienen auch solche Absprachen zur Sicherung von Absatzmärkten der Gewährleistung eines wirksamen, unverfälschten, redlichen Wettbewerbs und damit dem Zweck de Wettbewerbsregeln. II.
Grenzen
716 Etwas anderes gilt allerdings für den Fall, dass durch Koordinierungen Bestehendes aufrecht erhalten werden soll und zu diesem Zwecke Wettbewerbsbeeinträchtigungen in Kauf genommen werden, so bei Quotenabsprachen, auch wenn diese eine Selbstverpflichtung begleitenden staatlichen Vorgaben wie nach § 9 Abs. 2 VerpackV entsprechen.945 Besteht keine solche gesetzliche Festschreibung von Quoten, könnte die freiwillige Verpflichtung von Unternehmen, eine bestimmte Quote einzuhalten, deshalb wettbewerbssichernd sein, weil sie eine gänzliche Ausschaltung des Wettbewerbs durch staatliche Normierung verhinderte. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, wenn die Unternehmen von sich aus den Wettbewerb für einen bestehenden Markt ausschalteten und deshalb kein Mehr, sondern von sich aus ein Weniger an Wettbewerb hervorriefen, das den Einbußen durch eine staatliche Normierung entspricht. Koordinierungen sind nur insoweit vom Kartellverbot ausgenommen, als sie 717 dessen Zielrichtung entsprechen. Lediglich in diesem Umfang kann eine teleologische Reduktion des Kartelltatbestandes greifen. So ist etwa eine Exklusivlizenz für die Erfinder einer technischen Entwicklung, welche andere Anbieter vom Markt ausschließt, nur so lange zulässig, bis eine adäquate Verwertung erfolgt ist. Das ist dann zu bejahen, wenn die Entwicklungskosten amortisiert sind. Ein zeitlicher Anhalt ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 lit. e) und g) VO (EG) Nr. 2659/2000946, der Kunden- und Vertriebsbeschränkungen auf sieben Jahre begrenzt. Wenn dies schon für Freistellungen von Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen gilt, ist diese Grenze erst recht bei einer Herausnahme schon aus dem Kartelltatbestand zu wahren. Entsprechendes muss für die inhaltliche Reichweite beachtet werden. Sie ist 718 strikt auf die Entwicklung und ggf. Herstellung neuer bzw. besserer Produkte be944 945 946
V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 134. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 43 sowie vorstehend Rn. 693 ff. ABl. 2000 L 304, S. 7.
§ 10 Rule of Reason?
267
grenzt und darf nicht noch andere Felder ergreifen.947 Von der Art her sind nur solche Abreden zulässig, die für den Schutz der technischen Entwicklung notwendig sind. Der EuGH hat das Verbot von Parallelimporten als tatbestandsmäßig i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG angesehen;948 ein absoluter Gebietsschutz ist danach allenfalls nach Art. 81 Abs. 3 EG rechtfertigungsfähig.949 Allerdings hat der Gerichtshof ausschließliche Vorführlizenzen bei Filmen schon als nicht geeignet angesehen, den Wettbewerb zu verfälschen, und fasste die Vorbehaltung eines entsprechenden Exklusivrechts aus Gründen des Urheberschutzes schon nicht unter den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG. Dies gilt aber nur für das Exklusivrecht an sich, nicht dessen Ausübung. Sie darf nicht in Verbindung mit wirtschaftlichen oder rechtlichen Begleitumständen dazu führen, dass die Nutzung eines bestimmten Erzeugnisses blockiert wird, und sei es auch nur in einer Region, und dadurch der Wettbewerb verfälscht wird.950 Absprachen, die Innovationen vorantreiben, bringen die beteiligten Unterneh- 719 men in näheren Kontakt. Mit solchen Koordinierungen können daher leicht weitere Verhaltensweisen einhergehen oder sich an sie anschließen, die den unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln widersprechen. So können kooperierende Unternehmen eine dadurch gewonnene marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen, Vorzugsbehandlungen durchsetzen oder die ausländische Konkurrenz ausschließen. Solche Maßnahmen können allenfalls insoweit als wettbewerbseröffnende Maßnahmen zulässig sein, als sie mit diesen zwangsläufig verbunden sind. So mag die Ausklammerung von Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten notwendig sein, um die Wirtschaftskraft der Unternehmen aus einem Land im Hinblick auf eine bestimmte Entwicklung nicht zu verwässern. Nicht notwendig wird hingegen regelmäßig die Durchsetzung von Vorzugsbehandlungen oder die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung über die Entwicklungs- und Aufbauzusammenarbeit hinaus sein.
§ 10
Rule of Reason?
Die Rechtmäßigkeit von den Wettbewerb beeinflussenden Verhaltensweisen wird 720 zum Teil auch im Rahmen der EG-Wettbewerbsregeln mit der Rule of Reason begründet,951 die dabei meist als tatbestandsausschließendes Element fungiert.952 Sie 947 948 949 950 951
Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2659/2000. EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2070, Rn. 60 ff.) – Nungesser. Im konkreten Fall verneint, EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2073 f., Rn. 76 f.) – Nungesser im Hinblick auf von vielen Landwirten verwendetes Saatgut. EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3401 f., Rn. 15 ff.) – Coditel II. Insbes. Joliet, The Rule of Reason in Antitrust Law, 1967, S. 183 ff.; auch etwa Forrester/Norall, CMLR 1984, 11 (32 ff.); Reinhart, Vertikale Verträge im Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1987, S. 28 f.; s. dazu umfassend Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997; abl. van der Esch, WuW 1988, 563 (569); Faull, ECLR 1984, 358 ff.; Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31 (49); Gayk, Restriktionen des Tatbestandes des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, 1991, S. 175 f.; Müller-
268
Kapitel 3 Kartellverbot
verlangt eine Berücksichtigung aller für den konkreten Fall maßgeblichen, für den betroffenen Markt charakteristischen Umstände; nur danach unvernünftige Verhaltensweisen verstoßen gegen die Wettbewerbsfreiheit.953 Für den Umweltschutz fruchtbar gemacht werden könnte diese Regel, indem man sie von ihrem wirtschaftlichen Ursprung löst, in den sie in ihrem Herkunftsbereich, dem angloamerikanischen Rechtskreis, eingebettet ist, und entsprechend der Vorgabe des Art. 2 EG auch auf den Umweltschutz bezieht.954 Damit würde die Rule of Reason rechtlich fixiert und von der stark wertungsabhängigen Beurteilung der wirtschaftlichen Vernünftigkeit abgekoppelt.955 Der EuGH hat sich bislang trotz Gelegenheit dazu956 nicht auf die Rule of Rea721 son gestützt.957 Als Ausprägung der Rule of Reason werden allerdings Entscheidungen958 gedeutet, nach denen solche Verhaltensweisen keine Verstöße gegen Art. 81 Abs. 1 EG sind, die sich als gesamtwirtschaftlich günstig erweisen, indem sie etwa einer Markterschließung dienen oder den Absatz einer Überschussproduktion ermöglichen.959 Im Urteil Delimitis berücksichtigte der EuGH den wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang und sah die Beeinflussung der Möglichkeiten des Marktzugangs noch nicht als ausreichend an, um die Feststellung einer Abschottung eines relevanten Marktes zu rechtfertigen. Das Bestehen eines Bündels gleichartiger Verträge stelle „im Hinblick auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumstände, in deren Zusammenhang ein Vertrag bei seiner Beurteilung betrachtet werden muss, nur einen unter mehreren Faktoren dar“.960
952
953 954 955
956 957 958
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Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 84; Schröter, FCLI 1987, 645 ff. Gegen eine Qualifizierung als Rechtfertigungsgrund Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 113. Steindorff, CMLR 1984, 639 (642 ff.) befürwortet allerdings eine Heranziehung im Rahmen von Abs. 3 des Kartellverbots; s. auch Kon, CMLR 1982, 541 (555). S.o. Rn. 67 ff. S. etwa Ulmer, RIW 1985, 517 (519 f.). S. auch Weltrich, Franchising im EG-Kartellrecht, 1992, S. 157 ff.; Bock, EuZW 1994, 47 (49). Abl. Dieckmann, in: BDI, Kartellrecht und Umweltschutz, 1995, S. 55 (56). Vor diesem Hintergrund wurde vorgeschlagen, die Rule of Reason unter Art. 81 Abs. 3 EG zu fassen, damit die Kommission und nicht die nationalen Richter bzw. der EuGH entscheiden, Steindorff, CMLR 1984, 639 (642 ff.); zu diesem Aspekt auch Kon, CMRL 1982, 541 (555). In EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (366) – Consten Grundig hatten sich die Klägerinnen und die Bundesregierung auf die Rule of Reason berufen. Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31 (49); bereits Korah, ELR 1981, 14 (36); s. vielmehr abl. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (390) – Consten Grundig. Insbes. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm; Rs. 19 u. 20/74, Slg. 1975, 499 (521, Rn. 14) – Kali und Salz; Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2068 f., Rn. 54 ff.) – Nungesser; Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3401 f., Rn. 15 ff.) – Coditel II; Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (985 f., Rn. 20 ff.) – Delimitis. Väth, Die Wettbewerbskonzeption des Europäischen Gerichtshofs, 1987, S. 73, 256, 267; a.A. z.B. Everling, WuW 1990, 995 (1003); van der Esch, WuW 1988, 563 (569 ff.). EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (985, Rn. 20) – Delimitis; auch schon EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (555 f., 3. Leitsatz) – Haecht.
§ 10 Rule of Reason?
269
Daran zeigt sich, dass der EuGH die wirtschaftlichen und die rechtlichen Be- 722 gleitumstände zusammen untersucht. Das entspricht der rechtlichen Fixierung der Wettbewerbsfreiheit auf den Gemeinsamen Markt. Deshalb kann die in ihrem Ursprung rein ökonomisch-effizienzbezogene Rule of Reason961 als Kosten-NutzenBilanz auch gar nicht ohne Systembruch in die Wettbewerbsregeln inkorporiert werden.962 Eine solche Vorgehensweise widerspräche zudem der gleichheits- und freiheitssichernden Konzeption der EG-Wettbewerbsregeln,963 die eine rein ökonomische Betrachtungsweise verbietet. Deshalb stellt sich höchstens die Frage einer von dieser für den EG zu engen 723 Betrachtungsweise losgelösten Rule of Reason. So erklärte der EuGH im Ansatz Wettbewerbsbeschränkungen für zulässig, wenn „die Erfordernisse der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs mit der Wahrung andersartiger Ziele in Einklang gebracht werden können und … zu diesem Zweck bestimmte Beschränkungen des Wettbewerbs … für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich sind und nicht zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes führen“.964 Das klingt aber eher nach einer Prüfung nach Art. 81 Abs. 3 EG. Zudem bestand das andersartige Ziel in der Aufrechterhaltung eines bestimmten Preisniveaus, wies also nicht über die Wettbewerbsregeln hinaus. Die Wettbewerbsbezogenheit betonte der EuGH später in der Entscheidung AEG eindeutig.965 Dass der EuGH die Umstände des Marktes untersucht und die Frage der Beur- 724 teilung von Wettbewerbsverzerrungen in den wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang einbettet, folgt bereits aus Art. 81 Abs. 1 EG selbst,966 der auf den Gemeinsamen Markt bezogen ist. Daher bedarf es der Betrachtung des Marktes und damit der jeweiligen Situation, in dem eine Wettbewerbsverfälschung auftritt. Genau dies untersucht die Rechtsprechung gerade in jüngeren Entscheidungen.967 Wettbewerbsverzerrungen sind wie die ihr vorausliegende Wettbewerbsfähigkeit abhängig von der jeweiligen Situation.968 Wird diese damit eingebettet in die Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 1 EG untersucht, ist eine Rule of Reason überflüssig.969 961
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Schon aufgrund dieses Ursprungs ist ohne eine gänzliche Deformierung die Rule of Reason nicht für den Umweltschutz fruchtbar zu machen, Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 115; Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 50. Etwa Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 92. S. Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 84. Allgemein zu dieser Konzeption Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 608. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f., Rn. 21) – Metro I. EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3194 f., Rn. 34 f.) – AEG; näher die Analyse durch v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 137. Bereits EuGH, Rs. 23/67, Slg. 1967, 543 (555 f.) – Haecht. Z.B. EuG, Rs. T-9/93, Slg. 1995, II-1611 (1643, Rn. 76 f.) – Schöller; näher dazu o. Rn. 604 ff. Auf die Wettbewerbsfähigkeit bezogen Schwintowski, RabelsZ 58 (1994), 232 (261). Ausführlicher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 50.
Kapitel 4 Freistellungen
§ 1 System A.
Unmittelbare Anwendung der Freistellungstatbestände
I.
Legalausnahme
1.
Entfallen einer Anmeldung und vorherigen Entscheidung
Art. 81 Abs. 3 EG ermöglicht, das Kartellverbot unter näher bezeichneten Bedin- 725 gungen auf eigentlich vom Kartelltatbestand erfasste Verhaltensweisen nicht anzuwenden. Damit handelt es sich jedenfalls um eine Ausnahme von der Regel, dass (gewollt oder tatsächlich) wettbewerbsbeschränkende, zumindest potenziell den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigende koordinierte Verhaltensweisen verboten sind. Diese Ausnahme ist allerdings nach Art. 81 Abs. 2 EG platziert, der die Nichtigkeit der „nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse“ anordnet. Durch diesen Bezug auf den gesamten Art. 81 EG setzt aber bereits diese Rechtsfolgenanordnung voraus, dass die fragliche Verhaltensweise gegen das Kartellverbot insgesamt verstößt und damit auch keine Ausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EG vorliegt. Die Freistellung ist also vor Bejahung der Nichtigkeitsfolge zu prüfen. Aus- 726 drücklich wird dies nunmehr in Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/20031 geregelt, wonach Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG, die nicht die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, verboten sind. Darüber soll es keiner Entscheidung bedürfen. Damit ist durch Verordnung das System einer Legalausnahme angeordnet. Demgegenüber war vorher nach der VO Nr. 172 außer im Rahmen von Grup- 727 penfreistellungen und besonders bezeichneten Verhaltensweisen eine Einzelanmeldung sowie eine explizite Freistellungserklärung, jedenfalls aber ein Negativ-
1 2
Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. VO Nr. 17 des Rates – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABl. Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1216/1999, ABl. 1999 L 148, S. 5, abgelöst durch VO (EG) Nr. 01/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1 mit Wirkung seit 1.5.2004.
272
Kapitel 4 Freistellungen
attest und damit eine behördliche Entscheidung notwendig,3 wobei die Praxis immer mehr auf Verwaltungsschreiben, sog. comfort letters, zurückgriff4 und förmliche Freistellungsentscheidungen nur bei rechtlich, wirtschaftlich oder politisch bedeutsamen Fällen erließ.5 Diese Anforderungen sind nunmehr entfallen. Die Freistellungstatbestände des Art. 81 Abs. 3 EG greifen daher unmittelbar ein.6 Insoweit wird die Rechtsprechung des EuGH erweitert, welche die unmittelbare Wirkung des Kartellverbots bislang auf Art. 81 Abs. 1 EG beschränkte.7 2.
Notwendige Selbsteinschätzung von Unternehmen
728 Besteht eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG, ist das Kartellverbot mithin nicht erfüllt, die entsprechende Verhaltensweise nicht verboten, ohne dass der an ihr Beteiligte etwas unternehmen müsste. Sein Verhalten ist vielmehr legal, auch wenn eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise vorliegt, sofern einer der Freistellungstatbestände des Art. 81 Abs. 3 EG objektiv vorliegt. Freilich muss er selbst beurteilen, ob sein Verhalten den Kartelltatbestand erfüllt und wenn ja, ob es gleichwohl nicht verboten ist. Schon für den ersten Punkt können erhebliche Schwierigkeiten auftreten, wenn eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht bezweckt ist. Denn für die Bewirkung müssen die Auswirkungen auf dem Markt insgesamt und damit auch die Stellung der verschiedenen Unternehmen, die Beibehaltung und der Ausbau von Marktmacht einbezogen werden.8 Kann somit schon die Beurteilung der Grundlage unsicher sein, ob der Kartell729 tatbestand verletzt wird, gilt das erst recht für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen. Insoweit bedarf es einer zahlreiche Faktoren einbeziehenden, umfassenden Abwägung der Vor- und Nachteile, wobei absolute Grenzen zu beachten sind. Die Vorteile in Form der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts sind näher zu beziffern, ebenso die Gewinnbeteiligung der Verbraucher, was mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann. Vor allem aber ist die Einbeziehung der Marktstruktur infolge der notwendig ganzheitlichen Betrachtung eine große Herausforderung. Sie ist notwendig für die Beurteilung, ob die Einschränkungen 3 4
5
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S. zu diesem Systemwechsel o. Rn. 132. Zu deren Rechtsnatur und der begrenzten Bindungswirkung lediglich der Kommission bei keiner oder nur unwesentlicher Änderung der Sach- oder Rechtslage EuGH, Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 (2499, Rn. 9 f.) – Estée Lauder; Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 (2373 f., Rn. 12) – Giry und Guerlain; Rs. 99/79, Slg. 1980, 2511 (2533, Rn. 10 f.) – Lancôme; EuG, Rs. T-9/93, Slg. 1995, II-1611 (1653 ff., Rn. 110 ff.) – Schöller; Ehricke, ZHR 158 (1994), 170 ff. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 85 und 86 des EWG-Vertrags, ABl. 1993 C 39, S. 6 (Rn. 14). Dies wurde vorher verneint, Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 52; Sauter, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 3 A. Rn. 2. EuGH, Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 (2500, Rn. 13) – Estée Lauder. Allgemein o. Rn. 604 ff.; in diesem Kontext Schwintowski/Klaue, WuW 2005, 370 (371 f.).
§ 1 System
273
unerlässlich sind und den Wettbewerb nicht für einen wesentlichen Teil der betroffenen Waren ausschalten.9 Die Unternehmen können höchstens die Kommission ersuchen, ein Beratungs- 730 schreiben an sie zu richten. Darauf besteht aber nur Aussicht, wenn die Rechtslage nicht anhand des Rechtsrahmens einschließlich der feststehenden Rechtsprechung durch die Gemeinschaftsgerichte oder allgemein verfügbarer Orientierungshilfen wie Leitlinien und Kommissionsentscheidungen geklärt ist. Die Unternehmen müssen in ihrem Ersuchen dann die Aspekte angeben, die den Sachverhalt ausmachen und neuartige Fragen aufwerfen. Die Kommission gibt eine Beratung am ehesten dann, wenn die Verhaltensweise hohe Bedeutung oder ein großes Ausmaß hat und keine weitere Tatsachenaufklärung notwendig ist. Die Sache darf nicht den Gegenstand eines Verfahrens bilden oder in ähnlicher Weise schon in der Rechtsprechung behandelt worden sein. Hypothetische Fragen werden nicht beantwortet, wohl aber vor der Umsetzung einer fest geplanten Maßnahme gestellte. Ergeht ein Beratungsschreiben, bindet dieses nicht, sondern ist in einem Verfahren nur zu berücksichtigen; es soll den Unternehmen in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe geben.10 Die Unternehmen sind damit zur Selbsteinschätzung verpflichtet und dürfen die 731 kartellrechtliche Beurteilung nicht unterlassen. Ansonsten verletzt die Geschäftsleitung ihre gesellschaftsrechtlichen Pflichten, ebenso wenn sie trotz kartellrechtlich negativer Selbsteinschätzung eine Maßnahme gleichwohl trifft. Sie kann sich dabei aber auf sachverständige Dritte stützen.11 Wird eine Selbsteinschätzung im eigenen Haus oder durch Dritte durchgeführt, bleibt das Risiko der Kartellrechtskonformität gleichwohl im Unternehmen. Dieses erlangt erst mit einer Entscheidung der Kommission oder einer nationalen Wettbewerbsbehörde bzw. später eines Gerichts abschließende Sicherheit und dies ggf. erst nach Jahren oder gar nicht, wenn kein Kartellaufsichtsverfahren eingeleitet wird. Ein solcher Schwebezustand ist umso gravierender, als die Unternehmen fortlaufend überwachen müssen, ob die Voraussetzungen für eine etwaige Freistellung vorliegen. Diese können auch entfallen, so wenn die prognostizierten Vorteile nicht eintreten. Ab dann ist eine Koordinierung unzulässig und hat zu unterbleiben, die entsprechenden Verträge sind gem. Art. 81 Abs. 2 EG nichtig und das Unternehmen ist schadensersatzpflichtig.12 Die Probleme der Rechtsanwendung wurden damit weitgehend von der Kom- 732 mission in die Unternehmen hineinverlagert, ohne dass diese dieselben Ermittlungsbefugnisse haben. Die Unternehmen werden zwar von Anmeldeerfordernissen befreit, tragen aber ein erhebliches Risiko. Der bisherige dogmatische Streit, ob Art. 81 Abs. 3 EG statt einer Legalausnahme einen Ausnahme- bzw. Genehmi-
9 10
11 12
Näher Schwintowski/Klaue, WuW 2005, 370 (374 ff.). Im Einzelnen Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (insbes. Rn. 8 ff., 22 ff.). Dies anratend Schwintowski/Klaue, WuW 2005, 370 (377 f.). Dazu u. Rn. 1085 ff.
274
Kapitel 4 Freistellungen
gungsvorbehalt bildet,13 ist für die Praxis hinfällig geworden, es sei denn, die Konzeption der VO (EG) Nr. 1/2003 ist gemeinschaftsrechtswidrig. II.
Vereinbarkeit mit dem System des Kartellverbots
1.
Wortlaut
733 Vielfach wird die unmittelbare Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG nach der VO (EG) Nr. 1/2003 für gemeinschaftsrechtswidrig gehalten.14 Zwar legt der Wortsinn „für nicht anwendbar erklärt werden“ nahe, dass eine Ausnahme erst positiv festgestellt werden muss, mithin nicht automatisch eingreift. Dass das Kartellverbot für nicht anwendbar erklärt wird, kann aber durch die Kommission im Rahmen ihrer Gesamtprüfung erfolgen und damit einheitlich mit der Feststellung des Verbotstatbestandes. Eine eigene Entscheidung über das Bestehen einer Ausnahme vom Kartellverbot ist nicht explizit vorgesehen und daher auch nicht in jedem Fall erforderlich. Insoweit unterscheidet sich Art. 81 Abs. 3 EG auch von Art. 65 § 2 EGKS15, wonach eine behördliche Genehmigung für Abweichungen vom Kartellverbot explizit normiert war und erst nach bestimmten zu treffenden Feststellungen ergehen konnte. Dass in Art. 83 Abs. 2 lit. a) und b) EG zwischen Art. 81 Abs. 1 sowie Abs. 2 734 EG einerseits und Art. 81 Abs. 3 EG andererseits unterschieden wird, ändert nichts an dem Bezug beider Vorschriften zu der Ermächtigung des Art. 83 Abs. 1 EG. Auf deren Grundlage darf freilich der Rechtsgehalt des Kartellverbots in allen seinen Ausprägungen nicht verschoben werden. Jedoch legt Art. 83 Abs. 2 lit. b) EG als spezifische Zielrichtung entsprechender Rechtsbestimmungen das Erfordernis einer wirksamen Überwachung bei möglichst einfacher Verwaltungskontrolle fest. Genau dies suchte die Kommission mit der VO (EG) Nr. 1/2003 zu erreichen, indem nur noch die gravierendsten Fälle von ihr behandelt und dadurch die Schlagkraft für eine wirksame Kontrolle gesichert werden sollen.16 13
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15
16
S. bereits den Bericht im Namen des Binnenmarktausschusses zu der Konsultation des Europäischen Parlaments durch den Rat der Europäischen Gemeinschaft betreffend eine erste Durchführungsverordnung zu Art. 85 und 86 EWGV, Dok. 104/1960-61, Europäisches Parlament, Sitzungsdok., 7.12.1961 (sog. Deringer-Bericht) im Sinne eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Weitere Nachw. bei Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 52. Z.B. Deringer, EuZW 2000, 5 ff.; Fikentscher, WuW 2001, 446 ff.; Möschel, JZ 2000, 61 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 10 ff. m.w.N. in Fn. 31; befürwortend hingegen Schaub/Doms, WuW 1999, 1055 ff. und nach umfassender Analyse Schöler, Die Reform des Europäischen Kartellverfahrensrechts durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003, 2004, S. 191; auch Ehlermann, CMLR 2000, 537 ff.; Geiger, EuZW 2000, 165 ff. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. II 1952 S. 447, in Kraft getreten am 23.7.1952, ausgelaufen am 23.7.2002. Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1999 C 132, S. 1 (Rn. 42, 45, 50).
§ 1 System
275
Durch das Entfallen einer Anmeldepflicht ist eine Verwaltungskontrolle zwar nicht mehr durchgehend gewährleistet, aber infolge umfassender Ermittlungsbefugnisse nach Art. 17 ff. VO (EG) Nr. 1/2003 jederzeit effektiv möglich. Damit ist weiterhin eine Verwaltungskontrolle vorgesehen.17 Infolge der fortbestehenden Überwachungsaufgabe und -befugnisse der Wettbewerbsbehörden kann und muss diese Kontrolle permanent und ein Eingreifen möglichst zeitnah erfolgen, damit sich Schwierigkeiten aus einer jahrelangen Hinnahme einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise und einer rückwirkenden Anwendung18 in Grenzen halten. Dass die Überwachung umfassend sein muss, ist in Art. 83 Abs. 2 lit. b) EG nicht vorgegeben. Entscheidend ist ihre Effektivität, damit die Wettbewerbsregeln ihre volle Wirksamkeit entfalten können. Deshalb geht es vielmehr um die Abgrenzung, nach welchen Kriterien die Wettbewerbskontrolle eingreifen muss und welche Felder unter Umständen für ein wirksameres Arbeiten in den übrigen Bereichen außer Acht gelassen werden können. So ist es viel problematischer, dass nur noch bestimmte Verhaltensweisen eine Wettbewerbsverfälschung sollen bezwecken können.19 Denn damit drohen ganze Gruppen von ohne wettbewerbsverfälschenden Effekt gebliebenen Verhaltensweisen ausgeklammert zu werden, obwohl vom Ansatz her alle Verhaltensweisen dem Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG unterfallen. Ebenso wenig wie eine Verordnung Rechte nehmen kann,20 vermag sie welche entgegen primärrechtlichen Vorgaben zu verleihen.21 Indes ist Art. 81 Abs. 3 EG integraler Bestandteil einer vom Ansatz her unmittelbar wirksamen Bestimmung, indem er für bestimmte Fälle die Freistellung von einem Verbot eröffnet. Damit schränkt er lediglich einen bestimmten Verbotstatbestand ein, ohne dessen unmittelbare Wirkung anzutasten. Das gilt auch dann, wenn die Freistellung unmittelbar eingreift, ohne stets von der Kommission erst positiv bestätigt werden zu müssen. Es wird dann lediglich der Mechanismus verändert, mit dem die Freistellung zur Geltung kommt. Weil sich nunmehr Unternehmen direkt auf Art. 81 Abs. 3 EG berufen können, entsteht zwar eine zusätzliche unmittelbare Wirkungsweise. Jedoch ist auch diese immer noch angebunden an das Kartellverbot selbst, dessen unmittelbare Wirkung fest anerkannt ist. Verbotstatbestand und Freistellung sind nicht nur nach Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003, sondern auch im Rahmen des Art. 81 EG insoweit als Einheit zu sehen. Eine Nichtigkeit kann nur bestehen, wenn der Verbotstatbestand eingreift und keine Freistellung besteht; Art. 81 Abs. 2 EG setzt also auch eine vorherige Prüfung von Art. 81 Abs. 3 EG voraus.
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Anders Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 11 a.E. Darauf insbes. im Hinblick auf daraus folgende Beurteilungsschwierigkeiten verweisend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 18. S.o. Rn. 595 ff. EuGH, Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 (2500, Rn. 13) – Estée Lauder. Daher eine unmittelbare Wirkung abl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 12.
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Kapitel 4 Freistellungen
2.
Hinreichende Bestimmtheit
739 Zudem hatten bereits bislang die betroffenen Unternehmen einen Anspruch darauf, beim Eingreifen der Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot freigestellt zu werden. Es handelt sich um einen im Einzelnen vorgezeichneten, durch zahlreiche Gerichtsentscheidungen fest konturierten Tatbestand. In diesem Maße ist das Kartellverbot voll justiziabel, seine Handhabung vorhersehbar.22 Das gilt auch bei einer Handhabung durch nationale Gerichte und Wettbewerbsbehörden.23 Gruppenfreistellungen erfolgten ohnehin bereits bislang gem. Art. 249 Abs. 2 EG auf der Basis unmittelbar eingreifender Verordnungen,24 obgleich in Art. 81 Abs. 3 EG die Möglichkeit der Freistellung von Gruppen neben der Nichtanwendbarerklärung auf einzelne Verhaltensweisen benannt wird. Durch die Bejahung einer unmittelbaren Wirkung von Art. 81 Abs. 3 EG werden nur beide Wege gleichgestellt. Für den Weg der Einzelfreistellungen sieht diese Wirkung nunmehr auch eine Verordnung vor, obgleich diese allgemein das Kartellverfahren und nicht spezifisch benannte Verhaltensweisen betrifft. Dass im Rahmen der Freistellung Spielräume der Kommission bestehen, ist 740 auch im Rahmen anderer Vorschriften nichts Ungewöhnliches. Nur müssen diese Spielräume gemeinschaftsrechtskonform ausgefüllt werden. Dies hat der EuGH zu überprüfen. So können Gründe der öffentlichen Ordnung nach Art. 39 Abs. 3 EG zwar von den Mitgliedstaaten festgelegt werden, müssen sich aber in dem gemeinschaftsrechtlich festgelegten Rahmen bewegen.25 Daher steht auch die Eröffnung eines begrenzten Beurteilungsspielraumes in Art. 81 Abs. 3 EG einer unmittelbaren Geltung nicht entgegen.26 Wie sehr die Freistellungstatbestände nach Art. 81 Abs. 3 EG konkretisiert sind, zeigen die folgenden Ausführungen.27 Daher ist auch das Argument der Unsicherheit weggefallen,28 das bislang für eine notwendige Entscheidung der Kommission angeführt wurde.29 Zudem führt die unmittelbare Wirkung von Art. 81 Abs. 3 EG dazu, dass seine Anwendung direkt durch die Un22
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27 28 29
Darauf zu Recht verweisend Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1999 C 132, S. 1 (Rn. 70 f.). Näher Schöler, Die Reform des Europäischen Kartellverfahrensrechts durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003, 2004, S. 113 ff. Schon EuGH, Rs. 63/75, Slg. 1976, 111 (118, Rn. 10/11) – Fonderies Roubaix. EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 (1350, Rn. 18/19) – van Duyn; Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 (2013, Rn. 33/35) – Bouchereau. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 1637 m.w.N. Kommission, Vorschlag für eine VO des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der VO (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 („Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag“), KOM (2000) 582 endg., S. 6. S.u. Rn. 876 ff. Ausführlich Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1999 C 132, S. 1 (Rn. 42 ff.). S. bereits den Deringer-Bericht: Bericht im Namen des Binnenmarktausschusses zu der Konsultation des Europäischen Parlaments durch den Rat der Europäischen Gemeinschaft betreffend eine erste Durchführungsverordnung zu Art. 85 und 86 EWGV, Dok. 104/1960-61, Europäisches Parlament, Sitzungsdok., 7.12.1961.
§ 1 System
277
ternehmen erfolgt, also bloße Rechtsmaßstäbe gelten müssen, da den Normadressaten schwerlich ein eigenständiges, gerichtsfestes Entscheidungsermessen zugestanden werden kann.30 Somit hatte ein darüber hinausgehender Entscheidungsspielraum der Kommission nur im bisherigen Anmeldesystem seine Berechtigung, würde hingegen nunmehr zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen.31 Davon unberührt bleibt freilich die Notwendigkeit, auch Unternehmen Unsicherheiten in der Beurteilung komplexer Sachverhalte und künftiger Entwicklungen zuzubilligen.32 III.
Leitlinien
Den ihr zustehenden Entscheidungsspielraum füllt die Kommission vielfach durch 741 Leitlinien aus. Diese können sich sowohl auf Gruppenfreistellungen als auch auf Einzelfreistellungen beziehen. Im ersten Fall konkretisieren sie die jeweils einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnungen. Im zweiten Fall benennen sie solche Grundsätze und Kriterien, nach denen die Kommission über Einzelfreistellungen entscheidet und machen damit vorhersehbar, wie die Kommission ihren Entscheidungsspielraum ausnutzt. Die beiden Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit33 und für vertikale Beschränkungen34 sind entsprechende Beispiele.35 Es handelt sich dabei um Rechtsakte sui generis außerhalb des Kanons von Art. 249 EG.36 Daher haben sie auch nicht an der allgemeinen primärrechtlichen Beachtenspflicht des Art. 10 EG teil.37 Werden damit die Mitgliedstaaten nicht unmittelbar gebunden, so legt sich doch 742 die Kommission für ihre Entscheidungspraxis fest und bindet ihr Ermessen, da sie schon aus Vertrauensschutz-38 und Gleichheitsgründen39 in parallelen Fällen nicht
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31 32 33 34 35 36 37 38
39
Jaeger, WuW 2000, 1062 (1073 f.); ders., in: FIW (Hrsg.), Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik, 2004, S. 35 (53 f.); Röhling, GRUR 2003, 1019 (1020 f.); a.A. Dreher/Thomas, WuW 2004, 8 (16 f.); s. auch Bechtold, WuW 2003, 343. Näher Fuchs, ZWeR 2005, 1 (17 ff.). S.u. Rn. 869 ff. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1. Dazu umfassend Pampel, Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht, 2005, passim. Im Einzelnen Pampel, Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht, 2005, S. 83 ff. Näher Pampel, EuZW 2005, 11 (12 f.) gegen Geiger, EuZW 2000, 325 ff.; Bahr/Loest, EWS 2002, 263 (271); Schweda, WuW 2004, 1133 (1140). S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2026, Rn. 555) – Suiker Unie; Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 17. Darauf verweisend EuG, Rs. T-214/95, Slg. 1998, II-717 (750, Rn. 89) – Vlaams Gewest für Leitlinien für das Beihilfenverbot.
278
Kapitel 4 Freistellungen
mehr anders entscheiden darf.40 Jedenfalls insoweit, als die Kommission in bestimmten Einzelfällen und damit in ihren Entscheidungen auf die Leitlinien zurückgegriffen hat, nehmen diese an der Bindungswirkung teil, die Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 für nationale Behörden und Gerichte im Sinne eines Verbotes, von Entscheidungen der Kommission abzuweichen, festschreibt. Nationale Gerichte müssen sogar laufende Verfahren abwarten und damit etwaige inhaltliche Festlegungen einbeziehen, um ein Verfahren ggf. auszusetzen. Mit zunehmender Entscheidungspraxis bzw. Anhängigkeit von Verfahren wird 743 daher der Inhalt der Leitlinien nach und nach faktisch doch verbindlich. Das korrespondiert mit dem System der VO (EG) Nr. 1/2003, das eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Kommission und nationalen Instanzen vorsieht, wenngleich darin keine inhaltliche Anweisungsbefugnis der Kommission vorgesehen ist, über welche diese ihre Leitlinien direkt verbindlich machen könnte.
B.
Gruppenfreistellungen
I.
Eigenständige Bedeutung im Rahmen des Kartellverbots
1.
Fortbestehende Verordnungsermächtigung und -funktion
744 Die Freistellung bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen wird durch verschiedene Gruppenfreistellungsverordnungen losgelöst von Einzelfällen und damit übergreifend geordnet. Vorgesehen ist dieser Weg gleichberechtigt neben dem der Einzelfreistellung. Art. 81 Abs. 3 EG sieht die Nichtanwendbarerklärung für Vereinbarungen, Beschlüsse bzw. aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen davon vor. Darin ist aber keine Rechtsgrundlage für den Erlass entsprechender Verordnungen enthalten. Zudem kann Art. 81 Abs. 3 EG allein auch so verstanden werden, dass im Einzelfall bestimmte Gruppen von Verhaltensweisen, die etwa auf dasselbe Unternehmen zutreffen, vom Kartellverbot freigestellt werden können. Die unternehmensübergreifende Freistellung erfordert hingegen generelle, vor745 hersehbare, verbindliche Kriterien. Solche können mit allgemeiner, unmittelbarer Bindungswirkung in einer Rechtsverordnung festgelegt werden. Grundlage dafür bildet Art. 83 EG, welcher die Ausgestaltung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln durch zweckdienliches Sekundärrecht vorsieht.41 Dabei sind dann dem grundsätzlichen Procedere entsprechend auch Rat und Europäisches Parlament einbezogen. Allerdings wurde regelmäßig die Kommission ermächtigt, die Einzelheiten von Gruppenfreistellungen zu regeln, wobei der hierfür zur Verfügung stehende Rahmen in Anlehnung an Art. 81 Abs. 3 EG näher bestimmt wurde.42 40 41 42
EuG, Rs. T-7/89, Slg. 1991, II-1711 (1739, Rn. 53) – Hercules Chemicals; Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1515, Rn. 242) – Philips; Pampel, EuZW 2005, 11 (12). S.o. Rn. 734. Näher u. Rn. 767 ff.
§ 1 System
279
Bezogen auf die Freistellung sollen gem. Art. 83 Abs. 2 lit. b) EG die Einzel- 746 heiten festgelegt werden, um eine wirksame Überwachung und eine möglichst einfache Kontrolle zu ermöglichen.43 Dem dient die Festlegung von Fallgruppen, in denen eine Freistellung automatisch eingreifen kann. Dann steht für die Betroffenen von vornherein fest, wann sie befreit sind, ohne dass sie erst die einzelfallbezogene Rechtsprechung näher verifizieren müssen. Die Behörden brauchen keine Einzelfallprüfung durchzuführen. Damit geht bereits das Primärrecht davon aus, dass Verordnungen auch zu den 747 Einzelheiten der Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG ergehen können. Eine solche Rechtsetzung in Form einer Verordnung nach Art. 249 Abs. 2 EG, welche unmittelbare Verbindlichkeit aus sich heraus besitzt, ist indes nur sinnvoll, wenn es etwas zu regeln gibt. Davon geht Art. 83 Abs. 2 lit. b) EG offensichtlich aus. Schließlich legt Art. 81 Abs. 3 EG zwar konkrete Bedingungen fest, unter denen eine Freistellung erteilt werden kann, erfasst aber nicht einzelne Konstellationen und Zusammenhänge. Gerade insoweit, also für die in Art. 81 Abs. 3 EG benannten Gruppen, können aber sach- und branchenspezifische Besonderheiten bestehen, die eine nähere Ausgestaltung erfordern oder zumindest nahe legen, um so Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu gewinnen. 2.
Konkretisierungsfunktion auch bei unmittelbarer Wirkung
Dieses Bedürfnis ist wegen der allgemeinen und offenen Formulierung in Art. 81 748 Abs. 3 EG nicht etwa durch dessen nunmehr unmittelbares Eingreifen entfallen.44 Vielmehr stellt diese bereits ohne eine Freistellungsentscheidung eintretende Wirkung besondere Anforderungen an die Unternehmen zur eigenen Beurteilung. Diese notwendige Einschätzung wird ihnen durch feste Maßstäbe in Form von allgemeinen, verbindlichen Regeln in Gruppenfreistellungsverordnungen erleichtert. Da Gruppenfreistellungsverordnungen mit diesem Nutzen den allgemeinen Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG verdichten, kommt ihnen nicht nur deklaratorische Wirkung zu, nach der sie lediglich bestehendes Recht feststellen,45 aber keine bindende Wirkung46 und damit allenfalls eine Anhaltsfunktion47 haben.48 Sie besitzen vielmehr konstitutive Bedeutung in dem Maße, in dem sie die groben Maßstäbe
43 44 45
46 47 48
S. schon o. Rn. 734. So aber Creutzig, EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn. 302; dahin auch Bechtold, BB 2000, 2425 (2426). So Bartosch, WuW 2000, 462 (466 f.); Bechtold, BB 2000, 2425 (2426 f.); ders., EWS 2001, 49 (54); Gröning, WRP 2001, 83 (85); Hirsch, ZWeR 2003, 233 (246 f.); Koenigs, DB 2003, 755 (756, 759); Pukall, NJW 2000, 1375 (1379); Schütz, in: Gemeinschaftskommentar, VO 1/2003 Art. 29 Rn. 9, 11; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 2 Rn. 25. So Deringer, EuZW 2000, 5 (7 f.); ders., EuR 2001, 306 (311 f.). Harte-Bavendamm/Kreutzmann, WRP 2003, 682 (687). Gleichwohl eine unwiderlegliche Vermutungswirkung für das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 EG beimessend Bechtold, BB 2000, 2425 (2427); auch Reimann, Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung, 2004, S. 119 ff.
280
Kapitel 4 Freistellungen
des Art. 81 Abs. 3 EG bereichsspezifisch verfeinern49 und die Kommission den ihr dabei zustehenden legislativen Beurteilungsspielraum zulässig nutzt.50 Davon geht auch die VO (EG) Nr. 1/2003 aus, wie Erwägungsgrund 10 eigens 749 ausführt, der an den vorherigen Rechtszustand anknüpft und diesen insoweit fortgesetzt wissen will. Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 unterscheidet eigens zwischen den Bedingungen des Art. 81 Abs. 3 EG und einer Verordnung zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG. Beide können daher nicht deckungsgleich sein. Vielmehr nehmen auch Gruppenfreistellungsverordnungen eigens an dem Vorrang gegenüber einzelstaatlichem Wettbewerbsrecht teil, was eine eigenständige Bedeutung und unmittelbare Wirkung aus eigener Kraft voraussetzt. Der in Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 vorgesehene Entzug der Rechtsvorteile einer Gruppenfreistellungsverordnung basiert darauf, dass es solche Rechtsvorteile überhaupt gibt. Sie würden entfallen, wenn Gruppenfreistellungsverordnungen mit Art. 81 Abs. 3 EG vollständig deckungsgleich wären. Daher wirken sie auch so lange fort, bis sie durch eine Entzugsverordnung oder durch Einzelentscheidung einer nationalen Behörde entzogen werden. Das gilt selbst dann, wenn die Gruppenfreistellungsverordnung die in Art. 81 Abs. 3 EG festgelegten Grenzen überschreitet.51 Sie muss dann nach Art. 29 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 gruppenbezogen zurückgenommen, nach Art. 29 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 im Einzelfall durchbrochen oder aber aufgrund einer Nichtigkeitsklage durch den EuGH als unvereinbar mit dem Primärrecht erklärt werden, bis sie jeweils ihre Wirkung verliert. 3.
Einbettung in den primärrechtlichen Rahmen und Parallelfunktion
750 Auch wenn den Gruppenfreistellungsverordnungen eine konkretisierende und insoweit konstitutive Funktion zukommt, bleibt die Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit von Bedeutung. Die Gruppenfreistellungsverordnungen haben sich nämlich als Sekundärrecht im Rahmen des Primärrechts zu halten. Damit sind die sich aus der Rechtsprechung ergebenden Grundsätze gleichermaßen zu beachten wie im Rahmen der Einzelfreistellungen, aber schon auf der Ebene der gruppenbezogenen Festlegung. Die Einzelfallbeurteilung hat sich demgegenüber lediglich an die Vorgaben der 751 Gruppenfreistellungsverordnung zu halten. Nur bei sich daraus ergebenden Zweifelsfragen bzw. notwendigen Interpretationen ist das übergeordnete Recht einzubeziehen. Ansonsten ist bei abschließender sekundärrechtlicher Regelung die Vereinbarkeit der Einzelentscheidungen mit dem Primärrecht bereits durch die Ge-
49
50 51
Ausführlich Fuchs, ZWeR 2005, 1 (9 ff.); auch Eilmansberger, JZ 2001, 365 (373 f.); Jaeger, WuW 2000, 1062 (1066); Schmidt, BB 2003, 1237 (1241); Wagner, WRP 2003, 1369 (1375 ff.). Zu den näheren Voraussetzungen und Grenzen u. Rn. 767 ff. Fuchs, ZWeR 2005, 1 (12); a.A. Schütz, in: Gemeinschaftskommentar, VO 1/2003 Art. 29 Rn. 11, 27. Zum Ganzen ausführlich Brunn, Die EG-Kartellverfahrensordnung 1/2003 und ihre Auswirkungen auf die Gruppenfreistellungsverordnungen und die Entzugsverfahren in der Vertikal-GVO, 2004.
§ 1 System
281
meinschaftskonformität der Gruppenfreistellungsverordnung gewahrt.52 Bestehen daran Zweifel, ist der Gerichtshof wegen dieser Frage einzuschalten, hingegen nicht die Freistellung automatisch zu verweigern. Die nationalen Behörden besitzen also keine eigene Verwerfungskompetenz. Insoweit haben die Gruppenfreistellungsverordnungen einen Abschirmeffekt. Dieser ist ebenfalls Teil ihrer konstitutiven Rechtswirkung.53 II.
Standort und Prüfungsreihenfolge
Aus diesem Grund müssen bei Gruppenfreistellungen auch die Voraussetzungen 752 des Art. 81 Abs. 3 EG nicht mehr geprüft werden. Dass sie gegeben sind, ist für die von einer Gruppenfreistellungsverordnung erfassten Vereinbarungen anzunehmen.54 Das folgt aus der notwendigen Konformität mit Art. 81 Abs. 3 EG. Daher ist nur auf die in der Gruppenfreistellungsverordnung bezeichneten Voraussetzungen abzustellen55 und damit insbesondere darauf, ob das fragliche Kartell einer darin festgelegten Kategorie angehört. Ist dies nicht der Fall und liegt die Sachverhaltskonstellation außerhalb des Anwendungsbereichs einer solchen Verordnung, muss freilich eine Einzelfallprüfung anhand von Art. 81 Abs. 3 EG erfolgen. Als Folge des Ausnahmecharakters auch der Gruppenfreistellungsverordnun- 753 gen sind diese eng auszulegen56 und daher in ihren Voraussetzungen genau zu prüfen. Umgekehrt können die in ihnen festgelegten Voraussetzungen und Beschränkungen, soweit sie über Art. 81 Abs. 3 EG hinausgehen, nur für die in ihnen geregelten Sachverhalte eingreifen.57 Die Gruppenfreistellungsverordnungen sind gem. Art. 249 Abs. 2 EG unmittel- 754 bar anwendbar und binden daher auch die nationalen Behörden und Gerichte, welche auch für das Eingreifen der Gruppenfreistellungsverordnungen angerufen werden können,58 ohne dabei allerdings deren Gehalt etwa durch Anwendung auf nicht darin bezeichnete Vereinbarungen überdehnen zu dürfen.59 Bei Auslegungsoder Rechtmäßigkeitszweifeln können Letztere, sofern sie von den betroffenen Unternehmen angerufen werden, höchstens gem. Art. 234 EG dem EuGH vorlegen; die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden müssen gleichwohl vollziehen, da gem. Art. 230 EG nur die Mitgliedstaaten den EuGH einschalten können. Damit erlangen die Gruppenfreistellungsverordnungen in der Vollzugspraxis dieselben 52
53 54 55 56 57 58 59
Vgl. zu den Grundfreiheiten EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947 (4978, Rn. 6 ff.) – Vanacker und Lesage; Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897 (9930, Rn. 32; 9933, Rn. 43) – DaimlerChrysler; Frenz, Europarecht 1, Rn. 350. Fuchs, ZWeR 2005, 1 (12). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 35). EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (360, Rn. 29) – Tetra Pak I. S. z.B. EuGH, Rs. C-322/93 P, Slg. 1994, I-2727 (2747 ff., Rn. 8 ff.) – Peugeot. EuGH, Rs. C-309/94, Slg. 1996, I-677 (698 f., Rn. 16 ff.) – Nissan France. EuGH, Rs. 63/75, Slg. 1976, 111 (118, Rn. 10/11) – Fonderies Roubaix. Ebenso wie gem. Art. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 über Art. 81 f. EG. EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 (992, Rn. 45 f.) – Delimitis.
282
Kapitel 4 Freistellungen
Rechtswirkungen wie der seit der VO (EG) Nr. 1/2003 unmittelbar anwendbare Art. 81 Abs. 3 EG im Rahmen der Einzelfreistellungen. Sie werden automatisch bei Vorliegen eines Kartellverstoßes geprüft. Dadurch bleibt aber immer noch der Bezug der Gruppenfreistellungsverord755 nung allein auf Art. 81 EG gewahrt. Lediglich dessen Abs. 3 sieht Freistellungen für Gruppen von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen vor. Eine Gruppenfreistellungsverordnung kann also nicht im Rahmen des Missbrauchsverbots nach Art. 82 EG herangezogen werden, da dessen Systematik eine solche Freistellung nicht vorsieht.60 Auch die Gruppenfreistellungen bleiben daher auf den Rahmen des Kartellverbots beschränkt und sind in dessen Aufbau angesiedelt. Entsprechende Verordnungen enthalten mithin Freistellungsmöglichkeiten, nicht hingegen Verhaltenspflichten. Solche erwachsen lediglich aus Art. 81 Abs. 1 EG. Die an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen müssen also nicht den Vertragsinhalt an eine Verordnung anpassen, werden aber bei einem Abweichen davon unter Umständen nicht freigestellt.61 Gruppenfreistellungen sind trotz der umgekehrten Nennung in Art. 81 Abs. 3 756 EG vor den Einzelfreistellungen zu prüfen, weil bei ihrem Eingreifen die einzelnen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht (mehr) vorliegen müssen, sondern nur noch die Einschlägigkeit der Gruppenfreistellungsverordnung zählt, um zu einer Freistellung zu gelangen. Damit sind sie als Ausgestaltung und Konkretisierung dieser primärrechtlichen Bestimmung speziell. Sofern die Gruppenfreistellung nicht greift, scheidet mit dem darin geregelten Ansatzpunkt eine Freistellung gänzlich aus. Eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG ist damit nicht etwa subsidiär, sondern sie steht sachlich neben einer Gruppenfreistellung, wenn deren Anwendungsbereich die fragliche Verhaltensweise nicht (voll) erfasst. Das entspricht dem Wortlaut von Art. 81 Abs. 3 EG, der alternativ zwischen Einzelverhaltensweisen und Gruppen davon unterscheidet.
C.
Einzelfreistellungen
I.
Verhältnis zu Gruppenfreistellungsverordnungen
757 Fällt ein Sachverhalt nicht unter eine Gruppenfreistellungsverordnung, ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen. Diese richtet sich ausschließlich nach Primärrecht und damit nach den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG. Zu deren näherer Abprüfung können Bekanntmachungen und sonstige Leitlinien der Kommission hinzutreten. Diese können aber die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG nicht verändern, sondern nur konkretisieren.62 Sie müssen sich strikt in dem durch diesen Freistellungstatbestand aufgestellten Rahmen halten.
60 61 62
S. EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (360, Rn. 29) – Tetra Pak I. EuGH, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 (4088 f., Rn. 12, 16) – VAG France; Rs. C-309/94, Slg. 1996, I-677 (698, Rn. 15) – Nissan France. S.o. Rn. 741 ff.
§ 1 System
283
Aus den Gruppenfreistellungsverordnungen kann nur bei konkreter Übertrag- 758 barkeit eine Anleihe genommen werden. Sie gehören nämlich einem anderen, auf Gruppen bezogenen Regelungssystem an. Das schließt aber nicht aus, dass sie bestimmte Grundgedanken und Wertungen zeigen, unter denen eine Freistellung jedenfalls für Gruppen möglich ist. Diese Aussagen müssen sich dabei notwendigerweise im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG halten.63 Daher sind sie auch dazu in der Lage, diese primärrechtliche Vorschrift zu konkretisieren. Deshalb können auch im Rahmen von Einzelfreistellungen Aussagen aus Gruppenfreistellungsverordnungen herangezogen werden, wenn sie nicht spezifisch auf bestimmte Gruppen bezogen sind und daher lediglich insoweit greifen können. Das gilt etwa für besonders wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen, die grundsätzlich nicht freistellungsfähig sind.64 II.
Kumulative Voraussetzungen
Einzelfreistellungen müssen die in Art. 81 Abs. 3 EG benannten Voraussetzungen 759 kumulativ erfüllen; fehlt es an einem Punkt, können sie nicht erfolgen.65 Schließlich sind die Bedingungen in einem Satz formuliert und nur in einzelnen Unterpunkten alternativ mit einem „oder“ gefasst. Sie beziehen sich auf sämtliche im Kartelltatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG benannte Verhaltensweisen. Diese müssen einen bestimmten positiven Effekt haben, nämlich eine Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Diese Alternativen formen die möglichen Wirkungen, welche als begrüßenswert festgeschrieben werden und daher Wettbewerbsbeschränkungen zu rechtfertigen vermögen. Aufgrund ihrer expliziten Aufzählung bilden sie auch den Bezugspunkt bei etwaigen Erweiterungen. Diese müssen sich auf diese benannten Tatbestände zurückführen lassen. Andernfalls sind sie nicht geeignet, eine Freistellung zu ermöglichen, es sei denn, man öffnet die Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 81 Abs. 1 EG auch für Aspekte der CassisRechtsprechung oder jedenfalls für vertraglich ausdrücklich an anderem Ort festgeschriebene Elemente wie den Umweltschutz.66 Liegt ein anerkannter Freistellungsgrund vor, müssen an dem für diesen entste- 760 henden Gewinn die Verbraucher angemessen beteiligt werden. Daran wird die Zielrichtung der Wettbewerbsregeln deutlich, auch die Situation der Verbraucher 63 64
65
66
S.o. Rn. 750. Für die Kernbeschränkungen Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 46); Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 70); Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 46). Z.B. EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 (70, Rn. 61) – VBVB und VBBB; EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (631, Rn. 104) – Matra Hachette; Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1596, Rn. 177) – Langnese-Iglo. S. ausführlich u. Rn. 890 ff., 985 ff.
284
Kapitel 4 Freistellungen
zu verbessern. Diese sollen ein reichhaltigeres Leistungsangebot erhalten und infolge des Wettbewerbs günstigere Preise erlangen können. Wird dies durch koordinierende Verhaltensweisen verhindert, müssen sie wenigstens an den sich aus diesen Koordinierungen ergebenden Vorteilen beteiligt werden – etwa auch in Form einer verbesserten Qualität der Waren. Bezogen auf die beeinträchtigten Unternehmen müssen sich die Wettbewerbs761 beschränkungen in unerlässlichem Umfang halten. Damit wird die Verhältnismäßigkeit angesprochen. Im Hinblick auf die verfolgten Ziele muss die Verfälschung des Wettbewerbs erforderlich sein. Auf dieses Merkmal ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH ohnehin regelmäßig reduziert.67 Schließlich muss der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden 762 Leistungen erhalten bleiben. Er darf nicht gänzlich ausgeschaltet werden. Liegen alle diese Voraussetzungen vor, ist das entsprechende Verhalten vom 763 Kartellverbot freigestellt. Das „können“ relativiert diese eindeutige Rechtsfolge nicht, sondern steht nur für die Kompetenz der Kommission, das Kartellverbot für nicht anwendbar zu erklären.68 Die Freistellung braucht nun allerdings nicht mehr festgestellt zu werden, nachdem durch Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 das System der Legalausnahme etabliert wurde. Vielmehr haben die Unternehmen nicht nur selbst zu prüfen, ob ihr Verhalten kartellrechtswidrig ist, sondern auch, ob es einer Freistellung unterfällt. Bei Einzelfreistellungen laufen sie insofern freilich Gefahr, einen Sachverhalt falsch einzuschätzen.69 Jedoch erfolgt keine Sanktionierung des Verhaltens mit entsprechend hohen Geldbußen, wenn ein Unternehmen gutgläubig davon ausging, jedenfalls im Ergebnis und damit auch aufgrund einer Freistellung nicht gegen das Kartellverbot zu verstoßen.70 III.
Beweislast der Unternehmen
764 Vor der Umstellung auf das System der Legalausnahme war fest anerkannt, dass die Unternehmen die notwendigen Belege für eine Freistellung liefern müssen. Es wurde darauf abgestellt, in erster Linie müssten die Unternehmen der Kommission die Anhaltspunkte liefern, aus denen sich ergibt, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllt sind.71 Dieser Ansatz war mit dem Anmeldesystem gekoppelt. Jedoch bildet auch im System der Legalausnahme die Freistellung die Ausnahme, wie sich aus der Formulierung des Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 ergibt, wonach diejenigen Verhaltensweisen nach Art. 81 Abs. 1 EG verboten sind, „die nicht die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 des Vertrags erfüllen“. Dementspre-
67 68 69 70 71
Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 533 ff. Vgl. z.B. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 42 m.w.N. S.o. Rn. 728 f. Zu den Bußgeldparametern u. Rn. 1569 ff. Z.B. EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 (68, Rn. 52) – VBVB und VBBB; EuG, Rs. T-66/89, Slg. 1992, II-1995 (2022, Rn. 69) – Publishers Association; Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (631, Rn. 104) – Matra Hachette; Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 (1597, Rn. 179) – Langnese-Iglo.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
285
chend weist Art. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 den Unternehmen die Belegpflicht für eine Freistellung zu. Die Bedingungen für eine Freistellung, die weiterhin nach der Tatbestandsmä- 765 ßigkeit des entsprechenden Verhaltens zu prüfen sind, müssen also positiv vorliegen. Nur dann kann sie erfolgen. Für diesen Ausnahmetatbestand bleiben die Unternehmen beweispflichtig, die sich darauf berufen. Sie können auch am ehesten über ihre Motivation Auskunft geben sowie über deren Einfügung in die tatsächlichen Verhältnisse. Daher haben sie weiterhin „Beweismaterial für die wirtschaftliche Rechtfertigung einer Freistellung vorzulegen und ... bei Einwänden ... Alternativen zu unterbreiten“.72 Das hat auch wie bisher der Kommission gegenüber zu erfolgen, wenn sie gerade die mit dem Fall befasste Wettbewerbsbehörde ist. Gleichgestellt sind aber mittlerweile gem. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 die nationalen Wettbewerbsbehörden.73 Alle diese Stellen handeln jetzt nicht mehr nach Anmeldung, sondern dann, wenn sie Anlass dazu sehen, sich also von Amts wegen oder aufgrund von Hinweisen mit dem Fall befassen. In diesem Rahmen prüfen sie dann ex officio bei einer Tatbestandsmäßigkeit der jeweiligen Verhaltensweise auch deren Freistellungsfähigkeit. Die tatsächlichen Angaben erhalten sie dabei von den Unternehmen. Vor Gericht bleibt es dabei, dass die Kommission bzw. die jeweilige nationale 766 Wettbewerbsbehörde ihre Entscheidung vertreten muss. Daher genügt es, dass der Kläger Anhaltspunkte dafür vorbringt, welche die Beurteilung der mit dem Fall befassten Wettbewerbsbehörde in Frage stellen können.74 Bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten ist freilich die Nachprüfbarkeit a priori begrenzt. Die Wettbewerbsbehörde darf nach traditioneller Rechtsprechung nur keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen haben.75 Insoweit wurden aber in jüngeren Entscheidungen zur Fusionskontrolle strengere Maßstäbe vor allem an eine nachvollziehbare, hinreichend fundierte Einschätzung der Kommission angelegt, die auch für die Beurteilung von Kartellverstößen nicht folgenlos bleiben können.76 Grundlage der Beurteilung ist jedoch, was die Unternehmen an Darlegungen geliefert haben. Waren diese unzureichend, kann die Wettbewerbsbehörde zu Recht eine Freistellung versagen.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen A.
Allgemeine Anforderungen
Bezogen auf die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG und diese ausfüllend, hat 767 sich eine Gruppenfreistellungsverordnung insbesondere an diesen primärrechtli72 73 74 75 76
EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 (68, Rn. 52) – VBVB und VBBB. Näher o. Rn. 169. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (631, Rn. 104) – Matra Hachette EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (631, Rn. 104) – Matra Hachette. Bereits EuGH, Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2578, Rn. 48) – Remia. S.u. Rn. 1608.
286
Kapitel 4 Freistellungen
chen Rahmen zu halten und kann diesen nur behutsam fortentwickeln, nicht aber umstoßen. Dadurch sind auch die Hauptanknüpfungspunkte in Form der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung bzw. der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts markiert. Auf eine angemessene Gewinnbeteilung der Verbraucher ist ebenso zu achten wie auf die Aufrechterhaltung von Wettbewerb in dem betroffenen Bereich sowie auf dessen möglichst weitgehende Erhaltung, ob also seine Einschränkung für das angestrebte Ziel erforderlich ist. Weiter gehend sollen nur solche Wettbewerbsbeschränkungen erfasst werden 768 können, welche auch bei einer Einzelfallbeurteilung wahrscheinlich nach Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt würden.77 Indes sind die Kriterien des Art. 81 Abs. 3 EG recht unbestimmt. Zudem werden in dieser Vorschrift nebeneinander Verhaltensweisen und Gruppen von Verhaltensweisen benannt. Damit legt schon Art. 81 Abs. 3 EG zugrunde, dass eine gruppenbezogene Freistellung in Betracht kommt, die sich nicht notwendig mit Einzelfreistellungen decken muss. Lediglich die Grundvoraussetzungen nach Art. 81 Abs. 3 EG müssen gewahrt sein, ohne dass die Ausgestaltung im Einzelnen völlig übereinstimmen muss. Zudem besteht schon dem Rechtscharakter der Gruppenfreistellungsverordnungen entsprechend ein legislativer Gestaltungsspielraum.78 Mit der automatischen Wirksamkeit von Art. 81 Abs. 3 EG ohne die Zwischenschaltung von Freistellungsentscheidungen der Kommission hat diese ohnehin nur noch insoweit einen Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen sie über die bloße Interpretation von Art. 81 Abs. 3 EG hinaus79 die verschiedenen wettbewerbsbezogenen und außerwettbewerblichen Belange miteinander in Einklang bringen kann.80 Rückbezogen auf Art. 81 Abs. 1 EG, können Gruppenfreistellungsverordnun769 gen nur solche Verhaltensweisen erfassen, die unter das Kartellverbot fallen können. Immer ist dies aber nicht vorhersehbar. Vielmehr gibt es Verhaltensweisen, welche an der Grenze der Tatbestandsmäßigkeit liegen. Daher lässt es sich nicht immer vermeiden, dass Gruppenfreistellungsverordnungen auch nicht unter das Kartellverbot fallende Koordinierungen ergreifen. Das ist unschädlich,81 stellen Gruppenfreistellungsverordnungen schließlich nur bestimmte Verhaltensweisen von einem Verbot frei, ohne es einem solchen zu unterwerfen. Die Aufnahme in eine solche Verordnung indiziert daher nicht die Tatbestandsmäßigkeit – auch nicht mittelbar.82 Weiter gehend unterliegen Gruppenfreistellungsverordnungen als Teil des Se770 kundärrechts dem gesamten Primärecht. Daher ist auch das Gemeinschaftsrecht jenseits des Kartellrechts zu wahren. Das gilt insbesondere für verfahrensrechtliche Anforderungen.83
77 78 79 80 81 82 83
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 21 a.E. S.o. Rn. 747. Auch Wagner, WRP 2003, 1369 (1376 f.). Insoweit abl. indes Bechtold, BB 2000, 2425 (2427). S.o. Rn. 740. Fuchs, ZWeR 2005, 1 (23 ff.). EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission. Ausführlich Köppen, Gruppenfreistellungsverordnungen, 2000, S. 64 ff.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
287
Die Kommission ging allerdings zunächst davon aus, dass sie durch Entschei- 771 dungen in Form von Allgemeinverfügungen bestimmte Typen und damit Gruppen von Kartellen freistellen könnte.84 Damit griff sie aber über das durch Art. 83 EG angelegte Kompetenzgefüge hinaus.85 Es setzte sich ein zweistufiges Verfahren durch, das auch der EuGH für zulässig hielt.86 Der Rat legt in einer Rahmenverordnung die Kategorien von Koordinierungen fest, welche nach Art. 81 Abs. 3 EG befreit werden können und ermächtigt darin die Kommission, Durchführungsverordnungen zu erlassen. Eine solche Delegation ist in Art. 211 4. Spiegelstrich EG grundsätzlich vorgesehen. Dieses Grundsystem lässt auch der VE unangetastet. In den meisten Feldern, in denen der Rat eine Gruppenfreistellung ermöglichen sollte, ermächtigte er die Kommission zum Erlass von Durchführungsverordnungen.
B.
Gesamtsystem
I.
Abgedeckte Bereiche
An erster Stelle stand die VO Nr. 19/65/EWG87 für vertikale Vereinbarungen und 772 aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Deren Anwendungsbereich hat die VO (EG) Nr. 1215/199988 erheblich erweitert. Diese ging über die Einbeziehung rein zweiseitiger Absprachen hinaus und erstreckt sich auch auf Absprachen zwischen mehreren Unternehmen und damit selbst auf ganze Netze. Entscheidend ist nur, dass sich die Unternehmen auf verschiedenen Produktions- oder Vertriebsstufen befinden. Vom Typ her werden Alleinbelieferungs- und Alleinbezugspflichten sowie Kombinationen von beidem erfasst. Entsprechendes gilt im Hinblick auf den Erwerb oder die Nutzung von gewerblichen Schutzrechten oder Know-how. An Stelle je einzelbereichsbezogener Ordnungen erließ die Kommission auf der 773 Basis dieser erweiterten Ermächtigung die VO (EG) Nr. 2790/1999 über die Gruppenfreistellung von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen.89 Spezifisch geregelt ist der Kraftfahrzeugbereich in der VO (EG) Nr. 1400/2002 zu Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor.90 Ebenso unterliegt der Be84
85 86 87
88
89 90
S. den Entwurf einer Entscheidung zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EWGV auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen, ABl. 1962, S. 2677; VO Nr. 67/67/EWG der Kommission vom 22.3.1967 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen, ABl. Nr. 57, S. 849. Vgl. Rn. 734, 746. EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (481) – Italien/Kommission. VO Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2.3.1965 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. P 36, S. 533. VO (EG) Nr. 1215/99 des Rates vom 10.6.1999 zur Änderung der VO Nr. 19/65/EWG über die Anwendung von Artikel 81 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 148, S. 1. Vom 22.12.1999, ABl. L 336, S. 21. Vom 31.7.2002, ABl. L 203, S. 30.
288
Kapitel 4 Freistellungen
reich des Technologietransfers einer eigenen Regelung, wobei die VO (EG) Nr. 772/200491 auch horizontale Vereinbarungen einbezieht. Auf der Ebene horizontaler Koordinierungen wirkt im Wesentlichen die VO 774 (EWG) Nr. 2821/71 fort.92 Diese erfasst vom Rahmen her Absprachen über die Anwendung von Normen und Typen, im Hinblick auf die Forschung und Entwicklung von Erzeugnissen oder Verfahren bis zur Produktionsreife sowie die Verwendung der Ergebnisse und bezüglich der Spezialisierung. Zu diesen verschiedenen Gebieten ergingen Durchführungsverordnungen der Kommission. Aktuell gelten für Gruppenfreistellungen von Vereinbarungen über die Spezialisierung der Produktion die VO (EG) Nr. 2658/200093 und bezüglich Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen die VO (EG) Nr. 2659/2000.94 Die RatsVO (EWG) Nr. 1534/9195 ermächtigt die Kommission dazu, Kooperationstypen zwischen Versicherungsunternehmen gruppenweise vom Kartellverbot freizustellen. Auf dieser Basis erging die gleichnamige VO (EWG) Nr. 3932/9296 und nunmehr die NachfolgeVO (EG) Nr. 358/2003.97 Weitere spezielle Ermächtigungen bilden die VO (EWG) Nr. 479/92 für die Seeschifffahrt98 sowie die VO (EWG) Nr. 3976/87 für den Luftverkehr.99 91
92
93
94
95
96 97
98
VO (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27.4.2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. L 123, S. 11 (Korrektur des Datums auf 7.4.2004 durch ABl. 127, S. 158), welche die gleichnamige VO (EG) Nr. 240/96 der Kommission vom 31.1.1996, ABl. L 31, S. 2 ablöste. VO (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20.12.1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 285, S. 46, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1. VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. L 304, S. 3. VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. L 304, S. 7. VO (EWG) Nr. 1534/91 des Rates vom 31.5.1991 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft, ABl. L 143, S. 1. VO (EWG) Nr. 3932/92 der Kommission vom 21.12.1992, ABl. L 398, S. 7. VO (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. L 53, S. 8. VO (EWG) Nr. 479/92 des Rates vom 25.2.1992 über die Anwendung des Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien), ABl. L 55, S. 3. Hierzu erging zuletzt die gleichnamige VO (EG) Nr. 823/2000, ABl. 2000 L 100, S. 24 mit den Änderungsverordnungen dazu (VO (EG) Nr. 463/2004 vom 12.3.2004, ABl. L 77, S. 23 sowie VO (EG) Nr. 611/2005 vom 20.4.2005, ABl. L 101, S. 10). Darüber hinaus gilt die VO (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr, ABl. L 378, S. 4, zuletzt geändert durch VO (EG)
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
II.
289
Typische Merkmale
Die Ermächtigungen der Kommission sind parallel gestaltet. Zunächst werden be- 775 stimmte Gruppen von Absprachen präzise benannt und damit der mögliche Anwendungsbereich umschrieben. Das kann auch durch Bedingungen für die Anwendung solcher Absprachen erfolgen. Verschiedene neue Kommissionsverordnungen enthalten allerdings keine Bedingungen mehr, welche die Absprachen positiv erfüllen müssen.100 Verschiedentlich wird die Erstreckung der Gruppenfreistellung in die Vergangenheit vorgesehen bzw. bei der Ablösung einer alten Verordnung eine Übergangsregelung sowie die Anpassung bestehender Absprachen an die jeweilige Verordnung.101 Zwingend ist die Befristung der Laufzeit von Gruppenfreistellungsverordnungen. Nicht selten ist eine Geltungsdauer von zehn Jahren. Das gilt etwa für die Gruppenfreistellung von Spezialisierungsvereinbarungen102 sowie für Forschung und Entwicklung.103 Die Gruppenfreistellung von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor ist für knapp acht Jahre vorgesehen.104 Vom Verfahren her ist vorgegeben, dass die Kommission den Verordnungs- 776 entwurf zu veröffentlichen und alle Interessenten aufzufordern hat, dazu Stellung zu nehmen. Der beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen ist sowohl vor dieser Veröffentlichung als auch vor dem Erlass der endgültigen Verordnung zu hören. Über diesen Ausschuss sind auch die Mitgliedstaaten beteiligt. Sie sind ja über die neue VO (EG) Nr. 1/2003 wesentlich stärker mit dem Vollzug auch der Gruppenfreistellungsverordnungen befasst. Der schon in einigen Verordnungen vorgesehene dezentrale Vollzug ist nunmehr gleichgeordnet worden.105 Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 sieht sowohl für die Kommission als auch für die 777 mitgliedstaatlichen Behörden – nicht aber zugunsten der Gerichte106 – vor, dass ein Abweichen von den Gruppenfreistellungsbestimmungen im Einzelfall möglich ist. Den Unternehmen kann also die Gruppenfreistellung wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles entzogen werden, auch wenn der Sachverhalt im Prinzip unter die entsprechende Verordnung fiele. Voraussetzung hierfür ist, dass mit Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbare Wirkungen auftreten, also eine Koordinierung ge-
99
100 101 102 103 104 105 106
Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1; spezifisch zu Freistellungen daraus z.B. EuG, Rs. T-18/97, Slg. 2002, II-1125 – Atlantic Container Line AB; Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 – Atlantic Container Line; im Gesamtzusammenhang Zinsmeister/Lienemeyer, EuZW 2002, 649 (650 ff.) m.w.N. VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABl. L 374, S. 9, geändert durch VO (EG) Nr. 411/2004 vom 26.2.2004, ABl. L 68, S. 1. Anders aber die VO (EG) Nr. 1400/2002; s.u. Rn. 826 f. S. Art. 10 VO (EG) Nr. 772/2004. Art. 9 VO (EG) Nr. 2658/2000. Art. 9 VO (EG) Nr. 2659/2000: bis 31.12.2010. Art. 12 VO (EG) Nr. 1400/2002: vom 1.10.2002 bis zum 31.5.2010. S.o. Rn. 132. Krit. insoweit Jaeger, in: FIW (Hrsg.), Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik, 2004, S. 35 (39).
290
Kapitel 4 Freistellungen
gen Art. 81 Abs. 1 EG verstößt und die Bedingungen von Art. 81 Abs. 3 EG nicht erfüllt.107 Nicht allgemein, sondern durch besondere Regelungen in einer Ermächtigungs778 verordnung ist vorgesehen, dass bestimmte Netze gleichartiger Absprachen auf einem bestimmten Markt von einer eigentlich vorgesehenen Gruppenfreistellung ausgeschlossen werden können. Eine solche Bestimmung enthält die ÄnderungsVO (EG) Nr. 1215/1999 zu vertikalen Koordinierungen.108 Diese Ermächtigung hat die Kommission in der VO (EG) Nr. 2790/1999109 über die Gruppenfreistellung von vertikalen Absprachen genutzt, ebenso in der GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 1400/2002 für vertikale Vereinbarungen aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor.110 Voraussetzung für einen solchen Entzug der Gruppenfreistellung ist, dass ne779 beneinander bestehende Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen über 50 % des betroffenen Marktes erfassen. Ist dies der Fall, ist der Erlass einer Entzugsverordnung vorgesehen, welche den Ausschluss der Freistellung förmlich feststellt und die Gruppenfreistellung für unanwendbar erklärt. Unter Einschluss horizontaler Vereinbarungen sieht diesen Weg auch Art. 7 der VO (EG) Nr. 772/2004 über Technologietransfer-Vereinbarungen111 vor. Steht der Kommission wiederum als Verordnungsgeberin auch ein legislatives Gestaltungsermessen zu,112 so hat sie die Wertungen des Wettbewerbsrechts sowie allgemeine Grundsätze und dabei auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren,113 indem sie einen parallelen Einzelentzug als milderes Mittel prüft, jedenfalls aber die Nichtanwendungsverordnung genau auf die entstandenen Netze mit über 50 % Marktanteil beschränkt.114 Allgemein sind die Verordnungen der Kommission mittlerweile dadurch ge780 kennzeichnet, dass sie sog. Schwarze Listen enthalten. Darin sind Kernbeschränkungen aufgeführt, welche nicht auftreten dürfen. Werden solche eigens genannten wettbewerbsrechtlichen Vereinbarungen oder Koordinierungen getroffen, so kann die Gruppenfreistellung nicht eingreifen. Das betrifft die gesamte Absprache, auch wenn nur eine Klausel unvereinbar ist. Die VO (EG) Nr. 2790/1999 enthält allerdings eine Ausnahme, nach der dieses Verbot bei bestimmten wettbewerbsbeschränkenden Klauseln nicht zur vollständigen Unanwendbarkeit führt.115 Diese Kernbeschränkungen treten zu den erwähnten Marktanteilskriterien hinzu, die
107 108 109 110 111 112
113 114 115
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 36). S. daher nunmehr Art. 1a VO Nr. 19/65/EWG aufgrund von Art. 1 Nr. 2 VO (EG) Nr. 1215/1999, ABl. 1999 L 148, S. 1. ABl. 1999 L 336, S. 21. Art. 7 VO (EG) Nr. 1400/2002. ABl. 2004 L 123, S. 11. Vgl. o. Rn. 747, 768 und im hiesigen Zusammenhang z.B. Brunn, Die EG-Kartellverfahrensverordnung 1/2003 und ihre Auswirkungen auf die Gruppenfreistellungsverordnungen und die Entzugsverfahren der Vertikal-GVO, 2004, S. 207. Bayreuther, EWS 2000, 106 (115); Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, Art. 8 Rn. 4 ff. Fuchs, ZWeR 2005, 1 (28). Art. 5 VO (EG) Nr. 2790/1999, sog. Trennungsprinzip.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
291
gleichfalls eine Gruppenfreistellung ausschließen, indes die große Mehrheit der Klein- und Mittelbetriebe nicht betreffen.116 Mittlerweile decken die Gruppenfreistellungsverordnungen zahlreiche Bereiche 781 ab, in denen Wettbewerbsbeeinträchtigungen auftreten.117 Insbesondere vertikale Koordinierungen sind nahezu flächendeckend erfasst, sei es durch die darauf bezogene Grundverordnung, sei es durch spezielle Verordnungen.
C.
Einzelne Gruppenfreistellungsverordnungen
I.
Vertikale Koordinierungen (VO (EG) Nr. 2790/1999)
1.
Konzeption
Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen und aufeinan- 782 der abgestimmte Verhaltensweisen118 ist eine typische Ausprägung der Verordnungen neuen Typs für die Freistellung von bestimmten Gruppen von Wettbewerbsbeschränkungen. Sie benennt bestimmte Bereiche, in denen Freistellungen möglich sind, zieht Marktanteilsschwellen ein, bei deren Überschreitung eine Freistellung grundsätzlich ausscheidet und benennt bestimmte Verhaltensweisen, bei deren Vorliegen ebenfalls eine Freistellung nicht in Betracht kommt. Wie auch bei anderen Verordnungen beträgt die Geltungsdauer zehn Jahre – vom 1.6.2000 bis zum 31.5.2010 (Art. 13). Diese sekundärrechtliche Regelung wird durch die Leitlinien der Kommission zu vertikalen Beschränkungen119 näher erläutert. 2.
Erfasste Koordinierungen
Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 VO (EG) Nr. 2790/1999 erfasst Vereinbarungen und auf- 783 einander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen auf verschiedenen Produktionsoder Vertriebsstufen tätigen Unternehmen. Solche vertikalen Koordinierungen müssen nicht notwendigerweise zwischen zwei Unternehmen erfolgen, sondern können auch mehrere Unternehmen erfassen, so dass selbst Netzbildungen einbezogen sind. Inhaltliche Voraussetzung ist aber, dass die Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise sich auf den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen bezieht.120 Damit werden erstmals industrielle Zulieferverträge als Gruppe freigestellt; der Regelungsschwerpunkt liegt al-
116 117 118 119 120
Das ist die Absicht der Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1999 C 132, S. 1 (Rn. 78.). S. umfassend Liebscher/Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003. VO (EG) Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336, S. 21. Ausführlich dazu Schultze/Pautke/Wagener, Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen, 2001. ABl. 2000 C 291, S. 1. Ausführlich zu verschiedenen Formen im Bereich des Vertriebs Duijm, Die Wettbewerbspolitik der EG gegenüber vertikalen Vertriebsvereinbarungen, 1997, S. 20 ff.
292
Kapitel 4 Freistellungen
lerdings auf Vertriebsverträgen.121 Andere Vertragstypen fallen daher nicht darunter, so weder Miet-, Pacht- noch Leasingverträge.122 Auch werden Teilbereiche ausgeklammert, die zwar in einer waren- bzw. dienstleistungsbezogenen Koordinierung enthalten sind, aber die Forschungs- oder Entwicklungsarbeit betreffen. Zur Abgrenzung von anderen Gruppenfreistellungsverordnungen, welche gem. 784 Art. 2 Abs. 5 VO (EG) Nr. 2790/1999 speziell sind, werden die von diesen erfassten vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen nicht von der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen einbezogen. Die notwendige Abgrenzung betrifft insbesondere die Gruppenfreistellungsverordnung zum Technologietransfer.123 Insoweit besteht eine Spezialregelung in Art. 2. Eine Freistellung nach der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Ver785 einbarungen kann nur erfolgen, wenn intellektuelle Eigentumsrechte und damit gewerbliche Schutz-, Urheber- sowie verwandte Schutzrechte (Art. 1 lit. d) VO (EG) Nr. 2790/1999) nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind und sich nicht unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren- oder Dienstleistungen durch den Käufer oder seine Kunden beziehen.124 Das intellektuelle Eigentum und dessen Regelung müssen also von untergeordneter Bedeutung sein und sich in die waren- bzw. dienstleistungsbezogenen Koordinierungen einfügen. Das gilt namentlich für Franchisevereinbarungen.125 Die Übertragung oder Nutzung von geistigen Eigentumsrechten als solchen hingegen fällt von vornherein höchstens unter die Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer.126 Hauptanwendungsfelder sind entsprechend den näheren Erläuterungen in den Leitlinien zu vertikalen Beschränkungen der Kommission127 neben dem bereits erwähnten Franchising der Markenzwang, der selektive128 und der Alleinvertrieb,129 Kundenbeschränkungen, Alleinbelieferung und Koppelungsbindungen. Grundvoraussetzung ist nach Art. 2 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2790/1999 786 die Klarstellung, dass lediglich solche Koordinierungen freigestellt werden können, welche unter das Kartellverbot fallen, die also eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung enthalten sowie auch den innergemeinschaftlichen Handel spürbar be121 122 123 124 125 126 127 128 129
Dazu näher u. krit. Noack, Industrielle Zulieferverträge und Art. 81 EGV, 2004. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 25). VO (EG) Nr. 772/2004, ABl. 2004 L 123 S. 11, die Nachfolgeregelung der gleichnamigen VO (EG) Nr. 240/96, ABl. 1996 L 31, S. 2. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 30). Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 43). Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 33). ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 24 ff.). Darauf zu Recht verweisend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 14 Rn. 22. Dazu umfassend Honnefelder, Gruppenfreistellungsverordnung für selektive Vertriebssysteme, 2003. Zum Gesamtkomplex der vertikalen Vertriebsbindungen Buchtova, Marktstrukturelle Kriterien bei der kartellrechtlichen Beurteilung vertikaler Bindungen im europäischen und tschechischen Kartellrecht, 2004.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
293
einflussen können. Wettbewerber sind nach Art. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2790/1999 tatsächliche oder potenzielle Anbieter auf demselben Produktmarkt; dieser ist damit unabhängig vom geographischen Markt innerhalb der Gemeinschaft.130 Entscheidend sind die tatsächliche Möglichkeit und die Wahrscheinlichkeit des Markteintritts.131 Nach Art. 2 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2790/1999 sind horizontale Vereinbarungen 787 zwischen Wettbewerbern grundsätzlich nicht nach dieser Gruppenfreistellungsverordnung freistellungsfähig. Das gilt nicht für „nicht wechselseitige Vereinbarungen“ zwischen Wettbewerbern, also solchen, bei denen im Rahmen eines Austauschvertrages lediglich eine Partei Lieferant oder Käufer ist.132 Für eine Freistellung muss aber weiter gehend eine zusätzliche Voraussetzung gegeben sein, sei es, dass der jährliche Gesamtumsatz des Käufers 100 Mio. Euro nicht überschreitet, sei es, dass auf der horizontalen Ebene keine relevante Überschneidung besteht. Diese letzte Bedingung ist darauf ausgerichtet, dass der Hersteller seine Waren bzw. Dienstleistungen im sog. zweigleisigen Vertrieb mit unabhängigen Herstellern auch selbst vertreiben kann.133 Umgekehrt ist die Freistellung vertikaler Vereinbarungen nicht umfassend. Bei 788 Einkaufs- und Vertriebskooperationen zwischen einer Unternehmensvereinigung und ihren Mitgliedern bzw. Lieferanten setzt sie voraus, dass alle Mitglieder der Vereinigung Wareneinzelhändler sind und einen jährlichen Gesamtumsatz einschließlich sämtlicher verbundener Unternehmen (Art. 10 VO (EG) Nr. 2790/1999) von höchstens 50 Mio. Euro erzielen, Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2790/1999. Damit genügt es, dass einige wenige Unternehmen einer Netzvereinbarung hohe Umsätze haben, damit auch Verträge etwa zwischen einer Unternehmensvereinigung und kleineren Lieferanten mit Wettbewerbsbeschränkungen aus der Gruppenfreistellungsverordnung herausfallen.134 Bereits in der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Koordinierungen 789 ist in Art. 6 die Regelung aufgenommen, dass die Freistellung im Einzelfall entzogen werden kann, sofern sich hinterher zeigt, dass die Vereinbarung mit Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbare Wirkungen hat. Insofern greift Art. 6 der allgemeinen Regelung nach Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 vor.135 Art. 8 VO (EG) Nr. 2790/1999 eröffnet die Möglichkeit einer Nichtanwendungsverordnung, wenn parallel bestehende Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen mehr als 50 % Marktanteil erfassen;136 diese ist aber frühestens nach sechs Monaten anwendbar.137
130 131 132 133 134 135 136
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 14 Rn. 11. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 26); näher o. Rn. 567 ff. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 27). Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 27). Baur/De Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn. 213. S. dazu o. Rn. 777. S. allgemein o. Rn. 779.
294
Kapitel 4 Freistellungen
3.
Erforderliche Marktanteilsschwellen
790 Neben der bereichsspezifischen Ausschlussklausel ab einem jährlichen Gesamtumsatz von mehr als 50 Mio. Euro besteht eine generelle Obergrenze, bis zu welcher die Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen grundsätzlich nur eingreift. Diese beträgt gem. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2790/1999 30 % und bezieht sich auf den Angebotsmarkt; auf ihm verkauft der Lieferant die von der Vertikalvereinbarung erfassten Waren oder Dienstleistungen. Hingegen ist der Nachfragemarkt maßgeblich, wenn die vertikale Vereinbarung eine Alleinbelieferungsverpflichtung enthält, Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2790/1999. Dann zählt zwar auch der Markt für die von der Vereinbarung erfassten Waren bzw. Dienstleistungen, aber aus Sicht des Käufers, der sie sich besorgt. Bei über 30 % Marktanteil hat dieser eine entsprechend dominierende Stellung. Freilich liegt eine solche Vertragskonstellation nach Art. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 791 2790/1999 nur vor, wenn der Lieferant unmittelbar oder mittelbar verpflichtet wird, Waren oder Dienstleistungen lediglich an einen einzigen Käufer innerhalb der Gemeinschaft zu verkaufen, damit dieser sie spezifisch verwendet oder weiter verkauft. Insoweit zählen alle innerhalb der Gemeinschaft tätigen Käufer, unabhängig von der Ansässigkeit,138 wie es generell im Wettbewerbsrecht üblich ist.139 Ist diese gleichwohl sehr enge Definition nicht erfüllt, zählt der Angebotsmarkt. Greifen beide Tatbestandskonstellationen ein, können in doppelter Hinsicht Auswirkungen auf den Wettbewerb auftreten. Daher müssen stets die Schwellenwerte gewahrt bleiben. Die Berechnung der Marktanteile erfolgt nach den im Wettbewerbsrecht übli792 chen Grundsätzen140 mit Besonderheiten im Rahmen vertikaler Beschränkungen.141 Damit zählt primär das Nachfrageverhalten der Käufer. Dieses bestimmt den maßgeblichen Markt. Dabei zählt die jeweils von der Vereinbarung betroffene Vertriebsstufe, also der Hersteller-, Großhändler- oder Einzelhändlermarkt. Der Anteil bemisst sich nach näherer Maßgabe von Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a) VO (EG) Nr. 2790/1999 nach dem Anteil am Gesamtvolumen des relevanten Marktes, bezogen auf das vorhergehende Kalenderjahr. Wird nach dieser Berechnung der Marktanteil von 30 % um nicht mehr als fünf Prozentpunkte überschritten, greift die Freistellung gleichwohl noch für zwei weitere Kalenderjahre nach dem Jahr ein, in welchem die Schwelle erstmals nicht eingehalten wurde, Art. 9 Abs. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2790/1999. Sogar bei einer Überschreitung eines Marktanteils von 35 % greift die Freistellung noch ein weiteres Jahr nach dem Überschreitungsjahr ein,
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138 139 140 141
Dazu vor allgemeinem Hintergrund Brunn, Die EG-Kartellverfahrensverordnung 1/2003 und ihre Auswirkungen auf die Gruppenfreistellungsverordnungen und die Entzugsverfahren der Vertikal-GVO, 2004. Baur/De Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn. 185. Vgl. o. Rn. 197 ff. S.o. Rn. 553 ff. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 89 ff.).
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
295
zusammen mit der Zeitspanne des Überschreitens der 30-%-Schwelle aber nicht mehr als zwei Jahre, Art. 9 Abs. 2 lit. d) und e) VO (EG) Nr. 2790/1999. 4.
Kernbeschränkungen
Als Verordnung neuen Typs schließt die Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen eine Freistellung aus, wenn die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung eine Kernbeschränkung enthält. Das gilt im Ganzen, wenn auch nur ein Teil der Vereinbarung eine Kernbeschränkung bildet. Sie muss allerdings bezweckt sein. Eine bloße Bewirkung genügt nicht, außer sie ist Folge eines Zweckes und daher der Bezweckung gleichgestellt. Diese Kernbeschränkungen knüpfen teilweise gegenständlich an die Beispielstatbestände nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-c) EG an, verengen diese freilich, da sie eine Freistellung gänzlich ausschließen und nehmen dabei Entwicklungen der Rechtsprechung namentlich zu selektiven Vertriebssystemen auf. Das gilt für Preisfestsetzungen und Gebietsaufteilungen sowie Lieferungsverbote und -verpflichtungen. So bilden Fest- und Mindestpreisbindungen nach Art. 4 lit. a) VO (EG) Nr. 2790/1999 eine Kernbeschränkung. Jedoch auch andere Maßnahmen wie die Festsetzung von Höchstverkaufspreisen oder Preisempfehlungen sind untersagt, wenn sie sich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken; das tun sie dann, wenn entsprechender Druck ausgeübt oder hohe Anreize geboten werden. Realisiert werden kann dieses Beeinflussungspotenzial durch Absatzspannen für Vertriebshändler, Lieferverzögerungen oder Lieferkürzungen, wenn ein bestimmtes Preisniveau nicht eingehalten wird.142 Im Übrigen aber scheidet eine Gleichstellung aus. Daher werden dem Wortlaut entsprechend auch nur Bindungen des Käufers erfasst, nicht hingegen Preisfestsetzungen zulasten des Lieferanten; sie bleiben freistellungsfähig.143 Die zweite Gruppe verbotener Kernbeschränkungen zum Nachteil des Käufers regeln Art. 4 lit. b)-d) VO (EG) Nr. 2790/1999. Danach sind Beschränkungen des Gebietes oder des Kundenkreises, in dem bzw. an den Waren oder Dienstleistungen aus der fraglichen Vereinbarung verkauft werden dürfen, freistellungsschädlich. Im Ergebnis wird aber nur der passive Verkauf vollständig erfasst, nicht hingegen der aktive, also der durch direkte Ansprache individueller Kunden, sei es durch Briefe oder unaufgeforderte E-Mails, sei es durch gruppenorientierte Werbung. Ein Lieferant darf sich nämlich nach Art. 4 lit. b) 1. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 2790/1999 selbst ein Gebiet oder eine Gruppe von Kunden vorbehalten oder einem Zwischenverkäufer zuweisen und entsprechende Beschränkungsklauseln in vertragliche Vereinbarungen aufnehmen. Dazu gehört zwar nicht das alleinige
142 143
Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 47). Baur/De Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn. 99.
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Kapitel 4 Freistellungen
Recht des Verkaufs über das Internet,144 aber der Vorbehalt zur Belieferung eines bestimmten Gebietes bzw. einer Kundengruppe, jedenfalls wenn dies in absehbarer Zeit erfolgen soll.145 Weiter bleibt es zulässig, Sprunglieferungen zu untersagen, allerdings nur solche von der Großhandelsstufe auf Endbenutzer (Art. 4 lit. b) 2. Spiegelstrich) VO (EG) Nr. 2790/1999. Schließlich bleiben Sicherungen des selektiven Vertriebs, zu dem auch eine Auswahl nach quantitativen Gesichtspunkten gehört,146 nach Art. 4 lit. b) 3. Spiegelstrich, lit. c) und d) VO (EG) Nr. 2790/1999 zulässig. So kann der Verkauf an nicht zugelassene Händler beschränkt werden, ohne eine Gruppenfreistellung zu gefährden. Nicht freistellungsfähig sind jedoch Vereinbarungen, welche den aktiven oder 798 passiven Verkauf von Einzelhändlern an Endverbraucher oder Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb eines selektiven Vertriebssystems untersagen, selbst wenn diese Händler auf unterschiedlichen Handelsstufen agieren. Die Händler können damit nicht gezwungen werden, Vertragsprodukte ausschließlich aus einer bestimmten Lieferquelle zu beziehen, indem ein selektives Vertriebssystem mit einer Alleinbezugsverpflichtung kombiniert wird.147 Auch der Weiterverkauf von Bauteilen (Art. 4 lit. b) 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 2790/1999) und Ersatzteilen darf nicht beliebig beschränkt werden. Sie dürfen bei entsprechender Vereinbarung zwar nicht an Wettbewerber von Lieferanten gegeben werden, wohl aber an Endverbraucher oder Reparaturwerkstätten, ohne dass diese notwendigerweise mit dem Weiterverkäufer zwingend verbunden sein müssen (Art. 4 lit. i) VO (EG) Nr. 2790/1999). Solche Verbote sind unzulässig. Nach Maßgabe von Art. 5 VO (EG) Nr. 2790/1999 gehören auch Wettbewerbs799 verbote zu Kernbeschränkungen, ohne allerdings die gesamte Geltung der Gruppenausnahme auszuschließen, wenn sie auftreten. Nicht freistellungsfähig sind insbesondere auf unbestimmte Dauer oder für mindestens fünf Jahre vereinbarte Wettbewerbsverbote sowie nachvertragliche Wettbewerbsverbote, wenn sie über ein Jahr währen oder sich auf Waren und Dienstleistungen beziehen, die mit den vorher vertraglich erfassten Leistungen nicht im Wettbewerb stehen (Art. 5 lit. a) und b) VO (EG) Nr. 2790/1999). Auch Wettbewerbsverbote im selektiven Vertriebssystem werden nach Art. 5 lit. c) VO (EG) Nr. 2790/1999 erfasst. Unzulässig sind vereinbarte Verpflichtungen zulasten von Lieferanten oder Käufern, Marken von bestimmten kooperierenden Lieferanten nicht zu verkaufen.148 144 145
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147 148
Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 51). Baur/De Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn. 115; weiter Pautke/Schultze, BB 2001, 317 (320), welche die Erschließung durch mittelfristige Strategie innerhalb von sechs bis 24 Monaten ausreichen lassen. Eingrenzend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 14 Rn. 39; Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 187). Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 55). Näher Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 192).
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
II.
Technologietransfer (VO (EG) Nr. 772/2004)
1.
Erfasste Vereinbarungen: Ablösung und Erweiterung der VO (EG) Nr. 240/96
297
Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Bereich des 800 Technologietransfers unterliegen der GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 772/2004 (TT-GVO).149 Sie gilt bis zum 30.4.2014 und löste die gleichnamige GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 240/96150 ab, welche aber nach ihrem Art. 10 noch bis zum 31.3.2006 auf vor dem 1.5.2004 in Kraft getretene Altverträge Anwendung findet. Danach müssen auch diese ggf. angepasst werden.151 Gegenüber der Vorgängerregelung erfolgt eine stärkere Konzentration auf das Lizenzgeber-LizenznehmerWettbewerbsverhältnis nach amerikanischem Vorbild und eine gewisse Öffnung gegenüber dem Patentrecht.152 Eine nähere Erläuterung auch zu verschiedenen Einzelarten von Lizenzbe- 801 schränkungen enthalten die umfangreichen Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendung von Art. 81 EG auf Technologietransfer-Vereinbarungen.153 Grundgedanke ist, dass eine Zusammenarbeit von Unternehmen die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien fördert, was sich wiederum günstig auf den Wettbewerb auswirkt. Diese positiven Effekte überwiegen die wettbewerbsschädlichen Wirkungen von Technologietransfer-Vereinbarungen regelmäßig allerdings nur, wenn die Marktmacht der beteiligten Unternehmen nicht zu stark ist.154 Außerdem dürfen keine schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehen sein.155 In Erweiterung der bisherigen Regelung erfasst die TT-GVO entsprechend der 802 Begriffsbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 lit. b) nicht nur Patent- und Know-howLizenzvereinbarungen, sondern explizit auch Softwarelizenzen. Nach ihrem Art. 2 UAbs. 1 greift aber die TT-GVO nur für darauf bezogene TechnologietransferVereinbarungen zwischen zwei Unternehmen ein, die die Produktion der Vertragsprodukte ermöglichen. Nach Art. 1 Abs. 1 lit. b) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 werden auch Bestimmungen bezüglich Erwerb und Verkauf von Produkten oder die Lizenzierung und Übertragung von Rechten an geistigem Eigentum erfasst, wenn Hauptgegenstand die Weitergabe von Technologien bleibt und ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Produktion der Vertragserzeugnisse besteht. Der
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VO (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27.4.2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. L 123, S. 11 (Korrektur des Datums auf 7.4.2004 durch ABl. 127, S. 158). VO (EG) Nr. 240/96, ABl. 1996 L 31, S. 2. Lubitz, EuZW 2004, 652 ff. auch zum Folgenden. Tilmann, in: FIW (Hrsg.), Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik, 2004, S. 83 (87). ABl. 2004 C 101, S. 2. 5. und 6. Erwägungsgrund der TT-GVO (EG) Nr. 772/2004. 15. Erwägungsgrund der TT-GVO (EG) Nr. 772/2004.
298
Kapitel 4 Freistellungen
Vertrieb bleibt außen vor, weil das Herstellungselement fehlt. Das betrifft insbesondere Software-Vereinbarungen.156 Außerhalb dieses speziellen Bereichs sind weiterhin Marken- und allgemeine 803 Urheberrechtslizenzvereinbarungen vom Anwendungsbereich vollständig ausgeschlossen. Auch Vereinbarungen mit dem bloßen Nebenzweck einer Lizenzvereinbarung sind nicht einbezogen; dann greift vielmehr die für den Hauptzweck maßgebliche Gruppenfreistellungsverordnung und damit etwa die für Spezialisierungs- oder für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen.157 Vereinbarungen zwischen mehr als zwei Unternehmen unterfallen ebenfalls nicht der TT-GVO; insoweit können nur deren Grundsätze herangezogen werden.158 2.
Marktanteilsschwellen
804 Voraussetzung für das Eingreifen auch der TT-GVO ist das Unterschreiten von Marktanteilsschwellen, bis zu denen eine Zusammenarbeit von Unternehmen regelmäßig die negativen Wirkungen von Vereinbarungen überwiegt, da die Marktmacht der Beteiligten nicht zu stark ist; ansonsten kommt nur eine Einzelfreistellung in Betracht. Diese Schwelle beträgt gem. Art. 3 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 bei sich zu einer Koordinierung verbindenden Wettbewerbern 20 %, bei nicht konkurrierenden Unternehmen 30 %. Eine Konkurrenzsituation entsteht nach Art. 1 Abs. 1 lit. j) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 dadurch, dass Unternehmen auf demselben Technologiemarkt und damit hinsichtlich gleicher, austauschbarer oder substituierbarer Produkte Lizenzen vergeben oder zumindest potenziell in vertretbarer Zeit mit vertretbarem Aufwand tätig sind, mithin solche Produkte herstellen.159 Eine Überschreitung der Marktanteilsschwellen während der Laufzeit der Vereinbarung ist gem. Art. 8 Abs. 2 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 drei Jahre lang unschädlich. Die Marktanteile werden nach Art. 3 Abs. 3 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 bezogen auf die jeweilige lizenzierte Technologie berechnet. Dem Anteil des Lizenzgebers werden die Anteile seiner Lizenznehmer auf dem relevanten Produktmarkt hinzugerechnet. Damit wird dem einheitlichen Gepräge des hergestellten bzw. vertriebenen Erzeugnisses Rechnung getragen. 3.
Anwendungsausschlüsse
805 Aber auch dann, wenn sich die Marktanteile der Beteiligten innerhalb der festgelegten Schwellen halten, kann nach Art. 6 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 im Einzelfall die Gruppenfreistellung durch die Kommission oder auch eine nationale Wettbewerbsbehörde versagt werden, wenn mit Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbare Wirkungen auftreten. Das ist nach Art. 6 Abs. 1 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 ins156 157 158 159
Schultze/Pautke/Wagener, EWS 2004, 437 (441); näher Batchelor, C.T.L.R. 2004, 166 ff. Lubitz, EuZW 2004, 652 (653). Dazu u. Rn. 829 ff. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EGVertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. 2004 C 101, S. 2 (Rn. 40). S. Lubitz, EuZW 2004, 652 (653 f.).
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
299
besondere dann der Fall, wenn der Zugang fremder Technologien oder potenzieller Lizenznehmer zum Markt beschränkt wird oder die Parteien die lizenzierte Technologie ohne sachlich gerechtfertigten Grund nicht verwerten. Erfassen parallele gleichartige Technologietransfer-Vereinbarungen mehr als 50 % des relevanten Marktes, kann die Kommission die TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 nach deren Art. 7 Abs. 1 insoweit für nicht anwendbar erklären; das muss durch eine eigene Verordnung erfolgen, die nach Art. 7 Abs. 2 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 frühestens sechs Monate nach Erlass angewendet werden kann. Zudem darf eine Vereinbarung keine Kernbeschränkungen enthalten. Ansons- 806 ten ist ihre Freistellung nach der TT-GVO gänzlich ausgeschlossen. Das gilt nur partiell, wenn andere nicht erlaubte Klauseln enthalten sind. 4.
Kernbeschränkungen
Entsprechend den anderen Verordnungen neuen Typs sieht auch die TT-GVO Kernbeschränkungen vor, bei deren Vorkommen allenfalls eine Einzelfreistellung in Betracht kommt, jedoch infolge der Schwere der Wettbewerbsbeschränkung ebenfalls regelmäßig ausgeschlossen ist. Für die Identifikation zählt das bezweckte Ergebnis, nicht die Einbettung in andere Bestimmungen und die Verbindung mit weiteren Umständen oder die Wahl eines indirekten Weges; dadurch wird das Vorliegen einer Kernbeschränkung nicht ausgeschlossen. Eine solche kann gem. Art. 4 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 aus Preisfestsetzungen, Mengenbeschränkungen, Gebietsaufteilungen und Verwertungsverboten bestehen. Dabei werden Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern wie schon im Rahmen der Marktanteilsschwellen stärkeren Schranken unterworfen (Abs. 1) als solche zwischen Nichtwettbewerbern (Abs. 2).160 Bei Vereinbarungen zwischen konkurrierenden Unternehmen darf die eigene Festsetzung von Drittverkaufspreisen gar nicht beschränkt werden, bei vertikalen Vereinbarungen lediglich durch Höchstverkaufspreise oder Preisempfehlungen (Art. 4 Abs. 1, 2 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004, jeweils lit. a)). Der Output darf bei horizontalen Vereinbarungen lediglich zulasten des Lizenznehmers und höchstens in einseitigen Festlegungen oder in wechselseitigen nur bezüglich der Vertragsprodukte beschränkt werden (Art. 4 Abs. 1 lit. b) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). Märkte und Kunden dürfen grundsätzlich nicht zugewiesen werden; bei Nichtwettbewerbern gilt dies nur für Aktivverkäufe. Die in Art. 4 Abs. 1 lit. c) bzw. Abs. 2 lit. b) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 eingeräumten Ausnahmen betreffen insbesondere Begrenzungen der Nutzung der lizenzierten Technologie bzw. der Herstellung von Vertragsprodukten. Damit wird die Exklusivität der Lizenz geschützt, was sowohl für den Lizenzgeber als auch für den Lizenznehmer notwendig sein kann, um eine adäquate Nutzung zu ermöglichen.161 Deshalb kann dem Lizenznehmer auferlegt werden, die Technologie nur in einem oder mehreren Anwendungsbereichen oder Produktmärkten zu nutzen (Art. 4 160 161
Näher und differenzierend zum Folgenden Schultze/Pautke/Wagener, EWS 2004, 437 (441 ff.); Lubitz, EuZW 2004, 652 (655 ff.). S.u. Rn. 935 auch zur Rspr.
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Kapitel 4 Freistellungen
Abs. 1 lit. c) Ziff. i) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). Eine solche sog. field-of-useKlausel muss allerdings technologiebezogen sein, damit es sich nicht um eine unzulässige Kundenkreisbeschränkung handelt.162 Umgekehrt kann zugunsten des Lizenznehmers eine Alleinlizenz festgelegt werden (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Ziff. iii) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). Zugunsten von Lizenznehmer oder Lizenzgeber, also nicht wechselseitig, kön811 nen bestimmte Anwendungsbereiche oder Produktmärkte oder Gebiete (s. Art. 1 Abs. 1 lit. l) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004) exklusiv vorbehalten werden; entsprechende wechselseitige Vereinbarungen bilden hingegen unzulässige Gebietsaufteilungen.163 Diese sind nach Art. 4 Abs. 1 lit. c) Ziff. iv) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 ebenso wie wechselseitige Verkaufsverbote an Exklusivkundengruppen unzulässig; bei Vereinbarungen zwischen (ursprünglichen) Nichtwettbewerbern betrifft dies nur Aktivverkäufe, jedoch auch einseitige Beschränkungen (Art. 4 Abs. 2 lit. b) Ziff. i), ii) bzw. Abs. 1 lit. c) Ziff. v) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 e contrario). Weiter kann der Lizenznehmer auf eine Produktion für einen bestimmten Kun812 den, welchem durch die Lizenz eine alternative Bezugsquelle verschafft werden sollte (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Ziff. vii) bzw. Abs. 2 lit. b) Ziff. iv) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004), sowie für den Eigenbedarf beschränkt werden, sofern er die hergestellten Erzeugnisse noch als Ersatzteile für seine eigenen Produkte verkaufen kann (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Ziff. vi) bzw. Abs. 2 lit. b) Ziff. iii) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). Schließlich kann einem nicht in Konkurrenz zum Lizenzgeber stehenden Li813 zenznehmer der Verkauf an Endverbraucher beschränkt werden, wenn er auf der Großhandelsstufe tätig ist, und an nicht zugelassene Händler, sofern er Mitglied eines selektiven Vertriebssystems ist (Art. 4 Abs. 2 lit. b) Ziff. v) und vi) TTGVO (EG) Nr. 772/2004). Im zweiten Fall dürfen ihm als Einzelhändler auch Geschäfte an Endverbraucher von nicht zugelassenen Niederlassungen aus verboten werden; ansonsten müssen ihm solche Geschäfte gestattet werden (Art. 4 Abs. 2 lit. c) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). Damit kann der Verkauf an andere Lizenznehmer in Form von Quer-, Rück- und Sprunglieferungen im Gegensatz zur Vertikal-GVO (EG) Nr. 2790/1999 untersagt werden.164 Wettbewerbern muss es gem. Art. 4 Abs. 1 lit. d) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 weiter möglich sein, ihre eigene Technologie zu verwenden und selbst Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen, außer mit diesen kann das lizenzierte Know-how an Dritte weitergegeben werden.
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Näher abgrenzend Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. 2004 C 101, S. 2 (Rn. 180). Schultze/Pautke/Wagener, EWS 2004, 437 (441) unter Verweis auf die Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. 2004 C 101, S. 2 (Rn. 163). Schultze/Pautke/Wagener, EWS 2004, 437 (443).
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
5.
301
Ausgenommene Beschränkungen
Diese Möglichkeit zur Verwendung eigener Technologie und zur Durchführung 814 eigener Forschung und Entwicklung, mit der die Lizenz nicht praktisch ausgehöhlt wird, bildet zwischen Nichtwettbewerbern keine Kernbeschränkung, sondern gem. Art. 5 Abs. 2 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 nur eine von der Gruppenfreistellung ausgenommene Verpflichtung. Durch Art. 5 TT-GVO (EG) Nr. 772/2004 werden bestimmte Klauseln in Technologietransfer-Vereinbarungen von der Freistellung ausgenommen. Diese bleibt also als solche möglich, erstreckt sich aber nicht auf die genannte Verpflichtung sowie die folgenden Vertragsbestandteile zwischen Wettbewerbern, die den Lizenznehmer binden: Exklusivlizenzen oder die Übertragung von Rechten an den Lizenzgeber oder einem von diesem benannten Dritten im Hinblick auf eigene Verbesserungen oder neue Anwendungen der lizenzierten Technologie sowie Nichtangriffsabreden im Hinblick auf Rechte am geistigen Eigentum (Art. 5 Abs. 1 lit. a-c) TT-GVO (EG) Nr. 772/2004). III.
Kraftfahrzeugwesen (VO (EG) Nr. 1400/2002)
1.
Einordnung und Anwendungsbereich
Besonders hoch schlagen die Wellen im Hinblick auf Wettbewerbsbeeinträchti- 815 gungen im Kraftfahrzeugwesen. Insoweit handelt es sich um selektive Vertriebssysteme mit Alleinvertriebsbindung der Vertragshändler an einen bestimmten Hersteller sowie Gebietsaufteilung.165 Aus dem Zuschnitt der KFZ-Vertriebssysteme ergaben sich vor allem Probleme daraus, dass Vertriebshändler nicht noch eine zusätzliche Marke hinzunehmen und lediglich Ersatzteile des Originalherstellers verwenden durften sowie ein grenzüberschreitender Austausch von Neuwagen hohen Hürden begegnete.166 Dementsprechend fand die auf diese Probleme eingehende GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 1400/2002 (GVO-KFZ-Vertrieb) große Beachtung.167 Auch sie veranlasste noch zahlreiche Fragen und Probleme. Um diese zu beheben, gab die Kommission insbesondere zu Fragen des Mehrmarkenvertriebs, grenzüberschreitenden KFZ-Handels, nach Garantien und Art der qualitativen Kriterien für die Auswahl der Händler und Werkstätten Antworten168 und ergänzte dadurch ihren Leitfaden vom 30.9.2002 zur VO (EG) Nr. 1400/2002.169 165 166
167
168
S. die Einordnung bei Bechtold, NJW 2003, 3729 ff. S. insbes. die Erwägungsgründe 9 f., 13 ff. der VO (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. L 203, S. 30. S. nur Ensthaler, WuW 2002, 1042 ff.; Creutzig, WRP 2002, 1124 ff.; ders., EuZW 2002, 560 ff.; umfassend ders., EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003; Reimann, Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung, 2004 und neuerdings Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005; krit. Glatz, in: FIW (Hrsg.), Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik, 2004, S. 67 ff. Die GD Wettbewerb der Kommission veröffentlicht auf ihrer Website im Bereich Automobilsektor ein Papier mit Antworten zu häufig gestellten Fragen unter dem Link:
302
Kapitel 4 Freistellungen
Auch die GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 enthält in Art. 6 eine explizite Regelung, dass die Freistellung durch die Kommission im Einzelfall entzogen werden kann, sofern sich mit Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbare Wirkungen zeigen. Diese werden im Einzelnen aufgeführt. Dadurch wird die allgemeine Regelung des Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 spezifiziert. Die gesamte Verordnung gilt gem. Art. 12 Abs. 3 bis zum 31.5.2010. Sie kann gem. ihres Art. 7 bei nebeneinanderstehenden Netzen mit mehr als 50 % Marktanteil durch Verordnung der Kommission für unanwendbar erklärt werden; diese greift frühestens nach einem Jahr ein. Gem. Art. 2 Abs. 1 gilt die GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 für verti817 kale Vereinbarungen im Hinblick auf den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf neuer Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeugersatzteile oder Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge. Die weiteren Einschränkungen und Erweiterungen korrespondieren mit denen nach der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Koordinierungen. So werden solche vertikalen Vereinbarungen nicht erfasst, die zwischen einer Unternehmensvereinigung und ihren Mitgliedern bzw. ihren Lieferanten erfolgt, wenn nicht alle Mitglieder der Vereinigung Händler von Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugersatzteilen oder Werkstätten sind oder auch nur eines der Mitglieder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen einen jährlichen Gesamtumsatz von mehr als 50 Mio. Euro erzielt, Art. 2 Abs. 2 lit. a) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002. In die Gruppenfreistellung eingeschlossen sind auch unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Kraftfahrzeugen, Kraftfahrzeugersatzteilen oder entsprechende Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen bezogene Nebenabreden, um geistige Eigentumsrechte auf den Käufer zu übertragen bzw. durch ihn nutzen zu lassen, Art. 2 Abs. 2 lit. b) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002. Gem. Art. 2 Abs. 3 greift die GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 auch für 818 Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern ein, sofern es sich um eine nicht wechselseitige Vertikale handelt, also nur eine Partei Lieferant oder Käufer ist sowie eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: Der jährliche Gesamtumsatz des Käufers liegt nicht über 100 Mio. Euro oder der Lieferant ist zugleich Hersteller und Händler von Waren oder aber ein auf mehreren Wirtschaftsstufen tätiger Dienstleistungserbringer, ohne hinsichtlich des Vertragsgegenstandes mit dem Käufer in Wettbewerb zu stehen.170 Vorbehaltlich besonderer Regelungen legt Art. 3 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 819 1400/2002 wie die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Koordinierungen VO (EG) Nr. 2790/1999 eine Marktanteilsschwelle von 30 % fest. Bei Vereinbarungen über quantitative, selektive Vertriebssysteme zum Verkauf neuer Kraftfahrzeuge darf hingegen der Marktanteil 40 % nicht überschreiten, soll die GVO-KFZVertrieb eingreifen. Die Berechnung erfolgt nach Art. 8 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 und ermöglicht eine gewisse Flexibilisierung im Falle geringfügi816
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Frequently asked questions on the new motor vehicle block exemption (gesehen am 16.8.2005). Der Text des Leitfadens (explanatory brochure) ist von der Website der GD Wettbewerb der Kommission, Bereich Automobilsektor, VO (EG) Nr. 1400/2002 herunterladbar (gesehen am 16.8.2005). S. näher im Zusammenhang mit der Vertikal-GVO (EG) Nr. 2790/1999 o. Rn. 787.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
303
ger Überschreitungen. Keine Marktanteilsschwellen bestehen bei Vereinbarungen über qualitative, selektive Vertriebssysteme. Voraussetzung für eine Freistellung ist aber stets, dass verschiedene inhaltliche 820 Bedingungen in der Vereinbarung erfüllt sind, welche in Art. 3 Abs. 3-6 GVOKFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 festgelegt sind. Diese Bedingungen betreffen die Übertragung von Rechten und Pflichten aus der vertikalen Vereinbarung durch den Händler oder die Werkstatt und die Zustimmung des Lieferanten dazu, die Notwendigkeit einer ausführlichen objektiven und transparenten Begründung bei einer Kündigung, eine adäquate Laufzeit (mindestens fünf Jahre mit sechs Monaten Kündigungsfrist danach bzw. unbefristet mit grundsätzlich mindestens zwei Jahren Kündigungsfrist) sowie die Anrufung eines unabhängigen Sachverständigen oder Schiedsrichters bei Meinungsverschiedenheiten. 2.
Kernbeschränkungen
Wie die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Koordinierungen VO (EG) 821 Nr. 2790/1999 enthält auch die GVO-KFZ-Vertrieb Kernbeschränkungen, bei deren Auftreten eine Freistellung ausscheidet. Die wichtigsten betreffen sämtliche erfassten Aktivitäten, also den Verkauf von Neuwagen, Instandsetzung- und Wartungsdienstleistungen sowie Ersatzteile. Die Preise dafür müssen die Händler bzw. die Werkstätten gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2790/1999 selbst festsetzen dürfen. Jedoch haben die Lieferanten die Möglichkeit, Höchstverkaufspreise zu bestimmen oder Preisempfehlungen auszusprechen, ohne diese allerdings erzwingen zu dürfen. Auch eine positive Förderung durch Anreize darf nicht so ausgestaltet sein, dass eine Wirkung wie Fest- oder Mindestverkaufspreise entsteht. Damit werden die Grundsätze aufgegriffen, die sich im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 lit. a) EG etwa im Zusammenhang mit Rabatten herausgebildet haben.171 Art. 4 Abs. 1 lit. b)-e) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 betreffen Ver- 822 kaufs- und Lieferbeschränkungen. Gebiets- und Kundenbeschränkungen sind gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b) S. 1 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002) grundsätzlich verboten. Allerdings gibt es hierzu zahlreiche Ausnahmen, die denen nach Art. 4 lit. b) Vertikal-GVO (EG) Nr. 2790/1999 vergleichbar sind.172 So kann sich der Lieferant den aktiven Verkauf in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kundengruppen selbst vorbehalten oder ausschließlich einem Händler bzw. einer Werkstatt zuweisen bzw. den Verkauf neuer Kraftfahrzeuge und von Ersatzteilen an nicht zugelassene Händler bei einem selektiven Vertriebssystem ausschließen. Jedoch müssen die Kunden des Händlers oder der Werkstatt weiterhin unbehindert verkaufen können. Der Vertrieb von Ersatzteilen an unabhängige Werkstätten muss gem. Art. 4 Abs. 1 lit. i) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 gestattet sein. Bereits nach Art. 4 Abs. 1 lit. b), i) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 können unkonventionelle Betriebssysteme wie das Internet genutzt werden.173 Zulässig sind hingegen Beschränkungen des Verkaufs an Endverbraucher durch 171 172 173
S.o. Rn. 623. S.o. Rn. 797 f. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 12 Rn. 32, 34.
304
Kapitel 4 Freistellungen
Großhändler sowie der Weiterverkauf von Bauteilen an Kunden, welche damit in Konkurrenz zum Hersteller treten würden. Ausschließlichkeitsbindungen werden hingegen weiter dadurch abgeschwächt, 823 dass Querlieferungen zwischen Händlern und Werkstätten selbst auf unterschiedlichen Handelsstufen innerhalb eines selektiven Vertriebssystems nicht beschränkt werden dürfen (Art. 4 Abs. 1 lit. c) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Zudem müssen Einzelhändler auch in Märkten mit selektiven Vertriebssystemen an Endverbraucher einschließlich Leasingunternehmen (Art. 1 Abs. 1 lit. w) GVOKFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002) aktiv und passiv verkaufen können, sofern dies nur von einem zugelassen Standort aus erfolgt (Art. 4 Abs. 1 lit. d), e) GVO-KFZVertrieb (EG) Nr. 1400/2002), der allerdings gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) GVO-KFZVertrieb (EG) Nr. 1400/2002 für Neufahrzeuge auch in einem anderen Mitgliedstaat liegen kann. Im Hinblick auf den Verkauf von Neufahrzeugen kommt hinzu, dass gem. Art. 4 Abs. 1 lit. f) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 ein Händler alle Neufahrzeuge aus dem Programm seiner Marke verkaufen können muss, also keinen quantitativen Beschränkungen unterworfen werden darf. Umgekehrt muss er nach Art. 4 Abs. 1 lit. g) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 befugt bleiben, Instandsetzung- und Wartungsdienstleistungen untervertraglich an zugelassene Werkstätten weiterzugeben, sofern er dem Käufer Name und Anschrift und ggf. die Entfernung mitteilt. Die übrigen Bestimmungen des Art. 4 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 824 öffnen weitgehend den Markt für Instandsetzung- und Wartungsdienstleistungen sowie Ersatzteile. So können sich Werkstätten auf diese Tätigkeit beschränken (Art. 4 Abs. 1 lit. h) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002), Ersatzteile auch von Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems erwerben (Art. 4 Abs. 1 lit. i) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002) oder von einem Lieferanten von Originalersatzteilen oder qualitativ gleichwertigen Ersatzteilen beziehen (Art. 4 Abs. 2 lit. k) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002), worin dieser Lieferant auch vom Kraftfahrzeughersteller nicht beschränkt werden darf (Art. 4 Abs. 1 lit. j) GVOKFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Er darf auch sein Waren- oder Firmenzeichen auf diesen Teilen effektiv und gut sichtbar anbringen (Art. 4 Abs. 1 lit. l) GVOKFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Art. 4 Abs. 2 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 gewährleistet darüber 825 hinaus den Zugang unabhängiger Marktbeteiligter zu den für ihre Erzeugnisse und Leistungen notwendigen Eigentumsrechten und Know-how, Informationen und Hilfsgeräten, den der Kraftfahrzeuglieferant unverzüglich in nichtdiskriminierender und verhältnismäßiger Form gewährleisten muss bzw. nicht missbräuchlich verweigern darf. Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen, wonach der Zugang zu unabdingbaren Leistungen nicht abgeschnitten werden darf.174 Eine Exklusivstellung kann sich der Fahrzeughersteller nur für Originalersatzteile im Hinblick auf die Gewährleistung, unentgeltlichen Kundendiensten oder Rückrufaktionen gem. Art. 4 Abs. 1 lit. k) HS. 2 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 vorbehalten.
174
S.u. Rn. 1277 ff., 1354 ff.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
3.
305
Weitere Verhaltensanforderungen
Art. 5 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 benennt Klauseln, die eine Frei- 826 stellung nicht gänzlich hindern, sondern nur partiell. Daraus ergeben sich bei vertikalen Vereinbarungen im KFZ-Bereich Verpflichtungen, deren Verletzung insoweit eine im Übrigen gegebene Freistellung nicht eingreifen lässt. Dabei handelt es sich um verschiedene Konkurrenzklauseln. Erfasst sind danach die unmittelbaren oder mittelbaren Wettbewerbsverbote (Art. 5 Abs. 1 lit. a) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002), so dass die KFZ-Händler mehrere Marken auch im Neuwagenbereich verkaufen dürfen. Dabei können sie aber verpflichtet werden, abgetrennte Bereiche zu benutzen, nicht hingegen, markenspezifisches Verkaufspersonal zu beschäftigen, es sei denn, der Lieferant trägt alle dabei anfallenden zusätzlichen Kosten (Art. 1 Abs. 1 lit. b) S. 2-3 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Ebenso dürfen Fahrzeuge konkurrierender Lieferanten instand gesetzt und gewartet sowie Kraftfahrzeuge und Ersatzteile konkurrierender Lieferanten verkauft werden (Art. 5 Abs. 1 lit. b) und c) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Nach Beendigung einer vertraglichen Beziehung müssen der Händler und die zugelassene Werkstatt auch weiterhin in der Lage sein, ihre Leistungen im KFZ-Bereich zu erbringen (Art. 5 Abs. 1 lit. d) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002). Neuwagenverkäufer müssen Leasingdienstleistungen anbieten können und wei- 827 tere Standorte im Gemeinsamen Markt auch zum selektiven Vertrieb errichten dürfen (Art. 5 Abs. 2 lit. a) und b) GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002: seit 1.10.2005). Werkstätten dürfen, auch wenn sie Ersatzteile mit verkaufen und in ein selektives Vertriebssystem eingegliedert sind, gem. Art. 5 Abs. 3 GVO-KFZ-Vertrieb (EG) Nr. 1400/2002 keiner Standortbindung unterliegen. IV.
Horizontale Vereinbarungen
Für horizontale Vereinbarungen gilt keine allgemein gültige Verordnung wie die 828 zu vertikalen Vereinbarungen, sondern es besteht lediglich die RahmenVO (EWG) Nr. 2821/71.175 Die konkreten Rechtsfolgen ergeben sich aus verschiedenen Durchführungsverordnungen, welche gebietsspezifische Regelungen enthalten. Bestehen solche nicht, greift eine gruppenbezogene Freistellung nicht ein. Vorgesehen sind solche Verordnungen für Forschung und Entwicklung sowie für Spezialisierungen. Damit liegen anders als im Rahmen vertikaler Vereinbarungen keine flächendeckenden Regelungen vor. Daher erfolgt eine Zusammenschau der verschiedenen Gruppenfreistellungsregelungen und der für Einzelfreistellungen herausgebildeten Linien in einem eigenen Kapitel.176
175
176
VO (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20.12.1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 285, S. 46. S.u. Rn. 1013 ff.
306
Kapitel 4 Freistellungen
V.
Spezialisierungsvereinbarungen (VO (EG) Nr. 2658/2000)
829 Die GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 2658/2000 für Spezialisierungsvereinbarungen177 bezieht sich auf Spezialisierungen in der Produktion. Erfasst werden nach deren Art. 1 Abs. 1 Vereinbarungen über eine einseitige, gegenseitige und gemeinsame Spezialisierung. Bei einer einseitigen Spezialisierung stellt die eine Partei die Herstellung bestimmter Produkte ein oder nimmt sie erst gar nicht auf und bezieht sie von einem konkurrierenden Unternehmen, das sich dann zu Produktion und Lieferung der entsprechenden Erzeugnisse verpflichtet. Eine gegenseitige Spezialisierung führt dazu, dass eine oder mehrere Parteien in einem Bereich nicht (mehr) produzieren, in anderen hingegen schon, wo aber andere Vertragsparteien erzeugen und daher die entsprechenden Produkte liefern. Schließlich liegt eine Spezialisierung auch in einer gemeinsamen Fertigung, bei der sich zwei oder mehr Vertragsparteien dazu verpflichten, bestimmte Produkte gemeinsam herzustellen. Gem. Art. 2 Nr. 4 und 5 VO (EG) Nr. 2658/2000 erstreckt sich die Verordnung 830 auch auf Dienstleistungen. Voraussetzung ist, dass solche Spezialisierungsvereinbarungen Wettbewerbsbeschränkungen i.S.v. Art. 81 Abs. 1 EG enthalten. Dann erfasst die Gruppenfreistellungsverordnung auch notwendige Nebenabreden, die sich auf das geistige Eigentum und die Nutzung entsprechender Rechte beziehen können (Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2658/2000). Die an der Spezialisierungsvereinbarung beteiligten Unternehmen dürfen keine Marktanteile im relevanten Markt von mehr als 20 % haben (Art. 4 VO (EG) Nr. 2658/2000). Maßgeblich ist dabei gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2658/2000 grundsätzlich der Absatzwert. Geringfügige Überschreitungen um höchstens 5 % oder sogar darüber hinaus sind nach Art. 6 Abs. 2-4 VO (EG) Nr. 2658/2000 für höchstens drei bzw. zwei Jahre unschädlich. Art. 3 VO (EG) Nr. 2658/2000 benennt unschädliche Verhaltensweisen in Form 831 von Alleinbezugs- bzw. Alleinbelieferungsverpflichtungen und Regelungen über den Vertrieb, sei es, dass dieser gemeinsam erfolgt, sei es durch einen Dritten, sofern dieser kein konkurrierendes Unternehmen ist. Eine Freistellung kommt hingegen gem. Art. 5 VO (EG) Nr. 2658/2000 bei den darin genannten Kernbeschränkungen nicht in Betracht. Es genügt der Zweck, Preise für den Verkauf der Produkte an dritte Abnehmer festzusetzen, Herstellung oder Absatz zu beschränken oder Märkte bzw. Abnehmerkreise aufzuteilen. Insoweit handelt es sich um die üblichen schädlichen Klauseln. Aufgrund des besonderen Charakters der Spezialisierungsvereinbarungen sind aber gem. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2658/2000 Mengenfestlegungen sowie Absatzzielbestimmungen und die Festlegung von Preisen für ein gemeinsames Produktionsunternehmen gegenüber seinen unmittelbaren Abnehmern im Falle des Art. 3 lit. b) VO (EG) Nr. 2658/2000 freistellungsfähig. Art. 7 VO (EG) Nr. 2658/2000 sieht genauer als Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 832 den Entzug der Gruppenfreistellung im Einzelfall insbesondere bei fehlenden spür177
VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. L 304, S. 3.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
307
baren Rationalisierungserfolgen, keiner angemessenen Gewinnbeteiligung des Verbrauchers sowie fehlendem wirksamen Wettbewerb der durch die Spezialisierungen erfassten Produkte vor. Die Verordnung gilt bis 31.12.2010. VI.
Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (VO (EG) Nr. 2659/2000)
1.
Anwendungsbereich
Die VO (EG) Nr. 2659/2000 betrifft die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG auf 833 Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen.178 Im Einzelnen erfasst werden reine Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, solche i.V.m. einer gemeinsamen Verwertung der dabei erzielten Ergebnisse und Abreden ausschließlich zur gemeinsamen Verwertung von Produkten und auch Verfahren, die von den Parteien aufgrund einer früheren Vereinbarung durchgeführt worden sind (Art. 1 Abs. 1 lit. c), a) und b) VO (EG) Nr. 2659/2000). Voraussetzung ist wie stets, dass der Kartelltatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt ist (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000). Einbezogen werden nach Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000 mit der Durchführung der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen unmittelbar verbundene bzw. dafür notwendige Nebenabreden, so Forschungs- und Entwicklungsverbote allein oder in Zusammenarbeit mit Dritten. Gem. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2659/2000 handelt es sich um eine unter ver- 834 schiedenen Bedingungen stehende Freistellung. So müssen alle Vertragsparteien Zugang zu den Ergebnissen der gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsarbeit für weitere Forschungs- oder Verwertungszwecke haben, außer es handelt sich um ausschließliche Forschungsinstitute oder Unternehmen, die sich ein Exklusivrecht für die weitere Forschung einräumen und nicht als Verwerter in Erscheinung treten. Nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000 muss bei reinen F&E-Vereinbarungen jeder Vertragspartei die selbstständige Verwertung jedenfalls in einzelnen Anwendungsbereichen freistehen. Nach Art. 3 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2659/2000 darf sich eine gemeinsame Verwertung nur auf Kernbestandteile der Vertragsprodukte bzw. -verfahren beziehen, die urheberrechtlich geschützt oder zum technischen bzw. wirtschaftlichen Fortschritt wesentlich beitragendes Know-how betreffen. Bei der Herstellung müssen damit im Rahmen einer Aufgabenteilung betraute Unternehmen Lieferaufträge aller Vertragsparteien nach Art. 3 Abs. 5 VO (EG) Nr. 2659/2000 erfüllen, außer es ist auch ein gemeinsamer Vertrieb vorgesehen. 2.
Begrenzungen
Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2659/2000 begrenzt die Freistellungsdauer auf die Dau- 835 er der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und erstreckt sie auf weitere sieben 178
VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. L 304, S. 7.
308
Kapitel 4 Freistellungen
Jahre, wenn daraus resultierende Ergebnisse gemeinsam verwertet werden, ab dem Tag des ersten Inverkehrbringens der Vertragsprodukte im Gemeinsamen Markt. Die Freistellung entfällt ganz, wenn an der F&E-Vereinbarung beteiligte konkurrierende Unternehmen am Ende der Zusammenarbeit mehr als 25 % Marktanteil für die Produkte haben, die durch die Vertragsprodukte verbessert oder ersetzt werden können (Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000). Durch diese Schwelle ist die Freistellung zugleich zeitlich befristet (Art. 4 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000). Geringfügige Überschreitungen auf bis zu 30 % und ggf. noch darüber hinaus sind gem. Art. 6 Abs. 2-4 VO (EG) Nr. 2659/2000 für höchstens drei bzw. zwei Jahre unschädlich. Art. 5 VO (EG) Nr. 2659/2000 nennt eine Vielzahl von sog. Kernbeschränkun836 gen, bei denen eine Freistellung nicht eingreifen kann. Dazu gehören zunächst die üblichen Klauseln, die Produktion oder Absatz beschränken (Art. 5 lit. c) VO (EG) Nr. 2659/2000), Preise für den Verkauf des Vertragsproduktes an dritte Abnehmer festsetzen (Art. 5 lit. d) VO (EG) Nr. 2659/2000) oder den passiven Verkauf verbieten (Art. 5 lit. f) VO (EG) Nr. 2659/2000). Zudem sind Weiterungen der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht untersagt (Art. 5 lit. a), b), e), g) VO (EG) Nr. 2659/2000). Auch der überschießende Vorbehalt von Lizenzen für F&E-Ergebnisse, für die gar keine Verwertung vorgesehen ist, bleibt verboten (Art. 5 lit. h) VO (EG) Nr. 2659/2000). Gleiches gilt für Erschwerungen insbesondere auch durch die Geltendmachung von Urheberrechten, die den Bezug der Vertragsprodukte bei anderen Wiederverkäufen erschweren (Art. 5 lit. j) VO (EG) Nr. 2659/2000). Erlaubt sind allerdings Produktionsziele sowie Verkaufsziele und Preisfestsetzungen gegenüber Direktabnehmern, soweit die F&E-Vereinbarung die Herstellung bzw. den gemeinsamen Vertrieb der Vertragsprodukte erfasst (Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000). 3.
Entzug
837 Art. 7 VO (EG) Nr. 2659/2000 sieht den Entzug der Gruppenfreistellung im Einzelfall insbesondere dann vor, wenn begrenzte Forschungskapazitäten Forschungsund Entwicklungsarbeiten Dritter hindern oder diese wegen der besonderen Angebotsstruktur nicht auf den Markt gelangen können, eine Verwertung durch die Vertragsparteien sachwidrig nicht erfolgt, die Vertragsprodukte keinem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt sind oder bereits die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wirksamen Wettbewerb in dem betroffenen Markt ausschalten. Die Verordnung gilt bis 31.12.2010. VII.
Versicherungssektor (VO (EG) Nr. 358/2003)
838 Die VO (EWG) Nr. 3932/92179 wurde vollständig durch die NachfolgeVO (EG) Nr. 358/2003180 ersetzt, wobei deren Art. 11 mittlerweile abgelaufene Übergangs-
179
VO (EWG) Nr. 3932/92 der Kommission vom 21.12.1992, ABl. 1992 L 398, S. 7.
§ 2 Gruppenfreistellungsverordnungen
309
fristen vorsieht. Sie entspricht dem neuen System der Gruppenfreistellungsverordnungen, indem sie beim Auftreten bestimmter Klauseln eine Freistellung gänzlich ausschließt sowie den Entzug der Gruppenfreistellung vorsieht. Zudem stellt sie verschiedene Bedingungen. Nach Art. 1 VO (EG) Nr. 358/2003 sind vor allem vier verschiedene Arten von Vereinbarungen in der Versicherungswirtschaft freistellungsfähig: -
die gemeinsame Berechnung und Einschätzung von Risiken, die Erstellung von Mustern allgemeiner Versicherungsbedingungen, die gemeinsame Abdeckung bestimmter Risiken sowie die Prüfung und Anerkennung von Sicherheitsvorkehrungen.181
An die erste Form möglicher Vereinbarungen knüpft Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 839 Nr. 358/2003 verschiedene inhaltliche Bedingungen. Im Ergebnis dürfen nur die versicherungsrisikobezogenen Daten zusammengetragen und gemeinsam berechnet werden, nicht hingegen die auf die Wirtschaft der einzelnen Betriebe bezogenen. Sie müssen zudem nach Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 358/2003 bezüglich der beteiligten Versicherungsunternehmen anonym sowie unverbindlich sein (s. auch Art. 4) und auch anderen Versicherungsunternehmen zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Konditionen zur Verfügung gestellt werden. Nach Art. 5 VO (EG) Nr. 358/2003 müssen Muster allgemeiner Versicherungs- 840 bedingungen und Modelle ebenfalls unverbindlich sowie zugänglich sein und Abweichungen zulassen. Auf dieser Basis sind sie entsprechend Art. 81 Abs. 3 EG für Versicherungsunternehmen effizienter und können Verbraucherverbänden und Maklern Vorteile bringen,182 weil diese mit einem grundsätzlich bestehenden Rahmen von Versicherungsbedingungen rechnen können, ohne dass benachteiligende Klauseln enthalten sein dürfen. Art. 6 VO (EG) Nr. 358/2003 nimmt nämlich spezifische inhaltliche Klauseln aus, welche die Versicherungsnehmer benachteiligen. So kann in den Versicherungsbedingungen außer bei Lebensversicherungen keine Versicherungsdauer von mehr als drei Jahren (Abs. 1 lit. f) VO (EG) Nr. 358/2003) und kein Koppelungszwang (Abs. 1 lit. i) VO (EG) Nr. 358/2003) festgelegt sein. Auch Risikoausschlüsse sind gem. Art. 6 Abs. 3 VO (EG) Nr. 358/2003 problematisch. Die Modelle dürfen unbeschadet gesetzlicher Verpflichtungen nicht lediglich bestimmte Zinssätze oder eine bezifferte Angabe über die Verwaltungskosten enthalten und nicht verpflichtend gemacht werden (Art. 6 Abs. 4 und 5 VO (EG) Nr. 358/2003). Mitversicherungsgemeinschaften können die aus ihrem Geschäft erwachsenden 841 Risiken gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 358/2003 dann abdecken, wenn sie auf keinem der betroffenen Märkte 20 % Marktanteil überschreiten; Mit-Rückversicherungsgemeinschaften müssen eine Marktanteilsschwelle von 25 % wahren. Ge180
181 182
VO (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. L 53, S. 8. Herausgestellt in Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Tz. 168. Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., Tz. 170.
310
Kapitel 4 Freistellungen
wisse Überschreitungen sind im Laufe der Zeit möglich (Art. 7 Abs. 4 ff. VO (EG) Nr. 358/2003). Unabhängig von einem solchen Anteil können Versicherungsunternehmen, die nach In-Kraft-Treten dieser Verordnung zur Abdeckung neuartiger Risiken, wie solchen aus der Luftfahrt oder dem Umweltschutz, gegründet wurden, diese für eine Anfangszeit von drei Jahren im Verbund absichern. In allen Fällen dürfen gem. Art. 8 VO (EG) Nr. 358/2003 insbesondere Kündigungen aus dem Verbund nicht sanktioniert (lit. a)) sowie die Geschäftsmöglichkeiten der einzelnen Mitglieder nicht eingeschränkt werden (lit. b)-f)). Zudem dürfen keine Überkreuzmitgliedschaften oder bestimmende Einflussmöglichkeiten durch ein Unternehmen in auf dem gleichen relevanten Markt tätigen Versicherungsgemeinschaften entstehen (lit. g)). Geforderte Sicherheitsvorkehrungen zur Minderung des Sicherheitsrisikos dür842 fen gem. Art. 9 VO (EG) Nr. 358/2003 gleichfalls nur so standardisiert werden, dass sie unverbindlich und bei Interesse zugänglich sind. Zudem müssen sie hinreichend präzise, objektiv und diskriminierungsfrei sein. Ihre Anerkennung muss auf einer angemessenen Prüfung beruhen, welche für den Antragsteller nicht mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sein darf. Eine Ablehnung muss schriftlich begründet werden. Besteht eine gemeinschaftsrechtskonforme Harmonisierung von Sicherheitsstandards, zählt diese. Eine dem gleichen Zweck dienende Vereinbarung von Versicherungsunternehmen ist daher nicht freistellungsfähig.183 Art. 10 VO (EG) Nr. 358/2003 sieht den Entzug der Freistellung abgestimmt 843 auf die einzelnen Vereinbarungstypen vor, so bei ungerechtfertigten Annahmen (lit. a)), ungleichgewichtigen Klauseln (lit. b)) sowie Marktaufteilungen (lit. c)). Nach Art. 11 soll die VO (EG) Nr. 358/2003 bis 31.3.2010 gelten.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels A.
Grundstruktur
I.
Notwendigkeit spürbarer Vorteile
844 Art. 81 Abs. 3 EG setzt voraus, dass eine Maßnahme die Warenerzeugung oder -verteilung verbessert oder den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt fördert und nennt damit vier Ansatzpunkte, bei deren Erreichung eine Freistellung vom Kartellverbot möglich ist. Der EuGH verlangt gegenüber dem Zustand ohne wettbewerbsbeeinträchtigende Vereinbarung spürbare objektive, d.h. der Gemeinschaft und nicht nur den Parteien der Vereinbarung zugute kommende184 Vorteile, die geeignet sind, die mit ihr verbundenen Nachteile für den Wettbewerb auszugleichen.185 Schließlich greift das Kartellverbot auch nur ein, wenn spürbare Wett-
183 184 185
Erwägungsgrund 24 der VO (EG) Nr. 358/2003. Zäch, Wettbewerbsrecht in der Europäischen Union, 1994, S. 94. Schon EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
311
bewerbsbeeinträchtigungen vorliegen.186 Bestehen damit deutliche Nachteile, können diese nur durch spürbare Vorteile ausgeglichen werden.187 Das gilt zumal deshalb, weil die Wettbewerbsfreiheit ein Grundprinzip des EG bildet und damit im Regelfall zum Zuge kommen muss. Sie soll gerade wirtschaftlichen und technischen Fortschritt zugunsten der Verbraucher ermöglichen.188 Daher sollen auch die spezifisch in Art. 81 Abs. 3 EG genannten Ansatzpunkte 845 für eine Freistellung am ehesten durch freien Wettbewerb und nicht durch Wettbewerbsbeschränkungen erreicht werden. Letztere können nur zum Zuge kommen, wenn Wettbewerbsdefizite auftreten und Marktkräfte das wirtschaftlich günstigste Ergebnis nicht erwarten lassen.189 Auch andere Freiheitsrechte bilden die Regel, so dass gerechtfertigte Beschränkungen die Ausnahme bleiben müssen. Deshalb haben die eine solche Ausnahme bildenden Gesichtspunkte hinreichend gravierend zu sein.190 Diese Vorteile müssen durch die wettbewerbsbeeinträchtigende Vereinbarung oder sonstige Verhaltensweise zustande kommen,191 ebenso wie die Nachteile auf der Koordinierung beruhen. Damit liegen die Voraussetzungen insoweit parallel, was eine gleichgewichtige Abwägung der Vor- und Nachteile erst ermöglicht. II.
Besonders gravierende Vor- und Nachteile
Diese Verbindung erklärt auch, dass besonders gravierende Wettbewerbsbeschrän- 846 kungen eine Freistellung ausschließen, weil dann die Nachteile überwiegen. Das gilt jedenfalls für die sog. Kernbeschränkungen. Insoweit lassen sich Anleihen bei den Gruppenfreistellungsverordnungen nehmen.192 Sie indizieren durch die besondere Hervorhebung dieser Verhaltensweisen deren besondere Schwere. Bereits primärrechtlich zeigt sich in den Beispielstatbeständen des Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG, welche Verhaltensweisen insbesondere als wettbewerbsschädigend angesehen werden. Insoweit sind regelmäßig auch schwerlich Innovationen für die Warenerzeu- 847 gung oder -verteilung bzw. für die wirtschaftliche und technische Entwicklung zu erwarten. Unangemessene Vertragsbedingungen haben solche positiven Effekte nicht. Und eine Aufteilung der Märkte verhindert zumeist einen Austausch von Leistungen sowie eine gegenseitige Ergänzung von Know-how und Produktions186 187 188 189
190
191 192
S.o. Rn. 493 ff. Näher u. Rn. 902. S.o. Rn. 13. KOME 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 (Rn. 19 li. Sp.) – Bayer/Gist-Brocades; KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 21) – Stichting Baksteen für den Abbau von Überkapazitäten. S. etwa im Hinblick auf den Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung EuGH, Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 (2013, Rn. 33/35) – Bouchereau; Frenz, Europarecht 1, Rn. 1647. S. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1870. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 46) unter Verweis auf sonstige Leitlinien und Bekanntmachungen.
312
Kapitel 4 Freistellungen
potenzialen. Zudem laufen Verschließungen von Märkten generell dem Konzept des Gemeinsamen Marktes als gemeinsamer Zielgröße zuwider,193 wie sich im Bezug auf diese Komponente in Art. 81 EG zeigt. Höchstens unter dem Gesichtspunkt einer verbesserten Verteilung etwa von qualitativ hochwertigen Produkten mag ein marktaufteilendes System freistellungsfähig sein.194 Auch ein absoluter Gebietsschutz oder absolute Wettbewerbsverbote in Forschung, Herstellung oder Vertrieb sind ebenso problematisch wie gänzliche Beschränkungen der Preisgestaltung. Insoweit können Anleihen aus Verordnungen gezogen werden, welche in diesen Fällen eine Freistellung ausschließen.195 Umgekehrt wirkt im Hinblick auf das Ziel offener Märkte besonders positiv, 848 wenn sich Anbieter neue Märkte erschließen wollen. Das gilt vor allem für den Fall, dass dabei neue Produkte angeboten werden oder erst ein Wettbewerb ermöglicht wird. In solchen Konstellationen werden den Verbrauchern gänzlich neue oder zumindest weitere Auswahlmöglichkeiten geschaffen. Wettbewerb wird mithin erst ermöglicht. Damit ist in solchen Fällen schon fraglich, ob überhaupt der Kartelltatbestand erfüllt ist, da sein Zweck gerade erreicht wird.196 Treten hohe Anlaufkosten hinzu, um auf einen anderen Markt zu gelangen, ist eine Koordinierung womöglich das einzige Mittel und daher i.S.d. Wettbewerbs besonders zu schätzen.197 Sogar eine erhebliche zeitliche Beschleunigung des Markteintritts wird als posi849 tiv angesehen.198 Damit wird allerdings das freie Spiel der Kräfte in hohem Umfang unternehmerischer Lenkung durch Zusammenarbeit ausgeliefert. Jedenfalls tritt bei einer lediglich zeitlichen Beschleunigung eines grundsätzlich möglichen Markteintritts die besondere Bedeutung einer solchen positiven Wirkung zurück. Daher bedarf es näherer Untersuchung, inwieweit ohne Kooperation ein Markteintritt erreicht werden kann.199
193 194 195
196 197
198 199
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 52 a.E. unter Bezug auf KOME 98/273/EG, ABl. 1998 L 124, S. 60 (92, Rn. 210) – VW. S.u. Rn. 878. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 315 unter Verweis auf Art. 3 VO (EG) Nr. 240/96, für Lizenzverträge bzw. auf Begründungserwägung 13 der VO (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission vom 30.11.1988 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. 1988 L 359, S. 46. S. zur jetzigen, insoweit vergleichbaren Rechtslage nach der GVO für vertikale Koordinierungen (VO (EG) Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336, S. 21) o. Rn. 794 ff. S.o. Rn. 713. S. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (632 ff., Rn. 105 ff.) – Matra Hachette; KOME 88/541/EWG, ABl. 1988 L 301, S. 68 (Rn. 28 f.) – BBC Brown Boveri; KOME 1999/242/EG, ABl. 1999 L 90, S. 6 (Rn. 122) – TPS. KOME 96/547/EG, ABl. 1996 L 239, S. 57 (Rn. 61) – PHOENIX/GlobalOne. Krit. daher zu Recht Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 55 Fn. 121 im Hinblick auf KOME 96/180/EG, ABl. 1996 L 54, S. 28 (Rn. 77 f.) – Lufthansa/SAS, wo die Kommission nur die fehlende Kapazität feststellte und nicht näher Erweiterungsmöglichkeiten der Lufthansa allein prüfte.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
III.
313
Wertungsoffener Wortlaut
Wie namentlich die Komponenten „Verbesserung der Warenerzeugung“ und „För- 850 derung des technischen Fortschritts“ zeigen, ist eine strenge Scheidung der vier genannten Einzelbestandteile des Art. 81 Abs. 3 EG nicht möglich.200 Sie ist aber auch entbehrlich, da aufgrund des „oder“ nur ein Merkmal erfüllt sein muss. Zudem sind schon die Begriffe „Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung“ und „Förderung des … Fortschritts“ nach ihrem Wortlaut offen auch für eine Aufnahme bestimmter gemeinschaftsrechtlich vorgesehener Zielelemente wie des Umweltschutzes.201 Aufgrund der Formulierung „Verbesserung“ und „Förderung“ liegen für sich gesehen unkonturierte Wendungen vor, die der Ausfüllung durch Wertung bedürfen. Auch durch sie können begriffliche Unterschiede überformt werden, zumal wenn das Einfließen bestimmter Belange als solche feststeht und sich nur die Frage stellt, wo sie im Einzelnen festzumachen sind. Bevor die Begriffe des Art. 81 Abs. 3 EG näher konkretisiert werden, ist daher zu klären, wovon ihre Ausfüllung durch Wertung geprägt wird.
B.
Ausfüllung durch den Gemeinsamen Markt
I.
Ansatz
Die Erfüllung der in Art. 81 Abs. 3 EG aufgestellten Voraussetzungen ist die Be- 851 dingung dafür, dass Art. 81 Abs. 1 EG für nicht anwendbar erklärt werden kann. Diese Vorschrift weist von daher auf den Verbotstatbestand und ist mit ihm verknüpft. Die Verbindung beider Vorschriften wird als „unteilbares Ganzes“202 formuliert. Die beiden Absätze werden als Einheit gesehen203 und zusammen betrachtet. Deutlich belegt wird dies nunmehr durch Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003. Der Kartelltatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG weist, wenn auch nur im Hinblick auf die Unvereinbarkeit und damit auf der Rechtsfolgenseite, auf den Gemeinsamen Markt. Daran zeigt sich die Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit für dieses zentrale Gemeinschaftsziel. Insoweit eine Grundlagenfunktion einnehmend,204 kann sie diese nur wirksam wahrnehmen, wenn sie mit Blick auf den mit dem Laufe der Zeit gewandelten Inhalt dieses Gemeinsamen Marktes ausgelegt und angewendet wird.205
200
201 202 203 204 205
Auf sie ganz verzichtend Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 59), wo zwischen Kosteneinsparungen und qualitativen Effizienzgewinnen unterschieden wird. Vom Wortlaut ausgehend ausführlich v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 156 ff. EuGH, Rs. 13/61, Slg. 1962, 99 (112) – Bosch. Bereits Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1781; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 51. S.o. Rn. 3. Für einen evolutiven und dynamischen Ansatz auch Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 153.
314
Kapitel 4 Freistellungen
Wegen ihrer Grundlagenfunktion kann die Wettbewerbsfreiheit freilich nicht im Hinblick auf im EG geregelte Politikbereiche gänzlich derogiert werden. Sie hat vielmehr einen Selbstwert.206 Indes ist ihre Anwendung im Einzelfall einzufügen in den durch den Gemeinsamen Markt aufgestellten Rahmen. So lässt sich nahtlos eine Erweiterung der Blickspanne von den anfangs den EWGV nahezu ausschließlich prägenden wirtschaftlichen Belangen, die auch die Schaffung des Kartellverbots dominierten, auf die anderen mittlerweile den Gemeinsamen Markt konstituierenden Elemente gewinnen.207 Indem Art. 81 Abs. 1 EG den Verbotstatbestand formuliert und damit das An853 wendungsfeld für das Eingreifen der Wettbewerbsregeln umfassend eröffnet, ist der systematisch richtige Ort der Berücksichtigung der den Gemeinsamen Markt prägenden Elemente nicht dieser Tatbestand,208 sondern die Ebene der Rechtfertigung und damit der Freistellung. So sieht auch der EuGH die Aufgabe des Art. 81 Abs. 3 EG explizit darin, die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs mit der Wahrung anderer Ziele in Einklang zu bringen.209 Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EG210 ist es unschädlich, dass in den Freistellungstatbeständen der Begriff des Gemeinsamen Marktes nicht auftaucht. 852
II.
Relevante Politikfelder
854 Der Gemeinsame Markt wird entscheidend geprägt durch seine Bezogenheit auf die in Art. 2 EG aufgeführten Elemente, die er fördern soll.211 Art. 3 EG benennt die einzelnen Politikfelder, die dieser Aufgabe dienen sollen. Die Kommission hat vor diesem Hintergrund zu Recht betont, dass insbesondere bei Ausnahmen vom Kartellverbot der Gedanke dominiert, den freien Wettbewerb mit anderen Grundsätzen und Zielen des EG zu harmonisieren.212 Als entsprechend relevante Gesichtspunkte tauchten bisher vor allem solche der Struktur- (Art. 158 EG)213 sowie der Forschungs- und Technologiepolitik (Art. 163 ff. EG)214 auf. Letztere bildet
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213 214
S.o. Rn. 15 ff., 269 ff. S.o. Rn. 8 ff. Anders Portwood, Competition Law & The Environment, 1994, S. 78, der den Umweltschutz über den Gemeinsamen Markt bereits in den Kartellverbotstatbestand einfließen lässt. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14, Rn. 5) – Walt Wilhelm; Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905, Rn. 20) – Metro I. Vgl. auch Müller-Graff, EuR 1992, 1 (10). S.o. Rn. 1, 11 f. S. nur Kommission, XXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1993, KOM (1994) 161 endg., Tz. 2, 17 ff., 149 ff., 155 ff. im Hinblick auf die Freistellung von Strukturkrisenkartellen entsprechend Art. 158 EG. KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 – Kunstfasern; 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 – ENI/Montedison; 88/87/EWG, ABl. 1988 L 50, S. 18 – Enichem/ICI. KOME 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (38 Rn. 59) – Lichtwellenleiter; 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 25) – Ford/Volkswagen; näher zum Ganzen
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
315
die Grundlage der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, die in Art. 3 Abs. 1 lit. m) EG zum Vertragsziel erhoben ist.215 Für Unternehmenskooperationen kann dieser Aspekt etwa dadurch relevant sein, dass nur auf diese Weise trotz der Belastung durch technologische Anstrengungen die Wettbewerbsfähigkeit der entsprechenden Wirtschaftszweige als solche216 gewahrt werden kann. Oder aber die Unternehmen können vorbringen, durch ihre Kooperation brächten sie die notwendige Technologie schneller zuwege und stärkten dadurch die europäische Industrie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit.217 Auch der Umweltschutz hat mittlerweile eine zentrale Bedeutung erlangt. In- 855 dem Art. 2 EG eine nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens und damit eine Beachtung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung218 sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und an Verbesserung der Qualität der Umwelt fordert und zudem Art. 3 Abs. 1 lit. l) sowie Art. 174 EG den Umweltschutz als Politik ausdrücklich festschreiben, können Wettbewerbsbeeinträchtigungen grundsätzlich auch aus Umweltschutzgesichtspunkten gerechtfertigt werden. Eine solche Rechtfertigung gilt wegen der Aufnahme des sustainable-development-Gedankens auch und gerade für langfristige Kooperationen, die einen fortlaufenden Umweltschutz für die Zukunft sicherstellen wollen, selbst wenn noch keine konkreten Ergebnisse sichtbar sind.219 Einer Einfügung der jeweils verfolgten Umweltbelange in den Tatbestand des 856 Art. 81 Abs. 3 EG enthebt dieser Befund freilich nicht, außer man lässt auch unabhängig davon rechtfertigende Belange zu. Damit würde jedoch der Rahmen des Wettbewerbsrechts verlassen und die Wettbewerbsfreiheit für eine umfassende Abwägung freigegeben, welche ihren Selbstwert bedrohen könnte.220 Sind die Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 3 EG vor dem Hintergrund der 857 Bezogenheit der Wettbewerbsfreiheit auf den Gemeinsamen Markt auszulegen, ergibt sich auch ohne einen unmittelbaren Rückgriff eine weitgehende Berücksichtigungsfähigkeit der Vertragsziele und dabei namentlich des Umweltschutzes im Rahmen der offenen Begriffe „Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung“ und „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“. Mit diesen Elementen sind die bislang herangezogenen Gemeinschaftspolitiken stark verknüpft, so vor allem die Industrie- und die Umweltpolitik. Dieses Vorgehen entspricht der bestehenden Freistellungspraxis der Kommission, die den Umweltaspekt bereits vor und dann regelmäßig abhängig von seiner vertraglichen Veran-
215 216
217 218 219 220
Schmidt, Die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, 1992, S. 106 ff. Darauf verweisen in diesem Zusammenhang zu Recht Hossenfelder/Müller/Parlasca, ZHR 160 (1996), 1 (3). Im Hinblick auf die einzelne Produkte kann es sich bereits um wettbewerbseröffnende bzw. -sichernde Maßnahmen handeln, so dass Art. 81 Abs. 1 EG schon tatbestandsmäßig nicht greift, mithin keine Freistellung erforderlich ist; s.o. Rn. 713 ff. S. KOME 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 (38 Rn. 59) – Lichtwellenleiter; 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 25) – Ford/Volkswagen. S.o. Rn. 9. Allgemein näher Frenz, ZG 1999, 143 (146 ff.). Näher u. Rn. 891, 992 ff.
316
Kapitel 4 Freistellungen
kerung aufgriff.221 Diese Praxis ist durch die Rückbindung des Art. 81 Abs. 3 EG an Art. 2 und über diesen auch an Art. 3 EG rechtlich fundiert. III.
Gleichberechtigte Abwägung der aufeinander treffenden Komponenten
858 Trifft so die Wettbewerbsfreiheit mit anderen Aspekten und dabei namentlich mit Umweltbelangen zusammen, bedarf es unabhängig von der vertretenen Konzeption einer Abwägung. Lässt man an anderer Stelle vertraglich verankerte Elemente unmittelbar als Freistellungsgründe eingreifen, ergibt sich dies aus den Grundsätzen praktischer Konkordanz.222 Die Notwendigkeit einer Abwägung implizieren für Art. 81 Abs. 3 EG die Begriffe „Verbesserung“ bzw. „Förderung“. Die positiven und negativen Seiten müssen saldiert werden,223 um zu prüfen, ob sich eine Verbesserung bzw. Förderung ergibt. Ist die Beurteilung eines Vorhabens aufgrund verschiedener Auswirkungen komplex und überwiegen dabei die Nachteile, ist eine Vorteilhaftigkeit praktisch ausgeschlossen. Vielmehr müssen die spürbaren objektiven Vorteile die Nachteile für den Wettbewerb zumindest ausgleichen.224 Damit stellt sich die Frage eines etwaigen Vorrangs eines Belangs, welcher die Abwägung einseitig prägen könnte. Für die Wettbewerbsfreiheit könnte ein Vorrang deshalb zu bejahen sein,225 weil 859 sie der beeinträchtigte Part ist und eine grundlegende Bedeutung für den Gemeinsamen Markt hat. In der Tat besitzt die Wettbewerbsfreiheit eine herausragende Funktion für die Verwirklichung des Binnenmarktes sowie die Entwicklung des europäischen Wirtschaftslebens. Indes führt Art. 2 EG verschiedene Elemente für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes zusammen. Zudem ist nach dieser Grundlagenbestimmung die Ökonomie nicht mit einseitigem Vorrang ausgestattet. Vielmehr ist eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung verlangt und diese
221
222
223 224
225
Zunächst am Rande in KOME 75/73/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 1 (Rn. 24) – BMW; stärker dann KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 (19 f.) – Carbon Gas Technologie; 88/541/EWG, ABl. 1988 L 301, S. 68 (Rn. 23 a.E.) – BBC Brown Boveri; 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 23 ff.) – ANSAC (im Ergebnis freilich abl.); 92/96/EWG, ABl. 1992 L 37, S. 16 (Rn. 38) – Assurpol sowie dazu Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., S. 93; näher die Analyse durch v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 158 ff. S. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 72, 317 f.; zu den Grundfreiheiten Jarass, in: FS für Everling I, 1995, S. 593 (608) und Frenz, Europarecht 1, Rn. 503 f. Im hiesigen Zusammenhang u. Rn. 1003 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 307; Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 133. Bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig und später z.B. Rs. 25 u. 26/84, Slg. 1985, 2725 (2746, Rn. 33 f.) – Ford II; Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 (3087 ff., Rn. 49 ff.) – Metro II. S. Ehricke, WuW 1993, 817 (825); Götz, JZ 1989, 1021 (1024): im Regelfall Wettbewerb.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
317
gleichgewichtig neben anderen Belangen aufgeführt. Damit kann auch die wirtschaftsbezogene Wettbewerbsfreiheit nicht einseitig dominieren.226 Vom Grundsätzlichen her sind die Elemente des EG a priori gleichgewichtig. 860 Die Umstände des konkreten Falls entscheiden dann, welcher Belang vorrangig ist. Das Gewicht der Wettbewerbsfreiheit ergibt sich in diesem Rahmen dann daraus, dass es um ihre Einschränkung geht und daher eine nähere Begründung geliefert werden muss.227 Das betrifft aber nicht die abstrakte Gewichtigkeit der Belange als solche, sondern die Handhabung im Einzelfall und dabei vor allem die Darlegungslast. IV.
Auch kein Vorrang des Umweltschutzes
Auch für den Umweltschutz wird vorgebracht, er sei grundsätzlich vorrangig.228 861 Gestützt wird dies vor allem darauf, der Umweltschutz müsse bestmöglich verwirklicht werden.229 Anerkennt man einen Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes,230 so stellt er Anforderungen an den Umweltschutz, trifft aber keine Aussage über seinen Rang gegenüber anderen Politiken. Sieht man ihn als Ausdruck des effet-utile-Gedankens,231 so ist zu bedenken, dass sämtliche Gemeinschaftsziele „Optimierungsgebote“232 bilden und von daher der Umweltschutz nichts Besonderes darstellt. Im Gegenteil ist, wie auch Art. 2 EG deutlich macht, der Umweltschutz ohne 862 nähere Rangfolge eingebunden in das Gemeinschaftsganze.233 Art. 6 EG verlangt nur eine Einbeziehung von Umweltschutzerfordernissen bei der Festlegung und Durchführung anderer Politiken, besagt aber nichts über ihren Stellenwert. Im Übrigen müsste ansonsten auch das gleichermaßen bei der Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitik und gemeinschaftlicher Maßnahmen zu berücksichtigende Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus vorrangig sein, was aber nach dem Willen der Unterzeichner des Vertrages von Amsterdam gerade nicht der Fall sein
226 227 228 229 230
231 232 233
Ebenso für Gleichrangigkeit v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 100. EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 (68, Rn. 52) – VBVB und VBBB. Dazu ausführlich u. Rn. 868 ff. Epiney, NuR 1995, 497 (500); Scheuing, EuR 1989, 152 (176 f.). Insbes. Epiney, NuR 1995, 497 (500). Grundlegend Zuleeg, NVwZ 1987, 280 (283 ff.); auch Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 10 ff.; Pernice, NVwZ 1990, 201 (203); Scheuing, EuR 1989, 152 (178 f.); abl. Everling, in: Behrens/Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 29 (44). Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995, S. 70; Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 169 f. Wiegand, DVBl. 1993, 533 (538). Im Einzelnen Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 67 f.
318
Kapitel 4 Freistellungen
sollte. Auch Umweltschutzbelange sind daher (weiterhin) als prinzipiell gleichwertig anzusehen.234 Damit verschließt man sich allerdings einen Weg, aufgrund der Wertigkeit des 863 Umweltschutzes die bei ihm bestehenden erheblichen Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich nicht zu seinen Lasten ausschlagen zu lassen, sondern eine abschließende Sicherheit über einen ökologischen Vorteil gar nicht fordern zu müssen.235 Auf dieser Linie liegt auch der Vorschlag einer in-dubio-Regel, nach der Umweltbelange bei Zweifeln in der Abwägung, ob sie überwiegen, vorzuziehen sind.236 Für eine generelle in-dubio-Regel bestehen im EG indes keine textuellen Anknüpfungspunkte. Sie läuft tieferliegend dem grundsätzlichen Gleichrang der verschiedenen Elemente des EG zuwider. Das gilt auch nach der Verankerung des Umweltschutzes in der Präambel und in der Grundsatzbestimmung des Art. 6 EG.237 Auch andere Politikbereiche werden von der Präambel erfasst, ohne dass sich daraus ein wie auch immer gearteter genereller Vorrang ergäbe und die Formulierung in Art. 6 EG fordert wie die Vorfassung des Art. 130r Abs. 2 S. 3 EGV nur eine Einbeziehung, was eine nicht näher vorgegebene Abwägung impliziert.
C.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit direkter Effizienzgewinne
I.
Zukunftsbezogene Betrachtung
864 Die in Art. 81 Abs. 3 EG genannten und durch die Ziele des EG erweiternd zu interpretierenden Effizienzgewinne müssen durch die wettbewerbsbeeinträchtigende Koordinierung erreicht werden. Das setzt voraus, dass sie direkt darauf beruhen, also z.B. unmittelbar zur Herstellung verbesserter Produkte und nicht lediglich mittelbar über höhere Gewinne zu verstärkten Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen führen,238 und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten. Gerade im Umweltsektor treten immer wieder tatsächliche Unsicherheiten auf. 865 Das gilt aber auch in anderen Bereichen. Die in Art. 81 Abs. 3 EG aufgeführten 234
235
236 237 238
Ebenso Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 130r Rn. 59; Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 31 f.; noch für den EWGV Breier, NuR 1992, 174 (180); Jahns-Böhm/Breier, EuZW 1992, 49 (50); Rengeling/Heinz, JuS 1990, 613 (617); spezifisch im Hinblick auf den Wettbewerb Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 77; Riesenkampff, BB 1995, 833 (838). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 154; bereits Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 47 (63). Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 130r Rn. 59; auch Epiney, NuR 1995, 497 (500). Anders zu entsprechenden Forderungen Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 37 Fn. 228. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 54).
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
319
Effizienzvorteile treten nämlich regelmäßig erst in der Zukunft ein. Folglich bedarf es einer vorausschauenden Beurteilung. Die ex-ante-Natur der Investitionsentscheidung ist deshalb ebenso wie das unternehmerische Risiko einzubeziehen. Verlorene Investitionen (sunk investment) und eine Amortisierung von Investitionskosten sind angemessen zu berücksichtigen.239 Das gilt insbesondere für die Länge der Freistellung und dann, wenn eine Vereinbarung im Laufe der Entwicklung die Voraussetzungen nach Art. 81 Abs. 3 EG nicht mehr erfüllt. Es können auch etwaige negative, irreversible Ereignisse wie das Verschwin- 866 den eines im Wettbewerb stehenden Produkts durch eine koordinierte Neuentwicklung nur prognostisch auf der Basis der bestehenden Ausgangslage beurteilt werden.240 Hier spielen auch komplexe wirtschaftliche Sachverhalte und Marktbeurteilungen herein. Vielfach ist aber bereits das Eintreten von Effizienzgewinnen als solchen frag- 867 lich. So kann unsicher sein, ob eine angestrebte technische Innovation tatsächlich zustande kommt. Umgekehrt sind auch negative Auswirkungen vielfach nicht genau absehbar. Daher bedarf es einer umfassenden Prognose. Diese hat die voraussichtliche Entwicklung bei vorhandener Koordinierung im Bezug auf die geltend gemachten Vorteile und wegen der drohenden Nachteile für die am Kartell Beteiligten wie für Dritte abzuschätzen. Zum Vergleich ist die absehbare Entwicklung ohne Wettbewerbsbeschränkung vorherzusagen.241 Erst dadurch werden die zu erwartenden positiven und negativen Effekte richtig deutlich. II.
Beweislast für Unternehmen
Aufgrund dieser notwendigen Prognose in die Zukunft stellt sich allgemein die 868 Frage, wie verbleibende Unsicherheiten zu bewerten sind. Art. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 trifft nunmehr eine klare Beweislastverteilung: Den Kartelltatbestand hat die Behörde zu belegen, die Freistellung hingegen die sich darauf berufenden Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen. Das entspricht der traditionellen Rechtsprechung des EuGH, die immer wieder betonte, dass die Unternehmen die Umstände darlegen müssen, welche eine Freistellung begründen.242 Schließlich bildet die Wahrung der Wettbewerbsfreiheit die Regel, die Freistellung von Wettbewerbsbeschränkungen die Ausnahme. Der EG enthält damit die Grundentscheidung dafür, dass Vorteile für die wirtschaftliche und technische Entwicklung zum Wohle des Verbrauchers regelmäßig durch Wettbewerb erreicht werden. Entspre239 240 241
242
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 44). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 45). S. KOME 72/22/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 34 (Rn. 21) – Vereniging van Cementhandelaren; 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 (19) – Bayer/Gist-Brocades; 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 (33 f., Rn. 26 ff.) – KSB/Goulds/Lowara/ITT. EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 (68, Rn. 52) – VBVB und VBBB; ebenso EuG, Rs. T-66/89, Slg. 1992, II-1995 (2023, Rn. 74) – Publishers Association; Rs. T-35/92, Slg. 1994, II-957 (1011 f., Rn. 105) – John Deere.
320
Kapitel 4 Freistellungen
chend gewichtig müssen daher die Umstände sein, welche eine Abweichung von dieser Regel zulassen, indem Wettbewerbsbeschränkungen freigestellt werden.243 III.
Zubilligung von Unsicherheiten
869 Weil damit der EuGH und nunmehr Art. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die Darlegungslast den eine Freistellung begehrenden Unternehmen auferlegen, schlägt vor allem zu Buche, wenn Vorteile einer Koordinierung nicht näher ausgebreitet werden können. Die Gefahr besteht, dass bei Unsicherheiten über die tatsächliche Entwicklung konkurrierende Belange gänzlich hintangestellt werden und sich nicht gegen die Wettbewerbsfreiheit durchzusetzen vermögen. Damit würde sich de facto die Wettbewerbsfreiheit in allen Konstellationen, in denen die künftige Entwicklung unsicher ist, behaupten, obwohl sie nicht grundsätzlich vorrangig ist.244 Sind die Erwägungen der Unternehmen auf Elemente gestützt, die zugleich im 870 EG abgesichert sind, würden diese umgekehrt praktisch hintangestellt und damit nicht mehr am grundsätzlichen Gleichrang aller Bestandteile des EG teilhaben. Von daher ist es ein Gebot des effet utile dieser mit der Wettbewerbsfreiheit konkurrierenden Belange, die tatsächlichen Unsicherheiten zu beachten.245 In besonderem Maße gilt dies für langfristig angelegte und daher naturgemäß mit großen Unsicherheiten behaftete Maßnahmen, die dem mit dem Amsterdamer Vertrag in den EG aufgenommenen sustainable-development-Gedanken246 entsprechen. Diese Unwägbarkeiten gilt es nach den jeweiligen Besonderheiten des Falles zu berücksichtigen. Schließlich genügen auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane tatsächli871 che Anhaltspunkte dafür, dass sie den verfolgten Zielen entsprechen.247 Den Mitgliedstaaten wie den Gemeinschaftsorganen wird bei die Grundfreiheiten beeinträchtigenden Maßnahmen ein Beurteilungsspielraum zugestanden.248 Die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln gewährleisten wie die Grundfreiheiten bestimmte Freiräume, nur haben sie Unternehmen als verpflichtete Adressaten. Da Unternehmen im Rahmen des EG gerade Inhaber von Freiheit sein sollen, können für sie keine strengeren Anforderungen im Hinblick auf die Darlegung von Ausnahmetatbeständen gelten. Das gilt zumal, sofern man Art. 5 Abs. 3 EG den Gedanken materieller Bürgernähe entnimmt. Danach ist der auch dem Bürger die243 244 245 246 247 248
S.o. Rn. 844 f. S.o. Rn. 859. Vgl. zu Art. 20a GG Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 287 f. Ausführlich Frenz/Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, 1999, S. 173 ff. Näher Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 147 für den präventiven Bereich. S. Hailbronner, Der nationale Alleingang im EG-Binnenmarkt, 1989, S. 32. Noch weiter EuGH, Rs. 302/86, Slg. 1988, 4607 ff. – Dänische Pfandflaschen. Aus diesem Urteil kann allerdings nicht abgeleitet werden, der EuGH überprüfe das verfolgte Ziel überhaupt nicht (so Epiney/Möllers, Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz, 1992, S. 72 f.; auch Rengeling/Heinz, JuS 1990, 613 (617); dagegen Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995, S. 69 Fn. 375).
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
321
nende249 Subsidiaritätsgedanke am ehesten dann erfüllt, wenn eine gemeinschaftliche Maßnahme unterbleiben kann, so dass Spielräume für private Entfaltung verbleiben.250 IV.
Wahrscheinlichkeitsbeurteilung
Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für Verbesserungen in gemeinschaftsrecht- 872 lich vorgegebenen Politikbereichen genügt daher regelmäßig auch bei privaten Maßnahmen.251 Die Kommission verlangt in ihren Entscheidungen, dass nach konkreten Erfahrungen bestimmte Folgen mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten.252 Je größer die durch die Wettbewerbsbeeinträchtigung vermiedenen Beeinträchtigungen etwa des Arbeitsmarktes oder des Umweltschutzes sind, desto geringere Anforderungen für die Wahrscheinlichkeit müssen allerdings bestehen.253 Damit wird dem Gewicht der durch Wettbewerbsbeschränkungen zu schützenden Belange die jeweils situationsadäquate Bedeutung zugemessen und daraus die Notwendigkeit ihrer Realisierung trotz tatsächlicher Unsicherheiten abgeleitet. Zudem ist in den Blick zu nehmen, dass aufgrund von Wirkungsunsicherheiten auch negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfreiheit jedenfalls in ihrem Ausmaß nicht sicher vorhersehbar sein können. Dann schlagen diese nur um den Grad ihrer Unsicherheit vermindert zu Buche.254 Diese Erwägungen zeigen, dass eine Berücksichtigung der tatsächlichen Unsicherheiten auch ohne einen fallunabhängigen generellen Vorrang einer Gemeinschaftspolitik möglich ist. V.
Objektive Tatsachengrundlage
Unabdingbar ist freilich eine tatsächliche Grundlage für positive Entwicklungen 873 aufgrund einer Wettbewerbsbeschränkung. Daher bedarf es objektiver Gegeben-
249
250
251 252
253
254
S. 11. Erwägung der Präambel zum EU, wonach „die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden“ sollen, mit Festschreibung in Art. 1 Abs. 2 und 2 Abs. 2 EU, der Art. 5 EG insgesamt in Bezug nimmt, Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 83. Näher Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 107 f.; Héritier, in: Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1995, S. 87 (92 f.): Selbstregulierung bei einem Minimum an behördlicher Kontrolle. Ebenso im Ergebnis Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 154. KOME 68/319/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 7 (9) – ACEC/Berliet; 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 (Rn. 26 ff.) – KSB/Goulds/Lowara/ITT; 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 24 a.E.) – Asahi/Saint Gobain. Vgl. für das deutsche Recht BVerfGE 50, 290 (333 f.); BVerwGE 45, 51 (61); 47, 31 (40); 57, 61 (65 f.); Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 117; Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996, S. 59, 81; Hansen-Dix, Die Gefahr im Polizeirecht, im Ordnungsrecht und im Technischen Sicherheitsrecht, 1982, S. 39 ff. m.w.N. Vgl. Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 293 f.
322
Kapitel 4 Freistellungen
heiten. Subjektive Einschätzungen und Vorstellungen genügen nicht,255 sondern würden im Gegenteil die Handhabung von Art. 81 Abs. 3 EG in das Belieben der Unternehmen stellen. Jedenfalls ein Tatsachenkern muss feststehen, der eine günstige Prognose erlaubt. Diesen haben die Unternehmen darzulegen. Die Anforderungen hieran sind hinreichend streng zu handhaben, bildet doch die Freistellung die Ausnahme und die Wettbewerbsfreiheit die Regel: Sie trägt grundsätzlich zur Erreichung auch der in Art. 81 Abs. 3 EG niedergelegten Ziele bei.256 Deshalb müssen die eine Freistellung anstrebenden Unternehmen konkrete, sub874 stanziierte Umstände für Vorteile einer Wettbewerbsbeschränkung gegenüber unverfälschtem Wettbewerb darlegen.257 Diese Angaben müssen sich beziehen auf 875
die Art der geltend gemachten Effizienzgewinne, deren Verknüpfung mit der fraglichen Koordinierung, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß jedes geltend gemachten Effizienzgewinns, und wie und wann jeder Effizienzgewinn erreicht wird.258
Als Beweispflichtige obliegt ihnen auch das Aufzeigen und Abschätzen der durch eine Koordinierung eintretenden Nachteile. Insoweit wird allerdings die in einem Kartellverfahren jeweils zuständige Wettbewerbsbehörde die einschlägigen negativen Gesichtspunkte auch selbst zu prüfen haben, um zu einem vollständigen, objektiven Bild zu gelangen.
D.
Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung
I.
Warenerzeugung
876 An erster Stelle nennt Art. 81 Abs. 3 EG eine Verbesserung der Warenerzeugung als Ansatzpunkt für eine Freistellung vom Kartellverbot. Zwar wird nur die Warenerzeugung explizit genannt. Jedoch ist diese entsprechend der umfassenden Geltung der Wettbewerbsregeln auch auf Dienstleistungen zu beziehen.259 Damit wird die Herstellung bzw. Vorbereitung von Leistungen insgesamt erfasst. Es geht etwa um eine Verbreiterung des vorhandenen Angebots260 oder auch um die Einführung neuer Leistungen. Insbesondere dieser Aspekt bildet ein Einfallstor für die in Art. 2 EG benannten 877 Elemente, die durch die Erreichung eines Gemeinsamen Marktes gefördert werden sollen. Verbesserung der Warenerzeugung kann auch eine umweltfreundlichere 255 256 257 258 259 260
Bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 308. KOME 77/66/EWG, ABl. 1977 L 16, S. 8 (12) – Gerofabriek; 85/75/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 20 (Rn. 39 ff.) – Feuerversicherung. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 51). Etwa Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 150. Nur auf den wirtschaftlichen Fortschritt abstellend allerdings KOME 94/894/EG, ABl. 1994 L 354, S. 66 (Rn. 86 ff.) – Eurotunnel.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
323
Erzeugung sein261 bzw. eine Verbesserung der Produktqualität. Bezogen auf den Umweltschutz ist dies etwa der Fall, wenn Erzeugnisse weniger schadstoffbehaftet sind.262 Eine Verbesserung der Warenerzeugung ist mithin auch dann gegeben, wenn ein Produkt umweltfreundlicher hergestellt wird. Das kann auch dadurch erreicht werden, dass die bei der Fabrikation entstehenden Immissionen und damit die Belastungen der Umwelt verringert werden, womit diese besser geschützt wird. Oder aber es müssen weniger natürliche Ressourcen eingesetzt werden, oder nach Verbrauch bleibt weniger Abfall zurück, womit dem Gedanken einer nachhaltigen Entwicklung Rechnung getragen wird.263 Unabhängig vom Umweltschutz liegt eine Verbesserung der Erzeugung von 878 Waren auch vor, wenn ihre Qualität als solche steigt.264 Dann sind Produkte freilich oft teurer. Aus Sicht des Verbrauchers mag daher die Warenerzeugung nicht verbessert worden sein. Die Situation des Verbrauchers ist indes Gegenstand eines eigenen Prüfungspunktes, nämlich ob er angemessen am Gewinn beteiligt wurde. Zudem ist Art. 2 EG weniger preis-, sondern vielmehr standardbezogen zu sehen. Daher können auch preistreibende Qualitätssteigerungen die Warenerzeugung verbessern.265 Insbesondere wenn Erzeugnisse verbilligt werden, stellt sich die Frage der Ab- 879 grenzung zur Warenverteilung. So sind anerkanntermaßen koordinierte Kosteneinsparungen freistellungsfähig.266 Folgen sie daraus, dass das Herstellungsverfahren optimiert wurde, sind sie herstellungsbezogen. Werden Vorteile durch Zusammenlegung wirtschaftlicher Einheiten, größere Mengen oder Verbunde erzielt, handelt es sich also um Synergieeffekte, Skalen- oder Verbundvorteile,267 hängt es davon ab, ob es sich um produktions- oder verteilungsbezogene handelt. Die Warenerzeugung kann etwa durch Produktionskoordinierungen oder Bestellungsvorteile verbessert werden,268 so wenn erhöhte Produktionskapazitäten Einsparungen mit
261 262 263
264
265 266
267 268
S. Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 47 (60). S. Jacobs, LIEI 93/2, 37 (53); Portwood, Competition Law & The Environment, 1994, S. 153. Ähnlich von der Begrifflichkeit her differenzierend auch v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 156. S. KOME 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 (Rn. 62) – Niederländische Banken: schnellere Verrechnung bei einheitlichen Scheckformularen; KOME 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 (Rn. 25) – Fiat/Hitachi. S. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (633 ff., Rn. 109 ff.) – Matra Hachette. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 39 unter Verweis auf Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 68) für F&E-Vereinbarungen. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 65 ff.). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 102, 132).
324
Kapitel 4 Freistellungen
sich bringen269 oder umgekehrt eine Kapazitätsverringerung erst eine vernünftige Auslastung ermöglicht.270 II.
Warenverteilung
880 Eine „Verbesserung der Warenverteilung“ erfasst die sich an die Warenerzeugung anschließenden Vorgänge der Auslieferung bis zum Vertrieb, also bis die Ware zum Verbraucher gelangt. Sie wird etwa durch eine Ausweitung der Verkaufsstellen oder der Anbieter als solchen erreicht. Umgekehrt kann dazu auch eine Zusammenlegung der Vertriebsorganisationen271 oder Konzentration auf bestimmte Weiterverkäufer im Rahmen einer Alleinvertriebsvereinbarung beitragen, wenn dadurch die Verteilungskosten sinken und der Markt zuverlässiger272 bzw. schneller beliefert werden kann,273 etwa bei hochwertigen Produkten und Dienstleistungen. Soweit allerdings die Konzentration auf einen bestimmten Markt durch das Verbot einer aktiven Absatzpolitik außerhalb des Vertragsgebietes als Vorteil angesehen wird,274 steht dem entgegen, dass die Warenverteilung für einen Hersteller auf einem Markt lediglich durch einen Anbieter erfolgt und sich daher im Preis leicht verschlechtern kann. Die Warenverteilung wird auch wesentlich durch den Transport beeinflusst. 881 Werden dabei die Kosten gesenkt oder raschere Wege genutzt, kommen Leistungen günstiger oder schneller auf den Markt. Eine Verbesserung kann aber auch z.B. in der umweltfreundlicheren Ausgestaltung des Vertriebs durch eine vermehrte Inanspruchnahme der als umweltverträglicher angesehenen Bahn oder eine Einsparung von Verpackungsmaterial gesehen werden.275 III.
Verbesserung
882 Ob die Warenerzeugung oder -verteilung verbessert wird, hängt von einer Abwägung der Vor- und Nachteile ab. Erstere müssen objektiv bestehen und spürbar sein.276 Vom Ansatz her dürfen sie nicht nur Nachteile ausgleichen, sondern müssen überwiegen. Lediglich dann liegt eine Verbesserung vor. Dabei sind auch die besonderen Wertungen des EG und damit vor allem das gewollte grundsätzliche Eingreifen der Wettbewerbsfreiheit sowie die besondere Wettbewerbsschädlichkeit einiger Verhaltensweisen einzubeziehen.277 269 270 271 272 273 274 275 276 277
KOME 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 25) – Philips/Osram. S. KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 26) – Stichting Baksteen. KOME 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 (Rn. 25) – Fiat/Hitachi. S. KOME 1999/573/EG, ABl. 1999 L 218, S. 14 (Rn. 57 ff.) – Cégétel +4. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 41. KOME 78/253/EWG, ABl. 1978 L 70, S. 69 (75 f.) – Campari. Näher v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 156. Näher o. Rn. 844 f. S.o. Rn. 846 f.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
E.
Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts
I.
Technischer Fortschritt
325
Eng verbunden mit einer Verbesserung der Warenerzeugung ist regelmäßig der 883 technische Fortschritt, der Grundlage für eine solche Verbesserung ist. Im Allgemeinen geht damit auch ein wirtschaftlicher Fortschritt einher. Der technische Fortschritt ist allerdings besonders durch seine Bezogenheit auf einzelne Vorgänge sowie seine Grundlagenfunktion gekennzeichnet. Einzelne Vorgänge bestehen vor allem in technischen Entwicklungen, die als Resultat gänzlich neue Erzeugnisse oder solche mit höheren Standards hervorbringen. Die Grundlagenfunktion des technischen Fortschritts als Basis für die vorgenannten positiven Entwicklungsschritte manifestiert sich in einem Arbeiten in Projektteams. Erfolgt eine solche Zusammenarbeit unternehmensübergreifend, liegt eine Koordinierung vor, die vor allem durch den Ansatzpunkt des technischen Fortschritts gerechtfertigt werden kann. Ein Hauptanwendungsfeld solcher qualitativer Effizienzgewinne liegt daher in 884 der gemeinsamen oder zumindest abgestimmten Forschung und Entwicklung,278 welche die Basis für neue Ideen und Erfahrungen sowie neue Produkte und Technologien bildet.279 Im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen kann das Angebot dadurch verbessert werden, dass Netze und Techniken verbunden werden, die bislang getrennt waren.280 Auch in anderen Feldern auftretende praktische Beispiele sind Koordinierungen über eine gemeinsame Forschung und Entwicklung,281 ein Erfahrungsaustausch und eine technische Zusammenarbeit,282 aber auch Gemeinschaftsunternehmen,283 welche allerdings nicht nur mit diesem Ansatzpunkt auftreten, sondern auch der rationalisierten Herstellung schon existierender Produkte dienen können.284 Flankierend für den technischen Fortschritt 278 279
280 281
282
283
284
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 70). Daher eine positive Beurteilung nahe legend die Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 68 ff.). KOME 96/547/EG, ABl. 1996 L 239, S. 57 (Rn. 57 f.) – PHOENIX/GlobalOne; 97/781/EG, ABl. 1997 L 318, S. 24 (Rn. 69 ff.) – Uniworld. S. KOME 72/41/EWG, ABl. 1972 L 14, S. 14 (16) – Henkel/Colgate; 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 (19 f.) – Carbon Gas Technologie; 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 24 f.) – Asahi/Saint Gobain. S. KOME 68/319/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 7 (10) – ACEC/Berliet; 83/668/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 11 (14) – VW/MAN; 90/46/EWG, ABl. 1990 L 32, S. 19 (Rn. 18) – ALCATEL/ESPACE/ANT. Z.B. KOME 77/160/EWG, ABl. 1977 L 48, S. 32 (Rn. 19 ff.) – Vakuum Stromschalter I; 80/1332/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 1 (8) – Vakuum Stromschalter II; s. auch KOME 94/663/EG, ABl. 1994 L 259, S. 20 (Rn. 59 f.) – Night Services. Etwa KOME 82/71/EWG, ABl. 1982 L 39, S. 25 (29 f.) – Langenscheidt/Hachette; 88/87/EWG, ABl. 1988 L 50, S. 18 (Rn. 34 ff.) – Enichem/ICI; 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 (Rn. 25) – Fiat/Hitachi.
326
Kapitel 4 Freistellungen
wirken Lizenzvereinbarungen. Sie helfen technische Entwicklungen, welche geheim oder gewerblich geschützt sind, geordnet zu verbreiten.285 Sie bilden daher einen maßgeblichen Anreiz für Innovationen und ihre spätere Zugänglichmachung auf dem Markt, sind mithin nach Art. 81 Abs. 3 EG grundsätzlich freistellungsfähig, sofern man sie nicht von vornherein als notwendig für den Wettbewerb ansieht und daher schon nicht unter das Kartellverbot fallen lässt.286 Der technische Fortschritt bildet auch ein Einfallstor für außerökonomische Be885 lange, so für ökologische Aspekte. So können namentlich neue Produktentwicklungen erhöhten Umweltschutz bewirken, indem weniger Schadstoffe in den Wirtschaftskreislauf gelangen287 und damit auch in Abfällen zurückbleiben bzw. geringere Emissionen entweichen. Auch insoweit handelt es sich also um technischen Fortschritt. II.
Wirtschaftlicher Forschritt
886 Wirtschaftlicher Fortschritt geht vielfach mit technischem Fortschritt einher, weshalb diese beiden Ansatzpunkte zumeist zusammen fallen. Durch technischen Fortschritt steigt regelmäßig die Wirtschaftsleistung. Die insoweit gemeinsam erfolgreichen Unternehmen werden wirtschaftlich leistungsstärker; dadurch wächst auch die Wirtschaftsleistung insgesamt, so wenn Unternehmen ihre bislang getrennt eingesetzte Technik für neue Produkte verwenden und sich damit neue Marktfelder erschließen. Reine Rationalisierungsmaßnahmen durch Zusammenlegung von Produktionen oder Vertriebsketten haben hingegen nicht notwendig einen Bezug zum technischen Fortschritt, sondern fallen eher mit einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung zusammen. Das kann auch für Spezialisierungsvereinbarungen gelten,288 welche die Konzentration auf ein bestimmtes wirtschaftliches Feld ermöglichen und daher dessen Entwicklung fördern. 285
286 287 288
S. KOME 87/14/EWG, ABl. 1987 L 8, S. 49 (Rn. 58 f.) – Yves Rocher; 87/17/EWG, ABl. 1987 L 13, S. 39 (Rn. 34) – Pronuptia; 89/94/EWG, ABl. 1989 L 35, S. 31 (Rn. 37) – Charles Jourdan. So EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 (381 ff., Rn. 15 ff.) – Pronuptia. Vgl. Bock, EuZW 1994, 47 (50); Sacksofsky, WuW 1994, 320 (322): jede Verringerung der ökologischen Belastungen als Fortschritt. Dazu etwa KOME 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 (18 f.) – Bayer/Gist Brocades; 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 (Rn. 29) – ENI/Montedison. Bis zu einem Marktanteil von 20 % erfolgt allerdings regelmäßig eine Gruppenfreistellung nach der VO (EG) Nr. 2658/2000; s.o. Rn. 830. Zudem fallen nach der Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 86 ff.) Spezialisierungsvereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern schon gar nicht unter das Kartellverbot, wenn keine Abschottungsprobleme auftauchen bzw. nicht potenzieller Wettbewerb verhindert wird, ebenso wenig solche zwischen Wettbewerbern, welche für die Marktpräsenz der Unternehmen oder eines neuen Produktes unabdingbar sind und lediglich einen geringen Teil der Produktionskosten des Endprodukts ausmachen. Im Einzelnen Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 EG – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen Rn. 23 ff.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
327
Die Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts ist in weiterem Umfang als die 887 Förderung des technischen Fortschritts für Wertungen offen. Das zeigt das Beispiel des Umweltschutzes. Daran wird zugleich deutlich, dass die Öffnung für andere Belange nicht den ursprünglichen Begriff gänzlich überlagern darf. Der Umweltschutz lässt sich insbesondere dadurch einbeziehen, dass nur durch eine Schonung der natürlichen Ressourcen und die Erhaltung einer einigermaßen sauberen Umwelt ein dauerhafter wirtschaftlicher Fortschritt möglich ist. Indem man so Umweltqualität und Wirtschaftswachstum voneinander abhängig sieht,289 könnte man sämtliche umweltschutzfördernden Maßnahmen unter „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“ subsumieren. Indes können umweltschutzfördernde Maßnahmen der Wirtschaft durch Kostenverteuerung etc. erheblich schaden und dadurch den wirtschaftlichen Fortschritt bremsen, so dass umweltschutzfördernde Maßnahmen schwerlich stets unter diesen Begriff gefasst werden können.290 Art. 2 EG als maßgeblicher Bezugspunkt verlangt eine Versöhnung von öko- 888 nomischer und ökologischer Entwicklung. Er legt die Gemeinschaft auf eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens fest, verlangt ein beständiges Wachstum und ein hohes Maß an Umweltschutz und an Verbesserung der Qualität der Umwelt. Wirtschaftlicher Fortschritt kann daher nicht einfach auf Kosten der Umwelt gehen. Insbesondere muss er dauerhaft sein, d.h. nicht unter Minderung der wirtschaftlichen Entwicklungschancen künftiger Generationen zustande kommen. Andererseits verlangt Art. 2 auch ein hohes Beschäftigungsniveau. Auch dies ist beim wirtschaftlichen Fortschritt einzubeziehen. Unterstrichen wird das durch die Einfügung eines eigenen Beschäftigungskapitels durch den Vertrag von Amsterdam. Der Umweltschutz kann Arbeitsplätze kosten, wenn etwa durch eine Erhöhung der Produktionskosten zumal im internationalen Vergleich Arbeitsplätze in Europa verloren gehen. Er kann auch Arbeitsplätze schaffen, indem neue Branchen entstehen oder zusätzlich aufstreben – so in den Anfangsjahren der Kreislaufwirtschaft die Entsorgungsbranche.291 Im Rahmen der „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“ ist daher eine 889 Vielzahl von zum Teil divergierenden Faktoren zu berücksichtigen. Gerade bei diesem Tatbestandsmerkmal ist deshalb der Beurteilungsspielraum der Kommission, der ihr im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG zugebilligt wird,292 besonders breit. Der Umweltschutz ist hier ein Element unter mehreren. Diese müssen untereinander und gegeneinander hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile abgewogen werden.293 Ob ihm dienende Maßnahmen als Förderung des wirtschaftlichen Fort289
290 291 292 293
Kommission, Ein Programm der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung. Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung, KOM (1992) 23-2 endg., S. 32. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 158. S. Bartling, WuW 1995, 183 (195); Beckmann, DVBl. 1993, 9 (9); Sacksofsky, WuW 1994, 320 (320). S. etwa EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (399) – Consten Grundig, aber zu seiner Begrenzung im Zuge der Umstellung zur Legalausnahme s.o. Rn. 740. Jedenfalls insoweit gebietet Art. 2 EG die Einbeziehung und Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile; s. dagegen EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten
328
Kapitel 4 Freistellungen
schritts angesehen werden können, ist letztlich abhängig von einer Untersuchung des Einzelfalls.294 Erforderlich ist allerdings eine spürbare Förderung und ein Überwiegen der Vorteile, da der im EG zugrunde gelegte Regelfall immer noch ist, dass auch wirtschaftlicher Fortschritt durch Wettbewerb und damit mit den normalen Mitteln des Marktes zu erzielen ist.295
F.
Umweltschutz als zusätzlicher Freistellungsgrund?
890 Bislang wurde der Umweltschutz i.V.m. den Tatbestandsmerkmalen des Art. 81 Abs. 3 EG erörtert. Weiter gehend könnte der Umweltschutz als solcher und damit ohne konkreten Bezug zu den genannten Merkmalen des Art. 81 Abs. 3 EG eine Freistellung rechtfertigen. So hielt es die Kommission für nicht ausgeschlossen, dass auch Gründe des Umweltschutzes zu einer Freistellung entsprechend Art. 81 Abs. 3 EG führen können.296 Art. 81 Abs. 3 EG nennt einzelne relevante Tatbestandsmerkmale und ist von 891 daher abschließend. So wurde auch die Erweiterung des einzelne Elemente nennenden Art. 30 EG auf den Umweltschutz abgelehnt.297 Daher lässt sich der Umweltschutz als solcher und damit unabhängig von den genannten Elementen nicht unter Art. 81 Abs. 3 EG fassen.298 Das bedeutet, dass der Umweltschutz als solcher nicht genügt, sondern es sich bei entsprechender Berufung darauf um warenerzeugungs- bzw. -verteilungsbezogene Vorgänge oder technische bzw. wirtschaftliche Entwicklungen handeln muss, deren Fortschreiten freilich durch eine Verbesserung des Umweltschutzes bedingt sein kann. So können technische Entwicklungen zugunsten des Umweltschutzes einen Fortschritt i.S.v. Art. 81 Abs. 3 EG darstellen, nicht hingegen etwa eine Zusammenarbeit zur bloßen Verbraucher-
294 295 296
297 298
Grundig und Kommission, XXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1993, KOM (1994) 161 endg., S. 98, wo nur die Nachteile für den Wettbewerb benannt werden; dagegen im Hinblick auf negative Effekte für die Umwelt v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 167. So im Ergebnis auch v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 158. S.o. Rn. 844 f., 882. Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 77.; bereits KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 (19) – Carbon Gas Technologie; s. später 94/322/EG, ABl. 1994 L 144, S. 20 (Rn. 68) – Exxon/Shell; 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 25) – Philips/Osram allerdings im Rahmen einer Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts bzw. einer Verbesserung der Produktion. Zu einer Rechtfertigung unabhängig von Art. 81 Abs. 3 EG u. Rn. 985 ff. Etwa Rengeling, in: FS für Börner, 1992, S. 359 (366 f.). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 136; Jacobs, LIEI 93/2, 37 (52 f.); Müller-Graff, EuR 1992, 1 (22 f.); Pernice, EuZW 1992, 139 (141); Portwood, Competition Law & The Environment, 1994, S. 130; Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 54 f.
§ 3 Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
329
aufklärung über aufgrund ihrer technischen Konstruktion umweltfreundliche Produkte. Bedarf es daher der Integration von Umweltschutzzielen in das System des Kar- 892 tellverbots, kann für die Freistellungsfähigkeit privater Maßnahmen auch nur die Verfolgung von Art. 81 Abs. 3 EG zuordenbaren Umweltschutzzielen als solchen zählen, nicht deren Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Art. 174 Abs. 2 EG.299 Diese sind auch auf Maßnahmen staatlicher Organe zugeschnitten. Vielmehr sind die auf private Maßnahmen abgestimmten weiteren Anforderungen nach Art. 81 Abs. 3 EG entscheidend. Unmaßgeblich ist somit, ob sich die privaten Maßnahmen etwa im Rahmen des Verursacherprinzips halten.300 Aus dem Vorbeugungsprinzip kann nicht hergeleitet werden, dass für eine Freistellung keine letzte Sicherheit im Hinblick auf positive ökologische Wirkungen bestehen muss.301 Dies folgt aber bereits aus dem effet utile des Umweltschutzes und namentlich des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung.
G.
Keine notwendige Kohärenz mit gemeinschaftlichen oder nationalen Zielen
Vor diesem Hintergrund kann es gerade im Umweltbereich auch nicht darauf an- 893 kommen, ob sich eine unternehmerische Verhaltensweise gerade in den Rahmen einer gemeinschaftlichen Politik einfügt. Ebenso wenig darf differenziert werden, ob es sich um eine durch eine nationale oder eine Gemeinschaftspolitik gewollte Maßnahme handelt.302 Entscheidend ist lediglich die Festschreibung eines Ziels im Primärrecht, die zu einer erweiternden Interpretation der Merkmale des Art. 81 Abs. 3 EG führt. Die nähere Ausgestaltung dieser Ziele durch Grundsätze und sonstige Vorgaben richtet sich aber an die Gemeinschaftsorgane, nicht an Private, die anders strukturiert sind und daher das gleiche Ziel mit anderen Mitteln erreichen können. Diesen Mitteln wird in Art. 81 Abs. 3 EG Rechnung getragen. Darin finden sich daher die Grenzen privaten Verhaltens, nicht in andere Politikfeldern. Gegen zusätzliche Schranken sprechen auch die Grundsätze der Subsidiarität 894 und der Bürgernähe. Die Subsidiarität enthält zwar eine Grundsatzentscheidung zugunsten nationaler Maßnahmen, jedoch ist sie ausweislich der 11. Begründungsewägung zum EU und Art. 1 Abs. 2 EU mit der Bürgernähe gekoppelt. Spezifisch der Bürgernähe entspricht es aber, wenn Private in weitest gehendem Umfang ei-
299 300
301 302
Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 53. Ebenso v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 177; anders Bock, EuZW 1994, 47 (51 f.); Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 155, 158 im Zusammenhang mit der Unerlässlichkeit. So aber Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 47 (63). Eine Bevorzugung der eine Gemeinschaftspolitik unterstützenden unternehmerischen Verhaltensweise konstatiert Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 145, und lehnt dies gleichfalls ab, S. 155.
330
Kapitel 4 Freistellungen
gene Initiative entfalten.303 Dann aber kann es nicht darauf ankommen, dass ihre Zielsetzungen sich in den Rahmen konkreter Gemeinschaftspolitiken einfügen. Das kann auch nicht damit begründet werden, dass durch gemeinschaftliche 895 oder nationale Regelungen die entsprechende Zielsetzung erst konkret substanziiert wird.304 Bei den Wettbewerb beeinträchtigenden Verhaltensweisen der Unternehmen agieren diese und damit bestimmen auch sie die Zielsetzung. Gesetzliche Regelungen können höchstens insoweit bedeutsam sein, als sie aus Gemeinwohlerwägungen heraus erlassen wurden, und eine Kohärenz unternehmerischer Zielsetzungen mit ihnen indiziert, dass diese Zielsetzungen nicht nur vorgeschoben sind; abzulehnen ist aber die Indizierung eines gemeinwohlbezogenen Nutzens als solchem.305 Daher kann die Rückkoppelung unternehmerischer Ziele an gemeinschaftliche 896 oder nationalstaatliche politische Vorgaben auch nicht erst deren besondere Bedeutung gegenüber dem Wettbewerb begründen.306 Damit würde implizit auch von der öffentlichen Gewalt vorgezeichnetes unternehmerisches Verhalten höher bewertet als auch inhaltlich gänzlich autonomes – eine Anregung zum Tätigwerden öffentlich-rechtlicher Instanzen und damit bezogen auf die Tätigkeit der Gemeinschaft ein Widerspruch zu Art. 5 Abs. 3 EG.
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher A.
Verbraucher
897 Art. 81 Abs. 3 EG setzt weiter voraus, dass die Verbraucher angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligt werden. Beide Begriffe sind weit zu verstehen und in den Kontext der jeweiligen Wettbewerbsbeeinträchtigung einzufügen. Verbraucher sind entsprechend dem französischen Begriff „utilisateur“ sowohl Endverbraucher als auch andere Abnehmer.307 Der Gehalt dieses Begriffs richtet sich also entsprechend dem jeweiligen Kontext danach, wer im konkreten Fall Abnehmer der betroffenen Waren oder Dienstleistungen ist. Je nach Vertriebs- bzw. Leistungsstufe, die von der Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist, können das damit auch Händler oder Weiterverarbeiter sein.308
303 304 305 306
307 308
S. näher u. Rn. 998 ff. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 155. Dafür Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 155. So Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 155 f.; Pernice, EuZW 1992, 139 (142); auch Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 47 (60). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 134 mit Fn. 58. Z.B. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 47.
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
331
Zu weit geht allerdings die Einbeziehung auch unbeteiligter Dritter.309 Zwar 898 müssen die mit der Wettbewerbsbeschränkung erzielbaren Vorteile objektiver Natur sein und über die Belange der Beteiligten hinausreichen.310 Jedoch betrifft dies die Definition der relevanten Vorteile, welche mit den Nachteilen abzuwägen sind und unerlässlich sein müssen, mithin nicht die begünstigten Personen. Zudem ist die Voraussetzung der angemessenen Beteiligung der Verbraucher personifiziert und schon vom Wortlaut her an eine bestimmte Nähebeziehung zu den betroffenen Leistungen gekoppelt. Die Koppelung besteht allerdings nicht für die Wettbewerbsbeschränkungen. 899 Bei diesen genügt auch die Antastung von Wettbewerbsstrukturen als solchen.311 Aber auch von deren Erhaltung oder Verbesserung können spezifisch die Verbraucher profitieren. Eine Änderung der Wettbewerbsstruktur etwa durch eine koordinierungsbedingte Erhaltung oder Vermehrung der Zahl der Anbieter wirkt daher positiv, so wenn sich daraus eine größere Angebotsvielfalt ergibt oder sich verschiedene etwa gleich große Anbieter (zumal) mit unterschiedlichen Produkteigenschaften etablieren können. Eine Verminderung der Zahl der Anbieter muss hingegen durch hinreichend gewichtige Vorteile zugunsten der Verbraucher z.B. aufgrund einer Qualitätssteigerung aufgewogen werden.
B.
Gewinn
I.
Notwendiger hinreichender Verbraucherbezug
Gewinn ist die Summe aller Vorteile, zu denen die gegen Art. 81 Abs. 1 EG ver- 900 stoßende Vereinbarung führt.312 Die Vorteile insgesamt sind die positiven Wirkungen der Wettbewerbsbeschränkung, die den daraus folgenden Nachteilen im Rahmen der Abwägung nach Art. 81 Abs. 3 EG gegenüberzustellen sind und die Letztere zumindest ausgleichen, wenn nicht überwiegen müssen.313 Allerdings verlangt Art. 81 Abs. 3 EG insoweit einen Bezug zum Verbraucher. 901 Dieser Bezug ist konstitutiv für eine mögliche Freistellung. Auf dieser Ebene zählen daher nur die Belange, die sich positiv zugunsten der Verbraucher auswirken. Da durch diesen Begriff aber ein weiter Personenkreis umfasst wird, nämlich auch gewerbliche Zwischenkunden und Abnehmer, zählen dazu regelmäßig die positiven Wirkungen, die sich auf einer anderen Ebene zeigen als derjenigen, auf der die Wettbewerbsbeschränkungen erfolgen. Bei der Ermittlung des Gewinns zählen alle Gruppen und damit alle Kunden und Käufer der betroffenen Produkte in dem relevanten Markt und nicht die Auswirkung auf Einzelpersonen einer Verbrau309
310 311 312 313
Dagegen auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 317; Gleiss/ Hirsch, Art. 85 Rn. 1098: jedenfalls mittelbarer Einfluss auf die relevanten dritten Personen. Bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten und Grundig. S.o. Rn. 668 f. Z.B. Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 159. S.o. Rn. 844 f., 882.
332
Kapitel 4 Freistellungen
chergruppe.314 Einzelne negative Auswirkungen schaden nicht, sofern nur beim durchschnittlichen Verbraucher Vorteile entstehen.315 Zudem liegt auch die Erhaltung einer gesunden Wettbewerbsstruktur im Interesse der Verbraucher.316 Zum Gewinn der Verbraucher gehören damit die objektiven Belange außerhalb der unternehmerischen Eigeninteressen des Wettbewerbsbeschränkers. Wettbewerbsbeschränkungen müssen spürbar sein, um unter das Kartellverbot 902 zu fallen.317 Daher haben sie eine hinreichende Auswirkung auf den Markt. Das spricht dafür, dass auch lediglich spürbare Vorteile für den Verbraucher im Rahmen der Freistellung solcher Wettbewerbsbeschränkungen beachtlich sind.318 Zudem verlangt Art. 81 Abs. 3 EG eine angemessene Beteiligung der Verbraucher. Diese muss also das notwendige Korrelat zu den eintretenden Nachteilen aufgrund der notwendig spürbaren Wettbewerbsbeschränkung sein. II.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit
903 So wie der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen wie auch von positiven Wirkungen im Rahmen der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG hinreichend wahrscheinlich sein muss,319 gilt dies ebenso für die Gewinne der Verbraucher.320 Auch sie beruhen vielfach auf dem Eintritt künftiger Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der Beurteilung nicht konkret absehbar sind. Dann bedarf es insoweit einer Prognose. Dabei gilt entsprechend den Überlegungen bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer Koordinierung321 die umgekehrte Relation, dass die Vorteile für die Verbraucher umso wahrscheinlicher sein müssen, je geringer ihr Gewicht wiegt und desto schwerer und wahrscheinlicher die Wettbewerbsbeschränkung ist. Damit bedarf es regelmäßig näherer Darlegung, die sich auf Tatsachen gründet; eine bloße Vermutung kann nicht genügen. Nicht hinreichend ist daher etwa ein pauschaler Verweis, der Wettbewerbsdruck 904 werde die Unternehmen schon zur Weitergabe von Kosteneinsparungen an Verbraucher zwingen.322 Jedenfalls bedarf es der näheren Eruierung, inwieweit eine 314 315 316 317 318
319 320 321 322
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 87). EuG, Rs. T-131/99, Slg. 2002, II-2023 (2066, Rn. 163) – Shaw. S. vorstehende Rn. 899 S.o. Rn. 493 ff. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 171 unter Verweis auf KOME 71/337/EWG, ABl. 1971 L 227, S. 26 (31) – CEMATEX; 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 (22) – Wand- und Bodenfliesen; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1925. S.o. Rn. 868 ff. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 47. S.o. Rn. 864 ff. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1916 f., Rn. 48) – Metro I. S. aber noch KOME 93/403/EWG, ABl. 1993 L 179, S. 23 (Rn. 68) – EBU/Eurovisions-System und auch noch Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 34).
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
333
solche Weitergabe aufgrund der gesamten Wettbewerbssituation zwischen den an der Absprache Beteiligten, nach außen und auf vor- und nachgeordneten Stufen wahrscheinlich ist.323 Von Bedeutung sind dabei 905 -
Merkmale und Struktur des Marktes, Art und Ausmaß der Effizienzgewinne, die Elastizität der Nachfrage und das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung.324
Je mehr Wettbewerb zurückbleibt, desto wahrscheinlicher ist eine Weitergabe 906 von Kostenvorteilen, außer festgefügte oligopolistische Strukturen führen zu einem parallelen Hochhalten des Preisniveaus.325 Eine Senkung der variablen Kosten wird eher weitergegeben als Einsparungen bei den Fixkosten, welche unabhängig von der hergestellten Menge anfallen und daher nicht direkt auf die Produktionskosten durchschlagen, so bei der Zusammenlegung von Kapazitäten.326 Die Weitergabe von Kosteneinsparungen ist für die Unternehmen verzichtbar, 907 wenn die Nachfrage davon unbeeinflusst bleibt.327 Sie findet umso weniger statt, je eher die Koordinierung die Marktmacht konzentriert, was eher Preiserhöhungen provoziert. Reduziert die erhöhte Marktmacht den Wettbewerbsdruck erheblich, sind sehr hohe Kosteneinsparungen erforderlich, damit sie in ausreichendem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden.328 III.
Finanzielle Vorteile
Jedenfalls dann, wenn Wettbewerbsbeschränkungen zugleich zu Preissenkungen 908 führen, liegt eine Gewinnbeteiligung der Verbraucher vor.329 Hier liegt der Vorteil offen zutage, da der Preis ein wesentliches Kriterium für Verbraucherkäufe sowohl im privaten als auch im gewerblichen Bereich darstellt und seine Senkung unmittelbar dem Käufer zugute kommt. Preissenkungen können aber auch mittelbar und auf längere Sicht erfolgen, in- 909 dem frühzeitige Anstrengungen später plötzliche hohe Kostenaufwendungen unnötig machen, weil sie etwa die Erfüllung normativer Anforderungen entbehrlich machen (z.B. die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen mit (besseren) Rußfiltern). 323 324
325 326 327 328 329
Eine Berücksichtigung verlangend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 61. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 96 ff.) ausführlich und mit näheren Erläuterungspunkten auch zum Folgenden. S.u. Rn. 1815, 1823. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 98 a.E.). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 99). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 101). KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 (25 f.) – Rockwell/Iveco.
334
Kapitel 4 Freistellungen
Weiter können indirekte Preisvorteile fortlaufend auftreten und sich erst nach einiger Zeit einstellen, so wenn als Folgewirkung umweltfördernder Entwicklungen Einspareffekte wie ein geringerer Benzinverbrauch von Autos auftritt. Je weiter entfernt allerdings künftige oder laufende Einsparungen beim Verbraucher eintreten, desto höher müssen sie angesichts Inflation und entgangener Zinsen liegen.330 Oder Preissenkungen können relativ auftreten, indem Unternehmenskooperationen konkret absehbare331 gesetzliche Regelungen vermeiden, die zu höheren Kosten und damit auch zu höheren Preisen geführt hätten.332 Preissenkungen sind allerdings dann nicht mit einem Gewinn für den Verbrau910 cher verbunden, wenn sie mit einer Verschlechterung der Produktqualität oder einem sonst wie verringerten Leistungsangebot einhergehen. Der Wert für den Verbraucher wird nicht nur durch den Preis gebildet, sondern auch durch die dahinter steckende Qualität. Diese Betrachtung wird durch Art. 81 Abs. 3 EG nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr nahe gelegt, weil allgemein von Vorteil und nicht etwa lediglich von finanziellem Vorteil die Rede ist. Zudem ist der finanzielle Vorteil nur dann wirklich vorhanden, wenn er mit einer gleichbleibenden Leistung verbunden ist. Der Preis ist daher zum sachlichen Angebot in Beziehung zu setzen. Eine Preissenkung fällt deshalb nur dann positiv ins Gewicht, wenn sie mit einer adäquaten Aufrechterhaltung des Leistungsangebotes einhergeht. IV.
Leistungsverbesserungen
911 Der Gewinn ist nicht rein monetär zu verstehen, sondern auch qualitativ bedingt, wie schon die vorangehende Überlegung zur Preissenkung deutlich machte. Zu den Vorteilen für den Verbraucher gehören daher auch Verbesserungen in der Qualität333 der angebotenen Leistungen, so wenn sie der Verbraucher technologisch hochwertiger erlangen kann.334 Die Leistungen werden auch dann verbessert, wenn die für den gleichen Preis erhältliche Menge infolge von Rationalisierungen größer wird oder die Zahl der angebotenen Erzeugnisse steigt und daher für den Verbraucher eine größere Auswahl entsteht.335 Die Leistungsverbesserung kann also qualitativ oder quantitativ sein. 330 331
332 333
334 335
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 87 f.). Die grds. hohe Wahrscheinlichkeit einer strengeren Gesetzgebungstätigkeit (Jacobs, LIEI 93/2, 37 (54 f.)) ist zu wenig fallbezogen und lässt eine nähere Berechnung nicht zu. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 172 f. S. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (635, Rn. 117) – Matra Hachette; KOME 72/24/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 47 (49) – SOPELEM/Langen; 72/237/EWG, ABl. 1972 L 143, S. 31 (36) – Davidson Rubber Co.; 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 (19) – Bayer/Gist Brocades; 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 (Rn. 63) – Niederländische Banken; 90/25/EWG, ABl. 1990 L 15, S. 25 (Rn. 26) – Concordato Incendio. KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 (25) – Rockwell/Iveco. S. KOME 91/562/EWG, ABl. 1991 L 306, S. 22 (Rn. 16) – Eirpage; 92/96/EWG, ABl. 1992 L 37, S. 16 (Rn. 39) – Assurpol.
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
335
Auch die Verteilung und deren Qualität bilden einen wesentlichen Faktor für 912 den Wert eines Erzeugnisses für den Verbraucher. Zu dessen Vorteilen zählt daher auch eine regelmäßige Versorgung336 oder ein verbesserter Kundendienst. Damit eng verbunden ist auch die Zahl der Stellen, an denen eine Leistung angeboten wird. Ihre Erhöhung kann daher gleichfalls eine Leistungsverbesserung darstellen. Handelt es sich um keine Ausschließlichkeitsbindungen mit Absatzgrenzen, kann sich dadurch auch der Wettbewerb verstärken,337 was mit Preissenkungen verbunden sein kann. V.
Verbesserung von Gemeinwohlbelangen
Leistungsverbesserungen liegen vordergründig zumal dann vor, wenn sie zu einer 913 Steigerung allgemeiner Belange wie der Volksgesundheit,338 der günstigen Beeinflussung von Verkehrsunfällen339 oder einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung340 führen. Diese Belange bilden allerdings zumindest auch Gemeinwohlinteressen. Noch stärker losgelöst vom einzelnen Verbraucher ist der Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen bzw. auch die Sozialverträglichkeit unternehmerischer Umstrukturierungen.341 In solchen Fällen fragt sich, ob ein Element auch dann einen Gewinn für den Verbraucher darstellen kann, wenn es dem Gemeinwohl zugute kommt. Die bloße Teilhabe des Verbrauchers an einem Gemeinwohlinteresse soll nicht ausreichen.342 Indes bildet eine Verbesserung des Gemeinwohls vielfach auch einen Vorteil 914 für den Verbraucher, ist er doch in die Gemeinschaft eingebunden und auf eine bestimmte Infrastruktur angewiesen. Aus Art. 2 EG lässt sich diese Sicht insofern untermauern, als auch das wirtschaftliche Geschehen, das unverfälscht regelmäßig in erster Linie dem Einzelnen zugute kommt,343 eingebettet ist in primär dem Gemeinwohl zugeordnete Umstände. So ist die Umwelt in Art. 2 EG genannt und von grundlegender Bedeutung für die Entfaltung des Einzelnen. Durch sie wird auch die Situation des Einzelnen meist spürbar beeinflusst, sofern man dieses Kriterium auch im Zusammenhang mit der Gewinnbeteiligung der Verbraucher verlangt.344 Das gilt wegen des konkreten Bezugs auf bestimmte Entwicklungen auch 336 337 338 339 340
341 342 343 344
EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1916 f., Rn. 48) – Metro I. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 59 a.E. KOME 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 (Rn. 89) – Pasteur Mérieux-Merck. KOME 88/555/EWG, ABl. 1988 L 305, S. 33 (Rn. 27) – Continental/Michelin; 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 26) – Asahi/Saint Gobain. S. KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 (20) – Carbon Gas Technologie; 91/329/EWG, ABl. 1991 L 178, S. 31 (Rn. 37) – Scottish Nuclear; 93/126/EWG, ABl. 1993 L 50, S. 14 (Rn. 32) – Jahrhundertvertrag. Z.B. KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 36) – Ford/Volkswagen; 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 27) – Stichting Baksteen. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 171. S. freilich im Hinblick auf die steuerliche Partizipation des Staates Isensee, in: FS für Ipsen, 1977, S. 409 ff. S.o. Rn. 844, 900.
336
Kapitel 4 Freistellungen
bei einer Beschränkung von freistellungsfähigen Ansätzen auf die Sachverhalte, die sich neben allgemeinen Zielen wie dem Umweltschutz auch unter die in Art. 81 Abs. 3 EG genannten Optionen subsumieren lassen.345 Auch bei einer solchermaßen beschränkten Einbeziehung der Umwelt könnte 915 allerdings das Kriterium des Gewinns von der grundsätzlich wirtschaftlichen Orientierung der Wettbewerbsfreiheit gelöst werden. Es würde für subjektive Wertungen offen und damit anfällig für eine Aufweichung.346 Eine solche Loslösung erfolgte allerdings nur bei isolierter Betrachtung des Wirtschaftsgeschehens. Aufgrund des Bezugs von Art. 81 Abs. 3 EG auf Art. 2 EG kommt eine solche Blickverengung indes nicht in Betracht.347 Vielmehr ist ein Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie gefordert. Der auf die Wirtschaftstätigkeit bezogene Gewinn kann dem gemäß gleichfalls nicht isoliert monetär und von daher lediglich quantitativ taxiert werden, sondern er ist in den Gesamtzusammenhang der Wirtschaft zu stellen und damit auch qualitativ zu bewerten unter Einschluss namentlich von Verbesserungen im Umweltschutz, die dem Verbraucher zugute kommen. Der Einzelne ist auf die Umwelt als solche angewiesen. Das liegt dem Gedanken der nachhaltigen Entwicklung zugrunde, der auch künftige Generationen einbezieht.348 Dieser Gedanke wurde über Art. 2 in den EG inkorporiert. Daher ist bereits die Verbesserung der Umweltqualität als solcher als Gewinn für den Verbraucher anzusehen. Diese Verbesserung kann dementsprechend nicht nur darin bestehen, dass die 916 Umwelteigenschaften eines Produktes verbessert werden oder die Auswahl an umweltschonenden Waren vergrößert wird,349 sondern auch in dem Verschwinden von schädlichen Produktionsverfahren und in der umweltfreundlicheren Gestaltung der Herstellungsbedingungen.350 Deshalb scheitert ein Gewinn für die Verbraucher auch nicht daran, dass umweltschädliche bzw. umweltschädlich hergestellte Produkte aus dem Angebot verschwinden.351 Zumal im Hinblick auf den sustainable-development-Gedanken müssen auch langfristige Entwicklungen und damit noch nicht sofort sichtbare, aber sich im Laufe der Zeit einstellende Vorteile berücksichtigt werden.352 Dabei ist zudem zu bedenken, dass ein frühzeitiges Einstellen auf Entwicklungen langfristig zu niedrigeren Preisen führt; das gilt auch bei einer Reaktion auf gesetzliche Vorschriften bzw. deren erwarteten Erlass.353
345 346 347 348 349 350 351 352 353
S.o. Rn. 877, 885, 887 f. Daher abl. Dieckmann, in: BDI, Kartellrecht und Umweltschutz, 1995, S. 55 (59). Näher o. Rn. 851 ff. S. Kirchgässner, ZfU 1997, 1 (5 f.); Breier, ZfU 1997, 131 (131). Insoweit eine Einbeziehung befürwortend Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 47 (61). Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 157. Ebenso im Ergebnis Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 157. Portwood, Competition Law & The Environment, 1994, S. 152. S. Jacobs, LIEI 93/2, 37 (54 f.).
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
VI.
337
Früherer Erfolgseintritt
Eine Sonderkonstellation von Leistungsverbesserungen, aber auch von finanziel- 917 len Einsparungen bildet die Situation, dass ein solcher Erfolg zwar auch ohne Wettbewerbsbeschränkung eintreten könnte, jedoch später. Damit sichert eine unter das Kartellverbot fallende Koordinierung einen früheren Erfolgseintritt. Der Vorteil für den Verbraucher liegt darin, dass er zeitlich früher an den positiven Entwicklungen teilhaben kann. Allein darin liegt daher ein Gewinn für ihn.354 Allerdings muss dieser Gewinn daraus resultieren, dass eine der in Art. 81 918 Abs. 3 EG genannten Aspekte früher eintritt, also z.B. die Warenerzeugung früher verbessert oder verbreitert355 werden kann. Beispiele hierfür sind Forschungskooperationen, die ein Produkt früher marktreif machen, oder eine Zusammenarbeit in der Warenverteilung, welche alsbald eine flächendeckende Versorgung mit einem neuen Erzeugnis gewährleistet. Zudem darf die frühere Erreichung durch Koordinierung nicht durch eine gleichfalls dadurch ermöglichte erhebliche Preiserhöhung mehr als aufgewogen werden.356
C.
Angemessene Gewinnbeteiligung
I.
Abwägung der Vor- und Nachteile für den Verbraucher
Art. 81 Abs. 3 EG verlangt lediglich eine Beteiligung der Verbraucher an dem 919 durch die wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahme entstehenden Gewinn und spezifiziert nicht näher. Daher muss es – entsprechend der Entscheidungspraxis der Kommission357 – genügen, wenn der Verbraucher an einem der erreichten Vorteile teil hat; er braucht also nicht von allen zu profitieren. Leistungsverbesserungen gehen vielfach mit Kostensteigerungen einher. Art. 81 920 Abs. 3 EG schließt jedoch das Eintreten von Nachteilen nicht aus. Der Gewinn für den Verbraucher muss danach vielmehr angemessen und damit nicht notwendig absolut sein, sondern nur die sich für die Verbraucher aus der Wettbewerbsbeschränkung ergebenden Nachteile übersteigen,358 mindestens aber ausgleichen.359 Der Verbraucher darf also durch die Koordinierung nicht schlechter stehen.360 Eine angemessene Beteiligung der Verbraucher liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Unternehmer durch die Kostenüberwälzung gar keine finanzielle Last trifft
354 355 356 357 358 359 360
KOME 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 (Rn. 90) – Pasteur Mérieux-Merck. KOME 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 (Rn. 90) – Pasteur Mérieux-Merck. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 89). S. KOME 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 (Rn. 27) – KSB/Goulda/Lowara/ITT. KOME 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 (22) – Wand- und Bodenfliesen. EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 85).
338
Kapitel 4 Freistellungen
und der Verbraucher erhöhte Kosten in Form von Preissteigerungen alleine trägt.361 Vielfach liegen die Verhältnisse aber nicht derart offen zutage. Die begriffliche 921 Offenheit von „Gewinn“ und die Rückbindung an ein Überwiegen der Vorteile ermöglicht in weitem Umfange Wertungen,362 darf aber nicht zu einer pauschalen Betrachtung verleiten.363 Vielmehr müssen die auftretenden Vor- und Nachteile herausgearbeitet und einander abwägend gegenübergestellt werden. Das verlangt schon die Formulierung „angemessen“, welche auch in der Verhältnismäßigkeitsprüfung auftaucht und dort nach herkömmlichem Verständnis eine detaillierte Abwägung verlangt. Die im Europarecht im Bereich der Grundfreiheiten dominierende Erforderlichkeitskontrolle364 findet im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG auf der Ebene der Unerlässlichkeit statt.365 II.
Überwiegen der Vorteile
922 Es dürfen also die konkret zu benennenden Vorteile des Verbrauchers gegenüber den für ihn eintretenden Nachteilen nicht nachrangig sein. Je stärker die Wettbewerbsbeschränkung ist, desto bedeutender müssen daher die Effizienzgewinne und deren Weitergabe an den Verbraucher sein und desto wahrscheinlicher werden die Verbraucher Nachteile davon tragen.366 Dieser Ansatz liegt strukturgleich dazu, dass auch für die Bejahung eines freistellungsfähigen Tatbestandes in Form einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung etc. die Nachteile überwiegen müssen.367 Da der Verbraucher ebenso wie die Wettbewerber sowie die technische bzw. wirtschaftliche Entwicklung selbst grundsätzlich vom Wettbewerb und nicht von dessen Beschränkung profitieren sollen,368 ist eine solche Ausnahme auch im Hinblick auf den Verbraucher, dessen Schutz die Wettbewerbsregeln gleichfalls dienen,369 hinreichend zu begründen. Der Gewinn für den Verbraucher ist daher ebenfalls danach zu ermitteln, inwieweit unter dem Strich Vorteile für ihn überwiegen. Nur zählt seine Perspektive. Damit wird zugleich sichergestellt, dass nur spürbare Vorteile für den Verbraucher einbezogen werden.370 361 362 363
364 365 366 367 368 369 370
Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 56. S. auch Pernice, EuZW 1992, 139 (143): dann keine Unerlässlichkeit. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1924; ebenso Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 318. Unter diesem Gesichtspunkt die Entscheidungen der Kommission kritisierend Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien Rn. 160 mit Nachw.; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 60. In ihr geht die Angemessenheitskontrolle, soweit erfolgend, regelmäßig auf, s. Frenz, Europarecht 1, Rn. 533 f. S. z.B. EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (461, Rn. 58) – Verband der Sachversicherer. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 90, 92). S.o. Rn. 882, 889. S.o. Rn. 844 f. S.o. Rn. 13. S. bereits EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig.
§ 4 Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
339
Dabei werden die Nachteile für den Wettbewerb regelmäßig auch zu Nachteilen für den Verbraucher führen, da bei fehlendem Wettbewerb vielfach ungerechtfertigte Preiserhöhungen oder Entwicklungsstillstände etc. die Folge sind. Damit tritt auch die Problematik zurück, ob die Nachteile für den Wettbewerb371 oder spezifisch für den Verbraucher372 der Ansatz in der Abwägung sein müssen. Da der Gewinn für den Verbraucher ermittelt werden muss, bildet dieser zwar den Ausgangspunkt, ist aber umfassend zu betrachten; daher sind auch indirekte Nachteile einzubeziehen. Diese Weiterung gilt indes auch für die Vorteile. So führen gerade auch die Vorteile für die Unternehmen in Form technischer und wirtschaftlicher Fortschritte zu Vorteilen für den Verbraucher. Eine positive Abwägung in diesem Rahmen, also z.B. eine Förderung des technischen Fortschritts, indiziert daher regelmäßig auch einen Gewinn für den Verbraucher, wenn nicht unangemessene Preissteigerungen oder sonstige Verschlechterungen dagegen stehen. So hat die Kommission regelmäßig bei einer Koordinierung, die neue bzw. verbesserte Produkte oder Produktionsverfahren entwickeln oder diese auf den Markt bringen soll, eine angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher bejaht.373 So sind technische Neuerungen in ihren Vorteilen für den Verbraucher insbesondere Kostensteigerungen gegenüberzustellen. Das gilt auch für Vorteile übergeordneter Natur, die infolge der Zielbestimmungen der EU von Relevanz sind und regelmäßig jedenfalls indirekt dem Verbraucher zugute kommen. Die Kommission hat im Prinzip keine Einwände dagegen, „dass umweltverschmutzende Unternehmen Kosten von Umweltschutzinvestitionen auf die Kunden abwälzen“.374 Im Rahmen der angemessenen Gewinnbeteiligung der Verbraucher hob sie darauf ab, dass die Verbesserung der Gebrauchseigenschaft „im Übrigen auch umweltfreundlich“ wirke.375 Nur dürfen die Kosten dafür nicht zu hoch sein, weil ansonsten die Vorteile nicht überwiegen. Dabei ist aber auf langfristige Entwicklungen abzustellen. So wird die angemessene Gewinnbeteiligung bei Strukturkrisenkartellen nicht dadurch gehindert, dass die Verbraucher nicht aus einem Preisverfall profitieren; vielmehr steht die langfristige Erhaltung der Wirtschaftsstruktur und die damit verbundene adäquate langfristige Versorgung im Vordergrund.376 Derartige langfristige Erwägungen müssen angesichts des sustainable-development-Gedankens gerade auch im Umweltbereich im Vordergrund stehen. 371 372 373
374 375 376
S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 318. Die Selbstständigkeit des Merkmals der Verbraucherbeteiligung betonend Gleiss/ Hirsch, Art. 85 Rn. 1929 f. Z.B. KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 (28) – Rockwell/Iveco; 94/322/EG, ABl. 1994 L 144, S. 20 (Rn. 71) – Exxon/Shell; 94/771/EG, ABl. 1994 L 309, S. 24 (Rn. 31) – Olivetti-Digital. Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 185 zum Fall VOTOB. KOME 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 (Rn. 27) – KSB/Goulds/Lowara/ITT. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 318; s. auch KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 39, 41) – Kunstfasern; 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 29) – Stichting Baksteen.
923
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Kapitel 4 Freistellungen
Bei einer Abstimmung des Angebotes sind etwaige Verbesserungen in der Produktqualität oder im Vertrieb relevant. Gleichwohl kann einer angemessenen Gewinnbeteiligung vor allem entgegen stehen, wenn der Verbraucher nicht mehr so gut wie vorher auswählen kann, weil die Angebotspalette verringert wurde377 oder die Märkte aufgeteilt bzw. sonst wie abgeschottet378 oder andere Wettbewerber ferngehalten wurden.379
§ 5 Unerlässlichkeit A.
Durchgehende Erforderlichkeitsprüfung in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht
I.
Kein milderes unternehmerisches Mittel
928 Die Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit müssen gem. Art. 81 Abs. 3 EG für die Erreichung der angestrebten Ziele unerlässlich, also schon dem Wortsinn nach nicht nur günstig380 bzw. förderlich, sondern unbedingt erforderlich sein.381 Das setzt ein erhebliches Maß an Notwendigkeit voraus und zwar in mehrfacher Hinsicht. Die verfolgten Ziele dürfen ohne die erzeugten Wettbewerbseinschränkungen gänzlich oder in dem angestrebten Ausmaß, Zeitraum oder der gewollten Sicherheit unerreichbar sein.382 Das ist im Rahmen des tatsächlichen wirtschaftlichen Umfeldes der Koordinierung mit den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Risiken und Anreizen zu prüfen; je ungewisser der Erfolg, desto eher kann eine Wettbewerbsbeschränkung notwendig sein.383 In jedem Fall darf es kein weniger einschränkendes Mittel geben, um die glei929 chen Vorteile zu erzielen,384 mithin kein milderes Mittel vorhanden sein. Den Vergleichsmaßstab bilden nicht die gänzlich anders gearteten und vom Staat verord-
377 378 379 380 381
382 383 384
Z.B. KOME 78/732/EWG, ABl. 1978 L 242, S. 15 (Rn. 104) – CSV; 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 26 ff.) – ANSAC. S. KOME 80/256/EWG, ABl. 1980 L 60, S. 21 (Rn. 87) – Pioneer; 93/405/EWG, ABl. 1993 L 183, S. 1 (Rn. 122 f.) – Schöller. KOME 91/130/EWG, ABl. 1991 L 63, S. 32 (Rn. 71, 73) – Screensport/EBU-Mitglieder mit weiteren Konstellationen (Diskriminierungen!). EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (397) – Consten Grundig. EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2073 f., Rn. 77) – Nungesser; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 (461, Rn. 58) – Verband der Sachversicherer; EuG, Rs. T-66/89, Slg. 1992, II-1995 (2038 f., Rn. 116) – Publishers Association; Rs. T-39 u. 40/92, Slg. 1994, II-49 (91, Rn. 114) – CB und Europay. S. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1916 f., Rn. 48) – Metro I. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 80). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 35).
§ 5 Unerlässlichkeit
341
neten ordnungsrechtlichen Abgabenlösungen,385 sondern das Unternehmensverhalten ohne oder mit geringeren Wettbewerbsbeschränkungen.386 Dabei sind aber nur realistische und erreichbare Alternativen vergleichend gegenüberzustellen, nicht hypothetische oder theoretische. Eine solche realisierbare Option kommt auch dann nicht in Betracht, wenn sie zwar den Wettbewerb weniger beschränkt, aber nach den Erläuterungen und Belegen der Parteien für die angestrebten Ziele erheblich weniger effizient wäre.387 So ist bei geltend gemachten Kosteneinsparungen darzulegen, warum dazu füh- 930 rende Skalen- oder Verbundvorteile wirksam nur durch eine Zusammenarbeit und nicht ebenso gut durch eigenes Wachstum und Preiswettbewerb erzielt werden können. Das hängt insbesondere davon ab, ob bereits ein Unternehmen allein die effiziente Mindestgröße erreicht, bei der die Durchschnittskosten minimiert und Größenvorteile vollständig ausgeschöpft werden können. Sollen Produktionstechniken zusammengeführt werden, genügt unter Umständen eine Lizenzvereinbarung statt der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens.388 An erster Stelle ist mithin zu prüfen, ob die Maßnahme als solche überhaupt er- 931 forderlich ist. Geht es etwa um eine bessere Erzeugung oder Verteilung von Produkten durch eine Alleinbezugsverpflichtung, stellt sich die Frage, ob es einer solchen Verpflichtung bedarf. Das ist nicht der Fall, wenn eine Wirtschaftseinheit ohnehin eine nahezu ausschließliche Stellung auf dem Markt hat, so dass die im Einzelfall legitimierte Verbesserung der Erzeugung und Verteilung der hergestellten Produkte in jedem Fall sichergestellt ist. Dann bedarf es hierfür nicht einer Alleinbezugsverpflichtung aller Mitglieder einer Genossenschaft, die in einem Mitgliedstaat 100 % der Käselabs und 90 % des Käsefarbstoffs herstellt und nahezu alle Molkereien und Käsehersteller beliefert, auch die ihr nicht angeschlossenen. Keineswegs unerlässlich ist eine Strafe bei Abweichen von dieser Verpflichtung sowie eine Zahlungsverpflichtung bei Austritt aus der Genossenschaft.389 II.
Sachlich
1.
Typenabhängigkeit
Ist eine Maßnahme als solche unerlässlich, darf sie auch in ihrer Intensität nicht 932 über das für die Erreichung des Ziels Unerlässliche hinausgehen.390 Sie darf also 385 386 387 388 389 390
Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drucks. 13/10195 S. 143 f. Tz. 301 a.E. V. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperation und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 174. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 75). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 76 f.). EuGH, Rs. 61/80, Slg. 1981, 851 (868, Rn. 18) – Coöperatieve Stremsel- en Kleurselfabriek. Deutlich Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 177.
342
Kapitel 4 Freistellungen
nicht mit einem Weniger an Wettbewerbsbeschränkungen erreicht werden können.391 Die einzelnen, sich aus der Koordinierung ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen müssen vernünftigerweise notwendig sein.392 Das gilt in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht: So sind Alleinvertriebsvereinbarungen milder als gänzliche Wettbewerbsverbote, welche bei Marktabschottung bestimmte Marken gar nicht zum Verbraucher gelangen lassen, Mengenvorgaben weniger einschränkend als Ausschließlichkeitsbindungen, welche den Käufer zur Deckung seines gesamten Bedarfs bei einem bestimmten Anbieter verpflichten und daher gar keinen Spielraum gewähren.393 Jedoch ist dies im Einzelfall zu klären, da Ausschließlichkeitsvereinbarungen etwa Trittbrettfahrer davon abhalten können,394 von den diesen Vereinbarungen zugrunde liegenden Anstrengungen zu profitieren. Es hängt mithin wesentlich von dem Typ der gewählten Koordinierung ab, 933 welche Maßnahmen sachlich unerlässlich sind. Insbesondere Franchise- und selektive Vertriebssysteme haben einen bestimmten Zuschnitt, der eine Reihe von feststehenden Maßnahmen bedingt und als Ganzes mit dazu gehört. Dazu zählen vor allem bestimmte Ausschließlichkeitsverpflichtungen im Hinblick auf den Vertrieb, so bei Franchiseverträgen die sog. location clause, also Waren nur in einem vertraglich bezeichneten Geschäftslokal zu vertreiben, bei selektiven Vertriebssystemen Fachhandelsbindungen,395 die eine Belieferung von außerhalb eines festen Vertriebsnetzes befindlichen Wiederverkäufern verbieten.396 Lässt man daher in einem Fall einen bestimmten Typ von Vereinbarungen zu, 934 so sind auch alle Maßnahmen als unerlässlich anzusehen, die mit diesem Typ notwendig verbunden sind. Das gilt vor allem für Nebenabreden.397 Für sie bedarf es keiner eigenen Abwägung, sondern sie müssen für die Durchführung der Hauptvereinbarung notwendig und angemessen sein. Der Maßstab liegt hier parallel dazu, wenn sie Teil einer etwa erst wirksamen Wettbewerb schaffenden und damit schon gar nicht wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sind.398 391 392 393 394
395 396
397 398
S. KOME 75/494/EWG, ABl. 1975 L 222, S. 34 (Rn. 12 a.E.) – Kabelmetal; 77/66/EWG, ABl. 1977 L 16, S. 18 (22) – Gerofabriek. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 73). S. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 119). Darauf abstellend Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 35). Bereits EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1906, Rn. 22) – Metro I; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3790 f., Rn. 15) – L´Oréal. Näher Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 322 f., allerdings noch auf der Basis der mittlerweile nicht mehr einschlägigen GVO (EWG) Nr. 4087/88, ABl. 1988 L 359, S. 46. Die darin vorgesehenen typischen Klauseln sind aber grds. weiterhin im Rahmen von Franchisevereinbarungen üblich und notwendig. Näher zur Abgrenzung u. Rn. 1723 ff. Darauf bezogen Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 31). Jedoch auch im Rahmen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen kann es Begleitabreden geben, die damit unmittelbar verbunden und zu ihrer Durchführung notwendig sind.
§ 5 Unerlässlichkeit
343
Allerdings sind auch innerhalb bestimmter Typen Differenzierungen notwen- 935 dig. Das gilt namentlich für Lizenzverträge, bei denen es auf Inhalt und Funktion des jeweiligen Eigentums- bzw. Urheberrechts bzw. des Know-hows ankommt. Beim Transfer von Technologie, die durch Patente und vergleichbare Schutzrechte geschützt wird oder ungeschütztes technisches Know-how verkörpert, ist zwar eine offene, ausschließliche Gebietslizenz unproblematisch,399 jedoch bestehen vielfach weitere Verpflichtungen. Unerlässlich sind jedenfalls Gebote, das Lizenzprodukt nicht in das Gebiet des jeweils anderen Vertragspartners zu liefern und dies auch im Hinblick auf Vertragsgebiete anderer Lizenznehmer zu unterlassen. Diese Grundsätze ergeben sich aus der Gruppenfreistellungsverordnung zu Technologietransfervereinbarungen,400 ebenso der Ausschluss eines absoluten Gebietsschutzes, von Preisfestlegungen, nicht wechselseitigen Produktions- und Absatzbeschränkungen in quantitativer Hinsicht sowie von Verpflichtungen, die über den Gegenstand des Schutzrechtes hinausgehen (Art. 3, 4). Bei überschießenden Gehalten ist zwar an eine individuelle Freistellung bei sachlicher Rechtfertigung zu denken,401 jedoch werden vergleichbare Klauseln auch in anderen Gruppenfreistellungsverordnungen ganz oder weitgehend verboten, so dass der Anwendungsbereich höchst schmal sein dürfte. 2.
Anhaltspunkte aus den Gruppenfreistellungsverordnungen
Damit stellt sich die generelle Frage der Relevanz von Gruppenfreistellungsver- 936 ordnungen für Einzelfreistellungen. Sie geben Anhaltspunkte dafür, welche Wettbewerbsbeschränkungen als zulässig anzusehen sind, jedenfalls soweit sie den entsprechenden Typ von Vereinbarungen erfassen und daher insoweit feste Regeln aufstellen. Soweit sie einschlägig sind, müssen sie geprüft werden.402 Das gilt namentlich für die Gruppenfreistellungsverordnungen für Vertikalabsprachen,403 für Technologietransfer-404 und Spezialisierungsvereinbarungen,405 für Forschung und Entwicklung406 sowie im KFZ-407 und Versicherungssektor408. Vielfach gibt es aber Vereinbarungen, die nicht genau unter die Gruppenfreistellungsverordnungen passen, so dass nur die Einzelfreistellung greift. So können die Umsatzwerte überschritten sein, welche Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2790/1999 (Vertikalabsprachen) für eine Gruppenfreistellung vorsieht, oder die Marktanteilsschwelle der beteilig-
399 400 401
402 403 404 405 406 407 408
S. EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2069, Rn. 58; 2073 f., Rn. 77) – Nungesser. Art. 4 VO (EG) Nr. 772/2004. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 324 unter Verweis auf KOME 88/563/EWG, ABl. 1988 L 309, S. 34 (Rn. 43) – Delta Chemie bzgl. Wettbewerbsverbot; 88/143/EWG, ABl. 1988 L 69, S. 21 (Rn. 43) – Rich Products/Jus-rol. S.o. Rn. 756. VO (EG) Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336 S. 21. S.o. Rn. 782 ff. VO (EG) Nr. 772/2004, ABl. 2004 L 123, S. 11. S.o. Rn. 800 ff. VO (EG) Nr. 2658/2000, ABl. 2000 L 304, S. 3. S.o. Rn. 829 ff. VO (EG) Nr. 2659/2000, ABl. 2000 L 304, S. 7. S.o. Rn. 833 ff. VO (EG) Nr. 1400/2002, ABl. 2002 L 203, S. 30. S.o. Rn. 815 ff. VO (EG) Nr. 358/2003, ABl. 2003 L 53, S. 8. S.o. Rn. 838 ff.
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Kapitel 4 Freistellungen
ten Unternehmen von 20 % nach Art. 4 VO (EG) Nr. 2658/2000 (Spezialisierungsvereinbarungen). Auch wenn dann die Gruppenfreistellungsverordnungen nicht eingreifen, lassen sich doch Parallelen ziehen, welche Maßnahmen im Einzelnen als vereinbar mit dem Kartellverbot angesehen werden können und welche nicht, außer eine Freistellung bestimmter Klauseln steht unter dem Vorbehalt, dass gerade die Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnung erfüllt sind. Insbesondere die aus der Festlegung grundsätzlich zulässiger und gänzlich unzulässiger Klauseln erkennbaren Wertungen geben Anhaltspunkte dafür, was unerlässlich ist. Auf dieser Prüfungsstufe können daher in besonderem Maße die Regeln aus den Gruppenfreistellungsverordnungen für Einzelfreistellungen herangezogen werden.409 Je höher allerdings die Umsätze bzw. Marktanteile der an der Koordinierung beteiligten Unternehmen sind, desto größer sind die Gefahren für den Wettbewerb und umso weniger sind diesen beschränkende Klauseln als zulässig anzusehen, weil sie möglicherweise durch die bloße gemeinsame Größe der Kartellmitglieder entbehrlich werden. Der Schwerpunkt der neuen Gruppenfreistellungsverordnungen liegt regelmäßig auf Klauseln, welche verboten sind, die sog. Kernbeschränkungen, die in einer abschließenden schwarzen Liste aufgeführt sind. Dazu zählen nach der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (VO (EG) Nr. 2790/1999) über fünf Jahre hinaus vereinbarte Wettbewerbsverbote sowie Leistungs- bzw. Verkaufsverbote, es sei denn, diese dienen berechtigten Interessen wie dem Schutz eines bestimmten Know-hows, für welches sie unerlässlich sind (Art. 5 VO (EG) Nr. 2790/1999), sowie generell Vereinbarungen mit dem Zweck von Festpreisbindungen oder Gebietsaufteilungen, außer diese entspringen besonderen Konstellationen (Art. 4 lit. a) und b) VO (EG) Nr. 2790/1999). Entsprechende Verbote der Preisfestsetzung und der Marktaufteilung sowie auch der Produktionsbeschränkung enthält die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen (VO (EG) Nr. 2658/2000) in Art. 5 sowie die für F&E-Vereinbarungen (VO (EG) Nr. 2659/2000) in Art. 5 Abs. 1 lit. d), g)410 und c). Etwas gelockert sind die korrespondierenden Verbote nach Art. 4 VO (EG) 772/2004 (TT-GVO). Aufgrund des nahezu durchgängigen Ausschlusses solcher Klauseln können sie auch in anderen Typen von Vereinbarungen nicht als unerlässlich angesehen werden, es sei denn, die explizit benannten Ausnahmefälle sind erfüllt. Weiter gibt es gruppenbezogene Beschränkungen. Insbesondere für selektive Vertriebssysteme finden sich zahlreiche unzulässige Klauseln, so Verkaufsbeschränkungen an Endverbraucher zulasten von Einzelhändlern oder Verkaufsverbote im Hinblick auf Marken bestimmter konkurrierender Lieferanten (Art. 4 lit. e) und Art. 5 lit. c) VO (EG) Nr. 2790/1999). Verschiedene spezifische verbotene Klauseln führt auch die Gruppenfreistellungsverordnung für F&E-Vereinbarungen (VO (EG) Nr. 2659/2000) auf. Diese betreffen einen übermäßigen Schutz des geistigen Eigentums vor allem jenseits 409 410
Allgemein s.o. Rn. 757 f., 847. Das Verbot von Gebietsaufteilungen greift erst ab sieben Jahren nach dem ersten Inverkehrbringen der Vertragsprodukte.
§ 5 Unerlässlichkeit
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des vorgesehenen Forschungsrahmens (Art. 5 lit. h) VO (EG) Nr. 2659/2000) sowie im Hinblick auf Nutzer und Wiederverkäufer (lit. j)), außer die Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf Produktion und Vertrieb. Im Übrigen werden in Art. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000 bestimmte Bedingungen an Vereinbarungen formuliert, so die eigenständige Verwertung von Ergebnissen reiner Forschungs- und Entwicklungskooperationen (Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000) und die gemeinsame Verwertung lediglich urheberrechtlich geschützter bzw. wesentliches Knowhow darstellender Ergebnisse von entscheidender Bedeutung für Herstellung oder Verfahren (Art. 3 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2659/2000). Demgegenüber nennt die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungs- 941 vereinbarungen erlaubte Klauseln in Form von Alleinbezugs- bzw. -belieferungsabsprachen und Abreden über einen gemeinsamen Absatz (Art. 3 VO (EG) Nr. 2658/2000). Diese gehören naturgemäß zur spezialisierenden Zusammenarbeit, die darauf angewiesen ist, verlässliche Ausgangsprodukte zu haben bzw. später nach gemeinsamer Produktion die hergestellten Erzeugnisse auch unter gemeinsamer Kontrolle zu vertreiben. Sie können daher bei entsprechenden Vereinbarungen auch einzeln freigestellt werden, sofern sie nicht von Unternehmen mit einem hohen Marktanteil benutzt werden, welcher derartige Schutzvorkehrungen entbehrlich macht.411 In solchen Fällen ergibt sich zudem das Problem potenzieller Wettbewerbsausschaltung.412 3.
Stufenbezogenheit
Es darf weiter nur die Stufe von der Wettbewerbsbeschränkung erfasst sein, wel- 942 che für das angestrebte Ziel benötigt wird, also lediglich die Forschung und Entwicklung, wenn es um die Erarbeitung bestimmter neuer Erzeugnisse geht, ausschließlich der Vertrieb, sofern die Markteinführung durch einen Anbieter Probleme bereitet. Allerdings können bei F&E-Vereinbarungen ausweislich Art. 4 Abs. 4 und 5 sowie 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000 auch die Produktion und der Vertrieb einbezogen werden, bilden doch schließlich die gemeinsame Forschungsund Entwicklungsarbeit die Grundlage dafür. Daher bestehen insoweit keine zusätzlichen Bedingungen, sofern diese Stufen wegen der gemeinsamen Anstrengungen für die Einführung eines Erzeugnisses als einheitlicher Vorgang erscheinen. Die Unerlässlichkeit der Einbeziehung auch von Produktion und Vertrieb be- 943 gegnet freilich dann Bedenken, wenn die gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeit lediglich einen kleinen Teil der gesamten Phase von der Erarbeitung der Produktidee bis zur Erreichung der Produktionsreife betrifft und die beteiligten Unternehmen jeweils auch allein produzieren und vermarkten können. Insoweit ist die VO (EG) Nr. 2659/2000 einschränkend auszulegen und nicht etwa der nicht davon erfasste Bereich erweiternd zu interpretieren. Jedenfalls darf aber von der gemeinsamen Produktion und Absetzung lediglich die Fortführung der gemeinsamen Basiskooperation umfasst sein, nicht hingegen unwesentliches Beiwerk (s. 411 412
Vgl. o. Rn. 830. S.u. Rn. 962 ff..
346
Kapitel 4 Freistellungen
Art. 4 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2659/2000) oder außerhalb stehende Eigenentwicklungen. Mit einer spezialisierenden Zusammenarbeit in der Produktion können auch 944 Verpflichtungen zur ausschließlichen gegenseitigen Belieferung notwendig verbunden sein,413 weil nur so die gegenseitigen Kooperationen und partiellen Herstellungsverzichte in den vom jeweiligen Partner bearbeiteten Feldern hinreichend durch eine Absatz- und Gewinngarantie für die in eigener Regie herstellten Erzeugnisse aufgewogen werden.414 Die Kooperation in Produktion und Vertrieb erscheint daher als Einheit und ist deshalb ausnahmsweise als eine zusammen gehörige Stufe zu betrachten. Auch innerhalb der jeweiligen Stufe ist die Unerlässlichkeit zu wahren. So dürfen nicht mehr Produktionsverfahren einbezogen werden als etwa für die geplante Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Zusammenarbeit erforderlich, also nicht noch andere Produkte.415 III.
Zeitlich
945 In zeitlicher Hinsicht ist ebenfalls die Unerlässlichkeit zu wahren. Sie besteht so lange, bis die mit der Koordinierung angestrebten, eine Ausnahmeregelung grundsätzlich rechtfertigenden Effizienzvorteile erzielt sein können.416 Deshalb darf sich eine Wettbewerbsbeschränkung nur auf die Anfangsphase der Entwicklung erstrecken, wenn es um den Austausch von grundlegendem Know-how geht, um zwei Unternehmen das nötige Basiswissen zur weiteren Erarbeitung eines Erzeugnisses zu geben, sofern die Entwicklung im Detail von beiden allein bewältigt werden kann. Oder die Zubilligung eines Exklusivrechts ist nur so lange notwendig, bis der Markteintritt geschafft ist und sich der begünstigte Anbieter auch ohne ein solches Recht behaupten sowie weiter entwickeln kann.417 In solchen Fällen genügt eine Wettbewerbsbeschränkung für die Startphase; danach entfällt die Unerlässlichkeit.418 Die Freistellung ist daher zeitlich zu befristen.419 Dabei ist allerdings ein Zeitraum zugrunde zu legen, in dem sich die Investitionen amortisiert haben, die für die Erreichung von Effizienzvorteilen notwendig sind.420
413 414 415
416 417
418 419 420
S. Art. 3 lit. a) VO (EG) Nr. 2658/2000 (Spezialisierungsvereinbarungen) sieht sogar eine generelle Freistellung vor. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 65. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 104). S. EuG, Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 (3231, Rn. 230) – European Night Services. KOME 1999/242/EG, ABl. 1999 L 90, S. 6 (Rn. 132 ff.) – TPS: Verbindung von PayTV mit einer Exklusivlizenz für Vollprogramme, damit das Bezahlfernsehen etabliert werden konnte. S. KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 (27) – Rockwell/Iveco. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 81 Rn. 48. Für den Fall erheblicher Investitionen Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 81).
§ 5 Unerlässlichkeit
347
Gerade im Hinblick auf die benötigte Zeit liegen allerdings die tatsächlichen 946 Verhältnisse oft erst hinterher offen zutage. Der Markteinstieg mag sich zunächst als sehr schwierig darstellen und entpuppt sich dann als sehr leicht. Hierzu bedarf es zunächst einer Prognoseentscheidung.421 Erweist sich diese als falsch, ist sie jedoch zu korrigieren und bei Überschreiten der zeitlich unerlässlichen Phase die Zusammenarbeit zu beenden. IV.
Räumlich
Dass Art. 81 EG die Unvereinbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen auf den 947 Gemeinsamen Markt bezieht, bedeutet keinen Freibrief freigestellter Koordinierungen für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum. Vielmehr handelt es sich insoweit lediglich um die Bezugsgröße des Kartellverbots, das maßgeblich der Verwirklichung des Binnenmarktes dient.422 Dieser ist aber schon dann beeinträchtigt, wenn der Wirtschaftsverkehr in räumlichen Teileinheiten behindert wird. So hebt Art. 82 EG für Verbotshandlungen auch auf Teile des Gemeinsamen Marktes ab.423 Daher sind zulässige Wettbewerbsbeschränkungen auf das Gebiet des europäischen Wirtschaftsraumes zu limitieren, für das sie unabdingbar sind. Genügt also die Zusammenarbeit in einem Mitgliedstaat, um zunächst einmal auf einem Teilmarkt mit einem neuen Produkt Fuß fassen zu können, und besteht die Möglichkeit des eigenständigen Ausgreifens der Projektpartner in andere Mitgliedstaaten, ist eine Koordinierung des Vertriebs in diesen nicht erforderlich. V.
Keine partielle Reduktion
Das Wort „unerlässlich“ ist strikt. Die Anforderungen daran dürfen daher nicht 948 aus Effektivitätsgründen dadurch zur kleinen Münze gemacht werden, dass man auch für die Erreichung der angestrebten Ziele „nützliche Wettbewerbsbeschränkungen“ hinnimmt.424 Abzulehnen ist auch eine partielle Reduktion des Erfordernisses der Unerlässlichkeit durch das umweltrechtliche Verursacherprinzip425 und damit eine bereichsspezifische Anwendung. Die Verwirklichung dieses Prinzips bietet zwar die Chance einer umweltbezogeneren Gestaltung des Wettbewerbs durch Einbeziehung auch der Kosten für die Umwelt in die betriebliche Einzelrechnung.426 Indes ist das Verursacherprinzip eine Anforderung an die Umweltpo-
421 422 423 424 425 426
S.u. Rn. 958 ff. S.o. Rn. 1 ff. S.u. Rn. 1192 ff. So Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 158. Dafür Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 158. S. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 58 f.; vgl. auch Bock, EuZW 1994, 47 (51).
348
Kapitel 4 Freistellungen
litik der Gemeinschaft, nicht an Maßnahmen der Unternehmen.427 Es kann höchstens als Indiz dafür gewertet werden, dass möglichst die Verursacher von Umweltbeeinträchtigungen und -gefährdungen diese selbst zu beseitigen bzw. zu vermeiden suchen sollen. Dem widerspräche es, wenn die Wettbewerbspolitik dies durch die Hintertür unmöglich machte. Jedoch kann das Verursacherprinzip auch durch staatliche Maßnahmen verwirklicht werden, die den Verursacher belasten – selbst wenn man es als bloßes Kostenzurechnungsprinzip begreift.428 Eine Präferenz für ein Agieren Privater lässt sich eher aus dem Grundsatz der 949 Nachhaltigkeit ableiten.429 Aber auch dieser Grundsatz gilt nicht absolut und bedarf, wenn er von Unternehmen verfolgt wird, einer Aussöhnung mit der Wettbewerbsfreiheit, die in Art. 81 Abs. 3 EG auch über das Merkmal der Unerlässlichkeit konkretisiert wird. Dieses kann daher auch nicht im Umweltbereich oder in sonstigen speziellen Feldern aufgegeben werden, es sei denn, es existieren wettbewerbsbezogene Spezialregelungen im EG. Im Übrigen aber nimmt Art. 81 EG gerade keine bereichsweisen Einschränkungen vor, sondern gilt umfassend. Seine Anforderungen können deshalb auch nicht sektorenspezifisch nivelliert werden.
B.
Frühere Zielerreichung
950 Von einzelnen wettbewerbsbeeinträchtigenden Phänomenen abgesehen, kann sich das grundsätzliche Problem ergeben, dass ein im Rahmen von wettbewerbsbeschränkenden Koordinierungen angestrebtes Ziel auch ohne eine Zusammenarbeit von Unternehmen erreicht werden kann, aber nicht so wirksam, weil ein längerer Zeitraum notwendig ist. Formal betrachtet liegt dann keine Unerlässlichkeit im Sinne unbedingter Erforderlichkeit vor.430 Indes gehört auch der Zeitpunkt zum Bestandteil eines Zieles. So kann auch eine temporäre Vorverlegung eines Erfolges eine Verbesserung der Warenerzeugung bzw. -verteilung oder eine Förderung des technischen bzw. wirtschaftlichen Fortschritts ebenso wie einen Gewinn für den Verbraucher bilden.431 Für einen solchen (Teil-)Erfolg ist dann unter Umständen eine Koordinierung unabdingbar. Das gilt zumal im Umweltschutz, in dem gem. Art. 2 EG ein hohes Maß ange951 strebt wird. Viele Entwicklungen wie die Vergrößerung des Ozonlochs können nur durch rasches Reagieren gebannt werden. Hier kann auch ein geringer Zeitgewinn bedeutsam sein. Daher ist es bedenklich, schon im Ansatz eine Unerlässlich427
428
429 430 431
S.o. Rn. 893 ff. Ebenso im vorliegenden Zusammenhang v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 177. Dafür Krämer, EuGRZ 1989, 353 ff.; de Sadeleer, Le Droit Communautaire et les Déchets, 1995, S. 529 ff.; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997, S. 103; a.A. Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 130r Rn. 48 ff.; Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 162. Wenn auch lediglich in Grenzen, Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 122 f. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1868. S.o. Rn. 917 f.
§ 5 Unerlässlichkeit
349
keit zu verneinen, wenn die Unternehmen die vereinbarten Maßnahmen auch einzeln ohne große zeitliche Verzögerung ergriffen hätten.432 Dass Art. 81 EG die Bewegungsfreiheit der Unternehmer sichern will, spricht 952 dafür, diesen selbst die Setzung und Beurteilung eigener Zeitvorgaben zu ermöglichen. Weil Art. 81 Abs. 3 EG eine Abwägung der Wettbewerbsfreiheit mit konkurrierenden Belangen fordert,433 muss der Zeitgewinn durch Kartellbildung in Relation zu den dadurch (voraussichtlich) erreichten Vorteilen ins Verhältnis zu den hervorgerufenen Wettbewerbsbeeinträchtigungen gesetzt werden. Er muss entsprechend der Gesamtkonzeption des Kartellverbots deutlich sein. So reicht es jedenfalls aus, wenn der angestrebte Erfolg etwa durch die Grün- 953 dung von Gemeinschaftsunternehmen wesentlich früher erreicht werden kann als durch weniger wettbewerbsbeschränkende Alternativen.434 Wie stark der eingesparte Zeitraum sein muss, hängt aber immer von den Umständen des Einzelfalls und dabei von der Bedeutung der angestrebten Ziele sowie deren Verknüpfung mit einem temporären Moment ab.
C.
Inkaufnahme eines höheren Kostenaufwandes
Weiter stellt sich die Frage, inwieweit Absprachen zur Vermeidung von Preiser- 954 höhungen unerlässlich sein können. Ein höherer Kostenaufwand kann die Erreichung eines Ziels insofern gefährden, als der Verbraucher ein neues Produkt bei einem höheren Preis weniger akzeptiert. Wird dadurch die Wettbewerbsfähigkeit eines solchen Angebots grundsätzlich ausgeschlossen, liegt nach hiesiger Konzeption in dem Bilden von Zusammenschlüssen ein wettbewerbseröffnendes Verhalten, das bereits nicht den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt.435 Auch bei einer bloßen Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit wird aber die Erreichung der Ziele einer Koordinierung in Frage gestellt. Setzt sich das neue Angebot nicht durch, bleiben die mit ihm verbundenen Vorteile ungenutzt. Eine Zusammenarbeit von Unternehmen zur Vermeidung von Preiserhöhungen kann daher unerlässlich sein.
432
433 434 435
So aber v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 175 unter Bezugnahme auf die KOME 69/242/EWG , ABl. 1969 L 195, S. 5 (Rn. 6) – Jaz/Peter; 71/222/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 6 (Rn. 13) – F.N./C.F.; 77/781/EWG, ABl. 1977 L 327, S. 26 (34) – Natriumumwälzpumpen. S.o. Rn. 858 ff. S. KOME 94/579/EG, ABl. 1994 L 223, S. 36 (Rn. 58) – BT/MCI. S.o. Rn. 73.
350
Kapitel 4 Freistellungen
D.
Ausgrenzung von Konkurrenten aus anderen Mitgliedstaaten
955 Koordinierungen einer Branche wurden bislang oft auf nationaler Ebene abgeschlossen. Damit werden ausländische Konkurrenten vielfach ausgegrenzt. Die Kommission hat dementsprechend betont, sie werde „mit besonderer Wachsamkeit darauf achten, dass mit ... Vereinbarungen“ zwischen Unternehmen „nicht Außenstehenden der Markt versperrt wird und dass dort, wo Systemmitgliedschaft aufgrund des Fehlens einer tragfähigen Alternative für den Marktzugang notwendig ist, diese Mitgliedschaft unter Bedingungen der Gleichbehandlung gewährt wird“.436 Es kann allerdings sein, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten auf956 grund ihres Entwicklungsstandes den von Firmen aus einem Land angestrebten Standards von vornherein nicht zu entsprechen vermögen. Oder aber die anderen beteiligten Firmen müssten z.B. zur Erreichung eines bestimmten Prozentsatzes umweltfreundlicher Erzeugnisse nicht finanzierbare Überanstrengungen unternehmen, so dass die Realisierung der mit einer Koordinierung gesetzten Ziele scheitern würde. Die Notwendigkeit ihrer Beteiligung senkte dann das Niveau ab. Für den Umweltbereich widerspräche dies der Wertung der Art. 95 Abs. 4 und 5 sowie Art. 176 EG, die nationale Alleingänge zur Erreichung eines höheren Schutzniveaus grundsätzlich ermöglichen. Zwar erfassen diese Vorschriften mitgliedstaatliche Maßnahmen. Indes legt der EG namentlich über das in Art. 5 Abs. 3 EG enthaltene Element der materiellen Bürgernähe Wert auf die Belassung privater Freiräume.437 Diese Vorschrift bezieht sich auf Maßnahmen der Gemeinschaft, die hier deshalb in Frage stehen, weil die Kommission oder auch die nationalen Wettbewerbsbehörden in Ausführung von Gemeinschaftsrecht wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen von Unternehmen sanktionieren. Vor diesem Hintergrund können nationale Alleingänge auf Unternehmensebene 957 nicht schlechter behandelt werden als solche durch den Staat. Somit ist der Ausschluss ausländischer Konkurrenz jedenfalls im Umweltbereich dann unerlässlich, wenn sich keine praktikablen Wege finden lassen, zur Erreichung der gesetzten Ziele auch die Firmen aus anderen Mitgliedstaaten zu beteiligen. Solche Kooperationen sind regelmäßig allerdings nicht notwendig mit Preisabsprachen gekoppelt.438
436 437 438
Kommission, XXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1993, KOM (1994) 161 endg., Tz. 170. S.u. Rn. 998 ff.; ausführlich dazu Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 105 ff. S. Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 181 ff. zum Fall VOTOB. Näher Dieckmann, in: BDI, Kartellrecht und Umweltschutz, 1995, S. 55 (59).
§ 5 Unerlässlichkeit
E.
351
Das Problem der Prognoseunsicherheiten
Bereits die Abwägung der Vor- und Nachteile einer Wettbewerbsbeschränkung 958 begegnet Prognoseunsicherheiten, weil es um in die Zukunft gerichtete Einschätzungen geht. Dann gilt das erst recht für die Frage der Unerlässlichkeit, da dabei noch konkreter der Erfolg abgeschätzt und in Relation zu den eintretenden Nachteilen gesetzt werden muss. So ist vielfach höchst unsicher, inwieweit gemeinsam erhöhte Preise unabdingbar sind, um etwa eine neue Technologie (schneller) kooperativ zu entwickeln. Besonders schwierig sind Prognosen im Umweltsektor. Es wird insoweit vorgeschlagen, bei ökologischen Gründen im Zweifelsfall die Unerlässlichkeit so lange zu bejahen, wie nicht erwiesen ist, dass es einen anderen Weg gibt. Begründet wird dies damit, im Zweifel sei dem Umweltschutz der Vorrang zu geben.439 Ein solcher Vorrang ist indes als Grundsatz abzulehnen440 und kann daher auch nicht in die Prüfungsstufe der Unerlässlichkeit im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG hineinwirken. Ein allgemeiner Ansatz nimmt das unternehmerische Verhalten selbst zum Aus- 959 gangspunkt. Da auch Wettbewerbsbeschränkungen Ausfluss autonomer Entscheidung sind,441 ist den Beteiligten auch insoweit ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen, so wie den Mitgliedstaaten bei der Einschränkung von Grundfreiheiten hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit.442 Sie müssen daher nur plausibel darlegen, dass ihre wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen zumindest im Hinblick auf die tatsächliche Zielerreichung unerlässlich sind.443 Dieser Ansatz kann auch weiter helfen, wenn die Unternehmen darlegen, nur bei einem lediglich durch eine Kooperation zu erzielenden geringeren Kostenaufwand könnte ein Ziel erreicht werden. Im Umweltbereich legt dies das nach Art. 2 EG angestrebte hohe Maß besonders nahe. Die Unerlässlichkeit ist somit einzubetten in die gesamte Unternehmensstrategie und aus der Sicht der Beteiligten zu untersuchen. Jedoch können nicht rein subjektive Einschätzungen der Unternehmen genü- 960 gen, sondern diese müssen wie die Darlegung der angestrebten Vorteile überhaupt objektiv untermauert sein. Prognoseunsicherheiten können auch insoweit keine pauschale Beurteilung rechtfertigen, die eine Freistellung schon dann begründet, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung wie der Betrieb eines Gemeinschaftsunternehmens „mehr oder weniger“ notwendig zu sein „scheint“.444 Vielmehr sind Tat-
439 440 441 442
443 444
Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 159. S.o. Rn. 861 ff. S.o. Rn. 116. S. EuGH, Rs. C-309/02, EuZW 2005, 81 (84, Rn. 75) – Radlberger zum deutschen Dosenpfand, wo keine nähere Nachprüfung einer im Vergleich zu anderen Mitteln gegebenen ökologischen Überlegenheit erfolgt (s. Frenz, GewArch. 2005, 184 (186)); Hailbronner, Der nationale Alleingang im Binnenmarkt, 1989, S. 22. So generell Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 76); näher o. Rn. 869 ff. S. KOME 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 (Rn. 27) – Fiat/Hitachi; krit. auch Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 82 Rn. 48: „bedenklich“.
352
Kapitel 4 Freistellungen
sachen vorzubringen, welche die von den Unternehmen erwartete Entwicklung belegen, so dass ein realistisches Bild und kein bloßer Anschein entsteht. Aus einem solchen Vorbringen von Unternehmen kann sich auch ergeben, dass 961 durch eine Wettbewerbsbeschränkung ein Ziel wahrscheinlicher erreicht werden kann als ohne. Gerade bei der Entwicklung neuer Produkte ist ungewiss, inwieweit diese auf einem Markt Fuß fassen und sich behaupten können, so dass der Gesamterfolg in Frage steht, also mit einer Prognoseunsicherheit behaftet ist. Insoweit kann eine Kooperation helfen, übermäßige Anlaufkosten infolge zu erwartender Verluste in der Startphase, welche ein Unternehmen allein nicht zu tragen vermag, zu überwinden. In einem solchen Fall ist eine Zusammenarbeit selbst dann unerlässlich, wenn jedes Unternehmen für sich das betroffene Erzeugnis technisch und finanziell selbst entwickeln und auf den Markt bringen könnte.445 Es ist jedoch schwer vorauszusehen, wie lange die Verlustphase dauern wird und ob sich bei einer zu großen Dauer die beteiligten Unternehmen wieder vom Markt zurückziehen werden. Die Möglichkeit der Kooperation lässt diese Unternehmen indes erst die Chance wahrnehmen, ein neues Erzeugnis auf den Markt zu bringen und ist dafür unerlässlich. Schließlich besteht der Wettbewerb zu einem großen Teil erst dadurch, dass Produkte auf den Markt kamen, ohne dass der Erfolg schon feststand. Allein das Auftreten neuer Anbieter zwingt die vorhandenen zu einer Überprüfung ihrer Position und ggf. zu einer Anpassung, es sei denn, sie haben eine beherrschende Stellung und missbrauchen diese, um neue Wettbewerber von vornherein fernzuhalten.446
§ 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil A.
Keine Fähigkeit zur Verdrängung der Konkurrenz
962 Eine Freistellung setzt schließlich gem. Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG voraus, dass den beteiligten Unternehmen nicht Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Es muss also auch nach der Koordinierung noch ein Restwettbewerb verbleiben können. Der Wettbewerbsprozess als eigentliches Schutzziel des Kartellverbots ist gerade auf lange Sicht zu gewährleisten.447 Dessen Vorhandensein allein genügt also noch nicht. Er muss auch weiterhin erhalten bleiben können. Damit ist die Prognose zu stellen, ob auch in Zukunft trotz der Koordinierung nach Art. 81 Abs. 1 EG ein Rest an Wettbewerb fortbestehen kann. 445
446 447
KOME 94/322/EG, ABl. 1994 L 144, S. 20 (Rn. 74 f.) – Exxon/Shell; 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 42) – Fujitsu AMD Semiconductor für Gemeinschaftsunternehmen. Dazu u. Rn. 963. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 105).
§ 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil
353
Maßgeblich für diese Prognose ist, welche Position die koordinierenden Unter- 963 nehmen durch bzw. nach Abschluss ihrer Zusammenarbeit haben. Sie dürfen dadurch nicht die Fähigkeit bekommen haben, ihre Mitbewerber gänzlich zu verdrängen und neue Anbieter fernzuhalten. Diese Prüfung ist mit der Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG insofern vergleichbar, als auch mit dieser die Fähigkeit zu unabhängigem Verhalten gegenüber den Wettbewerbern und Verbrauchern verbunden ist.448 Diese Fähigkeit bildet auch die Grundlage dafür, den Wettbewerb in einem bestimmten Bereich auszuschalten. Dabei ist ebenfalls der potenzielle Wettbewerb in Betracht zu ziehen.449 Kann er ferngehalten werden, ist die Ausschaltung des Wettbewerbs eher zu erwarten.
B.
Bezug zur Innehabung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG
In einem solchen Fall ist freilich der Wettbewerb jedenfalls im Wesentlichen ver- 964 schwunden. Die Ausschaltung des Wettbewerbs muss zwar nicht völlig erfolgen450 und liegt insoweit wieder parallel mit Art. 82 EG, ist aber schon aufgrund der Formulierung „Ausschaltung“ gravierender als die Innehabung einer marktbeherrschenden Stellung. Deshalb ist „das Verbot der Ausschaltung des Wettbewerbs ein engerer Begriff als die Existenz oder Erlangung einer beherrschenden Stellung“.451 Bei Bestehen einer solchen Stellung ist noch Restwettbewerb vorhanden und dieser soll durch den Schutzmechanismus des Art. 82 EG erhalten bleiben. Dieses Ziel verfolgt jedoch auch Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG, indem der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren nicht ausgeschaltet werden darf, mithin erhalten bleiben muss. Damit liegen Ziel und die Grundlage dafür parallel. Die Beispielstatbestände nach Art. 81 Abs. 1 lit. a), b) und d), e) EG sowie gem. Art. 82 lit. a)-d) EG sind denn auch weitest gehend gleich.452 Zudem sind Art. 81 und 82 EG Teil eines wettbewerbsrechtlichen Gesamtsys- 965 tems, das sich gegenseitig ergänzen muss.453 Daher bedarf es einer Bewertung, die nicht in sich widersprüchlich ist und möglichst keine Lücken lässt. Auch dies legt parallele Maßstäbe in möglichst weitem Umfang nahe. Zwar kann ein Unternehmen mit beherrschender Stellung mit seinem Verhalten 966 auch im Hinblick auf Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG freistellungsfähig sein.454 Jedoch zeigt umgekehrt Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG, dass auch koordinierendes Verhalten nicht zu einer übermäßigen, den Wettbewerb schädigenden Zusammenballung führen darf. Daher ist die Rechtfertigungsfähigkeit insoweit begrenzt, im Rahmen des 448 449 450 451 452 453 454
S.u. Rn. 1160 ff. EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 (974 f., Rn. 330 a.E.) – Atlantic Container Line. S.u. Rn. 975 f. EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 (974 f., Rn. 330) – Atlantic Container Line; bereits EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (247, Rn. 29) – Continental Can. Näher u. Rn. 1148. Grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 (974 f., Rn. 330) – Atlantic Container Line.
354
Kapitel 4 Freistellungen
Missbrauchsverbots fehlt sie ganz. Daraus ist erklärbar, dass die beherrschende Stellung nicht so eng gefasst wird wie die Ausschaltung des Wettbewerbs. Dadurch ändert sich aber nicht das parallele Anliegen, wirksamen Restwettbewerb zu erhalten, sei er tatsächlich oder potenziell.455 Damit liegt es zumindest nahe, bei Erlangung oder Innehabung einer beherr967 schenden Stellung durch Koordinierung eine Freistellung zu verneinen, weil dann die Gefahr eines Umschlagens in eine Verdrängung von Wettbewerb besteht.456 Die Kommission lehnt daher zu Recht in solchen Konstellationen im Bereich der horizontalen Vereinbarungen eine Freistellung im Regelfall ab.457 Auch bei vertikalen Vereinbarungen sind marktbeherrschende Stellungen problematisch. Bei ihnen ist der sensible Wert höchstens höher anzusetzen.458 Jedenfalls kann dann nicht freigestellt werden, wenn der wahrscheinliche Ein968 tritt der Gefahr, dass der Wettbewerb verdrängt wird, während der Geltungsdauer der Freistellung nachgewiesen wird. Umgekehrt kann die Freistellung nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil die Entstehung einer beherrschenden Stellung eine bloß behauptete Gefahr bildet, ohne dass deren Realisierung belegt werden kann.459 Eine marktbeherrschende Stelle nach Art. 82 EG wird insbesondere nach den 969 bestehenden Marktanteilen des Marktführers und seinem Abstand zu den (wichtigsten) Mitwettbewerbern ermittelt, aber auch nach der Unternehmensstruktur sowie als bestätigende Ergänzung nach dem Marktverhalten und -ergebnis des Marktführers.460 Treffen diese Merkmale zu, ist ein Unternehmen in der Lage, sich über seine Mitbewerber hinwegzusetzen und den noch bestehenden Restwettbewerb anzutasten. Genau dies soll nicht erfolgen. Dieser Ansatz kann daher auch im Rahmen des das gleiche Ziel verfolgenden Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG gewählt werden. Nur ist er auf die Stellung der kooperierenden Unternehmen zu beziehen.
C.
Untersuchungsansatz
970 Relevanter Markt ist dementsprechend derjenige, auf welchem die beteiligten Unternehmen entgegen Art. 81 Abs. 1 EG kooperieren.461 Bei vertikalen Vereinbarungen, welche unterschiedliche Vertriebssysteme erfassen, zählt jeweils die von 455 456
457
458 459 460 461
S. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. Ähnlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 13 Rn. 70. Insoweit ausdrücklich offen lassend EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (648, Rn. 154) – Matra Hachette. Für den Fall des Missbrauchs Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 106). Vgl. auch EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (359, Rn. 28) – Tetra Pak I; Rs. T-191 u.a./98, Slg. 2003, II-3275 (3757, Rn. 1456) – Atlantic Container Line AB u.a. Z.B. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 36, 71, 105, 155). S. sogleich Rn. 974. EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (648, Rn. 153) – Matra Hachette. Ausführlich u. Rn. 1198 ff. S. daher o. Rn. 553 ff.
§ 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil
355
der Absprache betroffene Stufe; wird für die Erzeugnisse eines Herstellers ein Vertriebssystem etabliert, muss auf jeder Handelsstufe ein Wettbewerb mit den Erzeugnissen dieses Herstellers verbleiben.462 Den am Kartell beteiligten Unternehmen muss auf dem parallel zur Grundvor- 971 schrift des Art. 81 Abs. 1 EG zu bestimmenden Markt nach den vorgenannten, auf sie zusammen bezogenen Kriterien die Fähigkeit zu unabhängigem Verhalten gegenüber der Konkurrenz und zur immer weiteren Ausdehnung ihrer beherrschenden Stellung auf dem Markt zukommen, bis der Wettbewerb ausgeschaltet ist. Da es sich dabei um einen Verdrängungsprozess handelt, kommt dem künftigen Verhalten, das zu einer Beseitigung von Wettbewerb führen kann, besondere Bedeutung zu. Indiz dafür ist das bisherige oder aktuelle Verhalten, so wenn bereits bisher mit den letzten potenten Wettbewerbern Vereinbarungen zu deren Neutralisierung geschlossen wurden oder die Preise ohne Einbüßung von Marktanteilen erhöht werden konnten, was auf eine unanfechtbare, weiter ausbaubare Stellung schließen lässt.463 Weiter befestigend wirkt, wenn der Markteintritt neuer Wettbewerber verhin- 972 dert werden kann.464 Die Ausschaltung des Wettbewerbs kann allerdings auch dadurch vermieden werden, dass zwischen ihnen selbst noch Wettbewerb besteht. Daher ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die Kartellmitglieder sich gegenseitig Konkurrenz machen.465 Eine solche entfällt allerdings auf dem Gebiet der jeweiligen Kooperation bei Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen.
D.
Gleitender Maßstab
Wie bei Art. 82 EG kann den Ausgangspunkt daher die Bestimmung der Anteile 973 auf dem von der Kooperation erfassten Markt bilden.466 Nach einer Faustregel entsprechend der Kommissionspraxis soll bei einem Marktanteil der beteiligten Unternehmen von über 80 % eine Freistellung in aller Regel ausscheiden,467 bereits bei über 50 % erscheint sie fraglich.468 Das stimmt insoweit mit der Entschei462 463 464
465 466 467
468
S. KOME 82/367/EWG, ABl. 1982 L 161, S. 18 (Rn. 74) – Hasselblad. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 111 f., 116). S.o. Rn. 963; dazu in diesem Zusammenhang ausführlich Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 114 f.). EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 (974 f., Rn. 330) – Atlantic Container Line; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 330. S. EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 (974, Rn. 328) – Atlantic Container Line. Z.B. KOME 75/358/EWG, ABl. 1975 L 159, S. 22 (28) – Haarden- en Kachelhandel; 83/361/EWG, ABl. 1983 L 200, S. 44 (Rn. 50) – VIMPOLTU: 90 %; s. aber auch KOME 1999/329/EG, ABl. 1999 L 125, S. 12 (Rn. 113) – P&I Clubs: 89 % hier unschädlich; 2001/837/EG, ABl. 2001 L 319, S. 1 (Rn. 32) – DSD: 75 %. Die frühere Kommissionspraxis deckt sich mit der Linie des EuGH, Rs. 61/80, Slg. 1981, 851 (868, Rn. 18) – Coöperatieve Stremsel- en Kleurselfabriek (90 %); Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3279 f., Rn. 188) – van Landewyck. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 331.
356
Kapitel 4 Freistellungen
dungspraxis zu Art. 82 EG überein, als auch dort bei Marktanteilen ab 75 % bzw. 70 % eine beherrschende Stellung angenommen wird.469 Ab 45 % wird aber der Abstand zu den nächstgrößeren Unternehmen hinzugenommen; unter diesem Anteil gewinnt auch das weitere Umfeld der Marktstruktur ein immer stärkeres Gewicht.470 Insoweit ist ein gleitender Maßstab anzuwenden, wie stark der Marktanteil der kooperierenden Unternehmen ausschlaggebend sein kann. Die Kommission will die Begleitumstände a priori einbeziehen, legt aber in ihren Beispielen – zu Recht – hohe Marktanteile zugrunde, die sie allerdings nicht als Schwellen verstanden wissen will.471 Bei deren Überschreiten ist indes die Gefahr der Verdrängung der Wettbewerber regelmäßig besonders groß. Entsprechend den Marktanteilsschwellen in den verschiedenen Gruppenfreistel974 lungsverordnungen erscheint erst ein Wert von unter 20 % bzw. jedenfalls unter 25 % als grundsätzlich unbedenklich, nicht hingegen schon ein solcher von bis zu 30 %, der nach Einzelentscheidungen der Kommission472 einer Freistellung regelmäßig nicht entgegensteht.473 Dieser Wert kann allenfalls bei vertikalen Absprachen greifen, weil insoweit die GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 2790/1999474 in Art. 3 eine Marktanteilsschwelle von 30 % des Lieferanten bzw. bei Alleinbelieferungspflichten des Käufers vorsieht. Die Kommission hält auch in diesem Bereich Freistellungen bei darüber liegenden Marktanteilsschwellen für möglich.475 Dann sind freilich auch die genannten anderen Umstände mit verstärktem Gewicht zu prüfen. Die Kommission legt den Schwerpunkt folglich auch auf eine Analyse des Marktes sowie des Wettbewerbsumfeldes, genauer der Marktanteile der Konkurrenten.476 Ein Ausschalten des Wettbewerbs setzt vom Wortsinn her voraus, dass über975 haupt kein Wettbewerb mehr existiert. Das ist aber selbst dann nicht notwendig der Fall, wenn alle Unternehmen einer bestimmten Branche zusammenarbeiten.477 469
470
471 472
473 474 475 476 477
EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 381/382; 2013 f., Rn. 452/455 ff.) – Suiker Unie; EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 92) – Hilti; näher u. Rn. 1205 ff. auch zum Folgenden. S. aus jüngerer Zeit auch KOME 96/546/EG, ABl. 1996 L 239, S. 23 (Rn. 59 ff.) – ATLAS; 96/547/EG, ABl. 1996 L 239, S. 57 (Rn. 65 ff.) – PHOENIX/GlobalOne; 97/780/EG, ABl. 1997 L 318, S. 1 (Rn. 94 ff.) – Unisource; bereits z.B. 71/222/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 6 (Rn. 14) – F.N./C.F. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 109, 116). Z.B. KOME 75/73/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 1 (Rn. 31) – BMW; 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 (20) – Bayer/Gist-Brocades; 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 (Rn. 41) – ENI/Montedison; 88/87/EWG, ABl. 1988 L 50, S. 18 (Rn. 48) – Enichem/ ICI; 94/322/EG, ABl. 1994 L 144, S. 20 (Rn. 81) – Exxon/Shell; 96/546/EG, ABl. 1996 L 239, S. 23 (Rn. 59 ff.) – ATLAS. Diesen Gegensatz aufzeigend auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 331. ABl. 1999 L 336, S. 21. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 179). Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1 (Rn. 160, 175, 197, 213 sowie allgemein Rn. 137 ff.). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 332 m.w.N.
§ 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil
357
Dann haben sie zwar einen Marktanteil von 100 %. Das gilt aber nicht notwendig durchgehend und deckt sich damit nicht unbedingt mit dem von der Zusammenarbeit erfassten Bereich, so wenn dieser nur die Entwicklung erfasst, nicht hingegen die Produktion, oder zwar die Herstellung, aber nicht den Vertrieb.478 Zudem können Absprachen bestehen, die den Einsatz bestimmter Wettbewerbsmittel vorsehen, aber den Preiswettbewerb oder jedenfalls den Mengen-, Qualitäts- oder Konditionenwettbewerb erhalten.479 In solchen Fällen gleichwohl keine Ausschaltung des Wettbewerbs anzuneh- 976 men setzt allerdings voraus, dass diese Frage nicht allein quantitativ nach den erfassten Marktprozenten, sondern auch qualitativ nach dem Grad der Zusammenarbeit bestimmt wird. Für den ersten Weg spricht zwar vordergründig der Begriff „ausschalten“, der ein gänzliches Verschwinden impliziert. Gleichwohl enthält der Ausdruck „Teil“ eine bereichsbezogene Komponente. Beide Elemente können dadurch verbunden werden, dass der Wettbewerb umso stärker intakt bleiben muss, desto mehr Marktanteile von der wettbewerbsbeeinträchtigenden Maßnahme und den an ihr beteiligten Unternehmen erfasst werden.
E.
Restwettbewerb bei flächendeckenden Kooperationen
I.
Gesamtbetrachtung verschiedener Wettbewerbsmöglichkeiten
Daher ist die Frage der Ausschaltung wesentlichen Wettbewerbs umso kritischer 977 zu beurteilen, je größer die Marktmacht der Beteiligten ist und je geringer Zahl und Größe der Außenseiter sind.480 Genügt bei der Einbeziehung nur einiger, nicht marktbedeutsamer Unternehmen, die Erhaltung des Wettbewerbs zwischen den anderen Marktteilnehmern, müssen bei einem flächendeckenden wettbewerbsbeeinträchtigenden Zusammenwirken der Marktteilnehmer wesentliche Elemente des Wettbewerbs zwischen ihnen fortbestehen.481 Das kann insbesondere dadurch in Gefahr geraten, dass sich über den Gehalt der eigentlichen Koordinierung hinausgehende Absprachen ergeben.482 Solche sind nach der Gruppenfreistellungsverordnung zu F&E-Vereinbarungen483 ausdrücklich freistellungsschädlich (Art. 3) bzw. von einer Freistellung ausgenommen (Art. 5 Abs. 1 lit. a), b), e), g), h)).484 Im Rahmen von Koordinierungen, die alle Unternehmen einer Branche ergrei- 978 fen, entscheidet daher die Intensität der Kooperation. Werden lediglich Produkte gemeinsam entwickelt, bleibt davon der Wettbewerb im Hinblick auf den Absatz 478 479 480 481 482 483 484
So EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 (649, Rn. 155) – Matra Hachette. S. sogleich übernächste Rn. 978 f. So ohne Einfügung einer qualitativen Komponente Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 152. Ebenso im Ergebnis v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 180 f. Für eine besondere Konstellation Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 308. VO (EG) Nr. 2659/2000, ABl. 2000 L 304, S. 7. Näher o. Rn. 83 ff, 836.
358
Kapitel 4 Freistellungen
der betreffenden Waren unberührt. Er wird dagegen bei einer gänzlichen Gleichschaltung der Preise über eine ganze Branche hinweg ausgeschaltet, außer es bleiben noch gewisse Spielräume wie bei der Festlegung eines gewissen Mindestniveaus485 bzw. andere Wettbewerbsbestandteile wie der Mengen- oder Konditionenwettbewerb erhalten486 oder der Wettbewerb in anderen Bereichen wird gar verstärkt.487 Die Gefahr einer Ausschaltung des Wettbewerbs besteht auch bei umfassenden, 979 da flächendeckenden und etwa auch Vertreiber erfassenden Systemen. Die Kommission488 hat auch Bedenken im Hinblick auf Vereinbarungen, die den Einsatz eines bestimmten Vormaterials in der Produktion zum Gegenstand haben, das für die Anbieter ein bedeutsames Marktsegment bildet. Grundlegend für unterschiedliche Produkte ist zudem eine eigenständige Forschungsarbeit; erfasst sie auch nicht mehr alle Bereiche, muss sie doch bei jedem Unternehmen als solche erhalten bleiben.489 II.
Möglichkeit des Marktzugangs
980 Schließlich muss für Anbieter, die nicht Mitglieder einer flächendeckenden Kooperation sind, die Möglichkeit des Marktzugangs (fort)bestehen. Nur so bleibt der Wettbewerb erhalten und entsteht kein abgeschlossenes System, welches nur noch die Kartellmitglieder umfasst. Ein Beispiel dafür bildet die ausschließliche Vergabe von Fernübertragungsrechten für sportliche Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder Fußballwelt- bzw. Europameisterschaften inklusive Champions League und UEFA-Pokal. Der Ausschluss anderer Unternehmen vom Sportereignis als Ganzem rechtfertigt sich daraus, dass jedes Unternehmen bei der Gesamtvergabe hat mitbieten können und damit zu diesem Zeitpunkt Wettbewerb bestanden hat. Jedoch darf angesichts der Bedeutung sportlicher Großereignisse für die Attrak981 tivität des Programms eine solche einmalige Vergabe nicht dazu führen, dass gemeinschaftsweit alle anderen Anbieter ausgeschlossen sind. Es geht daher darum, wie ein Unternehmensverbund als Gesamtinhaber die Übertragungsrechte handhabt. Aufgrund der dadurch gegebenen Koordinierung müssen die Rechte wettbewerbskonform ausgeübt werden.490 Erfolgt die Vergabe an ein Unternehmenskonsortium, das in allen Mitgliedstaa982 ten der EU sendet, kann dieses die nicht an ihm beteiligten Wettbewerber ausschalten. Das ist anders, wenn die Rechte durch ein Unternehmen erworben wer485 486 487 488 489 490
EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f., Rn. 21) – Metro I. Auch dies war nicht der Fall bei EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3230 f., Rn. 9 f.; 3279 f., Rn. 188 f.) – van Landewyck. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1906, Rn. 21 a.E.) – Metro I. XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, KOM (1993) 162 endg., Tz. 169. KOME 79/298/EWG, ABl. 1979 L 70, S. 11 (Rn. 46 f.) – Beecham; 80/1332/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 1 (8) – Vakuum-Stromschalter II. S. bereits EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3402, Rn. 17) – Coditel II. Vgl. u. Rn. 1284 ff.
§ 6 Keine mögliche Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil
359
den, welches von vornherein den Weiterverkauf beabsichtigt oder nicht in allen EU-Staaten sendet, weil dann andere Unternehmen in die Übertragung einbezogen werden.491 Werden die Rechte an einen Unternehmensverbund vergeben, welcher in allen 983 Mitgliedstaaten sendet, ist die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs nur dadurch zu verhindern, dass andere Unternehmen jedenfalls Teilabschnitte des sportlichen Großereignisses ausstrahlen können. Damit bedarf es Vertragsklauseln, welche diese Möglichkeit tatsächlich und in jedem Fall gewähren. Hierfür genügt nicht, wenn zwar Unterlizenzen für andere Unternehmen vorgesehen sind, dazu aber keine Pflicht besteht, sondern eine solche Untervergabe schon dann ausgeschlossen sein kann, sofern sich ein Mitglied aus dem Unternehmenskonsortium die ausschließliche direkte Übertragung vorbehält, auch wenn diese nicht einmal erfolgt.492 Auf diese Weise kann nämlich eine Art Vorratshaltung betrieben werden, welche Wettbewerbern den Marktzutritt versperrt, ohne dass dies durch die Innehabung bestimmter Rechte vorgezeichnet, geschweige denn notwendig wäre. Ausschließliche Rechte müssen daher so ausgeübt werden, dass in möglichst 984 großem Umfang Mitbewerber daran teilhaben können, soweit dies die Nutzung durch die Inhaber nicht beeinträchtigt. Das erinnert an die besondere Verantwortung, welche Unternehmen auferlegt wird, die eine beherrschende Stellung besitzen.493 Damit gelten dann, wenn Unternehmen durch eine Koordinierung eine beherrschende Stellung in einem Teilbereich erlangen, für deren Ausübung dem Rahmen des Missbrauchsverbots vergleichbare Grundsätze. Für die Verdrängung von Mitbewerbern muss auch dort eine besondere Rechtfertigung vorliegen – etwa durch das Bestehen von Urheberrechten – und sie muss in deren Rahmen erforderlich und auch angemessen sein. Insoweit hat die Rechtsprechung deutliche Grenzen gezogen, zumal wenn es sich um für die eigene Tätigkeit unabdingbare Vorleistungen bzw. Zugangsrechte zu „essential facilities“ handelt.494
491 492
493 494
EuG, Rs. T-185 u.a./00, Slg. 2002, II-3805 (3833 f., Rn. 67) – M6. Näher EuG, Rs. T-185 u.a./00, Slg. 2002, II-3805 (3835 ff., Rn. 71 ff.) – M6: möglicher Ausschluss der Unterlizenzierung für Ereignisse, deren wichtigste Wettbewerbe direkt ausgestrahlt werden (sollen), so dass auch tatsächlich nicht übertragene Ereignisse anderen Wettbewerbern vorbehalten bleiben können. S.u. Rn. 1278 ff. m Rahmen des Missbrauchsverbots. S.u. Rn. 1354 ff.
360
Kapitel 4 Freistellungen
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe? A.
Begrenzte analoge Anwendung der Schranken der Warenverkehrsfreiheit
I.
Entwicklungsstand
1.
Übertragung der im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit entwickelten Rechtfertigungsgründe
985 Die in der Cassis-Rechtsprechung entwickelten Möglichkeiten495 und die in Art. 30 EG enthaltenen Rechtfertigungsgründe für freiheitsbeeinträchtigende Maßnahmen wurden auf andere Freiheiten übertragen. So wandte sie der EuGH im Rahmen der Dienstleistungs-,496 der Niederlassungs-,497 der Kapitalverkehrsfreiheit498 und auch der Arbeitnehmerfreizügigkeit499 an. Somit für sämtliche klassischen Grundfreiheiten anerkannt, stellt sich die Frage einer Übertragung auf das Kartellverbot, das gleichfalls verschiedene Parallelen zu den Grundfreiheiten aufweist, wenn es nicht sogar als Grundfreiheit einzuordnen ist.500 Insbesondere weist das Kartellverbot dieselbe Struktur auf: Es hat einen Schutz986 bereich, der gegen bestimmte Beschränkungen gesichert ist, außer diese sind vom 495
496
497
498 499
500
Der st. Rspr. des EuGH (Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis und etwa Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5982 f., Rn. 30) – GB-Inno-BM) wird entnommen, es handele sich um tatbestandsausschließende Elemente (z.B. Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 Rn. 20; näher Middeke, Nationaler Umweltschutz im Binnenmarkt, 1994, S. 135). Der EuGH nimmt gleichwohl auch eine Beschränkung des freien Warenverkehrs an (etwa auch und bes. deutlich in Rs. 302/86, Slg. 1988, 4607 (4630, Rn. 12 f.) – Dänische Pfandflaschen; Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (549, Rn. 12) – ADBHU). Aufgrund dieses Effektes erscheint es sachgerechter, von Rechtfertigungsgründen auszugehen (näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 396 ff. (schon auf der Basis des Cassis-Urteils); Jarass, in: FS für Everling I, 1995, S. 593 (606 f.)). Auch der EuGH spricht von Rechtfertigung, so in Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 (1884, Rn. 39) – Decker. EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3401, Rn. 12 ff.) – Coditel II für den Schutz des geistigen und künstlerischen Eigentums nach Art. 30 EG mit Brücke auch zum Kartellverbot; EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 (1309, Rn. 10/12) – van Binsbergen; Rs. 110 u. 111/78, Slg. 1979, 35 (52, Rn. 28) – van Wesemael; Rs. 279/80, Slg. 1981, 3305 (3325, Rn. 19) – Webb; Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1141 (1178, Rn. 40) – Alpine Investments entsprechend der Cassis-Formel. Ausführlich v. Wilmowsky, Abfallwirtschaft im Binnenmarkt, 1990, S. 148 ff. Z.B. EuGH, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 (1697, Rn. 32) – Kraus; Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 (4197 f., Rn. 37) – Gebhard. Zusammenhängend Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 111 ff. So die Entscheidungen zu den „Goldenen Aktien“, z.B. EuGH, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 (4775, Rn. 49) – Goldene Aktien I (Kommission/Portugal). EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5071, Rn. 104) – Bosman. Zur Entwicklung und m.w.N. Frenz, Europarecht 1, Rn. 481 ff. und jeweils bei den einzelnen Grundfreiheiten. S.o. Rn. 50.
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?
361
Verbotstatbestand freigestellt, unterliegen also einer Rechtfertigung.501 In diesem Rahmen würden der Schutz des geistigen und künstlerischen Eigentums als Element von Art. 30 EG sowie die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz als Bestandteile der Cassis-Formel ebenso wie der später hinzugekommene Umweltschutz502 gut passen. Allerdings ergeben sich schon aus dem System der Grundfreiheiten heraus 987 Grenzen der Übertragung von Rechtfertigungsgründen. Das Kartellverbot enthält wie die Grundfreiheiten außer der Zollfreiheit, die insoweit parallel zum Missbrauchsverbot liegt, verschiedene explizite Rechtfertigungsgründe. Diese sind speziell auf Art. 81 EG zugeschnitten, wie auch die Grundfreiheiten jeweils zu ihnen passende ausdrückliche Rechtfertigungsgründe enthalten. Daher scheidet eine Übertragung der expliziten Rechtfertigungsgründe als solchen aus.503 Das gilt im Hinblick auf die Gründe nach Art. 30 EG zumal deshalb, weil das 988 Pendant zur Warenverkehrsfreiheit für das Verhalten Privater spezifisch Art. 81, 82 EG sind, die gleichfalls der Sicherung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten dienen; daher sind insoweit die Regelungen zur Warenverkehrsfreiheit nicht anwendbar und damit auf staatliche Maßnahmen beschränkt.504 Jedoch haben sich bislang bei den Grundfreiheiten die in ihrem einzelnen Ge- 989 halt offenen ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe als ausreichend erwiesen, die auftretenden Bedürfnisse nach einer Einschränkung zu bewältigen. Einer Übertragung expliziter Rechtfertigungsgründe bedurfte es daher gar nicht. 2.
Weitere Annäherung der Wettbewerbsfreiheit an die Grundfreiheiten
Die Besonderheit von Art. 81 EG liegt nur noch im Inhaltlichen, nicht mehr im 990 Verfahren. Aufgrund von Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 besteht nunmehr auch insoweit das System der Legalausnahme; eine Freistellung durch die Kommission ist nicht mehr notwendig.505 Damit entfällt das Argument gegen unmittelbar wirkende Rechtfertigungsgründe, die Zulassung von Ausnahmen stehe eigentlich der Kommission zu und würde dann stattdessen zum Teil lediglich von den Gerichten
501 502 503 504
505
S.o. Rn. 52 ff. Z.B. EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (549 f., Rn. 15) – ADBHU; Rs. 302/86, Slg. 1988, 4607 (4630, Rn. 8) – Dänische Pfandflaschen. Ausführlich Frenz, Europarecht 1, Rn. 472 ff. EuGH, Rs. 177 u. 178/82, Slg. 1984, 1797 (1815 f., Rn. 24) – van de Haar; Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3830, Rn. 30) – Vlaamse Reisbureaus; Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 (5285, Rn. 11) – Bayer; auch Rs. 402/85, Slg. 1987, 1747 (1767 ff., Rn. 11 ff.) – Basset: Art. 28 EG auf die staatliche Regelung, Art. 82 EG auf das unternehmerische Verhalten; ebenso Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6071 ff., Rn. 9 ff.) – Renault; Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2571, Rn. 13 f.) – Tournier; akzentuiert Roth, in: FS für Everling II, 1995, S. 1231 (1243); abw. EuGH, Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 (195, Rn. 17) – Dansk Supermarked. S.o. Rn. 132.
362
Kapitel 4 Freistellungen
wahrgenommen.506 Vielmehr unterliegen zwar nunmehr sämtliche Wettbewerbsregeln weiterhin der Aufsicht durch die Kommission sowie zudem den ihr gleichgestellten nationalen Wettbewerbsbehörden. Sie wird aber nicht auf Anmeldung tätig, sondern bei entsprechenden Verdachtsmomenten, die bei ihr selbst oder durch den Hinweis von Konkurrenten entstehen. Im Übrigen kommen Wettbewerbssachen ohnehin vor die nationalen Gerichte, so wenn es um die Gültigkeit von Vereinbarungen geht. In beiden Konstellationen ist nunmehr von Amts wegen zu prüfen, ob eine Freistellung eingreift, so wie auch bei den Grundfreiheiten zu untersuchen ist, ob eine Rechtfertigung gegeben ist. Diese Änderung des formellen Rahmens, in den die Freistellungsgründe gestellt 991 sind und der sie mit den Rechtfertigungsgründen bei den Grundfreiheiten auch von der Geltendmachung her vergleichbar macht, verstärkt die ohnehin schon bestehenden zahlreichen systematischen und strukturellen Parallelen507 weiter. Zudem besteht als einheitliche Zielrichtung, den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu sichern.508 So wie das Kartell- und das Missbrauchsverbot in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen,509 gilt dies, wenn auch schon aufgrund der systematischen Stellung nicht so eng, auch für die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsregeln. Sie rücken bei In-Kraft-Treten des VE auch räumlich enger zusammen. Aus diesem gemeinsamen Zweck heraus ist eine Auffüllung etwaiger Lücken im Rahmen von Art. 81, 82 EG durch eine analoge Heranziehung von Schranken aus dem System der Warenverkehrsfreiheit zu befürworten.510 II.
Begrenzte Auflockerung des unterschiedlichen personellen Bezugs
992 Gegen eine Übertragung im Rahmen anderer Freiheiten gebräuchlicher Tatbestände spricht allerdings immer noch, dass Art. 81 f. EG die einzigen explizit das Verhalten Privater beschränkenden Vorschriften sind und insofern eine Sonderstellung einnehmen.511 Dies schlägt sich auch in der inhaltlichen Ausgestaltung nieder, bei
506
507 508
509 510
511
Daher abl. v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 143; zum früheren System etwa Ehlermann, WuW 1993, 997 (999). Näher o. Rn. 43 ff. sowie Müller-Graff, EuR 1992, 1 (5, 15 ff.). Diesen Ansatz in die Diskussion bringend, wenn auch abl. v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 142. Zu dieser Zielrichtung o. Rn. 35. S.o. Rn. 57. Ausführlich Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 58 ff. Bejahend auch Forrester/Norall, CMLR 1984, 11 (40); s. auch Jacobs, LIEI 93/2, 37 (40); Pernice, EuZW 1992, 139 (142); Ritter/Braun/Rawlinson (Hrsg.), EEC Competition Law, 1991, S. 96; abl. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 110 f. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 110 f.; v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 142 f.
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?
363
welcher namentlich der grenzüberschreitende Charakter nicht derart ausgeprägt ist wie im Rahmen der staatsbezogenen Grundfreiheiten.512 Freilich bestehen Gründe dafür, diesen Vorschriften auch staatliche Maßnahmen 993 unterfallen zu lassen, sofern sie wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahmen Privater anstoßen.513 Umgekehrt erfolgten Auflockerungen in der Rechtsprechung des EuGH zu den an sich auf staatliche Maßnahmen bezogenen und gleichfalls vom Wortlaut her im Adressatenkreis beschränkten Grundfreiheiten. Insbesondere soll die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch privaten Arbeitgebern Grenzen setzen.514 Für die übrigen Grundfreiheiten ergaben sich Weiterungen aber allenfalls deshalb, weil privates an die Stelle von in anderen Mitgliedstaaten staatlichem Verhalten trat.515 Jedenfalls erstreckte der EuGH bei einer Anwendung dieser Vorschrift zulasten 994 Privater auch die bei staatlichen Maßnahmen herangezogenen Rechtfertigungsgründe auf diesen Personenkreis. Nach seiner Rechtsprechung spricht nichts dagegen, dass die Rechtfertigungsgründe in Bezug auf öffentliche Sicherheit und Ordnung und Gesundheit von Privatpersonen geltend gemacht werden. „Der öffentliche oder private Charakter der betreffenden Regelung hat keinen Einfluss auf die Tragweite oder den Inhalt dieser Rechtfertigungsgründe.“516 Der Bezug auf eine Regelung lässt aber eine Übertragung nur dann dazu, wenn private Rechtsetzung an die Stelle staatlicher tritt. Dann kann der Aspekt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als normalerweise staatliches Handeln bestimmender Faktor herangezogen werden. Praktische Relevanz hat dies bei Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, die das Verhalten ihrer Mitglieder regeln. Dieser Ansatz passt hingegen nicht, wenn privates Handeln in Erscheinung tritt, 995 ohne staatliches zu ersetzen bzw. wie dieses zu wirken. Nicht umsonst bezog der EuGH die in der Cassis-Rechtsprechung herausgearbeiteten Legitimationsansätze ausdrücklich auf staatliche Maßnahmen.517 Demgegenüber sticht die grundsätzliche Freiheit und Vielfältigkeit unternehmerischen Verhaltens hervor; dieses ist nicht auf bestimmte Gemeinwohlzwecke fixiert, welche das Leitbild der in der Cassis-Rechtsprechung entwickelten Gründe bilden. Hier sind deshalb die vernünftigen privaten Beweggründe als Maßstab heranzuziehen.518 Das korreliert insoweit mit den Grundsätzen der Wettbewerbsregeln, als auch nach ihnen eine Maßnahme dann nicht kartellrechtswidrig ist, wenn sie auf vernünftigen unternehmerischen Erwägungen beruht und sich dadurch nachvollziehbar nach den Re-
512 513 514 515
516 517 518
S.o. Rn. 58. Näher u. Rn. 1954 ff. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 (4172, Rn. 34) – Angonese. Das gilt grds. auch für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5066, Rn. 83 f.) – Bosman und bereits Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 (1419 f., Rn. 16/19) – Walrave. S. im Einzelnen die Analyse von Roth, in: FS für Everling II, 1995, S. 1231 ff., der eine Beschränkung auf Fälle „kollektiver“ Rechtsetzung annimmt (S. 1246 f.), sowie Frenz, Europarecht 1, Rn. 320 ff. EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5066, Rn. 86) – Bosman. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 517 f.
364
Kapitel 4 Freistellungen
geln des Leistungswettbewerbs begründen lässt. Das gilt etwa für die Angemessenheit von Preisen und Geschäftsbedingungen.519 Diese Parallelität spricht allerdings dafür, die Rechtfertigungsgründe, die über 996 die in Art. 81 EG benannten hinausreichen, in das System des Wettbewerbsrechts zu integrieren, soweit dies möglich ist. Lässt man vernünftige wirtschaftliche Erwägungen genügen, um unternehmerisches Verhalten nicht unter das Kartellverbot fallen zu lassen, besteht ein weites Feld für die Berücksichtigung adäquater Begründungen. Sämtliche Ausdrucksformen des Leistungswettbewerbs sind dann schon nicht tatbestandsmäßig.520 Andere Aspekte lassen sich in weitem Umfang auch in die Freistellungsgründe nach Art. 81 Abs. 3 EG einbeziehen, sofern man diese mit Bezug auf den Gemeinsamen Markt und damit auf die Belange des Gesamtvertrages auslegt. Damit werden diese Klauseln jedoch anders behandelt als die restriktiv inter997 pretierten Rechtfertigungsgründe nach Art. 30 EG, bei denen wegen der enumerativen Aufzählung eine Erweiterung gerade ausgeschlossen wird.521 Daraus entsteht erst das dringende Bedürfnis, weitere Rechtfertigungsgründe außerhalb davon zu entwickeln. Bei einer erweiterten Interpretation von Art. 81 Abs. 3 EG entfällt dieses, sofern alle Belange berücksichtigt werden können, welche einer vernünftigen Unternehmenspolitik sowie hinreichend gewichtigen Gemeinwohlaspekten entsprechen. III.
Ableitung privater Spielräume aus Bürgernähe und Subsidiarität
998 Entscheidend ist allerdings, dass im Ergebnis die Belange der Unternehmen nicht in geringerem Maße berücksichtigt werden als staatliche. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen dieselbe Konstellation zum einen im Hinblick auf staatliches Verhalten bezüglich der Warenverkehrsfreiheit und zum anderen wegen privater Handlungen auf die Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln geprüft wird.522 Ansonsten würde die unternehmerische Freiheit stärker beschränkt als die Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten. Dabei betont der Vertrag einen starken Bürgerbezug. Art. 1 Abs. 2 EU verlangt, dass die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden. Die 11. Erwägung der Präambel zum EU stellt die Verbindung zum Subsidiaritätsprinzip her, welches Art. 2 Abs. 2 EU eigens nennt, allerdings im Kontext gemeinschaftlichen Tätigwerdens im Verhält519 520 521
522
Dazu näher u. Rn. 1265 f. S.o. Rn. 70, 720 ff. EuGH, Rs. 113/80, Slg. 1981, 1625 (1638, Rn. 7) – Kommission/Irland; Rs. 95/81, Slg. 1982, 2187 (2204, Rn. 27) – Kommission/Italien; Becker, in: Schwarze, Art. 30 Rn. 3; Rengeling, in: FS für Börner, 1992, S. 359 (366 f.). Für eine Ausdehnung des Lebens- und Gesundheitsschutzes auf der Basis von EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 (2185, Rn. 75) – PreussenElektra Faber, NuR 2002, 140 (142). Eine solche Erweiterung ist aber nicht herleitbar, Frenz, Europarecht 1, Rn. 963. EuGH, Rs. 402/85, Slg. 1987, 1747 (1767 ff., Rn. 11 ff.) – Basset; Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6071 ff., Rn. 9 ff.) – Renault.
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?
365
nis zu den Mitgliedstaaten. Darauf ist es aber nach dem traditionellen Konzept i.S.d. katholischen Soziallehre523 nicht beschränkt, sondern verlangt generell einen Vorrang des sachnäheren Lebenskreises der Betroffenen.524 Zudem ist die Bürgernähe am ehesten dann gewahrt, wenn gar keine staatlichen Maßnahmen ergehen müssen. Daraus ergibt sich, dass die Privaten ihre Dinge selbst ordnen sollen, wenn sie 999 dies können. Das legt auch die inhaltliche Festschreibung einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung in Art. 4, 98 EG525 zumindest nahe.526 Erst bei Defiziten soll der Staat eingreifen. Dann aber sind Privaten auch dieselben Spielräume zuzugestehen, würden sie doch ansonsten von vornherein mit geringeren Wirkungsmöglichkeiten ausgestattet, was ihr Handeln der leichten Gefahr von Defiziten aussetzte; die Subsidiarität staatlichen Handelns würde unterlaufen. Die Bürgernähe zeigt sich insbesondere auch in den Grenzen staatlicher Regu- 1000 lierung. Art. 5 Abs. 3 EG ist entsprechend des Bezugs von Art. 2 Abs. 2 EU mit seiner Festschreibung der Subsidiarität auf den gesamten Art. 5 EG und der verbindenden Klammer von Subsidiarität und Bürgernähe in der 11. Erwägung der Präambel zum EU mit der Bürgernähe gekoppelt. Er gibt daher vor, dass den Regelungsadressaten ein möglichst weitgehender Spielraum verbleiben soll.527 Daher ist die Gemeinschaft gehalten, entweder selbst auf Verhaltensweisen von Unternehmen möglichst ohne (enge) regulative Vorgaben einzuwirken oder eine solche Vorgehensweise den Mitgliedstaaten aufzuerlegen. Würde durch strengere Anforderungen an die Rechtfertigung unternehmeri- 1001 schen Handelns ein Anstoßen privater Verhaltensweisen als Minus zu hoheitlicher Regulierung praktisch immer dann unmöglich gemacht, sofern Wettbewerbsverstöße die Folge sind, selbst wenn sie aus im Rahmen von Art. 28 EG anwendbaren Gründen gerechtfertigt werden könnten, würde diese Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 EG insoweit ausgehöhlt. Das hätte zur Folge, dass der Wettbewerb und damit der Spielraum Privater zur Zielerreichung wesentlich stärker durch staatliche Regulierung eingeschränkt oder gar gänzlich ausgeschaltet würde. Als Grundlagenvorschrift kann aber Art. 5 Abs. 3 EG schwerlich durch eine Einzelpolitik derart weitgehend eingeschränkt werden. Vielmehr ist umgekehrt eine Einzelpolitik mit der Grundlagenvorschrift in Einklang zu bringen. 523 524
525
526
527
Auf diese verweisend auch Gutknecht, in: FS für Schambeck, 1994, S. 921 ff. S. insbes. die Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. vom 15.5.1931, AAS XXIII, S. 177 (203 n. 79 f.); zum Entstehungshintergrund insgesamt näher Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 18 ff.; Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 33 ff.; eine derart weite Sicht hier allerdings abl. v. Borries, EuR 1994, 263 (273). Badura, in: FS für Stern, 1997, S. 409 (412); Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 49 f.; Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 136 ff.; gegen eine umfassende Vorgabe auch für die mitgliedstaatliche Ebene hingegen Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 113 ff.; noch restriktiver Seidel, in: FS für Everling II, 1995, S. 1393 (1404 f.). In Sinne eines Vorrangs privater Lebensgestaltung Sodan, DÖV 2000, 361 ff.; ders., in: Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000, S. 35 ff. auch auf grundrechtlicher Basis. Ausführlich Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 105 ff.
366
1002
Kapitel 4 Freistellungen
Wenn daher an die Stelle einer Regulierung nur ein Anstoßen unternehmerischen Verhaltens tritt, ist diesem bei Beeinträchtigungen von Gemeinschaftsvorschriften derselbe Rechtfertigungsumfang zuzubilligen wie regulierendem hoheitlichem Handeln, das ebenfalls Gemeinschaftsvorschriften verletzen kann. Wenn auch nicht die Subsumtion unter das Kartellverbot verhindert wird,528 so kann doch eine Rechtfertigung entsprechender Verstöße eintreten, wenn Private dieselben Ziele wie die Gemeinschaft verfolgen.
B.
Praktische Konkordanz mit Gemeinschaftszielen
I.
Notwendigkeit
1003 Indem privates Handeln durch Gemeinschaftsvorschriften erfasst wird, ist es eingebunden in das System des Gesamtvertrages. Dieser besteht aus zahlreichen verschiedenen, potenziell miteinander konfligierenden Elementen. Das deutet sich bereits an in Art. 2 EG, wo ein nichtinflationäres Wachstum und ein hohes Maß an Umweltschutz als Vorgaben aufgestellt werden: Einer Zunahme der Wirtschaftstätigkeit ist eine Erhöhung der Umweltbelastung immanent, wenn sie nicht mit einer umweltverträglicheren Wirtschaftsweise einhergeht. Diesen Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt greift insbesondere der Nachhaltigkeitsgedanke auf, der i.V.m. dem Wirtschaftsleben in Art. 2 EG benannt ist und daher auch insoweit prägende Bedeutung hat, ohne allerdings einen Systemwechsel in der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik zu bedingen.529 Art. 3 EG nennt zahlreiche Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft, die nicht immer miteinander verträglich sind. So geraten Wettbewerb und Umweltschutz leicht in Gegensatz zueinander, so wenn aufwändige technische, emissionsreduzierende Entwicklungen nur durch Kooperationen mehrerer Unternehmen zustande kommen.530 Diese unterschiedlichen Elemente weisen auf die Notwendigkeit eines Aus1004 gleichs. Dabei darf die Einheit des Gemeinschaftsvertrages nicht gefährdet werden. Deshalb muss jedes Vertragsziel mit den anderen in der Weise abgewogen werden, dass alle Ziele möglichst weitgehend entfaltet werden können. Es bedarf mithin einer praktischen Konkordanz.531 Diese muss wegen der grundsätzlichen
528 529
530
531
Dies abl. Ehle, Die Einbeziehung des Umweltschutzes in das Europäische Kartellrecht, 1996, S. 110. Näher Frenz/Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, 1999, S. 176 ff. Zum ganzen Themenkomplex ausführlich Lorenz, Umweltschutz und wettbewerblich konzipierter Binnenmarkt im Gemeinschaftsrecht, 2004. Vgl. zu Warenverkehrsfreiheit und Umweltschutz Epiney, NuR 1995, 497 (498 f.); allgemein Hoffmann-Riem, in: Behrens/Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 9 (17 ff.); Jahns-Böhm/Breier, EuZW 1991, 523 (525 f.). Allgemein Geiger, Art. 2 Rn. 4; bezogen auf den Umweltschutz Hoffmann-Riem, in: Behrens/Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 9 (25 f.); Pernice, NVwZ 1990, 201 (208); Wiegand, DVBl. 1993, 533 (537 Fn. 38); auch für die Wettbewerbsfreiheit Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?
367
Gleichgewichtigkeit der Vertragselemente532 den Eigenarten der verschiedenen in Frage stehenden Belange Rechnung tragen. Klinkt man privates Verhalten aus diesem System aus und folgen daraus gerin- 1005 gere Rechtfertigungsmöglichkeiten, ergibt sich zudem wieder der vorstehend zur Übertragbarkeit der Rechtfertigungsgründe aus der Warenverkehrsfreiheit herausgearbeitete Einwand, dass staatliches Verhalten trotz Art. 5 Abs. 3 EG in weiterem Umfang rechtfertigungsfähig ist als privates. Somit dürfen jedenfalls im Ergebnis die Rechtfertigungsmöglichkeiten privaten Verhaltens nicht dahinter zurückstehen. Sind somit die Anforderungen der Wettbewerbsfreiheit, die private Kooperationen im konkreten Fall verbieten, nicht mit denen einer anderen Gemeinschaftsnorm vereinbar, bedarf es daher eines Ausgleichs.533 II.
Durchführung im Rahmen der vorhandenen Freistellungsgründe
Dieser Ausgleich erfolgt dadurch, dass die konfligierenden Belange gegeneinan- 1006 der abzuwägen und zu versöhnen sind. Entsprechend der nebengeordneten Aufführung namentlich in Art. 2, 3 EG sind sie als gleichrangig anzusehen. Das gilt auch für die Wettbewerbsfreiheit und den Umweltschutz.534 Die grundsätzliche Gleichrangigkeit der aufeinanderprallenden Belange bedeutet: Nützen z.B. Unternehmenskooperationen, die an sich den Tatbestand des Art. 81 EG erfüllen, dem Umweltschutz, so sind Umweltschutz und Wettbewerbsfreiheit im konkreten Fall gegeneinander abzuwägen und zu versöhnen. Ist die Beeinträchtigung des Wettbewerbs gering, der Nutzen für den Umweltschutz aber hoch, kann die Unternehmenskooperation als durch den Umweltschutz gerechtfertigt angesehen werden. Damit ist nicht etwa gefordert, dass der Wettbewerb insgesamt schon im An- 1007 satz umweltgerecht ausgerichtet wird.535 Das verlangt auch nicht der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung, welcher einen Ausgleich von Wirtschaft und Umwelt erfordert, aber nicht durch die Hintertür Umweltbelangen den Vorrang einräumt und so die Grundlagen der Wirtschaft austauscht. Schon die Querschnittsklausel verlangt nur eine Berücksichtigung.536 Wo dieser Ausgleich stattfinden soll, ist allerdings im Gemeinschaftsrecht nicht 1008 vorgegeben. Entscheidend ist nur, dass er erfolgt und zwar unter gleichgewichtiger Berücksichtigung der in Frage stehenden Belange. Somit ist es nicht ausgeschlossen, diesen Ausgleich innerhalb der expliziten Rechtfertigungsgründe des Art. 81 Abs. 3 EG durchzuführen. Erforderlich ist freilich, dass er die konkurrierenden Belange in ihren Eigenheiten und ihrer Gewichtigkeit innerhalb des Ver-
532
533 534 535 536
Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 65 f. Zum nationalen Verfassungsrecht Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 72. Gegen einen grundsätzlichen Vorrang des Umweltschutzes Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 67 f.; anders aber insbes. Scheuing, EuR 1989, 152 (176 f.); Epiney, NuR 1995, 497 (500). Für die traditionellen Grundfreiheiten Jarass, in: FS für Everling I, 1995, S. 593 (608). S. bereits o. Rn. 858 ff. Dahin offenbar Scherhorn, ZfU 2005, 135 (139 ff.). Näher Frenz/Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, 1999, S. 197 f.
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1009
1010
1011
1012
Kapitel 4 Freistellungen
trages einbezieht und nicht durch eine Einfügung in das Wettbewerbsrecht von vornherein relativiert. Es ist also möglich, primärrechtlich verankerte Aspekte unter die im Lichte des Gemeinsamen Marktes zu interpretierenden Freistellungstatbestände zu fassen. Nur müssen sie dabei in ihrem ursprünglichen Gehalt und Gewicht erhalten bleiben und dürfen nicht ihrer Bedeutung etwa durch eine Einbeziehung in die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts entkleidet werden. Ansonsten werden sie verfälscht, bevor die eigentliche Abwägung mit der Wettbewerbsfreiheit erfolgt. Die Freistellungsgründe nach Art. 81 Abs. 3 EG bilden damit eine geeignete Plattform auch zur Einbeziehung der anderen vertraglichen Zielsetzungen, soweit sie sich darunter subsumieren lassen; dabei ist aber wegen des Rückbezugs zum Gemeinsamen Markt großzügig zu verfahren, so dass sich namentlich Belange des Umweltschutzes und der Industriepolitik weitest gehend darunter fassen lassen.537 Das gilt zumal deshalb, weil die zur Freistellung führenden Gesichtspunkte schon durch ihren notwendigen Verbraucherbezug über die rein egoistischen betrieblichen Interessen hinausragen müssen. Damit kommen auch gemeinwohlbezogene Gesichtspunkte in Betracht.538 Auch die durch gemeinschaftsvertraglich festgelegte Aspekte erzielbaren Vorteile müssen wie auch sonst im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG539 die Nachteile für den Wettbewerb überwiegen. Wie stark im konkreten Falle Vorteile zu erwarten sein müssen, richtet sich nach dem Gewicht des verfolgten Belanges sowie dem Ausmaß der zu erwartenden Wettbewerbsbeeinträchtigung. Damit existiert auch insoweit kein statischer Maßstab, sondern es ist eine flexible Beurteilung nach den Verhältnissen des Einzelfalles möglich. Insbesondere kommt bei einer Gleichstellung auch Unternehmen ein Beurteilungsspielraum zu, wie er den Mitgliedstaaten für Einschränkungen der Grundfreiheiten zugebilligt wird;540 dieser wird aber durch eine entsprechende Darlegungslast beschränkt,541 welche auch Unternehmen im Rahmen der Wettbewerbskontrolle für Freistellungen obliegt.542 Eine sachgerechte Abwägung entsprechend den Anforderungen der Verhältnismäßigkeitskontrolle, die für einen Ausgleich aufeinander treffender gleichgewichtiger Belange steht,543 ist daher gewährleistet. Einer eigenen Kategorie ungeschriebener Rechtfertigungsgründe wie im Rahmen der Grundfreiheiten bedarf es daher ebenso wenig wie der Durchführung einer unmittelbaren Gegenüberstellung von
537 538 539 540 541
542 543
S.o. Rn. 851 ff. S.o. Rn. 913 ff. S.o. Rn. 844, 882, 889 a.E. S.o. Rn. 871. Auch die Grundfreiheiten bilden wie die Wettbewerbsfreiheit im System der Legalausnahme (o. Rn. 740) einen Rechtsmaßstab. S. z.B. EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, 4075 (4127 f., Rn. 47 ff.; 4132, Rn. 67) – Dusseldorp; Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3793, Rn. 46 ff.; 3800 f., Rn. 78 ff.) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen; zu wenig prüfend EuGH, Rs. C-463/01, EuZW 2005, 49 (Rn. 77) – Pfandpflicht; krit. Frenz, GewArch. 2005, 184 (186). S.o. Rn. 868 ff. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 503 f., 523 ff.
§ 7 Weitere Rechtfertigungsgründe?
369
Wettbewerbsbelangen mit anderen Vertragszielen und -aufgaben außerhalb von Art. 1 Abs. EG, sofern dieser wie hier vertreten weit genug interpretiert wird.
Kapitel 5 Praxis der horizontalen Vereinbarungen
§ 1 Klassische Kartellabsprachen, Marktaufteilungen, Preisabsprachen A.
Allgemeines
Klassischen Kartellabreden ist grundsätzlich mit Skepsis zu begegnen. In der Re- 1013 gel können von ihnen keine positiven Wirkungen für Verbraucher und Wettbewerb ausgehen. Die Kommission greift denn auch in ihren Leitlinien zu horizontalen Vereinbarungen1 spezifische Fallgruppen heraus, bei denen besondere Umstände eine Legitimation bewirken können. Im Unterschied dazu können die klassischen Kartellabsprachen infolge ihrer starken Eingriffe in den Wettbewerb nicht durch etwaige positive Effekte dem Kartelltatbestand entzogen sein2 und auch in der Regel nicht gerechtfertigt und freigestellt werden. Auch die „de-minimis-Bekanntmachung“3 der Kommission findet auf diese Absprachen keine Anwendung.4 Typischerweise kartellfrei sind hingegen Kooperationen zur kaufmännischen Verwaltung, Transport- und Lagergemeinschaften, ein gemeinsamer Kundendienst und Vereinbarungen über Öffnungszeiten.5
B.
Wettbewerbsbeschränkung
Die klassischen Kartellabsprachen betreffen vor allem den Preis, die Geschäfts-, 1014 Liefer- und Zahlungsbedingungen (Konditionen), Produktmenge, Kunden, Absatzgebiete sowie abgestimmtes Verhalten bei Aufträgen (Submissionsabsprachen). Diese Konstellationen finden ihren Niederschlag auch in Art. 81 Abs. 1 lit. a)-c) EG und führen meist zu Preisen über Marktniveau und Angebotsverkürzung. 1 2
3
4 5
Dazu u. Rn. 1023 ff. EuG, Rs. T-148/89, Slg. 1995, II-1063 (1107 f., Rn. 109) – Tréfilunion; EuGH, Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539 (4618, Rn. 133) – Montecatini; EuG, Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 (3196 f., Rn. 136) – European Night Services. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 7. Vgl. zu diesen speziellen Aspekten Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 496 ff.
372
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
Schon die wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Angebotsmenge und Preis begründet dies.6 Die reinen Konditionenkartelle haben untergeordnete praktische Bedeutung, da sie meist gemeinsam mit Preisabsprachen auftreten und im Zusammenhang mit ihnen beurteilt werden.7 Auch die Submissionsabsprachen verfolgen im Wesentlichen den Zweck, den Angebotspreis über Marktniveau zu etablieren und bilden so letztlich einen Spezialfall der Preisabsprachen.8 Preisabsprachen im engeren Sinne liegen nicht nur vor, wenn der Endpreis des Produktes festgelegt wird, sondern auch, wenn Mindest- und Höchstpreise vereinbart werden9 oder Rabattregelungen harmonisiert10 werden.11 Auch diese stellen Wettbewerbsbeschränkungen dar. Das gilt selbst dann, wenn Vereinbarungen mit Schlachthofbetreibern unter physischem Druck der Züchter geschlossen wurden. Dieser Druck etwa der Züchter auf die Schlachthofbetreiber steht nach Ansicht der Kommission einer Wettbewerbsfeindlichkeit der Abrede nicht entgegen.12 Exemplarischer Fall für Preisabsprachen gerade auch in Verbindung mit Absprachen hinsichtlich der angebotenen Produktmenge ist der Karton-Fall.13 In diesen Bereich der klassischen Kartellabsprachen gehören auch solche, die 1015 eine Aufteilung des Marktes14 vornehmen. Dies kann durch eine Gebietszuteilung oder auch durch eine Zuweisung bestimmter Kundengruppen oder Kunden15 gerade auch in Kombination mit Preisabsprachen geschehen.16 Hierbei muss eine Ge6 7
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13
14 15
16
Mit tabellarischer Übersicht der Kommissionsentscheidungen zum Ganzen Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 Rn. 14 f., 17 f. So auch Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 198 mit Hinweis auf KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 (Rn. 19 f.) – Verpackungsglas und 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (9) – IFTRA/Hüttenaluminium, sowie EuGH, Rs. 8/72, Slg. 1972, 977 (991 f., Rn. 23/24 ff.) – Cementhandelaren; vgl. auch den Fall Kunstauktionshäuser Kommission, XXXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2002, S. 198 f. = KOME COMP/E-2/37.784 – Fine Art Auction Houses. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 256. EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 (3252 ff., Rn. 96 ff.) – van Landewyck. KOME 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 (12) – IFTRA/Hüttenaluminium. Vgl. zum Ganzen Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 251. Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, S. 199. Die Geldbuße wurde infolge dessen für die Bauernverbände um 30 % heraufgesetzt, vgl. KOME 2003/600/EG, ABl. 2003 L 209, S. 12 (Rn. 173) – Viandes bovines françaises. KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 (Rn. 130 f.) – Karton; näher dazu Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 245; vgl. zu weiteren Fallbeispielen Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 16 f.; Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 252; jüngst zu Preiskartellen KOME 2004/138/EG, ABl. 2004 L 56, S. 1 – Österreichische Banken („Lombard Club“). Vgl. auch Kommisison, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, S. 201 im Fall Sorbate, KOME COMP/E-1/37.370 – Sorbate. So unter Zuweisung einzelner Abnehmer an Kartellmitglieder KOME 2003/437/EG, ABl. 2003 L 153, S. 1 – Zinkphosphat; vgl. auch Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, Tz. 201 f.; KOME 2004/420/EG, ABl. 2004 L 125, S. 45 – Elektrotechnische und mechanische Kohlenstoff- und Graphitprodukte (vgl. KOME 2002/271/EG, ABl. 2002 L 100, S. 1 – Graphitelektroden und den Fall Graphitspezialerzeugnisse KOME COMP/37.667 – Graphitspezialerzeugnisse, zusammengefasst durch Kommission, XXXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2002, S. 200 ff. Vgl. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 17.
§ 1 Klassische Kartellabsprachen, Marktaufteilungen, Preisabsprachen
373
bietszuteilung nicht ausschließlich erfolgen, sondern sie kann sich beispielsweise auch auf die Festlegung einer zulässigen Produktmenge, die in ein bestimmtes Gebiet verkauft werden darf, beschränken.17 Eine Marktaufteilung lässt sich so auch durch Quotenkartelle begründen.18 Hierbei werden Absprachen im Sinne einer Quotierung der Produktion eines Erzeugnisses oder des Absatzes getroffen.19 Eine Aufteilung von Märkten gehört zu den gravierendsten Wettbewerbsverstößen. Der EG hat zum grundlegenden Ziel, die mitgliedstaatlichen Barrieren entlang der nationalen Märkte zu überwinden. Dieses wird insbesondere durch Absprachen zur Marktaufteilung, die sich je nach Fallkonstellation gerade an diesen mitgliedstaatlichen Marktlinien orientiert,20 torpediert.21
C.
Freistellung
Aufgrund dieser besonderen Problematik können Abreden, die der Marktauftei- 1016 lung dienen, in der Regel nicht vom Kartellverbot freigestellt werden.22 Im Fall Reims II, in dem öffentliche Postbetreiber das gegenseitige Entgelt für eine grenzüberschreitende Zustellung festlegten, stellte die Kommission diese Vereinbarung unter Bedingungen, insbesondere dem diskriminierungsfreien Zugang Dritter frei, da kostenorientierte Endvergütungen und eine gesteigerte Qualität der Dienstleistung erreicht werden.23 Stehen Quoten jedoch im Zusammenhang mit Absprachen zum Einkauf oder Verkauf, sind sie für die Funktionsfähigkeit dieser Abreden unerlässlich und beinhalten sie keine Bezugsverpflichtung24 oder betrifft die Marktaufteilung Kundengruppen und ist für das Funktionieren von Vertriebssystemen unerlässlich,25 stellte die Kommission diese Absprachen dagegen frei.26 Grundsätzlich ist aber strikt darauf zu achten, dass keine Kernbeschränkungen vorliegen, da diese prinzipiell nicht freistellungsfähig sind.27
17 18 19
20 21 22 23 24 25 26 27
KOME 80/1334/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 19 (21, 24 f.) – Gußglas in Italien; Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 243. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 243; so z.B. im Fall Graphitelektroden, KOME 2002/271/EG, ABl. 2002 L 100, S. 1 (Rn. 71 ff.) – Graphitelektroden. So geschehen im Fall KOME 2001/418/EG, ABl. 2001 L 152, S. 24 (Rn. 186 ff.) – Aminosäuren. Hier wurden neben Preisabsprachen, (Rn. 186 ff.) auch Absprachen über Absatzquoten getroffen (Rn. 211 ff.) Darüber hinaus war man sich zum Teil einig, den Absatz auf den regional „eigenen“ Markt zu beschränken (Rn. 211 ff.). So in KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 (Rn. 45) – Zement. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 19. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 243. KOME 2004/139/EG, ABl. 2004 L 56, S. 76 (Rn. 105 ff.) – REIMS II. KOME 80/917/EWG, ABl. 1980 L 260, S. 24 (Rn. 48 ff.) – National Sulphuric Acid Assosiation. KOME 76/159/EWG, ABl. 1976 L 28, S. 19 (Rn. 25 ff. u. 38 ff.) – SABA. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 244. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97 (Rn. 46).
374
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
§ 2 Strukturkrisenkartelle A.
Allgemeines
1017 Absprachen von Unternehmen können auch zum Inhalt haben, die Produktion eines Produktes zu verringern, Kapazitäten oder Lagerbestände abzubauen, um einer strukturellen Krise gerecht zu werden, die durch Kapazitätsreduktion einzelner Unternehmen ggf. nicht erreicht werden könnte. Diese Kartelle bezeichnet man gemeinhin als Strukturkrisenkartelle. Dadurch ist auch schon das entscheidende Merkmal benannt, dass es sich hierbei um eine strukturelle Krise handelt. Abzugrenzen sind insoweit Krisensituationen, die konjunkturell bedingt sind. Unternehmen argumentieren häufig mit der wirtschaftlich angestrengten Situation, die ein Kartell unverzichtbar mache. So können Vereinbarungen zwischen Unternehmen in Boom- wie auch in Krisenzeiten besonderen Sinn machen, da sich der Wettbewerb insoweit verschärft und gerade aus diesen Extremsituationen Anreize für wettbewerbswidrige Abreden erwachsen.28 Diese bloßen konjunkturell bedingten Kartellabsprachen sind jedoch mit den hier abgehandelten Krisenkartellen nicht gemeint. Diesbezüglich müssen die freien Kräfte des Marktes ungehindert und uneingeschränkt arbeiten dürfen.29 Gerade eine Absatzkrise kann ein willkommener Grund für eine Kartellverein1018 barung sein.30 So berücksichtigte die Kommission diese Erwägungen seitens der Unternehmen im Fall Zinc Producer Group31 lediglich im Rahmen der Schwere der Zuwiderhandlung gleichsam als mildernden Umstand.32 Die Strukturkrisenkartelle müssen gerade einen Produktionsabbau mit den Vereinbarungen bezwecken. Typisch sind hier Abreden, die den klassischen Kartellabsprachen und dabei insbesondere den Vereinbarungen zur Marktaufteilung ähneln, indem sie etwa die Herstellungsmenge eines Produktes quotieren.33 So können Unternehmen gezielt Absatzpläne vereinbaren, um die Folgen einer Krise aufzufangen, gleichmäßig zu verteilen und so einen Abbau der Produktion herbeizuführen.
28 29 30 31 32
33
Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 23. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 24 f. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 23. KOME 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 – Zinc Producer Group. KOME 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 (Rn. 99 ff.) – Zinc Producer Group; abl. auch EuG und EuGH, die feststellen, dass das Vorliegen einer Krise für den betroffenen Sektor nicht dazu führen könne, dass Art. 81 Abs. 1 EG keine Anwendung finde, EuG, Rs. T-305 u.a./94, Slg. 1999, II-931 (1137 f., Rn. 740) – Limburgse Vinyl Maatschappij; bestätigend EuGH, Rs. C-238 u.a./99 P, Slg. 2002, I-8375 (8761, Rn. 488 f.) – Limburgse Vinyl Maatschappij; vgl. auch Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 26. So in KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 6) – Stichting Baksteen und in 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 16 ff., 25 ff.) – Kunstfasern.
§ 2 Strukturkrisenkartelle
B.
375
Freistellung
Unter engen Voraussetzungen sieht die Kommission solche Vereinbarungen, die 1019 vor dem Hintergrund einer Strukturkrise einen Kapazitätsabbau beabsichtigen, als freistellungsfähig an. Sie begegnet mit ihrer Einschätzung jedoch Kritik, sowohl was ihre Argumentation in ökonomischer Hinsicht angeht als auch bezüglich der grundsätzlichen Bereitschaft, die Grundsätze freier Marktwirtschaft in diesen Fällen aufzuweichen.34 Die Erwägungen der Kommission zielen bei einer strukturellen Krise insbesondere darauf ab, ob die Unternehmen ohne das Kartell in der Lage wären, zu einer Wettbewerbsfähigkeit unter Kapazitätsreduktion zurückzufinden. Ist dies nicht denkbar und verspricht das Kartell eine angemessenere Auslastung der Anlagen und gesunden Wettbewerb unter Beseitigung der strukturellen Krise, kann eine Freistellung erfolgen.35 Die Kommission stellte im Fall Stichting Baksteen fest, dass zum einen hin- 1020 sichtlich der Ziegelsteine eine lediglich abgeleitete Nachfrage besteht, Preisunterschiede bei Ziegelsteinen sich kaum auf den Preis des Endprodukts „Haus“ auswirken und somit der Ziegelsteinpreis auf die Nachfrage nach denselben nicht durchschlägt. Ferner seien die einzelnen Unternehmen zur Hälfte nur mit einem Ofen ausgestattet und so eine Kapazitätsreduktion für diese schon unmöglich. Die Kapazitätsüberschüsse seien ferner auf neue Technologien zurückzuführen.36 Ähnlich wurde die Lage im Fall Kunstfasern beurteilt.37 Auch hier hätten sich die Unternehmen einzeln nicht zu einer Rückführung ihrer Kapazitäten entschlossen, und diese hat durch Stilllegung von unrentablen und überalterten Anlagen zu einer Verbesserung der Warenerzeugung und einer Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts geführt. Der Kapazitätsabbau war ferner unter erträglichen sozialen Bedingungen durchführbar. Dass die Kommission für eine sinnvolle und effektive Strukturkrisenabrede ei- 1021 ne möglichst vollständige Partizipation der jeweiligen Marktteilnehmer fordert,38 ist vor dem Hintergrund des Freistellungserfordernisses eines nicht ausgeschalteten Wettbewerbs fraglich.39 Ein funktionsfähiger Wettbewerb ist eher dann gewährleistet, wenn noch mehrere nicht durch Abreden verbundene Konkurrenten vorhanden sind. Das ist aber nur dann der Fall, wenn nicht alle, sondern lediglich ein oder wenige Unternehmen an der Strukturkrisenabrede beteiligt sind. Auch die Übernahme eines vor der Insolvenz stehenden Unternehmens durch einen Wettbewerber wird für zulässig gehalten, wenn ansonsten die finanzschwache Firma 34 35 36 37 38 39
Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 30. So in KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 24 ff.) – Stichting Baksteen; Vgl. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 28 f. Vgl. hier auch Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 214. KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 28) – Kunstfasern. Vgl. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 212. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 31 unter Hinweis auf die Annahme der Kommission, der Wettbewerb bleibe nach außen erhalten aufgrund von weiteren Unternehmen, die nicht an der Vereinbarung beteiligt seien, in KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 48 ff.) – Kunstfasern und 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 40) – Stichting Baksteen.
376
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
gänzlich ausscheidet.40 Ein Strukturkrisenkartell beugt einer solchen Entwicklung vor und soll die vorhandenen Wettbewerber gerade erhalten, wenngleich mit verminderter Kapazität. Jedenfalls müssen die Vereinbarungen auf das beschränkt sein, was zur Errei1022 chung des angestrebten Kapazitätsabbaus notwendig ist. Feste Produktionsquoten etwa41 oder die Weitergabe von Informationen, die eine Produktions- oder Lieferungskontrolle ermöglichen,42 sind nicht freistellungsfähig, ebensowenig Abreden über Preise, den Verkauf, die Eingliederung von dem Kartell nicht zugehörigen Produktionsstätten durch gemeinsamen Aufkauf43 und Unternehmenszusammenschlüsse.44 Vertragsstrafen dienen der Durchsetzbarkeit des Ziels45 und sind wie die Angaben über die abzubauenden Kapazitäten und die Durchführung des Abbaus an eine Treuhandstelle mitfreigestellt.46
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien A.
Allgemeines
1023 Die Leitlinien der Kommission über horizontale Vereinbarungen behandeln nicht sämtliche horizontalen Absprachen. Sie erfassen nur Vereinbarungen die zwischen Unternehmen auf derselben Produktionsstufe getroffen werden, aber zu Effizienzgewinnen führen können. Berührt eine Absprache mehrere Bereiche der Leitlinien, entscheidet der Schwerpunkt, welcher Bereich der Leitlinien zur Anwendung kommt. Zur Beurteilung des Schwerpunkts ist zum einen maßgeblich, wo der Ausgangspunkt der Zusammenarbeit liegt, zum anderen der Integrationsgrad der unterschiedlichen Funktionen. Generelle Bestimmungen des Schwerpunkts müssen schon an der Vielgestaltigkeit der möglichen Vereinbarungen und an der Varianz der Kombinationen scheitern.47 Gemeinschaftsunternehmen, die unter die Fusionskontrollverordnung fallen, sind nicht Regelungsgegenstand der Leitlinien.48
40 41 42 43 44 45 46 47
48
S.u. Rn. 1835 ff. KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 6) – Stichting Baksteen. KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 19) – Kunstfasern. KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 (Rn. 6) – Stichting Baksteen. Zum Ganzen Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 32. Vgl. Stockmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 8 Rn. 212. Winterstein, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.1 Rn. 32; KOME 84/380/EWG, ABl. 1984 L 207, S. 17 (Rn. 18) – Kunstfasern. Vgl. zum Ganzen Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 9 ff.). Vgl. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 12).
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
B.
Gemeinsame Forschung und Entwicklung
I.
Allgemeines
377
Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sind Vereinbarungen über For- 1024 schung und Entwicklung (F&E) interessant, da auch sie, um sich im Wettbewerb behaupten zu können, beständig Neuentwicklungen betreiben müssen, aber isoliert kaum können. Solches ist gerade ihnen im Vergleich zu den größeren Unternehmen weniger allein als durch F&E-Vereinbarungen möglich, weil sich die Bandbreite und Intensität von F&E beträchtlich durch Zusammenarbeit erhöht.49 Sind daher nur durch eine Koordinierung mehrerer Unternehmen neue Produktentwicklungen möglich, kann dadurch insoweit Wettbewerb geschaffen werden. Wird solchermaßen durch ein solches Erzeugnis (zusätzlicher) Wettbewerb erst gebildet, ist der Kartelltatbestand schon seinem Zweck nach nicht erfüllt.50 Für die Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung sind die Leitlinien 1025 der Kommission als Ergänzung zur Gruppenfreistellungsverordnung über Forschung und Entwicklung51 zu sehen. Die Leitlinien erfassen dabei jegliche Form von Vereinbarung, ob in Form eines gemeinsamen Unternehmens oder sonstiger Absprachen.52 Nach der Schwerpunkttheorie der Kommission gelten Vereinbarungen über die Forschung und Entwicklung, welche gleichzeitig Vereinbarungen über die Nutzung der Ergebnisse treffen, in der Regel als F&E-Vereinbarung, da die Nutzung erst durch die gemeinsame Forschung und Entwicklung möglich wird. Somit gehen die den Wettbewerb beschränkenden Folgen schwerpunktmäßig von der F&E-Vereinbarung aus.53 II.
Wettbewerbsbeschränkung
Sowohl Produktmarkt als auch der Innovationsmarkt wie auch der Technologie- 1026 markt können beeinträchtigt werden.54 Der Produktmarkt ist betroffen, wenn die Forschung und Entwicklung auf eine Verbesserung von bestehenden Produkten gerichtet ist. Soll ein vollständig neues Produkt entwickelt werden, kann die F&EAbrede den Innovationsmarkt beeinträchtigen. Schließlich kann der Technologie49
50 51
52
53
54
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 40 f.). S.o. Rn. 73 sowie sogleich Rn. 1028 f. VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. 2000 L 304, S. 7. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 39). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 11). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 522.
378
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
markt betroffen sein, wenn es nicht um Produkte, sondern um Technologien geht, die durch gemeinsame Forschung und Entwicklung entwickelt werden.55 Nach den Leitlinien können sich Beeinträchtigungen des Produktmarktes auch 1027 durch neu entwickelte Produkte ergeben, wenngleich sich durch die zeitliche Verzögerung einer Substitution das alte und das neue Produkt nicht auf demselben Markt bewegen. Dies gilt dann, wenn F&E-Vereinbarungen dazu führen, dass die Unternehmen hinsichtlich der bestehenden Produkte Absprachen treffen. Für eine solche Beeinträchtigung bedarf es allerdings einer Macht der Unternehmen sowohl auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung als auch auf dem Markt für die schon bestehenden Produkte.56 Hinsichtlich der Innovationsmärkte ist entscheidend, ob nach der entsprechenden Abrede glaubhaft konkurrierende F&EPole verbleiben, die sich mit der Forschung und Entwicklung der neuen Technologie oder des neuen Produkts beschäftigen.57 Sind in dem Wirtschaftszweig solche Pole schon nicht auszumachen, da dieser typischerweise nicht so übersichtlich angelegt ist, erfolgt eine Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Produkt- und Technologiemärkte.58 Von Art. 81 Abs. 1 EG nicht erfasst werden die F&E-Vereinbarungen, welche 1028 sich in sehr frühem Stadium befinden, wenn eine Verwertung der Ergebnisse nicht absehbar ist. Ferner beeinträchtigen solche F&E-Absprachen den Wettbewerb regelmäßig nicht, welche nur die Forschung und Entwicklung zum Gegenstand haben, ohne den Absatz der Produkte, die Nutzung und Verwertung der Ergebnisse durch Lizenzen oder die Produktion zu regeln.59 Hier ist nur eine Wettbewerbsbeschränkung auf den Innovationsmärkten denkbar, es handelt sich hier um sog. reine F&E-Vereinbarungen.60 War früher die Freiheit, selbst zu forschen und zu entwickeln, für sich ein in 1029 den Kommissionsentscheidungen relevantes Faktum und eine darauf bezogene Abrede grundsätzlich bedenklich, stellen die Leitlinien nunmehr auf eine Beeinträchtigung der Produkt- und Technologiemärkte ab.61 Aber auch früher fiel der Verzicht auf eigene F&E-Arbeit nur unter den Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung, wenn die Unternehmen für sich die Forschung und Entwicklung hät55
56
57
58
59 60
61
Vgl. zum Ganzen Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 43). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 44 f.). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 51). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 52). Vgl. auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 524. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 58). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 525.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
379
ten selbstständig leisten können und so Konkurrenten waren62. Eine Veränderung der Kommissionspraxis liegt ferner bezüglich Vereinbarungen vor, die über die Forschung und Entwicklung hinaus die Produktion,63 den Vertrieb64 oder den Austausch von Kenntnissen im Sinne eines „Spillover“65 betreffen. Dies reicht nunmehr nicht mehr notwendig aus. Nach den Leitlinien muss eine Zusammenarbeit, die auch die Vermarktung betrifft, noch nicht zwingend eine Wettbewerbsbeschränkung bilden.66 Abzustellen soll insoweit auf eine erhebliche Marktmacht der beteiligten Unternehmen sein.67 Diese wird nicht näher präzisiert, sondern es wird auf die 25-%-Grenze der Gruppenfreistellungsverordnung verwiesen.68 Hier erfolgt also im Grunde keine Unterscheidung zwischen Freistellung, Wettbewerbsbeschränkung und Spürbarkeit.69 Zudem bildet die Marktmacht das dem Missbrauchsverbot eigene Kriterium, während es im Rahmen des Kartellverbots auf bestimmte wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen ankommt.70 III.
Spürbarkeit
Nach der Konzeption der Kommission beantwortet sich die Frage der Spürbarkeit 1030 im Grunde mangels Unterscheidung schon aus der Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung.71 Nach der derzeit aktuellen „de-minimis-Bekanntmachung“ der Kommission72 gelten Marktanteilsschwellen von 10 % bei konkurrierenden Unternehmen und 15 % bei nicht konkurrierenden Unternehmen.73 62
63 64 65 66 67
68
69 70 71 72 73
KOME 2000/182/EG, ABl. 2000 L 58, S. 16 (Rn. 70) – GEAE/P&W: Hier sollen wirtschaftliche Vorteile einer gemeinsamen Entwicklung nicht ausreichen, wenn die Unternehmen je für sich in der Lage verblieben, die Entwicklung selbst durchzuführen (Rn. 75). Nunmehr Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 56). KOME 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 29 ff.) – Fujitsu AMD Semiconductor. KOME 94/770/EWG, ABl. 1994 L 309, S. 1 (Rn. 56 ff.) – Pasteur Mérieux/Merck; KOME 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 22) – Asahi/Saint Gobain. KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 21) – Ford/Volkswagen. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 11. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 61). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 62). Hierzu und zum Ganzen Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 527 ff. S.o. Rn. 592 ff. Vgl. krit. vorstehend Rn. 1029. ABl. 2001 C 368, S. 13. S.o. Rn. 502 ff. Vgl. Teil II der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13.
380
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
IV.
Gruppenfreistellung
1031 Die Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit erfassen Vereinbarungen nur, falls diese nicht schon gruppenweise freigestellt werden. Hier gilt die neue Gruppenfreistellungsverordnung über Vereinbarungen zur Forschung und Entwicklung.74 Diese neue Gruppenfreistellungsverordnung stellt nun nicht mehr einzelne aufgeführte Klauseln im Sinne einer „white list“ frei, sondern legt Freistellungsvoraussetzungen für jede Art von F&E-Abrede fest.75 Eine Freistellung kann hier erfolgen, wenn alle Parteien der Vereinbarung unbeschränkten Zugang zu den Ergebnissen der F&E-Tätigkeiten haben. Hochschulen können jedoch eine Beschränkung auf die Verwendung zu Forschungszwecken vereinbaren (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2659/2000). Beschränkt sich die Zusammenarbeit auf eine gemeinsame Forschung und Ent1032 wicklung, so muss jeder Partei der Abrede grundsätzlich das Recht zur Verwertung der Ergebnisse zustehen, Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000. Eine gemeinsame Verwertung ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2659/2000 möglich. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung eröffnet eine Freistellung für den in Abs. 1 bestimmten Zeitraum bei konkurrierenden Unternehmen nur, wenn der Anteil dieser Unternehmen an den relevanten Märkten 25 % nicht übersteigt. Nach Abs. 3 VO (EG) Nr. 2659/2000 gilt eine Freistellung ferner nur so lange, wie diese 25 % nicht überschritten werden. Es reicht also nicht aus, dass die zusammen arbeitenden Unternehmen zum Zeitpunkt der F&E-Vereinbarung unter der 25-%-Grenze verbleiben. Art. 5 der Gruppenfreistellungsverordnung sieht ferner bestimmte nicht freistellungsfähige Abreden vor. So darf sich gem. Abs. 1 lit. a) keine Beschränkung der beteiligten Unternehmen ergeben, selbst eigenständige oder in anderen Kooperationen Forschung und Entwicklung anzustrengen. Die lit. c)-j) untersagen ferner eine Freistellung solcher Vereinbarungen, die Kartellabsprachen im klassischen Sinne bezwecken, etwa Preisabsprachen bezüglich der Veräußerung an Dritte, lit. d), oder Gebietsklauseln, lit. g). V.
Einzelfreistellung
1033 Einer Einzelfreistellung bedarf es insbesondere, wenn die Grenzen der Gruppenfreistellungsverordnung überschritten werden, entweder hinsichtlich der 25-%Schwelle76 oder wegen der übrigen Kriterien. Freigestellt wurden so Vereinbarungen, welche Produkte oder Technologien betrafen, die nicht Teil der gemeinsamen Forschung und Entwicklung waren,77 sowie nicht den Rahmen der Gruppenfrei-
74 75 76
77
VO (EG) Nr. 2659/2000, ABl. 2000 L 304, S. 7. Näher o. Rn. 833 ff. So auch Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 14. Vgl. KOME 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 (Rn. 23 f.) – KSB/Goulds/Lowara/ ITT zur VO (EWG) Nr. 418/85 der Kommission vom 19.12.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. 1985 L 153, S. 5. Vgl. KOME 85/560/EWG, ABl. 1985 L 369, S. 6 (Rn. 15 lit. b)) – BP/Kellogg.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
381
stellungsverordnung wahrende Vertriebsregelungen.78 Gleichwohl kennzeichnen die Voraussetzungen und grundsätzliche Wertungen der Gruppenfreistellungsverordnung weitgehend auch den Rahmen einer möglichen Einzelfreistellung.79 Freistellungen, die an der 25-%-Grenze der Verordnung scheitern, müssen nach der Kommission aber noch nicht wettbewerbsbeschränkend wirken80 und sind so auch nicht zwingend freistellungsbedürftig.81 Es ist eine grundsätzliche Bereitschaft der Kommission zu erkennen, Vereinba- 1034 rungen, die nicht gruppenweise freigestellt werden können, im Wege einer Einzelfreistellung vom Kartellverbot auszunehmen, falls die entstehenden Wettbewerbsbeschränkungen von den wirtschaftlichen Vorteilen aufgewogen werden.82 Ein geförderter technischer Fortschritt, sowie eine Verbesserung der Warenerzeugung liegen in der Regel gerade bei F&E-Vereinbarungen vor. Innovationen werden effizienter erreicht83 und der Vorteil über einen entsprechenden Einfluss auf den Endpreis auch an den Verbraucher weitergegeben.84 Im Rahmen der Unerlässlichkeit ist vor allem die Frage der Freistellungsdauer 1035 bedeutsam. Diese wird sich grundsätzlich in der Siebenjahresfrist für Verwertungen nach Art. 4 Abs. 1 der Gruppenfreistellungsverordnung85 erschöpfen,86 betrug aber auch schon zehn Jahre,87 also deutlich länger.88 Angesichts hoher Investitionen wird die Unerlässlichkeit regelmäßig begründbar sein.89 Es darf ferner keine Ausschaltung des Wettbewerbs erfolgen. Hier darf insbesondere keine Zusammenlegung von ausschließlich bestehenden Forschungspolen erfolgen.90 Dies würde eine Beeinträchtigung des Innovationsmarktes in nicht hinnehmbarem Maße
78 79 80
81 82
83
84 85 86 87 88 89 90
Vgl. KOME 90/46/EWG, ABl. 1990 L 32, S. 19 (Rn. 17) – ALCATEL/ESPACE/ ANT. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 12. Allgemein o. Rn. 758. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 63). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 545. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 12; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 546; vgl. auch KOME 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 30) – Asahi/Saint Gobain; s. allerdings o. Rn. 882, 889 a.E. KOME 90/46/EWG, ABl. 1990 L 32, S. 19 (Rn. 18) – ALCATEL/ESPACE/ANT; auch 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 28) – Asahi/Saint Gobain, allerdings im Rahmen der Unerlässlichkeit. KOME 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 26) – Asahi/Saint Gobain. S.o. Rn. 835. Früher fünf Jahre KOME 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 (Rn. 31) – Asahi/Saint Gobain. KOME 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 46) – Fujitsu AMD Semiconductor. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 548. Wie hier und zum Ganzen Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 547 ff. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 32 (Rn. 71); vgl. auch o. zu den Forschungspolen, Rn. 1027.
382
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
darstellen. Eine Zusammenarbeit auch zwischen bedeutenden Partnern ist jedoch zulässig,91 wenn ein Innovationsmarkt bestehen bleibt.92 Hinsichtlich der Nebenabreden sind solche denkbar, die unerlässlich für die 1036 Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens sind.93 Diese werden dann mit freigestellt. Allerdings erstreckt sich der Gedanke der „Mitfreistellung“ auch auf Nebenabreden zu Vereinbarungen, die für sich betrachtet nicht unter Art. 81 EG fallen und somit gar nicht freistellungsbedürftig sind.94
C.
Produktions- und Spezialisierungsvereinbarungen
I.
Allgemeines
1037 Eine weitere besonders legitimierungsfähige Gruppe von Koordinierungen bilden die Produktions- und Spezialisierungsvereinbarungen. Die Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit unterscheiden zwischen drei verschiedenen Formen von Produktionsvereinbarungen. Das sind einmal die Produktionsvereinbarungen im begrifflichen Sinne, innerhalb derer Unternehmen ein Produkt gemeinsam fertigen.95 Die Leitlinien finden insoweit aber nur Anwendung, als nicht die Fusionskontrollverordnung gilt, die auch wirtschaftlich eigenständige Gemeinschaftsunternehmen erfasst. Nahe verwandt sind Spezialisierungsvereinbarungen, welche in der Sache einen Herstellungsverzicht eines Unternehmens bedeuten bei gleichzeitiger Bezugsverpflichtung des Produkts von einem anderen Hersteller. Ein solcher Verzicht kann einseitig oder gegenseitig erfolgen. Hat eine Abrede zwischen Unternehmen keinen Rationalisierungseffekt, betrifft sie also lediglich die Menge, nicht
91 92 93 94
95
KOME 88/555/EWG, ABl. 1988 L 305, S. 33 (Rn. 23) – Continental/Michelin. So auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 549. Zu daraus erwachsenden Fusionen bei wirtschaftlich eigenständigen Unternehmen und der damit verbundenen Vereinbarerklärung auch von Nebenabreden u. Rn. 1723 ff. KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 (Rn. 28 ff.) – Elopak; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 550 auch zu einzelnen möglichen Abreden. Vgl. hierzu auch KOME 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 33 ff.) – Fujitsu AMD Semiconductor; 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 (Rn. 28 ff.) – Elopak. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 24 sieht die Produktion durch ein Gemeinschaftsunternehmen als Fall der Spezialisierung an. Aus Rn. 78 der Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 ergibt sich eher eine Zugehörigkeit zu den Produktionsvereinbarungen; diese behandeln sie aber ohnehin mit Spezialisierungsvereinbarungen in einem Punkt. Ein Unterschied ergibt sich also nicht. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen III.3.2 Rn. 23 kommentiert umgekehrt nur die Spezialisierungsvereinbarungen. Dies überzeugt insoweit, als eine Verlagerung der Produktion eines Produktes auf ein Gemeinschaftsunternehmen eine Spezialisierung dergestalt darstellt, dass für ein Produkt ein Herstellungsverzicht einhergeht. Andererseits gilt dies ggf. für alle an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligten Unternehmen. Es handelt sich lediglich um Begrifflichkeiten.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
383
die Art des Produkts, liegt keine Spezialisierung vor.96 Quotenkartelle unterfallen dem Spezialisierungsbegriff ebenfalls nicht.97 Schließlich werden noch Zuliefervereinbarungen unterschieden, welche die Fertigung eines Produktes seitens eines Zulieferers vorsehen. Grundsätzlich handelt es sich bei Zulieferabreden eher um vertikale Vereinba- 1038 rungen, die nach den entsprechenden Leitlinien für vertikale Beschränkungen zu behandeln sind. Lediglich zwei Fälle horizontaler Art bestehen: zum einen die Zuliefervereinbarung zwischen Wettbewerbern, die unter die Leitlinien für horizontale Vereinbarungen fällt, bei Verzicht eines Unternehmens auf die Herstellung jedoch eine einseitige Spezialisierungsabrede darstellt, zum anderen die Abrede zwischen Nichtwettbewerbern mit der Überlassung von Know-how an den Zulieferer.98 Für diese gilt die Bekanntmachung über die Beurteilung von Zulieferverträgen99. II.
Wettbewerbsbeschränkung
Eine gemeinsame Produktion fiel in der Beurteilung der Kommission wettbewerbs- 1039 beschränkend aus, wenn sich eine Stellung der beteiligten Unternehmen als Wettbewerber ergab oder eine solche zumindest möglich war.100 Bezog sich die Vereinbarung nicht auf das Endprodukt, sondern auf vorgelagerte Produktionsstufen, so war die Abrede kartellrechtlich weniger bedenklich.101 Nach den Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit werden jedoch auch wei- 1040 terhin Abreden zwischen tatsächlichen oder potenziellen Nichtwettbewerbern von Art. 81 EG nicht erfasst, wenn keine Abschottungssituationen gegenüber Dritten entstehen. Ferner gilt dies auch für Zuliefer- oder Spezialisierungsabreden, die vorsehen, ein bis dato nur für den Eigenverbrauch hergestelltes Gut von einem anderen Unternehmen zu beziehen, wenn insoweit dieses Unternehmen nicht mit dem jetzt zukaufenden Unternehmen hinsichtlich des Absatzes des Gutes an Dritte in einer Wettbewerbssituation stand oder hätte stehen können.102
96 97 98
99
100
101 102
Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 25. KOME 80/1334/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 19 (24 f.) – Gußglas in Italien; vgl. auch Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 25. Vgl. Unterscheidung in Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 79 ff.). Bekanntmachung der Kommission über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 1979 C 1, S. 2. KOME 2000/182/EG, ABl. 2000 L 58, S. 16 (Rn. 70 ff.) – GEAE/P&W; 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 59) – Fujitsu AMD Semiconductor; m.w.N Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 557. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 558. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 86 mit 83 u. 85).
384
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
Eine Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern fällt dann nicht unter Art. 81 EG, wenn sie den Wettbewerb erst schafft, etwa weil sie den einzigen wirtschaftlich möglichen Weg darstellt, als Teilnehmer an einem neuen Markt aufzutreten, ein neues Produkt oder eine Dienstleistung einzuführen. Solche Arbeitsgemeinschafen verstoßen nicht gegen das Kartellverbot.103 Ist der Einfluss der Vereinbarung auf die Gesamtproduktionskosten sehr gering oder wird eine Zulieferabrede auf Einzelkäufe und -verkäufe im Einzelhandel beschränkt und beinhaltet keine weiteren Beschränkungen etwa vertikaler Art im Sinne einer Wiederverkaufsbeschränkung, liegt ebenfalls keine Wettbewerbsbeeinträchtigung vor.104 Die Leitlinien sehen auch Vereinbarungen vor, welche regelmäßig eine Wett1042 bewerbsbeeinträchtigung darstellen. Hierunter fallen etwa Abreden über die Festsetzung von Preisen, die Aufteilung von Märkten, Kundengruppen oder zur Produktionsbeschränkung. Wiederum gelten für solche Abreden gewisse Ausnahmen vom wettbewerbsbeeinträchtigenden Charakter für Gemeinschaftsunternehmen.105 Für alle anderen nicht eindeutigen Vereinbarungen ist nach den Leitlinien für horizontale Beschränkungen nun auch hier entscheidend auf die Marktmacht und die Konzentration des Marktes nach dem Herfindahl-Hirschman-Index106 abzustellen.107 Je nach Konzentrationswert liegt eine Wettbewerbsbeschränkung bei mehr als 20 % Marktanteil vor. 1041
III.
Spürbarkeit
1043 Hinsichtlich der Spürbarkeit ist diese jedenfalls gegeben, wenn die 5-%-Grenze der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen mit geringer Wirkung überschritten ist. Hierbei kommt dieser Grenze jedoch nur ein Minimalwertcharakter zu, da auch bei höherer Marktmacht keine Wettbewerbsbeschränkung vorliegen muss. Handelt es sich um kleine und mittlere Unternehmen, wird einer Wettbewerbsbeschränkung nur noch eingeschränkt nachgegangen.108
103
104
105
106 107
108
KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 (33) – ECR 900; 88/568/EWG, ABl. 1988 L 311, S. 36 (Rn. 17) – Eurotunnel; vgl. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 563; Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 28 u. 63; s. näher u. Rn. 1084. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 87 ff.). Vgl. hierzu Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 90); s. auch Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 29. S.u. Rn. 1810 f. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 91, 96, 29); auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 561 „neuer Ansatz der Kommission“, 566. Hierzu und zum Ganzen eingehender Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 568.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
IV.
Freistellung
1.
Gruppenfreistellung
385
Einer Einzelfreistellung für Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkend wir- 1044 ken, bedarf es nur, wenn nicht schon die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen109 eingreift. Diese Gruppenfreistellungsverordnung erfasst gem. ihrem Art. 1 sowohl die einseitige als auch die gegenseitige Spezialisierung sowie die gemeinsame Produktion. Bei einseitiger Spezialisierung müssen Unternehmen gem. Art. 1 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 2658/2000 insoweit Wettbewerber sein. Für nicht im Wettbewerb stehende Unternehmen findet daher die VO (EG) Nr. 2790/1999110 Anwendung und ist insoweit großzügiger.111 Die Freistellung erstreckt sich nach Art. 3 lit. a) und b) der VO (EG) Nr. 2658/2000 auf Alleinbezugsverpflichtungen, Alleinbelieferungsverpflichtungen und im Rahmen der gemeinsamen Produktion auf den gemeinsamen Vertrieb sowie ferner auch auf solche Abreden, die für die Spezialisierungsabreden im eigentlichen Sinne notwendig und mit der Durchführung unmittelbar verbunden sind, etwa Regelungen über die Nutzung geistigen Eigentums i.S.v. Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2658/2000. Auch erfasst ist eine Vereinbarung, die einen Dritten als Vertriebshändler benennt, wenn dieser kein Konkurrent ist. Der Marktanteil der Unternehmen, welche die Vereinbarung treffen, darf gem. 1045 Art. 4 VO (EG) Nr. 2658/2000 in der Summe 20 % am relevanten Markt nicht übersteigen. Andernfalls findet die Verordnung keine Anwendung, eine Freistellung kann nicht gruppenweise erfolgen. Art. 5 lit. a)-c) VO (EG) Nr. 2658/2000 nennen nicht freistellungsfähige Vereinbarungen im Sinne einer Ausschlussliste. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2658/2000 sieht hiervon wiederum Ausnahmen für Gemeinschaftsunternehmen vor.112 Art. 6 Abs. 2-4 VO (EG) Nr. 2658/2000 ordnet nach erfolgter Freistellung und anschließender Überschreitung der 20-%-Grenze hinsichtlich des Marktanteils ferner eine Übergangsregelung für die Dauer der Freistellung an. Gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) und b) VO (EG) Nr. 2658/2000 errechnet sich der Marktanteil grundsätzlich nach dem Absatzwert an Hand der Angaben des Vorjahres. Übersteigt dieser Marktanteil hierbei 25 % nicht, gilt die Freistellung weitere zwei Jahre, steigt er über diese 25 %, so lediglich ein Jahr. Das gilt jeweils im Anschluss an das Jahr, in dem die Schwelle von 20 % erstmals überschritten wurde. Art. 7 VO (EG) Nr. 2658/2000 der Verordnung gibt der Kommission ferner das Recht, eine Freistellung insbesondere, wenn Rationalisierungserfolge durch die Spezialisierung nicht eintreten (lit. a)), wieder zu entziehen.
109
110
111 112
VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. 2000 L 304, S. 3. Der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1999 L 336, S. 21. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 572. S. im Übrigen o. Rn. 783 ff. Näher o. Rn. 831 a.E.
386
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
2.
Einzelfreistellung
1046 Wird die Grenze des Marktanteils von 20 % überschritten, ist eine gruppenweise Freistellung nicht mehr möglich und somit die Einzelfreistellung relevant. Die Kommission hat in zahlreichen Entscheidungen die positiven Wirkungen von Spezialisierungs- und Produktionsvereinbarungen herausgestellt, die diese freistellungsfähig machen. So kann die typischerweise mit den Vereinbarungen einhergehende Rationalisierung über Kostensenkungen zur Verbesserung der Warenerzeugung führen.113 Ferner können Forschung und Entwicklung ermöglicht114 oder Kostensenkungen durch Serienproduktion115 erreicht werden. Insbesondere können aber auch neue, verbesserte Produkte durch gemeinsame Produktion entstehen und so der technische Fortschritt gefördert werden.116 Entsprechend dieser Rationalisierung werden die Verbraucher in angemessener Weise beteiligt, wenn der Kostenvorteil weitergegeben wird,117 wovon im Wettbewerb aufgrund des Wettbewerbsdrucks auszugehen sein soll;118 dafür sind allerdings nähere Anhaltspunkte zu fordern.119 Die Anforderungen an die Unerlässlichkeit der Vereinbarung seitens der Kom1047 mission sind recht hoch.120 Lassen sich Produkte schneller verbessern121 oder vermarkten122 oder Kostenbelastungen durch kapitalintensive Investitionen verringern,123 und sei es auch über Gemeinschaftsunternehmen,124 so liegt die Unerlässlichkeit vor.125 Ein absoluter Gebietsschutz, der die Gefahr einer Marktaufteilung birgt, ist dagegen nicht unerlässlich.126 Insbesondere im Hinblick auf langfristige Liefervereinbarungen, die im Verhältnis zu einem Zulieferer binden würden, kann die Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens vorzuziehen und daher unerlässlich sein.127 Zu prüfen ist ferner, ob eine Einbeziehung des Vertriebs unabdingbar 113 114 115 116
117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127
KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 25) – Ford/Volkswagen; 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 25) – Philips/Osram. KOME 78/194/EWG, ABl. 1978 L 61, S. 17 (Rn. 6 a)) – JAZ/Peter II. KOME 72/88/EWG, ABl. 1972 L 31, S. 29 (Rn. 29) – MAN/SAVIEM. KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 26) – Ford/Volkswagen; 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 41) – Fujitsi AMD Semiconductor; vgl. zum Ganzen Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 583 m.w.N. KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 27) – Ford/Volkswagen; 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 27) – Philips/Osram. KOME 83/668/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 11 (Rn. 34) – VW/MAN; vgl. zum Ganzen Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 583 mit jeweils weiteren Nachw. S.o. Rn. 904. So auch Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 32. KOME 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 28) – Philips/Osram. KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 (Rn. 29) – Ford/Volkswagen; 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 (Rn. 42) – Fujitsi AMD Semiconductor. KOME 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 28) – Philips/Osram. KOME 77/543/EWG, ABl. 1977 L 215, S. 11 (15, 17 f.) – De Laval/Stork. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 585. Vgl. e contrario KOME 75/76/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 20 (24) – RANK/SOPELEM; vgl. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 32 m.w.N. KOME 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 (Rn. 28) – Philips/Osram; 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 – Rockwell/Iveco.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
387
ist.128 Wie im Rahmen der Gruppenfreistellung werden auch bei der Einzelfreistellung bestimmte Abreden mit freigestellt, sofern sie etwa für die Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens notwendig sind, selbst wenn die entsprechenden Produktionsvereinbarungen nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen.129
D.
Einkaufsvereinbarungen
I.
Allgemeines
Einkaufsvereinbarungen können vertraglich begründet sein oder durch abgestimm- 1048 tes Verhalten erfolgen, durch eine Genossenschaft oder ein gemeinsames Unternehmen abgewickelt werden, welches nur den Zweck des gemeinsamen Einkaufes verfolgt. Dann bildet dieses Unternehmen keinen Zusammenschluss i.S.d. FKVO (EG) Nr. 139/2004,130 weil nur ein Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen vorliegt.131 Ein gemeinsamer Einkauf steht kartellrechtlich in folgendem Spagat: Zum ei- 1049 nen können durch Absprachen Beeinträchtigungen auf der nachfragenden Seite auftreten, zum anderen kann sich aber auch mehr Wettbewerbsgerechtigkeit durch solche Absprachen ergeben. Dies vor allem dadurch, dass kleinere und mittlere Unternehmen durch Absprachen zu gleichen Konditionen einkaufen können wie Großunternehmen, die aufgrund der Nachfragemenge ungleich viel mehr Marktmacht auf der Nachfrageseite besitzen.132 Grundsätzlich können Einkaufsvereinbarungen horizontale und vertikale Be- 1050 stimmungen beinhalten. Nur die horizontalen Bestimmungen sind an den Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit zu messen. Ist die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden, ist ggf. eine weitere Prüfung der vertikalen Bestimmungen vorzunehmen.133 Diese Überprüfung erfolgt dann an der Gruppenfreistellungsverordnung134 und an den Leitlinien für vertikale Beschränkungen.135
128 129
130 131 132 133 134 135
Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 585 m.w.N. KOME 1999/574/EG, ABl. 1999 L 218, S. 24 (Rn. 46 f.) – Télécom Développement; eingehend m.w.N. und zu den möglichen Nebenabreden Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 587. Des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („Fusionskontrollverordnung“), ABl. 2004 L 24, S. 1. Zum Ganzen Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 506. Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 EG – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen Rn. 42. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 117). VO (EG) Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336, S. 21; s.o. Rn. 783 ff. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1.
388
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
II.
Spürbare Wettbewerbsbeschränkung
1051 Klassischerweise stellen Einkaufsvereinbarungen mit Bezugszwang eine Wettbewerbsbeschränkung dar.136 Die Kommission hat jedoch auch in Einzelfällen Vereinbarungen ohne Bezugszwang als Wettbewerbsbeschränkung angesehen, da sich ein Druck zur Solidarisierung ergebe, die Wettbewerb ausschalte.137 Eine Wettbewerbsbeschränkung kann auf zwei verschiedenen Märkten eintreten, zum einen auf dem Nachfragemarkt, auf dem sich die Vereinbarung direkt auswirkt, zum anderen auf den nachgelagerten Verkaufsmärkten. Sie ergibt sich regelmäßig erst ab einer gewissen Schwere der Beeinträchtigung dieser Märkte, die bei einer Marktmacht der Unternehmen auf der Nachfrageseite oder der Anbieterseite von 15 % und mehr angenommen wird.138 Die für die Spürbarkeit maßgebliche „de-minimisBekanntmachung“139 mit ihren 10- und 15-%-Schwellen140 geht darüber nicht hinaus und ist daher insoweit kaum von praktischer Bedeutung.141 Nach dem EuGH können Vereinbarungen über den gemeinsamen Einkauf je1052 doch auch eine positive Wirkung auf den Wettbewerb haben. Dann sind sie vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG insoweit ausgenommen, als sie lediglich die Zusammenarbeit erhalten, hierfür erforderlich sind und die Zusammenarbeit wiederum die Nachfragemacht aufrechterhält.142 Bedenklich erscheint die Marktmacht auf den Verkaufsmärkten, wenn die Kostenvorteile durch günstigeren Einkauf nicht an die nachgelagerten Kunden weitergegeben werden.143 Negative Folge von Nachfragemacht auf den Einkaufsmärkten kann sein, dass Wettbewerbern der Zugang zu den Anbietern erschwert wird. Ferner besteht die Gefahr, dass diesen Wettbewerbern als Ausgleich für die 1053 günstigen Konditionen, die der Einkaufsgemeinschaft eingeräumt werden, spiegelbildlich ein Preis über Wettbewerbsniveau diktiert wird. Dies ist jedoch nur bei 136 137
138
139 140
141 142 143
KOME 91/329/EWG, ABl. 1991 L 178, S. 31 (Rn. 29) – Scottish Nuclear. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 507 unter Verweis auf die beiden folgenden Kommissionsentscheidungen. Zum einen KOME 2000/400/EG, ABl. 2000 L 151, S. 18 (Rn. 52 f.) – Eurovision, für nichtig erklärt durch EuG, Rs. T-185 u.a./00, Slg. 2002, II-3805 (3819, Rn. 31 ff.) – M6“, aber im Hinblick auf eine Freistellung. Zum anderen auch schon KOME 93/403/EWG, ABl. 1993 L 179, S. 23 (Rn. 49) – EBU/Eurovisions-System, für nichtig erklärt durch EuG, Rs. T-528 u.a./93, Slg. 1996, II-649 – Métropole télévision. Auch diese Freistellungsentscheidung wurde vom Gericht aufgehoben, da die Kommission Art. 81 Abs. 3 fehlerhaft ausgelegt hat, S. 685, Rn. 102 der Entscheidung. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 130 f.). ABl. 2001 C 368, S. 13. Vgl. Teil II der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 515. EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 (5687 f., Rn. 32 ff.) – DLG; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 EG – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen Rn. 44. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 509; s.o. Rn. 906 ff.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
389
entsprechender Marktmacht der Anbieter auf den Einkaufsmärkten denkbar. Beides kann zu Wettbewerbsverzerrungen auf den Verkaufsmärkten führen.144 Weiter kann eine Vereinbarung auf den Einkaufsmärkten auch zu konzertiertem Verhalten auf den Verkaufsmärkten verleiten.145 Das Kriterium des Bezugszwanges ist also der Betrachtung der Marktmacht auf den Märkten ein Stück weit gewichen.146 Im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG entscheidend ist das tatsächliche oder gewollte Auftreten wettbewerbsschädlicher Wirkungen im Gefolge bestimmter Verhaltensweisen; die Marktmacht ist dafür höchstens Indiz oder Begleitumstand, indes im Gegensatz zu Art. 82 EG insoweit nicht Voraussetzung und als Korrektiv bereits hinreichend über die Spürbarkeit sowie die notwendige Erhaltung des Wettbewerbs abgedeckt. III.
Freistellung
Damit Einkaufsvereinbarungen über Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot einzeln 1054 freigestellt werden, muss ein wirtschaftlicher Nutzen etwa durch die Möglichkeit günstigerer Warenerzeugung entstehen, der etwaige Wettbewerbsbeschränkungen überwiegt. Dieser muss zumal bei entsprechender Nachfragemacht der Einkaufsgemeinschaft auf dem Verkaufs- und Einkaufsmarkt einen Kundenvorteil erbringen. So reichen reine Kostenvorteile für die Unternehmen nicht für eine Freistellung aus. Ferner bedarf es der Unerlässlichkeit der Vereinbarung. Dies kann bei Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit Bezugszwang der Fall sein, welche die Unternehmen verpflichten, nur über die Einkaufsgemeinschaft einzukaufen, um dieser das nötige Gewicht zu verleihen.147 Gescheitert ist eine Freistellung gleichwohl im Rahmen von Verfahren mit gänzlicher Bezugsverpflichtung.148 Auch eine Verbrauchs- und Wiederverkaufsbeschränkung149 und eine Einschränkung der Preisund Absatzpolitik sind regelmäßig nicht unerlässlich.150 Ferner darf keine Aus144
145
146 147
148
149 150
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 127 ff.). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 509; Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 128). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 510. Hierzu auch Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 EG – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen Rn. 45 unter Hinweis auf die Entscheidung der Kommission, KOME 80/917/EWG, ABl. 1980 L 260, S. 24 (Rn. 51) – National Sulphuric Acid Association. KOME 80/917/EWG, ABl. 1980 L 260, S. 24 (Rn. 51) – National Sulphuric Acid Association; 91/50/EWG, ABl. 1991 L 28, S. 32 (Rn. 53) – IJsselcentrale; vgl. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 520. KOME 80/917/EWG, ABl. 1980 L 260, S. 24 (Rn. 54) – National Sulphuric Acid Association. Haag, in: von der Groeben/Schwarze, nach Art. 81 EG – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen Rn. 45; s. aber KOME 75/482/EWG, ABl. 1975 L 212, S. 23 (24) – INTERGROUP: keine Spürbarkeit.
390
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
schaltung des Wettbewerbs erfolgen. Eine beherrschende Stellung der Einkaufsgemeinschaft schaltet den Wettbewerbsspielraum der Anbieter auf den Einkaufsmärkten aus151; sie wird durch einen entsprechend hohen Marktanteil angezeigt152 und durch eine gleichgewichtige Gegenmacht der Anbieter gehindert.
E.
Gemeinsame Vermarktung
I.
Allgemeines
1055 Nach den Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit sind unter Vermarktungsvereinbarungen alle Formen der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern beim Verkauf, dem Vertrieb oder der Produktförderung zu verstehen. Dies kann vom gemeinsamen Verkauf unter Festlegung eines Preises, über den gemeinsamen Vertrieb, die gemeinsame Wartung bis zur Werbung reichen.153 Bezüglich Dienstleistungen sind Kooperationsvereinbarungen von Mobilfunkunternehmen über eine gemeinsame Netznutzung („Roaming“) ähnlich einzuschätzen. Hinsichtlich des gemeinsamen Vertriebes ist zu unterscheiden. Grundsätzlich 1056 sind hier die Leitlinien für vertikale Beschränkungen154 sowie die entsprechende Gruppenfreistellungsverordnung155 einschlägig. Dies gilt jedoch nicht, wenn die beteiligten Parteien gegenwärtige oder zukünftige Wettbewerber sind. Hier werden dann nur die nicht gegenseitigen vertikalen Vereinbarungen, die in Art. 2 Abs. 4 lit. a)-c) VO (EG) Nr. 2790/1999 aufgeführt sind, von der Gruppenfreistellung erfasst. Gegenseitige Vertriebsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern und nicht gegenseitige zwischen Wettbewerbern hinreichender Größe bergen die Gefahr von Marktaufteilungen oder Absprachen. Diese Gefahren sind an Hand der Leitlinien der Kommission über horizontale Zusammenarbeit156 zu überprüfen.
151
152 153
154 155 156
Zum Ganzen Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 132 ff.). S.o. Rn. 973. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 139). Vgl. auch zur gemeinsamen Vermarktung von Sportübertragungsrechten den Fall „UEFA Champions League“, Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, S. 36 (Kasten 2) u. 217. Zu dieser speziellen Problematik vgl. die Freistellungsentscheidungen der Kommission in den Fällen „T-Mobile Deutschland/ O2Germany: Rahmenvertrag über gemeinsame Netznutzung“, KOME 2004/207/EG, ABl. 2004 L 75, S. 32 und T-Mobile Deutschland/O2 Germany, KOME 2003/570/EG, ABl. 2003 L 200, S. 59, beide in Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, S. 215 f. zusammengefasst. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1. VO (EG) Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336, S. 21. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
391
Ungeachtet dessen kann aber eine Überprüfung der vertikalen Bestimmungen nach obigen Grundsätzen nötig sein.157 II.
Wettbewerbsbeschränkung
Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern können den Wettbewerb nicht tan- 1057 gieren. Erforderlich ist allerdings, dass die Unternehmen auch nicht im Verkauf oder Vertrieb konkurrieren.158 Besteht solchermaßen bezüglich der von der Vereinbarung erfassten Produkte oder Dienstleistungen kein Wettbewerb159 oder ist die Vereinbarung erforderlich, damit eine Partei überhaupt am Marktgeschehen teilnehmen kann, liegt keine Wettbewerbsbeschränkung vor. Beispielhaft nennt die Kommission Konsortialvereinbarungen, die es Partnern erlauben, an einer Ausschreibung teilzunehmen, an der sie jeweils einzeln nicht hätten teilnehmen können.160 Insofern gilt der Gedanke einer Arbeitsgemeinschaft auch hier, wenn eine Marktteilnahme einer Partei ohne die Zusammenarbeit nicht möglich ist.161 Wettbewerb wird dadurch gerade gefördert.162 Umgekehrt sind Vereinbarungen, die nur den gemeinsamen Verkauf zum Ge- 1058 genstand haben, stets wettbewerbsbeschränkend, da sie einen Einfluss auf die Preisbestimmung des Produkts bezwecken oder bewirken und die Produktmenge im Sinne des Angebots beeinflussen.163 Dies gilt auch, sofern die jeweilige Vereinbarung bezüglich des gemeinsamen Verkaufs nicht exklusiv ist, das heißt eine Möglichkeit zum selbstständigen Verkauf eröffnet, wenn die Gefahr einer Preiskoordination besteht.164 Eine Andienungspflicht ist also für das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung zwar nicht notwendig konstitutiv,165 wirkt sich jedoch bei Vorliegen wettbewerbsbeschränkend aus.166 Welche rechtliche Form die Ver-
157
158 159 160
161
162 163 164
165 166
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 140, zum Ganzen 139 f.). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 603 unter Verweis auf KOME 87/100/EWG, ABl. 1987 L 41, S. 31 (Rn. 20) – Mitchell Cotts/Sofiltra. Vgl. auch KOME 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 19) – ANSAC. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 143). Nicht nur für einzelne Ausschreibungen, sondern für ganze Märkte, so Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 605, unter Verweis auf KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 (34) – ECR 900 und m.w.N; ebenfalls Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 47. Allgemein u. Rn. 1084. Vgl. KOME 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 19) – ANSAC. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 144 f.). Haag, in Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 49. KOME 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 19) – ANSAC; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 609 m.w.N.
392
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
einbarung der Unternehmen hat, spielt ebenfalls keine Rolle für die Beurteilung der Frage, ob eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt oder nicht.167 Nicht eindeutige Vereinbarungen, welche den Verkauf nicht enthalten, bergen 1059 nach den Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit vor allem die Gefahr, dass durch eine gemeinsam organisierte Vermarktung die Kosten insoweit gleich sind und so auch ein erheblicher Teil der Endkosten des Produkts übereinstimmt, sich also entsprechend der verbleibende Spielraum für eine Preispolitik minimiert. Ferner können Marktaufteilungen und der Austausch von Geschäftsgeheimnissen die Folge sein.168 Eine gemeinsame Werbung stellt nur dann eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs dar, wenn sie den Parteien eine Werbung individueller Art untersagt.169 Verstärkt die gemeinsame Werbung Beschränkungen anderer Art wie Einschränkungen bei Preisen oder eine Zuteilung von Warenmengen zum Verkauf, wodurch eine Unterscheidbarkeit der einzelnen Produkte erst recht verschwindet, so liegt umso mehr eine Wettbewerbsbeschränkung vor.170 Wird in gemeinsamer Werbung ein inländisches Produkt beworben und von einem ausländischen abgeraten, stellt dies eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung dar, wenn auf die Erzeugereigenschaft und nicht nur auf besondere Eigenschaften abgestellt wird, die auch nur inländischen Produkten zu eigen sein können.171 Ein ganz eigener Bereich, die Unternehmenspräsentation und Werbung auf 1060 Messen, steht gleichsam im Spagat der Möglichkeit der Unternehmen, an möglichst vielen Messen teilzunehmen und der notwendigen Bedingung der Messeveranstalter, eine gewisse Begrenzung und Beschränkung der Teilnahme zu erzwingen, um der eigenen Messe eine gewisse Relevanz zu erhalten.172 III.
Spürbarkeit und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
1061 Erstrecken sich Maßnahmen der Vermarktung nicht auf die Bestimmung eines Preises, gilt nach den Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit eine Schwelle 167
168
169 170 171 172
Haag, in Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 48; beispielhaft für ein Gemeinschaftsunternehmen, KOME 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 (Rn. 21 f.) – Fiat/Hitachi; für die vergleichbare Wirkung der Nutzung eines der bei der Herstellung beteiligten Unternehmen für den Verkauf KOME 83/668/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 11 (Rn. 20) – VW/MAN; mit weiteren Beispielen und jeweils weiteren Nachw. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 611. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 146 f.). KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 (8) – Papiers peints de Belgique; Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 52. KOME 86/399/EWG, ABl. 1986 L 232, S. 15 (Rn. 73) – Dach- und Dichtungsbahnen; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 52. KOME 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 (Rn. 38 f.) – Milchförderungsfonds; vgl. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 52. Vgl. hierzu eingehend mit Nachw. und Voraussetzungen einer Freistellung solcher Begrenzungen Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 54.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
393
von 15 %, unter der keine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt.173 An Hand der Formulierung ergibt sich nicht, ob nach Ansicht der Kommission die Spürbarkeit fehlt oder schlicht keine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt.174 Ansonsten gilt die „deminimis-Bekanntmachung“.175 Hiernach ist eine Vereinbarung zwischen aktuellen oder potentiellen Wettbewerbern spürbar, wenn der Marktanteil der Unternehmen in der Summe 10 % auf den jeweiligen relevanten Märkten nicht übersteigt; handelt es sich nicht um Wettbewerber, gilt eine Schwelle von 15 %. Sind kumulative Abschottungseffekte gegeben, besteht eine Schwelle von 5 %. Werden die angegebenen Schwellen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht um mehr als 2 % überschritten, schadet dies nicht.176 Enthalten die Vereinbarungen jedoch gewisse Kernbestimmungen, etwa die Festsetzung des Preises oder Beschränkungen des Kundenkreises, so gelten die Schwellenwerte nicht.177 Bei kleinen und mittleren Unternehmen wird die Kommission von Amts wegen nicht tätig,178 ferner hat die Kommission die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung bei kleineren und mittleren Unternehmen in der Entscheidung SAFCO179 abgelehnt. In der Entscheidung FLORAL180 wurde als für eine Beeinträchtigung des zwi- 1062 schenstaatlichen Handels ausreichend angesehen, dass ein Verkauf in einem anderen Mitgliedstaat stattfindet. Als ausreichend wurde aber auch ein Verkauf innerhalb eines Mitgliedstaates angesehen, wenn sich Reflexwirkungen auf die Ausfuhrtätigkeit von Unternehmen in andere Mitgliedstaaten ergeben.181 IV.
Freistellung
Eine eigenständige Gruppenfreistellungsverordnung für den gemeinsamen Ver- 1063 trieb oder horizontale Vereinbarungen besteht nicht. Vereinbarungen, welche im 173
174 175 176
177
178
179 180 181
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 149). Dies bemängelt auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 617. ABl. 2001 C 368, S. 13. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 9). Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 11). Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 4). KOME 72/23/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 44 – SAFCO. KOME 80/182/EWG, ABl. 1980 L 39, S. 51 (56 f.) – FLORAL. KOME 78/732/EWG, ABl. 1978 L 242, S. 15 (Rn. 76) – CSV; Schroeder, in: Grabitz/ Hilf, Art. 81 Rn. 619; Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 50; näher o. Rn. 652 ff.
394
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
Zusammenhang mit gemeinsamer Forschung und Entwicklung oder mit Spezialisierungskooperationen stehen, können jedoch mit diesen Vereinbarungen über die jeweiligen Gruppenfreistellungsverordnungen freigestellt werden.182 Im Rahmen einer Einzelfreistellung ist eine Festsetzung des Preises regelmäßig 1064 auch durch Leistungsgewinne nicht aufzuwiegen. Die nachzuweisenden Leistungsgewinne, die durch die Vereinbarung entstehen, dürfen ferner nicht gerade darin liegen, dass Wettbewerb entfällt, sondern müssen in der Zusammenlegung von ökonomischen Aktivitäten bestehen. Als Nachweis dient insbesondere die Tatsache, dass die beteiligten Parteien erhebliche Investitionen getätigt haben, so dass sich umgekehrt aus nur einem gemeinsamen Verkaufsbüro regelmäßig ein verschleiertes Kartell ergibt.183 Reine Absatzabreden, in denen die Vereinbarung zum gemeinsamen Vertrieb nicht im Zusammenhang mit gemeinsamer Forschung und Entwicklung oder Ähnlichem steht, werden regelmäßig nicht freigestellt.184 Soll dagegen auf einem unterentwickelten Markt für Belebung gesorgt werden, 1065 obgleich die Marktentwicklung und Kundengewinnung besonders schwierig sowie die erforderlichen Investitionen hoch und kaum amortisierbar sind, kann der gemeinsame Vertrieb der von einem Gemeinschaftsunternehmen hergestellten Produkte unerlässlich und freistellungsfähig sein.185 Ebenso kann der gemeinsame Vertrieb für den erfolgreichen Markteintritt erforderlich sein.186 Sind die Produkte der Unternehmen so verschieden, dass trotz der Zusammenarbeit Wettbewerb verbleibt,187 wird der Gewinn nicht im Wege einer Quote zwischen den Parteien verteilt und können die Unternehmen weitgehend selbstständig bezüglich ihrer Absatzkonditionen agieren, sind die Wettbewerbsbeschränkungen also eher gering, die Rationalisierungserfolge aber absehbar, ist eine positive Bewertung durch die Kommission denkbar.188 Hinsichtlich der Vermarktung von Fußballübertragungsrechten stellte die Kom1066 mission eine gemeinsame, zentrale Vermarktung der Champions League frei, die 182 183
184
185
186
187
188
S.o. Rn. 829 ff.; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 620. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 152 f.). Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 628 unter Hinweis auf KOME 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 (Rn. 25) – ANSAC; 80/182/EWG, ABl. 1980 L 39, S. 51 (57 f.) – FLORAL; und weiteren Nachw. Vgl. so zu den Besonderheiten des Vertriebs von Antriebsachsen für LKW KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 – Rockwell/Iveco; hierzu auch Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 51. KOME 94/579/EG, ABl. 1994 L 223, S. 36 (Rn. 54) – BT/MCI, hier wurde der gemeinsame Vertrieb als mit freigestellte Nebenabrede im akzessorischen Sinne abgelehnt, erfüllte aber selbstständig alle Voraussetzungen einer Freistellung, vgl. hierzu auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 633. Vgl. hierzu die Beurteilung der Kommission der Tätigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens im Fall „ATR/BAe“, KOME IV/M.551, ABl. 1995 C 264, S. 8 (Rn. 2 ff.), deutsch zusammengefasst in Kommission, XXV. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1995, S. 137 ff. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 51 unter Hinweis auf KOME 89/467/EWG, ABl. 1989 L 226, S. 25 (Rn. 44 f.) – UIP und Kommission, XXIX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1999, S. 167 ff.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
395
eine erhebliche Senkung der Transaktionskosten darstellte, bei der die Übertragungsrechte in 14 getrennten Paketen über ein Ausschreibungsverfahren für maximal drei Jahre verkauft werden mit einer verbleibenden, beschränkten Möglichkeit zur Einzelvermarktung für die Vereine.189
F.
Normen- und Typenvereinbarungen
I.
Allgemeines
Nach den Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit sind mit Normenvereinba- 1067 rungen die Abreden über technische Spezifikationen, Produktausführungen oder Herstellungsverfahren etc. gemeint, die der Kompatibilität und Interoperabilität des Produktes dienen, mithin nichtstaatliche Industrie- und Verbandsnormen,190 obgleich auch die Anforderungen an die Genehmigung einer Regulierungsbehörde oder ein Gütezeichen erfasst werden.191 Diese beziehen sich aber auf private Normen. II.
Spürbare Wettbewerbsbeschränkung
Wettbewerbsbeschränkungen können der Kommission zufolge auf drei relevanten 1068 Märkten auftreten. Normen weisen Produktbezug auf, deshalb sind zunächst die Produktmärkte betroffen. Ferner kann ein Dienstleistungsmarkt für Normsetzung und ein Markt für Erprobung und Beglaubigung der Norm bestehen,192 mithin für Kontrolle und Zertifizierung.193 Sind solche Vereinbarungen frei und offen zugänglich, von anerkannten Organisationen in einem nicht diskriminierenden, transparenten und offenen Verfahren beschlossen und besteht ferner keine Verpflichtung zur Einhaltung der Norm, liegt regelmäßig keine Wettbewerbsbeschränkung vor.194 Das gilt insbesondere bei einer Norm, die von einer in der RL 98/34/EG195 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vor-
189 190 191
192
193 194
195
KOME 2003/778/EG, ABl. 2003 L 291, S. 25 (Rn. 32 ff., 47 ff.) – Gemeinsame Vermarktung der gewerblichen Rechte an der UEFA Champions League. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 588. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 159). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 161). So Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 55. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 163); vgl. auch KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 (Rn. 30, u. insbes. 32) – X/Open Group. ABl. 1998 L 204, 37 ff.
396
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
schriften anerkannten Stelle erlassen wurde.196 Im Gegenteil sind aber solche Vereinbarungen immer vom Kartellverbot umfasst, die nur den Ausschluss von Wettbewerbern bezwecken. Im Übrigen hängt der wettbewerbsbeschränkende Charakter einer Vereinbarung davon ab, inwieweit die Möglichkeit verbleibt, alternative Normen oder Produkte auf dem Markt zu etablieren.197 Dienstleistungsnormen betreffen vor allem den Banksektor.198 An der Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung soll es mangeln, wenn die 1069 Normen nur geringe Teile des relevanten Marktes betreffen. Ferner fehlt es Abreden an der Spürbarkeit, wenn kleine und mittlere Unternehmen Regelungen treffen, die den Zugang zu gemeinsamen Ausschreibungen oder unbedeutende Produkteigenschaften harmonisieren, welche die wesentlichen Wettbewerbsfaktoren nur marginal beeinflussen, so dass eine Wirkung auf den relevanten Märkten kaum eintritt.199 III.
Freistellung
1070 Eine Gruppenfreistellungsverordnung für Normen- und Typenvereinbarungen besteht nicht. Wenn die Vereinbarung lediglich die Entwicklung oder einheitliche Anwendung von Normen und Typen zum Gegenstand hat, ist eine Einzelfreistellung möglich. Entscheidend ist nach den Leitlinien die Offenheit der Industrienorm und ihre Transparenz.200 Zwei Dinge sind hier entscheidend: Zum einen muss jedem Wettbewerber die Mitwirkung an der Normsetzung offen stehen, es sei denn, dies führt zu erheblichen Problemen bei der Normsetzung oder anerkannte kollektive Interessenvertretungen nehmen die Normsetzung wahr.201 Zum anderen muss auch eine Offenheit bezüglich der Norminformation bestehen.202 Aus einer gemeinsamen Normsetzung erwächst auch eine Förderung des tech1071 nischen Fortschritts.203 Hinsichtlich der Unerlässlichkeit ist jedoch genau zu hinterfragen, ob die Normierung für alle Produkte gelten muss, die das betreffende 196 197
198 199
200
201
202 203
Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 55. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 165 ff.). Hierzu eingehend Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 596. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 164). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 169). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 172). KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 (Rn. 42 ff.) – X/Open Group; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81, III.3.2; Rn. 55. KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 (Rn. 43) – X/Open Group; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 598.
§ 3 Vereinbarungen aus den Leitlinien
397
Unternehmen herstellt.204 Ein Innovationshemmnis für ähnliche, nicht der Norm entsprechende Produkte darf sich nicht ergeben.205 Nebenabreden über Marktinformationsaustausch und Austausch technischer Informationen sind mit freistellbar, sofern notwendig und unmittelbar verbunden. Diese Abreden dürfen jedoch nicht in abgesprochenes Verhalten der Parteien münden.206
G.
Umweltschutzvereinbarungen
I.
Allgemeines
Verpflichten sich Unternehmen, die Umweltverschmutzung entsprechend Art. 174 1072 EG zu verringern, muss die entsprechende Vereinbarung an eine Reduktion eines Schadstoffes oder einer Abfallart der einschlägigen Verordnungen unmittelbar anknüpfen, so dass der Umweltschutzaspekt nicht nur als Nebenprodukt anderer Absprachen aufkommt.207 Sind Umweltschutzvereinbarungen Normenvereinbarungen208, so sind die entsprechenden Grundsätze über Normen vorrangig.209 Jedoch können auch allgemeine Zielvereinbarungen oder Gentlemen’s Agreements von Unternehmen mit staatlichen Einheiten vorliegen. Zudem können diesen Abreden Vereinbarungen von Unternehmen vor- oder nachgelagert sein, welche die Erfüllung sicherstellen.210 Soweit dabei Unternehmen miteinander kooperieren, kann allein die Involvierung einer staatlichen Einheit und selbst die Zuordnung einer Maßnahme (z.B. Verwaltungsvertrag) zum öffentlich-rechtlichen Bereich die Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 EG nicht ausschließen.211
204 205 206 207
208 209
210 211
Abgelehnt in KOME 78/156/EWG, ABl. 1978 L 47, S. 42 (Rn. 31) – Video-Cassettenrecorders; vgl. auch Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 599. Haag, in: Schröter/Jakob, Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 55. KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 (Rn. 36 ff.) – X/Open Group; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 600. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 179). S. hierzu Frenz, EuR 1999, 27 ff. sowie umfassend ders., Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 14 ff. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 180, Fn. 52). Ausführlich Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 299 ff. Mestmäcker, in: FS für Börner, 1992, S. 277 (278 f.); v. Bernuth, Umweltschutzfördernde Unternehmenskooperationen und das Kartellverbot des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 113; a.A. wohl Pernice, EuZW 1992, 139 (142).
398
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
II.
Spürbare Wettbewerbsbeschränkung
1073 Unabhängig vom Marktanteil fallen Absprachen nicht unter das Kartellverbot, die keine oder nur eine allgemeine Verpflichtung212 dahin gehend enthalten, zur Erfüllung eines Umweltschutzzieles eines ganzen Wirtschaftszweigs einen Beitrag zu leisten.213 Vereinbaren Unternehmen Umweltschutzergebnisse von Produkten oder Verfahren, die Kaufentscheidungen nicht beeinflussen und die Produktvielfalt auf dem relevanten Markt nicht spürbar verringern, liegt kein Fall des Art. 81 EG vor. Werden Produkte vom Markt genommen, sind sie bei unerheblichem Marktanteil als nicht spürbar zu betrachten.214 Vereinbarungen, die Verwertungsvereinbarungen gleichen, beschränken den Wettbewerb ebenfalls nicht, sondern führen zu neuem Wettbewerb, wenn die Parteien der Absprache die Tätigkeiten selbstständig nicht durchführen könnten und keine anderen Möglichkeiten oder Wettbewerber bestehen.215 Dieser Ansatz der Kommission ähnelt insoweit in Teilen dem Arbeitsgemeinschaftsgedanken.216 Dagegen liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor, wenn die Vereinbarung ei1074 gentlich auf den Ausschluss von aktuellen oder möglichen Wettbewerbern gerichtet ist oder ein Kartell deckt.217 Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen können sich spiegelbildlich zu obigen Erwägungen ferner ergeben, wenn der Spielraum der Beteiligten zur selbstständigen unternehmerischen Entscheidung etwa hinsichtlich etwaiger Produktmerkmale oder Herstellungsverfahren spürbar eingeschränkt wird. Dadurch kann auch die Produktion von Lieferanten und Käufern
212
213
214
215
216 217
Hier ist der den Unternehmen zur Zielerreichung verbleibende Spielraum technischer und wirtschaftlicher Art maßgeblich. Als ausreichend wurde dieser Spielraum im Falle der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) angesehen, Kommission, XXVIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1998, Tz. 131. Die Verpflichtungen zur CO2-Ausstoßreduktion der Automobilhersteller „Umsetzung der Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen: eine Umweltvereinbarung mit der europäischen Automobilindustrie“, Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament vom 29.7.1998 – KOM (1998) 495 endg. sahen nur einen durchschnittlichen Grenzwert vor, der unter- und überschritten werden durfte. Diese freiwillige Selbstverpflichtung bildete keine Wettbewerbsverletzung nach Art. 81 Abs. 1 EG. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 185). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 186). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 187). S.u. Rn. 1084. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 188).
§ 4 Besondere Kooperationsformen
399
betroffen sein.218 Haben die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen einen erheblichen Marktanteil und wird ein wesentlicher Teil des Absatzes von Produkten oder Herstellungsverfahren beeinträchtigt oder gar eingestellt oder versehen sich die Beteiligten wechselseitig mit Verunreinigungsquoten, kann der Kartelltatbestand erfüllt sein.219 Gleiches gilt, wenn für Verwertungsdienstleistungen Wettbewerber vorhanden sind und Unternehmen mit einem hohen Marktanteil ausschließlich ein Unternehmen zur Vornahme dieser Leistungen vorsehen.220 III.
Freistellung
Hinsichtlich einer Freistellung unterscheidet die Kommission zwei Ebenen und 1075 setzt die Vorteile auf diesen Ebenen zu den nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb im Verhältnis. Die erste Ebene bildet der einzelne Verbraucher, die zweite Ebene die Gesamtheit der Verbraucher. Die zu erwartenden wirtschaftlichen Vorteile auf diesen Ebenen müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern alternativ die Kostennachteile, die sich durch die Wettbewerbsbeschränkung ergeben, im Sinne eines Reingewinns für den Verbraucher überwiegen.221
§ 4 Besondere Kooperationsformen A.
Marktinformationsverfahren und Informationsaustausch
I.
Allgemeines
Ob ein Austausch von Markt- und anderen Informationen wettbewerbsbeeinträch- 1076 tigende Wirkung hat, hängt vor allem davon ab, wer in welcher Weise welche Informationen austauscht. Dieser Austausch von Informationen kann insbesondere 218
219
220
221
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 189). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 190). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 191). Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 192 ff.); vgl. hier Haag, in Jakob/Schröter/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 62 unter Hinweis auf die Fälle KOME 2000/475/EG, ABl. 2000 L 187, S. 47 (Rn. 47 ff.) – CECED hinsichtlich energieeffizienterer Waschmaschinen und Kommission, XXVIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1998, Tz. 130 („EACEM“) hinsichtlich der Senkung des Stand-by-Stromverbrauchs von Fernsehgeräten und Videorekordern.
400
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
über kollektive, zentrale Meldestellen erfolgen222 Die Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit schweigen sich bewusst zum Informationsaustausch aus.223 Aussagen der Kommission finden sich jedoch in deren Kooperationsbekanntmachung224 sowie in verschiedenen Einzelentscheidungen. II.
Wettbewerbsbeschränkung
1077 Nicht wettbewerbsbeschränkend soll ein Informationsaustausch der Kommission zufolge wirken, wenn nur ein Meinungs- und Erfahrungsaustausch oder eine gemeinsame Marktforschung betrieben wird, ein Betriebs- und Branchenvergleich vorgenommen oder Statistiken und Kalkulationsschemata erstellt werden. Kalkulationsschemata sind allerdings nur dann als wettbewerbsneutral anzusehen, wenn sie nicht konkrete Kalkulationssätze vorsehen, die den Charakter einer Empfehlung haben und so zu gleichläufigem Verhalten führen können.225 Eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfaltet ein Informationsaustausch 1078 jedenfalls dann, wenn die Informationen Aufträge, Preise,226 Umsätze,227 Investitionen228 sowie die aktuelle Geschäftspolitik229 der Unternehmen betreffen.230 Diese Daten unterliegen gewöhnlich dem Geschäftsgeheimnis.231 Einem funktionierenden Wettbewerb wohnt insoweit die Ungewissheit über das Agieren der Wettbewerber inne.232 Diese Ungewissheit hält die am Markt teilnehmenden Unternehmen an, wettbewerbsbewusster zu agieren.233 Ein Informationsaustauschsystem
222 223
224
225
226 227 228 229 230 231 232
233
Vgl. zum Ganzen Grauel, in: FS für Sölter, 1982, S. 177 ff. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 10). Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen, ABl. 1968 C 75, S. 3. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen, ABl. 1968 C 75, S. 3 (Abschnitt II 1. lit. a)-d)). KOME 89/190/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 1 (Rn. 17 ff., 29) – PVC. KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19 (Rn. 17 ff.) – UK Agricultural Tractor Registration Exchange. KOME 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 (Rn. 67) – Zinc Producer Group. KOME 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 (Rn. 68) – Zinc Producer Group. Haag, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 – Fallgruppen, III, 3.2 Rn. 65 f. Vgl. hier KOME 2004/138/EG, ABl. 2004 L 56, S. 1 (Rn. 423) – Österreichische Banken („Lombard Club“). Vgl. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, I-1663 (1965 f., Rn. 173/174) – Suiker Unie; EuG, Rs. T-4/89, Slg. 1991, II-1523 (1599, Rn. 219) – BASF/Kommission; KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19 (Rn. 43) – UK Agricultural Tractor Registration Exchange. KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19 (Rn. 43) – UK Agricultural Tractor Registration Exchange. Näher o. Rn. 550.
§ 4 Besondere Kooperationsformen
401
kann nun die praktische Zusammenarbeit von Unternehmen an die Stelle der Ungewissheit des Wettbewerbs setzen.234 Um eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung zu qualifizieren, ist die Markt- 1079 struktur zu berücksichtigen. Herrscht ein reger Wettbewerb, hat der Verkehr von sensiblen Informationen nicht so große wettbewerbsbeschränkende Bedeutung wie in einem Marktgeschehen, welches bei homogenen Produkten von wenigen großen Marktteilnehmern beherrscht wird.235 Im Gegenteil kann der Austausch von Informationen bei regem Wettbewerb vieler kleinerer Marktteilnehmern den Wettbewerb sogar eher beleben.236 Ein konzentrierter oligopolistischer Markt hat jedoch die Eigenheit, dass der Austausch von Informationen sowieso schon erleichtert ist.237 Durch den Informationsaustausch besteht nun die Gefahr, dass die Strategien der Marktteilnehmer vollends offengelegt werden238 und sich eine Abschottungswirkung gegenüber Außenstehenden ergibt,239 selbst wenn sich der Informationsaustausch nicht unmittelbar auf die Preise oder einen anderen wettbewerbswidrigen Mechanismus bezieht.240 Darüber hinaus wird der nachfragende Marktteilnehmer bei allgemein bekannten Preisen der Möglichkeit beraubt, durch Nachfrage einen Wettbewerb zu verursachen.241 Sind die ausgetauschten Daten nur noch von historischem Interesse, da sie kei- 1080 nen Schluss auf ein aktuelles Wettbewerbsverhalten der Marktteilnehmer mehr zulassen, liegt allerdings mangels Auswirkungen auf den aktuellen Wettbewerb keine Wettbewerbsbeschränkung vor.242 Ist ein Markt in sehr starkem Maße ausdifferenziert, so kann sogar beim Austausch sensibler Informationen im Sinne des Geschäftsgeheimnisses die Spürbarkeit zu verneinen sein, da sich die wettbewerbsbe-
234 235
236 237 238
239 240 241 242
Vgl. KOME 2001/418/EG, ABl. 2001 L 152, S. 24 (Rn. 229) – Aminosäuren. Vgl. Grauel, in: FS für Sölter, 1982, S. 177 ff. (185 f.), sowie Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen, ABl. 1968 C 75, S. 3 (Abschnitt II 1.); vgl. auch KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19 (Rn. 38) – UK Agricultural Tractor Registration Exchange: Hier beherrschten vier Unternehmen den britischen Markt für Traktoren mit 80 %. EuG, Rs. T-35/92, Slg. 1994, II-957 (986 f., Rn. 51) – John Deere. EuG, Rs. T-34/92, Slg. 1994, II-905 (949, Rn. 91) – Fiatagri. EuG, Rs. T-34/92, Slg. 1994, II-905, (949, Rn. 91) – Fiatagri; wenn nicht der Informationsaustausch dazu dient andere klassische Kartellabsprachen erst zu ermöglichen, vgl. hier zu einem Informationsaustausch ohne Meldestelle KOME 2004/421/EG, ABl. 2004 L 125, S. 50 (Rn. 11) – Industrierohre sowie den Fall Gipsplatten KOME COMP/E-1/37.152, zusammengefasst in Kommission XXXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2002, S. 206 f. EuG, Rs. T-34/92, Slg. 1994, II-905 (Rn. 87) – Fiatagri. EuG, Rs. T-34/92, Slg. 1994, II-905 (Rn. 91) – Fiatagri; vgl. Haag, in: Schröter/Jakob/ Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 66. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 66. KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19 (Rn. 50) – UK Agricultural Tractor Registration Exchange: Hier nahm die Kommission an, dass bei einem jährlichen Austausch von einem Jahr zurückliegenden Daten keine Rückschlüsse mehr auf aktuelles Wettbewerbsverhalten mehr möglich ist.
402
Kapitel 5 Horizontale Vereinbarungen
schränkenden Wirkungen gänzlich verlieren.243 Erfolgt ein Informationsaustausch anonym und in genormter Form zur Risikoabschätzung, ergeben sich regelmäßig keine den Wettbewerb beeinträchtigenden Wirkungen.244 III.
Freistellung
1081 Eine Freistellung ist grundsätzlich möglich, wenn andere freigestellte Vereinbarungen einen Informationsaustausch erfordern.245 Im Bereich der Versicherungswirtschaft stellt die VO (EG) Nr. 358/2003246 den versicherungsrisikobezogenen Informationsaustausch von der Anwendung des Kartellverbotes gruppenweise frei.247 Ferner gibt es solche Gruppenfreistellungsregelungen im Bereich des Verkehrs.248
B.
Arbeitsgemeinschaften
I.
Allgemeines
1082 Arbeitsgemeinschaften sind genau genommen eigentlich kartellfreie Kooperationen. Bei diesen wird ein Auftrag oder ein Projekt gemeinsam durchgeführt. Die Arbeitsgemeinschaft besteht gewöhnlich nur für die Dauer dieses einen Projektes, unterliegt also faktisch einer zeitlichen Begrenzung.249 Die Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit enthalten zu den Arbeitsge1083 meinschaften nur marginale Regelungen. Sie stellen insoweit nur fest, dass Absprachen von Unternehmen zur Zusammenarbeit im Sinne einer Arbeitsgemeinschaft gegen das Kartellverbot verstoßen können, wenn hier Unternehmen mit einer erheblichen Marktmacht250 zusammenarbeiten und sich als Folge der Zusam243
244 245 246
247 248
249 250
Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 66 unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission nach Artikel 19 Absatz 3 der VO Nr. 17 (Sache Nr. IV/33.815, 35.842 – EUDIM), ABl. 1996 C 111, S. 8 (Rn. 13). Hier agierten auf dem Markt für sanitäre Anlagen, Heizungen und Sanitärgegenstände alleine 3000 europäische Großhändler, bei einer Palette von 1 Mio. Produkten. Vgl. hier die Genehmigung der Kommission im Fall Operational Riskdata eXchange, Kommission, XXXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2002, S. 209. KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 (Rn. 38) – X/Open Group. VO (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. 2003 L 53, S. 8. Vgl. etwa Art. 1 VO (EG) Nr. 358/2003, ABl. 2003 L 53, S. 8. Näher o. Rn. 839. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 68 unter Verweis auf die Seeschifffahrt, VO (EG) Nr. 823/2000, ABl. 2000 L 100, S. 24, nunmehr geändert durch die VO (EG) Nr. 463/2004, ABl. 2004 L 77, S. 23 und die VO (EG) Nr. 611/2005, ABl. 2005 L 101, S. 10 und den Luftverkehr VO (EWG) Nr. 1617/93, ABl. 1993 L 155, S. 18. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 489. Kriterium ist hier nicht Art. 82 EG.
§ 4 Besondere Kooperationsformen
403
menarbeit eine Abschottung gegenüber Dritten ergibt.251 Demnach bleiben die Erwägungen der Kommission in der vorherigen Kooperationsbekanntmachung252 relevant.253 II.
Wettbewerbsbeschränkung
Sind die an der Absprache beteiligten Unternehmen keine Wettbewerber, so liegt 1084 keine Wettbewerbsbeschränkung vor.254 Sie müssen also aus verschiedenen Branchen stammen oder zwar aus einer Branche, aber nur Leistungen erbringen oder Erzeugnisse beisteuern, die von den anderen Beteiligten nicht erbracht werden können. Ferner liegt keine Wettbewerbsbeschränkung vor, wenn die beteiligten Unternehmen zwar Wettbewerber sind, es ihnen jedoch für sich allein nicht möglich ist, die Unternehmung durchzuführen.255 Der Arbeitsgemeinschaftsgedanke schafft unter Umständen für manche Projekte, die so gewaltig sind, dass sie von einzelnen Unternehmen aufgrund des Kostenrisikos nicht übernommen werden können, überhaupt erst einen Markt, da Nachfrager sonst nicht auftreten würden. Kriterien für die Unmöglichkeit, einen Auftrag allein durchzuführen, können mangelnde Kapazität, Kenntnis in dem Tätigkeitsfeld des Auftrags, Erfahrung oder auch fehlendes finanzielles Vermögen256 sowie fachlich qualifiziertes Personal257 sein. Insofern ist ein hoher Maßstab anzulegen.258 Nicht ausreichend ist, dass die gemeinsame Ausführung unter Kostengesichtspunkten wirtschaftlich effizienter259 ist.260
251
252 253 254
255 256 257 258 259 260
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 24, 143) auch zum Folgenden. ABl. 1968 C 75, S. 3. Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 488. KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 (Rn. 24 ff.) – Elopak; Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 65; Schroeder, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 491. KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 (33) – ECR 900; 88/568/EWG, ABl. 1988 L 311, S. 36 (Rn. 17) – Eurotunnel. KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 (33) – ECR 900; 1999/574/EG, ABl. 1999 L 218, S. 24 (Rn. 34) – Télécom Développement. KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 (33) – ECR 900. Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 63. S. bereits o. Rn. 577 unter dem Gesichtspunkt fehlenden potenziellen Wettbewerbs. KOME 2000/182/EG, ABl. 2000 L 58, S. 16 (Rn. 75) – GEAE/P&W. Vgl. zum Ganzen Schroeder, in Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 493 f.; Haag, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 81 – Fallgruppen, III.3.2 Rn. 63; KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 – ECR 900 sowie o. Rn. 713 ff.
Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen
§ 1 Nichtigkeit A.
Einbindung in das gesamte Kartellverbot
Von System und Gegenstand her ist die Nichtigkeitsfolge des Art. 81 Abs. 2 EG 1085 auf das Kartellverbot bezogen. Gem. Art. 81 Abs. 2 EG sind die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig. Dabei ist das Kartellverbot einheitlich zu betrachten, wie nunmehr durch Art. 1 VO (EG) Nr. 1/20031 auch sekundärrechtlich verankert ist. Voraussetzung für die Nichtigkeit ist also, dass der Kartelltatbestand nach Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt ist und keine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 bzw. einer Gruppenfreistellungsverordnung zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG (s. Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003) eingreift.2 Dies ist von der Kommission bzw. den gleichfalls zuständigen nationalen Wettbewerbsbehörden gem. Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 von Amts wegen zu prüfen. Auch Verstöße gegen den Kartelltatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG, welche die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, sind also nicht verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf. Dies gilt nach Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 für Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Für Letztere legt demgegenüber Art. 81 Abs. 2 EG keine konkrete Rechtsfolge fest. Bei einer fehlenden Freistellung sind jedoch auch sie verboten. Sie dürfen jedenfalls keine Rechtswirkungen entfalten, ohne dass dies mit der Nichtigkeit zusammen fallen muss, weil abgestimmte Verhaltensweisen regelmäßig gerade nicht auf bestimmte Rechtsfolgen gerichtet sind, welche nichtig sein könnten.
B.
Unmittelbares Eingreifen
Die Nichtigkeit von gegen das Kartellverbot verstoßenden Vereinbarungen und 1086 Beschlüssen ist bereits im Vertrag angeordnet und ergibt sich daher automatisch, wenn ein solcher Verstoß vorliegt. Es bedarf also keiner vorhergehenden Ent-
1 2
Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. Näher o. Rn. 725 ff.
406
Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen
scheidung hierfür.3 Daher war und ist keine Behördenentscheidung vorgesehen, um die Nichtigkeitsfolge festzulegen. Vielmehr wird sie von den Gerichten der Mitgliedstaaten ausgesprochen, die dafür ausschließlich zuständig sind, handelt es sich doch um eine Rechtsfolge, die in das nationale Rechtssystem einzufügen ist. Die entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen sind aber nicht konstitutiv, sondern rein deklaratorisch.4 Insoweit haben die Gerichte auch keinen Spielraum. Sobald das Kartellverbot 1087 verletzt ist, müssen sie die Nichtigkeit feststellen. Das folgt aus der unmittelbaren Geltung des gesamten Art. 81 EG und bindet die Rechtsprechung vollständig in den Vollzug des Gemeinschaftsrechts ein. Ausschließlich dessen Maßstäbe zählen. Auf das stark wirkungsorientierte Kartellverbot bezogen, bildet die Nichtigkeit einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der in seiner Reichweite nach der gemeinschaftsrechtlichen Zielsetzung auszulegen ist, nicht hingegen nach nationalen Besonderheiten, Konzeptionen oder auch Rechtsüberzeugungen.5 Daher sind die nationalen Gerichte weiterhin, obgleich sie nach Art. 6 VO (EG) 1088 Nr. 1/2003 für die Anwendung des Kartellverbotes insgesamt und damit auch der Freistellung zuständig sind, an die Entscheidungen der Kommission gebunden, ja zur Kohärenz mit einer beabsichtigten Entscheidung in einem eingeleiteten Verfahren verpflichtet, indem etwa das vor Gericht anhängige Verfahren ausgesetzt wird (Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003). Dadurch wird die Widerspruchsfreiheit gerichtlicher und behördlicher Entscheidungspraxis sichergestellt, obgleich vom Ansatz her die Kompetenzen beider Organe voneinander unabhängig sind.6
C.
Absolutheit
1089 Art. 81 Abs. 2 EG ordnet die Nichtigkeit von wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und Beschlüssen ohne Relativierung an. Sie sind daher so zu behandeln, als wären sie nicht zustande gekommen; sie haben keine rechtliche Bindungswirkung und zwar weder zwischen den Vertragspartnern noch im Hinblick auf Dritte. Eine Berufung auf eine gegen das Kartellverbot verstoßende Vereinbarung oder Beschlussfassung vor Gericht ist ausgeschlossen, wie Art. 65 § 4 Abs. 1 EGKS7 explizit bestimmte. Diese Maßnahmen sind damit gänzlich unwirksam; jedermann kann sich auf diese Rechtsfolge berufen.8 Alle Rechtswirkungen, die aus einer solchen Vereinbarung oder einem solchen Beschluss folgen, sind ausgeschlossen und 3 4 5 6
7
8
Bereits EuGH, Rs. 48/72, Slg. 1973, 77 (89, Rn. 25/26) – Haecht II. Etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1709. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 225; s. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm. Bereits EuGH, Rs. 48/72, Slg. 1973, 77 (87, Rn. 9 ff.) – Haecht II sowie etwa Rs. 66/86, Slg. 1989, 808 (845 ff., Rn. 23 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen. S. allgemein o. Rn. 186 ff. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. II 1952 S. 447, in Kraft getreten am 23.7.1952, ausgelaufen am 23.7.2002. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (962, Rn. 29) – Béguelin.
§ 1 Nichtigkeit
407
zwar sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft.9 Insoweit gibt es auch keine Verjährung.10 Damit dauerhaft ohne Rechtswirkung ausgestattet, beschränken wettbewerbswidrige Vereinbarungen und Beschlüsse die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Beteiligten nicht und hindern auch Dritte nicht in ihrer Wettbewerbsfreiheit, weil sie ihnen gegenüber keine negativen Wirkungen zu entfalten vermögen.11 Diese Nichtexistenz und fehlende Wirksamkeit betrifft im Ergebnis auch die 1090 abgestimmten Verhaltensweisen, obwohl diese in Art. 81 Abs. 2 EG nicht genannt sind. Diese können infolge ihrer tatsächlichen Bindungskraft auch schwerlich nichtig sein. Für sie genügt daher, dass sie ebenfalls als nicht existent zu betrachten sind und die von ihnen ausgehende Wirkung neutralisiert werden muss, wenn sie tatsächlicher Art ist. Insoweit greift bereits das in Art. 81 Abs. 1 EG festgelegte Verbot. Darüber hinaus greifen als Abwehrmittel Unterlassungs- und Schadenersatzklagen.12
D.
Begrenzte sachliche Reichweite
Bezogen auf das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG, bewegt sich die Nichtigkeit 1091 in diesem Rahmen. Sie reicht daher nur so weit, wie eine Vereinbarung oder ein Beschluss gegen das Kartellverbot verstößt. Andere Teile einer solchen abgestimmten Verhaltensweise sind dann nichtig, wenn sie sich nicht von den kartellrechtswidrigen Teilen separieren lassen.13 Nur so lässt sich die Wettbewerbsfreiheit effektiv und vollständig durchsetzen, indem auch solchermaßen im Kontext von Wettbewerbsverstößen stehende Klauseln nichtig sind. Deshalb muss es darauf ankommen, inwieweit solche eigentlich selbst nicht 1092 verbotswidrigen Klauseln mit anderen Bestimmungen eine Einheit bilden und damit zur wirksamen Durchsetzung einer Wettbewerbsbeschränkung beitragen (sollen). Es genügt, wenn eine entsprechende Bestimmung zusammen mit den eigentlich verbotenen Klauseln eine Wettbewerbsbeschränkung herbeiführen oder durchsetzen kann. Dann ist von einer Einheit auszugehen.14 Das gilt etwa für vertraglich festgelegte Kontrollen, die eine Vertriebsvereinbarung sichern sollen,15 sowie für abgetretene gewerbliche Schutzrechte, um Paralleleinfuhren in das Vertragsgebiet
9 10
11 12 13 14 15
EuGH, Rs. 48/72, Slg. 1973, 77 (89, Rn. 25/26) – Haecht II. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 231 a.E., näher eingehend auf den Gegensatz zu finanziellen Sanktionen wie Geldbußen und Zwangsgeldern, die der Verjährung unterliegen. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (962, Rn. 31/32) – Béguelin; Schmidt, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 1. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 227. S. sogleich Rn. 1098 ff. EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm; Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (392 f.) – Consten Grundig. Müller-Graff, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rn. 123; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 44. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1908 f., Rn. 27) – Metro I.
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Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen
eines Alleinvertriebshändlers zu erschweren.16 Dann ist beispielsweise auch die Abtretung von gewerblichen Schutzrechten nichtig oder die Veräußerung von Unternehmen(sbestandteilen), welche eine Marktaufteilungsabsprache untermauern soll.17 Die effektive Durchsetzung des Kartellverbotes verlangt hingegen nicht, dass sich die Nichtigkeit auch auf solche Bestimmungen bezieht, die keine Einheit mit den wettbewerbsbeschränkenden Festlegungen in Vereinbarungen oder Beschlüssen bildet. Darauf erstreckt sich der Anwendungsbereich des Kartellrechts nicht, so dass insoweit nicht das Gemeinschaftsrecht die Rechtsfolgen bestimmt, sondern das innerstaatliche Recht.18 Nach deutschem Recht ist grundsätzlich gem. § 139 BGB bei teilweiser Nichtigkeit einer Vereinbarung deren gesamter Gehalt nichtig, außer die Gültigkeit entspricht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Beteiligten.19 Ein solcher abweichender tatsächlicher Wille findet vielfach in salvatorischen Klauseln seinen Ausdruck, nach denen die Unwirksamkeit bestimmter Teile die Gültigkeit des Gesamtvertrages im Übrigen nicht hindert. Diese Klauseln helfen allerdings nicht darüber hinweg, wenn ein hauptsächlicher Bestandteil einer Vereinbarung nichtig ist; die verbleibenden Bestandteile vermögen dann kein selbstständiges Rechtsgeschäft mehr zu bilden, das Bestand haben könnte.20 Über dieses Hindernis heben höchstens Ersetzungsklauseln, wonach die Vertragsparteien nichtige Teile ihres Geschäftes durch äquivalente Regelungen ersetzen müssen. Inwieweit dies geht, bestimmt sich grundsätzlich ebenfalls nach nationalem Recht. Das gilt auch für die Pflicht zu Nachverhandlungen.21 Freilich darf das Ergebnis aus einer solchen späteren Vereinbarung oder Regelung seinerseits nicht gegen das Kartellverbot verstoßen; andernfalls sind diese neuen Klauseln ebenfalls nichtig. Für Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen gilt Entsprechendes.22 Vielfach sind auch Folgeverträge bzw. zusätzliche Beschlüsse eng mit kartellverbotswidrigen Vereinbarungen und Beschlüssen verbunden. Schließen diese sich den ursprünglichen wettbewerbswidrigen Vorgängen an, um sie zu ergänzen, zu flankieren oder durchzusetzen, verstoßen sie regelmäßig ebenfalls gegen das Kartellverbot, enthalten sie doch selbst Wettbewerbsbeschränkungen oder bilden sie zumindest mit der ursprünglichen Koordinierung eine Einheit.23 16 17 18 19
20 21 22 23
EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966, 321 (393 f.) – Consten Grundig; Rs. 28/77, Slg. 1978, 1391 (1412, Rn. 11/16) – Tepea. S. EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4576, Rn. 34) – BAT und Reynolds. Bereits EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 281 (304) – Maschinenbau Ulm und später z.B. Rs. C-230/96, Slg. 1998, I-2055 (2101, Rn. 51) – Cabour. Vgl. zu den regelmäßig ähnlichen Regelungen in anderen nationalen Rechtsordnungen Deringer, Art. 85 Abs. 2 Rn. 86 ff., 96 m.w.N.; Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 10-24 ff. Näher Deringer, Art. 85 Abs. 2 Rn. 84 f.; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1715 f.; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 47, 53 m.w.N. Zu beidem EuGH, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 (4088, Rn. 14 f.) – VAG France. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 233. Z.B. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1721; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 58.
§ 2 Unterlassungsansprüche
409
Hingegen soll sich jedenfalls nach früherer Rechtsprechung die Wirksamkeit 1097 eines Folgevertrages mit Dritten nicht nach Art. 81 Abs. 2 EG richten, sondern nach nationalem Recht.24 Im deutschen Recht wären sie danach voll wirksam.25 Indes können gerade auch Dritte in ihrer Wettbewerbsfreiheit eingeschränkt werden. Insoweit wirkt die ursprüngliche Wettbewerbsbeschränkung noch nach, auch wenn sie diese Dritten formal nicht einbezogen hat. Die effektive Durchsetzung der Wettbewerbsfreiheit verlangt daher, dass auch die Folgeverträge mit Dritten jedenfalls von den wettbewerbsschädlichen Wirkungen befreit werden. Die Nichtigkeit würde allerdings dazu führen, dass die Dritten gänzlich aus einem Geschäft herausgenommen würden. Wettbewerbsschädlich sind eher die Bedingungen dieses Vertrages. Sachgerecht ist daher, dass die nicht in die wettbewerbswidrige Koordinierung einbezogenen Dritten den Folgevertrag dergestalt angepasst verlangen können, dass er keine wettbewerbsschädlichen Bedingungen mehr enthält, die sich als Folge der Wettbewerbsbeschränkung darstellen.26 Darauf deutet auch eine neuere Entscheidung des EuGH.27
§ 2 Unterlassungsansprüche Zwar ist die Nichtigkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen, welche gegen das 1098 Kartellverbot verstoßen, gemeinschaftsrechtlich ausdrücklich angeordnet und tritt damit automatisch ein. Dies bedeutet aber nicht notwendig, dass sich die dagegen verstoßenden Unternehmen automatisch auch an diese Nichtigkeitsfolge halten, also die wettbewerbsschädliche Verhaltensweise unterlassen. Diese Problematik stellt sich ohnehin bei abgestimmten Verhaltensweisen, welche nicht in einer vertraglichen Vereinbarung bestehen, sondern in einem faktischen Handeln. Insoweit passt auch die Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht und es bleibt nur eine Unterlassung.28 Dass solche Unterlassungsansprüche bestehen, damit ein wettbewerbswidriges 1099 Verhalten in jedem Fall durch Betroffene beendet werden kann, ist zwar Ausfluss des effet utile des Kartellverbotes, damit dieses in jeder Hinsicht durchgesetzt zu werden vermag. Jedoch sind solche Ansprüche in den EG-Wettbewerbsregeln nicht näher geregelt. Damit besteht als Vorgabe des Gemeinschaftsrechts nur, dass solche Ansprüche vorhanden sein müssen. Ihre eigentliche Basis ist aber das nati-
24
25 26 27 28
EuGH, Rs. 319/82, Slg. 1983, 4173 (4184, Rn. 12) – Kerpen & Kerpen; ebenso die bislang durchgehende Auffassung, etwa neben den vorstehend Genannten Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 85 Rn. 196. Etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1721; Deringer, Art. 85 Abs. 2 Rn. 101 ff. mit Hinweisen zu strengeren anderen Rechtsordnungen. Abl. allerdings Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1721; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 59. Unter Berufung auf EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (6325, Rn. 33) – Courage und Crehan: Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 234 a.E. S.o. Rn. 1090.
410
Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen
onale Recht.29 Rechtsgrundlagen im deutschen Recht sind § 823 Abs. 2 BGB sowie Gegenansprüche aus dem UWG vor allem wegen verabredeter Diskriminierungen und Boykottabsprachen. Damit können aktuelle Störungen abgestellt und künftige vorbeugend abgewehrt werden, sofern es sich um ein objektiv rechtswidriges Verhalten des Störers handelt.30
§ 3 Schadenersatzansprüche A.
Anwendbares Recht
1100 Neben Unterlassungs- können jedenfalls nach deutschem Recht parallel Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Auch sie sind in Art. 81 Abs. 2 EG bzw. an anderer Stelle der EG-Wettbewerbsregeln nicht festgelegt. Daher richten auch sie sich nach nationalem Recht.31 Welches nationale Recht zum Zuge kommt, bestimmt das internationale Privatrecht des Forums.32 Eine Harmonisierung kann insoweit aber die sog. Rom-II-VO bringen. Der Verordnungsvorschlag der Kommission zur Vereinheitlichung der Kollisionsregeln bei außervertraglichen Schuldverhältnissen vom 22.7.200333 will nach Art. 3 Abs. 1 das Recht des Ortes eingreifen lassen, an dem der direkte Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht; danach zählt in der Zusammenschau mit Art. 5 und parallel zum Lauterkeitsrecht der Ort der Vermögenseinbuße und der, an dem die wettbewerbsschädigende Wirkung eingetreten ist.34 Daher gilt es eine Sonderanknüpfung aufzunehmen, welche entsprechend der zu bevorzugenden Anknüpfung bei internationalen Sachverhalten die wesentlichen, unmittelbaren und vorhersehbaren Auswirkungen des Verhaltens35 und nicht die Einbuße am ggf. über mehrere Staaten verstreuten Vermögen zugrunde legt.36
29
30 31
32 33 34 35 36
Z.B. Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1722; Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 10-30; näher Ullrich, Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen des Gemeinsamen Marktes und die einzelstaatliche Zivilgerichtsbarkeit, 1971, S. 30 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 264. S.o. Rn. 1099 sowie etwa Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 441; anders soweit ersichtlich nur Smit, in: Smit/Herzog, The Law of the European Economic Community, Nr. 85.40 mit einer gemeinschaftsrechtlichen Lösung. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 260. KOM (2003) 427 endg. S. Leible/Engel, EuZW 2004, 7 ff. Näher Zimmer/Leopold, EWS 2005, 149 (151 f.). S.o. Rn. 207. Zimmer/Leopold, EWS 2005, 149 (153 f.).
§ 3 Schadenersatzansprüche
B.
411
Gerichtsstand
Gerichtsstand für unerlaubte und gleichgestellte Handlungen ist gem. Art. 5 Nr. 3 1101 EuGVVO37 sowohl der Ort, an dem die schädigende Handlung begangen wurde, als auch derjenige des Schadenseintritts.38 Zu diesen Handlungen gehören entsprechend der vorzunehmenden autonomen Auslegung39 Schädigungen durch Kartellverstöße deshalb, weil keine vertragliche Anknüpfung auf der Basis einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung40 besteht.41
C.
Effektivität
Wie auch Unterlassungsansprüche sind Schadensersatzansprüche Ausfluss des ef- 1102 fet utile.42 Das Kartellverbot wird von den Unternehmen am wirksamsten dann gewahrt, wenn sie die Schäden, die aus ihrem wettbewerbsschädlichen Verhalten entstehen, ersetzen müssen. Dadurch sichert der Schadenersatzanspruch die Einhaltung des Art. 81 EG und so zugleich die Verwirklichung der Wettbewerbsfreiheit. Weil bei Verletzungshandlungen Mitbewerbern und betroffenen Dritten leicht hohe Schäden entstehen können, gilt dies für diesen gemeinschaftsrechtlichen Tatbestand im besonderen Maße. Damit haben Schadensersatzansprüche im Rahmen des Kartellverbotes zu seiner effektiven Durchsetzung eine herausragende Bedeutung. Bestehen sie bereits bei einer Verletzung von Grundfreiheiten,43 müssen sie erst recht bei einem Verstoß gegen das Kartellverbot durchgreifen. Nur richten sie sich gegen die daraus Verpflichteten und damit grundsätzlich gegen Private und nicht gegen staatliche Stellen, welche aus den Grundfreiheiten verpflichtet sind.44 Im Übrigen aber sind die dogmatischen Parallelen gegeben. Daher stellt sich weiter gehend die Frage nach Anerkennung eines gemein- 1103 schaftsrechtlichen Schadensersatzanspruchs, der dann auch in seiner Kontur vom EuGH näher ausgestaltet werden müsste,45 wie dies im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung erfolgt ist.46 Jedoch ist auch im Bezug auf diese 37
38
39 40 41 42 43 44 45 46
VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12, S. 1. EuGH, Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735 (1746 f., Rn. 15/19) – Mines de Potasse d´Alsace; ebenso etwa EuGH, Rs. C-51/97, Slg. 1998, I-6511 (6544, Rn. 27 f.) – Réunion européenne. EuGH, Rs. 189/87, Slg. 1988, 5565 (5585, Rn. 18) – Kalfelis. EuGH, Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7357 (7393, Rn. 23) – Tacconi. M.w.N. Zimmer/Leopold, EWS 2005, 149 (150). EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (6323, Rn. 26 f.) – Courage und Crehan. EuGH, Rs. C-46 u. 48/93, Slg. 1996, I-1029 (1143, Rn. 23) – Brasserie du pêcheur und Factortame; dazu Frenz, Europarecht 1, Rn. 95 ff. Zu diesem Strukturunterschied o. Rn. 43 f. Dafür Mäsch, EuR 2003, 825 (838 ff.). Grundlegend EuGH, Rs. C-6 u. 9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich; später v.a. Rs. C-46 u. 48/93, Slg. 1996, I-1029 (1149 f., Rn. 51 ff.) – Brasserie du pêcheur und Factortame; Rs. C-178 u.a./94, Slg. 1996, I-4845 (4878 f., Rn. 21 ff.) – Dillenkofer;
412
Kapitel 6 Allgemeine Zivilrechtsfolgen
vorzuziehen, dass lediglich das Fundament gemeinschaftsrechtlich ist, hingegen die Ausgestaltung im Einzelnen nationalrechtlich erfolgt, wenngleich im Rahmen der recht genauen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.47 So werden die nationalen Strukturen im Ansatz eher erhalten, ohne dass dies dem Ergebnis Abbruch tun muss, eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.48 Auf den Effektivitätsgedanken gestützt, muss der Schadenersatzanspruch wirk1104 sam durchgesetzt werden können. Ziel der Wettbewerbsfreiheit ist dabei insbesondere die Chancengleichheit der Marktteilnehmer.49 Daher muss der Schadenersatz bei Kartellverbotsverstößen insbesondere auch dem Grundsatz der Äquivalenz entsprechen.50 Er muss gleichermaßen durchsetzbar sein und den Ersatz aller Schäden ermöglichen, welche aus der Wettbewerbsverletzung entstanden sind und die daher die Chancengleichheit51 verschoben haben. Deshalb kann die Höhe des Schadensersatzes nicht dadurch gemindert werden, dass die von wettbewerbsschädlichen Entwicklungen Beeinträchtigten ihre dadurch bedingten Zusatzkosten an ihre Abnehmer weitergeben konnten.52 Ansonsten würden die Kartellmitglieder davon profitieren, dass die von ihnen ausgelösten wettbewerbsschädlichen Wirkungen Dritten angelastet und damit perpetuiert werden. Dies würde auch zulasten der Verbraucher gehen, welche das Kartellrecht besonders schützen will.53 Zudem würden dann den die Wettbewerbsregeln missachtenden Unternehmen ein Teil ihrer daraus resultierenden Vorteile verbleiben. Die Verletzungshandlung würde sich damit lohnen, so dass ein Anreiz entstünde, gegen die Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Dieses Ergebnis könnte dann allenfalls über die Bußgeldbemessung korrigiert werden, die aber ihren eigenen Gesetzlichkeiten unterliegt.54
D.
Grundvoraussetzungen
1105 Bei der Ausgestaltung des nationalen Rechts kommt es mithin darauf an, dass im Ergebnis alle durch den Wettbewerbsverstoß ausgelösten Schäden den Kartellmitgliedern angelastet werden können, um die Chancengleichheit wiederherzustellen und die Wettbewerbsregeln zu effektivieren. Ist dies auf der Basis nationaler Anspruchsvoraussetzungen nicht sichergestellt, treten diese zurück. Da § 823 Abs. 2 BGB Ersatz nicht für institutionelle Verstöße, sondern für individuelle Schäden ermöglicht, müssen die EG-Wettbewerbsregeln als individualschützend angesehen
47 48 49 50 51 52 53 54
Rs. C-302/97, Slg. 1999, I-3099 – Konle; Rs. C-224/01, Slg. 2003, I-10239 (10311, Rn. 55) – Köbler. Daher für eine dualistische Konzeption neben § 839 BGB, Art. 34 GG Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 526; wohl auch BGHZ 134, 30. Für eine bloße Anpassung von § 839 BGB, Art. 34 GG etwa Streinz, Jura 1995, 6 (10). Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 961. S.o. Rn. 20 ff. EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (6324, Rn. 29) – Courage und Crehan. Zu deren Bedeutung i.S.v. Chancengerechtigkeit o. Rn. 23. Keßler, BB 2005, 1125 (1128) gegen OLG Karlsruhe, NJW 2004, 2243. S.o. Rn. 13. S.u. Rn. 1567 ff.
§ 3 Schadenersatzansprüche
413
werden, um zu Schadensersatzansprüchen zu gelangen.55 Dies ist gemeinschaftsrechtlich jedenfalls im Ergebnis vorgegeben. Der EuGH hat denn auch die individualschützende Wirkung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln angenommen.56 Soweit der Bundesgerichtshof dahinter zurückbleibt, indem er für die Annahme eines Schutzgesetzes verlangt, dass sich die gegen Art. 81 EG verstoßende Wettbewerbsbeschränkung unmittelbar gegen die beeinträchtigte Person richtet,57 ist die weitere Konzeption des EuGH vorrangig. Andere Länder haben ohnehin eine weitere schadenersatzrechtliche Konzeption.58 Parallel zu der festen EuGH-Rechtsprechung im Bereich der Staatshaftung bei 1106 einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts kann weiter nur verlangt werden, dass der geltend gemachte Schaden kausal auf die Normverletzung zurückzuführen ist und zudem mit ihr in einem engen Zusammenhang steht. Schließlich muss der Verursacher rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Auf Unkenntnis kann sich dieser allerdings nicht berufen, weil das Kartellverbot als allgemein bekannt anzusehen ist.59
55
56 57 58 59
Z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 261; näher etwa Bunte, in: Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 184 ff.; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1722 ff.; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 2 Rn. 76 ff. Bereits EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 (62, Rn. 15/17) – BRT/SABAM I; auch etwa Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 (2500, Rn. 13) – Estée Lauder. BGH, NJW 1980, 1224 – BMW-Importe (= WuW/E 1980, 191); NJW 1988, 2175 – Cartier-Uhren (= WRP 1988, 296). Im Einzelnen Braakman, Die Anwendung der Art. 85 und 86 des EG-Vertrages durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, 1997. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 81 Rn. 263.
Teil III Ausnutzung dominanter Stellungen
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
§ 1 Systematik und Bedeutung A.
Grundlagenfunktion für den Binnenmarkt
Gem. Art. 82 EG ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stel- 1107 lung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben, die den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen kann, durch ein oder mehrere Unternehmen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar. So zeigt sich schon im Wortlaut des Missbrauchsverbots der Bezug auf den Gemeinsamen bzw. mit der im Übrigen unveränderten Fassung nach dem VE auf den Binnenmarkt, welcher die Fortsetzung des Gemeinsamen Marktes bildet.1 Damit hat das Missbrauchsverbot eine parallele Funktion wie das Kartellverbot des Art. 81 EG. Beide sind in den unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln gleichgewichtig genannt und im Verbotstatbestand ähnlich formuliert, so dass auch die Bedeutung und Struktur vergleichbar sind. Sie ergänzen sich gegenseitig in dem gemeinsamen Ziel, die Wettbewerbsfreiheit zu erhalten. Damit dient auch das Missbrauchsverbot maßgeblich der Erhaltung der Wettbewerbsfreiheit der Einzelunternehmen wie als Institution ebenso wie der Chancengerechtigkeit und dem Wohle der Verbraucher.2 Der Bezug spezifisch des Missbrauchsverbots auf die Verbraucher zeigt sich explizit in dem Beispielstatbestand des Art. 82 lit. b) EG. Sie folgt aber bereits mittelbar daraus, dass die Verbraucher grundsätzlich von der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs auf den verschiedenen Vertriebsstufen und dabei insbesondere auf dem Absatzmarkt an den Endverbraucher profitieren.3 Damit ist auch das Missbrauchsverbot Teil des Systems unverfälschten Wett- 1108 bewerbs, wie es in Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG vorgegeben ist.4 Zudem bildet der Gemeinsame Markt als Zielgröße eine wesentliche Interpretationslinie. Dessen Ziele bestimmen daher ebenso wie die Vorgabe, unverfälschten Wettbewerb aufrecht zu
1 2 3 4
S.o. Rn. 1 ff. und näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 34 ff. S. ausführlich o. Rn. 13. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 15 Rn. 5. S.o. Rn. 24 ff.
418
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
erhalten, worin eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung zu sehen ist.5 Die besondere Bedeutung des Missbrauchsverbots liegt darin, dass es an eine 1109 wirtschaftliche Machtstellung anknüpft. Diese stellt bereits als solche eine Bedrohung für den Wettbewerb dar, die sich aktualisiert, wenn sie missbräuchlich ausgenutzt wird. Daher erfasst Art. 82 EG auch in erster Linie das Verhalten eines Unternehmens. Dieses kann bei einer entsprechenden wirtschaftlichen Machtstellung den Wettbewerb ebenso stark gefährden wie mehrere Unternehmen durch eine Koordinierung, die nach Art. 81 EG erfasst wird. Je stärker ein Unternehmen – ggf. auch mit mehreren – den Markt dominiert, desto geringer ist tendenziell der Wettbewerb. Damit wird die Grundlage dafür gefährdet, dass die Unternehmen sich gegenseitig Konkurrenz machen und dadurch auch im Interesse der Verbraucher der wirtschaftlich vorteilhafteste Gebrauch der vorhandenen Ressourcen zustande kommt. Ohne nennenswerte Konkurrenz braucht sich ein Unternehmen nicht darum zu 1110 kümmern, seine Leistungsfähigkeit immer weiter zu steigern und Kosten zu senken. Zugleich ist es in einer Position, um sich Wettbewerb fernzuhalten, indem es namentlich durch die in Art. 82 lit. a)-d) EG aufgeführten Praktiken seine Stellung zum Nachteil der Konkurrenz wie der Verbraucher rücksichtslos ausnutzt und damit verstärkt.6 Wettbewerber werden vielfach bereits durch eine dominante Position als solche von eigenen Anstrengungen abgehalten, womit der wirtschaftliche und technische Fortschritt gehemmt wird.7 Deshalb ist gerade die Erhaltung des Wettbewerbs und die Neutralisierung schädlicher Wirkungen aus marktbeherrschenden Stellungen im öffentlichen Interesse. Eine generelle Beschränkung wirtschaftlicher Marktstellungen unabhängig von 1111 ihrem Entstehen8 würde dagegen zu weit führen. Denn wenn solche Stellungen das Ergebnis eigener wirtschaftlicher Anstrengungen bilden, sind sie Ausdruck des natürlichen Wettbewerbs. Zugleich bildet die Möglichkeit, sie zu erringen, auch einen Anreiz, sich durch eigene Anstrengungen eine entsprechend starke Marktposition zu erobern. Sofern dies mit marktkonformen Mitteln erfolgt, handelt es sich um einen Ausdruck des Wettbewerbs und nicht um eine Verschiebung. Eine solche erfolgt erst bei einer missbräuchlichen Ausnutzung. Deren Verbot genügt daher.
5
6 7 8
EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244, Rn. 22 ff.) – Continental Can; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520, Rn. 38) – Hoffmann-La Roche; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3503, Rn. 29) – Michelin; Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2961, Rn. 30) – ERT. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 16 ff. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 6. Dafür Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 19.
§ 1 Systematik und Bedeutung
B.
419
Missbrauchsverbot als Garant funktionsfähigen Restwettbewerbs
So wie beherrschende Stellungen Ausfluss eines redlichen Wettbewerbs sein kön- 1112 nen, sichert Art. 82 EG einen solchen. Das belegen die verschiedenen Fallbeispiele in Art. 82 lit. a)-d) EG, welche Verhaltensweisen aufführen, welche gerade nicht einem redlichen Wettbewerb entsprechen. Das gilt namentlich für die Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen (lit. a)) und für diskriminierende Behandlungen von Handelspartnern zu deren Schaden im Wettbewerb (lit. c)). Im zweiten Beispiel wird die Benachteiligung im Wettbewerb ausdrücklich genannt. Daraus ergibt sich zugleich und weiter gehend, dass das Missbrauchsverbot auch ein Instrument zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Wettbewerbs ist.9 Zwar sind die wettbewerblichen Rahmenbedingungen durch die beherrschende 1113 Stellung eines oder auch mehrerer Unternehmen zusammen verschoben, weil dadurch die Chancen der anderen auf dem Markt regelmäßig gemindert sind.10 Damit ist insbesondere die Chancengerechtigkeit nur noch eingeschränkt verwirklichbar. Sie kann aber immer noch in dem Rahmen umgesetzt werden, welcher durch die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens oder mehrerer Unternehmen besteht. Insoweit gilt es gerade im Hinblick auf die potenzielle Einschränkung wirksamen Wettbewerbs die verbleibenden Freiräume der Mitbewerber und Abnehmer von Leistungen zu erhalten und den noch vorhandenen Restwettbewerb zu gewährleisten. Es besteht sogar ein besonderes Bedürfnis zur Wettbewerbssicherung. Das setzt einen freien, unverfälschten und redlichen Wettbewerb voraus, wie es 1114 Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG vorgibt. Auf einen solchen muss sich insbesondere derjenige beschränken, der eine marktbeherrschende Stellung besitzt. Genau hier setzt Art. 82 EG an, indem er den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verbietet. Deren Innehabung als solche verstößt also nicht gegen einen redlichen, unverfälschten und freien Wettbewerb, wie ihn die Wettbewerbsregeln schützen, sondern nur missbräuchliches Verhalten bei Vorhandensein von Macht. Diese selbst ist Ausdruck des Spiels der Marktkräfte und damit Bestandteil von Wettbewerb. Dass eine beherrschende Marktstellung wettbewerbswidrig zustande kommt, verhindern bereits das Kartellverbot sowie die Fusionskontrollverordnung. Einen darüber hinausgehenden Schutz etwa vor unlauterem Wettbewerb enthält das Gemeinschaftsrecht in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken11 und im Übrigen das nationale Recht. 9 10 11
Dies ausdrücklich abl. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 21. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; später etwa Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie. RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der VO (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149, S. 22.
420
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Art. 82 EG kommt personell also primär denjenigen zugute, die mit Unternehmen in starker Marktstellung im Wettbewerb oder in Geschäftsbeziehungen etwa als Abnehmer stehen. Indem deren Wettbewerbsposition und damit deren Entfaltungsmöglichkeiten geschützt werden, wird indirekt auch der Verbraucher begünstigt, was Art. 82 lit. b) EG voraussetzt. Zugleich wird der Wettbewerb als Institution gewährleistet. Dieser ist aber nicht notwendig primäres Schutzobjekt12 in dem Sinne, dass lediglich über ihn auch Konkurrenten, Handelspartner und Verbraucher geschützt sind oder gar gänzlich aus der Schutzrichtung des Missbrauchsverbots fallen.13 Von herausragender Bedeutung sind freilich die Wettbewerbsstrukturen. Weil 1116 sie durch die beherrschende Stellung ohnehin bereits die Tendenz in sich tragen, Mitbewerber und Handelspartner einzuschränken, kommt ihrer Verschlechterung eine besonders negative Wirkung für den Wettbewerb zu.14 Aber auch bei dieser Sicht hat entsprechend dem Wortlaut von Art. 82 EG mit seinem Beispielskatalog der Einsatz gravierend unredlicher Mittel mit seinem Nachteil für die davon Betroffenen einen spezifischen Unwertgehalt und steht daher im Zentrum. Bei der Anwendung solcher Verhaltensweisen werden zudem die Wettbewerbsstrukturen am ehesten verschoben. 1115
C.
Umfassende Schutzwirkung
I.
Einbeziehung der Wettbewerbsstruktur
1117 Aufgrund dieser Konzeption, nach der Art. 82 EG sowohl den Wettbewerb als Institution als auch Konkurrenten und Handelspartner sowie Verbraucher schützt und dabei die Erhaltung gesunder (Rest-)Wettbewerbsstrukturen eine besondere Bedeutung hat, ergibt sich eine umfassende Schutzwirkung. Es werden nicht nur unmittelbare Benachteiligungen von Mitbewerbern und Abnehmern oder auch von Verbrauchern erfasst, wie sie in Art. 82 lit. a)-d) EG in erster Linie genannt sind. Diese Beispielstatbestände sind nur herausgehoben. Vielmehr kommen auch Angriffe auf die Wettbewerbsstrukturen als verbotene Verhaltensweisen in Betracht, wenn sie missbräuchlich sind. Das ist entsprechend der allgemeinen Schutzrichtung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln dann der Fall, wenn Unternehmen den Wettbewerb beschränken oder verfälschen. Diese Wirkung haben sie namentlich dann, wenn sie Handelspartner oder Konkurrenten unlauter oder ohne
12 13 14
So Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 50 ff.; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 23. Letzteres abl. EuGH, Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 – IMS. S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 27) – L´Oréal; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (850, Rn. 42 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen; EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2986 f., Rn. 138) – ITT Promedia.
§ 1 Systematik und Bedeutung
421
Bezug zu den erbrachten Leistungen behindern15 oder andere Unternehmen übernehmen, so dass der Restwettbewerb praktisch entfällt.16 So entfaltet auch Art. 82 EG eine umfassende Schutzwirkung zugunsten eines redlichen und unverfälschten Wettbewerbs. Das gilt allerdings nur in dem Umfang, den eine wettbewerbsbeherrschende Stellung eines oder mehrerer Unternehmen vor dem fraglichen Vorgang noch lässt. Auf diese Weise wird der Missbrauch nicht nur über die Beispielstatbestände 1118 des Art. 82 lit. a)-d) EG definiert, wonach eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs nicht näher zu prüfen ist.17 Schließlich wird insoweit der Missbrauch durch die Aufführung in den Beispielstatbeständen automatisch angenommen und die Voraussetzung einer Wettbewerbsbeschränkung oder Verfälschung weder dort noch im allgemeinen Tatbestand genannt. Durch die Öffnung des Missbrauchsverbots über die Beispielstatbestände hinaus gewinnt die allgemeine Formulierung der missbräuchlichen Ausnutzung in Art. 82 EG eigene Bedeutung und entfaltet eine umfassende Schutzwirkung. Es zählt nicht nur der Ausbeutungsmissbrauch,18 sondern auch der Behinderungsmissbrauch.19 Die personelle Zielrichtung der Verhaltensweisen des Marktbeherrschers tritt zurück. Es ist also gleichgültig, ob der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Handelspartner oder Konkurrenten betrifft.20 Vielmehr zählt primär, inwieweit die Wettbewerbsstrukturen angegriffen werden und nicht, zulasten welcher Personen dies geschieht. In welchem Ausmaße eine Wettbewerbsstruktur angetastet sein muss, damit ein 1119 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, hängt freilich nicht zuletzt davon ab, auf welcher Ebene die Behinderung erfolgt, ob also auf der vertikalen oder auf der horizontalen. Grundlage ist allerdings stets, dass Mittel eingesetzt werden, die von einem normalen Marktgeschehen abweichen.21 Dass dieser Markt durch eine marktbeherrschende Stellung maßgeblich geprägt wird, führt wie gezeigt für sich gesehen noch nicht zu einem Missbrauch. II.
Kein Kausalitätserfordernis
Art. 82 EG will damit umfassend verhindern, dass eine marktbeherrschende Stel- 1120 lung mit unlauteren bzw. unredlichen Mitteln, welche den noch vorhandenen Wettbewerb beschränken, erweitert oder auch nur gefestigt wird. Bereits dann, 15
16 17
18 19 20 21
EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3514, Rn. 70) – Michelin; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie. S.u. Rn. 1387 f. Z.B. Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 9-046, 8-058; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 24; Temple-Lang, CMLR 1979, 345 (346, 348 ff.). A.A. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 51. Darauf begrenzend z.B. Joliet, EuR 1973, 97 ff. So bereits Mestmäcker, in: FS für Hallstein, 1966, S. 322 (334 f.). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 24. S. EuGH, Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 – IMS; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (850, Rn. 42 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen.
422
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
wenn mit ihr Behinderungen von Mitbewerbern oder auch Abnehmern einhergehen, wird sie nach der Konzeption des Art. 82 EG missbräuchlich ausgenutzt. Die Behinderungen müssen damit nicht notwendig auf der marktbeherrschenden Stellung beruhen. Es genügt, wenn sie von einem Unternehmen mit einer solchen Position vorgenommen werden. Weder muss das beherrschende Unternehmen seine Position als Instrument einsetzen, um andere zu behindern,22 noch muss der Erfolg des Missbrauchs auf der beherrschenden Marktstellung basieren; es ist also kein Kausalzusammenhang erforderlich.23 Die in Art. 82 lit. a), c) und d) EG benannten Konstellationen stehen allerdings 1121 für typisches Ausbeutungsverhalten, welches auf einer marktbeherrschenden Stellung notwendig beruht, weil es ansonsten gar nicht möglich wäre.24 Die meisten anderen wettbewerbsbehindernden Verhaltensweisen sind hingegen nicht notwendig mit einer marktbeherrschenden Stellung verbunden. Insoweit bildet Art. 82 EG eine Erweiterung gegenüber dem Kartellverbot, das gleichfalls wettbewerbsbehindernde Verhaltensweisen erfasst, indes nur solche, die auf einer Koordinierung beruhen. Dieses Erfordernis entfällt gem. Art. 82 EG bei einer marktbeherrschenden Stellung. III.
Positionsverstärkung
1122 Eine marktbeherrschende Stellung trägt die besondere Gefahr von Wettbewerbsbeschränkungen in sich. Daher kann auch die Verstärkung einer solchen Position eine missbräuchliche Ausnutzung bilden. Das gilt aber nur, wenn dabei Mittel angewendet werden, die nicht marktkonform sind.25 Wird eine beherrschende Stellung hingegen mit den normalen Bedingungen des Leistungswettbewerbes abgesichert, entspringt dies dem Wettbewerb und bildet daher keine missbräuchliche Ausnutzung. Die natürlich zustande gekommene Wettbewerbsstruktur wird nur mit normalen Mitteln stabilisiert und damit nicht verfälscht. Das muss auch für Unternehmenszusammenschlüsse gelten, die bei einer Beteiligung beherrschender Unternehmen gleichfalls als missbräuchlich angesehen werden.26 Zwar wird durch 22
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24 25
26
S. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 27) – Continental Can; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; aus der Literatur z.B. Ritter/Braun/ Rawlinson (Hrsg.), EEC Competition Law, 1991, S. 354 f.; a.A. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 57. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 25; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 117 f.; anders v.a. die frühere Literatur, etwa Everling, in: Wohlfahrth u.a., EWGV, Art. 86 Rn. 1 ff.; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 56 f.; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 48. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands; EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 93) – Hilti. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26) – Continental Can; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2021, Rn. 526/527) – Suiker Unie; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 70) – AKZO Chemie; EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2987, Rn. 139) – ITT Promedia. Bereits EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26) – Continental Can; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 10; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 26.
§ 1 Systematik und Bedeutung
423
jeden Unternehmenszusammenschluss die Marktstruktur weiter zugunsten eines Marktbeherrschers verschoben.27 Durch solche Unternehmenszusammenschlüsse kann auch erreicht werden, eine beherrschende Stellung auf andere Märkte auszudehnen. Da damit zugleich die dominante Position auf dem Ausgangsmarkt eine benachbarte Stütze erhält und so verstärkt wird, liegt auch insoweit die Verstärkung einer beherrschenden Stellung vor, welche dem Missbrauchsverbot unterfallen kann.28 Jedoch kann auch ein Unternehmenszusammenschluss Ausfluss wirtschaftli- 1123 cher Leistungsfähigkeit sein und darf daher nicht ohne weiteres mit einem missbräuchlichen Verhalten gleichgesetzt werden. Mag auch die Verantwortung eines Unternehmens umso höher liegen, desto stärker seine marktbeherrschende Stellung ist,29 käme eine weiter gehende Begrenzung im Ergebnis einem Verbot aus Art. 82 EG gleich, die eigene Marktposition z.B. durch Zukäufe weiter auszubauen. Allerdings stellt der EuGH nur auf die „Mittel eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger“30 ab. Indes bilden Zusammenschlüsse als solche ebenfalls Ausdrucksformen des normalen Wirtschaftsgeschehens, so dass ihnen als solchen nicht das Etikett des Missbrauchs wie den in Art. 82 EG genannten und darüber hinaus den sonstigen unter die Generalklausel gefassten Verhaltensweisen anhaftet. Über das Missbrauchsverbot hinaus greift ohnehin die Fusionskontrolle, die einen umfassenden, vom Vorliegen eines Missbrauchs unabhängigen Ansatz verfolgt.31
D.
Abgrenzung zu anderen Wettbewerbstatbeständen
I.
Kartellverbot
1.
Einheit mit Unterschieden
Dadurch dass auch das Missbrauchsverbot nicht nur den Wettbewerb als Instituti- 1124 on schützt, sondern nach hier vertretener Auffassung ebenso Mitbewerber und Abnehmer sowie Verbraucher,32 liegt es schon von seiner Schutzrichtung her weitgehend parallel zum Kartellverbot. Zumal deshalb bilden beide zusammen ein einheitliches Ganzes, welches umfassend den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft vor Verfälschungen und Behinderungen schützen soll. Daher gilt es, Wett27 28
29 30 31
32
S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2986 f., Rn. 138) – ITT Promedia. Allgemein EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents; Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5981, Rn. 24) – GB-Inno-BM; Rs. C-271 u.a./90, Slg. 1992, I-5833 (5868, Rn. 36) – Telekommunikationsdienste. S.u. Rn. 1388. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche. S. Erwägungsgrund 7 der FKVO (EG) Nr. 139/2004, VO des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. L 24, S. 1 sowie u. Rn. 1666 f. S.o. Rn. 1115.
424
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
bewerbsbeeinträchtigungen umfassend abzuwehren und zwar möglichst wirksam. Etwaige Lücken sind zu schließen, indem beide Vorschriften gleichsam wie Zahnräder ineinander greifen. Das gebietet auch eine Vermeidung von Widersprüchen in der Auslegung33 und damit eine harmonische Rechtsanwendung,34 so dass beide Vorschriften eine „systematische Einheit“ bilden.35 Eine weitgehende Parallelität ist allerdings bereits dadurch gesichert, dass die Grundstruktur der Vorschrift größtenteils gleich ist.36 Beide Tatbestände verlangen das Vorliegen einer wettbewerbsschädlichen Verhaltensweise, welche verboten ist, sofern der grenzüberschreitende Handel beeinträchtigt werden kann. Zudem ist in beiden Fällen eine spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gefordert.37 Art. 82 EG verlangt allerdings, dass bereits eine beherrschende Stellung auf 1125 dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben besteht. Damit soll verhindert werden, dass eine solche ausgenutzt und dabei verstärkt und verfestigt wird, so dass die Wettbewerbsverhältnisse durch nicht marktkonformes Verhalten weiter verschoben werden. Demgegenüber ist Ansatzpunkt von Art. 81 EG eine Koordinierung, die notwendigerweise zwischen verschiedenen Unternehmen erfolgen muss. Daraus kann dann – muss aber nicht – ebenfalls eine beherrschende Marktstellung erwachsen, indem mehrere Unternehmen durch ihr Zusammenwirken in die Lage versetzt werden, die Märkte untereinander aufzuteilen oder von ihren Abnehmern unangemessene Bedingungen zu verlangen oder diese im Wettbewerb durch Diskriminierungen zu benachteiligen (s. Art. 81 lit. c)-e) EG). Erfolgen die Verhaltensweisen aus einer durch die Koordinierung erwachsenden marktbeherrschenden Stellung heraus, greift (auch) Art. 82 EG,38 der bis auf die Marktaufteilung parallele Tatbestände explizit nennt. Voraussetzung für eine kollektive Marktmacht ist aber eine hinreichende Verbindung der Akteure.39 Damit wird durch Art. 81 EG die Erlangung einer marktbeherrschenden Stel1126 lung mit wettbewerbswidrigen Mitteln gehemmt, welche Art. 82 EG voraussetzt, die aber nur dann Bestand haben kann, wenn sie mit marktkonformen Mitteln erreicht wurde. Gleichwohl bildet sie eine Gefahr für den Wettbewerb, ohne für sich missbräuchlich zu sein.40 Daher werden nur missbräuchliche Verhaltensweisen untersagt. Lediglich insoweit wird die Autonomie der Unternehmen durch das Missbrauchsverbot beschnitten.41 Demgegenüber ist bereits das Zusammenwirken als solches nach Art. 81 EG 1127 wettbewerbswidrig, sofern es wettbewerbsbeschränkend wirkt oder wirken soll. Dieser umfassende Ansatz wird allerdings durch die Möglichkeiten von Ausnah33 34 35 36 37 38 39 40 41
EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can; s. bereits o. Rn. 57. Vgl. EuGH, Rs. 43/85, Slg. 1987, 3131 (3154, Rn. 13) – Ancides. Mestmäcker, in: FS für Raisch, 1995, S. 441 (446). S.o. Rn. 76 ff. S.o. Rn. 74 ff; u. Rn. 1408 f. S. sogleich Rn. 1126. S.u. Rn. 1392 f. S.o. Rn. 1123. Weiter Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 35.
§ 1 Systematik und Bedeutung
425
men nach Art. 81 Abs. 3 abgeschwächt.42 Auf Missbräuche beschränkt und damit nur ein besonders gegen freien Wettbewerb verstoßendes Verhalten aus beherrschender Stellung heraus erfassend, enthält Art. 82 EG keine Freistellungsmöglichkeit; eine solche kann daher auch nicht durch eine analoge Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG gewonnen werden.43 Das schließt aber umgekehrt eine Beeinflussung von Art. 81 Abs. 3 EG durch Parallelen zwischen der Ausschaltung von Wettbewerb und den Folgen einer beherrschenden Marktstellung nicht aus.44 Diese unterschiedlichen Hauptanknüpfungspunkte einmal in Form einer Ko- 1128 ordinierung und das andere Mal in Form einer marktbeherrschenden Stellung bedingen allerdings den Hauptunterschied. Art. 82 EG bezieht zwar auch das Verhalten mehrerer Unternehmen ein, aber nur, wenn sie gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung konstituieren. Der Hauptanwendungsfall hingegen liegt im Verhalten eines einzigen Unternehmens, welches vom Kartellverbot gerade nicht erfasst wird. Dementsprechend liegt das Hauptanwendungsfeld des Missbrauchsverbots auch in der Abwehr faktischen Missbrauchs durch ein marktbeherrschendes Unternehmen.45 2.
Ergänzungsverhältnis
Daraus ergeben sich im Ergebnis grundlegend unterschiedliche Anwendungsbe- 1129 reiche beider Vorschriften. Sie stehen in einem Verhältnis der gegenseitigen Ergänzung und nicht der Verdrängung etwa in dem Sinne, dass lediglich die Vorschrift zum Zuge kommen soll, welche den Unrechtsgehalt einer Zuwiderhandlung am besten ausschöpft.46 Vielmehr befinden sich die Vorschriften in Idealkonkurrenz.47 Missbrauchs- und Kartellverbot können also nebeneinander eingreifen. Bedingung ist allerdings, dass die Voraussetzungen beider Verbotstatbestände gegeben sind.48 So fällt eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung, an welcher ein marktbeherrschendes Unternehmen beteiligt ist, nur dann unter Art. 82 EG, wenn sie zugleich missbräuchlich ist.49 Dafür genügt, wenn das Unternehmen
42 43 44 45 46 47
48
49
EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (483) – Italien/Kommission. S.u. Rn. 1413. S.o. Rn. 964 ff. S. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can; EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (356 f., Rn. 22) – Tetra Pak. So hingegen De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 108. Z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 201; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 5; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 11; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 36 m.w.N. in Fn. 89. S. bereits EuGH, Rs. 32/65, Slg. 1966, 457 (485) – Italien/Kommission; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (550, Rn. 116) – Hoffmann-La Roche; Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4577, Rn. 37 ff.; 4584, Rn. 65) – BAT und Reynolds; Rs. C-310/93 P, Slg. 1995, I-865 (880, Rn. 67 f.) – BPB Industries und British Gypsum; nicht in dieser Reihe EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6010, Rn. 17 ff.) – Alsatel. EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (358, Rn. 24) – Tetra Pak.
426
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
mit dominanter Marktposition eine Absprache mit seinen verbleibenden Konkurrenten erzwungen hat und das weitere Vorgehen bestimmen kann.50 Ein entsprechendes missbräuchliches Element muss auch hinzukommen, wenn 1130 das Unternehmen mit einer beherrschenden Marktstellung mit seinen Abnehmern oder auch Lieferanten eine Vereinbarung trifft, indem es bestimmte Weiterverkäufe verbietet51 oder Treueprämien bei Bezugsbindungen zusichert.52 Art. 81 und 82 EG spielen notwendig ineinander, wenn sich mehrere Unternehmen durch eine Absprache erst eine kollektive marktbeherrschende Position verschaffen und diese dann missbräuchlich ausnutzen.53 In diesem Moment kommen zwei durch verschiedene Vorschriften erfasste Verhaltensweisen zusammen, die erst durch ihr Ineinandergreifen den vollen Unwertgehalt abbilden, so dass er durch eine Vorschrift überhaupt nicht voll oder gar am besten ausgeschöpft werden kann.54 Da in solchen Fällen der Unwertgehalt aus zwei Rechtsverstößen gespeist wird, wird er ebenfalls nur unzureichend erfasst, wenn sich die Höhe der Geldbuße lediglich nach dem schwersten festgestellten Verstoß richten soll.55 Daher ist es auch zweifelhaft, wenn die Rechtsgrundlage nicht immer umfas1131 send, sondern nach verfahrensökonomischen Aspekten bestimmt wird.56 Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil Art. 82 EG eine Freistellung gänzlich ausschließt. Eine solche kann auch nicht über Gruppenfreistellungsverordnungen gewonnen werden, da diese nur für das Kartellverbot vorgesehen sind. Sekundäres Gemeinschaftsrecht kann primäres nicht derogieren. Dieser Gegensatz zwischen Kartell- und Missbrauchsverbot wird allerdings dann entschärft, wenn man die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG unter Rücksicht auf Art. 82 EG handhabt. Das kann über Art. 29 VO (EG) Nr. 1/200357 insofern erfolgen, als die Freistellung widerrufen wird, wenn sich ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot herausstellt. Weiter gehend ist die Freistellung immer dann zu versagen, wenn das Missbrauchsverbot verletzt wird. 50 51 52 53
54 55
56
57
S. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (847 f., Rn. 30 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen; EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 (1720 f., Rn. 79 ff.) – Deutsche Bahn. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (292 ff., Rn. 130/138 f.) – United Brands bzgl. des Weiterverkaufs von noch grünen Bananen. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (535 ff., Rn. 80 ff.) – Hoffmann-La Roche. S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2013, Rn. 456) – Suiker Unie; EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1548, Rn. 358) – SIV; aus der Lit. z.B. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 15; auch Joliet, Monopolisation and Abuse of Dominant Position, 1970, S. 237 f.; Schröter, in: van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 434 (456 f.). So die Konzeption von De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 108. So Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 203; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 36 a.E.; mit Vorbehalt dagegen Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 16; s. dazu auch KOME 89/93/EWG, ABl. 1989 L 33, S. 44 (Rn. 83, 84a) – Flachglas; 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 (Rn. 42) – British Midland/Aer Lingus. S. dagegen KOME 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 – British Midland/Aer Lingus; 93/252/EWG, ABl. 1993 L 116, S. 21 – Gillette; 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 – Van den Bergh. S. auch EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6010, Rn. 20) – Alsatel. Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1.
§ 1 Systematik und Bedeutung
427
Die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG bzw. einer Gruppenfreistellungsver- 1132 ordnung entbindet also nicht von der Befolgung des Art. 82 EG. Insoweit darf auch nicht vorübergehend eine Divergenz auftreten. Daher sind unternehmerische Verhaltensweisen auch dann nicht von der Beachtung des Missbrauchsverbots freigestellt, so lange eine Gruppenfreistellung eingreift, selbst wenn diese nach Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 noch nicht widerrufen wurde.58 Die meisten Verordnungen, die Gruppenfreistellungen ermöglichen, enthalten ohnehin entsprechende Klauseln. Überdies greifen sie bei marktbeherrschenden Stellungen regelmäßig deshalb nicht ein, weil die vorgesehenen Marktschwellen überschritten sind.59 II.
Fusionskontrollverordnung
Die Fusionskontrollverordnung FKVO (EG) Nr. 139/200460 verbietet „Zusammen- 1133 schlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde“ (Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004). Regelbeispiel ist, eine beherrschende Stellung zu begründen oder zu verstärken. Diese Regelung setzt wesentlich früher an als Art. 82 EG, der eine missbräuchliche Ausnutzung verlangt, baut aber maßgeblich61 auf dem Grundmerkmal des Missbrauchsverbotes auf, nämlich einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben. Dabei wird allerdings auch die Begründung einer solchen Stellung erfasst, welche Art. 82 EG voraussetzt. Handelt es sich jedoch um deren Verstärkung, können sich die Anwendungsbereiche beider Regelungen leicht überschneiden. Das grundsätzliche Verhältnis beider Bestimmungen wird davon geprägt, dass 1134 Art. 82 EG als Primärrecht vorrangig ist. Die Fusionskontrollverordnung kann deshalb zwar ergänzen, nicht aber verändern oder gar zurückdrängen. Das Missbrauchsverbot bleibt daher in vollem Umfange unmittelbar und direkt wirksam.62 Es wird von der FKVO (EG) Nr. 139/2004 im Gegensatz zu Art. 81 EG auch nicht partiell in Bezug genommen, so dass es stets ungefiltert zur Anwendung kommt. Die zuständigen Wettbewerbsbehörden sowie die Gerichte haben es in vollem Umfange heranzuziehen, auch wenn die Fusionskontrollverordnung eingreift. Das gilt auch unabhängig vom Verhältnis der Kartellverfahrens- und der Fusionskontrollverordnung.63 Vielmehr ist eine Harmonie in erster Linie dadurch herzustellen, dass die Fusionskontrollverordnung im Lichte des Missbrauchsverbotes aus58
59 60 61 62 63
EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (358 f., Rn. 25) – Tetra Pak I; s. auch EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1459 f., Rn. 44) – Compagnie maritime belge transports; anders Teile der Literatur, Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 202; Wiedemann, Kommentar zu den Gruppenfreistellungsverordnungen, Bd. 1 I. AT Rn. 373. S. im Einzelnen Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 41. Des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. L 24, S. 1. S.u. Rn. 1762. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848 f., Rn. 33 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen; bereits Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (318, Rn. 23) – BRT/SABAM II. S. zu Art. 21 FKVO (EG) Nr. 139/2004 u. Rn. 1665.
428
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
gelegt wird. Sie ist also nicht speziell und tritt neben das Missbrauchsverbot. Dieses greift mithin nicht nur ein, wenn der Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung gar nicht eröffnet ist, sondern auch parallel zu ihr, sofern ein missbräuchliches Verhalten vorliegt.64 Allerdings will die Kommission auf Zusammenschlüsse selbst nur noch die Fusionskontrollverordnung anwenden.65 Erfolgten in der Fusionskontrollverordnung Konkretisierungen und Ausgestal1135 tungen, können diese nähere Aufschlüsse für die Auslegung des Missbrauchverbotes geben, welches aufgrund seiner weiten Fassung schon in Widerspruch zur notwendigen Klarheit und Vorhersehbarkeit einer Norm gesehen wurde.66 Ist dieser Einwand auch inzwischen infolge der vielfältigen Interpretation durch die Rechtsprechung und die Kommissionspraxis überholt,67 können gleichwohl die Maßstäbe, die in der Fusionskontrollverordnung enthalten oder bei ihrer Anwendung entwickelt worden sind, auch bei der Anwendung des Missbrauchsverbots fruchtbar gemacht werden,68 gewinnt doch dadurch die Konkretisierung möglicherweise weiter an Klarheit und Präzision. Allerdings ist dabei der unterschiedlich weite Anwendungsbereich und auch der sich daraus ergebende divergierende Hintergrund beider Regulierungen zu beachten. Nur so weit vor diesem Hintergrund die Wertungen nach der Fusionskontrollverordnung mit dem Anliegen von Art. 82 EG konform sind, ist eine Übernahme möglich. Umgekehrt ist wie im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG darauf zu achten, dass auch bei einer fusionskontrollrechtlich zulässigen Maßnahme kein Missbrauch zurück bleiben kann.69 III.
Art. 86 EG
1136 Art. 86 Abs. 1 EG verweist auf Art. 82 EG, und Art. 86 Abs. 2 EG schränkt diese Verweisung insoweit und auch in anderen Fällen ein. Damit bestimmt Art. 86 EG den Anwendungsbereich von Art. 82 EG bei staatlichem Einfluss. Die Vorschrift greift daher nur ein, wenn tatsächlich ein staatlicher Einfluss besteht. Handeln die Unternehmen trotz staatlicher Einflüsse autonom, greift hingegen Art. 82 EG unmittelbar.70 Autonomes unternehmerisches Verhalten liegt dann vor, wenn es von staatlichen Stellen nicht maßgeblich bestimmt wurde. Lediglich bei einer solch starken staatlichen Prägung ist Art. 82 EG auf die Unternehmen selbst nicht an-
64 65 66 67 68 69 70
Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 10; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 42 a.E. S.u. Rn. 1665. Krit. etwa noch Koch, in: Grabitz/Hilf, 4. Lieferung 1986, Art. 86 Rn. 11. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 28. S. schon EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (554, Rn. 130 ff.) – Hoffmann-La Roche: Grundlage für Sanktionen. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 42. S.o. Rn. 1132. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2517 f., Rn. 34) – Bodson; Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4699, Rn. 53) – Banchero.
§ 1 Systematik und Bedeutung
429
wendbar, sondern nur auf die entsprechende staatliche Stelle.71 Offensichtlich ist dies bei staatlich aufgezwungenen Verhaltensweisen.72 Jedoch auch eine bloße Normkonstellation oder sonstiges staatliches Handeln 1137 können unternehmerisches Verhalten spürbar beeinflussen, so wenn die bloße Ausnutzung staatlich geschaffener Rahmenbedingungen automatisch oder tendenziell missbräuchliche Verhaltensweisen auftreten lässt.73 Die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte, die in Art. 86 Abs. 1 EG angesprochen wird, ist dafür prädestiniert. Unternehmerisches Verhalten aus Art. 82 EG gänzlich herauszunehmen, setzt aber nach hier vertretener Konzeption voraus, dass die unternehmerische Selbstbestimmung ausgeschaltet bzw. überlagert wird und damit für die Wettbewerbsverfälschung keine maßgebliche Ursache mehr bildet.74 In Fällen, die von Art. 86 Abs. 1 EG nicht erfasst sind, kann die allgemeine 1138 Norm des Art. 10 EG, dessen Konkretisierung Art. 86 Abs. 1 EG darstellt,75 das Eingreifen von Art. 82 EG auslösen. Dieser Schritt erfolgt aber zulasten staatlicher Einheiten.76 Handelt der Staat selbst als Unternehmen und nicht erst über durch ihn mit ausschließlichen oder besonderen Rechten ausgestattete Unternehmen, greift Art. 82 EG unmittelbar. Art. 86 Abs. 1 EG hat also spezifisch für Markteingriffe der Mitgliedstaaten im 1139 Hinblick auf öffentliche und monopolartige Unternehmen die Funktion, Art. 82 EG zu aktivieren. Er schließt damit insoweit die Lücke, die Art. 82 EG wegen seiner Beschränkung auf unternehmerische Verhaltensweisen lässt. Diese Vorschrift bleibt gleichwohl der Bezugspunkt. Indem Art. 86 Abs. 1 EG das Missbrauchsverbot aktiviert, müssen die Voraussetzungen des Art. 82 EG gegeben sein können, wegen der Präventivfunktion von Art. 86 Abs. 1 EG aber nicht tatsächlich erfüllt sein.77 Dieser bildet also nur eingeschränkt eine Rechtsgrundverweisung. Die staatliche Beeinflussung muss mithin bewirken können, dass ein Unternehmen seine bereits bestehende marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt und dadurch den innergemeinschaftlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen vermag. Daher wird nicht erfasst, wenn die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte bzw. die Gründung eines staatlichen Monopols erst zu einer marktbeherrschenden Stellung führt. Deren Innehabung als solche verstößt noch nicht gegen das Missbrauchsverbot.78 71 72 73
74 75 76 77 78
EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 10) – Corbeau. Näher auch zum Folgenden o. Rn. 109, 688 ff. EuGH, Rs. 90/76, Slg. 1977, 1091 (1125 f., Rn. 18) – Van Ameyde. S. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2019, Rn. 34) – Höfner und Elser; Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 (7148 f., Rn. 29, 31) – Job Centre; Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5891, Rn. 95 ff.) – Albany; Rs. C-115-117/97, Slg. 1999, I-6025 (6057 f., Rn. 95 ff.) – Brentjens; Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 (6151 f., Rn. 85 ff.) – Drijvende Bokken. S. zum Kartellverbot o. Rn. 688 ff. EuGH, Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4697 f., Rn. 46) – Banchero. Dazu ausführlich u. im Zusammenhang Rn. 1954 ff. S.u. Rn. 1989, 2016 ff. S. EuGH, Rs. C-18/93, Slg. 1994, I-1783 (1825, Rn. 42) – Corsica Ferries I; Rs. C-163/96, Slg. 1998, I-533 (579, Rn. 27) – Silvano Raso; Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3995, Rn. 40) – Corsica Ferries II.
430
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Wird solchermaßen die Wirkung des Art. 82 EG durch Art. 86 Abs. 1 EG aktiviert, entfaltet sich diese Wirkung auch in der Weise, wie sie bei unmittelbarer Anwendung des Missbrauchsverbots zum Tragen käme. Art. 82 EG hat daher unmittelbare Wirkung und entfaltet Rechte für den Einzelnen, die auch von den nationalen Gerichten zu beachten sind.79 Damit kann auch staatliches Verhalten unmittelbar abgewehrt werden. Art. 86 Abs. 1 EG wirkt indes als zusätzliche Aktivierung des Missbrauchsver1141 bots. Dessen Anwendung auf unternehmerische Verhaltensweisen selbst bleibt also unberührt. Spielen staatliches und unternehmerisches Verhalten zusammen, so dass beide verantwortlich sind, werden beide Verhaltenskomponenten erfasst: Die eindeutig dem Staat zurechenbare Verhaltensweise nach Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 82 EG,80 in Bezug auf das unternehmensautonome Verhalten durch Art. 82 EG unmittelbar.81 Art. 86 Abs. 1 EG weitet also den Bereich zur Anwendung des Missbrauchsverbots lediglich aus, ohne Art. 82 EG selbst nicht mehr unmittelbar eingreifen zu lassen und damit zu verdrängen. Einschränkend wirkt hingegen Art. 86 Abs. 2 EG. Er schließt für Unternehmen, 1142 die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, insbesondere Wettbewerbsregeln und damit auch Art. 82 EG aus, wenn ihre Anwendung rechtlich oder tatsächlich die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe unverhältnismäßig oder die Entwicklung des Handelsverkehrs entgegen dem Interesse der Gemeinschaft beeinträchtigt.82 Damit steuert Art. 86 sowohl in Abs. 1 als auch in Abs. 2 EG die Anwendung von Art. 82 EG, einmal erweiternd, das andere Mal beschränkend. Im zweiten Fall ist er aber zugleich Beleg für die umfassende Geltung der Wettbewerbsregeln auch im Bereich der Daseinsvorsorge.83 Konflikte mit dem Missbrauchsverbot treten damit aber nicht auf, weil Art. 86 EG eine Vorentscheidung darüber trifft, ob das Missbrauchsverbot heranzuziehen ist oder nicht. 1140
E.
Unmittelbar wirkendes Verbot
1143 Art. 82 EG ist als absolutes Verbot formuliert und daher umfassend unmittelbar wirksam.84 Es sind auch keine Ausnahmen vorgesehen. Insoweit ist das Missbrauchsverbot unbedingter als das Kartellverbot, das in Art. 81 Abs. 3 EG Freistellungen enthält. Da solche in Art. 82 EG als unmittelbar Art. 81 EG nachgeord79
80
81 82 83 84
EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431, Rn. 18) – Sacchi; Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5930, Rn. 23) – Genova; Rs. C-22/98, Slg. 1999, I-5665 (5691, Rn. 21) – Becu; Rs. C-258/98, Slg. 2000, I-4217 (4238 f., Rn. 17) – Giovanni Carra. Darauf beschränkend EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 (1272, Rn. 55) – Telekommunikations-Endgeräte; Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2568, Rn. 12) – Corbeau. Z.B. Pappalardo, FCLI 1984, 515 (527 f.); Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 49 m.w.N. Ausführlich u. Rn. 2026 ff., 2038 ff. S.u. Rn. 1985. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848, Rn. 32) – Ahmed Saeed Flugreisen.
§ 1 Systematik und Bedeutung
431
neter Vorschrift fehlen, kommen sie nicht in Betracht.85 Eine Übertragung der Ausnahmetatbestände des Art. 81 Abs. 3 EG scheidet aus. Infolge dieser Absolutheit ist es auch problematisch, wenn mitgliedstaatliche 1144 Rechtsordnungen missbräuchliches Verhalten sachlich rechtfertigen.86 Dies kann allenfalls für den rein nationalen Bereich gelten. Solche Rechtfertigungen sind hingegen unanwendbar, wenn zugleich das Gemeinschaftsrecht eingreift. Im Übrigen stellt sich die Frage struktureller Defizite, da das Wettbewerbsrecht in immer stärkerem Maße auf das Gemeinschaftsrecht ausgerichtet wird, wie sich dies in Deutschland in der GWB-Novelle gezeigt hat. Das Gemeinschaftsrecht eröffnet lediglich die bereichsweise Ausnahmeklausel 1145 des Art. 86 Abs. 2 EG für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Damit wird die Brücke zu einer besonderen staatlichen Begünstigung geschlagen. Kommt es hingegen zu staatlichem Druck, der keinen Raum mehr für ein rein selbstbestimmtes Handeln der Unternehmen lässt, handeln nicht die Unternehmen missbräuchlich, sondern der Staat, so dass die Regeln für wettbewerbswidriges Verhalten staatlicher Einheiten eingreifen.87
F.
Systematik des Missbrauchsverbots
I.
Aufbau im Vergleich zum Kartellverbot
1.
Grundstruktur
Das Missbrauchsverbot formuliert vergleichbar zum Kartellverbot einen Verlet- 1146 zungstatbestand, welcher durch Beispielstatbestände näher konkretisiert wird. Am Anfang steht die Rechtsfolge der Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, die zugleich den Bezug deutlich macht, der sich dann in der Auslegung widerspiegelt. Sodann folgt der Verbotstatbestand selbst, nämlich die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Diese muss parallel zum Bezug der Rechtsfolgenanordnung auf dem Gemeinsamen Markt bestehen; gleichgestellt wird ein wesentlicher Teil desselben, wird doch auch dann die Verwirklichung eines möglichst einheitlichen Gesamtmarktes behindert. Die missbräuchliche Ausnutzung kann im Gegensatz zur Verwirklichung des Kartelltatbestandes nach Art. 81 Abs. 1 EG durch ein oder mehrere Unternehmen erfolgen; das Zusammenwirken verschiedener Unternehmen ist aber eher die Ausnahme. Dieses Verhalten muss dazu führen können, den Handel zwischen Mitgliedstaa- 1147 ten zu beeinträchtigen. Hier wird wie in Art. 81 Abs. 1 EG das grenzüberschreitende Erfordernis aufgestellt. Im Gegensatz zum Kartellverbotstatbestand fehlt al85 86 87
EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848, Rn. 32) – Ahmed Saeed Flugreisen; EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (357 f., Rn. 23 ff.) – Tetra Pak I. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 8 ff., 27 im Hinblick auf Frankreich und Portugal. S.o. Rn. 688 ff. sowie u. Rn. 1954 ff.
432
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
lerdings das weitere Element, dass die untersuchte Verhaltensweise eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt. Davon wird man jedoch auszugehen haben, wenn eine beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt wird. Das gilt zumal deshalb, weil Art. 82 lit. a)-d) EG beinahe dieselben Beispielstatbestände für untersagte Verhaltensweisen enthält wie Art. 81 Abs. 1 lit. a), b) sowie d), e) EG, nur dass sich diese auf den Missbrauch und nicht wie im Rahmen des Kartellverbotes auf die Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Gemeinsamen Marktes beziehen. 2.
Beispielstatbestände
1148 Wie Art. 81 Abs. 1 EG enthält Art. 82 EG eine Reihe von Beispielstatbeständen, in denen regelmäßig der Verbotstatbestand erfüllt ist. Diese sind nahezu gänzlich parallel formuliert. Es fehlt praktisch nur Art. 81 Abs. 1 lit. c) EG, nämlich die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen. Eine solche Aufteilung erfolgt aber typischerweise zwischen mehreren Unternehmen und nicht durch eines, welches den Hauptakteur des Missbrauchsverbotes bildet. Die Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. c) und d) sowie Art. 81 Abs. 1 lit. d) und e) EG stimmen wörtlich überein, lit. a) ist lediglich insofern anders formuliert, als es in Art. 82 Ein- und in Art. 81 Abs. 1 Ankaufspreise heißt. Art. 82 lit. b) EG ist um den Passus „zum Schaden der Verbraucher“ ergänzt, was aber sachlich auch für Art. 81 Abs. 1 lit. b) EG zutrifft, der die Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung und zudem, also weiter formuliert als in Art. 82 lit. b) EG, der Investitionen hinzunimmt. Eine solche Kontrolle führt aber regelmäßig auch zu einer Einschränkung zulasten der Verbraucher, zumal wenn sie durch einen marktbeherrschenden Wirtschaftsteilnehmer erfolgt. 3.
Keine Freistellung
1149 Der fundamentale Unterschied des Missbrauchsverbots zum Kartellverbot liegt darin, dass Art. 82 EG keine Freistellung vorsieht. Dieser Gegensatz in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Normen belegt gerade, dass Missbräuche nach Art. 82 EG nicht freistellungsfähig sind. Wegen der sonst bestehenden Übereinstimmung und der Divergenz gerade in diesem Punkt ist auch eine Übertragung von Art. 81 Abs. 3 EG ausgeschlossen.88 Hintergrund dürfte der besondere Unwertgehalt der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung sein. Daher können auch nicht außerhalb der Wettbewerbsvorschriften stehende Elemente für eine Rechtfertigung herangezogen werden, selbst nicht im Wege einer praktischen Konkordanz durch Einbeziehung der an anderer Stelle im EG abgesicherten Elemente oder der hier bevorzugten Einflechtung in Art. 81 Abs. 3 EG.89 So können auch nicht Gesundheitsschutz oder Umweltschutz durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verwirklicht werden. 88 89
S.o. Rn. 1143. S.o. Rn. 88 ff., 985 ff.
§ 1 Systematik und Bedeutung
4.
433
Keine Rechtsfolgenanordnung
Dass in Art. 82 EG die in Art. 81 Abs. 2 EG aufgenommenen Nichtigkeitsfolge 1150 verbotener Vereinbarungen oder Beschlüsse nicht auftaucht, fällt hingegen praktisch nicht ins Gewicht. Die meisten unter Art. 82 EG fallenden Verhaltensweisen sind tatsächlicher Natur und bestehen nicht in Vereinbarungen oder Beschlüssen, welche typisch für eine Koordinierung mehrerer Beteiligter sind. Vielmehr setzt regelmäßig ein Unternehmen andere unter Druck und beeinflusst so deren Verhalten. Ein solches tatsächliches Verhalten wird auch im Rahmen des Kartellverbotes nicht von Art. 81 Abs. 2 EG erfasst, sondern die Rechtsfolgen ergeben sich aus der Verbotsanordnung als solcher, welche in Strukturgleichheit zu Art. 81 Abs. 1 EG auch in Art. 82 EG enthalten ist.90 Deshalb hülfe im Rahmen von Art. 82 EG eine Nichtigkeitsanordnung auch gar nicht weiter. Es geht vielmehr darum, die tatsächlichen negativen Folgen einer missbräuchlichen Ausnutzung ungeschehen zu machen. Hierzu bedarf es besonderer Rücksichten auf den schwächeren Betroffenen, der einem marktbeherrschenden Unternehmen ausgeliefert war.91 II.
Anwendungsbereich
1.
Persönlich und räumlich
Das Missbrauchsverbot bezieht sich auf das Verhalten eines oder mehrerer Unter- 1151 nehmen, welche ihre beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil von ihm missbräuchlich ausnutzen. Damit erfasst Art. 82 nicht nur kollektive, sondern auch und gerade individuelle Wettbewerbsbeschränkungen. Von welchen Unternehmensformen diese ausgehen, wird nicht näher spezifiziert; daher werden sämtliche Organisationsformen erfasst, sofern sie autonom agieren.92 Es kann sich also um alle Formen privaten Unternehmertums von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts über Genossenschaften und GmbHs bis zur AG ebenso handeln wie um öffentliche Unternehmen.93 Gem. Art. 86 EG findet das Missbrauchsverbot gerade auch auf öffentliche und mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestattete private Unternehmen Anwendung.94 Das gilt namentlich für Beliehene.95 Entsprechend der Anknüpfung des Missbrauchsverbots an eine beherrschende 1152 Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil dessel90 91 92 93
94 95
S.o. Rn. 1090 sowie u. Rn. 1415 ff. S.u. Rn. 1420. S.o. Rn. 368 u. auch 383. Z.B. EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431, Rn. 15 ff.) – Sacchi; Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3275, Rn. 17) – CBEM; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016 f., Rn. 20 ff.) – Höfner und Elser; Rs. C-48 u. 66/90, Slg. 1992, I-565 (633 ff., Rn. 20 ff.) – Kurierdienste Niederlande; zu Letzteren näher u. Rn. 1985 ff. S.o. Rn. 1136 ff. S. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1379, Rn. 7/9) – General Motors Continental; Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 (3300, Rn. 9) – British Leyland; Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5928, Rn. 14 ff.) – Genova.
434
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
ben kommt es nicht darauf an, woher ein Unternehmen kommt, wo es seinen Sitz hat. Entscheidend ist vielmehr, dass es innerhalb der EG eine beherrschende Stellung einnimmt, die sich auf das Gesamtgebiet erstreckt oder auf einen wesentlichen Teil.96 Zudem schützt das Missbrauchsverbot nur den Wettbewerb innerhalb des Ge1153 meinsamen Marktes, wie der Bezug der Unvereinbarkeit zeigt und in der Parallelvorschrift des Art. 81 EG explizit deutlich wird. Daher ist es auch erforderlich, dass sich die missbräuchliche Ausnutzung innerhalb der EG auswirkt und nicht lediglich in Drittstaaten.97 Umgekehrt werden an den Ort der missbräuchlichen Handlung keine näheren Anforderungen gestellt. Er kann daher auch außerhalb der Gemeinschaft liegen, sofern er sich nur in der Gemeinschaft wettbewerbsschädlich niederschlägt.98 2.
Sachlich
1154 Art. 82 EG verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben. Diese Grundvoraussetzung ist also zweigliedrig: zunächst muss eine beherrschende Stellung auf dem gesamten europäischen Markt oder einem wichtigen Bestandteil vorhanden sein. Diese Stellung muss weiter missbräuchlich ausgenutzt werden. Typisch dafür sind die aufgeführten Beispielstatbestände in Art. 82 lit. a)-d) EG. Jedoch greift jenseits dieser besonders hervorgehobenen Verhaltensformen die allgemeine Verbotsklausel ein, so dass auch sonstige unredliche Wettbewerbsbeschränkungen aus einer marktbeherrschenden Stellung heraus unter Art. 82 EG fallen können.99 Damit werden vielfältige Verhaltensweisen erfasst. Diese können von einem 1155 oder von mehreren Unternehmen durchgeführt werden; der Regelfall ist die erste Konstellation. III.
Mögliche Beeinträchtigung
1156 Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung innerhalb des Gemeinsamen Marktes muss gem. Art. 82 EG dazu führen können, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Sie muss also potenziell grenzüberschreitende Auswirkungen haben, wie dies auch für das Kartellverbot und die klassischen Grundfreiheiten erforderlich ist.100 Ihre Auswirkungen dürfen also nicht
96
97 98 99 100
S. etwa EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (243 f., Rn. 18 ff.) – Continental Can; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (283 ff., Rn. 36 ff.) – United Brands; Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1895 f., Rn. 3) – Hugin; EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1453 ff., Rn. 18) – Hilti. Ausführlich o. Rn. 197 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 29. EuGH, Rs. 22/79, Slg. 1979, 3275 (3288 f., Rn. 11 ff.) – Greenwich Film Production. Näher u. Rn. 1344 ff. S.o. Rn. 76 ff.
§ 1 Systematik und Bedeutung
435
lediglich das Gebiet eines einzigen Mitgliedstaates betreffen; dann gilt ausschließlich nationales Recht.101 Ob solche grenzüberschreitenden negativen Wirkungen bestehen, bestimmt sich 1157 maßgeblich nach der in Bezug genommenen Ziellinie des Gemeinsamen Marktes. Dessen Verwirklichung darf also nicht dadurch negativ betroffen werden können, dass der freie Handel zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet wird, indem namentlich die nationalen Märkte abgeschottet oder die Wettbewerbsstrukturen im Gemeinsamen Markt verschoben werden.102 Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie für Art. 81 EG.103 Ebenfalls parallel zum Kartellverbot erfasst das Missbrauchsverbot lediglich 1158 solche Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigen können. Fehlt hierzu die Eignung, greift Art. 82 EG nicht ein.104 Damit werden auch insoweit lediglich fühlbare Verstöße erfasst. IV.
Prüfungsschema 1. Anwendungsbereich a) Beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen bzw. einem wesentlichen Teilmarkt b) Missbräuchliche Ausnutzung: Regelbeispiele Art. 82 lit. a)-d) EG oder Generalklausel 2. Beeinträchtigung a) Mögliche Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels b) Spürbarkeit 3. Keine Freistellungsmöglichkeit!
101 102
103 104
EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 30) – L´Oréal; EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (522, Rn. 76) – RTE; Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 (566 f., Rn. 64) – BBC. Dazu o. Rn. 77 ff., 640 ff. EuGH, Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 (960, Rn. 16/18) – Béguelin; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (299, Rn. 198/202) – United Brands; EuG, Rs. T-65/89, Slg. 1993, II-389 (436, Rn. 134) – BPB Industries und British Gypsum.
1159
436
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
§ 2 Beherrschende Stellung A.
Primärrechtliche Anhaltspunkte
I.
Fähigkeit zu marktunabhängigem Verhalten
1160 Art. 82 EG definiert den Begriff einer beherrschenden Stellung nicht genauer. Damit bleibt er der Ausgestaltung durch die Rechtsprechung und durch die Behördenpraxis überlassen. Denn es handelt sich um einen gemeinschaftsautonomen Begriff, der nicht durch nationale Maßstäbe ausgefüllt werden kann. Allerdings enthält Art. 82 EG in lit. a)-d) bestimmte Beispielstatbestände, die 1161 durch Unternehmen in beherrschender Stellung nicht verwirklicht werden dürfen. Das setzt aber voraus, dass diese Unternehmen überhaupt dazu in der Lage sind, diese Tatbestände wie die Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen durchzusetzen. Damit muss die beherrschende Stellung derart sein, dass die Unternehmen die Fähigkeit dazu haben. Freilich enthält auch Art. 81 EG in Abs. 1 lit. a), b) sowie d) und e) vergleichbare Beispielstatbestände, ohne dass ein Unternehmen allein zu deren Verwirklichung in der Lage sein muss. Nach dieser Vorschrift muss aber ein Unternehmen im Zusammenwirken mit anderen zu diesen Beispielstatbeständen fähig sein. Damit muss nach Art. 82 EG die beherrschende Stellung eines oder mehrerer Unternehmen derart sein, wie sie im Rahmen des Kartellverbots erst durch eine Koordinierung zustande kommt. Nach dem Kartelltatbestand muss das Zusammenwirken verschiedener Unter1162 nehmen bezwecken oder bewirken, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen, was insbesondere durch die Beispielstatbestände nach Art. 81 Abs. 1 lit. a)-e) EG erfolgen kann, welche bis auf lit. c) denen nach Art. 81 lit. a)-d) EG entsprechen. Die kooperierenden Unternehmen müssen also in der Lage sein, den Wettbewerb zu beeinflussen. Das ist damit auch Grundbedingung einer marktbeherrschenden Stellung. Eine solche Beeinflussung ist dem beherrschenden Unternehmen dann möglich, wenn es sich gegenüber anderen unabhängig verhalten kann, also den normalen Bedingungen des Wettbewerbs zuwider handeln kann. Damit werden die Komponenten genannt, welche die inzwischen fest etablierte 1163 Definition des EuGH105 wie auch der Kommission106 konstituiert: Ein Unternehmen muss sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Marktstellung gegenüber Wettbewerbern, Abnehmern und damit auch den Verbrauchern in erheblichem Maße un105
106
EuGH, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3793, Rn. 26) – L´Oréal; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3503, Rn. 30) – Michelin; Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6008 f., Rn. 12) – Alsatel; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie; auch EuG, Rs. T-128/98, Slg. 2000, II-3929 (3976 f., Rn. 147 f.) – Pariser Flughäfen. KOME 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 (Rn. 67) – AKZO; 89/22/EWG, ABl. 1989 L 10, S. 50 (Rn. 114) – BPB Industries; 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Rn. 40 f.) – Soda/Solvay; 91/300/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 40 (Rn. 41 f.) – Soda/ ICI; 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 (Rn. 256) – Van den Bergh Foods; 2000/74/EG, ABl. 2000 L 30, S. 1 (Rn. 86) – Virgin/British Airways; 2002/405/EG, ABl. 2002 L 143, S. 1 (Rn. 172) – Michelin.
§ 2 Beherrschende Stellung
437
abhängig verhalten und dadurch wirksamen Wettbewerb auf dem relevanten Markt verhindern können. Dieser letzte Aspekt bildet dabei den Ausgangspunkt; er wird dadurch ausgefüllt, dass sich das Unternehmen unabhängig verhalten kann. II.
Beherrschung des Wettbewerbs
Durch diese Definition wird aber nur erfasst, dass ein marktbeherrschendes Unter- 1164 nehmen wirksamen Wettbewerb verhindern kann. Entsprechend der Steigerung des Missbrauchs gegenüber dem Kartellverbot genügt also nicht wie bei Art. 81 Abs. 1 EG eine bloße Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs. Damit muss die marktbeherrschende Stellung als Grundlage für ein missbräuchliches Verhalten darüber hinaus reichen, den Wettbewerb lediglich, und sei es auch spürbar, beeinflussen zu können; er muss vielmehr verhindert werden können. Das beherrschende Unternehmen muss ihn steuern können. Schließlich eröffnet Art. 81 Abs. 3 EG für bloße Beeinträchtigungen des Wettbewerbs die Möglichkeit der Freistellung und sieht lediglich als absolute Grenze in lit. b) vor, dass der Wettbewerb nicht für einen wesentlichen Teil der betroffenen Waren ausgeschaltet werden können darf. Es muss allerdings nur die Fähigkeit dazu bestehen. Ob dies gelingt oder gelingen kann, sieht man ohnehin erst im Verlaufe der weiteren Entwicklung. Die Unterbindung wettbewerbswidrigen Verhaltens sollte indes ansetzen, so 1165 lange der Wettbewerb noch existiert. Eine marktbeherrschende Stellung muss also nicht dazu führen, dass bereits Wettbewerb gänzlich unterbleibt oder lediglich in unwesentlichem Maße vorhanden ist. Es genügt, wenn der Marktbeherrscher die weitere Entwicklung des Wettbewerbs steuern oder nachhaltig prägen kann oder von ihm selbst nicht beeinflusst wird, so dass er gänzlich ohne Rücksicht auf ihn agieren kann.107 Auch dann besteht über kurz oder lang die Gefahr, dass der Marktbeherrscher den Wettbewerb praktisch wirkungslos machen und damit ausschalten kann. Er ist nämlich dann in der Lage, den bestehenden Restwettbewerb fortlaufend zu schwächen oder neuen Wettbewerb fernzuhalten. Diese Verhaltensoptionen sind damit alternativ heranzuziehen und begründen jeweils für sich gesehen eine marktbeherrschende Stellung.108 Es können nicht nur die Fälle erfasst werden, in denen kaum oder wie bei einem gesetzlichen Monopol gar kein Wett107
108
S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (290 ff., Rn. 107 ff.) – United Brands; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520, Rn. 39) – Hoffmann-La Roche; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3508, Rn. 48) – Michelin; aus der Kommissionspraxis z.B. KOME 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 (Rn. 21 ff.) – British Midland/Aer Lingus. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (290 f., Rn. 107 ff.) – United Brands; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3503, Rn. 30) – Michelin; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3451 ff., Rn. 55 ff.) – AKZO Chemie; auch EuG, z.B. Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (517, Rn. 63) – RTE; Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-755 (816 f., Rn. 122) – Tetra Pak II. Aus der Kommissionspraxis die Vorentscheidung 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72, S. 1 (Rn. 101, 104 f.) – Tetra Pak II; 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 (Rn. 18 ff.) – British Midland/Aer Lingus sowie bereits 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 (Rn. 67 ff.) – AKZO. Aus der Lit. etwa Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 57 f.; enger der Ansatz von Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 13; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 6, nach dem der Restwettbewerb reduziert werden (können) muss.
438
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
bewerb existiert.109 Ebenso relevant ist die aus einer marktbeherrschenden Stellung und insbesondere aus einem Monopol folgende Fähigkeit, den Wettbewerb auf einem Nachbarmarkt erheblich zu prägen.110 Es genügt, wenn das entsprechende Unternehmen auf dem relevanten Markt den Wettbewerb beherrscht und nicht vom Wettbewerb beherrscht wird, wie dies sonst regelmäßig der Fall ist. III.
EGKS111
1166 Diese Konzeption lässt sich auch aus Art. 65 f. EGKS herleiten, welche konkretere Regelungen trafen. Ist auch dieser Vertrag mittlerweile ausgelaufen,112 beruhen doch dessen Wettbewerbsregeln auf derselben geistigen Wurzel wie Art. 81 f. EG,113 was Interpretationsanleihen möglich macht, obwohl gravierende Unterschiede in Aufbau und Wortlaut bestehen.114 Art. 66 § 7 EGKS erfasste beherrschende Stellungen, durch die Unternehmen einem tatsächlichen Wettbewerb in einem beträchtlichen Teile des Gemeinsamen Marktes entzogen werden. Damit kann also weiterhin Wettbewerb stattfinden, auch wenn ein Unternehmen unabhängig von ihm agieren kann. Um beherrschende Stellungen zu verhindern,115 können Kartelle bzw. Unternehmenszusammenschlüsse nach Art. 65 § 2 lit. c) UAbs. 1 bzw. Art. 66 § 2 UAbs. 1 1. Spiegelstrich EGKS nur genehmigt werden, wenn sie nicht die Möglichkeit geben, auf einem bedeutenden Teil des Marktes dieser Erzeugnisse die Preise zu bestimmen, die Erzeugung bzw. Produktion oder den Absatz bzw. die Verteilung zu kontrollieren oder einzuschränken oder diese Erzeugnisse dem tatsächlichen Wettbewerb zu entziehen bzw. einen wirklichen Wettbewerb zu verhindern. Daraus folgen als Merkmale einer marktbeherrschenden Stellung die Macht, Preise zu bestimmen, den Markt zu kontrollieren und einen tatsächlichen Wettbewerb zu verhindern.116 Die Fähigkeit dazu genügt also, was vom EuGH denn auch schon früher bejaht wurde.117 109
110
111
112 113 114
115 116 117
S. z.B. EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (429 f., Rn. 12 ff.) – Sacchi; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 29 ff.) – Höfner und Elser; Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 (4465, Rn. 35) – GT-Link. Das sind die Verweisfälle nach Art. 86 Abs. 1 EG, s.o. Rn. 1136 ff. S. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (251, Rn. 22) – Commercial Solvents; Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3275 ff., Rn. 16 ff.) – CBEM; Rs. C-271 u.a./90, Slg. 1992, I-5833 (5868, Rn. 36) – Telekommunikationsdienste. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951, BGBl. II 1952 S. 447, in Kraft getreten am 23.7.1952, ausgelaufen am 23.7.2002. Am 23.7.2002, Art. 97 EGKS. EuGH, Rs. 13/60, Slg. 1962, 177 (201) – Ruhrkohlenverkaufskontore I. Näher zum Ganzen Schröter, in: van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 434 (439 ff.), a.A. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 54. S. EuGH, Rs. 13/60, Slg. 1962, 177 (183) – Ruhrkohlenverkaufskontore I. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 65. EuGH, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69 (84, Rn. 16) – Sirena; Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (501, Rn. 17) – Deutsche Grammophon; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 381; 2013, Rn. 456) – Suiker Unie; ebenso bereits Kommission, Das Problem der Unter-
§ 2 Beherrschende Stellung
IV.
439
Mögliche Betroffene
Gegenüber welchem Personenkreis eine beherrschende Stellung bestehen muss, 1167 legt Art. 82 EG nicht fest. Schon deshalb genügt es, wenn sie nur gegenüber den Anbietern bzw. Nachfragern besteht und nicht im Verhältnis zu den Konkurrenten.118 So macht auch erst die Alternativität von Einkaufs- oder Verkaufspreisen, welche erzwungen werden können, im Beispielstatbestand nach Art. 82 lit. a) EG ihren vollen Sinn. Der EuGH hat diese Frage trotz Gelegenheit dazu nicht explizit beantwortet,119 jedoch eine marktbeherrschende Stellung durch die Abhängigkeit der Handelspartner begründet gesehen.120 Diese Abhängigkeit besteht gerade bei Abnehmern und Lieferanten, die auf den Marktbeherrscher angewiesen sind. Sie können daher zu unangemessenen langfristigen Vertragsbindungen gezwungen sein, die deshalb dem Missbrauchsverbot unterliegen müssen. Die zurückhaltende Position des EuGH121 ist abzulehnen.122 Erst bei einer umfassenden Konzeption, die freilich ebenfalls nur Auswirkungen auf wesentliche Teile des Gemeinsamen Marktes erfassen darf,123 ist erklärbar, dass die Verhaltensweisen auf der vertikalen Ebene den Schwerpunkt der Beispielstatbestände bilden, nämlich gem. Art. 82 lit. a), c) und d) EG. Deshalb muss eine beherrschende Stellung auf dieser Ebene isoliert erfasst werden können. V.
Ursachenunabhängigkeit
Art. 82 EG stellt auf eine beherrschende Stellung als solche ab; deren Ursachen 1168 sind also gleichgültig. Es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung.124 Schließlich ist der Schutzzweck, den Restwettbewerb zu erhalten, umfassend. Damit wird das Missbrauchsverbot in gleicher Weise unabhängig davon angewendet, ob die beherrschende Stellung auf staatlicher Verleihung, unternehmerischer Leistung unter
118 119 120
121 122 123 124
nehmenskonzentration im Gemeinsamen Markt, Studien, Reihe Wettbewerb Nr. 3, 1966, S. 25; ohne das Kriterium der Fähigkeit hingegen KOME 72/21/EWG, ABl. 1972 L 7, S. 25 (35) – Continental Can Company; 73/109/EWG, ABl. 1973 L 140, S. 17 (38 f.) – Europäische Zuckerindustrie; später aber wieder aufgreifend, beispielsweise 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 (Rn. 67) – AKZO; weitere Nachw. o. bei Rn. 1163. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 75. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1895 ff., Rn. 3 ff.) – Hugin; positiv dagegen Kommission, 17. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1987, Tz. 84. Z.B. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1379, Rn. 7/9) – General Motors Continental; Rs. C-436/97 P, Slg. 1999, I-2387 (2392, Rn. 10) – Deutsche Bahn in Bestätigung von EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 (1714, Rn. 57) – Deutsche Bahn. EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6009, Rn. 14 f.) – Alsatel. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 76; ebenso Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 72. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 60. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 87; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 72; zur Ursachenunabhängigkeit bereits Mestmäcker, in: FS für Hallstein, 1966, S. 327 (329).
440
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
normalen Marktbedingungen oder auf davon abweichenden bzw. unlauteren Methoden beruht. Der wettbewerbsschädliche Weg dahin wird allenfalls über Art. 81 EG erfasst. Dass erst staatliches Verhalten zu einer beherrschenden Stellung führt, beeinflusst nicht die Anforderungen des Missbrauchsverbotes an Unternehmen.125 Aus Art. 86 Abs. 1 EG ergibt sich nichts Anderes. Darin wird vielmehr das 1169 Verhalten der Mitgliedstaaten gegenüber monopolartigen Unternehmen eigens auch dem Missbrauchsverbot unterworfen, ohne dass Unternehmen von Anforderungen freigestellt werden. Dies erfolgt vielmehr nur nach Art. 86 Abs. 2 EG. Damit tritt Art. 86 Abs. 1 EG lediglich neben Art. 82 EG.126 Die Felder, auf denen staatliche Monopole auftreten, sind allerdings zurück gegangen; so sind die Medien und der Telekommunikationsbereich weitgehend in privater Hand.127 Aber auch faktische Monopole etwa nach einer Privatisierung werden in vollem Umfang erfasst.128 Hingegen sind die Arbeitsvermittlung129 und die Verwaltung von Rentenfonds auch für Angehörige selbstständiger Berufe130 noch weitest gehend staatlich. Entsprechendes gilt für die Prüfung auf die Kompatibilität mit den einschlägigen Straßenverkehrszulassungsvorschriften durch beliehene Private.131
B.
Relevanter Markt
I.
Bedeutung und Kontext
1170 Bevor Marktstruktur, -verhalten bzw. -ergebnisse gewichtet werden können, ist der relevante Markt zu ermitteln. Dessen Bedeutung stellt Art. 82 EG dadurch klar, dass er die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben erfasst. Regelmäßig ist nicht der gesamte Gemeinsame Markt betroffen, sondern ein wesentlicher Teil davon. Daher ist der relevante Markt regelmäßig nicht nur sachlich, sondern auch räumlich zu bestimmen. Ein zeitliches Moment spielt namentlich 125
126 127
128 129 130
131
S. z.B. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1379, Rn. 7/9) – General Motors Continental; Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2145 f., Rn. 30/35) – Inno/ATAB; Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5979 ff., Rn. 14 ff.) – GB-Inno-BM; Rs. C-258/98, Slg. 2000, I-4217 (4237, Rn. 13) – Giovanni Carra; Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6533, Rn. 126) – Pavlov u.a. S.o. Rn. 1136 ff. S. dagegen noch EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (429, Rn. 12 ff.) – Sacchi; Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2961 ff., Rn. 27 ff.) – ERT sowie Rs. C-271 u.a./90, Slg. 31992, I-5833 (5868, Rn. 35 f.) – Telekommunikationsdienste. Z.B. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1895 ff., Rn. 3 ff.) – Hugin; s. auch Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 (6009, Rn. 31) – Tetra Pak. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 31) – Höfner und Elser; Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 (7148, Rn. 26 ff.) – Job Center. EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5890, Rn. 93) – Albany; Rs. C-115/98, Slg. 1999, I-6025 (6057, Rn. 93) – Brentjens; Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 (6151, Rn. 83) – Drijvende Bokken. S. EuGH, Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 (3299 f., Rn. 3 ff.) – British Leyland im Hinblick auf eingeführte KFZ.
§ 2 Beherrschende Stellung
441
dann eine Rolle, wenn es sich um rasch wandelnde Gegebenheiten oder um Saisonprodukte handelt. Insoweit liegen trotz Unterschieden im Detail und in der Bedeutung des relevanten Marktes die Probleme parallel zum Kartellverbot.132 Zwar bezieht sich der Begriff des Gemeinsamen Marktes oder eines wesentli- 1171 chen Teiles von ihm nicht notwendig (allein) auf die beherrschende Stellung, sondern es ist auch ein Bezug auf die missbräuchliche Ausnutzung möglich, wie auch Art. 81 Abs. 1 EG eine Wettbewerbsverfälschung auf dem Gemeinsamen Markt verlangt. Danach ist es auch möglich, dass eine beherrschende Stellung ohne Marktbezug begründet wird, indem eine bloße wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, so wenn andere Handelspartner infolge einer Monopolstellung gar nicht verfügbar sind.133 Diese Abhängigkeit wird indes regelmäßig gerade durch einen bestimmten Marktanteil begründet. Bei Monopolverhältnissen kann dieser 100 % betragen. Damit handelt es sich lediglich um eine „Abkürzung“ zur Bestimmung einer beherrschenden Stellung, bei der allerdings die Frage erwächst, in welchem Umfange sie gangbar ist, so wenn keine Monopolstellung vorhanden ist. Insoweit wurde allerdings ohne nähere Marktbestimmung eine beherrschende Stellung von Kommission und Gerichtshof angenommen;134 nicht eindeutig ist dies aber bereits im Falle der Angebotsverknappung.135 Im Regelfall gilt es jedoch, „den zu berücksichtigenden Markt hinreichend ge- 1172 nau abzugrenzen, damit sich die relative Stärke der Unternehmen auf einem solchen Markt beurteilen lässt“.136 Diese relative Stärke im relevanten Markt bildet die Basis dafür, unabhängig von Wettbewerbern und Verbrauchern zu agieren und die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern.137 Der relevante Markt markiert also den Rahmen, innerhalb dessen diese Beurteilung erfolgen kann.138 Dieser Rahmen ist vor dem Hintergrund des Normzwecks von Art. 82 EG aus- 1173 zufüllen. Das Missbrauchsverbot will verhindern, dass eine bestehende beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt und dadurch der noch bestehende Restwettbewerb weiter geschwächt wird. Bei der Bestimmung des relevanten Marktes für die beherrschende Stellung geht es also darum, die aktuelle Situation wiederzugeben. Lediglich in diesem Rahmen spielt die Marktentwicklung eine Rolle, wenn aufgrund der aktuell gegebenen Verhältnisse und dabei insbesondere wegen drohender Markteintritte Zweifel bestehen, ob die vorhandene Stellung be132 133
134
135 136 137 138
S.o. Rn. 553 ff., insbes. 557. So die Vertreter der Lehre vom „partenaire obligatoire“, Glais/Laurent, Traîté d´Economie et de Droit de la Concurrence, 1983, S. 286 ff.; Glais, RMC 1987, 203 (205); Hoet, RMC 1989, 135 (152 ff.). S. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1379, Rn. 7/9) – General Motors Continental; EuG, Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 (561, Rn. 51) – BBC; KOME 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 (Rn. 22) – Magill; 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 (Rn. 259) – Van den Bergh; 98/538/EG, ABl. 1998 L 252, S. 47 (Rn. 31) – AAMS. Bejahend KOME 77/327/EWG, ABl. 1977 L 117, S. 1 (9) – A.B.G.; offen hingegen EuGH, Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 (1526 f., Rn. 19/23) – BP Handelsmaatschappij. Bereits EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (249, Rn. 34 a.E.) – Continental Can. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3504 f., Rn. 37) – Michelin. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5.
442
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
herrschend ist oder nicht.139 Der künftige Markt spielt hingegen im Rahmen des Kartellverbotes insoweit eine Rolle, als der Wettbewerb auf ihm beschränkt werden soll oder tatsächlich wird. Auch die Fusionskontrolle zielt auf eine Einschätzung der künftigen Marktverhältnisse.140 Eine unterschiedliche Perspektive für die Bestimmung des relevanten Marktes 1174 besteht selbst im Rahmen von Art. 82 EG. Zwar geht es auch bei der missbräuchlichen Ausnutzung um bereits aufgetretene Verhaltensweisen. Jedoch müssen sie nicht notwendigerweise auf demselben Markt erfolgen, wo die beherrschende Stellung besteht. Das betrifft insbesondere die Konstellationen, in denen ein Unternehmen seine beherrschende Stellung auf einem Markt dazu nutzt, um auf einen benachbarten Markt zu gelangen.141 Zudem müssen die negativen Wirkungen des Missbrauchs für andere Unter1175 nehmen (s. explizit Art. 82 lit. c), d) EG) nicht notwendig auf dem Markt auftreten, auf dem die beherrschende Stellung bestand, selbst wenn der Missbrauch auf demselben Markt erfolgt. Daher können solche Wirkungen für die Bestimmung des Marktes zur Feststellung einer beherrschenden Stellung nicht herangezogen werden.142 Das gilt erst recht, wenn der relevante Markt für beherrschende Stellung und Missbrauch auseinander fallen, auch wenn eine enge Verbindung zwischen diesen Elementen verlangt wird.143 Lediglich bei einer Konvergenz der betroffenen Märkte bildet das dortige Auftreten missbräuchlicher Verhaltensweisen ein Indiz für das Bestehen einer beherrschenden Stellung; von den Beispielstatbeständen zu Art. 82 EG eignen sich allerdings nur die nach lit. a) und b).144 II.
Substituierbarkeit der Leistungen als Kernkriterium
1.
Maßgebliche Sicht der Abnehmer
1176 Wie im Rahmen des Kartellverbotes145 ist der relevante Markt für die Bestimmung einer beherrschenden Stellung nach Art. 82 EG maßgeblich danach zu bestimmen, ob die vom führenden Unternehmen angebotenen Waren oder Dienstleistungen ausgetauscht werden können und damit substituierbar sind. Nur dann sind diese Leistungen ersetzbar, so dass ein effektiver Wettbewerb zwischen ihnen entstehen kann. Sind sie hingegen für die gleiche Verwendung nicht hinreichend austausch-
139 140 141
142 143 144 145
S.u. Rn. 1211 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 125; u. Rn. 1756 ff. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents; Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5979 f., Rn. 18 f.) – GB-Inno-BM; zur umgekehrten Konstellation von missbräuchlichen Verhaltensweisen im Hinblick auf die beherrschende Stellung auf einem anderen, bereits dominierten Markt EuGH, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 (6008, Rn. 25 ff.) – Tetra Pak. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (251, Rn. 21) – Commercial Solvents; ebenso EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3448 ff., insbes. Rn. 47) – AKZO Chemie. EuGH, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 (6008, Rn. 25 ff.) – Tetra Pak. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 29. S.o. Rn. 553 ff.
§ 2 Beherrschende Stellung
443
bar, haben sie bei der Betrachtung außen vor zu bleiben.146 Nach der Konzeption des Gerichtshofes müssen sich die Erzeugnisse aufgrund ihrer Merkmale besonders dafür eignen, einen gleichbleibenden Bedarf zu befriedigen; zugleich dürfen sie mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Maße austauschbar sein.147 Diese Definition nimmt die Leistung als Ausgangspunkt und zielt aus dieser 1177 Sicht auf den Bedarf. Entsprechend der regelmäßigen Stabilität einer beherrschenden Stellung hebt sie auf einen gleichbleibenden Bedarf ab. Damit ist die Perspektive der Marktgegenseite entscheidend.148 Es entscheidet der Verbraucher bzw. bei einem Nachfragemarkt der Handelspartner über die Verwendbarkeit, wie es den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, welche zugrunde gelegt werden müssen, auch wenn sie durch irrationale Verhaltensweisen geprägt werden. Der sog. verständige Verbraucher ist eine Fiktion.149 Schließlich wird der Markt durch die tatsächlichen Verhaltensweisen geprägt. Die Kommission legt bereits im Ansatzpunkt das Gewicht auf den Verbraucher. Wird ein Erzeugnis oder eine Dienstleistung vom Verbraucher aufgrund der bestehenden Eigenschaften, der Preislage und des Verwendungszweckes als gleichartig angesehen, besteht Gleichartigkeit.150 Alle drei Elemente spielen ineinander, und nach dem jeweiligen Einzelfall richtet sich, wie stark seine jeweilige Bedeutung ist.151 2.
Eigenschaften als Ausgangspunkt
Den Ausgangspunkt bilden regelmäßig die Eigenschaften von Erzeugnissen und 1178 Dienstleistungen. Dazu gehören alle den Gebrauchswert bildenden Faktoren, seien sie stofflich, seien sie technisch. Im Hinblick auf die Austauschbarkeit sind das die Eigenheiten, die den Gebrauchswert ausmachen. So können spezifische technische Eigenschaften z.B. ein besonders hoch qualifiziertes Produkt unersetzbar machen und schon deshalb die Substituierbarkeit ausschließen, mithin eine ausschließliche und damit beherrschende Stellung begründen.152 Das gilt auch, wenn Schallplatten eines bestimmen Künstlers lediglich von einem Unternehmen erhältlich sind.153 Die Eigenschaften eines Produktes können daher nicht ohne Einbeziehung der 146 147
148 149
150 151 152 153
Grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (248, Rn. 32) – Continental Can; auch EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1472, Rn. 64) – Hilti; st. Rspr. S. EuGH, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3793, Rn. 25) – L´Oréal; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3504 f., Rn. 37) – Michelin; EuG, Rs. T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (1908 f., Rn. 62) – Kish Glass; st. Rspr. Z.B. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 30; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 31; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 44. Abl. auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 130 gegen Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 32; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 44. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 7). Näher Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 36 ff.). S. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1896, Rn. 7 ff.) – Hugin im Hinblick auf Ersatzteile für Registrierkassen. S. EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (501, Rn. 16 ff.) – Deutsche Grammophon.
444
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Wünsche und tatsächlichen Verwendungen der Abnehmer bestimmt werden. Damit ist man nach der Definition der Kommission beim Verwendungszweck. So können zwar Bananen zu vielen Zeiten des Jahres durch andere Obstsorten wie Äpfel und Pfirsiche sowie Trauben ausgetauscht werden. Freilich gelingt dies schon nicht das gesamte Jahr. Zudem lassen ihre Charakteristika, nämlich dass sie weich sind und keine Kerne haben, sie für Kinder, Alte und Kranke besonders geeignet erscheinen und sind insoweit nicht substituierbar, so dass Bananen und nicht das entsprechende Frischobst den relevanten Markt bilden.154 Schon aufgrund ihrer geringeren Zuverlässigkeit sind runderneuerte Reifen bis auf abgegrenzte Bereiche nicht mit Neureifen austauschbar.155 3.
Massenprodukte
1179 Gerade bei solchen Massenprodukten bietet es sich an, dass eine ganze Produktgruppe den sachlich relevanten Markt konstituiert. Für sie kann auf eine Einzelprüfung verzichtet werden, ob Erzeugnisse oder Dienstleistungen austauschbar sind. Sie müssen dann allerdings generell unter gleichen Wettbewerbsbedingungen vertrieben werden oder gleichartigen technischen Standards gehorchen oder auf vergleichbare Marktwünsche reagieren. Nachfrage und Angebot müssen also strukturell übereinstimmen. Das gilt zwar für verschiedene Typen und Größen von Ersatzreifen für schwere Fahrzeuge, nicht aber auch noch für Ersatzreifen für leichte Fahrzeuge, weil diesbezüglich die Betriebswege der Anbieter unterschiedlich sind.156 Insoweit werden die betreffenden Erzeugnisse nicht als Teile eines einheitlichen Ganzen gehandelt.157 Ein solches einheitliches Ganzes wegen paralleler Nachfrage und parallelem Angebot besteht hingegen für Schwimmglas, das nur deshalb verschiedene Stärken hat, weil insoweit britische und kontinentaleuropäische Kunden unterschiedliche Tragegewohnheiten haben.158 4.
Enge Märkte
1180 Ein Markt kann sehr eng sein, wenn Abnehmer eine besondere Nachfrage nach spezialisierten Erzeugnissen haben wie nach Ersatzteilen für Registrierkassen, die darauf ausgerichtete Reparaturbetriebe benötigen.159 Es zählt daher für die Nachfrage die jeweilige Stufe, auf der die Leistungen angeboten werden. Gerade Klein154 155
156 157
158 159
EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (281 ff., Rn. 12 ff.) – United Brands in Bestätigung der KOME 76/353/EWG, ABl. 1976 L 95, S. 1 (11 f.) – United Brands. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3507 f., Rn. 46 f.) – Michelin. Diese Beurteilung hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert, KOME 2002/405/EG, ABl. 2002 L 143, S. 1 (Rn. 116) – Michelin. Näher EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3505 ff., Rn. 37 ff.) – Michelin als repräsentativer Fall für diese Problematik. Darauf abstellend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 138 und dahin auch GA Lenz, EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3407, Rn. 59 f.) – AKZO Chemie. EuG, Rs. T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (1908 f., Rn. 62 ff.) – Kish Glass. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1896, Rn. 7) – Hugin.
§ 2 Beherrschende Stellung
445
betriebe können leicht von einem dominanten Anbieter abhängig sein, so dass Überschneidungen mit einer sich unabhängig vom Markt ergebenden Abhängigkeit auftreten, aus der allein eine beherrschende Stellung folgen soll.160 Hieran zeigt sich jedoch, dass regelmäßig der Markt durch eine entsprechende Abgrenzung erst darüber bestimmt, ob ein solcher kleiner Produktmarkt besteht.161 5.
Austausch des Abnehmers
Eng ist der Markt auch, wenn nicht auf der Seite der Anbieter, sondern bei den 1181 Nachfragern eine Konzentration erfolgt und die Hersteller wie im Bereich der Automobilindustrie lediglich nach den speziellen Wünschen eines Abnehmers produzieren. In diesen Zulieferkonstellationen mit Bestellung durch einen Auftraggeber nach speziellen Wünschen besteht der relevante Markt aus dem so hergestellten Produkt. Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn der Zulieferer in der Lage ist, ohne zu hohe Aufwendungen für andere Kunden technisch verwandte Erzeugnisse zu produzieren.162 Die Frage der Austauschbarkeit des Abnehmers und damit der Nachfragesubsti- 1182 tution stellt sich umgekehrt, wenn Hersteller überlegen, technisch verwandte Produkte zu den bisher vorhandenen auf den Markt zu bringen und dadurch den dominierenden Unternehmen Konkurrenz zu machen. Diese Option ist nur dann relevant, wenn sie ohne kostenintensive Produktionsumstellungen oder Neubauten und damit im laufenden Betrieb und zeitlich recht schnell wahrgenommen werden kann.163 Zwar sind im Rahmen des Missbrauchsverbotes künftige Entwicklungen insoweit zu berücksichtigen, als sie die dominierende Position eines Anbieters anzutasten vermögen.164 Das können sie aber nur, wenn es sich bei der Angebotssubstitution um eine reale Möglichkeit handelt. Es können also nicht sämtliche potenzielle Wettbewerber und deren Substitutionsmöglichkeiten den relevanten Markt erweitern.165 Sonst würde das Missbrauchsverbot faktisch ausgehöhlt. Zu recht wird daher in der Praxis eher ein enger Markt angenommen.166
160 161 162 163
164 165 166
S.o. Rn. 1167. Abl. auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 142. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 22; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 62; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 145. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (248 f., Rn. 33) – Continental Can; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3506, Rn. 41) – Michelin; aus jüngerer Zeit EuG, Rs. T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (1911, Rn. 68) – Kish Glass; Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 20 ff.). Näher Rn. 1211 ff. Problematisch daher KOME 88/501/EWG, ABl. 1988 L 272, S. 27 (Rn. 36 ff.) – Tetra Pak I; krit. auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 143 mit Fn. 619. Z.B. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1896, Rn. 7) – Hugin; dazu bereits o. Rn. 1180; zahlreiche weitere Beispiele bringt Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 28 f.
446
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
6.
Kreuzpreiselastizität
1183 Im Zentrum steht daher, welches Nachfrageverhalten der Verbraucher oder andere Abnehmer an den Tag legen. Damit kommt es höchstens darauf an, inwieweit diese bereit sind, andere Angebote wahrzunehmen. Die Kommission nimmt dazu als Ansatz, ob die Abnehmer bei einer fiktiven kleinen, aber bleibenden Erhöhung der Preise um 5-10 % für die Produkte des Marktführers auf leicht verfügbaren Ersatz ausweichen würden (Kreuzpreiselastizität, crosselasticity of demand).167 Besteht eine solche Wechselbereitschaft, spricht dies für die Einbeziehung der Substitute in den relevanten Markt. Das setzt allerdings voraus, dass der Preis wie bei Massenwaren des Alltages tatsächlich die Kaufentscheidung wesentlich determiniert und nicht in erster Linie Qualitätsmerkmale oder technische Spezifika eine Rolle spielen.168 Der Preis einer Leistung muss also, obgleich in der Kommissionsbekanntmachung eigens genannt,169 nicht in allen Konstellationen eine maßgebliche Rolle spielen, kann dies aber sehr wohl. So gehören aufgrund dieses Merkmals auch Erzeugnisse mit gleichen Eigenschaften zu unterschiedlichen Märkten, wenn sie bleibend in unterschiedlichen Preisklassen angeboten werden, so Neureifen für Kraftfahrzeuge bei deren Erstbereifung einerseits und für das Ersatzteilgeschäft andererseits.170 III.
Räumlich relevanter Markt
1.
Nachfrageverhalten als Ausgangspunkt
1184 Steht solchermaßen fest, welche Leistungen substituierbar sind, und ist damit der sachlich relevante Markt eingegrenzt, muss dessen räumliche Ausdehnung bestimmt werden. Die beherrschende Stellung ist auf den Gemeinsamen Markt oder auf einen wesentlichen Teil desselben bezogen. Damit ist in gemeinschaftlichen und nicht in rein nationalen Dimensionen zu denken. Allerdings zählt nicht im Hinblick darauf, dass einheitliche Marktverhältnisse im gesamten Binnenmarkt geschaffen werden sollen, allein der europäische Gesamtmarkt. Zwar mag die zunehmende Verflechtung der nationalen Wirtschaftssysteme tendenziell in einer immer größeren Menge von Konstellationen den gesamten Binnenmarkt als relevante Grundlage heranziehbar sein lassen.171 Jedoch steht neben dieser Möglichkeit der Gesamtbetrachtung des Gemeinsa1185 men Marktes weiterhin gleichberechtigt die Option eines wesentlichen Teilmark167 168 169 170 171
Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 17). Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 45; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 135, eine deutliche Begrenzung des Aussagewertes anmahnend. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 7). EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3505, Rn. 38) – Michelin; s. bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (250 f., Rn. 19 ff.) – Commercial Solvents. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 45; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 153.
§ 2 Beherrschende Stellung
447
tes. Ein solcher wird auch in den meisten Fällen immer noch vorhanden sein, weil die regelmäßig relevante Nachfrage172 selten in allen Gebieten der Gemeinschaft parallel liegen wird und zudem die hinzutretenden Angebotsmerkmale wie Preis und Verteilung verschiedener Unternehmen vielfach ebenfalls divergieren werden. Das wird auch in Zukunft so sein, selbst wenn die Rechtsharmonisierung und der Austausch der Wirtschaftsbeziehungen voranschreiten, weil die Charakteristika der Mitgliedstaaten bleiben und entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip nach dem System des Gemeinschaftsrechts auch bleiben sollen. Zudem sind die aktuellen Gegebenheiten maßgeblich, weniger die zukünftigen.173 Letztlich kann damit nur dann der Gemeinsame Markt als Ganzes die Beurteilungsgrundlage bilden, wenn es sich um gemeinschaftsweit gleichmäßig nachgefragte und auch vergleichbar angebotene Leistungen handelt wie verschiedene Gegenstände des täglichen Bedarfs, die einheitlichen Standards unterliegen, so Mineralwasser.174 Aber auch dann sind oft die Nachfragestärke, die Struktur der Anbieter und damit der Preis verschieden. Regelmäßig gilt es also, den einschlägigen relevanten Teilmarkt zu bestimmen. 1186 Ebenso wie im Hinblick auf die Möglichkeit, den europäischen Markt als Ganzes heranzuziehen, zählt auch insoweit, inwieweit substituierbare Leistungen durch dieselben Unternehmen in vergleichbarer Marktverteilung und unter vergleichbaren Bedingungen vorhanden sind. Auch beim räumlich relevanten Markt zählt in erster Linie das Nachfrageverhalten, bestimmt doch dieses das Angebot. Die Nachfrage wird determiniert von der Präferenz für bestimmte Merkmale von Leistungen, die vielfach von Alltagsgewohnheiten und kulturellen Prägungen abhängen, sowie auch vom Preis. Diese Merkmale sind nicht nur sachlich, sondern auch bezogen auf die regionale Ausdehnung zu betrachten und häufig von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. So isst man in Deutschland anderes Brot als in Frankreich und auch andere Sorten Käse. Selbst von Region zu Region innerhalb eines Mitgliedstaates kann es wesentliche Unterschiede geben, so in unterschiedlichen Weinvorlieben in Franken und Württemberg, aber auch im Preis. Gerade dieser letzte Aspekt der Verbraucherpräferenzen kann darüber entschei- 1187 den, ob auch weiter entfernte Anbieter einen Markt bedienen können. Aus Sicht des Verbrauchers ist allerdings noch das von der Kommission befürwortete Prüfungsmerkmal der Kreuzpreiselastizität relevant, nach dem dann noch derselbe Markt anzunehmen ist, wenn die Kunden bei einer dauerhaften Erhöhung der relativen Preise zwischen 5 und 10 % auf Leistungen eines anderen Anbieters an einem anderen Ort bzw. einem anderen Gebiet ausweichen würden.175 Danach kann
172 173 174 175
S.o. für den sachlich relevanten Markt Rn. 1176 ff. Darauf abstellend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 153. S.o. Rn. 1173. S. auch Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 48). S. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 29, 45, 50); s. bereits o. Rn. 1183; insoweit abl. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 151.
448
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
insbesondere beurteilt werden, inwieweit auch grenzüberschreitend Leistungen nachgefragt werden können. 2.
Angebotsbegrenzung
1188 Ob und in welchem Maße von den räumlichen Gegebenheiten her Leistungen zueinander in Konkurrenz treten können, wird auch dadurch maßgeblich bestimmt, inwieweit aus der Sicht des Anbieters ein Markt bedient werden kann. Davon hängt in räumlicher Hinsicht ab, wie sicher und stabil eine führende Stellung eines regionalen Anbieters ist. Dementsprechend zählt vor allem die Zugänglichkeit eines Teilmarktes. Unter Umständen setzt die Frische von Erzeugnissen insoweit grundsätzliche Grenzen. Bestehen solche nicht, hängt der Zugang auf den Markt regelmäßig von den anfallenden Kosten ab, so von denen für Transport176 oder die Errichtung einer Gebietspräsenz bzw. eines Vertriebsnetzes.177 Damit wird der natürliche Handlungsraum der Akteure einbezogen, wie es allgemeiner Ansicht entspricht.178 Zu diesen natürlichen Gegebenheiten kommen gerade aus Sicht des Anbieters 1189 künstliche Schranken, die aus technischen und sonstigen normativen Anforderungen etwa an die Verpackung und den Aufdruck sowie aus Kontingentierungen, divergierenden Steuersätzen etc. entstehen können, sofern sie sich auf den Marktzugang auswirken, also den Zugang aus einem entfernter gelegenen Gebiet ausschließen oder zumindest erschweren.179 Gerade aus solchen örtlichen und gesetzgeberischen Einwirkungen können Schranken entstehen, welche hinreichend homogene Wettbewerbsverhältnisse ausschließen, die erst den zu betrachtenden Bereich ergeben, um die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens abzuschätzen.180 Auch betriebliche Vorgänge können Wettbewerbsschranken aufrichten, so Marktaufteilungen zwischen Wettbewerbern.181 Bei absoluten Monopolstellungen ist es
176
177
178
179
180 181
Z.B. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (250, Rn. 35 a.E.) – Continental Can; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284 f., Rn. 45/56) – United Brands; aus jüngerer Zeit EuG, Rs. T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (1916 f., Rn. 81 f.) – Kish Glass. Näher Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 30 f., 50). S. KOME 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Rn. 42 f.) – Soda/Solvay; 91/300/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 40 (Rn. 44 f.) – Soda/ICI; aus der Lit. Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 24; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 36; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 148. Näher EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1940 ff., Rn. 13/15 ff.; 1994 f., Rn. 366/368; 2011 f., Rn. 441/442 ff.) – Suiker Unie; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (283 ff., Rn. 39/43 f.) – United Brands; Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 30). Auch EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6009, Rn. 13 ff.) – Alsatel. S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2011 f., Rn. 441/442) – Suiker Unie, sofern insoweit nicht ohnehin Art. 81 EG eingreift (EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6010, Rn. 20) – Alsatel), der im Gegensatz zu Art. 82 EG spezifisch die Marktauftei-
§ 2 Beherrschende Stellung
449
ohnehin das Gebiet des Monopols, sei es faktisch, sei es rechtlich, welches die räumliche Reichweite des relevanten Marktes bestimmt,182 es sei denn, dieses Gebiet mischt sich mit einer anderweitig begründeten beherrschenden Stellung, so dass sich daraus ein noch größeres Gebiet ergibt.183 Es zählen die Marktverhältnisse innerhalb des Gemeinsamen Marktes als Be- 1190 zugspunkt des Missbrauchsverbotes. Daher ist auch bei Unternehmen, die aus anderen Mitgliedstaaten auf dem europäischen Markt agieren, ausschließlich der europäische Markt bzw. Teilmarkt maßgeblich, nicht hingegen ein erweitertes Marktgebiet, das sich auch auf andere Staaten außerhalb der EU erstreckt. Damit zählt letztlich, welche Stellung diese Unternehmen in Europa haben, nicht hingegen, welche Beherrschungskraft ihnen auf anderen Gebieten zusteht. Allerdings kann etwa aus einer starken Stellung in einem Nachbarstaat der EU eine beherrschende Stellung in der EU verstärkt werden, so dass sich insoweit Wechselwirkungen ergeben. Es zählt aber letztlich nur die Beherrschungsmacht innerhalb der EU. Mag dies auch aufgrund globaler Märkte kritikwürdig sein,184 steht dem die klare Beschränkung des Missbrauchsverbots entgegen.185 3.
Erforderliche Wesentlichkeit des relevanten Marktes
Bildet der so von den angebotenen Leistungen und ihrer Substituierbarkeit her 1191 sowie aufgrund der Nachfragestrukturen sowie Angebotsgrenzen bestimmte relevante Markt nicht wie in mittlerweile durchaus einigen Fällen186 den gesamten Gemeinsamen Markt, sondern wie zumeist lediglich einen Teilmarkt, muss dieser nach Art. 82 EG einen wesentlichen Teil des europäischen Gesamtmarktes bilden.187 Durch die Verbindung des Kriteriums der Wesentlichkeit mit dem Gemeinsamen Markt steht es im Zusammenhang mit diesem Ziel. Es muss sich daher um einen Marktteil handeln, der wesentlich für die Verwirklichung des Gemeinsamen bzw. des sich anschließenden Binnenmarktes188 ist. Eine solche Bedeutung besteht
182
183 184 185
186
187 188
lung in seinem Beispielskatalog benennt. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 149 mit Fn. 653 mit weiteren Beispielen. S. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1378 f., Rn. 4 ff.) – General Motors Continental; Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 (3300, Rn. 3 ff.) – British Leyland; Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 (4465, Rn. 35) – GT/Link; KOME 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 (Rn. 21) – Magill. S. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2515, Rn. 27) – Bodson. Dahin Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 128. Insoweit beschränkt auch EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (248 ff., Rn. 9 ff.) – Commercial Solvents; grds. weiter allerdings die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 30 a.E., 51); s. auch KOME 92/262/EWG, ABl. 1992 L 134, S. 1 (Rn. 2 ff, 54) – Reederausschüsse; 93/82/EWG, ABl. 1993 L 34, S. 20 (Rn. 8 ff., 52 ff.) – CEWAL. S. z.B. bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (248 f., Rn. 9 ff.) – Commercial Solvents; Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1896 f., Rn. 3 ff.) – Hugin sowie später z.B. KOME 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 (Rn. 90) – Decca Navigator System. Zum Verhältnis dieser beiden Marktgrößen s.o. Rn. 1184 f. S.o. Rn. 1.
450
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
insbesondere dann, wenn ein relevanter Markt sich über verschiedene Mitgliedstaaten erstreckt,189 ohne dass es auf die Größe ankäme: so genügt der belgischluxemburgische Wirtschaftsraum.190 Das gilt auch dann, wenn es sich lediglich um Teilgebiete verschiedener Mitgliedstaaten handelt, finden doch auch dann grenzüberschreitende Vorgänge statt.191 Daher spielt insoweit auch die Größe keine Rolle.192 Eine solche unmittelbare grenzüberschreitende Ausdehnung ist aber dann nicht 1192 erforderlich, wenn ein Teilmarkt unabhängig von einer Verteilung auf mehrere Mitgliedstaaten eine solch große Dimension besitzt, dass er eine wesentliche Bedeutung innerhalb des Binnenmarktes hat. Ein einheitlicher europäischer Wirtschaftsraum kann nur zusammenwachsen, wenn jedenfalls zwischen den erheblichen Wirtschaftsregionen unverfälschte Wettbewerbsbedingungen herrschen. Die meisten bedeutenden Wirtschaftsregionen sind jeweils in einem einzigen Mitgliedstaat gelegen. Daher bilden nicht nur zumindest die mittelgroßen Mitgliedstaaten wesentliche Teile des Gemeinsamen Marktes,193 sondern auch größere Regionen in einem Mitgliedstaat, so etwa Süddeutschland.194 Da aus Sicht des Wettbewerbsrechts die Wirtschaftsfähigkeit zählt, kommt es 1193 auf die wirtschaftliche Bedeutung im Binnenmarkt an. Deshalb zählt weniger die räumliche Größe einer Region als vielmehr die in ihr steckende Wirtschaftskraft und die Nachfragemacht195 sowie das Nachfrageverhalten und auch die Angebotsfaktoren.196 Schließlich bilden das Nachfrageverhalten und in zweiter Linie auch die wesentlichen Angebotselemente die entscheidenden Gesichtspunkte für die Bestimmung des räumlich relevanten Marktes.197 Entweder die Produktion oder der Verbrauch muss daher in der entsprechenden 1194 Region eine Größe erreichen, dass sie für den gesamten europäischen Markt wesentlich ist. Für die Produktion hat dies der EuGH bei 7,5-10 % bejaht, für den Verbrauch bei etwa 5 % im Hinblick auf die Gesamtmenge in der Gemeinschaft.198 189 190 191
192
193
194 195
196 197 198
EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284 f., Rn. 45/56) – United Brands. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1995, Rn. 371 ff.) – Suiker Unie. Die Verbindung von einem oder mehreren Mitgliedstaaten mit der Teilregion eines Mitgliedstaates, KOME 72/21/EWG, ABl. 1972 L 7, S. 25 (38) – Continental Can Company; 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 (Rn. 21) – Magill. Darauf bezogen KOME 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 (Rn. 88) – Decca Navigator System; 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 (Rn. 21) – Magill: der größte Teil von Irland und Nordirland als relevanter Markt. Bezogen auf Belgien EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (316, Rn. 5) – BRT/SABAM II; für Griechenland Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2961, Rn. 31) – ERT; für Irland jedenfalls KOME 97/624/EG, ABl. 1997 L 258, S. 1 (Rn. 92 ff.) – Irish Sugar; 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 (Rn. 255) – Van den Bergh. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2011 ff., Rn. 441/442 ff.) – Suiker Unie. S. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2515, Rn. 28) – Bodson; bereits Thiesing, in: FS für Hartmann, 1976, S. 355 (360 f.) sowie GA Mayras, EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2104 f.) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1995, Rn. 371 ff.; 2012 f., Rn. 445/447) – Suiker Unie. S.o. Rn. 1184 ff. Für Zucker EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1995, Rn. 373 ff.) – Suiker Unie.
§ 2 Beherrschende Stellung
451
Die Zahlen können hier deshalb relativ gering sein, weil der große europäische Markt naturgemäß in viele Verbrauchs- und Produktionsteilgebiete zerfällt, die jeweils eine eigenständige Bedeutung haben, aber jeweils ein unabdingbares Rädchen für den Gesamtmarkt bilden. Je größer die Europäische Union wird, desto geringere Prozentsätze müssen genügen: zum einen bestehen dann immer mehr Teilmärkte, zum anderen wird es immer wichtiger, auch kleinere Einheiten einzubeziehen, weil ansonsten tendenziell größere Flächen aus dem Schutzkonzept der Wettbewerbsregeln herausfallen würden. Von stets wachsender Bedeutung bei einer fortwährenden Erweiterung, aber 1195 auch aufgrund der stets zunehmenden Mobilität von Leistungen sind die Verkehrswege, zumal wenn sie das Sprungbrett für einen grenzüberschreitenden Handel bilden. Daher können auch einzelne See-199 und Flughäfen200 und selbst einzelne Routen,201 sofern diese die Basis von wichtigen Leistungstransfers im Gemeinsamen Markt bilden, als zentrale Austauschverbindungen ein wesentlicher Teil dieses Marktes sein. Ob sich eine Route als Markt nur auf ein Transportmittel bezieht oder auch etwa neben dem Flugzeug die Bahn erfasst, hängt von der Wettbewerbslage und damit von der Substituierbarkeit ab,202 also vor allem von vergleichbaren Preisen und Zeiten. IV.
Zeitlich parallele Wettbewerbssituation
Neben der sachlichen und räumlichen hat die Abgrenzung des relevanten Marktes 1196 auch eine zeitliche Komponente. Erzeugnisse sind lediglich dann austauschbar, wenn sie nicht nur von ihrem Gegenstand vergleichbar und vom Produktionsort her in derselben Verkaufsregion anzubieten sind, sondern auch zur gleichen Zeit aufeinander treffen können. So bilden Bananen deshalb mit Pfirsichen und Trauben keinen Gemeinsamen Markt, weil Letztere nicht das ganze Jahr über erhältlich sind.203 Zwar schließt dies bereits die sachliche Konvergenz der betroffenen Güter aus, weil sie damit nicht einen gleichbleibenden Bedarf gleichermaßen zufrieden stellen können.204 Insoweit unterliegt bereits der sachlich relevante Markt einem zeitlichen Faktor, weshalb ein eigenes Zeitmoment als Kriterium abgelehnt wird.205 Damit bleibt aber die Relevanz eines Faktors Zeit, wenn auch im Rahmen der Be199
200 201
202 203 204 205
Z.B. EuGH, Rs. C-18/93, Slg. 1994, I-1783 (1824 f., Rn. 41) – Corsica Ferries I; Rs. C-163/96, Slg. 1998, I-533 (579, Rn. 26) – Silvano Raso selbst für den Hafen von La Spezia. EuG, Rs. T-128/98, Slg. 2000, II-3929 (3977, Rn. 152) – Pariser Flughäfen. EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 – Compagnie maritime belge transports u.a. für die Frachtschifffahrt zwischen französischen bzw. nordeuropäischen Häfen sowie Westafrika bzw. Zaire; KOME 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 (Rn. 17) – British Midland/Aer Lingus für die Flugstrecke zwischen London Heathrow und Dublin. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (850, Rn. 41) – Ahmed Saeed Flugreisen. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (282 f., Rn. 23/33) – United Brands. S.o. Rn. 1178. S. Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 37; Thiesing, in: FS für Hartmann, 1976, S. 355 (369).
452
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
stimmung vergleichbarer Produkte. Es handelt sich daher zumindest um ein Kriterium, den relevanten Markt zu ermitteln. Weiter gehend können sich beherrschende Stellungen im Laufe der Zeit ändern. 1197 Jedenfalls zum Zeitpunkt eines missbräuchlichen Verhaltens muss daher eine beherrschende Stellung vorhanden gewesen sein, was untrennbar mit einer bestimmten Marktsituation und damit der richtigen Ermittlung des relevanten Marktes verbunden ist. Das zeigt sich besonders dann, wenn die beherrschende Stellung durch eine Sonderkonstellation wie eine Mangelsituation begründet wird.206 Oder aber ein neues Produkt wird zunächst von lediglich einem oder wenigen Unternehmen angeboten, bis auch andere Hersteller auf den Markt kommen und die Anteile der Anbieter der ersten Stunde schwinden. Dazu zählt dieser Anfangsmarkt. Hingegen ist die spätere Marktsituation entscheidend, wenn ein Anbieter die anderen mehr und mehr verdrängt, bis er den Wettbewerb beherrscht. Daher muss der relevante Markt auch zeitlich bestimmt und ggf. eingegrenzt werden.207 Der relevante Markt muss also im Anfangs- und Endzeitpunkt festgelegt werden, um sicherzustellen, dass das missbräuchliche Verhalten mit einer beherrschenden Stellung zusammen fiel.208
C.
Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung
I.
Relevante Aspekte und deren Gewichtung
1198 Es muss jeweils im Einzelfall festgestellt werden, ob ein Unternehmen allein oder gemeinsam mit anderen209 zu unabhängigem Verhalten und damit zur Verhinderung wirksamen Wettbewerbs fähig ist, so dass es eine marktbeherrschende Stellung innehat. Da diese Voraussetzung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben vorliegen muss, ist dessen Struktur in dem jeweiligen Segment entscheidend. Teil dieser Struktur ist auch das Unternehmen, dessen Position untersucht wird. Daher ist diese der Bezugspunkt, aus der sich ergibt, ob eine beherrschende Stellung im gesamten relevanten Markt vorliegt. Dabei kann nicht nur die Position des jeweils untersuchten Unternehmens relevant sein, sondern auch sein Marktverhalten sowie seine Marktergebnisse. Jedoch werden dann Elemente einbezogen, die das weitere Tatbestandsmerkmal der missbräuchlichen Ausnutzung konstituieren. Sie können daher jedenfalls nicht allein entscheidend dafür sein, ob eine beherrschende Stellung vorliegt, wenngleich sie insbesondere aus einer solchen heraus unternommen werden können und daher 206 207
208 209
So im Falle der Ölkrise EuGH, Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 (1528 f., Rn. 35/39) – BP Handelsmaatschappij. Mittlerweile ganz h.M., z.B. Hoppmann, Die Abgrenzung des relevanten Marktes im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, 1974, S. 32; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 48; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 58 ff.; weitere Nachw. bei Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 155 Fn. 681. Auch EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284, Rn. 45/56) – United Brands. Dazu u. Rn. 1391 ff.
§ 2 Beherrschende Stellung
453
auch auf diese rückschließen lassen. Das kann aber allenfalls untergeordnet erfolgen. Sie besitzen insoweit auch in der Praxis lediglich eine Nebenrolle. Das gilt auch wegen ihrer relativ geringen Aussagekraft in diesem Zusammenhang.210 Eine selbstständige Bedeutung vermögen diese Kriterien daher nicht zu haben und nur eine ergänzende Funktion einzunehmen. Mit dieser Gewichtung zieht der Gerichtshof im Allgemeinen mehrere Faktoren 1199 heran, die für sich gesehen nicht ausschlaggebend sein müssen, um das Vorliegen einer beherrschenden Stellung zu bestimmen.211 Klar im Vordergrund steht also die Marktstruktur, die im Hinblick auf die Position des untersuchten Unternehmens bestimmt wird, und nur in diesem Rahmen spielen dessen Marktverhalten und die Marktergebnisse mit herein. Den anderen Unternehmen kommt auch nur im Hinblick auf die Position des Marktbeherrschers Bedeutung zu, weil sich erst aus deren Stellung die relative Dominanz eines oder mehrerer Unternehmen ergibt, sofern sie nicht für sich gesehen bereits hinreichend stark ist. Ihr kommt jedoch keine selbstständige Bedeutung in dem Sinne zu, dass sie allein in der Lage ist, das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung zu hindern.212 II.
Berechnung des Marktanteils
Die Marktstruktur als notwendiger Ausgangspunkt und maßgeblicher Faktor für 1200 die Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung wird also vor allem durch die Marktanteile des untersuchten Unternehmens und ggf. die seiner Mitbewerber sowie die Möglichkeiten des Marktzutritts geprägt. Dabei ist zunächst der relevante Markt festzulegen,213 sofern er nicht klar auf der Hand liegt. Der Markt kann je nach Wirtschaftsebene und Leistungsstufe durchaus unterschiedlich sein. Auf diesem sind dann zuvörderst die Anteile des jeweils beherrschenden Unternehmens festzulegen. Der Marktanteil des untersuchten Unternehmens ist der Anteil dieses Wettbe- 1201 werbers auf dem relevanten Gesamtmarkt. Legt man dabei den Wert der umgesetzten Leistungen zugrunde, ist der Anteil des einzelnen Marktteilnehmers aus der Summe zu ermitteln, die sich aus dem Gesamtumsatz an Gütern und Dienstleistungen ergibt. Je nach dem, ob es sich um die beherrschende Stellung eines Anbieters oder Nachfragers handelt,214 ist die Summe der verkauften bzw. erbrachten oder die der gekauften bzw. sonst wie nachgefragten Leistungen maßgeblich. Je nach Branche können auch die vorhandenen Flotteneinheiten (Luftfahrt), die 210
211
212 213 214
S. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 78; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 91; offener bzgl. des Marktverhaltens Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 56 ff. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (286 ff., Rn. 67/68) – United Brands; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520 ff., Rn. 39 ff.) – Hoffmann-La Roche; EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1480, Rn. 80) – Hilti. Ähnlich Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 91 gegen Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 9-058 m.w.N. S. näher o. Rn. 1170 ff. Auch Letzterer kann eine solche innehaben, s.o. Rn. 1167, 1181.
454
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Reserven (Bergbau) oder die Kapazität (Ausschreibungsmärkte) aufschlussreich sein.215 Einfuhren in das räumlich relevante Gebiet zählen dazu, Ausfuhren sind hingegen herauszurechnen. Relevant sind nur die Wirtschaftsvorgänge von Unternehmen auf derselben Wirtschaftsstufe. Geht es um die beherrschende Stellung eines Alleinvertriebshändlers, zählen nicht die Umsätze der Groß- oder Einzelhändler.216 Bei finanziellen und personellen Verflechtungen sowie bei paralleler Absatzpolitik sind die Umsätze verschiedener Unternehmen zusammen zu zählen; zu Marktunternehmen gehören wegen ihrer Unselbstständigkeit die Umsätze der Handelsvertreter, Kommissionäre und Kommissionsagenten dazu.217 Umgekehrt ist ein auf verschiedenen Feldern tätiger Konzern nicht als Ganzes zu betrachten, sondern nur insoweit, als die jeweilige Wirtschaftsstufe betroffen ist und ein Einzelunternehmen nicht unabhängig am Markt agiert.218 Die umgesetzten Mengen spiegeln die tatsächlichen Verhältnisse insofern bes1202 ser wider, als durch Preisgestaltung gerade auch in Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung Verzerrungen auftreten können.219 Bei unterschiedlichen Ergebnissen liegt es daher nahe, die Berechnung nach Mengen anzusetzen, was die jeweilige Position am besten kennzeichnet. Das ist aber nicht zwingend. Ist ein Marktsegment besonders hochpreisig, entsteht ein verfälschtes Bild, wenn ausschließlich die Mengen herangezogen werden. In einem solchen Fall wird aber das Hochpreissegment regelmäßig einen eigenen Markt bilden. Die Kommission ist insoweit nicht festgelegt.220 Der EuGH zieht im Zweifel beide Ansätze zugleich heran.221 III.
Folgerungen
1203 Welcher Stellenwert dem Marktanteil des stärksten Unternehmens zukommt, hängt davon ab, welche Struktur der Gesamtmarkt im Hinblick auf Produktion, Angebot bzw. Nachfrage hat.222 Die Bedeutung der weiteren Entwicklung ergibt sich insbesondere daraus, dass auch Art. 82 EG eine Beschränkung des Wettbewerbs verhindern will und daher auch einen zukünftigen Markteintritt im Auge behalten muss. Zugleich ergeben sich daraus Anhaltspunkte, wie stark eine Stellung ist, so wenn ein angeblich marktbeherrschendes Unternehmen Anteile an seine Mitbe215
216 217 218 219 220 221 222
Im Einzelnen Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 53 ff.). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 102. S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 377; 2016, Rn. 478/481) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 (3094, Rn. 84 ff.) – Metro II. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 35; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 86. S. KOME 93/252/EWG, ABl. 1993 L 116, S. 21 (Rn. 27) – Gilette. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (526 ff., Rn. 53 ff.) – Hoffmann-La Roche. S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520 f., Rn. 39 ff.) – Hoffmann-La Roche; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3504, Rn. 36) – Michelin; aus der jüngeren Kommissionspraxis die beiden Entscheidungen KOME 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 (Rn. 18 ff.) – Van den Bergh sowie 2002/405/EG, ABl. 2002 L 143, S. 1 (Rn. 19 ff.) – Michelin.
§ 2 Beherrschende Stellung
455
werber verliert223 oder gewinnt bzw. zumindest erhält, was auf eine gleichbleibende, beherrschende Bedeutung schließen lassen kann.224 Die isolierte Betrachtung der Marktposition eines oder mehrerer zusammen 1204 agierender Unternehmen genügt, wenn ein besonders hoher Marktanteil besteht. Das gilt zumal dann, wenn dies für längere Zeit der Fall ist. Denn dann haben andere Unternehmen von vornherein eine unterlegene Position und sind auf den Marktbeherrscher angewiesen. Dieser kann gefahrlos auf absehbare Zeit unabhängig agieren, ohne seine Kunden zu verlieren, weil die Wettbewerber schlicht nicht in der Lage sind, kurzfristig die Nachfrage zu befriedigen. Deshalb müssen keine weiteren Beweise für eine marktbeherrschende Stellung erbracht werden.225 So sind auch Untersuchungen über Marktzutrittsschranken226 oder die Elastizität der Nachfrage227 entbehrlich.228 Unternehmen mit einem derart hohen Marktanteil richten schon dadurch Zutrittsschranken auf und können Nachfragewünschen grundsätzlich leicht nachgehen oder diese steuern, so dass sie eine etwaige Elastizität nicht zu fürchten brauchen. IV.
Gleitender Maßstab je nach Marktanteil
1.
Hoher Marktanteil als hinreichende Größe
Solche besonders hohen Marktanteile liegen jedenfalls dann vor, wenn ein Unter- 1205 nehmen eine Monopolstellung besitzt, sei es aufgrund staatlicher Verleihung, sei es aufgrund der tatsächlichen Entwicklung,229 aber auch regelmäßig bei einem Marktanteil von über 75 %,230 wenn man nicht wie das EuG schon mehr als 70 % genügen lässt.231 Diese Feststellung genügt völlig. Weitere Indizien sind insoweit entgegen der zusätzliche Anhaltspunkte heranziehenden Praxis der Kommission
223
224 225
226 227 228 229 230 231
Insoweit handelt es sich aber nicht um einen allein maßgeblichen Gesichtspunkt, s. EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1234 f., Rn. 77; 1241 f., 103 f.) – Compagnie maritime belge transports. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (290 f., Rn. 111/120) – United Brands; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 59 f.) – AKZO Chemie. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 381/382; 2013, Rn. 452 ff.) – Suiker Unie; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (521, Rn. 41) – Hoffmann-La Roche; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 60) – AKZO Chemie; EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1234 f., Rn. 76 f.) – Compagnie maritime belge transports. A.A. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 82; Korah, CMLR 1980, 395 ff. A.A. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 77; früher Knöpfle, BB 1982, 1805 (1808). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 93. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 94. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 379/380; 2013, Rn. 452) – Suiker Unie; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (526 f., Rn. 53 ff.) – Hoffmann-La Roche. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 92) – Hilti; Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1234, Rn. 76) – Compagnie maritime belge transports.
456
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
regelmäßig nicht erforderlich,232 wenngleich nützlich, sofern Ungewissheiten über die Marktanteile bestehen.233 Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn es sich um stets ganz neu zu erobernde Produktmärkte wegen rascher technischer Neuerungen handelt oder infolge der Neuheit der Leistung sich auch der marktführer nocht nicht fest etablieren konnte. 2.
Hinzunahme weiterer Gesichtspunkte
1206 Je weiter sich der Marktanteil von diesem hohen Wert entfernt, desto eher ist es notwendig, zusätzliche Kriterien heranzuziehen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Abstand des nächst größeren Wettbewerbers. Denn diese Distanz bestimmt zugleich darüber, wie stark die Position des größten Unternehmens ist und vor allem wie ungefährdet, so dass ein unabhängiges Verhalten möglich ist. So genügt im Allgemeinen schon ein Marktanteil von etwa 50 %, sofern die Anteile der beiden nächstkleineren Unternehmen zusammen nicht darüber liegen234 oder der nächstwichtige Anbieter um 50 % oder mehr darunter liegt.235 Insoweit ist dann zur Stellung des Marktbeherrschers die Gesamtstruktur des jeweiligen Marktes einzubeziehen. Liegt hingegen ein Konkurrenzunternehmen dichter an dem Anteil des größten 1207 Unternehmens und besteht lediglich ein Abstand von etwa 20 %, so bedarf es weiterer Anhaltspunkte.236 Dann gilt es durchgehend die künftige Entwicklungsfähigkeit einzubeziehen und damit nicht nur die Marktstruktur, sondern auch die Unternehmensstruktur und damit die wesentlichen Eigenschaften des Führenden zu beleuchten, die es ermöglichen, einen bestimmten Abstand zu den Mitbewerbern zu halten oder noch auszubauen. Je niedriger die Schwelle des untersuchten Unternehmens liegt und je geringer der Abstand zu den Wettbewerbern beträgt, desto eher und intensiver ist dieser Gesichtspunkt zu berücksichtigen.237 Insoweit kann auch Bedeutung erlangen, welches Verhalten Unternehmen an den Tag legen und welche Ergebnisse sie damit erzielen. Bei Marktanteilen unter 45 % bedarf es ohnehin einer umfassenden Bewertung 1208 der verschiedenen Umstände, um eine beherrschende Stellung nachweisen zu können. Ausgeschlossen ist dies nicht. So wurde selbst ein Marktanteil zwischen 19 %
232
233 234 235 236 237
Anders KOME 89/22/EWG, ABl. 1989 L 10, S. 50 (Rn. 115) – BPB Industries; 91/300/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 40 (Rn. 47) – Soda/ICI; 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 (Rn. 260 ff.) – Van den Bergh. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 94 a.E., der die genannten Kommissionsentscheidungen als unrichtig zurückweist. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (290 f., Rn. 111/120) – United Brands; Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (525, Rn. 51) – Hoffmann-La Roche. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3509 f., Rn. 52) – Michelin; aus der Lit. z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 49. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (528, Rn. 58) – Hoffman-La Roche. S. KOME 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 (Rn. 68 ff.) – AKZO; 88/589/EWG, ABl. 1988 L 317, S. 47 (Rn. 24 f.) – Londen European/SABENA.
§ 2 Beherrschende Stellung
457
und 35 % als möglicher Ansatz für eine marktbeherrschende Stellung gesehen.238 Dann müssen aber neben diesen Marktanteilen erhebliche Umstände aufgrund der Gesamtstruktur des jeweiligen Marktes sowie des Potentials des führenden Unternehmens vorliegen. Solche Aspekte können etwa in der ökonomischen oder technischen Überlegenheit liegen oder in der Auffächerung der Mitbewerber, so dass entsprechende Abstände vorliegen, welche aber über 10 % betragen sollten.239 3.
Niedrige Marktanteile
Mit diesem Ansatz können auch recht niedrige Marktanteile bewertet werden und 1209 ggf. in Relation zur Position anderer Unternehmen sowie zum Charakter des Gesamtmarktes eine marktbeherrschende Stellung begründen. Bei weniger als 10 % dürfte ein unabhängiges Verhalten allerdings höchstens unter außerordentlichen Gegebenheiten infrage kommen. Das gilt vor allem bei regelmäßig leicht austauschbaren Erzeugnissen wie Farbfernsehern, auch wenn man diese als technisch hoch entwickelt ansieht.240 Jedenfalls verlangt der EuGH die Erreichung eines nicht unerheblichen Teiles des relevanten Marktes.241 Im Hinblick darauf, dass nur solche Koordinierungen nach Art. 81 Abs. 3 lit. b) 1210 EG freistellungsfähig sind, die nicht den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten vermögen, können die in entsprechenden Konkretisierungsvorschriften benannten Schwellen auch für Art. 82 EG Indizienwirkung haben.242 Entsprechend der Obergrenze von 25 % für die Gruppenfreistellung im Bereich von Forschung und Entwicklung nach Art. 4 Abs. 3 der GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 2659/2000243 ist unterhalb eines solchen Marktanteils auch bei einer technischen Überlegenheit keine beherrschende Stellung anzunehmen. Bei erfolgreicher Spezialisierung in einem Nischenmarkt gilt Entsprechendes unterhalb eines Marktanteils von 20 %, da insoweit Art. 4 der VO (EG) Nr. 2658/2000244 für Spezialisierungsvereinbarungen die Obergrenze für eine Frei-
238
239 240 241 242 243
244
EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (527 f., Rn. 57 f.) – Hoffmann-La Roche; mit höheren Werten allerdings z.B. Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 (5690 f., Rn. 48) – DLG: 36 % bzw. 32 %; um die 40 % bei den Kommissionsentscheidungen 2000/74/EG, ABl. 2000 L 30, S. 1 (Rn. 88) – Virgin/British Airways sowie 88/589/EWG, ABl. 1988 L 317, S. 47 (Rn. 24 f.) – London European/SABENA. S. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 98. Noch EuGH, Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 (3094, Rn. 85 f.) – Metro II sowie bereits Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1903 f., Rn. 17) – Metro I. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (290, Rn. 107) – United Brands. Vgl. zu Parallelen o. Rn. 964 ff. VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. L 304, S. 7. VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. L 304, S. 3.
458
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
stellung zieht. Diese Schwelle stimmt mit den Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit überein.245 V.
Marktzutrittsschranken
1211 Eine beherrschende Stellung, die sich aus bestimmten Marktanteilen zusammensetzt, bedarf umso eher der Absicherung, je niedriger diese Anteile liegen. Eine solche Absicherung kann insbesondere bestehen, wenn Marktzutrittsschranken vorliegen. Dann nämlich sind Wettbewerber nicht in der Lage, auf den Markt zu kommen. Oft sind allerdings Marktzutrittsschranken auf Faktoren zurückzuführen, die einen geringen Marktanteil erst zu einer beherrschenden Stellung werden lassen. Dazu gehört insbesondere die wirtschaftliche und technische Überlegenheit des Marktführers, welche es anderen Unternehmen sehr schwer macht, auf dem relevanten Markt nachzuziehen. Das gilt vor allem dann, wenn eine technische Überlegenheit durch gewerbliche Schutzrechte untermauert ist,246 oder eine Wirtschaftskraft besteht, die schon dazu diente, Konkurrenten abzuwehren.247 Jedoch ist die Perspektive eine andere. Entscheidend aus dem Blickwinkel der Marktzutrittsschranken ist, wie wahrscheinlich aufgrund dieser Faktoren ein Wettbewerber den Markt betritt.248 Es zählen also nicht allein der Abstand zwischen Marktführer und weiteren Unternehmen und damit auch die eigenen Fähigkeiten der folgenden Unternehmen,249 sondern der aufgrund der Gesamtumstände zu erwartende Marktzutritt. Dazu gehört sicherlich die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit potenzieller Wettbewerber. Besonders begünstigend wirkt dabei, wenn ein Unternehmen auf einem benachbarten Markt bereits aktiv ist und sich durch eine leicht zu bewerkstelligende Umstellung seiner Anlagen auf den relevanten Markt zu begeben vermag oder anstelle der bisherigen Abnahme von bestimmten Erzeugnissen zur Eigenfertigung übergehen kann und will.250 Jedoch müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Marktübertritt 1212 bevorsteht. So genügt eine bloße ökonomische und technische Kapazität nicht, so lange nicht ganz konkrete Erzeugnisse unmittelbar vor der Produktion stehen und nicht lediglich in kleinem Umfang erprobt werden.251 Es zählen aber auch die nicht unternehmerischen Umstände, nämlich tatsächliche Verhältnisse und normative Gegebenheiten.252
245
246 247 248 249 250 251 252
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2 (Rn. 36 f.). EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 93) – Hilti. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3451 ff., Rn. 56, 61) – AKZO Chemie. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (291, Rn. 121/124) – United Brands sowie explizit Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 106 a.E. Darauf abstellend Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 39. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (250, Rn. 36) – Continental Can. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (249 f., Rn. 15) – Commercial Solvents. S. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1897, Rn. 9) – Hugin.
§ 2 Beherrschende Stellung
459
Inwieweit für Unternehmen die bloße theoretische Möglichkeit oder die tatsäch- 1213 liche Wahrscheinlichkeit besteht, auf einem Markt Fuß zu fassen, hängt vor allem davon ab, welche Kosten ihnen entstehen und ob sie auf dieser Basis Gewinne erzielen können. Sind ihre Gestehungskosten deutlich höher als die der bereits auf dem Markt präsenten Anbieter, kommen sie regelmäßig nicht als potenzielle Konkurrenten in Betracht.253 Besonders aufwändig sind die Kosten für Investitionen, um Produktionsanlagen zu errichten oder auch nur ein taugliches Vertriebssystem aufzubauen. Hohe Anlaufkosten fallen vor allem dann ins Gewicht, wenn die schon aktiven Anbieter Größenvorteile haben, welche erst einmal aufgeholt werden müssen.254 Zu diesen Größenvorteilen können sich fest etablierte Verbindungen zu Händlern und Absatznetzen gesellen, während umgekehrt neue Anbieter erst einmal eine stabile Versorgung eines neuen Marktes gewährleisten müssen.255 Bereits die Nachfrage als solche ist zweifelhaft, wenn ein Markt schon vollständig gesättigt ist256 oder gar ein Kapazitätsüberhang besteht.257 Schon die letzten Aspekte zeigen: Zu den rein unternehmensbezogenen Fakto- 1214 ren kommen außerhalb davon stehende Umstände. Dazu zählen auch tatsächliche Gegebenheiten wie die Abgeschiedenheit eines Gebietes, vor allem aber staatliche Rahmenbedingungen. Zu ihnen gehört, wenn der Staat einen Anbieter mit einem Monopol ausgestattet hat258 oder behördliche Hürden aufrichtet, welche neue Anbieter praktisch abhalten. Liegt ein solches Hindernis oder auch eine andere Situation vor, welche potenziellen Wettbewerb erst gar nicht entstehen lässt, indiziert dies eine marktbeherrschende Stellung des bereits präsenten, führenden Anbieters.259 VI.
Struktur des Marktführers
1.
Bedeutung
Die Struktur des Marktes, welche das entscheidende Merkmal einer marktbeherr- 1215 schenden Stellung bildet,260 wird nicht nur von Marktanteilen geprägt, sondern auch davon, auf welchem Fundament diese beruhen. Hierzu wurde herausgearbeitet, dass Marktzutrittsschranken insoweit stabilisierend wirken, weil sie andere Wettbewerber vom Markt abhalten.261 Bereits bei diesen Marktzutrittsschranken 253 254
255 256 257 258 259 260 261
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 105. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (291, Rn. 121/124) – United Brands; aus der Kommissionspraxis bereits KOME 72/21/EWG, ABl. 1972 L 7, S. 25 (37) – Continental Can Company; 89/93/EWG, ABl. 1989 L 33, S. 44 (Rn. 79) – Flachglas. Z.B. KOME 89/22/EWG, ABl. 1989 L 10, S. 50 (Rn. 30 ff., 117) – BPB Industries mit weiteren Aspekten. KOME 88/138/EWG, ABl. 1988 L 65, S. 19 (Rn. 69) – Hilti. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (524, Rn. 48) – Hoffmann-La Roche. Z.B. EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3275, Rn. 16 f.) – CBEM; Rs. C-18/93, Slg. 1994, I-1783 (1824, Rn. 40) – Corsica Ferries I. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (524 f., Rn. 48 f.) – Hoffmann-La Roche. S.o. Rn. 1198 f. S.o. Rn. 1211 ff. auch zum Folgenden.
460
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
spielt die Struktur des Marktführers eine wichtige Rolle, weil sie solche Schranken maßgeblich begünstigen kann. Das gilt vor allem für eine technische bzw. kommerzielle Überlegenheit. Diese beiden Komponenten bilden vielfach auch die Basis dafür, dass der Marktführer einen hohen Marktanteil erlangen konnte. Die Betrachtung der Struktur des Marktführers sichert daher die Ergebnisse der Marktstruktur, bestehend aus Marktanteilen und Marktzutrittsschranken, ab und untermauert sie. Deshalb sind beide Untersuchungen miteinander zu kombinieren, wie dies in der Praxis auch erfolgt.262 2.
Kommerzielle Überlegenheit
1216 Einen engen tatsächlichen Bezug zum Markt hat eine kommerzielle Überlegenheit, welche denn vom EuGH auch als Hinweis auf eine Marktbeherrschung grundsätzlich anerkannt wurde.263 Die bisherigen Entscheidungen betrafen insbesondere überlegene Vertriebsnetze,264 die sich durch eine sehr hohe Zahl qualifizierter Vertreter265 oder durch straff organisierte Absatzwege auszeichneten.266 Der Vertrieb als solcher kann erheblich beflügelt werden, wenn ein Unternehmen in einem Marktsegment eine besonders vielgestaltige Angebotspalette präsentieren kann.267 Dann macht sich das Unternehmen bereits selbst Konkurrenz, so dass es Konkurrenten schwerer haben, mit ihren spezifischen Produkten einen eigenen Stellenwert zu erlangen. Bei industriellen Großabnehmern, welche nahezu ausschließlich auf Qualität und Preis fixiert sind und möglicherweise weniger auf die Breite des Angebotes und die Bequemlichkeit abstellen, mag dies eventuell anders sein als bei Händlern.268 Sonst aber ist diese Angebotsbreite kennzeichnend, nicht bereits, wenn Händler von einem bestimmten Sortiment abhängig sind.269 Die Stellung eines Unternehmens wird erheblich dann verstärkt, wenn es als 1217 Hersteller gar keine Händler mehr braucht, sondern selbst Händler ist und daher auch die Absatzmärkte selbst in der Hand hat, sei es als eigene Einheit oder eingegliederte Unternehmensgruppe,270 sei es über wirtschaftlich abhängige Händler, die einer Bezugsbindung unterliegen.271 Entsprechendes gilt für andere Kombina262 263 264 265 266 267
268 269 270 271
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 107; mit Nachw.. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 55. Bereits EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (288 f., Rn. 88/93) – United Brands; etwa auch Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 61) – AKZO Chemie. Auch EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (524, Rn. 48) – Hoffmann-La Roche. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511, Rn. 58) – Michelin. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (288 f., Rn. 88/93 f.) – United Brands. EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1235, Rn. 78) – Compagnie maritime belge transports sowie schon vorher etwa EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3451 f., Rn. 56) – AKZO Chemie. S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (523 f., Rn. 46 ff.) – Hoffmann-La Roche; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 109 mit Fn. 465. EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1903 f., Rn. 17) – Metro I. S. unter Wiedergabe und Billigung des Ergebnisses der Kommission EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1479, Rn. 86; 1481, Rn. 93 f.) – Hilti. S. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3510 f., Rn. 53 ff.) – Michelin sowie bereits Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (287 ff., Rn. 69 ff.) – United Brands.
§ 2 Beherrschende Stellung
461
tionen. Zum einen können statt der Absatzmärkte die Versorgungsquellen vom Hersteller kontrolliert werden, was ebenfalls die Stellung erheblich verstärkt.272 Oder aber sich ergänzende Waren bzw. Dienstleistungen werden miteinander angeboten und derart verbunden, dass der isolierte Bezug eines Teils der Gesamtpaketlösung praktisch nicht möglich ist. Ein Beispiel ist, wenn ein PC mit einem solchen Standardprogramm ausgeliefert wird, dass nur die weiterführende Software des PC-Herstellers passt und nicht die der Konkurrenz.273 3.
Bedeutung der Unternehmensgröße
Aus solchen Kombinationen ergibt sich vielfach auch eine bestimmte Größe von 1218 Unternehmen, die für sich schon eine marktbeherrschende Stellung zu indizieren scheinen.274 Jedoch besagt die Größe allein schwerlich etwas über eine Machtstellung. Es kann sich auch um ein Konglomerat handeln, welches aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt ist, welche nicht zu einer einheitlichen Kraft zusammen finden. Oder vielfach sind Konzerne schon aufgrund ihrer Größe und der damit verbundenen größeren Bürokratie nicht mehr so schlagkräftig wie kleinere, aggressive Anbieter, die auf einem Teilmarkt sehr leistungsfähig sind und sich dann auf einen nach dem anderen benachbarten Markt strecken und erfolgreich ausbreiten. Daher müssen zu der Größe bestimmte Umstände hinzutreten.275 Solche hinzutretenden Umstände können etwa die besondere Wirtschafts- und 1219 Finanzkraft eines Unternehmens sein. Diese zeigt sich etwa darin, dass ein solcher Anbieter als einziger in der Lage ist, hohe Kapazitäten vorzuhalten, um auf Nachfragesteigerungen immer adäquat reagieren zu können276 oder gemeinschaftsweit zu produzieren,277 um damit jeweils schnell und nah ausliefern zu können. Oder aber ein großes Unternehmen ist im Gegensatz zu anderen mühelos in der Lage, aufwändige Forschungen und Entwicklungen bzw. Baumaßnahmen sowie Marktkampagnen zu finanzieren.278 Unterstützt wird eine Position auch bei der Zugehörigkeit zu einem internatio- 1220 nal tätigen Konzern mit entsprechend großen Gesamtressourcen.279 Jedoch ist dieses Kriterium insofern problematisch, als gerade durch die Verteilung von Aktivitäten in einem internationalen Konzern verschiedentlich Verluste auftreten, die das 272
273 274 275 276 277 278 279
S. KOME 77/327/EWG, ABl. 1977 L 117, S. 1 (8 f.) – A.B.G. EuGH, Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 (1526 ff., Rn. 18 ff.) – BP Handelsmaatschappij, hob diese Entscheidung aus anderen Gründen auf. Etwa KOME 88/501/EWG, ABl. 1988 L 272, S. 27 (Rn. 29, 36) – Tetra Pak I sowie 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 (Rn. 92 ff.) – Decca Navigator System. S. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 61) – AKZO Chemie. Die Größe allein nicht als maßgeblichen Gesichtspunkt heranziehend EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (523 f., Rn. 47 f.) – Hoffmann-La Roche. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3509, Rn. 51 a.E.) – Michelin: hohe Kapazität an neuen Reifen, aus denen dann runderneuerte Reifen hergestellt werden können. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3959 (3453, Rn. 61) – AKZO Chemie. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (291, Rn. 121/124) – United Brands; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3510, Rn. 55) – Michelin. Auch EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 61) – AKZO Chemie.
462
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Gesamtergebnis belasten können und damit die Teilglieder dieses Konzerns zu Abführungen von Gewinnen zwingen, die auf dem dominierten Markt nicht mehr zur Verfügung stehen. Daher muss ein hoher Diversifizierungsgrad nicht unbedingt von Vorteil sein und kann daher nicht als Indiz für eine marktbeherrschende Stellung angesehen werden.280 Als alleiniger Hinweis problematisch sind auch Größen wie die Umsatzrendite, der Nettogewinn und die sofort verfügbaren Eigenmittel und Reserven,281 da sich diese Größen rasch wandeln können und oft auch „steuerlich bzw. bilanziell bereinigt“ werden. 4.
Technologische Leistungsfähigkeit
1221 Da somit die Größe allein nicht maßgeblich sein kann, sondern zusätzliche Faktoren hinzukommen müssen und zudem die eigentliche Leistungskraft des Unternehmens dafür entscheidend ist, welche Stellung es auf dem Markt hat, muss das Hauptindiz die technologische Leistungsfähigkeit sein. Maßgeblich ist daher, inwieweit das Unternehmen in seiner technologischen Entwicklung und der Bildung der Marktreife seiner Produkte vorangeschritten ist. Indizien sind hierfür sicherlich auch Umfang, Größe und Kapazitäten.282 Jedoch zählt auch hier wiederum weniger nur die Quantität als vielmehr die Qualität. Weil aber für die Marktstellung der Absatz entscheidend ist, kommt es weniger auf die Patente und das vorhandene Know-how als vielmehr darauf an, inwieweit diese Errungenschaften selbst am Markt verwertet und ggf. an andere weitergegeben werden.283 5.
Nachfragemacht
1222 Marktanteile und bestätigender Test der Unternehmensstruktur bilden auch die wesentlichen Anhaltspunkte dafür, inwieweit auf der Nachfrageseite eine beherrschende Stellung vorliegt. Saugt hier ein Unternehmen einen Großteil des Angebotes als Abnehmer auf, hat es eine vergleichbare Position, wie wenn es einen entsprechend hohen Anteil des Angebotes auf den Markt bringt. So hat die Kommission in einer Entscheidung als einen die beherrschende Stellung begründenden 280
281
282
283
Anders EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3451 ff., Rn. 55 ff.) – AKZO Chemie; zu Recht einschränkend aber noch EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (523, Rn. 46) – Hoffmann-La Roche; für eine Indizwirkung hingegen auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 113 a.E.; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 93 und aus der Kommissionspraxis KOME 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72, S. 1 (Rn. 101 Abs. 2) – Tetra Pak II. Für deren Heranziehung neben den vorher genannten Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 55; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 38; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 112; Wertheimer, in: Europees Kartelrecht anno 1980, 1981, S. 143 (173). Z.B. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (248 f., Rn. 9 ff.) – Commercial Solvents; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (288, Rn. 82/84 f.) – United Brands; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 61) – AKZO Chemie; Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 93) – Hilti. Dahin auch Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 89; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 108 m.w.N. aus der Kommissionspraxis.
§ 2 Beherrschende Stellung
463
Faktor auch die starke Position als Nachfragerin nach bestimmten Leistungen benannt.284 Der relevante Markt ist dann nur aus der Sicht des Lieferanten zu bestimmen. 1223 Damit zählt die Austauschbarkeit für ihn, wenn ein Abnehmer wegfällt.285 Neben dem Marktanteil des Nachfragers ist deshalb die Struktur des Anbieters ganz maßgeblich. Entscheidend ist daher, ob der Lieferant auch dann, wenn der Abnehmer wegfällt, ohne schwerwiegende Nachteile einen neuen Absatz findet bzw. seine Produktion entsprechend leicht umstellen kann. Ist dies nicht der Fall, kann der Nachfrager sich gegenüber dem Anbieter unabhängig verhalten und ihn damit beherrschen.286 Der marktbeherrschende Nachfrager ist demgegenüber in der komfortablen Situation, auch bei sich verringerndem Angebot seine Nachfrage befriedigen zu können, selbst wenn die anderen Kunden nicht mehr genügend versorgt werden, sowie seine Bedingungen und vor allem Preisvorstellungen durchzusetzen.287 Daraus erwächst ihm ein kommerzieller Vorsprung sowohl gegenüber Mitbewerbern als auch gegenüber seinen Anbietern. Das gilt zumal dann, wenn er ohnehin ganze Gruppen von Leistungen nachfragt, so dass insoweit aus seiner Stellung als Nachfrager von Gesamtpaketen eine Vorzugsstellung erwächst. VII.
Einbeziehung von Marktverhalten und Marktergebnissen
Gegenüber der Marktstruktur haben das Marktverhalten und die Marktergebnisse 1224 nur eine untergeordnete Bedeutung.288 Das Marktverhalten kann schon deshalb schwerlich das entscheidende Merkmal sein, weil dieses Verhaltenselement schon Grundlage der missbräuchlichen Ausnutzung ist. Zwar können gewisse Rückschlüsse aus dem Verhalten eines Unternehmens auf seine Stellung auf dem Markt gezogen werden,289 jedoch können diese nicht allein bestimmend sein, sondern allenfalls ergänzend wirken.290 Das gilt insofern, als sie nur bei einer bestimmten Stellung möglich sind und daher Anhaltspunkte für eine Marktbeherrschung zusätzlich untermauern können.291 Dann besteht auch nicht die Gefahr eines Zirkel-
284
285 286 287 288 289 290
291
KOME 2000/74/EG, ABl. 2000 L 30, S. 1 (Rn. 47, 92 ff.) – Virgin/British Airways, wobei es allerdings nicht um den Missbrauch von Nachfragemacht gegenüber den Anbietern dieser Dienstleistungen ging, s. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 100 Fn. 397. S.o. Rn. 1181. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 74, 100. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 100 a.E. S.o. Rn. 1199. S.o. Rn. 1198. Der EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (286 f., Rn. 68) – United Brands; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3502, Rn. 26 f.) – Michelin bejaht die Heranziehung grds. ebenso wie die Kommission, z.B. KOME 2002/405/EG, ABl. 2002 L 143, S. 1 (Rn. 199) – Michelin. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 56; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 98; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 114.
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Kapitel 7 Missbrauchsverbot
schlusses. Sie liegt insbesondere bei einem Abstellen auf die Beispielstatbestände des Art. 82 lit. a)-d) EG nahe.292 Diese allenfalls beschränkte Indizienwirkung liegt auch darin begründet, dass 1225 viele Verhaltensweisen von anderen als den marktbeherrschenden Unternehmen angewendet werden und selbst ein entsprechendes Handeln eines gewichtigen Unternehmens nicht notwendig mit dessen beherrschender Stellung einhergeht.293 So können Preissenkungen dazu dienen, Wettbewerber aus dem Markt zu drängen oder erst gar nicht auf ihm Fuß fassen zu lassen oder aber eine Reaktion auf den normalen Wettbewerb sein, der solch hohe Preise nicht zulässt.294 Insoweit ist vor allem relevant, ob ein solches Preisverhalten Ausdruck einer langfristigen Strategie und damit eines vom Unternehmen selbst bestimmten Rahmens ist, der auf ein marktunabhängiges Verhalten deutet, sowie immer wieder vorkommt und besonders intensiv gepflegt wird.295 Dieses Kriterium bildet auch in anderen Fällen den Ansatzpunkt für die Beur1226 teilung, ob ein Verhalten gerade von einer beherrschenden Stellung ausgeht.296 Es korrespondiert mit dem Ansatzpunkt der beherrschenden Stellung in Form der Fähigkeit zu einem marktunabhängigen Verhalten297 und lässt sich daher übertragen. So verlangt der EuGH auch in der Entscheidung United Brands, dass über einen längeren Zeitraum im Vergleich zu den Mitbewerbern spürbar höhere Preise angesetzt werden. Dies muss zudem ohne deutliche Umsatzrückgänge erfolgen können.298 Entsprechendes hat für Preissenkungen zu gelten, welche selbst bei einer vorübergehenden Verlustwirkung eine beherrschende Stellung andeuten können, wenn damit ein hoher Marktanteil erweitert oder zumindest stabilisiert werden soll.299 Damit werden alle Preisbestimmungsversuche erfasst, welche unabhängig vom Marktverhalten erfolgen. Bei hohen Preisen ist dafür der Abstand zum normalen Niveau ein wichtiger Hinweis.300 Bei niedrigen Preisen ist ein Indiz, wie lange ein Unternehmen solche Preise 1227 durchhält. Entsprechendes gilt für die Vorhaltung von Produktionsreserven für eine etwaige zusätzliche Nachfrage sowie eine gezielte Verknappung des eigenen Angebotes, welcher als Ausdruck der Unternehmenspolitik gleichfalls indizielle
292 293 294 295 296 297 298
299 300
Davor im Bezug darauf warnend Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 95; völlig abl. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 4. S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (522, Rn. 44) – Hoffmann-La Roche; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 117. S. im Einzelnen abgrenzend EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (531 f., Rn. 69 f.) – Hoffmann-La Roche. S.u. Rn. 1369 auch für Niedrigverkaufspreise. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1479, Rn. 87; 1481, Rn. 93) – Hilti auf der Basis von Patenten auch für Koppelungsverkäufe. S.o. Rn. 1160 ff. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (291 f., Rn. 121/124 ff.) – United Brands; ebenso etwa KOME 87/500/EWG, ABl. 1987 L 286, S. 36 (Rn. 18) – BBI/Boosey & Hawkes; 97/624/EG, ABl. 1997 L 258, S. 1 (Rn. 109) – Irish Sugar. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284 f., Rn. 45/56; 291 f., Rn. 121/124 f.) – United Brands; ebenso Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511 f., Rn. 59) – Michelin. S. bereits EuGH, Rs. 13/60, Slg. 1962, 177 – Ruhrkohlenverkaufskontore I zum EGKS.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
465
Wirkung für eine beherrschende Stellung zugemessen wird.301 Auch die Einflussnahme auf ansonsten freie Entscheidungen des geschäftlichen Gegenübers und damit auf Händler und sonstige Zwischenpersonen soll eine solche Bedeutung haben.302 Dies muss aber auf einseitigem Druck beruhen und darf keine Form der Koordinierung sein, da dann Art. 81 EG einschlägig ist. Diese Verhaltensweisen am Markt sprechen vor allem dann für eine beherr- 1228 schende Stellung, wenn sie durch entsprechende Ergebnisse untermauert werden. Eine Einflussnahme auf Händler und Zwischenpersonen, aber auch auf Endverbraucher allein genügt nicht. Schafft es hingegen ein Unternehmen, seine Kunden von ihm abhängig zu machen, liegt ein solches Indiz vor.303 In Bezug auf Händler und Zwischenpersonen ist es als solcher Erfolg anzusehen, wenn ein Unternehmen die Absatzpolitik beherrscht. Das trifft generell zu, wenn ein Unternehmen die Preise und Leistungsbedingungen nach seinem Gutdünken prägen kann.304 Das gilt erst recht bei einer Kontrolle des Marktzugangs.305 Preismanipulationen sind dann erfolgreich, wenn daraus die Stabilisierung von hohen Marktanteilen erwächst306 bzw. Mitwettbewerber verdrängt werden oder erst gar nicht auf den Markt gelangen.307
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung A.
Umfassende Einbeziehung wettbewerbsverfälschenden Verhaltens
I.
Vermeintlich enger Wortlaut
Das Missbrauchsverbot ist nach Art. 82 EG nur erfüllt, wenn eine beherrschende 1229 Stellung nicht nur vorliegt, sondern missbräuchlich ausgenutzt wird. Die Formulierung „missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung“ verlangt nur scheinbar, dass das unternehmerische Verhalten gerade durch die beherrschende Stellung erfolgen muss, diese also das Mittel des Missbrauchs darstellt.308 Der Ge301 302
303 304 305 306 307 308
EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (524 ff., Rn. 48 ff.) – Hoffmann-La Roche bzw. Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (289, Rn. 94/96) – United Brands. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 116 unter Bezug auf KOME 89/22/EWG, ABl. 1989 L 10, S. 50 (Rn. 43, 117) – BPB Industries sowie 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Rn. 8 ff.) – Soda/Solvay. Z.B. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1979, 207 (288 f., Rn. 88/93) – United Brands; auch EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (517, Rn. 63) – RTE. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3452 f., Rn. 56, 61) – AKZO Chemie; EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1481, Rn. 93) – Hilti. S. – auch zum Vorhergehenden – KOME 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Rn. 12 ff., bes. 45) – Soda/Solvay. S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (522, Rn. 44) – Hoffmann-La Roche. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3452 f., Rn. 56, 61) – AKZO Chemie. So allerdings vielfach das ältere Schrifttum, Deringer, Art. 86 Rn. 30; Everling, in: Wohlfarth u.a., EWGV, Art. 86 Rn. 1 ff.; Joliet, RTDE 1969, 645 (681 ff.); ders., Mo-
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Kapitel 7 Missbrauchsverbot
samttatbestand ist auf den Gemeinsamen Markt bezogen und damit auf die Verwirklichung dieses übergeordneten Ziels. Zu dessen Verwirklichung gehört maßgeblich ein redlicher und unverfälschter Wettbewerb nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG. Auf den Gemeinsamen Markt ist auch die beherrschende Stellung bezogen. Damit geht es darum, dass eine solche Stellung vorhanden ist, nicht hingegen ist notwendig, dass sie gezielt missbräuchlich eingesetzt wird. Vielmehr bildet die beherrschende Stellung eine Gefahr für den Wettbewerb an 1230 sich, so dass alle Verhaltensweisen, die den Wettbewerb weiter beschränken, als verboten anzusehen sind und damit als missbräuchlich i.S.v. Art. 82 EG behandelt werden müssen.309 Das zeigen auch die Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. a)-d) EG. Insbesondere Diskriminierungen nach lit. c) sowie Koppelungsgeschäfte nach lit. d) müssen nicht notwendig auf einer beherrschenden Stellung beruhen, und auch die Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen kann, wenn auch nicht regelmäßig, aus anderen Gründen erfolgen, so um Parallelgeschäfte zustande zu bringen. Auch Einschränkungen nach Art. 82 lit. b) EG sind zwar prädestiniert, aus einer beherrschenden Stellung heraus durchgesetzt zu werden, müssen dies aber nicht zwingend. Das zeigen auch die parallelen Beispielstatbestände nach Art. 81 Abs. 1 lit. a), b), d) und e) EG. Diese Beispiele zeigen aber den Kern dessen, was unter ein missbräuchliches 1231 Verhalten fällt, nämlich eine Abweichung von gewöhnlichen Verhaltensweisen, welche Ausdruck des Leistungswettbewerbs sind. Missbräuchlich ist daher der Einsatz leistungsfremder Mittel.310 Ihre Verwendung fällt in einer beherrschenden Stellung tendenziell leichter. Daher wird diese missbräuchlich ausgenutzt, wenn solche leistungsfremden Mittel eingesetzt werden. Dadurch wird nämlich der Restwettbewerb gefährdet.311 II.
Teleologische Auslegung
1232 Entsprechend der Rückbezogenheit aller unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln auf das zentrale Gemeinschaftsziel des Binnenmarktes steht bei der Auslegung des für sich offenen Wortlautes der missbräuchlichen Ausnutzung der Zweck des Verbotes im Vordergrund. Dieser besteht darin, dass der unverfälschte, redliche und freie Wettbewerb sowohl in seiner Ausprägung als Schutz zugunsten von Mitbewerbern, Abnehmern und Verbrauchern wie auch als Institution erhalten bleibt.312 Nur so kann diese Vorschrift wirksam ins Werk gesetzt werden. Zudem
309 310 311
312
nopolisation and Abuse of Dominant Position, 1970, S. 247 ff.; auch noch Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 57 sowie Koch, in: Grabitz/Hilf, 4. Lieferung 1986, Art. 86 Rn. 46; anders nunmehr aber Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 107. S. schon o. Rn. 1168 f. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 163. Z.B. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 27) – L´Oréal; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3514, Rn. 70) – Michelin; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie; s. bereits EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 27) – Continental Can. S.o. Rn. 1107, 1115.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
467
liegt eine solche weite teleologische Konzeption parallel zu Art. 66 § 7 EGKS, wonach eine missbräuchliche Ausnutzung voraussetzte, „dass öffentliche oder private Unternehmen“ eine beherrschende Stellung „zu mit diesem Vertrag in Widerspruch stehenden Zwecken verwenden“. In der Auslegung der Rechtsprechung nimmt denn auch der Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG eine zentrale Bedeutung ein; Geist und Ziele des Vertrages stehen also im Vordergrund.313 Daraus ergibt sich die umfassende, wettbewerbserhaltende Konzeption, welche 1233 sämtliche wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen außerhalb des normalen Leistungswettbewerbes einbezieht. Eine Verhaltensweise fällt also dann unter das Missbrauchsverbot, wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung mit Potential zur Beeinflussung der Struktur eines schon in seinem wirksamen Wettbewerb geschwächten Marktes ausgeht, die Aufrechterhaltung dieses Restwettbewerbs oder seine Entwicklung behindert und außerhalb des normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs steht, also von den normalen Mitteln des Leistungsaustausches abweicht.314 Diese Formel ergreift nicht nur den Behinderungsmissbrauch und blendet die Ausbeutung von Handelspartnern und Verbrauchern aus.315 Vielmehr ist der Wettbewerb in seinen Funktionen umfassend zu verstehen und damit auch auf Handelspartner und Verbraucher zu erstrecken. Werden sie ausgebeutet, zeigt dies, dass der Leistungswettbewerb nicht funktioniert.316 Die Bezugnahme der Rechtsprechung auf Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG steht für diese umfassende Schutzkonzeption zugunsten des Wettbewerbs. Selbst die Antastung von Marktstrukturen wird daher eingeschlossen.317 Der Marktbeherrscher hat gerade eine besondere Verantwortung, den unverfälschten Wettbewerb nicht negativ anzutasten.318 Diese weite Konzeption begründet gleichsam eine Erfolgshaftung von Unter- 1234 nehmen. Sie müssen sich nicht dessen bewusst sein, dass sie den Wettbewerb ver-
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314
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318
Grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244 f., Rn. 23 ff.) – Continental Can; ebenso später z.B. Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (552 f., Rn. 125) – Hoffmann-La Roche; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3503, Rn. 29) – Michelin. Entsprechend Entscheidungen der Kommission, etwa KOME 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Rn. 50) – Soda/ Solvay; 91/300/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 40 (Rn. 53) – Soda/ICI. St. Rspr. seit EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; ebenso Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 27) – L´Oréal; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie; EuG, Rs. T-65/89, Slg. 1993, II-389 (430 f., Rn. 118) – BPB Industries und British Gypsum; aus dem Schrifttum z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 160. S. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 105 f. S.o. Rn. 1109. In diesem Kontext Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 160 m.w.N.; ebenso Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 75; Mestmäcker, in: FS für Reisch, 1995, S. 441 (445 f.). EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511, Rn. 57) – Michelin; EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (362 f., Rn. 37) – Tetra Pak I; Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1242 f., Rn. 106) – Compagnie maritime belge transports. S. begrenzend o. Rn. 1123 sowie näher u. Rn. 1388 ff.
468
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
fälschen, noch ein sittlich-moralisches Fehlverhalten an den Tag legen.319 Das tatsächliche Verhalten genügt. Es handelt sich um einen objektiven Begriff.320 Ein Verschulden ist daher entbehrlich.321 III.
Offenheit des Tatbestandes
1.
Beispielstatbestände
1235 Damit werden alle Verhaltensweisen erfasst, die „einen Zustand wirksamen Wettbewerbs“ i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG beeinträchtigen oder unmittelbar die Verbraucher schädigen.322 Art. 82 lit. a)-d) EG benennt Beispielstatbestände, die aufgrund ihrer ausdrücklichen Nennung im Vertrag für besonders gravierende Verstöße stehen und mit den Beispielstatbeständen in Art. 81 Abs. 1 EG weitgehend übereinstimmen.323 Sie sind aber nicht abschließend, sondern weitere Verhaltensweisen können eine missbräuchliche Ausnutzung darstellen. Es hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalles und von der Entwicklung des Marktgeschehens ab, welche Verhaltensweisen zusätzlich einbezogen werden müssen. Zudem sind die Fälle meist dadurch gekennzeichnet, dass eine beherrschende Stellung mit einer größeren Zahl von Verstößen einhergeht, die sich schwerlich unter einen bestimmten Typ fassen lassen. Daher ist eine weitere Unterteilung nicht weiterführend. In der deutschen Literatur wird am ehesten die Unterteilung in Ausbeutungs(mit und ohne Behinderungseffekt), Behinderungs- und Marktstrukturmissbrauch herangezogen.324
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321
322 323 324
Z.B. Deringer, Art. 86 Rn. 35; Emmerich, in: Dauses, H. I § 1 Rn. 219b; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 56; a.A. Focsaneanu, in: van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 324 (370 f.). Explizit EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 27) – L´Oréal; Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 69) – AKZO Chemie; EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2986 f., Rn. 138) – ITT Promedia. Bereits EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (247, Rn. 29) – Continental Can; EuG, Rs. T-65/89, Slg. 1993, II-389 (418, Rn. 70) – BPB Industries und British Gypsum; a.A. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 110 bei direkter Behinderung von Wettbewerbern; dagegen Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 161. St. Rspr. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26) – Continental Can; auch z.B. schon Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (254, Rn. 32 f.) – Commercial Solvents. S.o. Rn. 1147 f. Im Anschluss an Koch, in: Grabitz/Hilf, 4. Lieferung 1986, Art. 86 Rn. 51 ff. etwa De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 38 ff.; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 76; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 137 f. Ebenfalls keine feste Typologie heranziehend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 170.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
2.
469
Generalklausel
Nur von begrenzter Bedeutung ist auch die Unterteilung in die Beispielstatbestän- 1236 de nach Art. 82 lit. a)-d) EG und die Generalklausel. Diese ist zwar in Art. 82 EG angelegt. Durch die ausdrückliche Nennung bestimmter Beispielstatbestände wird deutlich, was in jedem Fall ein missbräuchliches Verhalten darstellt. Daraus ergibt sich aber nur die praktische Konsequenz, dass beim Vorliegen der aufgeführten Beispielstatbestände regelmäßig ein missbräuchliches Verhalten vorliegt,325 während bei anderen Verhaltensweisen qualifizierende Umstände hinzutreten müssen, so bei Niedrigpreisen und bei Geschäftsverweigerungen im Monopol.326 Dieser Umstand tritt allerdings insofern zurück, als teilweise auch in den Bei- 1237 spielstatbeständen bewertende Umstände wie unangemessene Geschäftsbedingungen (Art. 82 lit. a) EG) oder unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen (Art. 82 lit. c) EG) enthalten sind, welche gleichfalls neben der reinen Tathandlung ein zusätzliches Moment begründen. Auch dogmatisch besteht insofern eine Parallele, als eine diskriminierende Behandlung nur vorliegt, wenn für eine unterschiedliche Behandlung keine innere Rechtfertigung besteht bzw. die Leistungen tatsächlich nicht gleichwertig sind. Vergleichbar ist die Prüfung, ob namentlich eine Geschäftsverweigerung objektiv gerechtfertigt und daher nicht missbräuchlich ist.327 3.
Zusammenschau
Diese parallele Behandlung erleichtert indes erheblich die praktische Anwendung. 1238 Sie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmen vielfach mehrere Verhaltensweisen an den Tag legt, die sowohl unter einzelne Beispielstatbestände als auch darüber hinaus unter die Generalklausel subsumiert werden können. Zudem liegen die Auswirkungen auf Konkurrenten, den Wettbewerb als solchen sowie Verbraucher vielfach in gleichem Maße vor. Oftmals fehlt den unter die Generalklausel subsumierten Handlungen lediglich ein Merkmal aus dem Beispielskatalog, so wenn Handelspartner diskriminiert werden, aber nicht diese selbst, sondern etwa nur die Marktstruktur Nachteile erleidet.328 Schließlich bildet die missbräuchliche Ausnutzung den Oberbegriff, so dass 1239 sich daraus die grundlegenden Aussagen ergeben, die in Art. 82 lit. a)-d) EG nur hinsichtlich einiger Beispiele spezifiziert werden. Im Vordergrund steht daher die Erhaltung des Wettbewerbes entsprechend der Zweckvorschrift des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG und der Zielsetzung des Binnenmarktes, worauf das Missbrauchsverbot bezogen ist.329 Daher ist insbesondere danach abzugrenzen, ob Wettbewerber oder 325 326 327 328 329
S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2021 f., Rn. 522 f.) – Suiker Unie. S. schon EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297 f., Rn. 182/183 f.) – United Brands; im Einzelnen u. Rn. 1354 ff., 1364 ff. S. bereits EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1380, Rn. 15/16) – General Motors Continental; näher u. Rn. 1278, 1284 ff. S. EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (507 ff., Rn. 46 ff.) – GVL; weitere Beispiele bei Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 171. S.o. Rn. 1107 f., 1114.
470
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Wettbewerb durch ein Verhalten angetastet werden, indem dieses von den normalen Handlungsweisen im Leistungswettbewerb abweicht. Denn dieser Leistungswettbewerb ist auch zugunsten des Marktbeherrschers geschützt. Durch seine beherrschende Stellung hat er allerdings eine besondere Verantwortung auch für die Aufrechterhaltung des Marktes, woraus sich strenge Maßstäbe ergeben. Aus dieser umfassenden Schutzfunktion ergibt sich bereits, dass auch von 1240 Art. 82 lit. a)-d) EG grundverschiedene Verhaltensweisen dem Missbrauchsverbot unterfallen können. Die Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. a)-d) EG enthalten die typischen Verhaltensweisen, welche das Verhalten gegenüber Handelspartnern im Vertikalverhältnis betreffen, also nicht gegenüber Wettbewerbern. Zum Teil werden diese Beispielstatbestände ausschließlich als Ausdruck des Ausbeutungsmissbrauchs gesehen,330 jedenfalls werden der Marktstrukturmissbrauch und die Verdrängung von Konkurrenten nicht (voll) erfasst.331 Die folgende Darstellung der Einzeltatbestände nach Art. 82 lit. a)-d) EG wie 1241 auch nach der Generalklausel ist daher nicht im Sinne einer notwendigen und zwingenden Zuordnung zu einem dieser Typen zu verstehen, sondern soll vielmehr die Bandbreite missbräuchlicher Verhaltensweisen aufzeigen und zugleich Prüfungsansätze benennen, welche im Einzelfall mehrfach erfüllt sein können.
B.
Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen (Art. 82 lit. a) EG)
I.
Weiter Anwendungsbereich der Erzwingung
1242 Als ersten Beispielstatbestand für die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung benennt Art. 82 lit. a) EG die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen. Dieser Tatbestand wird allgemein als Ausdruck des Ausbeutungsmissbrauchs gesehen.332 Wer ausgebeutet werden muss, wird nicht näher spezifiziert. Dies ergibt sich aus der Benennung von Einkaufs- oder Verkaufspreisen bzw. sonstigen Geschäftsbedingungen. Hingegen wird der Weg zur Ausbeutung explizit festgelegt, nämlich die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung. Aufgrund der beherrschenden Stellung besitzen die Unternehmen, deren Ver1243 halten im Rahmen des Missbrauchsverbotes untersucht wird, eine Position, aufgrund der andere Unternehmen von vornherein eher bereit sind, Bedingungen zu akzeptieren. Eines besonderen erzwingenden Verhaltens bedarf es insoweit in vielen Fällen noch nicht einmal. Das gilt vor allem dann, wenn ein Abhängigkeits330 331
332
Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 52. Allenfalls sind Art. 82 lit. b)-d) EG noch auf den Behinderungsmissbrauch zu erstrecken, etwa Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 173 m.w.N. in Fn. 794. Z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 86; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 67; aus dem Ausland Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rn. 9-073.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
471
verhältnis besteht, weil etwa ein Abnehmer oder Lieferant überhaupt keinen anderen Handelspartner zur Verfügung hat als das beherrschende Unternehmen.333 Bereits diese wirtschaftliche Übermacht lässt einen Zwang ausgehen.334 Ein zusätzlicher Druck ist insoweit nicht erforderlich. Vielmehr genügt eine bloße Hinnahme unangemessener Preise oder Geschäfts- 1244 bedingungen.335 Damit ist es selbst möglich, dass vertraglich solche Festlegungen getroffen werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der schwächere Partner vor der starken Stellung des Marktbeherrschers zurückweicht, was auch durch einvernehmliches bzw. zustimmendes Verhalten erfolgen kann. Die beherrschende Stellung als solche wirkt aber umso schwächer, je geringer sie gegenüber dem betroffenen Handelspartner ausgeprägt ist. Wird dieser durch die beherrschende Stellung allein nicht derart eingeschüchtert, dass er die fraglichen Geschäftsbedingungen akzeptiert, sind zusätzliche Umstände wie wirtschaftlicher Druck oder die Drohung künftiger Schwierigkeiten erforderlich, um eine Erzwingung bejahen zu können. Dass die Erzwingung nicht notwendig stark ausgeprägt sein muss, zeigt auch, 1245 dass sie unmittelbar oder mittelbar erfolgen kann. Eine mittelbare Erzwingung ist schwerlich durch starke Maßnahmen wie die Ausübung einer direkten Zwangswirkung möglich. Lediglich die unmittelbare Erzwingung erfolgt dem Vertragspartner gegenüber direkt. Die mittelbare hingegen ist durch indirekte Auswirkung gekennzeichnet, so wenn sich der unmittelbare Druck gegenüber dem Vertragspartner auch darin auswirkt, dass eine weitere Handelsstufe wie z.B. Kleinhändler, denen im Verhältnis zum Hersteller der Großhandel zwischengeschaltet ist, unangemessene Geschäftsbedingungen akzeptieren müssen. Auch der Verbraucher kann Opfer mittelbarer Erzwingung sein. In diesem Falle gelingt es den zwischengeschalteten Unternehmen, welche unmittelbar dem Druck des beherrschenden Marktführers ausgesetzt sind, ihre Nachteile weiter zu geben. Dann sind nicht sie Opfer, sondern Dritte.336 Der Verbraucher kann aber auch unmittelbares Opfer einer Erzwingung sein, wenn nämlich sein direkter Verkäufer eine beherrschende Stellung hat und diese über unangemessene Geschäftsbedingungen missbräuchlich ausnutzt. Diese Ausführungen zeigen, dass ganz unterschiedliche Konstellationen unter 1246 den Begriff der Erzwingung fallen können und zudem ein starker Druck im Allgemeinen nicht erforderlich ist, weil regelmäßig bereits die beherrschende Stellung ihre Schatten voraus wirft. Die Konstellation des Art. 82 lit. a) EG wird gerade dadurch charakterisiert, dass der Marktbeherrscher seine Stellung zur Erzielung geschäftlicher Vorteile außerhalb des normalen Leistungswettbewerbes benutzt.337
333 334 335 336
337
S. zu solchen Fällen o. Rn. 1171, 1222 f. und auch u. Rn. 1354 ff. (essential facilities). Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 71. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 181. Allgemeine Meinung, Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 181; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 138; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 86, 91. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands.
472
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
II.
Unangemessene Einkaufs- oder Verkaufspreise
1.
Zentrale Bedeutung
1247 Da die Erzwingung regelmäßig erfüllt ist, steht das Merkmal der unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreise im Zentrum. Der Bezug auf Einkauf und Verkauf zeigt, dass die Preise sowohl gegenüber den einkaufenden Abnehmern als auch gegenüber den verkaufenden Lieferanten erfasst sind. Dies korrespondiert mit entsprechenden beherrschenden Stellungen bei der Abgabe von Waren und Leistungen bzw. beim Bezug. Somit werden alle Bereiche des Wirtschaftslebens erfasst. Die Prüfung nach Art. 82 lit. a) EG läuft daher im Kern darauf hinaus, ob ein 1248 Preis, wie er vom Marktbeherrscher festgesetzt und vom Handelspartner bzw. Verbraucher bezahlt wird,338 unangemessen ist. Der Preis wird für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung bezahlt und ist daher zu deren tatsächlichem Wert in Relation zu setzen.339 Er ist angemessen, wenn er diesem wirtschaftlichen Wert entspricht. Er ist unangemessen, wenn er sich erheblich von diesem Wert entfernt. Das Problem stellt sich, wie dieser tatsächliche wirtschaftliche Wert ermittelt 1249 werden kann. Einem Unternehmen kostet eine Leistung so viel, wie sie für die Herstellung bzw. Erbringung an Kosten verursacht. Daher vergleicht der EuGH die Gestehungskosten mit dem Preis.340 Insoweit stellt sich aber das Problem, dass diese Gestehungskosten von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein können und auch schwer ermittelbar sind, werden doch künstliche oder auch ganz allgemeine Kosten mit einbezogen.341 Interne Verrechnungspreise bei Unternehmen mit weltweitem Tätigkeitsbereich führen zudem zu praktischen Schwierigkeiten. Schließlich spielen vordefinierte Wertungen mit herein, welche unter Umständen rasche Entwicklungen im Markt nicht gänzlich widerspiegeln können.342 Jedoch ist dieser Preisvergleich in Art. 82 lit. a) EG vorgegeben und es stellt 1250 sich nur die Frage, wie er praktisch ins Werk gesetzt werden kann. Zudem harmoniert er auch mit dem grundsätzlichen Anliegen des Art. 82 EG, den Wettbewerb als solchen ebenso wie Handelspartner und Verbraucher zu schützen, wofür stets der Preis und dessen Fairness einen wesentlichen Gesichtspunkt bilden. Seine sachgerechte Fixierung ist Ausdruck und Grundlage wirksamen Wettbewerbs. Daher bildet er einen zentralen Bestandteil dieses Wettbewerbs und ist effektiv zu schützen. Es geht daher nicht nur darum, den Schutz von Handelspartnern und 338
339 340 341 342
Es genügt also nicht die bloße Preisfestsetzung, da es dann an der Erzwingung fehlt. Insoweit hat das Merkmal der Erzwingung die Funktion, ein bloßes Stadium des Versuches zur Preisdurchsetzung nicht unter Art. 82 lit. a) EG zu fassen. Z.B. EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (1379, Rn. 11/12) – General Motors Continental; Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 (4466, Rn. 39) – GT-Link. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands. S. weitere krit. Gesichtspunkte auch aus grundsätzlicher Warte Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 86 Rn. 131 ff., 139 ff. S. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 96, 146; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 140; weitere Aspekte bei Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 93 ff.; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 515 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
473
Verbrauchern mit der Entwicklung wirksamen Wettbewerbs in Einklang zu bringen,343 sondern auch um die Gewährleistung dieses wirksamen Wettbewerbs selbst. Soweit Schwierigkeiten auftreten, die Gestehungskosten und damit die adäquate Gewinnspanne zu ermitteln, bleibt immer noch die Möglichkeit, auf Vergleichswerte zurückzugreifen, die sich namentlich in anderen Teilmärkten der Gemeinschaft finden und in Beziehung zu dem Gebiet gesetzt werden müssen, in dem sich eine beherrschende Stellung herausgebildet hat. 2.
Preisvergleich im Hinblick auf die Gestehungskosten
a)
Ermittlung
Zunächst erfolgt ein Vergleich des Verkaufs- oder auch Einkaufspreises des frag- 1251 lichen Erzeugnisses bzw. der Dienstleistung mit den Gestehungskosten. Daraus ergibt sich dann, wie groß die Gewinnspanne ist. Hält sich diese im Rahmen, ist der Preis angemessen. Grundlage ist, „ob ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis besteht“.344 Offenbar zu den Gestehungskosten zählen die Aufwendungen für die Produktion einer Ware bzw. für die Erbringung einer Dienstleistung. Aber schon bei den Einkaufskosten für Ausgangswaren können Zweifel auftauchen. Werden sie konzernintern bezogen, etwa von Tochtergesellschaften aus einem anderen Mitgliedstaat, ist nicht auszuschließen, dass überzogene Preise zugrunde gelegt werden, zumal solche auch steuerlich als den Gewinn mindernde Ausgabe Sinn machen können. Hier gilt es dann, den normalen Marktpreis zugrunde zu legen, der beim Bezug aus anderen Quellen genommen wird. Auch an anderer Stelle dürfen nicht Kosten bewusst aufgebläht werden.345 Ein 1252 weiteres Problem bilden die in die Kosten für konkrete Erzeugnisse oder Dienstleistungen hineingerechneten allgemeinen Kosten. Diese Kosten dürfen nicht willkürlich aufgeteilt werden.346 Von den auf das ganze Unternehmen entfallenden Verwaltungs- und Betriebskosten darf nur der auf die jeweilige Ware oder Dienstleistung entfallende Anteil genommen werden, welcher in einer hinreichenden Beziehung zur Herstellung oder Erbringung dieser Leistung steht. b)
Pflicht zur Effizienz
Sowohl die besonderen als auch die allgemeinen Kosten können nicht mehr denen 1253 eines rational arbeitenden Betriebes entsprechen, sondern infolge veralteter Methoden und versäumter Effizienzsteigerungen höher liegen als erforderlich. Der EuGH nimmt hierfür als Maßstab eine Unternehmensstruktur, die gut organisiert 343 344
345 346
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 186. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands, wo allerdings im selben Satz daraufhin ein Vergleich zu den Preisen der Konkurrenzprodukte auf Unangemessenheit zu erfolgen hat. Dazu sogleich u. Rn. 1260. Z.B. EuGH, Rs. 110 u.a./88, Slg. 1989, 2811 (2831 ff., Rn. 25 ff.) – Lucazeau u.a./ SACEM. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands.
474
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
ist und effizient arbeitet und lehnt die Anerkennung darüber hinaus gehender Kosten ab.347 An der Effizienz fehlt es, wenn nicht moderne Technik eingesetzt wird und deshalb die Kosten höher liegen, was zulasten der Kunden geht.348 Damit ergibt sich allerdings ein faktischer Zwang für die Unternehmen, sich fortlaufend auf dem neuesten Stand zu halten und nach diesem zu handeln. Dies kann einen erheblichen Eingriff in die Unternehmensstrategie darstellen. Zwar haben die Verbraucher daraus einen erheblichen Vorteil aufgrund niedrigerer Preise. Jedoch kann ein Unternehmen sich nicht auf seinen Erfolgen ausruhen. Diese Pflicht zur Effizienz mag das Korrelat dazu sein, dass ein Unternehmen 1254 in einer beherrschenden Stellung eine besondere Verantwortung hat und daher nicht durch sein Verhalten den Stillstand einer technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher bewerkstelligen können soll. Indes ist das einzelne Unternehmen in seiner Freiheit, Entwicklungen nicht mitzumachen, erheblich beschnitten. Grenzwertig ist ein solcher Eingriff zumal dann, wenn a priori unsicher ist, ob eine moderne Technik überhaupt Erfolg hat und vor allem kostensparend eingesetzt werden kann. Daher kann ein Zwang zum Mitgehen moderner Entwicklungen nur insoweit bestehen, als diese tatsächlich einen erheblichen Fortschritt mit sich bringen und darüber jedenfalls keine gravierenden Ungewissheiten bestehen. Ansonsten wird das Unternehmen dafür bestraft, dass es auch unsichere Entwicklungen nicht mitmacht, obwohl deren Befolgen oder Nichtbefolgen eigentlich zum ureigenen unternehmerischen Risiko und so zur freien Entscheidung des Unternehmers gehört. c)
Regionale Unterschiede
1255 Tiefergehend stellt sich das Problem, dass vielfach von Region zu Region die Preise verschieden sind. Das kann sich danach richten, wie renommiert ein Unternehmen ist, welchen Geschäftsgegenstand es im Bezug auf die besonderen Leistungen wie auch darüber hinaus hat, ob sich daraus eine komplexe Natur ergibt, welchen Raum es abdeckt, ob es Tochtergesellschaften hat und wie diese miteinander verflochten sind. Daher kann es ganz natürlich sein, dass von einem Unternehmen zum anderen sich die Gestehungskosten und später auch die Preise unterscheiden. Dies ist bei der Bemessung zu berücksichtigen. Darüber kommt man höchstens dadurch hinweg, dass gewisse Vorgaben für die Berechnung von Gestehungskosten etwa durch internationale oder zumindest nicht unternehmerische Organisationen vorgegeben werden349 oder auch staatliche bzw. gemeinschaftliche Vorschriften bestimmte Höchstgrenzen vorsehen.350 Zwar mögen auch sie vom Wettbewerbspreis abweichen.351 Indes sind solche Festlegungen immerhin objek347
348 349 350 351
EuGH, Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2578, Rn. 42) – Tournier; aus der Lit. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 185; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 94. EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5929, Rn. 19) – Genova. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands. S. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (850, Rn. 43) – Ahmed Saeed Flugreisen. Daher krit. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 146; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 183.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
475
tiv erfolgt, so dass rein subjektive Manipulationen ausgeschlossen sind. Jedenfalls können staatliche Anerkennungen einen höheren Preis rechtfertigen. Das gilt für Patente, weil dann die Kosten mit einfließen, die zum Erwerb dieses Patentes und vor allem im Vorfeld aufgewendet werden mussten.352 Ansonsten gehen die Forschungs- und Entwicklungskosten als tatsächliche Kosten in die Berechnung mit ein, weil sie unabhängig von der Patentierung notwendig sind.353 d)
Erzielung von Gewinn
Über diese rein tatsächlichen Kosten hinaus ist dem unternehmerischen Handeln 1256 die Erzielung von Gewinn immanent. Daher ist auch eine adäquate Gewinnmarge zu berücksichtigen.354 Völlig üblich ist deshalb auch die Ausschüttung von Dividenden sowie die Vornahme von Abschreibungen auf Investitionen bzw. Vorkehrungen, um diese in Zukunft zu finanzieren, soweit sie sich in einem normalen Maß halten.355 Umgekehrt ist bei den Einkaufspreisen darauf zu achten, dass die liefernden Unternehmen noch Gewinn machen und vor allem ihre Gestehungskosten abdecken können. Der Lieferant muss mithin rentabel arbeiten können.356 Aber auch das beherrschende Unternehmen arbeitet üblicherweise mit Gewinn. 1257 Macht es in bestimmten Bereichen Verlust, weicht es von diesem Normalfall ab. Auch dies deutet auf eine Unangemessenheit. Jedoch wird diese nicht gegenüber dem unmittelbaren Vertragspartner erzwungen. Daher lässt sich dieser Fall nicht unter den Beispielstatbestand nach Art. 82 lit. a) EG fassen, sondern unter die Generalklausel.357 3.
Vergleich mit Preisen auf anderen Märkten
a)
Möglichkeit
Die in Art. 82 lit. a) EG geforderte Unangemessenheit legt den Bewertungsmaß- 1258 stab nicht im Einzelnen fest. Das richtige Maß kann sich auch aus einem Vergleich ergeben, der zeigt, ob ein bestimmter Einkaufs- oder Verkaufspreis dem normalen Maß entspricht und daher angemessen ist. Der Preis muss also nicht notwendig in Bezug zu den Gestehungskosten gesetzt werden, sondern kann auch mit Preisen auf anderen Märkten verglichen werden. Entsprechend dem Ziel des Art. 82 EG, den trotz beherrschender Stellung verbleibenden Restwettbewerb funktionsfähig zu halten, sind solche Märkte zu wählen, auf denen der Wettbewerb noch intakt ist. Daraus kann dann ersehen werden, welche Preise sich bei normalem Wettbewerb bilden. Bei diesem Vergleich ist allerdings von vornherein 352 353 354 355 356 357
S. EuGH, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163, Rn. 9) – Centrafarm/Sterling Drug; Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6073, Rn. 17) – Renault. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 183 a.E.; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 63. Deringer, Art. 86 Rn. 39. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 182 a.E. m.w.N. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 184. Ausführlich u. Rn. 1364 ff.
476
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
zu berücksichtigen, dass die Preisgestaltung Ausfluss unternehmerischer Entscheidung ist und daher ein erheblicher Spielraum besteht, der sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles richtet.358 Immerhin aber besteht ein Anhaltspunkt, der aus Zahlen gewonnen werden kann, die auf einem ungehinderten Wettbewerb beruhen. b)
Zeitlicher Vergleichsmarkt
1259 Als Vergleichsmarkt in Betracht kommt der zeitliche, der sachliche und der räumliche.359 Entsprechend der zeitlichen Methode auf das Preisniveau zu einem früheren Zeitpunkt ohne beherrschende Stellung des führenden Unternehmens abzuheben begegnet dem Bedenken, dass der Markt bereits damals ggf. durch einen anderen Anbieter verfälscht gewesen sein kann und zudem eine längere Preisentwicklung, die inflationsbedingt zu Erhöhungen führte, dazwischen gelegen haben mag, zumal beherrschende Stellungen lange anhalten können. c)
Sachlicher Vergleichsmarkt
1260 Auf den sachlichen Vergleichsmarkt hob der EuGH in der Entscheidung United Brands ab, indem er einen Vergleich zu den Preisen für Konkurrenzprodukte zog.360 Er verneinte die Unangemessenheit im konkreten Fall, weil der Preisunterschied der Chiquita-Bananen zu denen der bedeutendsten Konkurrenten lediglich etwa 7 % betrug und damit zu gering war.361 Diese Entscheidung zeigt bereits, dass die Preisunterschiede möglicherweise relativ gering sind, weil sich auch Konkurrenten den hohen Vorgaben des Marktführers anpassen können und damit das Preisniveau insgesamt unangemessen wird. Zurückzuführen ist dies gleichwohl auf die beherrschende Stellung des Marktführers, aufgrund der er mit schlechtem Beispiel vorangehen kann. Zudem werden durch die beherrschende Stellung leicht die gesamten Rahmenbedingungen eines gesunden Wettbewerbs verschoben, so dass die Ausgangslage eines wirksamen Wettbewerbs als Ziel der EG-Wettbewerbsvorschriften gar nicht mehr existiert und daher auch der Bezugsmaßstab unrichtige Werte liefert. d)
Räumlicher Vergleichsmarkt
1261 Daher hat sich in der Praxis das räumliche Vergleichsmarktkonzept durchgesetzt. Dabei wird auf das Preisniveau in gesunden Teilmärkten in anderen Regionen der Gemeinschaft abgehoben. Gibt es in einem Teilmarkt einen deutlichen Ausreißer gegenüber dem Preisniveau in anderen Gebieten, indiziert dies ein unangemesse358 359 360 361
Vgl. zur z.T. ebenso unsicheren Ermittlung des Gestehungspreises EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands; s.o. Rn. 1251 ff. Näher etwa Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 142 ff. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305, Rn. 248/257) – United Brands. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (306, Rn. 261/266) – United Brands; s. dagegen EuGH, Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 (3303 ff., Rn. 25 f.) – British Leyland, wo der Unterschied den sechsfachen Betrag gegenüber einer vergleichbaren Dienstleistung ausmachte.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
477
nes Preisniveau. Schließlich handelt es sich um einen Gemeinsamen Markt, der zwar unterschiedliche Rahmenbedingungen in den einzelnen Teilmärkten hat, aber doch bei vergleichbaren Produkten nicht allzu weit im Preisniveau differieren dürfte.362 So hat denn der EuGH auch in der Entscheidung United Brands darauf abgehoben, welche Preise der Marktführer in anderen Mitgliedstaaten anwendet.363 Insoweit stellt sich allerdings zum Teil das Problem, dass ein Unternehmen in 1262 mehreren Teilmärkten oder gar in der gesamten Gemeinschaft eine beherrschende Stellung hat und daher das Preisniveau generell verschoben sein kann oder aber der Wettbewerbsführer die Gewinne in einem Markt mit beherrschender Stellung dazu nutzt, um in anderen Teilmärkten durch tiefe Preise entsprechend in den Markt eindringen zu können. Dieser Schwierigkeit begegnet man, wenn die Preise genommen werden, welche von anderen Unternehmen in anderen Teilmärkten verlangt werden,364 jedenfalls wenn diese Teilmärkte nicht im Preisniveau durch die beherrschende Stellung eines Unternehmens verzerrt sind. Ist dies der Fall oder fehlt überhaupt ein echter Wettbewerbsmarkt, kann ggf. 1263 nur die Preispolitik mehrerer beherrschender Unternehmen auf verschiedenen Märkten nebeneinander gestellt werden.365 Ergeben sich dabei unterschiedliche Preise, müssen sich diese durch objektive Umstände rechtfertigen lassen. Diese muss die Gesellschaft darlegen. Im Bereich von Verwertungsgesellschaften für Urheberrechte können sich solche Unterschiede daraus ergeben, dass die Bedingungen für die Wahrnehmung dieser Interessen in dem jeweiligen Mitgliedstaat unterschiedlich sind.366 Verwaltungskosten, die im Verhältnis zu den Ausschüttungen an die Mitglieder übersteigert sind, vermögen hingegen keine Rechtfertigung für Preisunterschiede zu liefern.367 III.
Unangemessene Geschäftsbedingungen
1.
Geschäftsbedingungen
Der Erzwingung unangemessener Einkaufs- oder Verkaufspreise stellt Art. 82 1264 lit. a) EG die von sonstigen Geschäftsbedingungen gleich. Auch diese müssen daher unangemessen sein. Zudem gehört sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Erzwingung dazu; indirekte Auswirkungen sind also eingeschlossen.368 Die Einbeziehung sonstiger Geschäftsbedingungen vermeidet eine strikte Fixierung 362
363 364 365 366 367 368
Das gilt vorbehaltlich unterschiedlicher Lohnkosten. Aber in Reaktion darauf wird die Produktion arbeitsintensiver Erzeugnisse sich in Ländern mit adäquaten Kosten konzentrieren. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (306, Rn. 258/260) – United Brands: z.T. 100 % höhere Preise. Z.B. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2516, Rn. 31) – Bodson. EuGH, Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2578 ff., Rn. 40 ff.) – Tournier; Rs. 110 u.a./88, Slg. 1989, 2811 (2831 ff., Rn. 25 ff.) – Locazeau u.a./SACEM. Näher Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 190. EuGH, Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 (2578 ff., Rn. 40 ff.) – Tournier. S.o. Rn. 1245.
478
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
auf die Preisfestsetzung und zudem Abgrenzungsprobleme, die dadurch entstehen, dass auch sonstige Geschäftsbedingungen sich regelmäßig auf den Preis auswirken bzw. wirtschaftliche Nachteile bedeuten, indem sie sich in Geld ausdrücken lassen.369 Jedoch ist dies nicht zwingend. Vielmehr wird auch ein unangemessenes Geschäftsverhalten erfasst, sofern es sich nur formal in Geschäftsbedingungen niederschlägt. Dazu gehören auch Handlungsbeschränkungen bis hin zu Lieferungsverweigerungen durch den Marktführer selbst oder auf dessen Veranlassung durch seine Verteiler. So erhielt etwa ein Vertriebsunternehmen weder vom Importeur noch von dessen weiteren Verteilern bzw. Reifereien Bananen, weil es den Absatz von Bananen eines Konkurrenzunternehmens förderte. Eine solche Absatzpolitik des Vertreibers entspricht Handelsbräuchen, so dass eine Lieferungsverweigerung an einen solchen langjährigen Kunden missbräuchlich ist.370 Insoweit stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die Generalklausel einschlägig ist, wie dies in der späteren Rechtsprechung auch angenommen wurde, weil im eigentlichen Sinne keine sonstigen Geschäftsbedingungen festgelegt werden, sondern schlicht einfach nicht beliefert wird. Eindeutig liegen aber solche Geschäftsbedingungen vor, wenn bestimmte Handlungspflichten bzw. Verbote trotz weiterer grundsätzlicher Belieferung festgelegt werden. Das gilt etwa dann, wenn Waren, die vom Marktbeherrscher abgenommen werden, nur in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kunden oder in einem bestimmten Zustand371 vertrieben werden dürfen.372 2.
Unangemessenheit
1265 Solche Beschränkungen sind nur dann zulässig, wenn sie durch das verfolgte Ziel gerechtfertigt sind und in ihrer Wirkung nicht darüber hinausgehen.373 Die Maßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis dazu stehen und billigerweise herangezogen werden können.374 Handelt es sich aber darum, nicht allein die Qualität der Weiterverkäufer zu gewährleisten, sondern zugleich die eigene beherrschende Stellung abzusichern, liegt regelmäßig eine missbräuchliche Ausnutzung vor, werden doch dann die Absatzmöglichkeiten zum Nachteil der Verbraucher beschränkt und nationale Märkte leicht abgeriegelt.375 Auch Dritte, welche nicht in das Vertriebssystems des Marktbeherrschers einbezogen sind, können dadurch erheblich geschädigt werden,376 so insbesondere bei Lieferungsbeschränkungen. Eine entsprechende Wirkung können Preisbindungsklauseln erzeugen, die vor allem
369 370 371 372 373 374 375 376
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 194. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297, Rn. 182/183) – United Brands. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2004, Rn. 398/399 ff.) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (295, Rn. 152/160) – United Brands: kein Weiterverkauf ungereifter Bananen und Verkauf gereifter Bananen nur an den Einzelhandel. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (295, Rn. 152/160) – United Brands. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (298, Rn. 184/194) – United Brands. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (295, Rn. 152/160) – United Brands; später Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5929, Rn. 18 ff.) – Genova. S. EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (317 f., Rn. 12/14 ff.) – BRT/SABAM II.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
479
bei einem niedrigen Niveau Wettbewerbern praktisch den Marktzutritt verwehren, jedenfalls aber erschweren.377 So wie sich Preise auf einen konkreten Gegenstand beziehen und damit zu die- 1266 sem angemessen sein müssen, sind Geschäftsbedingungen allgemein mit einem bestimmten Geschäftszweck verbunden. Daher darf nicht der Geschäftszweck als solcher bereits unangemessen sein, indem das beherrschende Unternehmen seine führende Stellung ausbauen und zu diesem Zweck etwa ein hohes bzw. niedriges Preisniveau durchsetzen will, das den sonstigen Wettbewerb hemmt.378 Weiter müssen die Geschäftsbedingungen sich in einem Rahmen halten, wie er für den verfolgten Zweck erforderlich ist. So ist zwar im Urheberrechtsbereich notwendig, Verwertungsgesellschaften eine hinreichende Anzahl von Rechten zu übertragen, damit sie diese wirksam gegenüber den Nutzern vertreten können. Diese Abtretung muss aber nicht mehr lange andauern, wenn ein Mitglied austritt. Dann wird die Verfügungsbefugnis des Urhebers hintangestellt, ohne dass dies für eine wirkungsvolle Verwaltung seiner Rechte notwendig ist.379 3.
Erzwingung
Eine Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen liegt schon dem 1267 Wortsinn nach auch dann vor, wenn solche vereinbart und dann durchgesetzt werden. Das gilt auch dann, wenn Geschäftsbedingungen als solche zunächst einen Rahmen bilden, innerhalb dessen beide Unternehmen agieren können, sich dann aber die Umstände so entwickeln, dass die Durchsetzung dieser Geschäftsbedingungen unangemessen wird.380 Das gilt etwa dann, wenn eine Ausstiegsklausel allgemein vereinbart wurde, aber nur bei den Ablauf des Geschäftes störenden Umständen ausgeübt werden sollte, ohne dass insoweit eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde und nunmehr der Marktführer davon Gebrauch macht.
C.
Einschränkung von Erzeugung, Absatz oder technischer Entwicklung mit Verbraucherschaden (Art. 82 lit. b) EG)
I.
Weite Konzeption und Ergänzung durch die Generalklausel
Vielfach eng verbunden mit unangemessenen Geschäftsbedingungen ist die Ein- 1268 schränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher nach Art. 82 lit. b) EG. Das betrifft insbesondere Handlungsbeschränkungen zulasten der Vertragspartner oder Lieferverweigerungen.381 Diese weite Überschneidung beruht auch auf der weiten Konzeption von Art. 82 lit. b) EG, der sämtliche Einschränkungen von Erzeugung, Absatz oder techni377 378 379 380 381
EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (850, Rn. 42 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen. S. vorstehende Rn. 1265. EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (316 f., Rn. 6/8 ff.) – BRT/SABAM II. EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2987, Rn. 140) – ITT Promedia. S. bereits EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297, Rn. 182/183) – United Brands.
480
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
scher Entwicklung erfasst, sofern sie nur zum Schaden der Verbraucher sind. Eine solche Einschränkung tritt auch dann ein, wenn sie nicht im eigenen Unternehmen erfolgt, sondern bei anderen Unternehmen bewirkt wird.382 Der limitierende Begriff des Verbrauchers ist nicht auf den Endverbraucher beschränkt,383 sondern erfasst wie im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG sämtliche unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer der jeweiligen Waren bzw. Dienstleistungen und damit auch Weiterverarbeiter und Wiederverkäufer.384 Schließlich dient Art. 82 EG dem Schutz sämtlicher Handelsstufen, ja des Wettbewerbes insgesamt, so dass ohnehin die limitierte Erfassung von Einschränkungen nur zum Schaden der Verbraucher allzu eng erscheint. Dies muss über eine entsprechend großzügige Auslegung der Generalklausel korrigiert werden. Sachgerechter wäre es gewesen, von vornherein Art. 82 lit. b) EG entsprechend weit zu fassen. Unter die Generalklausel sind daher alle die Einschränkungen etwa der Erzeu1269 gung zu subsumieren, die lediglich zum Schaden der Mitbewerber gehen, weil diese etwa ein plötzliches Absinken von verfügbaren Mengen durch ihre begrenzten Produktionskapazitäten nicht auffangen können, so dass sich Abnehmer zu einem anderen Produkt orientieren. Unerfasst von Art. 82 lit.b) EG bleiben auch Schäden der Zulieferer, für die dann das die Erzeugung absenkende Unternehmen mit beherrschender Stellung den Abnehmer und damit den Verbraucher bildet. II.
Einschränkung der technischen Entwicklung
1.
Bedeutung
1270 Die Einschränkung der technischen Entwicklung ist zwar am Ende der Aufzählung in Art. 82 lit. b) EG genannt, hat allerdings die tief gehendsten und langfristigsten Auswirkungen zum Schaden der Verbraucher. Allein die Einschränkung der technischen Entwicklung im eigenen Unternehmen ist schwierig zu beurteilen, da es eine grundsätzlich freie unternehmerische Entscheidung bildet, welche technischen Entwicklungen als Erfolg versprechend weiter verfolgt oder aber als wenig aussichtsreich eingestellt werden. Zudem können die absehbaren Kosten zu hoch sein.385 Anders liegt der Sachverhalt, wenn die technische Entwicklung bewusst niedrig gehalten oder aber abgebrochen wird. Dann wird der unternehmerische Freiraum überschritten und zulasten der Verbraucher eingegriffen. Auf diese Weise können Preise auch hochgehalten werden. Die Leistung bleibt teurer, wenn sie weiterhin nach technisch überholtem Prinzip und nicht nach modernen, billige-
382
383 384 385
S. bereits EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2004, Rn. 398/399; 2020 f., Rn. 518 f.) – Suiker Unie; aus der Lit. z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 111; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 74. So aber Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 68. S.o. Rn. 897; im hiesigen Zusammenhang z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 199. Z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 202; Dirksen, in: Langen/ Bunte, Art. 82 Rn. 132.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
481
ren Verfahren angeboten wird, obgleich eine Umstellung ohne weiteres möglich wäre.386 2.
Vorenthaltung
Eindeutiger ist, wenn eine bereits gefundene technische Entwicklung anderen vor- 1271 enthalten wird, indem sie einfach nicht weiter in Verfahren eingesetzt wird.387 Das gilt nach Art. 5 Abs. 1 lit. b) der GruppenfreistellungsVO (EG) Nr. 2659/2000388 explizit, wenn es darum geht, Ergebnisse gemeinsamer Forschung und Entwicklung geschäftlich zu verwerten oder auch nicht. Noch deutlicher liegt ein Missbrauch zutage, wenn die technische Entwicklung Dritter dadurch eingeschränkt wird, dass ihnen bestimmte Leistungen verweigert werden. Das kann dadurch geschehen, dass das marktbeherrschende Unternehmen eine ausschließliche Lizenz erwirbt, um ein weit gediehenes Produktionsverfahren zu nutzen und dadurch Wettbewerbern die Chance verbaut, durch ein gleichwertiges Verfahren Produkte herzustellen und auf den Markt zu bringen.389 Diese Konstellationen haben vielfach einen Bezug zur Leistungsverweigerung. Dann stellt sich die Frage, ob diese Fälle nicht unter die Leistungsverweigerung nach der Generalklausel zu fassen sind.390 Dagegen spricht, dass ein enger sachlicher Bezug zur Einschränkung von technischen Entwicklungen bzw. von Absatz und Erzeugung besteht und somit an das vertraglich eigens aufgeführte Regelbeispiel angeknüpft werden kann.391 Besondere Fragen tauchen im Zusammenhang mit dem Urheberrechtsschutz auf.392 3.
Positives Handeln
Schließlich kann die technische Entwicklung auch durch positives Handeln einge- 1272 schränkt werden, so wenn systematisch gegen die Nutzung technischer Entwicklungen durch Konkurrenten vorgegangen wird. Das kann durch Sperrpatente, willkürliche Patentverletzungsklagen und planmäßiges Anfechten der Patente anderer erfolgen.393 Ob dies allerdings missbräuchlich erfolgt, lässt sich deshalb schwer beweisen, weil Zweifel an anderen Patenten und darauf gestützte Klagen a priori erlaubt sind. Damit muss nachgewiesen werden, dass ein Vorgehen gegen ein fremdes Patent zumindest auch das Ziel hat, dem Angegriffenen zu schaden und
386
387 388 389 390 391 392 393
EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5929, Rn. 19) – Genova; entsprechend für Warenlieferungen Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 133; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 202 a.E. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 202. ABl. 2000 L 304, S. 7. EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (357 f., Rn. 23) – Tetra Pak I. Dafür Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 203. S. näher auch u. Rn. 1350 ff. Dazu sogleich Rn. 1284 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 204; auch Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 75; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 68.
482
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
den Wettbewerb auszuschalten. Beide Elemente sind im Einzelnen genau nachzuweisen.394 III.
Einschränkung der Erzeugung
1.
Produktionsreduzierungen und -einstellungen
1273 Die nächste Stufe möglicher Einschränkungen ist die der Erzeugung. Insoweit entstehen, auch wenn die Maßnahme nicht gegenüber anderen Unternehmen erfolgt, regelmäßig negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Verbraucher. Allein schon die Verknappung des Angebotes führt dazu, dass die entsprechenden Waren oder Dienstleistungen teurer werden.395 Noch gravierender ist vielfach die gänzliche Einstellung der Herstellung eines Produkts. Das gilt zumal dann, wenn trotz noch vorhandener Ausgangsprodukte wie Kraftfahrzeuge keine darauf bezogene Ersatzteile mehr erzeugt und die Lizenzen dafür auch nicht an Dritte übertragen werden.396 Wie im Rahmen der technischen Entwicklung steht es allerdings in der unter1274 nehmerischen Entscheidungsfreiheit, bestimmte Produktionen einzustellen oder zu vermindern, wenn sie nicht mehr (in vollem Umfang) wirtschaftlich sind oder sich die Nachfrage abschwächt. Im Gegenteil würden bei fortlaufender Produktion möglicherweise Verluste auflaufen und damit negative Wirkungen bei anderen Leistungen auftreten, deren Preise zulasten der Abnehmer erhöht oder deren Produktion zusammen mit den nicht mehr laufenden Produkten wegen verwandter Erzeugungsverfahren eingestellt werden müsste. Bei Rationalisierungen kann es vorkommen, dass der Verbraucher vorübergehend geschädigt wird; ausgeglichen wird dies aber durch eine langfristige Abwendung von Schäden für diesen.397 Wird die Produktion eingestellt oder vermindert und können sich daher andere 1275 Unternehmen oder auch Verbraucher nicht mehr beim Marktbeherrscher eindecken, obwohl sie darauf angewiesen sind, liegt die Konstellation parallel zu den Fällen der Leistungsverweigerung im Rahmen einer Einschränkung der technischen Entwicklung. Diese ist missbräuchlich, wenn die Einschränkung nicht nur aus vernünftigen ökonomischen Erwägungen und damit v.a. aus Rentabilitätsgründen erfolgt.398
394 395
396 397
398
EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2961 f., Rn. 60 f.) – ITT Promedia. Auf diese jedenfalls mittelbare Wirkung oder Bezweckung abstellend Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 110, 117; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 152; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 200. EuGH, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6073, Rn. 16) – Renault; Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211 (6235, Rn. 9) – Volvo/Veng; aus der Lit. Eilmansberger, EuZW 1992, 625 (627). Für Zulässigkeit auch Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 47; abl. bei vorübergehender Verbraucherschädigung Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 200 a.E. mit Fn. 934; auch Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 119; Joliet, Monopolisation and Abuse of a Dominant Position, 1970, S. 244. S.o. Rn. 1270 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
2.
483
Vereinbarungen
Bereits durch solche Leistungsreduzierungen können leicht Einschränkungen der 1276 Erzeugung bei anderen Unternehmen entstehen, welche mangels näherer Eingrenzung ebenfalls von Art. 82 lit. b) EG erfasst sind. Solche Limitierungen bei Dritten können aber auch auf Vereinbarungen mit dem Marktbeherrscher beruhen399 Erreicht werden solche Beschränkungen durch Vereinbarungen, wie sie auch im Rahmen des Kartellverbotes vorkommen. Sie betreffen Investitionen, Spezialisierungen, Lizenzen und Wettbewerbsverbote.400 Daher liegt die Beurteilung weitgehend parallel zu der nach Art. 81 Abs. 3 EG sowie den Gruppenfreistellungsverordnungen und dabei namentlich der zu Spezialisierungsvereinbarungen und zu Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung.401 Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass bei einer Ausschaltung des Wettbewerbs entgegen Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG eine zugleich bestehende beherrschende Stellung von Unternehmen missbräuchlich ausgenutzt wird;402 zudem ist regelmäßig ein Schaden der Verbraucher gegeben, wenn diese nicht angemessen am Gewinn beteiligt werden. 3.
Lieferungsverweigerung
a)
Erfasste Konstellationen
Darüber hinaus liegen die möglichen Handlungen parallel zu denen, die auch zu 1277 einer Einschränkung der technischen Entwicklung bei dritten Unternehmen führen. Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen kann ebenfalls die Erzeugung der Betroffenen einschränken.403 Dem steht die Vorenthaltung von Informationen gleich, welche erst die Produktion bestimmter Zusatzgeräte etwa zu elektronischen Rechnern ermöglicht.404 Oder Grundsubstanzen bzw. -daten sind vorhanden und könnten von einem anderen Unternehmen zu einem nachgefragten Erzeugnis zusammengeführt werden, wenn die Marktbeherrscher ihre Weitergabe nicht verweigern würden.405 Im Fall Magill publizierten marktbeherrschende Gesellschaften die Programme ihrer Fernsehsendungen lediglich in eigenen, getrennten Programmführern bzw. gaben sie ausschließlich Tageszeitungen und Zeitschriften weiter, welche sie nur unter strikter Einhaltung näher festgesetzter Bedingungen veröffentlichen durften. Sie verweigerten diese Daten aber einem Unternehmen, das einen umfassenden wöchentlichen Fernsehprogrammführer gründen und damit ein neues Erzeugnis auf den Markt bringen wollte, welches die marktbeherrschenden Gesellschaften nicht anboten, obwohl eine potenzielle Nachfrage der Ver399 400 401 402 403 404 405
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 201. Im hiesigen Zusammenhang Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 120; Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 75. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 201 mit Fn. 937. S.o. Rn. 967. Bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents. 17. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1987, Tz. 85; vgl. sogleich Rn. 1288 ff. zum Fall Microsoft. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (823, Rn. 50 ff.) – Magill.
484
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
braucher bestand. Dieses Verhalten verletzte daher Art. 82 lit. b) EG.406 Entsprechendes gilt bei der Vorenthaltung von unabdingbaren Dienstleistungen407 sowie Rohstoffen.408 Eine solche Vorenthaltung von Informationen oder Produkten ist nur dann nicht 1278 missbräuchlich, wenn dafür eine Rechtfertigung besteht. Die Entscheidung, bestimmte Produkte nunmehr für sich selbst herzustellen statt an andere zu liefern, reicht dafür nicht aus, sofern auf diese Weise der Wettbewerb, der auf eben diese nunmehr für eigene Zwecke hergestellten Produkte angewiesen ist, nicht mehr auf dem Markt bleiben kann.409 Auch insoweit sind daher die Maßstäbe mit den zu Art. 81 Abs. 3 EG entwickelten vergleichbar.410 b)
Wettbewerbsausschluss nur auf einem abgeleiteten Markt?
1279 Zusätzlich verlangte der EuGH im Urteil Magill, dass die Leistungsverweigerung zum Ausschluss jeden Wettbewerbs auf dem betroffenen abgeleiteten Markt führt,411 während er in früheren Entscheidungen auf den Ausschluss jeglichen Wettbewerbs „durch diesen Kunden“ und damit durch den von der Leistungsverweigerung Betroffenen abstellte.412 Auch im Urteil Bronner wählte der EuGH diesen ursprünglichen Ansatzpunkt.413 Dafür spricht, dass der durch Art. 82 EG geschützte Restwettbewerb bereits dann angetastet wird, wenn ein Wettbewerber ausgeschaltet wird. Das Abstellen auf ihn steht daher nicht in Widerspruch dazu, dass Art. 82 EG auch den Wettbewerb als solchen schützt, sondern erhält die Marktstruktur im Einzelnen, welche die Grundlage für einen funktionierenden Wettbewerb bildet. Dessen Verdrängung als solche wird denn auch nur in Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG zum Prüfungspunkt erhoben und auch dort nicht konsequent darauf reduziert.414 Zwar rekurriert das Urteil Bronner415 auf das Urteil Magill in seiner Ausprä1280 gung, die Leistungsverweigerung dürfe nicht geeignet sein, „jeglichen Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt“ auszuschließen. Es bezieht diese Voraussetzung aber auf „denjenigen, der die Dienstleistung begehrt“, und verlangt für diesen eine Unentbehrlichkeit der Leistung des Marktbeherrschers in dem Sinne, dass er sie nicht ersetzen kann, und zwar auch nicht durch Aufbau eines eigenen Systems. So lag der Fall letztlich auch in der Sache Magill. Zudem hatten dort die Gesellschaften, welcher der potenziellen Konkurrenz die benötigten Informationen vorenthielten, eine beherrschende Stellung nicht nur für die Programminformationen selbst, sondern auch für deren Weitergabe. 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415
EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (824, Rn. 54) – Magill. EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3278, Rn. 26) – CBEM. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents. S.o. Rn. 980 ff. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (824, Rn. 56) – Magill. EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents; Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3277 f., Rn. 25) – CBEM. EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7830, Rn. 38 a.E.) – Bronner. S.o. Rn. 975 f. EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7830 f., Rn. 40 ff.) – Bronner.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
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Die Abgrenzung zwischen dem Markt mit beherrschender Stellung und dem ab- 1281 geleiteten Markt416 ist angesichts des aufgezeigten Zwecks des Missbrauchsverbots nicht notwendig, da danach primär auf dem Hauptmarkt der Restwettbewerb geschützt werden soll. Zudem ist diese Voraussetzung oft auch sachlich nur schwer umsetzbar und kann zumal vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung zur Lizenzverweigerung allenfalls formal aufrecht erhalten werden.417 c)
Abgrenzung zur essential facilities doctrine
Auch diese problematische Abgrenzbarkeit eines abgeleiteten Marktes unterschei- 1282 det diese Konstellationen von dem klassischen Ansatz der essential facilities doctrine aus dem amerikanischen Antitrust-Law. Diese erfasst in ihrer Ausprägung im amerikanischen Antitrust-Recht schon aus natürlichen Gründen lediglich einmalige, nicht duplizierbare wesentliche Einrichtungen, die durch ihre Einzigartigkeit die Abhängigkeit anderer Unternehmen begründen. Diese können daher auf einem abgeleiteten Markt nur tätig werden, wenn sie diese Einrichtungen benutzen können. Das gilt namentlich im Infrastrukturbereich.418 Insoweit lassen sich zwei Märkte klar unterscheiden. Die durch gewerbliche Schutzrechte hervorgerufene Ausschließlichkeit divergiert von diesen klassischen Fällen zudem dadurch, dass sie nicht natürlich vorgegeben ist und eine Öffnung gerade den Gegenstand dieser Schutzrechte zunichte macht. Konsequenterweise wurde die essential facilities doctrine in der US-amerikanischen Microsoft-Entscheidung nicht herangezogen.419 Im europäischen Recht wird diese Doktrin dagegen auf alle Fallgruppen ver- 1283 weigerter Zugangsberechtigung zu Leistungen in der Hand eines beherrschenden Unternehmens ausgedehnt.420 Vor allem das Konfliktverhältnis zwischen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht wird in den Kontext der essential facilities doctrine gestellt und diese unter Bezug darauf als „Fallgruppe des Art. 82 EG“ gesehen.421 Nicht zuletzt aus dieser nicht sachgerechten Verbindung heraus wird das Immaterialgüterrecht vor den Wettbewerbsschutz gestellt und eine Zwangslizenz abgelehnt.422 Jedoch gelangt man auch ohne den Ansatz dieser Doktrin zu einer 416
417 418 419 420
421 422
Die Leupold/Pantke, EWS 2005, 108 (111) unter Verweis auf EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7829, Rn. 34 ff.) – Bronner zerfließen sehen. Darin bestehen aber Rückwirkungen von einem monopolisierten Zustellungssystem auf den Tageszeitungsmarkt. Noch daran anknüpfend hingegen Stopper, ZWeR 2005, 87 (102 ff.) im Hinblick auf den Fall Microsoft. S.u. Rn. 1287. Dazu u. Rn. 1354 ff. S. US v. Microsoft Corp., 253 F 3d 34, 63 (D.C. Cir. 2001); Stopper, ZWeR 2005, 87 (101 mit Fn. 83). Näher zum Ganzen Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, 2002; Hohmann, Die essential facilities doctrine im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 2001 und Shin, Die „Essential-Facilities“Doktrin im europäischen Kartellrecht, 2003. Stopper, ZWeR 2005, 87 (100 f.) unter Bezug auf Körber, RIW 2004, 881 (885 ff.); Wirtz/Holzhäuser, WRP 2004, 683 (685 ff.). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 131, 57 mit Fn. 100 gegen die IMS-Health-Entscheidung KOME 2002/165/EG, ABl. 2002 L 59, S. 18 –
486
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
sachgerechten Lösung, nämlich auf der Basis des europäischen Wettbewerbsrechts, das nicht durch eine solche Doktrin ohne Notwendigkeit verkürzt werden darf. 4.
Lizenzverweigerung
a)
Magill: Verbindung von Lieferungs- und Lizenzverweigerung
1284 In dem bereits dargestellten Urteil Magill wurde die Leistungsverweigerung auf nationale urheberrechtliche Vorschriften gestützt.423 Daraus ergibt sich der enge Zusammenhang zwischen Leistungs- und Lizenzverweigerung. Dazu gehört vor allem die Kombination von Erwerb und späterer Ausnutzung von gewerblichen Schutzrechten, um anderen die Nutzung einer entsprechenden Produktart unmöglich zu machen. Der bloße Erwerb von gewerblichen Schutzrechten ist zwar als solcher nicht missbräuchlich.424 Der EuGH stützte darauf aber keinen Ausschluss der Weitergabe. Vielmehr knüpfte er im Urteil Magill auch an die bisherige Rechtsprechung zur Leistungsverweigerung an.425 Die Ausübung eines Urheberrechts unterliegt daher wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen. Deshalb können die folgenden Modifikationen der Entscheidungspraxis auch für die Leistungsverweigerung allgemein fruchtbar gemacht werden. Allerdings führt die Inhaberschaft eines Exklusivrechts dazu, dass es nur unter außergewöhnlichen Umständen weitergegeben werden muss.426 Diese Umstände bestehen aber in der für die Leistungsverweigerung aufgezeigten Abhängigkeit des Wettbewerbers und werden auch unabhängig vom Bestehen eines Urheberrechts herangezogen.427 Das Immaterialgüterrecht kann also nur bis zu einem gewissen Grade eine Leistungsverweigerung sachlich rechtfertigen. b)
IMS Health: Marktzutritt
1285 Der Ansatz des Magill-Urteils wurde in der IMS-Health-Entscheidung fortgeführt. Auch in dem ihr zugrunde liegenden Sachverhalt geht es um den Zutritt auf einen Markt, der nur über eine Lizenz des Marktbeherrschers führte. Dieser hatte ein immaterialgüterrechtlich geschütztes Baukostensystem entwickelt, das mittlerweile Standard für Marktberichte über den regionalen Absatz von Arzneimitteln und Gesundheitserzeugnissen war, den also auch Konkurrenten benötigten. Damit waren diese auf eine Lizenz zwingend angewiesen, um in den Markt einzutreten. Die eigenen Umstellungs- oder Entwicklungskosten wären zu hoch gewesen. Zudem
423 424 425 426 427
NDC Health/IMS HEALTH; zu diesem Fall auf der Basis des EuGH-Urteils sogleich Rn. 1285 ff. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (824, Rn. 54) – Magill. Näher o. Rn. 1277. EuGH, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6072 f., Rn. 15 f.) – Renault; Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211 (6235, Rn. 8 f.) – Volvo/Veng. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (824, Rn. 56) – Magill. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (823, Rn. 50) – Magill. EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7830 ff., Rn. 40 f.) – Bronner.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
487
vermochte der Marktbeherrscher ohne Lizenzweitergabe jeglichen Wettbewerb auszuschalten und sich damit den Markt vorzubehalten. Ein neues Produkt konnte infolgedessen trotz potenzieller Nachfrage nicht auf den Markt kommen. Bestand damit keine Rechtfertigung für die Verweigerung einer Lizenz, musste diese weitergegeben werden.428 Im Ergebnis darf damit ein Immaterialgüterrecht nicht zur Befestigung einer 1286 marktbeherrschenden Stellung eingesetzt werden, indem es als Hebel zur Abhaltung von Konkurrenz benutzt wird. Daher ist es nicht erforderlich, dass Mitbewerber gerade auf einem von dem beherrschten Markt abgeleiteten Markt tätig werden wollen.429 In der Entscheidung IMS Health musste künstlich als vorgelagerter Markt für 1287 Marktberichte einer für die geschützte Bausteinstruktur konstruiert werden, der aber nur potenziell oder hypothetisch sein musste.430 Dabei ging es in der Sache nur um die Verweigerung der öffnenden Tür zum Markt für die Erstellung von Marktberichten, wenn auch auf der Basis dieser Bausteinstruktur. Diese war aber mit den Berichten untrennbar verwoben und konstituierte erst die beherrschende Stellung. Davon lenkt der Zwischenschritt eines vorgelagerten Marktes nur ab; er wirkt künstlich und kann daher unterbleiben.431 Es genügt somit, dass die Position auf dem beherrschten Markt befestigt wird, indem anderer Wettbewerb ausgeschlossen wird.432 Bereits dies hindert die Erzeugung zum Schaden des Verbrauchers entgegen Art. 82 lit. b) EG. Das Übergreifen in einen anderen Markt ist dabei nur ein Sonderfall, die Absicherung der beherrschenden Stellung hingegen der Normalfall.433 c)
Microsoft: Schutz vor Verdrängung
aa)
Abhängigkeit von Wettbewerbern durch künstliche Leistungsverknüpfung
Geht es damit wie generell im Rahmen von Art. 82 EG um die Gewährleistung 1288 von funktionierendem Restwettbewerb, ist der Konkurrentenschutz durch Lizenzweitergabe besonders angezeigt, wenn die Verdrängung von Wettbewerbern droht, die schon auf dem Markt sind. Zwar gilt der Grundsatz des Leistungswettbewerbs, so dass der erfolgreichere Wettbewerber seine Erfolge rechtmäßig ausnutzen darf, aber nur so, dass die Konkurrenz nicht missbräuchlich benachteiligt wird. Ein Weg hierfür sind Verknüpfungen erfolgreich vermarkteter Produkte und Systeme mit Komponenten, welche bislang auch von anderen Unternehmen hergestellt und vermarktet werden.
428 429 430 431 432
433
EuGH, Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 (Rn. 28 ff.) – IMS. S. hingegen noch EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 (7830 f., Rn. 38, 40) – Bronner; s.o. Rn. 1279 f. EuGH, Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 (Rn. 44) – IMS. Krit. auch Wirtz/Holzhäuser, WRP 2004, 683 (689). Leupold/Pantke, EWS 2005, 108 (111); dahin auch Höppner, EuZW 2004, 748 (751 f.), der in der Öffnung eines beherrschten Marktes einen Anwendungsfall der essential facilities doctrine sieht. S.o. Rn. 1270 ff.
488
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Im PC-Bereich ist das leicht dadurch möglich, dass ein beherrschender Anbieter die Kompatibilität für Einzelkomponenten bzw. Betriebssysteme anderer Anbieter nicht sicherstellt und zudem die Schnittstelleninformationen verweigert, durch die sich die anderen auf die Merkmale des Marktführers einstellen können.434 Diese Daten sind geheim, so dass die Wettbewerber an sie aus eigenen Stücken nicht gelangen können.435 Die Kommission sah infolge der Abhängigkeit von einer Lizenz für die Schnittstelleninformationen und der daraus abzuleitenden Ausschaltung des Wettbewerbs für das betroffene Betriebssystem künftige negative Auswirkungen auf die technische Entwicklung zum Schaden der Verbraucher.436 Zudem und schon aktuell werden aber bereits die Erzeugung und der Absatz der Konkurrenz entgegen Art. 82 lit. b) EG beschränkt. Ein hinreichender Schutz des betroffenen Immaterialgüterrechts (hier bezogen 1290 auf die Schnittstelleninformationen) ergibt sich daraus, dass dessen Exklusivität im Einzelfall die Vorteile der Weitergabe überwiegt.437 Der Marktführer muss seine Verweigerung positiv begründen können; das Bestehen des Immaterialgüterrechts genügt nicht, sondern seine Ausübung muss wettbewerbskonform sein. Ein möglicher Ansatz ist, inwieweit das Angebot eines ganzheitlichen Designs gerade notwendig ist.438 Jedoch birgt gerade dieser Ansatz ein weites Einfallstor, Leistungen miteinander zu verbinden und dadurch die Konkurrenz von notwendigen Elementen auszuschließen. Den noch vorhandenen Restwettbewerb zu erhalten gehört zu den herausgehobenen Pflichten eines Monopolisten.439 Diese muss er auch beim Produktzuschnitt beachten. Daher kann ihn eine Pflicht zur Aufspaltung von Leistungen treffen, wenn nur dadurch Wettbewerber die Chance erhalten, mit der weiteren Entwicklung Schritt zu halten und ihr Angebot sachgerecht auf dem Markt platzieren zu können. 1289
bb)
Gleichbehandlung von neuen Wettbewerbern?
1291 Bei dieser Abwägung kann dann auch einfließen, an wen unter welchen Umständen die Lizenz weitergegeben werden muss. Probleme können sich aus einer Gleichbehandlung von alten und neuen Marktteilnehmern deshalb ergeben, weil nur Erstere bereits durchgehend ihren Beitrag zur Produktentwicklung geleistet haben, Newcomer hingegen lediglich dann, wenn sie ein neues Erzeugnis wie im Fall
434 435 436 437 438
439
S. KOME COMP/C-3/37.792 – Microsoft; zusammenfassend Zimmerlich, WRP 2004, 1260. Berg, EWS 2005, 49 (55); ohne nähere Bewertung noch EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 27) – Microsoft. KOME COMP/C-3/37.792, (Rn. 693 ff.) – Microsoft. KOME COMP/C-3/37.792, (Rn. 783) – Microsoft. Im Eilrechtsschutz wurde die Argumentation von EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 44) – Microsoft nicht als prima facie unbegründet zurückgewiesen, so dass die Notwendigkeit einer Aussetzung der Kommissionsentscheidung glaubhaft gemacht werden konnte; diese scheiterte aber an der fehlenden Dringlichkeit und wegen nicht irreparabler Schäden, s.u. Rn. 1619. S.o. Rn. 1122 f.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
489
Magill eine übergreifende Fernsehprogrammzeitschrift anbieten wollen,440 nicht hingegen bei einem Auftreten als Trittbrettfahrer.441 Daher erscheint der durchgehende Verzicht der Kommission auf das Erfordernis, das Auftreten eines neuen Produkts zu verhindern,442 bedenklich.443 Jedoch wird auch bei einem Fernhalten neuer Anbieter, die nur ein paralleles Produkt auf den Markt bringen wollen, potenzieller Wettbewerb verhindert, den Art. 82 EG ebenfalls schützt. Zudem werden die Belange des Marktbeherrschers dadurch gewahrt, dass der Wettbewerber eine angemessene Lizenzgebühr zahlen muss.444 Der EuGH stellt denn auch keine näheren Anforderungen an das Vorliegen eines neuen Produktes. Vielmehr reicht ein zum Angebot des Marktführers konkurrierendes Erzeugnis mit anderen Merkmalen, das auf bislang noch nicht voll erfüllte Verbraucherwünsche reagiert.445 Aber auch ein reines Konkurrenzprodukt bildet eine schützenswerte Form potenziellen Wettbewerbs, um einen beherrschten Markt nicht vollständig erstarren zu lassen. cc)
Entwicklungsstillstand?
Eine solche Zwangslizenz kann allerdings dazu führen, dass ein Unternehmen eine 1292 Entwicklung erst gar nicht mehr ansteuert, wenn es sie ohnehin anderen Unternehmen zur Verfügung stellen muss. Damit würde der technische Fortschritt aufgehalten, was auch zulasten des Verbrauchers ginge. Jedoch kann ein Unternehmen am Anfang einer technischen Entwicklung meist schwerlich absehen, wie erfolgreich sie sein wird. Die Überlegung, eine Innovation deshalb nicht mehr zu machen, weil sie dann auch anderen zugänglich wird, dürfte daher nur von einem Unternehmen angestellt werden, das bereits eine beherrschende Stellung hat. Denn nur dann kann eine Zwangslizenz wegen Machtmissbrauchs greifen. Aus einer beherrschenden Stellung heraus den technischen Fortschritt anzuhalten ist indes gerade selbst ein Mittel des Missbrauchs, das Innovationen weitgehend zum Erliegen bringt.446 Ein hoher Schutz für Neuentwicklungen hätte dann den negativen Zusatzeffekt, Wettbewerber nicht auf das Know-how des Monopolisten zurückgreifen zu lassen, auf welchem sie selbst die entsprechenden Neuentwicklungen erreichen könnten. Damit bewegt man sich im Falle einer beherrschenden Stellung auf schmalem 1293 Grat zwischen „Innovationswettbewerb und Innovationsmissbrauch“.447 Ein wesentliches Kriterium könnte die Dominanz des Marktbeherrschers sein, und zwar 440 441 442 443 444 445 446 447
Jüngst Wielsch, EuZW 2005, 391 (396); bezogen auf die Entscheidung IMS Health v. Welser, EWS 2004, 314 (315). Daher vor einer Schmälerung des Schutzes geistigen Eigentums warnend Schwarze, EuZW 2002, 75 (81). KOME COMP/C-3/37.792, (Rn. 562) – Microsoft. Ausführlich Leupold/Pantke, EWS 2005, 108 (114 f.). Das gilt auch bei einer Zwangslizenz, KOME COMP/C-3/37.792, (Art. 5 (a)) – Microsoft. Leupold/Pantke, EWS 2005, 108 (112) unter Verweis auf GA Tizzano, EuGH, Schlussantrag vom 2.10.2003, Rs. C-418/01, (Rn. 62) – IMS. S.o. Rn. 1270 ff. Körber, RIW 2004, 881 (889).
490
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
bezogen auf die anstehende technische Entwicklung und deren Umsetzung durch Erzeugung und Vermarktung. Besitzt er insoweit eine Schlüsselstellung, muss er anderen den notwendigen Zugang eröffnen. Die Vorenthaltung der eigenen Entwicklung ist dann Ausdruck von Machtmissbrauch und nicht von gerechtfertigtem Schutz eigener Innovationen. Der Immaterialgüterschutz muss dann entsprechend der Entscheidung der Kommission im Fall Microsoft gegenüber dem Wettbewerbsrecht zurücktreten.448 IV.
Einschränkung des Absatzes, insbesondere Leistungsverweigerung
1.
Bei fehlenden vernünftigen wirtschaftlichen Interessen
1294 Insbesondere die Einschränkung des Absatzes nach Art. 82 lit. b) EG hat in der Praxis eine hohe praktische Bedeutung erlangt, weil sich darunter fast alle Fälle missbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung fassen lassen.449 Wie im Bereich der Erzeugung sind Einschränkungen sowohl sachlich, also bezüglich bestimmter Erzeugnisse, wie auch quantitativ, räumlich und personell, also bezogen auf (bestimmte) Käufer, möglich. Unabhängig davon, in welche Richtung die Reduzierung erfolgt, ist aber jedenfalls bei der Einschränkung eigenen Absatzes wie bei der Begrenzung der technischen Entwicklung und der Erzeugung darauf zu achten, dass es grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung darstellt, an welche Kunden, in welche Gebiete mit welchen Erzeugnissen gehandelt wird.450 Daher können nur solche Verhaltensweisen missbräuchlich sein, die nicht durch betriebliche Gesichtspunkte legitimierbar sind. Dazu kann etwa gehören, die Verkaufsaktivitäten nur noch auf bestimmte Produkte zu konzentrieren oder Märkte, welche problematisch waren, nicht mehr zu beliefern oder solche auszusparen, auf denen allein Vertriebshändler bzw. Lizenznehmer tätig sind. Auf diese kann dann auch der Absatz konzentriert werden.451 Auch insoweit muss aber die Auswahl nachvollziehbaren Gesichtspunkten folgen. Dazu gehören Qualitätsaspekte sowie ein einheitliches Aussehen, damit eine bestimmte Markenidentität entsteht.452 Hier liegt die Beurteilung ebenfalls parallel zu der im Rahmen des Kartellverbotes.453 448 449
450 451 452 453
Zweifelnd allerdings EuG (Präsident), Beschl. V. 2, Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 210) – Microsoft; mit gegenteiliger Tendenz Stopper, ZWeR 2005, 87 (103 ff.). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 205; s. bereits die Basisentscheidungen EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2004, Rn. 398/399) – Suiker Unie; Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297, Rn. 182/183) – United Brands; später allerdings regelmäßig nicht mehr explizit erwähnt. Vgl. o. Rn. 1270. Z.B. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 77; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 179; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 208. S. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (288 f., Rn. 85 ff.) – United Brands für Chiqita-Bananen. Sich explizit darauf beziehend EuGH, Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563 (1580, Rn. 24) – Salonia auch unter Hinweis auf das Diskriminierungsverbot, welches in Art. 82 lit. c) EG niedergelegt ist.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
491
Die Grenze des Erlaubten besteht namentlich in einer ungerechtfertigten Leis- 1295 tungsverweigerung. Selbst die Zurückweisung eines Geschäfts kann unter Umständen legitimiert sein. So prüfte der EuGH als Ansatz, ob die eingestellte Belieferung eines Abnehmers eine angemessene Sanktion zu einer Bedrohung darstellt und daher „billigerweise“ in Betracht kommen kann. Er zog aber den Rahmen insofern eng, als er auch die Statuierung eines Exempels untersagte, weil gerade dadurch der Abschreckungseffekt für anderen Abnehmer noch stärker wird und die schon vorhandene beherrschende Stellung noch wesentlich gesteigert wird. Die Unabhängigkeit der anderen Unternehmen muss erhalten bleiben; dazu gehört auch, Erzeugnisse von Wettbewerbern beziehen zu können.454 Bei der Frage, ob eine Leistungsverweigerung gerechtfertigt ist, müssen also 1296 umfassend die Folgen angesichts der Zielsetzung der Wettbewerbsregeln beurteilt werden. Haben die Abnehmer legitime Interessen, beliefert zu werden, weil sie etwa auf die Leistungen des Marktbeherrschers angewiesen sind oder gar Verwertungsrechte innehaben,455 ist ein Ausschluss von den Geschäftsbeziehungen missbräuchlich. Ein Beispiel dafür ist der Betrieb einer Bahnstrecke, für die der Anbieter das Netz und Lokomotiven samt Führer des marktbeherrschenden staatlichen Eisenbahnbetreibers benötigt. Dieser muss einen entsprechenden Antrag sachgerecht bearbeiten und auch objektiv begründen, warum er mit dem Antragsteller keine Kooperation eingehen will.456 Zwar handelt es sich hier um einen typischen Beispielsfall für essential facilities.457 Allerdings ist dabei auch zu berücksichtigen, dass eine Kooperation namentlich in einem Gemeinschaftsunternehmen eine gegenseitige Entsprechung voraussetzt, was Unternehmenskultur und Leistungserbringung anbetrifft. Es kann schwerlich einem Unternehmen ein Kooperationspartner aufgezwungen werden, den es nicht will. Denn eine solche Zusammenarbeit geht deutlich darüber hinaus, bloße Leistungen zur Verfügung zu stellen. 2.
Leistungsverweigerung als Einschränkung des Absatzes
Es wird allerdings als problematisch angesehen, die Leistungsverweigerung unter 1297 Art. 82 lit. b) EG zu fassen. Bedenken erweckt, dass durch die Abstützung auf diesen Tatbestand zum Kriterium wird, ob Verbraucher benachteiligt werden. Zudem sieht dieser Tatbestand keine Abwägung vor, die gerade bei Leistungsverweigerungen von großer Bedeutung ist.458 Jedoch kann eine solche Abwägung auch in den Begriff der Einschränkung hineingelesen werden. Sofern nämlich eine berechtigte Begrenzung des Absatzes vorliegt, erfolgt keine Einschränkung, welche sich negativ auf den Wettbewerb auswirkt. Da bei der Auslegung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsvorschriften der Gesamtzweck eines redlichen und unverfälschten Wettbewerbs immer im Hintergrund stehen muss, ist eine solche Aufla454 455 456 457 458
EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (298, Rn. 184/194) – United Brands. S. EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (508 f., Rn. 54 ff.) – GVL. KOME COMP/C.37.685 – GVG/FS. S.u. Rn. 1355. Daher abl. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 127; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 209.
492
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
dung des Begriffes der Einschränkung noch im Rahmen der Vorschrift. Der Schaden zulasten der Verbraucher ist anerkanntermaßen weit zu fassen und betrifft auch die Abnehmer einer Leistung im gewerblichen Bereich, so dass ein solcher Schaden bei ungerechtfertigter Leistungsverweigerung regelmäßig anzutreffen sein wird. Im Übrigen ist der Streit deshalb von nachrangiger Bedeutung, weil die Leis1298 tungsverweigerung zumindest auch unter den allgemeinen Missbrauchstatbestand gefasst werden kann.459 Der EuGH schwankt denn auch. So zog er in der GVLEntscheidung explizit die Generalklausel heran.460 Jedoch griff er in der Entscheidung Deutsche Post unter Bezug auf das grundlegende Urteil United Brands auf Art. 82 lit. b) und c) EG zurück und verband dies mit der Einbeziehung der Zielvorschrift des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG.461 Durch diese Einbeziehung von Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG wird nochmals die besondere Zweckorientierung auch des Art. 82 EG deutlich. Das bestätigt, diesen Zweck auch in die Auslegung der Beispielstatbestände und damit über den Wortlaut „Einschränkung“ einzubeziehen. Die insbesondere im Rahmen des Absatzes diskutierte Leistungs- bzw. Liefe1299 rungsverweigerung wirkt sich wie auch schon im Rahmen der technischen Entwicklung und der Erzeugung auf den Absatz anderer Unternehmen oft sehr gravierend aus. Damit kann dieser zugleich eingeschränkt werden. Kommt der Absatz der betroffenen Erzeugnisse gänzlich zum Erliegen, greift ein Erst-Recht-Schluss: ist schon die teilweise Einschränkung beachtlich, gilt dies erst recht für die gänzliche. 3.
Vielfältige Formen der Absatzeinschränkung
a)
Verbote und Nachteile
1300 Der Absatz kann aber auch durch andere Mittel eingeschränkt werden, durch die gleichfalls das Angebot zulasten der Verbraucher verringert wird.462 Besonders stark wirken gänzliche Absatzverbote, sei es, dass die Ausfuhr in andere Mitgliedstaaten gänzlich untersagt ist, sei es, dass Waren in einem bestimmten Zustand nicht veräußert463 oder aber mit ihnen nur bestimmte Abnehmer bedient bzw. lediglich bestimmte Zwecke verfolgt werden dürfen.464 Hier ist allerdings ebenfalls zu prüfen, ob solche Klauseln aufgrund der Eigenarten des Handelsgeschäfts oder der jeweiligen Geschäftsbeziehung statthaft sind, weil sie durch sachliche wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt werden können. Auch insoweit kommt ein Fehlverhalten von Abnehmern in Betracht, das durch Liefereinschränkungen oder Verhaltensvorgaben verhindert werden soll. Ein solches muss dann aber auch ent459 460 461 462 463 464
Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 252. EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (509, Rn. 56 f.) – GVL. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (879, Rn. 60) – Deutsche Post im Anschluss an EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297, Rn. 182/183) – United Brands. Zum Folgenden näher Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 210 ff. Für (grüne) Bananen EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (292 ff., Rn. 130 ff.) – United Brands. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2004, Rn. 398/399) – Suiker Unie.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
493
sprechend nachgewiesen werden.465 Zudem ist der Grundsatz der Erforderlichkeit zu wahren.466 Die vorstehenden Beispiele zeigen bereits, dass die Art der Maßnahme relativ 1301 gleichgültig ist. Entscheidend ist, inwieweit der Absatz Dritter zum Schaden der Verbraucher eingeschränkt wird. Damit genügen auch tatsächliche Maßnahmen. Ausfuhrverboten gleichzustellen sind wie im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit Einfuhrverbote und gleichermaßen wirkende Beschränkungen. Dadurch werden nicht nur Vertragsklauseln erfasst, welche die Einführung etwa von Elektrizität durch regionale Stromversorgungsunternehmen untersagen,467 sondern auch, wenn an Importe wirtschaftliche Nachteile geknüpft werden bzw. für eine Unterlassung finanzielle Vorteile eingeräumt werden.468 Solche Im- bzw. Exportverbote ergeben sich vielfach durch die Verpflichtung zum ausschließlichen Bezug von beherrschenden Unternehmen. Insoweit liegt regelmäßig eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung vor.469 b)
Rabatte
Entsprechendes gilt für Treuerabatte, die ebenfalls darauf abzielen, dass andere 1302 Bezugsquellen nicht zur Eindeckung herangezogen werden und damit die beherrschende Stellung des Marktführers weiter verfestigen.470 Verstärkt wird die Wirkung von Treuerabatten durch eine sog. englische Klausel, bei der die Verpflichteten diejenigen Anbieter mitteilen müssen, welche günstiger anbieten als der Marktbeherrscher, wodurch dieser die Informationen über die Wettbewerber erhält und damit nicht mehr der Unsicherheit über die Preise der Konkurrenz unterliegt. Die Ausschließlichkeitsbindung kann auch dadurch verstärkt werden, dass Vergleichskriterien über das Angebot von den Konkurrenten enthalten sind, welche den Kreis der potenziellen anderen Anbieter von vornherein einschränken.471 Damit knüpfen Treuerabatte und ergänzende Klauseln nicht an wirtschaftliche Leistungen an, wie dies bei Mengenrabatten der Fall ist, die daher grundsätzlich nicht im Widerspruch zum Missbrauchsverbot stehen;472 sie müssen aber auf objektiver Grundlage gebaut sein.473 Demgegenüber sind Jahresumsatzrabatte, welche die Konzentration bei einem Anbieter fördern und deshalb bestimmte, spezifisch auf jeden einzelnen Händler zugeschnittene Verkaufsziele zugrunde legen, ohne dass 465 466 467 468 469
470 471 472 473
EuGH, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 (887, Rn. 26) – Italien/Kommission. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (295, Rn. 152/160) – United Brands. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1521 f., Rn. 51) – Almelo. KOME 97/624/EG, ABl. 1997 L 258, S. 1 (Rn. 120 ff.) – Irish Sugar mit weiteren Varianten. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1520, Rn. 44) – Almelo und bereits Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (539 f., Rn. 89) – Hoffmann-La Roche sowie Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3473, Rn. 149) – AKZO Chemie. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2021, Rn. 526/527) – Suiker Unie. Im Einzelnen EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (544 f., Rn. 105 ff.) – Hoffmann-La Roche. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (540 ff., Rn. 90 ff.) – Hoffmann-La Roche mit weiteren Einzelheiten. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3515, Rn. 72 ff.) – Michelin.
494
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
diese vorher bekannt sind und die damit zur Ausübung von Druck benutzt werden können, wie Treuerabatte einzustufen und daher mit diesen missbräuchlich.474 c)
Indirekte Beschränkungen
1303 Bisher ging es in erster Linie um die Bindung von Abnehmern an einen Anbieter und daraus folgende Einschränkung ihres Absatzes. Diese Bindung kann zur indirekten Folge haben, dass auch dritte Unternehmen in ihren Absatzmöglichkeiten beschränkt werden. Das gilt bereits für die sog. englische Klausel, bei der günstigere Wettbewerber dem marktbeherrschenden Unternehmen mitgeteilt werden müssen, so dass in deren Absatz gezielt vom Marktführer eingegriffen werden kann. Darüber hinaus kann der Marktführer dafür sorgen, dass durch die Bindung der Vertreiber an ihn Mitbewerber gar keine Chance haben, auf den Markt zu kommen. Das ist dann der Fall, wenn Konkurrenten aus dem Ausland keine Unternehmen mehr vorfinden, welche ihre Erzeugnisse in ausreichend großen Mengen absetzen und damit auf diejenigen Vertreiber angewiesen sind, welche den Marktbeherrschern angegliedert sind. Dazu kann führen, dass der Marktbeherrscher seinen Abnehmern, die unabhängig geblieben sind, umfassende Wettbewerbsverbote auferlegt und damit Konkurrenten aus Drittstaaten vom Markt ausschließt oder er sich die Vertriebsunternehmen praktisch vollständig eingliedert, so dass keine unabhängigen Einheiten mehr vorhanden sind.475 Parallel liegt die Konstellation, dass Urheberrechtsverwertungsgesellschaften 1304 ihre Mitglieder strikt an sich binden und einen Wechsel zu anderen Verwertungsgesellschaften praktisch ausschließen476 oder ein Anbieter Alleinvertriebsrechte bzw. Exklusivlizenzen einem marktbeherrschenden Unternehmen verleiht und dadurch Mitbewerber vom Absatz seiner Erzeugnisse gleichsam ausschließt.477 Gerade wenn der Ausschluss Dritter dadurch zustande kommt, dass das beherrschende Unternehmen sich die Vertriebsstellen selbst einverleibt hat, stellt sich weiter gehend die Frage des Marktstrukturmissbrauchs, der trotz der Regelungen zur Fusionskontrolle und zu Unternehmenszusammenschlüssen weiterhin über die Generalklausel im Rahmen des Art. 82 EG aktuell ist.478
474 475 476 477 478
EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3516 ff., Rn. 75 ff.) – Michelin. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2017, Rn. 486) – Suiker Unie. KOME 71/224/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 15 (22 ff.) – GEMA. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 220 unter Verweis u.a. auf KOME 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 (Rn. 40 f., 100 ff.) – Decca Navigator System. S.u. Rn. 1377 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
D.
Diskriminierung von Handelspartnern (Art. 82 lit. c) EG)
I.
Überschneidungen und Abgrenzung
1.
Zerfließen mit den anderen Beispielstatbeständen
495
Die Begünstigung eines Abnehmers durch Treuerabatte bringt mit sich, dass der 1305 Marktbeherrscher andere Unternehmen benachteiligt. Er wendet dann unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern nach Art. 82 lit. c) EG an und benachteiligt diese wie gefordert im Wettbewerb, indem sie etwa höhere Preise bezahlen müssen. Das ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete wirtschaftliche Gründe dafür vorliegen, wie sie etwa bei Mengenrabatten gegeben sind. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, sind insoweit parallele Maßstäbe anzusetzen.479 Darüber hinaus wird die Geschäftsverweigerung entgegen dem EuGH nicht Art. 82 lit. b) EG zugeordnet, sondern lit. c).480 Jedoch werden insoweit keine unterschiedlichen Bedingungen gegenüber Handelspartnern angewendet, sondern gar keine; zudem steht die Einschränkung von Erzeugung, Absatz oder technischer Entwicklung im Vordergrund, durch die auch regelmäßig ein Schaden für die Verbraucher eintritt.481 Jedenfalls zeigen diese Beispiele den engen Zusammenhang zwischen Art. 82 1306 lit. b) und c) EG, der sich auch auf lit. a) erstreckt, weil unangemessene Geschäftsbedingungen gegenüber einem Anbieter jedenfalls eine Diskriminierung darstellen, wenn gegenüber anderen Handelspartnern angemessene Bedingungen praktiziert werden. Insoweit zeigt sich das Ineinandergreifen der Beispielstatbestände nach Art. 82 EG, welche aber auch nicht strikt getrennt werden müssen, da sie nebeneinander anwendbar sind.482 2.
Allgemeines Diskriminierungsverbot
Unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen können auch spezi- 1307 fisch aus Gründen der Staatsangehörigkeit festgesetzt werden. Das tritt relativ häufig auf, insbesondere bei öffentlichen Unternehmen, so wenn diese Tarifvergünstigungen nur den eigenen Staatsangehörigen gewähren, ohne gleichgelagerte Fälle anderer EU-Staatsangehöriger einzubeziehen.483 Damit stellt sich die Frage einer parallelen Einschlägigkeit von Art. 12 EG, dem allgemeinen Diskriminierungsverbot zwischen Staatsangehörigen.484 Insoweit ergibt sich aber schon das Problem, dass Art. 12 EG in erster Linie 1308 Mitgliedstaaten verpflichtet und allenfalls partiell Private, nämlich dann, wenn 479 480 481 482 483
484
S. daher näher o. Rn. 1302. So Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 82 Rn. 54 f. mit Fn. 127. S.o. Rn. 1270 ff. S.o. Rn. 1238 ff. KOME 87/359/EWG, ABl. 1987 L 194, S. 28 – Tarifvergünstigungen im Luft- und Seeverkehr in Spanien; s. auch EuGH, Rs. C-18/93, Slg. 1994, I-1783 (1819, Rn. 17) – Corsica Ferries I: Gebührenermäßigungen nur für inländische Schiffe. Dafür Deringer, Art. 86 Rn. 43; auch Hilf, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 Rn. 17 ff.
496
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
diese eine öffentlichen Einheiten vergleichbare Machtstellung innehaben.485 Zudem sind die Anwendungsbereiche beider Vorschriften nur in einem kleinen Bereich deckungsgleich. Auch die Wertungen sind in Art. 82 lit. c) EG spezifisch auf die Bedingungen im Wirtschaftsverkehr zugeschnitten, weshalb die Gleichwertigkeit der Leistungen im Hinblick darauf untersucht werden muss. Zudem ist die Benachteiligung im Wettbewerb zu prüfen. Daher ist dieser Beispielstatbestand als lex specialis anzusehen.486 3.
Generalklausel
1309 Diese Unterschiedlichkeit der Wertungen gilt auch im Hinblick auf die Generalklausel des Art. 82 S. 1 EG, so dass auch insoweit das allgemeine Diskriminierungsverbot nicht heranzuziehen ist und sich allenfalls die Frage der Parallelität der Generalklausel nach Art. 82 S. 1 EG und des Beispielstatbestandes nach Art. 82 S. 2 lit. c) EG stellt.487 Eine parallele Heranziehung von Beispielstatbestand und Generalklausel im Rahmen des Missbrauchsverbotes ist grundsätzlich unproblematisch, wenngleich aufgrund der Aufführung bestimmter Beispielstatbestände zunächst eine Subsumtion unter diese versucht werden sollte. 4.
Kartellverbot
1310 Notwendig ist hingegen eine parallele Anwendung von Art. 81 und Art. 82 lit. c) EG, wenn die Diskriminierung nicht nur von einem Unternehmen ausgeht, welches eine beherrschende Stellung hat, sondern durch mehrere, von denen sich zumindest eines in einer solchen Position befindet. Insoweit wirkt sich dann der Unterschied beider Vorschriften aus, dass Art. 81 Abs. 1 lit. d) EG lediglich Diskriminierungen im Gefolge einer Koordinierung erfasst, hingegen Art. 82 lit. c) EG lediglich eine beherrschende Stellung verlangt. II.
Unterschiedliche Bedingungen
1.
Leistungsbezogenheit
1311 Art. 82 lit. c) EG greift in erster Linie dann ein, wenn die Konditionen bei vergleichbaren Leistungen differieren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn unterschiedliche Preise genommen werden. Preisdifferenzen bei vergleichbaren Leistungen müssen auf einer besonderen Rechtfertigung beruhen. Das entspricht der Konzeption bei den anderen Beispielstatbeständen, wo gleichfalls ein missbräuch485 486 487
Dahin Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 Rn. 23; Mohn, Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, 1990, S. 30 ff. S. EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5927, Rn. 11) – Genova; allgemein Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 12 Rn. 18. Für die Anwendung der Generalklausel i.V.m. Art. 12 EG und von Art. 82 lit. c) EG KOME 81/1030/EWG, ABl. 1981 L 370, S. 49 (Rn. 48) – GVL; ohne Stellungnahme aber EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (509, Rn. 58) – GVL.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
497
liches Verhalten dann vorliegt, wenn die innere Rechtfertigung fehlt.488 Es müssen also plausible wirtschaftliche Gründe dafür vorliegen, dass etwa in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Preise festgelegt werden. Ausgangspunkt für diese Preisfestlegungen sind wie auch im Hinblick auf Ein- 1312 kaufs- oder Verkaufspreise nach Art. 82 lit. a) EG die Gestehungskosten. Zu Buche schlagen also sämtliche Kosten, die mit der Entwicklung, Herstellung und dem Absatz zusammen hängen, also auf den in Art. 82 lit. b) EG vorausgesetzten Stufen anfallen. Dazu gehören etwa auch Transportkosten, die Steuerbelastung, Zollabgaben, Löhne und Gehälter sowie Währungsparitäten. Darüber hinaus ist es zulässig, unterschiedliche Absatzbedingungen und die Stärke des Wettbewerbs zu berücksichtigen und darauf aufbauend ein unterschiedliches Niveau etwa der Weiterverkaufspreise festzulegen.489 2.
Marktbezogenheit
Der Marktbeherrscher liefert allerdings auf einem bestimmten Markt bzw. auf eine 1313 bestimmte Vertriebsstufe. Daher dürfen auch nur die Gegebenheiten dieses Marktes einbezogen werden. Zum einen kann also der Marktbeherrscher nicht darauf verweisen, dass er auf einem anderen Markt mit stärkerem Wettbewerb und ohne seine marktbeherrschende Stellung niedrigere Preise nimmt; ein solches Argument deutet eher darauf, dass er die beherrschende Stellung zu überhöhten Preisen ausnutzt. Es müssen dann in diesen beiden Märkten zusätzliche unterschiedliche Gegebenheiten bestehen wie etwa unterschiedlich weite Wegstrecken vom Herstellungsort. Ansonsten können die Preise nach dem räumlichen Vergleichsmarktkonzept miteinander verglichen werden und müssten dann eigentlich auf demselben Niveau liegen.490 Zum anderen sind die Bedingungen auf der Stufe zu beachten, auf welche sich 1314 die Leistungen des Marktbeherrschers beziehen. So gelten die Verhältnisse auf der Großhandelsstufe, wenn er diese beliefert. Dann kann nicht die Nachfrage der Endverbraucher berücksichtigt werden, weil diese Verhältnisse für die Beziehung zwischen Marktbeherrscher und Großhändler und das dabei anzuwendende Gesetz von Angebot und Nachfrage keine Rolle spielen. Das zeigt sich vor allem daran, dass dann der Marktbeherrscher die Nachfrage der Endverbraucher dazu nutzen könnte, um den Großhändlern bzw. Zwischenhändlern den Verkaufspreis aufzuzwingen.491 Damit wird die Unabhängigkeit der Groß- und Zwischenhändler nahezu gänzlich beseitigt, in Bezug auf die Preise werden sie praktisch in das Vertriebsnetz des Marktbeherrschers integriert. Daran zeigen sich die Folgewirkungen eines solchen Durchgriffs. Daher kann die wirtschaftliche Situation auf den nachgelagerten Handelsstufen nur insoweit einbezogen werden, als sie das Verhältnis zwischen Markt488 489 490
491
S.o. Rn. 1263, 1266, 1270, 1275. Bereits EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (302, Rn. 227/233) – United Brands. S.o. Rn. 1261 ff. sowie in diesem Zusammenhang Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 228; insoweit nur auf Art. 82 lit. a) EG verweisend Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 144; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 245 a.E. So erfolgt in EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (302, Rn. 227/233) – United Brands.
498
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
beherrscher und Großhändler prägen.492 Sind trotz verschieden starker Nachfrage der Endverbraucher die Preise im Hinblick auf die Kosten und die Marktbedingungen auf der Großhandelsstufe gleich, muss daher der Preis auch in etwa vergleichbar sein; ansonsten ist er diskriminierend.493 Die Preise müssen erst recht dann vergleichbar sein, wenn sie innerhalb dessel1315 ben Mitgliedstaates verlangt werden und die veranschlagbaren Kosten gleich sind. Das betrifft z.B. die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn, die nach Hamburg und nach Rotterdam unterschiedlich festgelegt wurden, obwohl dies angesichts der Entfernungen nicht gerechtfertigt war. Dass höhere Preise partiell auf unterlassene Rationalisierungsmaßnahmen in Richtung Rotterdam zurückzuführen waren, beruht auf einem nicht nachvollziehbaren Unterlassen des Marktbeherrschers und ist damit ihm anzulasten.494 Die Abnehmer dürfen also weder mit höheren als den tatsächlich entstandenen Kosten belastet werden,495 noch mit höheren als denen, die bei wirtschaftlicher Arbeitsweise entstehen. Insoweit ist die Wertung mit der im Rahmen von Art. 82 lit. a) EG vergleichbar,496 mit dem gerade die Preisdiskriminierung in engem Zusammenhang steht. Eine Diskriminierung entgegen Art. 82 lit. c) EG liegt immer dann vor, wenn die Preisunterschiede hoch und nicht durch sachliche Gründe legitimiert sind.497 3.
Weitere Rechtfertigungen von Unterschieden
1316 Einer solchen sachlichen Rechtfertigung bedürfen auch sonstige Preiselemente und Geschäftsbedingungen. Das gilt etwa für Rabatte: Mengenrabatte sind wirtschaftsbezogen und daher zulässig, ebenso Einführungsrabatte am Beginn der Vermarktung, nicht hingegen Treuerabatte oder Nachlässe z.B. in Form eines „vertraulichen Jahresbonus“.498 Entsprechendes gilt für andere Geschäftsbedingungen, die danach differenzieren, inwieweit sich Abnehmer zu einer längerfristigen Belieferung durch den Marktbeherrscher verpflichten lassen. Daher sind Leistungen grundsätzlich unabhängig davon zu berechnen, an wen sie gehen, wozu sie verwendet werden und wohin sie gelangen, es sei denn, diese Differenzierungen sind sachlich gerechtfertigt, etwa durch erhöhte Transportkosten. Missbräuchlich ist insbesondere eine 492
493 494 495 496 497
498
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 231 unter Bezug auf Siragusa, CMLR 1979, 179 (184 f.); Steindorff, RIW 1981, 429 (438); Wertheimer, in: Europees Kartelrecht anno 1980, 1981, S. 143 (189). EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (302 f., Rn. 227/233) – United Brands. EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 (1722 ff., Rn. 86 ff.) – Deutsche Bahn mit weiteren Aspekten. EuGH, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 (5106, Rn. 26) – La Crespelle für Importerzeugnisse zu einem bestimmten Importpreis. S.o. Rn. 1253 ff. Darin ein entscheidendes Indiz sehend bereits EuGH, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69 (84, Rn. 17) – Sirena; Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (501, Rn. 19) – Deutsche Grammophon in den angeführten jüngeren Entscheidungen, beginnend bereits mit United Brands, wurde indes die sachliche Rechtfertigung der Preisunterschiede zum Basiskriterium, wie sich insbes. in der Entscheidung Deutsche Bahn zeigte. EuGH, Rs. 84/76, Slg. 1979, 461 (542, Rn. 96) – Hoffmann-La Roche; näher o. Rn. 1302.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
499
damit bezweckte Verdrängung von Konkurrenten auf bestimmten Märkten.499 Rechtfertigende Gründe für eine Differenzierung können allerdings dadurch entstehen, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen infolge von Lieferengpässen gar nicht mehr alle seine Kunden beliefern kann. Dann kann es Stammkunden bevorzugen und bloßen Gelegenheitskunden die Lieferung verweigern.500 Einen solchen Lieferengpass darf es allerdings nicht bewusst herbeiführen. Zudem muss eine ausreichende Vorlaufzeit bestehen, damit sich die Betroffenen darauf einrichten können. Bei allen Geschäftsbedingungen ist also zu prüfen, ob sie bei vergleichbaren 1317 Leistungen unterschiedlich ausfallen und ob dies sachlich gerechtfertigt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, dass die vom EG aufgestellten Regeln zur Regulierung und Koordinierung des Marktes beachtet wurden. Nur unter dieser Voraussetzung kann ein Marktbeherrscher versuchen zu nehmen, „was der Markt hergibt“.501 Damit ist insbesondere beachtlich, dass der Marktbeherrscher nicht versuchen darf, seine ohnehin bestehende dominante Position über die Gestaltung von Geschäftsbedingungen zulasten seiner Handelspartner oder Konkurrenten zu verschieben. Dies zeigt auch die letzte Voraussetzung von Art. 82 lit. c) EG, dass Handelspartner im Wettbewerb nicht benachteiligt werden dürfen. Somit sind alle die Praktiken zur Festlegung von Geschäftsbedingungen als unterschiedlich und damit potenziell missbräuchlich anzusehen, welche durch ihren diskriminierenden Gehalt im Wettbewerb benachteiligen können. Diskriminierend können auch gleiche Bedingungen sein, wenn sie sich auf un- 1318 terschiedliche Leistungen beziehen. So wie der Gleichheitssatz beinhaltet, Ungleiches nicht gleich zu behandeln, dürfen auch die Geschäftsbedingungen für unterschiedliche Leistungen nicht einfach gleich festgesetzt werden. Im Ergebnis wird dadurch nämlich ebenfalls gleiche Leistung ungleich bewertet. Ein unverfälschter Wettbewerb ist damit nicht mehr gewährleistet. Eine zweckorientierte Auslegung gebietet daher die Einbeziehung von Gleichbehandlungen ungleicher Tatbestände. Art. 82 lit. c) EG beinhaltet also unmittelbar das Gebot, Ungleiches zu differenzieren.502 Diese Vorschrift findet auch nur so umfassend Anwendung503 und ist damit Ausdruck ihres effet utile. Davon unberührt bleibt, ungleiche Kunden bei sachlicher Rechtfertigung ungleich zu behandeln.504 499 500 501 502
503 504
Ausführlich dazu EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-755 (838, Rn. 185 ff.) – Tetra Pak II. EuGH, Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 (1527 f., Rn. 29/34) – BP Handelsmaatschappij. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (302, Rn. 227/233) – United Brands. Ganz h.M., Emmerich, in: Dauses, H. I § 1 Rn. 384; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 163; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 223; für die Generalklausel Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 65; anders Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 139 unter Hinweis auf die Entscheidung AKZO; dazu sogleich Rn. 1318 a.E. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 223. Darauf beschränkt sich die Aussage von EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3467, Rn. 119 f.) – AKZO Chemie. Die eigentliche Leistung war indes gleich. Damit handelt es sich um die Frage einer Ungleichbehandlung verschiedener Adressaten, welche sachlich gerechtfertigt sein muss, o. Rn. 1316. Das zeigt, wie eng Ungleichbehandlungen von Gleichem und Gleichbehandlung von Ungleichem zusammen liegen. Ein Gleichbehandlungsgebot aber ist unstreitig, auch Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 139.
500
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
III.
Gleichwertigkeit der Leistungen
1.
Bezugspunkt
1319 Nach Art. 82 lit. c) EG sind unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen bzw. gleiche Bedingungen bei unterschiedlichen Leistungen verboten. Es bedarf damit der Feststellung, ob eine gleichwertige Leistung vorliegt. Dabei können beide Elemente nicht voneinander getrennt werden. Der Vergleich von Bedingungen benötigt einen Bezugspunkt; das gilt insbesondere für den Preis. Dieser bezieht sich auf eine konkrete Ware oder Dienstleistung. Diese bilden damit das Korrelat zum Preis bzw. zu sonstigen Bedingungen; es stehen also Leistung und Gegenleistung in Form bestimmter Bedingungen gegenüber. Damit bildet die gleichwertige Leistung die „Messlatte für die Gegenleistung“.505 Daher bedurfte es auch vorstehend zur Bestimmung, ob unterschiedliche Bedingungen vorliegen, immer wieder des Rückgriffs auf die erbrachte Leistung, deren Unterschiedlichkeit die Rechtfertigung für unterschiedliche Bedingungen darstellen kann.506 Stehen sich solchermaßen Leistung und Gegenleistung gegenüber, ist nicht nur 1320 im Bereich der Gegenleistung die Gesamtheit mit Nebenbedingungen etc. einzubeziehen, sondern auch bei der Leistung; zu ihr gehören daher alle Haupt- und Nebenleistungen, soweit sie im wirtschaftlichen Zusammenhang des Gesamtgeschäftes stehen.507 Das gilt auch für Zusatzleistungen und Dreingaben. Damit im Kontext des jeweiligen Geschäftes stehend, ist die Leistung danach zu bestimmen, wie und durch wen sie nach dem Vertrag erbracht werden soll. Liefert der Marktbeherrscher wie regelmäßig Waren oder erbringt er Dienstleistungen, zählen seine Leistungen, fragt er welche nach, sind die des Anbieters maßgeblich.508 Nur die Gegenleistung steht nach Art. 82 lit. c) EG fest; im einen Fall handelt es sich um die Verkaufsbedingungen des Marktbeherrschers, im zweiten Fall um seine Einkaufsbedingungen. Diese müssen sich jeweils auf ein konkretes Gegenüber beziehen, so dass schon deshalb nicht ausschließlich die Leistungen des Marktbeherrschers in Betracht kommen können. 2.
Wertende Betrachtung
1321 Art. 82 lit. c) EG bezieht die jeweiligen Bedingungen auf gleichwertige Leistungen, also nicht gleiche Leistungen. Es muss also keine vollkommene Identität bestehen,509 sondern die Gleichwertigkeit ist aufgrund einer wertenden Beurteilung
505 506 507 508
509
Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 143. S.o. Rn. 1311 ff. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 143. H.M., z.B. neben Dirksen Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 163; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 225; ebenso in der Sache Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 85; nur aus der Perspektive des Marktbeherrschers Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 245 und auch noch Koch, in: Grabitz/Hilf, 4. Lieferung 1986, Art. 86 Rn. 67. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 226.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
501
nach den Zielen des EG zu ermitteln.510 Grundlage sind objektive Kriterien und Faktoren. Dazu gehören insbesondere die Gestehungskosten und damit die Aufwendungen für Produktion, notwendige Transporte sowie Vermarktung. Es zählen also insbesondere die Faktoren, die preisbildend sind. Sie stellen zugleich die Basis für die Ermittlung dar, ob Preise nach Art. 82 lit. a) EG angemessen sind.511 Im Rahmen von Art. 82 lit. c) EG ist die Unterschiedlichkeit der Leistung eine der wichtigsten Rechtfertigungsgründe für unterschiedliche Bedingungen gerade hinsichtlich des Preises.512 Zwar dürfen subjektive Beurteilungen des Leistungserbringers nicht berücksichtigt werden.513 Jedoch ist die vorzunehmende Bewertung offen für Einschätzungen und Gewichtungen, ob beispielsweise Transportkosten noch zur Leistung gehören.514 Noch stärker ist die wertende Betrachtung bei der Festsetzung der adäquaten Preise.515 3.
Marktbezogenheit
Bezugspunkt für die Gleichwertigkeit sind damit Leistungen, die unter ähnlichen 1322 Bedingungen mit vergleichbaren Aufwendungen erbracht werden. Untersuchungsgegenstand ist der Teil- bzw. Gesamtmarkt, auf dem ein beherrschendes Unternehmen diskriminiert. Lediglich die auf diesem getätigten Geschäfte sind daher einzubeziehen, besteht doch nur insoweit eine Wettbewerbssituation, die durch eine Diskriminierung verschoben werden könnte.516 Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass sich eine Unangemessenheit nach 1323 Art. 82 lit. a) EG daraus ergibt, dass die Leistungen auf einem Markt ohne beherrschende Stellung anders erbracht oder gleichwertige Leistungen mit anderen Preisen verbunden werden.517 Dass die beherrschende Stellung etwa durch eine Diskriminierung bei gleicher Leistungserbringung auch dazu genutzt werden kann, auf einen noch nicht beherrschten Markt vorzudringen, soll allerdings bedeuten, dass auf diesem Markt unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen angewendet werden dürfen,518 solange sie nur nicht unangemessen sind.519 Vielmehr schafft das missbräuchliche Handeln auf der Basis einer beherrschenden Stellung erst die Grundlage dafür, in einen anderen Markt etwa mit niedrigen Preisen überzugreifen, stellt der Marktbeherrscher selbst eine Verbindung zwischen 510 511 512 513 514
515 516
517 518 519
KOME 71/224/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 15 (26) – GEMA. S.o. Rn. 1251 ff. Exemplarisch EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 (1723 ff., Rn. 87 ff.) – Deutsche Bahn mit näherer Kostenermittlung. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 143 a.E. Z.B. für eine Ausgliederung unterschiedlicher Transportkosten KOME 76/353/EWG, ABl. 1976 L 95, S. 1 (14) – United Brands; allgemein für eine mögliche Einbeziehung EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (302, Rn. 227/233) – United Brands. S.o. Rn. 1249 ff. EuGH, Rs. T-504/93, Slg. 1997, II-923 (967 f., Rn. 124, 128 f.) – Tiercé Ladbroke; aus der Lit. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 144; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 89; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 228. S.o. Rn. 1258 u. auch 1255. So Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 165. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 144 a.E.
502
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
verschiedenen Märkten her. Beruht diese auf einem Verhalten im beherrschten Markt, bleibt insoweit Art. 82 lit. c) EG auf einen dominierten Markt beschränkt. Jedoch kann mit der beherrschenden Stellung auf einem Markt einhergehen, auf 1324 einem anderen Markt diskriminierend tätig zu werden, um dort etwa verschiedene Konkurrenten gegeneinander auszuspielen bzw. an das diskriminierende Unternehmen zu binden. Die Basis dafür, etwa durch die Begünstigung einzelner Vertreiber im neuen Markt fest Fuß zu fassen, bildet immer noch die beherrschende Stellung auf einem anderen Markt, so dass zu ihr eine Verbindung besteht, für die ohnehin keine Kausalität mehr erforderlich ist.520 So wird aber auch der unverfälschte Wettbewerb auf diesem neuen Markt wirksam davor geschützt, dass auf ihm ein Marktbeherrscher seine Kraft missbräuchlich nutzt; damit würde er gleichzeitig seine beherrschende Stellung auf dem anderen Markt absichern, so dass auch der bereits beherrschte Markt von Grenzen für ein Angreifen auf andere Märkte profitiert. Der Wortlaut des Art. 82 lit. c) EG verlangt nur die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen und diese können auch Handelspartner auf einem nicht beherrschten Markt im Wettbewerb benachteiligen. Die Gleichwertigkeit bestimmt sich dann aber nach den Vergleichswerten auf diesem neuen, nicht beherrschten Markt. 4.
Normalqualität
1325 Bei der Definition, was gleichwertige Leistungen sind, zählen die normalen Lieferungen und damit die eigentlich geschuldete Qualität. Wird an einige Abnehmer systematisch eine minderwertige Qualität geliefert, liegt darin eine unterschiedliche Behandlung, nicht eine ungleichwertige Leistung, weil diese von der üblichen Norm abweicht.521 IV.
Gegenüber Handelspartnern
1326 Die unterschiedlichen Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen müssen gem. Art. 82 lit. c) EG gegenüber Handelspartnern angewendet werden, also den Geschäftspartnern des Marktbeherrschers. Das sind allerdings nicht nur diejenigen, zu denen bereits Geschäftsverbindungen bestehen.522 Vielmehr sollen die Wettbewerbsregeln und so auch das Missbrauchsverbot den potenziellen Wettbewerb schützen. Mangels Einschränkung sind daher auch die potenziellen Handelspartner umfassend einzubeziehen.523 Schließlich werden sie bei diskriminierenden Bedingungen vielfach abgeschreckt, Geschäfte mit dem Marktbeherrscher zu tätigen
520 521
522 523
S. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 165 bzw. 121 ff. Zu einem solchen Fall KOME 88/518/EWG, ABl. 1988 L 284, S. 41 (Rn. 33 ff.) – Napier Brown/British Sugar; Einordnung wie hier bei Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 235. So Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 141. Zu Recht Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 82 Rn. 54; auch Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 186.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
503
und damit überhaupt auf einen Produktmarkt zu gehen oder sich z.B. das Ausgangsmaterial für die Herstellung bestimmter Erzeugnisse zu besorgen. Allerdings setzt Handelspartnerschaft voraus, dass zumindest potenziell Ge- 1327 schäftsbeziehungen bestehen. Daher scheiden lediglich mittelbare Diskriminierungen zulasten von vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen aus. Insoweit greift höchstens die Generalklausel.524 Deshalb ist regelmäßig auch der Endverbraucher kein Handelspartner. Ist er einmal doch Vertragspartner des Marktbeherrschers, so wird er jedenfalls nicht im Wettbewerb benachteiligt. Es greift aber auch insoweit die Generalklausel.525 V.
Benachteiligung im Wettbewerb
Werden unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen angewen- 1328 det, werden die davon negativ Betroffenen regelmäßig im Wettbewerb benachteiligt.526 Nähere Anforderungen werden hierfür in der Praxis nicht angelegt.527 Voraussetzung ist lediglich, dass die jeweils durch die unterschiedlichen Bedingungen des Marktbeherrschers begünstigten und benachteiligten Handelspartner in einem Konkurrenzverhältnis stehen;528 nur dann werden deren Wettbewerbsbedingungen untereinander verschoben. Allerdings hat der Marktbeherrscher regelmäßig mehrere Abnehmer bzw. Lieferanten, die jeweils auf derselben Vertriebsstufe tätig sind, so dass diese Voraussetzung ohne weiteres erfüllt ist.529 Dass alle Handelspartner benachteiligt werden, ist in Art. 82 lit. c) EG deshalb kaum vorstellbar, weil unterschiedliche Bedingungen verlangt werden. Das impliziert, dass sie für die einen besser und für die anderen schlechter sind. Erweiternd wirkt, dass auch potenzielle Konkurrenten entsprechend ihrer grundsätzlichen Einbeziehung als Wettbewerber nach Art. 82 lit. c) EG anzusehen sind.530 Dazu gehören etwa inländische und ausländische Künstler, wenn sie ihre Urheberrechte geschäftlich verwerten.531
524 525 526 527 528 529 530 531
Etwa Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 167; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 242; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 224. Z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 86 Rn. 142; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 167; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 241. Pauschal EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (303, Rn. 234) – United Brands. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 145. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2021, Rn. 525) – Suiker Unie. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 145; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 86. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 229. KOME 81/1030/EWG, ABl. 1981 L 370, S. 49 (Rn. 49 ff.) – GVL; krit. dazu Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 92; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 69; zust. hingegen Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 229.
504
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
E.
Sachfremde Zusatzleistungen (Art. 82 lit. d) EG)
I.
Bedeutung
1329 Art. 82 lit. d) EG, der letzte Beispielstatbestand, verbietet eine Koppelung von vertraglich vereinbarten Hauptleistungen mit sachfremden Zusatzleistungen. Dieses Verbot der Koppelungsgeschäfte korrespondiert mit Art. 81 Abs. 1 lit. e) EG, der entsprechende Koordinierungen erfasst. Im Rahmen des Missbrauchsverbotes bestehen Verbindungen zu den anderen Beispielstatbeständen, weil eine solche Koppelung eine unangemessene Geschäftsbedingung darstellen (lit. a)), namentlich Erzeugung und Absatz von Betroffenen einschränken (lit. b)) oder eine Diskriminierung bilden kann (lit. c)). Der Anwendungsbereich dieser spezifischen Fallgruppe ist weiterhin limitiert.532 Treten solche Praktiken auf, haben sie allerdings tiefgreifende Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der betroffenen Unternehmen, die möglicherweise gar nicht gewünschte Leistungen abnehmen müssen, sowie auf den Wettbewerb als solchen und die Marktstruktur, da auch nicht besonders begehrte Leistungen über die beherrschende Stellung auf dem Gebiet der Hauptleistungen gleichsam durchgedrückt werden, was wiederum die beherrschende Stellung durch Arrondierung weiterer Leistungen verstärkt bzw. insoweit ausdehnt.533 II.
Abschluss eines Abnahmevertrages als Hauptgeschäft
1330 Grundvoraussetzung für das Eingreifen von Art. 82 lit. d) EG ist, dass ein Vertrag abgeschlossen wurde. Da es um das Verbot geht, die Annahme zusätzlicher Leistungen zu veranlassen, muss dieser Vertrag die Hauptleistung umfassen, mithin das „Hauptgeschäft“ darstellen.534 Wird kein Vertrag abgeschlossen, weil sich der Abnehmer nicht auf ein Zusatzgeschäft einlässt, ist Art. 82 lit. d) EG nicht erfüllt, sondern die Generalklausel unter dem Gesichtspunkt der Leistungsverweigerung einschlägig, da die Leistung nur unter einer Bedingung wie eine Verweigerung zu behandeln ist.535 Aus wirtschaftlicher Sicht, die im Wettbewerbsrecht dominierend ist, stellt es keinen Unterschied dar, ob die Leistung a priori verweigert oder nur 532
533
534
535
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 242 mit den einschlägigen Beispielsfällen auch in Rn. 243; Auflistung auch bei Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 159 ff. Z.B. De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 79 ff.; Dirksen, in: Langen/ Bunte, Art. 82 Rn. 154; Emmerich, in: Dauses, H. I § 1 Rn. 249; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 94; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 70; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 189; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 237. So die weit verbreitete Begrifflichkeit in Abgrenzung zum „Zusatzgeschäft“, etwa Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 155; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 199; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 238; von Erstund Zweitgeschäft sprechend Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 95. EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3278, Rn. 26) – CBEM; abweichend KOME 88/589/EWG, ABl. 1988 L 317, S. 47 (Rn. 31) – London European/SABENA.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
505
unter so hohen Hürden angeboten wird, dass der andere Vertragspartner sie praktisch nicht annehmen kann.536 Art. 82 lit. d) EG erfasst nur die Annahme zusätzlicher Leistungen. Daraus wird 1331 gefolgert, dass der benachteiligte Vertragspartner auch Abnehmer der Hauptleistung sein muss, also lediglich der Machtmissbrauch auf der Angebotsseite erfasst wird; demgegenüber soll der Machtmissbrauch auf der Nachfrageseite ausschließlich durch die Generalklausel nach Art. 82 S. 1 EG537 bzw. durch Art. 82 lit. a) bzw. lit. c) EG erfasst sein.538 Jedoch ist auch vorstellbar, dass der Lieferant zwar einen Hauptvertrag erhält und damit seine Leistung erbringen kann, der marktbeherrschende Abnehmer dies aber unter die Bedingung stellt, dass der Lieferant seinerseits von ihm Leistungen abnimmt. Insofern handelt es sich dann auch um zusätzliche Leistungen, die abgenommen werden, nur nicht vom Marktbeherrscher wie im Hauptgeschäft, sondern vom unterlegenen Vertragspartner als Zusatzleistung, wie dies den Konstellationen des Angebotsmissbrauchs entspricht. Sofern man Personengleichheit auf der Abnehmerseite verlangt, so erhält der unterlegene Vertragspartner vom Marktbeherrscher auf der Nachfrageseite Geldleistungen. Insoweit kann dieser Ausschnitt des Machtmissbrauchs auf der Nachfrageseite auch unter Art. 82 lit. d) EG gefasst werden.539 Bezieht man solchermaßen auch Geldleistungen in den Begriff der Leistungen ein, fallen unter Art. 82 lit. d) EG auch zusätzlich ausbedungene Leistungen des Kunden, die jenseits des vereinbarten Kauf- oder Mietpreises liegen.540 Jedenfalls wird das Eingreifen von Art. 82 lit. d) EG nicht dadurch gehindert, 1332 dass der Leistungsaustausch noch nicht tatsächlich erfolgt ist. Die Ausführung verstärkt allerdings die Schwere des Verstoßes.541 Art. 82 lit. d) EG verlangt als Grundvoraussetzung nur den Abschluss eines Vertrages und die dabei aufgestellte Bedingung, zusätzliche Leistungen anzunehmen. Art. 82 lit. d) EG verlangt nur, dass zusätzliche Leistungen angenommen wer- 1333 den und dies Bedingung für den Abschluss von Verträgen ist. Der Regelfall wird zwar daher sein, dass diese Leistungen bereits in den Verträgen vereinbart werden. Zwingend ist dies allerdings nicht. So sind auch getrennte Verträge möglich.542 Zudem kann eine faktische Bedingung gleichsam als Geschäftsgrundlage an den 536
537 538
539 540
541 542
Allgemein zur Leistungsverweigerung u. Rn. 1350 ff. sowie bereits im Zusammenhang mit Art. 82 lit. a) EG o. 1271, 1275, 1277 ff. Hier wird ebenfalls die Erzeugung bzw. der Absatz eingeschränkt, wenn unentbehrliche Leistungen nicht bezogen werden können. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 239. So Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 156; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 96; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 70; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 200. Wohl auch Nagel, EG-Wettbewerbsrecht und Zulieferbeziehungen der Automobilindustrie, 1992, S. 89 ff. Auch Siragusa, in: van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 398 ff. A.A. h.M., z.B. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 169; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 239. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 239. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 238.
506
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Hauptvertrag geknüpft werden. Auch dann liegt Druck vor, zusätzliche Leistungen anzunehmen, auch wenn er tatsächlicher Art ist: Er genügt, den betroffenen Unternehmen die Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Eine weitere einbezogene Konstellation liegt darin, dass lediglich ein starker 1334 Anreiz geschaffen wird, zusätzliche Leistungen anzunehmen, die Verweigerung aber nicht zum Verlust der Hauptleistung führt. Auch dann wird die Entscheidungsfreiheit der betroffenen unterhöhlt und der Wettbewerb beeinträchtigt, sofern der Anreiz nur stark genug ist und damit gleichsam jedenfalls faktisch eine Bedingung darstellt.543 III.
Zusatzleistungen
1335 Eine Zusatzleistung liegt dann vor, wenn sie nicht mit der Hauptleistung übereinstimmt. Das setzt zunächst einmal voraus, dass beide Leistungen nicht austauschbar sind und daher getrennte Märkte bilden.544 Dies entspricht der allgemein im Rahmen des Missbrauchsverbots gebräuchlichen Abgrenzung der relevanten Produktgruppen danach, ob sie substituierbar sind und einheitliche Märkte bilden.545 Hieran zeigt sich die Einbettung auch des Merkmals der zusätzlichen Leistungen in den Gesamtkontext des Art. 82 EG bzw. dem System des Wettbewerbs. Diese Ansätze bestimmen wesentlich die Abgrenzung zusätzlicher Leistungen mit, welche nach objektiven Kriterien zu erfolgen hat und nicht den subjektiven Einschätzungen insbesondere des Marktbeherrschers unterliegen kann.546 Daher bestimmt das Kriterium der Substituierbarkeit auch, ob bei der zwingen1336 den Abnahme von Warengesamtheiten eine große einheitliche Hauptleistung oder eine Zusatzleistung vorliegt. Die faktische Zusammenfassung zu einer Leistung ändert nichts daran, sofern die Erzeugnisse verschiedenen Märkten zuzuschlagen sind.547 So sind etwa Verpackungsmaschinen und Verpackungskartons, die von jeweils unterschiedlichen Unternehmen hergestellt werden können, verschiedene Leistungen,548 ebenso wie auch Bolzenschussgeräte, Kartuschenstreifen und Bolzen drei getrennte Märkte bilden.549 Vielfach lassen sich Zusatzleistungen daran er543 544 545 546 547
548
549
S. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (547, Rn. 111) – Hoffmann-La Roche: Verlust des Rabattes, wenn keine zusätzlichen Leistungen bezogen werden. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (547, Rn. 111) – Hoffmann-La Roche. S.o. Rn. 1176 ff. Z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 157; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 95. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 170; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 203; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 240; großzügiger Siragusa, in: van Damme (Hrsg.), La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, 1977, S. 398 (410 ff.): Sachzusammenhang und Handelsbrauch als Abgrenzungskriterien; das sind aber Elemente der Rechtfertigung von Zusammenfassungen, ohne bereits begriffsbildend zu sein. EuGH, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 (6010 f., Rn. 36) – Tetra Pak im Anschluss an die Ausführungen von EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-755 (822 f., Rn. 138) – Tetra Pak II. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 (1473, Rn. 66 ff.) – Hilti; bestätigt von EuGH, Rs. C-53/92 P, Slg. 1994, I-667 (701, Rn. 11 ff.) – Hilti.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
507
kennen, dass sie die Kunden von Waren oder Dienstleistungen des Marktbeherrschers eigentlich nicht benötigen bzw. anderweitig günstiger besorgen können, so dass ihre Abnahme ein Zwang bedeutet.550 Schwierig ist das Vorliegen einer Koppelung bei technischen Fortentwicklun- 1337 gen zu beurteilen, da dann die Zusatzleistung notwendiger Bestandteil dieser Innovation sein kann, mithin ein Fortschritt ohne Zusatzleistung nicht in Betracht kommt. Oder aber die Zusatzleistung hat sich mittlerweile zum Standard im Rahmen der Hauptleistung herausgebildet. Das kann etwa bei zusätzlichen elektronischen Ausrüstungen der Fall sein, welche Teil eines Gesamtproduktes (z.B. Auto) sind. Der Kunde mag sie isoliert nicht benötigen. Jedoch gehören sie zum höheren Gesamtstandard und sind damit Teil der Hauptleistung, die dadurch gleichwohl nicht unerheblich verteuert werden kann. Dies ist aber im Allgemeinen nur zu bejahen, wenn die Zusatzleistung nicht eigenständig nachgefragt wird, es also für diese keinen separaten Markt gibt. Das ist ausgeschlossen, wenn die Zusatzleistung ohne Hauptleistung nicht zur Verfügung gestellt werden kann, wie dies etwa bei integrierten elektronischen Ausrüstungen der Fall ist. Auch eine enge gekoppelte Zweckbindung beider Leistungen kann eine eigenständige Nachfrage entfallen lassen. Indiz dafür sind die Marktverhältnisse, ob es nämlich auch Anbieter gibt, welche die Zusatzleistung separat anbieten. Das trifft bei Streaming Media Playern zu, die als Anwendungssoftware getrennt von PC-Betriebssystemen auf den Markt geworfen werden; lediglich Microsoft als Marktbeherrscher für PCBetriebssysteme will sie koppeln.551 IV.
Sachlicher oder brauchmäßiger Bezug
Liegt nach diesen Kriterien eine zusätzliche Leistung vor, ist eine solche nur dann 1338 nach Art. 82 lit. d) EG verboten, wenn sie weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand steht. Letztlich klingt hier der Gedanke der sachlichen Rechtfertigung durch, der auch etwa die Annahme unangemessener Geschäftsbedingungen hinderte.552 Hier sind ebenfalls objektive Kriterien sowie die wettbewerbspolitischen Ziele als Maßstab anzuwenden. Eine weite Konzeption lässt überzeugende technische oder wirtschaftliche Gründe genügen.553 Damit bleibt indes ein sehr großer und schwer zu überprüfender unternehmerischer Spielraum. Es ist indes aufgrund der Zugehörigkeit zu verschiedenen Märkten bei zusätzlichen Leistungen davon auszugehen, dass sie nicht zusammen mit der Hauptleistung verbunden werden dürfen.
550 551
552 553
Z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 240. KOME COMP/C-3/37.792, (Rn. 800 ff.) – Microsoft auf der Basis eines sog. separatedemand-Testes; offen hingegen noch EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2, Rn. 403 – Microsoft. S.o. Rn. 1266. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 158; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 171; ähnlich Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 95: vernünftige Gründe; noch weiter Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 70: jeder sachliche Grund.
508
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Daher sind zwingende technische oder wirtschaftliche Gründe für die Zusammenfassung zu verlangen.554 Es muss mithin eine untrennbare Verbindung zwischen beiden Leistungen bestehen.555 Damit gelten strenge Maßstäbe, die auf den Ausnahmecharakter eines zulässigen Koppelungsgeschäftes und den damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffen in den Wettbewerb gegründet sind. Ein mögliches verbindendes Element ist, wenn nur durch die Abnahme von Zu1340 satzleistungen, etwa in Form von Wartungen, die hinreichende Sicherheit des Haupterzeugnisses gewährleistet ist.556 Zudem kommen technische Notwendigkeiten in Betracht, so wenn der Gebrauch von Lizenzen an einen Bezug bestimmter Erzeugnisse oder Dienstleistungen beim Lizenzgeber geknüpft wird, um eine technisch einwandfreie Benutzung zu gewährleisten.557 Allerdings bieten solche Erwägungen leicht einen fadenscheinigen Grund, um 1341 etwa mit Hardware entsprechende Software zu verbinden und damit Produktpaletten zu schaffen, welche die beherrschende Stellung erheblich verstärken. Oder aber die Marktherrschaft im Bereich der PC-Betriebssysteme wird dazu benutzt, um in diese immer weitere Zusatzbestandteile zu integrieren, welche für die Funktionsfähigkeit nicht notwendig sind und bislang separat von anderen Wettbewerbern angeboten wurden.558 Dabei sind dann zwar auch die positiven Wirkungen zu berücksichtigen, die eine Erweiterung des bisherigen Standards mit sich bringt.559 Diese können darin bestehen, dass der Erwerber eine größere Palette von Möglichkeiten zur Nutzung erhält. Das kann allerdings höchstens dann genügen, wenn diese zusätzlichen Nutzungsmöglichkeiten zum unabdingbaren Standard gehören, so dass nur zwingenden Verbraucherwünschen entsprochen wird, dieser also gleichsam davor geschützt wird, lediglich ein veraltetes Erzeugnis zu erhalten und dieses dann teuer nachrüsten zu müssen, um zum mittlerweile gängigen Standard aufzuschließen. Weiter als dieser Ansatz ist die Konzeption der Marktimmanenz, die darauf ab1342 hebt, ob solche zusätzlichen Leistungen marktinhärent sind, mithin einer fortlaufenden Anpassung der Standards entsprechen, daher dem Verbraucher einen nachvollziehbaren Vorteil bilden und keine bloße Scheininnovationen darstellen.560 Solche weiteren Leistungen müssen nicht unbedingt zusammen mit der Hauptleistung angeboten werden, sondern sind auch bei Wettbewerbern zu beziehen, wenn sie separat angeboten bleiben. Das ist grundsätzlich auch dem Monopolisten möglich, indem er zwei getrennte Abrechnungsposten bildet. Seine Entscheidung, diese Leistungen zu integrieren, entzieht hingegen anderen Unternehmen vielmehr 1339
554 555 556 557 558 559 560
De Bronett, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 22 Rn. 82; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 241. EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-755 (802, Rn. 82) – Tetra Pak II; gebilligt von EuGH, Rs. C-331/94 P, Slg. 1996, I-5951 (6010 f., Rn. 36 f.) – Tetra Pak II. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 242 unter Hinweis auf Kommission, 19. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1989, Tz. 62. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 205 unter Verweis auf entsprechende Gruppenfreistellungsverordnungsbestimmungen. So dass kein einheitliches Produkt vorliegt, s.o. Rn. 1337. KOME COMP/C-3/37.792, (Rn. 402) – Microsoft. Stopper, ZWeR 2005, 87 (106 f.); im Ergebnis auch Körber, RIW 2004, 568 (575).
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
509
den Boden zu einem eigenständigen Angebot. Das kann nur gerechtfertigt werden, wenn die Integration zwingend ist, sei es aus Sicherheitsgründen, sei es, weil sie durchgehend zusammen mit der Hauptleistung erwartet werden, so dass der Verbraucher vor nicht standardgemäßen Erzeugnissen geschützt werden muss. Nur eine solche enge Betrachtung erhält den Wettbewerb auf den Märkten für Zusatzleistungen. Sie bedarf keiner Erweiterung um den Gesichtspunkt der Marktimmanenz. Dieser bietet vielmehr ein gefährliches Einfallstor für eine Aushöhlung des Wettbewerbs durch Koppelung von Leistungen, wovor Art. 82 lit. d) EG gerade schützen will. Gegenüber dem sachlichen Zusammenhang kommt dem Handelsbrauch nur ei- 1343 ne untergeordnete Bedeutung zu.561 Insbesondere darf ein solcher Brauch nicht einfach von einem Marktbeherrscher begründet worden sein. Dann ist er nämlich unbeachtlich.562
F.
Generalklausel nach Art. 82 S. 1 EG
I.
Lückenfunktion und eigene Bedeutung
Der Zuschnitt der Beispielstatbestände nach Art. 82 S. 2 lit. a)-d) EG erwies sich 1344 zum Teil als zu eng, um sämtliche Verschiebungen des Wettbewerbs durch marktbeherrschende Unternehmen erfassen und so dem Schutzzweck des Missbrauchsverbots voll gerecht werden zu können. Das ist nicht weiter gravierend, weil die Beispielstatbestände lediglich besonders hervorgehobene Verhaltensweisen umfassen. Umso wichtiger ist es, der Generalklausel eine ausgedehnte, den Schutzzweck des Art. 82 EG voll erfüllende Kontur zu geben sowie die Verhaltensweisen herauszuarbeiten, welche hauptsächlich unter sie gefasst werden können. Damit tritt die Bedeutung der Beispielstatbestände jedenfalls insoweit zurück, als ihnen keine ausschließliche Bedeutung zukommt. Auch wenn ein Verhalten nicht unter Art. 82 lit. a)-d) EG trotz Verwandtschaft 1345 zu den dort aufgeführten Modalitäten gefasst werden kann, bleibt immer noch die Subsumtion unter die Generalklausel. Damit haben die Beispielstatbestände keine Sperrwirkung. Vielmehr ist die Generalklausel umfassend zu sehen. Dabei verzichten Rechtsprechung und Verwaltungspraxis vielfach auf eine exakte Einordnung unter einen Beispielstatbestand oder die Generalklausel.563 Vielmehr wird allgemein geprüft, inwieweit eine missbräuchliche Ausnutzung vorliegt, welche mit einer beherrschenden Stellung einhergeht. Auch in der Literatur wird teilweise
561 562 563
Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 171. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 158; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 95; a.A. Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 70. S.o. Rn. 1235 ff., 1298.
510
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
die Fallgruppenvielfalt primär nach allgemeinen Kategorien dargestellt und nur noch im Nachklang anhand der Regelbeispiele des Art. 82 EG.564 Die eigenständige Bedeutung der Generalklausel bedingt weiter, dass sich ihre 1346 Anwendung nicht auf die Lücken beschränkt, welche sich aufgrund der Beispielstatbestände auftun. So ist zwar unter sie zu fassen, wenn etwa entgegen Art. 82 lit. c) EG keine Benachteiligung im Wettbewerb eintritt oder Endverbraucher diskriminiert werden, so dass keine klassischen Handelspartner vorliegen.565 Insoweit erfasst die Generalklausel in Erweiterung der Beispielstatbestände zusätzliche Diskriminierungen. Das gilt auch für die Fälle der Geschäftsverweigerung, so weit man diese nicht unter die Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. b) und c) EG fasst.566 Darüber hinaus aber erfasst die Generalklausel auch die sonstige Behinderung von Wettbewerbern sowie Unternehmenszusammenschlüsse in Gefolge der Continental-Can-Rechtsprechung.567 Damit ergeben sich vier Fallgruppen: die Diskriminierungen, die Geschäftsverweigerung, die Behinderung von Wettbewerbern sowie Unternehmenszusammenschlüsse.568 II.
Diskriminierungen
1.
Fallgruppen
1347 In erster Linie eine Ergänzungsfunktion zu den Beispielstatbeständen nach Art. 82 lit. a)-d) EG hat die Erfassung von Diskriminierungen, die mittelbar eintreten oder unmittelbar zulasten von Verbrauchern gehen. Hingegen werden nach hiesiger Konzeption Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit unter Art. 82 lit. c) EG subsumiert, weil auch insoweit unterschiedliche Bedingungen mit wettbewerbsbenachteiligender Wirkung vorliegen.569 2.
Mittelbare Diskriminierungen
1348 Art. 82 lit. c) EG erfasst nur Diskriminierungen gegenüber Handelspartnern, die diese im Wettbewerb benachteiligen, nicht hingegen zwar diskriminierende Bedingungen, die aber erst auf der nächsten Handelsstufe durchschlagen. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Abnehmer von Waren gezwungen werden, diese nach 564
565 566 567 568 569
S. insbes. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 137 ff.; s. allerdings demgegenüber die traditionelleren Kommentierungen, etwa Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 86 ff.; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 180 ff. S.o. Rn. 1327 f. S.o. Rn. 1271, 1275, 1277 ff. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can. S. z.B. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 249 ff.; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 168 ff. S.o. Rn. 1307 f.; insoweit nicht näher problematisierend EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (508 f., Rn. 54 ff.) – GVL mit Stützung auf die Generalklausel, so dass nach dieser Entscheidung eine Prüfung von Art. 82 lit. c) EG entbehrlich wurde, hingegen die Einschlägigkeit nicht verneint wurde. Für die Generalklausel auch Dirksen, in: Langen/ Bunte, Art. 82 Rn. 179.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
511
sachfremden Kriterien an ihre Kunden weiter zu geben. Letztlich wird damit die Diskriminierung ebenso wie die wettbewerbsverfälschende Wirkung nur verlagert. Ausgangspunkt ist das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens, welches dadurch auf die Absatzpolitik seiner Kunden durchgreift und damit diese ihrer Unabhängigkeit beraubt. Damit werden diese gleichfalls beeinträchtigt. Erst recht gilt dies für die späteren Abnehmer, welche sich diskriminierenden Behandlungen ausgesetzt sehen und damit in ihrer Wettbewerbsposition beeinträchtigt werden. Zudem wird die Wettbewerbsstruktur auf mehreren Handelsstufen tiefgreifend verschoben. Um dem Missbrauchsverbot entsprechende Effektivität zu verleihen, fallen solche Verhaltensweisen daher unter die Generalklausel.570 3.
Diskriminierung von Endverbrauchern
Art. 82 S. 1 EG bezieht auch Praktiken ein, durch welche der Verbraucher unmit- 1349 telbar geschädigt werden kann.571 Dessen Schutz bildet ebenfalls eine tragende Säule des Missbrauchsverbots.572 Wird er schon geschützt, indem indirekte Schädigungen über eine Verzerrung von Wettbewerbsverhältnissen auf Handelsebene verboten sind, muss dies erst recht gelten, wenn er unmittelbar beeinträchtigt wird. Der Verbraucher ist aber jedenfalls nicht im Wettbewerb benachteiligt, da er in diesem nicht steht. Diskriminierungen ihm gegenüber sind daher allenfalls als unangemessene Bedingungen nach Art. 82 lit. a) EG anzusehen. Darüber hinaus gehende Verhaltensweisen können hingegen lediglich über die Generalklausel erfasst werden. Daher sind diese Fälle unter sie zu subsumieren.573 Sie sind nicht etwa gänzlich dem Missbrauchsverbot entzogen.574 III.
Geschäftsverweigerung
1.
Verbindung zu den Beispielstatbeständen
In engem Bezug zur Diskriminierung steht die Fallgruppe der Leistungsverweige- 1350 rung dann, wenn ein Unternehmen seine Leistungen lediglich einer bestimmten Gruppe zugute kommen lässt, einer anderen gegenüber aber verweigert. Das gilt vor allem dann, wenn die Leistungen nicht gegenüber Personen mit Wohnsitz au-
570
571 572 573
574
Allgemeine Meinung, z.B. Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 58; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 242; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 250 sowie unter Rückgriff auf die Kommission GA Mayras, EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2104, Tz. 398 f.) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (552 f., Rn. 125) – Hoffmann-La Roche. S.o. Rn. 1115. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 178; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 249; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 241, allerdings für einen großzügigen Maßstab eintretend. S. dagegen Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 69.
512
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
ßerhalb des Sitzstaates erbracht werden.575 Wie aber auch die Fälle der Diskriminierung lassen sich zahlreiche Konstellationen der Leistungsverweigerung bereits unter die Beispielstatbestände des Art. 82 EG einordnen. Vor allem ist die Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher nach Art. 82 lit. b) EG einschlägig. Das gilt namentlich dann, wenn Unternehmen für die Erzeugung oder den Absatz bestimmte Waren des Marktbeherrschers benötigen, aber nicht bekommen, diesen Erzeugnissen also entweder eine Grundlagenfunktion zukommt oder sie Gegenstand des Weiterverkaufs sind.576 Diese wie andere Fälle werden in der Literatur regelmäßig unter die General1351 klausel und dabei unter den Tatbestand der Geschäftsverweigerung bzw. den Abbruch und die Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen subsumiert.577 Demgegenüber hat der EuGH in einigen Fällen explizit die Beispielstatbestände nach Art. 82 EG herangezogen. Anschaulich wird dies in der Entscheidung United Brands, wo eine Firma auf die Belieferung mit den Ursprungsprodukten des Marktbeherrschers angewiesen war, indes aus einem nicht hinreichenden Grund vom Bezug ausgenommen wurde.578 Die andere wesentliche Konstellation betrifft, dass Geschäftsbeziehungen nicht nur abgebrochen, sondern von vornherein verweigert werden. Das gilt vor allem bei Monopolstellungen, so dass die anderen Wirtschaftsunternehmen auf die Leistungen des Marktbeherrschers angewiesen sind. So hat der EuGH im Hinblick auf die Deutsche Post eine Lieferverweigerung als Verstoß gegen Art. 82 lit. b) und c) EG angesehen, wobei es sich allerdings um eine faktische Lieferungsverweigerung dadurch handelte, dass die Leistungserbringung unter den Vorbehalt einer vollen Gebührenentrichtung gestellt wurde.579 Damit hat der EuGH jedenfalls in Bezug auf eine faktische Lieferungsverweigerung auch in einer jüngeren Entscheidung Art. 82 lit. b) EG zur Basis genommen. Auch die Lizenzverweigerung im Fall Magill stützte der EuGH auf Art. 82 1352 lit. b) EG.580 Das ist auch sachlich begründet, weil sowohl durch eine Beendigung laufender Geschäftsbeziehungen als auch durch deren Verweigerung Erzeugung und Absatz der betroffenen Unternehmen notwendigerweise eingeschränkt werden.581 Daher lassen sich dieser Fallgruppe auch diejenigen EuGH-Entscheidungen zuordnen, die nicht ausdrücklich auf einen der Beispielstatbestände nach Art. 82 EG rekurriert haben. Das gilt nicht nur für die eingangs erwähnte Entscheidung GVL, sondern auch gerade für die anderen eine Monopolstellung betreffenden Ju-
575 576 577 578 579 580 581
Insoweit einen Verstoß gegen die Generalklausel annehmend EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (509, Rn. 56 f.) – GVL. S.o. Rn. 1275, 1277 ff., 1297. So etwa Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 168 ff.; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 251 ff. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (297 f., Rn. 182 ff.) – United Brands. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (879, Rn. 59 f.) – Deutsche Post. EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (824, Rn. 54) – Magill. Ausführlich o. Rn. 1277, 1284. S.o. Rn. 1275, 1297.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
513
dikate582 sowie die maßgeblichen Entscheidungen zum Fernseh- und Telekommunikationsmarkt.583 Somit lassen sich beide Grundkonstellationen unter den Beispielstatbestand des 1353 Art. 82 lit. b) EG fassen. Gleichwohl unterscheiden sie sich insofern, als bei einem Abbruch von Geschäftsbeziehungen ein aktives Tun vorliegt, demgegenüber die Nichtaufnahme lediglich ein Unterlassen darstellt. Daher wird insoweit ein qualitativer Unterschied gesehen. Ein Unterlassen soll weniger missbräuchlich sein als ein aktives Tun und daher lediglich dann der Generalklausel widersprechen, sofern ein Kontrahierungszwang besteht.584 Nur der erste Fall soll mit Art. 82 lit. b) EG vergleichbar sein, wird dort doch eine Einschränkung vorausgesetzt. Eine solche erfolgt aber auch durch ein Unterlassen, welches genauso gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb haben kann. 2.
Monopole – vor allem für Infrastruktur
a)
Essential facilities
Zudem geht bei solchen Unterlassungen vielfach eine Monopolstellung damit ein- 1354 her. Diese verleiht eine besondere Machtposition und begründet daher auch eine besondere Verantwortung, diejenigen, welche die Leistung brauchen, zu versorgen. Dies zeigt sich vor allem in den Fällen, in denen es um die Bereitstellung von Infrastruktur geht, so im Energiebereich. Je stärker die Machtstellung eines beherrschenden Unternehmens ist und je eher andere Unternehmen auf dessen Leistungen angewiesen sind, desto höher ist die Rechtfertigungsschwelle für eine Geschäftsverweigerung anzusetzen. Dies entspricht letztlich der Konzeption bei den Grundfreiheiten, welche private Organisationen, die eine Machtstellung wie staatliche Einheiten haben, denselben Grundsätzen unterwirft.585 Eine solche Machtposition besteht, wenn ein marktbeherrschendes Unterneh- 1355 men Inhaber von Infrastruktureinrichtungen ist, wie dies für Häfen586 oder Eisenbahnstrecken587 zutrifft. Ähnlich liegt der Fall, wenn das marktbeherrschende Unternehmen über Leitungsnetze verfügt, welche für die Erbringung von Leistungen unabdingbar sind. Das trifft für den Elektrizitäts- und Gasmarkt ebenso wie für den Telekommunikationsbereich zu. Diese Konstellationen bilden den klassischen Anwendungsbereich der essential facilities doctrine. Diese erfasst in ihrer Ausprä582 583
584 585
586 587
S. Leupold/Pantke, EWS 2005, 108 (109, 111). Für die Ausstrahlung von Werbesendungen EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431, Rn. 17) – Sacchi wenngleich nur im Ansatz aufgezeigt; Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3278, Rn. 26) – CBEM zur Verknüpfung des Zugangs zu Sendezeiten mit Aufträgen an ein dem Marktbeherrscher verbundenes Unternehmen; s. bereits o. Rn. 1277, 1330. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 251; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 172; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 207. Etwa EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 (1419 f., Rn. 16/19) – Walrave; Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (5065 f., Rn. 82 ff.) – Bosman; im Einzelnen näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 320 ff. S. dazu KOME 94/19/EG, ABl. 1994 L 15, S. 8 (Rn. 61 ff.) – Sea Containers/Stena Sealink; 94/119/EG, ABl. 1994 L 55, S. 52 (Rn. 10 ff.) – Hafen von Rødby. Dazu KOME COMP/C.37.685 – GVG/FS.
514
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
gung im amerikanischen Antitrust-Recht schon aus natürlichen Gründen lediglich einmalige, nicht duplizierbare wesentliche Einrichtungen, die durch ihre Einzigartigkeit die Abhängigkeit anderer Unternehmen begründen. Davon unterscheiden sich die durch Immaterialgüterrechte begründeten Ausschließlichkeiten, auf welche ebenfalls die essential facilities doctrine angewendet wird, dadurch, dass sie erst durch Recht geschaffen werden und damit gleichsam künstlich sind. Von ihrer natürlichen Zusammensetzung her sind sie hingegen grundsätzlich duplizierbar, nämlich durch eine Übertragung der entsprechenden Rechte. Eine Zwangsöffnung nimmt ihnen jedoch ihre Exklusivität und damit ihren Wesenskern.588 In diesen Fällen können andere Unternehmen nur tätig werden, wenn sie Zu1356 gang zu den Netzen des Marktbeherrschers erhalten, unabhängig davon, ob dieser selbst die eigentlichen Leistungen anbietet oder auch nur das Netz bzw. die Leitungen innehat. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Märkte liberalisiert sind, was etwa in der Wasserversorgung noch nicht der Fall ist.589 b)
Notwendigkeit einer Zugangsberechtigung
1357 Wurde ein Feld für einen konkurrierenden Wettbewerb geöffnet, ist ein gleichmäßiger Zugang aller Wettbewerber essenziell, der nur durch die Kapazität der Anlage und infolge für die Nutzung bedeutsamer Eigenheiten der Wettbewerber beschränkt werden kann. Lediglich insoweit können objektive Gründe bejaht werden, welche generell die Rechtfertigung für eine ungleiche Behandlung bzw. eine Leistungsverweigerung bilden können.590 Diese Grundbedingungen sind in den Beispielstatbeständen nach Art. 82 EG damit schon weitgehend angelegt, indes auch über deren teils begrenzten Anwendungsbereich hinaus zu erstrecken und auf die Rahmenbedingungen einer Monopolstellung abzustimmen. Insoweit ergeben sich Parallelen zur Benutzung kommunaler Einrichtungen nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.591 So wie dort eine öffentliche Einrichtung vorhanden sein muss, hat es sich hier um eine wesentliche Einrichtung für die Erbringung der jeweils relevanten Leistung zu handeln. Diese darf also ohne die Einrichtung gar nicht erbracht werden können. Werden solche Einrichtungen geöffnet, wird ihre Bedeutung gleichsam zum 1358 Allgemeingut, bezogen auf die dafür in Betracht kommenden Unternehmen. Vielfach wird die Anlage indes gerade nur für eigene Zwecke errichtet. Damit ist darauf abzustellen, inwieweit die Anlage von ihrem Zuschnitt her darauf angelegt ist, dem installierenden Unternehmen einen wirksamen Ablauf zu ermöglichen, oder aber über ein einzelnes Unternehmen hinausreicht bzw. darauf ausgerichtet ist, anderen Wettbewerb zu verhindern.
588 589 590 591
Ausführlich o. Rn. 1282. Zur Diskussion und den tatsächlichen Hintergründen m.w.N. Frenz, ZHR 2002, 307 ff. S.o. Rn. 1284 ff., 1911 ff. Dazu im Einzelnen Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 796 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
c)
515
Zugangsschranken
Um derart offen für andere sein zu müssen, dass eine Zugangsverweigerung miss- 1359 bräuchlich ist, muss sich die Einrichtung mithin bereits von ihrem vorhandenen Zuschnitt auf die Nutzungswünsche anderer Unternehmen beziehen. Das ist etwa nicht der Fall, wenn durch solche Wünsche anderer zusätzliche Zwecke verwirklicht werden sollen. Zudem ist zu gewährleisten, dass eine ordnungsgemäße Nutzung erfolgt, insbesondere keine Beschädigung zu erwarten ist. Das wäre etwa dann der Fall, wenn ein Anbieter bei einer Liberalisierung des Wassermarktes Trinkwasser schlechterer Qualität als bisher üblich in einer Trinkwasserleitung transportieren lassen wollte, weil dadurch deren gesamte Sauberkeit in Frage gestellt würde. Zudem muss der Nutzer die notwendigen fachlichen, technischen und auch wirtschaftlichen Voraussetzungen mitbringen, ohne dass daran allerdings unverhältnismäßige Anforderungen gestellt werden dürfen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Einrichtung funktionsfähig gehalten wird und keine Gefahren auftreten. Wegen der gravierenden Bedeutung, eine Nutzung von wesentlichen Einrichtungen nicht zuzulassen, trägt der Marktbeherrscher die Beweislast für das Gegenteil. Die eine Nutzung ablehnenden Gründe müssen im jeweiligen Einzelfall hinreichend wichtig sein, zumal wenn die Anlage für den Wettbewerb und für die Versorgung der Verbraucher eine zentrale Bedeutung hat.592 Dagegen ist das Eigeninteresse des Marktbeherrschers einzustellen, die Anlage ausschließlich zu nutzen.593 Eine natürliche Schranke stellt die Kapazität der Anlage dar. Bei einer sich da- 1360 raus ergebenden Begrenzung ist aber darauf zu achten, dass eine gleichmäßige Verteilung erfolgt. Dabei sind sachgerechte Auswahlkriterien zugrunde zu legen. Den Vorzug können jedoch solche Bewerber verdienen, die sich in der Vergangenheit als zuverlässige Nutzer erwiesen haben oder eine besonders wichtige Stellung für die Versorgung der Verbraucher haben. Die zeitliche Priorität kann wie im öffentlichen Recht bei der Zulassung zu Volksfesten und Ausstellungen nicht allein maßgeblich sein, weil dann neue Bewerber keine Chancen haben und daher nur kurzfristig Anwendung finden.594 Insgesamt ist darauf zu achten, dass alle diejenigen Unternehmen, welche sich in einer vergleichbaren Situation befinden, gleichen Zugang erhalten.595 Insbesondere ist eine Diskriminierung zulasten von besonders effektiven Wettbewerbern zu vermeiden, liegt doch dann eine wettbewerbsschädliche Motivation besonders nahe.
592 593 594 595
Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 263. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 264. Vgl. OVG Lüneburg, NJW 2003, 531. KOME 88/589/EWG, ABl. 1988 L 317, S. 47 (Rn. 26) – London European/SABENA; 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 (Rn. 24 ff.) – British Midland/Aer Lingus.
516
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
IV.
Behinderung von Wettbewerb
1.
Vielfältige Verbindung zu den Beispielstatbeständen
1361 Die vorstehend behandelte Geschäftsverweigerung stellt eine Behinderung von Wettbewerbern par excellence dar, indem sie diese vom Bezug unabdingbarer Leistungen ausschließt und damit gänzlich vom Markt verdrängen kann. Dazu kann auch eine Diskriminierung führen.596 Die Verwirklichung der Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. a)-d) EG behindert ebenfalls regelmäßig Wettbewerber, so dass sie auch unter diese Ausprägung der Generalklausel gefasst werden. Das gilt namentlich für die Bindung von Abnehmern an das eigene Unternehmen durch Bezugsverpflichtungen und Präferenzvereinbarungen sowie Treuerabatte, welche Erzeugung und Absatz von Wettbewerbern einschränken bzw. entsprechend den getroffenen Vorzugsbehandlungen unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen darstellen (Art. 82 lit. b) und c) EG).597 Entsprechendes gilt für Wettbewerbsverbote, welche dem betroffenen Unter1362 nehmen die Unabhängigkeit nehmen und zugleich anderen Wettbewerbern die Absatzmöglichkeiten verschließen.598 Eine Einschränkung von Erzeugung, Absatz oder technischer Entwicklung bilden auch willkürliche Klagen wegen einer angeblichen Verletzung von Schutzrechten oder durch einen bewussten Zuschnitt technischer Eigenheiten, um den Wettbewerb nicht auf den Markt kommen zu lassen. Auch zu Art. 82 lit. a) EG bestehen enge Bezüge. So können unbestimmte Preisfestsetzungen, lange Vertragslaufzeiten sowie automatische und langfristige Verlängerungsregelungen, zumal gekoppelt mit einer beachtlichen Preiserhöhung (z.B. 25 % höherer Mietzins bei einer automatischen Verlängerung des Vertrages um 15 Jahre), unangemessene Geschäftsbedingungen bilden599 und zugleich Wettbewerber vom Markt ausschließen. Wegen dieses Doppelbezuges werden die vorstehend genannten Beispiele im 1363 Rahmen der Generalklausel verortet.600 Der Vorteil einer Zusammenfassung dieser Verhaltensweisen unter der Behinderung von Wettbewerbern im Rahmen der Generalklausel ist, dass auf diese Weise einheitliche Grundsätze herausgearbeitet werden können, inwieweit Wettbewerb von marktbeherrschenden Unternehmen, welche naturgemäß auch die Nutzung einer durch eigene Leistung geschaffenen wirtschaftlichen Stellung beinhaltet, zulässig ist. Indes zeigten sich bereits im Rahmen der Beispielstatbestände nach Art. 82 lit. a)-d) EG, dass sich parallele Grundsätze herausgeschält haben. Ein wesentlicher Grundsatz ist, dass sich die Geschäftsbedingungen und -praktiken des Marktbeherrschers in dem Rahmen halten müssen, der sich aus dem Zuschnitt seiner Leistung sowie den Gegebenheiten ihrer Vermarktung ergibt. So müssen insbesondere Lieferverweigerungen und Ausschließlichkeitsbindungen durch die konkreten Umstände gerechtfertigt sein. Das marktbeherrschende Unternehmen unterliegt also dem Grundsatz der Verhält596 597 598 599 600
S.o. Rn. 1350 ff. Wie hier einordnend dagegen Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 274. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2016 f., Rn. 482 ff.) – Suiker Unie. EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6008, Rn. 10) – Alsatel. S.o. Rn. Insbesondere Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 184 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
517
nismäßigkeit aufgrund seiner besonderen Stellung.601 Dieser Grundsatz durchzieht das Missbrauchsverbot insgesamt, so dass eine Zusammenfassung wettbewerbsbehindernder Verhaltensweisen unter der Generalklausel auch nicht zur Entwicklung paralleler Strukturen erforderlich ist. Nur auf der Basis einer solchen Legitimation bewegt sich das beherrschende Unternehmen im Rahmen „eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger“, welcher strikt einzuhalten ist, um den auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerb aufrecht zu erhalten bzw. weiter entwickeln zu lassen.602 2.
Niedrigpreise
a)
Keine hinreichende Erfassung durch die Beispielstatbestände
Dieser Gedanke bildet gerade auch die Grundlage für die Herausbildung des Ver- 1364 botes, Mitbewerber zu verdrängen und auf diese Weise die eigene Stellung zu stärken. Daher darf ein Unternehmen nicht „zu anderen Mitteln als denjenigen eines Leistungswettbewerbs“ greifen. Deshalb „kann nicht jeder Preiswettbewerb als zulässig angesehen werden“.603 Damit ist der anerkannte Hauptanwendungsfall der Behinderung von Wettbewerbern angesprochen. Die Festlegung zu hoher Preise fällt allerdings regelmäßig unter die Erzwingung unangemessener Einkaufsoder Verkaufspreise und damit unter Art. 82 lit. a) EG, welcher allerdings in erster Linie den Ausbeutungsmissbrauch umfasst, indes auch mittelbare zur Behinderung führen kann.604 Zu niedrige Preise sind hingegen im unmittelbaren Vertragsverhältnis zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer nicht unangemessen. Sie können höchstens mittelbar zur Einschränkung des Absatzes von Wettbewerbern führen, weil diese nicht mithalten können und sich damit vom Markt zurückziehen. Insoweit kann dann Art. 82 lit. b) EG bei einer entsprechend weiten Konzeption einschlägig sein, soweit diese Entwicklung zumal auch auf lange Sicht schädlich für den Verbraucher ist, der dann weniger Wettbewerber zur Verfügung hat und befürchten muss, dass höhere Preise entstehen.605 Allerdings ist dieser Fall der zu niedrigen Verkaufspreise die Konstellation, die 1365 am wenigsten von den Beispielstatbeständen nach Art. 82 EG abgedeckt ist und daher unter die Behinderung von Wettbewerbern im Rahmen der Generalklausel fällt. Das nimmt auch der EuGH im Urteil AKZO Chemie an: „Ein beherrschendes Unternehmen hat nämlich nur dann ein Interesse, derartige Preise zu praktizieren, wenn es seine Konkurrenten ausschalten will, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben.“606 601 602
603 604 605 606
Vgl. o. Rn. 1110 f. Grundlegend EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541, Rn. 91) – Hoffmann-La Roche; später etwa Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 27) – L´Oréal; Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3514, Rn. 70) – Michelin. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 70 in Anknüpfung an die Entscheidung Hoffmann-La Roche in Rn. 69) – AKZO Chemie. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 189, 180. Vgl. o. Rn. 1300 ff. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 71) – AKZO Chemie.
518
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
b)
Kostenermittlung
1366 Von einer solchen Verdrängungsabsicht geht der EuGH automatisch aus, wenn die Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten liegen. Das sind die Kosten, die je nach den produzierten Mengen variieren. Zumindest ein Teil dieser variablen Kosten je produzierter Einheit geht in diesem Fall bei jedem Verkauf verloren; hinzu kommt ein Verlust in Höhe der gesamten Fixkosten – das sind die Kosten, die ungeachtet der produzierten Mengen konstant bleiben.607 Die Abgrenzung von Fix- und variablen Kosten kann mitunter schwierig sein. Selbst die Verwaltungskosten gehören nicht zwingend zu den Fixkosten, da nämlich ein unmittelbarer Zusammenhang mit der produzierten Menge bestehen kann. Ein solcher scheidet allerdings regelmäßig aus, wenn es um Kosten für Arbeitskräfte geht; insoweit gibt es regelmäßig keinen „Mengenrabatt“.608 Es zählen also die Umstände des Einzelfalls. Diese Preise unter den durchschnittlich variablen Kosten tun den Konkurrenten 1367 deshalb besonders weh, weil diese regelmäßig geringere Marktanteile haben und daher jedenfalls über den Kosten des Marktführers produzieren müssen, mithin auf keinen Fall dessen durchschnittliche variablen Kosten noch unterbieten können. Zudem ist nur dann davon auszugehen, dass ein Unternehmen Verlust macht, wenn es damit weiter gehende Zwecke verfolgt, welche in solchen Konstellationen nur in der Ausschaltung der Konkurrenz liegen können. Insoweit handelt es sich um Verdrängungswettbewerb, der gerade auf eine Verstärkung der beherrschenden Stellung und ihren Missbrauch abzielt.609 c)
Einbeziehung weiterer Umstände
1368 Ein solcher Automatismus, auf einen Missbrauch zu schließen, besteht dann nicht, wenn die Preise zwar unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, also den Fixkosten plus den variablen Kosten, liegen, jedoch über den durchschnittlichen variablen Kosten. In diesem Falle muss zusätzlich nachgewiesen werden, dass sie Bestandteil eines Planes sind, der die vielleicht ebenso leistungsfähige Konkurrenz ausschalten will, indem sie deren geringere Finanzkraft durch einen unangemessenen Wettbewerbsdruck ausnützt.610 Damit kommen immerhin die variablen Kosten für den Marktbeherrscher herein, nicht hingegen notwendig die Fixkosten. Er spielt damit seine größere produzierende Menge voll aus und lässt die Wettbewerber spüren, dass er den längeren Atem hat. Das kann aber nur i.V.m. der subjektiven Komponente der Verdrängungsabsicht angenommen werden, weil niedrige Preise als solche durchaus marktkonform sein können. Dem Marktbeherrscher ist es nämlich grundsätzlich gestattet, seine Vorteile durch eine ausgedehnte Produktion auszuspielen. 607 608 609 610
EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455, Rn. 71) – AKZO Chemie. Im Einzelnen EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3460 ff., Rn. 94 ff.) – AKZO Chemie. EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-764 (826, Rn. 147 f.) – Tetra Pak II unter Bezug auf EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (298, Rn. 184/189) – United Brands. EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3455 f., Rn. 72) – AKZO Chemie.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
519
Es muss sich indes nach den allgemeinen Bewertungsmaßstäben im Rahmen 1369 des Missbrauchsverbots um eine durch wirtschaftliche Gründe getragene Strategie handeln. An einer solchen fehlt es, wenn noch nicht einmal die auftretenden Kosten gedeckt werden und auch kein Zwang besteht, um etwa niedrigere Preise eines Wettbewerbers zu erreichen und damit im Wettbewerb bestehen zu können.611 Weitere Umstände, die eine gewollte Verdrängung der Konkurrenz indizieren, sind parallele Preiserhöhungen bei anderen Erzeugnissen oder anderen Märkten,612 weil dadurch Quersubventionierungen möglich werden, die gerade der Konkurrenz regelmäßig verschlossen sind. Weitere wichtige Indizien bilden die Dauer, die Ständigkeit und der Umfang der getätigten Verlustverkäufe. Dabei können auch die Einkaufspreise als Bezugspunkt herangezogen werden.613 Diese Indizien können genügen, um eine Verdrängungsabsicht nachzuweisen; eines weiteren Nachweises bedarf es dann nicht mehr.614 d)
Besonderheiten bei Einkaufspreisen
Die Verhältnisse liegen bei den Einkaufspreisen gerade umgekehrt zu den Ver- 1370 kaufspreisen. Müssen Letztere niedrig sein, um Wettbewerber zu verdrängen, müssen Erstere eine entsprechende Höhe haben. Dann nämlich wird der Marktbeherrscher in die Lage versetzt, etwa sämtliche Ausgangsmaterialien für ein bestimmtes von ihm hergestelltes Erzeugnis aufzukaufen und damit andere Unternehmen von der Produktion auszuschließen, sei es, dass diese keine entsprechenden Ausgangsstoffe mehr auf dem Markt vorfinden, sei es, dass sie diese hohen Preise nicht mehr zu bezahlen vermögen,615 sei es, dass der Marktbeherrscher sämtliche Lieferanten allein durch die Höhe des Preises an sich gebunden hat. Im letztgenannten Falle kann eine faktische Bindung bereits dadurch eintreten, dass die Lieferanten befürchten, nicht mehr an den Marktbeherrscher liefern zu dürfen, sofern sie auch andere Unternehmen bedienen. Invers zu den niedrigen Verkaufspreisen ist daher in hohen Einkaufspreisen umso eher ein Marktmissbrauch zu sehen, je ausgeprägter sie über den Gestehungskosten einschließlich einer angemessenen Gewinnmarge für die Lieferanten liegen. Parallel dazu liegt, wie lange sie praktiziert werden.
611
612 613 614
615
S. KOME 83/462/EWG, ABl. 1983 L 252, S. 13 (Rn. 30) – ECS/AKZO – einstweilige Anordnung; allgemein Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 277 unter Verweis auf das in dem mittlerweile außer Kraft getretenen Art. 3 lit. c) EGKS niedergelegte Prinzip der Kostendeckung. Bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (252, Rn. 25) – Commercial Solvents; ebenso Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3449, Rn. 45) – AKZO Chemie. EuGH, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-764 (827 f., Rn. 151) – Tetra Pak II: Verlustverkäufe über vier Jahre mit Preisen von 10-34 % unter den Einkaufspreisen. KOME 83/462/EWG, ABl. 1983 L 252, S. 13 (Rn. 30 f.) – ECS/AKZO – einstweilige Anordnung; 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 (Rn. 80 ff.) – AKZO; zusammengefasst bei Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 182. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 279.
520
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
e)
Rechtsfolgen
1371 Sowohl im Hinblick auf unangemessen niedrige Verkaufs- als auch auf überhöhte Einkaufspreise stellt sich das Problem, wie die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Missbrauchsverbot festzusetzen sind. Die vollständige Rückabwicklung der betroffenen Geschäfte kann deshalb auf Schwierigkeiten stoßen, weil die Lieferanten oder Abnehmer auf den Marktbeherrscher angewiesen sind und daher ohne die Beibehaltung der Geschäfte in den Ruin getrieben würden. Somit bleibt jedenfalls in diesen Fällen lediglich, adäquate Preise festzusetzen. Aber auch dies ist schwierig, weil objektive Maßstäbe dafür kaum existieren und die Interessen gänzlich unterschiedlich sein können. Jedenfalls dürfen die Interessen des Marktbeherrschers daran, die zu niedrigen oder überhöhten Preise beizubehalten, keine Berücksichtigung finden, ebenso wenig die möglicherweise vorübergehende Freude des Verbrauchers an niedrigen Preisen,616 weil es auch in dessen Interesse steht, langfristig gesunde Marktstrukturen aufrecht zu erhalten. f)
Anwendung in netzgebundenen Wirtschaftszweigen
1372 Besondere Aktualität erlangten Niedrigpreise in netzgebundenen Wirtschaftszweige. Dort versuchten Anbieter, durch Verluste ihre Marktposition zu stärken. Verluste bei der Herstellung von notwendigen Verbindungsleitungen zum Kunden können dazu dienen, diese an sich zu binden, um Wettbewerber fernzuhalten und die Nutzung dieser Verbindungsleitungen umso teurer machen zu können. Eine solche Konstellation kann im Bereich des Internet gegeben sein. Bietet ein Unternehmen einen schnellen Internetzugang unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten, jedenfalls aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten an, kann das den Zweck haben, sich diesen strategisch wichtigen, neuen Markt zu sichern.617 Einen vergleichbaren Zweck können Niedrigpreise in anderen Sektoren haben. 1373 Daher liegt eine missbräuchliche Preis-Kosten-Schere vor, wenn ein Telefonunternehmen den eigenen Endkunden so günstige Anschlussgebühren gewährt, dass seine produktspezifischen Kosten dabei nicht gedeckt, hingegen neuen Anbietern deutlich höhere Gebühren für den entbündelten Zugang zum Ortsnetz abverlangt werden. Letztere sind daher nicht konkurrenzfähig und der Endverbraucher hat eine geringere Anzahl von Anbietern zur Auswahl.618 Den anderen Anbietern gegenüber werden zudem ungleiche Preise genommen. Sieht man sie wegen ihrer gewerblichen Nutzung als eigenen Markt an, ergibt sich auch aus einem darauf bezogenen Vergleich die Unangemessenheit. Die Kommission sieht in diesen beiden zuvor dargestellten Entscheidungen 1374 wichtige Präzedenzfälle für ihre weitere Entscheidungspraxis und auch für die der nationalen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf künftigen Preismissbrauch in netzgebundenen Wirtschaftszweigen. An erster Stelle steht ein direkter Vergleich zwischen den genommenen Preisen und den zugrunde liegenden Kosten. Die Prei616 617 618
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 280. KOME COMP/38.233 – Wanadoo. Eine Klage gegen diese Entscheidung ist beim EuG, Rs. T-340/03, anhängig. KOME 2003/707/EG, ABl. 2003 L 263, S. 9 – Deutsche Telekom AG.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
521
se müssen dabei über diesem Niveau liegen. Ansonsten sind sie entsprechend anzuheben. Eine Preis-Kosten-Schere wird durch einen Vergleich der Großhandelsund der Endkundenpreise identifiziert. Die anfallenden Kosten im nachgelagerten Bereich werden einbezogen, wenn die Endkundenpreise höher ausfallen.619 3.
Auffangklausel
Die Fallgruppe der Verhinderung von Wettbewerbern im Rahmen der Generalklau- 1375 sel ist ein Auffangbecken für alle sonstigen Verhaltensweisen, welche die Konkurrenz verdrängen sollen, indes in den Beispielstatbeständen nach Art. 82 lit. a)-d) EG nicht adäquat erfasst werden können. Das kann für Angriffe auf die Wettbewerbsstruktur als solche zutreffen, sofern sie nicht durch Maßnahmen erfolgen, die Ausdruck eines Beispielstatbestandes sind, sondern eine eigenständige oder gar ausschließliche Bedeutung haben.620 Darin nicht einbezogen ist etwa auch, Konkurrenten bei ihren Abnehmern anzuschwärzen oder Wettbewerber allein durch Klagen vor Gericht ohne hinreichenden Anlass in den finanziellen Ruin zu treiben bzw. zur Zusammenarbeit zu zwingen oder erst gar nicht auf den Markt eintreten zu lassen.621 Die Herausfilterung entsprechender Verhaltensweisen ist oft schwierig, weil auf dem Markt vielfach auch im Rahmen des normalen Leistungswettbewerbs mit harten Bandagen gearbeitet wird. Damit spielt eine erhebliche Rolle, welche allgemeinen Handelsbräuche sich herausbilden und damit den Inhalt dessen prägen, was als normaler Produkt- oder Dienstleistungswettbewerb i.S.d. EuGH-Rechtsprechung angesehen werden kann. Im Laufe der Zeit können sich dabei durchaus Veränderungen ergeben, indem sich die Anschauungen und Vorstellungen lauteren Wettbewerbs allgemein ändern. Es zählen allerdings nur die generell verbreiteten Vorstellungen und nicht etwa 1376 lediglich die subjektiven Sichtweisen des Marktbeherrschers. Auch können nicht Regelungen des nationalen Gesetzgebers das Bild prägen, weil es sich um gemeinschaftsrechtliche Regeln handelt, die autonom auszulegen sind. Dennoch können Anleihen genommen werden bei nationalen Rechtsordnungen, zumal wenn diese übereinstimmen und damit gemeinsame Vorstellungen von lauterem Wettbewerb widerspiegeln. In diesem Rahmen können so die Regelungen des deutschen GWB und UWG mit den Konkretisierungen durch die Rechtsprechung fruchtbar gemacht werden. Allerdings müssen sie sich in den gemeinschaftsrechtlich festgelegten Zweck der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln sowie deren Ausrichtung auf die Verwirklichung des Binnenmarktes einfügen.
619 620
621
Kommission, XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2003, SEK (2004) 658 endg., S. 39 f. (Kasten 3). Vgl. das Urteil EuG, Rs. T-191 u.a./98, Slg. 2003, II-3275 – Atlantic Container Line u.a., das allerdings gerade insoweit mangels hinreichenden Nachweises die zugrunde liegende KOME 1999/243/EG, ABl. 1999 L 95, S. 1 aufhob. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 275 unter Verweis insbes. auf KOME 87/500/EWG, ABl. 1987 L 286, S. 36 (Rn. 9) – BBI/Boosey & Hawkes sowie EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 (2961 f., Rn. 60 ff.) – ITT Promedia.
522
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
V.
Unternehmenszusammenschlüsse
1.
Anwendungsbereich der Generalklausel
1377 Ein besonders wirksames Instrument zur Verschiebung der Marktstrukturen ist die Übernahme von Wettbewerbern. Dadurch können Marktanteile schlagartig in die Höhe schnellen, insbesondere aber auch marktbeherrschende Unternehmen in die Lage versetzt werden, den Restwettbewerb weitest gehend auszuschalten. Dann eignen sich Unternehmenszusammenschlüsse hervorragend dafür, eine bereits vorhandene marktbeherrschende Stellung zu verstärken und dauerhaft abzusichern. Daher müssen solche Unternehmensverbindungen sachgerecht erfasst werden und können auch nicht aus dem Anwendungsbereich des Missbrauchsverbotes ausgeschlossen werden. Vielmehr bedarf es einer flächendeckenden Erfassung. Insoweit tritt daher besonders deutlich die Notwendigkeit hervor, die Anwendungsbereiche von Art. 81 und Art. 82 EG aufeinander abzustimmen, so dass keine Schutzlücken entstehen. Diesen Ansatz nahm daher der EuGH zum Ausgangspunkt dafür, um Unter1378 nehmenszusammenschlüsse auch in Ermangelung ausdrücklicher Vorschriften unter Art. 82 EG zu subsumieren. Deshalb ist das Merkmal der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung so zu fassen, dass diese auch allein durch einen Eingriff in die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs erfolgen kann, indem eine Verstärkung der eigenen beherrschenden Stellung den Wettbewerb wesentlich behindert. Das ist dann der Fall, wenn nur noch Unternehmen auf dem Markt bleiben, die in ihrem Marktverhalten von dem beherrschenden Unternehmen abhängen.622 So konnte auch ein Fall erfasst werden, in dem ein marktbeherrschendes Unternehmen über seine Tochter einen Hersteller von Verpackungsmaterial übernahm. Mittlerweile sind allerdings Unternehmenszusammenschlüsse weitgehend durch 1379 die Fusionskontrollverordnung erfasst. Insbesondere schließt diese auch ein, wenn bislang nicht marktbeherrschende Unternehmen eine solche Machtposition erst begründen.623 Gleichwohl ist diese Verordnung nicht notwendig vollständig. Das gilt insbesondere dann, wenn deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind, gleichwohl aber der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann. Soweit dies der Fall ist, kann das primärrechtliche Missbrauchsverbot, das keinerlei Freistellungen kennt, nicht durch Sekundärrecht verdrängt werden und gilt daher uneingeschränkt weiter.624
622 623 624
EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25 f.) – Continental Can. Dann greift Art. 82 EG nicht ein, s.u. Rn. 1385. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848, Rn. 32 f.) – Ahmed Saeed Flugreisen für den Luftfahrtsektor; ebenso EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 (385 ff., Rn. 25 ff.) – Tetra Pak I bezogen auf Gruppenfreistellungsverordnungen; aus der Lit. z.B. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 191; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 282, noch bezogen auf die bisherige FKVO (EWG) 4064/89, ABl. 1990 L 257, S. 13; die Argumentation hat sich aber durch die neue FKVO (EG) 139/2004, ABl. 2004 L 24, S. 1, nicht verändert.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
2.
Voraussetzungen und Vielfalt der Konstellationen
a)
Ansatz
523
Der Begriff der Unternehmenszusammenschlüsse, die eine missbräuchliche Aus- 1380 nutzung einer beherrschenden Stellung bilden können, ist vor dem Hintergrund des Art. 82 EG zu bestimmen. Das Missbrauchsverbot will insbesondere den noch vorhandenen Restwettbewerb erhalten. Daher wendet es sich gegen Entwicklungen, die diesen Restwettbewerb gefährden, wenn nicht gar ausschalten. Unternehmenszusammenschlüsse sind vor diesem Hintergrund deshalb problematisch, weil die Marktanteile in einer Hand vereinigt werden. Dabei kommt es weniger auf die Form an, sondern darauf, dass durch den Zusammenschluss der Marktbeherrscher in die Lage versetzt wird, einen noch erheblicheren Marktanteil zu kontrollieren und dadurch eigenständig, ohne Rücksicht auf die Konkurrenz zu agieren bzw. unabhängiges Verhalten anderer Unternehmen auszuschließen. Maßgeblich ist daher vor allem, inwieweit durch den Unternehmenszusammenschluss „eine effektive Kontrolle über das andere Unternehmen oder zumindest ein Einfluss auf dessen Geschäftspolitik gegeben ist“.625 b)
Effektive Kontrolle
In vollem Umfang ist eine solche Kontrolle gegeben, wenn andere Wirtschafts- 1381 teilnehmer komplett übernommen werden, sei es durch Anteilserwerb, sog. share deal, sei es über eine Betriebsübernahme, sog. asset deal. Eine entsprechende Wirkung im Hinblick auf die Eigenständigkeit der Unternehmen haben Verschmelzungsvorgänge sowie Beherrschungsverträge, die daher ebenfalls missbrauchsverdächtige Unternehmenszusammenschlüsse bilden.626 In allen diesen Fällen ist eine effektive Kontrolle vorhanden. c)
Einfluss auf die Geschäftspolitik
Weiter gehend genügt aber nach dem EuGH-Urteil BAT und Reynolds, auch unter 1382 der Bezeichnung Philipp Morris bekannt, ein Einfluss auf die Geschäftspolitik. Das ist ein Weniger, wie die Voranstellung des „zumindest“ zeigt. Die effektive Kontrolle wird hingegen mit einem bestimmenden Einfluss auf die Geschäftstätigkeit eines anderen Unternehmens i.S.v. Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gleichgesetzt. Ein bestimmender Einfluss ist danach nicht erforderlich und Art. 82 EG insofern weiter als die Fusionskontrollverordnung. Aus diesem Grund genügt ggf. auch der Erwerb einer qualifizierten Minder- 1383 heitsbeteiligung.627 Die Kommission ließ genügen, dass in einem solchen Fall sich der ausgeübte Einfluss des Minderheitsgesellschafters in einer Rücksichtnahme des beeinflussten Unternehmens bei seiner Geschäftspolitik niederschlug und verwies dabei auf die wirtschaftliche Abhängigkeit. Ihr genügte eine Minderheitsbe625 626 627
EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4584, Rn. 65) – BAT und Reynolds. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 194. Im Ergebnis Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 196.
524
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
teiligung von 22 %.628 So offen Art. 82 EG im Hinblick auf verschiedene Verhaltensmodalitäten infolge der nicht abschließenden Aufzählung in Art. 82 lit. a)-d) EG ist,629 muss dies erst recht für einzelne Verhaltensformen im Rahmen einer Fallgruppe nach der Generalklausel gelten. Die Mittel und Verfahren sind nicht näher relevant, sondern das wettbewerbsschädliche Ergebnis zählt.630 Daher ist es auch gleichgültig, ob es sich um eine freundliche oder unfreundliche Übernahme handelt, ob also der Zusammenschluss freiwillig oder unfreiwillig erfolgte.631 d)
Vertikale und horizontale Zusammenschlüsse
1384 Gänzlich unbeachtlich muss es daher auch sein, ob ein Unternehmenszusammenschluss sich auf die horizontale oder die vertikale Ebene bezieht. Den Wettbewerb kann es ebenfalls erheblich antasten und die Unabhängigkeit von anderen Unternehmen gravierend beeinträchtigen, wenn der Marktbeherrscher auf die Vertriebsebene zugreift oder einige Lieferanten kontrolliert, weil er dann deren Wettbewerber in ihrem Verhalten deutlich beeinflussen kann. Zudem kann die Marktmacht des dann auf zwei Handelsstufen präsenten Marktbeherrschers erheblich verstärkt werden. Beide Konstellationen sind deshalb unter die Generalklausel des Missbrauchsverbotes zu fassen.632 Entscheidend sind die jeweiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb. e)
Nicht Begründung einer marktbeherrschenden Stellung
1385 Die im Wortlaut des Art. 82 EG festgelegte eindeutige Grenze für die Anwendung des Missbrauchsverbots liegt jedoch darin, dass eine beherrschende Stellung auf dem Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt bereits bestehen muss, wenn die missbräuchliche Verhaltensweise erfolgt. Die beherrschende Stellung darf also durch den Unternehmenszusammenschluss nicht erst entstehen. Diese Konstellationen erfassen vielmehr ausschließlich die Fusionskontrollverordnung. Jedoch gibt Art. 82 EG nicht vor, wie lange die beherrschende Stellung bereits bestanden haben muss. Daher genügt es, wenn eine beherrschende Stellung zumindest eine logische Sekunde erlangt wurde, bevor die missbräuchliche Verhaltensweise erfolgte. Zudem kann eine beherrschende Stellung auch durch mehrere Unternehmen zusammen eingenommen werden.633 Damit genügt es, wenn zumindest zwei Unternehmen, welche gemeinsam eine beherrschende Stellung einnehmen, ihren Zusammenschluss beabsichtigen und damit Verhaltensweisen derart koordinieren, dass sie bereits als gemeinsamen Inhaber einer beherrschenden Stellung anzusehen sind. 628 629 630 631 632
633
KOME 93/252/EWG, ABl. 1993 L 116, S. 21 (Rn. 25) – Gillette. S. in diesem Kontext EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26) – Continental Can. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 27) – Continental Can. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 286. So Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 110; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 287; Wertheimer, in: Europees Kartelrecht anno 1980, 1981, S. 143 (198); abl. Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 82 a.E. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 288. S.u. Rn. 1392 ff.
§ 3 Missbräuchliche Ausnutzung
3.
525
Missbräuche
Regelmäßig entscheidend ist daher, ob durch einen Unternehmenszusammen- 1386 schluss eine missbräuchliche Ausnutzung einer bestehenden beherrschenden Stellung erfolgt. Weil es sich insoweit um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handelt, kann nicht die Marktbeherrschung als solche bereits als Missbrauch eingestuft werden. Zwar mag sie vielfach zu missbräuchlichen Verhaltensweisen führen.634 Dies kann aber nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit i.S.d. erforderlichen Nachweisbarkeit vorhergesagt werden.635 Das über die beherrschende Stellung hinausgehende Verhalten liegt jedoch bereits darin, dass über sie hinaus eine weitere Marktmacht durch die Einverleibung anderer Unternehmen geschaffen wird. Schon dadurch wird der Schutzzweck von Art. 82 EG tangiert, Restwettbewerb zu erhalten. Dieses Ziel wird jedenfalls dann gefährdet, wenn im Gefolge eines Unternehmenszusammenschlusses „nur noch Unternehmen auf dem Markt bleiben, die in ihrem Marktverhalten von dem beherrschenden Unternehmen abhängen“.636 Es soll schon genügen, wenn den verbleibenden Wettbewerbern kein ausrei- 1387 chendes Gegengewicht mehr zum Marktbeherrscher möglich ist. Bereits dann soll der Wettbewerb hinreichend stark beeinträchtigt sein, um einen Missbrauch anzunehmen.637 Dieses Merkmal, dass die noch vorhandenen Wettbewerber zum Marktbeherrscher kein hinreichendes Gegengewicht mehr zu bilden vermögen, ist jedoch schon ein erhebliches Indiz für eine marktbeherrschende Stellung, weil dann die Unternehmen nicht mehr eigenständig und unabhängig vom Marktbeherrscher agieren können.638 Damit drohen die Voraussetzungen für die erforderliche marktbeherrschende Stellung und das missbräuchliche Verhalten übereinzustimmen.639 Das Wesen eines missbräuchlichen Verhaltens durch Unternehmenszusammenschluss muss daher darin liegen, dass die Wettbewerber über das Normalmaß, welches eine beherrschende Stellung mit sich bringt, zusätzlich beeinträchtigt zu werden drohen. Der Missbrauch besteht deshalb allenfalls darin, dass ein Marktbeherrscher lediglich seine dominante Stellung weiter ausbauen will, ohne weitere sachliche Gründe wie die sinnvolle Ergänzung einer Produktpalette oder die Sanierung von zwei schwächelnden Partnern zu haben. Fehlen sie, lässt auf diese Zielrichtung die Tatsache von Unternehmenszusammenschlüssen regelmäßig schließen. Eine Verdrängungsabsicht muss daher gar nicht bestehen. Es genügt der Vorgang der eigenen Marktverstärkung, allerdings nur, soweit sie nicht Ausfluss des Leistungswettbewerbs ist,640 sondern etwa auf eine Ausschaltung einer nennenswerten Konkurrenz zielt.
634 635 636 637 638 639 640
Daher eine solche Annahme treffend Fikentscher, in: FS für Böhm, 1965, S. 261 (275 f.); Neri, CDE 1973, 239 (348 f.). Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 288. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26 a.E.) – Continental Can. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (247, Rn. 29) – Continental Can. S.o. Rn. 1206 f. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 285: nicht sehr weit entfernt. S.o. Rn. 1123.
526
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Dass sich derart sachlich nicht gerechtfertigt eine beherrschende Stellung verstärkt und umgekehrt der Wettbewerb weiter beschränkt wird, ist umso eher der Fall, je stärker die beherrschende Stellung bereits ist und je weiter sie ausgebaut wird, wie stark sie sich also nach dem Unternehmenszusammenschluss darstellt. Das bedeutet weiter gehend, dass dann, wenn eine bereits starke marktbeherrschende Stellung vorhanden ist, der Zuwachs nicht so stark sein muss, damit ein missbräuchliches Verhalten vorliegt, als wenn die bisherige beherrschende Marktstellung weniger ausgeprägt war. Das hängt allerdings nicht nur von den auf dem Markt erreichten Anteilen ab. Diese indizieren lediglich bei besonders hohen Werten eine marktbeherrschende Stellung. Dies kann sich jedoch auch daraus ergeben, dass etwa das technische oder wirtschaftliche Potenzial eines Unternehmens besonders stark ist und daher ein unabhängiges Agieren ohne Rücksicht auf andere erlaubt. In einem solchen Falle ist es etwa bedenklich, wenn ein ebenfalls auf diesen Gebieten starkes Unternehmen übernommen wird oder aber bisherige Schwächen des Marktbeherrschers kompensiert werden, indem ein Unternehmen mit beherrschender Stellung in einem anderen Mitgliedstaat übernommen wird. Eine missbräuchliche Ausnutzung kann aber nicht nur durch quantitative Er1389 weiterungen erfolgen, sondern auch durch qualitative. Haben etwa mehrere Unternehmen gemeinsam eine beherrschende Stellung inne, wird diese dadurch erheblich verstärkt, wenn sich diese Unternehmen zusammenschließen und damit zu einer viel intensiveren Zusammenarbeit gelangen, welche die gemeinsame Schlagkraft nochmals verstärkt und verdichtet. Ob ein Missbrauch vorliegt, ist abhängig vom Beherrschungsgrad, der durch einen solchen Übergang von kollektiver zu individueller Marktbeherrschung erzielt wird.641 Insgesamt ist darauf zu achten, dass gegenüber der Begründung einer marktbe1390 herrschenden Stellung nochmals ein beachtlicher Zusatz an wettbewerbsschädlicher Wirkung oder Bezweckung vorhanden sein muss, um ein missbräuchliches Verhalten anzunehmen. Ansonsten würde die Gleichgewichtigkeit der beiden Tatbestandsmerkmale marktbeherrschende Stellung und missbräuchliche Ausnutzung derselben nicht mehr gewahrt. Immer mehr würde die marktbeherrschende Stellung bereits selbst einen Missbrauch bilden. Dabei ist deren Erlangung und Innehabung selbst nicht verboten und daher hinzunehmen. Erst ihre missbräuchliche Ausnutzung fällt unter das Verdikt des Art. 82 EG. Freilich ist die Verantwortung eines Unternehmens umso größer, den Restwettbewerb zu erhalten, je stärker seine Stellung auf dem Markt ist. Daher genügen dann auch umso geringere wettbewerbshindernde Zusatzelemente, um einen Missbrauch annehmen zu können. Jedoch selbst dann, wenn eine marktbeherrschende Stellung durch ein vollständiges oder nahezu vollständiges Monopol begründet wird, bedarf es noch einer zusätzlichen wettbewerbsbezogenen Verschlechterung, um das Missbrauchsverbot eingreifen zu lassen. Das kann etwa durch das Übergreifen auf einen anderen Markt erfolgen, auf dem dann ein Unternehmen übernommen wird. 1388
641
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 289.
§ 4 Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch mehrere Unternehmen
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§ 4 Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch mehrere Unternehmen A.
Begründung einer beherrschenden Stellung
Art. 82 EG stellt die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung 1391 auf einem relevanten Markt durch ein oder durch mehrere Unternehmen gleich. Allerdings ist die erste Konstellation der Regelfall, wird doch das Verhalten mehrerer Unternehmen insbesondere durch das Kartellverbot in Art. 81 EG erfasst und finden sich dort nicht derart strenge Anforderungen für ein Verdikt. Insbesondere bedarf es dort keiner beherrschenden Stellung. Diese wird allerdings oft durch ein Unternehmen alleine nicht begründet. Das zeigte sich bereits im Rahmen der Unternehmenszusammenschlüsse, wo es ausreichen kann, dass mehrere Unternehmen zusammen wirken und so erst die Basis dafür schaffen, dass das Missbrauchsverbot eingreifen kann. Freilich ist auch eine missbräuchliche Ausnutzung durch mehrere Unternehmen denkbar, so wenn sich mehrere beherrschende Unternehmen enger zusammen schließen und so erst eine zusätzliche Dominanz schaffen, welche einen Missbrauch bildet.642 Der Schwerpunkt der Bedeutung mehrerer Unternehmen liegt allerdings in der 1392 Begründung einer beherrschenden Stellung. Damit werden also nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Marktbeherrschungen erfasst. Neben Unternehmenszusammenschlüssen kann eine solche gemeinsame Marktbeherrschung etwa erreicht werden, wenn mehrere Unternehmen ihre Strategie parallel schalten und dadurch Unternehmen aus Drittstaaten aus dem europäischen Markt fern halten wollen und so diesen gegenüber eine beherrschende Stellung begründen.643 Eine andere Fallvariante ist die, dass sich ein kleineres Unternehmen an die marktbeherrschende Stellung eines größeren anhängt und diese dadurch weiter verstärkt.644 Es muss mithin nicht notwendig eine rechtliche Verflechtung bestehen, sondern eine faktische Verbindung kann genügen. Eine rechtliche Verbindung ist insbesondere dann gegeben, wenn es sich zwar 1393 um rechtlich selbstständige Unternehmen handelt, diese aber derselben Muttergesellschaft bzw. Unternehmensgruppe zugehören und darüber dann zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst sind.645 Weiter kann eine rechtliche Verbindung daraus erwachsen, dass Unternehmen auf vertraglicher Basis zusammenarbeiten und damit auf die Mittel des Art. 81 Abs. 1 EG in Form einer Vereinbarung oder eines Beschlusses unter dem Dach einer Unternehmensvereinigung zurückgreifen. Das Missbrauchsverbot hat hier insoweit eigenständige Bedeutung, als die 642 643 644 645
Vgl. o. Rn. 1387 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 78, von dem auch die Begrifflichkeit individuelle und kollektive Marktbeherrschung stammt. S. EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1996, Rn. 378 ff.) – Suiker Unie. S. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2513 f., Rn. 21, 25) – Bodson; Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1519 f., Rn. 41 ff.) – Almelo; Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 (5104, Rn. 17) – La Crespelle; Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1458, Rn. 35) – Compagnie maritime belge transports.
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Kapitel 7 Missbrauchsverbot
Sanktionen stärker ausfallen können, weil die überhöhten Preise auf ein sich bei normalem Wettbewerb herausbildendes Niveau abgesenkt werden können.646 Eine faktische Verbindung kann dadurch entstehen, dass die drittgenannte Variante des Kartellverbotes praktiziert wird, nämlich eine abgestimmte Verhaltensweise. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Unternehmen parallel die Preise festlegen. Allerdings kann dies auch außerhalb einer solchen abgestimmten Verhaltensweise erfolgen, wenn die Unternehmen ohnehin in einer engen Verbindung zueinander stehen und daher ihr Verhalten aufeinander abstimmen, ohne dass dies auf einer näheren Absprache beruhen muss. Insoweit zählt auch ein bloßes Parallelverhalten, wenn es auf den wirtschaftlichen Umständen der einzelnen Unternehmen beruht. Man spricht von der Reaktionsverbundenheit mehrerer Unternehmen im engen Oligopol als mögliche Grundlage einer gemeinsamen Marktbeherrschung.647 Alleine aus diesem Grunde werden die so verbundenen Unternehmen keine eigenständige Preispolitik betreiben, weil sie keine Vorteile aus Senkungen oder Erhöhungen hätten, welche von den anderen Mitgliedern des Oligopols nicht getragen würden.648 Die Abnehmer stehen einem einheitlichen Angebot gegenüber und können daher nicht mehr näher auswählen. Entsprechendes gilt auf der Nachfrageseite, wenn diese aus wenigen Großabnehmern besteht und daher die Lieferanten mangels anderer Absatzmöglichkeiten sich den vorgegebenen Bedingungen fügen müssen.649 Am stärksten ausgeprägt ist die Verbundenheit naturgemäß bei einer rechtlichen Verflechtung über eine Muttergesellschaft bzw. Unternehmensgruppe. In diesem Rahmen kann die ganze Geschäftspolitik koordiniert bzw. vorgegeben werden. So verwundert es nicht, dass die Kommission Konzerne wie ein einziges Unternehmen einstuft.650 Indes handelt es sich gleichwohl um verschiedene Unternehmen, wenn sie rechtlich selbstständig sind. Praktikabilitätsgründe müssen insoweit zurücktreten.651 Art. 82 EG setzt gerade eine beherrschende Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen gleich und stellt daher ausschließlich auf den Unternehmensbegriff ab, nicht hingegen auf die wirtschaftliche Selbstständigkeit.652 Allerdings sind die faktischen Verbindungen tendenziell tatsächlich schwächer. Daher sind dort die Anforderungen an eine beherrschende Stellung stärker, weil 646 647
648 649 650 651 652
Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 82 gegen EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6010, Rn. 20) – Alsatel. H.M. Deringer, Art. 86 Rn. 49; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 63 ff.; Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 49; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 46; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 110 ff.; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 84; Goldman/Lyon-Caen/Vogel, Droit commercial européen, Rn. 536; a.A. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 69; nunmehr auch EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (838, Rn. 275 f.) – Gencor. Im Einzelnen Kantzenbach/Kruse, Kollektive Marktbeherrschung, 1987, S. 14 ff. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 84, 86. Z.B. KOME 88/138/EWG, ABl. 1988 L 65, S. 19 (Rn. 54) – Hilti; 88/501/EWG, ABl. 1988 L 272, S. 27 (Rn. 43) – Tetra Pak I. Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 9; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 81. S. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016, Rn. 21) – Höfner und Elser; Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 (4028, Rn. 14) – Fédération française des sociétés d´assurance.
§ 4 Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch mehrere Unternehmen
529
die a priori vorhandene Verbindung schwächer ausgeprägt ist. Entsprechend der Gleichstellung nach Art. 82 EG ist in allen Fallkonstellationen davon auszugehen, dass die zusammengezählten Unternehmen insgesamt eine derart beherrschende Stellung haben müssen wie ein einziges Unternehmen. Ein einzelner Marktbeherrscher zeichnet sich dadurch aus, dass er unabhängig von anderen agieren kann. Das setzt eine wirtschaftliche Machtstellung voraus, die ihm eine einheitliche Schlagkraft verleiht. Daher ist es notwendig, dass die mehreren Unternehmen derart miteinander verbunden sind, dass sie als wirtschaftliche Einheit angesehen werden können, um die Unabhängigkeit der anderen Unternehmen zu gefährden. Entscheidend ist daher in allen Fällen, ob die mehreren Unternehmen als kollektive Einheit auftreten und handeln. Bei Unternehmen, die über eine Muttergesellschaft oder eine Unternehmensgruppe miteinander verbunden sind, ist dies zu vermuten. Daher kann insoweit schon wegen der Unternehmensstruktur eine wirtschaftliche Einheit angenommen werden. Auch bei einer entsprechenden Vereinbarung, einem Beschluss oder einer ab- 1398 gestimmten Verhaltensweise erscheinen die Unternehmen als kollektive Einheit, die auf dem Markt in gleicher Weise zu agieren vermögen.653 Indes bedarf es hierzu noch einer zusätzlichen Verstärkung, weil ansonsten Art. 82 EG und Art. 81 EG gleichzusetzen wären. Entscheidend ist im Rahmen des Missbrauchsverbots, dass durch diese Koordinierung die Kartellmitglieder eine wirtschaftliche Macht erhalten, die es ihnen erlaubt, unabhängig von Mitbewerbern und Abnehmern aufzutreten.654 Bei einem Oligopol stellt sich die Frage vor allem, inwieweit eine Verbindung besteht, die über das bloße Parallelverhalten hinaus die Unternehmen als wirtschaftliche Einheit erscheinen lässt. Hierfür genügt etwa eine langfristige parallele Verhaltensweise, die anzeigt, dass eine entsprechende Verbindung besteht, die den Mitgliedern ein von anderen unabhängiges Verhalten ermöglicht. Strukturelle Verbindungen sind insoweit nicht erforderlich.655 Viel bedeutsamer ist der wirtschaftliche Druck, sich parallel zu verhalten, weil ansonsten wirtschaftliche Nachteile eintreten.656 Es sind damit die tatsächlichen Gegebenheiten, welche diese Unternehmen zu einer Einheit zusammenschweißen, nicht hingegen notwendig strukturelle oder rechtliche Verbindungslinien.
653 654 655
656
Z.B. EuGH, Rs. C-96/94, Slg. 1995, I-2883 (2912, Rn. 33) – Spediporto; Rs. C-140142/94, Slg. 1995, I-3257 (3296, Rn. 26) – DIP/Bassano del Grappa. EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1458, Rn. 35 f.) – Compagnie maritime belge transports. EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1548, Rn. 358) – SIV; auch Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (838, Rn. 275) – Gencor; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 64; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 49; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 110; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 85. Vgl. im Rahmen der Fusionskontrolle EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1519, Rn. 221) – Kali und Salz; für Art. 82 EG EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (838, Rn. 276) – Gencor; in diesem Kontext diesen Entscheidungen folgend Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 85 a.E.
530
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
B.
Gemeinsame missbräuchliche Ausnutzung
1399 Mehrere Unternehmen können auch gemeinsam die missbräuchliche Ausnutzung verwirklichen. Das ist dann der Fall, wenn sie zusammen agieren. Dabei müssen aber nicht alle Unternehmen gleichzeitig handeln. Es genügt, wenn verteilte Rollen eingenommen werden und damit erst durch eine Kombination sämtlicher Verhaltensweisen eine missbräuchliche Ausnutzung erfolgt.657 Damit ist es auch möglich, dass etwa ein besonders hervorstechendes Unternehmen die missbräuchliche Verhaltensweise an den Tag legt und sich dabei auf die Unterstützung der anderen Unternehmen etwa im Rahmen eines Oligopols verlassen kann, mithin dadurch erst zu einer solchen Verhaltensweise in die Lage versetzt wird. Entscheidend ist dann, dass eine missbräuchliche Ausnutzung mit einer beherrschenden Stellung einher geht. Dies genügt, ohne dass eine Kausalitätsbeziehung notwendig wäre.658
§ 5 Potenzielle Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels A.
Notwendige Transnationalität
1400 Art. 82 EG verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur, soweit sie dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Es genügt also nicht, wenn die Wirkungen von vornherein auf das Gebiet eines Mitgliedstaates beschränkt bleiben, sondern es muss wie im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG der grenzüberschreitende Leistungsaustausch beeinträchtigt werden können. Ist dies nicht der Fall, findet allenfalls das nationale Wettbewerbsrecht Anwendung.659 Damit grenzt diese Klausel den Geltungsbereich von nationalem und gemeinschaftlichem Kartellrecht gegeneinander ab. Die Funktion ist also identisch mit der Zwischenstaatlichkeitsklausel nach Art. 81 Abs. 1 EG. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung des EuGH eine einheitliche Auslegung.660 Die Parallelität zum Kartellverbot bezieht sich sogar auf die Formel für die Eig1401 nung, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen: es muss „sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen“ lassen, dass die entsprechende Verhaltensweise „den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mit-
657 658 659 660
S. nur etwa Deringer, Art. 86 Rn. 45; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 77. S.o. Rn. 1168 f. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin; Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 (6008, Rn. 11) – Alsatel. S. neben dem Urteil Hugin z.B. EuGH, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794, Rn. 29) – L´Oréal; s. daher ausführlich zum Folgenden die parallelen Überlegungen zum Kartellverbot o. Rn. 79, 644 ff.
§ 5 Potenzielle Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels
531
telbar, tatsächlich oder potenziell in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen kann“.661
B.
Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel oder die Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt
I.
Gefährdungsklausel
Ausgehend von der Zwecksetzung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsre- 1402 geln und ihrer notwendigen Abgrenzung zum nationalen Recht fallen nach dem EuGH alle Verhaltensweisen darunter, „die geeignet sind, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig sein kann“. Als Mittel werden dabei insbesondere benannt: dass „die nationalen Märkte abgeschottet werden oder die Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt verändert wird“.662 Vom Ansatz her geht es also weniger darum, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich beeinträchtigt wird, sondern um eine Gefährdung dieser Freiheit. Damit müssen nicht konkrete Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel feststellbar sein. Auf entsprechende Feststellungen verzichten sowohl Rechtsprechung als auch Verwaltungspraxis.663 Vielmehr hebt die Entscheidung Hugin auf die Erhaltung der Freiheit des 1403 grenzüberschreitenden Handels als solcher ab. Diese darf nicht gefährdet werden. Insoweit werden auch Rahmenbedingungen einbezogen. Daher müssen noch nicht einmal tatsächliche Verhaltensweisen vorliegen, die konkrete bzw. direkte Rückwirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel erwarten lassen. Auch strukturelle Beeinflussungen genügen. Eine solche Beeinflussung kann insbesondere darin liegen, dass nationale Märkte abgeschottet werden. Das kann etwa durch Alleinvertriebsabreden erfolgen. Insoweit treten allerdings regelmäßig dadurch Rückwirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel auf, dass dieser zwischen dem betroffenen Mitgliedstaat und den anderen Mitgliedstaaten nicht mehr in dieser Weise erfolgen kann. Das betrifft insbesondere auch den Dienstleistungsverkehr,
661
662 663
EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 (5692, Rn. 54) – DLG; EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1266, Rn. 201) – Compagnie maritime belge transports, explizit bezogen sowohl auf eine Vereinbarung zwischen Unternehmen als auch auf eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17) – Hugin. Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 198; s. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3522 f., Rn. 104) – Michelin; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 32) – Höfner und Elser; Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (522, Rn. 76) – RTE; Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 (566 f., Rn. 64) – BBC; bereits KOME 71/224/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 15 (26) – GEMA.
532
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
der dadurch in seiner Freiheit erheblich behindert wird, obwohl er eines der Vertragsziele ist.664 Ein Beispiel ist auch die Entscheidung United Brands, in welche der Marktbe1404 herrscher seine Bananen nicht mehr an einen Lieferanten abgab, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig war und sich daher aus anderen Bezugsquellen versorgen musste. Hier griff ein entsprechendes Ausfuhrverbot ein. Der EuGH hat konkrete Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel nicht näher untersucht, sondern solche im Gegenteil für entbehrlich gehalten. Besteht das Ziel, einen Konkurrenten auszuschalten, muss dieses Verhalten den Handel zwischen Mitgliedstaaten gar nicht notwendig betreffen, sofern nur „feststeht, dass diese Ausschaltung Konsequenzen auf die Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt haben wird“. Dann sieht der EuGH bereits „den gewöhnlichen Ablauf des Handels beeinflusst und eine spürbare Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten“ gegeben.665 Dies entspricht dem Hintergrund, einen Zustand wirksamen Wettbewerbs nach Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG zu erhalten. Bereits so wird der Verbraucher mittelbar benachteiligt, er muss daher nicht unmittelbar geschädigt werden können. II.
Die Antastungen der Wettbewerbsstruktur
1405 Die möglichen Auswirkungen auf die Konkurrenzstruktur im Gemeinsamen Markt sind daher umfassend einzubeziehen.666 Insbesondere Unternehmenszusammenschlüsse tasten vielfach lediglich die Wettbewerbsstruktur an, ohne dass konkrete Beeinträchtigungen des grenzüberschreitenden Handels absehbar wären.667 Allerdings führt eine solche Strukturbetrachtung noch nicht zwingend zu einer Handelsbeeinträchtigung, auch wenn sie solchermaßen gleichsam fingiert wird.668 So hat der EuGH im Urteil Hugin den zwischenstaatlichen Handel deshalb auch nicht potenziell als beeinträchtigt angesehen, weil das von einem Missbrauch beeinträchtigte Unternehmen lediglich in einem Mitgliedstaat regional tätig war und auch keine räumliche Ausdehnung seines Tätigkeitsbereiches beabsichtigte.669 Diese Möglichkeit wurde damit dem Unternehmen freilich auch potenziell genommen. Durch die Marktstrukturbetrachtung allein wäre dieses Element eigentlich auch nicht zum Tragen gekommen, weil Absichten in diesem Rahmen keine Rolle spielen können. Zudem wird so auch ausgeschlossen, dass mögliche Auswirkungen auf andere Unternehmen in den Blick geraten, woraus sich dann auch Rück-
664
665 666 667 668 669
EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2514, Rn. 24) – Bodson; bereits Rs. 22/79, Slg. 1979, 3275 (3288 f., Rn. 12) – Greenwich Film Production; Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (505, Rn. 38) – GVL. EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (299, Rn. 198/202) – United Brands. Bereits EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (254, Rn. 32 f.) – Commercial Solvents. S.o. Rn. 1118, 1387 ff. Zur Vorsicht mahnend Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einl. E. Rn. 46. Näher EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 (1899, Rn. 17 ff.) – Hugin.
§ 5 Potenzielle Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels
533
wirkungen auf gemeinschaftliche Warenströme ergeben können, indem sich etwa andere Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr halten können.670 So hat denn auch die Rechtsprechung in den Fällen, in denen ein Wettbewerber 1406 vom Markt verdrängt werden sollte, eine Eignung zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsstruktur und damit auch des Handels zwischen den Mitgliedstaaten gesehen.671 Regelmäßig gehen die Beeinträchtigung von Wettbewerbsstrukturen und zu erwartende tatsächliche Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel miteinander einher.672 So prüft das EuG im Nachsatz, nachdem es eine Antastung der Marktstruktur bejaht hat, dass der Wettbewerb zwischen den Betroffenen beeinträchtigt werden kann, woraus regelmäßig eine tatsächliche Beeinträchtigung hervorzugehen vermag.673 Im Urteil Irish Sugar verlangt das EuG allerdings generell, dass im Hinblick 1407 auf eine potenzielle spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten „die Auswirkungen auf die Struktur eines wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt zu berücksichtigen“ sind.674 Damit zerfließen wiederum die Veränderung von Wettbewerbsstrukturen und das Merkmal einer möglichen Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels, indem Ersteres nur im Rahmen des Letzteren geprüft werden kann und damit schwerlich allein zu stehen vermag. Dies ist höchstens dadurch möglich, dass allein schon durch die Veränderung der Wettbewerbsstruktur der Nachweis geführt wird, dass das Verhalten des Marktbeherrschers geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wie es die Rechtsprechung als Grundlage verlangt.675 Insoweit schließt sich der Kreis derart, dass die Veränderung der Wettbewerbsstruktur ein maßgebliches Indiz für eine mögliche Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ist und damit keine eigene Grundlage bildet, sondern in den Duktus der übrigen Rechtsprechung eingefügt werden kann. Damit verschwinden auch die Bedenken, dass die Zwischenstaatlichkeitsklausel ihre selbstständige Bedeutung verliert und im Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung aufgeht.676 Im Übrigen gewinnt das Kriterium der Wettbewerbsstruktur auch im Rahmen des Missbrauchsverbotes erst dadurch seine Bedeutung, dass es zu grenzüberschreitenden Einwirkungen führt, so dass die Zwischenstaatlichkeit als Voraussetzung bleibt.677
670 671 672 673 674 675
676 677
Krit. auch Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 298. EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1267, Rn. 203) – Compagnie maritime belge transports. Näher Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 295 f. EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1267, Rn. 203) – Compagnie maritime belge transports. EuG, Rs. T-228/97, Slg. 1999, II-2969 (3041, Rn. 170) – Irish Sugar. EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1266, Rn. 201) – Compagnie maritime belge transports unter Anknüpfung an die frühere Rechtsprechung, so EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (828, Rn. 69) – Magill, wo wiederum die frühere Rechtsprechung ausgehend vom Urteil Michelin in Bezug genommen wird; dazu o. Rn. 1401 f. So Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Einl. E. Rn. 14 a.E. Darauf abhebend Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 267, zudem mit dem Verweis auf die Verquickung mit der Beeinträchtigung der Handelsströme.
534
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
C.
Spürbarkeit
1408 Insbesondere in den jüngeren Entscheidungen nimmt die Rechtsprechung im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten die Spürbarkeit hinzu. Der Missbrauch einer beherrschenden Stellung muss also zu einer spürbaren Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels führen können.678 Die Spürbarkeit wird allerdings nicht näher definiert. In den Magill-Entscheidungen wird sie allerdings dadurch konkretisiert, dass 1409 sie als eindeutig durch den Umstand bewiesen gilt, dass eine spezifische Nachfrage nach dem praktisch unmöglich gemachten Erzeugnis besteht. Diese wird aus dem Erfolg qualitativ schwächerer Konkurrenzerzeugnisse geschlossen.679 Danach ist Voraussetzung jedenfalls beim Ausschluss eines Konkurrenzproduktes, dass dieses überhaupt Zugang auf den Markt bekommen kann und damit zugleich Gegenstand von Handelsströmen zu werden vermag. Ist dies allerdings nicht der Fall, vermag auch der Handel zwischen den Mitgliedstaaten gar nicht beeinträchtigt zu werden. Die Spürbarkeit hat höchstens dann einen zusätzlichen Stellenwert, wenn es auf den quantitativen Erfolg eines solchen Produktes ankommt. Dieses darf also nicht nur zu einem ganz geringen Prozentsatz auf dem Markt Fuß fassen können. Dadurch gewinnt das Merkmal der notwendigen potenziellen Beeinträchtigung 1410 des grenzüberschreitenden Handels aber eine erhebliche zusätzliche praktische Bedeutung, die darüber hinausgeht, dass der Marktbeherrscher bereits auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes präsent ist und dadurch auch erst eine beherrschende Stellung erlangt.680 Zudem mag dann Wettbewerb durch die beherrschende Stellung zwar praktisch eliminiert sein.681 Hier geht es aber darum, inwieweit potenzieller Wettbewerb möglich ist und inwieweit er auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes derart Fuß fassen könnte, dass sein Ausschluss spürbar ist. Praktische Bedeutung erlangt das Kriterium außerdem dann, wenn die Missbräuche nicht auf dem beherrschten Markt erfolgen, sondern auf einem anderen; dann kann schon aus der beherrschenden Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes nicht auf die Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung auf einem anderen Markt geschlossen werden.682
678
679 680 681 682
S. etwa EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 (828, Rn. 69) – Magill in Fortentwicklung noch von Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 32) – Höfner und Elser, worauf verwiesen wird, obgleich die Spürbarkeit dort nicht erwähnt wird; ohne näheren Bezug Rs. C-215 u. 216/96, Slg. 1999, I-135 (181, Rn. 60) – Bagnasco; EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (523, Rn. 77) – RTE; Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 (567 f., Rn. 65) – BBC; Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 (1266, Rn. 201) – Compagnie maritime belge transports; Rs. T-228/97, Slg. 1999, II-2969 (3041, Rn. 170) – Irish Sugar. EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 (523, Rn. 77) – RTE; Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 (567 f., Rn. 65) – BBC. Darum das Kriterium für überflüssig haltend Koch, in: Grabitz/Hilf, 4. Lieferung 1986, Art. 86 Rn. 85. Darauf abstellend GA Reischel, EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (591) – Hoffmann-La Roche. Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 269.
§ 6 Rechtfertigung von Verstößen
535
Das Spürbarkeitskriterium kann nur bedingt parallel zum Kartellverbot festge- 1411 legt werden. Es zählen insoweit die Marktanteile des Marktbeherrschers, ob dies nun ein oder mehrere Unternehmen sind. Zudem ist entsprechend dem Zweck des Missbrauchsverbots darauf abzustellen, inwieweit Restwettbewerb erhalten bleibt. Dieser wird umso mehr gefährdet, je größer die Konkurrenzunternehmen sind, welche durch den Missbrauch beeinträchtigt werden. Beachtlich sind auch schon Wettbewerber von mehr als 5 %. Ab dieser Schwelle soll daher die Spürbarkeit zu bejahen sein.683 Es stellt sich allerdings die Frage, ob hier überhaupt Marktanteilsschwellen wei- 1412 ter helfen können. Die Stärke der Wettbewerber hängt nicht nur von ihrem Marktanteil ab, sondern auch von ihrer finanziellen und technischen Kapazität. Daher kommt es eher darauf an, inwieweit sie sich aus diesem Zuschnitt heraus gegen den Marktbeherrscher behaupten können. Soweit dies der Fall ist und sie erheblich behindert werden, liegt eine Spürbarkeit vor. Das gilt insbesondere dann, wenn sie vom Markteintritt gänzlich abgehalten werden.
§ 6 Rechtfertigung von Verstößen Das Missbrauchsverbot enthält keinen Rechtfertigungstatbestand, vergleichbar zu 1413 Art. 81 Abs. 3 EG.684 Eine Freistellung oder sonstige Legitimation ist daher grundsätzlich ausgeschlossen. Es erfolgt also keine Abwägung zwischen den Vorteilen des missbräuchlichen Verhaltens und ihren Nachteilen. Lediglich bei der Bestimmung, ob überhaupt ein missbräuchliches Verhalten vorliegt, ist eine Bewertung vorzunehmen, soweit dies im Rahmen des Missbrauchsverbotes vorgesehen ist. Das gilt insbesondere für die Beispielstatbestände, die angemessene Preise bzw. Geschäftsbedingungen vorsehen (lit. a)) oder unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen (lit. c)), aber auch im Rahmen der Einschränkung verschiedener Wirtschaftsvorgänge (lit. b)). Entscheidender Maßstab ist dabei, inwieweit eine Festsetzung bestimmter Ge- 1414 schäftsbedingungen bzw. die Einschränkung bestimmter Wirtschaftsvorgänge noch durch ein adäquates wirtschaftliches Reaktionsmuster begründet ist.685 Es geht dabei also darum, inwieweit bei immanenter Betrachtung vernünftige wirtschaftliche Erwägungen das Vorgehen des Marktbeherrschers bestimmen, so dass es sich nicht um den Missbrauch einer beherrschenden Stellung handelt, sondern um ein Verhalten im Rahmen des normalen Leistungswettbewerbs. Es handelt sich mithin um eine systemimmanente Betrachtung, nicht um eine Abwägung mit außerökonomischen Umständen, wie dies im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG erfolgt. Damit handelt es sich aber um tatbestandsbegründende Elemente, nicht um eine Rechtfertigung. Diese ist vielmehr gänzlich ausgeschlossen.
683 684 685
Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 270. S.o. Rn. 1149. S.o. z.B. Rn. 1254, 1266, 1270 f., 1275, 1278.
536
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
§ 7 Rechtsfolgen A.
Effektives Verbot
1415 Art. 82 EG erklärt die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung zwar für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten, ordnet aber keine konkrete Rechtsfolge wie Art. 81 Abs. 2 EG an. Die dort festgelegte Nichtigkeit passt indes auch im Rahmen des Kartellverbotes nicht voll für faktische Verhaltensweisen.686 Solche faktischen Verhaltensweisen sind im Rahmen des Missbrauchsverbots tendenziell häufiger, weil die Innehabung einer marktbeherrschenden Stellung die Ausübung von Druck nahe legt. Gleichwohl verlangt der unbedingte Verbotscharakter des Art. 82 EG, dass die mit dem gemeinsamen Markt unvereinbaren und verbotenen Ergebnisse missbräuchlichen Verhaltens ungeschehen gemacht werden. Sie dürfen keinen Bestand haben, da ansonsten die durch den Missbrauch erreichte Festigung oder Verstärkung einer beherrschenden Marktposition die Folge wäre, was Art. 82 EG von seiner ganzen Anlage her gerade verhindern will.687 Damit verlangt Art. 82 EG insbesondere eine effektive Durchsetzung der Ver1416 botsanordnung. Dadurch sind auch die nationalen Regelungen vorgeprägt. Im Übrigen bestimmen sie über die näheren zivilrechtlichen Folgen des Missbrauchsverbotes, wie dies auch im Rahmen von Art. 81 EG der Fall ist.688 Parallel zum Kartellverbot liegen auch die verwaltungsrechtlichen Konsequenzen. Sie werden in der VO (EG) Nr. 1/2003 näher geordnet.689 Danach entfällt insbesondere die Möglichkeit, sich im Vorhinein das Nichteingreifen des Missbrauchsverbotes bestätigen zu lassen, namentlich durch ein Negativattest der Kommission;690 nur ein Beratungsschreiben kann in bestimmten Fällen ergehen.691 Die Unternehmen haben daher selbst zu prüfen, ob ihr Verhalten missbräuchlich nach den Maßstäben des Art. 82 EG ist. Unmittelbare Folgen eines missbräuchlichen Verhaltens erwachsen somit aus 1417 nationalem Recht. Soweit diese Folgen ausgesprochen und durchgesetzt werden müssen, hat dies unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu erfolgen.692 Der Effektivitätsgrundsatz hat daher auch hier überragende Bedeutung.693 Prozessrechtlich darf die Geltendmachung nicht schwieriger sein als die vergleichbarer, aber rein nationalrechtlicher Ansprüche. Die Geltung des Missbrauchsverbots im nationalen Recht ergibt sich allein schon dadurch, dass es ne686 687 688 689 690 691 692 693
S.o. Rn. 1090. S.o. Rn. 1112 ff. S. daher ausführlich o. Rn. 1093 ff. Ausführlich u. Rn. 1423 ff. u. bes. 1567 ff. S.o. Rn. 133. S.u. Rn. 1562 ff. EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (317, Rn. 12/14) – BRT/SABAM II; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (851, Rn. 45) – Ahmed Saeed Flugreisen. S.o. Rn. 1102 ff. sowie EuGH, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 (4047, Rn. 31) – Palmisani; Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (6324, Rn. 29) – Courage und Crehan.
§ 7 Rechtsfolgen
537
ben ihrem Verfassungsrang im Gemeinschaftsrecht auch zum ordre public jedes Mitgliedstaats zählt.694
B.
Unwirksamkeit
Daher können gegen Art. 82 EG verstoßende Rechtsgeschäfte regelmäßig nur als 1418 unwirksam angesehen werden, wie dies in den Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten auch bestimmt ist.695 Lediglich in diesem Rahmen besitzen die nationalen Stellen einen gewissen Spielraum.696 Damit ist im Wesentlichen nur unbeachtlich, woraus sich die Unwirksamkeit ergibt. In Deutschland kommt dafür § 138 BGB in Betracht,697 der ein sittenwidriges Verhalten voraussetzt. Ein missbräuchliches Verhalten ist aber nicht immer sittenwidrig,698 außer man lädt den Begriff der Sittenwidrigkeit insoweit gemeinschaftsrechtlich auf. Dieses Weges bedarf es aber nicht. § 134 BGB ordnet die Nichtigkeit aufgrund eines Verbotsgesetzes an und Art. 82 EG stellt ein solches dar.699 Daneben bleibt eine Nichtigkeit aufgrund von § 134 BGB nicht ausgeschlossen, 1419 wenn im Einzelfall ein zugleich sittenwidriges Verhalten vorliegt.700 Dass Art. 82 EG nicht ausdrücklich die Nichtigkeit wie Art. 81 Abs. 2 EG anordnet, ergibt keinen unterschiedlichen Gehalt und wirkt insoweit nicht begrenzend.701 Vielmehr zählt insoweit das nationale Recht nur so lange, wie es die effektive Durchsetzung des Missbrauchsverbotes sicherstellt, welches insoweit dem Kartellverbot gleichzustellen ist. Die Rechtsfolgen haben daher dieselbe Intensität aufzuweisen. Rechtliche Bindungen zwischen beherrschendem und beherrschten Unternehmen sind damit grundsätzlich ausgeschlossen und zwar für die Vergangenheit wie für die Zukunft.702
694 695 696
697
698 699
700
701 702
EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 (3092, Rn. 36) – Eco Swiss. Näher die Darstellung von Braakman, Die Anwendung der Art. 85 und 86 des EGVertrags durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, 1997. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 56. S. auch EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (317, Rn. 12/14) – BRT/SABAM II; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (851, Rn. 45) – Ahmed Saeed Flugreisen. Für dessen ausschließliche Anwendung v. Gamm, Kartellrecht, 1979, Anhang zu § 22 GWB, Art. 86 Rn. 19; Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 134; Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 208. Vgl. allgemein zum Missbrauch einer Macht- oder Monopolstellung Heinrichs, in: Palandt, § 138 Rn. 92; Sack, in: Staudinger, § 138 Rn. 250 ff. Z.B. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 82 Rn. 44; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 100; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 27; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 55. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 82 Rn. 44; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 278; mit Einschränkungen Baur/Weyer, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 – Zivilrechtsfolgen Rn. 24. A.A. v. Gamm, Kartellrecht, 1979, Anhang zu § 22 GWB, Art. 86 Rn. 19; Gleiss/ Hirsch, Art. 86 Rn. 134. S.o. Rn. 1089 für das Kartellverbot.
538
Kapitel 7 Missbrauchsverbot
C.
Die Grenzen der Nichtigkeit
1420 Das Missbrauchsverbot bezweckt u.a. den Schutz der Unternehmen, zu deren Lasten das marktbeherrschende Unternehmen agierte. Der schwächere Teil kann etwa darauf angewiesen sein, dass er von dem marktbeherrschenden Unternehmen beliefert wird. Ihm nützt es daher nichts, wenn der Vertrag z.B. mit unangemessenen Geschäftsbedingungen nach Art. 82 lit. a) EG gänzlich unwirksam ist. Die für den schwächeren Teil notwendige Lieferbeziehung wird jedoch aufrecht erhalten, wenn die unangemessenen Geschäftsbedingungen an das normale Maß angeglichen werden. Nur dann erleidet er entsprechend dem Schutzzweck des Missbrauchsverbotes keine Nachteile. Entsprechendes gilt bei Diskriminierungen nach Art. 82 lit. c) EG und bei unzulässigen Koppelungsgeschäften nach Art. 82 lit. d) EG.703 Im Übrigen greift der Grundsatz der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB. Das gilt etwa bei Einschränkungen der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung nach Art. 82 lit. b) EG, wenn sie nur Teil eines Vertrages sind, welcher im Übrigen und ohne diese Einschränkungen einen normalen Geschäftsverkehr gewährleisten würde. Außerhalb der Tatbestände des Art. 82 lit. a)-d) EG geht es zumeist um Wett1421 bewerbsnachteile für Mitbewerber. Insoweit ist die Situation mit Art. 81 EG vergleichbar, nur dass gegen Art. 82 EG auch und vor allem ein Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung verstoßen kann. Daher sind insoweit die missbräuchlichen Klauseln durchgehend nichtig,704 und nur die übrigen vertraglichen Abmachungen können nach § 139 BGB aufrecht erhalten werden.705 Das gilt auch bei missbräuchlichen Unternehmenszusammenschlüssen.706 Es besteht keine vergleichbare Abhängigkeit des Mitbewerbers zum Abnehmer, der auf den Bezug von Waren oder Dienstleistungen des Marktbeherrschers angewiesen ist. Soweit Schäden zurückbleiben, sei es auf Seiten der Mitbewerber, sei es bei nicht an vertraglichen Abreden oder Unternehmenszusammenschlüssen beteiligten Dritten, helfen Schadensersatzansprüche weiter.
D.
Unterlassung und Schadensersatz
1422 Wie im Rahmen des Kartellverbotes begründen auch Verstöße gegen das Missbrauchsverbot Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche.707 Nur so können fak703 704
705 706
707
Dirksen, in: Langen/Bunte, Art. 82 Rn. 208; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 59. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 Rn. 60 f. auch zum Folgenden; anders aus Gründen öffentlichen Interesses Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 30, um eine Rückabwicklung von Massengeschäften zu vermeiden. S.o. Rn. 1093 ff. A.A. allerdings die h.M., etwa Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 135; Mailänder, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 86 Rn. 100; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 32. Wie hier Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 Rn. 282. S. etwa Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 134; Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 82 Rn. 44; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 33.
§ 7 Rechtsfolgen
539
tische Zuwiderhandlungen abgestellt und etwaige Schäden umfassend ersetzt werden. Damit sind diese Ansprüche Ausfluss des effet utile von Art. 82 EG.708 Die Realisierung ggf. erfolgt freilich auf nationaler Anspruchsgrundlage. Art. 82 EG bildet wie Art. 81 EG aufgrund des parallelen Schutzes individueller Interessen von Konkurrenten, Abnehmern und Verbrauchern ein Schutzgesetz,709 obgleich insoweit keine ausdrückliche Entscheidung von EuGH oder BGH vorliegt. Daher greifen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB ein. Auch in den anderen Mitgliedstaaten bestehen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche.710
708 709 710
Vgl. zum Kartellverbot o. Rn. 1102. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 86 Rn. 33; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 Rn. 62; teilweise anders Baur, EuR 1988, 257 (263 f.). Im Einzelnen Braakman, Die Anwendung der Art. 85 und 86 des EG-Vertrags durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, 1997.
Teil IV Kartellverfahren und Fusionskontrolle
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
§ 1 Allgemeines A.
Einführung
Das europäische Kartellverfahrensrecht umfasst alle verfahrensrechtlichen Rege- 1423 lungen, die für die Anwendung des europäischen Kartellrechts von Bedeutung sind. Dies sind sowohl Verfahrensregelungen, die das Verfahren vor der Kommission betreffen, als auch Regelungen, die sich auf das Verfahren bei der Anwendung von Art. 81, 82 EG durch die nationalen Wettbewerbsbehörden beziehen. Darüber hinaus sind auch der Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden im Rahmen der Anwendung des europäischen Kartellrechts und die Verfahrensweisen hinsichtlich bei der Kommission eingereichter Beschwerden von Bedeutung. Die Durchführung der in den Art. 81 und 82 EG niedergelegten Wettbewerbs- 1424 regeln ist größtenteils in einer auf Vorschlag der Kommission erlassenen Verordnung des Rates geregelt.1 Diese VO (EG) Nr. 1/20032 löst die vorherige sog. Durchführungsverordnung Nr. 173 aus dem Jahre 1962 ab.4 Ein wichtiger Eckpunkt der neuen Verordnung ist der Wechsel von dem zuvor geltenden Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen mit Erlaubnisvorbehalt zu einer Legalausnahme vom Wettbewerbsverbot für alle Wettbewerbsbeschränkungen, welche die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen.5 Zuvor waren sämtliche Wettbewerbsbe1
2 3
4
5
Zur Vorgeschichte näher Krumstroh, Das Weißbuch und der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Modernisierung der Anwendung der Vorschriften der Art. 81 und 82 EG und deren Einfluss auf nationale Wettbewerbsregeln, Kartellbehörden und Gerichte, 2004. Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artikel 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1. VO Nr. 17 des Rates – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABl. Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1216/1999, ABl. 1999 L 148, S. 5. Auf die Frage der geeigneten Rechtsgrundlage für diese VO wird hier nicht eingegangen; näher o. Rn. 734 ff. Nachdem eine Nichtigkeitsklage gegen die VO nicht erhoben worden ist, können wir über diese Frage neu nachdenken, wenn ein Gericht uns doch noch durch Vorlage nach Art. 234 EG dazu zwingen sollte, wie Schmidt, BB 2003, 1237 (1238) sehr zutreffend bemerkt. Hierzu o. Rn. 132.
544
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
schränkungen verboten; sofern die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vorlagen, konnten sie jedoch ausnahmsweise erlaubt werden. Nunmehr sind alle Wettbewerbsbeeinträchtigungen, welche die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, gar nicht erst verboten.6 Diesem Prinzip der Legalausnahme entspricht eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EG, die zuvor ebenfalls verneint wurde.7 Ferner ist in der neuen Verordnung eine dezentrale Anwendung des europäi1425 schen Kartellrechts durch die nationalen Wettbewerbsbehörden wie auch die Gerichte der Mitgliedstaaten vorgesehen.8 Das in der neuen Verordnung festgeschriebene Verfahrensrecht ist Grundlage der folgenden Darstellung.9 Auf die Bestimmungen der mittlerweile obsoleten Durchführungsverordnung Nr. 17 wird nicht mehr eingegangen.
B.
Behördenzuständigkeiten
1426 Verfahrensrechtlich ist zunächst von Bedeutung, welche Behörden für die Anwendung der Art. 81 und 82 EG zuständig sind. Art. 4 und 5 VO (EG) Nr. 1/2003 errichten in diesem Zusammenhang ein System paralleler Zuständigkeiten auf europäischer und auf nationaler Ebene. Es gibt somit auf Gemeinschaftsebene und auf nationaler Ebene zuständige Behörden. Materiell-rechtlich entspricht dem die Anwendung des europäischen Kartellrechts sowohl durch die Kommission als auch durch die nationalen Wettbewerbsbehörden.10 I.
Auf Gemeinschaftsebene
1427 Zuständige Behörde für die Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Gemeinschaftsebene ist die Kommission. Sie verfügt zu diesem Zweck über die in der VO (EG) Nr. 1/2003 vorgesehenen Befugnisse (Art. 4). II.
Auf nationaler Ebene
1428 Zugleich sind gem. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Anwendung des europäischen Kartellrechts in Einzelfällen zuständig. Welche Behörde in den jeweiligen Mitgliedstaaten als nationale Wettbewerbsbehörde zu qualifizieren ist, haben die Mitgliedstaaten gem. Art. 35 VO 6 7 8 9
10
S.o. Rn. 725 ff. Vgl. hierzu Koenigs, DB 2003, 755 (755 ff.). Dazu Schmidt, BB 2003, 1237 (1238 f.); Weitbrecht, EuZW 2003, 69 (69 f.). Weitbrecht, EuZW 2003, 69 (70); teilw. primärrechtliche Bedenken äußernd Pace, EuZW 2004, 301 (301 ff.). Näher die Kommentare von Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005; Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach, EG-KartellVO, 2004; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004. Vgl. dazu u. Rn. 1462 ff.
§ 1 Allgemeines
545
(EG) Nr. 1/2003 zu bestimmen. Auch Gerichte können von den Mitgliedstaaten als nationale Wettbewerbsbehörden festgelegt werden.11 Hintergrund dieser Bestimmung sind die in den jeweiligen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterschiedlichen Strukturen im Bereich der Wettbewerbsbehörden. Während in einigen Mitgliedstaaten eine Wettbewerbsbehörde sowohl den Sachverhalt ermittelt als auch das Verfahren durchführt und eine abschließende Entscheidung trifft, existiert in anderen Mitgliedstaaten eine Zweiteilung des Verfahrens: Eine Verwaltungsbehörde ermittelt den Sachverhalt, während eine andere, mit quasirichterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Stelle das Verfahren durchführt und die Entscheidungen trifft.12 III.
Das Netzwerk der Wettbewerbsbehörden
Art. 11-14 VO (EG) Nr. 1/2003 regeln die Zusammenarbeit zwischen den nationa- 1429 len Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission in einem Netzwerk, in dem das europäische Wettbewerbsrecht in enger Zusammenarbeit angewendet wird.13 1.
Die Zusammenarbeit
Art. 11 VO (EG) Nr. 1/2003 regelt zunächst, dass die Kommission und die Wett- 1430 bewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft eng zusammenarbeiten.14 Weitere Einzelheiten über die Zusammenarbeit im Netzwerk sind in der Netzwerkbekanntmachung der Kommission geregelt.15 a)
Allgemeines
Zum Zweck der Zusammenarbeit im Netzwerk übermittelt die Kommission den 1431 Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten gem. Art. 11 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 eine Kopie der wichtigsten Schriftstücke, die sie für eine der nach Art. 710 und 29 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 möglichen Entscheidungsformen zusammengetragen hat. Sofern die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Art. 81 und 82 EG anwenden, sind sie gem. Art. 11 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 verpflichtet, die Kommission vor Beginn oder unverzüglich nach Einleitung der ersten förmlichen Ermittlungshandlung schriftlich zu unterrichten. Darüber hinaus haben 11 12
13 14 15
Art. 35 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 8 Rn. 6 f. m.w.N.; vgl. auch Netzwerkbekanntmachung, Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 2). Erwägungsgründe 15 ff. VO (EG) Nr. 1/2003. Zu den Konsequenzen v.a. für das Bundeskartellamt Böge, EWS 2003, 441 ff. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43.
546
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
sie die Kommission spätestens 30 Tage vor Erlass einer Entscheidung, mit der die Abstellung einer Zuwiderhandlung angeordnet wird, Verpflichtungszusagen angenommen werden oder der Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung entzogen wird, hiervon zu unterrichten. Zu diesem Zweck sind gem. Art. 11 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 eine zusam1432 menfassende Darstellung des Sachverhalts und die in Aussicht genommene Entscheidung bzw. die geplante Vorgehensweise zu übermitteln, auf Ersuchen der Kommission auch sonstige zur Beurteilung des Falles erforderliche Unterlagen. Die Unterrichtung der Kommission kann auch den Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden. Dies betrifft sowohl die Unterrichtung von der Einleitung des Verfahrens wegen einer eventuellen Zuwiderhandlung gegen Art. 81, 82 EG als auch die Unterrichtung über die in Aussicht genommene Entscheidung. Die Kommission kann innerhalb der 30 Tage Stellung zu der in Aussicht genommenen Entscheidung nehmen. Dieses System der Information im Netzwerk soll die kohärente Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts sicherstellen. Dementsprechend ist die Einstellung von Verfahren, deren Eröffnung dem Netzwerk mitgeteilt worden ist, ebenfalls mitzuteilen.16 Darüber hinaus können die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten gem. 1433 Art. 11 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 die Kommission in jedem Fall konsultieren, in dem es um Anwendung des Gemeinschaftsrechts geht. In der Praxis werden diese wechselseitigen Unterrichtungen durch die Einrichtung eines Intranets ermöglicht, das nur den Mitgliedern des Netzwerkes zugänglich ist.17 Sie dienen dazu, mehrfach geführte Verfahren im Netzwerk erkennen sowie die Fälle ggf. umverteilen zu können.18 b)
Selbsteintrittsrecht der Kommission
1434 Im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden mit dem System der parallelen Zuständigkeiten der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden ist ein Selbsteintrittsrecht der Kommission in Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 vorgesehen. Sobald die Kommission ein Verfahren einleitet, entfällt die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden; diese können das Verfahren somit nicht mehr führen. Leitet die Kommission als erste Behörde ein Verfahren ein, so können die nati1435 onalen Behörden in derselben Sache mangels Zuständigkeit kein Verfahren mehr einleiten. Sofern bereits ein Verfahren bei einer nationalen Wettbewerbsbehörde anhängig war, so zieht die Kommission innerhalb der Fallverteilungsphase von zwei Monaten19 nach Information des Netzwerks über die Verfahrenseinleitung das Verfahren erst nach Konsultierung der nationalen Behörde und einer schriftli16 17 18 19
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 43 ff.). Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 8. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 16 ff.); vgl. dazu u. Rn. 1455 ff. Vgl. dazu sogleich Rn. 1455.
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chen Erläuterung der Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber dem Netzwerk an sich.20 Nach Ablauf dieser Fallverteilungsphase zieht die Kommission das Verfahren 1436 nur in Ausnahmefällen an sich. Solche Ausnahmefälle sind der absehbare Erlass widersprüchlicher Entscheidungen, der Erlass von mit gesicherter Rechtsprechung in Widerspruch stehenden Entscheidungen, die unangemessene Verzögerung eines Verfahrens, wenn die Kommissionsentscheidung zur Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik erforderlich ist oder wenn die betreffende Behörde keine Einwände erhebt.21 Während mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zwei drohende widersprüchliche Entscheidungen von Netzwerksmitgliedern stets genügen, damit die Kommission den Fall auch nach Abschluss der Fallverteilungsphase an sich ziehen kann, muss der Widerspruch zur Praxis der Kommission bzw. der Gemeinschaftsgerichte offensichtlich sein. Das ist vor allem dann der Fall, wenn eindeutig von einer gefestigten oder auf eindeutigen Grundsätzen beruhenden Praxis abgewichen wird. Insoweit ist an eine umgekehrte Heranziehung der acte claire doctrine22 zu denken:23 Die Kommission kann immer dann eingreifen, wenn in diesem Sinne die Rechtslage klar ist, so dass die nationale Stelle keinen Auslegungsspielraum hat. Ist sie hingegen unklar, so dass vorgelegt werden müsste, mithin das Recht einer Fortentwicklung bedarf, stellt sich vielmehr die Frage, ob eine klärende Kommissionsentscheidung zur Weiterentwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik erforderlich ist. Die Frage einer überlangen Verfahrensdauer bestimmt sich nach den Umständen des Falles aus Sicht der Kommission.24 Wenn die Kommission von diesem Recht, das Verfahren an sich zu ziehen, 1437 Gebrauch macht, besteht gegen diese Entscheidung für die betroffenen Unternehmen kein Rechtsschutz. Es handelt sich um eine Zwischenentscheidung im Verfahren, die nicht isoliert anfechtbar ist.25 Der Mitgliedstaat, dessen nationaler Wettbewerbsbehörde das Verfahren entzogen worden ist, kann gem. Art. 14 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1/2003 zunächst beantragen, dass der Fall auf die Tagesordnung des Beratenden Ausschusses gesetzt wird. Sofern sich Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Ausübung des Eintrittsrechts durch die Kommission nicht beilegen lassen, soll der betreffende Mitgliedstaat die Verfahrenseinleitung durch die Kommission mittels Klage gem. Art. 230 EG angreifen können.26 Das widerspricht allerdings der letztlich dominanten Stellung der Kommission nach dem System des 20 21 22 23 24 25 26
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 55). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 54). Grundlegend EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 (3429, Rn. 14; 3430, Rn. 16) – C.I.L.F.I.T. Für entsprechende Übertragung Leopold, EWS 2004, 539 (542). Leopold, EWS 2004, 539 (542 f.). Vgl. EuGH, Rs. 60/81, Slg. 1981, 2639 (2654, Rn. 21 ff.) – IBM zu den Rechtsakten der Verfahrenseröffnung und der Mitteilung der wesentlichen Beschwerdepunkte. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 11; näher Leopold, EWS 2004, 539 (545 f.).
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Kartellverfahrensrechts.27 In den Grundsätzen der Netzwerkbekanntmachung ist eine Art Selbstbeschränkung zu sehen, die nicht rechtlich vorgezeichnet ist – schon gar nicht durch den offen formulierten Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003, welcher die Grundlage für das Selbsteintrittsrecht bildet. Der nach Art. 14 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1/2003 heranzuziehende Beratende Ausschuss ist gem. Art. 14 Abs. 5 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 mit seiner Stellungnahme lediglich zu berücksichtigen.28 c)
Austausch von Informationen
1438 Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003 regelt den Austausch von Informationen und Beweismitteln im Netzwerk und stellt Beweisverwertungsregeln für die ausgetauschten Beweismittel auf. Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden sind befugt, sich zum alleinigen Zweck der Anwendung der Art. 81, 82 EG tatsächliche und rechtliche Umstände einschließlich vertraulicher Angaben mitzuteilen und diese als Beweismittel zu verwenden. Die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung richtet sich nach dem nationalen 1439 Recht derjenigen Behörde, die die Beweiserhebung durchgeführt hat.29 Die Zulässigkeit der Beweisverwertung regelt Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003. Beweise dürfen nur für den Gegenstand verwertet werden, für den sie von der übermittelnden Behörde erhoben wurden. Lediglich für den Fall, dass parallel zum europäischen Kartellrecht im Einzelfall das nationale Recht angewendet wird und zu denselben Ergebnissen führt, dürfen die übermittelten Beweismittel gem. Art. 12 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 auch für die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts verwendet werden. Die ausgetauschten Beweismittel dürfen zur Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen uneingeschränkt verwendet werden. Dies ergibt sich aus Art. 12 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003, welcher lediglich für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen Beweisverwertungsbegrenzungen ausspricht.30 Für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen dürfen die Be1440 weismittel nur verwendet werden, wenn das Recht der übermittelnden Behörde ähnliche Sanktionen für eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbots vorsieht oder wenn bei der Erhebung der Beweismittel hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte natürlicher Personen das gleiche Schutzniveau gewährleistet war, das dem des nationalen Rechts der empfangenden Behörde und damit derjenigen Behörde, die eine Sanktion gegen die natürliche Person verhängt, entspricht. In diesem Fall darf das Beweismittel jedoch von der empfangenden Behörde nicht zur Verhängung von Haftstrafen verwendet werden. Diese Beweisverwertungsregelung wird kritisiert, weil sie, auch i.V.m. der nach 1441 Art. 28 VO (EG) Nr. 1/2003 geltenden Verschwiegenheitsverpflichtung für alle 27 28 29 30
S.o. Rn. 171, 183 ff. S.u. Rn. 1449. Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 27). Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 15 und sehr krit. in Bezug auf den hierdurch eingeschränkten Schutz von Geschäftsgeheimnissen § 5 Rn. 28 ff.
§ 1 Allgemeines
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Mitarbeiter der Wettbewerbsbehörden des Netzwerks, dem Schutz der Verteidigungsrechte und des Berufsgeheimnisses nicht hinreichend Rechnung tragen soll. Dieser Missstand könne durch eine Anpassung der nationalen Prozessrechte behoben werden.31 Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003 beinhaltet keine Sonderbestimmungen für Kron- 1442 zeugen. Dabei sind sie bei einer Offenbarung gegenüber der Kommission nur dann vor Bußgeldern in der betreffenden Sache von Seiten nationaler Wettbewerbsbehörden gefeit, wenn die offenbarten Informationen nicht weitergegeben werden dürfen. Eine Übermittlung durch die Kommission ist daher lediglich dann und insoweit möglich, als der Steller eines Kronzeugenantrags einverstanden ist oder einen parallelen Antrag bei der um Informationsübermittlung ersuchenden Stelle gestellt hat oder diese Stelle eine Verwendungsbeschränkung garantiert, so dass gegen den Antragsteller oder sonstige gleichfalls schützenswerte Personen wie Tochterunternehmen und Mitarbeiter keine Sanktionen verhängt werden.32 d)
Aussetzung oder Einstellung des Verfahrens
Sind mehrere Wettbewerbsbehörden des Netzwerks gleichzeitig in einem Fall en- 1443 gagiert, so können diejenigen Behörden, die nicht als erste mit dem Fall befasst waren, das Verfahren mit der Begründung aussetzen oder einstellen, dass eine andere Behörde bereits mit der Sache befasst ist. Dies setzt voraus, dass die andere Behörde in dem Fall ein eigenes Verfahren durchführt, unabhängig davon, ob diese andere Behörde von Amts wegen, aufgrund einer anderen Beschwerde oder infolge derselben Beschwerde tätig geworden ist. Es genügt, wenn die Vereinbarung oder Verhaltensweise dieselbe Zuwiderhandlung auf den gleichen sachlich und räumlich relevanten Märkten betrifft.33 Auch die Kommission kann mit dieser Begründung eine Beschwerde zurückweisen. Dasselbe gilt, wenn eine andere Behörde in der Vergangenheit bereits mit dem Fall befasst gewesen ist. Art. 13 VO (EG) Nr. 1/2003 ermöglicht eine Aussetzung oder Einstellung des 1444 Verfahrens, verpflichtet die Behörden jedoch nicht dazu. Eine Behörde kann nach eigenem Ermessen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände das Verfahren aussetzen und das Ergebnis des Verfahrens einer anderen Behörde abwarten, sie kann das Verfahren einstellen oder aber auch weiter betreiben. Im Fall der Aussetzung oder Einstellung können die Informationen gem. Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003 an diejenige Behörde übermittelt werden, die den Fall bearbeitet.34 Die Aussetzung oder Einstellung gem. Art. 13 VO (EG) Nr. 1/2003 kann sich auch nur auf einen Teil des Verfahrens beziehen. Neben dieser Möglichkeit der Aussetzung 31 32
33 34
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 16 f. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 40 f.). Näher zum Ganzen Blake/ Schnichels, EuZW 2004, 551 (552 ff.) sowie u. Rn. 1460 f. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 20 f.). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 22 f.).
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oder Einstellung eines Verfahrens nach Art. 13 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission eine Beschwerde wegen mangelnden Gemeinschaftsbezugs abweisen. Oder die nationalen Wettbewerbsbehörden können das Verfahren nach nationalem Verfahrensrecht einstellen.35 2.
Der Beratende Ausschuss
1445 Ein institutionelles Instrument der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission ist der Beratende Ausschuss. Der Beratende Ausschuss ist gem. Art. 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 vor jeder Entscheidung der Kommission in einem Wettbewerbsverfahren anzuhören, mit der Bußoder Zwangsgelder verhängt werden, der Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung entzogen oder nach den Art. 7-10 VO (EG) Nr. 1/2003 vorgegangen wird. Bei dieser Erörterung von Einzelfällen setzt sich der Beratende Ausschuss aus Vertretern der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zusammen. Diese können sich nach Art. 14 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 bei Abwesenheit vertreten lassen. Das Verfahren der Anhörung ist ebenfalls in Art. 14 VO (EG) Nr. 1/2003 geregelt. Die Anhörung kann mündlich oder im Wege des schriftlichen Verfahrens erfolgen. a)
Anhörung des Beratenden Ausschusses
1446 Bei einer mündlichen Anhörung beruft die Kommission eine Sitzung ein. Der Einberufung wird eine Darstellung des Sachverhaltes unter Angabe der wichtigsten Schriftstücke und des vorläufigen Entscheidungsvorschlags beigefügt. Frühestens 14 Tage nach Absendung der Einberufung findet eine Sitzung unter Vorsitz der Kommission statt, in der die Anhörung erfolgt. Bei einer Anhörung vor dem Erlass einer einstweiligen Maßnahme durch die Kommission beträgt die Ladungsfrist gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nur sieben Tage. Sofern die Einberufung eine kürzere Ladungsfrist enthält, kann die Sitzung zum vorgeschlagenen Termin stattfinden, wenn keiner der Mitgliedstaaten einen Einwand erhebt, Art. 14 Abs. 3 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003. Der Beratende Ausschuss nimmt gem. Art. 14 Abs. 3 S. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 1447 zu dem Entscheidungsvorschlag der Kommission schriftlich Stellung. Die Stellungnahme wird auf Antrag mindestens eines der Mitglieder des Ausschusses mit einer Begründung versehen, Art. 14 Abs. 3 S. 6 VO (EG) Nr. 1/2003. Die Stellungnahme kann nach Art. 14 Abs. 3 S. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 auch dann abgegeben werden, wenn einzelne Mitglieder des Ausschusses weder anwesend noch vertreten sind. Die schriftliche Stellungnahme wird dem Entscheidungsentwurf beigefügt. Wenn der Beratende Ausschuss dessen Veröffentlichung empfiehlt, so veröffentlicht die Kommission ihn gem. Art. 14 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. 35
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 24 f.).
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Die Anhörung des Beratenden Ausschusses kann auch im Wege des schriftli- 1448 chen Verfahrens erfolgen, wenn keiner der Mitgliedstaaten die Einberufung einer Sitzung beantragt. Ansonsten beruft die Kommission eine Sitzung ein. Im Fall der Anhörung im schriftlichen Verfahren setzt die Kommission den Mitgliedstaaten eine Frist von mindestens 14 Tagen zur Übermittlung ihrer Bemerkungen. Vor dem Erlass einstweiliger Maßnahmen beträgt die Frist mindestens sieben Tage. Gem. Art. 14 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 gilt genau wie bei der Einberufung einer Sitzung eine von der Kommission vorgeschlagene kürzere Frist, wenn keiner der Mitgliedstaaten einen Einwand erhebt. Die Stellungnahmen des Beratenden Ausschusses haben keine bindende Wir- 1449 kung für die Kommission. Diese ist vielmehr gem. Art. 14 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 lediglich dazu verpflichtet, die Stellungnahme des Ausschusses so weit wie möglich zu berücksichtigen. b)
Sonstige Aufgaben des Beratenden Ausschusses
Neben der Anhörung des Beratenden Ausschusses in Fällen, in denen die Kom- 1450 mission Art. 81 und 82 EG anwendet, kann der Beratende Ausschuss sich auch mit Fällen befassen, in denen die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Art. 81 und 82 EG anwenden. In diesem Zusammenhang setzt die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates oder aus eigener Initiative nach Unterrichtung der betreffenden nationalen Wettbewerbsbehörde einen solchen Fall auf die Tagesordnung des Beratenden Ausschusses. Dies ist insbesondere für die Konstellation vorgesehen, dass die Kommission einen Fall nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 an sich gezogen hat. Damit übernimmt der Beratende Ausschuss die Aufgabe einer Schiedsstelle, wenn die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörde und der Kommission von den betreffenden Behörden unterschiedlich beurteilt wird.36 In diesen Fällen gibt der Beratende Ausschuss keine Stellungnahme ab.37 Lässt sich dennoch kein Einvernehmen über die Frage der zuständigen Behörde erzielen, so soll der betroffene Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Kommission mit der Klage nach Art. 230 EG angreifen können, was aber der allgemeinen Zuständigkeitsverteilung mit Dominanz der Kommission widerspricht.38 Darüber hinaus kann der Beratende Ausschuss auch allgemeine Fragen des ge- 1451 meinschaftlichen Wettbewerbsrechts erörtern. Dies betrifft insbesondere Verordnungsentwürfe der Kommission, Verordnungen des Rates sowie Bekanntmachungen der Kommission.39 Sofern dies der Fall ist und mithin in der Sitzung des Beratenden Ausschusses keine Einzelfälle erörtert werden, kann gem. Art. 14 Abs. 2 36
37 38 39
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 24; vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 62). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 61). Vgl. dazu bereits o. Rn. 171, 183 ff. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 63 f.).
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 neben dem Vertreter der nationalen Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaates, der Mitglied des Beratenden Ausschusses ist, zusätzlich ein weiterer für Wettbewerbsfragen zuständiger Vertreter des jeweiligen Mitgliedstaats bestimmt werden. 3.
Amtshilfe
1452 Art. 22 VO (EG) Nr. 1/2003 sieht vor, dass die Wettbewerbsbehörden des Netzwerkes sich bei der Sachverhaltsaufklärung gegenseitig Amtshilfe leisten. Die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind nur zu Ermittlungen in ihrem eigenen Hoheitsgebiet befugt. Sofern sie zur Sachverhaltsaufklärung Ermittlungen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats durchführen wollen, müssen sie sich gem. Art. 22 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 an die Wettbewerbsbehörde des betreffenden Mitgliedstaats wenden. Diese führt dann im Namen und an Stelle der ersuchenden Behörde die Ermittlungen durch. Die erlangten Informationen und Beweismittel werden der ersuchenden Behörde nach Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003 übermittelt. Die Ermittlungen richten sich nach dem nationalen Verfahrensrecht der ersuchten Behörde. Zur näheren Ausgestaltung liegt es nahe, Regelungen zur Durchführung der zwischenstaatlichen Amtshilfe in das nationale Wettbewerbsrecht einzufügen.40 Gem. Art. 22 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 besteht auch für die Kommission die 1453 Möglichkeit, durch Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Nachprüfungen vornehmen zu lassen, die sie gem. Art. 20 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 bei Unternehmen für erforderlich hält oder bestimmten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen gegenüber durch Entscheidung nach Art. 20 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 angeordnet hat. Die ersuchte Behörde nimmt die Ermittlungen nach Maßgabe ihres nationalen Rechts vor. 4.
Konkurrenzen
1454 Aufgrund des Systems der parallelen Zuständigkeiten von Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden kann es zu konkurrierenden Zuständigkeiten bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts kommen, wenn gem. Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 nationale Wettbewerbsbehörden in einem konkreten Fall neben dem nationalen Wettbewerbsrecht des jeweiligen Mitgliedstaates das europäische Kartellrecht anwenden. a)
Grundsätze der Fallverteilung nach der Netzwerkbekanntmachung
1455 Die Kommission hat die Grundsätze der Fallverteilung in Abschnitt 2.1 der Netzwerkbekanntmachung geregelt.41 Die Netzwerkbekanntmachung geht davon aus, 40 41
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 33. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 5 ff.).
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dass ein Fall bei der grundsätzlich gegebenen parallelen Zuständigkeit aller Wettbewerbsbehörden des Netzwerkes sowohl von einer einzelnen nationalen Wettbewerbsbehörde bearbeitet werden kann als auch von nationalen Wettbewerbsbehörden mehrerer Mitgliedstaaten parallel als auch von der Kommission. I.d.R. wird ein Fall bei der Behörde verbleiben, die ein Verfahren eingeleitet hat. Eine Umverteilung soll möglichst nur zu Beginn des Verfahrens innerhalb von zwei Monaten nach Information des Netzwerks nach Art. 12 VO (EG) Nr. 1/2003 erfolgen. Nach dem Ablauf von zwei Monaten soll nur umverteilt werden, wenn sich der bekannte Sachverhalt im Lauf des Verfahrens wesentlich ändert.42 Eine Umverteilung kommt nur dann in Betracht, wenn die verfahrenseröffnen- 1456 de Behörde nicht „gut geeignet“ ist, sich des Falles anzunehmen oder wenn andere Behörden sich ebenfalls für „gut geeignet“ für den Fall halten. Eine Behörde ist „gut geeignet“ zur Bearbeitung des Falls, wenn das Kartell wesentliche unmittelbare tatsächliche oder absehbare Auswirkungen auf den Wettbewerb innerhalb des Hoheitsgebiets dieser Behörde hat, in ihrem Hoheitsgebiet umgesetzt wird oder ihren Ursprung hat, die Behörde die gesamte Zuwiderhandlung wirksam beenden kann und zur Erhebung der zum Nachweis der Zuwiderhandlung erforderlichen Beweise in der Lage ist. Dementsprechend wird eine nationale Wettbewerbsbehörde allein den Fall be- 1457 arbeiten, wenn der Wettbewerb hauptsächlich in ihrem Hoheitsgebiet beeinträchtigt wird oder wenn die Durchführung des Verfahrens beispielsweise wegen der Belegenheit der Beweismittel durch diese Behörde effizienter ist als ein paralleles Verfahren durch mehrere nationale Behörden. Ist dagegen der Wettbewerb in mehreren Mitgliedstaaten beeinträchtigt und ist das Verfahren durch eine nationale Wettbewerbsbehörde für das Abstellen der Zuwiderhandlung nicht ausreichend, kommt es zu der parallelen Bearbeitung durch mehrere nationale Wettbewerbsbehörden. Die Kommission ist besonders gut zur Bearbeitung eines Falles geeignet, der Auswirkungen auf den Wettbewerb in mehr als drei Mitgliedstaaten hat oder der eng mit anderen Gemeinschaftsbestimmungen verknüpft ist, die ausschließlich oder effizienter von der Kommission angewandt werden können.43 b)
Rechte der betroffenen Unternehmen und Kronzeugenprogramme
Die Grundsätze der Fallverteilung im Netzwerk und ggf. die Neuverteilung eines 1458 Falles an eine gut geeignete Behörde sind rein interne Maßnahmen, gegen die weder Rechtsschutz noch eine vorherige Anhörung der betroffenen Unternehmen vorgesehen sind. Die Netzwerkbekanntmachung sieht lediglich vor, dass die Betroffenen nach der Umverteilung hierüber informiert werden.44
42 43 44
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 19). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 14 f.). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 34); krit. hierzu Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 42.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Diese Vorgabe wird insbesondere im Hinblick auf Kronzeugenregelungen kritisiert. Kronzeugenprogramme sind Regelungen, die Mitgliedern eines Kartells Bußgeldminderungen einräumen, die das Bestehen des Kartells offen legen und die erforderlichen Beweismittel zur Verfügung stellen. Die Netzwerkbekanntmachung sieht vor, dass für Kronzeugen nur bei derjenigen Behörde eine Privilegierung besteht, bei der diese beantragt wurde. Der Aufnahme des Verfahrens durch eine andere Behörde des Netzwerks, welche dem Antragsteller diese Privilegien nicht gewährt, steht nichts entgegen. Deswegen ist der Kronzeuge gehalten, seine privilegierte Behandlung bei allen Behörden zu beantragen, die das Verfahren aufnehmen könnten.45 Die Weitergabe der durch diese Behörden erlangten Informationen und Be1460 weismittel im Netzwerk ist eingeschränkt. Die vom Antragsteller freiwillig mitgeteilten Informationen sowie die infolge dessen erlangten weiteren Informationen und Beweismittel werden nur übermittelt, wenn der Antragsteller seine Zustimmung erteilt hat. Hat dieser seine Zustimmung einmal erteilt, so kann er sie nicht mehr widerrufen. Die Übermittlung ist auch ohne Zustimmung des Antragstellers zulässig, wenn die Informationen an eine Behörde übermittelt werden, bei der der Antragsteller ebenfalls einen Antrag auf Behandlung als Kronzeuge gestellt hat. Oder die empfangende Behörde hat eine schriftliche Verpflichtungszusage abgegeben, dass weder sie noch von ihr informierte andere Behörden des Netzwerks die Informationen oder infolge dieser Informationen später erlangte Informationen dazu verwenden werden, gegen den Antragsteller, sonstige durch das Kronzeugenprogramm geschützte natürliche oder juristische Personen sowie deren Mitarbeiter und ehemalige Mitarbeiter Sanktionen zu verhängen.46 Diese Regelungen können zu einer Garantie der Bußgeldfreiheit für den Antragsteller führen, wenn mangels anderweitig verwertbarer Beweise kein Bußgeld gegen ihn verhängt werden kann.47 Im Rahmen der Zusammenarbeit der Kommission mit den nationalen Gerichten 1461 wird die Kommission von einem Antragsteller auf Kronzeugenbehandlung freiwillig bekannt gemachte Informationen nicht ohne sein Einverständnis an nationale Gerichte weitergeben.48 Die Einleitung eines formellen Verfahrens gegen einen Kronzeugen durch die Kommission führt dagegen auch dann, wenn die Kommission gem. Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 das Verfahren an sich zieht, dazu, dass den nationalen Wettbewerbsbehörden die Zuständigkeit für die Anwendung 1459
45
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Sofern diese Behörden über eine Kronzeugenregelung verfügen und das Risiko ihres Tätigwerdens besteht. Hierzu lassen sich aus der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 Anhaltspunkte entnehmen, vgl. hierzu Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551 (554 f.). Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 (Rn. 39 ff.); krit. hierzu Schwarze/ Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 9 Rn. 48 ff. Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551 (553). Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 54 (Rn. 26).
§ 1 Allgemeines
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der Art. 81, 82 EG entzogen wird. Für die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts bleiben sie nach wie vor innerhalb der Grenzen des Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 zuständig. Deswegen schützt die privilegierte Behandlung als Kronzeuge durch die Kommission das betreffende Unternehmen nicht vor einem nationalen Verfahren in derselben Sache.49
C.
Verhältnis Gemeinschaftsrecht und nationales Recht
In der VO (EG) Nr. 1/2003 ist auch das Verhältnis der nationalen Wettbewerbs- 1462 rechte zum Gemeinschaftsrecht, hier zu Art. 81 und 82 EG, geregelt. Diese Regelung bezieht sich auf das Verhältnis des materiellen nationalen Rechts zum Gemeinschaftsrecht. Darüber hinaus ist auch von Bedeutung, wie sich das nationale Verfahrensrecht zu dem in VO (EG) Nr. 1/2003 geregelten Verfahrensrecht verhält. I.
Materiell-rechtlich
Das Verhältnis der nationalen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen zu Art. 81, 1463 82 EG legt Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 fest. Dieser bestimmt, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten, die das nationale Wettbewerbsrecht auf Sachverhalte anwenden, die sich wegen Erfüllung der Zwischenstaatlichkeitsklausel ebenfalls unter Art. 81 oder 82 EG subsumieren lassen, auch die Bestimmungen des EG anwenden. Die nationalen Wettbewerbsbehörden wenden dann grundsätzlich beide Rechtsordnungen parallel an, ohne freilich zur Anwendung ihres eigenen Rechts verpflichtet zu sein. Wird es herangezogen, darf es gem. Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht zum Verbot von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen nach Art. 81 Abs. 1 EG führen, die den Wettbewerb nicht im Sinne dieser Vorschrift einschränken, die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 erfüllen oder durch eine Verordnung zur Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG erfasst sind.50 Dies führt zu einer faktischen Verdrängung des nationalen Wettbewerbsrechts im Anwendungsbereich des Art. 81 EG.51 Eine Vereinbarung kann nach nationalem Recht nur verboten werden, wenn sie 1464 auch gegen Art. 81 EG verstößt. Sie darf im Gegenzug nicht unbeanstandet blei-
49
50 51
Anders Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551 (554), die ohne Begründung und entgegen dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 davon ausgehen, dass den nationalen Behörden auch die Zuständigkeit für die Anwendung des nationalen Kartellrechts entzogen wird. Umfassend zum Ganzen o. Rn. 152 ff. Darin einen Verstoß gegen das Erforderlichkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EG sehend Pace, EuZW 2004, 301 (303 ff.). Indes ist Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 Teil eines Gesamtsystems und sichert den tatsächlichen Vorrang der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln.
556
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
ben, wenn sie Art. 81 EG verletzt.52 Diese Verdrängungswirkung kommt jedoch nur dann zustande, wenn die Vereinbarung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet ist und somit die Anwendungsschwelle des europäischen Kartellrechts erreicht wird.53 In allen anderen Fällen bleibt es bei der ausschließlichen Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts durch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden. Einseitige Handlungen von Unternehmen dürfen die nationalen Behörden der 1465 Mitgliedstaaten dagegen nach nationalem Recht strenger ahnden oder unterbinden. Dasselbe gilt für die Anwendung nationaler Vorschriften, die überwiegend ein von den Art. 81 und 82 EG abweichendes Ziel verfolgen.54 Dies sind insbesondere nationale Vorschriften, welche der Unterbindung unlauterer Handelspraktiken dienen.55 II.
Verfahrensrechtlich
1.
Grundsatz
1466 Im Hinblick auf das Verfahrensrecht gilt grundsätzlich, dass die Kommission das Verfahrensrecht der VO (EG) Nr. 1/2003 anwendet, während die mitgliedstaatlichen Behörden dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht unterliegen. Allerdings sind in der VO (EG) Nr. 1/2003 gewisse Vorgaben für die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts durch die Behörden der Mitgliedstaaten enthalten. Der Grundsatz der Anwendung des nationalen Verfahrensrechts durch die je1467 weiligen nationalen Wettbewerbsbehörden führt dazu, dass insbesondere die Möglichkeit, neben der Verhängung von Bußgeldern gegen Unternehmen auch natürlichen Personen Bußgelder aufzuerlegen, sich ebenfalls nach nationalem Recht bestimmt. Die einzelnen Rechtsordnungen sehen in diesem Zusammenhang sowohl unterschiedliche Bemessungsmethoden als auch unterschiedliche Höchstgrenzen für die Verhängung von Bußgeldern vor, so dass je nach anwendbarem nationalen Recht deutlich unterschiedliche Sanktionen verhängt werden können.56 2.
Vorgaben der VO (EG) Nr. 1/2003
1468 Die VO (EG) Nr. 1/2003 enthält gewisse Vorgaben für die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts durch die nationalen Behörden. Zunächst legt Art. 35 VO (EG) Nr. 1/2003 fest, dass die jeweils zuständigen nationalen Wettbewerbsbehörden von den Mitgliedstaaten bestimmt werden. Darüber hinaus bestimmt Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003, welche Handlungsweisen den nationalen Behörden bei der 52 53 54 55 56
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 12 ff. Vgl. dazu o. Rn. 640 ff., 1400 ff. S.o. Rn. 159 ff. Erwägungsgrund 9 der VO (EG) Nr. 1/2003. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 22 ff.
§ 2 Kommissionsverfahren
557
Anwendung des europäischen Kartellrechts zur Verfügung stehen.57 Die nationalen Behörden dürfen einstweilige Maßnahmen oder die Abstellung von Zuwiderhandlungen anordnen, Verpflichtungszusagen annehmen und Geldbußen, Zwangsgelder sowie sonstige nach nationalem Recht vorgesehene Sanktionen verhängen. Darüber hinaus dürfen die nationalen Behörden entscheiden, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht, wenn nach den ihnen vorliegenden Informationen die Voraussetzungen für ein Verbot nicht gegeben sind. Grund für diese für andere Behörden und Gerichte unverbindliche Entscheidung kann sowohl sein, dass die nationale Behörde das ihr zustehende Ermessen dahin gehend ausgeübt hat, kein Verfahren einzuleiten, als auch, dass das eingeleitete Verfahren zum Ergebnis einer fehlenden Verletzung der Art. 81, 82 EG geführt hat.58 Der Wortlaut des Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 steht der Wiedereinführung natio- 1469 naler Freistellungsentscheidungen im Bereich des nationalen Rechts zwar nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch wegen Art. 10 EG dazu verpflichtet, kein der VO (EG) Nr. 1/2003 entgegenlaufendes System zu etablieren. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass sich das nationale Wettbewerbsrecht und Art. 81, 82 entsprechen.59 Der Vorschlag, auf nationaler Ebene eine Anmeldeverpflichtung für Vereinbarungen zu begründen, die unter Art. 81 Abs. 3 EG fallen,60 ist mit dem in Art. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 festgelegten Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EG allerdings unvereinbar, wenn die Anmeldepflicht konstitutiv und nicht lediglich deklaratorisch gestaltet wird.61
§ 2 Kommissionsverfahren A.
Einleitung und Aktivitäten im Vorfeld
Ein bedeutendes Element des europäischen Kartellverfahrensrechts sind die Rege- 1470 lungen des Verfahrens vor der Kommission. Diese sind größtenteils in der VO (EG) Nr. 1/2003 niedergelegt. Darüber hinaus besteht die VO (EG) Nr. 773/2004,62 in der nähere Konkretisierungen der Verfahrensregeln enthalten sind. Außerdem existieren Bekanntmachungen der Kommission zu einzelnen Aspekten des Verfahrensrechts.
57 58 59 60 61 62
S. näher u. Rn. 1606 ff. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 16 f. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 18. So Möschel, WuW 2003, 571. Diesen Unterschied übersehen Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 3 Rn. 19. VO (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7.4.2004 über die Durchführung von Verfahren auf Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission, ABl. L 123, S. 18.
558
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Die Kommission leitet ein Verfahren durch Beschluss ein. Dies kann zu jeder Zeit vor der Mitteilung der wesentlichen Beschwerdepunkte gem. Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 oder der Veröffentlichung einer Mitteilung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 erfolgen. Die Kommission ist dazu befugt, die ihr zustehenden Ermittlungsbefugnisse bereits vor der Eröffnung eines Verfahrens auszuüben. Sie ist darüber hinaus nicht dazu verpflichtet, infolge jeder Beschwerde ein Verfahren einzuleiten. Eine Beschwerde kann auch zurückgewiesen werden, ohne dass ein Verfahren eröffnet wird.63 Zwar sieht die VO (EG) Nr. 1/2003 kein Anmeldeverfahren mehr vor. Jedoch 1472 können sich die Unternehmen mit der Bitte an die Kommission wenden, ein Beratungsschreiben zu erhalten. Das setzt aber voraus, dass es sich um neuartige Fragen handelt, die also weder durch die Rechtsprechung noch die Kommissionspraxis noch durch Leitlinien geklärt sind. Voraussetzung ist ein Ersuchen, das den Sachverhalt und die Neuartigkeit der gestellten Fragen näher darlegt.64 Die Kommission beantwortet ein solches Ersuchen freilich nur, wenn sie keine anderen Prioritäten setzen muss und es sich um entsprechend gewichtige Fälle handelt.65 1471
B.
Ermittlungsbefugnisse
I.
Bedeutung
1473 Die Kommission verfügt gem. Art. 17-21 VO (EG) Nr. 1/2003 über gewisse Ermittlungsbefugnisse, von denen sie zur Aufklärung des Sachverhalts Gebrauch machen kann. Voraussetzung für die Vornahme von Ermittlungshandlungen ist jedoch immer ein konkreter Anfangsverdacht. Dieser ist gegeben, wenn ein konkreter Verdacht auf einen Wettbewerbsverstoß gegeben ist, weil nach dem Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung des Kartellrechts vorliegen.66 Die der Kommission zustehenden Ermittlungsbefugnisse haben deshalb besonderes Gewicht, weil nach Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 das den Wettbewerbsverstoß begründende Verhalten bewiesen werden muss. Dem entspricht, wenn das EuG für das Verhalten insgesamt die Beweislast der Kommission auferlegt, selbst wenn sich ein Unternehmen auf eine kürzere Dauer der Zuwiderhandlung beruft: Deren Länge muss die Kommission belegen.67 Der EuGH lässt es allerdings für den Nachweis des Verhaltens genügen, wenn ein Unternehmen von dem rechtswidrigen Vorgehen der anderen zumindest wusste oder es vernünftigerweise vorherse63 64
65
66 67
Art. 2 VO (EG) Nr. 773/2004; s.u. Rn. 1646, 1649 ff. Im Einzelnen Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 14). Im Einzelnen Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 7 f.). Näher u. Rn. 1562. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 4. EuG, Rs. T-67 u.a./00 (Rn. 343 ff.) – JFE Engineering.
§ 2 Kommissionsverfahren
559
hen konnte und es gleichwohl billigend in Kauf nahm. Dann ist es für das gesamte Verhalten auch der anderen Unternehmen verantwortlich.68 II.
Untersuchung bestimmter Wirtschaftszweige (Art. 17 VO (EG) Nr. 1/2003)
Gem. Art. 17 VO (EG) Nr. 1/2003 ist die Kommission zur Untersuchung bestimm- 1474 ter Wirtschaftszweige und einzelner Arten von Vereinbarungen befugt. Sofern die Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist, kann die Kommission die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweiges oder sektorübergreifend einer bestimmten Art von Vereinbarungen durchführen. Zu diesem Zweck kann sie von den betreffenden Unternehmen oder Unternehmensverbänden verlangen, sie von sämtlichen Verhaltensweisen i.S.d. Art. 81 EG zu unterrichten. Die Kommission kann über die Ergebnisse der Untersuchung einen Bericht veröffentlichen und interessierte Parteien um Stellungnahme bitten. Bemerkenswert ist, dass der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 1475 die Vornahme der Untersuchung lediglich davon abhängig macht, dass die Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb „möglicherweise“ eingeschränkt sei. Beispielhaft dafür, dass die Umstände eine mögliche Wettbewerbseinschränkung vermuten lassen, nennt Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 die Entwicklung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und Preisstarrheiten. Die Möglichkeit der Untersuchung nach Art. 17 VO (EG) Nr. 1/2003 scheint damit unabhängig von einem konkreten Anfangsverdacht zu sein69 und der Kommission nach dessen Abs. 2 die Ermittlungsbefugnisse der Art. 18-20 sowie die Amtshilfe nach Art. 22 VO (EG) Nr. 1/2003 zu gewähren. Lediglich die Nachprüfung in privaten Räumlichkeiten gem. Art. 21 VO (EG) Nr. 1/2003 steht der Kommission bei dieser Untersuchung nicht zur Verfügung. Dieser scheinbare Widerspruch des Art. 17 Abs. 1 VO zum generellen Erfor- 1476 dernis eines konkreten Anfangsverdachts liegt jedoch an einem zu weiten Verständnis der Formulierung des Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003. Auch die Untersuchung nach Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 erfordert, dass die Umstände und damit der Sachverhalt einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vermuten lassen. Dies meint nichts anderes als einen konkreten Anfangsverdacht, auch wenn die Formulierung „möglicherweise“ eine weitere Fassung nahe legt. Sowohl die französische70 als auch die englische71 Fassung des Art. 17 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 68 69 70
71
EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P (Rn. 328) – Aalborg Portland. Krit. insofern Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 5. Lorsque l'évolution des échanges entre États membres, la rigidité des prix ou d'autres circonstances font présumer que la concurrence peut être restreinte ou faussée à l'intérieur du marché commun, la Commission peut mener son enquête sur un secteur particulier de l'économie ou un type particulier d'accords dans différents secteurs. Where the trend of trade between Member States, the rigidity of prices or other circumstances suggest that competition may be restricted or distorted within the common
560
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Nr. 1/2003 bestätigen diese Auslegung. In beiden Sprachfassungen findet sich keine Entsprechung einer Formulierung, die eine Untersuchung unabhängig von einem konkreten Anfangsverdacht ermöglicht. Dieser ist Voraussetzung für die Aufnahme sämtlicher Ermittlungsmaßnahmen durch die Kommission nach Art. 17 VO (EG) Nr. 1/2003. Lediglich die Nachprüfung in Privaträumen ist wegen des Grundrechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung an strengere Voraussetzungen geknüpft.72 III.
Auskunftsverlangen (Art. 18 VO (EG) Nr. 1/2003)
1477 Gem. Art. 18 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungsbefugnisse einfache und qualifizierte Auskunftsverlangen an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen richten und verlangen, dass diese alle erforderlichen Auskünfte erteilen. Sie übermittelt gem. Art. 18 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 der Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dem die betreffenden Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen ihren Sitz haben sowie der Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist, eine Kopie des Auskunftsverlangens. Neben Unternehmen und Unternehmensvereinigungen können gem. Art. 18 Abs. 63 VO (EG) Nr. 1/2003 auch die Regierungen und Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Adressaten eines solchen Auskunftsverlangens der Kommission sein. 1.
Einfaches Auskunftsverlangen
1478 Das einfache Auskunftsverlangen der Kommission ist in Art. 18 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 geregelt. Die Kommission versendet ein einfaches Auskunftsverlangen unter Angabe der Rechtsgrundlage, des Zwecks des Auskunftsverlangens und der benötigten Auskünfte unter Fristsetzung für die Übermittlung der Auskünfte. Das einfache Auskunftsverlangen muss ferner einen Hinweis auf die für den Fall einer unrichtigen oder irreführenden Auskunft vorgesehenen Sanktionen enthalten. Hierbei handelt es sich gem. Art. 23 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 1/2003 um ein Bußgeld. 2.
Qualifiziertes Auskunftsverlangen
1479 Gem. Art. 18 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission neben dem einfachen auch ein sog. qualifiziertes Auskunftsverlangen in Form einer Entscheidung erlassen. Beim qualifizierten Auskunftsverlangen muss die Kommission ebenfalls die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die Frist zur Übermittlung der angeforderten Auskünfte mitteilen. Sie muss einen Hinweis auf das gem. Art. 23 Abs. 1 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2003 als Sanktion für unrichtige, un-
72
market, the Commission may conduct its inquiry into a particular sector of the economy or into a particular type of agreements across various sectors. Vgl. dazu sogleich Rn. 1504 ff.
§ 2 Kommissionsverfahren
561
vollständige, irreführende oder nicht rechtzeitige Angaben vorgesehene Bußgeld enthalten. Darüber hinaus ordnet sie entweder ein Zwangsgeld für jeden Tag an, den das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Unternehmensvereinigung sich mit der vollständigen und genauen Auskunftserteilung im Verzug von dem in der Entscheidung festgelegten Zeitpunkt an befindet oder erlegt ein solches Zwangsgeld bereits auf.73 Ferner ist ein qualifiziertes Auskunftsersuchen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen: Die Kommission muss auf das Recht hinweisen, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben. 3.
Wahlrecht der Kommission
Die Kommission hat ein Wahlrecht, ob sie zunächst ein einfaches Auskunftsver- 1480 langen versendet oder unmittelbar ein qualifiziertes Auskunftsverlangen in Form einer Entscheidung erlässt. Im Hinblick auf die frühere Rechtslage, die ein gestuftes Verfahren vorsah, in dem ein einfaches und ein qualifiziertes Auskunftsverlangen hintereinandergeschaltet wurden, und wegen der Bewertung dieses zweistufigen Verfahrens als besondere Verfahrensgarantie und Möglichkeit der Gewährung rechtlichen Gehörs wird das freie Wahlrecht der Kommission zwischen dem einfachen und dem qualifizierten Auskunftsverlangen kritisch bewertet.74 Nur denjenigen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die unmittelbar Adressat eines qualifizierten Auskunftsverlangens werden, steht explizit die Möglichkeit des Rechtschutzes vor dem EuGH offen. Dabei kann auch ein einfaches Auskunftsverlangen in Rechte der Adressaten eingreifen. Da dagegen kein Rechtsschutz vorgesehen ist, weil dem Auskunftsverlangen die nach Art. 230 Abs. 4 EG erforderliche Entscheidungsqualität fehlt, bleiben diese Rechte ungeschützt. Auf ein Vorgehen gegen einen Buß- oder Zwangsgeldbescheid kann der Betroffene schwerlich verwiesen werden, handelt es sich doch dann schon um eine Sanktion. Daher hat bei möglichen Konflikten mit Rechten des Adressaten75 eine Entscheidung zu ergehen, in der die gewünschte Auskunft verlangt wird. Das gilt etwa bei Unsicherheiten über den zulässigen Umfang des Auskunftsverlangens. Dann sind die Rechte der Betroffenen hinreichend gesichert. 4.
Wirkungen eines Auskunftsverlangens
Die Wirkungen eines Auskunftsverlangens für die betroffenen Unternehmen oder 1481 Unternehmensvereinigungen sind gem. Art. 18 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003, unabhängig von der Rechtsform, identisch: Sie sind zur Erteilung der verlangten Auskünfte verpflichtet. Die Erteilung der Auskünfte obliegt dem Unternehmensinhaber oder dessen Vertreter, bei juristischen Personen, Gesellschaften und Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit dem gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreter. Ordnungsgemäß bevollmächtigte Rechtsanwälte sind zur Auskunftsertei73 74 75
Zum Bußgeld vgl. u. Rn. 1567 ff. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 8 ff. Zum Auskunftsverweigerungsrecht u. Rn. 1530 ff.
562
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
lung im Namen ihrer Mandanten berechtigt. Die Verantwortung dafür, dass diese Auskünfte vollständig, sachlich richtig und nicht irreführend sind, verbleibt jedoch bei den Mandanten. IV.
Befragungen (Art. 19 VO (EG) Nr. 1/2003)
1482 Gem. Art. 19 VO (EG) Nr. 1/2003 hat die Kommission ferner die Befugnis, alle natürlichen und juristischen Personen zu befragen, die dieser Auskunftsform zum Zweck der Einholung von Informationen, die sich auf den Gegenstand der Untersuchung bezieht, zustimmen. Die Befragung ist der ausdrücklichen Formulierung der Verordnung zufolge nur dann zulässig, wenn ihr die betreffende Person zustimmt. Die Kommission kann die Aussagen nicht erzwingen. Da die Aussage bei Befragungen nach Art. 19 VO (EG) Nr. 1/2003 freiwillig ist, bestehen keine Regelungen über Aussageverweigerungsrechte. Diese sind nicht erforderlich. Die Kommission ist gehalten, aussagebereite Personen anzuhören, die von den betroffenen Unternehmen als Zeugen angeboten werden.76 Art. 3 VO (EG) Nr. 773/2004 trifft eine ergänzende Verfahrensregelung. Er be1483 stimmt, dass der befragten Person zu Beginn der Befragung die Rechtsgrundlage sowie der Zweck mitzuteilen und auf den freiwilligen Charakter hinzuweisen ist. Dem Befragten ist zudem mitzuteilen, dass die Befragung aufgezeichnet wird. Befragungen können auf jedem Wege, auch telefonisch oder elektronisch, erfolgen. Die Aussagen des Befragten können auf einen beliebigen Träger aufgezeichnet werden. Der Befragte erhält eine Kopie der Aufzeichnung zur Genehmigung und ihm wird ggf. eine Frist zur Berichtigung seiner Aussage gegeben. V.
Nachprüfungen (Art. 20, 21 VO (EG) Nr. 1/2003)
1.
Allgemeiner Rahmen
1484 Die Kommission verfügt gem. Art. 20 und 21 VO (EG) Nr. 1/2003 über weitreichende Nachprüfungsbefugnisse.In diesem Zusammenhang hat sie die Möglichkeit, Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel zu betreten, Bücher und Geschäftsunterlagen zu prüfen sowie Kopien oder Auszüge zu fertigen und zu erlangen. Sie ist ferner befugt, betriebliche Räumlichkeiten und Bücher bzw. Unterlagen zu versiegeln sowie von Vertretern und Mitgliedern der Belegschaft Erläuterungen zu Tatsachen und Unterlagen zu verlangen, die mit dem Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen. Eine Versiegelung sollte dabei 72 Stunden nicht überschreiten.77 Vorwürfe zu Kartellverstößen richten sich an bestimmte Personen. Allerdings 1485 können Unterlagen und sonstige Informationen auch bei anderen Personen sein. Daher lässt das EuG Nachprüfungen in den Geschäftsräumen eines Vertreters mit 76 77
Erwägungsgrund 25 der VO (EG) Nr. 1/2003. Erwägungsgrund 25 der VO (EG) Nr. 1/2003.
§ 2 Kommissionsverfahren
563
eigener Rechtspersönlichkeit unter bestimmten Umständen auch dann zu, wenn die Nachprüfungsentscheidung lediglich an den Vertretenen gerichtet ist.78 Dies ist dann gerechtfertigt, wenn nicht klar ist, ob nicht die Handlungen des Vertreters dem des Vertretenen zugerechnet werden müssen, weil beide eine wirtschaftliche Einheit bzw. ein Unternehmen nach Art. 81 EG darstellen. In anderen Fällen hat der Vertreter zwar für den Vertretenen gehandelt, so dass Letzterer die Willenserklärungen gegen sich gelten lassen muss, soweit sich der Vertreter im Rahmen der Vertretungsmacht hielt. Jedoch dürfen nicht bloße Mandate ein umfassendes Nachprüfungsrecht der Kommission auslösen, ohne dass dem Vertreter diese Entscheidung selbst mitgeteilt würde. Grundsätzlich ist dessen Sphäre auch sachlich vor Nachprüfungen geschützt.79 2.
Verfahrensregelungen
Es gibt zwei Arten der Nachprüfung, die einfache Nachprüfung und die Nachprü- 1486 fung aufgrund einer Entscheidung der Kommission. Die mit einer einfachen Nachprüfung beauftragten Bediensteten der Kommission üben ihre Befugnisse gem. Art. 20 Abs. 3 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 unter Vorlage eines schriftlichen Auftrags aus, in dem Gegenstand und Zweck der Nachprüfung bezeichnet sind und in dem auf die Sanktionen80 in Form eines Bußgeldes für den Fall hingewiesen wird, dass die angeforderten Bücher oder Unterlagen nicht vollständig vorgelegt werden oder Antworten auf im Rahmen der Nachprüfung gestellte Fragen unrichtig oder irreführend sind. Vor Beginn einer einfachen Nachprüfung unterrichtet die Kommission gem. Art. 20 Abs. 3 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll. Bei einer Nachprüfung aufgrund einer Entscheidung durch die Kommission be- 1487 zeichnet die Entscheidung gem. Art. 20 Abs. 4 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 den Gegenstand und Zweck der Nachprüfung, bestimmt den Zeitpunkt ihres Beginns und weist auf die Sanktionen des Buß- und Zwangsgelds hin. Darüber hinaus weist die Entscheidung auf den möglichen Rechtsschutz vor dem Gerichtshof hin. Vor Erlass der Entscheidung hört die Kommission gem. Art. 20 Abs. 4 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 die Wettbewerbsbehörde desjenigen Mitgliedstaats an, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung stattfinden soll. Die Kommission hat ein Wahlrecht, ob sie eine einfache Nachprüfung oder ei- 1488 ne Nachprüfung aufgrund einer Entscheidung durchführen möchte. Hierbei hat sie Gesichtspunkte der Zweck- und Verhältnismäßigkeit zu beachten.81 Um angemessenen Rechtsschutz zu gewährleisten, sind allerdings für die Rechte der Betroffenen möglicherweise problematische Nachprüfungen durch Entscheidung anzuord-
78 79 80 81
S. EuG, Rs. T-56 u.a./99, Slg. 2003, II-5225 – Marlines u.a. Vgl. u. Rn. 1526. Sanktionen gem. Art. 23 Abs. 1 lit. c) und d) VO (EG) Nr. 1/2003. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 20.
564
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
nen.82 Besteht auch ohne Entscheidung keine Duldungspflicht,83 so bildet doch bereits das Ansinnen der Nachprüfung ein behördliches Verlangen und damit einen Eingriff, dessen Berechtigung etwa mangels konkreten Anfangsverdachts unsicher sein kann. Zudem bestehen Pflichten auch bei Befolgung eines einfachen Nachprüfungsverlangens.84 Bei Durchführung einer Nachprüfung durch die Kommission unterstützen Be1489 dienstete der Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung durchgeführt wird, auf Ersuchen dieser Behörde oder der Kommission aktiv die Bediensteten der Kommission. Sie verfügen dann gem. Art. 20 Abs. 5 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 über dieselben Nachprüfungsbefugnisse wie die Bediensteten der Kommission. 3.
Befragungen bei einer Nachprüfung
1490 Im Rahmen einer Nachprüfung ist die Kommission dazu befugt, von Vertretern oder Mitgliedern der Belegschaft des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung Erläuterungen zu Tatsachen oder Unterlagen zu verlangen, die mit Gegenstand und Zweck der Untersuchung im Zusammenhang stehen. a)
Verfahrensregelungen
1491 Die bei dieser Befragung gemachten Aussagen können auf einen beliebigen Träger aufgezeichnet werden, von dem eine Kopie dem Unternehmen oder der Unternehmensvereinigung überlassen wird. Sofern die befragte Person seitens des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung nicht zur Abgabe von Erläuterungen befugt war, setzt die Kommission eine Frist, innerhalb derer das Unternehmen bzw. die Unternehmensvereinigung Richtigstellungen, Änderungen oder Zusätze zu den Erläuterungen des Belegschaftsmitglieds übermitteln kann. Diese Korrekturen werden der Aufzeichnung hinzugefügt.85 b)
Zulässigkeit von Anschlussfragen
1492 Hinsichtlich der Befragung innerhalb einer Nachprüfung ist dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu entnehmen, ob die Befragung sich nur auf die vorliegenden Tatsachen und Unterlagen beziehen darf oder ob auch sog. Anschlussfragen erlaubt sind, die sich aus den Unterlagen ergeben. Die genetische Auslegung vermag dies nicht zu klären. Zwar ist Art. 20 Abs. 2 lit. e) VO (EG) Nr. 1/2003 die Kodifikation der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache National Panasonic.86
82 83 84 85 86
S.o. Rn. 1480. S.u. Rn. 1499. S.u. Rn. 1498. Art. 4 VO (EG) Nr. 773/2004. EuGH, Rs. 136/79, Slg. 1980, 2033 (2056, Rn. 15) – National Panasonic.
§ 2 Kommissionsverfahren
565
Die Entscheidung des EuGH enthält jedoch keine Aussage darüber, ob auch Anschlussfragen zulässig sind.87 Infolge dessen wird teilweise aus dem systematischen Zusammenhang und dem 1493 Vergleich mit dem förmlichen Auskunftsverlangen geschlossen, dass die Befragung im Rahmen der Nachprüfung sich nur auf Umstände erstrecken darf, die sich direkt aus den gefundenen Unterlagen und Dokumenten ergeben oder in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Durchführung der Nachprüfung stehen. Darüber hinausgehende Fragen müssten über ein förmliches Auskunftsverlangen geklärt werden.88 Dieses Verständnis lässt sich jedoch nicht mit dem System des Art. 18 VO (EG) Nr. 1/2003 vereinbaren, welcher der Kommission ein Wahlrecht zwischen dem einfachen und dem qualifizierten Auskunftsverlangen zugesteht. Da die Kommission auch ein einfaches Auskunftsverlangen versenden kann, besteht kein Grund, das Befragungsrecht im Rahmen einer Nachprüfung zu beschränken und keine sich aus den Dokumenten ergebenden Anschlussfragen zuzulassen, außer dadurch wird der Rechtsschutz unangemessen verkürzt.89 c)
Sanktionen für das Unternehmen
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Befragung innerhalb einer Nach- 1494 prüfung entsteht durch Art. 23 Abs. 1 lit. d) VO (EG) Nr. 1/2003. Dieser ordnet eine Sanktion in Form einer Geldbuße für das Unternehmen für den Fall an, dass bei der Beantwortung einer Frage eine unrichtige oder irreführende Antwort erteilt, eine von einem Mitglied der Belegschaft erteilte unrichtige, unvollständige oder irreführende Antwort nicht fristgerecht berichtigt wird oder dass das Unternehmen in Bezug auf Tatsachen, die mit dem Gegenstand und dem Zweck einer durch Entscheidung der Kommission angeordneten Nachprüfung in Zusammenhang stehen, keine vollständige Antwort erteilt oder eine vollständige Antwort verweigert. Die Befragung im Rahmen einer Nachprüfung steht, anders als die Befragung 1495 außerhalb einer Nachprüfung, nicht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der befragten Personen. Die befragten Mitglieder der Belegschaft sind zumindest bei Anordnung der Nachprüfung durch eine Entscheidung der Kommission zur Abgabe von Erläuterungen verpflichtet. Fehlerhafte oder unvollständige Aussagen der Mitarbeiter können ein Bußgeld zulasten des Unternehmens auslösen. Dies ist als rechtsstaatlich bedenklich kritisiert worden, weil unter Umständen die befragten Mitarbeiter berechtigterweise von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht nach nationalem Strafprozessrecht Gebrauch machen und dies zu einem Bußgeld des Unternehmens führt.90
87 88 89 90
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 14. So Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 14. S.o. Rn. 1480. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 15.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Diese Bedenken lassen sich jedoch durch eine genaue Lektüre des Art. 23 Abs. 1 lit. d) VO (EG) Nr. 1/2003 ausräumen. Denn diese Regelung sieht im ersten Spiegelstrich nur Sanktionen für eine vorsätzliche oder fahrlässige unrichtige oder irreführende Antwort des Mitarbeiters vor. Der zweite Spiegelstrich sanktioniert den Umstand, dass eine unrichtige, unvollständige oder irreführende Antwort eines Mitarbeiters ebenfalls vorsätzlich oder fahrlässig von dem betreffenden Unternehmen nicht fristgerecht berichtigt wird. Diese Sanktionen können nicht durch die Inanspruchnahme eines Zeugnisverweigerungsrechts durch den Mitarbeiter ausgelöst werden. Der dritte und letzte Spiegelstrich der Regelung sieht schließlich eine Sanktion für den Fall vor, dass eine Nachprüfung durch Entscheidung der Kommission angeordnet wurde und Mitarbeiter des Unternehmens bei einer Befragung zu Unterlagen oder Dokumenten eine vollständige Antwort nicht erteilen oder verweigern. In diesem Fall ist theoretisch denkbar, dass ein Mitarbeiter deswegen eine vollständige Antwort verweigert, weil er sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen will und dies zu einem Bußgeld für das Unternehmen führt. Zum einen ist jedoch praktisch kaum ein Fall vorstellbar, in dem ein Mitarbei1497 ter des Unternehmens bei einer kartellverfahrensrechtlichen Befragung sich selbst einer Straftat bezichtigen könnte. Zum anderen handelt es sich bei der kartellverfahrensrechtlichen Befragung gerade nicht um ein strafprozessuales Verfahren. Gegen den Befragten wird weder ermittelt noch werden die Aussagen an die nationalen Strafverfolgungsbehörden übermittelt. Das nationale Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht der Befragten wird damit nicht beeinträchtigt. Die Bußgeldregelung ist rechtsstaatlich unbedenklich.
1496
4.
Auswirkungen einer Nachprüfung
1498 Die Auswirkungen bzw. Rechtsfolgen einer Nachprüfung für die betroffenen Unternehmen hängen davon ab, ob es sich um eine einfache Nachprüfung oder um eine Nachprüfung aufgrund einer Entscheidung handelt. Eine einfache Nachprüfung erlegt den Unternehmen keine Pflichten auf. Sie können ohne Konsequenzen die Durchführung der Nachprüfung verweigern. Sofern ein Unternehmen sich jedoch auf eine einfache Nachprüfung eingelassen hat, ist es verpflichtet, die Unterlagen vollständig vorzulegen. Ansonsten kann die Kommission ein Bußgeld gem. Art. 23 Abs. 1 lit. d) VO (EG) Nr. 1/2003 auferlegen.91 Gem. Art. 20 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 begründet eine Nachprüfung auf1499 grund einer Entscheidung der Kommission eine Duldungspflicht der betroffenen Unternehmen. Im Gegenzug besteht bei dieser Art der Nachprüfung auch eine Rechtsschutzmöglichkeit. Widersetzt sich ein Unternehmen einer Nachprüfung aufgrund einer Entscheidung, so stehen der Kommission nach Art. 23, 24 VO (EG) Nr. 1/2003 als Sanktionen Buß- und Zwangsgelder zur Verfügung. Darüber hinaus kann die Kommission für diesen Fall und für den Fall, dass mit einem etwaigen Widerstand des Unternehmens zu rechnen ist,92 Hilfe des Mitgliedstaats in 91 92
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 18. EuGH (Präsident), Rs. 46/87 R, Slg. 1987, 1549 (1558, Rn. 34) – Hoechst.
§ 2 Kommissionsverfahren
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Anspruch nehmen, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung stattfindet, und ggf. mit Hilfe von Polizeikräften unter Anwendung unmittelbaren Zwangs die Nachprüfung durchsetzen. Die Zwangsmaßnahmen der nationalen Vollzugskräfte richten sich dabei nach dem jeweiligen nationalen Recht, dessen Verfahrensgarantien zu beachten sind.93 5.
Rechtsschutz im Fall einer Nachprüfung
Im Fall einer Nachprüfung sind zwei Aspekte des Rechtsschutzes betroffener Un- 1500 ternehmen relevant. Zum einen kann gegen eine durch Entscheidung der Kommission angeordnete Nachprüfung gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden, indem Klage vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung erhoben wird.94 Darüber hinaus können die betroffenen Unternehmen Rechtsschutz gegen die 1501 Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die nationalen Behörden bei der Unterstützung der Kommission erlangen. In Art. 20 Abs. 7, 8 VO (EG) Nr. 1/2003 ist dieser Aspekt des Rechtsschutzes geregelt. Hier ist zunächst festgelegt, dass für den Fall, dass die Unterstützung nach nationalem Recht eine richterliche Genehmigung voraussetzt, diese zu beantragen ist. Die nationalen Verfahrensgarantien, die beispielsweise eine richterliche Anordnung für eine Durchsuchung voraussetzen, sind also auch bei der Unterstützung der Kommission in Wettbewerbsverfahren zu beachten. Die erforderliche richterliche Genehmigung kann auch vorsorglich beantragt werden.95 Das nationale Gericht, das die erforderliche Genehmigung erteilen soll, prüft 1502 jedoch nicht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Kommission oder die Frage, ob die Nachprüfung notwendig war. Die Entscheidung dieser Frage ist gem. Art. 240 EG dem Gerichtshof vorbehalten.96 Das nationale Gericht prüft lediglich die Echtheit der Entscheidung der Kommission sowie die Frage, ob die beantragten Zwangsmaßnahmen nicht willkürlich und nicht unverhältnismäßig sind. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann das nationale Gericht von der Kommission Erläuterungen verlangen, die sich insbesondere auf die Gründe beziehen, die die Kommission veranlasst haben, das Unternehmen eines Wettbewerbsverstoßes zu verdächtigen sowie auf die Schwere der behaupteten Zuwiderhandlung und die Art der Beteiligung des betreffenden Unternehmens. Das nationale Gericht kann dagegen gem. Art. 20 Abs. 8 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht die Übermittlung der in den Akten der Kommission enthaltenen Informationen fordern.97
93 94 95
96 97
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 21. S.u. Rn. 1605 ff. Zur Rolle nationaler Gerichte bei einer Nachprüfung durch die Kommission vgl. auch Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. C 101, S. 54 (Rn. 38 ff.). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rn. 16. Krit. hierzu s. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 24.
568
1503
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Dieses Splitting des Rechtsschutzes stellt eine Kodifikation der Rechtsprechung des EuGH dar.98 Sie hat zur Folge, dass effektiver Rechtsschutz gegen eine Entscheidung der Kommission grundsätzlich nur nachträglich zu erreichen ist, weil Klagen vor dem EuGH nicht automatisch Suspensiveffekt entfalten.99 Sofern der EuGH nicht nach Art. 242 S. 2 EG die Durchführung der angefochtenen Maßnahme aussetzt, wird die Nachprüfung zunächst durchgeführt. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht ein Beweisverwertungsverbot für den Fall, dass sich die Entscheidung der Kommission nachträglich in dem Verfahren vor dem EuGH als rechtswidrig herausstellt.100 6.
Sonderfall: Nachprüfungen in privaten Räumlichkeiten (Art. 21 VO (EG) Nr. 1/2003)
1504 Gem. Art. 21 VO (EG) Nr. 1/2003 hat die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis, auch in anderen Räumlichkeiten, Grundstücken sowie Transportmitteln als denjenigen des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung Nachprüfungen vorzunehmen. Die Kommission ist damit befugt, auch in den Wohnungen von Mitarbeitern auf jeder Ebene der betreffenden Unternehmen Nachprüfungen anzuordnen. a)
Verfahrensregelungen
1505 Voraussetzung für die Anordnung einer Nachprüfung in anderen Räumlichkeiten ist der begründete Verdacht, dass Bücher oder sonstige Geschäftsunterlagen, die sich auf den Gegenstand der Nachprüfung beziehen und als Beweismittel für einen schweren Wettbewerbsverstoß von Bedeutung sein könnten, sich in diesen anderen Räumlichkeiten befinden. Die Nachprüfung in anderen Räumlichkeiten kann gem. Art. 21 Abs. 1, 2 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 nur durch eine Entscheidung der Kommission nach Anhörung der nationalen Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats angeordnet werden, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung durchgeführt werden soll. Bei einer Nachprüfung in anderen Räumlichkeiten haben die beauftragten Bediensteten der Kommission nach Art. 21 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 die Befugnis, diese Räumlichkeiten zu betreten, Bücher und sonstige Unterlagen zu prüfen und Kopien und Auszüge aus diesen Unterlagen anzufertigen bzw. zu erlangen. Die Entscheidung der Kommission muss gem. Art. 21 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1506 1/2003 Gegenstand und Zweck der Nachprüfung bezeichnen, den Zeitpunkt ihres Beginns bestimmen und auf die Rechtsschutzmöglichkeit der Klageerhebung vor dem Gerichtshof hinweisen. Darüber hinaus ist die Entscheidung zu begründen. Es sind die Aspekte mitzuteilen, welche die Kommission zu dem begründeten Ver-
98 99 100
EuGH, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 – Roquette Frères. Krit. zu dem dadurch entstehenden Rechtsschutzdefizit Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 23 m.w.N. EuGH (Präsident), Rs. 46/87 R, Slg. 1987, 1549 (1558, Rn. 34) – Hoechst.
§ 2 Kommissionsverfahren
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dacht veranlasst haben, dass potenziell Beweismittel für einen schweren Wettbewerbsverstoß in den betreffenden Räumlichkeiten aufbewahrt werden. Die Nachprüfung wird durch die Vollzugsbehörden des betreffenden Mitglied- 1507 staats vollzogen. Die Durchführung darf jedoch gem. Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nur mit der Genehmigung des zuständigen nationalen Gerichts des Mitgliedstaats geschehen, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung stattfindet. Das nationale Gericht überprüft die Echtheit der Kommissionsentscheidung sowie die Willkürfreiheit und Verhältnismäßigkeit der beantragten Zwangsmittel. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt das nationale Gericht die Schwere der zur Last gelegten Zuwiderhandlung, die Wichtigkeit des gesuchten Beweismaterials, die Beteiligung des betroffenen Unternehmens und die begründete Wahrscheinlichkeit, dass Unterlagen die sich auf den Gegenstand der Nachprüfung beziehen, tatsächlich in den betreffenden Räumlichkeiten aufbewahrt werden. Es prüft jedoch nicht die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung. Dies ist dem EuGH vorbehalten. Das Splitting des Rechtsschutzes entspricht dem in Art. 20 VO (EG) Nr. 1/2003.101 b)
Grundrechtliche Implikationen
Die Nachprüfung in anderen Räumlichkeiten ist vor dem Hintergrund des Grund- 1508 rechtsschutzes der Wohnung zu sehen, der auf europäischer Ebene in Art. 8 EMRK verankert ist. Der EuGH hat unter Einbeziehung der Rechtsprechung des EGMR entschieden, dass der grundrechtliche Schutz des Art. 8 EMRK auf Geschäftsräume auszudehnen ist, dem Unterschied zwischen Wohnung und Geschäftsräumen jedoch bei der Auslegung der Schrankenregelung des Art. 8 Abs. 2 EMRK Rechnung zu tragen ist.102 Unter Beachtung dieser aktuellen Rechtsprechung stellen Nachprüfungen nach Art. 20 und 21 VO (EG) Nr. 1/2003 gleichermaßen Eingriffe in das Grundrecht des Art. 8 EMRK dar. Die Nachprüfung in Geschäftsräumen ist gem. Art. 20 VO (EG) Nr. 1/2003 bei einem konkreten Anfangsverdacht zulässig, während die Nachprüfung in anderen Räumlichkeiten, insbesondere Wohnungen, nur bei begründetem Verdacht auf Beweismittel für einen schweren Verstoß möglich ist. Durch diese erhöhten Anforderungen ist den Erfordernissen des Art. 8 Abs. 2 EMRK in der Auslegung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH hinreichend Genüge getan.103
C.
Verfahrensgrundsätze
Das europäische Kartellverfahrensrecht ist von bestimmten Verfahrensgrundsät- 1509 zen und Garantien von Verteidigungsrechten für die Verfahrensbeteiligten geprägt. Diese sind teilweise in der VO (EG) Nr. 1/2003 aufgeführt, teilweise ergeben sie 101 102 103
Vgl. o. Rn. 1500 ff. EuGH, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (9054, Rn. 29) – Roquette Frères. So auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rn. 19; krit. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 26 ff.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
sich jedoch auch erst aus der Rechtsprechung. Es handelt sich um den Anspruch auf rechtliches Gehör, das Recht auf Akteneinsicht, den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, das Legal Professional Privilege sowie Auskunftsverweigerungsrechte. Dazu erging auch aktuelle Rechtsprechung. I.
Anspruch auf rechtliches Gehör
1.
Information als Grundlage
1510 In allen Verfahren, in denen die Beteiligten Adressat einer belastenden Maßnahme werden können, haben diese Personen Anspruch auf rechtliches Gehör.104 Dieser ist in Art. 27 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie Art. 10 ff. VO (EG) Nr. 773/2004 geregelt. Die Gewährung rechtlichen Gehörs in Bezug auf die Verfahrensbeteiligten erfolgt zeitlich vor der Anhörung des Beratenden Ausschusses. Zu diesem Zweck stellt die Kommission zunächst allen Parteien die Beschwer1511 depunkte schriftlich zu und setzt ihnen eine angemessene Frist zur schriftlichen Stellungnahme. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte muss alle wesentlichen Tatsachen enthalten und das Unternehmen erkennen lassen, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird, um ihm eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.105 Sie bildet die Grundlage dafür, dass die Kommission sich auf diese Tatsachen stützen darf. Bußgelder müssen dabei gegenüber den betroffenen Personen vorher angedroht worden sein.106 Ein vollständiges Bild kann sich der Betroffene allerdings nur dann machen, 1512 wenn ihm nicht nur das zur Last gelegte Verhalten als solches mitgeteilt wird, sondern auch dessen Schwere und Dauer sowie eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehung.107 Dabei genügen nicht pauschale oder allgemeine Bemerkungen und Bewertungen wie die Absicht, eine Geldbuße aufgrund einer bewirkten erheblichen Wettbewerbsbeschränkung festzusetzen. Vielmehr muss deutlich werden, dass ein schwerer oder sehr schwerer Verstoß i.S.d. Kommissionsleitlinien angenommen wird.108 Lediglich dann kann der Betroffene abschätzen, welche Sanktionen ihm drohen und wie tief gehend und intensiv er sich daher verteidigen muss. Wegen dieses Bezugs109 bildet eine eingeschränktere Information nur dann einen zur Nichtigkeit einer Bußgeldentscheidung führenden Verfahrensfehler, wenn sich dadurch der Adressat nicht so wirksam verteidigen kann wie ohne eine hinreichend vollständige Unterrichtung.110 104 105 106 107 108 109 110
Allgemein und auch zum Folgenden ausführlich Heidenreich, Anhörungsrechte im EGKartell- und Fusionskontrollverfahren, 2004, S. 31 ff. EuGH, Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 (1549 f., Rn. 42) – Ahlström. EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1483, Rn. 145 f.) – Compagnie maritime belge transports. Vgl. zum Rechtsschutz u. Rn. 1605, 1609. EuG, Rs. T-48/00 (Rn. 146) – Corus. EuG, Rs. T-48/00 (Rn. 151) – Corus. Für das Akteneinsichtsrecht EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (567, Rn. 156) – Cimenteries CBR. EuG, Rs. T-48/00 (Rn. 154 f.) – Corus.
§ 2 Kommissionsverfahren
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Die zur Stellungnahme gesetzte Frist soll der Bedeutung des Falls, dem für die 1513 Verteidigung erforderlichen Zeitaufwand und der Dringlichkeit der Angelegenheit Rechnung tragen, Art. 17 VO (EG) Nr. 773/2004. Der EuGH hat schon früh in rechtlich schwierigen und umfangreichen Fällen eine Frist von zwei Monaten als angemessen betrachtet,111 das EuG erst jüngst bei komplexen Sachverhalten bis zu drei Monaten zugebilligt, noch verlängerbar zur Berücksichtigung von Ferienzeiten, sonst aber „grundsätzlich“ nicht.112 2.
Schriftliche Stellungnahme
Die Parteien können in der Stellungnahme Tatsachen zu ihrer Verteidigung vor- 1514 tragen, Zeugen benennen und Unterlagen beifügen. Nach Fristablauf ist die Kommission nicht verpflichtet, Ausführungen der Partei Rechung zu tragen. Die Entscheidung der Kommission darf sich gem. Art. 27 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nur auf Beschwerdepunkte stützen, zu denen der Partei rechtliches Gehör gewährt worden ist. Stützt die Kommission sich auch auf andere Beschwerdepunkte, so stellt dies einen Verfahrensfehler dar. Dieser führt jedoch nur dann zur Nichtigkeit der Entscheidung, wenn die Entscheidung nicht auf weitere Tatsachen gestützt werden kann, zu denen ordnungsgemäß rechtliches Gehör gewährt worden ist und aufgrund derer die Entscheidung Bestand haben kann.113 3.
Mündliche Verhandlung
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt nicht nur das Recht zu einer schrift- 1515 lichen Stellungnahme, sondern auf Antrag der Parteien auch auf eine mündliche Anhörung. Den Antrag hierauf stellt die Partei in der schriftlichen Stellungnahme. Die anzuhörenden Personen werden von der Kommission auf einen von ihr festgesetzten Termin zur Anhörung geladen. Dazu werden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eingeladen. Die mündliche Anhörung wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit von einem unabhängigen Anhörungsbeauftragten durchgeführt, der den an der Anhörung Beteiligten gestatten kann, währenddessen Fragen zu stellen. Die geladenen Personen können allein oder in Anwesenheit anderer geladener Personen angehört werden, wobei dem Interesse am Schutz von Geschäftsgeheimnissen Rechnung getragen wird. Die geladenen Personen erscheinen persönlich oder werden von einem gesetzli- 1516 chen oder satzungsgemäßen Vertreter vertreten. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen können einen bevollmächtigten Vertreter entsenden, der ständig in ihrem Dienst steht. Die anzuhörenden Personen können ihre Rechtsanwälte oder andere vom Anhörungsbeauftragten zugelassene qualifizierte Personen hinzuziehen. Die Aussagen der angehörten Personen werden aufgezeichnet. Die Aufzeichnungen werden den an der Anhörung beteiligten Personen auf Antrag zur Verfü111 112 113
EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (307, Rn. 270/273) – United Brands; Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (1952, Rn. 96/97) – Suiker Unie. EuG, Rs. T-44/00 (Rn. 62 ff.) – Mannesmannröhren-Werke. EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 (3193, Rn. 30) – AEG.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
gung gestellt, wobei wiederum dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen Rechnung getragen wird. 4.
Teilnahme an einer Anhörung
1517 Neben den Parteien kann weiteren Personen die Teilnahme an einer Anhörung gewährt werden. Zum einen kann die Kommission gem. Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 773/2004 den Beschwerdeführer an der Anhörung beteiligen und ihm Gelegenheit geben, seine Argumente darzulegen, wenn er dies beantragt hat. Zum anderen können auch sonstige natürliche oder juristische Personen angehört werden. Dies geschieht dann, wenn diese Personen beantragen, gehört zu werden und ein ausreichendes Interesse darlegen. Die Kommission unterrichtet sie daraufhin über Art und Gegenstand des Verfahrens und setzt ihnen eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme. Beantragen sie in dieser schriftlichen Stellungnahme eine Teilnahme an der mündlichen Anhörung, so kann die Kommission sie auffordern, ihre Argumente bei dieser Anhörung vorzubringen. Darüber hinaus kann die Kommission jede andere Person auffordern, sich schriftlich zu äußern, an der Anhörung der Parteien teilzunehmen und sich in der Anhörung zu äußern. Von dieser Möglichkeit kann die Kommission insbesondere auf Antrag der nationalen Wettbewerbsbehörden eines Mitgliedstaats Gebrauch machen. 5.
Fallzusammenfassung und Information über weiteres Vorgehen
1518 Eine ergänzende Besonderheit im Rahmen der Anhörungsverfahren ist in Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 vorgesehen. Dieser Regelung zufolge veröffentlicht die Kommission vor dem Erlass einer Entscheidung nach den Art. 9 oder 10 VO (EG) Nr. 1/2003 eine kurze Zusammenfassung des Falls und der geplanten Vorgehensweise. Dabei ist dem berechtigten Interesse der betroffenen Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung zu tragen. Binnen einer in der Veröffentlichung festgesetzten Frist können interessierte Dritte hierzu Bemerkungen abgeben. II.
Akteneinsicht
1519 Ein weiterer bedeutender verfahrensrechtlicher Grundsatz ist das Recht der Parteien auf Akteneinsicht. Dieser Anspruch ist in Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 und Art. 15 VO (EG) Nr. 773/2004 festgelegt. Nach Zustellung der Mitteilung der Beschwerdepunkte wird den Parteien auf Antrag Akteneinsicht gewährt. Vom Grundsatz der Akteneinsicht gibt es jedoch zwei Ausnahmen. Den Parteien wird keine Einsicht gewährt in Geschäftsgeheimnisse und andere vertrauliche Informationen sowie in interne Unterlagen der Kommission sowie der Behörden des Netzwerks und in die Korrespondenz zwischen den Behörden des Netzwerkes. Allerdings darf diese Beschränkung des Akteineinsichtsrechts die Verteidi1520 gungsrechte der Parteien nicht beschneiden. Deswegen ist die Kommission ver-
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pflichtet, ein vollständiges Verzeichnis aller in der Akte enthaltenen Dokumente anzufertigen und den Parteien zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Verzeichnis müssen sich auch die Dokumente ergeben, in die den Parteien keine Akteineinsicht gewährt wird. Von infolge der enthaltenen Geschäftsgeheimnisse vertraulichen Dokumenten soll die Kommission darüber hinaus eine nicht vertrauliche Fassung anfertigen und der Partei zur Verfügung stellen. Dies gilt jedoch nicht für interne Unterlagen und Korrespondenz der Netzwerkbehörden.114 Diese bleiben ohne weitere Ausgleichsmaßnahmen vom Recht auf Akteneinsicht ausgenommen. Wird Akteneinsicht nicht ordnungsgemäß gewährt, so liegt ein Verfahrensman- 1521 gel vor. Dieser führt jedoch nur dann zur Nichtigkeit der Kommissionsentscheidung, wenn diese eine Partei daran gehindert hat, Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen, die für die Wahrung ihrer Verteidigungsrechte objektiv nützlich sind. Ausschließlich darauf ist nämlich das Akteneinsichtsrecht bezogen.115 Die Unterlagen sind objektiv nützlich, wenn eine geringe Möglichkeit besteht, dass bei hypothetischer Verwendung des nicht zu Kenntnis genommenen Dokuments zur Verteidigung das Verfahren einen anderen Ausgang genommen hätte.116 Das Recht auf Akteineinsicht hindert die Kommission nicht daran, Informatio- 1522 nen zum Nachweise eines Wettbewerbsverstoßes offen zu legen. Unterlagen, welche eine Partei aufgrund des Akteneinsichtsrechts erlangt hat, dürfen gem. Art. 15 Abs. 3, 4 VO (EG) Nr. 773/2004 nur für Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Art. 81 und 82 EG verwendet werden. III.
Schutz von Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Informationen
Im Kartellverfahrensrecht ist zudem der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und 1523 vertraulichen Informationen von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang legt Art. 28 VO (EG) Nr. 1/2003 zunächst fest, dass die von der Kommission erhobenen Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie erhoben wurden. Mit dieser Verwertungsregelung wird sichergestellt, dass die erhobenen Informationen weder zu anderen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren außerhalb des Kartellrechts noch zu anderen Kartellverfahren verwendet werden. Zusätzlich erlegt Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 sämtlichen Beamten und Bediensteten aller Behörden des Netzwerks und sonstiger Behörden sowie den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses eine Verschwiegenheitsverpflichtung für alle Informationen auf, die sie bei der Anwendung der Kartellverfahrensverordnung
114 115 116
EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (564 f, Rn. 147 ff.) – Cimenteries CBR. EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (567, Rn. 156) – Cimenteries CBR; vgl. o. Rn. 1512 zum rechtlichen Gehör. Im Einzelnen EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (588 ff., Rn. 241 ff.) – Cimenteries CBR; EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P, WuW 2005, 557 (561, Rn. 75 ff.) – Aalborg Portland.
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erlangt haben und die unter das Berufsgeheimnis fallen. Dies sind alle Kenntnisse, die in amtlicher Eigenschaft erworben wurden.117 Zudem trifft Art. 16 VO (EG) Nr. 773/2004 Regelungen zum Schutz der Ge1524 schäftsgeheimnisse und vertraulichen Informationen. Ein Geschäftsgeheimnis ist eine Information, durch deren Preisgabe die Interessen des Auskunftsgebers nicht nur bei einer Weitergabe an die Öffentlichkeit, sondern bereits bei der Weitergabe an einen Dritten schwer beeinträchtigt werden.118 Die Kommission darf Unterlagen, die Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Informationen enthalten, nicht veröffentlichen. Um dies zu gewährleisten, sind die Parteien, Beschwerdeführer und sonstige von der Kommission angehörte Personen dazu verpflichtet, innerhalb der ihnen zur schriftlichen Stellungnahme gesetzten Frist die ihrer Auffassung nach vertraulichen Informationen unter Angabe von Gründen kenntlich zu machen und eine nicht vertrauliche Fassung ihrer schriftlichen Stellungnahme vorzulegen. Gem. Art. 16 Abs. 3 VO (EG) Nr. 773/2004 kann die Kommission darüber hin1525 aus von Unternehmen verlangen, dass in den von ihnen bei der Kommission vorgelegten Unterlagen vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse kenntlich gemacht und die Unternehmen genannt sind, denen gegenüber die Unterlagen als vertraulich anzusehen sind. Diese Kenntlichmachung kann die Kommission auch im Hinblick auf Entscheidungen, Beschlüsse, Mitteilungen der Beschwerdepunkte und Zusammenfassungen i.S.d. Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003119 verlangen. Die Kommission kann unter Fristsetzung fordern, dass das betreffende Unternehmen seinen Anspruch auf vertrauliche Behandlung einer Information begründet, der Kommission eine nicht vertrauliche Fassung der Unterlagen zukommen lässt, aus der die vertraulichen Passagen entfernt worden sind und eine knappe Beschreibung aller entfernten Angaben übermittelt. Nach fruchtlosem Fristablauf darf die Kommission davon ausgehen, dass die betreffenden Unterlagen keine vertraulichen Informationen enthalten. IV.
Legal Professional Privilege
1526 Die VO (EG) Nr. 1/2003 trifft keine Regelung hinsichtlich der Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant, dem durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannte sog. Legal Professional Privilege. Dieses Privileg bezieht sich auf die Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant unabhängig davon, ob diese sich vor oder nach Verfahrenseröffnung abgespielt hat und in wessen Besitz sich die Unterlagen befinden.120 Übernehmen beratene Unternehmen Ausführungen daraus in interne Dokumente und geben sie lediglich wieder, handelt es sich noch um das Produkt externer Beratung, so dass der Vertrauensschutz auch insoweit greift.121 Anwälte in diesem Sinne sind nur Personen, die als unabhängige 117 118 119 120 121
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 5 Rn. 26. EuG, Rs. T-353/94, Slg. 1996, II-921 (954, Rn. 87) – Postbank. S.o. Rn. 728 ff. EuGH, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575 (1610 f., Rn. 18 ff.) – AM & S Europe. EuG (Beschl.), Rs. T-30/89, Slg. 1990, II-163 (167, Rn. 8; 170, Rn. 18) – Hilti.
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Organe der Rechtspflege den Standesregeln und Vorgaben der Anwaltschaft unterliegen. Inhouse-Berater, die diese Anforderungen nicht erfüllen, können dieses Privileg 1527 dagegen jedenfalls nicht generell genießen.122 Unternehmensjuristen sind Teil des Betriebes und haben lediglich besondere Aufgaben. Wären die ihnen anvertrauten Schriftstücke durchgehend sakrosankt, müssten die einen Kartellverstoß offen legenden Dokumente nur bei den Firmenanwälten abgelegt werden. Damit können höchstens diejenigen Schriftstücke als vertraulich angesehen 1528 werden, die eine Tätigkeit betreffen, welche mit der von auswärtigen Anwälten vergleichbar ist, also vor allem mit der klassischen Rechtsberatung über die Gemeinschaftsrechtskonformität eines geplanten Verhaltens. Insoweit ist zumal wegen der notwendigen Selbstbeurteilung durch die Unternehmen nach der VO (EG) Nr. 1/2003 eine Vertraulichkeit geboten123 – ähnlich wie bei einer Beratung durch die jeweilige Unternehmensvereinigung.124 Da die Unternehmen bei möglichem vertraulichem Austausch von internen Juristen tendenziell eher und effektiver von wettbewerbswidrigem Verhalten abgehalten werden,125 dient ein solches Privileg letztlich der Einhaltung der Wettbewerbsregeln. Vor diesem Hintergrund ist es auch unbeachtlich, ob es sich formal um Syndikusanwälte handelt.126 Unabhängig hiervon haben die betroffenen Unternehmen das Recht, bei Nach- 1529 prüfungen einen Anwalt hinzuzuziehen, jedoch keinen Anspruch darauf, dass mit dem Beginn einer Nachprüfung bis zum Eintreffen des Anwalts gewartet wird.127 V.
Auskunftsverweigerungsrechte
Umstritten ist die Frage, ob Unternehmen gegenüber Auskunftsverlangen nach 1530 Art. 18 VO (EG) Nr. 1/2003 ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Diese Frage ist durch den Normtext nicht beantwortet worden. Der EuGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1989 ein Auskunftsverweigerungsrecht teilweise anerkannt. Zwar verneinte er ein grundsätzliches Auskunftsverweigerungsrecht für Auskünfte, die selbstbelastend sind, leitete jedoch aus den Verteidigungsrechten der betroffenen Unternehmen ab, dass die Kommission den Unternehmen nicht die Verpflichtung auferlegen dürfe, solche Antworten zu erteilen, durch die ein
122
123 124 125 126
127
Offen EuG (Präsident), Rs. T-125 u. 253/03 R, WuW 2004, 81 (85, Rn. 122 ff.) – Akzo Nobel und auch EuGH (Präsident), Rs. C-7/04 P (R), WuW 2004, 1197 (1197 f., Rn. 36 ff.) – Akzo Nobel und Akcros. Seitz, EuZW 2004, 231 (233, 235). S. sogleich Rn. 1532 f. Darauf verweist bereits Bechtold, EuR 1992, 41 (51 f.). Für deren Privilegierung Seitz, EuZW 2004, 231 (234 f.). Die notwendige Unabhängigkeit betonend auch EuG (Präsident), Rs. T-125 u. 253/03 R (Rn. 126) – Akzo Nobel. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 5 Rn. 31.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Wettbewerbsverstoß eingestanden werden muss, für den die Kommission beweispflichtig ist.128 Eine Entscheidung des EuG präzisiert diese Formel des EuGH dahin gehend, 1531 dass die Kommission bei dem bloßen vagen Verdacht einer illegalen Kartellabsprache nicht zu einem generellen Auskunftsverlangen berechtigt sei. Sie müsse vielmehr konkrete Fragen stellen und Vorwürfe erheben. Solange dies nicht geschehe, dürfe das betroffene Unternehmen die Auskunft verweigern.129 Dies entspricht in etwa der Abgrenzung des unzulässigen Ausforschungsbeweises von einer konkreten Fragestellung an einen Zeugen im deutschen Zivilprozessrecht.130 Hier wie dort sind die Grenzen fließend und es hängt im Wesentlichen von der Formulierung der Frage ab, ob es sich um eine zulässige konkrete Frage oder einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt.131 Wird gegen Unternehmen ermittelt, können wertvolle Informationen bei den 1532 Unternehmensvereinigungen vorhanden sein, bei denen die Einzelfirmen Mitglied sind. Oft werden diese mit ihrem Verband in einem besonders engen Verhältnis stehen und daher Informationen gegeben haben, die ansonsten nicht vorhanden sind. Dies sollten sie im Hinblick auf für Kartellverstöße relevante Informationen unterlassen. Denn der EuGH sieht den Schutz eines solchen Binnenraumes als über das erforderlicher Maß hinausgehend an und erblickt darin im Gegenteil eine ungerechtfertigte Behinderung der Überwachungsaufgabe der Kommission.132 Sicherlich mag diese Informationsquelle sehr ergiebig sein. Auch sind die Unternehmensvereinigungen bei einem individuellen Fehlverhal1533 ten ihrer Mitglieder nicht Beschuldigte und haben bei formaler Betrachtung nur dann ein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn sie selbst in einen Kartellrechtsverstoß verstrickt sind. Müssen sie jedoch über das Verhalten ihrer Mitglieder Auskunft geben, wird das insoweit bestehende Vertrauensverhältnis weitgehend gestört. Das kann auch kontraproduktiv für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln sein. Denn nach dem Entfallen des Anmeldeverfahrens werden sich Mitgliedsunternehmen auch an Unternehmensvereinigungen wenden, um ein möglichst sinnvolles wettbewerbskonformes Verhalten zu finden und dabei naturgemäß vertrauensvolle Informationen austauschen. Dieser Weg ist nach der EuGH-Entscheidung nur noch schwerlich praktikabel – zum Schaden der Wettbewerbskonformität.
D.
Mögliche Handlungsweisen der Kommission
1534 Hat die Kommission nach den dargestellten Regelungen Ermittlungshandlungen durchgeführt und ein Kartellverfahren durch Beschluss eröffnet, so wird dieses 128 129
130 131 132
EuGH, Rs. 374/87, Slg. 1989, 3283 (3351, Rn. 32 ff.) – Orkem. EuG, Rs. T-112/98, Slg. 2001, II-729 (753 f., Rn. 59 ff.) – Mannesmannröhren-Werke; neuerdings näher EuG, Rs. T-236 u.a./01 (Rn. 402 ff.) – Tokai Carbon mit zahlr. weit. Nachw. Z.B. Thomas/Putzo, ZPO, § 284 Rn. 3; Zöller, ZPO, Vor § 284 Rn. 5. Im Einzelnen ebenso Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 5 Rn. 32 ff. EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P (Rn. 207 f.) – Aalborg Portland.
§ 2 Kommissionsverfahren
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unter Beachtung der Verfahrensgrundsätze durchgeführt. Ist dies erfolgt, kann sie als verfahrensabschließende Maßnahme bestimmte Handlungen vornehmen. I.
Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen (Art. 7 VO (EG) Nr. 1/2003)
1.
Abstellung von Zuwiderhandlungen
Gem. Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission, wenn sie einen 1535 Wettbewerbsverstoß feststellt, die beteiligten Unternehmen und Unternehmensverbände durch Entscheidung verpflichten, die Zuwiderhandlung abzustellen. Diese Entscheidung kann sowohl in einer Unterlassungsverpflichtung als auch in einer Verpflichtung bestehen, bestimmte Verhaltensweisen positiv vorzunehmen. In beiden Fällen muss die Entscheidung der Kommission gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sein. Somit kommen als Entscheidung der Kommission sowohl Unterlassungsanord- 1536 nungen als auch Verpflichtungsanordnungen in Betracht.133 Letztere stellen die Ausnahme dar.134 Verpflichtungen zu einem positiven Tun können zum einen darauf gerichtet sein, die Kommission über Schritte zur Abstellung der Zuwiderhandlung zu informieren.135 Zum anderen können sie auch auf andere positive Verhaltensweisen der betreffenden Unternehmen gerichtet sein. In Betracht kommen etwa die Information von Vertragspartnern über eine aufgehobene wettbewerbswidrige Vertragsklausel,136 die Verpflichtung, Vertragspartnern innerhalb einer bestimmten Frist die Möglichkeit zur Neuverhandlung oder Kündigung zu geben,137 ein bestehendes Preis- und Rabattsystem zu ändern138 oder Geschäftsbedingungen zu modifizieren.139 Darüber hinaus kann ein Unternehmen auch verpflichtet werden, Wettbewerbern bestimmte Informationen oder Lizenzen zu erteilen140 oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dadurch zu beenden, dass umgehend bestimmte Mengen ausgeliefert werden.141 Neben verhaltensbezogenen 133 134 135 136 137 138
139
140 141
EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 (257, Rn. 45) – Commercial Solvents. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 20 Rn. 34. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 23. Art. 3 lit. b) der KOME 76/353/EWG, ABl. 1976 L 95, S. 1 – United Brands; bestätigt durch EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 – United Brands. KOME 93/50/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 23 – Astra. KOME 76/353/EWG, ABl. 1976 L 95, S. 1 (Art. 1 lit. b) u. c), Art. 3 lit. a)) – United Brands; 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 (Art. 1 lit. b), c), Art. 2) – Soda/Solvay; 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72, S. 1 (Art. 3 Abs. 3) – Tetra Pak II. Z.B. KOME 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72, S. 1 (Art. 3 Abs. 1) – Tetra Pak II; 85/609/EWG, ABl.1985 L 374, S. 1 (Art. 3) – AKZO; EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3474 f., Rn. 155 ff.) – AKZO Chemie. KOME 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 (Art. 2) – Magill, bestätigt durch EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 – Magill. KOME 72/457/EWG, ABl. 1972 L 299, S. 51 (Art. 2) – Commercial Solvents.
578
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Verpflichtungsentscheidungen kann die Kommission auch Abhilfemaßnahmen struktureller Art treffen, d.h. Entflechtungen anordnen. Allerdings sind diese gem. Art. 7 Abs. 1 S. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 als ultima ratio nur für den Fall vorgesehen, dass keine verhaltensorientierte und gleich wirksame Abhilfemaßnahme zur Verfügung steht oder diese das Unternehmen stärker belasten würde als die strukturelle Maßnahme. 2.
Feststellung von Zuwiderhandlungen
1537 Für den Fall, dass die Zuwiderhandlung bereits beendet ist, kann die Kommission bei berechtigtem Interesse gem. Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 auch die beendete Zuwiderhandlung feststellen. Ein solches Feststellungsinteresse der Kommission besteht, wenn Wiederholungsgefahr besteht, die Rechtslage im Hinblick auf vergleichbare Zuwiderhandlungen geklärt werden soll oder die Auswirkungen der Zuwiderhandlungen noch andauern.142 II.
Einstweilige Maßnahmen (Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003)
1538 Die Kommission ist gem. Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003 auch zum Erlass einstweiliger Maßnahmen befugt. Der Erlass einstweiliger Maßnahmen erfolgt ausschließlich von Amts wegen bei Vorliegen folgender Voraussetzungen: Es muss eine prima facie festgestellte Zuwiderhandlung vorliegen und es muss ein dringender Fall, d.h. die Gefahr eines ernsten, nicht wieder gut zu machenden Schadens für den Wettbewerb bestehen. Eine prima facie festgestellte Zuwiderhandlung ist dann gegeben, wenn das in Frage stehende Wettbewerbsverhalten dem ersten Anschein nach einen Wettbewerbsverstoß darstellen könnte, der durch Entscheidung der Kommission geahndet werden kann.143 Der drohende ernste, nicht wieder gut zu machender Schaden für den Wettbewerb muss den dem betroffenen Unternehmen durch den Erlass der einstweiligen Maßnahme drohenden Schaden überwiegen.144 Dem Erlass einer einstweiligen Maßnahme geht ein beschleunigtes Verfahren 1539 voraus, in dem jedoch die wesentlichen Verfahrensgrundsätze zu beachten sind.145 Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Erlass einer einstweiligen Maßnahme befristet ist und trotz der Möglichkeit der Verlängerung nach Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf.146
142 143 144 145 146
EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (502 f., Rn. 24 ff.) – GVL. EuG, Rs. T-44/90, Slg. 1992, II-1 (13, Rn. 28; 22, Rn. 61 f.) – La Cinq. Hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 20 Rn. 40 ff. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 56. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 6 Rn. 42.
§ 2 Kommissionsverfahren
III.
Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003)
1.
Einordnung
579
Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003 sieht die Möglichkeit der Kommission vor, im Rah- 1540 men eines Verfahrens, in dem sie nach der Durchführung von Ermittlungshandlungen eine Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen beabsichtigt, einen „Deal“ mit den betroffenen Unternehmen abzuschließen. Bieten die beteiligten Unternehmen an, Verpflichtungen einzugehen, die geeignet sind, die Bedenken der Kommission auszuräumen, so kann die Kommission diese Verpflichtungszusagen im Wege einer Entscheidung für die Unternehmen für bindend erklären. Die Entscheidung kann befristet sein und muss besagen, dass für ein Tätigwerden der Kommission kein Anlass mehr besteht. Die Befristung sollten die Unternehmen im eigenen Interesse beantragen. Die für verbindlich erklärte Zusage ist ein neues Instrument des Kartellverfah- 1541 rensrechts, das als „Verwaltungsakt auf Unterwerfung“ bezeichnet wird.147 Verpflichtungszusagen, die in eine Kommissionsentscheidung eingehen können, sehen auch Art. 6 Abs. 2 und 8 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004148 vor. Insoweit besteht bereits eine umfassende Praxis.149 Soweit daher Parallelen bestehen, können gegenseitig Rückschlüsse für die Auslegung und Handhabung gezogen werden.150 2.
Nähere Handhabung
a)
Anwendungsbereich
Die von den Unternehmen angebotenen Verpflichtungszusagen können sowohl 1542 verhaltensbezogene als auch strukturbezogene Abhilfemaßnahmen beinhalten. Sie sind grundsätzlich in jeder Verfahrensausrichtung möglich, bevor eine Kommissionsentscheidung ergeht, wie Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 offen formuliert. Daher treten auch gegenteilige Anhaltspunkte aus dem 13. Erwägungsgrund der VO (EG) Nr. 1/2003 zurück, der nur Verfahren erwähnt, die auf eine Verbotsentscheidung gerichtet sind und Geldbußen ausklammert. Beide Entscheidungsformen sind häufig verknüpft.151 Zudem sind Abhilfen der Unternehmen weniger belastend als Sanktionen durch die Kommission, so dass ihr genereller Vorrang durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip geboten ist.152 Dadurch ist auch das in Art. 9
147 148 149 150 151 152
Schmidt, BB 2003, 1237 (1242) unter Hinweis auf die in diesem Instrument enthaltenen Elemente der Zusagenpraxis, der Bedingung und der Auflage. Des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. L 24, S. 1. S.u. Rn. 1540 ff. Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (62). Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (62 f.). S. allgemein zur früheren Rechtslage Schwarze, EuZW 2002, 741 (745).
580
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 eingeräumte Ermessen, die Verpflichtungszusagen der Unternehmen zu akzeptieren, gebunden.153 b)
Verfahrenserfordernisse
1543 Mit der Entscheidung über die Verbindlichkeit einer Verpflichtungszusage trifft die Kommission allerdings keine Aussage darüber, ob tatsächlich ein Wettbewerbsverstoß vorgelegen hat.154 Zudem handelt es sich um ein eher informelles Vorgehen. Daher könnten die verfahrensmäßigen und materiell-rechtlichen Sicherungen entfallen, welche ansonsten im Hinblick auf eine Entscheidung der Kommission vorgesehen sind. Jedoch belastet Unternehmen auch, wenn Verpflichtungszusagen verbindlich gemacht werden. Es gelten daher die Grundanforderungen an das Verfahren zum Erlass belastender Kommissionsentscheidungen. Damit die Unternehmen wissen, was sie ohne Abhilfemaßnahmen erwartet, 1544 müssen sie die sie betreffenden Bedenken erfassen können. Das setzt voraus, dass ihnen diese Bedenken auch hinreichend ausführlich mitgeteilt werden.155 Nur dann können die Unternehmen auch hinreichend fundiert und frühzeitig überlegen, ob es zweckmäßig ist, Änderungen ihres Verhaltens anzubieten.156 Daher liegt es auch nahe, Akteneinsicht zu gewähren, obgleich diese nach 1545 Art. 15 VO (EG) Nr. 773/2004 stets an die vorherige Mitteilung von Beschwerdepunkten geknüpft scheint.157 Jedoch gelten Art. 10 ff. VO (EG) Nr. 773/2004 für die vorläufige Beurteilung gerade nicht, sondern betreffen unmittelbar nur die Mitteilung der Beschwerdepunkte,158 die hier aufgrund der lediglich vorläufigen Prüfung nach Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht in Betracht kommt. Vor Erlass einer Verbindlicherklärung veröffentlicht die Kommission gem. 1546 Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 eine kurze Zusammenfassung des Falls und den wesentlichen Inhalt der Verpflichtungszusagen sowie der geplanten Vorgehensweise. Dabei sind die unternehmensbezogenen Geheimhaltungsbedürfnisse im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse zu wahren (s. auch Art. 16 Abs. 3 S. 2 VO 153
154 155
156 157
158
Von einer Rechtspflicht ausgehend Schütz, in: Gemeinschaftskommentar, VO 1/2003 Art. 9 Rn. 7; einen „wie auch immer gearteten Anspruch der Unternehmen“ abl. Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 6 Rn. 120. 13. Erwägungsgrund der VO (EG) Nr. 1/2003; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 72. Eine förmliche Mitteilung der Beschwerdepunkte ist entgegen Temple-Lang, ECLR 2003, 347 (347) (s. auch Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 72) nicht erforderlich, Art. 27 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 e contrario, Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (63 mit Fn. 11); ebenso Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 6 Rn. 114. Für die Fusionskontrolle EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 (4191 f., Rn. 442) – Schneider Electric. Ebenso in Abgrenzung zum durch – hier fehlenden – Fristendruck gekennzeichneten Vorprüfverfahren nach der FKVO (EG) 139/2004 Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (64). Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 6 Rn. 115.
§ 2 Kommissionsverfahren
581
(EG) Nr. 773/2004). Die Kommission eröffnet damit Dritten gem. Art. 27 Abs. 4 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die Möglichkeit, ihre Bemerkungen in einer Frist vorzubringen, die von der Kommission mit mindestens einem Monat festgesetzt wird. c)
Materielle Anforderungen
Dass die Kommission nach Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 beabsichtigt, eine 1547 Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen, setzt jedenfalls eine prima-facie-Beurteilung für einen Kartellverstoß voraus. Es muss zumindest eine Vermutung für eine Verletzung von Art. 81 bzw. 82 EG bestehen.159 Bestehen keine derartigen Verdachtsmomente, kann auch keine Verbindlicherklärung erfolgen. Die vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen müssen geeignet sein, den Kar- 1548 tellverstoß zu beheben. Dabei gilt aufgrund der belastenden Wirkung solcher Verpflichtungen, die behördlich für verbindlich erklärt werden, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Deshalb gibt er nicht nur die vorrangige Akzeptanz unternehmerischer Verpflichtungszusagen vor, sondern steuert vor allem die Auswahl zwischen mehreren offerierten Möglichkeiten in der Verbindlicherklärung. Aus Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 ergibt sich der grundsätzliche Vorrang von verhaltensbezogenen vor strukturellen Verpflichtungen.160 Im Übrigen spricht eine Vermutung dafür, dass die Unternehmen die von ihnen angebotenen Maßnahmen auch tragen können. Werden sich allerdings die Umstände erwartungsgemäß ändern, ist eine Bindung der Unternehmen an eine Verpflichtungszusage zu befristen, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.161 3.
Nur begrenzte Rechtsfolgen
a)
Bindung der Kommission und der Unternehmen
Eine für verbindlich erklärte Verpflichtungszusage hat zur Folge, dass das Verfah- 1549 ren für die Kommission beendet ist und sie lediglich die Einhaltung der Zusage überwacht. Gem. Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 kann das Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem wesentlichen Punkt geändert haben, die beteiligten Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten oder die Entscheidung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben der Parteien beruhen. Eine rechtliche Neubewertung stellt mangels expliziter Nennung keinen Wiederaufnahmegrund dar.162 Wird das Verfahren aus einem relevanten Grund wiederaufge-
159 160 161 162
Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 6 Rn. 122. Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (62, 64). Bartosch, EuZW 2001, 101 (102); Temple-Lang, ECLR 2003, 347 (351). Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 83.
582
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
nommen, lebt die Prüfungsbefugnis der Kommission wieder voll auf. Die abgegebenen Verpflichtungszusagen verlieren ihre Verbindlichkeit.163 Die beteiligten Unternehmen brauchen bei Einhaltung der Verpflichtungen 1550 nicht mehr mit weiteren Ermittlungen durch die Kommission zu rechnen. Deren Zusagen treten gerade an die Stelle etwaiger Kommissionsmaßnahmen im Gefolge eines Wettbewerbsverstoßes. Ob eine Zuwiderhandlung vorgelegen hat oder noch vorliegt, bleibt nach Erwägungsgrund 13 offen. Sowohl für die Vergangenheit164 als auch für die Zukunft wird damit offenbar gerade keine Entscheidung darüber getroffen,165 sondern es wird nur festgestellt, dass für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr besteht. Damit kann sich die Kommission auch eine Arbeitserleichterung verschaffen, die ihr mehr Zeit für andere Fälle verschafft. Allenfalls kann daher in der Verbindlicherklärung eine Festlegung für eine mindere Priorität zur Untersuchung dieses Falles gesehen werden.166 Diese Erklärung spricht aber für sich selbst die Rechtsfolge aus, dass eine weitere Untersuchung nicht mehr stattfindet; aus welchem Grund, erscheint gleichgültig.167 Um freilich die Reichweite näher abschätzen zu können, sind die durch die Verpflichtungszusage entfallenden Beschwerdepunkte in der Verpflichtungszusage näher zu nennen. Sie sind ggf. aus den Ausführungen zu entnehmen, inwieweit sie durch die Verpflichtungszusage zerstreut werden können.168 Die Unternehmen sind an ihre Verpflichtungszusagen gebunden. Verstoßen sie 1551 dagegen bzw. lösen sie sich einfach davon,169 können gem. Art. 23 Abs. 2 lit. c) bzw. Art. 24 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 1/2003 Buß- und Zwangsgelder verhängt werden, oder das Verfahren kann von der Kommission wieder aufgenommen werden.170 Von einer einmal für verbindlich erklärten Verpflichtungszusage kann ein Unternehmen sich außer in den Fällen einer befristeten Kommissionsentscheidung nur durch Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens lösen, dem die Kommission insbesondere bei einer Veränderung der tatsächlichen Umstände in einem wesentlichen Punkt nachgehen wird.171 Die strenge Bindung der Unternehmen an ihre Zusage mit nur geringen Möglichkeiten, sich von dieser wieder zu lösen, und die starke Handhabe der Kommission, eine Verpflichtungszusage durchzusetzen oder
163 164 165 166 167 168 169 170
171
Busse/Leopold, WuW 2005, 146 (149). Insoweit einhellige Meinung, z.B. Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, 118 (122); Hirsch, ZWeR 2003, 233 (252). Anders bezogen auf künftige Wettbewerbsverstöße Montag/Rosenfeld, ZWeR 2003, 107 (132). Temple-Lang, ECLR 2003, 347 (349); vgl. allgemein EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 (11427 f., Rn. 46) – Masterfoods. Busse/Leopold, WuW 2005, 146 (151). Temple-Lang, ECLR 2003, 347 (348). Dieser Fall wird nicht besonders geregelt und wird daher ebenfalls sanktioniert, Busse/ Leopold, WuW 2005, 146 (152). Was nach Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 79 wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erst nach dem Versuch der Durchsetzung der Verpflichtungszusage mittels Zwangsgeld geschehen soll. In diesem Fall eine Ermessensreduzierung auf Null annehmend Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 82.
§ 2 Kommissionsverfahren
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das Verfahren wieder aufzunehmen, legen die Einführung weiterer Lösungsmöglichkeiten für die betroffenen Unternehmen nahe.172 b)
Fehlende Bindung nationaler Gerichte und Behörden
Eine für verbindlich erklärte Verpflichtungszusage bindet grundsätzlich weder na- 1552 tionale Gerichte noch nationale Wettbewerbsbehörden. Diese werden in Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht als Adressaten genannt. Zudem wird im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 gerade keine Sachentscheidung getroffen.173 Davon geht indes Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 aus, da er die Befugnis der nationalen Gerichte anspricht, über Verhaltensweisen zu befinden. Es sollen widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Solche ergehen jedoch nur, wenn auch die Kommission schon über die fragliche Verhaltensweise befunden hat, was bei Verpflichtungszusagen nicht der Fall ist.174 Daher können mitgliedstaatliche Stellen unabhängig von Verpflichtungszusagen ein Kartellverfahren durchführen, wie die Erwägungsgründe 13 und 22 ausdrücklich hervorheben.175 Diese differenzieren auch nicht nach Verstößen vor und nach Annahme176 bzw. Erfüllung177 der Verpflichtungszusage. Jedenfalls werden zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nicht ausgeschlos- 1553 sen.178 Jedoch auch darüber entscheiden nationale Gerichte, wenngleich unter einem anderen Blickwinkel. Im Kern bewerten sie, ob ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorgelegen hat oder nicht. Bei dieser Bewertung brauchen sie keine Rücksicht auf eine Kommissionsentscheidung zu nehmen, weil diese keine inhaltliche Einschätzung enthält. Soweit hingegen ein Bußgeldverfahren ein aus Sicht der Kommission abgeschlossenes Verfahren aufgreift, ist ohnehin eine Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen zwingend. Diese sind auch adäquat im Rahmen der Bußgeldzumessung zu berücksichtigen. Schließlich hat durch sie ein Unternehmen schon vor Abschluss eines nationalen Bußgeldverfahrens zum Ausdruck gebracht, dass es von den früheren Verhaltensweisen Abstand nehmen will. Weiter gehend sind die Kommission sowie die nationalen Kartellbehörden und 1554 Gerichte ohnehin in einem System gegenseitiger Rücksicht und Zusammenarbeit verbunden. Das legt eine faktische Bindungswirkung unter dem Gesichtspunkt der
172 173
174 175 176 177 178
So Schmidt, BB 2003, 1237 (1242). Darauf abhebend Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach, EG-KartellVO, 2004, Art. 9 Rn. 165; ähnlich Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, § 6 Rn. 131; Schnelle/Bartosch/Hübner, Das neue EU-Kartellverfahrensrecht, 2004, S. 121 f. S.o. Rn. 1543. Busse/Leopold, WuW 2005, 146 (149 ff.); s. auch Koenigs, DB 2003, 755 (756). Zu Recht krit. Hirsbrunner/Rhomberg, EWS 2005, 61 (64 f.). Dann eine Bindungswirkung bejahend De Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 9 Rn. 8. Gruber, EWS 2005, 310 (312 ff.). De Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 9 Rn. 8; Gruber, EWS 2005, 310 (313 f.).
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
kohärenten Anwendung des Wettbewerbsrechts nahe.179 Zudem mögen die Umstände, welche die Bedenken der Kommission ausräumen, auch dazu geeignet sein, die Bedenken anderer Behörden auszuräumen.180 Notwendig ist eine Bindungswirkung durchaus, um die Effektivität dieses Instruments sicherzustellen. Die allgemeine Verbindlichkeit auch gegenüber nationalen Stellen ist systematisch das notwenige Korrelat zur Verbindlichkeit für die Unternehmen, für die es gleichgültig ist, wer die Erfüllung der Zusage überwacht. IV.
Feststellung der Nichtanwendbarkeit (Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003)
1555 Gem. Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003 hat die Kommission die Befugnis, von Amts wegen durch Entscheidung festzustellen, dass Art. 81 EG auf eine Vereinbarung, einen Beschluss oder eine abgestimmte Verhaltensweise keine Anwendung findet, weil der Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG nicht gegeben ist oder die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllt sind. Diese Befugnis steht der Kommission auch hinsichtlich Art. 82 EG zu. Eine solche Feststellung der Nichtanwendbarkeit ergeht nur, wenn sie aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn zu neuen Formen von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen noch keine Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis vorliegt.181 Insoweit handelt es sich um eine eher formelle Betrachtung. Das öffentliche In1556 teresse ist allerdings grundsätzlich materiell zu sehen. Damit können die Belange einbezogen werden, die im Interesse der Gemeinschaft liegen. Das ist, bezogen auf den Kartelltatbestand, der Wettbewerb. Aus dieser Vorschrift des Verfahrensrechts kann nicht geschlossen werden, dass aufgrund außerhalb des Wettbewerbs stehender öffentlicher Belange eine wettbewerbsverfälschende Verhaltensweise von der Kommission praktisch gut geheißen werden kann. Vielmehr soll die VO (EG) Nr. 1/2003 das Kartellrecht vollziehbar machen, nicht aber materiell verändern. Eine Berücksichtigung anderer öffentlicher Belange im Tatbestand der Art. 81 f. 1557 EG würde zudem den Schutz des Wettbewerbs weitgehend unterhöhlen. Sie findet daher im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG statt und ermöglicht so eine Abwägung mit den wettbewerblichen Belangen.182 Dabei finden dann allerdings auch und gerade außerhalb des Wettbewerbs stehende Aspekte Eingang. Auch andernorts im Vertrag verankerte Elemente lassen sich weitgehend über die in Art. 81 Abs. 3 EG ausdrücklich genannten Ansatzpunkte einbeziehen und ansonsten ggf. über eine 179 180
181 182
Eine solche faktische Bindungswirkung voraussagend Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 95. Ohne dass allerdings eine formale Bindung besteht, s. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 20 Rn. 45, in gewissem Gegensatz dazu Rn. 47, wo zudem umgekehrt eine Verpflichtung der Kommission zum Widerruf angenommen wird, wenn sich ein Verhalten nachträglich (auch durch die Feststellung nationaler Stellen) als rechtswidrig erweist. Erwägungsgrund 14 der VO (EG) Nr. 1/2003. S.o. Rn. 105 ff., 1007 ff.
§ 2 Kommissionsverfahren
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praktische Konkordanz berücksichtigen.183 Hierauf kann der Begriff des öffentlichen Interesses für Art. 81 EG ebenfalls bezogen werden.184 Er steht dann vor allem dafür, dass eine Abwägung dazu führt, das Kartellverbot nicht auf eine bestimmte Verhaltensweise anzuwenden. Allerdings findet im Rahmen des Missbrauchsverbots gerade keine rechtfertigende Abwägung statt und im Rahmen dieses Tatbestandes zählen wirtschaftliche Gesichtspunkte, die ein Verhalten als vernünftig erscheinen lassen und daher einen Missbrauch ausschließen.185 Darauf bezogen kann das öffentliche Interesse daher lediglich auf den Wettbewerb schützende Belange gerichtet sein, etwa um den Wettbewerb zu fördern, was jedoch kaum durch Missbrauch geschehen kann, und darüber hinaus nur eine formelle Bedeutung haben, nämlich dass eine feste judikative und administrative Praxis fehlt. Bevor eine Entscheidung über die Nichtanwendbarkeit ergeht und regulär nach Art. 30 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 publiziert wird, ist diese geplante Vorgehensweise wie bei der Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen nach Maßgabe von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 zu veröffentlichen. Eine Feststellung der Nichtanwendbarkeit hat wegen des Grundsatzes der Legalausnahme lediglich deklaratorische Wirkung.186 Eine Entscheidung nach Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003 ist wegen des Charakters einer authentischen Auslegung für die Gerichte der Mitgliedstaaten jedenfalls faktisch bindend;187 darüber hinaus dürfte auch eine rechtliche Bindungen für die Wettbewerbsbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten gem. Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 eintreten.188 Die Feststellung der Nichtanwendbarkeit nach Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003 ist nicht mit der Entscheidung identisch, dass kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Diese Entscheidung kann gem. Art. 9 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 erlassen werden und ist für die nationalen Gerichte und Behörden nicht bindend.189 V.
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1561
Beratungsschreiben
Erwägungsgrund 38 der VO (EG) Nr. 1/2003 stellt klar, dass Unternehmen mit 1562 dem Wunsch um informelle Beratung an die Kommission herantreten können, wenn neue oder ungelöste Fragen bei der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts auftreten und deswegen ernsthafte Rechtsunsicherheit besteht. In diesem Zusammenhang hat die Kommission eine Bekanntmachung zu Beratungs-
183 184 185 186 187 188 189
S.o. Rn. 106, 1003 ff. S. auch Immenga, EuZW 2005, 353. S.o. Rn. 1413 ff. Schmidt, BB 2003, 1237 (1241 f.). Schmidt, BB 2003, 1237 (1242). So Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 106 ff. S.o. Rn. 1552 ff.
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Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
schreiben veröffentlicht.190 In dieser Bekanntmachung sind die wesentlichen Punkte zum Instrument des Beratungsschreibens zusammengefasst. Es soll wegen der angestrebten Konzentration der Kommission auf die wirklich problematischen Konstellationen lediglich ausnahmsweise in Fällen ergehen, in denen tatsächliche Rechtsunsicherheit herrscht. Es kommt nur dann in Betracht, wenn die gestellte Frage bisher tatsächlich ungeklärt ist, die Klärung angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung und des Ausmaßes der betreffenden Gepflogenheit sowie der strukturellen und investitionsbezogenen Bedeutung zweckmäßig erscheint und der Sachverhalt feststeht.191 Die Kommission unternimmt keine Ermittlungshandlungen, behandelt keine hypothetischen Fragen und erstellt kein Beratungsschreiben, wenn die Frage bereits in einem anhängigen Behörden- oder Gerichtsverfahren thematisiert wird.192 Die Bekanntmachung gibt ferner genau an, welche Informationen die ersuchen1563 den Unternehmen mitzuteilen haben. Dazu gehören vor allem eine genaue Bezeichnung der ersuchenden Unternehmen, der gestellten Fragen einschließlich deren Neuartigkeit sowie des zugrunde liegenden Sachverhalts, der mit umfassenden, vollständigen Angaben sowie einschlägigen Unterlagen zu dokumentieren ist.193 Bei der Bearbeitung eines Ersuchens um informelle Beratung kann die Kommission Informationen aus öffentlichen Quellen und früheren Verfahren heranziehen; sie hat generell das Berufsgeheimnis zu wahren.194 Die Unternehmen müssen aber damit rechnen, dass die im Ersuchen dargelegten Umstände zur Einleitung eines Verfahrens nach der VO (EG) Nr. 1/2003 führen.195 Wird kein Beratungsschreiben erstellt, teilt die Kommission dies dem Unter1564 nehmen mit. Aus dieser Formulierung196 ergibt sich, dass den Unternehmen kein Anspruch auf ein Beratungsschreiben zusteht.197 Im Gegenzug können die Unter190
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Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78. Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 7 f.). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 9 f.). Im Einzelnen Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 14). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 15) Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 11). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 17). Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 136.
§ 2 Kommissionsverfahren
587
nehmen ihr Ersuchen auch jederzeit zurückziehen. Wird ein Beratungsschreiben erstellt, so enthält es eine Zusammenfassung des Sachverhalts und der wichtigsten rechtlichen Argumente, auf welche die Kommission ihre Rechtsansicht stützt.198 Es wird auf der Website der Kommission nach Verständigung mit den betreffenden Unternehmen und unter Wahrung der Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht.199 Ein Beratungsschreiben bindet schon mangels Entscheidungsqualität weder die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte noch die Gerichte der Gemeinschaft, kann aber berücksichtigt werden. Es hindert die Kommission nicht daran, Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die Gegenstand eines Beratungsschreibens waren, später in einem Verfahren nachzuprüfen.200 Sie hat ihm nur in einem späteren Verfahren Rechnung zu tragen, aber unter Berücksichtigung etwaiger mittlerweile eingetretener Sachverhaltsänderungen.201 VI.
Entzug des Rechtsvorteils einer GVO (Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003)
Art. 29 VO (EG) Nr. 1/2003 gibt der Kommission die Befugnis, den bestehenden 1565 Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung wieder zu entziehen, wenn eine von der Gruppenfreistellungsverordnung erfasste Vereinbarung, ein Beschluss oder eine abgestimmte Verhaltensweise Wirkungen hat, die mit Art. 81 Abs. 3 EG nicht vereinbar sind (Abs. 1). Sofern dies nur in einem Gebiet der Fall ist, das alle Merkmale eines gesonderten räumlichen Marktes aufweist, so können die entsprechenden nationalen Wettbewerbsbehörden den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellungsverordnung nur für dieses Gebiet entziehen (Abs. 2).
E.
Sanktionen
Die Kommission verfügt über die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzun- 1566 gen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Buß- oder Zwangsgelder zu verhängen. Dies ist in Art. 23, 24 VO (EG) Nr. 1/2003 geregelt.
198
199
200
201
Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 19). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 21). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 24 f.). Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78 (Rn. 24 f.).
588
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
I.
Bußgeld (Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003)
1.
Ansatzpunkte
1567 Gem. Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission Bußgelder gegen Unternehmen sowie Unternehmensvereinigungen verhängen, wenn diese Ermittlungshandlungen der Kommission behindern, indem sie vorsätzlich oder fahrlässig Auskunftsverlangen unrichtig, unvollständig, irreführend oder nicht fristgemäß beantworten oder im Rahmen einer Nachprüfung Unterlagen nicht vorlegen, Fragen unrichtig oder irreführend beantworten, unrichtige Aussagen eines Belegschaftsmitglieds nicht korrigieren, unvollständige Antworten erteilen oder vollständige Antworten verweigern oder einen Siegelbruch begehen. Die Bußgelder, die gem. Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 verhängt werden können, dienen somit sämtlich dazu, der Kommission die Möglichkeit zu schaffen, ohne wesentlich Behinderungen Ermittlungshandlungen durchführen zu können. Die Bußgeldhöhe darf 1 % des Gesamtumsatzes des vorausgegangenen Geschäftsjahres nicht überschreiten. Gem. Art. 23 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission Geldbu1568 ßen verhängen, die einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Wettbewerbsverstoß, eine Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen oder die Nichteinhaltung einer nach Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003 für verbindlich erklärten Verpflichtungszusage sanktionieren. Die Geldbußen dürfen gem. Art. 23 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 10 % des jeweiligen Vorjahresumsatzes nicht überschreiten. Das gilt aber nur für den Endbetrag,202 nicht für Zwischenbeträge.203 2.
Bemessung
a)
Grundlagen
1569 Bei der Festsetzung der Bußgelder der Höhe nach sind gem. Art. 23 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen. Das entspricht dem spezialpräventiven Charakter dieses Instruments, damit die Kommission einzelne Zuwiderhandlungen ermitteln und ahnden kann.204 Darüber hinaus kommt dem Bußgeld aber eine wichtige Funktion für die Verwirklichung der Wettbewerbspolitik überhaupt zu. Es soll das Verhalten der Unternehmen lenken. Daher soll die Kommission „jederzeit das Niveau der Geldbußen den 202
203
204
Explizit auch Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der VO Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 C 9, S. 3 (5, Abschnitt 5. lit. a)) mit weiteren Einzelheiten. Grundlegend die Urteile zum Fernwärmerohrkartell, EuG, Rs. T-9/99, Slg. 2002, II-1487 (Rn. 452) – HFB; Rs. T-23/99, Slg. 2002, II-1705 (1806 f., Rn. 287) – LR; Rs. T-16/99, Slg. 2002, II-1633 (Rn. 288) – Lögstör; krit. dazu Kallmayer/Haupt, EuZW 2002, 677 (681 f.). EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1980, 1825 (1905 f., Rn. 105) – Musique Diffusion Française.
§ 2 Kommissionsverfahren
589
Erfordernissen dieser Politik anpassen können“.205 Dieser generalpräventive Ansatz ist Ausfluss des effet utile von Art. 81 f. EG und deshalb auch prägend für die Anwendung des sekundärrechtlichen Kartellverfahrensrechts. Damit besteht zwar ein gleitender Maßstab. Gleichwohl sind maßgebliche Eckpunkte vorhanden, welche die Höhe des Bußgeldes prägen, so dass der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt bleibt,206 zumal sich aus diesem Hintergrund weitere Anhaltspunkte ergeben, welche zudem durch die Kommission weiter konkretisiert wurden. Soweit gleichwohl Ungewissheiten verbleiben, liegen diese im System der Bußgeldbemessung: Je ungewisser vorher die Höhe ist, desto schwieriger gestaltet sich für die Unternehmen die gezielte Kalkulation, Wettbewerbsverstöße trotz Bußgelddrohung zu begehen, weil der wirtschaftliche Vorteile auch nach Abzug der Bußgelder höher ist. Die nicht genaue Vorhersehbarkeit207 leistet daher einen zusätzlichen abschreckenden Effekt. Das wesentliche Leitmotiv für Unternehmen, ein Verhalten trotz feststehender 1570 Rechtswidrigkeit zu praktizieren, ist der dabei zu erzielende Gewinn. Eine Verhaltenslenkung ist daher am wirksamsten dadurch möglich, dass dieser Gewinn möglichst weitgehend abgeschöpft wird. Ist dieser hoch, kann das Niveau der Geldbuße entsprechend angehoben werden, um die abschreckende Wirkung zu verstärken.208 Die mögliche Orientierung an den vom Unternehmen aus dem Wettbewerbsverstoß gezogenen Vorteilen ist zwar in Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht genannt, wird aber auch nicht ausgeschlossen und lässt sich mit der Grenze in Höhe von 10 % des Gesamtumsatzes in Verbindung bringen, ebenso mit der Schwere der Zuwiderhandlung: Beide Komponenten werden erhöht, wenn ein hoher Gewinn aus einem Wettbewerbsverstoß gezogen wird. Kann die Geldbuße solchermaßen am Gewinn ausgerichtet werden,209 ist sie allerdings hinsichtlich der Vorteilsabschöpfung nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 S. 4 EStG steuerlich zu berücksichtigen.210 b)
Leitlinien der Kommission
Die Vorgabe, die Bußgelder nach Schwere und Dauer des Verstoßes festzusetzen, 1571 ist sehr allgemein und gibt der Kommission ein weites Ermessen.211 Sie durfte dieses daher durch Leitlinien konkretisieren, ohne damit allerdings neue Rechtsvor205 206 207 208 209
210 211
EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1980, 1825 (1905 f., Rn. 105, 109) – Musique Diffusion Française. Abl. hingegen Soltész/Steinle/Bielesz, EuZW 2003, 202 (207 ff.); s. auch Schwarze, EuZW 2003, 261 (267 ff.). Darauf verweisend auch Weitbrecht, EuZW 2003, 357 (361). EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1980, 1825 (1906, Rn. 108) – Musique Diffusion Française. S. auch z.B. EuG, Rs. T-12/89, Slg. 1992, II-907 (1009, Rn. 309) – Solvay; Rs. T-13/89, Slg. 1992, II-1021 (1149, Rn. 385) – ICI; Rs. T-14/89, Slg. 1992, II-1155 (1263 f., Rn. 346) – Montedipe. Ausführlich Scholz/Haus, EuZW 2002, 682 (688). Etwa EuG, Rs. T-150/89, Slg. 1995, II-1165 (1186, Rn. 59) – Martinelli; Rs. T-49/95, Slg. 1996, II-1799 (1823, Rn. 53) – Van Megen Sports; Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 (1736, Rn. 127) – Deutsche Bahn.
590
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
schriften geschaffen zu haben.212 Diese bleiben nach Art. 83 Abs. 2 lit. a) EG dem Rat vorbehalten. Allerdings kann die Kommission ihr Ermessen ausüben und binden. Erfolgt dies allgemein in veröffentlichten Leitlinien, dient dies auch der Rechtssicherheit der Betroffenen. Die näheren Einzelheiten der Bußgeldbemessung sind daher in den Leitlinien 1572 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zu finden.213 Diese pauschalieren die festzusetzenden Bußgelder und gehen zulässigerweise von einer im Ansatz umsatzproportionalen Bemessung ab,214 die aber auch nicht absolut zu setzen ist.215 Diese Leitlinien können, obgleich noch auf Art. 15 Abs. 2 der VO Nr. 17 gestützt, weiterhin herangezogen werden, sind sie doch in Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen der Bußgeldfestsetzung. In diesen Leitlinien wird minder schweren, schweren und besonders schweren 1573 Verstößen jeweils ein eigener Bußgeldrahmen zugewiesen, und zwar von 1000 bis 1 Mio. ECU, von 10 Mio. bis 20 Mio. ECU sowie von oberhalb von 20 Mio. ECU. Bei der näheren Differenzierung sind vor allem die Art des Verstoßes, die wirtschaftliche Fähigkeit, der juristische Sachverstand und damit die Erkennbarkeit des Verstoßes sowie bei Beteiligung mehrerer Unternehmen die einzelnen Verursachungsbeiträge heranzuziehen.216 Darüber hinaus werden Zuschläge für Verstöße von mittlerer und langer Dauer und erschwerende oder mildernde Umstände festgelegt. Der Zuschlag für eine längere Dauer des Verstoßes soll nicht nur die dauerhaft schädlichen Auswirkungen für den Verbraucher ahnden, sondern auch den Anreiz erhöhen, den Kartellverstoß anzuzeigen und sich als Kronzeugen zur Verfügung zu stellen.217 Außerhalb dieses eigens bestimmten Rahmens führt die aktive Mitwirkung eines Unternehmens an dem Kartellverfahren zu einem mildernden Umstand. Erschwerend wirken hingegen die Verweigerung der Zusammenarbeit, eine führende Rolle und auch das Erfordernis, die Geldbuße zu erhöhen, um den objektiv ermittelbaren Betrag der aufgrund des Verstoßes unrechtmäßig erzielten Gewinne zu übertreffen.218 212
213
214 215 216
217
218
EuG, Rs. T-9/99, Slg. 2002, II-1487 (Rn. 491) – HFB; s. aber EuG, Rs. T-23/99, Slg. 2002, II-1705 (1803, Rn. 274) – LR: „allgemeine und abstrakte Regelung des Verfahrens“; krit. dazu Kallmayer/Haupt, EuZW 2002, 677 (679). Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der VO Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 C 9, S. 3. Im Einzelnen EuG, Rs. T-9/99, Slg. 2002, II-1487 (Rn. 422 ff.) – HFB; teilw. krit. dazu Kallmayer/Haupt, EuZW 2002, 677 ff. Bereits EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1980, 1825 (1909, Rn. 121) – Musique Diffusion Française. Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der VO Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 C 9, S. 3 (3 f., Abschnitt 1. A.). Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der VO Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 C 9, S. 3 (4, Abschnitt 1. B.). Im Einzelnen Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der VO Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 C 9, S. 3 (4, Abschnitte 2. u. 3.).
§ 2 Kommissionsverfahren
c)
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Kronzeugenregelung
Zusätzlich bestimmt die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Er- 1574 mäßigung von Geldbußen in Kartellsachen,219 unter welchen Voraussetzungen bei Kronzeugenregelungen220 ein Erlass oder eine Ermäßigung des Bußgeldes vorzunehmen ist.221 Mit der neuen Kronzeugenregelung wurde der Schwerpunkt von der Ermäßigung zum Erlass verlagert, der allerdings nur für das erste sich offenbarende Unternehmen greift.222 Ein Erlass ist nur möglich, wenn die Kommission nicht bereits selbst über ausreichende Beweismittel verfügt; die von einem Unternehmen vorgelegten Beweismittel müssen also für die Nachweisführung konstitutiv sein und dürfen nicht lediglich additiven Charakter besitzen. Ansonsten kommt nur eine Ermäßigung in Betracht. Weiter muss das Unternehmen kontinuierlich und bei Anfragen jeweils zügig mit der Kommission zusammenarbeiten sowie alle ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel vorlegen. Es darf spätestens ab Vorlage der Beweismittel nicht mehr an der mutmaßlichen rechtswidrigen Handlung teilnehmen und kein anderes Unternehmen zur Teilnahme daran gezwungen haben.223 Grundbedingung für eine Ermäßigung ist, dass die von dem Unternehmen der 1575 Kommission vorgelegten Beweismittel gegenüber den ohnehin schon vorhandenen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert für die Nachweisführung haben. Besonders wertvoll sind dabei unmittelbare Beweismittel aus der Zeit, als der nachzuweisende Sachverhalt begangen wurde. Zudem muss das Unternehmen spätestens zum Zeitpunkt der Beweisvorlage seine Beteiligung einstellen.224 Sofern eine Lieferung von Informationen nicht die Kriterien der Kronzeugenre- 1576 gelung erfüllt, aber dennoch die Kommission in ihren Ermittlungen wirksam unterstützt, bildet sie gleichwohl eine effektive Zusammenarbeit. Daher besteht ein Anspruch auf Herabsetzung der Geldbuße aufgrund mildernder Umstände. Dieser Anspruch kann zusätzlich neben der Kronzeugenregelung bestehen,225 wenn auch diese durch eine andere Verhaltensweise erfüllt ist.
219
220 221 222 223
224 225
ABl. 2002 C 45, S. 3. Ausführlich auch zu der Entwicklung gegenüber der Kronzeugenregelung von 1996 Feddersen, in: Grabitz/Hilf, nach Art. 83 VO 1/2003 Art. 23 Rn. 265 ff.; zu der damaligen Praxis ausführlich Schneider, Kronzeugenregelung im EG-Kartellrecht, 2004, S. 61 ff. Zu Aspekten der Weitergabe von Informationen Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551 ff. Zu Bedenken aus höherrangigem Recht Schneider, Kronzeugenregelung im EG-Kartellrecht, 2004, S. 156 ff. Polley/Seeliger, EuZW 2002, 397 (401). Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. 2002 C 45, S. 3 (Rn. 8 ff.). Ausführlich zu diesen einzelnen Voraussetzungen Hetzel, Kronzeugenregelungen im Kartellrecht, 2004, S. 89 ff. Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. 2002 C 45, S. 3 (Rn. 20 ff.). EuG, Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 – Archer Daniels.
592
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
d)
Allgemeine Grenzen
1577 Ohne Auswirkungen soll hingegen eine überlange Verfahrensdauer sein, jedenfalls wenn die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens nicht beeinträchtigt wurden.226 Zwar ändert die Länge des Verfahrens nichts am Verstoß gegen das Kartellrecht. Indes ist ein Kartellverfahren bereits als solches belastend und ggf. auch imageschädigend, so dass diese Komponente in die Bußgeldbemessung einzubeziehen ist, stand doch das betroffene Unternehmen durch das laufende Verfahren schon lange genug am Pranger. Die Bemessung des Bußgeldes muss darüber hinaus allgemeinen Maßstäben 1578 und damit insbesondere dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Vergleichbare Sachverhalte dürfen also nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich sanktioniert werden, außer dies ist objektiv gerechtfertigt.227 So müssen vergleichbare Wettbewerbsverstöße auch (gleichermaßen) bei der Bußgeldfestsetzung einbezogen werden. Dies ist allerdings nicht mehr möglich, wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen ist, weil etwa ein Unternehmen sich zu den für eine Erhöhung des Bußgeldes maßgeblichen Faktoren in einer die Verteidigung einschränkenden Weise nicht äußern konnte. Das EuG bejahte insoweit eine Absenkung des Bußgeldes auf das Niveau, das der nicht gerechtfertigten Ausklammerung einer Verhaltensweise entsprach.228 Damit gewährte es indes eine „Gleichbehandlung im Unrecht“, die eigentlich jedenfalls nach allgemeinen Grundsätzen des deutschen Rechts wegen Unterlaufens der Gesetzesbindung ausgeschlossen ist.229 Sachgerechter wäre es daher gewesen, das Bußgeld für den noch offenen Fall unabhängig von dem rechtswidrig verbeschiedenen und nicht mehr abänderbaren zu beurteilen. Anderweitig verhängte Bußgelder sind aus Billigkeitsgründen adäquat zu be1579 rücksichtigen.230 Das gilt aber nur für solche aus nationalen Parallelverfahren mit unterschiedlicher Zielrichtung,231 nicht hingegen für internationale. Insoweit besteht kein allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz, diese anzurechnen.232 Zudem ist die Zielsetzung von Kartellverfahren in anderen Mitgliedstaaten jedenfalls auf ein anderes Gebiet bezogen. Schließlich erfasste der Wettbewerbsverstoß unterschiedliche Märkte mit jeweils eigenen negativen Folgen.233 e)
Anpassung durch die Rechtsprechung
1580 Daraus wurde bereits deutlich, dass die Rechtsprechung eine Geldbuße erhöhen kann, wenn diese zur unbeschränkten Nachprüfung und Neufestsetzung angefoch226 227 228 229 230 231 232 233
EuG, Rs. T-67/01, WuW 2004, 1093 (1095, Rn. 40) – JCB Service. EuG, Rs. T-311/94, Slg. 1998, II-1129 (1221, Rn. 309) – BPB de Eendracht unter Verweis auf die allgemeine Rspr. EuG, Rs. T-67 u.a./00, WuW 2004, 959 (964, Rn. 573 ff.) – JFE Engineering. Berg, EWS 2005, 49 (55). Grundlegend EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm. Solche mit gleicher Zielrichtung sind unzulässig, s.o. Rn. 138. EuG, Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 – Archer Daniels. Ausführlich sogleich u. Rn. 1595 ff. im Zusammenhang mit dem Grundsatz ne bis in idem.
§ 2 Kommissionsverfahren
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ten wird. Dies ergibt sich aus Art. 31 VO (EG) Nr. 1/2003 und ist mit Art. 229 EG vereinbar.234 Die Betroffenen mussten sich dazu und zu den maßgeblichen Faktoren äußern können. Das ist ein Gebot des rechtlichen Gehörs.235 Hat also die Kommission keinen Antrag auf Erhöhung der Geldbuße gestellt, ist eine solche nicht möglich.236 Wird die Geldbuße von der Rechtsprechung reduziert, muss die Kommission 1581 den bereits geleisteten überschießenden Teilbetrag zurückzahlen. Ein vollständiger Ausgleich ist aber nur hergestellt, wenn dieser Betrag auch verzinst wird. Die Kommission muss daher Verzugszinsen bezahlen. Diese kann sie nicht durch bloße Nichtzahlung stillschweigend ablehnen und damit die Zwei-Monats-Klagefrist nach Art. 230 EG in Gang setzen, nach deren Ablauf eine Zahlungspflicht ausgeschlossen wäre. Insoweit handelt es sich um ein bloßes Schweigen, das grundsätzlich keine Rechtswirkung hat.237 3.
Zahlungspflicht
Wird gegen eine nicht zahlungsfähige Unternehmensvereinigung eine Geldbuße 1582 verhängt, so haften nach Art. 23 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 subsidiär die Mitglieder der Vereinigung für das Bußgeld. Zunächst fordert die Vereinigung von ihren Mitgliedern Beiträge zur Deckung. Werden diese nicht innerhalb einer von der Kommission gesetzten Frist geleistet, so kann die Kommission die Zahlung unmittelbar von jedem Mitglied verlangen, dessen Vertreter Mitglieder in den betreffenden Entscheidungsgremien der Vereinigung waren. Soweit es hiernach zur vollständigen Zahlung der Geldbuße erforderlich ist, kann die Kommission die Zahlung des Restbetrags von jedem Mitglied verlangen, das auf dem Markt tätig war, auf dem die Zuwiderhandlung erfolgte. Höchstgrenze für die Inanspruchnahme eines Unternehmens im Wege der Durchgriffshaftung ist jedoch 10 % des Vorjahresumsatzes. Zudem darf die Kommission keine Zahlungen im Wege der Durchgriffshaftung 1583 von einem Unternehmen verlangen, das nachweist, dass es den die Zuwiderhandlung begründenden Beschluss der Vereinigung nicht umgesetzt hat und entweder von dessen Existenz keine Kenntnis hatte oder sich aktiv davon distanziert hat, bevor die Kommission mit der Untersuchung des Falles begonnen hat. Zu einer generellen gesamtschuldnerischen Haftung für Geldbußen finden sich 1584 keine näheren Aussagen in der VO (EG) Nr. 1/2003. Die Grenzen bei einem Einstehen für eine Unternehmensvereinigung können jedoch auch insoweit herangezogen werden. Das gilt insbesondere dafür, dass gem. Art. 23 Abs. 4 UAbs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 keine Zahlungen von Unternehmen verlangt werden, die nachweislich nicht beteiligt oder unwissend waren. Ein Bußgeld setzt schließlich als 234 235 236
237
EuG, Rs. T-67 u.a./00, WuW 2004, 959 (965, Rn. 578) – JFE Engeneering. Allgemein s.o. Rn. 1510 ff. EuG, Rs. T-67 u.a./00, WuW 2004, 959 (965, Rn. 579) – JFE Engeneering; ebenso Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 229 Rn. 16; anders teilw. die Lit., etwa Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 229 Rn. 16 m.w.N. EuGH, Rs. C-123/03 P (Rn. 45) – Greencore Group. Vgl. im Hinblick auf ein einfaches Schreiben der Kommission EuG, Rs. T-308/02 (Rn. 39 ff.) – SGL Carbon.
594
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Sanktionsinstrument ein Mindestmaß an Zurechenbarkeit des sanktionierten Verhaltens voraus. Dass ein Unternehmen lediglich „für Rechnung und Interesse“ eines anderen gehandelt hat, reicht dafür nicht aus.238 Erforderlich ist vielmehr ein Verhaltensband. Ein solches liegt darin, dass eine Muttergesellschaft einer Tochtergesellschaft Weisungen erteilt. Dann ist auch deren kartellrechtswidriges Verhalten zurechenbar.239 Es wird gleichsam (auch) durch die Muttergesellschaft selbst begangen.240 Schließlich ist sie die letztlich Verantwortliche, die das Verhalten der Tochtergesellschaft regelmäßig steuert. Das Bußgeld kann auch sie treffen. Das erfolgt auf der Basis einer verhaltensbezogenen Sicht im Hinblick auf eine wirtschaftliche Einheit, auf welcher die Verpflichtung aus dem Kartellrecht beruht.241 Eine engere Sichtweise mag angezeigt sein, wenn man dem kartellrechtlichen 1585 Bußgeld nicht nur verwaltungsrechtlichen, sondern strafrechtlichen Charakter zumisst. Dann fallen auch rechtsstaatliche Bedenken242 stärker ins Gewicht, während im Verwaltungsrecht Zurechnungen nichts Ungewöhnliches sind und in hohem Maße zweckbezogen behandelt werden können. Die Zurechnung an ein anweisendes Unternehmen ermöglicht eine Anknüpfung an die letztlich verantwortliche Einheit und sorgt daher effektiver für eine Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften. 4.
Verwaltungsrechtliche Sanktionen ohne strafrechtlichen Charakter
1586 Bei den nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 verhängten Bußgeldern handelt es sich um verwaltungsrechtliche Sanktionen ohne strafrechtlichen Charakter. Dies legt Art. 23 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 ausdrücklich fest. Teilweise wird dies kritisch hinterfragt und darauf hingewiesen, dass ungeachtet dieser Qualifikation aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze präzisere Strafzumessungsregeln in der VO (EG) Nr. 1/2003 getroffen werden müssten, als dies der Fall ist und zudem die elementaren verfassungsrechtlichen Strafrechtsgarantien zu beachten seien.243 Dieser Kritik ist zuzugeben, dass die Verhängung mitunter sehr hoher Geldbußen für die betroffenen Unternehmen bisweilen sehr einschneidende Konsequenzen hat und dass die 238
239 240
241 242 243
S. dagegen GA Stix-Hackl, Schlussanträge vom 26.9.2002, EuGH, Rs. C-196/99 P (Rn. 98 ff.) – Aristrain; anders Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, 1999, S. 42. GA Stix-Hackl, Schlussanträge vom 26.9.2002, EuGH, Rs. C-196/99 P (Rn. 99) – Aristrain; s. bereits Rs. 48/69, Slg. 1972, 619 (665, Rn. 132/135) – ICI. EuGH, Rs. C-294/98 P, Slg. 2000, I-10065 (10096 f., Rn. 28) – Metsä-Serla: „Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung …, die ihnen aufgrund dieser Zurechnung selbst zur Last gelegt wird“. Demgegenüber von einer Zurechnung fremden Verhaltens ausgehend Steinle, EWS 2004, 118 (122), der daher auch erhebliche rechtsstaatliche Bedenken hat (123). Ausführlich o. Rn. 373 ff. Steinle, EWS 2004, 118 (123). So engagiert und ausführlich Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 7 mit zahlr. Nachw.
§ 2 Kommissionsverfahren
595
repressiv-präventive Wirkung dieser Geldbußen punitiven Charakter entfalten mag. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass es sich bei den gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängten Bußgeldern um verwaltungsrechtliche Sanktionen handelt, die der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Verwaltung und der wirksamen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dienen.244 Der Rechtsschutz wird im Rahmen der allgemein anerkannten Grundsätze des 1587 Verwaltungsrechts und der Gemeinschaftsgrundrechte durch die Anerkennung der Verteidigungsrechte und den Grundsatz des Fair Trial gewährt.245 Dass es sich bei den verhängten Geldbußen gerade nicht um strafrechtliche Sanktionen handelt, zeigt sich bereits daran, dass die Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängt werden. Strafrechtliche Sanktionen richten sich gegen eine natürliche Person, deren Verhalten sanktioniert wird. Aus diesem Grunde besteht kein Anlass zur Kritik. Gleichwohl hat die deutsche Delegation bei der Verabschiedung der VO (EG) 1588 Nr. 1/2003 eine Erklärung abgegeben, wonach die Beweislastregelung des Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003, der zufolge die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 oder Art. 82 EG derjenigen Partei oder Behörde obliegt, die sie behauptet, für die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG dagegen dem Unternehmen oder der Unternehmensvereinigung, die sich darauf beruft, im Bereich des Bußgeldverfahrens die im deutschen Recht geltende Unschuldsvermutung nicht zu ändern vermag.246 Diese habe Verfassungsrang und gelte auch im Bereich des Nebenstrafrechts und damit des Bußgeldrechts. Diese vermag aber am System der vorrangigen VO (EG) Nr. 1/2003 nichts zu rütteln. Daher bezieht sich die Beweislastverteilung nach Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 auch und gerade auf das Bußgeldverfahren, das nach Art. 23 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 keinen strafrechtlichen Charakter hat, aber das Kernstück und maßgebliche Ergebnis des Kartellverfahrens bildet, um die Unternehmen zur Einhaltung des Wettbewerbsrechts anzuhalten und bei Verstößen auch den Gewinn abzuschöpfen. Die Bußgeldbemessung dient vor allem der Verwirklichung unverfälschten Wettbewerbs sowie der Chancengleichheit.247 Die Ahndung von Verstößen ist nur Mittel dieses verwaltungsbezogenen Zwecks, den die Kommission zusammen mit den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sicherzustellen hat. 5.
Zwangsvollstreckung
Die Zwangsvollstreckung erfolgt gem. Art. 256 Abs. 2 EG nach dem Zivilprozess- 1589 recht des Mitgliedstaates, in dem sie stattfindet. Dagegen sind daher auch die nationalen Rechtsbehelfe zu erheben. Materielle Einwände sind auf dieser Stufe hin244 245 246 247
EuGH, Rs. C-210/00, Slg. 2002, I-6453 (6496 f., Rn. 33 ff.) – Käserei Champignon. EuG, Rs. T-112/98, Slg. 2001, II-729 (758, Rn. 77) – Mannesmannröhrenwerke; Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 (701, Rn. 718) – Cimenteries CBR u.a. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 11 Rn. 38 mit Abdruck der Erklärung in Anhang 3. S.o. Rn. 1569.
596
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
gegen regelmäßig ausgeschlossen.248 Sie sind auf dem Weg einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 4 EG geltend zu machen. Art. 256 Abs. 4 EG sieht eine Aussetzung der Vollstreckung durch den Gerichtspräsidenten vor; diese unterliegt aber strengen Voraussetzungen und greift daher nur selten.249 II.
Zwangsgeld (Art. 24 VO (EG) Nr. 1/2003)
1590 Die Kommission hat auch die Möglichkeit, die Durchsetzung von Verwaltungsentscheidungen mittels Zwangsgeld zu erzwingen. Die Festsetzung eines Zwangsgelds ist unabhängig von einem Verschulden des Unternehmens und dient dazu, die Verwaltungsentscheidung durchzusetzen und künftige Zuwiderhandlungen zu verhindern.250 Das Verfahren zur Festsetzung eines Zwangsgelds verläuft zweistufig. Auf der ersten Stufe wird das Zwangsgeld für den Fall einer Zuwiderhandlung nach Art. 24 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 bis höchstens 5 % des durchschnittlichen Tagesumsatzes des Vorjahres festgesetzt. Dies entspricht der Androhung einer Zwangsgeldes im deutschen Verwaltungsvollstreckungsrecht. Wenn das betreffende Unternehmen der Verwaltungsentscheidung nicht nachkommt, verwirkt es das Zwangsgeld. Erst nach Durchsetzung der Entscheidung mit Hilfe des Verwaltungszwangs wird das verwirkte Zwangsgeld festgesetzt und beigetrieben. Nur im Hinblick auf diese endgültige Festsetzung sind die Verfahrensgarantien zu beachten.251 In diesem Zusammenhang sieht Art. 24 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 vor, dass die Kommission den endgültigen Betrag niedriger festsetzten kann als den ursprünglich angedrohten Betrag. Die Durchgriffshaftung des Art. 23 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 gilt auch im Bereich der Zwangsgelder. III.
Verjährung (Art. 25 f. VO (EG) Nr. 1/2003)
1591 Die Befugnis der Kommission zur Verhängung von Sanktionen (Verfolgungsverjährung) verjährt nach Art. 25 VO (EG) Nr. 1/2003 in fünf Jahren, bei einem Verstoß gegen Auskunftsverlangen oder Nachprüfungen in drei Jahren ab dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Bei dauerhaften oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen läuft die Frist ab der Beendigung der Zuwiderhandlung. Ermittlungshandlungen der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden unterbrechen die Verjährung mit der Wirkung, dass die Verjährung nach der Unterbrechung von neuem beginnt. Durch Unterbrechungen kann die Verjährung jedoch nur bis zu dem Tag hinausgeschoben werden, an dem die doppelte Verjährungsfrist verstrichen ist. Darüber hinaus ruht die Verjährung für den Zeit-
248 249 250 251
Ausführlich Terhechte, EuZW 2004, 235 ff. Näher Jakobs, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 32. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 21 Rn. 2. EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 (2933, Rn. 56) – Hoechst; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 21 Rn. 4.
§ 2 Kommissionsverfahren
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raum, in dem wegen der Entscheidung der Kommission ein Verfahren vor dem EuGH anhängig ist. Die Befugnis der Kommission zur Vollstreckung der Entscheidungen, mit de- 1592 nen eine Sanktion verhängt wird, verjährt gem. Art. 26 VO (EG) Nr. 1/2003 in fünf Jahren ab Bestandskraft der Entscheidung. Die Vollstreckungsverjährung wird unterbrochen durch Bekanntgabe einer Entscheidung, durch die der festgesetzte Geldbetrag geändert oder ein Antrag auf seine Änderung abgelehnt wird und durch jede auf zwangsweise Beitreibung des Geldes gerichtete Handlung der Kommission oder eines Mitgliedstaates auf Antrag der Kommission. Die Verjährung ruht für den Zeitraum der Bewilligung von Zahlungserleichterungen und solange die Zwangsvollstreckung durch eine Entscheidung des EuGH ausgesetzt ist. IV.
Ne bis in idem
1.
Doppelbestrafungsverbot
Obwohl es sich bei Geldbußen um verwaltungsrechtliche Sanktionen handelt, ist 1593 auf sie der Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots (ne bis in idem) anwendbar.252 Dieser Grundsatz besagt, dass ein Unternehmen wegen eines Wettbewerbsverstoßes, der bereits Gegenstand eines Verfahrens war und in dem das Unternehmen hierfür entweder sanktioniert oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, nicht erneut verurteilt oder verfolgt werden darf.253 Eine bloße Nichtigerklärung aus rein formalen Gründen ohne materielle Beurteilung des wettbewerbsrelevanten Sachverhalts steht allerdings einer Wiederaufnahme von Verfolgungsmaßnahmen nicht entgegen.254 Ein und dieselbe Verhaltensweise darf unabhängig davon zugleich mit einem Bußgeld und mit einem Zwangsgeld sanktioniert werden, ohne dass dies mit dem Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots kollidiert. Dies ergibt sich aus dem Charakter des Zwangsgeldes als Bestandteil des Verwaltungszwangsverfahrens.255 2.
Anrechnung von Bußgeldern innerhalb der EU
Treffen zwei Bußgeldverfahren aufeinander, ist auch dies nicht ausgeschlossen, 1594 wenn sie unterschiedlichen Zielen dienen und der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten entspringen.256 Nach Art. 3 VO (EG) Nr. 252 253 254 255 256
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 21 Rn. 33; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 7 Rn. 24 ff. EuGH, Rs. C-238 u.a./99 P, Slg. 2002, I-8375 (8652, Rn. 61) – Limburgse Vinyl Maatschappij. EuGH, Rs. C-238 u.a./99 P, Slg. 2002, I-8375 (8652 f., Rn. 62) – Limburgse Vinyl Maatschappij. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 21 Rn. 2. Bereits EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm; z.B. noch EuG, Rs. T-223/00, Slg. 2003, II-2553 (2589 f., Rn. 98) – Kyowa Hakko; Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 (2642, Rn. 87) – Archer Daniels. Das gilt nicht bei vollständiger De-
598
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
1/2003 ist dies in Abs. 3 explizit vorgesehen; er sichert allgemein nur die einheitliche Anwendung und Durchsetzung von Art. 81 f. EG und schließt in Abs. 2 nationales Wettbewerbsrecht nur insoweit aus, als es im Ergebnis nach dem Kartellverbot erlaubte Verhaltensweisen verbietet. Doppelverfahren und auch doppelte Bußgelder sind denn auch wegen der grundsätzlich parallelen Anwendbarkeit von Art. 81, 82 EG und nationalem Wettbewerbsrecht keine Seltenheit.257 Die Verfahrenshäufung an sich verstößt mithin nicht gegen den Grundsatz ne bis in idem. Die zeitlich früher verhängte Sanktion ist jedoch aus Gründen der Billigkeit bei der Bemessung der später zu verhängenden Sanktion zu berücksichtigen.258 Dieses, vom EuGH bereits 1969 entwickelte Anrechnungsprinzip wird bis auf weiteres auch in Zukunft angewendet werden.259 3.
Keine Anrechnung außerhalb der EU verhängter Bußgelder
1595 Parallel dazu können auch unterschiedliche Rechtsordnungen eingreifen. Haben sie nicht dasselbe Schutzziel, ergeben sich auch insoweit keine Überschneidungen. Das gilt für Verfahren vor der Kommission und vor amerikanischen oder kanadischen Behörden, welche gar nicht auf den Schutz des Wettbewerbs in der EU zielen. Schon deshalb greift daher insoweit der ne-bis-in-idem-Grundsatz nicht ein.260 Allerdings stellt sich die Frage einer Anrechnung von in anderen Staaten ver1596 hängten Bußgeldern.261 Dass sich bei international tätigen Unternehmen Wettbewerbsverstöße auf verschiedenen Märkten auswirken, liegt an der Verflochtenheit der globalen Wirtschaftsbeziehungen. Deren Folge ist damit eine Vervielfältigung der Auswirkungen. Die Wechselbeziehung und das Zusammenwachsen der europäischen Märkte als ein Ansatzpunkt des Walt-Wilhelm-Urteils262 ist mittlerweile im Weltmaßstab zu beobachten, so dass eine Erweiterung jedenfalls der Anrechnung von Bußgeldern geboten sein könnte.263 Jedoch vervielfältigen sich damit auch die Wettbewerbsbeeinträchtigungen. Zudem stellt der EuGH auf das „besondere(n) System der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auf kartellrechtlichem Gebiet“ ab,264 welches so weltweit keineswegs etabliert ist, mithin nicht allgemein besteht. Dieses spezifisch für die EU entwickelte System der Zuständigkeitsverteilung bedingt mittlerweile auch einen engen
257 258 259 260 261
262 263 264
ckungsgleichheit von Sachverhalt und Zielrichtung, s. bereits EuGH, Rs. 18 u. 35/65, Slg. 1966, 154 (178) – Gutmann in anderem Zusammenhang. Dies übersehen Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 7 Rn. 26 ff. Grundlegend EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm; etwa auch EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 (860 f., Rn. 191) – Tréfileurope. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 21 Rn. 34 f.; s. jüngst EuG, Rs. T-236 u.a./01, WuW 2004, 1335 (1338 f., Rn. 134 ff.) – Tokai Carbon. EuG, Rs. T-236 u.a./01, WuW 2004, 1335 (1338 f., Rn. 134 ff.) – Tokai Carbon. Ausführlich abl. EuG, Rs. T-223/00, Slg. 2003, II-2553 (2590, Rn. 99) – Kyowa Hakko; Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 (2642 ff., Rn. 88 ff.) – Archer Daniels; offen hingegen noch EuGH, Rs. 7/72, Slg. 1972, 1281 (1290, Rn. 3) – Boehringer. EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm. Dafür Eilmansberger, EWS 2004, 49 (54). EuGH, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (15, Rn. 11) – Walt Wilhelm.
§ 3 Verfahren vor den nationalen Wettbewerbsbehörden
599
Informationsaustausch und lässt die beteiligten Behörden insgesamt zusammenrücken. Somit bestehen gute Einblicke in das unterschiedliche Vorgehen. Diese Übersicht fehlt hingegen bei Bußgeldverhängungen von Kartellbehörden aus anderen Staaten. Die Kommission müsste dann immer genau untersuchen, auf welche Wettbewerbsverstöße und -auswirkungen sich das bisherige Bußgeld bezieht. Das kann sehr schwierig sein, zumal wenn eine ausführliche Begründung fehlt. Jedenfalls werden regelmäßig nicht sämtliche weltweiten Auswirkungen erfasst sein.265 Infolge der Divergenzen in den unterschiedlichen Kartellrechten werden auch 1597 die wettbewerbsrelevanten Handlungen eher selten vollständig deckungsgleich erfasst sein; vielfach werden unterschiedliche Aspekte herausgegriffen, bewertet und in ihren Auswirkungen untersucht. Das gilt schon vom Ausgangspunkt her, wenn die Verhaltensweisen sich in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich darstellen und sei es nur bezogen auf den Zweck und den geographischen Schwerpunkt.266 Das spricht dafür, jede Kartellbehörde das für die Auswirkungen auf seinem Territorium adäquate Bußgeld festsetzen zu lassen. Formal lässt sich diese separate Bußfeldfestsetzung dadurch erreichen, dass 1598 dieselbe Sache (idem) nur vorliegt und bereits sanktioniert ist, wenn die wettbewerbsschädlichen Auswirkungen auf demselben Gebiet erfasst sind. Ansonsten können parallele Verfahren eingeleitet werden, ohne auf andere Bußgeldfestsetzungen Rücksicht nehmen zu müssen. Die Billigkeit und die Verhältnismäßigkeit267 sind dadurch gewahrt, dass wettbewerbsschädliche Auswirkungen auf mehreren Gebieten entstanden sind und weltweit operierende Konzerne eine tendenziell stärkere Macht haben, den freien Wettbewerb zu beeinträchtigen. Das Korrelat dazu ist auch eine besondere Verantwortung. Wird diese verletzt, rechtfertigt dies auch insgesamt höhere Bußgelder. Diese schrecken zudem ab, Wettbewerbsverstöße zu begehen und haben damit positive Wirkungen für die Wettbewerbsfreiheit.268
§ 3 Verfahren vor den nationalen Wettbewerbsbehörden A.
Allgemeines
Sofern die nationalen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des europäischen 1599 Kartellrechts zuständig sind,269 wenden sie grundsätzlich ihr nationales Verfahrensrecht an. Die Zusammenarbeit im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden richtet sich nach den Bestimmungen der VO (EG) Nr. 1/2003 i.V.m. der Netzwerkbe265 266
267 268 269
S. EuG, Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 (2646 f., Rn. 103) – Archer Daniels. So der Ansatz von EuGH, Rs. 7/72, Slg. 1972, 1281 (1290, Rn. 4) – Boehringer, der daher die Frage des ne bis in idem im Hinblick auf Sanktionen von Drittstaaten nicht weiter untersuchte. Darauf abstellend Eilmansberger, EWS 2004, 49 (53 f.). S.o. Rn. 1569. Dazu o. Rn. 1428, 1456 ff.
600
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
kanntmachung.270 Davon unberührt bleibt ihre Zuständigkeit zur Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts, soweit es vor allem im Hinblick auf Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 noch einschlägig ist.271 Aber auch dabei haben sie europarechtliche Vorgaben zu beachten und zwar vor allem wegen der nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 vorgeschriebenen Parallelprüfung. Wenden nationale Wettbewerbsbehörden europäisches Wettbewerbsrecht an, 1600 haben sie dabei auch mitgliedstaatliches Recht in Blick zu nehmen, soweit es sich auf die Beurteilung von Verstößen auswirkt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn nationale Vorschriften eine unternehmerische Verhaltensweise angeregt, verstärkt, vorgeschrieben oder auch nur erleichtert haben, welche gegen das Kartellverbot verstieß.272 In einem solchen Fall sind Sanktionen gegen Unternehmen entsprechend anzupassen. Sie entfallen für ein Verhalten in der Vergangenheit, wenn das Verhalten der Unternehmen durch nationales Recht vorgeschrieben war. Sie sind in dem Maße herabzusetzen, in dem der Verstoß durch innerstaatliche Rechtsvorschriften erleichtert oder begünstigt wurde. Erst wenn diese mitgliedstaatlichen Bestimmungen nach bestandskräftiger Entscheidung jedenfalls dem Unternehmen gegenüber nicht mehr angewendet werden dürfen, können uneingeschränkt Sanktionen verhängt werden.273
B.
Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003
1601 Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 bestimmt, welche Verwaltungsentscheidungen die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten in einem europäischen Kartellverfahren erlassen dürfen. Dies sind die Abstellung von Zuwiderhandlungen, einstweilige Maßnahmen, die Annahme von Verpflichtungszusagen und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige nach nationalem Recht vorgesehene Sanktionen. Darüber hinaus sind sie auch befugt zu entscheiden, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 begrenzt den Handlungsspielraum der nationalen 1602 Behörden dahin gehend, dass diese keine konstitutiven Freistellungsentscheidungen auf der Ebene des europäischen Kartellrechts treffen dürfen.274 Dies ist vor dem Hintergrund des Systems der Legalausnahme selbstverständlich. Wenn schon von Rechts wegen alle Verhaltensweisen, die gegen Art. 81 Abs. 1 und 82 EG verstoßen, verboten und alle Verhaltensweisen, welche die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, erlaubt sind, bleibt für konstitutive Freistellungsentscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden kein Raum.
270 271 272 273 274
Dazu o. Rn. 1429 ff. Dazu näher o. Rn. 141 ff. Dazu umfassend u. Rn. 1954 ff. EuGH, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 (8095 f., Rn. 54 ff.) – CIF; vgl. schon EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 (2040, Rn. 619/620) – Suiker Unie. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 8 Rn. 14.
§ 4 Rechtsschutz
601
Nationale Freistellungsentscheidungen im Bereich des mitgliedstaatlichen 1603 Wettbewerbsrechts sind zwar nicht nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 verboten. Insbesondere für den Fall, dass das nationale Wettbewerbsrecht den Art. 81, 82 EG entspricht, sind die Mitgliedstaaten jedoch aus Art. 10 EG dazu verpflichtet, kein dem System der Legalausnahme in VO (EG) Nr. 1/2003 widersprechendes System einzurichten.275 Dies bedeutet, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden auch für den Bereich des nationalen Wettbewerbsrechts dann keine nationalen konstitutiven Freistellungsentscheidungen erlassen dürfen, wenn das nationale Wettbewerbsrecht dem System der Legalausnahme im europäischen Wettbewerbsrecht entspricht.
§ 4 Rechtsschutz Die Frage des Rechtsschutzes im europäischen Kartellverfahrensrecht ist kom- 1604 plex. Es ist zwischen Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Kommission und gegen Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang sind die Regelungen in Art. 15, 16 und 35 VO (EG) Nr. 1/2003 zu beachten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass wettbewerbsrechtliche Fragen im Rahmen eines Zivilprozesses vor einem nationalen Gericht eine Rolle spielen.
A.
Gegen Entscheidungen der Kommission
I.
Allgemeines
1.
System
Grundsätzlich sind Entscheidungen der Kommission mit der Nichtigkeitsklage 1605 gem. Art. 230 EG angreifbar. Die Klage kann sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von natürlichen und juristischen Personen erhoben werden, die von der betreffenden Kommissionsentscheidung unmittelbar und individuell betroffen sind. Zuständig ist gem. Art. 225 Abs. 1 EG das EuG. Die Klage gilt als begründet, wenn einer der folgenden Nichtigkeitsgründe gegeben ist: Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des EG bzw. der Durchführungsvorschriften oder Ermessensmissbrauch. Im Bereich des Kartellrechts ist somit auch eine Verletzung der VO (EG) Nr. 1/2003 ein Nichtigkeitsgrund, außer sie kann keine Auswirkungen auf den Fall haben.276 Bei Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes erklärt das Gericht die angefochtene Kommissionsentscheidung für nichtig. 275 276
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 8 Rn. 18. S.o. Rn. 1521 für die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte.
602
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Gegen die Entscheidung des EuG ist als Rechtsmittel die Revision zum EuGH gegeben, der die Entscheidung gem. Art. 225 Abs. 1 EG jedoch ausschließlich auf Rechtsfehler überprüft. Rechtsschutz ist nur gegen Verwaltungsentscheidungen der Kommission oder 1607 nationaler Behörden gegeben. Zwischenentscheidungen im Verfahren, insbesondere die Verteilung eines Falles innerhalb des Netzwerkes, sind dagegen nicht isoliert anfechtbar.277 Die Zuteilung kann nur inzidenter bei der Überprüfung der Endentscheidung verifiziert werden. Da jedoch grundsätzlich alle Behörden des Netzwerks zuständig sind, kann die Zuteilung nur selten erfolgreich angegriffen werden.278 Dies dürfte nur dann der Fall sein, wenn entgegen den Regelungen der Netzwerkbekanntmachung eine ungeeignete Behörde den Fall bearbeitet hat.279 Dieser Fall ist von geringer praktischer Relevanz. 1606
2.
Prüfungsdichte im Wandel
1608 Der bislang der Kommission zugestandene Spielraum zur Beurteilung einer Freistellung ist infolge deren Umwandlung zur Legalausnahme keinesfalls größer geworden. Vielmehr steht daher nunmehr eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit im Vordergrund.280 Auf eine genauere Überprüfung des Kommissionshandelns deuten auch Entscheidungen im Bereich der Fusionskontrolle, welche die Einschätzungen der Kommission detailliert verifizierten.281 Daher erscheint der gängige Standard zu eng, nach dem sich die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob die Kommission Verfahrensvorschriften eingehalten, eine ausreichende Begründung gegeben, den Sachverhalt zutreffend festgestellt und nicht offensichtlich fehlerhaft gewürdigt sowie ihr Ermessen nicht missbraucht hat.282 Im Gegenteil bedarf es nunmehr auch einer ins Einzelne gehenden Prüfung der Sachverhaltsermittlung und -bewertung sowie der sich daran anschließenden Würdigung. Dabei sind auch die tatsächlichen Grundlagen und die daraus gezogenen Folgerungen zu kontrollieren. Gleichwohl bleiben die Einhaltung des Verfahrens und der Begründungspflicht 1609 nach Art. 253 EG sehr wichtig, weil nur so die Unternehmen nachvollziehen können, wie die Kommission zu ihren Vorwürfen kommt. So genügt ein pauschaler Verweis auf die ständige Entscheidungspraxis dann nicht, wenn die Kommission erheblich weiter geht als in früheren Entscheidungen.283 Auch sonst müssen sich 277 278 279 280 281 282
283
Vgl. o. Rn. 1437. So auch Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 10 Rn. 42 ff. S.o. Rn. 1456 f. S.o. Rn. 740. Näher u. Rn. 1790 ff., zusammenfassend Rn. 1808 f.; s. vorerst insbes. EuGH, C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (320 f., Rn. 39 ff.) – Tetra Laval. Grundlegend EuGH, Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (2575, Rn. 34) – Remia; unter Bezug darauf noch Gündisch, in: Schwarze (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Einbindung der europäischen Wirtschaftsverwaltung, EuR 2002, Beiheft 2, S. 29 (31 f.). Bereits EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 (1515, Rn. 30/33) – Papiers peints de Belgique.
§ 4 Rechtsschutz
603
die Parteien zu den vorgebrachten Vorwürfen und Beweisen äußern können.284 Ein formalisiertes Verfahren bildet ein gewisses Gleichgewicht zu den weiten Handlungsbefugnissen der Kommission.285 Daher muss seine Einhaltung auch im Rahmen der gerichtlichen Nachprüfung hinreichend beachtet werden. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Mitteilung der Beschwerdepunkte, also die Eröffnung der für die Einschätzung der Kommission wesentlichen Tatsachen gegenüber den Betroffenen. Werden Bußgelder nicht gegenüber den Betroffenen angedroht, ist ihre Festsetzung rechtswidrig.286 II.
Sonderfälle
1.
Buß- und Zwangsgelder
Bei Klagen gegen Kommissionsentscheidungen, mit denen ein Buß- oder Zwangs- 1610 geld festgesetzt worden ist,287 hat das EuG gem. Art. 31 VO (EG) Nr. 1/2003 eine unbeschränkte Nachprüfungsbefugnis. Das Gericht kann somit das von der Kommission ausgeübte Ermessen nicht nur auf Ermessensfehler kontrollieren, sondern durch sein eigenes Ermessen ersetzen. Es kann den festgesetzten Geldbetrag aufheben, herabsetzen oder erhöhen, ohne an die Leitlinien der Kommission gebunden zu sein.288 Voraussetzung ist allerdings die Gewährung rechtlichen Gehörs, so dass ein entsprechender Antrag vorgelegen haben muss.289 Die erstmalige Festsetzung einer Sanktion durch das Gericht ist dagegen nicht 1611 möglich.290 Eine Revision zum EuGH gegen eine solche Entscheidung des EuG kann allerdings nicht ausschließlich auf die Höhe des festgesetzten Geldbetrags gestützt werden,291 da nur Rechtsfehler beachtlich sind. 2.
Konkurrentenrechtsschutz
Grundsätzlich kann ein Konkurrent derjenigen natürlichen oder juristischen Per- 1612 son, an die eine Entscheidung der Kommission gerichtet war, diese ebenfalls vor dem EuG anfechten, sofern er unmittelbar und individuell betroffen ist. Das gilt auch und gerade bei seiner Meinung nach den Adressaten zu stark begünstigenden 284
285 286 287 288 289 290
291
Vgl. EuG, Rs. T-191 u.a./98, Slg. 2003, II-3275 – Atlantic Container Line u.a., das mangels hinreichender Gelegenheit zur Stellungnahme die zugrunde liegende KOME 1999/243/EG, ABl. 1999 L 95, S. 1 teilweise aufhob. Skouris, in: Schwarze (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Einbindung der europäischen Wirtschaftsverwaltung, EuR 2002, Beiheft 2, S. 71 (74). EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 (1482 f., Rn. 142 ff.) – Compagnie maritime belge transports. Zur Abwehr der Zwangsvollstreckung o. Rn. 1589. EuG, Rs. T-368/00, Slg. 2003, II-4491 (4548, Rn. 188 f.) – General Motors Nederland. S.o. Rn. 1609 sowie allgemein Rn. 1510 ff. EuG, Rs. T-275/94, Slg. 1995, II-2169 (2191, Rn. 59) – Groupement des cartes bancaires. Näher Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht mit Fusionskontrollverfahren, 2005, Rn. 151, 168. EuGH, Rs. C-320/92 P, Slg. 1994, I-5697 (5725, Rn. 45 f.) – Finsider.
604
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Entscheidungen der Kommission.292 Dies ist insbesondere bei für verbindlich erklärten Verpflichtungszusagen und Feststellungen der Nichtanwendbarkeit möglich, wenn das von der Kommission gebilligte Verhalten des Adressaten dennoch gegen Art. 81, 82 EG verstößt und den Konkurrenten in seinen Wettbewerbsinteressen beeinträchtigt.293 Es kommt auch bei Feststellungen der Nichtanwendbarkeit nach Art. 10 VO (EG) Nr. 1/2003 in Betracht.294 Neben dieser Möglichkeit kann der Konkurrent im Wege einer Beschwerde das 1613 Tätigwerden der Kommission beantragen.295 Ein Konkurrent ist durch die nicht an ihn gerichtete Entscheidung der Kommis1614 sion unmittelbar und individuell betroffen, wenn er tatsächlich am Verfahren beteiligt worden ist,296 weil er vor dem Erlass einer für ihn nachteiligen Entscheidung im Verwaltungsverfahren angehört worden ist297 oder weil seine nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 abgegebene Stellungnahme von der Kommission zurückgewiesen worden ist.298 Neben diesen Konstellationen ist jedoch auch denkbar, dass der Konkurrent in sonstiger Weise unmittelbar und individuell betroffen ist. Im Kern ist die unmittelbare und individuelle Betroffenheit weniger eine Frage der Beteiligung am Verfahren als ein Problem der Auswirkungen eines Wettbewerbsverstoßes auf die Wettbewerbsposition des Dritten.299 Sofern er dies im Verfahren nachweist, ist er klagebefugt. 3.
Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO (EG) Nr. 1/2003)
1615 Gem. Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 können sowohl das an der Verpflichtungszusage beteiligte Unternehmen als auch Konkurrenten einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt geändert haben, die beteiligten Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten oder die Entscheidung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben der Parteien beruht. Die Wiederaufnahme liegt im Ermessen der Kommission. Lehnt sie die Wiederaufnahme ermessensfehlerhaft ab, so kann diese Entscheidung mit der Nichtigkeitsklage nach 292 293 294
295 296 297 298
299
EuGH, Rs. C-68/95, Slg. 1996, I-6065 (6105, Rn. 59) – Port. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 10 Rn. 21 ff. Nicht dagegen bei einer Entscheidung der Kommission, die gem. Art. 9 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 besagt, dass kein Anlass zum Tätigwerden besteht; Schmidt, BB 2003, 1237 (1242). Dazu u. Rn. 1630 ff. So im Ergebnis Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 111 ff. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 114. Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 115 ff. unter Verweis auf EuGH, Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 (3080, Rn. 21 f.) – Metro II. S. EuG, Rs. T-83/92, Slg. 1993, II-1169 (1181, Rn. 30) – Zunis; Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121 (162 f., Rn. 82) – Air France I und näher u. Rn. 1902, 1951 im Kontext der Fusionskontrolle.
§ 4 Rechtsschutz
605
Art. 230 EG angegriffen werden. Dass auch Konkurrenten der beteiligten Unternehmen einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen können, ergibt sich aus Art. 9 Abs. 2 lit. b) VO (EG) Nr. 1/2003. Hier wird als Wiederaufnahmegrund festgelegt, dass die beteiligten Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten. Dieser Grund wird naturgemäß nicht von den beteiligten Unternehmen selbst, sondern von deren Konkurrenten vorgebracht werden.300 Darüber hinaus kann auch die Entscheidung, mit der die Kommission die Verpflichtungszusage für bindend erklärt hat, mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden. Im Rahmen des Rechtsschutzes gegen eine für bindend erklärte Verpflichtungs- 1616 zusage sind die beteiligten Unternehmen mit dem Argument ausgeschlossen, dass ursprünglich gar kein Wettbewerbsverstoß vorgelegen habe. Dies folgt daraus, dass die Kommission bei ihrer Entscheidung nach Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 ausdrücklich keine Entscheidung darüber trifft, ob ein Wettbewerbsverstoß vorgelegen hat. Dadurch, dass das Verfahren unter dieser Prämisse beendet worden ist, kann die Entscheidung später nicht mit dem Argument angegriffen werden, die Prämisse sei eigentlich unrichtig. 4.
Einstweilige Maßnahmen (Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003)
Einstweilige Maßnahmen der Kommission nach Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003 kön- 1617 nen sowohl von den Adressaten als auch nach den allgemeinen Regeln von Konkurrenten angegriffen werden. Beim Rechtsschutz des Adressaten gegen eine einstweilige Maßnahme der Kommission ist zu beachten, dass eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG grundsätzlich keinen Suspensiveffekt entfaltet, sondern gem. Art. 242 EG lediglich auf Antrag die Vollziehung der einstweiligen Maßnahme ausgesetzt werden kann. Ein solcher Aussetzungsantrag setzt nach Art. 104 § 2 VerfO EuG301 voraus, 1618 dass der Antragsteller die Dringlichkeit und die Notwendigkeit der beantragten Maßnahme glaubhaft machen kann und die Abwägung der betroffenen Interessen für die Aussetzung spricht. Eine einstweilige Anordnung kann nur dann notwendig sein, wenn die Klage auf den ersten Blick hinreichende Erfolgsaussicht hat; sie darf nicht prima facie und damit bei komplexen Fällen nicht schon bei summarischer Prüfung als unbegründet abgewiesen werden.302 Die Dringlichkeit verlangt die Notwendigkeit der einstweiligen Entscheidung, 1619 damit verhindert wird, dass durch den sofortigen Vollzug der mit der Klage angefochtenen Maßnahme ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.303 Dafür bedarf es allerdings ebenfalls Darlegungen, die in sich stimmig sind und einen greifbaren Ablauf sichtbar werden lassen, welcher tatsächlich zu irreparablen Schäden führt. Der Antragsteller ist insoweit nachweispflichtig. Wird seine 300 301 302 303
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 6 Rn. 90 f. Verfahrensordnung des Gerichtes erster Instanz, ABl. 2003 C 193, S. 41. EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 44) – Microsoft; Rs. T-217/03 R 2 (Rn. 68) – FNCBV. Allgemein EuGH, Rs. C-195/90 R, Slg. 1990, I-3351 (3360, Rn. 30 f.) – Kommission/ Deutschland.
606
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
Argumentation wie im Falle Microsoft als unwahrscheinlich und zu vage qualifiziert, wird der Aussetzungsantrag mangels Dringlichkeit abgelehnt.304 Werden Notwendigkeit und Dringlichkeit bejaht, sind bei der dann erforderli1620 chen Interessenabwägung auch die Interessen Dritter einzubeziehen. Deshalb sind Streithelfer im vorläufigen Rechtsschutz großzügig zuzulassen; das erforderliche berechtigte Interesse am Ausgang des Rechtsstreits ist weit auszulegen.305 Nach Art. 243 EG können auf Antrag im Wege des einstweiligen Rechtsschut1621 zes Maßnahmen zum Schutz des Adressaten angeordnet werden. Dies ist allerdings gem. Art. 104 § 1 VerfO EuG nur im Rahmen eines anhängigen Hauptsacheverfahrens möglich.
B.
Gegen Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden
I.
Allgemeines
1622 Der Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen nationaler Behörden findet nach den Regelungen des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts vor den nationalen Gerichten desjenigen Mitgliedstaats statt, dessen Behörden die angefochtene Entscheidung erlassen haben. Stellt sich in diesem Verfahren eine Frage nach der Auslegung des europäischen Wettbewerbsrechts, die noch nicht durch das Gemeinschaftsrecht oder die Rechtsprechung der Gerichte der Gemeinschaft geklärt ist, so kann das Verfahren ausgesetzt und diese Frage dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG vorgelegt werden. II.
Regelungen der VO (EG) Nr. 1/2003
1623 Bei der Gewährung von Rechtsschutz gegen die Verwaltungsentscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden sind die Regelungen in Art. 15, 16 und 35 Abs. 3, 4 VO (EG) Nr. 1/2003 zu beachten. 1.
Art. 35 Abs. 3, 4 VO (EG) Nr. 1/2003
1624 Art. 35 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 bestimmt zunächst, dass die Kommission ein Verfahren nicht mehr mit der Wirkung des Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003 an sich ziehen kann, wenn eine in diesem Verfahren von einer nationalen Behörde erlassene Entscheidung bereits vor einem nationalen Gericht in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist. Die Kommission kann demnach das Verfahren nur so lange an sich ziehen und die Zuständigkeit der nationalen Behörden beenden, wie das Verfahren noch ein Verwaltungsverfahren ist. Mit dem Beginn der Rechtsmittel304 305
EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 320, 476 ff.) – Microsoft auch wegen nicht irreparabler Schäden. EuG (Präsident), Rs. T-201/04 R 2 (Rn. 34) – Microsoft.
§ 4 Rechtsschutz
607
instanz endet diese Möglichkeit. In denjenigen Mitgliedstaaten, in denen das Verwaltungsverfahren zweistufig ausgestaltet ist und eine Behörde den Sachverhalt ermittelt, während ein Gericht die Verwaltungsentscheidung erlässt, kann die Kommission nach Art. 35 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1/2003 das Verfahren noch an sich ziehen, so lange das Verfahren zum Erlass der Verwaltungsentscheidung läuft, auch wenn dies vor einem mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Institut geschieht. Umgesetzt wird diese Entscheidung, indem die nationale Behörde ihren Antrag bei Gericht zurücknimmt. Sobald die Entscheidung dieses Gerichts mit einem Rechtsmittel angegriffen wird, endet die Befugnis der Kommission nach Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2003. 2.
Art. 15, 16 VO (EG) Nr. 1/2003
Die Regelungen der Art. 15 und 16 VO (EG) Nr. 1/2003 sollen die kohärente An- 1625 wendung des europäischen Kartellrechts in den Mitgliedstaaten sichern. So legt Art. 15 VO (EG) Nr. 1/2003 fest, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung der Art. 81 und 82 EG die Kommission um Übermittlung von in ihrem Besitz befindlichen Informationen und Stellungnahmen bitten können. Sowohl die nationalen Wettbewerbsbehörden als auch die Kommission können von sich aus den Gerichten schriftliche Stellungnahmen zur Anwendung der Art. 81 und 82 EG übermitteln und mit Erlaubnis des betreffenden Gerichts auch mündlich Stellung nehmen. Zum ausschließlichen Zweck der Ausarbeitung der Stellungnahme können die Behörden das jeweilige nationale Gericht ersuchen, die hierfür notwendigen Schriftstücke zu übermitteln bzw. für deren Übermittlung zu sorgen. Unmittelbar nach Erlass und Zustellung des schriftlichen Urteils an die Parteien ist der Kommission eine Kopie des Urteils zu übermitteln.306 Neben diesen Bestimmungen über wechselseitige Informationen zum Zweck 1626 der kohärenten Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten trifft Art. 16 VO (EG) Nr. 1/2003 eine weitere präzise Regelung hinsichtlich der einheitlichen Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts: Weder nationale Wettbewerbsbehörden noch nationale Gerichte dürfen Entscheidungen erlassen, die einer in der gleichen Sache bereits erlassenen Entscheidung der Kommission widersprechen. Die nationalen Behörden und Gerichte müssen bei der Beurteilung einer wett- 1627 bewerbsrechtlich relevanten Verhaltensweise, die bereits Gegenstand einer Kommissionsentscheidung war, die Entscheidung der Kommission respektieren. Die nationalen Gerichte sind darüber hinaus dazu verpflichtet, auch Entscheidungen der Kommission zu respektieren, die diese in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Um dies praktisch zu ermöglichen, kann das Gericht bei der Kommission anfragen, ob sie hinsichtlich desselben Verhaltens ein Verfahren eingeleitet hat, wie weit dieses fortgeschritten ist und wie wahrscheinlich eine Entscheidung ist. Das nationale Gericht kann auch eine Aussetzung des Ver306
Zu diesem Verfahren vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 54 (Rn. 15 ff.).
608
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
fahrens in Betracht ziehen, bis die Kommission zu einer Entscheidung gekommen ist. Bei einer Aussetzung des Verfahrens bemüht sich die Kommission um eine zügige Entscheidungsfindung. Während der Aussetzung des Verfahrens kann das nationale Gericht einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Parteien anordnen.307
C.
Zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellverbots vor nationalen Gerichten
I.
Allgemeines
1628 Neben dem Vollzug des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft durch die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Kommission kommt auch eine Durchsetzung im Rahmen eines Zivilprozesses vor nationalen Gerichten in Betracht. Dies ergibt sich aus der Regelung in Art. 81 Abs. 2 EG, der zufolge Verträge, die gegen Art. 81 Abs. 1, Abs. 3 EG verstoßen, nichtig und damit zivilrechtlich unwirksam sind.308 Darüber hinaus sind zivilrechtliche Klagen auf Unterlassung und/oder Schadensersatz nach dem jeweiligen nationalen Zivilrecht des Mitgliedstaates möglich. Nach deutschem Zivilrecht ergeben sich infolge der Nichtigkeit des Vertrags aus Art. 81 Abs. 2 EG bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsansprüche. Ansprüche auf Schadensersatz können sich aus dem Deliktsrecht sowie aus §§ 280 ff. BGB ergeben, ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB analog. Ferner können die Ansprüche aus dem GWB vor deutschen Zivilgerichten durchgesetzt werden. Auch im nationalen zivilgerichtlichen Verfahren sind die Art. 15, 16 VO (EG) Nr. 1/2003 zu beachten. II.
Beweislast (Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003)
1629 Jedenfalls für den Bereich der zivilrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts trifft Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 eine Beweislastregelung. Die Formulierung des Art. 2, die von der Beweislastverteilung in allen gemeinschaftlichen und nationalen Verfahren zur Anwendung des Art. 81 und 82 EG und zudem von der Beweislast nicht nur der Parteien, sondern auch der Behörden spricht, lässt die Beweislastregelung auch im Verwaltungsverfahren eingreifen. Dies soll der Erklärung der deutschen Delegation bei der Verabschiedung der VO (EG) Nr. 1/2003 zufolge nur nicht für den Bereich des Bußgeldverfahrens gelten.309 Im Bereich des Zivilverfahrens gilt die Beweislastregel jedoch uneingeschränkt. Ihr zufolge hat die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 oder 82 EG diejenige Partei, die ihn behauptet. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 81 307
308 309
Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 54 (Rn. 12 ff.). Diekmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 40 Rn. 2. Dazu näher o. Rn. 1086 ff. Dazu bereits Rn. 1588.
§ 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens
609
Abs. 3 EG ist dagegen das Unternehmen oder die Unternehmensvereinigung beweisbelastet, die sich hierauf beruft. Regelungen zum Beweismaß trifft Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht, so dass nach nationalem Zivilprozessrecht bestehende Beweiserleichterungen Anwendung finden.310 Dasselbe gilt für Fälle der Beweislastumkehr, wie sie beispielsweise vom BGH im Bereich der Produkthaftung entwickelt wurden.
§ 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens A.
Zulässigkeit einer Beschwerde
Gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 sind natürliche und juristische Personen, 1630 die ein berechtigtes Interesse darlegen, sowie die Mitgliedstaaten zur Einreichung einer Beschwerde befugt. Die Beschwerde zielt darauf hin, dass die Kommission in einem Verwaltungsverfahren einen Wettbewerbsverstoß feststellt und seine Abstellung anordnet. Nähere Einzelheiten sind in der Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gem. Art. 81 und 82 EG311 geregelt. I.
Formale Anforderungen
Die Einreichung einer Beschwerde muss gem. Art. 5 VO (EG) Nr. 773/2004 die 1631 Angaben enthalten, die in dem im Anhang zu dieser Verordnung beigefügten Formblatt C gefordert werden. Die Beschwerde ist in dreifacher Ausfertigung auf Papier sowie nach Möglichkeit in elektronischer Form einzureichen. Macht der Beschwerdeführer für einen Teil der Beschwerde Vertraulichkeitsschutz geltend, so muss er der Kommission darüber hinaus eine nicht vertrauliche Fassung der Beschwerde vorlegen. Die Beschwerde ist in einer Amtssprache der Gemeinschaft einzureichen. Neben den durch Formblatt C geforderten Angaben soll der Beschwerdeführer 1632 Kopien der ihm mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Dokumente zur Stützung der Beschwerde einreichen und der Kommission Hinweise darauf geben, wo sie einschlägige Informationen und Unterlagen erhalten kann, auf die der Beschwerdeführer keinen Zugriff hat. Die Kommission kann von der Vorlage eines Teils der von Formblatt C gefor- 1633 derten Angaben und Unterlagen absehen. Von dieser Möglichkeit soll sie insbesondere dann Gebrauch machen, wenn Verbraucherverbände bei der Einreichung einer substanziierten Beschwerde keinen Zugang zu bestimmten Informationen
310 311
Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, § 11 Rn. 39. ABl. 2004 C 101, S. 65.
610
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
haben, die sich in der Sphäre des Unternehmens befinden, gegen das sich die Beschwerde richtet. Eingaben, die diesen formalen Anforderungen nicht genügen, werden von der 1634 Kommission nicht als Beschwerde behandelt. Sie werden als Informationen oder Anregungen angesehen, die ggf. zu Ermittlungen von Amts wegen führen können.312 II.
Berechtigtes Interesse
1635 Eine natürliche oder juristische Person muss ein berechtigtes Interesse darlegen, um beschwerdebefugt zu sein und zulässigerweise eine Beschwerde einreichen zu können. Die Mitgliedstaaten sind in dieser Hinsicht privilegiert. Bei der Einreichung einer Beschwerde durch einen Mitgliedstaat wird dessen berechtigtes Interesse vermutet. Bei Unternehmensverbänden wird ein berechtigtes Interesse bejaht, wenn der 1636 Verband zwar selbst durch das beanstandete Verhalten nicht unmittelbar betroffen wird, aber dazu befugt ist, seine Mitglieder zu vertreten und die Mitglieder durch das beanstandete Verhalten in ihren Interessen möglicherweise verletzt werden. Darüber hinaus führt auch eine unmittelbare Betroffenheit des Unternehmensverbandes selbst zu einem berechtigten Interesse.313 Verbraucherverbände sind ebenfalls zur Erhebung einer Beschwerde bei der 1637 Kommission befugt.314 Auch einzelne Verbraucher selbst können ein berechtigtes Interesse darlegen, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen unmittelbar verletzt werden, weil sie Abnehmer der Produkte oder Dienstleistungen sind, die den Gegenstand der Zuwiderhandlung bilden.315 Dasselbe gilt für lokale oder regionale Behörden oder Regierungsstellen, sofern diese als Käufer oder Nutzer von Waren oder Dienstleistungen von der beanstandeten Verhaltensweise betroffen sind. Lediglich unter Berufung auf das Gemeinwohl kann eine Beschwerde dagegen nicht erhoben werden. In diesem Fall fehlt es an dem berechtigten Interesse des Beschwerdeführers.316
312 313
314
315 316
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 31 f.). Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 35 f.) unter Hinweis auf EuG, Rs. T-114/92, Slg. 1995, II-147 (161, Rn. 28) – BEMIM; Rs. T-133 u. 204/95, Slg. 1998, II-3645 (3676, Rn. 79 ff.) – IECC. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 36) unter Hinweis auf EuG, Rs. T-37/92, Slg. 1994, II-285 (307, Rn. 36) – BEUC und NCC. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 37). Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 38 ff.).
§ 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens
B.
Verfahrensablauf
I.
Gemeinschaftsinteresse
611
Die Kommission ist nicht verpflichtet, auf jede Beschwerde hin ein Verfahren ein- 1638 zuleiten, sondern sie kann den Beschwerden unter Bezugnahme auf das Gemeinschaftsinteresse unterschiedliche Prioritäten beimessen. Je geringer das Gemeinschaftsinteresse ist, desto weniger ist die Kommission zur Einleitung eines Verfahrens gehalten. Hierzu ist jedoch in jedem Fall erforderlich, die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Informationen sorgfältig zu prüfen, um das Interesse der Gemeinschaft an der weiteren Verfolgung des Falles beurteilen zu können. Zur Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses an einem Fall kann die Kommis- 1639 sion verschiedene Kriterien anlegen. Dauer und Gewicht der beanstandeten Zuwiderhandlung können ebenso von Bedeutung sein wie das Verhältnis von Bedeutung des beanstanden Verhaltens für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zur Wahrscheinlichkeit des Nachweises der Zuwiderhandlung und zum Umfang der erforderlichen Ermittlungshandlungen. Zudem kann das Untersuchungsstadium eines Falls relevant sein. Für den Fall, dass die betreffenden Unternehmen ihre Verhaltensweisen eingestellt haben oder bereit sind, sie zu ändern und die Wirkungen ihres Verhaltens nicht mehr fortdauern, kann das Gemeinschaftsinteresse an der Verfolgung des Falles nur noch gering sein. Darüber hinaus kann die Kommission eine Beschwerde zurückweisen, wenn der Beschwerdeführer seine Rechte im Wege der Klage vor einem nationalen Gericht geltend machen kann. Welche dieser Kriterien die Kommission im Einzelfall anlegt, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.317 Kommt die Kommission vor Beginn der Untersuchung oder nach der Einlei- 1640 tung von Untersuchungsmaßnahmen zu dem Ergebnis, dass kein hinreichendes Gemeinschaftsinteresse gegeben ist, so kann sie die Beschwerde zurückweisen. Die Kommission kann dagegen nicht verpflichtet werden, wegen mangelnden Gemeinschaftsinteresses von der Verfolgung einer Beschwerde abzusehen.318 II.
Schwerpunkte der Prüfung durch die Kommission
Weist die Kommission eine Beschwerde nicht mangels berechtigten Interesses 1641 oder mangelnden Gemeinschaftsinteresses zurück, so nimmt sie eine Überprüfung des vorgetragenen Sachverhalts an den Art. 81, 82 EG vor. Die Kommission ist nicht dazu verpflichtet, einen nicht hinreichend substanziiert vorgetragenen Sachverhalt durch eigene Ermittlungen zu vervollständigen. Sie kann eine Beschwerde
317
318
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 41 ff.) unter Hinweis auf die einschlägige Rspr. des EuGH. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 45).
612
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
vielmehr zurückweisen, wenn die behauptete Zuwiderhandlung nicht hinreichend belegt wird. Um potenziellen Beschwerdeführern schwerpunktartig die rechtliche Prüfung 1642 des Sachverhaltes durch die Kommission darzustellen und ihnen zu ermöglichen, ihre Beschwerde hierauf auszurichten, hat die Kommission umfassende Orientierungshilfen herausgegeben. Diese behandeln unter anderem die Fragen, wann eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels319 und eine spürbare Beeinträchtigung des Handels gegeben sind320 und welche Voraussetzungen eine Vereinbarung erfüllen muss, um die Voraussetzung des Art. 81 Abs. 3 EG zu erfüllen.321 Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass für Vereinbarungen, die die Voraussetzungen einer Gruppenfreistellungsverordnung erfüllen, vermutet wird, dass diese die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen und mithin infolge des Systems der Legalausnahme nicht verboten sind. Nur wenn die betreffende Vereinbarung Wirkungen hat, die mit Art. 81 Abs. 3 EG nicht vereinbar sind, kann der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellungsverordnung entzogen werden. III.
Verfahren bei der Behandlung einer Beschwerde
1643 Die Kommission behandelt eingehende Beschwerden nach einem bestimmten Verfahren, in dessen Rahmen dem Beschwerdeführer einige Rechte zustehen. Da es sich jedoch nicht um ein kontradiktorisches Verfahren zwischen dem Beschwerdeführer und dem betreffenden Unternehmen handelt, sind die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers eingeschränkt.322 1.
Verfahrensschritte
1644 Das Verfahren vor der Kommission läuft in verschiedenen Verfahrensschritten ab. Nach Eingang der Beschwerde prüft die Kommission zunächst die Beschwerde und holt ggf. weitere Informationen ein, um zu entscheiden, wie mit der Beschwerde weiter zu verfahren ist. In dieser ersten Phase des Verfahrens kann es zu einem informellen Meinungsaustausch zwischen der Kommission und dem Beschwerdeführer kommen, in dem der Beschwerdeführer seinen Vortrag präzisieren kann. In einem sich an diese Phase anschließenden Verfahrensschritt prüft die Kom1645 mission eingehender, ob ein Verfahren nach Art. 7 VO (EG) Nr. 1/2003 eingeleitet wird oder sie die Beschwerde zurückweist. Will die Kommission die Beschwer319
320
321 322
Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 59).
§ 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens
613
de zurückweisen, so teilt sie dem Beschwerdeführer die Gründe hierfür mit und setzt ihm eine Frist, innerhalb der er Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme hat. Äußert sich der Beschwerdeführer binnen dieser Frist nicht, so gilt die Beschwerde gem. Art. 7 Abs. 3 VO (EG) Nr. 773/2004 als zurückgezogen. Hat die Kommission den Beschwerdeführer von ihrer Absicht unterrichtet, die Beschwerde zurückzuweisen, so kann dieser nach Art. 8 VO (EG) Nr. 773/2004 Einsicht in die der Kommission vorliegenden Unterlagen verlangen. Er hat jedoch keinen Anspruch auf Einsicht in Geschäftsgeheimnisse und sonstige vertrauliche Unterlagen. Die Unterlagen bzw. die aus den Unterlagen ersichtlichen Informationen, die der Beschwerdeführer im Rahmen seines Akteneinsichtsrechts erlangt hat, darf er nur für Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Art. 81, 82 EG verwenden. Gibt der Beschwerdeführer dagegen eine Stellungnahme ab, so tritt die Kom- 1646 mission in den dritten Verfahrensschritt ein. In diesem Verfahrensstadium leitet sie entweder ein Verfahren gegen das beanstandete Unternehmen ein oder weist die Beschwerde gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 773/2004 durch Entscheidung zurück. Weist die Kommission die Beschwerde aus dem Grund zurück, dass sich bereits eine andere Behörde des Netzwerks mit dem Fall befasst, so teilt sie dem Beschwerdeführer gem. Art. 9 VO (EG) Nr. 773/2004 unverzüglich mit, welche Behörde den Fall behandelt oder bereits behandelt hat. 2.
Rechte des Beschwerdeführers
Die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers ergeben sich vor allem aus Art. 6-8 1647 VO (EG) Nr. 773/2004. Darüber hinaus ist die Kommission verpflichtet, innerhalb eines angemessenen Zeitraums über eine Beschwerde zu befinden. Der in Einzelfall angemessene Zeitraum richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls; er sollte vier Monate nicht überschreiten. Diese Viermonatsfrist ist jedoch rechtlich nicht verbindlich. Im Gegenzug ist der Beschwerdeführer gehalten, im Verfahren sorgfältig mitzuarbeiten und die Kommission über neuere Entwicklungen auf dem laufenden zu halten.323 a)
Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission
Für den Fall, dass die Kommission ein Verfahren gegen das beanstandete Unter- 1648 nehmen einleitet und diesem die wesentlichen Beschwerdepunkte zustellt, hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Kopie dieser Mitteilung, in der Geschäftsgeheimnisse und vertrauliche Informationen unkenntlich gemacht worden sind. Zu dieser Mitteilung der wesentlichen Beschwerdepunkte kann der Beschwerdeführer binnen einer ihm von der Kommission gesetzten Frist schriftlich Stellung nehmen. In der schriftlichen Stellungnahme kann er beantragen, bei der Anhörung der Beteiligten seine Argumente vorzubringen. Sofern die Kommission ihm hierzu die Gelegenheit gibt, kann er seine Argumente in dieser Anhörung vortragen. Darüber 323
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 60 ff.).
614
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
hinaus kann der Beschwerdeführer von sich aus oder auf Verlangen der Kommission weitere Unterlagen vorlegen.324 In diesen hat er gem. Art. 16 VO (EG) Nr. 773/2004 vertrauliche Informationen kenntlich zu machen.325 b)
Zurückweisung der Beschwerde durch die Kommission
1649 Beabsichtigt die Kommission zum Abschluss des zweiten Verfahrensschritts, die Beschwerde zurückzuweisen, so teilt sie dies dem Beschwerdeführer schriftlich unter Angabe der Gründe und der entsprechenden Rechtsgrundlage mit. Zugleich setzt sie ihm eine den Umständen nach angemessene Frist von mindestens vier Wochen (Art. 17 Abs. 2 VO (EG) Nr. 773/2004), innerhalb der der Beschwerdeführer ergänzende Angaben oder Ausführungen machen kann. Die Kommission weist den Beschwerdeführer darauf hin, dass die Beschwerde gem. Art. 7 Abs. 3 VO (EG) Nr. 773/2004 als zurückgezogen gilt, wenn er innerhalb dieser Frist nicht zur Sache Stellung nimmt. Bereits während dieser Frist zur Stellungnahme hat der Beschwerdeführer gem. 1650 Art. 8 VO (EG) Nr. 773/2004 Anspruch auf Einsicht in die der Kommission vorliegenden Unterlagen mit Ausnahme der Geschäftsgeheimnisse und vertraulichen Informationen. Der Beschwerdeführer kann eine Fristverlängerung beantragen, deren Bewilligung im pflichtgemäßen Ermessen der Kommission liegt. Äußert der Beschwerdeführer sich bis zum Fristablauf nicht, so gilt die Beschwerde als zurückgezogen. Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer die Beschwerde jederzeit auf eigenen Wunsch zurückziehen. Gibt der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab, so nimmt die Kommission diese zur Kenntnis. Führt sie nicht zu einer veränderten Einschätzung der Kommission darüber, dass sie die Beschwerde zurückzuweisen gedenkt, so weist sie die Beschwerde durch Entscheidung ab. Ansonsten kann sie ein Verfahren gegen das betreffende Unternehmen einleiten.326 In diesem hat der Beschwerdeführer die vorstehend erläuterten Verfahrensrechte.327 Bei einer Abweisung der Beschwerde durch Entscheidung muss die Kommissi1651 on diese begründen. Dies muss so klar und eindeutig geschehen, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, die Begründung nachzuvollziehen und zu überprüfen. Die Kommission ist jedoch nicht dazu verpflichtet, auf jedes Argument des Beschwerdeführers einzugehen. Weist sie die Beschwerde deswegen ab, weil in derselben Sache eine Entscheidung nach Art. 9 oder 10 VO (EG) Nr. 1/2003 ergangen ist, so kann die Kommission bei der Abweisung auf diese Entscheidung Bezug nehmen.328
324
325 326 327 328
Art. 6 VO (EG) Nr. 773/2004, ABl. 2004 L 123, S. 18; Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 64 ff.). Vgl. dazu o. Rn. 1524 f. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 68 ff.). O. Rn. 1648. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 74 ff.).
§ 5 Musterablauf eines Beschwerdeverfahrens
615
Gegen den die Beschwerde abweisenden Beschluss der Kommission kann der 1652 Beschwerdeführer Rechtsschutz bei den Gemeinschaftsgerichten einlegen. Eine erneute Prüfung der Beschwerde kann dagegen von der Kommission nur verlangt werden, wenn der Beschwerdeführer neue wesentliche Beweise vorlegt. Hiervon bleibt das Recht der Kommission unberührt, das Verfahren aus eigener Initiative beispielsweise gem. Art. 9 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 wieder aufzunehmen. Die abweisende Entscheidung der Kommission trifft keine Aussage darüber, ob tatsächlich eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81, 82 EG vorgelegen hat. Infolge dessen bindet sie die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten nicht. Diese können dieselbe Verhaltensweise wegen einer Zuwiderhandlung gegen das europäische Kartellrecht untersuchen.329 Den einstweiligen Rechtsschutz nach Art. 8 VO (EG) Nr. 1/2003 kann die 1653 Kommission nur von Amts wegen gewähren. Der Beschwerdeführer kann solchen einstweiligen Rechtsschutz nicht beantragen. Sofern er einstweiligen Rechtsschutz begehrt, muss er diesen vor den nationalen Gerichten beantragen.330 Sofern ein Beschwerdeführer die Kommission darum ersucht, seine Identität 1654 gegenüber dem Unternehmen, gegen das sich seine Hinweise richten, nicht zu offenbaren, so ist die Kommission verpflichtet, dieses Ersuchen um Anonymität zu respektieren, soweit der Antrag nicht offensichtlich unbegründet ist.331
C.
Alternative: Klage vor einem nationalen Gericht
Neben der Möglichkeit, mittels Beschwerde das Tätigwerden der Kommission zu 1655 beantragen, können Privatpersonen sich auch mit einer zivilrechtlichen Klage an ein nationales Gericht wenden.332 Diese Alternative bietet folgende Vorteile: Nur ein nationales Gericht kann über Schadensersatzansprüche, Ansprüche auf Zahlung und die Gültigkeit oder Ungültigkeit vertraglicher Verpflichtungen entscheiden. Zudem können in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht nicht nur die Art. 81, 82 EG geprüft werden, sondern auch die Bestimmungen des jeweiligen nationalen Rechts. Zudem kommt ein Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei in Betracht, der im Verfahren vor der Kommission ausgeschlossen ist.333 Die Möglichkeit für den Beschwerdeführer, sein Recht im Wege einer Klage
329 330 331 332 333
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 77 ff.). Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 80). Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 81). Dazu o. Rn. 1628. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 12 ff.).
616
Kapitel 8 Kartellverfahrensrecht
vor einem nationalen Gericht durchzusetzen, kann für die Kommission ein Grund sein, die Beschwerde mangels Gemeinschaftsinteresse zurückzuweisen.334
334
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65 (Rn. 17, 44).
Kapitel 9 Fusionskontrolle
§ 1 Grundlagen A.
Rechtsregime
Der EG enthält keine eigenständigen Vorschriften zur Fusionskontrolle. Zwar kann 1656 in Einzelfällen ein Zusammenschluss gestützt auf die Art. 81, 82 EG untersagt werden, doch ermöglichen diese Vorschriften keine systematische Fusionskontrolle. Deshalb hat der Rat die VO (EWG) Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen1 erlassen, die zum 21.9.1990 in Kraft trat. Die neue FKVO (EG) Nr. 139/20042 gilt seit 1.5.2005 und hat die Vorgängerregelung VO (EWG) Nr. 4064/89 abgelöst. Viele Vorschriften wurden geändert; dies betrifft u.a. die Kriterien zur Beurteilung von Zusammenschlüssen, die Verfahrensvorschriften sowie die Verweisungsregelungen.3
B.
Zwischen Wettbewerbsbeeinträchtigung und -förderung
Die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln des Primärrechts erfassen Unter- 1657 nehmenszusammenschlüsse nur in einzelnen Ansatzpunkten: Zusammenschlüsse können durch Vereinbarungen zustande kommen, welche den Wettbewerb und den grenzüberschreitenden Handelsverkehr spürbar beeinträchtigen können.4 Zudem können sie auf der Basis einer marktbeherrschenden Stellung erfolgen und mit ei-
1
2 3
4
Vom 21.12.1989, ABl. L 395, S. 1. Wegen einer Reihe von Fehlern, die in den verschiedenen Sprachfassungen der Verordnung enthalten waren, wurde deren gesamter Wortlaut in Form einer berichtigten Textfassung veröffentlicht, ABl. 1990 L 257, S. 13. Des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. L 24, S. 1. S. dazu im Einzelnen Berg, BB 2004, 561 ff.; Staebe/Denzel, EWS 2004, 194 ff. sowie umfassend Farbmann, Die Reform der Fusionskontrollverordnung als ein Beispiel der Europäischen Normsetzungspolitik, 2005, S. 37 ff. S.o. Rn. 493 ff.
618
Kapitel 9 Fusionskontrolle
ner missbräuchlichen Ausnutzung dieser Position einhergehen.5 Insoweit bestehen Bezüge von Unternehmensfusionen sowohl zum Missbrauchs- als auch zum Kartellverbot. Allerdings verlangt Ersteres, dass bereits eine beherrschende Stellung besteht, was jedoch nur eine logische Sekunde der Fall gewesen sein muss.6 Die Erlangung einer solchen ist hingegen durch das Missbrauchsverbot nicht erfasst und damit vom Ausgangspunkt her primärrechtskonform. Eine umfassende Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ist damit nicht gewährleistet, obgleich sie die Tendenz in sich tragen, den Wettbewerb zu schmälern, weil sich die Gewichte innerhalb der Konkurrenz in einem bestimmten Segment deutlich verschieben können und dadurch die Mitbewerber einen erheblich schwereren Stand haben. Damit führt nicht nur die Ausnutzung einer beherrschenden Stellung zu einer negativen Beeinträchtigung des Wettbewerbs, sondern unter Umständen bereits ein Unternehmenszusammenschluss als solcher. Ein Unternehmenszusammenschluss kann allerdings dem Wettbewerb nützen, 1658 so wenn dadurch erst wettbewerbsfähige Strukturen entstehen und Unternehmen daraus erwachsen, welche auch im internationalen Wettbewerb bestehen können. Zudem kann Größe zu besseren Entwicklungen führen und damit den Lebensstandard in der Gemeinschaft heben.7 Aber auch bei diesen Zusammenschlüssen ist darauf zu achten, dass der Wettbewerb nicht dauerhaft geschädigt wird. Daher gilt es alle diejenigen Unternehmenszusammenschlüsse zu überprüfen, welche geeignet sind, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen.8 Lediglich diese bedürfen einer Kontrolle. Eine solche Gegenüberstellung beider Pole von Unternehmenszusammenschlüssen zeigt, dass in der Kontrollpraxis auch die positiven Seiten von Unternehmenszusammenschlüssen zu berücksichtigen sind (s. Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Fusionen sind also nichts Negatives an sich. Es muss nur ein effektiver Wettbewerb gemäß den Vertragszielen, wie er für die Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlich ist, gewährleistet sein.
C.
Ansätze des EuGH
I.
Continental Can
1659 An dieser Gesamtzielsetzung des Primärrechts ist denn auch die Ableitung des EuGH zur Kontrolle eines Unternehmenszusammenschlusses am Missbrauchsverbot aufgehängt. Der EuGH verweist darauf, dass durch Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG und Art. 2 EG Grenzen aufgestellt sind, „bei deren Überschreiten die Gefahr besteht, dass eine Abschwächung des Wettbewerbs den Zielsetzungen des Gemeinsamen Marktes zuwiderläuft“.9 Relevant waren dabei das durch Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG 5 6 7 8 9
S.o. Rn. 1377 ff. S.o. Rn. 1385. 4. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. 5. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (244 f., Rn. 24) – Continental Can.
§ 1 Grundlagen
619
geforderte System, welches den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, sowie das Gebot von Art. 2 EG, eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Indem diese zentrale Aufgabenbestimmung im Laufe verschiedener Vertrags- 1660 änderungen um weitere Elemente angereichert wurde, liegt es freilich nahe, auch diese im Rahmen der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen adäquat zu berücksichtigen. Der 4. Erwägungsgrund der Fusionskontrollverordnung, welcher auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sowie eine Verbesserung der Wachstumsbedingungen und eine Anhebung des Lebensstandards abhebt, gewinnt so zusätzliches, mit dem Erfordernis eines wirksamen Wettbewerbs gleichzusetzendes Gewicht. Diese vorgenannte, primärrechtlich fundierte Akzentsetzung strahlt als generel- 1661 le Vorgabe insoweit nicht nur auf die Anwendung von Art. 81 f. EG als Konkretisierung aus, wo ihre Auswirkungen naturgemäß infolge des festgefügten Systems der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln begrenzt sind, sondern auch in die sekundärrechtliche Fusionskontrolle, welche durch das Primärrecht nicht zwingend vorgegeben ist, aber durch die allgemeine Zielsetzung nach Art. 2, Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG nahegelegt wird. Im Urteil Continental Can hat der EuGH nämlich nur die Konstellation unter das Missbrauchsverbot gefasst, in der ein Unternehmen mit beherrschender Stellung ein anderes Unternehmen übernahm und dadurch seine Position missbräuchlich ausnutzte, weil keine in ihrem Marktverhalten unabhängigen Wettbewerber zurückblieben.10 Diese Entscheidung blieb auf Art. 82 EG bezogen und legte nur fest, dass die Verhaltensweisen nach lit. a)-d) lediglich beispielhaft zu verstehen sind und keine Kausalität zwischen beherrschender Stellung und missbräuchlicher Ausnutzung bestehen muss. II.
Philip Morris
Ebenso auf den Vertragstext bezogen war die Entscheidung Philip Morris. Sie un- 1662 tersuchte, inwieweit der Erwerb einer Beteiligung am Kapital eines Konkurrenzunternehmens unter das Kartellverbot fallen kann. Dadurch kann nämlich das geschäftliche Verhalten der involvierten Unternehmen so beeinflusst werden, dass der Wettbewerb auf dem ihre Geschäftstätigkeit bildenden Markt eingeschränkt oder verfälscht wird.11 Das nach Art. 81 Abs. 1 EG erforderliche Verhalten liegt regelmäßig in einer Vereinbarung. Diese beschränkt den Wettbewerb, wenn das investierende Unternehmen durch sie die Kontrolle über das geschäftliche Verhalten des anderen Unternehmens erlangt. Ob dies rechtlich oder faktisch erfolgt bzw. über den Erwerb der Beteiligung selbst oder aber durch Nebenklauseln der Vereinbarung, ist dabei gleichgültig. Eine solche Kontrolle kann auch noch später erlangt werden, indem bereits jetzt das investierende Unternehmen die vertragliche Möglichkeit erhält, seine Position aufzustocken und so die effektive Kontrolle zu bekommen. Damit ist auch die künftige Entwicklung mit einzubeziehen, zumal 10 11
EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 26 f.) – Continental Can. EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4577, Rn. 37) – BAT und Reynolds.
620
Kapitel 9 Fusionskontrolle
eine solche Vereinbarung im Rahmen eines langfristigen Planes getroffen worden sein kann.12 Unabhängig von einer solchen aktuellen oder zukünftigen potenziellen Kontrolle kann eine Wettbewerbsbeschränkung wie sonst bei Koordinierungen im Rahmen des Kartellverbotes darin liegen, dass eine geschäftliche Zusammenarbeit vorgesehen wird oder Strukturen gebildet werden, die einer solchen Zusammenarbeit förderlich sein können.13 Das Element der Kontrolle weist auf das erste Tatbestandsmerkmal des Kar1663 tellverbotes zurück, dass es nämlich um eine Koordinierung zwischen mehreren Unternehmen gehen muss. Handelt es sich daher nur um ein Unternehmen, welches nach der Vereinbarung übrig bleibt, können die sich nach dem Zusammenschluss ergebenden wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen nicht mehr berücksichtigt werden. Am weitesten geht die Konzeption, die Art. 81 EG auch dann eingreifen lässt, 1664 wenn das investierende Unternehmen zwar die Mehrheit erworben hat, gleichwohl aber das so finanziell kontrollierte Unternehmen noch selbstständig entscheiden kann.14 Durch die finanzielle Mehrheit droht aber dieser Entscheidungsspielraum leicht vereitelt zu werden. Daher können allenfalls Minderheitsbeteiligungen die Unternehmen so weit getrennt halten, dass weiterhin von eigenen wirtschaftlichen Einheiten auszugehen ist, die Art. 81 EG selbst verwirklichen können. Allein die rechtliche Selbstständigkeit mit der Folge, dass alle Zusammenschlüsse außer Fusionen Art. 81 EG zuzuschlagen sein könnten, ist deshalb nicht maßgeblich, weil die durch den Beteiligungserwerb verflochtenen Unternehmen faktisch als Gesamtheit am Markt agieren können und daher die Selbstständigkeit bloße Makulatur ist.15 Diese Frage tritt aber insofern zurück, als für Unternehmenszusammenschlüsse 1665 nach Art. 21 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ausschließlich die fusionsrechtliche Verfahrensordnung greift, hingegen die VO (EG) Nr. 1/2003 ausgeschlossen wird und damit Art. 81 EG der für seine vollständige effektive unmittelbare Anwendung notwendige Unterbau fehlt.16 Hingegen greift Art. 82 EG infolge fehlender Freistellungsmöglichkeiten unmittelbar ein und gilt auch weiterhin neben der Fusionskontrollverordnung.17 Die Kommission beabsichtigt allerdings ebenso wie der Rat, ausschließlich die Fusionskontrollverordnung auf Zusammenschlüsse nach deren Art. 3 anzuwenden und nicht mehr Art. 81 und 82 EG, außer es besteht keine gemeinschaftsweite Bedeutung. Wird ein solcher Fall auch nicht in Art. 21 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 aufgegriffen, ist ein Verfahren nach Art. 85 EG vorgesehen.18 12 13 14 15 16 17 18
EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4577, Rn. 38 f.) – BAT und Reynolds. EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 (4577, Rn. 38) – BAT und Reynolds. So Basedow, EuZW 2003, 44 (47). Zur Problematik z.B. Mestmäcker, EuR 1988, 359 ff.; Steindorff, ZHR 152 (1988), 57 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 13; dazu allgemein EuGH, Rs. 13/61, Slg. 1962, 99 (113) – Bosch. S.o. Rn. 1133 ff. Erklärungen von Kommission und Rat zur Auslegung von Art. 22 FKVO a.F. zum Ratsprotokoll vom 19.11.1989, WuW 1990, 240 ff., abgegeben schon 1989 bei der
§ 1 Grundlagen
D.
621
Vorverlagerung des primärrechtlichen Wettbewerbsschutzes
Die beiden EuGH-Entscheidungen zu Unternehmenszusammenschlüssen auf der 1666 Basis des Primärrechts zeigten deutlich dessen Grenzen. Zwar mahnt die Entscheidung Continental Can an, dass eine kohärente Auslegung von Art. 81 und 82 EG vor dem Hintergrund der Vertragsziele erfolgen muss, so dass Umgehungen verhindert werden.19 Daraus ergibt sich aber nicht notwendig ein alle Fälle umfassender Schutzschild gegen Wettbewerbsbeschränkungen, weil man nicht über die Tatbestandsvoraussetzungen des Kartell- und Missbrauchsverbots hinweg gehen kann. Daher bleiben nicht nur die Fälle außen vor, in denen nach dem Zusammenschluss weder selbstständige Unternehmen zurückbleiben noch eine beherrschende Stellung erlangt wird, so dass keine der beiden primärrechtlichen unternehmensbezogenen Wettbewerbsvorschriften eingreift.20 Vielmehr fällt der ganze präventive Bereich heraus, in dem noch gar keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt beeinträchtigt wird bzw. ein solches Ziel besteht. Die Eignung genügt nämlich entsprechend dem Wortlaut von Art. 81 und 82 EG nur im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten. Insofern setzt die Fusionskontrollverordnung früher an, wenn sie nach ihrem 5. Erwägungsgrund Zusammenschlüsse ins Visier nimmt, die geeignet sind, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt erheblich zu beeinträchtigen. Durch diese Erweiterung des Kontrollbereiches wird der Wettbewerb wesent- 1667 lich umfassender abgesichert, weil bereits Situationen erfasst werden, die in einen konkreten Wettbewerbsverstoß, wie er schon vom Primärrecht erfasst ist, umschlagen können. Die Fusionskontrolle erfasst daher auch die Prävention. Weil eine solche aber von den Wettbewerbsregeln des Primärrechtes nicht derart weit umfasst ist, bedurfte die Fusionskontrollverordnung der Abstützung nicht nur durch Art. 83 EG, sondern auch durch Art. 308 EG, welcher eine Kompetenzergänzung vorsieht, um Ziele im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen.21 Dieses Ziel liegt hier in der Verwirklichung des Binnenmarktes, wofür der unverfälschte Wettbewerb ein wesentlicher Bestandteil ist, der durch die Weiterung der Fusionskontrollverordnung besser abgesichert werden kann.
19 20 21
Verabschiedung der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989; insoweit trat aber in der neuen FKVO (EG) Nr. 139/2004 keine Änderung ein, s. deren Art. 21 Abs. 1. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. Zu Abgrenzungsproblemen Staebe, EWS 2003, 249 (250 ff.). 7. Begründungserwägung zur FKVO (EG) Nr. 139/2004 unter Verweis auch auf die Zusammenschlüsse auf den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse.
622
Kapitel 9 Fusionskontrolle
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse A.
Systematik
1668 Nach Art. 1 Abs. 1 gilt die Fusionskontrollverordnung auch in ihrer neuen Fassung (FKVO (EG) Nr. 139/2004) für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung. In Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wird der Begriff des Zusammenschlusses näher erläutert.22 In Art. 1 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist in Anknüpfung an die Höhe des weltweiten bzw. gemeinschaftsweiten Umsatzes der beteiligten Unternehmen definiert, wann ein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung vorliegt. Das Erreichen der Umsatzschwellenwerte allein führt aber noch nicht dazu, 1669 dass ein Zusammenschluss von der Kommission für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird. Gem. Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist vielmehr darüber hinaus erforderlich, dass durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde. Dies ist nach Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 insbesondere dann der Fall, wenn eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt würde. Im Gegensatz zur VO (EWG) Nr. 4064/89 ist das Merkmal einer marktbeherrschenden Stellung allerdings nicht mehr Untersagungsvoraussetzung, sondern nur noch ein Regelbeispiel, dessen Vorliegen eine Wettbewerbsbehinderung indiziert. Mit dieser Änderung sollten auch Zusammenschlüsse erfasst werden, aus denen keine Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung hervorgehen. Doch können auch diese Fusionen aufgrund des Wegfalls des zuvor zwischen den Zusammenschlussparteien herrschenden Binnenwettbewerbs dazu führen, dass die verbliebenen Unternehmen überhöhte Preise durchsetzen und der Zusammenschluss sich damit wettbewerbsbeeinträchtigend auswirkt.23 Deshalb sollte auch hier die Fusionskontrolle eingreifen.
B.
Zusammenschluss
I.
Zwischen zwei selbstständigen Unternehmen
1670 Nach Art. 1 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 greift die Fusionskontrollverordnung für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung ein. Grundlage ist daher, dass ein Zusammenschluss vorliegt. Entsprechend dem Titel „Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen“ muss es sich um den Zusammenschluss verschiedener Unternehmen handeln, wovon auch Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ausgehen („Gesamtumsatz aller beteilig22 23
S. ausführlich zur Vorgängerfassung Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, 2002. Vgl. 25. Begründungserwägung der FKVO (EG) Nr. 139/2004; Staebe/Denzel, EWS 2004, 194 (199). Ausführlich u. Rn. 1823.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
623
ten Unternehmen“). Entscheidend ist aber nur, dass im Rahmen des Zusammenschlusses zwei selbstständige Unternehmen agieren, auch wenn sie dabei verschmelzen. Sie können hinterher jedoch auch weiterhin fortbestehen. Das ist dann der Fall, wenn sie ein Gemeinschaftsunternehmen gründen (Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004), ohne selbst darin aufzugehen. Unternehmen können dabei auch öffentliche Unternehmen sein, da trotz der 1671 Fundierung auf Art. 308 EG die Fusionskontrollverordnung wesentlich vom Wettbewerbsrecht geprägt ist und deshalb die Maßstäbe des Art. 86 Abs. 2 EG herangezogen werden können. Auch insoweit gilt daher der Grundsatz der Nichtdiskriminierung zwischen öffentlichem und privatem Sektor.24 Deshalb sind öffentliche Unternehmen, sofern sie nur eine autonom entscheidende wirtschaftliche Einheit bilden, als jeweils eigene Unternehmen anzusehen, auch wenn sie z.B. demselben Verwaltungsträger zugeordnet sind bzw. diesem gehören.25 Für Unternehmen des Privatrechts gelten vergleichbare Maßstäbe wie im Rahmen des Kartellverbotes; sie müssen also eigene wirtschaftliche Einheiten bilden, zwischen denen Wettbewerb möglich ist, um sich zusammenschließen zu können. Eine bloße Neuordnung im Konzernverbund genügt nicht. II.
Kontrollerwerb als maßgebliches Kriterium
Gem. Art. 3 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wird ein Zusammenschluss dadurch 1672 bewirkt, dass eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle stattfindet. Das bedeutet, dass ein ursprünglich selbstständiges Unternehmen in die Kontrolle eines anderen Unternehmens gelangt. Dies muss dauerhaft erfolgen. Ausgeschlossen ist dies namentlich dann, wenn die Kontrolle wechselnden Mehrheiten unterliegt.26 Es muss also eine stabile Kontrolle eines anderen Unternehmens etabliert sein. Das ist regelmäßig mit einem Wirtschaftsplan verbunden, der unabhängig vom Willen des kontrollierten Unternehmens verwirklicht wird und auf die Gesamtheit ausgerichtet ist.27 Es genügt aber die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auszuüben.28 Schon dadurch wird die wirtschaftliche Machtstellung verschoben. III.
Rechtliche und wirtschaftliche Fusionen
Die Kontrollveränderung kann sowohl auf gleicher Ebene als auch im Wege der 1673 Dominanz eines Unternehmens verwirklicht werden. Auf der Ebene der Gleichordnung liegt die Fusion als Zusammenschluss zweier oder mehrerer bisher voneinander unabhängiger Unternehmen oder Unternehmensteile nach Art. 3 Abs. 1 24 25 26
27 28
Der allerdings nicht generell gilt, s.u. Rn. 1987, 2103 ff. Erwägungsgrund 22 der FKVO (EG) Nr. 139/2004. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 35); Schütz, in: Gemeinschaftskommentar, Art. 3 Rn. 38. Ähnlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 34. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 16.
624
Kapitel 9 Fusionskontrolle
lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004. Dabei entsteht eine echte wirtschaftliche Einheit. Kennzeichen sind ein Gewinn- und Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Konzerngesellschaften im Innenverhältnis sowie eine solidarische Haftung nach außen. Hinzu kommt eine einheitliche wirtschaftliche Leitung.29 Insbesondere darauf stellte die Kommissionsentscheidung vom 7.12.1995 ab, indem sie auf ein vereinheitlichtes Abstimmungsverfahren für wesentliche Entscheidungen, gemeinsame Verwaltungsräte und eine vereinheitlichte Managementstruktur abhob. Zudem waren die Dividenden und Kapitalausschüttungen angeglichen.30 Auf diese Weise wird die Ebene der Gleichordnung konsequent Art. 3 Abs. 1 1674 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 zugeschlagen. Demgegenüber wird geltend gemacht, dass insoweit auch ein Kontrollerwerb nach Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 gegeben sei, weil entsprechende vertragliche Vereinbarungen vorlägen oder in sonstiger Weise eine Kontrolle hergestellt sei.31 Eines solchen Rückgriffs bedarf es nicht. Im Übrigen besteht eine Fusion durch rechtliche Vorgänge, nämlich durch eine 1675 Verschmelzung. Diese kann durch Neugründung erfolgen, bei der zwei oder mehr Unternehmen ihr gesamtes Vermögen auf ein neues Unternehmen übertragen und dabei ihre Rechtspersönlichkeit aufgeben. Der andere Weg ist der, dass ein Unternehmen sein gesamtes Vermögen auf ein anderes Unternehmen überträgt und dabei selbst untergeht, indes in das bereits bestehende Unternehmen aufgenommen wird.32 Ein Beispiel ist der vollständige Tausch der Aktien.33 Die praktische Bedeutung jedenfalls der rechtlichen Fusion ist eher gering.34 IV.
Kontrollerwerb
1676 Die praktisch häufigere Konstellation wird in Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 aufgegriffen. Danach erfolgt die Veränderung der Kontrolle durch Unterordnung, indem die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erlangt wird. Unmittelbar erwirbt die Kontrolle, wer rechtlich ein Unternehmen beherrscht. Mittelbare Kontrolle kann daraus folgen, dass Personal benannt werden darf. Explizit benannte Mittel für den Kontrollerwerb sind der Erwerb von Anteils1677 rechten oder Vermögenswerten sowie Verträge. Diese sind aber nicht abschließend aufgeführt, wie der Zusatz „in sonstiger Weise“ belegt. In Art. 3 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wird diese Kontrollerlangung nochmals aufgegriffen, 29
30 31
32 33 34
Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 7). KOME IV/M.660, ABl. 1996 C 22, S. 10 (Rn. 8) – RTZ/CRA. Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO Art. 3 Rn. 19 unter Verweis auf Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 14 f.; Stockenhuber, Die europäische Fusionskontrolle, 1995, S. 153 ff. Z.B. Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO Art. 3 Rn. 13. KOME 2003/790/EG, ABl. 2003 L 300, S. 1 (Rn. 3) – MCI WorldCom/Sprint. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 7.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
625
indem Rechte, Verträge oder andere Mittel nebeneinander gestellt werden. Diese können auch in einem Fall zusammen vorliegen und sind dann gemeinsam zu würdigen. Auch wenn nur eine Modalität gegeben ist, müssen alle tatsächlichen bzw. rechtlichen Umstände betrachtet werden.35 Danach muss die Möglichkeit eröffnet sein, die Tätigkeit des kontrollierten Unternehmens bestimmend zu beeinflussen. Der Einfluss muss also nicht tatsächlich ausgeübt werden, sondern nur ausgeübt werden können.36 Daher muss auch keine explizite Regelung bestehen, die einen solchen Einfluss gestattet. Vielmehr können auch die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände und damit die Struktur des Verhältnisses zwischen überund untergeordneten Unternehmen den Schluss auf einen solchen Einfluss ermöglichen.37 Als Wege zur Erlangung der Kontrolle stellen Art. 3 Abs. 2 lit. a) und b) FKVO 1678 (EG) Nr. 139/2004 zwei Möglichkeiten besonders heraus: Rechte an Unternehmen bzw. Verträge, aus denen sich ein bestimmender Einfluss auf die Zusammensetzungen, die Beratungen oder die Beschlüsse der Organe begibt, also gleichsam der gesellschaftsrechtliche Weg, welcher entsprechend der Bedeutung in den Bekanntmachungen der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses nahezu ausschließliches praktisches Gewicht hat.38 Die andere Option ist der Erwerb von Eigentums- oder Nutzungsrechten an der Gesamtheit oder an Teilen des unternehmerischen Vermögens. V.
Vermögenserwerb
Art. 3 Abs. 2 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 benennt als herausgehobene erste 1679 Möglichkeit des Kontrollerwerbs den Erwerb von Eigentum oder Nutzungsrechten an der Gesamtheit oder an Teilen des Vermögens des Unternehmens. Erfolgt dies im Hinblick auf die Unternehmensgesamtheit, wird damit regelmäßig auch unmittelbar die Kontrolle erlangt. Die Gesamtheit des Unternehmens kann aber mittelbar auch dadurch kontrolliert werden, dass Eigentums- oder Nutzungsrechte an entsprechend gewichtigen Teilen des Unternehmens erworben werden.39 Die Gewichtigkeit bestimmt sich nicht danach, ob ein wesentlicher Vermögensteil vorliegt,40 sondern durch die Möglichkeit, darüber bestimmten Einfluss auf das betroffene Unternehmen auszuüben. Maßgeblich sind die jeweiligen Eigenarten der Branche. Mögliche Einbruchstellen sind bereits ein Warenzeichen, auf das der gesamte 1680 Absatz einer Produktionsreihe ausgerichtet ist, oder einzelne Strecken bzw. Lan-
35 36 37
38 39 40
Sedemund/Montag, in: Dauses, H. I § 2 Rn. 8. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 16. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 9); Schröer, in: Frankfurter Kommentar, Art. 3 FKVO Rn. 19. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 17. Ulshöfer, Kontrollerwerb in der Fusionskontrolle, 2003, S. 55. Für Identität Krimphove, Europäische Fusionskontrolle, 1992, S. 49.
626
Kapitel 9 Fusionskontrolle
derechte von Fluggesellschaften, die darauf konzentriert sind.41 In Abgrenzung zu Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 geht es daher nicht unmittelbar um Kontrollerwerb, sondern um den Zugriff auf einen Vermögensteil, welcher die Grundlage für einen bestimmenden Einfluss bildet. Daher zählt der Vermögenswert als taugliches Kontrollobjekt und nicht als Kontrollerwerbsmittel.42 Für Art. 3 Abs. 2 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 genügt nicht allein der Ab1681 schluss eines Vertrages, sondern es muss der Übergang eines Eigentums- oder Nutzungsrechtes vorliegen. Die unternehmerische Verfügbarkeit der Ressourcen muss also gegeben sein.43 Bei einem Kaufvertrag etwa muss mithin dem Verpflichtungs- das Verfügungsgeschäft und damit der dingliche Rechtsübergang des Eigentums gefolgt sein. Ansonsten kann höchstens Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 eingreifen. Spezifisch für den Zusammenschluss durch Vermögenserwerb ist bei der Umsatzberechnung auf Seiten des Veräußerers nur der Umsatz zu berücksichtigen, der auf die veräußerten Teile entfällt. Diese Regelung des Art. 5 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 stellt zudem den Erwerb von Teilen eines oder mehrerer Unternehmen gleich. Damit muss sich der Vermögenserwerb nicht notwendig auf ein einziges Unternehmen beziehen, sondern kann auch mehrere Unternehmen erfassen, so wenn die erworbenen Unternehmensteile keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen.44 VI.
Einflusserwerb
1.
Anteilserwerb
1682 Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 nennt die wesentlich häufigere Variante des Anteilserwerbes. Diese gesellschaftsrechtliche Variante sichert über eine Beteiligung an dem betroffenen Unternehmen einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen oder Beschlüsse der Organe. Das gilt dann, wenn alle oder die Mehrheit der Anteile an einem Unternehmen erworben werden.45 Auch die Hälfte der stimmberechtigten Kapitals wird als regelmäßig ausreichend angesehen, außer besondere Umstände sind gegeben.46 Eine Minderheitsbeteiligung genügt dagegen grundsätzlich nicht, weil sie keinen bestimmenden Einfluss verleiht. Ein solcher kann höchstens aus besonderen Umständen im Sinne einer sog. qualifizierten Minderheit resultieren.47 Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn eine niedrigere Kapitalbeteiligung trotzdem eine Mehrheit in der 41 42 43 44 45 46 47
KOME IV/M.130, ABl. 1991 C 289, S. 0 (Rn. 3) – Delta Air Lines/Pan Am; Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 204. S. KOME 98/663/EG, ABl. 1998 L 316, S. 1 (Rn. 13 ff.) – Blokker/Toys R Us. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 206. Sedemund/Montag, in: Dauses, H. I § 2 Rn. 9. S. KOME IV/M.391, ABl. 1994 C 4, S. 3 – BAI/Banca Populare di Lecco. Sedemund/Montag, in: Dauses, H. I § 2 Rn. 10 auch zum Folgenden. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
627
Hauptversammlung ergibt.48 Auch ein wesentlicher Einfluss des erwerbenden Unternehmens unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung auf die Zusammensetzung der Organe kann genügen.49 Bei Streubesitz der übrigen Aktien ließ die Kommission 39 % Beteiligung ausreichen.50 Auch ein Vetorecht in wichtigen Geschäftsentscheidungen wie zur Unternehmensstrategie oder zum Wettbewerbsverhalten kann einen bestimmenden Einfluss begründen.51 Dafür spricht, dass es auf den tatsächlichen bestimmenden Einfluss ankommt, so dass die rechtlichen Verhältnisse dahinter zurücktreten können, wenn eine faktische Steuerung möglich ist. 2.
Verträge
Als zweite Möglichkeit, bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die 1683 Beratung oder Beschlüsse der Organe eines anderen Unternehmens zu erlangen, sieht Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 Verträge vor. Die Vertragsgestaltungen sind im Einzelnen nicht festgelegt und vom Typ her auch nicht nach nationalrechtlichen Maßstäben zu bestimmen. Entscheidend ist, dass sie von ihren Regelungen her einen bestimmenden Einfluss gewähren. Das kann bei Pacht- oder Nießbrauchsverträgen zutreffen, gilt aber vor allem bei Betriebsüberlassungs-, Betriebsführungs-, Beherrschungsverträgen, Gewinngemeinschaften und Gewinnabführungsverträgen.52 Die genannten betriebsbezogenen Verträge sind regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass der Übernehmer die alleinige Kontrolle ausübt. Bei Betriebsführungsverträgen muss ein durchsetzbares Recht zur Mitbestimmung des Wettbewerbsverhaltens des geführten Unternehmens bestehen.53 Die auf den Gewinn bezogenen Verträge eröffnen über die Abführungspflicht einen faktischen Einfluss auf die Geschäftspolitik.54 Bei solchen Verträgen besteht üblicherweise zudem vorher ein anderes Beherrschungsverhältnis.55 Auch andere Verträge wie langfristige Lieferbindungen und Kreditgewährun- 1684 gen können eine erhebliche wirtschaftliche Abhängigkeit begründen. Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 schränkt zwar die Arten der Verträge nicht näher ein. Indes müssen sie einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen oder Beschlüsse der Unternehmensorgane sichern. Wirtschaftliche Abhängigkeit allein genügt noch nicht. Es muss vielmehr ein auf das Unternehmen bezogener und nicht nur dessen Geschäftstätigkeit betreffender Vertrag sein. 48 49 50 51 52 53 54 55
KOME IV/M.159, ABl. 1991 C 334, S. 23 – Mediobanca/Generali KOME IV/M.192, ABl. 1992 C 107, S. 0 – Banesto/Totta. KOME IV/M.25, ABl. 1990 C 321, S. 16 – Arjomari-Prioux SA/Wiggens Teape Appleton. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 26. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 27. Pohlmann, Der Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht, 1999, S. 138 f. Pohlmann, Der Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht, 1999, S. 154 f. m.w.N. Ulshöfer, Kontrollerwerb in der Fusionskontrolle, 2003, S. 75; bei reinen Gewinnabführungsverträgen hingegen einen Kontrollerwerb verneinend Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 210.
628
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Oder aber es müssen zu dem eigentlichen Vertragsinhalt andere einflussbegründende Faktoren hinzukommen wie Beteiligungen.56 Rein wirtschaftliche Abhängigkeiten führen daher höchstens dazu, einen bestimmenden Einfluss aufgrund unternehmensbezogener Verträge zu bejahen.57 An diesem Beispiel zeigt sich anschaulich, dass verschiedene Beziehungen 1685 zwischen beherrschendem und beherrschtem Unternehmen zusammenwirken können. Auch solche Rechte, Verträge oder andere Mittel, die an sich allein einen Kontrollerwerb abzubilden vermögen, können diese Wirkung ggf. erst bei gemeinsamer Betrachtung erreichen, je nachdem, wie intensiv sie sind. Generell sind nach Art. 3 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 alle tatsächlichen oder rechtlichen Umstände einzubeziehen. 3.
Sonstige Kontrollfaktoren
1686 Als dritten Weg für den Kontrollerwerb benennt Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 sonstige Verhaltensweisen. Durch das „insbesondere“ sind der Vermögens- sowie Anteilserwerb und der Vertragsschluss nicht ausschließlich. Aber auch insoweit ist eine Unternehmensbezogenheit zu fordern. Zudem müssen sich sonstige Verhaltensweisen von den bisher explizit genannten unterscheiden. Personelle Verflechtungen sind daher nur dann relevant, wenn sie sich nicht nur aus einer vorliegenden Kapitalmehrheit oder einem geschlossenen Unternehmensvertrag ableiten. Wie beim Anteilserwerb kann eine bestimmte Quote und damit vor allem die Mehrheit im unternehmerischen Leistungsorgan regelmäßig für eine Kontrolle sprechen, aber auch eine geringere Quote ausreichend sein, wenn damit ein faktischer bestimmender Einfluss einhergeht.58 Jedenfalls muss sie auf Dauer bestehen.59 Wegen dieser notwendigen Dauerhaftigkeit ist es eher selten, strategische Allianzen in die Definition des Zusammenschlusses auf sonstige Weise einzubeziehen. Das gilt regelmäßig nur bei einem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, so einer Mehrzahl von einzelnen Kooperationsabreden und Beteiligungsfor-
56
57
58 59
S. KOME IV/M.92, ABl. 1991 C 149, S. 0 (Rn. 4 f.) – RVI/VBC/Heuliz; s. dagegen etwa eine bloße Franchisekonstellation, KOME IV/M.940, ABl. 1997 C 232, S. 5 – UBS/Mister Minit sowie bereits IV/M.697, ABl. 1996 C 314, S. 9 (Rn. 6 ff.) – Lockheed Martin/Loral Corporation unter Verweis auf die IV/M. 258, ABl. 1992 C 265, S. 0 (Rn. 11 f.) – CCIE/GTE allerdings unter Verweis darauf, dass die Vertragsbindung auf zehn Jahre begrenzt und nicht dauerhaft sein sollte. Bezogen auf gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten Pohlmann, Der Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht, 1999, S. 166 f.; Ulshöfer, Kontrollerwerb in der Fusionskontrolle, 2003, S. 76; auch auf isolierter Grundlage Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 222; wie hier hingegen Deimel, Rechtsgrundlagen einer europäischen Zusammenschlusskontrolle, 1992, S. 114; Niemeyer, Die Europäische Fusionskontrollverordnung, 1991, S. 15. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 226. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 227.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
629
men.60 Im Übrigen weist diese Form bereits auf ein gemeinsames Handeln von Unternehmen. 4.
Gemeinsamer Kontrollerwerb
Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 stellt den Kontrollerwerb einer Per- 1687 son dem durch mehrere Personen gleich. Diese können also die Kontrollerwerbstatbestände auch zusammen erfüllen. Eine mehrheitliche Beteiligung führt regelmäßig bereits zu einem bestimmenden Einfluss durch ein Unternehmen. Hier dagegen geht es um eine Kontrolle, die durch zwei Unternehmen gleichermaßen ausgeübt wird. Entscheidend ist daher ein gleichgewichtiges Einflusspotenzial, so dass eine paritätische Entscheidungsbindung erfolgt.61 Eine Parität ist regelmäßig dann gesichert, wenn beide Unternehmen je 50 % der Kapitalanteile halten.62 Aber auch ein gegenseitiges Vetorecht genügt, weil dann beide Unternehmen auf Zusammenarbeit angewiesen sind. Gerade die Kommission stellt auf die Möglichkeit ab, Aktionen zum strategischen Verhalten eines Unternehmens zu blockieren.63 Jedenfalls muss sich die gemeinsame Kontrolle auf Kernelemente erstrecken, 1688 so die Unternehmensleitung, die Finanzplanung, den Geschäftsplan und Investitionsentscheidungen,64 nicht notwendig auf das Tagesgeschäft. Der bestimmende Einfluss muss allerdings dauerhaft sein65 und darf nicht in wechselnden Mehrheiten bestehen.66 Sofern nur eine tatsächliche gemeinsame Kontrolle besteht, bedarf es keiner 1689 weiteren Vereinbarungen oder einer gleich gerichteten Interessenlage der beherrschenden Unternehmen.67 Bestehen allerdings Vereinbarungen, dürfen diese die tatsächliche paritätische Beteiligung nicht verschieben. Das kann dadurch erfolgen, dass die Einflussmöglichkeiten nicht mehr gleichgewichtig sind, weil etwa ein Unternehmen in der Unternehmensleitung bzw. im Aufsichtsrat den Ausschlag geben kann, außer es ist vorher ein aufwändiges Schlichtungsverfahren und ein 60 61 62
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KOME IV/M.4, ABl. 1990 C 281, S. 0 (Rn. 6) – Renault/Volvo. S. KOME IV/M.1362, ABl. 1999 C 191, S. 7 (Rn. 6 f.) – BayWA AG/RWA; COMP/ M.1790, ABl. 2000 C 16, S. 5 (Rn. 6 f.) – Deutsche Bank/BHS/Pago. Darin einen Musterfall sehend Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 20). KOME 2003/754/EG, ABl. 2003 L 282, S. 1 (Rn. 14) – Haniel; Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 19). Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 25 ff.). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 32 a.E., 34. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 35). Etwa Pohlmann, Der Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht, 1999, S. 185 f. m.w.N.
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Kapitel 9 Fusionskontrolle
Einigungsversuch erforderlich.68 Denn in diesem letzten Fall sind die beiden Beteiligten doch derart zusammengeschweißt, dass sie jedenfalls bei zügigen Entscheidungen, welche im Wirtschaftsverkehr typisch sind, nur gemeinsam handeln können. Davon zeugt die Entscheidung RTL/Veronica Endemol, wo zwar für ein Gemeinschaftsunternehmen ein Stichentscheidungsverfahren nach einem komplizierten Einigungsverfahren vorgesehen war. Indes nahm die Kommission an, dass der Berechtigte (RTL) sich darauf nur in außergewöhnlichen Konstellationen stützen würde, weil der Hauptzweck des Gemeinschaftsunternehmens die Zusammenarbeit mit maßgeblichen Beiträgen aller Beteiligten war und damit die praktische Funktionsfähigkeit nur bei Einigkeit aller gewährleistet wurde.69 Dadurch, dass schon ein Vetorecht im Hinblick auf wesentliche Entscheidungen 1690 für eine gemeinsame Kontrolle ausreicht,70 genügen Verhinderungsmöglichkeiten von Minderheitengesellschaftern, und sei es, dass wesentliche geschäftsstrategische Entscheidungen nicht gegen den Willen jedes mitkontrollierenden Unternehmens getroffen werden können. So können auch mehr als zwei Unternehmen eine gemeinsame Kontrolle erlangen.71 Darüber hinaus ist eine gemeinsame Kontrolle auch durch eine gemeinsame Ausübung von Stimmrechten bei verschiedenen Minderheitsbeteiligungen möglich, sofern diese insoweit über eine Vereinbarung oder auch faktisch gemeinsam wahrgenommen werden. Das lässt sich auch durch eine Holdinggesellschaft gewährleisten, welche die Minderheitsrechte übertragen bekommt. Gleichermaßen wirkt eine Poolvereinbarung.72 VII.
Gemeinschaftsunternehmen
1.
Zwischen Fusionskontrolle und Kartellverbot
1691 Koordinieren Unternehmen nicht nur ihre Stimmrechte bzw. Beteiligungen an anderen Unternehmen, sondern gründen sie gemeinsam ein solches und machen es 68
69
70 71
72
Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 20, 37); näher KOME IV/M.925 = IV/ECSC.1243, ABl. 1997 C 285, S. 14 (Rn. 7 f.) – Krupp-Hoesch/Thyssen. KOME 96/346/EG, ABl. 1996 L 134, S. 32 (Rn. 10 ff.) – RTL/Veronica/Endemol II; ebenso EuG, Rs. T-221/95, Slg. 1999, II-1299 (1350, Rn. 159 f.) – Endemol/Kommission. S.o. Rn. 1687; bestätigt durch EuG, Rs. T-2/93, Slg. 1994, II-323 (330, Rn. 2) – Air France II. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 22 f.); auch bereits KOME IV/M.334, ABl. 1993 C 204, S. 0 (Rn. 5 ff.) – Costa Crociere/Chargeurs/Accor; zum Ganzen ausführlich Ulshöfer, Kontrollerwerb in der Fusionskontrolle, 2003, S. 66 ff. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 5 (Rn. 30 ff.); Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 33.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
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zu einer von ihnen getrennten selbstständigen wirtschaftlichen Einheit, handelt es sich gem. Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 um einen eigenen Zusammenschlusstatbestand. Dabei üben die gründenden Unternehmen die Kontrolle aus. Die Kontrolle bleibt aber auf die Gründung beschränkt. Voraussetzung für diese Fallvariante des Zusammenschlusses ist nämlich, dass auf das Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer alle wirtschaftlichen Funktionen eines eigenständigen Unternehmens übertragen werden. Es besteht also ein neues Wirtschaftssubjekt. Handelt dieses nunmehr losgelöst von den Gründungsunternehmen, die in das Gemeinschaftsunternehmen ihr ganzes Vermögen eingebracht haben, in diesem also aufgingen, sind Probleme mit dem Kartellverbot des Art. 81 EG ausgeschlossen.73 Bleiben die Gründungsunternehmen hingegen weiterhin bestehen und perpetu- 1692 iert der Zusammenschluss lediglich eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Gründer oder soll dies zumindest, sind Art. 81 Abs. 1 und 3 EG gem. Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 weiterhin einschlägig. Dann bewegen sich Gemeinschaftsunternehmen zwischen Fusionskontrolle und Kartellverbot. Definiert werden sie gem. Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gleichwohl ausschließlich nach ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Damit wird zugleich die Anwendbarkeit der Fusionskontrollverordnung bestimmt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, wie wahrscheinlich eine Koordinierung zwischen Muttergesellschaften und Gemeinschaftsunternehmen auftritt, wie dies früher der Fall war.74 Auch in solchen Fällen gilt, sobald ein Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen vorliegt, das Verfahrensrecht der Fusionskontrollverordnung, und nur über Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kommt materiell bei entsprechender Einschlägigkeit das Kartellverbot zum Tragen.75 2.
Vorliegen eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens
a)
Wirtschaftlich völlig selbstständige Einheit
Seit 1.3.199876 ist die Fusionskontrollverordnung nur auf solche Gemeinschaftsun- 1693 ternehmen ausgerichtet, welche die Schwellenwerte überschreiten und zudem dauerhaft alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen. Nach dieser Definition genügt es nicht, dass lediglich eine Auslagerung von Teil- oder Hilfsfunktionen vorliegt. Vielmehr muss das Gemeinschaftsunternehmen genau so wie andere selbstständige Unternehmen eigenständig am Markt auftreten können. Hierzu benötigt es die entsprechenden Ressourcen ebenso wie den organisatorischen Rahmen. So muss das Gemeinschaftsunternehmen selbst nach eigenen Vorstellungen am Markt handeln können. Davon müssen insbesondere auch etwaige 73 74 75 76
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 37. S. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 61. S. näher u. Rn. 1701 ff. Seitdem ist die Revision der Fusionskontrollverordnung aus dem Jahre 1997, VO (EG) Nr. 1310/97 des Rates vom 30.7.1997 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 180, S. 1, geändert durch ABl. 1998 L 40, S. 17, in Kraft. Sie blieb insoweit durch die VO (EG) Nr. 139/2004 unverändert.
632
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Geschäftsbeziehungen mit den Gründungsunternehmen geprägt sein.77 Es muss vergleichbar der Terminologie früherer Abgrenzungsversuche zwischen kooperativen und konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen78 eine wirtschaftliche selbstständige Planungseinheit vorliegen. Eine solche Eigenständigkeit setzt nicht nur die Ausstattung mit entsprechen1694 den eigenen Ressourcen voraus, sondern auch und vor allem die Möglichkeit, im Hinblick auf das eigene Vermögen selbstständig zu planen und dabei nicht die unternehmerischen Eigeninteressen der Gründerunternehmen mit berücksichtigen zu müssen.79 Schädlich sind im Hinblick darauf nicht nur Aufsichtsbefugnisse, welche ein Eingreifen in die Geschäftspolitik ermöglichen. Vielmehr können auch enge Verflechtungen eine Ausrichtung auf die Gründerunternehmen bedingen. Das gilt bei einem notwendigen Rückgriff auf deren Anlagen, Know-how, Personal oder Vertriebswege. Dann ist ein selbstständiges Handeln des davon abhängigen Unternehmens am Markt nicht möglich.80 Ein Indiz insoweit kann sein, ob sich das Gemeinschaftsunternehmen die Ressourcen, über welche das Gründerunternehmen verfügt, auch an anderer Stelle am Markt beschaffen kann.81 Letztlich geht es darum, aufgrund der Gesamtsituation des Unternehmens und 1695 dabei vor allem im Hinblick auf die Organisation und die Ausstattung zu prüfen, ob wirklich, wie Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verlangt, auf Dauer alle Funktionen vorhanden sind, damit sich das Unternehmen eigenständig auf dem Markt bewegen kann, und so einen zusätzlichen Wettbewerber bildet und nicht lediglich den verlängerten Arm der Gründungsunternehmen darstellt. Andernfalls steht nämlich die Koordinierung der Gründerunternehmen im Vordergrund, und die Privilegierung nach der Fusionskontrollverordnung kann nicht greifen. Vielmehr gelten dann die primärrechtlichen Wettbewerbsregeln und die diesen zugrunde liegenden Verfahrensvorschriften und nicht die Fusionskontrolle, auch wenn in deren Rahmen nach Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 das Kartellverbot mit geprüft wird. Dies erfolgt aber nach den Verfahrensvorschriften der Fusionskontrollverordnung, welche gegenüber der VO (EG) Nr. 1/2003 für die Unternehmen erhebliche Vorteile bieten, namentlich in Form der Rechtssicherheit und einer Entscheidung innerhalb kurzer Zeit. Gerade vor dem Hintergrund dieser Abstufung ist letztlich entscheidend, ob das 1696 Gemeinschaftsunternehmen trotz der Gründung durch zwei andere Unternehmen ein ganz normales Unternehmen mit allen Funktionen der ebenfalls auf diesem 77
78 79 80 81
Näher Mitteilung der Kommission über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens nach der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 1 (Rn. 12 f.). Zu den verschiedenen Ansätzen Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 275 ff. Insbesondere Mestmäcker, in: ders., Recht und ökonomisches Gesetz, 1984, S. 414 (447 ff.). Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 265. S. Gerwing, Kooperative Gemeinschaftsunternehmen im EWG-Kartellrecht unter besonderer Berücksichtigung der Abgrenzungsfrage, 1994, S. 39, der insoweit das Kriterium der selbstständigen Planungseinheit ersetzen will, damit allerdings lediglich ein Element unter mehreren herausgreift.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
633
Markt tätigen Akteure darstellt, wie es auch das EuG für die vorherige Rechtslage in den Vordergrund rückte.82 Das hängt auch von den Merkmalen des betroffenen Marktes ab. Dazu ist der relevante Markt näher zu bestimmen.83 Maßgeblich ist dabei, in welchem Bereich das Gemeinschaftsunternehmen tätig ist.84 b)
Auf Dauer
Weil das Gemeinschaftsunternehmen als neuer Akteur auf dem Markt auftritt und 1697 damit die Wettbewerbsstruktur insoweit verbessert, kann es hingenommen werden, dass eine Anschubunterstützung durch die Gründerunternehmen etwa mit Dienstleistungen erfolgt. Diese muss aber strikt auf eine Anlaufzeit beschränkt sein und darf sich nicht etwa über fünf Jahre erstrecken.85 Umgekehrt muss das Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer angelegt sein. Auf Dauer ist aber nicht gleichzusetzen mit unbegrenzt. Gegenstände im Wirtschaftsverkehr wechseln. Deshalb sind auch Unternehmen nicht notwendig auf unbefristete Zeit angelegt. Problematisch ist es aber, wenn eine Laufzeit von unter zehn Jahren vorgesehen 1698 ist. Hier ist auch mit einzubeziehen, inwieweit Verlängerungen möglich sind und ob die Dauer des Gemeinschaftsunternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt zwingend endet. So genügte der Kommission eine feste Laufzeit von fünf Jahren mit Verlängerung von jeweils drei Jahren und einer möglichen Fortführung auch bei einem Ausstieg eines Gründerunternehmens.86 Je nach marktspezifischen Gegebenheiten genügen der Kommission auch insgesamt sechseinhalb Jahre, sofern auf einem Markt rasch wandelnde Umstände typisch sind, welche auch für eine solche kurze Zeitspanne die Wettbewerbsstruktur deutlich ändern können.87 c)
Koordinierung mit Gründerunternehmen
Gründer- und Vollgemeinschaftsunternehmen sind am ehesten dann dauerhaft ge- 1699 trennt, wenn beide auf verschiedenen Märkten tätig sind. Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, inwieweit ein Gründerunternehmen wiederum in den Markt eintreten will, den das Gemeinschaftsunternehmen wahrnimmt. Koordinierungen des Gemeinschaftsunternehmens mit dem Gründungsunternehmen sind freilich nach Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht erfasst, sondern nur am Kartellverbot zu prüfen.88 Zwar liegt es besonders nahe, dass im Gefolge der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens enge Koordinierungen mit den Gründerunternehmen 82 83 84 85 86 87
88
EuG, Rs. T-87/96, Slg. 1999, II-203 (230, Rn. 73) – Assicurazioni Generali und Unicredito. S.u. Rn. 1763 ff. S. EuG, Rs. T-87/96, Slg. 1999, II-203 (230, Rn. 73 f.) – Assicurazioni Generali und Unicredito. So im Fall EuG, Rs. T-87/96, Slg. 1999, II-203 (231, Rn. 76 f.) – Assicurazioni Generali und Unicredito. KOME IV/M.152, ABl. 1992 C 17, S. 0 (Rn. 8) – Volvo/Atlas. KOME IV/M.259, ABl. 1992 C 326, S. 0 (Rn. 10) – British Airways/TAT; krit. dazu allerdings Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 284. S.u. Rn. 1701 ff.
634
Kapitel 9 Fusionskontrolle
bestehen. Jedoch können diese auch erst nach der Fusion auftreten, sind also bei deren Kontrolle noch gar nicht beurteilungsfähig. Daher bedarf es der späteren Kontrolle nach Art. 81 f. EG unmittelbar.89 Ist hingegen der Zuschnitt der Austauschbeziehungen zwischen Gründer- und Gemeinschaftsunternehmen etwa im Hinblick auf Belieferungen von vornherein auf Koordinierung angelegt, stellt sich wegen Wettbewerbsbehinderung schon die Frage der Rechtmäßigkeit des Zusammenschlusses nach Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Allerdings hat die Kommission hingenommen, dass dann, wenn keine paralle1700 len Märkte zwischen Gründerunternehmen und Gemeinschaftsunternehmen wahrgenommen werden (sollen), dieses Gründungsunternehmen für die geschäftliche Strategie und für das Tagesgeschäft des Gemeinschaftsunternehmens gesamtverantwortlich zeichnete (sog. industrial-leadership-Doktrin).90 Dieser Ansatz wurde auch für die Bewilligung eines Gemeinschaftsunternehmens zur Vermarktung von spitzen Diamanten in Luxusgütermärkten herangezogen.91 Insoweit kann aber höchstens eine Art Begleitung der geschäftlichen Strategie und des Tagesgeschäftes befürwortet werden. Die letzte Entscheidungsgewalt muss dem Gemeinschaftsunternehmen zustehen. Ansonsten besitzt es nicht alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit. Ist das neue Unternehmen hingegen als Einheit mit dem Gründerunternehmen zu betrachten, gilt insoweit der Maßstab des Kartellverbotes. Dieser umschließt dann auch in vollem Umfang die Wirtschaftskraft des weiter aktiven Ausgangsunternehmens, das dann lediglich eine zusätzliche unternehmerische Einheit eröffnet hat. 3.
Kartellverbot innerhalb der Fusionskontrolle
a)
Doppelkontrolle im Fusionsverfahren
1701 Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vermeiden den Nachteil der Erstfassung der Fusionskontrollverordnung, wonach beim Eingreifen der Fusionskontrolle das Kartellverbot gänzlich ausgeschlossen war. Auf die Gründung durch andere Unternehmen zurückgehend, sind Gemeinschaftsunternehmen nun einmal Grenzgänger zwischen Koordinierung und Zusammenschluss. Auch wenn eine eindeutige Zuordnung gelingt, können doch unter beiden Gesichtspunkten Antastungen des Wettbewerbs erfolgen. Daher kann das Kartellverbot auch bei Vollgemeinschaftsunternehmen nicht gänzlich ausgeblendet werden. Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 haben eine Lösung gefunden, die den „One-Stop-Shop-Standard“ nicht antastet. Vielmehr finden innerhalb der Fusionskontrolle Art. 81 Abs. 1 und 3 EG Anwendung. Es erfolgt mithin eine Doppelkontrolle innerhalb desselben Verfahrensrechtes.92 Damit wird das Kartellverbot nicht im üblichen Rahmen des
89 90 91 92
S.u. Rn. 1704. S. KOME IV/M.256, ABl. 1992 C 258, S. 10 – Linde/Fiat. KOME 2003/79/EG, ABl. 2003 L 29, S. 40 (Rn. 84 ff.) – De Beers/LVMH; näher auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 65 f. Diesen Weg fordernd und näher ausführend bereits Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 343 ff.; s. auch z.B. schon
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
635
Kartellverfahrensrechts der VO (EG) Nr. 1/2003 geprüft, sondern im spezifischen Verfahrensrecht der Zusammenschlusskontrolle. Als Primärrecht darf indes das Kartellverbot weder inhaltlich noch in den ihm selbst entspringenden Verfahrenserfordernissen verändert werden. Nur der durch das Primärrecht gelassene Spielraum kann ausgeschöpft werden. Jedoch verlangt Art. 81 EG keine Behandlung in einem spezifisch festgelegten Verfahren, sondern ist insoweit offen, wie bereits die Ermächtigung des Art. 83 EG zeigt, welche kein einheitliches Verfahrensrecht verlangt. b)
Grenzen
aa)
Ausklammerung der Gründung
Allerdings bezieht Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht sämtliche Wett- 1702 bewerbsverstöße ein, die auch im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen gegen Art. 81 f. EG verstoßen können.93 Nach Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unterliegt der Beurteilung nach den Maßstäben von Art. 81 Abs. 1 und 3 EG nur die durch die Gründung eines Vollgemeinschaftsunternehmens nach Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bezweckte oder bewirkte Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen. Erfasst werden danach nur die Gründerunternehmen,94 weil die Gemeinschaftsunternehmen nicht unabhängig bleiben, sondern allenfalls werden. Die Gründung selbst bleibt von Art. 81 EG ausgespart. Eine solche Doppelkontrolle sollte durch die Änderung der Fusionskontrollverordnung im Jahre 1997 nach deren 5. Begründungserwä-gung gerade ausgeschlossen werden; Art. 81 Abs. 1 EG ist danach auf strukturelle Wirkungen nicht anwendbar. Insoweit bedarf es einer Prüfung ausschließlich nach den Maßstäben der FKVO (EG) Nr. 139/2004 und damit vor allem nach deren Art. 2 Abs. 3. In diesem Maße reicht diese Vorschrift über den Inhalt des Kartellverbotes hinaus.95 bb)
Rechtswidrige Gründungen
Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 begrenzt die Beurteilung nach dem Kar- 1703 tellverbot also darauf, dass die Gründerunternehmen über das Gemeinschaftsunternehmen ihr Wettbewerbsverhalten koordinieren (wollen). Aber auch diese beabsichtigten oder tatsächlich bewirkten Koordinierungen zwischen den Gründerunternehmen sind nur relevant, wenn der Zusammenschluss als solcher nach Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt nicht erheblich behindern wird. Lediglich dann nämlich hat der Zusammenschluss Bestand. Ansonsten ist die Gründung
93 94 95
Meessen, WuW 1993, 901 (907 f.); Pathak, ECLR 1991, 171 (183) sowie Venit, World Competition 14 (1991), 5 (31). S. dazu näher o. Rn. 1377 ff., 1659 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 68, 75. Allgemein näher u. Rn. 1756 ff.; in diesem Zusammenhang Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 71 auch im Hinblick auf andere Interpretationsversuche in diesem Kontext.
636
Kapitel 9 Fusionskontrolle
eines Gemeinschaftsunternehmens unvereinbar, so dass Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gar nicht zum Zuge kommt. Es bleibt daher in solchen Fällen nur die Beurteilung nach dem allgemeinen Wettbewerbsrecht im Hinblick darauf, dass die Gründerunternehmen über das – wenn auch gescheiterte – Gemeinschaftsunternehmen ihr Wettbewerbsverhalten koordinieren wollten. cc)
Spätere Verhaltensweisen
1704 Im Übrigen ist Art. 81 EG weiterhin insofern einschlägig, als etwa nach einem Zusammenschluss das dann unabhängige Gemeinschaftsunternehmen mit den Gründerunternehmen entgegen dem Kartellverbot Koordinierungen des gemeinsamen Wettbewerbsverhaltens vornimmt.96 Ebenso bleibt unberührt die Überprüfung von Koordinierungen zwischen den Gründerunternehmen unabhängig von der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens. Möglicherweise führt diese Zusammenarbeit erst dazu, dass auch in anderen Feldern eine Verhaltensabstimmung stattfindet. Soweit das Gemeinschaftsunternehmen selbst auf einem relevanten Markt eine beherrschende Stellung erlangt, die bei der Prüfung nach Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 noch nicht abgesehen werden konnte, sind etwaige Missbräuche an Art. 82 EG zu messen. Entsprechendes gilt, wenn die Gründerunternehmen zusammen mit dem Gemeinschaftsunternehmen eine solche dominierende Stellung einnehmen und einen kollektiven Marktmissbrauch begehen. Lediglich die unmittelbar aus der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens erwachsende Koordinierung der beteiligten Gründerunternehmen wird durch Art. 2 Abs. 4 und 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfasst. c)
Vorrang des Primärrechts
1705 In dem vorgenannten begrenzten Umfang werden Koordinierungen der Gründerunternehmen im Rahmen von Gemeinschaftsunternehmen nach Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beurteilt. Solche Koordinierungen werden also vorausgesetzt. Daher zerfließen auch die früher angelegten Grenzen zwischen konzentrativen und kooperativen Gemeinschaftsunternehmen. Erstere werden nur unter Modifizierung des primärrechtlichen Kartellverbotes beurteilt. Sollen daraus keine Bedenken im Hinblick auf den Vorrang des Primärrechts entstehen,97 bedarf es einer möglichst starken Ausrichtung dieser Spezialbestimmungen auf das Kartellverbot. Daher genügt es etwa nicht, die Prüfung einer möglichen Freistellung von Koordinierungen zwischen Gründerunternehmen nach Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 darauf zu beschränken, ob über das Gemeinschaftsunternehmen der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet zu werden vermag.98
96 97 98
S. bereits o. Rn. 1699. Solche äußernd Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 86. Dahin Ahlborn/Turner, ECLR (1998), 249 (257 f.), jedenfalls für eine gesteigerte Bedeutung entsprechend der Hervorhebung nach Art. 2 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004; abl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 82.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
637
Vielmehr sind in Art. 2 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nur besondere Hin- 1706 weise für die Praxis zu sehen, welche an dem rechtlichen Gewicht der einzelnen Punkte nichts ändern. Der anderen Option, den Zusammenschlussbegriff entsprechend eng zu fassen und damit das Kartellverbot möglichst wenig hinter die Fusionskontrollverordnung zurückweichen zu lassen,99 ist hingegen gerade im Hinblick auf Vollgemeinschaftsunternehmen durch die Definition nach Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 der Weg verbaut. Daher bedarf es einer adäquaten Integration des Kartellverbotes. d)
Besonders zu prüfende Aspekte
aa)
Grundlagen
Art. 2 Abs. 5 1. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 nennt verschiedene As- 1707 pekte, auf welche die Kommission bei ihrer Beurteilung besondere Aufmerksamkeit richten soll. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass auf den genannten Märkten zwei oder mehr Gründerunternehmen präsent sind. Die Konstellationen der sog. industrial leadership sind somit ausgeschlossen.100 Auch eine bloße Kooperation genügt für ein Vollgemeinschaftsunternehmen nach Art. 3 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gerade nicht.101 Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 will lediglich die kooperativen Nebenwirkungen von Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen erfassen. Von vornherein außen vor bleiben somit die Fälle, in denen nur eine Kooperation der Gründungsunternehmen vorliegt, ohne den Weg einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit in aller Konsequenz zu gehen. Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bildet die Grundnorm. Deshalb ist ent- 1708 sprechend der Entscheidungspraxis der Kommission der Wortlaut des Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 maßgeblich102 und dabei dann Art. 2 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 in den Blick zu nehmen. Bezugspunkt ist, inwieweit die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zu einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens von Gründerunternehmen führt. Erfasst wird mithin, wenn die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens „direkt eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs zwischen selbstständig bleibenden Unternehmen zur Folge hat“.103 Damit geht es um die Verbindungen zwischen Gründer- und Gemeinschaftsunternehmen und die Rückwirkungen von dessen Aktivitäten auf das Verhalten der Gründer. bb)
Marktpräsenz mindestens zweier Gründerunternehmen
Grundvoraussetzung nach Art. 2 Abs. 5 1. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 1709 ist, dass auf dem Markt des Gemeinschaftsunternehmens oder einem dazu in Be99 100 101 102 103
Dafür Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996, S. 48. S.o. Rn. 1700. S.o. Rn. 1691. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 79. So die 5. Begründungserwägung zur VO (EG) Nr. 1310/97, die mit dieser Begründung die Anwendung des Kartellverbotes hereinnahm, während strukturelle Wirkungen ausschließlich über die Fusionskontrolle erfasst sein sollten.
638
Kapitel 9 Fusionskontrolle
zug stehenden Markt auch zwei oder mehr Gründerunternehmen präsent sind. Daraus ergibt sich erst die Möglichkeit der Koordinierung. Diese ist etwa ausgeschlossen, wenn die Gründerunternehmen sämtliche Aktivitäten auf das Gemeinschaftsunternehmen übergehen lassen und sich selbst vom Markt zurückziehen. Gleichzustellen ist, wenn sie in einem vorausschaubaren Zeitraum den Markt verlassen wollen.104 Art. 2 Abs. 5 1. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 nennt die relevanten 1710 Märkte, auf denen die Koordinierung der Gründerunternehmen stattfinden kann. Es sind dies der Markt des Gemeinschaftsunternehmens selbst, ein vor- oder ein nachgelagerter Markt, also solche, auf denen Rohstoffe angeliefert oder Erzeugnisse des Gemeinschaftsunternehmens später abgesetzt werden. Das trifft etwa zu, wenn ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurde, damit erzeugende Unternehmen ihre Waren besser absetzen oder effektiver ihre Rohstoffe bekommen können. Ebenso genügt ein benachbarter oder eng mit dem Markt des Gemeinschaftsunternehmens verknüpfter Markt. Dann haben die Gründerunternehmen möglicherweise durch das Gemeinschaftsunternehmen einen verwandten Zusatzmarkt erschlossen, so wenn Buchverlage ein Gemeinschaftsunternehmen für Taschenbücher eröffnet haben.105 cc)
Nennenswerte Präsenz
1711 Insoweit ergeben sich vielfach Ansatzpunkte für eine enge Zusammenarbeit der Gründerunternehmen. Voraussetzung für ihre Relevanz ist allerdings, dass eine nennenswerte Präsenz von mindestens zwei Gründerunternehmen besteht. Das korrespondiert mit dem Merkmal der Spürbarkeit nach Art. 81 Abs. 1 EG, welche dort ebenfalls die Grundlage für wettbewerbsrelevante Wirkungen bildet. Daher sind die dort entwickelten Maßstäbe heranzuziehen. Bei der Spürbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen für Koordinierungen zwischen Wettbewerbern legt die Kommission eine Schwelle von 10 % zugrunde.106 Eine höhere Schwelle ist auch nicht im Hinblick auf Gemeinschaftsunterneh1712 men gerechtfertigt, weil es um Koordinierungen zwischen den Gründerunternehmen geht und der Maßstab nach Art. 81 EG von Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 in Bezug genommen wird. Es ist also keine Privilegierung gewollt. Eine solche kommt zumal deshalb nicht in Betracht, weil durch die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens ohnehin die Marktstruktur verschoben wurde und bei entsprechenden Verflechtungen mit den Gründerunternehmen diese daraus leicht einen Vorteil ziehen können. Soweit die Kommission daher bei Gemeinschaftsunternehmen eine Spürbarkeitsschwelle von 15 % anlegt,107 ist dies für Koordinierungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Gründerunternehmen nicht 104 105 106
107
KOME COMP/JV.44, ABl. 2000 C 153, S. 8 – Hitachi/NEC-Dram/JV. KOME COMP/JV.39, ABl. 2000 C 125, S. 10 – Bertelsmann/Planeta/NEB. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13 (Rn. 7a). Ebenso Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 76.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
639
sachgerecht und daher an die Schwelle nach der aktuellen „de-minimis-Bekanntmachung“108 im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG anzupassen. Wegen dieser Parallelität zu Art. 81 EG, welche auch in Art. 2 Abs. 4 FKVO 1713 (EG) Nr. 139/2004 eindeutig festgelegt ist, kann eine koordinierende Wirkung in diesem Rahmen nicht darauf reduziert werden, dass die Gründerunternehmen über die Etablierung eines Gemeinschaftsunternehmens eine kollektive marktbeherrschende Stellung erlangen werden.109 Dies ändert nichts an der hohen Bedeutung der Marktstruktur, welche fusionsrechtlich bedingt ist.110 Im Übrigen kann auch das Wettbewerbsverhalten im Rahmen des Kartellverbotes nicht ohne Betrachtung der Marktgegebenheiten sachgerecht gewürdigt werden. Führt man beide Ansätze zusammen, kann eine marktbeherrschende Stellung von Gründer- und Gemeinschaftsunternehmen ein besonderes Indiz für eine spürbar wettbewerbsbeschränkende Koordinierung sein. e)
Spürbar wettbewerbsbeschränkende Koordinierung
aa)
Marktanteile
Als im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung nach Art. 2 Abs. 4 FKVO 1714 (EG) Nr. 139/2004 i.V.m. Art. 81 EG relevanter Präsenzmarkt von Gründerunternehmen kommt in erster Linie der Markt des Gemeinschaftsunternehmens in Betracht. Dann ist die Gefahr von Koordinierungen besonders groß. Sie wird dann bejaht, wenn Gründer- und Gemeinschaftsunternehmen zusammen einen Marktanteil von 70 % besitzen, der in Höhe von 30-40 % vom Gemeinschaftsunternehmen gestellt und im Rest zu etwa gleichen Teilen von den Gründerunternehmen gehalten wird. Hier ist regelmäßig die hinreichende Größe vorhanden, welche spürbare Auswirkungen einer Koordinierung auf den Wettbewerb erwarten lässt und die Eignung zur Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels begründet. Die Marktanteile allein helfen jedoch dann nicht weiter, wenn keine gegenseitige Abhängigkeit der Hauptanbieter besteht und daher eine Koordinierung schon nach der Marktstruktur ausgeschlossen ist.111 Im Übrigen gelten die allgemeinen Kriterien112 auch für das Vorliegen spürbarer Wettbewerbsbeschränkungen. Bei vor- und nachgelagerten Märkten besteht ebenso wie bei benachbarten und 1715 eng geknüpften Märkten keine unmittelbare Koordinierung zwischen Gemeinschafts- sowie Gründerunternehmen auf demselben Markt. Jedoch kann auch insoweit das Gemeinschaftsunternehmen eine Schlüsselstellung einnehmen, indem es die Gründerunternehmen auf vertikaler Ebene erheblich verstärkt, so bei entsprechenden intensiven Lieferbeziehungen. Damit kommt es darauf an, wie hoch die Marktanteile der Gründerunternehmen auf den mit dem Markt des Gemein108 109 110 111 112
ABl. 2001 C 368, S. 13. Venit, FCLI 1999, 465 (480). Darauf verweisend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 79 a.E. KOME IV/JV.22, ABl. 1999 C 318, S. 15 (Rn. 57 und zum Vorhergehenden 62 ff.) – Fujitsu/Siemens. S.o. Rn. 505 ff.
640
Kapitel 9 Fusionskontrolle
schaftsunternehmens in Bezug stehenden Märkten sind und wie stark die Verflechtung mit dem Gemeinschaftsunternehmen ist. So genügte es der Kommission nicht, dass die vom Gemeinschaftsunternehmen gelieferten Vorprodukte zwar rund die Hälfte der Gestehungskosten des Produkts auf dem nachgelagerten Markt begründeten. Denn die Gründerunternehmen deckten sich daraus nur zu unter einem Viertel bzw. zu deutlich unter der Hälfte ein, kauften im Übrigen aber von Dritten auf Wettbewerbsmärkten.113 Zudem müssen die Märkte als solche Koordinierungen fördern, zumindest aber zulassen. bb)
Unmittelbarkeit der Koordinierung
1716 Nach Art. 2 Abs. 5 2. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist insbesondere die unmittelbar aus der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens erwachsende Koordinierung zu berücksichtigen. Die Unmittelbarkeit begründet eine besonders enge Anbindung an die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens. Damit geht eine Fokussierung auf die Auswirkungen einher, die gerade auf das Gemeinschaftsunternehmen zurückzuführen sind. Daher sah die Kommission die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens nicht kausal dafür an, dass Sportrechte durch Unternehmen aus dem PayTV-Bereich gemeinsam eingekauft werden konnten, weil dies auch unabhängig davon erfolgen könnte und durch die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens nicht gefördert würde.114 Damit bleiben alle potenziellen Auswirkungen des Gemeinschaftsunternehmens außer Betracht, ebenso die nicht sicheren. Oft ist es indes schwer nachvollziehbar, ob gerade die Gründung des gemein1717 samen Unternehmens zu einer wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltensweise führte oder eine solche auch ohne diese Maßnahme erfolgt wäre. Dann besteht die Gefahr des gegenseitigen Verweises: Im Rahmen des Kartellverfahrens wird auf die Kausalität durch die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens verwiesen, für die Fusionskontrolle auf eine Neutralität dieses Schrittes. Entscheidend ist das Vorliegen einer bestimmten Wettbewerbsbeeinträchtigung, die sachgerecht erfasst werden muss. Trat sie erst im Gefolge dessen auf, dass ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurde, liegt es nahe, dass sie auch darauf beruht. Insoweit ist daher die Unmittelbarkeit zu bejahen. Für die Bezweckung oder Bewirkung einer Wettbewerbsverfälschung gelten im 1718 Übrigen keine Besonderheiten. Insoweit verweist Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004, der diese Folge nennt, auf Art. 81 Abs. 1 EG.115 In diesem Rahmen ist dann die Marktstruktur, welche für die Fusionskontrolle maßgebliche Bedeutung hat, adäquat zu berücksichtigen, soweit dies nach den Kriterien des Kartellverbotes möglich ist.
113 114 115
KOME COMP/M.2243-1, ABl. 2001 C 49, S. 5 (Rn. 41 f.) – Stora Enso/AssiDomän/ JV. KOME COMP/JV.37, ABl. 2000 C 110, S. 45 (Rn. 9) – BSkyB/KirchPayTV. S. daher o. Rn. 591 ff.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
f)
Freistellung
aa)
Ansatz
641
Darüber hinaus verweist Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vollständig auf 1719 die Kriterien des Art. 81 Abs. 3 EG. Daher sind auch alle Freistellungsgründe zu prüfen. Dass durch die Koordinierung unmittelbar aus der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens heraus nicht die Möglichkeit eröffnet werden darf, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren und Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten, wird in Art. 2 Abs. 5 2. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 nur besonders hervorgehoben. Daher ist diese Begrenzung einer etwaigen Freistellung besonders sorgfältig zu prüfen. Grundlegend ist allerdings, dass überhaupt die Ansatzpunkte für eine Freistellung vorhanden sind. Deshalb müssen Koordinierungen im Gefolge eines Gemeinschaftsunternehmens die Warenerzeugung oder -verteilung verbessern bzw. den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt fördern. bb)
Zwecksetzung
Diesen Zielen dient vielfach bereits die Gründung des Gemeinschaftsunterneh- 1720 mens. Diese unterliegt allerdings ausschließlich den Maßstäben der Fusionskontrollverordnung. Daher sind die Gründe des Art. 81 Abs. 3 EG isoliert darauf zu beziehen, inwieweit aus der über die Gründung hinausgehenden Koordinierung solche Vorteile erwachsen. Dies mag vielfach darauf beruhen, dass die positiven Wirkungen des Gemeinschaftsunternehmens weiter verstärkt werden. Insoweit bestehen auch Verflechtungen, die zumindest den Ansatz der Freistellung parallel laufen lassen. Daher sind auch in diesem Rahmen die Ziele des Gemeinschaftsunternehmens mit in die Betrachtung einzubeziehen. Sie vermögen hier aber nur Koordinierungen jenseits der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens freizustellen und spielen bei der inhaltlichen Prüfung eine Rolle. So kann eine Koordinierung der Gründerunternehmen erst in vollem Umfang sicherstellen, dass die durch das Gemeinschaftsunternehmen erzeugten Waren optimal verteilt werden oder sich im Gemeinschaftsunternehmen erzielte technische Entwicklungen voll in wirtschaftlichen Produktionsabläufen niederzuschlagen vermögen. cc)
Grenzen
Des Weiteren ist zu prüfen, ob bei diesen Koordinierungen unmittelbar aus der 1721 Gründung des Gemeinschaftsunternehmens heraus die Verbraucher angemessen an dem Gewinn beteiligt werden. Wegen der notwendig marktbezogenen Betrachtung ist darauf zu achten, dass diese Gewinne für den Verbraucher auf demselben Markt eintreten, auf dem der Wettbewerb beschränkt wird. Es kann daher nicht sein, dass das Gemeinschaftsunternehmen die Verbraucher auf dem einen Markt begünstigt, indes die auf einem anderen Markt erfolgende Koordinierung die dort ansässigen Verbraucher benachteiligt.116 Die Wettbewerbsnachteile auf einem 116
Ahlborn/Turner, ECLR 1998, 249 (258).
642
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Markt müssen für die Verbraucher auf demselben Markt positiv wirken, so dass diese angemessen beteiligt werden. Schließlich ist noch die Möglichkeit auszuschließen, für einen wesentlichen 1722 Teil der betreffenden Waren und Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Gründerunternehmen noch auf dem Markt des Gemeinschaftsunternehmens tätig sind und gemeinsam mit diesem eine überragende Stellung einnehmen. Wettbewerb kann aber auch dadurch ausgeschlossen werden, dass die Gründerunternehmen über das Gemeinschaftsunternehmen bestimmte Vertriebs- oder Warenlieferungswege vollständig beherrschen und durch ihre Koordinierung sonstige Anbieter vom Markt (nahezu) vollständig verdrängen.117 VIII. Nebenabreden 1.
Gesamtbetrachtung mit dem Zusammenschluss
1723 Bei einem Zusammenschluss werden vielfach Abreden getroffen, die zum Gegenstand eines solchen Vorgangs notwendig gehören, ohne im Vordergrund zu stehen, sog. ancillary restraints. Solche Nebenabreden sind auf ein konkretes Hauptgeschäft bezogen. Aus ihm folgt ihre Notwendigkeit, nicht hingegen aus allgemeinen Erwägungen wirtschaftlicher Vernunft heraus, wie dies im Rahmen der Rule of Reason der Fall ist;118 daher sind beide zu unterscheiden.119 Eine besonders enge Verbindung zum Hauptgeschäft stellen Art. 6 Abs. 1 lit. b) UAbs. 2 sowie Art. 8 Abs. 2 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 her. Wird ein Zusammenschluss durch eine Entscheidung der Kommission für vereinbar erklärt, gelten auch die mit seiner Durchführung unmittelbar verbundenen und für sie notwendigen Einschränkungen als genehmigt. Diese Nebenabreden werden also nicht eigens und gesondert geprüft, sondern im Rahmen des Zusammenschlusses gebilligt. Sie können daher höchstens Teil der Gesamtbeurteilung sein, ob der Zusammenschluss mit der Fusionskontrollverordnung vereinbar ist. Sie unterliegen indes keiner separaten Beurteilung. Durch diese Anordnung ist auch keine Prüfung am Primärrecht und damit am Kartellverbot vorgesehen. Ein Verweis darauf fehlt im Gegensatz zu Vollgemeinschaftsunternehmen, wo eine solche Prüfung in Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorgesehen ist. Damit spielen Nebenabreden keine eigenständige Rolle, sondern sind mit dem 1724 Zusammenschluss als Gesamtpaket zu sehen und haben an seiner Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht teil. Eine positive Entscheidung der Kommission soll automatisch auch alle derartigen Einschränkungen abdecken, ohne dass die Kommission diese im Einzelfall zu prüfen hätte. Nur bei neuen oder ungelösten Fragen, die zu ernsthafter Rechtsunsicherheit führen können, soll auf Antrag der beteiligten Unternehmen eine gesonderte Prüfung stattfinden und ggf. zu einer Einschrän117 118 119
S.o. Rn. 970 ff. Daher abl. o. Rn. 70. Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, 2000, S. 42 f. sowie S. 37 ff. auch zu anderen Fragen der ancillary-restraints-Doktrin.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
643
kung bei der Durchführung des Zusammenschlusses führen.120 Eine Frage gilt aber dann nicht als neu oder ungelöst, wenn sie durch eine entsprechende Bekanntmachung oder eine veröffentlichte Entscheidung der Kommission geregelt ist.121 Soweit darüber Unklarheit herrscht und die Thematik gleichwohl eigens aufgeworfen wird, kann die Kommission das Vorliegen einer neuen und ungelösten Frage verneinen, womit die Unternehmen im Ergebnis jedenfalls darüber Klarheit haben, dass die Nebenabrede von der Kommission nicht isoliert geprüft und ggf. dabei beanstandet wird.122 Grundsätzlich prüft die Kommission nicht mehr, inwieweit es sich um gerecht- 1725 fertigte Nebenabreden handelt, weil sich die Genehmigungsentscheidung automatisch auf sie erstreckt. Daher müssen die Unternehmen ihre Nebenabreden selbst beurteilen und ggf. vor den Gerichten der Mitgliedstaaten verteidigen, wenn diese im Hinblick darauf von benachteiligten Dritten angerufen werden. Etwaige bisherige Freistellungen und rechtliche Prüfungen in früheren Entscheidungen haben danach nur noch deklaratorischen Charakter.123 2.
Beantwortung neuer Einzelfragen
Diese Selbstbeurteilung von Nebenabreden entspricht der Grundkonzeption der 1726 neuen KartellverfahrensVO (EG) Nr. 01/2003. Jedoch verlangt das System der Fusionskontrollverordnung, die eine Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch die Kommission gerade voraussetzt, die wettbewerbsrelevanten Folgewirkungen solcher Nebenabreden in die Gesamtprüfung über den Zusammenschluss mit einzubeziehen. Eine solche umfassende Prüfung setzt auch das EuG voraus; es verlangt allerdings „eine angemessene Antwort“ auch auf einzelne, durch einen genauen und eindeutigen Antrag der Unternehmen bezeichnete Nebenabreden.124 Den Unternehmen erwächst jedoch kein Nachteil, wenn ihre Nebenabreden im Rahmen der Gesamtbeurteilung der Fusion unbeanstandet bleiben, außer sie werfen neue und ungelöste Fragen auf und führen daher zu Rechtsunsicherheit, so dass sie auf Antrag eigens geprüft und damit auch beantwortet werden.125 Das durch den 21. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004 aufgestellte System ist deshalb auch mit den Grundsätzen des Lagardère-Urteils kompatibel. Zum Zusammenschlusstatbestand gehören also auch die Nebenabreden.126 Nur soweit damit eine Gesamtprüfung stattgefunden hat, ist eine positive Entscheidung der Kommission im Hinblick auf den Gesamtzusammenschluss als rechtmäßig anzusehen, und lediglich dann sind auch die Nebenabreden abgedeckt. 120 121 122 123
124 125 126
Erwägungsgrund 21 der FKVO (EG) Nr. 139/2004. Erwägungsgrund 21 der aktuellen FKVO (EG) Nr. 139/2004. Zum Problem näher Rosenthal, EuZW 2004, 327 (332). Infolge der damals noch eher bestehenden Relevanz Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2001 C 188, S. 5 (Rn. 2). EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825 (4857, Rn. 90) – Lagardère und Canal+. S. vorstehend Rn. 1724. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 92.
644
Kapitel 9 Fusionskontrolle
3.
Selbstständige Prüfung unabhängiger Nebenabreden
1727 Unabhängig von der insoweit vertretenen Sichtweise können Nebenabreden nur dann bereits durch die Fusionskontrolle erfasst werden und damit an der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt teilhaben, wenn sie mit dessen Durchführung unmittelbar verbunden und dafür notwendig sind. Fehlt es an einem solchen intensiven Zusammenhang, unterliegt die Nebenabrede dem Kartellverbot und etwa daneben eingreifenden nationalen Regelungen.127 Weil sie nicht mehr von der Fusion umfasst wird, kann sie von dessen legitimer Zwecksetzung nicht mehr getragen sein und muss einen eigenen zulässigen Zweck aufweisen.128 Insoweit bedarf es einer Einzelprüfung, die allerdings nicht mehr durch Anmeldung ausgelöst werden kann, sondern Teil der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht ist. Das gilt grundsätzlich für solche Abreden, welche die Wettbewerbsfreiheit Dritter einschränken, außer insoweit handelt es sich um eine unausweichliche Folge der Fusion.129 4.
Unmittelbare Verbindung mit dem Zusammenschluss
1728 Die unmittelbare Verbindung einer Nebenabrede zur Durchführung eines Zusammenschlusses ergibt sich daraus, dass sie mit diesem einhergeht und keine darüber hinausreichenden eigenständigen Zwecke verfolgt. Sie dient daher dazu, dass der Erwerber die nun seinem Zugriff unterliegenden Ressourcen eigenständig zu nutzen vermag.130 Sie soll nach dem Zusammenschluss den reibungslosen Übergang zur neuen Unternehmensstruktur sicherstellen. Allein ein zeitliches Zusammenfallen genügt also nicht,131 sondern es bedarf eines inhaltlichen Zusammenhangs. Dieser muss objektiv bestehen.132 Die rechtliche Grundlage für eine selbstständige Nutzung sind insbesondere 1729 gewerbliche und kommerzielle Schutzrechte sowie das Know-how.133 Werden sie übertragen, kann es sich bereits um integrale134 bzw. Hauptbestandteile des Zu-
127
128 129 130 131
132
133 134
Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 7). Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, 2000, S. 241. Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO E. Rn. 7. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 99. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 12). Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 11). S. bereits KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 (Rn. 36) – Elopak. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 28).
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
645
sammenschlusses handeln.135 Infolge der fehlenden separaten Prüfung von Nebenabreden ändert sich durch eine von deren Vorliegen ausgehende Einstufung an der Prüfung und Zulässigkeit solcher Klauseln praktisch nichts. Werden Eigentumsbzw. Urheber- und sonstige Schutzrechte zurückbehalten, dann werden ggf. einfache bzw. beschränkte Lizenzen verliehen, welche zumindest die Verwertung von Schutzrechten ermöglichen, so dass das den Gegenstand des Zusammenschlusses bildende Unternehmen eigenständig im Wirtschaftsverkehr auftreten kann.136 5.
Notwendigkeit
Dieses Beispiel zeigt, dass die Grenzen zwischen unmittelbarer Verbindung und 1730 Notwendigkeit für die Durchführung des Zusammenschlusses fließend sein können. Denn solche Nutzungsrechte zur Verwertung von Schutzrechten und Knowhow sind zugleich unabdingbar, um ein Unternehmen ins Werk zu setzen. Das gilt insbesondere auch für Wettbewerbsverbotsklauseln, die verhindern, dass übertragende Unternehmen bzw. die Gründerunternehmen weiterhin auf dem Markt bleiben und so sicherstellen, dass sich das begünstigte (Gemeinschafts-)Unternehmen auf dem Markt entfalten kann.137 Unabdingbar sind Wettbewerbsverbote aber nur so lange, wie ein Schutz von 1731 dem Geschäftsgegenstand und den vorgesehenen Aktivitäten des Unternehmens her erforderlich ist. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich materielle Vermögenswerte wie Grundstücke, Gebäude oder Maschinen oder ausschließliche gewerbliche Schutzrechte übertragen werden. Bei einer Übertragung nur des Geschäftswertes sollen zwei Jahre genügen; geht auch das Know-how mit über, können drei Jahre notwendig sein.138 Gemeinschaftsunternehmen bedürfen nur für ihren aktuellen, bei Gründung zu Zwecken des Markterschließung auch künftigen sachlichen und räumlichen Geschäftsbereich des Schutzes vor Wettbewerb und nicht gegenüber Gründern ohne Beherrschungsmacht.139 Entsprechendes gilt für Abwerbever-
135
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139
So und davon regelmäßig ausgehend die Bekanntmachung der Kommission über Nebenabreden zu Zusammenschlüssen nach der VO (EWG) Nr. 4064/89, ABl. 1990 C 203, S. 5 (Rn. 21 f.). Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 27); Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 103 f., allerdings unter Rückgriff noch auf die frühere Rechtslage. Näher zum Ganzen Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, 2000, S. 65 f.; Lückenbach, Nebenabreden nach Europäischem Fusionskontrollrecht, 2003, S. 60 ff. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 20 f.). Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 38 ff.).
646
Kapitel 9 Fusionskontrolle
bote und Vertraulichkeitsklauseln, welche mit Wettbewerbsverboten gleichgestellt werden.140 Die Vorbereitung eines stufenweisen Vorgehens wird nur dann als mit dem Zu1732 sammenschluss unmittelbar verbunden und für ihn notwendig angesehen, wenn eine Vereinbarung den unveränderten Erhalt des Geschäfts bis zur Vollendung eines Zusammenschlusses regelt141 oder die Abgabe konkurrierender Angebote oder sonstige Formen des Kontrollerwerbs ausschließt, um nicht den gemeinsam geplanten Zusammenschluss zu vereiteln.142 Damit können Nebenabreden auch den Weg bis zur Vollendung eines vertragsmäßig geplanten Zusammenschlusses absichern, sofern andernfalls der Gegenstand entfiele. Eine Notwendigkeit liegt allgemein vor, wenn ohne die Nebenabrede ein Zu1733 sammenschluss überhaupt nicht, ohne sicheren Grund, deutlich teurer oder weniger Erfolg versprechend realisiert werden könnte. Das gilt regelmäßig im Hinblick auf die Erhaltung von Vermögenswerten oder die Sicherung der Versorgung bzw. der wirtschaftlichen Startbedingungen.143 Dazu kann auch die fortlaufende Versorgung mit Ausgangsprodukten oder Dienstleistungen gehören, welche durch Liefer- und Bezugspflichten144 bzw. Service- und Dienstleistungsvereinbarungen abgesichert werden.145 Letztere werden von der Kommission in ihrer Wirkung Liefervereinbarungen gleichgesetzt.146
140
141
142
143
144 145
146
Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 26, 41). Z.B. KOME IV/M.1226, ABl. 1998 C 252, S. 10 (Rn. 22) – GEC/GPTH; IV/M.1057, ABl. 1998 C 32, S. 6 (Rn. 16) – Terra Industries/ICI; IV/M.984, ABl. 1998 C 4, S. 4 (Rn. 55) – Dupont/ICI. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 14). Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 13) m.w.N. aus der jüngeren Entscheidungspraxis der Kommission. S. auch schon Bekanntmachung der Kommission über Nebenabreden zu Zusammenschlüssen nach der VO (EWG) Nr. 4064/89 vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 14.8.1990, ABl. 1990 C 203, S. 5 (Rn. 8). S. bereits KOME 84/737/EWG, ABl. 1984 L 212, S. 1 (Rn. 8, 12) – BPCL/ICI; 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 (Rn. 8) – ENI/Montedison. Näher zum Ganzen Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, 2000, S. 173 ff.; Lückenbach, Nebenabreden nach europäischem Fusionskontrollrecht, 2003, S. 126 ff. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 35).
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
6.
647
Verhältnismäßigkeit
Weiter wird darauf abgestellt, dass keine Alternative vorhanden ist, welche den 1734 Wettbewerb weniger beschränkt.147 Das Kriterium der Notwendigkeit bezieht sich also nicht nur auf das Ob, sondern auch auf das Wie. Kommt es im Zuge von Nebenabreden zu Einschränkungen des Wettbewerbs, dürfen diese zeitlich, räumlich und sachlich nicht über das hinausgehen, „was für die Durchführung des Zusammenschlusses wirklich erforderlich ist“.148 Damit werden inhaltliche Anforderungen gestellt, die sich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientieren. Nähere Einzelheiten für die gängigen Typen Wettbewerbsverbote, Lizenzvereinbarungen sowie Bezugs- und Lieferpflichten enthält die neue Bekanntmachung über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind,149 welche die Bekanntmachung vom 27.6.2001 ersetzte.150 Sie differenziert dabei nach Klauseln, die mit Übernahmen verbunden sind und solchen, die mit Gemeinschaftsunternehmen einhergehen.151 Gegenüber ausschließlichen Liefer- und Bezugspflichten sind vielfach feste 1735 Liefermengen ein milderes Mittel;152 nicht notwendig sind regelmäßig auch Vorzugsbehandlungen,153 außer ein Markt ist nicht vorhanden.154 Der Wettbewerb wird auch umso weniger beeinträchtigt, je stärker eine Nebenabrede zeitlich begrenzt ist. Lieferverpflichtungen sind so lange notwendig, wie das begünstigte Unternehmen unabhängig davon arbeiten kann.155 Fünf Jahre werden insoweit als gerechtfertigt angesehen.156 Dabei handelt es sich um konkrete Begrenzungen der jeweils gewählten und als 1736 solche notwendigen Nebenabrede. Mit dem System einer umfassenden Prüfung im Rahmen eines Zusammenschlusses lässt sich dies dadurch in Einklang bringen, dass die Nebenabrede auch in ihrer Ausgestaltung auf ihre Zulässigkeit geprüft wird. Bestehen insoweit Bedenken, kann die Kommission Änderungen veranlas147 148
149 150 151 152 153
154 155
156
Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO E. Rn. 14. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 13 a.E.). Dazu allgemein näher bereits de Crozals/Hartog, EWS 2004, 533 ff. ABl. 2001 C 188, S. 5. S. zu einigen Beispielen bereits vorstehend Rn. 1728 ff. Z.B. KOME IV/M.1292, ABl. 1998 C 385, S. 4 (Rn. 19) – Continental/ITT. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 34, 44) sowie bereits KOME IV/M.1245, ABl. 1998 C 288, S. 5 (Rn. 64) – Valeo/ITT Industries. S. KOME IV/M.550, ABl. 1995 C 123, S. 3 (Rn. 92 ff.) – Union Carbide/Enichem; IV/M.612, ABl. 1995 C 207, S. 11 (Rn. 38 ff.) – RWE-DEA/Enichem Augusta. Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24 (Rn. 33, 44). KOME IV/M.651, ABl. 1996 C 99, S. 8 (Abschn. VII) – AT&T/Philips; IV/JV.15 (Rn. 209) – BT/AT&T; schon KOME 84/737/EWG, ABl. 1984 L 212, S. 1 (Rn. 39) – BPCL/ICI.
648
Kapitel 9 Fusionskontrolle
sen oder Auflagen und Bedingungen festlegen. Damit wird der Entscheidungsverbund gewahrt. Können auch dadurch die Bedenken nicht ausgeräumt werden, liegt eine abgesonderte Behandlung und damit eine Beurteilung nach Art. 81 EG nahe, fehlt doch schließlich jedenfalls die Notwendigkeit im Einzelfall. Damit wird vermieden, eine ganze Fusion an einer Nebenabrede scheitern zu lassen. Denkbar ist eine solche Konsequenz allenfalls dann, wenn die Nebenabrede ein derart starkes Gewicht hat, dass sie den gesamten Zusammenschluss prägt. IX.
Ausnahmen
1.
Charakter
1737 Art. 3 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nimmt verschiedene Tatbestände vom Zusammenschlussbegriff aus, indem er festlegt, dass ein Zusammenschluss in den genannten Konstellationen nicht bewirkt wird. Auch wenn dann ein Kontrollerwerb nach den vorstehend aufgezeigten Kriterien erfolgt, wird fingiert, dass kein Zusammenschluss i.S.v. Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorliegt. Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, ist allerdings eine enge Auslegung zu praktizieren.157 2.
Reine Veräußerungsgeschäfte durch Finanzinstitute
1738 Art. 3 Abs. 5 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfasst den vorübergehenden Erwerb von Anteilen an Unternehmen zum Zwecke der Veräußerung. Begünstigt sind Kreditinstitute, sonstige Finanzinstitute oder Versicherungsgesellschaften, deren normale Tätigkeit Geschäfte und den Handel mit Wertpapieren für eigene oder Fremde einschließen. Für sie ist der Erwerb von Unternehmen daher regelmäßig lediglich eine Durchgangsstation, um zum eigenen Nutzen Geschäfte zu machen, nicht hingegen um Unternehmenspolitik zu betreiben. Damit wird gerade der Situation in Deutschland Rechnung getragen, wo Gesellschaften oft durch Banken verkauft werden.158 Daher ist aber Voraussetzung, dass die mit den erworbenen Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausgeübt werden, um das Wettbewerbsverhalten des erworbenen Unternehmens zu bestimmen. Die Stimmrechte dürfen hingegen ausgeübt werden, um die Veräußerung der Gesamtheit oder von Teilen des Unternehmens oder seiner Vermögenswerte oder die Veräußerung der Anteile selbst vorzubereiten. Zudem muss die Veräußerung innerhalb eines Jahres nach Erwerb erfolgen. 1739 Diese kann aber auch durch andere Mittel als den Verkauf von Anteilen vorgenommen werden. Der Veräußerungstatbestand ist daher wesentlich weiter gefasst als der Erwerbstatbestand, der strikt auf den Erwerb von Anteilen begrenzt ist. Eine Verlängerung dieser Jahresfrist kann von der Kommission auf Antrag bewilligt 157 158
Unter Verweis auf Kommissionspraxis Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 53. Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 53.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
649
werden, wenn eine solche Veräußerung binnen Jahresfrist unzumutbar war. Dazu gehört etwa ein unerwarteter drastisches Wertverfall aufgrund des Börsenverlaufes.159 Die Unzumutbarkeit führenden Umstände müssen aber vom Anteilserwerber nachgewiesen werden. Erfolgt die Veräußerung erst nach der vorgesehenen Jahresfrist bzw. deren Ver- 1740 längerung, ist die Fusionskontrollverordnung anzuwenden. Das gilt auch, wenn die Jahresfrist zwar eingehalten, aber das Stimmrecht ausgeübt wird, um das Wettbewerbsverhalten des Unternehmens zu bestimmen. Dann greift die Fusionskontrollverordnung sofort ein.160 Entschuldungen durch Neugründung (sog. Rescueoperations) gehen regelmäßig mit einem Einwirken auf das strategische Geschäftsverhalten einher, so dass insoweit Art. 3 Abs. 5 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht eingreift.161 3.
Unternehmensauflösungen
Nach Art. 3 Abs. 5 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann ein Träger eines öffent- 1741 lichen Mandats wie etwa ein Insolvenzverwalter die Kontrolle über ein Unternehmen erwerben; gleichwohl liegt kein Zusammenschluss vor, wenn dies aufgrund der nationalen Gesetzgebung über die Auflösung von Unternehmen, die Insolvenz, die Zahlungseinstellung, den Vergleich oder ähnliche Verfahren erfolgt. Die Kontrolle dient hier der Abwicklung, so dass sie für die Wettbewerbssituation nicht schädlich sein kann. Soweit unternehmerische Zusammenschlüsse erfolgen und ein Unternehmen zahlungsunfähig ist, liegt zwar ein Zusammenschluss vor. Dieser wirkt sich aber nicht negativ auf den Wettbewerb aus, wenn das erworbene Unternehmen ohnehin aus dem Markt ausscheiden und seine Position sowieso dem erwerbenden Unternehmen zuwachsen würde, ohne dass dazu eine Alternative besteht, welche den Wettbewerb weniger schädigt.162 Insoweit handelt es sich zwar um einen Zusammenschluss; nur ist dieser mangels Wettbewerbsschädlichkeit mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Damit liegt kein Fall des Art. 3 Abs. 5 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 vor. 4.
Beteiligungsgesellschaften
Wie Finanzinstitute erwerben auch Beteiligungsgesellschaften die Kontrolle von 1742 Unternehmen, ohne diese notwendig steuern zu wollen. Ihr Interesse liegt daran, den Wert der Unternehmen zu erhalten, an denen sie beteiligt sind. Wenn sie daher Anteile erwerben und die damit einhergehenden Stimmrechte namentlich zur Ernennung der Mitglieder der geschäftsführenden oder die Aufsicht führenden Organe der Unternehmen dafür ausüben, um den vollen Wert der Investitionen zu 159 160 161 162
S. Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 54. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24 Rn. 114 f. Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 54. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1487, Rn. 111) – Kali und Salz; bereits KOME IV/M.308, ABl. 1998 C 275, S. 3 (Rn. 71) – Kali und Salz/MDK/Treuhand; näher Wagemann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 16 Rn. 142 sowie u. Rn. 1835 ff.
650
Kapitel 9 Fusionskontrolle
erhalten, wird der Wettbewerb dadurch nicht gesteuert. Daher liegt nach Art. 3 Abs. 5 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004 kein Zusammenschluss vor, wenn Beteiligungsgesellschaften i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der 4. RL 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen163 zwar die Kontrolle eines Unternehmens erwerben, aber die dadurch gegebenen Rechte nicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Bestimmung des unternehmerischen Wettbewerbsverhaltens benutzen.
C.
Erforderliche Umsatzschwellen
I.
Verbindung von Gesamtumsatz und dessen Aufspaltung auf Mitgliedstaaten
1743 Das EG-Wettbewerbsrecht ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es nur bei Sachverhalten von gemeinschaftsweiter Bedeutung gilt. Diesen Grundsatz greift Art. 1 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auf. Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 setzt in Abs. 2, 3 die gemeinschaftsweite Bedeutung mit dem Erreichen bestimmter Umsatzschwellen und einer Verteilung auf mehrere Mitgliedstaaten gleich. Nach Art. 1 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 hat ein Zusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller daran Beteiligten zusammen mehr als 5 Milliarden Euro beträgt und außerdem mindestens zwei Unternehmen davon in der Gemeinschaft einen Gesamtumsatz von jeweils mehr als 250 Mio. Euro erzielen. Eine Unterausnahme, die das nationale Wettbewerbsrecht eingreifen lässt und die Anwendung der Fusionskontrollverordnung ausschließt, besteht dann, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Dieser Regel kommt eine vergleichbare Funktion wie der Zwischenstaatlichkeitsklausel im Kartell- und Missbrauchsverbotsrechts zu.164 Werden diese Schwellen des Art. 1 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht er1744 reicht, hat ein Zusammenschluss nach Art. 1 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gleichwohl gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen weltweit zwar nur über 2,5 Milliarden Euro liegt und bezogen auf die Gemeinschaft in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. Euro übersteigt, dabei jedoch in mindestens drei dieser Länder zwei beteiligte Unternehmen einen Gesamtumsatz von jeweils mehr als 25 Mio. Euro haben und europaweit ebenfalls wenigstens zwei beteiligte Unternehmen an Gesamtumsatz mindestens jeweils 100 Mio. Euro erzielen. Auch hier dürfen die beteiligten Unternehmen nicht jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erlangen. 163
164
RL 78/660/EWG des Rates vom 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. L 222, S. 11, zuletzt geändert durch die RL 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 178, S. 16. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 34 a.E.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
651
Damit stellt sich weiterhin das Problem, dass infolge der Zwei-Drittel-Regel 1745 trotz gemeinschaftsweiter Bedeutung groß angelegte Zusammenschlüsse innerhalb eines Mitgliedstaates von der gemeinschaftsrechtlichen Fusionskontrolle nicht erfasst werden. So können trotz dieser Klausel starke Exporte in Drittstaaten bestehen, woraus sich ebenfalls ein Gemeinschaftsbezug ergeben kann.165 Umgekehrt können Zusammenschlüsse zwischen in Drittstaaten ansässigen Unternehmen auch ohne gemeinschaftsweite Bedeutung erfasst werden.166 Jedenfalls geht die Fusionskontrollverordnung selbstverständlich davon aus, 1746 dass auch Zusammenschlüsse in Drittstaaten relevant sind.167 Damit werden aber außerhalb der EU ansässige Unternehmen einbezogen, ohne dass bereits feststeht, ob von ihnen beträchtliche wettbewerbsschädliche Wirkungen auf den Gemeinsamen Markt ausgehen, was die Grundlage für eine völkerrechtlich zulässige Einbeziehung bildet.168 Immerhin aber müssen diese Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt tätig sein oder doch hinsichtlich ihrer getätigten Geschäfte Auswirkungen auf ihn haben können, wäre doch sonst die auch in Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorausgesetzte gemeinschaftsweite Bedeutung a priori ausgeschlossen. Damit aber ist ein hinreichender Anknüpfungspunkt geschaffen, um zumindest die Verfahrenserfordernisse nach der Fusionskontrollverordnung in Gang zu setzen. Diese bilden einen geringeren Eingriff in den Geschäftskreis der betroffenen Unternehmen als eine Untersagung eines Zusammenschlusses. Die Regelung der Fusionskontrollverordnung ist daher völkerrechtlich unbedenklich, zumal sich nach der neueren Staatenpraxis ein erweitertes Verständnis des Auswirkungsprinzips herausgebildet hat.169 Zudem stellt die Anmeldung lediglich eine Vorstufe für die nähere Ermittlung dar, ob tatsächlich erhebliche Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt bestehen. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission auf solche Defizite im Rahmen der 1747 Regelung des Art. 1 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 reagiert. Die Mitgliedstaaten haben ihr regelmäßig statistische Angaben zu übermitteln. Auf deren Basis erstattet die Kommission dem Rat vor dem 1.7.2009 gem. Art. 1 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Bericht und kann dabei Vorschläge unterbreiten, in deren Anschluss der Rat mit qualifizierter Mehrheit die in Art. 1 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 festgelegten Schwellen und Kriterien gem. Art. 1 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ändern kann.
165
166 167 168 169
Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO Art. 1 Rn. 11; näher zum Ganzen Lampert, Die Anwendbarkeit der EG-Fusionskontrollverordnung im Verhältnis zum Fusionskontrollrecht der Mitgliedstaaten, 1995, S. 175 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 37. Allgemein o. Rn. 221 ff. S.o. Rn. 197 ff., bes. 207. Ausführlich Meyer, Die extraterritoriale Anwendbarkeit der EG-Fusionskontrollverordnung, 2004.
652
Kapitel 9 Fusionskontrolle
II.
Berechnung des Umsatzes
1748 Die für Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 maßgeblichen Gesamtumsätze sind nach Art. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zu berechnen. Dafür sind nach Art. 5 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Umsätze mit Waren und Dienstleistungen der beteiligten Unternehmen aus dem letzten Geschäftsjahr zusammen zu zählen. Sie müssen allerdings dem normalen geschäftlichen Tätigkeitsbereich der Unternehmen zuzuordnen sein. Abzuziehen sind Erlösschmälerungen, die Mehrwertsteuer und andere unmittelbar auf den Umsatz bezogene Steuern. Außer Betracht zu bleiben haben auch Umsätze zwischen den in Art. 5 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 genannten Unternehmen, also solchen, die rechtlich oder faktisch zusammengehören. Hingegen sind die Außenumsätze solcher Unternehmen mit hinzuzurechnen. Das betrifft diejenigen, in denen das beteiligte Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als die Hälfte des Kapitals oder Betriebsvermögens oder der Stimmrechte inne hat bzw. die Mehrzahl der Mitglieder des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe bestellen kann oder das Recht zur Geschäftsführung besitzt (Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Solche Verbünde können auch indirekt vorliegen oder gemeinsam (Art. 5 Abs. 4 lit. c), d) bzw. e) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Insoweit zählen ebenfalls lediglich die Außenumsätze, nicht hingegen die Binnenumsätze. Das gilt auch und gerade, wenn die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen gemeinsam die Rechte und Einflussmöglichkeiten haben. Das Gemeinschaftsunternehmen wird dabei dem Binnenbereich zugerechnet, so dass nur dessen Umsätze mit dritten Unternehmen zählen; diese sind dann dem beteiligten Unternehmen in gleichen Teilen zuzurechnen (Art. 5 Abs. 5 lit. a), b) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Soweit nach Art. 1 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 der Gesamtumsatz in 1749 der Gemeinschaft bzw. in einem Mitgliedstaat maßgeblich ist, zählt nur der Umsatz mit Waren und Dienstleistungen für Unternehmen oder Verbraucher in der Gemeinschaft oder in diesem Mitgliedstaat, Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Bei einem bloßen Teilerwerb an Unternehmen ist gem. Art. 5 Abs. 2 FKVO 1750 (EG) Nr. 139/2004 auf Seiten des Veräußerers nur der Umsatz relevant, der auf die veräußerten Teile entfällt. Das gilt unabhängig davon, ob diese Teile eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Diese reduzierte Umsatzberechnung gilt aber nicht bei zwei oder mehr Erwerbsvorgängen an Unternehmensteilen innerhalb von zwei Jahren zwischen denselben Personen oder Unternehmen; insoweit wird gem. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ein einziger Zusammenschluss fingiert, der zum Zeitpunkt des letzten Erwerbsvorganges stattfindet. Um den öffentlichen und den privaten Sektor gleich zu behandeln, sind im öf1751 fentlichen Sektor die mit einer autonomen Entscheidungsbefugnis ausgestatteten und damit eine eigene wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen mit ihren Umsätzen zu berücksichtigen, ungeachtet der Eigentumsverhältnisse und der verwaltungsmäßigen Zuordnung.170 Ansonsten zählen gem. Art. 5 Abs. 4 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 alle Umsätze der jeweils beteiligten Unternehmen einschließ170
Erwägungsgrund 22 der FKVO (EG) Nr. 139/2004.
§ 2 Erfasste Zusammenschlüsse
653
lich solcher, an denen eine Beteiligung erworben wurde, welche eine Kontrolle begründet, oder die Gegenstand eines öffentlichen Übernahmeangebotes werden.171 An die Stelle des Umsatzes treten Art. 5 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei 1752 Kredit- und sonstigen Finanzinstituten bzw. bei Versicherungsunternehmen die insoweit typischen Ertragsposten als Substitute. Es zählen daher insbesondere Erträge aus Zinsen, Wertpapieren, Provisionen und Finanzgeschäften bzw. die Bruttoprämien.
D.
Verfahrensbedingte Erweiterungen
Art. 1 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 legt den Anwendungsbereich der Fusions- 1753 kontrollverordnung für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung unbeschadet von Art. 4 Abs. 5 und Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 fest. Auch wenn ein Zusammenschluss nach den Kriterien des Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat, können die an einer Fusion oder der Begründung an einer gemeinsamen Kontrolle beteiligten Personen bzw. Unternehmen gleichwohl der Kommission in einem begründeten Antrag mitteilen, dass sie den Zusammenschluss prüfen soll; Voraussetzung ist aber, dass der Zusammenschluss nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte und eine Anmeldung bei den nationalen Behörden noch nicht erfolgt ist. Dadurch wird dann das Verfahren nach Art. 4 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eröffnet. Widerspricht innerhalb von 15 Arbeitstagen auch nur ein Mitgliedstaat, wird der Fall nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft.172 Nach Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann die Kommission auf Antrag eines 1754 oder mehrerer Mitgliedstaaten auch Zusammenschlüsse ohne gemeinschaftsweite Bedeutung nach Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 an sich ziehen, wenn sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen sowie den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des bzw. der Antrag stellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen drohen. Insoweit handelt es sich um Erweiterungen des Anwendungsbereiches der Fusionskontrollverordnung, in denen eigentlich nach nationalem Wettbewerbsrecht zu beurteilende Sachverhalte infolge ihres begrenzten Gemeinschaftsbezuges zuständigkeitshalber doch der Kommission unterfallen können und dann auf der Basis der Fusionskontrollverordnung geprüft werden. Umgekehrt können gem. Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 1755 Zusammenschlüsse in die Zuständigkeit der nationalen Behörden fallen, obwohl 171
172
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 43; zu weiteren Einzelheiten s. die Mitteilung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen in der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 14; zu sonstigen Fragen Mitteilung der Kommission über die Berechnung des Umsatzes im Sinne der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66, S. 25. S. auch EuG, Rs. T-22/97, Slg. 1999, II-3775 (3831 ff., Rn. 161 ff.) – Kesko auf der Basis verschiedener Verbindungen, welche die Koordinierung der Einzelhändler sicherstellt und diese gleichsam zu einem Verbund zusammenschweißt. S. näher u. Rn. 1859.
654
Kapitel 9 Fusionskontrolle
sie gemeinschaftsweite Bedeutung haben.173 Nach Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 können die Mitgliedstaaten insoweit die unbedingt erforderlichen Maßnahmen ergreifen.174 Auch füllen die Mitgliedstaaten gem. Art. 21 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ihre berechtigten nationalen Interessen aus. Dies gilt für die öffentliche Sicherheit, die Medienvielfalt und Aufsichtsregeln autonom. Andere Interessen müssen sie der Kommission zur Überprüfung und Anerkennung mitteilen.175
§ 3 Beurteilungsmaßstab A.
Erhebliche Wettbewerbsbehinderung (SIEC-Test)
I.
Marktbeherrschende Stellung als Regelbeispiel
1756 Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 regelt näher, wie Zusammenschlüsse zu beurteilen sind. In Abs. 1 werden die zu prüfenden Punkte benannt. Es wird die Zielsetzung deutlich, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt aufrecht zu erhalten und dabei besonders auf die Struktur sowie die Entwicklung potenziellen Wettbewerbs zu achten. Darin spiegelt sich die generelle Zielsetzung der FKVO (EG) Nr. 139/2004 entsprechend ihrem Erwägungsgrund 23 wider. Der Bezug auf den Gemeinsamen Markt eröffnet wie im Rahmen der primärrechtlichen Wettbewerbsregeln die Anknüpfung an die Ziele der Gemeinschaft nach Art. 2 EG; Erwägungsgrund 23 nennt zudem die Ziele nach Art. 2 EU. Damit ist auch die Prüfung der Zusammenschlüsse nach Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 in den allgemeinen Kontext des EG-Wettbewerbsrechts eingebunden. Dies schließt allerdings nicht aus, auf Zusammenschlüsse bezogene Besonderheiten zu beachten und danach die Prüfung auszurichten. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Betonung der Wettbewerbsstruktur, die eher im Bereich des Missbrauchsverbots und nicht beim Kartellverbot von Relevanz ist. In Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 werden freilich die typischen wettbewerbsrechtlich relevanten Gesichtspunkte genannt. Art. 2 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 setzt für die Vereinbarkeit eines Zu1757 sammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt voraus, dass auf diesem bzw. einem wesentlichen Teilmarkt wirksamer Wettbewerb nicht erheblich behindert wird. Besonders herausgestellt wird die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung. Indem auch die Begründung einer beherrschenden Stellung erfasst wird, geht diese Bestimmung über Art. 82 EG hinaus. Der Ansatz des Missbrauchsverbots ist ohnehin nur besonders herausgehoben. Letztlich entscheidet, inwieweit wirksamer Wettbewerb auch bei Zusammenschlüssen gewahrt wer-
173 174 175
S.u. Rn. 1847 ff., 1939 ff. S.u. Rn. 1917. Näher u. Rn. 1918.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
655
den kann. Darauf ist daher auch bei solchen Fusionen zu achten, die nicht mit einer beherrschenden Stellung einhergehen. Der neue Bewertungsmaßstab macht damit den früheren Ansatz, ob eine be- 1758 herrschende Stellung im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teilmarkt begründet oder verstärkt wird, durch die wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird, zum Regelbeispiel.176 Ausgangspunkt ist hingegen ausschließlich die Frage einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs durch den Zusammenschluss und damit der sog. SIEC-Test (substantial impediment to effective competition),177 der als solcher stärker quantitativen Aspekten unterliegt und deshalb empirische Analysen vor allem auf der Basis von Ausschreibungsdaten eine verstärkte Bedeutung zuweisen könnte.178 II.
Abweichung vom SLC-Test
Eine erhebliche Wettbewerbsbehinderung kann auch durch andere Umstände als 1759 eine marktbeherrschende Stellung eintreten, wenngleich sie weiterhin vor allem durch eine beherrschende Stellung verursacht wird179 und der 25. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004 die beschränkte Zielrichtung der Erweiterung im Hinblick auf oligopolistische Marktstrukturen deutlich macht. Jedenfalls ist Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch weiterhin nicht identisch mit dem ausschließlichen Bewertungskriterium einer „wesentlichen Verminderung des Wettbewerbs“. Dieser Substantial-Lessening-of-Competition-Test (SLC-Test) bestimmt im USamerikanischen Kartellrecht wie auch in Großbritannien und Irland die Beurteilung von Fusionen und führte etwa zur Zulässigkeit des Zusammenschlusses von General Electric und Honeywell, welchen die Kommission verneinte.180 Eine Angleichung ist entgegen mancher Erwartung nicht erfolgt,181 zumal es den SLC-Test als solchen nicht gibt: Er hängt von der konkreten Auslegung ab und ist auch gesetzlich nicht einheitlich definiert.182 In Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 handelt es sich um eine Mischung aus dem wettbewerbsbezogenen Ausgangspunkt des SLC-Tests und dem früheren Marktbeherrschungstest, der damit gleichsam integriert wurde.183
176 177 178 179
180 181 182 183
Berg, BB 2004, 561 (562); Staebe/Denzel, EWS 2004, 194 (199). Dazu ausführlich Böge, WuW 2004, 138 (143 ff.). Hofer/Williams/Wu, WuW 2005, 155 ff. Erwägungsgrund 26 der FKVO (EG) Nr. 139/2004. Davon als Grundsatz ausgehend Farbmann, Die Reform der Fusionskontrollverordnung als ein Beispiel der Europäischen Normsetzungspolitik, 2005, S. 258. KOME 2004/134/EG, ABl. 2004 L 48, S. 1 (Rn. 567) – General Electric/Honeywell; s.u. Rn. 1796 f. Farbmann, Die Reform der Fusionskontrollverordnung als ein Beispiel der Europäischen Normsetzungspolitik, 2005, S. 261. Böge, in: FIW (Hrsg.), Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik, 2004, S. 11 (20 f.): in Australien anders als in USA. Näher u. Rn. 1763 ff.
656
1760
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Negativ gewendet ist diese Lösung „nicht Fisch und nicht Fleisch“.184 Indes ermöglicht sie, schwerpunktmäßig leicht zu bestimmende beherrschende Stellungen sogleich herauszugreifen und mit Blick auf eine naheliegende Wettbewerbsbehinderung zu prüfen, ohne auf die Einbeziehung anderer Konstellationen verzichten zu müssen. Die Rechtsprechung verlangt allerdings für beide Fälle einen näheren Nachweis, dass wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird, hängt aber tendenziell die Anforderungen bei fehlender beherrschender Stellung höher.185 Ist durch die neue Regelung der Einschätzungsspielraum der Kommission auch größer geworden,186 wird er durch die Nachweisanforderungen der Rechtsprechung deutlich begrenzt. III.
Systematik
1761 In Entsprechung zu Art. 2 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 legt deren Art. 2 Abs. 3 die Unvereinbarkeit eines Zusammenschlusses fest, durch den wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde. Auch insoweit sind die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung besonders herausgehoben. Diese beiden Absätze treten an die Stelle einer Prüfung nach Art. 81, 82 EG, wenngleich sie durchaus Elemente dieser beiden Verbotstatbestände enthalten. Hingegen verweist Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 für unmittelbar aus der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens resultierende Koordinierungen des Wettbewerbsverhaltens der Gründerunternehmen auf das Kartellverbot. Dieses bleibt insoweit voll anwendbar. Art. 2 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nennt nur besonders zu berücksichtigende Punkte, ohne dass dadurch der materielle Prüfungsmaßstab des Art. 81 EG verändert würde. Dieser findet nur innerhalb der Fusionskontrolle Anwendung.187 Im Hinblick auf Zusammenschlüsse zwischen tatsächlichen oder potenziellen 1762 Konkurrenzunternehmen konkretisierte die Kommission in den Leitlinien für die Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse188 ihren analytischen Ansatz näher. Im Ergebnis sind danach Fusionen und Übernahmen nur insoweit unzulässig, als sie die Marktmacht von Unternehmen derart stärken, dass negative Folgen für die Verbraucher entstehen dürften, und zwar vor allem durch höhere Preise, schlechtere Produktqualität und geringere Auswahl. Ausgangspunkt nach diesen Leitlinien ist also die Marktmacht. Der Wettbewerb kann vor allem dann beeinträchtigt werden, wenn der Zusammenschluss einen Wettbewerber ausschaltet, in der Folge einen beträchtlichen Wettbewerbsdruck beseitigt oder die Wahrscheinlichkeit einer Koordinierung zwischen den beteiligten Unternehmen erhöht. Umgekehrt soll mit 184 185 186 187 188
Bergmann/Burholt, EuZW 2004, 161. S. EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1400, Rn. 353) – BaByliss. Sanden, EuZW 2004, 620 (623); vgl. Böge, WuW 2004, 138 (144). S.o. Rn. 1701, 1705 ff. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
657
einer Tätigkeit der Kommission regelmäßig nicht zu rechnen sein, wenn die Marktkonzentration anhand des Marktanteils bzw. des HHI-Index nicht zu hoch ist. Damit bleibt also der klassische Ansatz gewahrt. Allerdings werden entsprechend Art. 2 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Effizienzargumente deutlich ins Feld geführt, welche im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind.
B.
Relevanter Markt
I.
Ansatz
Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beziehen sich wie Art. 82 EG auf den 1763 Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt. Zudem heben sie die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung besonders hervor, die notwendigerweise ebenfalls auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt bestehen muss. Das legt es nahe, auch Zusammenschlüsse bezogen auf einen bestimmten Markt zu beurteilen, wie er im Rahmen des Missbrauchsverbotes herausgearbeitet wird. Indem die Verstärkung einer beherrschenden Stellung eigens benannt wird, zählt insbesondere auch die Erhaltung eines funktionsfähigen Restwettbewerbes. Allerdings reicht Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 über Wettbewerbsbehinderungen infolge einer beherrschenden Stellung hinaus und benennt diese Beeinträchtigungen allgemein, so dass auch sonstige wettbewerbsschädliche Wirkungen einbezogen sind. Art. 2 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bezieht sich eigens und spezifisch auf Koordinierungen. Jedoch auch Art. 81 EG ist auf den Gemeinsamen Markt bezogen, und die Wettbewerbsschädlichkeit einer Verhaltensweise hat zur Grundlage, den jeweils relevanten Markt herauszuarbeiten. Dieser Bedeutung des relevanten Marktes in allen Wettbewerbstatbeständen 1764 entspricht es, dass die Kommission übergreifend nähere Grundsätze in ihrer Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes i.S.d. Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft189 herausgearbeitet hat. Dabei sind aber sachspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Kommission verweist auf den unterschiedlichen Zeithorizont, dem die vergangenheitsbezogene Missbrauchs- und die zukunftsbezogene Fusionskontrolle unterliegt, woraus sich ein divergierender relevanter Markt ergeben kann.190 Ausgangspunkt ist jedoch stets die Austauschbarkeit der Erzeugnisse oder Dienstleistungen. Wenn diese von den Verbrauchern im Hinblick auf Eigenschaften, Preise und Verwendungszweck ersetzt werden können, gehören diese zum selben Markt. Räumlich ist entscheidend, inwieweit Konkurrenten ihre Angebote wettbewerbsfähig liefern können.
189 190
ABl. 1997 C 372, S. 5. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5 (Rn. 12).
658
Kapitel 9 Fusionskontrolle
II.
Sachlich
1765 Die Kommission stellt für die sachlich relevanten Märkte nicht nur auf die gleichen physischen und technischen Merkmale und damit die volle Austauschbarkeit der Produkte ab, sondern auch auf die Wettbewerbsbedingungen und die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage.191 Dabei wird geprüft, ob bei einer geringfügigen Erhöhung der relativen Preise (zwischen 5 und 10 %) die Kunden bei dem Produkt bzw. der Dienstleistung bleiben oder leicht verfügbare Substitute wählen.192 Dieser Test kann aber auch aufgrund seiner schwierigen praktischen Anwendbarkeit nur ergänzende Funktion haben.193 Dabei werden vielfach auch relativ kleine Märkte gebildet, wie dies auch im Bereich des Missbrauchsverbotes der Fall ist.194 Das gilt vor allem im Bereich der Telekommunikation und der elektronischen Medien.195 PayTV und ohne Dekodierung zugängliches Fernsehen, welches auf Werbung bzw. Gebühren beruht, bilden unterschiedliche sachlich relevante Märkte.196 Für das Internet kommt es auf die jeweilige Tätigkeitsstufe an, also auf den Zugang oder das Angebot einer Plattform bzw. auf die darüber vertriebene Ware. Zu unterscheiden sind daher Downloading (Herunterladen) und Streaming (EchtzeitÜbertragung197) sowie Video und Film, die breitbandig übermittelt werden. III.
Räumlich
1766 Für den räumlich relevanten Markt kommt es hier zudem darauf an, dass für alle Marktbeteiligten hinreichend homogene Wettbewerbsbedingungen herrschen.198 Das ergibt sich aus Art. 9 Abs. 7 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Generell stellt die Fusionskontrollverordnung in erster Linie auf die Erhaltung einer effektiven Wettbewerbsstruktur ab. Daher ist es notwendig, dass sich dieses Gebiet von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet,199 so dass keine einheitliche Wettbewerbsstruktur besteht, die erhalten werden 191
192 193 194 195 196 197
198
199
VO (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7.4.2004 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 6 Ziff. I). Näher o. Rn. 1183. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 20 unter Verweis auf Cook/Kerse, EEC Merger Control: Regulation 4064/89, 1991, S. 136. S.o. Rn. 1180. Zum Folgenden mit weiteren Nachweisen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 28 f. KOME COMP/JV.37, ABl. 2000 C 110, S. 45 (Rn. 23) – BSkyB/KirchPayTV. Insoweit offen, da nicht fallentscheidend, KOME 2001/718/EG, ABl. 2001 L 268, S. 28 (Rn. 26) – AOL/Time Warner; ausführlich zu den relevanten Märkten im Internet Bartosch, in: Koenig/Bartosch/Braun (Hrsg.), EC Competition and Telecommunications Law, 2002, S. 225 (259 ff.). EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (819 f., Rn. 210) – Gencor. Ausführlich zur Problematik in der europäischen Zusammenschlusskontrolle auf ökonomischer Grundlage Kottmann, Die räumliche Abgrenzung des relevanten Marktes, 2000, S. 13 ff. VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 6 Ziff. II).
§ 3 Beurteilungsmaßstab
659
könnte. Auch insoweit zählen dann die Art und Eigenschaften der nachgefragten Waren oder Dienstleistungen, Zutrittsschranken, Verbrauchergewohnheiten und Preis- sowie Angebotsunterschiede.200 Im Rahmen der Fusionskontrollverordnung muss es sich solchermaßen ebenfalls um einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes handeln, welcher im Hinblick auf den Wettbewerb behindert wird. Dazu können schon Regionalmärkte und sehr wichtige Infrastruktureinrichtungen wie Flughäfen oder Schiffhäfen gehören.201 Da sich die Fusionskontrolle auch auf Zusammenschlüsse in Drittstaaten be- 1767 zieht, kommt auch weltweiten Märkten Bedeutung zu. Das setzt voraus, dass weltweit keine Marktzutrittsschranken bestehen und der Gesamtmarkt erkennbar gegenseitig durchdrungen ist.202 Allerdings kann der Markt auch bei weltweiten Aktivitäten in mehrere Teilmärkte zerfallen. Dies hängt davon, inwieweit in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Begleitumstände wie Nachfrageverhalten und Verbrauchergewohnheiten vorherrschen. Somit können nicht weltweite oder auch gemeinschaftsweite Aktivitäten zum 1768 generellen Maßstab gemacht werden, wenn trotz einer entsprechend weiten Verbreitung des Unternehmens von der Struktur her immer noch z.B. die nationalen Märkte für sich relevant sind. Dann muss für jeden Markt gesondert geprüft werden, ob namentlich eine beherrschende Stellung vorhanden ist und diese den Wettbewerb behindert.203
C.
Wettbewerbsbehinderung bei hohem Marktanteil
I.
Verbleibende überragende Bedeutung des Marktanteils
Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 stellen für die Vereinbarkeit von Zu- 1769 sammenschlüssen mit dem Gemeinsamen Markt darauf ab, ob wirksamer Wettbewerb im gemeinschaftlichen Gesamtmarkt oder einem wesentlichen Teilmarkt erheblich behindert wird. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, ob eine beherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Insoweit handelt es sich um ein Regelbeispiel für die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs.204 Die Fusionskontrollverordnung geht aber darüber hinaus und bezieht insbeson- 1770 dere auch andere wettbewerbsschädliche Kräftekonzentrationen mit ein. Da die Fusionskontrolle insbesondere wettbewerbswirksame Strukturen aufrecht erhalten will, führt bereits eine Bündelung der in einem Markt vorhandenen Kräfte zu einer negativen Wirkung. Das muss auch jenseits der Innehabung einer beherrschenden Stellung gar nicht durch eine Koordinierung erfolgen, wie sie in Art. 81 EG vorausgesetzt wird. Die Fusionskontrollverordnung will solche Verschiebungen der 200 201 202 203 204
S.o. Rn. 1184 ff. S.o. Rn. 1195. Rösler, NZG 2000, 761 (768). EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 (4120, Rn. 170 f.; 4182, Rn. 405) – Schneider Electric. S.o. Rn. 1758.
660
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Wettbewerbsstruktur allein durch eine Fusion, welche Wettbewerbsdruck zwischen den bisher selbstständigen Unternehmen beseitigt und den Druck auf die verbleibenden Wettbewerber mindert, unabhängig vom Vorliegen einer Koordinierung zwischen Oligopolmitgliedern erfassen. Denn eine solche Koordinierung ist oftmals unwahrscheinlich. Jedoch allein die Verschiebung der Kräfteverhältnisse kann den für technische Innovationen notwendigen Wettbewerbsdruck entfallen lassen. Schon bei einem Behindern wirksamen Wettbewerbs ist ein solcher Zusammenschluss daher als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären. Dies will die neue FKVO (EG) Nr. 139/2004 klarstellen und damit die durch die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung VO (EWG) Nr. 4064/89 gelassene Lücke schließen.205 In oligopolistischen Märkten, also solchen, die durch einige wenige Unterneh1771 men dominiert werden, besteht die Gefahr, dass sie selbst auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben, aber von der Interessenlage parallel zu ihren Konkurrenten agieren und sich bei einer Gesamtschau mit ihnen eine gemeinsame Dominanz ergibt, welche nicht auf einer Koordinierung beruht. Damit fehlt die verbindende Klammer, welche Art. 82 EG für eine kollektive Marktbeherrschung voraussetzt. Nach dieser Vorschrift muss zudem die marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt werden.206 Im Rahmen der Fusionskontrolle dagegen geht es nur um die Verschiebung der Marktstruktur, welche einen wirksamen Wettbewerb in Frage stellt. Der Begriff „erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ ist daher auch und unabhängig vom Konzept der Marktbeherrschung auf wettbewerbsschädigende Auswirkungen eines Zusammenschlusses aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen zu beziehen, welche auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden.207 Damit ist die Behinderung wirksamen Wettbewerbs nach der Fusionskontrolle 1772 von den Schlüsselbegriffen der Art. 81, 82 EG in Gestalt der Koordinierung und der beherrschenden Stellung gelöst und kann daher auch für den Wettbewerb bedenkliche Zwischenkonstellationen hinreichend erfassen. Das gilt insbesondere für die faktische Verbundenheit von Unternehmen im Oligopol, welche das Verhalten ihrer Mitanbieter vorhersehen, daher ihre eigenen Aktivitäten parallel gestalten und doch ein Maximum an Profit erzielen können.208 Diese Erweiterung ändert aber nichts daran, dass eine erhebliche Behinderung 1773 wirksamen Wettbewerbs im Allgemeinen aus der Begründung oder Stärkung einer beherrschenden Stellung rührt. Insoweit wird explizit die Kontinuität zur bisherigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis hergestellt. Insbesondere die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung kann daher wirksamen Wettbewerb erheblich behindern.209 Damit bildet im Regelfall immer noch die beherrschende Stellung und damit der Marktanteil der fusionierten Unternehmen den
205 206 207 208 209
Erwägungsgrund 25 der FKVO (EG) Nr. 139/2004. S.o. Rn. 1229 ff. Erwägungsgrund 25 a.E. der FKVO (EG) Nr. 139/2004. S. näher u. Rn. 1823. Erwägungsgrund 26 der FKVO (EG) Nr. 139/2004.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
661
maßgeblichen Ausgangspunkt. Das wird nicht zuletzt in den Leitlinien für die Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse deutlich.210 Auch eine beherrschende Stellung, in erster Linie ausgedrückt durch einen ent- 1774 sprechenden Marktanteil, führt allerdings nicht immer zu erheblichen Behinderungen wirksamen Wettbewerbs. Vielmehr ist dies entsprechend Erwägungsgrund 26 der FKVO (EG) Nr. 139/2004 nur „im Allgemeinen“ der Fall. Ausgleichende Effizienzvorteile, welche aus dem Zusammenschluss rühren, können dazu führen, dass gleichwohl im Ergebnis wirksamer Wettbewerb nicht erheblich behindert wird. Insoweit schafft Erwägungsgrund 29 der FKVO (EG) Nr. 139/2004, welcher durch Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 konkretisiert wird, die Möglichkeit, beherrschende Stellungen hinzunehmen, und fingiert, dass eine erhebliche Wettbewerbsbehinderung gar nicht stattfindet.211 Weiter gehend ist generell ein gewisses Gewicht im Markt erforderlich, damit 1775 der wirksame Wettbewerb erheblich behindert werden kann. Eine solche Erheblichkeit ist auch namentlich im Bereich des Kartellverbotes als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung etabliert, muss doch die Wettbewerbsbeschränkung spürbar sein.212 Die Spürbarkeit ist dabei an bestimmte Marktanteilsschwellen geknüpft. Diese hängt allerdings Erwägungsgrund 32 der FKVO (EG) Nr. 139/2004 deutlich höher. Überschreitet der Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt 25 % nicht, fehlt danach wegen des begrenzten Marktanteils die Eignung, wirksamen Wettbewerb erheblich zu behindern, und es kann von der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt ausgegangen werden. Dieser höhere Wert erklärt sich daraus, dass im Rahmen der Fusionskontrolle keine zusätzlichen Verhaltensweisen vorliegen müssen, um gegen gemeinschaftliches Wettbewerbsrecht zu verstoßen. Bei erheblichen Wettbewerbsbeschränkungen wegen einer beherrschenden Stellung bestehen ohnehin enge Parallelen zu Art. 82 EG, der gleichfalls eine Mindestschwelle von 25 % voraussetzen kann.213 II.
Ermittlung und Bewertung der Marktanteile
1.
Berechnung
Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 stellen auf erhebliche Behinderungen 1776 wirksamen Wettbewerbs durch Zusammenschlüsse ab. Daher kommt den Marktanteilen der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen weiterhin eine hohe Bedeutung zu; für das Regelbeispiel der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung sind sie – ggf. i.V.m. Zusatzkriterien – konstitutiv. Aus dem Marktanteilen ergibt sich das Maß des Einflusses, der durch den daraus hervorgegangenen Verbund auf den Markt ausgeübt werden kann. Maßgeblich sind daher die Marktanteile der Unternehmen, welche einen Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eingehen (werden). 210 211 212 213
S.o. Rn. 1762. S. näher u Rn. 1831 ff. S.o. Rn. 505 ff. S. Rn. 1210.
662
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Wie im Rahmen von Art. 82 EG richten sich die Marktanteile nach dem Prozentsatz, den die relevanten Unternehmen vom gesamten Wert bzw. gegenständlichen Umfang der umgesetzten Waren und Dienstleistungen auf dem relevanten Markt erzielen. Bei den Umsatzberechnungen im Hinblick auf die Mindestschwelle nach Art. 1 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ergab sich, dass interne Umsätze nicht hinzuzurechnen sind, sehr wohl aber Außenumsätze inkorporierter Unternehmen.214 Zudem zählen nur die Anteile auf dem jeweils relevanten Markt. So ist ein international vertriebenes Wirtschaftsgut irrelevant, wenn es sich nicht auf den heimischen Markt auswirkt. Das ist nicht der Fall, wenn es auf dem relevanten nationalen Markt nur für den Eigenbedarf bestimmt ist. Dann fehlt die Konkurrenz.215 Im Hinblick auf hergestellte Produkte ist relevant, inwieweit diese miteinander in Wettbewerb stehen, auch wenn es sich um unterschiedliche Produktionsstufen handelt. Sie gehören dann zum relevanten Markt, wenn sie etwa gleichermaßen an Ausschreibungen teilhaben216 bzw. substituierbar sind. In Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wird mit der beherrschenden Stel1778 lung ein zentraler Begriff von Art. 82 EG aufgenommen. Dieses Merkmal bringt hier zudem die Gefahr von Wettbewerbsverschiebungen mit sich, wie dies auch im Rahmen des Missbrauchsverbotes der Fall ist. Daher können die relevanten Marktanteile nicht allzu verschieden sein. Nur ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 relevant, dass die Marktanteile der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen zusammen zu rechnen sind, während Art. 82 EG regelmäßig die marktbeherrschende Stellung nur eines Unternehmens erfasst, gleichwohl formal die kollektive marktbeherrschende Stellung gleichstellt.217 Besonders hohe Marktanteile belegen daher eine beherrschende Stellung.218 Verstärkt wird ein hoher Marktanteil durch eine zeitliche Komponente, wenn lange andauernd vom Wettbewerb unabhängige Verhaltensweisen möglich sind, so dass auf den Wettbewerb keine Rücksicht genommen werden muss.219 1777
2.
Mögliche Schwellen
1779 Das EuG sah jedenfalls einen Marktanteil von 80 % als sehr hohen Marktanteil an.220 Auch im Rahmen des Missbrauchsverbotes werden Marktanteile von über 70 % ohne Hinzunahme weiterer Gesichtspunkte als eindeutig marktbeherrschend eingestuft.221 Darüber hinaus wird im Bereich der Fusionskontrolle ein Anteil ab 214 215 216 217 218
219
220 221
S. Art. 5 Abs. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 u. o. Rn. 1748. EuG, Rs. T-221/95, Slg. 1999, II-1299 (1337, Rn. 109) – Endemol. EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 (4152 ff., Rn. 282 ff.) – Schneider Electric. S.o. Rn. 1391. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (818, Rn. 205) – Gencor unter Verweis auf das Urteil Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (3453, Rn. 60) – Akzo Chemie zum Missbrauchsverbot. S.o. Rn. 1205. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (818, Rn. 205) – Gencor unter Verweis auf das Urteil Hoffmann-La Roche Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, das zum Missbrauchsverbot erging. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (818 f., Rn. 207) – Gencor. S.o. Rn. 1205.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
663
50 % als besonders hoch angesehen.222 Bei darunter liegenden Werten müssen zusätzliche Umstände dazu kommen. Dazu gehört insbesondere der Abstand der nächst größeren Wettbewerber sowie die finanzielle, wirtschaftliche und technologische Potenz, die das Unternehmen in die Lage versetzen, eine herausragende Stellung einzunehmen.223 Eine Untergrenze für Marktanteile, auf deren Basis wirksamer Wettbewerb erheblich behindert werden kann, benennt Erwägungsgrund 32 der FKVO (EG) Nr. 139/2004 in Höhe von 25 %. Gerade bei niedrigeren Marktanteilen, die keinen eindeutigen Ausschlag für ei- 1780 ne beherrschende Stellung geben, sowie auf Märkten mit leicht veränderlichen Marktverteilungen ist nicht allein die Position der zusammengeschlossenen Unternehmen maßgeblich, sondern auch die der Wettbewerber und der Abnehmer bzw. Nachfrager und damit die Marktgegenmacht. Denn die wirtschaftliche Macht der beteiligten Unternehmen wird ebenso wie die Marktstellung, die in Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 als maßgebliche Komponenten genannt werden, mit dadurch bestimmt, wie die Unternehmensstruktur insgesamt und insbesondere auf Seiten der Wettbewerber bzw. der Geschäftspartner ist. Die Kommission billigt sogar Zusammenschlüsse mit Marktanteilen, die eigentlich eine beherrschende Stellung indizieren. Marktanteile von bis zu 80 % waren der Kommission nicht zu viel, weil auf der Gegenseite ein Nachfrager mit Monopol war, der seinen Bedarf durch eine stärkere Nachfrage des Restangebotes zu decken vermochte.224 Weiter wurde ein Zusammenschluss trotz Marktanteilen zwischen 50 und 70 % 1781 und hohen Marktzutrittsschranken gebilligt, da zwischen Anbietern und Nachfragern eine gegenseitige Interdependenz bestand und stabile Lieferbeziehungen vorhanden waren, die vom Zusammenschluss nicht berührt würden.225 Damit billigte indes die Kommission letztlich einen closed shop. Potenzieller Wettbewerb blieb außer Betracht. Außerdem stellt sich das Problem, dass Außenseiter nicht adäquat berücksichtigt werden.226 Dass die Kommission insoweit eine Meistbegünstigungszusage akzeptierte,227 ändert insofern nichts, als damit gleichwohl die bisherigen Marktplayer untereinander die für sie günstigsten Bedingungen aushandeln und diese dann dritten Unternehmen überstülpen können. Die Marktgegenmacht kann daher nur insoweit eine beherrschende Stellung hindern, als sie sich in tatsächlichem Wettbewerb niederschlägt und somit die Position des fusionierten Unternehmens ernsthaft einschränkt bzw. zu bedrohen vermag.228 222 223 224
225 226 227 228
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 40. S. KOME 1999/674/EG, ABl. 1999 L 274, S. 1 (Rn. 21 ff.) – Rewe/Meinl; zum Missbrauchsverbot o. Rn. 1206 ff. KOME 91/251/EWG, ABl. 1991 L 122, S. 48 (Rn. 38) – Alcatel/Telettra; krit. wegen Ausblendung der Dritte ausschließenden Zusammenarbeit zwischen monopolistischem Nachfrager und den fusionierten Unternehmen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 94. KOME 1999/641/EG, ABl. 1999 L 254, S. 9 (Rn. 74 ff.) – Enso/Stora. Den fehlenden Schutz kritisierend auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 95 a.E. KOME 1999/641/EG, ABl. 1999 L 254, S. 9 (Rn. 101) – Enso/Stora. Generell zum Problem der Gegenmacht Nordemann, Gegenmacht und Fusionskontrolle, 1996, passim.
664
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Zur Stärke der vorhandenen Wettbewerber kommt notwendigerweise die Bedeutung eines potenziellen Wettbewerbers, welcher zu erwarten ist.229 Das gilt zumal dann, wenn es sich um keine gefestigten Märkte handelt, so dass neue Konkurrenten relativ rasch eine erhebliche Marktanteilsschwelle erreichen können. Dann haben auch die bisherigen führenden Unternehmen mit hohen Marktanteilen keine gesicherte Position.230 Hier können technische Entwicklungen von Konkurrenten, die möglicherweise die der bereits etablierten Anbieter übertreffen, rasch die Marktverteilung deutlich ändern. Daher kann es sogar möglich sein, dem Anbieter eines gänzlich neuen Erzeugnisses zunächst einen Marktanteil von 100 % zuzubilligen.231 Voraussetzung ist allerdings, dass hinreichend schlagkräftige Mitbewerber vorhanden sind, welche Konkurrenzprodukte auf den Markt bringen können.232 Solche kräftigen Vorstöße durch einen Anbieter gut zu heißen, kann allerdings 1783 dann problematisch sein, wenn durch die Eroberung eines neuen Marktes die dominante Stellung auf einem bereits vorhandenen Markt verfestigt oder zusätzlich erlangt wird. So kann ein in einem neuen Markt expandierendes Unternehmen dort solche Gewinne machen, dass es in der Lage ist, in einem traditionellen Markt günstig gewordene Anbieter zu übernehmen. Umgekehrt können solche Fusionen auch dazu führen, dass ein Unternehmen auf einem neuen Markt mit zunächst hohem Wert mit einem traditionellen Unternehmen fusioniert, welches nach dem Abflachen der ersten Euphorie letztlich wieder den entscheidenden Wert bildet, so dass der neue Markt lediglich einen Annex darstellt. Dafür steht das Beispiel der Fusion von AOL und Time Warner.233 Aber auch dann, wenn lediglich herkömmliche Märkte betroffen sind, können 1784 sich erhebliche Synergien daraus ergeben, dass Unternehmen durch Fusionen in benachbarte Produktmärkte übergreifen. Daher sind bei der Anmeldung von Fusionen die Marktanteile auch auf solchen benachbarten Produktmärkten anzugeben, wenn sie mit dem bereits besetzten Produktmarkt eng verknüpft sind, d.h. sich die Produkte einander ergänzen oder zu einer Produktpalette gehören, die generell von der gleichen Abnehmerkategorie gekauft oder der gleichen Endnutzung zugeführt wird (z.B. Hefte und Heftklammern/Autoreifen und Autotüren/Bolzenschussgewehre und Bolzen/Triebwerke und Luftfahrtelektronik bzw. Whisky und Gin/verschiedene Verpackungsmaterialien für eine bestimmte Warenkategorie/verschiedene Arten von Baustoffen für das Baugewerbe).234 Besonders wettbewerbsgefährdend sind breite Produktpaletten, die Anlass zu Koppelungsgeschäften und Drohungen geben, da ein Händler auf die Erzeugnisse eines solch umfassenden Anbieters schwerlich verzichten kann. Aufgrund solcher Portfolioeffekte235 können 1782
229 230 231 232 233
234 235
KOME IV/M.4, ABl. 1990 C 281, S. 2 – Renault/Volvo. KOME 91/251/EWG, ABl. 1991 L 122, S. 48 (Rn. 38 ff.)– Alcatel/Telettra. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 54. Für das Internet KOME IV/M.1113, ABl. 1998 C 123, S. 3 – Nortel/Norweb. S. KOME 2001/718/EG, ABl. 2001 L 268, S. 28 (Rn. 82) – AOL/Time Warner, wo noch von einer Magnetfunktion des Internet für die Ausstrahlung der klassischen Programme von Time Warner ausgegangen wurde. VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 6 Ziff. IV). Näher u. Rn. 1800 ff.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
665
auch Marktanteile um 40 % ausreichen, um erhebliche Behinderungen des Wettbewerbs abzuleiten. Voraussetzung ist allerdings deren hinreichende Darlegung.236 Rückwirkungen auf dem beherrschten Kernmarkt etwa in Form einer Verringe- 1785 rung dortigen potenziellen Wettbewerbs sind generell näher darzulegen und nicht allein mit einer schon bestehenden beherrschenden Stellung zu begründen. Zudem kann diese selbst bei einer Verminderung potenziellen Wettbewerbs durch andere Faktoren ausgeglichen werden, die wie Marktgegendruck den Wettbewerb erhalten.237 Bedenklich ist jedoch, wenn ernst zu nehmende Wettbewerber durch den Zusammenschluss entfallen, so wenn nur wenige Konkurrenten auf dem Markt sind und sich zwei von ihnen zusammenschließen.238 Eine entsprechend stärkere Marktkonzentration ist dann ggf. über den HHI-Index zu bewerten.239
D.
Potenzieller Wettbewerb als gleichgewichtiger Faktor
Art. 2 Abs. 1 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 stellt den tatsächlichen oder poten- 1786 ziellen Wettbewerb gleich. Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 hebt auf die damit in enger Verbindung stehenden rechtlichen oder tatsächlichen Marktzutrittsschranken ab, deren Bedeutung sich bereits im Rahmen des Missbrauchsverbots ergab. Je höher sie sind, desto weniger kann sich künftiger Wettbewerb entfalten.240 Dabei können diese Marktzutrittsschranken gerade auch durch Fusionen erhöht werden. Das ist vor allem bei sog. vertikalen Integrationen der Fall, welche Beschaffungs- und Absatzmärkte zu einem bereits starken Unternehmen hinzufügen, so dass sich Versorgungsquellen und Vertriebsmöglichkeiten für Wettbewerber wesentlich schwieriger gestalten können.241 Beide Elemente stehen daher in einem unlösbaren Zusammenhang, so dass eine gemeinsame Würdigung angezeigt ist.242 Dabei differenziert die Fusionskontrollverordnung nicht näher zwischen ver- 1787 schiedenen Marktzutrittsschranken. Vielmehr werden sowohl rechtliche als auch tatsächliche erfasst. Das spricht dafür, sämtliche relevanten Elemente einzubeziehen. Rechtlich relevant sind etwa Produktvorgaben oder Vertriebsbeschränkungen. Tatsächlich zählen vor allem die Kosten, welche bei einem Markteintritt z.B. für den Aufbau eines Vertriebsnetzes aufgewendet werden müssen. Zudem gehören dazu auch technische Rückstände, welche aufgeholt werden müssen. Schließlich können konkrete Marktumstände hinderlich sein, so die Verbraucherbindung
236 237 238 239 240 241 242
EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1397, Rn. 346; 1401, Rn. 356; 1403, Rn. 363) – BaByliss; im Zusammenhang u. Rn. 1790 ff. EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (Rn. 126 ff.) – Tetra Laval. S. KOME 2004/322/EG, ABl. 2004 L 109, S. 1 – GE/Instrumentarium. S.u. Rn. 1810 f. S.o. Rn. 1211 ff. Ausführlich zum Ganzen Jickeli, WuW 1992, 101 ff., 195 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 46, 58 ff. mit zahlr. weit. Nachw.
666
Kapitel 9 Fusionskontrolle
zu einem bestimmten Anbieter.243 Solche festen Bindungen bestehen insbesondere nicht auf Zukunftsmärkten, auf denen z.B. eine neue Technologie eingeführt wird.
E.
Prognoseunsicherheiten für künftige und komplexe Entwicklungen
I.
Erhöhte Bedeutung künftiger Entwicklungen in der Fusionskontrolle
1788 Die künftige Entwicklung der Marktanteile hat im Rahmen der Fusionskontrolle eine deutlich stärkere Bedeutung als im Rahmen des Missbrauchsverbots, welches das Bestehen einer beherrschenden Stellung voraussetzt, während die Fusionskontrolle auch deren Begründung erfasst. Zudem geht es im Rahmen der Fusionskontrolle generell um die Erhaltung von Marktstrukturen in der Zukunft. So hebt Art. 2 Abs. 1 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 als eines der wesentlichen Kriterien den potenziellen Wettbewerb eigens hervor und hebt auch auf die Entwicklung wirksamen Wettbewerbs ab. Das Beispiel AOL/Time Warner zeigte besonders deutlich, wie groß Unsicher1789 heiten und auch Fehleinschätzungen über die Entwicklung neuer Märkte und deren Verhältnis zu etablierten Märkten sein können. Gerade insoweit stellt sich auch das Problem, wann bestimmte Entwicklungen eintreten werden. Fernsehen über das Internet mag zwar technisch machbar sein; zum Massenprodukt ist es hingegen nochmals ein erheblicher weiter Schritt, weil insoweit auch der Preis eine ganz erhebliche Rolle spielt. Auch Marktanteile können sich binnen kurzer Zeit erheblich verschieben, so dass entsprechende Prognosen schwierig sind.244 Das EuG verlangt keine Gewissheit im Hinblick auf künftige Entwicklungen. Das würde dem auf die Zukunft gerichteten Charakter der Fusionskontrolle widersprechen. Jedoch verlangt auch eine solche zukunftsorientierte Kontrolle gewisse Anhaltspunkte, um nicht ins Spekulative abzugleiten. Die Untersagung einer Fusion ist ein Eingriff in die Handlungsfreiheit der Unternehmen, welcher der Rechtfertigung bedarf. Daher sind für vorgebrachte negative Wirkungen, die gegen eine Fusion sprechen, hinreichend eindeutige Beweise notwendig.245
243 244
245
In diesem Zusammenhang Immenga, in: ders./Mestmäcker, FKVO Art. 2 Rn. 156 ff. m.w.N. Näher Haggeney, Marktanteilsprognosen in der Europäischen Fusionskontrolle, 2005, S. 124 ff. unter Verweise auf KOME 96/346/EG, ABl. 1996 L 134, S. 32 (Rn. 7 ff.) – RTL/Veronica/Endemol II. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4449 f., Rn. 162) – Tetra Laval.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
II.
Notwendige Abschwächung der Beweisanforderungen
1.
Rechtlich gebundener Beurteilungsspielraum
667
Zwar ist der Kommission für wirtschaftliche Sachverhalte ein gewisser Beurtei- 1790 lungsspielraum zuzubilligen,246 wie dies für aktives Handeln generell auf diesem Gebiet erforderlich ist,247 weil die Zusammenhänge vielfach wertungsabhängig und mit Unsicherheiten behaftet sind. Jedoch muss die Kommission umso eher auf einen verfahrensmäßig ordnungsgemäßen Ablauf achten, den Sachverhalt sowie die dazu gehörigen Daten vollständig ermitteln und sachgerecht auch in wirtschaftlicher Hinsicht beurteilen.248 Lediglich auf dieser Grundlage kann ihre Beweisführung standhalten. Daher kann gerichtlich nicht nur überprüft werden, ob die Beweisführung als solche stimmig ist, sondern auch, ob die ihr zugrunde liegenden Wertungsgrundlagen passend249 und die Daten komplett sind sowie das gefundene Ergebnis untermauern.250 Je weiter Prognosen in die Zukunft reichen, desto unsicherer wird jedoch die Beurteilungsgrundlage und desto spärlicher werden auch die Beweise sein. Daher verlangt das EuG zu Recht, dass für eine erwartete beherrschende Stellung erst nach einiger Zeit die Analyse der Kommission trotz ihres Beurteilungsspielraums besonders plausibel ist.251 2.
Besonders hohe Beweisanforderungen?
Der EuGH zieht aus der Notwendigkeit, eine künftige Entwicklung zu beurteilen, 1791 die Konsequenz, die jeweilige Entscheidung mit großem Bedacht zu treffen und bei schlecht erkennbaren, ungewissen und schwer nachweisbaren Kausalzusammenhängen besonders hohe Beweisanforderungen zu stellen.252 Jedoch wird damit die eigentlich bei bestehender Ungewissheit angezeigte Abflachung der Beweisanforderungen gerade umgekehrt und für deren Steigerung genutzt.253 Damit lassen sich bei ungewissen Entwicklungen Fusionen schwerlich untersagen. Dabei bedarf es einer zukunftsgerichteten Entscheidung zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses. Einer solchen sind Unsicherheiten inhärent. Diese gehen damit zulasten des Wettbewerbs. Dessen Effektivität ruht gewissermaßen auf den hinzunehmenden Unsicherheiten, wie sich Fusionen entwickeln werden. Dadurch aber ist das Gleichgewicht zwischen unternehmerischer Handlungs- und Wettbewerbsfreiheit verscho246 247 248 249 250 251 252 253
EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1520, Rn. 224) – Kali und Salz; auch noch EuG (Präsident), Rs. T-342/00 R, Slg. 2001, II-67 – Petrolessence. Vgl. BVerfGE 16, 147 (181 ff.); 38, 61 (7 ff.); 50, 290 (331 ff.) für die wirtschaftsrelevante Gesetzgebung. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1520, Rn. 225) – Kali und Salz. S. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1520, Rn. 226) – Kali und Salz. EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (320, Rn. 39) – Tetra Laval, welches das Urteil des EuG nahezu vollumfänglich bestätigte. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4449 f., Rn. 162) – Tetra Laval. EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (320 f., Rn. 42, 44) – Tetra Laval, im letzten Punkt allerdings spezifisch zu möglichen Hebeleffekten; s. sogleich Rn. 1799 ff. Verallgemeinernd auch Wirtz/Möller, EWS 2005, 145 (148).
668
Kapitel 9 Fusionskontrolle
ben. Um den Wettbewerb wie gerade in der Fusionskontrollverordnung vorgesehen254 auch präventiv schützen zu können, benötigt die Kommission einen umso größeren Entscheidungsspielraum, je stärker die Unsicherheiten sind. Die Beweisanforderungen müssen daher mit der zeitlichen Entfernung und den Schwierigkeiten des zu beurteilenden Sachverhalts sinken und nicht steigen.255 Solche Prognosen bauen allerdings notwendigerweise auf vorhandenem Wissen 1792 auf. Zwar sind Marktanteile das Resultat bisheriger Entwicklungen. Indes zeigt ihre in der Vergangenheit erfolgte Veränderung durchaus zumindest als Indiz, wie sich die Verhältnisse in Zukunft entwickeln werden. Von daher bilden sie auch nicht ein bloßes trügerisches Bild der Rechtssicherheit.256 Gleichwohl sind sie auf die besonderen Marktverhältnisse abzustimmen, die in Zukunftsmärkten nun einmal anders liegen als in etablierten Absatzbereichen. Solchen Zukunftsmärkten ist naturgemäß eher eine Unsicherheit inhärent, so dass hier stärker unterschiedliche Entwicklungen berücksichtigt werden müssen. Führen diese allerdings stets dazu, dass durch Konzentrationsvorgänge die Wettbewerbsstruktur negativ verändert und dadurch der Wettbewerb erheblich behindert wird, so kann auch auf unsicherer Tatsachengrundlage und verschiedenen möglichen Entwicklungsrichtungen ein eindeutiges Ergebnis im Hinblick auf die Fusionskontrolle erzielt werden. 3.
Vergangene und künftige Verhaltensweisen
1793 Soweit dabei mögliche Verhaltensweisen eine Rolle spielen, welche im Falle ihres Auftretens den Wettbewerb erheblich behindern würden, kann diesen im Rahmen der Fusionskontrolle auch für die Erlangung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung Bedeutung zukommen. Als solche sind sie im Gegensatz zum Kartellund Missbrauchsverbot nicht konstitutiv. Daher kann ihnen auch nicht dasselbe Gewicht beigemessen werden. Sie indizieren höchstens, inwieweit Marktanteile weiter vergrößert werden. Dabei sollen aber nur rechtmäßige Verhaltensweisen zugrunde gelegt werden können.257 Allerdings können auch insoweit von bisher aufgetretenem Verhalten Linien in die Zukunft gezogen werden. Das gilt zumal dann, wenn Verstöße etwa gegen das Missbrauchsverbot tatsächlich aufgetreten sind. Denn solche führen wesentlich eher zu einer Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung als ihr Unterlassen. Dabei kann nicht etwa wegen drohender Sanktionen davon ausgegangen werden, dass von wettbewerbswidrigem Verhalten Abstand genommen wird; eine solche Annahme ist lediglich spekulativ und widerspricht dem Präventionsgedanken der Fusionskontrollverordnung.258 Freilich kann ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht bestehen bleiben, gibt 1794 es doch entsprechende Untersagungsinstrumente und Eingreifpflichten der Kom254 255 256 257 258
S.o. Rn. 1666 f. Vgl. zum Kartellverbot o. Rn. 869 ff. So Haggeney, Marktanteilsprognosen in der Europäischen Fusionskontrolle, 2005, S. 184, wo ihnen selbst die Eignung für eine Indizwirkung abgesprochen wird. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4449 f., Rn. 162) – Tetra Laval: zumindest wahrscheinlich nicht rechtswidrig. EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (322 f., Rn. 75 f.) – Tetra Laval, insoweit vom EuG abw.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
669
mission im Rahmen der Wettbewerbsaufsicht. Die entsprechenden Maßnahmen haben zudem für eine Neutralisierung solcher rechtswidriger Verhaltensweisen zu sorgen. Daher können Letztere auch nicht als ursächlich für eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs angesehen werden. Dass ein Marktteilnehmer, der sich bisher rechtmäßig verhalten hat, etwa im Gefolge einer Fusion versucht ist, missbräuchliche Verhaltensweisen anzuwenden, kann nicht unterstellt werden. Zudem würde auch insoweit die Korrektur durch die Missbrauchsaufsicht eingreifen. Umgekehrt können auch zu erwartende positive Verhaltensweisen berücksich- 1795 tigt werden. Bei Verpflichtungszusagen ist davon auszugehen, dass sie eingehalten werden. Ansonsten wäre die allgemeine Aufnahme dieses Instruments in die Fusionskontrollverordnung und die daran geknüpfte Vereinbarkerklärung nach Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sinnlos. Nicht nur strukturelle, sondern auch verhaltensbezogene Verpflichtungszusagen sind daher bei der Beurteilung zu berücksichtigen, ob wettbewerbsbehindernde Wirkungen eintreten oder nicht.259 III.
Komplexe Fusionssachverhalte
1.
Vertikale Integration mit konglomeraten Wirkungen (General Electric/Honeywell)
Besondere Schwierigkeiten in der Sachverhaltsbeurteilung und der Bewertung der 1796 weiteren Entwicklungen treten dann auf, wenn sich Unternehmen zusammenschließen, welche auf unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern tätig sind und sich nur geringfügig überschneiden. Es stellt sich dann zunächst die Frage, inwieweit durch den Erwerb ein Unternehmen in die Lage versetzt wird, ganze Produktions- oder Vertriebsketten unter seine Kontrolle zu bringen. Insoweit ist näher zu untersuchen, inwieweit eine vertikale Integration erreicht wird, welche Zuliefer- und Absatzwege einbezieht. Hierzu ist eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung dazu aufzustellen, inwieweit bestimmte Ausgangsprodukte benötigt und bestimmte Vertriebskanäle benutzt werden können. Zudem ist zu prüfen, inwieweit der Erwerb solcher vor- und nachgeschalteter 1797 Stufen das erwerbende Unternehmen stärkt und Wettbewerber erheblich behindert. Eine solche Agglomeration wird z.B. erreicht, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen für Flugzeugmotoren mit einem Unternehmen fusioniert, das Leistungen anbietet, die wie Navigations- und Kommunikationsinstrumente ein Flugzeug weiter ausrüsten bzw. dessen Betrieb sicherstellen (etwa Reifen und Beleuchtung), und dort eine marktbeherrschende Stellung hat. Dann wird das daraus erwachsende Unternehmen in die Lage versetzt, Komplettlösungen anzubieten und eine ganze Palette von Angeboten auf dem Markt zu platzieren, was im Einzelfall durch Quersubventionierungen gefördert werden kann.260 Hier verbindet
259 260
EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (324, Rn. 89) – Tetra Laval. S. KOME 2004/134/EG, ABl. 2004 L 48, S. 1 (Rn. 70 ff., 276 ff.) – General Electric/ Honeywell.
670
Kapitel 9 Fusionskontrolle
sich eine vertikale Integration mit konglomeraten Wirkungen im Hinblick auf komplementäre Produkte.261 2.
Partielle räumliche Überschneidungen (Unicredito/HVB)
1798 Es können aber auch solche Unternehmen fusionieren, welche bislang gar keine Überschneidungen hatten. Das kann auch in räumlicher Hinsicht gelten, so wenn sich die bisherigen Hauptmärkte nicht überschnitten. Dann kann allerdings auf Nebenmärkten, auf denen etwa beide Unternehmen aktiv waren, bei einer Zusammenlegung der Aktivitäten eine beherrschende Stellung entstehen. Das ist beispielsweise bei der Übernahme der Hypovereinsbank durch Unicredito262 der Fall, wo sich zwar die Hauptbetätigungsfelder Deutschland und Italien nicht überschneiden, gleichwohl aber in osteuropäischen Staaten ansehnliche Marktpositionen entstehen, die zum Teil auch über 25 % liegen. Jedenfalls insoweit bedarf es dann einer Fusionskontrolle. Wegen der nationalen Besonderheiten bilden die Bankenmärkte immer noch auf die einzelnen Mitgliedstaaten bezogene Teilmärkte. 3.
Hebelwirkungen und Portfolioeffekte (Tetra Laval, BaByliss)
1799 In sachlicher Hinsicht fehlen Überschneidungen, wenn die zusammengeschlossenen Unternehmen nicht auf denselben Märkten auftreten und damit nicht Wettbewerber sind, aber auch nicht in Geschäftsbeziehungen als Lieferanten oder Nachfrager stehen. Diese Konstellation wird „konglomerate Integration“ genannt.263 Allerdings können sich daraus, dass benachbarte Produktmärkte betroffen sind,264 gegenseitige Auswirkungen auf die verschiedenen Märkte ergeben, die durch sog. Hebelwirkungen gekennzeichnet sind. Das kann dadurch erfolgen, dass ein Unternehmen mit beherrschender Stellung auf einem Markt diese als Hebel benutzt, um eine beherrschende Stellung auf einem anderen Markt zu erlangen. Damit muss prognostiziert werden, dass über die bereits bestehende beherrschende Stellung durch die Fusion ermöglicht wird, auch auf einem anderen Markt eine beherrschende Stellung zu erlangen, ohne dass diese bereits durch den Zusammenschluss selbst entsteht. Da es nach Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht mehr auf eine be1800 herrschende Stellung ankommt, ist weiter gehend einzubeziehen, wenn ein Unternehmen auf verschiedenen Märkten eine starke Stellung hat und dort jeweils ein großes Portfolio an miteinander zusammenhängenden Erzeugnissen anbietet, so dass sich wettbewerbsbehindernde Effekte erst bei einer Gesamtschau dieser Einzelmärkte ergeben. Denn ein solches Unternehmen kann in der Lage sein, den Wettbewerb durch Koppelungsgeschäfte zu beeinträchtigen und so Wettbewerber 261 262 263 264
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 78 ff. mit konzentrierter Darstellung des Falles. S. die nähere Aufschlüsselung in FAZ, Nr. 134 u. 135 vom 13. u. 14.6.2005 jeweils S. 12. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 64. S.o. Rn. 1784.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
671
zu verdrängen, auch wenn es auf einem bestimmten Markt keine beherrschende Stellung hat.265 Aus beiden Konstellationen können weit in die Zukunft gerichtete Entwicklungsabschätzungen resultieren. Diese sind in den rechtlichen Rahmen von Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 einzufügen, die keine besonderen Kriterien für einen Zusammenschluss mit der gerade aufgezeigten Konglomeratwirkung vorsehen. Dieser ist daher wie jeder andere Zusammenschluss zu behandeln.266 Dieser Ansatz schließt aber nicht aus, die sich aus der Natur des Zusammenschlusses ergebenden Besonderheiten zu berücksichtigen. Dazu gehört zunächst, dass solche Konglomeratwirkungen sich erst entfalten müssen, und zwar durch die Rückwirkung aus einem bereits beherrschten Markt auf einen noch zu beherrschenden. Entsprechendes gilt bei der Nutzung starker Positionen auf zwei Märkten, indem etwa der Glanz einer verbreiteten Marke auf andere Erzeugnisse abstrahlt und durch Kombinationseffekte deren Implementierung in anderen Märkten ermöglicht.267 In naher Zukunft sind aber solche Hebelwirkungen nur dann zu erwarten, wenn die betroffenen Märkte zur Konvergenz neigen und eine der am Zusammenschluss beteiligten Parteien auf dem zu beherrschenden Markt bereits eine führende Stellung einnimmt.268 Insoweit bedarf es zudem eindeutiger Beweise für eine absehbare Entwicklung.269 Ein solches Übergreifen von einem dominierten Markt auf einen anderen verlangt enge Verknüpfungen zwischen beiden Märkten. Diese Verbindungen bestehen dann, wenn es sich um ein einheitliches Warensortiment handelt, bei dem der Verkauf eines Erzeugnisses an die Abnahme eines anderen Erzeugnisses gekoppelt werden kann. Das ist der Fall, wenn ein Unternehmen eine breite Produktpalette aufweist.270 Weiter bestehen solche Verbindungen, wenn die Kunden des Produktes auf dem einen Markt auf den benachbarten Produktmarkt überwechseln können. Das ist dann der Fall, wenn es sich um technische Substitute handelt, wie dies für Kartonverpackung- und PET-Verpackungsanlagen zutrifft. Eine konkrete Wechselbereitschaft von der einen Anlagenart zur anderen genügt dabei.271 Eine Wechselbereitschaft kann auch durch Wachstumsraten in bestimmten Sektoren bedingt sein. So erwartete man im Fall Tetra Laval, dass PET-Verpackungen für sensible Produkte zunehmen würden, so dass die Hersteller von Karton- zu PET-Verpackungsanlagen überwechseln würden und damit die bisherige beherrschende Stellung im Bereich der ersten Gruppe auch in den Bereich der PET-Verpackungsanlagen mit hinübernehmen könnte. So würde die Fusion des Marktbeherrschers im traditionellen Markt mit einen im neuen Markt tätigen, bereits führenden Unternehmen durch die Marktentwicklung zu einer beherrschenden Stel265 266 267 268 269 270 271
S. den Fall EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 – BaByliss. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4443 f., Rn. 146) – Tetra Laval. EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1396, Rn. 343) – BaByliss. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4444 f., Rn. 147, 151) – Tetra Laval. Darauf nochmals deutlich abhebend EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (321, Rn. 44) – Tetra Laval, welcher das Urteil des EuG weitest gehend bestätigte. S. EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1396 f., Rn. 344 ff.) – BaByliss. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4459 ff., Rn. 196 f.) – Tetra Laval.
1801
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lung auch in dem zweiten Markt führen.272 Dieser Anstieg der Verwendung des Produktes, auf das nach dem Zusammenschluss der Zugriff offen steht, bildet dabei einen hinreichenden Anreiz, um eine Hebelwirkung auszuüben.273 Allerdings muss zu dieser Anreizwirkung eine Entwicklung durch rechtmäßi1805 ges Verhalten prognostiziert werden können, die zu einer beherrschenden Stellung bzw. jedenfalls zu wettbewerbsbehindernden Wirkungen auf dem neuen Markt führt.274 Somit bedarf es einer sehr genauen Beweisführung, sind doch grundsätzlich die Märkte für sich zu betrachten, so dass gegenseitige Beeinflussungen eigentlich getrennter Teilmärkte nicht ohne weiteres zu bejahen sind. Sowohl sachliche als auch räumliche Verbindungen müssen aufgrund klarer und miteinander übereinstimmender Merkmale nachgewiesen sein.275 Gerade insoweit bedarf es daher auch für die in die Zukunft gerichtete Prognosen konkreter Anhaltspunkte.276 Bei künftigen Prognosen genügen allerdings nicht abstrakte Darstellungen. Es 1806 bedarf vielmehr des konkreten Bezuges auf den jeweiligen Sachverhalt. Deshalb kann nicht allein aus einem breiten Sortiment darauf geschlossen werden, dass wettbewerbswidrige Effekte eintreten; vielmehr ist dies näher darzulegen, etwa durch eine Wirtschaftsstudie, die im Einzelnen eruiert, welches Verhalten zu welchen schädlichen Konsequenzen führt. Bloße Hypothesen genügen also nicht.277 Auch kann nicht schon von der Struktur des Großhandels darauf geschlossen werden, dass eine gegengewichtige Marktmacht fehlt. So sind eine einzigartige Produktpalette und ein außergewöhnliches Markensortiment zwar Indizien wirtschaftlicher Macht, aber als solche nur abstrakt. Vielmehr muss die Verbindung zu den maßgeblichen nationalen Einzelmärkten 1807 hergestellt werden und das sich dort konkret zeigende Nachfrageverhalten einbezogen werden. Steht einer entsprechenden starken Produktpalette des Anbieters eine lediglich geringe Konzentration auf Seiten des Vertriebs der Großhändler gegenüber, reicht dies dennoch nicht für die Annahme einer fehlenden Marktgegenmacht, wenn gleichwohl Preiskämpfe zwischen diesen Großhändlern auftreten, die Preise und speziell die Preisspanne zurückgehen, so dass der Druck entsteht, vom Hersteller bessere Bezugsbedingungen zu verlangen. Damit fehlt dem Hersteller die Macht zum Preisdiktat und insoweit eine beherrschende Stellung mit erheblicher Behinderung wirksamen Wettbewerbs.278
272 273 274 275 276
277 278
EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4460 f., Rn. 197 f.) – Tetra Laval. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4467, Rn. 216) – Tetra Laval. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4482, Rn. 254 u. später z.B. 4502 f., Rn. 307) – Tetra Laval. EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1400, Rn. 353) – BaByliss. EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 (4449 f., Rn. 162) – Tetra Laval und noch akzentuierter EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (321, Rn. 44) – Tetra Laval. Eine Verallgemeinerung verbietet sich allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen, s.o. Rn. 1790 ff. EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1401 ff., Rn. 356 ff.) – BaByliss. EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 (4133 f., Rn. 205 f.; 4183, Rn. 409) – Schneider Electric unter Aufhebung der vorgehenden KOME 2004/275/EG, ABl. 2004 L 101, S. 1 (Rn. 567 ff.) – Schneider/Legrand. Ebenso im Ergebnis auch EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1403, Rn. 362) – BaByliss.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
4.
673
Bewertung
Das Beispiel Tetra Laval zeigt deutlich, wie stark EuG und EuGH sich nicht auf 1808 eine Plausibilitätskontrolle beschränken, sondern sehr tief in die Einzelheiten des konkreten Sachverhaltes einsteigen. Sie führten die in der Kali-und-Salz-Entscheidung angelegte Linie fort,279 die wirtschaftliche Betrachtungsweise der Kommission zu untersuchen,280 und bauten sie weiter aus. Der Kommission obliegt zwar, sich eine eigene Auffassung auch zu wirtschaftlich komplexen Sachverhalten und den darin zu verortenden Auswirkungen einer Fusion zu bilden. Jedoch haben die Gerichte zu überprüfen, ob die Beweisführung lückenlos und nachvollziehbar ist. Die Tatsachen, welche das Verbot eines Zusammenschlusses logisch stützen 1809 können und müssen, sind aus vorliegenden Beweismitteln abzuleiten.281 Das gibt den Adressaten von Kommissionsentscheidungen gute Chancen, zu einer näheren Prüfung zu kommen.282 Das Urteil BaByliss bestätigte diese Tendenz.283 Das zeitliche Problem, ein Fusionsvorhaben bis dahin offen zu halten, bleibt allerdings selbst bei Anwendung eines beschleunigten Verfahrens bestehen.284 Jedenfalls muss die Kommission sich in ihrer Arbeit auf eine konkrete und detaillierte Kontrolle durch die Rechtsprechung einstellen. Sie dürfte daher vorsichtiger agieren und nach näheren Begründungen suchen, was freilich mit zusätzlichen Untersuchungsmaßnahmen gegen Unternehmen einhergehen kann.
F.
Messung der Veränderungen des Konzentrationsgrades
Durch eine Fusion wird der Konzentrationsgrad von Unternehmen dann negativ 1810 beeinflusst, wenn sich mehrere Unternehmen zusammenschließen und damit die Marktmacht der durch die Fusion vergrößerten Unternehmenseinheiten steigt. Das wird abgebildet im Herfindahl-Hirschman-Index (HHI). Dieser Index hat eine Spanne von einem Wert nahe Null, der bei einem in unzählige Unternehmen aufgesplitterten Markt anzunehmen ist, bis zu 10.000, welcher ein reines Monopol kennzeichnet. Berechnet wird der HHI, indem die quadrierten Marktanteile der einzeln auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmen addiert werden. Teilen sich fünf Unternehmer den Markt auf mit Anteilen von 40 %, 20 %, 15 %, 15 % und 10 %, beträgt der HHI 2.550 (402+202+152+152+102 = 2.550).285 Marktanteile kleinerer Unternehmen können dabei fehlen, weil sie den HHI nicht in nennenswerter Weise prägen; zu den kleinen Unternehmen sind solche zu rechnen, die unter 5 % Marktanteil haben.286 279 280 281 282 283 284 285 286
Auf diesen Ansatz zu Recht abhebend Hamer, EWS 2004, 217 (218 f.). EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1520, Rn. 225) – Kali und Salz. Deutlich EuGH, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (320, Rn. 39 ff.) – Tetra Laval. Ehlermann/Völcker, EuZW 2003, 1. Rosenfeld/Wolfsgruber, EuZW 2003, 743 (746 f.). Ehlermann/Völcker, EuZW 2003, 1. Berechnung nach VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 7 Ziff. 7.3. Fn. 3). S. VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 7 Ziff. 7.3).
674
1811
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Um die durch die Fusion eingetretene Erhöhung des Konzentrationsgrades zu messen, genügt es, das Produkt der Marktanteile der fusionierenden Unternehmen mit zwei zu multiplizieren. Haben Unternehmen Anteile von 30 und 15 % und fusionieren sie, würde der HHI um 900 (30x15x2 = 900) anwachsen. Vor der Fusion sind nämlich die Quadrate der Marktanteile der fusionierenden Unternehmen einzeln zu berücksichtigen, nach der Fusion hingegen in der Höhe des Quadrats ihrer Summe (vorher (a)2+(b)2; nachher (a+b)2 = (a)2+2ab+(b)2). Der HHI erhöht sich somit um den Wert 2ab.287 Darin liegt das Delta als Differenz zwischen dem HHI vor und nach der Fusion. Das größere Unternehmen wird also stärker gewichtet, so dass der HHI steigt.288
G.
Kollektive beherrschende Stellung
1812 Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 benennt lediglich die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung. Damit ist nicht gesagt, dass es sich um eine individuelle beherrschende Stellung ausschließlich durch das aus der Fusion hervorgegangene Unternehmen handeln muss. Vielmehr kann auch eine kollektive beherrschende Stellung darunter fallen. Dafür spricht sowohl der offene Wortlaut als auch der schon in der Vorgängerverordnung VO (EWG) Nr. 4064/89 sichtbare Zweck, einen wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt aufrecht zu erhalten. Auf dieses Ziel sollte der Umstrukturierungsprozess der Unternehmen im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes festgelegt sein.289 Bereits die Fusionskontrollverordnung im ursprünglichen Text (VO (EWG) 1813 Nr. 4064/89) sollte sich auf alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung erstrecken, sofern sie sich negativ auf die Wettbewerbsstruktur der Gemeinschaft mit dem dabei notwendigen System eines unverfälschten Wettbewerbs auswirken können. Daher geht es darum, beherrschende Stellungen umfassend einzuschließen, auch wenn sie nicht von den am Zusammenschluss Beteiligten begründet oder verstärkt werden, sondern erst zusammen mit anderen Unternehmen entsteht. Das ist ein Erfordernis des effet utile dieser Verordnung. Ansonsten würde die Lücke bleiben, die Art. 82 EG dadurch lässt, dass er lediglich die Verstärkung, nicht aber die Begründung einer beherrschenden Stellung erfasst.290
287 288 289 290
VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang I Abschnitt 7 Ziff. 7.3. Fn. 4). S. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 12. S. 5. Begründungserwägung der VO (EWG) Nr. 4064/89 sowie EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1502, Rn. 169) – Kali und Salz. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1502 f., Rn. 170 ff.) – Kali und Salz; Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (800 f., Rn. 150 ff.) – Gencor.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
675
H.
Marktbedingtes gleichförmiges Verhalten als kollektive beherrschende Stellung (Gencor, Airtours)?
I.
Ansatz
Die durch Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gebotene effektivitätsbezo- 1814 gene Betrachtungsweise, die auf die tatsächlichen Einwirkungen auf den Wettbewerb abstellt, lässt die Notwendigkeit einer Verbindung zwischen den Unternehmen, welche gemeinsam eine kollektive beherrschende Stellung einnehmen können, zurücktreten. Wegen der gänzlichen Loslösung der Fusionskontrolle von Verhaltenselementen bedarf es keiner strukturellen Beziehungen zwischen diesen gemeinsam beherrschenden Unternehmen. Vielmehr genügt eine wirtschaftliche Verbindung, wie der EuG im Urteil Gencor herausstellt. Diese ist nicht etwa mit strukturellen Verbindungen gleichzusetzen, die im Übrigen auch im Rahmen von Art. 82 EG für eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung nicht als konstitutiv und ausschließlich maßgebend angesehen wurden.291 Es muss nur eine rein faktische, marktbedingte Wechselbeziehung vorliegen, 1815 welche die betreffenden Unternehmen zu gleichförmigem Verhalten veranlasst, das unabhängig von den anderen Wettbewerbern, der Kundschaft und letztlich den Verbrauchern ist und damit wirksamen Wettbewerb erheblich behindert.292 Dafür genügt es, wenn die potenziell zu einem Parallelverhalten in der Lage befindlichen Unternehmen sich einer Art Gruppendruck ausgesetzt sehen, sich nicht anders zu verhalten als die Wettbewerber. Das ist dann der Fall, wenn sich aufgrund der Marktumstände als das für das Unternehmen günstigste Verhalten erweist, nicht aus einem gemeinsamen Marktverhalten auszuscheren, weil für alle der höchste Gewinn darin besteht, die Produktion zu beschränken und die Preise parallel hoch zu halten. Bricht nämlich ein Marktbeteiligter aus, um etwa durch eine Preissenkung seinen Marktanteil zu erhöhen, muss er sofort befürchten, dass die Konkurrenz nachzieht. Dann sinken nur die Preise auf allen Seiten und damit auch die Gewinne, so dass letztlich das vorpreschende Unternehmen keinen Vorteil erlangt. II.
Voraussetzungen
Voraussetzung für eine solche gleichförmige Interessenlage ist aber, dass nur we- 1816 nige Unternehmen den Markt unter sich teilen, die Erzeugnisse homogen sind und die Verhaltensweisen des jeweils anderen infolge der Transparenz des Marktes vorhergesehen werden können. Diese Voraussetzungen hat das EuG im Hinblick auf oligopolistische Marktstrukturen aufgestellt und diese insoweit mit engen wirtschaftlichen Verbindungen struktureller Art gleichgestellt. Aufgrund dieser faktischen Verbindung ist daher eine nähere Abstimmung namentlich rechtlicher Art 291 292
EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (837 f., Rn. 273 ff.) – Gencor unter Berufung auf EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 (1548, Rn. 358) – SIV. S.o. Rn. 1398. Bereits EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1519 f., Rn. 221 ff.) – Kali und Salz.
676
Kapitel 9 Fusionskontrolle
gar nicht erforderlich.293 An die Stelle einer rechtlichen Koordinierung oder auch einer tatsächlichen Abstimmung tritt damit eine vorauseilende parallele Ausrichtung des Verhaltens. Die Bedingungen hierfür hat das EuG im Urteil Airtours konkretisiert. Es nennt drei Voraussetzungen:294 -
-
-
1817
Jedes Mitglied des beherrschenden Oligopols muss das Verhalten der anderen Mitglieder in Erfahrung bringen. Das bloße Bewusstsein vom Profitieren aller bei einem parallelen Verhalten auf dem Markt genügt nicht, sondern es müssen konkrete Mittel vorhanden sein, um hinreichend genau und schnell zu erfahren, ob die anderen Marktbeteiligten dieselbe Strategie wählen und beibehalten. Dafür genügt aber die Transparenz des Marktes. Es bedarf also keinerlei aktiven Austausches. Diese Transparenz muss allerdings bereits bei der Festlegung des eigenen Angebotes vorhanden sein, nicht erst nach dessen Veröffentlichung, wenn auch keine Korrektur mehr möglich ist.295 Die stillschweigende Koordinierung muss auf Dauer erfolgen können. Das setzt einen Profit aller voraus sowie Abschreckungsmittel, um alle Beteiligten auf Linie zu halten. Dafür genügt, wenn Initiativen Einzelner zur Erhöhung ihres Marktanteils durch gleiche Maßnahmen anderer Unternehmen beantwortet werden und daher letztlich verpuffen müssen,296 also das ausscherende die wirtschaftliche Sinnlosigkeit seines Handelns erkennen wird.297 Schließlich muss die Kommission nachweisen, dass diese Entwicklung aufgrund des faktischen gemeinsamen Vorgehens nicht durch tatsächliche oder potenzielle Konkurrenten bzw. durch die Verbraucher in Frage gestellt wird. Es muss also an einer hinreichenden Marktgegenmacht fehlen, welche einen closed shop der beherrschenden Unternehmen verhindern kann. Hierfür genügt allerdings bereits, wenn schlagkräftige kleine Wettbewerber durch eine Angebotsverknappung entstehende Lücken am Markt schließen können.298
Die Marktgegenmacht kann auch dadurch entstehen, dass mächtige Nachfrager einer oligopolistischen Marktstruktur gegenüber stehen, durch ihre Machtposition die Preise drücken können und damit das Parallelverhalten der Oligopolisten auszuhöhlen vermögen, so dass keine erheblichen Behinderungen wirksamen Wettbewerbs jedenfalls im vertikalen Verhältnis entstehen.299
293 294 295 296 297 298 299
EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (838, Rn. 276 f.) – Gencor. EuG, Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 (2613 f., Rn. 62) – Airtours; s. Bartosch, EuZW 2002, 645 ff. Näher EuG, Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 (2643 ff., Rn. 148 ff.) – Airtours. Näher u. Rn. 1823. Näher Bartosch, EuZW 2002, 645 (648). S. EuG, Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 (2678, Rn. 251; 2681, Rn. 258 f. u. resümierend 2684 f., Rn. 269) – Airtours. S. EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 (4133 f., Rn. 205 f.) – Schneider Electric.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
III.
677
Bewertung
Dass das EuG im Fall Airtours im Ergebnis in allen wesentlichen Punkten von der Beurteilung der Kommission abwich,300 zeigt, wie schwierig eine kollektive marktbeherrschende Stellung auf der Basis oligopolistischer Marktstrukturen gewonnen werden kann. Zudem wird damit dieses Tatbestandsmerkmal sehr stark überdehnt, wenn man es mit der beherrschenden Stellung im Rahmen des Missbrauchsverbotes vergleicht. Schon der Wortsinn von „gemeinsam“ setzt voraus, dass ein gewisses Zusammenwirken der Beteiligten stattfindet. Zwar verlangt die Fusionskontrolle kein Verhaltenselement wie das Kartell- und Missbrauchsverbot. Jedoch wird in den Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse zwischen koordinierten und nicht-koordinierten Wirkungen im Rahmen oligopolistischer Strukturen unterschieden. Dabei wird aber auch in diesen Leitlinien der Begriff der Koordinierung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes gleichsam fingiert. Es wird als ausreichend angesehen, dass ein Mindestmaß an übereinstimmenden Interessen besteht, das Marktverhalten der zum Oligopol gehörenden Unternehmen überwacht, und abweichendes Individualverhalten hinreichend sanktioniert werden kann. Potenzielle Wettbewerber oder Kunden dürfen diesen closed shop nicht stören. Die Dauerhaftigkeit wird vor allem durch die Tradition koordinierten Verhaltens indiziert.301 Damit wird der Bereich der Koordinierung derart weit ausgedehnt, dass er de facto kein konstitutives Merkmal mehr bildet, sondern allein aus der Marktstruktur erklärbar wird. Reine Verschiebungen der Marktstruktur hingegen sollte die Neufassung der Fusionskontrollverordnung (FKVO (EG) Nr. 139/2004) durch die Loslösung einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs von dem Merkmal der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung einbeziehen. Daher ist eine solche zur Konturlosigkeit führende Ausdehnung von Koordinierungen bzw. einer kollektiven beherrschenden Marktstellung gar nicht notwendig. Wird allerdings dieser Weg in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und der Kommission gewählt, bleibt für die eigentliche Ausdehnung der Fusionskontrollverordnung auf oligopolistische Marktstrukturen und deren negative Wirkungen auf den wirksamen Wettbewerb auch ohne Koordinierung nur noch sehr wenig Raum. Jedenfalls ist auch bei einer weiten Konzeption des Begriffs der kollektiven marktbeherrschenden Stellung notwendig, dass deren Begründung oder Verstärkung geeignet ist, effektiven Wettbewerb auf dem Markt erheblich und dauerhaft zu behindern. Diese negative Wirkung muss unmittelbare und sofortige Folge des Zusammenschlusses sein. Wird hingegen der aktuelle Wettbewerb nicht wesentlich verändert, liegt kein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 300
301
Näher zur konkreten Entscheidung im Vergleich zur Kommission, die entgegen dem EuG im vorliegenden Fall eine kollektive marktbeherrschende Struktur annahm, Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 120 ff. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 43 ff).
1818
1819
1820
1821
678
Kapitel 9 Fusionskontrolle
vor, und der Zusammenschluss ist gem. Art. 2 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären.302 Es genügt aber, wenn der Zusammenschluss die Bedingungen und die Struktur des Wettbewerbs spürbar verändern kann, mithin die Eignung dazu besteht, die Wettbewerbsmöglichkeiten der Konkurrenz spürbar zu verändern.303 VI.
Erhebliche Behinderungen wirksamen Wettbewerbs durch Oligopole
1.
Abgrenzung zu Koordinierungen und marktbeherrschender Stellung
1822 Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 hebt die Begründung und Verstärkung einer beherrschenden Stellung nur besonders heraus, ohne sie zu verlangen, um Zusammenschlüsse wegen einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt scheitern zu lassen. Die fehlende Erwähnung oligopolistischer Marktstrukturen spricht nicht etwa dafür, dass sie außer Betracht bleiben müssen. Vielmehr zeigt das „insbesondere“, dass neben einer beherrschenden Stellung auch andere Strukturen den wirksamen Wettbewerb erheblich behindern können. Verhaltensaspekte bleiben hingegen außer Betracht. Daher sind neben einer beherrschenden Stellung Strukturen erfasst, die, ohne eine solche zu bilden, sich gleichwohl in deutlich spürbarer Weise negativ auf den Wettbewerb auswirken können. Die Fusionskontrollverordnung wählt eine wirkungsbezogene Betrachtungswei1823 se, die von formalen Vorgängen, wie sie Art. 81 f. EG voraussetzen, losgelöst ist. Nach Erwägungsgrund 25 soll sie sich gerade auf diejenigen wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erstrecken, die weder auf einem koordinierten Verhalten beruhen noch mit einer beherrschenden Stellung auf dem jeweiligen Markt einhergehen.304 Damit sind Strukturen gemeint, in denen Unternehmen, ohne sich eigens abzustimmen, eine parallele Interessenlage haben, aus der bereits selbst ein paralleles Verhalten folgt. Das ist namentlich dann der Fall, wenn auf einem Markt lediglich wenige Wettbewerber vorhanden sind, diese ähnliche Strukturen im Hinblick auf Kosten und Preisbildung haben und daher am besten fahren, wenn sie sich parallel verhalten. Bricht ein Einzelner etwa durch einen Preisvorstoß aus, bringt es ihm nichts, weil die anderen entweder sofort nachziehen oder die Märkte derart verteilt sind, dass sich das Nachfrageverhalten nicht ändert. Allerdings wird solchen parallelen Verhaltensweisen vielfach nachgeholfen, in1824 dem sich die Partner gegenseitig informieren oder gar absprechen. In solchen Fäl-
302 303 304
EuG, Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 (2611 f., Rn. 58) – Airtours; bereits EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (786, Rn. 94) – Gencor. EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (807, Rn. 170; 809, Rn. 180; 814, Rn. 193) – Gencor S. bereits o. Rn. 1669.
§ 3 Beurteilungsmaßstab
679
len ist vielfach bereits das Kartellverbot nach Art. 81 EG einschlägig.305 Die Fusionskontrolle soll die insoweit verbleibenden Lücken schließen. Dies ergibt sich aus ihrem Zweck, den durch Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG vorgegebenen wirksamen Wettbewerb zu sichern. Praktische Beispiele sind Automobile, Chemie, (Mineral-)Öl und die Pharmazie.306 Damit ist es auch nicht erforderlich, dass eine kollektive beherrschende Stellung 1825 besteht, welche eine gewisse Gemeinsamkeit im Handeln voraussetzt und damit Verflechtungen bedingt, die bei einem bloßen Parallelverhalten infolge vergleichbarer Interessenlagen gerade fehlen. Ausgeschlossen ist eine solche Verdichtung bei oligopolistischen Marktstrukturen gleichwohl nicht. Dann greift aber die Fusionskontrolle bereits auf der Basis der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung ein.307 Wie bereits dargestellt, sind die auf einem parallelen Verhalten der Mitglieder eines Oligopols beruhenden negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb schon dadurch erfasst, dass Rechtsprechung und Kommission auch ohne eine rechtliche oder tatsächliche Koordinierung eine kollektive marktbeherrschende Stellung einnehmen. Folgt man dieser Sicht, wogegen freilich das sonstige Anforderungsprofil an eine marktbeherrschende Stellung spricht, bleibt für erhebliche Behinderungen wirksamen Wettbewerbs außerhalb einer beherrschenden Stellung und damit ohne Koordinierung lediglich ein geringer Restanwendungsbereich.308 2.
Anwendungsfälle
a)
Verschiebung der Marktstruktur
Zumindest greift die Erweiterung des Unvereinbarkeitstatbestandes entsprechend 1826 Erwägungsgrund 25 des Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei denjenigen wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses, welche sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden.309 Auch an einer vorauseilenden Koordinierung im Oligopol und damit an einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung fehlt es jedenfalls dann, wenn die wettbewerbsschädlichen Wirkungen nicht aus einem Parallelverhalten erwachsen, sondern allein aus einer Verschiebung der Marktstruktur. Eine solche liegt namentlich dann vor, wenn unter den bisherigen Mitgliedern eines Oligopols zwei fusionieren und damit die Zahl der Wettbewerber noch geringer wird. Ob sich daraus vor dem Hintergrund eines wirksamen Wettbewerbs nicht hinnehmbare Spielräume des zusammengeschlossenen Unternehmens ergeben, lässt sich mitunter schwer beurteilen. Die Kommission sah sie bei der Übernahme von Peoplesoft durch Oracle trotz aufwändiger Studien als nicht erwiesen an.310 Eine andere mögliche Konstellation ist die, dass 305 306 307 308 309 310
S.o. Rn. 525 ff. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 107. S.o. Rn. 1814 ff. sowie o. Rn. 1392 ff. Näher o. Rn. 1820. Näher o. Rn. 1669, 1823. KOME M.3216 – Oracle/Peoplesoft.
680
Kapitel 9 Fusionskontrolle
ein Oligopolist einen besonders aggressiven Wettbewerber übernimmt, welcher bisher zumindest noch die Chance dafür verkörperte, die Verkrustung von Marktstrukturen aufzubrechen und den etablierten Anbietern Anteile abzujagen.311 b)
Vertikale Erweiterung
1827 Eine Fusion kann auch dann wirksamen Wettbewerb erheblich behindern, wenn sie zu einem Ausgreifen in vertikaler Richtung führt, indem sie einem Unternehmen etwa ein Einsatzmittel oder Vertriebsmöglichkeiten hinzugewinnt312 und dann kleineren Unternehmen oder potenziellen Wettbewerbern den Marktzugang erheblich erschwert. Das gilt insbesondere für den Zugriff auf Netze, über welche Leistungen transportiert und an den Endverbraucher geliefert werden.313 Insoweit bestehen Parallelen zu den essential facilities, deren Vorenthaltung missbräuchlich sein kann, wenn sie für Wettbewerber die Grundlage ihrer Aktivitäten bilden.314 Da die Fusionskontrolle früher ansetzt, kann schon die Agglomeration solcher 1828 Infrastruktureinrichtungen in der Hand eines mächtigen Unternehmens wirksamen Wettbewerb i.S.v. Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erheblich behindern, fühlen sich doch besonders neue Marktteilnehmer von einer solchen Zusammenballung der für die Leistungserbringung wesentlichen Ressourcen abgeschreckt. Daher kann die Fusionskontrolle entsprechend präventiv eingreifen. c)
Horizontaler Zusammenschluss
1829 In erster Linie werden allerdings die negativen Wirkungen auf den Wettbewerb allein schon durch den Zusammenschluss zweier bedeutender Unternehmen erfasst. Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn das fusionierte Unternehmen nunmehr eine bestimmte Produkt- bzw. Leistungskategorie praktisch allein inne hält, ohne dass die Wettbewerber als Ersatz fungieren könnten. Diese Ersatzfunktion kann daran scheitern, dass die angebotene Leistung zu verschieden ist oder aber die Kapazität fehlt, etwaige Marktlücken zu füllen. Denn dann entsteht ein Anreiz für das aus der Fusion hervorgegangene Unternehmen, die Produktion zu drosseln und dann den Preis zu erhöhen. In diesem Fall ist eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs wahrscheinlich, andernfalls nicht.315
311
312
313 314 315
S. KOME 2003/777/EG, ABl. 2003 L 291, S. 1 (Rn. 122, 142) – Siemens/Drägerwerk, wo Siemens als aufholender und dynamischer Wettbewerber wegfiel. Im Zusammenhang Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 138. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 36). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 138. S.o. Rn. 1354 ff. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 28, 33 f.).
§ 3 Beurteilungsmaßstab
d)
681
Parallelverhalten
Damit bleibt ein Restanwendungsbereich für den erweiterten Vereinbarkeitstatbe- 1830 stand nach Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch bei einer sehr weiten Ausdehnung der kollektiven gemeinsamen Marktstellung. Lehnt man eine solche Überdehnung dieses Institutes ab, so können diese Fälle gleichwohl unter den Ansatz nach Erwägungsgrund 25 am Ende der FKVO (EG) Nr. 139/2004 gefasst werden. Bei einem bloßen Parallelverhalten, und sei es auch durch die Marktstruktur bedingt, liegt im eigentlichen Wortsinn kein koordiniertes Verhalten von Unternehmen vor.316 Diese stimmen ihr Verhalten nicht aufeinander ab, sondern agieren nur faktisch wie die Wettbewerber. Aus dem Oligopol ergibt sich für das jeweilige Unternehmen keine beherrschende Stellung auf dem jeweiligen Markt. Sieht man das Parallelverhalten als solches nicht als verbindend an, fehlt es an diesem Merkmal. Es ist dann nur zu prüfen, ob durch das Parallelverhalten der Oligopolisten wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird. Den Umweg über die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung durch kollektives Verhalten ist dadurch entbehrlich.
J.
Effizienzvorteile
Einem Zusammenschluss mit seinen wettbewerbsschädlichen Wirkungen können 1831 auch Vorteile anhaften. Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 nennt eine Fülle verschiedener Faktoren, die bei einer Prüfung von Fusionen zu berücksichtigen sind. Dazu zählen die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert. Durch den letzten Aspekt wird ein Element aufgegriffen, das zentral im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG ist und Koordinierungen zwischen Unternehmen zu rechtfertigen vermag. Führen Fusionen zu solchen Fortschritten im technischen und wirtschaftlichen Bereich, sind auch sie nach parallelen Maßstäben zu bewerten. Allerdings müssen diese Vorteile wie im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG dem 1832 Verbraucher dienen317 und gerade durch die Fusion erreicht werden können. Dies muss realisierbar und nachprüfbar sein.318 Sie dürfen zudem den Wettbewerb nicht über Gebühr behindern. Jedenfalls darf nicht der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil des Marktes ausgeschaltet werden. Im Übrigen bedarf es einer Abwägung der Vor- und Nachteile. Denn der Wettbewerb ist eingebunden in den Gemeinsamen Markt. Sein Zweck ist, den technischen Fortschritt ungestört voran316 317 318
S.o. Rn. 1818 ff. Infolge der generellen Ausrichtung des Wettbewerbsrechts auf den Verbraucher ist dagegen nichts einzuwenden; anders Kapp/Meßmer, EuZW 2005, 161. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 79 ff., 86 ff.).
682
Kapitel 9 Fusionskontrolle
kommen und dadurch dem Verbraucher entsprechende Vorteile zukommen zu lassen.319 Letztlich geht es darum, den Wettbewerb zum Vorteil der Verbraucher zu beleben. Erfüllt eine Fusion diesen Zweck, können nachteilige Wirkungen auf den Wettbewerb aufgehoben werden.320 Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich eine umgekehrte Relation: Je stärker 1833 die Einwirkungen auf den Wettbewerb sind, desto höher müssen die rechtfertigenden Gesichtpunkte sein.321 Diese können gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch darin bestehen, dass die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer steigen, sich also die Angebotsvielfalt erhöht. Das erinnert an die Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung nach Art. 81 Abs. 3 EG. Durch Zusammenschlüsse kann sich auch der Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten verbessern, so wenn Zuliefermaterialien aus einer Hand geliefert werden können und sich damit die darauf angewiesenen Hersteller nicht mehr bei verschiedenen Anbietern eindecken müssen. Insoweit ist allerdings sorgfältig darauf zu achten, inwieweit durch eine solche Konzentration des Angebotes umgekehrt Wettbewerbsnachteile entstehen und Nachfrager gezwungen werden, gleich ein ganzes Paket abzunehmen statt nur einzelne Erzeugnisse.322 Insgesamt gilt es, eine Gesamtbetrachtung anzustellen und die negativen und 1834 positiven Wirkungen einer Fusion einander gegenüber zu stellen. Nur wenn die positiven Wirkungen überwiegen, ist eine Fusion für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. Grundsätzlich sind nämlich erhebliche Behinderungen wirksamen Wettbewerbes zu vermeiden. Daher müssen die positiven Gesichtspunkte entsprechend gewichtig und auch wahrscheinlich sein, um eine negative Wirkung aufwiegen zu können.323
K.
Sanierungsfusionen
1835 Leitgedanke der Fusionskontrolle ist letztlich, dass wirksamer Wettbewerb zum Nutzen der Verbraucher im Ergebnis möglichst intakt bleibt. An einer Schädigung des Wettbewerbs fehlt es bei einem Zusammenschluss mit einem Unternehmen, das ohne die Verbindung mit einem stärkeren Partner vom Markt gänzlich verschwinden würde, weil es vorhersehbar zahlungsunfähig ist.324 Der Verbraucher erlitte vielfach größeren Schaden, wenn das insolvenzbedrohte Unternehmen ge319 320
321
322 323 324
S.o. Rn. 897 ff. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 77). Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 84). S.o. Rn. 1800. S.o. Rn. 844 f., 864 ff., 882, 889 a.E. Auch Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5 (Rn. 90).
§ 3 Beurteilungsmaßstab
683
schlossen werden müsste; die Genehmigung einer Fusion – ggf. mit Auflagen – ist dann von größerem Nutzen als eine Verbotsentscheidung.325 Das übernehmende Unternehmen würde in einem solchen Fall ohnehin eine beherrschende Stellung bekommen. Die Fusion führt zu einer solchen bereits vor der Insolvenz des übernommenen Unternehmens. Daher ist der Zusammenschluss dann nicht kausal. Die Kausalität könnte selbst dann fehlen, wenn das erwerbende Unternehmen 1836 ohne den Zusammenschluss nicht den gesamten Marktanteil des erworbenen Unternehmens erhielte. Jedoch hebt der EuGH selbst hervor, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Zusammenschluss und der Verschlechterung der Wettbewerbsstruktur lediglich dann ausgeschlossen werden kann, wenn diese Verschlechterung auch ohne den Zusammenschluss in gleicher Weise eintreten würde.326 So wird vermieden, dass ein Unternehmen durch den Zusammenschluss alle Marktanteile an sich reißt, welche ansonsten voraussichtlich zwischen verschiedenen Wettbewerbern aufgeteilt worden wären. Genau darin liegt durch den Zusammenschluss eine stärkere Beeinträchtigung des Wettbewerbes als ohne ihn. Eine andere Frage ist dann, inwieweit durch die Übernahme eines insolvenzreifen Unternehmens eine gesündere Produktionskapazität aufrecht erhalten bleibt und damit im Interesse des Verbrauchers Effizienzvorteile verbunden sind, welche eine geringfügig stärkere Konzentration im Markt rechtfertigen. Dass bei einer Zahlungsunfähigkeit eines übernommenen Unternehmens der 1837 Wettbewerb im Ergebnis letztlich nicht beeinträchtigt wird, korrespondiert mit dem Ansatz, dass Wettbewerb gesteigert wird, wenn ein neues Produkt nur durch eine Koordinierung auf den Markt gebracht werden kann.327 Nur setzt dieser Gedanke am anderen Ende an, nämlich bei der Frage, ob ein Unternehmen sowieso vom Markt verschwindet und damit als Wettbewerber nicht mehr zur Verfügung steht, mithin in die Wettbewerbsstruktur eine Lücke gerissen wird. Da diese Lücke sowieso entsteht, mag es für den Wettbewerb genauso effektiv oder effektiver sein, wenn sie durch eine Übernahme geschlossen wird. Ausdruck des Wettbewerbs und freier Unternehmensentscheidung ist es hingegen, wenn ein Unternehmen aus finanziellen Erwägungen seiner Gesellschafter aus dem Markt verschwindet, weil sich die mit ihm verbundenen Erwartungen nicht erfüllt haben.328 Hier fehlt die Zwangsläufigkeit des Marktrückzugs. Aber auch bei einer Insolvenz ist die Wettbewerbsneutralität der Übernahme nur dann gewährleistet • • •
325 326 327 328 329
wenn das erworbene Unternehmen ohne die Übernahme durch ein anderes tatsächlich kurzzeitig aus dem Markt ausscheiden würde, die Marktposition des Unternehmens bei einem solchen Ausscheiden dem erwerbenden Unternehmen ohnehin zuwachsen würde und es keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative gibt.329
KOME 2003/777/EG, ABl. 2003 L 291, S. 1 – Siemens/Drägerwerk. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1488, Rn. 114 f.) – Kali und Salz. Dazu o. Rn. 71 ff., 1084. S. KOME M.2876 – Newscorp/Telepiu. EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 (1487, Rn. 111) – Kali und Salz. Zum Ganzen ausführlich Bergau, Die Sanierungsfusion im europäischen Kartellrecht, 2003.
684
1838
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Dieser letzte Aspekt steht gleichsam für die Erforderlichkeit. Er ist sehr sorgfältig auch im Hnblick darauf zu prüfen, ob Dritte einzelne Gegenstände des von einer Zahlungsunfähigkeit bedrohten Unternehmens erwerben könnten. Insoweit würde dann eine Konzentration bei einem Übernehmer vermieden. Dann würden diese zudem nicht unweigerlich aus dem Markt ausscheiden.330
§ 4 Verfahren A.
Grundablauf
1839 Liegt ein Zusammenschluss mit gemeinschaftsweiter Bedeutung nach Art. 1 und 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vor, so ist dieser gem. Art. 4 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 frühestens nach Vertragsschluss, spätestens aber vor seinem Vollzug bei der Kommission anzumelden. Nach Art. 4 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist eine Anmeldung sogar schon dann möglich, wenn die beteiligten Unternehmen der Kommission glaubhaft machen, dass ein solcher Zusammenschluss beabsichtigt ist. Mit dieser Änderung wurde auf die Wünsche nach einer Flexibilisierung der Anmeldung reagiert,331 die nach Art. 4 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 binnen Wochenfrist nach einem Vertragsschluss, der Veröffentlichung eines Kaufoder Tauschangebotes oder des Erwerbs einer die Kontrolle begründenden Beteiligung erfolgen musste. Nunmehr können Unternehmen durch die frühzeitige Anmeldung das Verfahren insgesamt beschleunigen und bereits im Vorfeld eines Zusammenschlusses für Planungssicherheit sorgen, was die Kosten reduziert.332 Nach Eingang einer Anmeldung prüft die Kommission gem. Art. 6 FKVO (EG) 1840 Nr. 139/2004, ob der Zusammenschluss überhaupt unter die Funktionskontrollverordnung fällt. Ist dies der Fall, bestehen aber keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, so trifft sie eine Vereinbarkeitsentscheidung (Art. 6 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Hat sie Bedenken, so leitet sie ein Prüfungsverfahren ein (Art. 6 Abs. 1 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004). In Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sind die Entscheidungsbefugnisse der Kommission im Rahmen des Prüfungsverfahrens festgelegt. Nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann die Kommission die Prüfung eines angemeldeten Zusammenschlusses an die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaates verweisen. Gem. Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann ein solcher Verweisungsantrag auch von den beteiligten Unternehmen gestellt werden.333 In Art. 13 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sind im Einzelnen die Befugnisse gere1841 gelt, die der Kommission im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens zukommen: 330 331 332 333
Darauf abstellend KOME M.2876 – Newscorp/Telepiu. Staebe/Denzel, EWS 2004, 194 (197) m.w.N. Berg, BB 2004, 561 (566). Zu dem Verweisungssystem der neuen FKVO (EG) Nr. 139/2004 ausführlich Berg, BB 2004, 561 (564) und mit Schaubildern Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 46 ff.) und die verschiedenen Anhänge.
§ 4 Verfahren
685
So darf sie die Räumlichkeiten der jeweiligen Unternehmen betreten (Art. 13 Abs. 2 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004), Auskünfte verlangen (Art. 13 Abs. 2 lit. e) FKVO) oder Geschäftsunterlagen einsehen (Art. 13 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004) und Kopien anfertigen (Art. 13 Abs. 2 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Zur Durchsetzung dieser Befugnisse kann die Kommission gem. Art. 14, 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Geldbußen bzw. Zwangsgelder festsetzen. Zur schnelleren Abwicklung unproblematischer Zusammenschlüsse ist in Art. 3 1842 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 802/2004 ein vereinfachtes Verfahren mit eigenem Formblatt nach Anhang II der VO (EG) Nr. 802/2004 vorgesehen. Verfahren und Entscheidung sind verkürzt. Grundvoraussetzung dafür ist, dass kein Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken entsteht.334
B.
Anmeldung
I.
Zeitpunkt
Ein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung nach Art. 1, 3 FKVO 1843 (EG) Nr. 139/2004 ist bei der Kommission anzumelden, bevor er vollzogen wird. Diese kann ohne Zustimmung der Parteien vor der Anmeldung keine Untersuchung einleiten.335 Grundsätzlich hat eine Anmeldung erst dann zu erfolgen, wenn der Zusammenschluss konkret absehbar ist, das Verpflichtungsgeschäft bzw. der zum Zusammenschluss führende Tatbestand bereits verwirklicht ist, so dass sich die Parteien praktisch nicht mehr entziehen können. Je nach dem, wie der Zusammenschluss erfolgt, zählt hierfür gem. Art. 4 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 der Abschluss eines Vertrags, die Veröffentlichung des Übernahmeangebots bzw. der Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung. Der Vertragsabschluss ist vor allem bei Fusionen relevant, aber auch bei Verträgen, welche eine Kontrolle begründen, ohne dass eine Beteiligung erworben wird. Die Veröffentlichung des Übernahmeangebotes ist dem Anteilserwerb vorgeschaltet. Damit werden die verschiedenen Formen des Zusammenschlusses nach Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfasst. Mit einer Anmeldung muss allerdings nicht gewartet werden, bis der den Zu- 1844 sammenschluss begründende Vorgang zustande gekommen ist. Der Vertrag über eine Fusion oder den Erwerb von Vermögensgegenständen eines anderen Unternehmens muss noch nicht geschlossen sein, das Übernahmeangebot noch nicht abgegeben worden sein. Die an diesen Vorgängen beteiligten Unternehmen müs-
334
335
Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 1); näher u. Rn. 1919 ff. XXXIII. Wettbewerbsbericht 2003, Tz. 226; “DG Competition, Best Practices on the conduct on EC merger proceedings”, der Text des Dokumentes ist von der Website der GD Wettbewerb der Kommission, Bereich Veröffentlichungen/Merger Reform, herunterladbar (gesehen am 7.9.2005).
686
Kapitel 9 Fusionskontrolle
sen gem. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nur der Kommission gegenüber glaubhaft machen, dass sie einen Vertrag schließen wollen. Die Absicht, einen Vertrag zu schließen, kann dadurch glaubhaft gemacht wer1845 den, dass eine von allen beteiligten Unternehmen unterzeichnete Grundsatzvereinbarung, Übereinkunft oder Absichtserklärung vorgelegt wird; dadurch kann der Plan für den beabsichtigten Zusammenschluss ausreichend konkret gewollt erscheinen.336 Oder die beteiligten Unternehmen müssen gem. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 2. Alt. FKVO (EG) Nr. 139/2004 öffentlich ihre Absicht bekunden, ein Übernahmeangebot abzugeben. Ist damit der eindeutige subjektive Wille erkennbar, einen Zusammenschluss einzuleiten, ist die Möglichkeit einer Anmeldung eröffnet, sofern bei weiterem Fortgang ein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung entsteht. Diese Option ermöglicht den Unternehmen, frühe Rechtssicherheit darüber zu 1846 bekommen, ob ein Zusammenschluss mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Ist dies nicht der Fall, kann das weitere Procedere unterbleiben. Zudem steht früher eine Entscheidung fest, was den Vollzug eines Vertrages oder die Abwicklung einer Übernahme und vor allem das Vertrauen Dritter auf den Bestand dieser Vorgänge erheblich verstärkt und damit wirtschaftliche Vorteile bringt. Eine zusammengeschlossene unternehmerische Einheit ist dann wesentlich früher handlungsfähig. Daher sollte eine Anmeldung so früh wie möglich erfolgen. Die beabsichtigten Zusammenschlüsse nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 werden nach UAbs. 3 vollständig den tatsächlich in die Wege geleiteten, wenn auch noch nicht vollzogenen Zusammenschlüssen gleichgestellt. II.
Vorgelagerter Antrag als Weichenstellung für die Zuständigkeit
1.
Verweisung an eine nationale Behörde
a)
Voraussetzungen
1847 Bereits bevor ein Zusammenschluss angemeldet wird, kann die Zuständigkeit gesteuert werden. Grundsätzlich wird die Fusionskontrolle bei Zusammenschlüssen von gemeinschaftsweiter Bedeutung von der Kommission durchgeführt. Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ermöglicht in solchen Fällen den zu einem Antrag nach Art. 4 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verpflichteten Personen bzw. Unternehmen, bei der Kommission die Prüfung durch einen Mitgliedstaat zu beantragen. Damit kann also die Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörden begründet werden. Voraussetzung ist ein begründeter Antrag mit den Komponenten nach Art. 6 1848 Abs. 1 i.V.m. Anhang III VO (EG) Nr. 802/2004 im Formblatt RS. In diesem Antrag ist mitzuteilen und damit auch näher darzulegen, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb in einem Markt innerhalb eines Mitgliedstaates erheblich beeinträchtigen könnte und die beantragte Wettbewerbsbehörde für die Untersuchung 336
S. den 34. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004.
§ 4 Verfahren
687
besonders geeignet ist.337 Insoweit ist also eine Prognose über die Wettbewerbswirkungen des Zusammenschlusses zu stellen, nicht ein Nachweis über die Schädlichkeit.338 Zudem muss der Mitgliedstaat einen gesonderten Markt bilden. Er muss also der räumlich relevante Markt sein. Es darf sich mithin nicht um erbrachte Leistungen handeln, welche etwa gemeinschaftsweit einheitlich dargeboten und nachgefragt werden.339 Erst dadurch entsteht der Bezug spezifisch zu einem Mitgliedstaat, der es rechtfertigt, eine nationale Behörde entscheiden zu lassen. Damit wird nicht verlangt, dass keine gemeinschaftsweiten Auswirkungen auf- 1849 treten. Der Anwendungsbereich der FKVO (EG) Nr. 139/2004 nach deren Art. 1 kann also durchaus eröffnet sein. Diese Weichenstellung greift nach Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 schon dann ein, wenn auch bei gemeinschaftsweiten Auswirkungen der Wettbewerb in einem Mitgliedstaat erheblich beeinträchtigt werden könnte. Die Erheblichkeit ist dabei aufgrund der parallelen Begriffswahl ebenso zu beurteilen wie nach Art. 2 Abs. 2 bzw. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Nur ist die Erheblichkeit auf den nationalen Markt zu beziehen. Ein solcher der Anmeldung vorgelagerter Antrag ist von der Kommission nach 1850 Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unverzüglich und damit ohne schuldhaftes Zögern an alle Mitgliedstaaten weiterzuleiten. Der Mitgliedstaat, dessen Prüfung in dem Antrag begehrt wird, hat innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt des Antrages mitzuteilen, ob er ihm zustimmt oder nicht. Unternimmt er innerhalb dieser Frist nichts, wird nach Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 S. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 seine Zustimmung fingiert. Daraus ergibt sich aber noch nicht eine Verweisung des Falles an ihn. Vielmehr 1851 wird damit nur die Entscheidungsbefugnis der Kommission eröffnet, den Fall an ihn zu verweisen. Sie muss selbst prüfen, ob ein gesonderter Markt besteht und der Wettbewerb in diesem durch den Zusammenschluss erheblich beeinträchtigt werden könnte. Sie ist also die zuständige Prüfungsbehörde, ob die im Antrag näher dargelegten Voraussetzungen zutreffen. b)
Ermessensentscheidung der Kommission
So wie der Antrag den gesamten Fall oder einen Teil des betroffenen Falles um- 1852 fassen kann, kann auch die Kommission ganz oder teilweise an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaates verweisen. Sie muss es aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht, sondern dies eröffnet nur ihr Ermessen, wie die Formulierung „kann“ in Art. 4 Abs. 4 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 deutlich macht. Wie im Rahmen der Verweisung nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist auch 1853 hier zu beachten, dass grundsätzlich lediglich eine Anlaufstelle zuständig sein soll.340 Die Rechtssicherheit spielt insofern eine geringere Rolle, als noch keine Anmeldung erfolgt ist. Jedoch bedarf es angesichts knapper Fristen auch insoweit 337 338 339 340
Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 61). 16. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. S. näher o. Rn. 1766. Näher u. Rn. 1946.
688
Kapitel 9 Fusionskontrolle
einer raschen Entscheidung, so dass die Umstände klar absehbar sein müssen, um eine Verweisung zu befürworten.341 Je eher Wettbewerbsprobleme auf mehreren Märkten auftreten und ein kohä1854 rentes Paket von Abhilfemaßnahmen erforderlich ist, desto weniger kommt eine Verweisung in Betracht. Ihr Sinn kann sich daraus ergeben, dass sich die Wettbewerbsbedingungen auf den betroffenen nationalen Märkten deutlich unterscheiden.342 Jedenfalls ist sie auch dann nicht ausgeschlossen, wenn negative Folgen eines Zusammenschlusses auf Märkten verschiedener Mitgliedstaaten in starkem Maße auftreten oder zu befürchten sind. Der starke Ermessensspielraum,343 den die Kommission befürwortet, ist allerdings wie im Rahmen von Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gebunden. Übt die Kommission ihr Ermessen nicht wie beantragt aus oder widerspricht 1855 der Mitgliedstaat, an den verwiesen werden soll, führt der Antrag nur zu einem beachtlichen Zeitverlust. Das gälte zumal dann, wenn die Kommission später im Rahmen von Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 dennoch an den Mitgliedstaat verweisen könnte, obwohl der Antrag nach Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 abgewiesen wurde. Diese Möglichkeit widerspricht aber dem Ziel der Fusionskontrollverordnung, den Beteiligten möglichst schnell Klarheit über die Zulässigkeit des Zusammenschlusses zu verschaffen.344 Zudem knüpfen beide Vorschriften an die Existenz eines gesonderten Marktes an. c)
Folgen
1856 Soweit die Kommission der beantragten Verweisung zustimmt, greift das Wettbewerbsrecht des beantragten Mitgliedstaates ein, und die Fusionskontrollverordnung bleibt damit außer Betracht. Allerdings sind vielfach die nationalen Rechtsordnungen bereits dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht angeglichen. Besonderheiten ergeben sich aus Art. 9 Abs. 6-9 FKVO (EG) Nr. 139/2004.345 Eine Anmeldung bei der Kommission hat nach Art. 4 Abs. 4 UAbs. 5 FKVO 1857 (EG) Nr. 139/2004 nicht mehr zu erfolgen, wird also durch die positive Verbescheidung eines Antrages auf Verweisung an einen Mitgliedstaat hinfällig. Das gilt selbst dann, wenn die Kommission keine fristgerechte Entscheidung trifft. Sie muss nämlich nach Art. 4 Abs. 4 UAbs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang des begründeten Antrages bei ihr entscheiden und diese Entscheidung dann den beteiligten Personen bzw. Unternehmen sowie den von ihnen nicht beantragten Mitgliedstaaten mitteilen. Erfolgt diese Entscheidung nicht, fingiert Art. 4 Abs. 4 UAbs. 4 S. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Verweisung des Antrages. 341 342 343 344 345
Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 13 f.). Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 22). Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 21). Hellmann, EWS 2004, 289 (292). S.u. Rn. 1947.
§ 4 Verfahren
2.
689
Verweisung an die Kommission
Art. 4 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 betrifft den umgekehrten Fall, dass näm- 1858 lich ein Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat und damit eigentlich der Anwendungsbereich der FKVO (EG) Nr. 139/2004 nach deren Art. 1 gar nicht eröffnet ist, gleichwohl aber eine Kontrolle durch die Kommission gewollt wird. Dafür muss allerdings ein Zusammenschluss die Besonderheit aufweisen, dass er nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte. Er muss damit in drei Mitgliedstaaten erhebliche Auswirkungen auf den dortigen Wettbewerb haben. Daraus ergibt sich zumindest eine Relevanz in mehreren Mitgliedstaaten, so dass kein rein auf einen Mitgliedstaat bezogener nationaler Sachverhalt vorliegt. Dann können die Beteiligten vor Anmeldung bei den nationalen Behörden bei der Kommission mit parallelen Angaben gem. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Anhang III VO (EG) Nr. 802/2004 und entsprechender Begründung wie nach Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beantragen, dass sie den Zusammenschluss prüfen soll. Ausschlaggebend ist auch in diesem Rahmen, inwieweit die Prüfung von Auswirkungen in mehreren Ländern durch eine Behörde durchgehend und übergreifend auch im Hinblick auf mögliche Abhilfemaßnahmen erfolgen soll. Die Kommission ist als zuständige Behörde umso geeigneter, je eher wettbewerbsbeeinträchtigende Auswirkungen in mehreren Ländern auftreten.346 Die Kommission leitet auch diesen Antrag gem. Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 FKVO 1859 (EG) Nr. 139/2004 an alle Mitgliedstaaten weiter. Ein nach seinem Wettbewerbsrecht zuständiger Mitgliedstaat kann innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt die im Antrag gewünschte Verweisung ablehnen (Art. 4 Abs. 5 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004). Um die Verweisung zu verhindern, genügt nach Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Ablehnung eines dieser ablehnungsberechtigten Mitgliedstaaten. Die Kommission teilt dann allen Mitgliedstaaten und den beteiligten Personen bzw. Unternehmen die sich daraus ergebende Ablehnung mit. Lehnt hingegen kein Mitgliedstaat fristgerecht die beantragte Verweisung ab, 1860 entsteht nach Art. 4 Abs. 5 UAbs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Vermutungswirkung dafür, dass der Zusammenschluss eine gemeinschaftsweite Bedeutung hat. Innerstaatliches Wettbewerbsrecht ist daher ausgeschlossen, die nationalen Behörden können nicht tätig werden. Vielmehr ist der Zusammenschluss nach Art. 4 Abs. 1, 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei der Kommission anzumelden. III.
Antragsinhalt
Zur Antragstellung verpflichtet sind nach Art. 4 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 1861 die Personen oder Unternehmen, welche den Zusammenschlusstatbestand auslösen. Das sind nach dieser Vorschrift diejenigen, welche gemeinsam eine Fusion durchführen oder die gemeinsame Kontrolle an einem Unternehmen begründen. 346
Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 28 ff.).
690
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Geht der Zusammenschluss nur von einer Person oder einem Unternehmen aus, das dann die Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer Unternehmen erwirbt, liegt nur ein Anmeldepflichtiger vor. In anderen Fällen bedarf es eines gemeinsamen Antrages und damit einer entsprechenden Abstimmung der Verpflichteten. Der Inhalt des Antrages ergibt sich im Einzelnen aus Anhang I der VO (EG) 1862 Nr. 802/2004. Darin sind in verschiedenen Abschnitten die einzelnen Punkte aufgeführt, welche in einen solchen Antrag aufzunehmen sind. Die dort genannten Punkte entsprechen im Wesentlichen den Prüfungspunkten, welche für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Zusammenschlusses beachtlich sind. So sind insbesondere die Marktanteile auf dem in erster Linie das Geschäftsfeld bildenden Markt sowie auf benachbarten Produktmärkten anzugeben, die Auswirkungen auf den Konzentrationsgrad sind zu berechnen etc.347 IV.
Veröffentlichung
1863 Wird ein Zusammenschluss angemeldet und fällt dieser unter die Fusionskontrollverordnung, so veröffentlicht die Kommission diese Tatsache nach Art. 4 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Dabei nennt sie den Namen der beteiligten Unternehmen, das Herkunftsland, die Art des Zusammenschlusses und die betroffenen Wirtschaftszweige. Sie achtet allerdings darauf, dass die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen gewahrt bleiben. Das gebieten schon die Grundrechte, welche auch den Schutz der Geschäftsgeheimnisse umfassen.348 Geschäftsgeheimnisse können etwa in Preiskalkulationen, Umsatzzahlen und auch Marktanteilen bestehen. Es ist aber denkbar, dass sensible Angaben geschwärzt bzw. aus der Information herausgelassen werden, sofern die Information nicht essenziell für die Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt ist. V.
Rücknahme
1864 Ein Fusionskontrollantrag kann auch zurückgenommen werden. Das ergibt sich aus allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen. Daher ist es unschädlich, dass die Rücknahme nicht eigens in Art. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorgesehen ist. Für sie genügt eine formelle Erklärung als Pendant zur Anmeldung nach Art. 4 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Nicht notwendig ist, dass parallel dazu das zum Zusammenschluss führende Geschäft formal widerrufen wird. Ist dies nicht der Fall, führt höchstens das dann durch die Rücknahme bedingte Fehlen der Anmeldung zur Rechtswidrigkeit eines gleichwohl durchgeführten Zusammenschlusses. Diese Konstellation ist dann so zu behandeln, als ob überhaupt keine Anmeldung erfolgt wäre. Die Kommission kann dann das Fusionskontrollverfahren nicht mehr 347 348
S. zu diesen Prüfungspunkten o. Rn. 1765 ff. S. zum europäischen Recht Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 532; vgl. BVerfGE 67, 100 (142 ff.); 65, 1 (42 f.); aus der Lit. Breuer, NVwZ 1986, 171 ff.; Engel, NVwZ 1992, 111 ff.
§ 4 Verfahren
691
weiter durchführen. Wird eine Anmeldung zu Unrecht zurückgenommen, ist nach Art. 14 Abs. 2 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Geldbuße vorgesehen. Demgegenüber sah die Kommission die bloße Rücknahme einer Anmeldung 1865 als unbeachtlich an, weil durch diese Mitteilung der zugrunde liegende Fusionsvertrag nicht angetastet worden sei und wollte das Fusionskontrollverfahren weiter führen. Dem trat das EuG zu Recht entgegen. Allein durch die Rücknahme der Anmeldung wird das Fusionsvorhaben in seiner angemeldeten Gestalt aufgegeben, und die Kommission ist zu einer Entscheidung über die Unvereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt nicht mehr befugt; jedenfalls muss sie näher aufklären.349 Zwar hat die Kommission die Kontrollkompetenz. Diese wird jedoch erst durch 1866 eine Anmeldung ausgelöst und endet daher durch die Rücknahme dieser Anmelung. Das gilt nunmehr zumal deshalb, weil Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Anmeldung schon dann ermöglicht, wenn nur der glaubhaft zu machende Wille zum Abschluss eines Zusammenschlussvertrages vorliegt.350 Ein solcher Wille kann sich ändern, ohne dass es eines formalen Aufhebungsaktes bedarf; dieser kann daher nicht parallel zur Rücknahme einer Anmeldung verlangt werden. Das gilt vor allem dann, wenn die Umsatzwerte durch einen verkleinerten Zusammenschluss womöglich unter die Schwelle in Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 fielen. Dann obliegt es dem Risiko der beteiligten Unternehmen, die Anmeldung bestehen und die Kommission weiter prüfen zu lassen351 oder aber diese zurückzunehmen. Im zweiten Fall tragen sie die Ungewissheit, dass sich die Umsätze als über der Schwelle nach Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 liegend entpuppen und daher die an sich erforderliche Anmeldung fehlt, so dass es an der erforderlichen Vereinbarerklärung als Voraussetzung für den Vollzug der Fusion mangelt. Ist der Anmeldungsantrag zurückgenommen und daher das Zusammenschluss- 1867 vorhaben aufgegeben, wird zwar das Projekt nicht mehr weiter verfolgt. Jedoch kann dies darauf zurückzuführen sein, dass die Kommission ihre ablehnende Haltung manifestierte. Das gilt auch für einen Verzicht, jedenfalls wenn er die „direkte Folge“ einer ablehnenden Kommissionsentscheidung ist.352 In solchen Fällen besteht daher ein Rechtsschutzinteresse fort. Das gilt zumal dann, sofern die Anmeldung schon vor Ergehen der Kommissionsentscheidung zurückgenommen wurde. Eine gleichwohl ergehende Untersagungsentscheidung ist nicht nur verfahrensfehlerhaft, sondern hindert einen gleichartigen Zusammenschluss in der Zukunft, kann sie doch ebenso auch später mit vergleichbarem Inhalt ergehen und bildet bereits als solche eine Belastung.353 Daher besteht trotz Rücknahme einer Anmeldung das Rechtsschutzinteresse fort, eine solche Entscheidung der Kommission
349 350 351 352 353
EuG, Rs. T-310/00 (Rn. 78 ff.) – MCI auch wegen geschützten Vertrauens auf eine andere Entscheidungspraxis. Darauf verweisend Berg, EWS 2005, 49 (56). Dahin tendierend wegen der Maßgeblichkeit der Umsatzschwellen bei der Anmeldung Staebe, EuZW 2005, 14 (15 f.). Das EuG, Rs. T-310/00 – MCI ging darauf nicht ein. Darauf bezogen EuG, Rs. T-22/97, Slg. 1999, II-3775 (3799, Rn. 64) – Kesko. Näher EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (771, Rn. 41) – Gencor.
692
Kapitel 9 Fusionskontrolle
vor dem EuG anzufechten, selbst wenn sie wegen des Wegfalls der vertraglichen Grundlage gar nicht mehr durchgeführt werden kann.354 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 EG 1868 ist ohnehin der Erlass der angefochtenen Entscheidung. Zu der dann bestehenden Sach- und Rechtslage gehören etwa auch bis dahin geltend gemachte andere öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 und deren Beurteilung durch die Kommission. Eine diese Interessen abweisende negative Entscheidung der Kommission gem. Art. 21 Abs. 4 UAbs. 3 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann daher auch nach Rücknahme der Anmeldung gerichtlich überprüft werden.355
C.
Vorabprüfung und Einleitung des Verfahrens sowie Vollzugshemmung
I.
Entscheidung über die Verfahrenseinleitung
1869 Art. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht unmittelbar nach dem Eingang der Anmeldung gem. Art. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Vorabprüfung vor, welche den weiteren Gang des Verfahrens bestimmt und damit die Weichenstellung dafür enthält, ob eine weitere Detailprüfung erfolgt. Gelangt nämlich die Kommission zu dem Schluss, dass der angemeldete Zusammenschluss nicht unter die Fusionskontrollverordnung fällt, so stellt sie dies gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) FKVO (EG) Nr. 139/2004 durch Entscheidung fest. Dieser Fall liegt namentlich dann vor, wenn eine gemeinschaftsweite Bedeutung offensichtlich fehlt, etwa weil schon die Umsatzschwellen nach Art. 1 Abs. 2 bzw. Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht erreicht sind. Ist zwar der Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung eröffnet, be1870 stehen aber keine ernsthaften Bedenken, dass der angemeldete Zusammenschluss mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, stellt sie dies durch Entscheidung nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 fest. Eine solche Entscheidung, keine Einwände zu erheben, kann die Kommission dann treffen, wenn offensichtlich der materielle Maßstab des Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfüllt ist, also wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teilmarkt nicht erheblich behindert wird. Dabei muss das Wettbewerbsproblem klar umrissen sein und leicht gelöst werden können. Dies ist für jeden Fall individuell festzustellen und wird daher nicht dadurch gehindert, dass in Parallelfällen Untersagungsverfügungen ergingen.356 Dass wirksamer Wettbewerb offensichtlich nicht erheblich behindert wird, liegt 1871 vor allem dann auf der Hand, wenn bereits keine beherrschende Stellung bejaht
354 355 356
EuG, Rs. T-310/00 (Rn. 44 ff.) – MCI; bereits Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 (772, Rn. 45) – Gencor. EuGH, Rs. C-42/01 (Rn. 43) – Portugal/Kommission. EuG, Rs. T-158/00, Slg. 2003, II-3825 (3880, Rn. 169 ff.) – ARD.
§ 4 Verfahren
693
werden kann und auch keine oligopolistischen Marktstrukturen vorhanden sind.357 Oder aber es kann kein potenzieller Wettbewerber behindert werden, weil ein solcher wegen hoher Marktzutrittsschranken gar nicht vorhanden ist.358 Mit einer solchen Entscheidung gelten auch die mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbundenen und für sie notwendigen Einschränkungen als genehmigt. Damit wird auch die Vereinbarkeit von Nebenabreden mit dem Gemeinsamen Markt fingiert.359 Wenn hingegen ernsthafte Bedenken bestehen, ob ein Zusammenschluss mit 1872 dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, trifft die Kommission nach Art. 6 Abs. 1 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Entscheidung, das Verfahren einzuleiten. Dieses kann dann nicht im Wege der Vorabprüfung abgeschlossen werden, sondern nur durch Entscheidung nach Art. 8 Abs. 1-4 FKVO (EG) Nr. 139/2004, außer es erfolgt eine Verweisung an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 oder der Zusammenschluss wurde nach glaubhaften Angaben der beteiligten Unternehmen aufgegeben. Diese Entscheidungen haben gem. Art. 10 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 1873 innerhalb von höchstens 25 Arbeitstagen nach dem Eingang der Anmeldung bzw. der vollständigen Nachholung ursprünglich unvollständig erteilter Auskünfte zu erfolgen. Diese Frist erhöht sich um zehn Arbeitstage, wenn ein Mitgliedstaat die Verweisung an ihn nach Art. 9 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beantragt oder die beteiligten Unternehmen nach Art. 6 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bestimmte Verpflichtungen eingehen, die die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt sicherstellt, Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004. II.
Möglichkeit von Zusagen
Art. 6 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht bei ernsthaften Bedenken vor, dass 1874 diese von den Unternehmen durch geeignete Änderungen an dem angemeldeten Zusammenschluss entkräftet werden können. Somit können die Unternehmen auch nach der Anmeldung schon im Rahmen der Vorabprüfung ihren Zusammenschluss angleichen und damit wettbewerbskonform gestalten. Sie müssen Änderungen allerdings schon vor der abschließenden Entscheidung der Kommission anbieten. Art. 19 Abs. 1 VO (EG) Nr. 802/2004 verlangt eine Übermittlung binnen 20 Arbeitstagen ab dem Datum des Eingangs der Anmeldung. Die Frist bezieht sich aber nur auf die Vorlage eines Angebotes als solchem. Dieses wird allerdings durch die Vorlage in seiner grundlegenden Gestalt festgelegt und kann daher nicht vollständig ausgetauscht, sondern nur ergänzt und konkretisiert werden. Abänderungen sind insoweit möglich, als nicht das ursprüngliche Angebot in seiner Grundstruktur verschoben wird. Dabei ist großzügig zu verfahren, sichern doch Zusagen von Unternehmen die Einschaltung des Wettbewerbsrechts und entlasten 357 358 359
S.o. Rn. 1769 ff., 1822 ff. EuG, Rs. T-158/00, Slg. 2003, II-3825 (3866 ff., Rn. 122 ff.) – ARD. S.o. Rn. 1723 f.
694
Kapitel 9 Fusionskontrolle
die Kommission von weiteren Untersuchungen, so dass sie sich auf andere Fälle konzentrieren kann. Daher schließt die Pflicht zu einem rechtzeitigen Angebot nicht aus, dass die Unternehmen während der Prüfung durch die Kommission noch nachbessern und damit eine Unvereinbarerklärung anwenden können. Die Kommission muss nur Zeit zu sachgerechter Prüfung haben und sich an die durch sie selbst etwa in Mitteilungen aufgestellten Grundsätze halten.360 Hier hat sich eine vielgestaltige Zusagenpraxis herausgebildet. Mittlerweile 1875 stehen bei der Kommission Mustertexte zur Verfügung. Die Arten möglicher Verpflichtungen reichen von Zusagen über die Veräußerung von Unternehmensteilen und -beteiligungen über Marktöffnungszusagen etwa durch Beendigung exklusiver Vertriebs- und Bezugsverträge, die Einräumung von Lizenzen, die Bildung einer Schnittstelle, an der sich dritte Anbieter anschließen können,361 oder die Aufnahme von Marktbeziehungen zu Wettbewerbern bis hin zu Zusagen zu sonstigen Entflechtungen namentlich im horizontalen Bereich und Einflussbegrenzungen zwischen den Parteien.362 Der Regelfall ist inzwischen die Einsetzung eines Treuhänders, welcher der Kommission die Überwachung der Einhaltung wesentlich erleichtert. Allerdings setzt dies eine grundsätzliche Unabhängigkeit von den an der Fusion beteiligten Unternehmen voraus.363 Darüber hinaus bestehen verschiedene inhaltliche Probleme, die nicht zuletzt 1876 mit dem engen Zeitfenster des Fusionskontrollverfahrens kollidieren können. Das gilt vor allem dann, wenn die Einhaltung von Zusagen von Dritten abhängt. Durch die längere Entscheidungsfrist ist nach Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch im Falle von angebotenen Verpflichtungen eine gewisse zeitliche Entspannung eingetreten. Es bleiben aber inhaltliche Schwierigkeiten, so etwa beim notwendigen Abstoßen von Marken, um in einem bestimmten Markt keine erheblichen Wettbewerbsbehinderungen im Gefolge einer marktbeherrschenden Stellung zu verursachen. Soll dann aber die Marke nicht partiell veräußert werden, um nicht ihre Einheitlichkeit zu zerstören, sondern lediglich in der Nutzung ausgeschlossen und im Übrigen durch die eigene ersetzt werden, kann dies effektiv nur durch gleichzeitige Verbote von Parallelimporten und Passivverkäufen der alten, für den betroffenen Mitgliedstaat nicht mehr zu nutzenden Marke aus anderen Mitgliedstaaten heraus sichergestellt werden. Diese müssen aber kartellrechtlich
360
361
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363
Insoweit gelten die Grundsätze nach EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 (1334, Rn. 139 f.) – BaByliss; Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1514 f., Rn. 239 ff.) – Philips weiter, die zur Dreiwochenfrist nach Art. 18 Abs. 1 VO (EG) Nr. 447/98 der Kommission vom 1.3.1998 über die Anmeldungen, über die Fristen sowie über die Anhörung nach der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 61, S. 1, entwickelt wurden. KOME 2003/792/EG, ABl. 2003 L 300, S. 62 (Rn. 68) – DaimlerChrysler/Deutsche Telekom/JV, wo auch noch die Gründung einer unabhängigen Gesellschaft für die problematische Leistung zugesagt wurde. Ausführlich mit vielfältiger Fallpraxis – allerdings noch vor der Reform der Fusionskontrollverordnung – Leibenath, Die Rechtsprobleme der Zusagenpraxis in der europäischen Fusionskontrolle, 2000, S. 96 ff. Näher Berg, EuZW 2003, 362 (363 f.).
§ 4 Verfahren
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unbedenklich sein, was die Unternehmen nunmehr selbst beurteilen und sicherstellen müssen. Daraus ergeben sich erhebliche Risiken.364 Gelingt es den Unternehmen, durch entsprechende Zusagen die Bedenken der 1877 Kommission zu entkräften, gibt diese wie bei einer ursprünglichen Konformität mit der Fusionskontrollverordnung die Vereinbarkeitserklärung mit dem Gemeinsamen Markt ab. Um allerdings die Umgestaltung abzusichern, kann die Kommission die Entscheidung mit Bedingungen und Auflagen verbinden. Sie kann also die Vereinbarkeitserklärung lediglich bedingt erteilen. Werden dann die Bedingungen nicht erfüllt, entfällt die Rechtswirkung. Oder die Kommission kann Auflagen festlegen, welche die Vereinbarkeitserklärung absichern und selbstständig durchsetzbar sind. Werden sie nicht eingehalten, entfällt die Vereinbarkeitserklärung jedoch nicht automatisch. III.
Widerruf
Art. 6 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht sowohl für Entscheidungen, dass der 1878 Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung nicht eröffnet ist,365 als auch für Vereinbarkeitserklärungen Widerrufsmöglichkeiten vor. Es werden zwei Konstellationen unterschieden: Die Entscheidung beruht auf von den beteiligten Unternehmen zu vertretenden, unrichtigen Angaben oder wurde arglistig herbeigeführt, oder aber die in einer Entscheidung vorgesehenen Auflagen, die in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eigens vorgesehen sind, werden nicht erfüllt. Die Frist des Art. 10 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 läuft in diesen Fällen nicht. Die Entscheidung der Kommission wird in allen Fällen sowohl den beteiligten Unternehmen als auch den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gem. Art. 6 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unverzüglich mitgeteilt. IV.
Grundsätzliche Vollzugshemmung
Wird ein Zusammenschluss im Wege der Vorabprüfung für mit dem Gemeinsamen 1879 Markt vereinbar erklärt, so kann er vollzogen werden. Ansonsten muss eine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 1 oder 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 abgewartet werden, außer es greift eine Fiktion nach Art. 10 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wegen Versäumung der darin festgelegten Fristen. Wenn nämlich die Kommission nicht fristgerecht entscheidet, gilt gem. Art. 10 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ein Zusammenschluss als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Ein Vollzug ohne positive Entscheidung der Kommission ist im Übrigen gem. 1880 Art. 7 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 lediglich dann möglich, wenn der Kontrollerwerb von mehreren Veräußerern durch öffentliches Übernahmeangebot oder 364 365
Berg, EuZW 2003, 362 (366 f.). Etwa auch, weil die Voraussetzungen nach Art. 4 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht vorlagen, so dass nationales Wettbewerbsrecht gilt, Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 60) mit weiteren Aspekten.
696
Kapitel 9 Fusionskontrolle
im Wege einer Reihe von Rechtsgeschäften mit Wertpapieren erfolgte, sofern der Zusammenschluss unverzüglich angemeldet wird und die mit den erworbenen Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht oder nur zum Werterhalt der Investition ausgeübt werden. Darüber hinaus kann die Kommission auf begründeten Antrag eine Freistellung von der Pflicht erteilen, den Zusammenschluss nicht zu vollziehen. Bei ihrer Entscheidung hat die Kommission vor allem die Auswirkungen des Vollzugsaufschubs auf die beteiligten Unternehmen oder auf Dritte sowie auf die mögliche Gefährdung des Wettbewerbs durch den Zusammenschluss zu achten. Auch die Freistellung vom Vollzugsaufschub kann mit Bedingungen und Auf1881 lagen versehen werden. Zielrichtung ist hier allerdings die Sicherung des wirksamen Wettbewerbs. Wird das grundsätzliche Vollzugsverbot missachtet und ein Rechtsgeschäft geschlossen, wird dieses nur wirksam, wenn eine Vereinbarkeitserklärung erfolgt oder eine Fiktion nach Art. 10 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wegen Fristablauf eintritt. Wertpapiergeschäfte sind freilich nur dann derart schwebend unwirksam, wenn Käufer und Verkäufer bösgläubig waren. Das setzt voraus, dass sie wussten oder hätten wissen müssen, dass ein Vollzugsaufschub missachtet wurde, Art. 7 Abs. 4 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004.
D.
Auskünfte, Nachprüfungen, Anhörung
I.
Auskunftsverlangen (Art. 11 FKVO (EG) Nr. 139/2004)
1882 Die Fusionskontrollverordnung sieht verschiedene Nachprüfungsrechte der Kommission vor, durch welche sie sich ein näheres Bild von dem zu überprüfenden Sachverhalt machen und damit ihre Aufgabe, Zusammenschlüsse zu kontrollieren, erfüllen kann. Diese Rechte knüpfen an die Notwendigkeit einer Fusionskontrolle an und verpflichten die am Zusammenschluss beteiligten Personen und Unternehmen. An der Spitze sieht Art. 11 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 das Verlangen von Auskünften vor. Das kann durch einfaches Auskunftsverlangen wie etwa direktes Nachfragen erfolgen oder in eine Entscheidung gekleidet sein, dass die erforderlichen Auskünfte erteilt werden. Nach Art. 11 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sind aber auch im einfachen 1883 Auskunftsverlangen an eine Person, ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung die Rechtsgrundlage und der Zweck des Auskunftsverlangens anzugeben, ebenso die Art der benötigten Auskünfte und die Frist. Weiter ist auf die Bußgelddrohung nach Art. 14 Abs. 1 lit. b), c) FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei unrichtigen oder irreführenden Auskünften hinzuweisen. Diese Bestandteile sind gem. Art. 11 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch für ein Auskunftsverlangen durch Entscheidung vorgesehen. Zudem kann in diesem Fall ein Zwangsgeld nach Art. 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004 festgesetzt werden. Auch darauf ist hinzuweisen, ebenso auf das Recht, gegen die Entscheidung vor dem Gerichtshof Klage zu erheben (Art. 11 Abs. 3 S. 2, 3 FKVO). Schließlich handelt es sich um eine selbstständige Entscheidung, die damit isoliert angefochten werden kann. Entscheidungen, welche Auskünfte verlangen, werden gem. Art. 11 Abs. 5 1884 FKVO (EG) Nr. 139/2004 in Kopie unverzüglich nationalen Behörden übermit-
§ 4 Verfahren
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telt: Zum einen denjenigen des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Wohnsitz der Person oder der Sitz des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung befindet, welche Auskunft erteilen müssen, zum anderen der Behörde des Mitgliedstaates, dessen Hoheitsgebiet von dem Auskunftsverlangen betroffen ist. Kopien einfacher Auskunftsverlangen nach Art. 11 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 werden gem. Art. 11 Abs. 5 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 einer solchen nationalen Behörde nur auf ausdrückliche Anforderung übermittelt. Hintergrund ist die enge Zusammenarbeit zwischen Kommission und nationa- 1885 len Behörden auch im Bereich der Fusionskontrolle. So sieht Art. 11 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vor, dass die Regierungen und zuständigen nationalen Behörden der Kommission auf Verlangen alle notwendigen Auskünfte im Rahmen der Fusionskontrolle erteilen. Zudem kann die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates, in dem eine Befragung von Personen stattfindet, gem. Art. 11 Abs. 7 UAbs. 2 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verlangen, dass ihre Bediensteten diejenigen der Kommission und die anderen fragenden Personen unterstützen. Diese Behörde wird gem. Art. 11 Abs. 7 UAbs. 2 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eigens informiert, wenn eine Befragung weder in den Räumen der Kommission noch telefonisch oder mit anderen elektronischen Mitteln erfolgt. Art. 11 Abs. 7 UAbs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht explizit eine telefoni- 1886 sche Befragung bzw. eine solche mit anderen elektronischen Mitteln vor. Eine solche Befragung kann im Rahmen der Fusionskontrolle gegenüber allen natürlichen und juristischen Personen erfolgen, die dieser im Hinblick auf einen spezifischen Untersuchungsgegenstand zustimmen. Dieser Zweck ist daher ebenso wie die Rechtsgrundlage zu nennen. Ist dies nach Art. 11 Abs. 7 UAbs. 1 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch nur bei einer Befragung mit Telefon oder anderen elektronischen Mitteln vorgesehen, ist diese Erläuterung auch zu Beginn einer direkten mündlichen Befragung zu geben, kann sich doch nur dann der Befragte ein klares Bild machen, bevor er Antwort gibt, und daher wirksam zustimmen. Primär und ohne ihre Zustimmung auskunftspflichtig sind die am Zusammen- 1887 schluss beteiligten Personen sowie Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen (s. Art. 11 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004). Konkret verpflichtet sind dabei gem. Art. 11 Abs. 4 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Inhaber der Unternehmen oder deren Vertreter bzw. die gesetzlich oder durch Satzung vertretungsbefugten Personen von juristischen Personen, Gesellschaften oder nicht rechtsfähigen Vereinen. Zwar können auch andere Personen Auskünfte im Namen ihrer Mandanten erteilen, sofern sie ordnungsgemäß bevollmächtigt wurden. Die volle Verantwortung, dass die erteilten Auskünfte vollständig, sachlich richtig und nicht irreführend sind, verbleibt aber auch in diesem Fall nach Art. 11 Abs. 4 S. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beim Vollmachtgeber und damit bei dem primär zur Auskunft Verpflichteten. Da es sich um eine Präventivkontrolle handelt, spielen Auskunftsverweigerungsrechte keine so große Rolle wie bei Kartellverfahren. Jedoch kann auch im Rahmen der Fusionskontrolle niemand verpflichtet werden, sich selbst zu belasten, so wenn Bußgelder wegen eines ohne Anmeldung vollzogenen Zusammenschlusses drohen.366 366
Vgl. o. Rn. 1530 ff.
698
Kapitel 9 Fusionskontrolle
II.
Nachprüfung (Art. 12, 13 FKVO (EG) Nr. 139/2004)
1.
Verflechtung mit nationalen Behörden
1888 Während die Auskunftserteilung auch über weite Entfernungen bewerkstelligt werden kann, findet eine Nachprüfung vor Ort statt. Vor Ort aber ist die Kommission nicht präsent und hat auch keine Zwangsgewalt. Daher ist sie bei der Nachprüfung besonders auf die Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden angewiesen. Damit bildet die Ermächtigung der Kommission in Art. 13 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004, alle für die Fusionskontrolle erforderlichen Nachprüfungen bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen vorzunehmen, lediglich einen Rahmen. Zudem hat die Kommission gem. Art. 12 Abs. 1 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 1889 die Möglichkeit, die ihr zustehenden bzw. durch sie angeordneten Nachprüfungen nicht selbst vorzunehmen, sondern dafür ganz oder teilweise die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu ersuchen. Die dann eingeschalteten Bediensteten bzw. die von den nationalen Behörden dazu ermächtigten Personen führen aber die Nachprüfung gem. Art. 12 Abs. 1 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht nach Gemeinschaftsrecht und damit speziell nach der Fusionskontrollverordnung durch, sondern nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts. Sie sind zugleich die vor Ort maßgeblichen Personen. Bedienstete der Kommission oder andere von ihr ermächtigte Begleitpersonen haben nur eine unterstützende Funktion, sofern gem. Art. 12 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine entsprechende Anweisung der Kommission ergeht oder die zuständige Behörde des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll, darum ersucht. Die Kommission bestimmt daher nur die Art der Nachprüfungen, welche vorgenommen werden sollen; sie kann sie beschreiben oder nach Art. 13 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 durch Entscheidung anordnen. Nimmt die Kommission die ihr zustehenden Befugnisse zur Nachprüfung selbst 1890 wahr, ist das Verhältnis gerade umgekehrt. Dann sind die Bediensteten der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll, bzw. die sonstigen von dieser Behörde ermächtigten oder benannten Personen nach Art. 13 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auf eine unterstützende Funktion beschränkt. Sie handeln nur auf Anweisung dieser nationalen Behörde oder auf Ersuchen der Kommission, sind deren Bediensteten aber im Hinblick auf Befugnisse nach Art. 13 Abs. 5 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gleichgestellt. 2.
Befugnisse
1891 Im Zuge von Nachprüfungen können gem. Art. 13 Abs. 2 lit. a)-e) FKVO (EG) Nr. 139/2004 insbesondere Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel betreten, Bücher und sonstige Geschäftsunterlagen, und sei es auch in elektronischer Form, geprüft, Kopien und Auszüge gemacht oder verlangt, Geschäftsräume und Bücher oder Unterlagen versiegelt sowie Erläuterungen verlangt werden, die auch aufgezeichnet werden können. Dabei sind Grundrechte und insbesondere der für
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das Kartellverfahren entwickelte Schutz der Wohnung zu wahren.367 Versiegelungen liegen vor allem dann nahe, wenn triftige Gründe annehmen lassen, dass ein Zusammenschluss ohne vorherige Anmeldung vollzogen wurde oder unvollständige bzw. irreführenden Angaben gemacht wurden oder Bedingungen bzw. Auflagen einer Entscheidung der Kommission nicht eingehalten wurden. Jedenfalls bedarf es außergewöhnlicher Umstände. Zeitlich sollte die Versiegelung normalerweise auf 48 Stunden befristet sein, außer eine längere Nachprüfung ist unbedingt erforderlich.368 Müssen Antworten gegeben werden, gilt das Verbot der Selbstbelastung. Sachfragen müssen jedoch beantwortet und Unterlagen beigebracht werden, auch wenn darin belastende Informationen oder Beweismittel für eine begangene Zuwiderhandlung enthalten sind.369 Werden diese Befugnisse ausgeübt, muss dies gem. Art. 13 Abs. 3 S. 1 FKVO 1892 (EG) Nr. 139/2004 unter Vorlage eines schriftlichen Auftrages erfolgen, der Gegenstand und Zweck der Nachprüfung bezeichnet und auf die Bußgelddrohung nach Art. 14 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verweist. Diese greift allerdings nur, wenn angeforderte Bücher oder sonstige Geschäftsunterlagen nicht vollständig vorgelegt oder Fragen unrichtig bzw. irreführend beantwortet werden (Abs. 1 lit. d), e)). Von diesem Prüfungsauftrag unterrichtet die Kommission gem. Art. 13 Abs. 3 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 rechtzeitig vor Beginn der Nachprüfung die zuständige Behörde des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll. 3.
Duldungspflicht
Korrespondierend zu den Nachprüfungsbefugnissen der Kommission verpflichtet 1893 Art. 13 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zur Duldung. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kommission die jeweilige Nachprüfungsart in einer Entscheidung angeordnet hat, die zudem Gegenstand und Zweck sowie den Zeitpunkt des Beginns festlegt. Weiter ist auf die mögliche Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern hinzuweisen und auf das bestehende Klagerecht vor dem Gerichtshof. Vor Erlass dieser Entscheidung hat die Kommission gem. Art. 13 Abs. 4 S. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die zuständige Behörde des Mitgliedstaats anzuhören, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll. 4.
Zwang
Die Kommission muss sich zwingend auf nationale Organe stützen, wenn sie 1894 Zwangsbefugnisse einsetzen will. Hierfür fehlen ihr nämlich die Befugnisse. Widersetzen sich Unternehmen einer Nachprüfung, leistet der Mitgliedstaat des Ortes, wo diese stattfindet, Amtshilfe und zieht bei Erforderlichkeit auch seine Polizei oder gleichwertige Vollzugsorgane heran. Diese flankieren gem. Art. 13 Abs. 6 367 368 369
S.o. Rn. 1508. 39. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. 41. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004.
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FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Nachprüfung der Kommission. Die Amtshilfe erfolgt nach nationalem Recht. Verlangt dieses eine gerichtliche Genehmigung, muss sie beantragt werden, was gem. Art. 13 Abs. 7 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch vorsorglich geschehen kann. In diesem Falle prüft das einzelstaatliche Gericht sowohl die Echtheit der Kommissionsentscheidung als auch die Willkürfreiheit und Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Zwangsmaßnahmen. Zum letzten Punkt kann die Kommission unmittelbar oder über die zuständige 1895 Behörde des Mitgliedstaates um ausführliche Erläuterungen ersucht werden. Verweigert die Kommission die angefragten Auskünfte, obwohl sie für die Kontrolle der Zwangsmaßnahmen notwendig sind, kann das einzelstaatliche Gericht die Genehmigung verweigern.370Die Notwendigkeit der Nachprüfung als solche darf nicht zur Disposition gestellt werden. Das nationale Gericht darf auch keine Auskünfte aus den Akten der Kommission verlangen. Vielmehr prüft der Gerichtshof gem. Art. 13 Abs. 8 S. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung ausschließlich. Damit wird die Rechtsprechung kodifiziert, welche im Hinblick auf die Kontrollbefugnisse der Kommission und deren Unterstützung durch einzelstaatliche Gerichte etabliert ist.371 III.
Anhörung und Beschwerderecht
1.
Beteiligte
1896 Art. 18 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht die Anhörung Beteiligter und auch Dritter vor.372 Dies ist Ausdruck des Grundsatzes rechtlichen Gehörs bei belastenden Verwaltungsmaßnahmen. Art. 18 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 gibt den betroffenen Personen, Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Gelegenheit, sich zu den ihnen gegenüber geltend gemachten Einwänden zu äußern. Dies gilt vom Beginn des Verfahrens bis zur Anhörung des beratenden Ausschusses, wodurch die unmittelbare Entscheidungsphase eingeleitet wird. Die ganze Bandbreite möglicher beeinträchtigender Maßnahmen wird erfasst – vom Widerruf einer Vereinbarerklärung nach Art. 6 Abs. 3 bzw. Art. 8 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 über die Freistellung vom grundsätzlichen Vollzugsverbot des Zusammenschlusses nach Art. 7 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004, Änderungsverlangen, (Un-)Vereinbarerklärungen, Aufforderungen zur Rückgängigmachung, einstweilige Maßnahmen sowie Widerrufe von Vereinbarerklärungen nach Art. 8 Abs. 2-5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bis zu Anordnungen von Geldbußen und Zwangsgeldern nach Art. 14 und 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Primär sind also die Beteiligten des Zusammenschlusses anzuhören; betroffen 1897 können aber namentlich auch Konkurrenten sein.373 Nach Art. 18 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann eine Entscheidung gem. Art. 7 Abs. 3 bzw. Art. 8 Abs. 5 370 371 372 373
40. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. 40. Erwägungsgrund der FKVO (EG) Nr. 139/2004. Umfassend zum Folgenden Heidenreich, Anhörungsrechte im EG-Kartell- und Fusionskontrollverfahren, 2004, S. 149 ff. S. sogleich Rn. 1899 ff.
§ 4 Verfahren
701
FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorläufig nur erlassen werden, sofern ihre Anhörung unverzüglich nachgeholt wird. Diese verzögerte Anhörung trägt dem vorübergehenden Charakter und der dabei möglicherweise gegebenen Eilbedürftigkeit Rechnung. Grundsätzlich kann die Kommission ihre Entscheidungen nur auf die Einwände stützen, zu denen sich die Betroffenen äußern konnten. Davon unberührt bleibt nach Art. 18 Abs. 3 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 das Recht auf Verteidigung während des Verfahrens, das in vollem Umfange besteht. Die Betroffenen können also auch auf andere Punkte eingehen, als die Kommission in ihrer Entscheidung vorgebracht hat. Um sich entsprechend informieren zu können, gewährleistet Art. 18 Abs. 3 S. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zumindest für die unmittelbar Betroffenen das Recht der Akteneinsicht, das allerdings durch das Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse begrenzt wird. Gem. Art. 14 VO (EG) Nr. 802/2004 wird den Anmeldern einer Fusion, die ih- 1898 re schriftlichen Stellungnahmen beantragt haben, Gelegenheit gegeben, ihre Argumente in einer förmlichen mündlichen Anhörung vorzutragen. In anderen Verfahrensstadien kann ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, Argumente mündlich vorzubringen, ohne dass dies in einem förmlichen Verfahren erfolgen muss. Das gilt auch für die anderen Beteiligten. Wie die förmliche mündliche Anhörung abzulaufen hat, ist näher in Art. 15 VO (EG) Nr. 802/2004 bestimmt. Sie erfolgt durch einen Anhörungsbeauftragten nach einer Ladung in einem förmlichen Termin in nicht-öffentlicher Form unter Aufzeichnung der Aussagen. Akteneinsicht besteht nach näherer Maßgabe von Art. 17, 18 VO (EG) Nr. 802/2004, wo auch die Herausnahme vertraulicher Informationen näher geregelt ist. Grundlage dafür ist, dass solche Informationen von denjenigen, von denen sie stammen, klar gekennzeichnet wurden und eine nicht vertrauliche Alternativfassung innerhalb einer von der Kommission festgesetzten Frist vorgelegt wurde. Entsprechendes gilt für Geschäftsgeheimnisse. 2.
Dritte
Die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten können auch 1899 andere natürliche oder juristische Personen gem. Art. 18 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 von sich aus anhören. Solche dritte Personen können aber auch selbst ein hinreichendes Interesse darlegen und einen Antrag auf Anhörung stellen. Sie sind daraufhin gem. Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 802/2004 über Art und Gegenstand des Verfahrens zu unterrichten und haben sich gem. Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 802/2004 innerhalb einer festgesetzten Frist zu äußern. Liegt ein hinreichendes Interesse vor, was sich insbesondere aus einer eigenen, negativen Betroffenheit aus einer Verschiebung der Wettbewerbsstrukturen ergeben kann, ist dem Antrag auf Anhörung nach Art. 18 Abs. 4 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 stattzugeben. Wegen dieses Bezugs auf die Interessen Dritter dient die Anhörung zumindest 1900 auch ihrem Schutz und nicht lediglich dem Informationsinteresse der Kommissi-
702
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on.374 Weiter gehend lässt sich daraus ein Beschwerderecht Dritter ableiten, welche durch die Fusion in eigenen Interessen betroffen sind. Da das Fusionskontrollverfahren, wie die Anhörungsregelung zeigt, auch deren Schutz dient, muss die Beschwerde von der Kommission sorgfältig und unparteiisch geprüft werden, auch wenn eine detaillierte Regelung zur Behandlung in der Fusionskontrollverordnung im Gegensatz zur VO (EG) Nr. 1/2003 fehlt. Die Kommission ist dafür auch in jedem Fall zuständig, da sie nach Art. 21 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ausschließlich die in der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Entscheidungen erlassen kann. Sie kann allerdings wegen der durch die Fusionskontrollverordnung angestrebten Rechtssicherheit für Unternehmen Beschwerden abweisen, wenn sie nicht rechtzeitig und damit in angemessener Frist eingelegt werden.375 Begünstigt durch dieses Anhörungsrecht werden auf Antrag gem. Art. 18 Abs. 4 1901 S. 2 VO (EG) Nr. 139/2004 auch Mitglieder der Leitungsorgane der beteiligten Unternehmen oder rechtlich anerkannte Vertreter der Arbeitnehmer. Diese mögen auch am ehesten in der Lage sein, Effizienzvorteile darzulegen und etwa auf den Erhalt von Arbeitsplätzen hinzuweisen. Werden Dritte zur Anhörung zugelassen, können sie auf Antrag in der schriftlichen Äußerung sogar an einer förmlichen mündlichen Anhörung teilnehmen. In anderen Fällen kann ihnen ebenfalls Gelegenheit gegeben werden, ihre Argumente mündlich vorzubringen (Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 802/2004). Unabhängig davon kann die Kommission jede andere natürliche oder juristische Person gem. Art. 16 Abs. 3 VO (EG) Nr. 802/2004 auffordern, ihre Argumente schriftlich und mündlich vorzutragen. Dabei wird die förmliche mündliche Anhörung ausdrücklich einbezogen. 3.
Konsequenzen für den Rechtsschutz
1902 Zwar legt eine Anhörung eine Klagebefugnis nahe. Eine Beteiligung am Verfahren begründet daher eine Vermutung für eine Klagebefugnis.376 Entscheidend ist jedoch, ob ein hinreichendes Interesse besteht, was bei Arbeitnehmervertretern mangels Betroffenheit in eigenen Belangen nicht der Fall ist.377 Somit ist die Klagebefugnis auch dann gegeben, wenn der Dritte ein hinreichendes Interesse an der Anhörung hat.378 Dafür genügt eine wesentliche Verstärkung der Marktstellung eines Mitbewerbers, durch die der Dritte seine Marktstellung erheblich verändert sieht, wodurch sie von den anderen herausgehoben und damit individuell und unmittelbar durch eine Kommissionsentscheidung betroffen ist.379 Fehlt es daran o-
374
375 376 377 378 379
EuG, Rs. T-290/94, Slg. 1997, II-2137 (2184, Rn. 109) – Kaysersberg. Gegen Miersch, Die Europäische Fusionskontrolle, 1991, S. 235 f. Heidenreich, Anhörungsrechte im EG-Kartell- und Fusionskontrolllverfahren, 2004, S. 166 ff. auch zum Folgenden. EuGH, Rs. C-170/02 P, Slg. 2003, I-9889 (9914 f., Rn. 33) – Schlüsselverlag Moser. EuG, Rs. T-2/93, Slg. 1994, II-323 (340 f., Rn. 44) – Air France II; Birk, EWS 2003, 159 (163); a.A. Koch, EWS 1990, 65 (72). EuG, Rs. T-12/93, Slg. 1995, II-1247 (1271 ff., Rn. 50 ff.) – Vittel. EuG, Rs. T-12/93, Slg. 1995, II-1247 (1270 f., Rn. 47 f.) – Vittel. EuG, Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121 (162 f., Rn. 82) – Air France I.
§ 4 Verfahren
703
der ergeht schon keine bindende Entscheidung der Kommission, besteht keine Klagebefugnis selbst bei erfolgter Verfahrensbeteiligung.380 IV.
Fortlaufende Abstimmung
Weiter gehend soll im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens eine fortlaufende 1903 Abstimmung zwischen der Kommission und den anmeldenden Unternehmen sowie den Beschwerde führenden Dritten erfolgen. Diese wird in den Leitlinien für beispielhafte Verfahrensweisen381 näher ausgestaltet. Das Instrument der Verfahrensstands-Zusammenkünfte an zentralen Punkten des Verfahrens nach der Fusionskontrollverordnung hält die beteiligten Unternehmen über den Stand der Untersuchung auf dem Laufenden und gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Fall mit höherrangigen Kommissionsbediensteten zu erörtern. Sie können auf freiwilliger Basis direkt mit der Kommission und auch Beschwerdeführern in sog. triangular meetings Bedenken gegen die Zusammenschlüsse erörtern, sofern mindestens zwei unterschiedliche Meinungen zu wettbewerbsschädlichen Auswirkungen und den zugrunde liegenden Marktdaten und -merkmalen bestehen. Das dient der näheren Bestimmung der Bedenken und erfolgt daher noch vor ihrer Mitteilung, welche zentrale Bedeutung im Hinblick auf die weitere Untersuchung und auch für spätere Gerichtsverfahren hat, weil durch diese Bedenken der Untersuchungsgegenstand fixiert wird.382 Zur besseren Abklärung sind regelmäßig die nichtvertraulichen Fassungen von 1904 Schlüsseldokumenten gegenseitig offen zu legen. Zu ihrer Prüfung gibt die Kommission ohnehin Gelegenheit, um die Erhebung von Einwänden zu prüfen. Diese Schlüsseldokumente bestehen auch aus Unterlagen und Marktstudien, die von Dritten eingereicht wurden und den Ansichten der anmeldenden Unternehmen widersprechen.
E.
Verflechtung mit den nationalen Behörden
I.
Prüfung und Vollzug durch nationale Behörden
Im Zuge des Fusionskontrollverfahrens gibt es zahlreiche Überschneidungen zwi- 1905 schen Zuständigkeiten der Kommission und der nationalen Behörden. Leitgedanke der aktuellen Regelung in der FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist die Optimierung der Verweisung im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip sowie die Lösung des Problems der Mehrfachanmeldungen bei verschiedenen Wettbewerbsbehörden.383 380 381
382 383
EuG, Rs. T-83/92, Slg. 1993, II-1169 (1181, Rn. 30) – Zunis. “DG Competition, Best Practices on the conduct on EC merger proceedings”, der Text des Dokumentes ist von der Website der GD Wettbewerb der Kommission, Bereich Veröffentlichungen/Merger reform, herunterladbar (gesehen am 7.9.2005). Vgl.o. Rn. 1609. Kommission, XXXIII. Wettbewerbsbericht 2003, Tz. 211.
704
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Bereits vor Anmeldung eines Zusammenschlusses können die Beteiligten eines Zusammenschlusses gem. Art. 4 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei hinreichendem nationalen Bezug die Prüfung durch einen Mitgliedstaat beantragen. Wird dieser Antrag auf Verweisung positiv beschieden, bleibt die Fusionskontrollverordnung außen vor und das Recht des so bestimmten Mitgliedstaates greift ein. Unabhängig von einem Antrag der Beteiligten am Zusammenschluss kann die 1906 Kommission nach einer Anmeldung an die Behörden eines Mitgliedstaates verweisen, wenn die Voraussetzungen des Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorliegen. Insoweit handelt es sich um eine abschließende Entscheidung der Kommission, die auf einer Ebene mit den sonstigen Entscheidungsbefugnissen der Kommission nach Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 liegt.384 In diesem Falle führt ebenfalls die nationale Behörde die wettbewerbliche Kontrolle durch. Allerdings ergibt sich aus Art. 9 Abs. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Begrenzung darauf, nur die zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung wirksamen Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt unbedingt erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Jeder Mitgliedstaat kann gem. Art. 9 Abs. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch zwecks Anwendung seines innerstaatlichen Wettbewerbsrechts nach Maßgabe des EG den Gerichtshof anrufen und vor allem durch ihn einstweilige Anordnungen gem. Art. 243 EG treffen lassen. Damit bleibt gleichwohl die Verbindung zum Gemeinschaftsrecht. Eine solche Verbindung zum Gemeinschaftsrecht ist hingegen ausgeschlossen, 1907 soweit es lediglich um den nationalen Vollzug von Nachprüfungen und Zwangsmaßnahmen geht. Das betrifft nicht die Fälle, in denen Bedienstete der Kommission und der Mitgliedstaaten gemeinsam handeln und Erstere durch Letztere wie in Art. 13 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vorgesehen unterstützt werden. Vielmehr beruhen nur die Konstellationen auf nationalem Recht, in denen die Behörden der Mitgliedstaaten die federführende Rolle spielen, indem sie nach Art. 12 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auf Ersuchen der Kommission eigenständige Nachprüfungsmaßnahmen durchführen und Bedienstete der Kommission nur unterstützend wirken können385 oder nach Art. 13 Abs. 6-8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Zwangsmaßnahmen durchführen. Für Letztere fehlen der Kommission gänzlich die Befugnisse. Allerdings wird das Gemeinschaftsrecht auch in solchen Fällen nur in dem Maße zurückgedrängt, in dem es lediglich um die Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahmen geht. Soweit eine Nachprüfung festlegende Kommissionsentscheidung dabei eine Rolle spielt, prüft sie gem. Art. 13 Abs. 8 S. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ausschließlich der Gerichtshof. II.
Genereller Austausch
1908 Diese verschiedenen Verflechtungen zwischen den Zuständigkeiten und Befugnissen der Kommission und denen der Mitgliedstaaten legen es nahe, dass Kommission und nationale Behörden in stetem Kontakt sind und sich vor allem gegenseitig informieren. Das stellt Art. 19 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sicher. Nach dessen 384 385
S. daher u. Rn. 1939 ff. S.o. Rn. 1889.
§ 4 Verfahren
705
Abs. 1 hat die Kommission den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten binnen dreier Arbeitstage eine Kopie der Anmeldungen zu übermitteln. Sobald wie möglich sind zudem die wichtigsten Schriftstücke beizufügen. Dazu gehören auch die Verpflichtungszusagen, welche die beteiligten Unternehmen angeboten haben, um die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt sicherzustellen. Nach Art. 19 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 hat die Kommission das Fusionskontrollverfahren in enger und stetiger Verbindung mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durchzuführen, welche auch Stellung nehmen können. Insoweit liegt die Fusionskontrollverordnung parallel zur DurchführungsVO (EG) Nr. 1/2003,386 welche das Kartellverfahren allgemein regelt und gleichfalls eine enge Verbindung von Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden vorsieht. III.
Entscheidungsbeteiligung
Im Vorfeld einer Verweisungsentscheidung an die zuständigen Behörden der Mit- 1909 gliedstaaten nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht Art. 19 Abs. 2 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 einen besonders engen Austausch vor. Wie Art. 14 VO (EG) Nr. 1/2003 verlangt Art. 19 Abs. 3-7 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Beteiligung von Vertretern der nationalen Behörden, die in die Entscheidungen der Kommission einzubeziehen sind. Jeder Mitgliedstaat entsendet einen oder zwei Vertreter mit Ersetzungsbefugnis bei Verhinderung, von denen mindestens einer für Kartellund Monopolfragen zuständig sein muss. Dieser so zusammengesetzte Beratende Ausschuss für die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ist vor jeder abschließenden Entscheidung der Kommission nach Art. 8 Abs. 1-6 und 14, 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004 in einer von der Kommission anberaumten und von ihr geleiteten gemeinsamen Sitzung zu hören. Zur Vorbereitung ist der Sachverhalt von der Kommission darzustellen, einschließlich der wichtigsten Schriftstücke und eines Entscheidungsentwurfs. Die nationalen Vertreter haben mindestens zehn Arbeitstage Vorbereitungszeit, die nur zur Abwendung schwerer Schäden verkürzt werden kann, Art. 19 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Auf die Anhörung hin nimmt der Beratende Ausschuss zum Entscheidungsentwurf der Kommission Stellung, ggf. auch durch Mehrheitsentscheidung, die der Verweis auf eine etwaige Abstimmung nach Art. 19 Abs. 6 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 impliziert. Eine vollzählige Anwesenheit aller Mitglieder ist nicht zwingend. Die Kommission muss die notwendig schriftlich niedergelegte Stellungnahme 1910 des Ausschusses berücksichtigen, also in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, ohne ihr notwendig zu folgen. Inwieweit sie die Stellungnahme herangezogen hat, muss sie dem Ausschuss gem. Art. 19 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 mitteilen. Diese Stellungnahme ist nicht wie sonst bei der Beteiligung anderer Behörden vielfach üblich ein bloßes Internum. Vielmehr muss die Kommission gem. Art. 19 Abs. 7 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zusammen mit ihrer Entscheidung den Adressa386
Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1.
706
Kapitel 9 Fusionskontrolle
ten die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses übermitteln und zudem beide Vorgänge zusammen veröffentlichen, soweit dadurch die Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen gewahrt sind. IV.
Verweisung durch nationale Behörden an die Kommission
1911 Die Verbindung von Kommission und nationalen Behörden ist keine Einbahnstraße. Daher ist nicht nur eine Verweisung der Kommission an die nationalen Wettbewerbsbehörden möglich, sondern auch umgekehrt eine Verweisung an die Kommission. Eine solche ist bereits vor der Anmeldung eines Zusammenschlusses, der eigentlich keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat, nach Art. 4 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auf einen hinreichend begründeten Antrag hin vorgesehen.387 Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ermöglicht eine Verweisung an die Kommission auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten. Voraussetzung ist, dass der Zusammenschluss zwar keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat und damit namentlich die Umsatzschwellenwerte nach Art. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht erfüllt, jedoch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des bzw. der antragstellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen droht. Daraus ergibt sich gleichfalls ein Gemeinschaftsbezug, wie er für das Eingreifen des Gemeinschaftsrechts generell erforderlich ist. Der hier relevante Gemeinschaftsbezug unterscheidet sich von der durch Art. 4 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfassten Konstellation. Daher kann eine Entscheidung danach die Anwendung von Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 nicht beeinflussen.388 Der Antrag ist gem. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 15 Ar1912 beitstage nach der Anmeldung bei dem betreffenden Mitgliedstaat oder nach dessen Kenntnis zu stellen. Bis die Kommission entscheidet, wird die ganze Sache gem. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 „auf Eis gelegt“; die jeweils laufenden Fristen sind gehemmt. Die Hemmung endet mit der Entscheidung der Kommission sowie mit einer die Verweisung ablehnenden Mitteilung eines Mitgliedstaates an die Kommission und die beteiligten Unternehmen. Jeder Mitgliedstaat ist dabei über den Antrag auf Verweisung an die Kommission zu informieren und kann sich diesem innerhalb von 15 Arbeitstagen gem. Art. 22 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 anschließen. Innerhalb von 10 Arbeitstagen nach Ablauf dieser Frist kann die Kommission 1913 gem. Art. 22 Abs. 3 UAbs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei Vorliegen der Voraussetzung des Art. 22 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beschließen, den Zusammenschluss selbst zu prüfen. Reagiert die Kommission nicht fristgerecht, wird eine Entscheidung, den Fall selbst zu prüfen, fingiert. Jedenfalls kann die Kommission nach Art. 22 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Anmeldung nach 387 388
S.o. Rn. 1858 ff. Anders Hellmann, EWS 2004, 289 (292). Demgegenüber knüpfen sowohl Art. 4 Abs. 4 als auch Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 an einen gesonderten Markt an; dazu o. Rn. 1848 sowie u. Rn. 1940.
§ 4 Verfahren
707
Art. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verlangen, womit das normale Fusionskontrollverfahren in Gang gesetzt wird. Das innerstaatliche Wettbewerbsrecht wird nach Art. 22 Abs. 3 UAbs. 3 FKVO 1914 (EG) Nr. 139/2004 ohnehin nicht mehr angewandt. Von einer positiven Entscheidung, den Zusammenschluss selbst zu prüfen, hat die Kommission nach Art. 22 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 alle Mitgliedstaaten und die beteiligten Unternehmen zu unterrichten. Aus Rechtssicherheitsgründen und zur besseren Klarheit der Beteiligten wird man eine solche Unterrichtungspflicht auch anzunehmen haben, wenn die Kommission nicht fristgerecht reagiert. Denn auch dann ist sie zuständig. Art. 22 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ordnet die Anwendung der zentralen 1915 Vorschriften der Fusionskontrollverordnung auch bei dieser späteren Zuständigkeit der Kommission an und passt diese nur daran an, dass die Zuständigkeit der Kommission nicht sofort bestanden hat. Daher beginnt die Frist für die Einleitung des Verfahrens nach Art. 10 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erst mit der Mitteilung der Entscheidungszuständigkeit der Kommission nach Art. 22 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zu laufen, außer die Kommission verlangt gem. Art. 22 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Anmeldung nach Art. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004, so dass normale Fristen in Gang gesetzt werden. Primär regelt Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Verweisung an die Kom- 1916 mission auf Antrag der Mitgliedstaaten. Einen solchen Antrag kann aber die Kommission anstoßen, indem sie einem oder mehreren Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 mitteilt, dass sie die Voraussetzungen für einen Antrag nach Art. 22 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 für gegeben sieht, und zur Stellung eines solchen Antrags auffordert. V.
Belange der Mitgliedstaaten
Ist die Kommission zuständig, ist ausschließlich das gemeinschaftliche Wettbe- 1917 werbsrecht maßgeblich. Nach Art. 21 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wenden daher die Mitgliedstaaten ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf solche Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung nicht an. Sie können nur gem. Art. 21 Abs. 4 UAbs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zum Schutze anderer und damit nicht wettbewerblicher, berechtigter Interessen geeignete Maßnahmen treffen. Diese sind dann auch im Rahmen der Fusionskontrollverordnung zu berücksichtigen. Allerdings müssen solchermaßen geschützte Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den übrigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sein. Nach Art. 21 Abs. 4 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 werden die öffentliche Sicherheit, die Medienvielfalt und die Aufsichtsregeln als berechtigte Interessen automatisch anerkannt. Sie entsprechen Rechtfertigungsgründen im Rahmen der Grundfreiheiten, welche die Mitgliedstaaten dort geltend machen können.389 389
S. Art. 30 EG; EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis; Rs. C-368/95, Slg. 1997, I-3689 (3715 f., Rn. 18 ff.) – Familiapress.
708
1918
Kapitel 9 Fusionskontrolle
Für jedes darüber hinausgehende „andere öffentliche Interesse“ verlangt Art. 21 Abs. 4 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eine Mitteilung an die Kommission. Es kann erst dann herangezogen werden, wenn die Kommission es aufgrund ihrer Prüfung auf Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht anerkennt. Hierzu muss sie innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Mitteilung ihre Entscheidung bekannt geben. Die Entscheidung ist konstitutiv, da die Fiktion einer Anerkennung nach Ablauf der Bekanntgabefrist nicht vorgesehen ist. Die Mitgliedstaaten können sich diesem Mechanismus nicht dadurch entziehen, dass sie die von ihnen bejahten öffentlichen Interessen nicht mitteilen. Selbst ein Zeitgewinn ist ausgeschlossen, da die Fusionskontrollverordnung gerade kurze Fristen vorsieht. Deshalb kann die Kommission auch nicht auf das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG mit den dabei einzuhaltenden vorgeschalteten Verfahrensschritten verwiesen werden.390 Es gilt ausschließlich das Verfahren des Art. 21 Abs. 4 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Der Mitgliedstaat muss daher gegen eine Entscheidung der Kommission klagen. Diese kann, um eine Obstruktion der Mitgliedstaaten zu vermeiden, auch ergehen, wenn keine Anmeldung erfolgt ist, aber der Mitgliedstaat die von ihm geltend gemachten öffentlichen Interessen umsetzt. Jedenfalls hat die Kommission diese Belange nicht zu akzeptieren und bei ihren Maßnahmen unbeachtet zu lassen.
F.
Vereinfachtes Verfahren
1919 Für Zusammenschlüsse ohne wettbewerbsrechtliche Bedenken kann ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden. Das gilt für Gemeinschaftsunternehmen, welche im europäischen Wirtschaftsraum mit ihren beigesteuerten Tätigkeiten weniger als 100 Mio. Euro Umsatz erzielen oder in die Vermögenswerte mit einem Gesamtwert von weniger als 100 Mio. Euro eingebracht wurden. Oder aber es liegt weder eine horizontale noch eine vertikale Überschneidung vor, d.h. die Beteiligten sind auf sachlich oder räumlich unterschiedlichen und einander nicht vor- oder nachgelagerten Märkten tätig. Eine solche Überschneidung ist unschädlich, wenn sie auf horizontaler Ebene zu einer Konzentration von unter 15 % bzw. auf vertikaler zu einer solchen von unter 25 % führt. Schließlich kommt ein vereinfachtes Verfahren beim Wechsel von einer Mit- zu einer alleinigen Kontrolle an einem Gemeinschaftsunternehmen in Betracht.391 Ausgeschlossen ist das vereinfachte Verfahren allerdings in Konstellationen, 1920 die trotz Vorliegen dieser Bedingungen wettbewerbliche Bedenken erwecken, so bei einer Stärkung von Marktmacht etwa durch die Bündelung von Ressourcen oder bei einer Tätigkeit der Beteiligten auf Nachbarmärkten oder in Märkten mit hohen Eintrittsschranken.392 Ebensowenig dürfen Verweisungsanträge nach Art. 9 390 391 392
EuGH, Rs. C-42/01 (Rn. 55 ff.) – Portugal/Kommission. VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang II Ziff. 1.1). Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 8).
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
709
FKVO (EG) Nr. 139/2004 gestellt und nach Art. 22 FKVO (EG) Nr. 139/2004 befürwortet worden sein; hingegen sind Verweisungsanträge nach Art. 4, 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unschädlich.393 Für den Zusammenschluss notwendige Nebenabreden können zwar vorliegen; jedoch darf nicht eine Würdigung der durch sie eintretenden Wettbewerbsbeschränkungen gewünscht sein.394 Bei später auftauchenden Bedenken ist ein Wechsel zum regulären Verfahren möglich, so wenn die Abgrenzung der Märkte oder die Ermittlung der Marktanteile Probleme bereitet. Die Kommission kann dann eine ausführliche Anmeldung verlangen.395 Liegen die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren vor und ist keine 1921 Ausschlusskonstellation gegeben, ist der Antrag auf dem vereinfachten Formblatt nach Anhang II der VO (EG) Nr. 802/2004 zu stellen. Um komplexe Fragen etwa im Hinblick auf die Marktabgrenzung von vornherein abzuklären und damit etwaige Bedenken von vornherein auszuräumen, sollten die Unternehmen unbedingt schon vor der Anmeldung Kontakt mit der Kommission aufnehmen.396 Die Anmeldung selbst wird veröffentlich, und Dritte haben Gelegenheit sich zu äußern, insbesondere zu den Umständen, die eine nähere Untersuchung erforderlich machen könnten.397 Es ergeht dann eine verkürzte Entscheidung wie auch bei wettbewerbsrechtlich unbedenklichen Zusammenschlüssen, die im regulären Verfahren angemeldet wurden und zwar frühestens nach 15 und spätestens nach 25 Arbeitstagen, innerhalb derer die Kommission bei entsprechendem Anlass zum regulären Verfahren zurückkehren kann. Diese Entscheidung wird in Kurzform im ABl. veröffentlicht.398
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz A.
Mögliche Entscheidungen und deren Veröffentlichung
Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 führt eine Reihe von Entscheidungsbefugnissen 1922 der Kommission auf, welche diese hat, wenn das Fusionskontrollverfahren durch393
394
395 396
397
398
Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 13 f.). Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 19). VO (EG) Nr. 802/2004, ABl. 2004 L 133, S. 1 (Anhang II Ziff. 1.1). Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 15). Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 16). Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32 (Rn. 17 f.).
710
Kapitel 9 Fusionskontrolle
geführt und zum Abschluss gebracht werden soll. Zu diesem Zeitpunkt oder auch schon während des Fusionskontrollverfahrens, jedenfalls aber nach einer Anmeldung, kann auch eine Verweisung an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 erfolgen. Zudem sind in Art. 14 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Geldbußen und in Art. 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Zwangsgelder vorgesehen, welche gleichfalls in einer Entscheidung festgesetzt werden. Auch diese Entscheidungen können bereits im Verlauf des Fusionskontrollverfahrens ergehen, wenn etwa bestimmte Pflichten während dieses Verfahrens nicht erfüllt wurden. Sämtliche Entscheidungen außer der Verweisung an die zuständigen Behörden 1923 der Mitgliedstaaten sind nach Art. 20 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei endgültigem Charakter zusammen mit der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses im ABl. der Europäischen Union zu veröffentlichen. Dies hat nach Art. 20 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung zu erfolgen. Die Geschäftsgeheimnisse sind dabei zu wahren, wenn ein Geheimhaltungsinteresse besteht.
B.
Entscheidungsbefugnisse (Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004)
I.
Vereinbarerklärung
1924 Die Entscheidung, welche die Kommission gem. Art. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 am Ende des Fusionskontrollverfahrens trifft, hängt von ihrer materiellen Beurteilung sowie dem Stand des Vollzuges des Zusammenschlusses ab. Sieht die Kommission durch den Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben nicht erheblich behindert, erklärt sie den Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt. Diese positive Entscheidung deckt auch die weiteren Einschränkungen und dabei insbesondere die Nebenabreden ab, die mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für sie notwendig sind.399 Eine solche Entscheidung wird auch getroffen, wenn eine mit der Gründung 1925 eines Gemeinschaftsunternehmens bezweckte oder bewirkte Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Gründerunternehmen die Kriterien nach Art. 81 Abs. 3 EG erfüllt.400 Das setzt voraus, dass die ernsthaften Bedenken gegen den angemeldeten Zusammenschluss, welche erst gem. Art. 6 Abs. 1 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004 zur Einleitung eines Fusionskontrollverfahrens führen, entkräftet werden. Gelingt dies vollständig auf der Basis des angemeldeten Zusammenschlusses, enthält die Entscheidung nach Art. 8 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 lediglich eine Vereinbarkerklärung mit dem Gemeinsamen Markt. Sind hingegen zur Entkräftung der ernsthaften Bedenken der Kommission Än1926 derungen an dem angemeldeten Zusammenschluss durch die beteiligten Unternehmen notwendig, ergeht zwar gem. Art. 8 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 auch 399 400
S.o. Rn. 1723 ff. S.o. Rn. 1719 ff.
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
711
eine Entscheidung, mit welcher der Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wird. Jedoch kann die Kommission dann in ihrer Entscheidung gem. Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Bedingungen und Auflagen aufnehmen, welche die Einhaltung der von den Unternehmen abgegebenen Verpflichtungen sicherstellen. Solche Nebenbestimmungen können von dritten Unternehmen bei individueller und unmittelbarer Betroffenheit etwa als Mitbieter für ein übernommenes Unternehmen grundsätzlich eingefordert werden. Diese können eine Aussetzung der Freigabeentscheidung in dem Maße beantragen, in dem Bedingungen und Auflagen nicht eingehalten werden. Jedoch fehlt es dafür mangels Existenzgefährdung oder unwiederbringlicher 1927 Veränderung der Marktanteile regelmäßig an der erforderlichen Dringlichkeit in Form schwerer, irreparabler Schäden.401 Zudem geht die Interessenabwägung nicht zuletzt auch aus Gründen der von der Fusionskontrollverordnung angestrebten Rechtssicherheit zugunsten des (vorläufigen) Bestandes der Fusion aus,402 so dass ein Mitbewerber das auch von ihm begehrte Unternehmen infolge Vollzugs der Fusion nicht mehr erlangen kann und auf einen gleichfalls kaum zu erlangenden Schadensersatzanspruch gegen die Kommission verwiesen bleibt.403 II.
Fristen
Die Entscheidungen nach Art. 8 Abs. 1 oder 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sind 1928 nach Art. 10 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zu erlassen, sobald die ernsthaften Bedenken der Kommission gegen die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt offenkundig ausgeräumt sind und sei es durch Änderungen, welche die beteiligten Unternehmen vorgenommen haben. Als spätesten Termin benennt Art. 10 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 den Ablauf der nach Art. 10 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 festgesetzten Frist, also 90 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens, es sei denn, es liegt eine Konstellation nach des Art. 8 Abs. 7 FKVO (EG) Nr. 139/2004 vor, also ein Fall des „kalten“ Vollzugs oder des Widerrufs einer Vereinbarkeitserklärung. Bieten die beteiligten Unternehmen nach Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO (EG) 1929 Nr. 139/2004 das Eingehen von Verpflichtungen an, die zur Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt führen, beträgt die Entscheidungsfrist der Kommission 105 Arbeitstage, außer dieses Angebot wurde schon in den ersten 54 Arbeitstagen nach Einleitung des Verfahrens unterbreitet. Zudem können die Anmelder spätestens 15 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 lit. c) FKVO (EG) Nr. 139/2004 einmal eine Fristverlängerung beantragen; die Kommission kann dies jederzeit, wenn der Anmelder zustimmt. Allerdings dürfen die beiden letztgenannten Fristverlängerungen gem. Art. 10 Abs. 3
401 402 403
EuG, Präsident, Rs. T-342/00 R, Slg. 2001, II-67 (82, Rn. 46 f.) – Petrolessence; s. allgemein o. Rn. 1619 im Rahmen der VO (EG) Nr. 1/2003. S. EuG, Rs. T-342/00 R, Slg. 2001, II-67 (83, Rn. 51 ff.) – Petrolessence. Hirsbrunner, EuZW 2002, 453 (458 f.).
712
Kapitel 9 Fusionskontrolle
UAbs. 2 S. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zusammen 20 Arbeitstage nicht übersteigen. Gem. Art. 10 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 werden alle vorgenannten Fris1930 ten gehemmt, wenn die Arbeit der Kommission sich verzögert, sei es durch von den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen zu vertretenden Umständen, sei es wegen einer durch Entscheidung anzufordernden Auskunft oder anzuordnenden Nachprüfung. Die Fristen beginnen von Neuem, wenn der Gerichtshof eine fristgebundene Entscheidung der Kommission ganz oder teilweise für nichtig erklärt. Fristbeginn ist in diesen Fällen gem. Art. 10 Abs. 5 UAbs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004, wenn eine wegen nunmehr eingetretener Unvollständigkeit erforderliche neue oder ergänzte Anmeldung vorliegt oder die Anmelder unverzüglich bestätigt haben, dass keine Änderungen eingetreten sind (s. Art. 10 Abs. 5 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004). III.
Fiktion
1931 Erlässt die Kommission innerhalb dieser Fristen keine Entscheidung, gilt der Zusammenschluss gem. Art. 10 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 als für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt. Damit wird also seine Zulässigkeit fingiert. Etwas anderes gilt, wenn die Sache an die nationalen Wettbewerbsbehörden nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 zu verweisen ist. Insoweit laufen allerdings eigene Fristen.404 Eine Fiktion nach Art. 10 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 tritt auch dann ein, wenn eine ablehnende Entscheidung nach Art. 8 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 getroffen werden müsste, diese aber nicht fristgerecht ergeht. IV.
Unvereinbarerklärung
1932 Eine Ablehnung ist gem. Art. 8 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 dann vorgesehen, wenn ein Zusammenschluss nach Art. 2 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert oder eine durch die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen den Gründerunternehmen bezweckte oder bewirkte Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens nicht den Kriterien des Art. 81 Abs. 3 EG genügt. Dann ist der Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären. V.
Sonderformen
1933 Neben diesen Grundformen positiver und negativer Entscheidungen der Kommission über die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt sehen Art. 8 Abs. 4-6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 Entscheidungen für be404
S.u. Rn. 1947.
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
713
sondere Konstellationen und Anlässe vor. Art. 8 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 betrifft den Vollzug von Zusammenschlüssen, welche entweder für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden sind oder lediglich bei Einhaltung von der Kommission für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden konnten. Als mögliche Maßnahme kann dann die Kommission den beteiligten Unternehmen in erster Linie aufgeben, den Zusammenschluss rückgängig zu machen, indem diese vor allem die Fusion auflösen oder die erworbenen Anteile oder Vermögensgegenstände veräußern. Problematisch ist dabei, dass explizit eine „Veräußerung aller erworbenen Anteile oder Vermögensgegenstände“ vorgesehen ist. Diese dient zwar der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Die Vereinbarkeit mit den materiellen Maßstäben der Fusionskontrolle ist aber möglicherweise bereits durch eine Begrenzung auf eine Minderheitsbeteiligung möglich, so dass insoweit die Verhältnismäßigkeit einer vollständigen Rückabwicklung fehlen könnte.405 Eine solche rigide Maßnahme bildet aber die Konsequenz der fehlenden Erfüllung von Bedingungen, ohne welche die betroffene Fusion ausgeschlossen worden ist, und wird daher in Erwägungsgrund 31 auch im Kontext mit Sanktionen erwähnt. Somit wird auch die Einhaltung der Kommissionsentscheidungen und letztlich die Wettbewerbskonformität sichergestellt. Kann durch eine solche Rückgängigmachung nicht der Zustand vor dem Vollzug des Zusammenschlusses wieder hergestellt werden, ist jede andere geeignete Maßnahme möglich, die diesen Zustand möglichst weit wieder herstellt. Flankierend zu solchen Wiederherstellungsanordnungen kann die Kommission gem. Art. 8 Abs. 4 lit. b) 2. Spiegelstrich FKVO (EG) Nr. 139/2004 jede andere geeignete Maßnahme anordnen, welche sicherstellt, dass der Zusammenschluss rückgängig gemacht bzw. sonstige Maßnahmen zur Wiederherstellung des früheren Zustandes ergriffen werden. Diese Maßnahmen können dann, wenn der Zusammenschluss bereits trotz der Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt vollzogen wurde, einer negativen Entscheidung nach Art. 8 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beigefügt oder in einer gesonderten Entscheidung getroffen werden. Art. 8 Abs. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004 sieht einstweilige Maßnahmen vor. Auch sie betreffen den Vollzug von Zusammenschlüssen, die allerdings noch nicht für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt worden sind (lit. c)) oder den Vollzugsaufschub nach Art. 7 FKVO (EG) Nr. 139/2004 verletzt (lit. a)) oder gegen eine Bedingung im Hinblick auf einen grundsätzlich mit dem Gemeinsamen Markt konformen Zusammenschluss verstoßen haben (lit. b)). Ziel dieser einstweiligen Maßnahmen ist es, wirksamen Wettbewerb wieder herzustellen oder aufrecht zu erhalten. Sie sind aber nur vorläufig und können daher eine endgültige Entscheidung nicht vorweg nehmen. Sie sollen mithin einen Zustand in der Schwebe halten und nicht wie nach Art. 8 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 dauerhaft reparieren. Art. 8 Abs. 6 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ermöglicht der Kommission den Widerruf einer isolierten oder bedingten Vereinbarerklärung eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt. Diese Möglichkeit besteht bei vom Unterneh405
Daher abl. Dittert, WuW 2004, 148 ff.; Rosenthal, EuZW 2004, 327 (331).
1934
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Kapitel 9 Fusionskontrolle
men zu vertretenden unrichtigen Angaben oder arglistigem Herbeiführen (lit. a)) und bei einem Verstoß gegen Auflagen (lit. b)). VI.
Mitteilungspflicht
1938 Gem. Art. 8 Abs. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 hat die Kommission die vorgenannten Entscheidungen den beteiligten Unternehmen und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unverzüglich mitzuteilen.
C.
Verweisung an die nationalen Wettbewerbsbehörden nach Anmeldung (Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004)
I.
Grundvoraussetzungen
1939 Gem. Art. 9 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann die Kommission einen angemeldeten Zusammenschluss an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats verweisen. Vor der Anmeldung kann sie dies schon nach Art. 4 Abs. 4 FKVO.406 Von einer solchen Entscheidung hat sie die beteiligten Unternehmen und die zuständigen Behörde der übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich zu unterrichten. Grundlage für eine Verweisung durch die Kommission ist nach Art. 9 Abs. 2 1940 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Mitteilung eines Mitgliedstaates, dass ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf seinem Markt erheblich zu beeinträchtigen droht oder erheblich beeinträchtigen würde. Es muss sich allerdings um einen gesonderten Markt handeln. Zudem darf im Falle des Art. 9 Abs. 2 lit. b) FKVO (EG) Nr. 139/2004 kein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigt werden. Da dieser Begriff sehr weit gezogen wird,407 muss ein wirklich eng begrenzter regionaler Markt innerhalb eines Mitgliedstaates betroffen sein.408 In Betracht kommt dies etwa bei einem Zusammenschluss öffentlicher Nahverkehrsdienste409 oder im Hinblick auf eine regional beschränkte Belieferung von Haushalten mit Flaschenmilch.410 Termingemäß muss der Mitgliedstaat die Mitteilung innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt der Kopie der Anmeldung machen, was er von Amts wegen oder auf Aufforderung durch die Kommission kann. Die Kommission prüft gem. Art. 9 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004, ob ein 1941 solcher gesonderter Markt und eine solche Gefahr bestehen. Dabei berücksichtigt sie den Markt der betreffenden Waren oder Dienstleistungen und den räumlichen 406 407 408
409 410
S.o. Rn. 1847 ff. S.o. Rn. 1766 a.E. Berg, in: Schwarze/Müller-Graff (Hrsg.), XX. FIDE-Kongress, EuR 2004, Beiheft 1, S. 157 (159); Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 40 mit Fn. 34). S. KOME COMP/M.2446, ABl. 2001 C 177, S. 3 – Govia/Connex South Central; COMP/M.2730, ABl. 2002 C 70, S. 31 – Connex/DNVBVG. S. KOME COMP/M.3130, ABl. 2003 C 297, S. 25 – Arla Foods/Express Diaries.
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
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Referenzmarkt, der nach Art. 9 Abs. 7 FKVO (EG) Nr. 139/2004 entsprechend den auch sonst für die Herausarbeitung des räumlich relevanten Marktes bedeutsamen Kriterien411 bestimmt werden muss. Dies richtet sich insbesondere nach gebietsmäßig divergierenden Wettbewerbsbedingungen, Verbrauchergewohnheiten und Markteintrittsschranken. Hingegen darf ein Unternehmen durchaus in mehreren Mitgliedstaaten tätig sein, ohne dass diese dadurch zu einem räumlichen Markt zusammengefasst werden müssten. Auch ist es unschädlich, wenn bestimmte Strukturen auf mehreren Märkten vorhanden sind.412 Ist nach dieser Prüfung kein gesonderter Markt betroffen oder besteht keine Ge- 1942 fahr erheblicher Beeinträchtigung des Wettbewerbs, stellt die Kommission dies gem. Art. 9 Abs. 3 UAbs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 fest und behandelt den Fall nach der Fusionskontrollverordnung selbst. Diese Möglichkeit hat sie gem. Art. 9 Abs. 3 UAbs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 selbst dann, wenn sie einen gesonderten Markt und die Gefahr einer erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung bejaht. Sie kann dann aber auch den Fall ganz oder teilweise an die nationalen Wettbewerbsbehörden verweisen, die dann nach ihrem Recht vorgehen. Dies muss sie gem. Art. 9 Abs. 3 UAbs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004, wenn es sich nicht um einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes handelt. Es besteht eine unwiderlegliche Vermutung für einen Verweis, wenn die Kommission trotz Erinnerung durch den betreffenden Mitgliedstaat nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von 65 Arbeitstagen eine Entscheidung getroffen und auch keine vorbereitenden Schritte eingeleitet hat. Nach Art. 9 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004 ist eine Entscheidungsfrist von 35 (lit. a)) oder von bis zu 65 (lit. b)) Arbeitstagen vorgesehen. II.
Ermessen der Kommission
Entscheidet die Kommission, hat sie dabei das ihr durch die „kann“-Formulierung 1943 der Grundnorm nach Art. 9 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 eingeräumte Ermessen auszuüben. Das gilt, soweit ihre Entscheidung nicht durch Art. 9 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 wegen Fehlens tatbestandlicher Voraussetzungen gebunden ist, weil entweder ein gesonderter Markt oder die Gefahr einer erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung auf diesem Teilmarkt nicht existiert. Die Ausfüllung dieses Ermessens ist stark an dem Zweck der Fusionskontrollverordnung zu orientierten. Es muss daher trotz Verweisung sichergestellt sein, dass auf den durch den Zusammenschluss betroffenen Märkten ein wirksamer Wettbewerb aufrecht erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird. Spricht eine Gesamtheit genauer und übereinstimmender Hinweise dagegen, ist eine Verweisung ausgeschlossen.413 Bei der Beurteilung dieser Hinweise hat die Kommission jedoch einen weiten 1944 Beurteilungsspielraum. Ihr darf nur kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sein.414 Dabei gilt eine ex-ante-Betrachtung und damit eine zukunftsgerich411 412 413 414
S.o. Rn. 1766 ff. EuG, Rs. T-346 u. 347/02, Slg. 2003, II-4251 (4299, Rn. 117) – Cableuropa u.a. EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1544, Rn. 343) – Philips. EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1544, Rn. 344) – Philips.
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Kapitel 9 Fusionskontrolle
tete Einschätzung,415 wie dies im Rahmen der Fusionskontrollverordnung auch bei anderen Entscheidungen üblich ist. Immer dann, wenn für die Kommission offensichtlich ist, dass nur sie selbst durch eine ganzheitliche Betrachtung der betroffenen Märkte wirksamen Wettbewerb garantieren kann, darf sie nicht an eine mitgliedstaatliche Behörde verweisen.416 Das liegt bei allen auf eine größere Zahl von Mitgliedstaaten bezogenen Zusammenschlüssen nahe. Jedoch ist zu berücksichtigen, wie das nationale Wettbewerbsrecht materiell ausgestaltet ist und wie es umgesetzt wird.417 Zudem bezieht sich die Fusionskontrollverordnung regelmäßig auf Unternehmenszusammenschlüsse, die mehrere Staaten betreffen (s. Art. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004). Im Zentrum der Vorstellungen der Kommission steht die Überlegung, welche 1945 Behörde die geeignetere ist. Das hängt vor allem davon ab, wo eventuelle Wettbewerbsfolgen eines Zusammenschlusses am ehesten auftreten. Zu bedenken ist auch, dass die Verweisung zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeutet und damit zu Zeitverzögerungen führt418 sowie prinzipiell lediglich eine Anlaufstelle zuständig sein soll; Aufspaltungen auf mehrere nationale Behörden bei Auswirkungen auf Märkte in unterschiedlichen Mitgliedstaaten und Teilverweisungen sind daher möglichst zu vermeiden. Aus Rechtssicherheitsgründen ist nach Auffassung der Kommission eine „ursprüngliche Zuständigkeit“ nur aus zwingenden Gründen zu ändern.419 Allerdings ist die Verweisung nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unter be1946 stimmten Voraussetzungen möglich. Die Fragmentierung eines Falles als solche spricht daher nach der Rechtsprechung noch nicht dagegen.420 Vielmehr steht die Effektivität der Sicherung des gemeinschaftsweiten Wettbewerbs im Vordergrund. Diese ist bei Einzelbeurteilungen nationaler Behörden eigentlich nur gewährleistet, wenn mit der Fusionskontrollverordnung vergleichbare Maßstäbe zugrunde gelegt werden. So muss denn eine Verweisung nach Art. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Ausnahme bleiben. Dieser Charakter ergibt sich aus dem grundsätzlichen Anliegen der Fusionskontrollverordnung, lediglich eine Anlaufstelle für Fusionen festzulegen. Er korrespondiert mit verschiedenen Erklärungen bei Entstehung der Vorschrift.421 Auf dieser Basis wird auch die Kohärenz mit den Erwägungen der
415 416 417 418 419 420 421
EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1545, Rn. 346) – Philips. EuG, Rs. T-346 u. 347/02, Slg. 2003, II-4251 (4316 ff., Rn. 176 ff.) – Cableuropa u.a. EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1545, Rn. 348) – Philips. Im Sinne eines „Kann“-Arguments Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 9). Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005 C 56, S. 2 (Rn. 11 ff.). Diese weite Konzeption offensichtlich bemängelnd EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1547 f., Rn. 355 f.) – Philips. EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 (1546 f., Rn. 350 ff.) – Philips unter Verweis etwa auf das Kommission, Fusionskontrolle der Gemeinschaft: Grünbuch der Kommission über die Revision der Fusionskontrollverordnung, KOM (1996) 19 endg., Tz. 94 sowie die 10. Begründungserwägung der VO (EG) Nr. 1310/97 des Rates vom 30.6.1997 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 180, S. 1.
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
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Kommission in ihrer Mitteilung über die Verweisung von Fusionssachen422 sichergestellt. III.
Rechtsfolgen
Gelangt der Fall solchermaßen in die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbs- 1947 behörden, entscheiden diese ohne unangemessene Verzögerung. Sie haben innerhalb von 45 Arbeitstagen nach der Verweisung den beteiligten Unternehmen das vorläufige Ergebnis ihrer wettbewerbsrechtlichen Prüfung sowie die ggf. von ihnen beabsichtigten Maßnahmen mitzuteilen. Die Frist kann ausnahmsweise bei nicht gemachten, erforderlichen Angaben gehemmt werden. Dies beurteilt sich nach dem innerstaatlichen Wettbewerbsrecht. Dieses bestimmt auch, ob eine Anmeldung erforderlich ist. Ist dies der Fall, beginnt die 45-Tage-Entscheidungsfrist mit dem auf den Eingang der vollständigen Anmeldung folgenden Arbeitstag. Gem. Art. 9 Abs. 8 FKVO (EG) Nr. 139/2004 kann der Mitgliedstaat, an den von der Kommission verwiesen wurde, lediglich die unbedingt zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung wirksamen Wettbewerbs auf seinem Markt erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Im Hinblick darauf kann er gem. Art. 9 Abs. 9 FKVO (EG) Nr. 139/2004 beim Gerichtshof Klage erheben und insbesondere einstweilige Maßnahmen nach Art. 243 EG beantragen.
D.
Geldbußen und Zwangsgelder (Art. 14, 15 FKVO (EG) Nr. 139/2004)
Die Kommission kann gegen an Zusammenschlüssen beteiligte Personen, Unter- 1948 nehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung empfindliche Geldbußen und Zwangsgelder festsetzen. Bezugspunkt der Höhe ist der Gesamtumsatz nach Art. 5 FKVO (EG) Nr. 139/2004.423 Maximal 1 % davon kann die Kommission gem. Art. 14 Abs. 1 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen die Pflicht zur richtigen und nicht irreführenden Angaben und Auskünften sowie bei unvollständigen Befolgungen der Nachprüfungsforderungen der Kommission sowie bei Siegelbruch verhängen. Bis zu 10 % des Gesamtumsatzes, den beteiligte Unternehmen erzielten, können nach Art. 14 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 bei Verstößen gegen die Anmeldepflicht, das Vollzugsverbot oder gegen Bedingungen bzw. Auflagen verhängt werden. Wie hoch die Geldbuße innerhalb dieser Spanne im Einzelnen ausfällt, bestimmt gem. Art. 14 Abs. 3 FKVO (EG) Nr. 139/2004 die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung. Jedenfalls handelt es sich nicht um strafrechtliche Entscheidungen, Art. 14 Abs. 4 FKVO (EG) Nr. 139/2004. Daher können die zu Kartellbußen entwickelten Grundsätze herangezogen werden.424 422 423 424
S.o. Rn. 1853 ff. S.o. Rn. 1748 ff. S.o. Rn. 1567 ff.
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Kapitel 9 Fusionskontrolle
Während Geldbußen ein Verhalten sanktionieren, sollen es Zwangsgelder jedenfalls in erster Linie erzwingen. Sie beziehen sich auf in einer Entscheidung angeforderte Auskünfte, die vollständig und sachlich richtig erteilt werden müssen und auf Nachprüfungen, die zu dulden sind, sowie auf Auflagen und Maßnahmen, denen nachzukommen ist (im Einzelnen Art. 15 Abs. 1 lit. a)-d) FKVO (EG) Nr. 139/2004). Sie können auf bis zu 5 % des durchschnittlichen täglichen Gesamtumsatzes des beteiligten Unternehmens bzw. der beteiligten Unternehmensvereinigung für jeden Arbeitstag des Verzugs festgesetzt werden. Die endgültige Höhe des Zwangsgeldes kann aber nach Art. 25 Abs. 2 FKVO (EG) Nr. 139/2004 reduziert werden, wenn die bislang unterlassenen oder nicht vollständig durchgeführten Maßnahmen nachgeholt worden sind. Gem. Art. 16 FKVO (EG) Nr. 139/2004 unterliegen Geldbußen und Zwangs1950 geld auch im Hinblick auf das bei ihrer Festsetzung bestehende Ermessen der unbeschränkten Nachprüfung durch den Gerichtshof gem. Art. 229 EG. Dieser kann die Geldbuße oder das Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.425 1949
E.
Rechtsschutz
1951 Gegen die vorgenannten Entscheidungen der Kommission können die Adressaten nach Art. 230 Abs. 4 EG Nichtigkeitsklage vor dem EuG erheben. Das betrifft vor allem Untersagungen von Zusammenschlüssen sowie Folgeentscheidungen, um diese rückgängig zu machen, Vereinbarerklärungen mit Auflagen und Bedingungen, aber auch verhängte Buß- und Zwangsgelder sowie bereits Entscheidungen über Verweisungen an mitgliedstaatliche Behörden. Auch Dritte können klagen, wenn sie die jeweilige Entscheidung unmittelbar und individuell betrifft. Das ist dann der Fall, wenn die Marktstellung zu ihren Lasten erheblich verschoben wird.426 Rechtsmittel gegen Entscheidungen des EuG können beim EuGH eingelegt werden. Zusammenschlüsse sollen i.d.R. rasch vollzogen werden. Oft hängen sie von 1952 konkreten Markt- und Unternehmensgegebenheiten ab, die sich leicht ändern können und dann die Parteien von etwaigen Fusionen Abstand nehmen lassen. Bis dann über die Zulässigkeit einer Fusion abschließend entschieden wurde, ist sie gar nicht mehr aktuell. Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten dauern jedoch ca. zwei Jahre pro Instanz.427 Umso stärker ist das Bedürfnis nach zügigem Rechtsschutz. Ein Weg besteht in einer Vorabklärung im einstweiligen Rechtsschutz, die aber nicht endgültig ist. Zudem werden dabei regelmäßig keine Anordnungen getroffen, welche den Vollzug der Kommissionsentscheidung hemmen.428 Erfolgversprechender und geboten ist daher die schnellere Gewährung von 1953 Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren durch ein beschleunigtes Verfahren, wel425 426 427 428
Näher o. Rn. 1610 f. S.o. Rn. 1902. Berg, in: Schwarze/Müller-Graff (Hrsg.), XX. FIDE-Kongress, EuR 2004, Beiheft 1, S. 157 (163, Fn. 21). S.o. Rn. 1927.
§ 5 Entscheidungen und Rechtsschutz
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ches nicht nur zeitlich kürzer ist, sondern auch mit Vorrang behandelt wird. Dieses kann durch eine der Parteien beantragt werden. Weiter muss die Angelegenheit besonders eilig sein, etwa weil eine einstweilige Anordnung keinen effektiven Rechtsschutz ermöglicht. Schließlich muss das Gericht den Fall für das beschleunigte Verfahren für geeignet halten.429 Dann werden allerdings gem. Art. 76a § 2 VerfO EuG die Schriftsätze nur einmal und nicht zwei Mal ausgetauscht. Die Erfahrungen sind positiv, wurden doch die Urteile in den Fällen Schneider und Tetra Laval in neun bis zehn Monaten nach der Klageeinreichung gefällt. Freilich ist dieser Zeitraum immer noch recht lange, so dass sich weitere Reformen aufdrängen, so durch Bildung eigener Kammern.430
429 430
S. Art. 76a § 1 VerfO EuG, geänderte Fassung ABl. 2000 L 322, S. 4. Ausführlich zum Ganzen Weitbrecht, in: Everling/Müller-Graff/Schwarze (Hrsg.), Die Zukunft der Europäischen Gerichtsbarkeit nach Nizza, EuR 2003, Beiheft 1, S. 115 (123 ff.).
Teil V Besonderheiten bei staatlichem Einfluss
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
§ 1 Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs A.
Entwicklungsstand
I.
Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit
Das vorstehend als wettbewerbswidrig eingestufte Verhalten von Unternehmen 1954 kann auch von staatlichen Maßnahmen beeinflusst sein, sei es, dass es in einen legislativen Rahmen eingebettet ist, sei es, dass es auf staatlichem Druck oder auch staatlicher Förderung beruht.1 Die Prüfung von derartigen staatlichen Maßnahmen mit solchen Auswirkungen ist eine Frage der Bewältigung indirekter staatlicher Einflussnahme, die von den Art. 28 ff. EG nicht (zureichend) erfasst wird. Zwar umschließt die Warenverkehrsfreiheit infolge der weiten Dassonville-Formel auch indirekte Behinderungen des freien Warenverkehrs. Sie müssen aber auf staatlichem Verhalten beruhen. Dieses muss den beeinträchtigenden Effekt allein hervorzurufen geeignet sein und daher ein eigenbestimmtes Verhalten von Unternehmen unmöglich machen oder erschweren.2 Bei Wettbewerbsverstößen tritt hingegen unternehmerisches Verhalten dazwi- 1955 schen, das der Staat lediglich angestoßen oder gefördert hat, ohne ihm seine Eigenständigkeit zu nehmen. Der grenzüberschreitende Handel wird daher immer noch von Unternehmen beeinträchtigt, nicht hingegen vom Staat. Eine Anwendung von Art. 28 EG scheidet daher auch insoweit aus. II.
Dogmatischer Ansatz
Der EuGH wendet auf staatliche Maßnahmen, die den Hintergrund für Wettbe- 1956 werbsverstöße von Unternehmen bilden, in ständiger Rechtsprechung3 Art. 81, 82 1 2
3
S.o. Rn. 409 ff. Van der Esch, ZHR 155 (1991), 274 (281 f.); Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 264 f. S. EuGH, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 (32 ff., Rn. 15 ff.) – Leclerc/ Au Blé Vert sowie bereits o. Rn. 109, 688 ff.; Frenz, Europarecht 1, Rn. 728. EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2145, Rn. 30/35) – Inno/ATAB; Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 (31, Rn. 14) – Leclerc/Au Blé Vert; Rs. 231/83, Slg. 1985, 305 – Cullet/Leclerc; Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 – BNIC/Clair; Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 – As-
724
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
EG über Art. 10 Abs. 2 EG und zumindest früher in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG4 an. Er sieht diese Vorschriften als verletzt an, wenn die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, welche die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln ausschalten könnten. Das sieht er insbesondere dann, wenn EU-Länder Art. 81 EG zuwider laufende Kartellabsprachen vorschreiben oder erleichtern oder deren Auswirkungen verstärken, indem sie sie etwa übernehmen und als staatliche Maßnahme verbindlich machen.5 Der Bereich von Art. 82 EG wird betroffen, wenn der Staat ein Unternehmen zu einem Verhalten veranlasst, das eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt.6 III.
Relevanz in der Praxis
1957 Vielfach laufen diese verschiedenen Ansatzpunkte zusammen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Staat sowohl den Abschluss einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung gesetzlich vorschreibt als auch ihre Einhaltung mit gewährleistet. So hat der EuGH im Fall CNSD eine staatliche Einwirkung zum einen darin gesehen, dass eine gesetzliche Regelung eine verbindliche und einheitliche Gebührenordnung vorgab. Diese hatte zwar eine privatrechtliche Vereinigung umzusetzen; diese war indes inhaltlich derart gebunden, dass sie eine verbindlich festgelegte Preisspanne bestimmen musste, welche einen Preiswettbewerb zwischen den betroffenen Zollspediteuren ausschloss und damit zugleich den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen konnte, wie dies für die Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen typisch ist.7 Die privatrechtliche Vereinigung war daher nur Vollzugsorgan, welches gezwungen war, einen wettbewerbswidrigen Beschluss zu fassen. Ihr Dazwischentreten nahm somit der gesetzlichen Regelung nur formal ihren staatlichen Charakter, so dass ein Standardfall für einen staatlichen Verstoß gegen
4
5 6 7
jes; Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 – Vlaamse Reisbureaus; Rs. 136/86, Slg. 1987, 4789 – BNIC/Aubert; Rs. 267/86, Slg. 1988, 4769 (4791, Rn. 16) – Van Eycke; Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (851, Rn. 45) – Ahmed Saeed Flugreisen; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser; Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 32 ff.) – ERT; Rs. C-2/91, Slg. 1993, I-5751 (5797, Rn. 14) – Meng; Rs. C-245/91, Slg. 1993, I-5851 (5878, Rn. 10) – Ohra; zur Entwicklung Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 127 ff.; Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 39 ff.; Ehricke, WuW 1991, 183 (184 f.); ders., Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb, 1994, S. 37 ff.; Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages, 1994, S. 29 ff. Damals noch Art. 3 f.) EWGV. – Diese Bestimmung wurde von EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3997 f., Rn. 48 f.) – Corsica Ferries II; Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3899 f., Rn. 53 f.) – CNSD nicht mehr erwähnt. EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3826, Rn. 9 ff.; 3829, Rn. 22 ff.) – Vlaamse Reisbureaus. EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2145 f., Rn. 30/35) – Inno/ATAB. EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3898, Rn. 46) – CNSD. Allgemein o. Rn. 624, 640 ff.
§ 1 Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs
725
die Wettbewerbsregeln vorlag.8 Hier kam noch hinzu, dass die von der privatrechtlichen Vereinigung gefassten Preisbeschlüsse in einem offiziellen Organ bekanntgemacht wurden und damit den Anschein einer öffentlich-rechtlichen Regelung mit der Vermutung der Bekanntheit und der Rechtmäßigkeit erweckten. Damit war es unschädlich, dass keine formale staatliche Genehmigung vorgesehen war. Der Beschluss der Unternehmensvereinigung wurde weiter gehend wie eine staatliche Maßnahme behandelt.9 Damit bestand eine sehr enge Anbindung an den Staat. Die Verflechtung kann 1958 indes auch lockerer sein. Dem Vorschreiben von gegen Art. 81 EG verstoßenden Verhaltensweisen wird deren Erleichterung und Förderung ausdrücklich gleichgestellt.10 Diese Wettbewerbsverstöße dürfen nur nicht gänzlich Ausdruck selbstständigen unternehmerischen Verhaltens sein, sondern staatliches Verhalten muss diese deutlich beeinflussen, um überhaupt wettbewerbsrechtlich relevant zu sein. Denn wirtschaftliches Verhalten wird nahezu durchgehend staatlich beeinflusst. Staatliche Erleichterungen und Förderungen privater Wettbewerbsverstöße 1959 müssen sich daher von den gewöhnlichen staatlichen Verhaltensvorgaben abheben. Das können sie dadurch, dass sie eine bestimmte wettbewerbswidrige Verhaltensweise veranlassen wollen oder zumindest diese Wirkung haben. Dann erfolgt eine Gleichstellung mit der allgemeinen Vorgabe der Wettbewerbsbeschränkung, welche auch bei Unternehmen bezweckt oder bewirkt sein kann. Eine Vermutung dafür besteht, wenn zumindest den Kurs von Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen deutlich vorgebende staatliche Festlegungen existieren, denen sich die Betroffenen jedenfalls faktisch nicht entziehen können. Ihnen darf zugleich nicht die Eigenständigkeit genommen werden. Daher müssen Spielräume für unternehmerische (Rest-)Gestaltung bestehen.11 Die Beurteilung staatlichen Einflusses ist allerdings umso problematischer, je stärker staatliche Vorgaben Unternehmen Freiräume lassen. Wettbewerbswidrige Verhaltensweisen lassen sich gleichwohl auch aus der deutschen Verpackungsverordnung ableiten, wenn man sie unter wettbewerbsrechtlichem Blickwinkel betrachtet.12
8
9 10 11 12
S. bereits EuGH, Rs. 267/86, Slg. 1988, 4769 (4791, Rn. 16) – van Eycke; Rs. C-185/91, Slg. 1993, I-5801 (5847, Rn. 14) – Reiff; Rs. C-153/93, Slg. 1994, I-2517 (2530, Rn. 14) – Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft. EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3900 f., Rn. 59) – CNSD. Z.B. EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3900, Rn. 54) – CNSD. S.o. Rn. 109, 1955. Ausführlich Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 6 ff. mit abschließender Bewertung S. 111 f. Vgl. zu markenrechtlichen Fragen EuG, Rs. T-151/01 R, Slg. 2001, II-3295 – Duales System Deutschland/Kommission; dazu Frenz, WuW 2002, 962 ff.; zur Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. C-463/01, EuZW 2005, 49 – Pfandpflicht sowie Rs. C-309/02, EuZW 2005, 81 – Radlberger.
726
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
IV.
Effet-utile-Gedanke und auftretende Probleme
1960 Die Literatur stimmt der Linie des EuGH praktisch durchgehend zu.13 Es ist notwendig, auch staatliche Maßnahmen, die hinter Wettbewerbsverstößen von Unternehmen stehen, zu erfassen. Von daher entspricht die Heranziehung von Art. 81, 82 EG dem effet-utile-Gedanken.14 Als Problem ihrer Anwendung über Art. 10 Abs. 2 EG und lediglich neben Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG stellt sich allerdings die inhaltliche Unbestimmtheit dieser Grenze mitgliedstaatlichen Verhaltens. Die Verbindlichkeit des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG beschränkt sich schon wegen seiner systematischen Stellung im Ersten Teil „Grundsätze“ auf das Ziel als solches;15 dessen Wahrung und Erreichung verlangt eine adäquate Konkretisierung, wie sie in Art. 81 ff. EG enthalten ist.16 Art. 10 EG beinhaltet nicht ohne weiteres konkrete Pflichten.17 Bloße Zielvorgaben bedürfen der Konkretisierung.18 So sah sich der EuGH außerstande, Rechtsvorschriften über den Wettbewerb bei den Endverkaufspreisen bei Büchern zu verbieten, weil insoweit keine Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft besteht.19 13
14
15 16 17
18
19
Etwa Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 107 ff.; Dreher, WuW 1994, 193 (202); Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der EG, 1992, S. 121; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 32; Riesenkampff, BB 1995, 833 (838); Schollmeir, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 1292; Schütz, EuZW 1993, 409 (412); Schwintowski, RabelsZ 58 (1994), 232 (243); bzgl. nationaler Branchenabsprachen Pernice, EuZW 1992, 139 (142); näher begründend Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages, 1994, S. 101 ff. Möschel, NJW 1994, 1709 ff.; ders., in: FS für Everling I, 1995, S. 841 (847 f.); Schwintowski, RabelsZ 58 (1994), 232 (241); auch Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 87 ff., allerdings mit modifiziertem Ansatz. S. auch EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (246, Rn. 25 a.E.) – Continental Can. Anders Bleckmann, in: FS für Lukes, 1989, S. 271 (273). EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (245 f., Rn. 25) – Continental Can. S. EuGH, Rs. 71/76, Slg. 1977, 765 (777 f., Rn. 15/18) – Thieffry, aber auch Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages, 1994, S. 107 ff., die versucht, konkrete Pflichtengehalte zu gewinnen und über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einzelfall zu operabilisieren. Differenzierend Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 Rn. 2: selbstständige Pflichten, wenn Mitgliedstaaten kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt. S. für Art. 10 EG EuGH, Rs. 96/81, Slg. 1982, 1791 (1803, Rn. 8) – Badegewässer; Rs. 97/81, Slg. 1982, 1819 (1832, Rn. 8) – Trinkwasser; stärker hingegen für einen Bereich ausschließlicher Zuständigkeit EuGH, Rs. 804/79, Slg. 1981, 1045 (1075, Rn. 27 f.) – Seefischerei. Allgemein die Unschärfe der sich nach der Rspr. des EuGH ergebenden Schranken in diesem Zusammenhang kritisierend Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 4; Pappalardo, in: FS für von der Groeben, 1987, S. 303 ff. EuGH, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 (33, Rn. 19 f.) – Leclerc/Au Blé Vert; s. auch MüllerGraff, EuR 1985, 293 (297 f.); Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 116 ff.; jedoch den Ausnahmecharakter dieser Entscheidung betonend van der Esch, ZHR 155 (1991), 274 (280); Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 179 ff.
§ 1 Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs
B.
727
Aussonderung von Art. 86 Abs. 1 EG
Den Umweg über Art. 10 Abs. 2 EG zur Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auf wettbewerbsprägendes staatliches Hintergrundverhalten vermeidet eine unmittelbare Heranziehung von Art. 86 Abs. 1 EG. Unter diese Vorschrift wird von Teilen der wettbewerbsrechtlichen Literatur20 auch die staatliche Begünstigung von Unternehmen durch gesetzliche Regelungen oder administrative Maßnahmen gefasst. Der bloße Verzicht des Staates auf eine formelle Regulierung, weil Unternehmen eine Koordinierung eingehen, dürfte demnach auch nach diesem Ansatz noch nicht ausreichen, um den Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 1 EG zu eröffnen. Eine Begünstigung durch gesetzliche Regelung kann aber darin gesehen werden, dass der Staat Vorschriften erlässt, welche die unternehmerischen Anstrengungen kanalisieren und Unternehmen davon profitieren. So eröffnet § 6 Abs. 3 VerpackV einem Unternehmen, ein Ersatzsystem für die Erfassung und Entsorgung von Verkaufsverpackungen zu werden. In den meisten Fällen stellt sich allerdings eine staatliche Rahmenregelung, in welche Koordinierungen eingebettet sind, eher als Belastung denn als Begünstigung dar. Da der bloße Verzicht auf eine Regelung keine solche bilden kann, zumal Art. 86 Abs. 1 EG von „gewähren“ spricht, fällt die Implikation staatlicher Organe in unternehmerische Koordinierungen auch nach diesem Ansatz regelmäßig nicht unter Art. 86 Abs. 1 EG. Grundsätzlich stehen einer solch weiten Erstreckung des Art. 86 Abs. 1 EG auf staatliche Vergünstigungen der Wortlaut und die Struktur dieser Vorschrift entgegen. Verlangt wird die Gewährung besonderer und ausschließlicher Rechte. Exklusive Rechte sind nur solche, die lediglich dem Staat zustehen, mithin Hoheitsrechte. So ist auch die Anerkennung des Dualen Systems als Ersatzsystem gerade keine Beleihung, was sich an seiner Ohnmacht gegenüber Trittbrettfahrern zeigte.21 Das Vorliegen eines besonderen Rechts setzt voraus, dass dadurch sein Träger gegenüber anderen herausgehoben ist.22 Durch gesetzliche Vorschriften wird das allgemein nicht erreicht. Führt dazu ein Verwaltungsakt, so ergeben sich immer noch die Bedenken, dass Art. 86 Abs. 1 EG nur staatliche Verhaltensweisen er20
21 22
Mestmäcker, in: FS für Böhm, 1966, S. 345 (387 ff.); Müller-Graff, EuR 1985, 293 (300 f.); Ehricke, EuZW 1993, 211 (212 f.); ders., Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb, 1994, S. 160 ff.; anders aber noch ders., WuW 1991, 183 (190). Ein Wechsel in diese Richtung kann nicht der Rspr. des EuGH entnommen werden, s. aber Ehricke, EuZW 1993, 211 (213) unter Bezug auf Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2017 f., Rn. 26 ff.) – Höfner und Elser; Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 32 ff.) – ERT; Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5928, Rn. 14 ff.) – Genova; Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5980, Rn. 20 f.) – GB-Inno-BM, der in jüngeren Urteilen weiterhin staatliche Einwirkungen auf den Wettbewerb am Maßstab des Art. 10 Abs. 2 und jedenfalls zunächst noch des Art. 3 Abs. 1 lit. g) i.V.m. Art. 81 EG überprüfte, Rs. C-185/91, Slg. 1993, I-5801 (5847, Rn. 14) – Reiff; Rs. C-153/93, Slg. 1994, I-2517 (2530, Rn. 14) – Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft; näher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 39 f. Im Einzelnen Frenz, GewArch. 1994, 145 (146, 155). S. EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2147 f., Rn. 43/45 ff.) – Inno/ATAB.
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Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
fasst, die auf Unternehmen bezogen sind, welchen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren. Die Gewährung von Rechten geht also nach der Struktur der Vorschrift dem wettbewerbsrelevanten Verhalten des Staates voraus, bildet dieses indes im Rahmen von Art. 86 Abs. 1 EG nicht selbst. Diese Vorschrift knüpft an die Bevorzugung an, verbietet diese aber nicht selbst.23 Sedes materiae auch für staatliche Begünstigungen, die Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen haben, sind daher Art. 81, 82 EG.
C.
Direkte Anwendung von Art. 81 Abs. 1, 82 EG
I.
Begründung
1965 Eine unmittelbare Anwendung von Art. 81, 82 EG auf staatliche Maßnahmen vermeidet die Relativierungen, die eine Heranziehung über Art. 10 Abs. 2 EG und in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG bedingt.24 Die für wettbewerbsrelevante staatliche Verhaltensweisen bestehenden Grenzen sind dann von der Anlage her genauso konkret und präzise wie die für Unternehmen. Dafür besteht auch ein praktisches Bedürfnis. Durch staatliche Maßnahmen können die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs entscheidend verschoben werden – zum Teil stärker als durch Unternehmen selbst. Das gilt etwa dann, wenn der Staat Rahmenvorgaben aufstellt, an die sich die Unternehmen zu halten haben und die sie nur mit betriebsübergreifenden Absprachen verwirklichen können. Diese Veränderungen tangieren die Funktionen der Wettbewerbsfreiheit. So werden die Zielrichtungen, in unverfälschtem Wettbewerb ineffiziente Unternehmen auszusondern sowie die Verteilung und Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen zu optimieren,25 wesentlich erschwert, wenn der Staat wie durch § 9 VerpackV bestimmte (Mehrweg-) Quoten vorgibt, Kooperationen veranlasst und damit den Marktzugang von Konkurrenzunternehmen behindert. Dadurch wird vor allem die Hauptstoßrichtung von Art. 81, 82 EG, zusammen mit den anderen Freiheiten einen Gemeinsamen Markt und damit einen die nationalen Märkte verschmelzenden26 Wirtschaftsraum zu gewährleisten, vereitelt. Ein solcher zusammenhängender Wirtschaftsraum basiert darauf, dass sich der Wettbewerb zwischen den Wirtschaftssubjekten entfalten kann. Das bedarf der Absicherung durch die Wettbewerbsfreiheit.27 Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, von welcher Seite die Störungen der Wettbe23
24 25 26 27
Everling, in: FS für Raiser, 1974, S. 379 (394 f.); Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 39 f.; a.A. Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 320 ff. S.o. Rn. 1960. S.o. Rn. 15 ff. EuGH, Rs. 15/81, Slg. 1982, 1409 (1431 f, Rn. 33) – Gaston Schul. Im Einzelnen Blank, Europäische Fusionskontrolle im Rahmen der Art. 85, 86 des EWG-Vertrages, 1991, S. 34 f.; Günther, Wege zur europäischen Wettbewerbsordnung, 1968, S. 44; s. auch Zuleeg, in: ders., Wirtschafts- und gesellschaftliche Ordnungsprobleme der Europäischen Gemeinschaften, 1978, S. 76. Vgl. allgemein Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 132 ff.
§ 1 Staatliche Beeinflussung privaten Wettbewerbs
729
werbsfreiheit kommen. Der effet utile von Art. 81, 82 EG gebietet nicht nur eine Prüfung von Anlass zu unternehmerischen Wettbewerbsverstößen gebenden staatlichen Verhaltensweisen als solchen, sondern deren Messung an Art. 81, 82 EG unmittelbar. Gleichwohl wird eine solche unmittelbare Anwendung von Art. 81, 82 EG na- 1966 hezu einhellig abgelehnt.28 Art. 81, 82 EG nennen nur Unternehmen bzw. auch Unternehmensvereinigungen, nicht aber die Mitgliedstaaten. Indes verleihen auch die Grundfreiheiten den Individuen unmittelbar Rechte, obgleich jene der Wortlaut dieser Vorschriften nicht ausdrücklich berechtigt.29 Der EuGH stützt die unmittelbare Wirkung insbesondere auf den effet utile des Vertrages. Der EG zielt auf die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörenden Einzelnen unmittelbar betrifft. Daher soll ihnen der Vertrag Rechte verleihen, und zwar nicht nur, wenn er „dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt“.30 Voraussetzung ist nur, dass eine Vorschrift einen klaren, vollständigen und rechtlich vollkommenen Gehalt hat, der nicht unter Bedingungen oder Vorbehalt gestellt ist.31 Diese Bedingungen erfüllen auch Art. 81, 82 EG.32 Wie vom EuGH33 und von der Literatur34 anerkannt, hat auch die Wettbewerbs- 1967 freiheit eine elementare Bedeutung für den Gemeinsamen Markt, die ihr wie den klassischen Grundfreiheiten Verfassungsrang zukommen lässt.35 Schon dies spricht für ihre Gleichstellung mit den klassischen Grundfreiheiten. Hinzu kommt die untrennbare Verquickung beider: Grenzüberschreitender Warenverkehr beruht darauf, dass Unternehmen der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten in Austausch und Wettbewerb stehen, Dienstleistungen über Staatsgrenzen hinweg setzen eine Konkurrenz zu regelmäßig vorhandenen inländischen Anbietern voraus etc.36 Daher ist
28
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35
36
EuGH, Rs. 5/79, Slg. 1979, 3203 (3230 f., Rn. 30) – Buys; Rs. 238/82, Slg. 1984, 523 (544, Rn. 30) – Duphar; Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 22 f.; anders, soweit ersichtlich, lediglich Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 24 ff. und Paulis, JdT 1985, 209 (218), der jedoch Art. 85, 86 EWGV [81, 82 EG] nur i.V.m. Art. 5 Abs. 2 EWGV [10 Abs. 2 EG] als Maßstab heranzog. Bereits EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (24 ff.) – van Gend & Loos; im Einzelnen Frenz, Europarecht 1, Rn. 83 ff. m.w.N. EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (25) – van Gend & Loos. EuGH, Rs. 57/65, Slg. 1966, 257 (266) – Lütticke. S.o. Rn. 301, 1143. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (243 f., Rn. 18 f.) – Continental Can. S. etwa Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 233; Weltrich, Franchising im EG-Kartellrecht, 1992, S. 150 sowie Krimphove, Europäische Fusionskontrolle, 1992, S. 46 m.w.N. in Fn. 89. Hossenfelder/Müller/Parlasca, ZHR 160 (1996), 1 (3). S. auch EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (548, Rn. 9) – ADBHU und Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 608. Ausführlich o. Rn. 1 ff., 33 ff. S.o. Rn. 35.
730
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
auch die Wettbewerbsfreiheit über ihre textuelle Beschränkung hinaus auf staatliche Maßnahmen unmittelbar anzuwenden.37 II.
Die Anwendung im Einzelnen
1968 Dass staatliche Maßnahmen, die Anlass zu Wettbewerbsverstößen durch Unternehmen geben, den Wettbewerb nur mittelbar beeinträchtigen, steht einer Erfassung grundsätzlich nicht entgegen, wie die Dassonville-Formel zu Art. 28 EG38 belegt und auch die wirkungsorientiert zu interpretierenden Art. 81, 82 EG verlangen. Weil allerdings Maßnahmen des Staates vom Wortlaut der Art. 81, 82 EG nicht erfasst sind und der Wettbewerb durch das Handeln von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen angetastet wird, ist entscheidend, inwieweit Letztere zu einem nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben wettbewerbswidrigen Verhalten veranlasst werden. Deshalb bleibt – entsprechend dem Ansatz von Art. 81, 82 EG – Bezugspunkt für die Wettbewerbswidrigkeit staatlichen Verhaltens, wie es sich auf das Agieren der Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auswirkt. Staatliches Handeln muss den Wettbewerb in einem Maße stören, wie dies auch 1969 durch unternehmerische Verhaltensweisen der Fall wäre.39 Somit müssen nennenswerte, durch Art. 81 bzw. 82 EG verbotene Verhaltensweisen zustandekommen.40 Die staatliche Maßnahme muss einen Grad erreichen, dass auf sie die in ausreichender Zahl bewirkten unternehmerischen Verhaltensweisen in nennenswertem Maße zurückgehen. Zugleich darf sie eine unternehmerische Verhaltensweise nicht ersetzen.41 Für sich gesehen unbeachtlich ist hingegen, ob der Staat Entscheidungsbefugnisse auf Private übertragen hat.42 Entscheidend ist, welcher Einfluss 37
38 39 40 41
42
Näher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 24 ff. unter Einbeziehung der gleichfalls über den Wortlaut der einschlägigen Regelungen hinausgehenden Antitrust-Rechtsprechung in den USA. EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (852, Rn. 5); später z.B. Rs. C-63/94, Slg. 1995, I-2467 (2490 f., Rn. 9 ff.) – Vocarex. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 33. Allgemein zum „Bagatellvorbehalt“ EuGH, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302) – Völk und in diesem Zusammenhang Kovar, RTDE 1987, 237 ff. EuGH, Rs. 177 u. 178/82, Slg. 1984, 1797 (1815 f., Rn. 21 ff.) – van de Haar; Rs. 123/ 83, Slg. 1985, 391 (423 f., Rn. 22) – BNIC/Clair; Mestmäcker, in: FS für Börner, 1992, S. 277 (281); Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 176 gegen Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, 1990, S. 153. S. dagegen EuGH, Rs. 267/86, Slg. 1988, 4769 (4791 f., Rn. 16 f.) – van Eycke; Rs. C-2/91, Slg. 1993, I-5751 (5797, Rn. 14) – Meng; Rs. C-185/91, Slg. 1993, I-5801 (5848 f., Rn. 20 ff.) – Reiff; Rs. C-245/91, Slg. 1993, I-5851 (5878, Rn. 10) – Ohra; Rs. C-153/93, Slg. 1994, I-2517 (2531, Rn. 19) – Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft; zust. Niemeyer, WuW 1994, 721 (727 ff.); vgl. Pappalardo, in: FS für von der Groeben, 1987, S. 303 ff.; Galmot/Biancarelli, RTDE 1985, 269 (302 f.); abl. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 34 ff.; krit. auch Ehricke, WuW 1991, 183 (188 ff.); Dreher, WuW 1994, 193 (203 ff.); Möschel, NJW 1994, 1709 f.; Schütz, EuZW 1993, 409 (413); s. auch van der Esch, WuW 1988, 563 (566 f.); GA Lenz, EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3820, Rn. 72) –
§ 2 Freistellung bzw. Rechtfertigung
731
damit verbunden ist und wie sich dieser auf den Wettbewerb auswirkt; im Fall CNSD wurde dies zu Recht näher geprüft.43 Auch wenn die Auswirkungen wettbewerbsrelevanter staatlicher Maßnahmen schwer übersehbar und fassbar sind, kann hingegen entsprechend den darauf nicht beschränkten Art. 81 Abs. 1, 82 EG auf eine wettbewerbsbeeinträchtigende Absicht nicht notwendige Voraussetzung sein. Der Bezug auf unternehmerische Verhaltensweisen verlangt aber für die Tatbe- 1970 standsmäßigkeit staatlicher Maßnahmen, dass wettbewerbswidriges Handeln auf sie tatsächlich zurückzuführen sind. Ein solcher Bezug setzt voraus, dass das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten durch die bestehenden staatlichen Maßnahmen angelegt ist. Das der staatlichen Einflussnahme folgende unternehmerische Verhalten darf nicht aus dem Rahmen der staatlichen Maßnahme ausbrechen und damit exzessiv sein. Jedenfalls dann, wenn sortierte Abfälle regelmäßig Abnehmer finden, ist es etwa solchermaßen missbräuchlich, wenn das Duale System lediglich auf bestimmte Verwertungsfirmen zurückgreift, um die Erfüllung der nach § 6 Abs. 3 VerpackV i.V.m. deren Anhang bestehenden Quotenverpflichtungen sicherzustellen. Entsprechend der Alternativität in Art. 81, 82 EG genügt es, wenn eine entsprechende staatliche Absicht oder aber ein entsprechender Effekt vorliegt, der von dem staatlichen Hnadeln ausgeht.
§ 2 Freistellung bzw. Rechtfertigung A.
Problematik
Zumal dann, wenn man Art. 81, 82 EG auf staatliche Verhaltensweisen, welche 1971 die Ursache unternehmerischer Wettbewerbsverstöße bilden, unmittelbar und damit wie auf Unternehmen anwendet,44 liegt es nahe, dass sich auch die Tatbestandsausklammerungen und Rechtfertigungsgründe weitgehend parallel gestalten. Aber auch bei einer Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 EG, wie sie der EuGH in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Lehre verfolgt,45 stellt sich die Frage, wie eine Freistellung bzw. Rechtfertigung erfolgen kann. Es bleibt der Bezug staatlichen Verhaltens auf Wettbewerbsverstöße durch Unternehmen, die es veranlasst hat. Damit geht es im Kern weiterhin um eine Vereinbarkeit mit Wettbewerbsrecht. Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte ergeben sich aus Art. 81 Abs. 3 EG. Staatliches Verhalten wird allerdings in anderen Konstellationen namentlich im 1972 Kontext der Grundfreiheiten aus weiteren Beweggründen gerechtfertigt. Damit stellt sich insoweit noch stärker als im Bezug auf unternehmerisches Verhalten46
43 44 45 46
Vlaamse Reisbureaus; Gyselen, CMLR 1989, 33 (55 f.); Pescatore, in: Fordham International Law Journal 10 (1987), 373 ff.; Waelbroeck, in: FS für Pescatore, 1987, S. 781 ff. EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3900 f., Rn. 55 ff.) – CNSD. S.o. Rn. 1965 ff. S.o. Rn. 1956, 1960. S.o. Rn. 87 ff., 985 ff.
732
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
die Frage der Gleichstellung mit den Rechtfertigungsgründen, wie sie für die Grundfreiheiten entwickelt wurden.
B.
Wettbewerbseröffnendes Verhalten
1973 Schafft der Staat Rahmenbedingungen zum Eingehen von Koordinierungen oder wirkt er auf deren Abschluss hin, so kann es sich wie bei Unternehmenskooperationen selbst um Maßnahmen handeln, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen trotz der Vorgabe bestimmter Ziele erst ermöglichen. Dann dienen auch sie dem Zweck, den Wettbewerb zu steigern und fördern damit den Normhintergrund. Daher können sie schon nicht gegen den Kartelltatbestand verstoßen. Das gilt auch bei einer Hinzunahme von Art. 10 Abs. 2 EG, weil diese am Rückbezug auf die Grundvorschrift nichts ändert und nur verbietet, die Verwirklichung der Ziele des Vertrages zu gefährden, nicht hingegen, sie zu fördern. Entsprechend dem bereits zu Verhaltensweisen von Unternehmen Ausgeführten47 sind solche staatlichen Verhaltensweisen aus Sicht des Wettbewerbsrechts nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Eine zurückhaltendere Beurteilung ergibt sich allerdings daraus, dass grund1974 sätzlich die Unternehmen selbst ihre Fähigkeiten beurteilen müssen, ob sie eine Entwicklung oder Produktion allein zu schultern vermögen. Nur wenn insoweit die Fähigkeit fehlt, darf der Staat seinen Einfluss ausüben, um eine Kooperation zustande zu bringen. Ansonsten könnte der Staat sehr leicht durch die Hintertür der Wirtschaftsförderung eigenständiges Verhalten von Unternehmen weitgehend ausschalten und durch seinen Einfluss überlagern.
C.
Art. 81 Abs. 3 EG
1975 Dehnt man den vom Wortlaut nur auf das Agieren von Unternehmen bezogenen Art. 81 Abs. 1 EG auf staatliche Maßnahmen aus, muss dies aus Gründen der Parallelität auch für die darauf bezogene Ausnahmevorschrift gelten.48 Auch Art. 81 Abs. 3 EG ist vom Wortlaut her auf Verhaltensweisen von Unternehmen beschränkt und zudem auf den Kartelltatbestand bezogen. Daher kann er auch nicht auf das Missbrauchsverbot ausgedehnt werden. Dieser begrenzte Bezug wird auch nicht dadurch überlagert, dass Art. 10 Abs. 2 EG hinzugenommen wird. Die Fixierung des Art. 10 Abs. 2 EG auf die Ziele des Vertrages macht diesen notwendigen Rückbezug deutlich. Erfolgt eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG, liegt die Verhaltensweise im Normprogramm des Kartellverbots und entspricht daher seiner Zielsetzung. Ihre Verfolgung durch den Staat gefährdet damit auch nicht die Zielsetzung des Vertrages.
47 48
S.o. Rn. 73. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 50 ff. mit näheren Einzelheiten auch zum Folgenden. Vgl. dagegen Roth, in: FS für Everling II, 1995, S. 1231 (1243).
§ 2 Freistellung bzw. Rechtfertigung
733
Besonderheiten gegenüber unternehmerischen Verhaltensweisen ergeben sich 1976 allerdings regelmäßig daraus, dass nationalstaatliche Regelungen flächenbezogen sind und branchenübergreifend sein können; schon deshalb haben sie vielfach größere Auswirkungen als die Zusammenarbeit einzelner Unternehmen oder Branchenzweige. Von daher können sie noch stärker zur Abschottung nationaler Märkte beitragen, welche grundsätzlich nicht legitimierungsfähig ist.49 Ihre nach Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG erforderliche Unerlässlichkeit ist daher sehr vorsichtig zu beurteilen. Indem staatliche Regelungen einen Bereich für einen längeren Zeitraum prägen, ist darauf zu achten, dass möglichst nicht langfristig das Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten behindert wird.50 Von daher ist eine solche staatliche Maßnahme nur unerlässlich, wenn eine Koordinierung über mehrere Mitgliedstaaten noch nicht erreichbar ist. Zudem darf nicht entgegen Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil einer Produktsparte ausgeschaltet werden.51
D.
Analoge Anwendung der für die Warenverkehrsfreiheit anerkannten Schranken
I.
Partiell erleichterte Übertragung auf staatliche Maßnahmen
Eine weiter gehende Rechtfertigung lässt sich daraus gewinnen, dass man die in 1977 Art. 30 EG genannten Aspekte als explizite Rechtfertigungsgründe denen des Art. 81 Abs. 3 EG hinzufügt oder implizite Rechtfertigungsgründe entsprechend der Cassis-Formel auch im Rahmen des Art. 81 f. (i.V.m. Art. 10 Abs. 2) EG heranzieht. Damit könnten möglicherweise auch zu Missbräuchen entgegen Art. 82 EG führende staatliche Maßnahmen gerechtfertigt werden. Knüpft man so an im Rahmen einer Grundfreiheit zur Rechtfertigung von Be- 1978 schränkungen vorhandene bzw. entwickelte Strukturen an, stellt sich die Frage einer Übertragbarkeit auf die Wettbewerbsfreiheit.52 Diese scheidet gerade für staatliche Maßnahmen nicht aus strukturellen und adressatenbezogenen Gründen von vornherein aus.53 Für eine analoge Anwendung der für Art. 28 EG herangezogenen Elemente spricht die über die Gewährleistung eines Gemeinsamen Marktes als solche hinausgehende parallele Zielrichtung der Art. 81, 82 EG, nämlich eine Sicherung eines freien Handelsaustausches; dieser wird in beiden Fällen durch staatliche Maßnahmen bedroht.
49 50 51 52
53
Allerdings o. Rn. 947. Vgl. Bock, EuZW 1994, 47 (51). Niemeyer, WuW 1994, 721 (729 f.). S. schon ausführlich o. Rn. 87 ff. Für eine klare Trennlinie zwischen herkömmlichen Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln Roth, in: FS für Everling II, 1995, S. 1231 (1243). Bejahend Niemeyer, WuW 1994, 721 (730); Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 58 ff.; hinsichtlich Art. 30 EG auch Dreher, WuW 1994, 193 (209).
734
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
Art. 30 EG ist ein Rechtfertigungsgrund für die in ihm benannten Elemente und spezifisch auf die Warenverkehrsfreiheit zugeschnitten, wie dies im Hinblick auf andere Grundfreiheiten durch dort benannte explizite Rechtfertigungsgründe zutrifft und im Rahmen des Kartellverbots durch Art. 81 Abs. 3 EG vergleichbar verwirklicht ist. Daher scheidet eine Übertragung der expliziten Rechtfertigungsgründe des Art. 30 EG als solchen auf andere Grundfreiheiten und damit auch auf die Wettbewerbsfreiheit aus.54 Die durch die Cassis-Rechtsprechung entwickelten Schranken sind für staatli1980 che Maßnahmen konzipiert und werden auch im Rahmen anderer Grundfreiheiten angewendet, sind sie doch offen sowie anpassungsfähig und damit übertragbar.55 Auch insoweit stellt sich aber die Frage, ob nicht eine Implantation im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG vorzugswürdig ist. Die darin enthaltenen Freistellungsgründe wurden gerade ausgedehnt und als Vehikel genutzt, um weitere Belange einzubeziehen. Damit entfällt als Grund für eine Erweiterung um ungeschriebene Rechtfertigungsgründe die restriktive Interpretation der geschriebenen.56 Freilich haben staatliche Maßnahmen regelmäßig eine andere Qualität als unternehmerische Handlungen. Bei Ersteren dominiert der Gemeinwohlbezug, während bei Unternehmen die Freiheit des Handelns zählt. Daraus ergeben sich auch unterschiedliche Konsequenzen für Rechtfertigungen im Rahmen der Grundfreiheiten, soweit diese auch zulasten Privater gelten.57 Jedoch entsprechen die Freistellungsgründe nach Art. 81 Abs. 3 EG dem Gemeinwohl. Das gilt zumal dann, wenn man in sie aufgrund des Bezuges auf den Gemeinsamen Markt Belange integriert, die an anderer Stelle im Vertrag gewährleistet sind, so den Umweltschutz.58 Soweit eine solche Interpretation allerdings bei Art. 81 Abs. 3 EG nicht mög1981 lich ist, wohl aber im Rahmen impliziter Rechtfertigungsgründe nach der CassisFormel, fällt ins Gewicht, dass es oft von den Umständen einer staatlichen Maßnahme abhängt, ob sie anhand der Warenverkehrsfreiheit oder der Wettbewerbsregeln zu prüfen ist. Dabei sind intensivere, die Selbstbestimmung von Unternehmen stärker einschränkende Maßnahmen an Art. 28 ff. EG zu messen. Beschränkt man auf sie die Rechtfertigungsgründe nach der Cassis-Formel, können sie in größerem Umfang gerechtfertigt werden als die lediglich privates Verhalten anstoßenden staatlichen Maßnahmen, welche den Wettbewerbsregeln unterliegen. Daher müssen die nach dieser Formel möglichen Rechtfertigungsgründe zumindest im Ergebnis greifen und daher entweder in Art. 81 Abs. 3 EG einbezogen oder, jedenfalls wenn dies nicht möglich ist, als zwingende Erfordernisse auf der Grundlage der Cassis-Rechtsprechung herangezogen werden. 1979
54 55 56 57 58
S.o. Rn. 987 f. S.o. Rn. 985 f. S.o. Rn. 997, 1006 ff. S. Frenz, Europarecht 1, Rn. 517. S.o. Rn. 851 ff., 890 ff.
§ 2 Freistellung bzw. Rechtfertigung
II.
735
Praktische Konsequenzen
Von praktischer Relevanz sind namentlich Motive des Gesundheits- und des Um- 1982 weltschutzes, um etwa dafür vorteilhafte Produktentwicklungen zu fördern. Es können auch staatliche Regelungen gedeckt sein, die die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zum Schutz der Weitergabe einer Erfindung ermöglichen und dadurch im Rahmen von Unternehmenskooperationen getätigte Entwicklungen begünstigen. Mögliche Grundlage hierfür ist die Lauterkeit des Handelsverkehrs.59 Jedoch greift sie eigentlich erst, wenn ein bestehendes Ausschließlichkeitsrecht bereits abgelaufen ist, weil ansonsten der explizite Rechtfertigungsgrund, kommerzielles und geistiges Eigentum zu schützen, nach Art. 30 EG heranzuziehen ist.60 Vor Ablauf eines solchen Schutzrechtes ist aber eine Sicherungsmaßnahme wichtiger als danach. Umso dringender ist es daher, den Schutz des kommerziellen und geistigen Eigentums wenigstens als ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund zum Zuge kommen zu lassen.61 Allerdings stellt sich das Problem einer Ausdehnung auf das eigentlich ohne 1983 Legitimationsmöglichkeiten ausgestattete Missbrauchsverbot.62 Diese Schwierigkeit lässt sich dadurch vermeiden, dass im Rahmen der Notwendigkeit unternehmerischer Maßnahmen auch die vorgenannten Aspekte einbezogen werden. Für den Schutz von Ausschließlichkeitsrechten erfolgt dies in breitem Maße.63 Diese Möglichkeit bietet sich für die gebräuchlichen Rechtfertigungsansätze und damit für Gründe des Umwelt-, Gesundheits- und Urheberschutzes aber auch im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG. Damit besteht jedenfalls für unternehmerische Beweggründe kein praktisches Bedürfnis, darüber hinaus Rechtfertigungsgründe heranzuziehen.64 Dieser Weg ist infolge der Gemeinwohlbezogenheit von Art. 81 Abs. 3 EG auch für die Rechtfertigung staatlicher Maßnahmen denkbar. Jedoch steht für sie vom Dogmatischen her auch der Weg über die Heranziehung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe offen. III.
Wahrung praktischer Konkordanz
Unabhängig davon, welchen Weg man wählt, ob also die Heranziehung unge- 1984 schriebener Rechtfertigungsgründe für staatliche Maßnahmen auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln oder die Inkorporierung auch dieser Ansätze in Art. 81 Abs. 3 EG, müssen die konkurrierenden gemeinwohlbezogenen Belange, die an anderer Stelle im Vertrag abgesichert sind, gleichgewichtig herangezogen werden. Lediglich dann ist gesichert, dass diese Aspekte mit dem Gewicht zur Geltung kommen, mit dem sie im Vertrag gewährleistet sind. Einen solchen Ausgleich ver59 60 61 62 63 64
S. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662, Rn. 8) – Cassis. S. Frenz, Europarecht 1, Rn. 1002. Zu diesem Weg näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 474. Vgl. zum Verhältnis von Art. 30 EG und Art. 82 EG näher Mestmäcker, in: FS für Kreile, 1995, S. 419 ff. S.o. Rn. 1278, 1284 ff. S.o. Rn. 992 ff., bes. 997.
736
Kapitel 10 Unternehmensbezogenenes staatliches Verhalten
langt die Divergenz der verschiedenen Vertragsbestandteile, die gleichwohl nebeneinander in Art. 2 f. EG benannt sind. Bejaht man solchermaßen eine Begrenzung der Wettbewerbsfreiheit durch andere Vertragselemente im Wege praktischer Konkordanz, gilt diese zumal65 für staatliche Maßnahmen, die Art. 81, 82 EG beeinträchtigen.66
65 66
Zu privaten Maßnahmen o. Rn. 1003 ff. Im Einzelnen zum Umweltschutz Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EGWettbewerbsfreiheit, 1997, S. 61 ff.
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln A.
Doppelter Ansatz
I.
Verpflichtung der Unternehmen (Art. 86 Abs. 2 EG)
1.
Bedeutung im System der Wettbewerbsregeln
Für öffentliche Unternehmen trifft Art. 86 EG eine eigene Regelung, die mittler- 1985 weile anerkanntermaßen unmittelbar anwendbar ist,1 aber nur begrenzt zu Sonderregeln führt. Vielmehr nimmt Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG die Unternehmen, welche mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, auch für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln selbst in die Pflicht. Kartell- und Missbrauchsverbot sind daher in gleicher Weise anzuwenden wie in anderen Fällen.2 Insbesondere im zweiten Fall spielt keine Rolle, worauf die marktbeherrschende Stellung beruht.3 Weiter gehend werden grundsätzlich alle Unternehmensformen einbezogen.4 Deshalb unterfallen immer wieder und gerade öffentliche Unternehmen, zumal mit staatlich verliehener Monopolstellung, den unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln. Bei Monopolen zugunsten von Unternehmen steht sowohl die Gewährung aus- 1986 schließlicher Rechte als auch die Geltung der Wettbewerbsregeln zulasten der jeweiligen Unternehmen in Frage. Deshalb spielen sowohl Art. 86 Abs. 1 als auch Art. 86 Abs. 2 EG herein: Während die erste Bestimmung die Übertragung von Sonderrechten vorsieht, verlangt Art. 86 Abs. 2 EG auch in diesem Falle die grundsätzliche Einhaltung der Wettbewerbsregeln und sieht nur in Ausnahmefällen einen Dispens vor; er kann dann gegeben werden, wenn die Ausblendung der 1
2 3 4
Für Art. 86 Abs. 1 EG, der insoweit den ihm zugrunde liegenden Verpflichtungen gleichzustellen ist, EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431, Rn. 18) – Sacchi sowie – entsprechend der unbedingten Formulierung – ohne Rückbezug auf andere Vorschriften EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2568, Rn. 12) – Corbeau; für Art. 86 Abs. 2 EG EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (853, Rn. 55 ff.) – Ahmed Saeed Flugreisen. S.o. Rn. 296 f., 1136 ff. S.o. Rn. 1168 f. S.o. Rn. 1151 f.
738
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
Wettbewerbsregeln für die Erfüllung gemeinwohlbezogener Pflichten erforderlich ist.5 2.
Bedeutung für die Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten Unternehmen
1987 Damit sind nicht nur aufgrund der umfassenden Konzeption der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln, sondern durch eine explizite Festschreibung öffentliche und monopolartige Unternehmen insoweit privaten Unternehmen gleichgestellt. In diesem Punkt liegt ein Ausschnitt des Grundsatzes der Gleichbehandlung von privaten und öffentlichen Unternehmen, der sich allerdings so allgemein jedenfalls explizit im Vertrag nicht findet6 und auch auf grundrechtlicher Basis nicht gewonnen werden kann.7 Immerhin unterliegen nach Art. 86 Abs. 2 EG öffentliche Unternehmen grundsätzlich keinen günstigeren Regeln, wenngleich dies im Ausnahmefall möglich ist. Darin zeigt sich gerade der Unterschied zu privaten Unternehmen,8 so dass von vornherein eine durchgehende Gleichbehandlung ausgeschlossen ist – auch und gerade zugunsten von öffentlichen Unternehmen.9 Diese müssen naturgemäß grundsätzlich strengeren Regeln unterliegen, um ihre besonderen Vorteile durch staatliche Privilegierung neutralisieren und so Wettbewerbsgleichheit herstellen zu können.10 Diese Frage gewinnt auch über das in Art. 86 Abs. 1 EG gleichfalls in Bezug genommene Beihilfenrecht Gewicht, wenn es etwa um die Wettbewerbsvorteile staatlich getragener Banken infolge einer staatlichen Gewährträgerhaftung geht. II.
Verpflichtung der Mitgliedstaaten (Art. 86 Abs. 1 EG)
1.
Abstinenzpflicht
1988 Im Hinblick auf die enge Verbindung und die zahlreichen Verflechtungen zwischen öffentlichen Unternehmen und staatlichen Einheiten sichert Art. 86 Abs. 1 EG die Bindung der Unternehmen an die allgemeinen Vertragsbestimmungen und 5 6
7 8
9 10
S. z.B. EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3799, Rn. 74) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. Generell für eine Gleichstellung Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg. Rn. 21; für eine konstitutive Bedeutung von Art. 86 EG Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 3; diesbzgl. krit. Emmerich, in: Dauses, H. II Rn. 96; Jungbluth, in: Langen/Bunte, Art. 86 Rn. 12. Näher u. Rn. 2103 f. Näher u. Rn. 2105. Darauf abhebend bereits GA Reischl, EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2588, Rn. 3) – Transparenzrichtlinie, allerdings i.S.d. Notwendigkeit schärferer Vorschriften; aber daher ist auch aus dieser Sicht keine Gleichbehandlung möglich. Näher u. Rn. 2103. Es ist aber auch die umgekehrte Konstellation denkbar, in der öffentliche Unternehmen durch ihre besonderen Bindungen im nationalen Recht Wettbewerbsnachteile haben, s.u. Rn. 2107 f.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
739
dabei insbesondere an die Wettbewerbsregeln ab und schreibt zulasten der Mitgliedstaaten die Geltung dieser Vorschriften unter paralleler Hervorhebung der Wettbewerbsregeln fest, wenn sie Maßnahmen im Hinblick auf öffentliche und auf mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestattete Unternehmen ergreifen oder beibehalten. Damit dürfen diese zum einen die Wettbewerbsregeln nicht verletzen, was sie bereits tun, wenn sie Wettbewerbsverstöße durch solche Unternehmen veranlassen,11 ermöglichen12 bzw. die Rahmenbedingungen hierfür schaffen.13 Insoweit besteht eine Parallele zu ihrer Verpflichtung nach Art. 81 f. (i.V.m. Art. 10) EG. Danach müssen die Mitgliedstaaten allgemein gegenüber Unternehmen die Wettbewerbsregeln in dem Maße wahren, in dem sie diese nicht zu Wettbewerbsverstößen anstoßen dürfen; hierzu kann aber schon eine staatliche Förderung oder Billigung unternehmerischen Verhaltens führen.14 Im Hinblick auf öffentliche und monopolartige Unternehmen legt Art. 86 Abs. 1 EG eine entsprechende Pflicht zu staatlicher Zurückhaltung ausdrücklich fest. Ein Beispiel für eine Ermöglichung wettbewerbswidrigen Verhaltens ist das 1989 Örtlichkeitsprinzip, welches die wirtschaftlichen Aktivitäten kommunaler Unternehmen auf das Gemeindegebiet beschränkt.15 Dieses behindert Ex- und Importe jedenfalls dann, wenn es in grenznahen Regionen greift und schließt andere Unternehmen von Leistungen in dem betroffenen Gebiet aus. Ist dieses Gebiet hinreichend groß, wird auch ein wesentlicher Teilmarkt des Gemeinsamen Marktes erfasst. Allerdings begehen die kommunalen Unternehmen mangels alleiniger oder in wirtschaftlicher Verbindung mit anderen begründeter16 beherrschender Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes nur dann selbst einen Wettbewerbsverstoß, wenn sie sich etwa im Hinblick auf eine Gebietsaufteilung absprechen und damit ein Gebietskartell bilden.17 Das ist aber dann unschädlich, wenn man einen Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 EG auch ohne einen tatsächlichen Wettbewerbsverstoß von Unternehmen bejaht.18 Dafür spricht, dass Art. 86 Abs. 1 EG sich nur auf das Verhalten von Mitgliedstaaten bezieht. Deren Maßnahmen dürfen Art. 12 und 81 ff. EG nicht widersprechen. Dagegen müssen nicht notwen11 12
13 14 15 16 17 18
So EuGH, Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4699, Rn. 51) – Banchero; Rs. C-203/96, Slg. 1998, 4075 (4131, Rn. 61) – Dusseldorp. Dezidiert Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 86 Rn. 40 mit Fn. 104. Nach EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 37) – ERT genügt die Möglichkeit. Näher im Einzelnen u. Rn. 2006 ff. S. EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3797, Rn. 66) – Sydhavnens Sten & Grus/ Kopenhagen. S.o. Rn. 1954 ff. Zur Unvereinbarkeit mit den Grundfreiheiten außer im Falle anders nicht möglicher Bedarfsdeckung im Bereich der Pflichtaufgaben Frenz, Europarecht 1, Rn. 236 ff. Zu diesem Erfordernis o. Rn. 1397 f. Näher zum Ganzen Burmeister/Staebe, EuR 2004, 810 (814 ff.). Diesen nicht explizit fordernd EuGH, Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 (1471, Rn. 71) – Asjes; Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2516 f., Rn. 33 f.) – Bodson; Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 42 f.; Jungbluth, in: Langen/Bunte, Art. 86 Rn. 26 u. 32; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 C. Rn. 68; a.A. noch ders., RabelsZ 52 (1988), 526 (551 f.).
740
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
dig die Aktivitäten der Unternehmen verstoßen. Art. 86 Abs. 1 EG wirkt darauf bezogen nur flankierend. Der Staat darf mithin keine Rahmenbedingungen beibehalten oder schaffen, welche solche Verstöße ermöglichen. Art. 86 Abs. 1 EG hat also gerade präventiven Charakter.19 2.
Gestaltungspflicht
1990 Art. 86 Abs. 1 EG geht über eine Abstinenzpflicht hinaus, indem er die Mitgliedstaaten umfassend an die Einhaltung der vertraglichen Vorschriften bindet und dabei das Diskriminierungsverbot sowie die Wettbewerbsregeln besonders hervorhebt. Aber auch dies ist letztlich eine ausdrückliche Festschreibung von andernorts angelegten Vertragspflichten. Art. 10 EG, der ebenfalls auf andere Vertragspflichten Bezug nimmt, verlangt nicht nur ein Unterlassen, sondern an erster Stelle ein aktives Tun. Daher ist Art. 86 EG auch insoweit „nur ein besonderer Anwendungsfall bestimmter allgemeiner, die Mitgliedstaaten verpflichtender Grundsätze“.20 Damit geht es nicht nur um eine negative Zurückhaltungspflicht, sondern um eine positive Ausgestaltungspflicht. Nur eine solche wird dem besonderen staatlichen Einfluss gerecht, dem öffentliche Unternehmen unterliegen, sei es bereits infolge einer finanziellen Beteiligung, sei es auf der Basis von Bestimmungen, welche die Unternehmensführung regeln.21 Daher liegt es nahe, dass staatliche Einheiten öffentliche Unternehmen besonders fördern und gegenüber Privatunternehmen im Wettbewerb begünstigen.22 Das gilt auch im Hinblick auf die Unternehmen, denen der Staat Sonderrechte verliehen hat. Um dies zu verhindern, müssen entsprechende Maßnahmen verboten werden. 1991 Das sichert Art. 86 Abs. 1 EG und stellt dabei die dafür besonders geeigneten Vorschriften heraus, nämlich das Diskriminierungsverbot sowie die Wettbewerbsregeln. Dabei bedarf es nicht nur staatlicher Abstinenz, sondern darüber hinaus der Gestaltung von Rahmenbedingungen, damit keine wettbewerbswidrigen Zustände verfestigt werden oder besser erst gar nicht entstehen können. Jedoch verbietet Art. 86 Abs. 1 EG explizit auch die Beibehaltung. 3.
Verbindung und Verhältnis zu Art. 31 EG
1992 Dieses Beibehaltungsverbot erinnert an die Umformungspflicht nach Art. 31 Abs. 1 EG im Bezug auf staatliche Handelsmonopole, zu der Art. 86 EG in enger Verbindung steht.23 Beide Bestimmungen konkretisieren die allgemeine Pflicht
19 20 21 22 23
S. sogleich Rn. 1990. EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2146 f., Rn. 40/42) – Inno/ATAB. EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2579, Rn. 26) – Transparenzrichtlinie. Schon GA Reischl, EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2588, Rn. 3) – Transparenzrichtlinie. S. diese Vorschrift eigens benennend EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3799, Rn. 74) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. Näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 1071, 1073 f.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
741
des Art. 10 EG.24 Inwieweit Art. 31 EG jedenfalls im Hinblick auf die Umformungspflicht lex specialis ist,25 verliert dadurch an Gewicht, dass der EuGH die Rechtfertigungsgründe aus Art. 86 Abs. 2 EG heranzieht, um eine Beibehaltung zu legitimieren.26 Jedenfalls das Ergebnis ist also vergleichbar. Für eine parallele Heranziehung27 spricht, dass beide Bestimmungen zwar Überschneidungen haben, aber in unterschiedlichen Vorschriftenblöcken untergebracht sind und einmal der Warenverkehr, das andere Mal die Wahrung insbesondere der Wettbewerbsregeln gesichert werden soll. Insoweit können durchaus unterschiedliche Beeinträchtigungen auftauchen. So prüft der EuGH vielfach sowohl die Waren- als auch die Wettbewerbsfreiheit an und erörtert diese nach den jeweiligen inhaltlichen Gegebenheiten.28
B.
Öffentliche und mit herausgehobenen Rechten ausgestattete Unternehmen
I.
Monopole und andere Sonderrechte
1.
Nähebeziehung bestimmter Unternehmen zum Staat
Staatliches Verhalten wird nach Art. 86 Abs. 1 EG gegenüber solchen Unterneh- 1993 men erfasst, die einen öffentlichen Charakter haben oder verglichen mit anderen Unternehmen über herausgehobene Befugnisse verfügen, mithin zum Staat in besonderen Beziehungen stehen.29 In Art. 86 Abs. 1 EG wird durch die Gleichstellung für beide Gruppen eine Nähebeziehung zum Staat vorausgesetzt, die mit einer gewissen Abhängigkeit einhergeht.30 Diese besteht zwar aufgrund des notwendig staatlichen Einflusses bei öffentlichen Unternehmen, nicht hingegen unbedingt in gleichem Maße31 bei Unternehmen mit Sonderrechten, so wenn diese bestimmten Unternehmen schon bei Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen zugute kom24
25
26 27 28
29 30 31
Mit Bezug auf Art. 86 Abs. 1 EG andeutungsweise schon EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2145 f., Rn. 30/35) – Inno/ATAB sowie explizit GA Reischl, EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2588, Rn. 3) – Transparenzrichtlinie; im Hinblick auf beide Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 1 a.E. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 2; im Sinne einer vollen Verdrängung von Art. 86 EG Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 526 (576 ff.); Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 86 Rn. 101, soweit der Warenverkehr betroffen ist. Anschaulich z.B. EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5777, Rn. 32) – Kommission/Niederlande; ausführlich m.w.N. Frenz, Europarecht 1, Rn. 1072, 1100 ff. Dafür auch Emmerich, in: Dauses, H. II Rn. 33. EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 (4126 ff., Rn. 39 ff.; 4129 ff., Rn. 53 ff.) – Dusseldorp; Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3789 ff., Rn. 31 ff.; 3794 ff., Rn. 52 ff.) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 (1265 f., Rn. 24) – Telekommunikations-Endgeräte. Direkt auf ein Abhängigkeitsverhältnis abstellend Jungbluth, in: Langen/Bunte, Art. 86 Rn. 19. S. dagegen Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 14 a.E.: „ähnliche Abhängigkeit“.
742
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
men. Aber auch dann sind diese Rechte notwendig an den Staat gebunden, der sie wieder zurücknehmen bzw. widerrufen oder mit Auflagen versehen und somit, wie auch Art. 86 Abs. 3 EG voraussetzt, in ihrer Ausübung beeinflussen kann.32 Daraus ergibt sich jedenfalls eine faktische, regelmäßig aber eine rechtliche Ausrichtung auf den Staat, der umgekehrt zur Steuerung in der Lage ist. Indem die Vorschrift eine ungerechtfertigte Begünstigung von dem Staat be1994 sonders verbundenen Unternehmen verhindern will, liegt eine stark zweckorientierte Auslegung nahe,33 die allerdings an bestimmte Begriffe gebunden ist, welche den Anwendungsbereich verengen. Die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte setzt die Begünstigung mit Sonderrechten voraus und wird damit als Vorgang benannt, der regelmäßig eine benachteiligende und damit auch wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkung zur Folge hat, weil andere Unternehmen an diesen Rechten nicht teilhaben. Das setzt voraus, dass lediglich bestimmte Unternehmen begünstigt werden und nicht eine unbestimmte Anzahl, und sei es auch eine bestimmte Gruppe, wenn diese nicht genau abgrenzbar und überschaubar ist, wie es für Hersteller und Importeure von Tabakerzeugnissen zutrifft.34 2.
Ausschließliche Rechte
1995 Ausschließliche Rechte stehen einem Unternehmen exklusiv zu und schließen jeden weiteren Wettbewerb in dem betroffenen Bereich oder dem erfassten Raum aus, wie es bei einem Monopol der Fall ist.35 Ein Monopol beinhaltet ein ausschließliches Recht zur Erbringung einer bestimmten Wirtschaftsleistung. Dazu gehört z.B. die Verwertung bestimmter Bauabfälle, welche den begünstigten Unternehmen angedient werden müssen.36 Darunter fallen auch und gerade staatliche Handelsmonopole nach Art. 31 EG, wozu Dienstleistungsmonopole allerdings nur gehören, wenn sie sich, und sei es auch mittelbar, auf den Handelsverkehr und damit auf Warenlieferungen aus anderen Mitgliedstaaten auswirken können.37 Im Bereich des Art. 86 Abs. 1 EG stehen aber unabhängig von solchen parallelen Auswirkungen Dienstleistungsmonopole im Vordergrund, so für das Einsammeln, Befördern und Zustellen von Postsendungen38 sowie vor der Liberalisierung für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen,39 aber auch für die Arbeitsvermittlung.40
32 33 34 35 36 37 38 39 40
Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 86 Rn. 26. Nur auf den Wettbewerbszweck abhebend Ehricke, EuZW 1993, 211 (212). Daher eine Inhaberschaft von „besonderen“ oder gar von „ausschließlichen“ Rechten nicht bejahend EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2146 f., Rn. 40/42) – Inno/ATAB. Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 86 Rn. 23 mit Fn. 49. EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3796, Rn. 61) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. Im Einzelnen Frenz, Europarecht 1, Rn. 1077 ff. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 8) – Corbeau; Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (873, Rn. 37) – Deutsche Post. Z.B. EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 37) – ERT sowie bereits Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (430 f., Rn. 14) – Sacchi. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
743
Gleichbedeutend sind ausschließliche Konzessionen etwa für Bestattungen41 bzw. Verleihungen von Exklusivrechten z.B. für Hafenarbeiten und deren Organisation.42 Insoweit entstanden regelmäßig Probleme, ob das Folgeverhalten mit dem Missbrauchsverbot vereinbar ist.43 3.
Besondere Rechte
Besondere Rechte werden von den ausschließlichen Rechten unterschieden.44 Sie 1996 zeichnen sich dadurch aus, dass sie andere Unternehmen nicht haben. Das betrifft namentlich Hoheitsrechte, welche nur durch eine Beleihung übertragen werden können.45 Jedoch sind auch andere Konstellationen denkbar, sofern sie nur auf bestimmte Unternehmen beschränkt sind und nicht wie ausschließliche Rechte lediglich ein einziges Unternehmen begünstigen.46 Dadurch ist allerdings zwischen den Begünstigten noch Wettbewerb möglich. Damit besteht ein Stufenverhältnis zu ausschließlichen Rechten:47 Letztere sind wettbewerbsschädlicher und stellen eine tendenziell engere Verbindung zum Staat her. Sie werden denn auch vom EuGH regelmäßig geprüft, während bislang besondere Rechte im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art. 86 Abs. 1 EG nicht näher untersucht wurden.48 4.
Übertragung
Da es darum geht, dass sich die enge Verbindung zwischen Staat und in Art. 86 1997 Abs. 1 EG benannten Unternehmen nicht zulasten des Wettbewerbs auswirkt, kann es auf die Form der Übertragung besonderer und ausschließlicher Rechte nicht ankommen. Diese braucht jedenfalls aus Sicht des Gemeinschaftsrechts49 nicht notwendig hoheitlich zu sein50 und kann auch konkludent erfolgen.51
41 42 43 44
45 46 47 48 49
50 51
EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2516, Rn. 33) – Bodson. EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5927, Rn. 9) – Genova. Näher u. Rn. 2011 ff. EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 (1269 f., Rn. 44 f.) – TelekommunikationsEndgeräte; Rs. C-271 u.a./90, Slg. 1992, I-5833 (5868, Rn. 34) – Telekommunikationsdienste. Auf beliehene Unternehmen beschränkt Mestmäcker, in: FS für Deringer, 1993, S. 79 (80). Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 86 Rn. 28. S. auch EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 (2146 f., Rn. 40/42) – Inno/ATAB. S. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 16 und EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8146 f., Rn. 24 f.) – Ambulanz Glöckner. Anderes mag sich aus innerstaatlichem Recht ergeben, wenn die Begünstigung bestimmter Unternehmen die Grundrechte der anderen beeinträchtigt und damit einen Eingriff darstellt. In für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Fällen kann daher sogar ein Gesetz erforderlich sein, s. Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 239. So aber Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 86 Rn. 30. S. zur Entwicklung der Rspr. näher u. Rn. 2034 ff.
744
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
II.
Öffentliche Unternehmen
1.
Staatlich beeinflusste wirtschaftliche Tätigkeit
1998 Öffentliche Unternehmen52 werden entsprechend dem vorgenannten Zweck des Art. 86 EG allgemein unter Rückgriff auf die Transparenzrichtlinie, die allerdings nur einen begrenzten Teilbereich regelt,53 durch eine beherrschende Einflussmöglichkeit des Staates charakterisiert, die bei einer Mehrheit am Kapital, an den Stimmrechten oder an den zu bestellenden Verwaltungs-, Leitungs- bzw. Aufsichtsorganen besteht.54 Weil vor dem Hintergrund des Normzweckes die tatsächliche Einflussmöglichkeit maßgeblich ist, kommt es auf die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform nicht an. Auch gemischt-wirtschaftliche Unternehmen gehören dazu, sofern nicht die privatautonome Gestaltung bestimmend ist, sondern der staatliche Einfluss.55 Es muss nur eine organisatorische, nicht notwendig rechtliche Verselbstständigung gegenüber dem staatlichen Ganzen bestehen, so dass auch Eigen- und Regiebetriebe umfasst sind.56 Der hier verwendete Unternehmensbegriff korrespondiert mit demjenigen nach 1999 Art. 81 f. EG, verweist doch auch Art. 86 Abs. 1 EG namentlich auf diese beiden Bestimmungen und verwendet wie diese den Begriff „Unternehmen“. Erforderlich ist damit die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, also das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt.57 Das gilt unabhängig nicht nur von der Rechtsform, sondern auch von der Art der Finanzierung.58 Die Art der Tätigkeit ist damit allein maßgeblich.59 Die wirtschaftliche Tätigkeit steht im Gegensatz zum typischen Staatshandeln in den vom öffentlichen Recht und von öffentlichen Zwecken geprägten Handlungsformen. Diese unterliegen gerade der Verpflichtung nach Art. 86 Abs. 1 EG und sind daher durch die Wettbewerbsregeln gebunden, sofern sie auf Unternehmen einwirken. Ergreifen staatliche Einheiten hingegen Maßnahmen, um die nichtunternehme2000 rischen Handlungsformen zu dirigieren und damit vor allem öffentliche Interessen und hoheitliche Vorgaben, jedenfalls aber nichtunternehmerische Zwecke zu wah-
52 53 54 55 56 57 58
59
Zu Begriff und Wesen ausführlich Burgi, EuR 1997, 261 (264 ff.). S.u. Rn. 2069 f. Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 99; Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 12 f.; Weiß, EuR 2003, 165 (168). Manthey, Bindung und Schutz öffentlicher Unternehmen durch die Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 75 f. Näher zum Ganzen Frenz, Europarecht 1, Rn. 298 ff. EuGH, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 (2621, Rn. 7) – Kommission/Italien; Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 (3895 f., Rn. 36) – CNSD. Einheitlich für Art. 81 ff. EG und grundlegend EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2016, Rn. 21) – Höfner und Elser für die Arbeitsvermittlung, die sich im Monopol der Bundesanstalt für Arbeit befand. M.w.N. EuGH, Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6520, Rn. 74) – Pavlov u.a. Allgemein s.o. Rn. 343 ff. S. EuGH, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 (61, Rn. 19) – SAT Fluggesellschaft; Rs. C-82/01 P, Slg. 2002, I-9297 (9362, Rn. 75) – Aéroports de Paris.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
745
ren, wenden sie sich nicht an Unternehmen60 und bewegen sich daher außerhalb von Art. 86 Abs. 1 EG;61 man befindet sich insoweit nicht außerhalb des Staates. Diese Grenzen sind sensibel. Damit insoweit die Mitgliedstaaten keine Grenz- 2001 verschiebungen für die Geltung der Wettbewerbsregeln vornehmen können und diese gemeinschaftsweit parallel eingreifen, sind die Kriterien autonom gemeinschaftsrechtlich zu bestimmen.62 Vor dem Hintergrund von Art. 86 EG lautet die Kontrollfrage wie bei den Wettbewerbsregeln überhaupt, ob eine Konkurrenzsituation zu privaten Unternehmen entstehen kann,63 so dass der Wettbewerb unverfälscht ablaufen können muss. 2.
Abgrenzung für Sozialversicherungen
Das gilt namentlich für Sozialversicherungen. Bilden sie auf dem Prinzip der Soli- 2002 darität beruhende Systeme, welche obligatorisch sind, sind sie durch eine Pflichtmitgliedschaft und nach dem Gleichheitsprinzip gewährte Leistungen gekennzeichnet; typisch ist auch ein Risikostrukturausgleich64 bzw. eine soziale Umverteilung.65 Diese Merkmale sind unternehmerischem Handeln gänzlich fremd. Liegen sie vor, ist ein Auftreten am Markt ausgeschlossen, so dass ein Wettbewerb zu Privaten nicht entstehen kann. So üben die gesetzlichen Krankenkassen eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit aus und bilden jedenfalls insoweit keine Unternehmen.66 Bei Pflichtmitgliedschaften in Betriebsrentenkassen hängt es davon ab, ob eine Umverteilung stattfindet und sich daher die ausbezahlte Rente nicht ausschließlich nach den eingezahlten Geldern und dem erzielten Anlageerfolg bestimmt.67 Grundlegend anders verhält es sich, wenn man solchen Sozialversicherungen 2003 freiwillig beitreten kann, das Kapitalisierungsprinzip gilt und die Leistungen sich nach der Höhe der eingezahlten Beiträge sowie dem normalen Kapitalertrag richten. So arbeiten auch Lebensversicherungen. Daher tritt zurück, wenn keine Gewinnerzielungsabsicht besteht sowie soziale Zwecke verfolgt werden.68 Es ist sogar unschädlich, wenn der Staat die Pflichtmitgliedschaft der Arbeitnehmer eines 60 61 62
63 64 65 66 67
68
Für Eurocontrol EuGH, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 (63 f., Rn. 28 ff.) – SAT Fluggesellschaft. S. bereits EuGH, Rs. 2/73, Slg. 1973, 865 (879, Rn. 8 f.) – Geddo; Rs. 94/74, Slg. 1975, 699 (713, Rn. 33/35) – IGAV. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 11 a.E. unter Verweis auf EuGH, Rs. 9 u. 10/77, Slg. 1977, 1517 (1525 f., Rn. 4) – Eurocontrol, wo es um die Auslegung eines internationalen Übereinkommens ging. EuGH, Rs. C-82/01 P, Slg. 2002, I-9297 (9364, Rn. 82) – Aéroports de Paris. EuGH, Rs. C-159 u. 160/91, Slg. 1993, I-637 (670, Rn. 19) – Poucet und Pistre. S. EuGH, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 (732, Rn. 42 ff.) – Cisal. EuGH, Rs. C-264 u.a./01, EuZW 2004, 241 (244, Rn. 54 f.) – AOK; ausführlich dazu Krajewski, EWS 2004, 256 ff. S. EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5887 f., Rn. 81 f.) – Albany. Vgl. umfassend mit teilweise anderem Ansatz Herding, Soziale Sicherungssysteme und der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.d. Art. 82, 86 EG, 2005, S. 104 ff. EuGH, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 (4028 ff., Rn. 17 ff.) – Fédération française des sociétés d´assurance; beide Konstellationen zusammenfassend EuGH, Rs. C-180184/98, Slg. 2000, I-6451 (6529, Rn. 109 f.) – Pavlov u.a.
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Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
bestimmten Wirtschaftszweiges angeordnet hat,69 sofern bestimmte Unternehmen von der Mitgliedschaft in einer solchen Sozialversicherung freigestellt werden müssen oder können.70 Jedenfalls insoweit kann eine Konkurrenzsituation mit privaten Unternehmen bestehen, welche ein Eingreifen der Wettbewerbsregeln erfordern kann, so dass gegenüber solchen Sozialversicherungen der staatliche Handlungsspielraum nach Art. 86 Abs. 1 EG zu begrenzen ist. Eine Konkurrenzsituation kann leicht dann entstehen, wenn Sozialversicherun2004 gen freiwillige Zusatzleistungen anbieten. Insoweit ist auch an eine Aufteilung zwischen Pflicht- und Wahlaufgaben zu denken.71 In diesen Kontext sind auch Handlungen zu stellen, die den gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkreis überschreiten und dabei in den Wettbewerb eingreifen. Ein Beispiel sind von dem gesetzlichen Rahmen nicht gedeckte Erklärungen, in denen Sozialversicherungen als Marktbeherrscher zum Boykott bestimmter Privatunternehmen aufrufen, so dass das Missbrauchsverbot eingreifen kann.72 Insoweit liegt freilich umgekehrt deshalb weiterhin eine besondere Beziehung zum Staat nahe, damit dieser im Rahmen seiner Aufsicht über die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben die Respektierung der damit verbundenen Grenzen sicherstellen kann. Dann muss dieser gewährleisten, dass die Sozialversicherungen keine gegen die Wettbewerbsregeln verstoßenden Aktivitäten unternehmen und bei Verstößen dagegen einschreiten. Andernfalls entlässt man ihn jedenfalls aus wettbewerbsrechtlicher Sicht aus dieser Pflicht nach Art. 86 Abs. 1 EG.
C.
Mitgliedstaatliche Pflichten
I.
Weite Konzeption zur Zügelung staatsnaher Unternehmen
1.
Vielgestaltigkeit der erfassten Maßnahmen
2005 Liegen öffentliche oder mit Sonderrechten ausgestattete Unternehmen vor, werden die Mitgliedstaaten im Hinblick auf sie durch Art. 86 Abs. 1 EG auf die Einhaltung der gesamten Pflichten des EG festgelegt; infolge der Konkretisierung des Vertrags durch Sekundärrecht gehört auch dieses dazu.73 Damit kann die Pflichtenreichweite nicht ohne Rücksicht auf dieses gesamte Spektrum gesehen werden. Ansonsten würde Art. 86 Abs. 1 EG eine Begrenzung mit sich bringen, weil die 69
70
71 72 73
Diesem Kriterium generell nur eine sehr begrenzte Wirkung zumessend Herding, Soziale Sicherungssysteme und der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.d. Art. 82, 86 EG, 2005, S. 86 f. EuGH, Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 (6530, Rn. 112) – Pavlov u.a.; s. bereits Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5887 f., Rn. 81 ff.) – Albany; Rs. C-115-117/97, Slg. 1999, I-6025 (6054 f., Rn. 81 ff.) – Brentjens; Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 (6148 f., Rn. 71 ff.) – Drijvende Bokken. Näher Koenig/Engelmann, EuZW 2004, 682 (685 f.). Jaeger, ZWeR 2005, 31 (52 f.). S. EuGH, Rs. 172/82, Slg. 1983, 555 (566 f., Rn. 15) – Inter-Huiles, wo die Beachtung der Warenverkehrsfreiheit und einer Richtlinie gleichgestellt werden.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
747
Mitgliedstaaten im Allgemeinen ohne Herausnahme des Bereichs öffentlicher oder mit besonderen Rechten ausgestatteter Unternehmen auf die Einhaltung des Vertrags verpflichtet sind und sei es über Art. 10 EG, der gleichfalls ein positives Tun wie ein Unterlassen fordert.74 Eine solche positive und negative Verpflichtung gilt auch für Art. 86 Abs. 1 2006 EG,75 da aufgrund des staatliches Einflusses auf Unternehmen auch bei einem unternehmerischen Handeln nur der Staat in der Lage ist, den Gemeinschaftsrechtsverstoß abzustellen. Dann ist er zu aktivem Tun verpflichtet, indem er auf das Unternehmen einwirkt und ggf. weiter gehend zudem die Rahmenbedingungen abstellt, welche den Gemeinschaftsrechtsverstoß begünstigt oder zumindest ermöglicht haben.76 Wie nach den allgemeinen Bestimmungen sämtliche staatliche Maßnahmen 2007 darunter fallen, ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich, durch Gesetz, Verwaltungsakt oder rein tatsächlich vorgenommen, unabhängig von welcher Verwaltungsebene oder Untergliederung sie ausgehen,77 gilt dies auch aufgrund der Anordnung nach Art. 86 Abs. 1 EG. Damit dürfen Mitgliedstaaten öffentliche oder mit Sonderrechten ausgestattete Unternehmen auch nicht faktisch begünstigen. Nicht nur hoheitliches Handeln wird erfasst,78 sondern auch privatrechtliches etwa durch die Ausübung von Stimmrechten.79 Zumeist geht es um rechtliche Bevorzugungen durch gesetzliche oder verord- 2008 nungsmäßige Begünstigungen sowie um Vorgaben gemeinschaftsrechtswidrigen Verhaltens, etwa durch Bedingungen an die Verleihung eines ausschließlichen Rechts.80 Gesetze sind nur insoweit ausgenommen,81 als sie sich nicht spezifisch auf öffentliche Unternehmen, sondern allgemein auch auf private Unternehmen beziehen bzw. nicht einer lediglich begrenzten, sondern unübersehbaren Anzahl Rechte verleihen.82 Die notwendige Begrenzung kann aber auch dadurch erreicht werden, dass der Kreis der Adressaten auf einen bestimmten Wirtschaftsbereich beschränkt wird, in dem nur öffentliche Unternehmen tätig sind, wie dies jedenfalls aktuell noch in Deutschland im Bereich der Wasserversorgung der Fall ist.83 Ebenso fällt die Reservierung eines Gemeindegebietes für das eigene kommunale Unternehmen und damit das Örtlichkeitsprinzip nach den Gemeindeordnungen darunter.84
74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84
S.o. Rn. 1956. S. schon o. Rn. 1988 ff. Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 86 Rn. 45. Ausführlich dazu Frenz, Europarecht 1, Rn. 292 ff. Vgl. dazu auch in anderer Hinsicht Thoma, EU-Recht und Schranken hoheitlicher Staatstätigkeit, 2004. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 11. S. EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2516, Rn. 33) – Bodson. Generell gegen deren Einbeziehung Vygen, Öffentliche Unternehmen im Wettbewerbsrecht der EWG, 1967, S. 73 ff. S.o. Rn. 1996. Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 86 Rn. 40. S.o. Rn. 1989.
748
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
2.
Notwendiger Bezug auf Unternehmen mit Nähe zum Staat
2009 Art. 86 Abs. 1 EG erfasst mithin das staatliche Verhalten im Hinblick auf die dort genannten Unternehmen. Nicht einbezogen ist daher, wenn der Staat selbst als Unternehmer handelt. Dann greifen die Wettbewerbsregeln unmittelbar ein.85 Ergreift der Staat Maßnahmen ohne Bezug auf öffentliche oder durch ausschließliche bzw. besondere Rechte begünstigte Unternehmen, gelten die allgemeinen Regeln gleichfalls ohne Vermittlung über Art. 86 Abs. 1 EG. Darin geht es um die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts gegenüber nicht mit dem Staat identische, sondern verselbstständigte Unternehmen mit einer besonderen Nähebeziehung zum Staat. Ebenso wichtig wie die Beschränkung staatlicher Einheiten selbst ist infolge 2010 des staatlichen Einflusses auf öffentliche und mit Sonderrechten ausgestattete Unternehmen, dass diese nicht über den staatlichen Einflusshebel selbst gemeinschaftsrechtswidrige Maßnahmen ergreifen, und sei es nur bedingt durch Fördermaßnahmen oder die Setzung von Rahmenbedingungen, welche zu Rechtsverstößen veranlassen können.86 Das zeigt sich insbesondere im Bereich der Wettbewerbsregeln und dabei vor allem des Missbrauchsverbots, welches den Schwerpunkt der Rechtsprechungspraxis im Rahmen des Art. 86 EG bildet. Zunächst wird daher untersucht, inwieweit ein Verstoß der Unternehmen namentlich gegen die europäischen Wettbewerbsregeln vorliegt, dann deren öffentlicher Charakter oder die Ausstattung mit Sonderrechten geprüft und schließlich der staatliche Beitrag für den Gemeinschaftsrechtsverstoß ermittelt.87 II.
Anwendung für die Wettbewerbsregeln
1.
Unschädlichkeit der bloßen Begründung, nicht hingegen der Ausdehnung eines Monopols
2011 Die Übertragung eines Ausschließlichkeitsrechts selbst führt noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 81 f. EG,88 sondern erst zusätzliche Begleitumstände vermögen eine Verletzung zu begründen. Das gilt im Hinblick auf Art. 82 EG dann, wenn sie den Rahmen zu einer missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung schaffen oder zu einem solchen Missbrauch zwingen.89 Gerade diese Frage steht im Vordergrund, wenn der Staat Monopole
85 86 87
88
89
EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 10) – Corbeau. S.o. Rn. 369 ff. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (876, Rn. 48) – Deutsche Post. S. z.B. EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5926 ff., Rn. 8 ff.) – Genova; Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2566 ff., Rn. 7 ff.) – Corbeau; Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (873 ff., Rn. 37 ff.) – Deutsche Post. EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3275, Rn. 17) – CBEM; Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 29) – Höfner und Elser; Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5928, Rn. 16) – Genova; Rs. C-271 u.a./90, Slg. 1992, I-5833 (5868, Rn. 35) – Telekommunikationsdienste. EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5980, Rn. 20) – GB-Inno-BM; Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 (4131, Rn. 61) – Dusseldorp; Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3798,
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
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verliehen hat, da diese dem Inhaber eine beherrschende Stellung nach Art. 82 EG vermitteln, sofern sie sich auf einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes beziehen.90 Dann stellt sich nicht nur in Bezug auf den Monopolinhaber die Frage einer Verletzung des Missbrauchsverbots,91 sondern auch im Hinblick auf den Staat. Anlass dazu geben namentlich Einschränkungen von Wirtschaftsleistungen zum Schaden der Verbraucher entgegen Art. 82 lit. b) EG.92 Existiert schon ein Monopol auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen 2012 Marktes und wird dieses ausgedehnt, wird eine beherrschende Stellung verstärkt, was als Verstoß gegen das Missbrauchsverbot angesehen wird.93 Daher ist es nur konsequent, auch im Rahmen von Art. 86 Abs. 1 EG einen Verstoß anzunehmen, wenn der Staat für eine solche Ausdehnung eines Monopols auf einen anderen Markt die Grundlage schafft oder sie zumindest begünstigt, sofern dafür keine objektive Rechtfertigung besteht.94 Ansonsten wird die Chancengleichheit als Grundlage eines unverfälschten Wettbewerbs95 angetastet.96 Das betrifft insbesondere ein Übergreifen von Monopolisten in der Haupttätigkeit vorgelagerte oder benachbarte Felder. So liegt der Fall, wenn der exklusive Betreiber eines Netzes auch die zugehörigen Geräte vertreiben und zudem deren Spezifikationen festschreiben, die Anwendung kontrollieren und die Apparate zulassen darf; damit kann er zugleich die Geräte bestimmen, welche an dieses Netz angeschlossen werden können. Diese Tätigkeit darf daher nicht einem Monopolisten anvertraut werden.97 Entsprechendes gilt für die Genehmigung und die nähere Ausgestaltung von Bodenabfertigungsdiensten durch den Eigentümer der Flughafenanlage.98 Gerade insoweit kann wiederum Art. 82 lit. b) EG einschlägig sein, weil das 2013 Angebot durch unabhängige Unternehmen von vornherein verhindert wird.99 Auch Art. 82 lit. c) EG kann zum Zuge kommen, wenn nämlich unterschiedliche Abgaben von Nutzern der Nebenleistung genommen werden; insoweit kann gerade keine Gesamtbetrachtung in Verbindung mit der Abgabe für die Hauptleistung vor-
90
91 92
93 94 95 96 97 98 99
Rn. 67; 3801, Rn. 82) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen; s. bereits Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3995, Rn. 41) – Corsica Ferries II. EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5928, Rn. 14) – Genova; Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5979, Rn. 17) – GB-Inno-BM; Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 9) – Corbeau; Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (873, Rn. 38) – Deutsche Post. S.o. Rn. 1169, 1229 ff. So in EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 30) – Höfner und Elser; Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4699, Rn. 53) – Banchero (im konkreten Fall verneint); Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 (7149, Rn. 32) – Job Centre. S. – allerdings teilweise krit. – o. Rn. 1122 f. S. EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5981, Rn. 24 f.) – GB-Inno-BM; Rs. C-271u.a./90, Slg. 1992, I-5833 (5868, Rn. 36) – Telekommunikationsdienste. S.o. Rn. 20 ff. EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 (1271, Rn. 51) – Telekommunikations-Endgeräte. EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5981 f., Rn. 25 f.) – GB-Inno-BM. EuGH, Rs. C-82/01 P, Slg. 2002, I-9297 (9370, Rn. 106) – Aéroports de Paris. EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8152, Rn. 43) – Ambulanz Glöckner.
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genommen werden.100 Eine Rechtfertigung kann allerdings daraus erwachsen, dass eine gewinnbringende Hilfstätigkeit notwendig ist, um eine mit ihr eng zusammenhängende, verlustträchtige, gemeinwohlbezogene Tätigkeit finanzierbar zu machen, mithin aus einer unabdingbaren Quersubventionierung.101 2.
Gewährleistung wettbewerbsadäquater Rahmenbedingungen
a)
Ansatz
2014 Der Staat darf generell keine Maßnahmen treffen oder beibehalten, welche die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten könnten.102 Eine wettbewerbswidrige Begünstigung, welche zu einer Beschränkung der Absatzmärkte führt, wird schon in der Verleihung bestimmter Andienungspflichten an ein inländisches Unternehmen gesehen. Darin liegt die Zuführung von Leistungen, die von einem dritten Unternehmen hätten wahrgenommen werden können.103 Insoweit zerfließen die Grenzen zwischen einer Übertragung eines Exklusiv2015 rechts, welche als solche nicht wettbewerbswidrig ist, und dessen Ausgestaltung als zusätzlicher Umstand, welcher zu einem Verstoß führen kann.104 Allerdings wurde in dem insoweit angeführten Urteil Corbeau ebenfalls die nähere Ausgestaltung auf ihre Erforderlichkeit untersucht, ohne die Übertragung des Exklusivrechts als solche in Frage zu stellen.105 Somit geht es um die wettbewerbsrechtliche Problematik von Rahmenbedingungen, in welche ein Exklusivrecht oder die Tätigkeit eines öffentlichen Unternehmens gestellt ist. b)
Präventionspflichten
2016 Dieses Beispiel zeigt bereits die vom EuGH verfolgte umfassende Konzeption, welche präventiv Wettbewerbsverfälschungen durch eine einseitige Begünstigung öffentlicher und mit Sonderrechten ausgestatteter Unternehmen verhindern will. Art. 86 Abs. 1 EG steht nämlich schon dann entgegen, wenn „eine Lage geschaffen werden könnte, in der das Unternehmen gegen“ Art. 82 EG „verstößt“.106 In diesem Fall ging es um die Ermöglichung einer diskriminierenden Sendepolitik durch Bevorzugung der eigenen Programme entgegen dem Missbrauchsverbot. Damit muss der Staat dafür Sorge tragen, dass der Rahmen, in dem sich ein sol-
100 101 102
103 104
105 106
EuGH, Rs. C-82/01 P, Slg. 2002, I-9297 (9370 ff., Rn. 109 ff.) – Aéroports de Paris. EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8157, Rn. 60 f.) – Ambulanz Glöckner; näher u. Rn. 2049 ff. EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 35 ff.) – ERT; Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 10 f.) – Corbeau; Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (874, Rn. 39 f.) – Deutsche Post. EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 (4131, Rn. 62 f.) – Dusseldorp. Insoweit bereits die Zulässigkeit der Monopole in Frage gestellt sehend Grill, in: Lenz/ Borchardt, Art. 86 Rn. 18; für eine ausschließliche Maßgeblichkeit von Art. 86 Abs. 2 EG Emmerich, in: Dauses, H. II Rn. 80. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2567, Rn. 11; 2568 f., Rn. 14 ff.) – Corbeau. EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2962, Rn. 37) – ERT.
§ 1 Grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln
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ches Unternehmen bewegt, keinen Anlass zu Wettbewerbsverletzungen gibt. Darauf hat er schon bei der Übertragung von Exklusivrechten zu achten. Diese weite Konzeption scheint durch spätere Urteile wieder zurückgenommen 2017 worden zu sein.107 Es heißt darin nämlich in vergleichbarem Kontext, ein Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 82 EG liegt nur vor, „wenn das betreffende Unternehmen durch die bloße Ausübung des ihm übertragenen ausschließlichen Rechts seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt“.108 Damit wird aber ein Rahmen beschrieben, dessen bloße Ausfüllung durch ein Unternehmen zu einem Vertragsverstoß durch den Mitgliedstaat führt. Dieser muss also nur die Möglichkeit eingeräumt haben, welche durch das begünstigte Unternehmen aktualisiert wurde. Bezogen auf das Verhalten des Mitgliedstaates kommt es daher weiterhin lediglich auf das Potenzial an, das er geschaffen hat. Dieses ist dahin zu untersuchen, ob es ein wettbewerbswidriges Verhalten zu veranlassen vermag. Wenn sich schon ein bestimmtes Verhalten entwickelte, liegt es nahe, die sich daraus ergebenden tatsächlichen Auswirkungen auf die vom Staat geschaffene Rechtslage zu beziehen und auf ihre Unvereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln zu prüfen; sind sie damit vereinbar, entfällt auch ein Wettbewerbsverstoß durch den Staat.109 Vom Ansatz her bleibt aber entscheidend, welchen Rahmen der Staat kreiert hat. Dies zeigt sich formal insofern in der Zitierweise, als das Crespelle-Urteil110 auf 2018 das Urteil Merci ausdrücklich und ohne den Zusatz eines „vgl.“ Bezug nimmt. Darin wird auch eine Rechtslage als ausreichend angesehen, die eine Lage zur Begehung von Missbräuchen schaffen könnte. Allerdings wird dort dieser Ansatz neben den Weg gestellt, dass die Unternehmen schon durch die bloße Ausübung der übertragenen Rechte einen Missbrauch begehen, welcher im in Bezug genommenen Urteil Höfner und Elsner111 herausgestellt wird. Dass das CrespelleUrteil neben dem Merci-Urteil ausschließlich auf dieses Urteil Höfner und Elser und nicht auf das ERT-Urteil Bezug nimmt,112 könnte eine Verengung bedeuten. Eine explizite Einschränkung wird aber nicht getroffen und jedenfalls der faktische Untersuchungsgang nimmt den geschaffenen staatlichen Rahmen zum Ansatzpunkt. Schon eine bloße Gefährdung unverfälschten Wettbewerbs gerade in Form des Missbrauchs genügen zu lassen, entspricht der insgesamt weiten Konzeption des Art. 86 Abs. 1 EG. Auch im Rahmen der anderen Wettbewerbsregeln muss eine Wettbewerbsverfälschung noch nicht aufgetreten sein, um einen Verstoß bejahen zu können.113 Jedenfalls genügt auch nach dem Urteil Höfner und El-
107 108
109 110 111 112 113
Dahin Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 14 a.E. EuGH, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 (5104, Rn. 18) – La Crespelle; Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 (7149, Rn. 31) – Job Centre; ähnlich Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4699, Rn. 51) – Banchero. S. EuGH, Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 (4699 f., Rn. 52 ff.) – Banchero. EuGH, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 (5104, Rn. 18) – La Crespelle. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 29) – Höfner und Elser. EuGH, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 (5104, Rn. 18) – La Crespelle. S.o. Rn. 76 ff., 591.
752
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
ser, dass das unternehmerische Verhalten nur dazu geeignet sein muss, eine schädliche Wirkung zu entfalten.114 Damit ist zwar die Einräumung von Monopolstellungen als solche wettbe2019 werbsrechtlich unbedenklich, aber nur dann, wenn sie in einer Weise erfolgt, dass sich daraus keine Wettbewerbsverstöße entwickeln können. Bereits bei der Übertragung selbst muss also der Staat darauf achten, dass sie nicht mit Elementen verbunden ist, die sich als schädlich für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln erweisen können. Die Möglichkeit einer solch negativen Entwicklung genügt also. Das entspricht der allgemeinen Konzeption namentlich im Rahmen der Grundfreiheiten, auf welche Art. 86 Abs. 1 EG ebenfalls bezogen ist und woraus sich dann sein weiter Rahmen ergibt, um nicht hinter die allgemein geltenden Vorgaben und Regeln zurückzufallen.115 Daraus ergibt sich die Pflicht zu präventivem staatlichem Verhalten, um Wettbewerbsverstöße erst gar nicht entstehen zu lassen. Dadurch ist der Schutz der Wettbewerbsregeln weit ins Vorfeld verlagert, was ihnen einen besonders wirksamen Schutz zuteil werden lässt. So kann etwa die Ermöglichung von Gebührenerhebungen zulasten bestimmter Leistungsabnehmer ein Unternehmen mit einem ausschließlichen Recht veranlassen, dies auf der Basis seiner beherrschenden Stellung zu verwirklichen. Jedoch kann eine solche Maßnahme notwendig sein, um die gemeinwohlbezogenen Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können.116 Zu diesem Zweck kann sogar eine Quersubventionierung gerechtfertigt sein, wenn auch nur unter begrenzten Voraussetzungen.117 c)
Reaktionspflichten
2020 Diese staatliche Verpflichtung, schon keine möglicherweise zu Wettbewerbsverstößen Anlass gebende Lage zu schaffen, setzt sich begleitend zur Tätigkeit der öffentlichen bzw. mit Sonderrechten ausgestatteten Unternehmen fort. Stellt daher der Staat fest, dass die von ihm gesetzten Rahmenbedingungen trotzdem Wettbewerbsverstöße begünstigen, muss er Gegenmaßnahmen ergreifen. Er kann mithin gem. Art. 86 Abs. 1 EG die bisherigen Maßnahmen nicht beibehalten, sondern er muss sie ändern. Zudem wird dann seine Pflicht aktiviert, auf die Unternehmen einzuwirken, dass sie sich wettbewerbskonform verhalten. 3.
Rechtfertigung
2021 Halten sich mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht im Rahmen dieser Pflichten, können sie gleichwohl dann rechtmäßig sein, wenn ein Abrücken von den Wettbewerbsregeln im Rahmen von Art. 86 Abs. 2 EG liegt, also für die Erfüllung der gemeinwohlbezogenen Sonderpflichten erforderlich ist. Das kann sogar für die 114
115 116 117
EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2018, Rn. 32) – Höfner und Elser im Bezug auf die Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels; ebenso Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 (7150, Rn. 36) – Job Centre. S.o. Rn. 2005. Zu Beeinträchtigung und Rechtfertigung anschaulich EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (875 ff., Rn. 46 ff.) – Deutsche Post. S.u. Rn. 2049 ff.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
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Übertragung von Ausschließlichkeitsrechten zutreffen, die jeden weiteren Wettbewerb unterbinden, sofern damit eine qualitativ hochwertige Verwertung sichergestellt werden kann, ohne dass ein milderes Mittel zur Verfügung stünde.118 Das Örtlichkeitsprinzip ist insoweit gerechtfertigt, als anders kommunale Pflichtaufgaben nicht erfüllt werden können, weil nur durch die Vorhaltung ausreichender Kapazitäten im eigenen Gebiet die Nachfrage sichergestellt werden kann.119 Insoweit können auch staatliche Verhaltensweisen gerechtfertigt werden, wel- 2022 che zu einem Verstoß gegen das Missbrauchsverbot führen können.120 Schließlich ist dann Grundlage für eine Vertragsverletzung Art. 86 Abs. 1 EG. Dieser steht unmittelbar vor dem eine Legitimation eröffnenden Art. 86 Abs. 2 EG, der sich auf „die Wettbewerbsregeln“ bezieht und damit nicht etwa das Missbrauchsverbot ausspart und kann daher an dieser Möglichkeit teilhaben. Nur Art. 82 EG und damit das missbräuchliche Verhalten der öffentlichen und staatlich begünstigten Unternehmen selbst ist ohne Rechtfertigung, außer diese gelingt tatbestandsimmanent.121 Ob eine staatliche Maßnahme mit Bezug auf solche Unternehmen im Einzelfall nach Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt werden kann, ist anhand der im Folgenden beschriebenen Prüfung herauszufinden.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung A.
Fortbestehende Maßgeblichkeit von Art. 86 Abs. 2 EG trotz Art. 16 EG
Schon auf der Basis der klassischen Wettbewerbsregeln und damit vor Einfügung 2023 einer eigenen Grundsatzbestimmung über die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse durch den Amsterdamer Vertrag wurde immer wieder diskutiert, in welchem Umfange öffentliche Unternehmen122 und solche Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln unterliegen oder aber eine Sonderstellung einnehmen. Im Entsorgungsbereich etwa stellte sich das Problem, inwieweit regionale Absprachen von Entsorgern im Sinne des gemeinschaftlichen Verbots von Unternehmensvereinbarungen zulässig sind, die praktisch den Zugang anderer Unternehmen ausschließen, um bestimmte Entsorgungsstandards zu gewährleisten.123 Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG ordnet indes in HS. 1 die grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln auch insoweit an und lässt in HS. 2 nur unter besonderen Voraussetzungen einen Dispens zu, der auch lediglich partiell sein kann 118 119 120 121 122 123
EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3800 f., Rn. 78 ff.) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. Vgl. EuGH, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431 (4480, Rn. 34) – Wallonische Abfälle sowie Frenz, Europarecht 1, Rn. 244. EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (2963, Rn. 38) – ERT. S.o. Rn. 1413 f. Näher o. Rn. 1998 ff. S. EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen.
754
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
(„soweit“). Zudem darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nach Art. 86 Abs. 2 S. 2 EG nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt sein, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwider läuft. Durch den Amsterdamer Vertrag wurde mit Art. 16 EG eine neue Bestimmung 2024 zu dieser Materie eingeführt, die aber „unbeschadet“ des Art. 86 EG gilt und diesen damit unangetastet lässt. Die Debatte über eine neue Bestimmung zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse war überschattet von einem deutsch-französischen Gegensatz. Frankreich wollte die Besonderheiten der Aufgaben der „öffentlichen Dienste“ auf der Basis seiner Tradition der services publics124 insgesamt stärker betonen und allgemein festschreiben.125 Deutschland demgegenüber strebte lediglich eine Ausnahmevorschrift zu der ordnungspolitischen Grundposition des allgemeinen freien Wettbewerbs an, wie er im EG zum Ausdruck kommt und wollte keine neuen Gemeinschaftskompetenzen begründet sehen.126 Als Schlusspunkt knüpft Art. 16 EG nunmehr zwar an die allgemeinen Wett2025 bewerbsregeln an, unterstreicht allerdings zugleich den eigenständigen Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und gibt der Gemeinschaft einen Gestaltungsauftrag, damit diese Dienste ihren Aufgaben nachkommen können.127 Daher bleibt zwar das Wettbewerbssystem der Gemeinschaft als solches unangetastet, indes werden die Besonderheiten der Aufgaben jedenfalls der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in einer Grundlagenbestimmung des Vertrages eigens betont. Ausgangspunkt bleibt aber die bisherige Rechtsprechung, wie die begleitend zu dieser neuen Vorschrift verfasste 13. Erklärung für die Schlussakte der Amsterdamer Konferenz128 betont: „Der die öffentlichen Dienste betreffende Art. 7d des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wird unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs u.a. in Bezug auf die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Qualität und der Dauerhaftigkeit der sozialen Dienste, umgesetzt.“
B.
Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
I.
Tätigkeitsbereiche
1.
Notwendiger Gemeinwohlbezug
2026 Die Hauptkonstellation des Art. 86 Abs. 2 EG ist die Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Das Tatbestandsmerkmal dieser „Dienst(e)leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ ist ohne begriff124 125 126 127 128
Dazu etwa Pielow, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 155 ff. S. ausführlich Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäische Union, 2004, S. 37 ff. Budäus/Schiller, ZögU 23 (2000), 94 (96 f.). Dazu näher u. Rn. 2093 ff. ABl. 1997 C 340, S. 133.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
755
liches Vorbild in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, so dass allgemein eine weite Auslegung propagiert wird.129 Eine genaue Definition mit rechtlich eindeutigen Konturen existiert derzeit nicht.130 Nach Auffassung der Kommission bezeichnet dieser Begriff „wirtschaftliche Tätigkeiten“, „die von den Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden und für die das Kriterium gilt, dass sie im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden“.131 Sie sind daher unverzichtbar, aber von der Organisationsstruktur offen. Ist die Erfüllung dieser Gemeinwohlverpflichtungen gewährleistet, ist die Rechtsform des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens mithin gleichgültig, so dass auch in Privatrechtsform betriebene Unternehmen darunter fallen können.132 Daseinsvorsorge und Liberalisierung schließen sich also nicht aus. Vielmehr können zunächst staatlich wahrgenommene Bereiche dereguliert und dann Privaten anvertraut werden, welche aber weiterhin im Einzelnen festgelegte Lasten wahrnehmen müssen.133 Voraussetzung ist nur die Erfüllung der Gemeinwohlverpflichtungen.134 Das sind die besonderen Anforderungen staatlicher Behörden an den Anbieter des jeweiligen Dienstes, mit denen die Erfüllung bestimmter Gemeinwohlinteressen sichergestellt werden soll, so im Luft-, Schienen- und Straßenverkehr oder im Energiesektor. Diese können auch auf regionaler Ebene festgelegt werden.135 Zu entscheiden, welche besonderen Aufgaben den öffentlichen Unternehmen 2027 im Einzelnen übertragen werden, ist grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten,136 denen dabei ein weiter, nur auf „offenkundige Fehler“ überprüfbarer Einschätzungsspielraum zusteht.137 So können sich große Unterschiede ergeben.138 Die 129 130 131
132
133 134 135 136 137
Dazu Tettinger, DVBl. 1997, 341 (344) m.w.N. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 37. Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg. Anhang 1. S. bereits Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II sowie Bericht der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken vom 17.10.2001, Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg., Anhang, wo jeweils auch Leistungen der Daseinsvorsorge entsprechend definiert werden. Insofern bilden diese Dienste einen Teilbereich der Leistungen der Daseinsvorsorge, da diese neben den marktbezogenen auch nichtmarktbezogene gemeinwohlorientierte Tätigkeiten umfassen. Ähnlich Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 21. Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1. Unter Verweis auf Art. 295 EG Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Rn. 21 sowie Burgi, VerwArch. 2002, 255 (257). S. Nolte, Deregulierung von Monopolen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, 2004. Näher bereits Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II Rn. 14 ff. Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1. Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg., Tz. 2.2. RL 2000/52/EG der Kommission vom 26.7.2000 zur Änderung der RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und
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Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
Befugnis zur Aufgabenzuweisung unterliegt freilich gemeinschaftsrechtlich vorgeprägten Schranken. Zunächst müssen die Dienstleistungen als im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegend anerkannt bzw. anzuerkennen sein. Hierfür wird einmal gefordert, dass diese zumindest auch im öffentlichen Interesse erfolgen,139 mithin einem überindividuellen Zweck dienen. Auch ein Handeln im bloßen Gruppeninteresse, wie es durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände erfolgt, ist nicht im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse.140 Bejaht wird dies hingegen insbesondere für flächendeckend zur gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung vorgehaltene Dienstleistungen, wenn diese ohne Rücksicht auf Sonderfälle und auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorganges erbracht werden.141 Letzteres ist jedenfalls als starkes Indiz für ein Handeln zugunsten der Allgemeinheit anzusehen. Eine intensivere Überwachung als gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern reicht hingegen für sich allein nicht als Indiz aus, da es auf die Pflichten als solche und damit den Unterbau ankommt, auf den sich die Überwachung bezieht.142 Die Pflicht zur Wahrnehmung bestimmter Rechte genügt ebenfalls nicht, wenn diese wie bei Urheberrechten im Privatinteresse und nicht im öffentlichen Interesse erfolgt.143 2.
Versorgungsdienste
2028 Dementsprechend hat der Gerichtshof im Urteil Almelo144 die Tätigkeit eines regionalen Stromversorgers als Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i.S.d. Art. 86 Abs. 2 eingeordnet, da er flächendeckend, ununterbrochen und uneingeschränkt zu einheitlichen Tarifen sowie lediglich nach objektiven Kriterien
138 139 140 141 142
143 144
den öffentlichen Unternehmen, ABl. 2000 L 193, S. 75, 4. Erwägungsgrund; Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Rn. 22; Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 37; krit. im Zusammenhang mit der öffentlichen Rundfunkfinanzierung Engel, Europarechtliche Grenzen für öffentlichrechtliche Spartenprogramme, 1996, S. 54, wonach die Anerkennung eines solchen Rechts der Mitgliedstaaten zur Aufgabenzuweisung dazu führe, dass diese selbst über das Ausmaß der Ausnahmeregelung des Art. 86 Abs. 2 EG entscheiden könnten; dagegen und auf die Widersprüchlichkeit dieser Argumentation eingehend wiederum Bartosch, EuZW 1999, 176 (179). Im Einzelnen Götz, in: FS für Maurer, 2001, S. 921 (921 ff.). Stellvertretend hierzu und zum Folgenden Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 38 m.w.N. Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 119. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2568, Rn. 14) – Corbeau; Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg., Tz. 3.3. EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 (504, Rn. 31 f.) – GVL im Hinblick auf Urheberrechtsverwertungsgesellschaften, die sich daher nicht auf Art. 86 Abs. 2 EG berufen konnten. EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 (62 f., Rn. 18/23) – BRT/SABAM ebenfalls zu einer Urheberrechtsverwertungsgesellschaft. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1521, Rn. 48) – Almelo; dazu Rapp-Jung, EuZW 1994, 464 ff.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
757
differenzierend Strom lieferte.145 Neben den Energieversorgungsdiensten hebt die Kommission Verkehrs- und Telekommunikationsdienste besonders hervor.146 Diese wurden ebenfalls zuvor schon von der Rechtsprechung als Fallkonstellationen herausgearbeitet,147 insbesondere wenn sie gemeinwohlbedingt unrentable Strecken betreiben mussten.148 Somit kann namentlich die Versorgung mit Leistungen im Bereich der Infra- 2029 struktur unter Art. 86 Abs. 2 EG fallen. Das gilt etwa auch für Serviceleistungen in Häfen. So muss jederzeit ein Dienst zur Verfügung stehen, der die Schiffe festmacht, um die Sicherheit der Hafengewässer zu gewährleisten,149 also um eine gemeinwohlbezogene Aufgabe zu erfüllen. Darüber hinaus sind jedoch nicht alle Dienste in Häfen umfasst, weil der Umschlag von Waren oder auch die Anlandung von Personen in Häfen nicht notwendig im öffentlichen Interesse liegt oder besondere Merkmale aufweist, die diese Tätigkeiten vom sonstigen Wirtschaftsleben unterscheiden.150 Das Bereitstellen von Hafenanlagen als solches liegt zwar vor allem im Interes- 2030 se der Wirtschaftsteilnehmer, was den EuGH sogar dazu bewogen hat, insoweit einen relevanten Markt im Rahmen des Missbrauchsverbots anzunehmen.151 Jedoch sind diese auf einen kontinuierlichen Betrieb und einen nichtdiskriminierenden Zugang besonders angewiesen. Daher liegt eine Festlegung entsprechender Betriebspflichten besonders nahe. Fehlt es daran, besteht indes keine besondere Gemeinwohlverpflichtung, die über die Pflichten sonstiger Unternehmen namentlich bei einer Monopolstellung und dabei vor allem über die daraus folgenden Zugangsmöglichkeiten für andere Wirtschaftsteilnehmer152 hinausgeht.153 Daher sind etwa auch Bankdienstleistungen keine von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, obgleich sie jeder braucht.154 Ein besonders sensibler Bereich ist auch die Wasserversorgung, auf die jeder 2031 angewiesen ist und bei der hohe Qualitätsstandards sicherzustellen sind. Daher sind
145 146
147
148 149 150 151 152 153 154
S. ausführlich im Hinblick auf deutsche Energieversorgungsunternehmen Rinne, Die Energiewirtschaft zwischen Wettbewerb und öffentlicher Aufgabe, 1998, S. 58 ff. S. Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg. Tz. 3.3.; Bericht der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken vom 17.10.2001, Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg., Anhang. Eine nähere Aufstellung enthält die Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II. Für Telekommunikationsunternehmen bereits EuGH, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 (888, Rn. 33) – Italien/Kommission; später Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 (5980 f., Rn. 22) – GB-Inno-BM. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (853, Rn. 55) – Ahmed Saeed Flugreisen EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3996 f., Rn. 45) – Corsica Ferries II. EuGH, Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 (4469, Rn. 52 f.) – GT-Link sowie bereits Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5931, Rn. 27) – Genova. S.o. Rn. 1195. S.o. Rn. 1357 f. Offen denn auch EuGH, Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 (4469 f., Rn. 54) – GT-Link. EuGH, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 (2030, Rn. 7) – Züchner, allerdings wegen mangelnder Betrauung durch Hoheitsakt.
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auch die Liberalisierungs- sowie die Privatisierungsmöglichkeiten beschränkt155 und entsprechende Unternehmen als mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ausgestattet anzusehen.156 Dazu können auch Forschungsinstitutionen einschließlich Publikationsorganen gehören, so im Bereich der Landwirtschaft namentlich im Hinblick auf die Verbesserung und Entwicklung der Pflanzenerzeugung sowie die Erhaltung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse.157 3.
Post und Arbeitsvermittlung
2032 Auch die Post158 und Arbeitsvermittlungsanstalten159 wurden einbezogen: die Post wegen ihrer Weiterleitungs- und Zustellungspflicht ausländischer Sendungen nach dem Weltpostvertrag als Grundlage für den Gemeinwohlbezug,160 die Arbeitsvermittlungsanstalten im Hinblick auf das Arbeitsvermittlungsmonopol. Bei einer Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit kommt es darauf an, ob die Arbeitsvermittlung weiterhin gemeinwohlbezogen ausgestaltet ist. Die Wahrnehmung durch Private, die auch der EuGH explizit nicht ausschließt,161 schadet nicht, wie andere privatisierte Bereiche zeigen, in denen Privatunternehmen gemeinwohlbezogene Verpflichtungen wahrnehmen. 4.
Entsorgung
2033 Weiter erkannte der EuGH an,162 dass „das Abholen und die Behandlung von Haushaltsabfällen unbestreitbar eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe“ ist. Sie gehört „zu denjenigen Aufgaben, die ein Staat von Behörden wahrnehmen lassen kann oder auf die er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte“. Diese Beschränkung auf Haushaltsabfälle verfolgte der EuGH jedoch in der Kopenhagen-Entscheidung nicht mehr, welche sich auf ungefährliche Bauabfälle bezog, die einer qualitativ hochwertigen Verwertung zugeführt werden sollten. Auch darauf bezogen kann „die Bewirtschaftung bestimmter Abfälle Gegenstand einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sein, insbesondere wenn diese Dienstleistung ein Umweltproblem beseitigen soll“.163 Das Duale System nimmt allerdings trotz seines Charakters als Ersatzsystem nach § 6 Abs. 3 155 156 157 158 159 160 161 162
163
Dazu näher Frenz, ZHR 2002, 307 ff. m.w.N. Z.B. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 26. EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2056 f., Rn. 9) – Nungesser. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2568, Rn. 15) – Corbeau. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 (2017, Rn. 24) – Höfner und Elser für die öffentlich-rechtliche Bundesanstalt für Arbeit. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (875, Rn. 44) – Deutsche Post. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (868 f., Rn. 22) – Deutsche Post. EuGH, Rs. C-360/96, Slg. 1998, I-6821 (6866, Rn. 52) – BFI-Holding; dazu Weidemann/Otting, EWS 1999, 41 ff. sowie die Urteilsanmerkung von Sura, EuZW 1999, 19 f. EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3799, Rn. 75) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen; dazu Frenz, NuR 2000, 611 ff.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
759
VerpackV164 keine gemeinwohlbezogene Aufgabe wahr, weil insoweit private Entsorgungsverantwortung einem einheitlichen Träger überantwortet wird, ohne dass dem Staat eine Reserveverantwortung zukäme. Diese haben vielmehr die privaten Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen, und zwar ohne die besonderen Verwertungspflichten des einheitlichen Trägers und nur im Rahmen der allgemeinen Entsorgungsverantwortung, so dass kein besonderer, unverzichtbarer Gemeinwohlbezug besteht.165 II.
Betrauung
1.
Handlungsformen
Tatbestandsvoraussetzung ist weiter das Vorliegen eines vertragskonformen Be- 2034 trauungsaktes.166 Die Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wird zuvörderst durch hoheitlichen Akt167 anvertraut. Dies kann auch durch eine öffentlich-rechtliche Konzession geschehen.168 Dafür kann sprechen, wenn dem Inhaber „das Recht zur Gebührenerhebung oder dieses Recht zuzüglich eines Preises“ zugestanden wurde.169 Es genügt auch eine Konzession, die erteilt wurde, „um die Verpflichtungen zu konkretisieren, die Unternehmen auferlegt sind, welche durch Gesetz mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“.170 2.
Maßgeblichkeit staatlichen Einflusses
Diese Flexibilisierung entspricht dem Trend, einem übertriebenen Formalismus im 2035 Rahmen der Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals entgegenzutreten.171 Ein solcher widerspräche auch der rein aufgabenbezogenen Konzeption von Art. 16 164 165 166 167
168 169
170 171
Vom 27.8.1998, BGBl. I 1998 S. 2379, zuletzt geändert durch VO vom 24.5.2005, BGBl. I S. 1407. Näher Frenz, DÖV 2002, 1028 (1028 f.); ders., WuW 2002, 962 ff. Dazu Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 39 m.w.N. Näher Götz, in: FS für Maurer, 2001, S. 921 (925 f., 931 ff.). S. EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (853, Rn. 55) – Ahmed Saeed Flugreisen; Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1521, Rn. 50) – Almelo; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5836, Rn. 65) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1520 f., Rn. 47) – Almelo, bestätigt durch Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5836, Rn. 66) – Kommission/Frankreich. Offen EuGH, Rs. C-360/96, Slg. 1998, I-6821 (6860, Rn. 24) – BFI-Holding und auch Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3799 f., Rn. 76) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen. Dort wird nur auf eine Betrauung gemäß den nationalen Rechtsvorschriften verwiesen, ohne auf die Ausgestaltung im Einzelnen einzugehen. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5836, Rn. 66) – Kommission/Frankreich. Burgi, EuR 1997, 261 (275 f.); Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 25; bezogen auf die Energiewirtschaft Baur, in: FS für Everling I, 1995, S. 69 (77); Rapp-Jung, RdE 1994, 164 (169); Bala, Art. 90 Abs. 2 EGV im System unverfälschten Wettbewerbs, 1997, S. 162 f.
760
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
EG, in dem von „Betrauung“ nicht die Rede ist.172 Letztlich kommt es auch im Rahmen von Art. 86 Abs. 2 EG auf die Zugehörigkeit zum staatlich beeinflussten oder zum ausschließlich privaten Sektor an. Denn danach richtet sich, ob zur Erhaltung von Gemeinwohlerfordernissen Abstriche von der Geltung der Wettbewerbsregeln zu machen sind. Zudem kommt es im Zusammenhang mit dem im Einzelfall zu konkretisierenden Blankettbegriff des Allgemeininteresses und angesichts dessen inhaltlicher „Offenheit“ weniger auf die Einhaltung abschließend definierter formaler Kriterien an als darauf, wer die gemeinwohlorientierte Aufgabenkonkretisierung vornimmt.173 Insoweit ist also namentlich der kompetenzrechtlich zuständige staatliche Entscheidungsträger maßgeblich sowie der staatliche Einfluss, der die Einhaltung dieser Aufgaben durch das jeweilige Dienstleistungsunternehmen gewährleistet. Dies vermag grundsätzlich auch eine Aufgabenübertragung auf privatrechtlicher Basis sicherzustellen. 3.
Konkludent
2036 Weiter gehend kann sich die Aufgabenzuweisung auch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben. Entscheidend ist, dass der Staat bestimmte Unternehmen aus Gründen des Gemeinwohls und damit als Instrument der Wirtschafts- oder Sozialpolitik einsetzt. Indizien dafür sind, wenn den handelnden Einheiten die typischen Pflichten von allgemeinen Diensten wie Gleichbehandlung der Nutzer, fortdauernde Belieferung und Wahrung bestimmter Qualitätsstandards obliegen.174 Wie eine solche staatliche Einsetzung erfolgt ist, tritt zurück.175 So reicht es aus, wenn Sozialpartner einen Betriebsrentenfonds gründen und der Staat nur die Mitgliedschaft in diesem Fonds verbindlich vorschreibt.176 Entscheidend sind in diesem Fall die besonderen Verpflichtungen dieses Fonds, die ihn von normalen Wettbewerbern unterscheiden.177 Besonders geeignet sind Unternehmen des öffentlichen Sektors.178 Auf diese kann der Staat auch ohne eigenen Übertragungsakt Einfluss ausüben.179 Das gilt nicht nur bei den Regie- oder Eigenbetrieben, sondern auch bei den gemischtwirtschaftlichen Unternehmen und den in Privatrechtsform betriebenen Eigengesellschaften.
172 173 174 175 176
177 178 179
Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäischen Union, 2004, S. 99. Vgl. Ossenbühl, VR 1983, 301 ff. Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäische Union, 2004, S. 99 f. Bereits Rapp-Jung, EuZW 1994, 464 (465 mit Fn. 17): Rechtsform der Betrauung unerheblich, vielmehr ist Inhalt der Maßnahme entscheidend GA Léger, EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 (1624, Rn. 160) – Wouters, worauf Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 25 zu Recht verweist. S. auch Gyselen, CMLR 2000, 425 (445). Näher EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5893 f., Rn. 104 ff.) – Albany. EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (5892 f., Rn. 103) – Albany unter Verweis auf die frühere Rspr. und ohne Aufzeigen eines näheren Übertragungsaktes. S. Burgi, EuR 1997, 261 (276); Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 13 a.E. m.w.N.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
C.
761
Finanzmonopole
Art. 86 Abs. 2 EG nennt gleichgeordnet neben Unternehmen, welche mit Dienst- 2037 leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, Finanzmonopole. Das sind Unternehmen bzw. Einrichtungen, denen ein ausschließliches Recht verliehen ist, um Einnahmen für den Staatshaushalt zu erzielen.180 Regelmäßig bilden sie Handelsmonopole, zumal diese sich auch auf Dienstleistungsmonopole erstrecken können,181 und unterliegen daher Art. 31 EG.182
D.
Dispenserfordernisse
I.
Behinderung der Aufgabenerfüllung
1.
Keine notwendige Verhinderung
Dass die Mitgliedstaaten bestimmten Unternehmen ausschließliche Rechte gewäh- 2038 ren und Monopole übertragen können, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 1 EG und ist auch in der Rechtsprechung des EuGH dem Grunde nach anerkannt.183 Gleichwohl entbindet diese Möglichkeit jedenfalls nicht per se von den primärrechtlichen Wettbewerbsregeln, auf deren Einhaltung die Mitgliedstaaten im Verhältnis zu denjenigen Unternehmen, die ihrem Einfluss unterliegen, verpflichtet sind.184 Eine Ausnahme gilt gem. Art. 86 Abs. 2 EG für solche Unternehmen und vorbehaltlich der in Satz 2 eingezogenen Grenze des Gemeinschaftsinteresses nur, soweit die Anwendung der primärrechtlichen Vorschriften die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert, mithin die Erfüllung der übertragenen Aufgabe nur durch Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte gesichert werden kann.185 Uneinheitlich und insofern problematisch ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „verhindert“, beeinflusst dessen Interpretation doch maßgeblich das Eingreifen und zugleich die Reichweite des Art. 86 Abs. 2 S. 1 2. HS EG. Als Ausnahmevorschrift ist eine enge Auslegung geboten.186 180 181
182 183 184 185 186
Z.B. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 27. Vgl. EuGH, Rs. C-46/90 u. 93/91, Slg. 1993, I-5267 (5329, Rn. 33) – Lagauche; Rs. C-17/94, Slg. 1995, I-4353 (4380 f., Rn. 36) – Gervais; eingrenzend Rs. 271/81, Slg. 1983, 2057 (2072 f., Rn. 10 f.) – Mialocq; zusammenfassend Frenz, Europarecht 1, Rn. 1079. Geiger, Art. 86 Rn. 11; zu den Handelsmonopolen insgesamt näher Frenz, Europarecht 1, Rn. 1077 ff. S. nur EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5831 f., Rn. 44) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2575, Rn. 12) – Transparenzrichtlinie; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5832, Rn. 46 f.) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5833, Rn. 49) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5834, Rn. 53) – Kommission/Frankreich.; Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109 (4162, Rn. 56) – TNT Traco; aus der Lit. Mestmäcker, in:
762
2039
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
Es bleibt aber die Frage, auf welcher Grundlage und mit welchem Ansatzpunkt interpretiert werden soll. Begrifflich ist die vom Wortlaut des Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG geforderte Verhinderung grundsätzlich etwas qualitativ Anderes als eine bloße Behinderung der Aufgabenerfüllung.187 Daher genügt eine bloße Erschwerung der Aufgabenerfüllung nicht.188 Die Verhinderung selbst ist indes in diesem Zusammenhang nicht eindeutig. Eine ganz enge Betrachtung würde die Vorschrift nur greifen lassen, wenn ein mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrautes Unternehmen überhaupt nicht mehr arbeiten könnte. Und selbst dies hängt von der Kombination mit den Aufgaben ab, die ihm übertragen wurden. Diese Übertragung aber erfolgt auf nationalrechtlicher Grundlage. Der Bezugspunkt der Verhinderung der Aufgabenerfüllung ist daher notwendig mitgliedstaatlich und damit auf Gemeinschaftsebene inhaltlich nicht abschließend festgelegt.189 2.
Ausgleich mit der Erfüllbarkeit von Sonderpflichten
2040 Zudem geht es weniger um das Unternehmen als solches als vielmehr um eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, die ggf. nur durch ein Zurückdrängen der Wettbewerbsregeln erreicht werden kann. Greifen diese auch grundsätzlich ein, gilt dies insoweit nicht, als eine gemeinwohlorientierte Aufgabenerfüllung nicht sichergestellt ist. Dieser Konflikt ist aufzulösen. Das bedingt aber regelmäßig eine Abwägung und damit einen gleitenden Maßstab, wie im Normtext das „soweit“ deutlich macht. So ist denn die Fähigkeit zur Aufgabenwahrnehmung ein gleichgewichtiger Abwägungsbelang, der zumal vor dem Hintergrund von Art. 16 EG mit der Wettbewerbsfreiheit im Wege praktischer Konkordanz190 auszugleichen ist. Auch der EuGH verlangt daher nicht als Voraussetzung von Art. 86 Abs. 2 EG, 2041 dass das mit Ausschließlichkeitsrechten ausgestattete Unternehmen ohne die an sich gegen den EG verstoßenden Maßnahmen in seinem Überleben bedroht ist.191 Vielmehr genügt, wenn es ansonsten in der Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Verpflichtungen (sachlich oder rechtlich) gefährdet192 oder überfordert würde. Eine solche Überforderung besteht, wenn eine gemeinwohlbezogene Aufgabe nicht mehr zu wirtschaftlich ausgewogenen193 bzw. tragbaren194 Bedingungen
187 188
189 190
191 192 193
FS für Zacher, 1998, S. 635 (641); Burgi, EuR 1997, 261 (276); Jung in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 35 mit Fn. 137 jeweils m.w.N. Dazu etwa Tettinger, DVBl. 1997, 341 (344); Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 53 ff. Bereits EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431, Rn. 15) – Sacchi; Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 (5931, Rn. 26 f.) – Genova und genauer EuG, Rs. T-260/94, Slg. 1997, II-997 (1043, Rn. 138) – Air Inter sowie z.B. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 45. Tettinger, DVBl. 1997, 341 (344). Diese Figur benennend Schwarze, EuZW 2001, 334 (339); mit anderer Konzeption Koenig, EuZW 2001, 481. Zu Art. 16 EG näher u. Rn. 2081 ff., zur praktischen Konkordanz o. Rn. 1003 ff. Explizit EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5834, Rn. 57) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5835, Rn. 59) – Kommission/Frankreich. So EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (877, Rn. 52) – Deutsche Post.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
763
erfüllt werden kann.195 Insofern bezieht der Gerichtshof die prinzipielle Anwendbarkeit des Art. 86 Abs. 2 EG auf sämtliche Verpflichtungen, sofern diese nicht sachgerecht und wirtschaftlich erfüllt werden können. Teilweise wird darauf aufbauend eine Gefährdung schon dann bejaht, wenn ei- 2042 ne Aufgabe nicht mehr in dem gesamten, mitgliedstaatlich definierten Umfang erfüllt werden kann.196 Für die kommunalen Abfallentsorger etwa müsste also zur Beantwortung der Frage, ab wann eine Gefährdung der ihnen obliegenden Aufgaben anzunehmen ist, auf die umfassenden, insbesondere in § 15 KrW-/AbfG normierten Pflichten im Hinblick auf die überlassenen Abfälle abgestellt werden. Damit hätten es die Mitgliedstaaten jedoch in der Hand, durch ein Hochschrauben von Gemeinwohlanforderungen das Wettbewerbsrecht zu verdrängen. Es müssen daher Anforderungen sein, welche sich im Rahmen einer sachgerechten Gemeinwohlerfüllung als vernünftig darstellen. Maßstab dafür kann etwa sein, welche inhaltlichen Vorgaben das Gemeinschaftsrecht in einem Bereich vorsieht. Werden diese in hohem Maße verlassen, ohne dass dafür eine konkrete inhaltliche Rechtfertigung besteht, können daraus abgeleitete Gemeinwohlverpflichtungen das Eingreifen der Wettbewerbsregeln nicht hindern. Jedenfalls unterfallen nicht auf Sonderpflichten beruhende Tätigkeiten, wie sie 2043 der Bundesgerichtshof in weitem Umfang zugelassen hat,197 grundsätzlich nicht dem Ausnahmetatbestand des Art. 86 Abs. 2 EG. Dann bewegen sich die Unternehmen außerhalb der gemeinwohlgebundenen Pflichten. Gegenteiliges kann nach dieser Vorschrift nur dann gelten, wenn eine Aufgabenerfüllung ansonsten tatsächlich verhindert würde, beispielsweise weil eine Aufgabenerfüllung wirtschaftlich unmöglich198 wird. Damit stellt sich die Frage der Zulässigkeit von Quersubventionierungen auch im Rahmen von Art. 86 Abs. 2 EG.199 3.
Gründe der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes als nicht hinreichende Rechtfertigung
Der EuGH200 hebt in einem konkreten Fall darauf ab, dass das Abholen und die 2044 Behandlung von Haushaltsabfällen möglicherweise durch das (teilweise oder ausschließliche) Angebot privater Dienstleistungen der Müllabfuhr nicht in dem Ma194
195 196 197
198 199 200
So EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2568, Rn. 14; 2569, Rn. 16) – Corbeau; Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 (3800, Rn. 77) – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen; ähnlich Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109 (4162, Rn. 54) – TNT Traco: wirtschaftlich annehmbar. Beide Formulierungen verwendend EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8156, Rn. 57 f.) – Ambulanz Glöckner. Bartosch, EuZW 1999, 176 (180). BGHZ 150, 343 – Münchener Oktoberfest; BGH, NJW 2003, 586 – Altautoverwertung; krit. dazu Frenz, WRP 2002, 1367 ff. und später WRP 2003, 455 ff.; s. auch OVG Münster, DVBl. 2004, 133 – Fitness-Studio mit Kritik von Frenz, Öffentliches Recht, Rn. 671. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 51. Dazu u. Rn. 2049 ff. Rs. C-360/96, Slg. 1998, I-6821 (6866, Rn. 52) – BFI-Holding.
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Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
ße erfüllt werden kann, wie es aus Gründen der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes201 für erforderlich gehalten wird. Damit benennt er Gesichtspunkte, die eine Gewährung ausschließlicher Rechte für den Bereich der kommunalen Abfallwirtschaft vom Grundsätzlichen her zu rechtfertigen vermögen. Für das auf dem Abfallsektor bestehende Wettbewerbsverhältnis zwischen den 2045 öffentlichen Abfallwirtschaftsbetrieben einerseits und privaten Abfallunternehmen andererseits bedeutet dies, dass jedenfalls Gründe der öffentlichen Sicherheit, zumal wenn sie mit solchen zur Sicherung der Daseinsvorsorge zusammentreffen, die Stellung öffentlicher und damit gemeinwohlorientierter Wirtschaftsformen zu stärken und letztlich deren Wahl prinzipiell zu rechtfertigen vermögen. Doch selbst ausgehend von der Prämisse, dass gemeinwohlbezogene Überlegungen wie etwa Versorgungssicherheit, Umweltschutz, soziale Solidarität und Belange der Raumordnung die Einräumung von Sonderrechten für Dienste im Allgemeininteresse grundsätzlich rechtfertigen können,202 lässt sich hieraus allein noch kein hinreichender Grund für eine Befreiung von den Wettbewerbsvorschriften folgern, weil sich daraus noch keine konkreten Sonderpflichten ergeben, die ohne einen solchen Dispens nicht erfüllbar wären. II.
Besondere Verpflichtungen
2046 Denkbar wäre zwar grundsätzlich die Bejahung einer solchen Befreiung mit der Begründung, dass die genannten gemeinwohlbezogenen Gesichtspunkte regelmäßig mit entsprechenden Verpflichtungen einhergehen. Damit würde indes schon die Definition der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse regelmäßig zu einer Befreiung von den Wettbewerbsregeln führen. Schließlich definiert die Kommission Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse als „ … marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden“.203 Dabei ordnet Art. 86 Abs. 2 S. 1 HS. 1 EG die grundsätzliche Geltung der Wettbewerbsregeln gerade an. Zudem greift die Befreiung insbesondere von diesen Bestimmungen nach dem mit „soweit“ eingeleiteten Bedingungssatz in Art. 86 Abs. 2 S. 1 HS. 2 EG nur insoweit, als die Erfüllung der besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert würde. Danach gilt der Dispens im201
202 203
Vgl. auch Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Tz. 3.4., wo ebenfalls der Umweltschutz als gemeinwohlbezogene Überlegung neben Aspekten der Versorgungssicherheit, der wirtschaftlichen und sozialen Solidarität, der Raumordnung sowie der Verbraucherinteressen als mögliche Legitimationsgrundlage zur Gewährung von Sonderrechten für gemeinwohlorientierte Leistungserbringer hervorgehoben wird. In diesem Sinne bereits Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Tz. 3.4. Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II. Ebenso Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg. Anhang 1. S.o. dazu Rn. 2026 f.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
765
mer nur in dem Maße, wie die Bedingung (hier: potenzielle Verhinderung der Aufgabenerfüllung) gegeben ist, mithin relativ zum Eintritt bzw. zur Eintrittswahrscheinlichkeit der Bedingung.204 Auch dies allein genügt allerdings nicht. Die oben genannten Verpflichtungen 2047 sind nur dann Bestandteil der „besonderen Aufgaben“ i.S.d. Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG und damit nach Vorstehendem – also insbesondere im Falle ihrer Gefährdung – bedeutsam für die Befreiung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, „wenn sie mit dem Ziel der jeweiligen Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in Zusammenhang stehen und unmittelbar zur Befriedigung dieses Interesses beitragen sollen“.205 Darüber hinaus muss es sich um solche Verpflichtungen handeln, die für die je- 2048 weilige Art von öffentlichen Unternehmen und deren Tätigkeit spezifisch sind.206 So finden zwar die Vorgaben des § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG auch auf private Entsorger nach § 11 KrW-/AbfG Anwendung. Die Entsorgungspflicht für nach § 13 KrW-/AbfG überlassene Abfälle trifft aber gem. § 15 KrW-/AbfG spezifisch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger als Gewährträger einer ordnungsgemäßen Entsorgung, soweit sie von Privaten nicht bewältigt zu werden vermag.207 Diese Pflicht kann auch nur unter eingeschränkten Bedingungen nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG übertragen werden. Ist der Umfang der Pflichtenobliegenheiten des jeweiligen öffentlichen Unternehmens geklärt, prüft der Gerichtshof, ob diese die Beibehaltung besonderer oder ausschließlicher Rechte zugunsten öffentlicher Unternehmen rechtfertigen, mithin die Erforderlichkeit der Sonderbehandlung.208 III.
Erforderlichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung – auch bei Quersubventionierung
1.
Ansatz
Der EuGH hält die Beibehaltung von Sonderrechten für erforderlich und damit 2049 den Tatbestand der Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 S. 1 2. HS EG für gegeben, wenn andernfalls die Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu „wirtschaftlich tragbaren Bedingungen“209 nicht möglich ist. Dieser Ansatz wird durch den auf die Funktionsfähigkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse abstellenden Art. 16 EG untermauert.210 Er kommt auch dann zum Tragen, wenn ein Dienst im Allgemeininteresse flächendeckende Auf204 205 206 207 208 209
210
S. auch Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 1999, Rn. 72. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5837, Rn. 68) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5837, Rn. 68) – Kommission/Frankreich. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, 1996, S. 73 ff. EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5841 f., Rn. 89 ff.) – Kommission/Frankreich. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2569, Rn. 16) – Corbeau; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 (5844, Rn. 96) – Kommission/Frankreich; Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8156, Rn. 57) – Ambulanz Glöckner. Näher u. Rn. 2088 f.
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gaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt, die jedoch nur dann zu einem, nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Gleichbehandlung, einheitlichen Preis erbracht werden können, sofern wirtschaftlich rentable und unrentable Leistungen miteinander verrechnet werden können.211 In derartigen Konstellationen hat der EuGH eine Befreiung gemeinwohlorien2050 tierte Leistungen erbringender Dienste vom Wettbewerb mit dem Argument gebilligt, dass ansonsten eine Konzentration der Privatwirtschaft auf rentable Bereiche erfolgt und mangels entsprechender Verpflichtungen die unrentablen Aufgaben unerfüllt und bei den öffentlichen Unternehmen hängen bleiben.212 Diese mit der flächendeckenden Leistungserbringung verbundenen Nachteile gegenüber privaten Konkurrenten, die diesen Bindungen regelmäßig nicht unterliegen, können demnach durch adäquate Vorteilsgewährung bzw. Verleihung besonderer Rechte i.S.d. Art. 86 Abs. 1 EG und Dispense von den Wettbewerbsbestimmungen konform mit dem Gemeinschaftsrecht ausgestaltet werden, ohne dass hierin der EuGH eine Verletzung des europäischen Wettbewerbsrechts oder des Gleichbehandlungsgrundsatzes sieht. 2.
Sonderpflichtenbedingter Kostenausgleich
2051 Den zugrunde liegenden Ansatzpunkt für die Frage, ob Wettbewerbsbeschränkungen erforderlich sind, bilden die besonderen Bindungen und Zwänge, die für öffentliche Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit bestehen.213 Demzufolge müssen auch die spezifischen Umstände berücksichtigt werden, denen öffentliche Unternehmen bedingt durch Sonderpflichten bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung bzw. Erfüllung gemeinwohlorientierter Leistungen unterliegen. Wettbewerbsbeschränkungen sind nur insoweit erforderlich und damit zulässig, als sie die Voraussetzung einer gemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung bilden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die umweltrechtlichen Sonderpflichten und die dadurch entstehenden (Mehr-)Kosten.214 Mit der Erfüllung solcher Sonderpflichten verbundene Aufwendungen dürfen durch entsprechend höhere Entgelte abgedeckt werden,215 außer sie werden schon von anderer Seite ausgeglichen216 – etwa auch durch staatliche Ausgleichszahlungen.217 Zudem ist strikt darauf zu achten, dass diese Kosten tatsächlich durch zu befolgende Sonderpflichten verursacht
211 212 213 214 215 216 217
EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2569, Rn. 16 f.) – Corbeau; Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8156, Rn. 57) – Ambulanz Glöckner. Ansatzweise EuGH, Rs. C-66/86, Slg. 1989, 803 (853, Rn. 55) – Ahmed Saeed Flugreisen; deutlicher Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2569, Rn. 18) – Corbeau. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1521, Rn. 48 f.) – Almelo. EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1521, Rn. 49) – Almelo. EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 (3997, Rn. 46) – Corsica Ferries II. EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 (877 ff., Rn. 54 ff.) – Deutsche Post. S. sogleich Rn. 2056 a.E.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
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sind. Diese müssen also als solche staatlich begründet sein218 und höhere Kosten verursachen. Im Hinblick auf einen für solche Sonderpflichten erforderlichen Kostenaus- 2052 gleich hat der Gerichtshof im Urteil Corbeau einen Wettbewerbsausschluss dann nicht mehr als gerechtfertigt angesehen, wenn öffentliche Unternehmen und Privatunternehmen um solche Dienstleistungen konkurrieren, die 1. von Diensten im Allgemeininteresse trennbar sind, 2. besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern Rechnung tragen, 3. dem Dienstleistungsanbieter Leistungen abverlangen, die die Inhaber ausschließlicher Rechte nicht anbieten und 4. sofern diese Dienstleistungen aufgrund ihrer Art und der Umstände, unter denen sie angeboten werden, nicht das für die Erfüllung von Diensten im Allgemeininteresse erforderliche wirtschaftliche Gleichgewicht in Frage stellen.219 3.
Ausgreifen in Nachbarbereiche
Das erforderliche wirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört, wenn Privatunterneh- 2053 men in einem Bereich ihre Aktivitäten auf lukrative Geschäftsfelder beschränken, sich also gleichsam die „Rosinen“ herauspicken,220 mit der Folge, dass den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der Mehrzahl verlustbringende Tätigkeiten verbleiben. Damit ist eine gemeinwohlorientierte, pflichtgemäße Aufgabenerfüllung unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen nicht mehr möglich. Daher müssen öffentliche Unternehmen auch die lukrativen Geschäftsfelder wahrnehmen können. Nicht umfasst ist aber das Übergreifen in Nachbarbereiche, die von den mit Sonderpflichten behafteten Feldern thematisch losgelöst sind. Jedoch kommt es dabei auf den einheitlichen Charakter der Dienstleistung an, nicht auf den Anlass der Erbringung. Der EuGH hat nämlich als zulässig angesehen, dass Dienste für Nottransporte, die mit hohen Kosten verbunden und daher defizitär sind, mit normalen Krankentransporten kombiniert werden, um insgesamt eine ausreichende Finanzierungsbasis zu sichern. Er hob auf die gemeinsamen Merkmale dieser beiden Tätigkeiten ab.221 Ein Unterschied kann freilich auch durch die Art der Erbringung begründet 2054 werden, so wenn der Pflichtdienst langsam ablaufen kann, der darüber hinausgehenden Zusatzdienst aber schneller und in jedem Fall zuverlässig vonstatten gehen muss – so bei gewerblichen Posttransporten gegenüber der allgemeinen Briefbeförderung.222 Im Entsorgungswesen kann eine Verwertung durchaus einheitlich 218
219 220 221 222
Verneint etwa für eine Kostenunterdeckung im Bereich von Paketzustellungen durch die Deutsche Post von Held, Quersubventionierungen auf dem Postdienstleistungsmarkt, 2005, S. 145. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2569, Rn. 19) – Corbeau. Ähnlich Schink, DVBl. 2005, 861 (867): Verrechnung rentabler und unrentabler Leistungen zur Vermeidung von Rosinenpickerei. EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 (8156, Rn. 59) – Ambulanz Glöckner. EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 (2569, Rn. 19) – Corbeau.
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gesehen werden. Wird diese von den kommunalen Diensten selbst erledigt, ist ein Tätigwerden für andere Auftraggeber denkbar. Hingegen sind Verwertung und Beseitigung unterschiedliche Vorgänge, die grundsätzlich verschiedenen Rechtsregeln unterliegen und daher infolge der Dominanz juristischer Vorgaben für die Art und Weise der Erledigung als zwei getrennte Bereiche anzusehen sind. 4.
Beschränkung auf Zusatzkosten
2055 Insoweit sind solche Zusatzeinnahmen als zulässig anzusehen, welche die zusätzlichen Kosten für den gemeinwohlbezogenen Dienst abdecken. Allerdings besteht aufgrund des Ausnahmecharakters von Art. 86 Abs. 2 EG keine Pflicht zu Quersubventionierungen.223 Wie hoch der Verdienst bei solchen verwandten Feldern ausfällt, ist schwerlich vorherzusehen. Daher kann dieser auch nicht a priori auf die Höhe des Verlustes in den Pflichtaufgaben begrenzt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse schwanken. Deshalb ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn aus Gewinnen Reserven angehäuft werden, um Verluste aus der Wahrnehmung von Gemeinwohlverpflichtungen auszugleichen. Nur darf der Verweis auf die Erfüllung von Sonderpflichten nicht lediglich als Vorwand dienen, um ein de facto vorhandenes Gewinnunternehmen mit Erleichterungen vom Wettbewerbsrecht zu versehen. Demgegenüber handelt es sich bei Beihilfen um zweckgebundene staatliche 2056 Zuwendungen. Sie werden nicht unter schwankenden Wirtschaftsbedingungen erlangt, sondern staatlich in einer bestimmten Höhe zugewendet. Sie sind daher strikt auf die anfallenden Mehrkosten zu beschränken, die bei der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anfallen.224 Bei einer solchen Beschränkung werden sie sogar als Gegenleistung dafür angesehen, dass solche besonderen Leistungen erbracht werden, und daher nicht unter den Beihilfenbegriff gefasst.225 IV.
Verhältnismäßige Einschränkung des Handelsverkehrs
2057 Gem. Art. 86 Abs. 2 S. 2 EG darf ein Dispens von den Wettbewerbsregeln zugunsten von Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Maße beeinträchtigen, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwider läuft. Insoweit handelt es sich um eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bezogen auf den Handelsverkehr innerhalb der Gemeinschaft. Soweit die Dienste von allgemeinem 223 224
225
Führmeyer, Quersubventionen als Problem des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, S. 232 f. gegen Bartosch, NJW 2000, 2251 (2252 f.). Bericht der Kommission vom 17.10.2001 für den Europäischen Rat in Laeken, Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg., Rn. 17 ff. mit Anmahnung von Sicherheitsvorkehrungen für eine zweckentsprechende Verwendung. EuGH, Rs. C-53/00, Slg. 2001, I-9067 (9110, Rn. 27) – Ferring; s. aber auch Rs. C-126/01, Slg. 2003, I-13769 (13815, Rn. 23 f.) – GEMO; Rs. C-34-38/01, Slg. 2003, I-14243 (14303, Rn. 44 f.) – Enirisorse.
§ 2 Begrenzte Sonderstellung
769
wirtschaftlichem Interesse in ihrem Zuschnitt und damit auch in ihren Bedürfnissen auf nationaler Ausgestaltung beruhen, handelt es sich um eine Abwägung zwischen mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Belangen.226 Das erinnert an die Rechtfertigung nationaler Maßnahmen im Rahmen der Grundfreiheiten. Auch dabei ist das Diskriminierungsverbot zu wahren.227 Anbieter der begünstigten Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse aus anderen Mitgliedstaaten müssen daher gleichermaßen von den Wettbewerbsregeln entbunden werden wie inländische Unternehmen. Bei dieser Abwägung muss die Kommission näher darlegen, inwieweit sich der 2058 Binnenhandel im Hinblick auf die Sonderrechte der begünstigten Unternehmen und die daraus folgenden Abweichungen von den Wettbewerbsregeln nach Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG entgegen dem Interesse der Gemeinschaft entwickelt.228 Das Interesse der Gemeinschaft, welches die Kommission im Einzelfall definieren muss,229 wird dabei auf einen möglichst intensiven grenzüberschreitenden Leistungsaustausch gerichtet sein. Das gilt zumal dann, wenn gemeinschaftliches Sekundärrecht besteht, welches den freien Handel begünstigt bzw. gar dessen Steigerung anstrebt.230 Hinzu gekommen und gleichermaßen zu berücksichtigen ist aber, dass die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse funktionsfähig sind.231 Die eine Einschränkung des Handelsverkehrs rechtfertigenden Gesichtspunkte liegen von der Gesamtanlage der Vorschrift parallel zu denen, die auch eine Zurückdrängung der Wettbewerbsregeln abdecken, also in den besonderen Gemeinwohlverpflichtungen der Leistungserbringung durch die begünstigten Unternehmen. Treten keine außerordentlich starken Behinderungen gerade des grenzüberschreitenden Leistungsaustausches auf, wird die Abwägung regelmäßig so ausfallen wie schon im Hinblick auf die Geltung der Wettbewerbsregeln, sollen doch auch diese den Handelsverkehr im Binnenmarkt schützen. V.
Handhabung und Darlegungslast
Im Wesentlichen ergibt sich für Dienste im Allgemeininteresse aus der relevanten 2059 Rechtsprechung des EuGH: Die besonderen Obliegenheiten und Funktionen gemeinwohlorientierter Dienste können eine Beschränkung des Wettbewerbs oder ggf. sogar dessen vollständigen Ausschluss rechtfertigen. Maßgebliches Kriterium ist die Erfüllbarkeit der besonderen Verpflichtungen, die den Diensten im Allgemeininteresse auferlegt werden. Wettbewerbsbeschränkungen sind demnach nur 226 227 228 229 230 231
Ebenso Geiger, Art. 86 Rn. 13; Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 29; näher Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 86 Rn. 66, 68. Im hiesigen Kontext Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 29; Hochbaum, in: Schröter/Jakob/Mederer, Art. 86 Rn. 65. Bezogen auf Elektrizität EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5786, Rn. 67) – Kommission/Niederlande. EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5786 f., Rn. 69) – Kommission/Niederlande. So im Falle EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5787, Rn. 70) – Kommission/ Niederlande. S. näher u. Rn. 2088 f.
770
2060
2061
2062
2063
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
insoweit zulässig, als sie zur Sicherstellung einer pflichtengerechten, gemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen erforderlich sind. Da der EuGH die Zulässigkeit von Wettbewerbsbeschränkungen in Relation zur Sicherstellung der besonderen Aufgabenerfüllung beurteilt, diese also grundsätzlich als legitimen Zweck einer Ausnahme qualifiziert und anschließend der Frage nachgeht, ob zur Zweckerreichung die jeweiligen Beschränkungen des Wettbewerbs erforderlich sind, kommt es insoweit entscheidend auf die mitgliedstaatliche Aufgaben- bzw. Pflichtenzuweisung an. Diese muss aber sachgerecht sein, um die Wettbewerbsregeln nicht aushöhlen zu können. Zudem darf der Binnenhandel nicht über Gebühr beeinträchtigt werden. Als Legalausnahme ist Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG unmittelbar durch die mitgliedstaatlichen Gerichte anwendbar.232 Ihnen obliegt mithin die Aufgabe, im Falle eines festgestellten Vertragsverstoßes zu prüfen, ob hierfür eine Rechtfertigung im soeben beschriebenen Sinne in Betracht kommt. Da es sich um eine Ausnahme von der Geltung der Wettbewerbsfreiheit handelt, sind allerdings die Unternehmen beweisverpflichtet, die sich auf sie berufen. Es ist daher auf eine substanziierte Darlegung derjenigen Tatsachen zu achten, die eine Befreiung von den Wettbewerbsregeln als erforderlich erscheinen lassen. Allgemein gehaltene, pauschale Hinweise etwa auf Kostensenkungsaspekte genügen regelmäßig nicht.233 Ein tauglicher Ansatz für eine nähere Darlegung muss stets einzelfallbezogen sein. Ein solcher kann grundsätzlich auch darin erblickt werden, dass eine wirtschaftlich tragbare sowie ordnungsgemäße Erfüllung der Dienstleistung nur bei einem Ausgreifen in andere Felder erfolgen kann. Darlegungen zur wirtschaftlichen Tragbarkeit verlangen aber, dass hierfür sachgerecht ermittelte Zahlen zur Verfügung stehen. Das System der Rechnungslegung muss daher hinreichend verlässlich sein234 und eine transparente, detaillierte sowie zuverlässige Kostenrechnung gewährleisten.235 Umgekehrt müssen die Mitgliedstaaten nicht positiv belegen, dass keine andere Maßnahme zur sachgerechten Aufgabenerfüllung vorstellbar wäre und sei sie auch nur hypothetisch.236 Vielmehr weist Art. 86 Abs. 3 EG der Kommission die Wahrung des Art. 86 EG zu. Auf dieser Basis kann sie auch an die Mitgliedstaaten Entscheidungen richten, nach denen diese die Begünstigung abstellen müssen.237 232
233 234 235 236 237
Die unmittelbare Geltung des Art. 86 Abs. 2 EG wird vom EuGH mittlerweile anerkannt, s. nur EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 (1522, Rn. 51 a.E.) – Almelo. Aus der Lit. Burgi, EuR 1997, 261 (278) sowie eingehend Mestmäcker, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 25 ff. m.w.N., der allerdings vor dem Hintergrund der weiter bestehenden Zuständigkeit der Kommission nach Art. 86 Abs. 3 EG und der dadurch bestehenden Gefahr sich widersprechender Entscheidungen die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission favorisiert. EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 (4132, Rn. 66) – Dusseldorp. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 28 a.E. unter Bezug auf EuGH, Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109 (4164, Rn. 62) – TNT Traco. KOME 2001/892/EG, ABl. 2001 L 331, S. 40 (Rn. 84) – Deutsche Post. EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5784, Rn. 58) – Kommission/Niederlande. EuGH, Rs. C-48 u. 66/90, Slg. 1992, I-565 (635 f., Rn. 27 ff.) – Kurierdienste Niederlande.
§ 3 Bestehende Gestaltung
771
Oder sie leitet bei Verstößen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat ein, das allerdings eine vorhergehende Begründung mit Gelegenheit zur Äußerung beinhaltet. Daher ist es die Pflicht der Kommission näher darzulegen, worin sie rechtlich und auch tatsächlich die Gemeinschaftswidrigkeit sieht und inwieweit der Binnenhandel beeinträchtigt wird.238
§ 3 Bestehende Gestaltung A.
Art. 86 Abs. 3 EG als Rechtsgrundlage
Art. 86 Abs. 3 EG sieht neben staatsbezogenen Einzelfallentscheidungen,239 wel- 2064 che den Weg über das Vertragsverletzungsverfahren abkürzen und die Kontrolle nach Art. 86 EG faktisch der Beihilfenkontrolle an die Seite stellen,240 Richtlinien vor. Diese können die vorgenannten Grundsätze präzisieren,241 ähnlich den Verordnungen zu den Wettbewerbsregeln, welche bereichsbezogen die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG konkretisieren. Das Ermessen, in welchem Rahmen die Kommission solche Richtlinien erlässt, ist weit. So genügt dafür das Bedürfnis, angesichts unterschiedlicher Verhältnisse in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Kriterien festzulegen.242 Diese Richtlinien sind wie auch die Entscheidungen in das allgemeine Vertrags- 2065 gefüge eingebettet. Es gelten daher die Begründungserfordernisse nach Art. 253 EG.243 Allerdings ist eine Beteiligung des Rates im Gegensatz zur Rechtsangleichung nicht vorgesehen. Insbesondere daraus ergeben sich wesentlich erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten der Kommission.244 Die allgemeinen Kompetenzen nach Art. 211 EG bestehen fort, so dass auch Empfehlungen und Stellungnahmen erlassen werden können.245 Praktisch relevant für die Richtliniensetzung wurde die Bestimmung bislang für 2066 die Transparenzrichtlinie und den Telekommunikationssektor. Bei In-Kraft-Treten des VE kommt der Nachfolgeartikel von Art. 16 EG hinzu, der einen eigenen Gestaltungsauftrag enthält. Zu erwarten steht eine nähere Regulierung der Dienste von allgemeinem Interesse, nachdem eine solche von der Kommission schon in
238 239
240 241 242 243 244 245
EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 (5784 f., Rn. 59 ff.; 5786 f., Rn. 69) – Kommission/Niederlande. Entscheidungen an Unternehmen können darauf nicht gestützt werden. Sie ergehen im Rahmen der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln und des diese ausgestaltenden Sekundärrechts. S. EuGH, Rs. C-48 u. 66/90, Slg. 1992, I-565 (636, Rn. 34) – Kurierdienste Niederlande. EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 (1264, Rn. 17) – Telekommunikations-Endgeräte. EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 (2576 f., Rn. 18) – Transparenzrichtlinie. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 31. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 4 a.E. Grill, in: Lenz/Borchardt, Art. 86 Rn. 31 a.E.
772
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
der „Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ vom 20.9.2000246 angekündigt worden ist. Der Rahmen soll über den wirtschaftlichen Bereich hinausgehen und allgemeinere Fragen des europäischen Gesellschaftsmodells bis hin zu den Beziehungen des Einzelnen zu staatlichen Behörden betreffen, wie auch schon die Bezeichnung „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ anzeigt.247 2067 Damit fehlt allerdings schon von der Begrifflichkeit her der spezifische Bezug zum wirtschaftlichen Charakter, der in Art. 16 und 86 Abs. 3 EG ebenso wie in den korrespondierenden Bestimmungen im VE vorausgesetzt wird. Deshalb bedarf es der weiter gehenden kompetenziellen Abstützung einer solch ausgreifenden Regulierung.248 Ergeht ein solche etwa in Form einer Rahmenrichtlinie, steht auch diese Ausweitung für die zunehmende Aufladung des EG-Wirtschaftsrechts mit außerökonomischen Belangen. Die Regelung wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Dienste droht die Eigenheiten gerade auch des Wettbewerbsrechts in den Hintergrund zu drängen und damit die strikt angelegte Konzeption des Vertrages aufzuweichen. Eine a priori verbindende Sicht von ökonomischer Tätigkeit mit Gemeinwohlbelangen, welche sich nicht auf den Rahmen des Art. 86 Abs. 2 EG beschränkt, droht schon den Ansatz einer grundsätzlichen Nichtprivilegierung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu verlassen. Jedenfalls ist strikt dafür Sorge zu tragen, dass der primärrechtliche Rahmen der EG-Wettbewerbsregeln gewahrt bleibt, wenn auch unter Beachtung der Wertung von Art. 16 EG. Darüber wird die Bedeutung der wahrzunehmenden Gemeinwohlbelange hinreichend gewahrt und findet in die Abwägung nach Art. 86 Abs. 2 EG Eingang.249 Im Bereich der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse existieren 2068 zahlreiche sektorspezifische Regelungen. Diese sollen einer umfassenden Überprüfung unterzogen werden. Einen näheren Fahrplan enthält Anhang 3 zum Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.250 Daraus können sich verschiedene Umgestaltungen ergeben.
B.
Transparenzrichtlinie
2069 Die Transparenzrichtlinie251 betrifft schon von ihrer offiziellen Bezeichnung her die finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren öffentlichen Unternehmen und will insoweit die Wirksamkeit des Beihilfenverbots sicherstel246 247
248 249 250 251
KOM (2000) 580 endg., S. 26. Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 21.5.2003, KOM (2003) 270 endg., S. 5, mittlerweile überführt in Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg. Scharpf, EuZW 2005, 295 (295). S.u. Rn. 2081 ff. Vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg. RL 80/723/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, ABl. L 195, S. 35, erweitert durch RL 85/413/EWG, ABl. 1985 L 229 S. 20, und geändert durch RL 93/84/EWG, ABl. 1993 L 254, S. 16 und RL 2000/52/EG, ABl. 2000 L 193, S. 75.
§ 3 Bestehende Gestaltung
773
len. Es geht um die Transparenz, inwieweit die Mitgliedstaaten öffentliche Mittel für ihre öffentlichen Unternehmen bereit stellen und tatsächlich verwenden. Deshalb bezieht sich diese Richtlinie aber in erster Linie auf das Beihilfenrecht 2070 und nicht auf das unternehmensbezogene Wettbewerbsrecht, wo es um eine Entbindung von der Geltung des Kartell- und des Missbrauchsverbots und damit um rechtliche Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten Unternehmen geht, nicht hingegen um finanzielle Zuwendungen. Diese erfolgen in diesem Rahmen höchstens indirekt über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Quersubventionierungen,252 ohne dass dadurch Beihilfen ausgeschlossen wären: Sie bilden weiterhin eine gleichgewichtige und parallele Möglichkeit.253 Dann unterliegen jedoch allenfalls sie als Förderung durch öffentliche Mittel der Transparenzrichtlinie.
C.
Telekommunikation
Der Bereich der Telekommunikation ist inzwischen aufgrund gemeinschaftsrecht- 2071 licher Richtlinien umfassend liberalisiert und wird mittlerweile durch die RL 2002/77/EG über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste254 geordnet, welche die RL 90/388/EWG255 und deren Nachfolgerichtlinien ablöste. Die den freien Wettbewerb ermöglichende Liberalisierung wird ergänzt durch Netzzugangs- und Nutzungsrechte, welche nunmehr durch vier Richtlinien vom 7.3.2002 vorgegeben sind: die RL 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen, die sog. Zugangs-Richtlinie,256 die RL 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, die sog. Genehmigungs-Richtlinie,257 die RL 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, die sog. Rahmenrichtlinie,258 sowie die RL 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, die sog. Universaldienst-Richtlinie.259 Diese Richtlinien gestalten allerdings nicht das Wettbewerbsrecht nach Art. 86 EG näher aus und sind daher auf Art. 95 EG gestützt.
252 253 254 255 256 257 258 259
S.o. Rn. 2049 ff. S. EuG, Rs. T-106/95, Slg. 1997, II-229 (282, Rn. 178) – FFSA sowie o. Rn. 2056. ABl. 2002 L 249, S. 21. RL 90/388/EWG vom 28.6.1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, ABl. L 192, S. 10. ABl. 2002 L 108, S. 7. ABl. 2002 L 108, S. 21. ABl. 2002 L 108, S. 33. ABl. 2002 L 108, S. 51.
774
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG A.
Entstehung
2072 Art. 16 EG ist im Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsprinzip und gemeinwohlorientierter Aufgabenerfüllung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu sehen.260 Bereits im September 1996 betonte die Kommission in einer Mitteilung mit dem Titel „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“,261 dass Solidarität und Gleichbehandlung in einer offenen und dynamischen Marktwirtschaft zu den Grundwerten gehören und die Leistungen der Daseinsvorsorge zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen. Die Kräfte des Marktes trügen zwar zu einer effizienten Leistungserbringung bei, bewirkten jedoch unter Umständen allein, dass ein Teil der Bevölkerung von den damit verbundenen Vorteilen ausgeschlossen bliebe und die Festigung des sozialen und territorialen Zusammenhalts behindert würde.262 Diese Mitteilung ist deshalb von besonderem Interesse, weil die Kommission es 2073 auch war, die eine zusätzliche Regelung für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vorschlug und ein Anklang an diese Mitteilung sich heute noch im Wortlaut von Art. 16 EG findet, nämlich im Hinblick auf die Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts. Ansatz der Kommission für eine Vertragsrevision in diesem Punkt war freilich zunächst eine Ergänzung des die Politikfelder beschreibenden Art. 3 EG: Die Tätigkeit der Gemeinschaft sollte auch umfassen, „einen Beitrag zur Förderung der gemeinwohlorientierten Leistungen“ zu erbringen.263 Dieser Vorschlag setzte sich allerdings nicht durch. Ein Beitrag zur Förderung gemeinwohlorientierten Leistungen wurde also nicht als eigenes Politikfeld festgeschrieben. Der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) strebte ei2074 ne klarstellende Festlegung in einem ergänzenden Art. 94a264 im Wettbewerbsrecht dahin gehend an, in welchen Bereichen und mit welchen besonderen Verpflichtun260 261
262
263
264
S.o. Rn. 2024 f. Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, KOM (1996) 443 endg., Rn. 1. Eine weitere Fortschreibung brachte die Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg.; dazu Dohms, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 41 (43 f.). Die Fortführung der Diskussion und die weitere Erarbeitung des Themas fand anhand des Grünbuchs (KOM (2003) 270 endg.) und des Weißbuchs (KOM (2004) 374 endg.) zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse statt. Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Rn. 15. Ebenso Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 12.5.2004, KOM (2004) 374 endg., Tz. 3.3. Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Rn. 54. Krit. zu diesem Vorschlag Tettinger, DVBl. 1997, 341 (346). CEEP, ZögU 18 (1995), 455 (456 f.); krit. dazu Mestmäcker, in: FS für Zacher, 1998, S. 635 (649 f).
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
775
gen die Mitgliedstaaten Unternehmen einrichten und mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauen können. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sollten ferner nach Nr. 4 dieser Vorschrift die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Auswirkungen im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu harmonisieren, damit diese zur Erfüllung der in Art. 3 genannten Tätigkeiten beitragen.265 Diese und weitere Ergänzungen des Wettbewerbsrechts setzten sich gleichfalls nicht durch.266 Daher blieb es bei der Regelung des Art. 86 EG. Diese wird auch nach der Formulierung des Art. 16 EG nicht berührt. Daher wurde das Wettbewerbsrecht selbst in Amsterdam nicht angetastet. Eine weitere Überlegung war, die Besonderheit der Dienste von allgemeinem 2075 wirtschaftlichem Interesse in den Zielen der Gemeinschaft im jetzigen Art. 4 EG zum Ausdruck kommen zu lassen. Auch diese unter der irischen Ratspräsidentschaft erörterte Möglichkeit wurde aufgegeben, ebenso eine Berücksichtigung der „öffentlichen Dienste“ in einem neuen Art. 8c im Abschnitt der Europäischen Unionsbürgerschaft.267 Schließlich wurde die Thematik in der heutigen Fassung auf Vorschlag der niederländischen Präsidentschaft in die Bestimmungen über die Realisierung des Binnenmarktes aufgenommen.268 Es handelt sich um einen Kompromiss zwischen einer von Frankreich gewollten Festschreibung der Besonderheiten der „öffentlichen Dienste“269 und einer von Deutschland abgelehnten Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen.270
B.
Verhältnis zu Art. 86 EG
I.
Genetischer Rückbezug
Zwar sollte auch entsprechend der Entstehungsgeschichte das Wettbewerbsrecht 2076 nicht angetastet werden. Das zeigt neben der Formulierung von Art. 16 EG, die unter anderem Art. 86 EG unberührt lässt, insbesondere auch die schon erwähnte 13. Erklärung für die Schlussakte der Amsterdamer Konferenz.271 Freilich bringt 265
266 267 268
269
270 271
Näher CEEP, Europe, concurrence et service public, 1995 (dt. Übersetzung: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Europa, Wettbewerb und öffentliche Dienstleistungen, 1996); beschränkt auf die Vorschläge zur Änderung des EG-Vertrages CEEP, ZögU 18 (1995), 455 (457). Vgl. dazu die Zusammenfassung der Änderungsvorschläge des CEEP, ZögU 18 (1995), 455 ff. Budäus/Schiller, ZögU 23 (2000), 94 (96). Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Rodrigues, Revue du Marché Commun et de l´Union européene 1998, 37 (40 f.); Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäischen Union, 2004, S. 21 ff. bis zu den ersten Anfängen in Entschließungen des Europäischen Parlaments 1993. Näher zur Rolle Frankreichs mit seiner service-public-Tradition als treibendem Faktor Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäischen Union, 2004, S. 57 ff. S.o. Rn. 2024 f. ABl. 1997 C 340, S. 133.
776
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
der Passus dieser Erklärung, nach welchem die Vertragsstaaten eine Umsetzung des Art. 16 EG „unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs“ bekräftigen, in seiner rechtlichen Tragweite zunächst nur eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck.272 Dabei hebt diese Erklärung aber heraus, dass die Umsetzung des mit der Einfügung des Art. 16 EG erteilten Handlungsauftrages zur Absicherung einer aufgabengerechten Funktionsfähigkeit von Diensten im Allgemeininteresse nach Maßgabe bestimmter Kriterien, insbesondere der beispielhaft („u.a.“) genannten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Qualität und der Dauerhaftigkeit, erfolgen soll.273 Der Grundsatz der Gleichbehandlung bezieht sich in diesem Kontext einmal 2077 auf gemeinwohlorientierte Dienstleistungen öffentlicher Unternehmen einerseits und Privatunternehmen andererseits,274 und zwar im Hinblick auf die grundsätzliche Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln. Insofern enthält freilich Art. 86 Abs. 2 EG selbst eine Ausnahmebestimmung, bei deren Vorliegen eine Ungleichbehandlung grundsätzlich europarechtskonform sein kann. Weiter bezieht sich der Grundsatz der Gleichbehandlung auf den gleichberechtigten Anspruch aller (bzw. bei flächenbezogenen Dienstleistungen: aller geographisch erfasster) Bürger auf gleichen Zugang zu den gemeinwohlorientierten Dienstleistungen.275 Einen solchen Zugang sichert auch Art. 36 EGRC, steht aber unter dem Vorbehalt nationaler Ausgestaltung und sichert kein subjektives öffentliches Recht.276 Als weitere Kriterien für die Umsetzung des Art. 16 EG werden in der 13. Er2078 klärung für die Schlussakte der Amsterdamer Konferenz die Qualität und die Dauerhaftigkeit der Dienste angeführt. Letzteres spielt vor dem Hintergrund des Versorgungszweckes eine hervorgehobene Rolle. Damit sind aber lediglich allgemeine Leitlinien angesprochen. Zudem werden sie in der 13. Erklärung für die Schlussakte in den Kontext der Rechtsprechung des EuGH gestellt, die auf sie bezogen ist. Damit wird an diese Judikatur nach der Vorstellung der Schöpfer des Art. 16 EG auch insoweit angeknüpft. II.
Gemeinsame Betrachtung
2079 Damit bildet die Rechtsprechung des EuGH trotz ihres Fundaments in Art. 86 EG den Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Begriffs und bestimmter Rahmenbedingungen der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auch 272 273 274
275
276
Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 14 mit Fn. 56. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 41. S. auch Burgi, EuR 1997, 261 (271, 289): Art. 86 Abs. 1 EG „als Sitz des Grundsatzes der Gleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen“; ebenso Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 28, der dies als „übergreifenden Zweck“ des Art. 86 EG bezeichnet. S. dazu auch Punkt 5.3.1. der vom Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Stellungnahme zum Thema „Leistungen der Daseinsvorsorge“ vom 21.10.1999 aufgestellten „Leitprinzipien für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“, CES 949 (1999), S. 8. Näher Frenz, DÖV 2002, 1028 (1030 f.).
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
777
nach Art. 16 EG. Das erklärt sich aus den inhaltlichen und textlichen Zusammenhängen. Ob die Eingangsformulierung des Art. 16 EG, wonach diese Vorschrift „unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87 …“ gilt, die dogmatischen Reichweite von Art. 16 EG begrenzt277 oder ob der Grundlagencharakter des Art. 16 EG umgekehrt auf die Interpretation des Art. 86 EG durchschlägt und einen leichteren bzw. stärkeren Dispens von den Wettbewerbsregeln für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bedingt, bleibt letztlich abzuwarten. Für eine mögliche Beeinflussung der zukünftigen Auslegung des Art. 86 EG 2080 spricht die zunehmende Anerkennung des Stellenwertes am Gemeinwohl orientierter Dienstleistungen in Richtung einer gleichgewichtigen Komponente des Gemeinschaftsrechts.278 Dabei handelt es sich freilich nicht um konkurrierende Wirtschaftsmodelle; vielmehr steht die gemeinwohlorientierte Wirtschaft grundsätzlich in einem Ergänzungsverhältnis zur Wettbewerbswirtschaft.279 Inhaltliche Zusammenhänge bestehen dahin gehend, dass sowohl Art. 16 als auch Art. 86 EG einen gewissen Bestand öffentlicher Dienstleistungen und die Möglichkeit ihrer funktionsgerechten Aufgabenerfüllung voraussetzen. Die textlichen Parallelen schließlich eröffnen im Rahmen der begrifflichen Auslegung der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ des Art. 16 EG ein prinzipielles Zurückgreifen auf die gesicherten Konturen der entsprechenden Formulierung des Art. 86 Abs. 2 EG.280 Demzufolge müssen diese Vorschriften zusammen gelesen werden.
C.
Art. 16 EG als bereichsübergreifender gleichgewichtiger Abwägungsbelang
I.
Allgemeine Bedeutung
Entsprechend seinem Entstehungshintergrund und der systematischen Stellung legt 2081 Art. 16 EG keine eigene Gemeinschaftspolitik fest, sondern kommt von seinem inhaltlichen Bezug her vielmehr im Rahmen des Politikbereichs „Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“ nach Art. 3 Abs. 1 lit. k) EG zum Tragen.281 Gleichwohl hat diese Vorschrift durch die Platzierung in den Grundsät277
278
279 280 281
So v. Miert, Competition Policy Newsletter, Nr. 2 Vol. 3 1997, 1 (4 f.): „le nouvel article (Anm.: Art. 16 EG) ne peut en aucun cas être interprété comme une modification de ces dispositions (Anm.: Art. 73, 86, 87 EG)“, Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 12; a.A. Rodrigues, Revue du Marché Commun et de l´Union Européene 1998, S. 37 (42). S. dazu bereits die Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Rn. 15 ff. Zu den zahlreichen Folgeaktivitäten Linder, Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäische Union, 2004, S. 65 ff. Vgl. nur Art. 4 Abs. 1 EG. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 8: identische Begriffe; Lenz, in: ders./Borchardt, Art. 16 Rn. 8. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 11. Dies gilt aber nicht in einem ausschließlichen Sinne, s. sogleich Rn. 2083 f.
778
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
zen eine zentrale Bedeutung, die sich auch nicht auf eine Politik beschränkt, sondern bereichsübergreifend zur Geltung kommt. Diese Bestimmung liegt ganz in der Tendenz dieses ersten Teils des EG, auch Aspekte vermehrt allgemein festzuschreiben, die nicht auf ein freies Wirtschaftsleben bezogen sind. So erfuhr der Umweltschutz eine erhebliche Aufwertung, und zwar nicht nur durch die Aufnahme in Art. 2 EG,282 sondern auch durch die Verlegung der Querschnittsklausel von der Umweltpolitik in die allgemeine Bestimmung des Art. 6 EG.283 Indem die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ohne Beschrän2082 kung auf bestimmte Politikbereiche in Art. 16 EG genannt werden, sind sie wie der Umweltschutz eine allgemeine Determinante bei der Anwendung und Ausgestaltung des EG. Damit erlangen diese Dienste sogar ein stärkeres Gewicht, als wenn sie im Rahmen von Art. 3 EG durch ein Tätigkeitsfeld „Beitrag zur Förderung der gemeinwohlorientierten Leistung“ aufgenommen worden wären.284 Mit Letzterem wäre nur ein Tätigkeitsauftrag verbunden gewesen, nicht notwendig aber eine bereichsübergreifende Berücksichtigung. Diese Komponente ist daher, sofern sie im Einzelfall von Bedeutung ist, bei jeder Handhabung anderer Vertragsvorschriften zu berücksichtigen.285 II.
Keine Verengung auf eine Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts
2083 Eine materielle Verengung des Art. 16 EG könnte sich höchstens daraus ergeben, dass die Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts hervorgehoben wird. Titel XVII behandelt den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, und zwar unter der Perspektive einer harmonischen Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzer. Insbesondere die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und der Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete oder Inseln sollen verringert werden (Art. 158 EG). Von daher könnte auch der Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf diese Zielsetzung beschränkt sein. Die Verbesserung der Infrastruktur durch diese Dienste könnte entsprechenden Benachteiligungen entgegenwirken, von denen einzelne Regionen betroffen sind.286 Mit dieser Zielsetzung könnten dann die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Adressaten der Begünstigung durch den europäischen Strukturfonds gem. Art. 161 EG sein. Art. 16 EG spricht allerdings von sozialem und territorialem Zusammenhalt, 2084 nicht von wirtschaftlichem, und weicht von daher terminologisch von Titel XVII ab. Zwar könnte man mit dieser Formulierung durch Art. 16 EG die territoriale Komponente besonders hervorgehoben sehen. Indes bildet diese nach Titel XVII 282 283 284 285 286
Dazu Frenz/Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, 1999, S. 179 f. Zu deren Bedeutung näher Calliess, DVBl. 1998, 559 ff. Zu diesem Vorschlag o. Rn. 2073. Lenz, in: ders./Borchardt, Art. 16 Rn. 6. Decker, in: Ludwig/Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Art. 16, S. 3.
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
779
den hervorgehobenen Hintergrund des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und ist daher nicht dem sozialen Zusammenhalt gleich- bzw. nebengeordnet. Zudem erfolgt in dieser Vorschrift kein ausdrücklicher Bezug auf Art. 158 ff. EG, der diesen Zusammenhang trotz der aufgezeigten Zweifel eindeutig und ausschließlich herstellen würde. Dementsprechend werden die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auch und an erster Stelle auf die gemeinsamen Werte der Union bezogen und in ihrem Stellenwert für diese hervorgehoben. Von daher besteht allenfalls ein besonderes Band zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt nach Titel XVII, das eine Förderung nach Art. 161 EG begründen kann.287 Der Anwendungsbereich von Art. 16 EG reicht indes weit darüber hinaus, wird doch in der Hauptaussage der ganze Rahmen der jeweiligen Befugnisse und der Anwendungsbereich des gesamten Vertrages in Bezug genommen. Deshalb vermag diese Bestimmung auch in sämtliche Politikbereiche hineinzuwirken. III.
Bedeutung für die Wettbewerbsregeln
1.
Ohne Modifikation?
Von besonderer Bedeutung ist die Wirkung von Art. 16 EG im Rahmen der Wett- 2085 bewerbsregeln. Die Formulierung „unbeschadet der Art. 73, 86 und 87“ könnte darauf hindeuten, dass Art. 16 EG diese Bestimmungen in keiner Weise modifizieren sollte.288 Das vorher bestehende Verhältnis zwischen Wettbewerbsfreiheit und Ausnahme der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wäre dann unverändert geblieben.289 Das EuG hat zwar Art. 16 EG erwähnt, aber in ihm nur eine Bestätigung des Stellenwertes von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gesehen, und zwar, wie im Vertrag selbst formuliert, als Bestandteil der Werte der EU sowie in seiner Bedeutung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts.290 Konkrete Bedeutung erlangte diese Bestimmung in der Abwägung des EuG, die allerdings im vorläufigen Rechtsschutz erfolgte, nicht, sondern das Gericht verwies auf die Aufgabe der Kommission nach Art. 86 Abs. 3 EG sowie auf die Einhaltung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bezüglich öffentlicher Unternehmen und solcher mit besonderen oder ausschließlichen Rechten.291
287 288
289 290 291
Decker, in: Ludwig/Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Art. 16, S. 4. So Badura, in: Liber amicorum Thomas Oppermann, 2001, S. 571 (578 ff.); Tettinger, Überlassungspflichten für hausmüllähnliche Gewerbeabfälle zur Verwertung an öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und europäisches Gemeinschaftsrecht, Rechtsgutachten für BDE und bvse, 2000, S. 46; in der Tendenz auch Hatje, in: Schwarze, Art. 16 Rn. 8 f. So v. Miert, Competition Policy Newsletter, Nr. 2 Vol. 3 1997, 1 (4 f.). EuG, Rs. T-53/01 R, Slg. 2001, II-1479 (1519 f., Rn. 132) – Poste Italiane. EuG, Rs. T-53/01 R, Slg. 2001, II-1479 (1520, Rn. 133) – Poste Italiane. Auf diese Bestimmung verweisend auch Alber, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 73 (84).
780
2086
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
Für eine solche gleichbleibende Bedeutung des Art. 86 EG spricht auf den ersten Blick auch die 13. Erklärung für die Schlussakte des Amsterdamer Vertrages, wonach diese Bestimmung unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofes umgesetzt wird.292 Damit wird zweifelsohne an die einschlägigen EuGH-Urteile angeknüpft.293 Indes wird die Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in einer Grundsatzbestimmung des Vertrages ausdrücklich niedergelegt. Allein daraus folgt bereits eine (jedenfalls faktische) Aufwertung,294 wie sie etwa auch für den Umweltschutz anerkannt ist.295 Ein neuer Art. 16 EG wäre eben nicht eingefügt worden, wenn er keine Änderung bewirken sollte.296 2.
Eigenständiger Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
2087 Und auch die Schlusserklärung lässt Raum für eine Interpretation. Eine Umsetzung unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeutet nicht deren dauerhafte Zementierung, sondern eine behutsame Fortführung unter Einhaltung der durch sie aufgestellten Leitlinien, die sich auch ändern können. Zudem ist in dieser Rechtsprechung auch der Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betont worden. Dieser Stellenwert ist nun explizit festgelegt und von daher durchaus dauerhaft festgeschrieben. Gleichwohl bestimmt sich im Laufe der Zeit dieser Stellenwert nach den Umständen des Einzelfalles bzw. den sich ändernden Rahmenbedingungen. Von daher bringt zwar Art. 16 EG keine Auflockerung der Wettbewerbsregeln und schon gar keinen Dispens von ihnen. Durch die Hervorhebung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in Art. 16 EG kommt diesen aber bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln eine besondere Bedeutung zu, die bei der Rechtfertigung von möglichen Ungleichbehandlungen einen erheblichen Gesichtspunkt ausmacht.297 Insoweit hat Art. 16 EG klarstellende und dauerhaft festschreibende Bedeutung. 3.
Einfügung in Art. 86 Abs. 2 EG
2088 Dieser Gehalt des Art. 16 EG kann und muss aufgrund des engen textuellen und sachlichen Zusammenhangs auch in Art. 86 EG Eingang finden. Ansatzpunkte dafür sind v.a. die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 86 Abs. 2 EG. Insbesondere bildet die in Art. 16 EG postulierte Funktionsfähigkeit der Dienste von allge292
293 294 295 296 297
S. auch Mestmäcker, in: FS für Zacher, 1998, S. 635 (651), der zu Art. 16 EG und zu dessen Ergänzung durch die 13. Erklärung zur Schlussakte der Amsterdamer Konferenz anmerkt: „Wenn dies tatsächlich dem Willen des Europäischen Rats entsprechen sollte, könnte man auf den neuen“ Art. 16 EG „verzichten“. S.o. Rn. 2078. S. auch Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 49: Hervorhebung in bisher unbekannter Deutlichkeit. S. vorstehend Rn. 2081. Lenz, in: ders./Borchardt, Art. 16 Rn. 5. Streinz, EuZW 1998, 137 (144).
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
781
meinem wirtschaftlichem Interesse einen Indikator dafür, ob die Aufgabenerfüllung i.S.v. Art. 86 Abs. 2 S. 1 HS. 2 EG rechtlich oder tatsächlich verhindert wird. Die Funktionsfähigkeit gemeinwirtschaftlicher Dienste soll nach Art. 16 EG so gestaltet sein, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können. Auch insofern wird man vermittelt über das Kriterium der Funktionsfähigkeit eine Gefährdung dieser Aufgabenwahrnehmung als ausreichend erachten müssen, damit Art. 16 abwägungserheblich wird. Denn die Schwelle der auf Unternehmen bezogenen (Über-)Lebensbedrohung oder eines „zwingenden Allgemeininteresses“298 ist mit dem Wortlaut dieser Vorschrift nur schwerlich in Einklang zu bringen. Die Neuaufnahme von Art. 16 EG sichert daher die schon bislang praktizierte 2089 EuGH-Rechtsprechung ab, dass bereits eine Gefährdung einer zweckentsprechenden, gemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen ausreicht, um eine solche Verhinderung anzunehmen.299 Zudem wird die durch das „soweit“ in Art. 86 Abs. 2 EG angelegte Abwägung zwischen der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsregeln und den nach einem Dispens verlangenden Notwendigkeiten der Aufgabenerfüllung durch Art. 16 EG als allgemein zu beachtende Determinante unterlegt und geprägt: Die in dieser Vorschrift betonte Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und ihr Aufgabenfeld sind adäquat zu berücksichtigen. Diese Komponenten können freilich nicht isoliert betrachtet werden, da es aufgrund des „soweit“ um einen Dispens von Wettbewerbsregeln in einer konkreten Situation geht. Vielmehr sind die gesamten Rahmenbedingungen der Aufgabenerledigung einzubeziehen. Welche Bedeutung die Belange der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der Abwägung haben, hängt aber maßgeblich vom Gewicht dieser Dienste nach Gemeinschaftsrecht ab. Dieses ist durch Art. 16 EG keinesfalls schwächer geworden. IV.
Gleichgewichtiger Rang
Damit stellt sich die Frage nach dem Rang. Für den gleichfalls in den Grundsatz- 2090 bestimmungen des Ersten Teils enthaltenen Umweltschutz wird dieser als hoch angesehen. Unter anderem aus dem Umstand heraus, dass der Umweltschutz nach der Querschnittsklausel bei allen anderen Politikbereichen zu berücksichtigen ist, wurde sogar ein „Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes“ abgeleitet,300 und daraus wiederum ein Vorrang des Umweltschutzes begründet, der ein gleichbe298 299 300
Vgl. dazu aus systematischen Erwägungen heraus (Art. 86 Abs. 2 EG als eigenständige Ausnahmevorschrift) abl. Burgi, EuR 1997, 261 (277 f.). S.o. Rn. 2040 f. Zuleeg, NVwZ 1987, 280 (283 ff.); ders., NJW 1993, 31 (32 ff.); Breier, NuR 1992, 174 (180); Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 10 ff.; Pernice, NVwZ 1990, 201 (203); Scheuing, EuR 1989, 152 (178 f.); Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der EEA, 1990, S. 33 f.; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995, S. 70; Wiegand, DVBl. 1993, 533 (536); abl. Everling, in: Behrens/Koch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 29 (44).
782
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
rechtigtes Nebeneinander mit Belangen anderer Politiken ausschließe.301 Dadurch, dass auch die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nach Art. 16 EG bei der Handhabung aller anderen Politiken zu berücksichtigen sind, wenn sie im Einzelfall eine Relevanz aufweisen, könnte gleichfalls ein solcher Vorrang begründet sein. Allerdings sind die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im EG 2091 nicht derart häufig und mit der Anforderung eines hohen Schutzniveaus wie der Umweltschutz erwähnt. Einen Vorrang des Umweltschutzes und tiefergehend eine speziell auf diesen besonderen Bereich zugeschnittenen „Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes“ abzuleiten, erweckt aber schon bei inhärenter Betrachtung Bedenken. Art. 2 und Art. 3 EG nennen den Umweltschutz zusammen mit anderen Zielen bzw. Politiken und ohne Hervorhebung. Er wird also mit anderen Elementen verwoben und ist daher ohne einen grundsätzlichen Vorrang mit diesen abzuwägen.302 Sind somit auch Umweltschutzbelange als prinzipiell gleichwertig anzusehen,303 gilt dies auch und erst recht für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Immerhin aber kommt Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2092 und dabei vor allem ihrer Funktionsfähigkeit eine gleichrangige Bedeutung und nicht etwa eine nachrangige Bedeutung gegenüber den Wettbewerbsregeln zu.304 Wettbewerbsfreiheit und der jeweilige Stellenwert der Dienste von allgemeinem Interesse sind daher bei Einschränkungen der Wettbewerbsregeln einander gleichgewichtig gegenüberzustellen.305 Entsprechend dem effet-utile-Gedanken wirkt insoweit auch Art. 16 EG so wie andere Gemeinschaftsbestimmungen als Optimierungsgebot, das sich zwar nicht aus einer Festschreibung eines Gemeinschaftsziels, aber aus einem in Art. 16 EG enthaltenen Gestaltungsauftrag ableiten lässt.
301 302 303
304 305
Epiney, NuR 1995, 497 (500); bereits Scheuing, EuR 1989, 152 (176 f.). Näher Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 67 f. Ebenso Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 31 f.; spezifisch für die Wettbewerbspolitik Kommission, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, Tz. 77; Riesenkampff, BB 1995, 833 (838). S. dagegen Gassner, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), JUTR 2001, S. 315 (350). Bereits Frenz, EuR 2000, 901 (916 f.); Gaßner/Willand/Pippke, Vereinbarkeit einer Neuordnung der abfallrechtlichen Überlassungspflichten mit dem EG-Recht, Gutachten im Auftrag der Umweltministerien B-W, R-P und NRW, 2000, S. 56; ähnlich Schneider, DVBl. 2000, 1250 (1253 f.). Abl. Tettinger, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 55 (74); Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 408.
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
D.
Gestaltungsauftrag
I.
Allgemeiner Rahmen
1.
Förderpflicht
783
Art. 16 EG hat schon aufgrund seiner Platzierung in den Grundsätzen des Vertra- 2093 ges in erster Linie programmatischen Charakter. Außerdem schließt seine nicht hinreichend genau bestimmte Formulierung eine unmittelbare Wirkung aus.306 Daher bedarf es gerade der Konkretisierung dieser Bestimmung. Der Auftrag dazu ergibt sich schon aus der systematischen Stellung des Art. 16 EG. Darüber hinaus enthält die Vorschrift die Vorgabe für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können. Diese positive Festschreibung impliziert eine „Sorge- und Schutzpflicht“.307 Haben die Mitgliedstaaten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Unternehmen die Wahrnehmung gemeinwohlorientierter Dienstleistungen zu übertragen und ihnen im Gegenzug besondere oder ausschließliche Rechte gewährt, dann dürfen die Rechtsordnungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten diese Aufgabenerfüllung prinzipiell nicht unmöglich machen. Sie müssen von daher mit den Aufgaben der Daseinsvorsorge vereinbar sein.308 Daraus erwächst ein gleichsam nach unten hin begrenzter Gestaltungsauftrag. Dadurch werden nicht etwa die Kompetenzen der Gemeinschaft erweitert, was 2094 die deutsche Seite bei der Vertragsänderung zugunsten der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verhindert wissen wollte.309 Indes haben sowohl die Gemeinschaftsorgane als auch die Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden Kompetenzen eine Verantwortung für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, der sie durch positive Maßnahmen nachkommen müssen.310 Diese Aktionen müssen nicht sofort sämtliche Bereiche abdecken. Es kann nicht vom Normgeber verlangt werden, auf einmal sämtliche notwendigen Maßnahmen zu treffen, zumal auch kein Endzeitpunkt als Frist bestimmt ist. Diese Sorgepflicht schließt es aber auch aus, einen bestehenden Rechtszustand ohne weiteres so zurückzubauen, dass die Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gefährdet werden. Dies kann im Einzelfall einmal erforderlich sein, bedarf indes besonderer Begründung. Im Regelfall ist die Situation aber zu verbessern und damit dem Gestaltungsauftrag nachzukommen. Von Ausnahmefällen abgesehen besteht daher sowohl eine positive Förderungspflicht als auch eine negative Stillhalteverpflichtung.
306 307 308 309 310
Lenz, in: ders./Borchardt, Art. 16 Rn. 11; Hatje, in: Schwarze, Art. 16 Rn. 7. Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 100. So bereits die Forderung der Kommission in ihrer Mitteilung vom 11.9.1996, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (1996) 443 endg., Tz. 15. S.o. Rn. 2024. Ebenso Wirtschafts- und Sozialausschuss, CES 949 (1999), S. 10: positive Verpflichtung des Art. 6.
784
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
2.
Einbindung in die Wettbewerbsregeln
2095 Auch dieser Gestaltungsauftrag ist freilich eingebunden in die Wettbewerbsregeln, nimmt doch Art. 16 EG auf Art. 73, 86 und 87 EG eigens Bezug. Indem diese unbeschadet bleiben sollen, kann sich auch der Gestaltungsauftrag nicht darüber hinwegsetzen. Auch die positive Förderung kann daher nur so weit gehen, wie sie sich im Rahmen der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln hält. Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dürfen daher nicht einseitig gegenüber potenziellen Konkurrenten privilegiert werden. Umgekehrt müssen und dürfen sie aber auch nicht benachteiligt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ansonsten ihre Aufgabenerledigung gefährdet wird. Vor allem hier kann die Hervorhebung der Dienste von allgemeinem wirtschaft2096 lichem Interesse in Art. 16 EG bei der Abwägung im Rahmen der Wettbewerbsregeln für etwa doch erforderliche Einschränkungen von maßgeblicher Bedeutung sein. Kommt es beispielsweise nach Art. 86 Abs. 2 S. 2 EG darauf an, dass die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwider läuft, so ist im Rahmen des danach entscheidenden Gemeinschaftsinteresses zu beachten, dass Letzteres infolge der Verankerung des Art. 16 EG und der damit erfolgten Anerkennung gemeinwirtschaftlicher Prinzipien nunmehr auch von einer gemeinwohlorientierten Komponente (mit-)geprägt wird.311 Diese (letzte) Grenze des Gemeinschaftsinteresses ist dann überschritten, wenn ein Dispens und damit eine Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts nach Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG zu einem Widerspruch zu den Zielen bzw. Grundsätzen der Gemeinschaft oder zu einer Verletzung von Grundprinzipien führen würde, was im Wege der Abwägung zu ermitteln ist.312 Muss aber das Interesse der Gemeinschaft aus den Zielen und Grundsätzen des 2097 EG erschlossen werden, wird man nicht umhin kommen, die erfolgte Hervorhebung der Dienste im Allgemeininteresse entsprechend ihrem konkreten Gewicht im jeweiligen Einzelfall in die Abwägung mit einzustellen. Insgesamt kommt es damit im Rahmen des Art. 86 Abs. 2 S. 2 EG auf das Ergebnis der vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen der (v.a. durch die mitgliedstaatliche Aufgabenzuweisung) geprägten Bedeutung des jeweiligen Dienstes im Allgemeininteresse einerseits und der dadurch bedingten Beeinträchtigung der Wettbewerbsregeln andererseits an. 3.
Auswirkungen auf den Aufgabenbestand
2098 Die Achillesferse der Bestimmung könnte indes sein, dass das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur insoweit gesichert sein muss, „dass sie ihren Aufgaben nachkommen können“. Damit ist kein Aufgaben311
312
In diese Richtung tendierend wohl auch Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 13 mit Art. 86 Rn. 49 unter Verweis auf GA Alber, EuGH, Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109 (4133, Rn. 94) – TNT Traco. Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 86 Rn. 68 f.; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 37, 90 D. Rn. 63; Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 52 f.; Bartosch, EuZW 1999, 176 (180); Burgi, EuR 1997, 261 (276).
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
785
bestand festgelegt. Vielmehr wird an bereits vorhandene Aufgaben angeknüpft. Deshalb stellt sich die Frage, ob es die Mitgliedstaaten in der Hand haben, diesen Diensten beliebig Aufgaben zuzuweisen und zu entziehen oder ob das Bestehen dieser Dienste auch mit einem gewissen typischen Aufgabenbestand gemeinschaftsrechtlich vorausgesetzt wird, auch wenn an diesen Aufgabenbestand in dieser Bestimmung angeknüpft wird. Die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind nicht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen vorhanden, wie auch der traditionell bedingte deutsch-französische Gegensatz313 anlässlich der Entstehung dieser Vorschrift zeigte. So ist der Tätigkeitsbereich dieser Dienste oft historisch geprägt und richtet sich nach den besonderen Gegebenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat. Daher ist an die jeweiligen mitgliedstaatlichen Aufgabenzuschnitte und die darin zum Ausdruck kommende Bedeutungszuweisung anzuknüpfen. In Art. 16 EG wird auch die Bedeutung dieser Dienste für die Gemeinschaft 2099 hervorgehoben. Das setzt zunächst voraus, dass solche überhaupt vorhanden sind. Daraus ergibt sich ein entzugsfestes Minimum, also ein unantastbarer Kernbestand, der aber nicht bereichsmäßig konkretisiert ist. Nur dürfen die Mitgliedstaaten nicht den vorhandenen gemeinwohlorientierten Dienstleistungsunternehmen in einem solchen Umfang Aufgaben entziehen, dass ihnen letztlich kein ausfüllbares Betätigungsfeld mehr verbleibt. Zudem richtet sich der Gestaltungsauftrag eigens an die Mitgliedstaaten und erlegt diesen jedenfalls eine generelle Prüfpflicht auf, wenn sie Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Aufgaben wegnehmen.314 Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten dann, wenn sie diesen Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Aufgaben entziehen wollen, ihre durch Art. 16 EG begründete Förderungspflicht zu beachten und außerdem die wichtige Bedeutung dieser Einrichtungen für die Gemeinschaft zu berücksichtigen haben. Diese Bedeutung wird letztlich umgesetzt durch konkrete Aufgaben dieser Dienste. Daher erstreckt sich der Förderungszweck und der Gestaltungsauftrag auch auf die Aufgaben dieser Dienste, soweit sie der in Art. 16 EG betonten Bedeutung für die gemeinsamen Werte der Union und bei der Förderung des sozial und territorialen Zusammenhalts entsprechen. Dazu gehören etwa Aufgaben im Bereich der Infrastruktur. II.
Auftrag an die Gemeinschaft
1.
Einbeziehung bei anderen Politiken
Aus der Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bei 2100 der Handhabung anderer Gemeinschaftspolitiken ergibt sich ein indirekter Gestaltungsauftrag für die Gemeinschaft,315 diesen Belang bei der Konkretisierung eben 313 314 315
S.o. Rn. 2024. Auch dies abl. Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der EU, 2004, S. 201 f.; s. auch Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Art. 16 Rn. 24 f. Diese als Adressaten ausschließend hingegen Burgi, VerwArch. 2002, 255 (266 mit Anm. 45).
786
Kapitel 11 Daseinsvorsorge und Sonderrechte
dieser anderen Gemeinschaftspolitiken mit einzubeziehen. Dies bezieht sich insbesondere auf das Wettbewerbs- und Beihilfenrecht sowie eine Deregulierungsund Privatisierungspolitik, gegen die Art. 16 EG primär eine Abwehrfunktion zukommen soll,316 kann aber auch z.B. die Umweltpolitik betreffen. Das ist dann der Fall, wenn Festlegungen z.B. im Abfallbereich getroffen werden, die Auswirkungen für in diesem Bereich tätige Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse haben können. Solche Effekte können sich insbesondere aus einer schrankenlosen Liberalisie2101 rung ergeben, da Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vielfach besonderen Rahmenbedingungen unterliegen, die sie im Wettbewerb mit freien Unternehmern in eine schlechtere Position kommen lassen. Defizite in den Funktionsbedingungen sind daher zu vermeiden. Auf europäischer Ebene können Verschiebungen zum Nachteile von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse etwa durch eine Aufhebung der Prinzipien der Nähe und der Entsorgungsautarkie nach Art. 5 EG-Abfallrahmenrichtlinie für Abfälle zur Beseitigung317 eintreten. Erwachsen Defizite für das Funktionieren dieser Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, sind diese durch positive Maßnahmen aufzufangen.318 Eine eigene Politik, in der eine Ausgestaltung für die Dienste von allgemeinem 2102 wirtschaftlichem Interesse erfolgen könnte, existiert allerdings nicht. Daher bleibt auch für die Verwirklichung durch spezifisch fördernde Maßnahmen nur der Rahmen anderer Politiken, da Art. 16 EG nicht kompetenzerweiternd sein sollte319 und als Grundsatzbestimmung auch nicht sein kann. Als spezifischer Ansatz hierfür wird Titel XVII gesehen.320 Die Konsequenz wäre, dass diese Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in besonderem Maße in den Genuss von Mitteln aus dem europäischen Strukturfond nach Art. 161 EG kommen müssten. Zwar deutet manches auf einen Zusammenhang mit dieser speziellen Politik, eindeutig ist dieser aber nicht. Vor allem ist die Tätigkeit dieser Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht auf diesen Bereich der Angleichung regionaler Unterschiede beschränkt.321 Von daher bleibt das Schwergewicht der Gestaltung durch die Gemeinschaft, die Belange von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bei der Konkretisierung anderer Gemeinschaftspolitiken derart einzubeziehen, dass das Funktionieren dieser Dienste gesichert wird.
316 317
318 319 320 321
Gassner, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), JUTR 2001, S. 315 (351). Grundlegend EuGH, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431 (4480, Rn. 34 f.) – Wallonische Abfälle; aus der Lit. v Wilmowsky, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), JUTR 1999, S. 291 ff. S. Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 57. S.o. Rn. 2024 f. Näher Decker, in: Ludwig/Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Art. 16, S. 4. S.o. Rn. 2083 f.
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
2.
787
Keine Pflicht zur Gleichbehandlung
Eine zusätzliche inhaltliche Anforderung ist dabei dann zu beachten, wenn man 2103 einen Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen privaten und gemeinwohlgebundenen Dienstleistungsanbietern auch zugunsten Letzterer annimmt. Ein Ansatz ist die Betonung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in der 13. Erklärung für die Schlussakte der Amsterdamer Konferenz. „Aus der Betonung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der 13. Erklärung für die Schlussakte der Amsterdamer Konferenz darf gefolgert werden, dass Art. 16 an die Mitgliedstaaten das Gebot richtet, das Diskriminierungsverbot auch zugunsten solcher Unternehmen anzuwenden, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind.“322 Das müsste dann erst recht für die Gemeinschaft gelten, die v.a. auch an die Grundsätze des 1. Teils gebunden ist. Die zitierte Erklärung knüpft aber an die EuGH-Rechtsprechung an, der sich bislang jedenfalls im Rahmen von Art. 86 EG kein solcher Gleichbehandlungsgrundsatz zugunsten der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse entnehmen lässt.323 Ein weiterer denkbarer Ansatzpunkt wäre Art. 3 Abs. 2 EG,324 der ein „Hinwir- 2104 ken“ der Gemeinschaft auf die Beseitigung von Ungleichheiten hinsichtlich der in Art. 3 Abs. 1 EG genannten Tätigkeitsfelder verlangt. Immerhin wird der Handlungsauftrag des Art. 16 EG zur Gestaltung der Bedingungen für gemeinwohlorientierte Dienste, wenn auch aus hiesiger Sicht nicht ausschließlich, vertragssystematisch in dem von Art. 3 lit. k) EG angesprochenen Politikbereich „Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“ verortet.325 Doch bereits der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 EG deutet mit der verwandten Formulierung des „Hinwirkens“ gegen die Ableitung eines auf konkrete Ergebnisse und Verpflichtungen hin angelegten Gestaltungsauftrages. Dementsprechend wird generell konstatiert, dass sich Art. 3 Abs. 2 EG, unabhängig von der Frage, ob der hier angedeutete Weg über Art. 3 Abs. 2 EG überhaupt gangbar ist, weder konkrete Ergebnispflichten326 noch Ansprüche gegenüber der Gemeinschaft oder gegenüber der Mitgliedstaaten327 entnehmen lassen. Angesichts dieses Befundes erscheint auch diese Konstruktion zur Absicherung eines Gleichbehandlungsgebotes zugunsten gemeinwohlorientierter Dienstleistungen nicht sehr vielversprechend.328 Zudem wurde die Förderung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse entgegen dem Vorschlag der Kommission gerade nicht in den Katalog der gemeinschaftspoliti322 323 324 325 326 327 328
Decker, in: Ludwig/Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Art. 16, S. 5. S.o. Rn. 2076. So Nagel, Gemeindeordnung als Hürde?, 1999, S. 34 ff. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 16 Rn. 9; anders Hatje, in: Schwarze, Art. 16 Rn. 5: Art. 3 Abs. 1 lit. j) EG: Sozialpolitik. Ukrow, in: Calliess/Ruffert, Art. 3 Rn. 27. Ukrow, in: Calliess/Ruffert, Art. 3 Rn. 27; Lenz, in: ders./Borchardt, Art. 3 Rn. 15: nicht einklagbare Verpflichtung. Im Ergebnis ebenfalls abl. Hösch, DÖV 2000, 393 (406), wonach für die Frage, wer sich nach nationalem Recht am Wettbewerb beteiligen darf, nur eine eingeschränkte europarechtliche Bestimmungsbefugnis bestünde.
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schen Vertragsziele aufgenommen.329 Auch können sie nicht auf die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nach Art. 3 Abs. 1 lit. k) EG verengt werden.330 Allerdings wird eine gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsträgerschaft öffentli2105 cher Unternehmen aus der Verweisung in Art. 86 Abs. 2 S. 1 1. HS EG („gelten die Vorschriften dieses Vertrages“) gewonnen. Diese Verweisung soll sich auch auf die Grundrechtsträgerschaft beziehen.331 Dies führt nach Burgi332 zu der Konsequenz, dass Rechtsakte, die öffentlichen Unternehmen Belastungen auferlegen, von denen konkurrierende Unternehmen verschont bleiben, an dem in der Rechtsprechung des EuGH333 als Grundrecht anerkannten Gleichheitssatz zu messen sind und die darin zum Ausdruck kommende Ungleichbehandlung demzufolge nur dann hinzunehmen ist, wenn diese an Umstände und Gefahren anknüpft, die gerade in der Zuordnung jener Unternehmen zum Staat begründet liegt. Indes würde damit über eine Verweisungsvorschrift eine grundrechtliche Berechtigung begründet und damit vom an sich notwendigen Individualbezug gelöst. Eine solche Berechtigung ist daher abzulehnen. III.
Eingeschränkter Gestaltungsauftrag an die Mitgliedstaaten
2106 Durch Art. 16 EG sollten die EG-Kompetenzen nicht ausgeweitet werden. Da der EG keine eigene Politik zur Regulierung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse enthält bzw. spezifische Bestimmungen hierfür auch nicht in anderen Gemeinschaftspolitiken vorhanden sind, bleiben die Mitgliedstaaten entsprechend dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 EG334 für diesen Bereich kompetent. Damit gilt vom Ansatz her nationales Recht. Aus dieser Perspektive vermag daher Art. 16 EG auch keine konkrete Handlungspflicht zu begründen, würde doch ansonsten das Gemeinschaftsrecht die Gestaltung des nationalen Gesetzgebers in einem diesem zustehenden Bereich vom Grunde her beeinflussen.
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S.o. Rn. 2073. S.o. Rn. 2083 f. Burgi, EuR 1997, 261 (287 ff.). Demgegenüber leiten Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, S. 244 f., Schröder, in: Baur (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, S. 79 (82 f.) sowie Tettinger, in: FS für Börner, 1992, S. 625 (637 f.) die Grundrechtsträgerschaft nicht aus Art. 86 Abs. 2 S. 1 1. HS EG, sondern aus der „Struktur und den Zielen der Gemeinschaft“ ab und erkennen dabei Art. 86 EG allenfalls eine Indizfunktion zu. EuR 1997, 261 (288 f.). EuGH, Rs. 1/72, Slg. 1972, 457 (467, Rn. 19) – Frilli/Belgien; Rs. 21/74, Slg. 1975, 221 (228 f., Rn. 9/12) – Airola/Kommission; Rs. C-80/94, Slg. 1995, I-2493 (2515, Rn. 17) – Wielockx; Rs. C-107/94, Slg. 1996, I-3089 (3124 f., Rn. 40) – Asscher. Grundlegend EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269) – Costa/E.N.E.L. Dessen strikte Handhabung mahnte nicht nur das BVerfG, BVerfGE 89, 155 (200 f.) an, sondern auch der EuGH, Gutachten 2/94, Slg. 1996, I-1759 (1788, Rn. 30) – EMRK.
§ 4 Bedeutung von Art. 16 EG
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Diese Begrenzung ändert aber nichts daran, dass der nationale Gesetzgeber das Gemeinschaftsrecht als Grenze beachten muss. Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 10 EG eine allgemeine Kooperationspflicht sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Indem Art. 16 EG einen Gestaltungsauftrag formuliert, haben die Mitgliedstaaten und ihre Untergliederungen, an die sich das Gemeinschaftsrecht gleichermaßen richtet,335 daher zumindest jene Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung des in dieser Vorschrift formulierten Gestaltungszieles gefährden könnten. Kernpunkt dafür ist, dass öffentliche Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, vielfach durch nationalstaatliche Regelungen gegenüber privaten Anbietern benachteiligt sind. Beispielhaft erwähnt sei die fehlende Umsatzsteuerpflichtigkeit von kommunalen Entsorgungsunternehmen.336 In Nordrhein-Westfalen etwa gehören dazu die Bindung an das Territorium der jeweiligen Gemeinde bzw. die Notwendigkeit einer Erlaubnis für das Überschreiten der Gemeindegrenzen (§ 107 Abs. 4 GO NRW), die Einhaltung von Verfahrensvorschriften, die vor Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit privaten Mitkonkurrenten Mitwirkungsrechte einräumen (§ 107 Abs. 5 GO NRW) sowie das Bestehen von besonderen Voraussetzungen bei der Rechtsformwahl und beim Eingehen von Beteiligungen an anderen Gesellschaften (§ 108 GO NRW). Hinzu kommen wettbewerbsrechtliche Beschränkungen337 und mögliche Implikationen des gemeinschaftlichen Vergaberechts. Diese Besonderheiten gehen zulasten der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Gleichwohl kann wegen der Kompetenzneutralität von Art. 16 EG keine allgemeine Pflicht der Mitgliedstaaten zum Abbau dieser Behinderung folgen.338 Soweit das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gefährdet und die Aufgabenerfüllung unmöglich (i.S.v. unzumutbar339) gemacht wird, kann allenfalls ein Auftrag an die Mitgliedstaaten abgeleitet werden, diese rechtlichen Vorschriften näher zu überprüfen. Konkrete Konsequenzen wegen einer Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht ergeben sich allerdings dann, wenn Verstöße gegen unmittelbar wirkende Vorschriften gegeben sind. Von besonderer Relevanz sind hier wettbewerbsrechtliche Bestimmungen.340 Die Beachtung eines Gleichbehandlungsgrundsatzes kann hier insofern nicht aus gemeinschaftlichen Grundrechten folgen, als diese nicht für weiterhin den
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S. etwa Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 67 ff. S. BFHE 185, 283 (285) im Hinblick auf die Abwasserentsorgung und BFHE 181, 322 ff. im Hinblick auf die Körperschaftsteuer im Entsorgungsbereich. Zum Ganzen näher und krit. Frenz, DStZ 2000, 505 ff. Dazu o. Rn. 1985, 2052 ff. Ebenso Sandmann, Kommunale Unternehmen im Spannungsfeld von Daseinsvorsorge und europäischem Wettbewerbsrecht, 2005, S. 175 f. Sie spricht Art. 16 EG insoweit gar keine Wirkung zu. Vgl. dazu Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 86 Rn. 45 m.w.N.; Tettinger, DVBl. 1997, 341 (344). S.o. Rn. 1989 im Bezug auf das Örtlichkeitsprinzip.
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Mitgliedstaaten vorbehaltene Bereiche greifen.341 Freilich existiert mit Art. 16 EG immerhin eine gemeinschaftsrechtliche Vorgabe auch für das Verhalten der Mitgliedstaaten. Soweit sich spezifisch aus deren Befolgung Rückwirkungen auf Gewährleistungen aus Grundrechten ergeben, sind diese gemeinschaftsrechtlich veranlasst und müssen daher den gemeinschaftsrechtlichen Standards genügen. Zudem bleibt als Ansatz Art. 86 EG,342 der eine grundsätzliche wettbewerbsrechtliche Gleichbehandlung postuliert,343 aber eher hin zu einer übergreifenden Geltung der Wettbewerbsregeln. Weil der Bereich der Aufgaben, die von Diensten von allgemeinem wirtschaft2111 lichem Interesse wahrgenommen werden, a priori in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, vermittelt Art. 16 EG auch keinen Bestandsschutz für bestimmte Aufgaben. Allerdings wird der besondere Wert dieser Dienstleistungen in dieser Vorschrift hervorgehoben, und daher besteht insoweit eine Prüfpflicht für die Mitgliedstaaten, ob diese Aufgaben nicht doch bei Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verbleiben müssen, damit diese ihre in Art. 16 EG vorausgesetzte Bedeutung für die Gemeinschaft ausfüllen können.
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S. EuGH, Rs. 60 u. 61/84, Slg. 1985, 2605 (2627, Rn. 26) – Cinéthèque; Rs. 355/85, Slg. 1986, 3231 (3242, Rn. 11 f.) – Cognet; Rs. 80 u. 159/85, Slg. 1986, 3359 (3384, Rn. 23 f.) – Edah; Rs. 201 u. 202/85, Slg. 1986, 3477 (3507, Rn. 8 f.) – Klensch. Mit einem Argument zusätzlich aus Art. 16 EG Fehling, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 195 (205). S.o. Rn. 1987.
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH, Rs. 7/72, Slg. 1972, 1281 – Boehringer EuGH, Rs. 48/72, Slg. 1973, 77 – Haecht II EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 – Continental Can EuGH, Rs. 2/73, Slg. 1973, 865 – Geddo EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 – BRT/SABAM I EuGH, Rs. 6 u. 7/73, Slg. 1974, 223 – Commercial Solvents EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 – BRT/SABAM II EuGH, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 – Sacchi EuGH, Rs. 181/73, Slg. 1974, 449 – Haegemann EuGH, Rs. 173/73, Slg. 1974, 709 – Italien/Kommission EuGH, Rs. 192/73, Slg. 1974, 731 – Van Zuylen/Hag EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 – Dassonville EuGH, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 – Centrafarm/Sterling Drug EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 – van Binsbergen EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 – van Duyn EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 – Walrave EuGH, Rs. 21/74, Slg. 1975, 221 – Airola/Kommission EuGH, Rs. 19 u. 20/74, Slg. 1975, 499 – Kali und Salz EuGH, Rs. 71/74, Slg. 1975, 563 – Frubo EuGH, Rs. 94/74, Slg. 1975, 699 – IGAV EuGH, Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 – General Motors Continental EuGH, Rs. 73/74, Slg. 1975, 1491 – Papiers peints de Belgique EuGH, Rs. 40 u.a./73, Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie EuGH, Rs. 63/75, Slg. 1976, 111 – Fonderies Roubaix EuGH, Rs. 51/75, Slg. 1976, 811 – EMI Records/CBS EuGH, Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 – EMI Records/CBS Grammofon EuGH, Rs. 96/75, Slg. 1976, 913 – EMI Records/CBS Schallplatten EuGH, Rs. 119/75, Slg. 1976, 1039 – Terrapin/Terranova EuGH, Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735 – Mines de Potasse d´Alsace EuGH, Rs. 74/76, Slg. 1977, 557 – Iannelli EuGH, Rs. 78/76, Slg. 1977, 595 – Steinike & Weinlig EuGH, Rs. 71/76, Slg. 1977, 765 – Thieffry EuGH, Rs. 90/76, Slg. 1977, 1091 – Van Ameyde EuGH, Rs. 9 u. 10/77, Slg. 1977, 1517 – Eurocontrol EuGH, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 – Metro I EuGH, Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 – Bouchereau EuGH, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115 – Inno/ATAB EuGH, Rs. 19/77, Slg. 1978, 131 – Miller International Schallplatten EuGH, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 – United Brands EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 – Simmenthal EuGH, Rs. 28/77, Slg. 1978, 1391 – Tepea EuGH, Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 – BP Handelsmaatschappij
Rechtsprechungsverzeichnis EuGH, Rs. 3/78, Slg. 1978, 1823 – American Home Products EuGH, Rs. 110 u. 111/78, Slg. 1979, 35 – van Wesemael EuGH, Rs. 15 u. 16/76, Slg. 1979, 321 – EAGFL EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 – Hoffmann-La Roche EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 – Cassis EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 – Hugin EuGH, Rs. 32 u.a./78, Slg. 1979, 2435 – BMW Belgium EuGH, Rs. 5/79, Slg. 1979, 3203 – Buys EuGH, Rs. 22/79, Slg. 1979, 3275 – Greenwich Film Production EuGH, Rs. 136/79, Slg. 1980, 2033 – National Panasonic EuGH, Rs. 253/78 u. 1-3/79, Slg. 1980, 2327 – Giry und Guerlain EuGH, Rs. 37/79, Slg. 1980, 2481 – Estée Lauder EuGH, Rs. 99/79, Slg. 1980, 2511 – Lancôme EuGH, Rs. 209 u.a./78, Slg. 1980, 3125 – van Landewyck EuGH, Rs. 139/79, Slg. 1980, 3393 – Maizena EuGH, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 – L´Oréal EuGH, Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 – Dansk Supermarked EuGH, Rs. 61/80, Slg. 1981, 851 – Coöperatieve Stremsel- en Kleurselfabriek EuGH, Rs. 804/79, Slg. 1981, 1045 – Seefischerei EuGH, Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563 – Salonia EuGH, Rs. 113/80, Slg. 1981, 1625 – Kommission/Irland EuGH, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 – Züchner EuGH, Rs. 60/81, Slg. 1981, 2639 – IBM EuGH, Rs. 279/80, Slg. 1981, 3305 – Webb EuGH, Rs. 270/80, Slg. 1982, 329 – Polydor EuGH, Rs. 15/81, Slg. 1982, 1409 – Gaston Schul EuGH, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575 – AM & S Europe EuGH, Rs. 96/81, Slg. 1982, 1791 – Badegewässer EuGH, Rs. 97/81, Slg. 1982, 1819 – Trinkwasser EuGH, Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 – Nungesser EuGH, Rs. 95/81, Slg. 1982, 2187 – Kommission/Italien EuGH, Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 – Transparenzrichtlinie EuGH, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853 – Keurkoop/Nancy Kean Gifts EuGH, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 – Coditel II EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T. EuGH, Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641 – Kupferberg EuGH, Rs. 7/82, Slg. 1983, 483 – GVL EuGH, Rs. 172/82, Slg. 1983, 555 – Inter-Huiles EuGH, Rs. 266/81, Slg. 1983, 731 – SIOT EuGH, Rs. 267-269/81, Slg. 1983, 801 – SPI und SAMI EuGH, Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825 – Musique Diffusion Française EuGH, Rs. 271/81, Slg. 1983, 2057 – Mialocq EuGH, Rs. 210/81, Slg. 1983, 3045 – Demo-Studio Schmidt
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH, Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 – AEG EuGH, Rs. 96 u.a./82, Slg. 1983, 3369 – IAZ EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 – Michelin EuGH, Rs. 319/82, Slg. 1983, 4173 – Kerpen & Kerpen EuGH, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, 19 – VBVB und VBBB EuGH, Rs. 238/82, Slg. 1984, 523 – Duphar EuGH, Rs. 86/82, Slg. 1984, 883 – Hasselblad EuGH, Rs. 228 u. 229/82, Slg. 1984, 1129 – Ford I EuGH, Rs. 16/83, Slg. 1984, 1299 – Prantl EuGH, Rs. 29 u. 30/83, Slg. 1984, 1679 – CRAM und Rheinzink EuGH, Rs. 177 u. 178/82, Slg. 1984, 1797 – van de Haar EuGH, Rs. 180/83, Slg. 1984, 2539 – Moser EuGH, Rs. 72/83, Slg. 1984, 2727 – Campus Oil EuGH, Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 – Leclerc/Au Blé Vert EuGH, Rs. 231/83, Slg. 1985, 305 – Cullet/Leclerc EuGH, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 – BNIC/Clair EuGH, Rs. 290/83, Slg. 1985, 439 – Kommission/Frankreich EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 – ADBHU EuGH, Rs. 264/82, Slg. 1985, 849 – Timex EuGH, Rs. 41/83, Slg. 1985, 873 – Italien/Kommission EuGH, Rs. 18/84, Slg. 1985, 1339 – Kommission/Frankreich EuGH, Rs. 13/83, Slg. 1985, 1513 – Parlament/Rat EuGH, Rs. 243/83, Slg. 1985, 2015 – Binon EuGH, Rs. 19/84, Slg. 1985, 2281 – Pharmon/Hoechst EuGH, Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 – Remia EuGH, Rs. 60 u. 61/84, Slg. 1985, 2605 – Cinéthèque EuGH, Rs. 25 u. 26/84, Slg. 1985, 2725 – Ford II EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 – CBEM EuGH, Rs. 260/82, Slg. 1985, 3801 – NSO EuGH, Rs. 240 u.a./82, Slg. 1985, 3831 – Stichting Sigarettenindustrie EuGH, Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 – Pronuptia EuGH, Rs. 169/84, Slg. 1986, 391 – Cofaz EuGH, Rs. 174/84, Slg. 1986, 559 – Bulk Oil EuGH, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611 – Windsurfing International EuGH, Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 – Asjes EuGH, Rs. 103/84, Slg. 1986, 1759 – Kommission/Italien EuGH, Rs. 66/85, Slg. 1986, 2121 – Lawrie-Blum EuGH, Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 – Metro II EuGH, Rs. 355/85, Slg. 1986, 3231 – Cognet EuGH, Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 – British Leyland EuGH, Rs. 80 u. 159/85, Slg. 1986, 3359 – Edah EuGH, Rs. 201 u. 202/85, Slg. 1986, 3477 – Klensch EuGH, Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755 – Kommission/Deutschland EuGH, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 – VAG France
Rechtsprechungsverzeichnis EuGH, Rs. 45/85, Slg. 1987, 405 – Verband der Sachversicherer EuGH, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227 – Kommission/Deutschland EuGH (Präsident), Rs. 46/87 R, Slg. 1987, 1549 – Hoechst EuGH, Rs. 402/85, Slg. 1987, 1747 – Basset EuGH, Rs. 272/85, Slg. 1987, 2201 – ANTIB EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345 – Albako EuGH, Rs. 118/85, Slg. 1987, 2599 – Kommission/Italien EuGH, Rs. 43/85, Slg. 1987, 3131 – Ancides EuGH, Rs. 12/86, Slg. 1987, 3719 – Demirel EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 – Vlaamse Reisbureaus EuGH, Rs. 142 u. 156/84, Slg. 1987, 4487 – BAT und Reynolds EuGH, Rs. 136/86, Slg. 1987, 4789 – BNIC/Aubert EuGH, Rs. 27/87, Slg. 1988, 1919 – La Hesbignonne EuGH, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 – Bodson EuGH, Rs. 57/86, Slg. 1988, 2855 – Griechenland/Kommission EuGH, Rs. 302/86, Slg. 1988, 4607 – Dänische Pfandflaschen EuGH, Rs. 267/86, Slg. 1988, 4769 – Van Eycke EuGH, Rs. 89 u.a /85, Slg. 1988, 5193 – Ahlström EuGH, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 – Bayer EuGH, Rs. 189/87, Slg. 1988, 5565 – Kalfelis EuGH, Rs. 247/86, Slg. 1988, 5987 – Alsatel EuGH, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 – Renault EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211 – Volvo/Veng EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 – Ahmed Saeed Flugreisen EuGH, Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781 – Fediol EuGH, Rs. 246/86, Slg. 1989, 2117 – Belasco EuGH, Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521 – Tournier EuGH, Rs. 110 u.a./88, Slg. 1989, 2811 – Lucazeau u.a./SACEM EuGH, Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, 2859 – Hoechst EuGH, Rs. 374/87, Slg. 1989, 3283 – Orkem EuGH, Rs. C-277/87, Slg. 1990, I-45 – Sandoz EuGH, Rs. C-279/87, Slg. 1990, I-261 – Tipp-Ex EuGH, Rs. C-69/88, Slg. 1990, I-583 – Krantz EuGH, Rs. C-21/88, Slg. 1990, I-889 – Du Pont de Nemours Italiana EuGH, Rs. C-195/90 R, Slg. 1990, I-3351 – Kommission/Deutschland EuGH, Rs. C-5/89, Slg. 1990, I-3437 – BVG-Aluminium EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1990, II-163 – Hilti EuG, Rs. T-51/89, Slg. 1990, II-309 – Tetra Pak I EuGH, Rs. C-184/89, Slg. 1991, I-297 – Nimz EuGH, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 – Delimitis EuGH, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1223 – Telekommunikations-Endgeräte EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 – Höfner und Elser EuGH, Rs. C-69/89, Slg. 1991, I-2069 – Nakajima EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 – ERT
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 – AKZO Chemie EuGH, Rs. C-1 u. 176/90, Slg. 1991, I-4151 – Aragonesa de Publicidad EuGH, Rs. C-6 u. 9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889 – Genova EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991, I-5941 – GB-Inno-BM EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991, II-485 – RTE EuG, Rs. T-70/89, Slg. 1991, II-535 – BBC EuG, Rs. T-1/89, Slg. 1991, II-867 – Rhône-Poulenc EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439 – Hilti EuG, Rs. T-4/89, Slg. 1991, II-1523 – BASF/Kommission EuG, Rs. T-6/89, Slg. 1991, II-1623 – Enichem EuG, Rs. T-7/89, Slg. 1991, II-1711 – Hercules Chemicals EuGH, Rs. C-48 u. 66/90, Slg. 1992, I-565 – Kurierdienste Niederlande EuGH, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431 – Wallonische Abfälle EuGH, Rs. C-271 u.a./90, Slg. 1992, I-5833 – Telekommunikationsdienste EuG, Rs. T-44/90, Slg. 1992, II-1 – La Cinq EuG, Rs. T-19/91, Slg. 1992, II-415 – Vichy EuG, Rs. T-11/89, Slg. 1992, II-757 – Shell EuG, Rs. T-12/89, Slg. 1992, II-907 – Solvay EuG, Rs. T-13/89, Slg. 1992, II-1021 – ICI EuG, Rs. T-14/89, Slg. 1992, II-1155 – Montedipe EuG, Rs. T-15/89, Slg. 1992, II-1275 – Chemie Linz EuG, Rs. T-68 u.a./89, Slg. 1992, II-1403 – SIV EuG, Rs. T-61/89, Slg. 1992, II-1931 – Dansk Pelsdyravlerforening EuG, Rs. T-66/89, Slg. 1992, II-1995 – Publishers Association EuGH, Rs. C-159 u. 160/91, Slg. 1993, I-637 – Poucet und Pistre EuGH, Rs. C-89 u.a./85, Slg. 1993, I-1307 – Ahlström EuGH, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 – Kraus EuGH, Rs. C-17/92, Slg. 1993, I-2239 – Fedicine EuGH, Rs. C-320/91, Slg. 1993, I-2533 – Corbeau EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947 – Vanacker und Lesage EuGH, Rs. C-46/90 u. 93/91, Slg. 1993, I-5267 – Lagauche EuGH, Rs. C-2/91, Slg. 1993, I-5751 – Meng EuGH, Rs. C-185/91, Slg. 1993, I-5801 – Reiff EuGH, Rs. C-245/91, Slg. 1993, I-5851 – Ohra EuGH, Rs. C-267 u. 268/91, Slg. 1993, I-6097 – Keck EuG, Rs. T-65/89, Slg. 1993, II-389 – BPB Industries und British Gypsum EuG, Rs. T-83/92, Slg. 1993, II-1169 – Zunis EuGH, Rs. C-376/92, Slg. 1994, I-15 – Metro EuGH, Rs. C-364/92, Slg. 1994, I-43 – SAT Fluggesellschaft EuGH, Rs. C-53/92 P, Slg. 1994, I-667 – Hilti EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 – Almelo EuGH, Rs. C-18/93, Slg. 1994, I-1783 – Corsica Ferries I EuGH, Rs. C-41/93, Slg. 1994, I-1829 – Frankreich/Kommission EuGH, Rs. C-153/93, Slg. 1994, I-2517 – Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft
Rechtsprechungsverzeichnis EuGH, Rs. C-322/93 P, Slg. 1994, I-2727 – Peugeot EuGH, Rs. C-379/92, Slg. 1994, I-3453 – Peralta EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 – Bananen EuGH, Rs. C-323/93, Slg. 1994, I-5077 – La Crespelle EuGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 – DLG EuGH, Rs. C-320/92 P, Slg. 1994, I-5697 – Finsider EuG, Rs. T-39 u. 40/92, Slg. 1994, II-49 – CB und Europay EuG, Rs. T-3/93, Slg. 1994, II-121 – Air France I EuG, Rs. T-37/92, Slg. 1994, II-285 – BEUC und NCC EuG, Rs. T-2/93, Slg. 1994, II-323 – Air France II EuG, Rs. T-66/92, Slg. 1994, II-531 – Herlitz EuG, Rs. T-17/93, Slg. 1994, II-595 – Matra Hachette EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994, II-755 – Tetra Pak II EuG, Rs. T-34/92, Slg. 1994, II-905 – Fiatagri EuG, Rs. T-35/92, Slg. 1994, II-957 – John Deere EuGH, Rs. C-279/93, Slg. 1995, I-225 – Schumacker EuGH, Rs. C-241 u. 242/91 P, Slg. 1995, I-743 – Magill EuGH, Rs. C-310/93 P, Slg. 1995, I-865 – BPB Industries und British Gypsum EuGH, Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1141 – Alpine Investments EuGH, Rs. C-470/93, Slg. 1995, I-1923 – Mars EuGH, Rs. C-63/94, Slg. 1995, I-2467 – Vocarex EuGH, Rs. C-80/94, Slg. 1995, I-2493 – Wielockx EuGH, Rs. C-96/94, Slg. 1995, I-2883 – Spediporto EuGH, Rs. C-140-142/94, Slg. 1995, I-3257 – DIP/Bassano del Grappa EuGH, Rs. C-70/93, Slg. 1995, I-3439 – BMW EuGH, Rs. C-266/93, Slg. 1995, I-3477 – Volkswagen und VAG Leasing EuGH, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I-4013 – Fédération française des sociétés d´assurance EuGH, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 – Gebhard EuGH, Rs. C-17/94, Slg. 1995, I-4353 – Gervais EuGH, Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663 – Banchero EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 – Bosman EuG, Rs. T-102/92, Slg. 1995, II-17 – Viho Europe EuG, Rs. T-114/92, Slg. 1995, II-147 – BEMIM EuG, Rs. T-29/92, Slg. 1995, II-289 – SPO EuG, Rs. T-141/89, Slg. 1995, II-791 – Tréfileurope EuG, Rs. T-143/89, Slg. 1995, II-917 – Ferriere Nord EuG, Rs. T-145/89, Slg. 1995, II-987 – Baustahlgewebe EuG, Rs. T-148/89, Slg. 1995, II-1063 – Tréfilunion EuG, Rs. T-150/89, Slg. 1995, II-1165 – Martinelli EuG, Rs. T-12/93, Slg. 1995, II-1247 – Vittel EuG, Rs. T-7/93, Slg. 1995, II-1533 – Langnese-Iglo EuG, Rs. T-9/93, Slg. 1995, II-1611 – Schöller EuG, Rs. T-275/94, Slg. 1995, II-2169 – Groupement des cartes bancaires EuGH, Rs. C-309/94, Slg. 1996, I-677 – Nissan France EuGH, Rs. C-46 u. 48/93, Slg. 1996, I-1029 – Brasserie du pêcheur und Factortame EuGH, Gutachten 2/94, Slg. 1996, I-1759 – EMRK
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EuGH, Rs. C-107/94, Slg. 1996, I-3089 – Asscher EuGH, Rs. C-61/94, Slg. 1996, I-3989 – Kommission/Deutschland EuGH, Rs. C-178 u.a./94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer EuGH, Rs. C-73/95 P, Slg. 1996, I-5457 – Viho EuGH, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 – Tetra Pak EuGH, Rs. C-68/95, Slg. 1996, I-6065 – Port EuG, Rs. T-528 u.a./93, Slg. 1996, II-649 – Métropole télévision EuG, Rs. T-353/94, Slg. 1996, II-921 – Postbank EuG, Rs. T-24 u.a./93, Slg. 1996, II-1201 – Compagnie maritime belge transports EuG, Rs. T-266/94, Slg. 1996, II-1399 – Skibsvaerftsforeningen EuG, Rs. T-49/95, Slg. 1996, II-1799 – Van Megen Sports EuG, Rs. T-88/92, Slg. 1996, II-1961 – Leclerc EuGH, Rs. C-343/95, Slg. 1997, I-1547 – Diego Cali & Figli EuGH, Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591 – Alcan EuGH, Rs. C-321-324/94, Slg. 1997, I-2343 – Pistre EuGH, Rs. C-368/95, Slg. 1997, I-3689 – Familiapress EuGH, Rs. C-34-36/95, Slg. 1997, I-3843 – De Agostini EuGH, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 – Palmisani EuGH, Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411 – Ferriere Nord EuGH, Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 – GT-Link EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 – Kommission/Niederlande EuGH, Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 – Kommission/Frankreich EuGH, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 – Kommission/Frankreich (Agrarblockaden) EuGH, Rs. C-55/96, Slg. 1997, I-7119 – Job Centre EuG, Rs. T-106/95, Slg. 1997, II-229 – FFSA EuG, Rs. T-504/93, Slg. 1997, II-923 – Tiercé Ladbroke EuG, Rs. T-260/94, Slg. 1997, II-997 – Air Inter EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689 – Deutsche Bahn EuG, Rs. T-290/94, Slg. 1997, II-2137 – Kaysersberg EuGH, Rs. C-163/96, Slg. 1998, I-533 – Silvano Raso EuGH, Rs. C-68/94 u. 30/95, Slg. 1998, I-1375 – Kali und Salz EuGH, Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-1831 – Decker EuGH, Rs. C-306/96, Slg. 1998, I-1983 – Javico EuGH, Rs. C-230/96, Slg. 1998, I-2055 – Cabour EuGH, Rs. C-350/96, Slg. 1998, I-2521 – Clean Car EuGH, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998, I-3111 – John Deere EuGH, Rs. C-162/96, Slg. 1998, I-3655 – Racke EuGH, Rs. C-35/96, Slg. 1998, I-3851 – CNSD EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949 – Corsica Ferries II EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075 – Dusseldorp EuGH, Rs. C-298/96, Slg. 1998, I-4767 – Oelmühle EuGH, Rs. C-51/97, Slg. 1998, I-6511 – Réunion européenne EuGH, Rs. C-360/96, Slg. 1998, I-6821 – BFI-Holding EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791 – Bronner EuG, Rs. T-214/95, Slg. 1998, II-717 – Vlaams Gewest EuG, Rs. T-311/94, Slg. 1998, II-1129 – BPB de Eendracht
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EuG, Rs. T-352/94, Slg. 1998, II-1989 – Mo och Domsjö EuG, Rs. T-354/94, Slg. 1998, II-2111 – Stora EuG, Rs. T-111/96, Slg. 1998, II-2937 – ITT Promedia EuG, Rs. T-374 u.a./94, Slg. 1998, II-3141 – European Night Services EuG, Rs. T-133 u. 204/95, Slg. 1998, II-3645 – IECC EuGH, Rs. C-215 u. 216/96, Slg. 1999, I-135 – Bagnasco EuGH, Rs. C-436/97 P, Slg. 1999, I-2387 – Deutsche Bahn EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 – Eco Swiss EuGH, Rs. C-302/97, Slg. 1999, I-3099 – Konle EuGH, Rs. C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125 – Anic Partecipazioni EuGH, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287 – Hüls EuGH, Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539 – Montecatini EuGH, Rs. C-22/98, Slg. 1999, I-5665 – Becu EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 – Albany EuGH, Rs. C-115-117/97, Slg. 1999, I-6025 – Brentjens EuGH, Rs. C-219/97, Slg. 1999, I-6121 – Drijvende Bokken EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 – Portugal/Rat EuG, Rs. T-87/96, Slg. 1999, II-203 – Assicurazioni Generali und Unicredito EuG, Rs. T-102/96, Slg. 1999, II-753 – Gencor EuG, Rs. T-305 u.a./94, Slg. 1999, II-931 – Limburgse Vinyl Maatschappij EuG, Rs. T-221/95, Slg. 1999, II-1299 – Endemol/Kommission EuG, Rs. T-228/97, Slg. 1999, II-2969 – Irish Sugar EuG, Rs. T-22/97, Slg. 1999, II-3775 – Kesko EuGH, Rs. C-147 u. 148/97, Slg. 2000, I-825 – Deutsche Post EuGH, Rs. C-395 u. 396/96 P, Slg. 2000, I-1365 – Compagnie maritime belge transports EuGH, Rs. C-209/98, Slg. 2000, I-3743 – Sydhavnens Sten & Grus/Kopenhagen EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 – Angonese EuGH, Rs. C-258/98, Slg. 2000, I-4217 – Giovanni Carra EuGH, Rs. C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451 – Pavlov u.a. EuGH, Rs. C-9/99, Slg. 2000, I-8207 – Échirolles Distribution EuGH, Rs. C-294/98 P, Slg. 2000, I-10065 – Metsä-Serla EuGH, Rs. C-297/98 P, Slg. 2000, I-10101 – SCA Holding EuGH, Rs. C-214/99, Slg. 2000, I-11121 – Neste EuGH, Rs. C-300 u. 392/98, Slg. 2000, I-11307 – Dior u.a. EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 – Masterfoods EuG, Rs. T-25 u.a./95, Slg. 2000, II-491 – Cimenteries CBR EuG, Rs. T-65/96, Slg. 2000, II-1885 – Kish Glass EuG, Rs. T-62/98, Slg. 2000, II-2707 – Volkswagen EuG, Rs. T-41/96, Slg. 2000, II-3383 – Bayer EuG, Rs. T-128/98, Slg. 2000, II-3929 – Pariser Flughäfen EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 – PreussenElektra EuGH, Rs. C-307/99, Slg. 2001, I-3159 – OGT Fruchthandelsgesellschaft EuGH, Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109 – TNT Traco EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 – Courage und Crehan EuGH, Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079 – Niederlande/Parlament und Rat
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EuGH, Rs. C-475/99, Slg. 2001, I-8089 – Ambulanz Glöckner EuGH, Rs. C-268/99, Slg. 2001, I-8615 – Jany EuGH, Rs. C-53/00, Slg. 2001, I-9067 – Ferring EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897 – DaimlerChrysler EuG (Präsident), Rs. T-342/00 R, Slg. 2001, II-67 – Petrolessence EuG, Rs. T-112/98, Slg. 2001, II-729 – Mannesmannröhren-Werke EuG, Rs. T-144/99, Slg. 2001, II-1087 – Institut des Mandataires Agréés EuG, Rs. T-53/01 R, Slg. 2001, II-1479 – Poste Italiane EuG, Rs. T-202 u.a./98, Slg. 2001, II-2035 – Tate & Lyle EuG, Rs. T-151/01 R, Slg. 2001, II-3295 – Duales System Deutschland/Kommission EuGH, Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 – Cisal EuGH, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 – Wouters EuGH, Rs. C-27 u. 122/00, Slg. 2002, I-2569 – Omega Air u.a. EuGH, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 – Goldene Aktien I (Kommission/Portugal) EuGH, Rs. C-210/00, Slg. 2002, I-6453 – Käserei Champignon EuGH, Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7357 – Tacconi EuGH, Rs. C-238 u.a./99 P, Slg. 2002, I-8375 – Limburgse Vinyl Maatschappij EuGH, Rs. C-79/01, Slg. 2002, I-8923 – Payroll EuGH, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 – Roquette Frères EuGH, Rs. C-82/01 P, Slg. 2002, I-9297 – Aéroports de Paris EuGH, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 – Überseering EuG, Rs. T-395/94, Slg. 2002, II-875 – Atlantic Container Line EuG, Rs. T-18/97, Slg. 2002, II-1125 – Atlantic Container Line AB EuG, Rs.T-9/99, Slg. 2002, II-1487 – HFB EuG, Rs. T-16/99, Slg. 2002, II-1633 – Lögstör EuG, Rs. T-23/99, Slg. 2002, II-1705 – LR EuG, Rs. T-131/99, Slg. 2002, II-2023 – Shaw EuG, Rs. T-342/99, Slg. 2002, II-2585 – Airtours EuG, Rs. T-185 u.a./00, Slg. 2002, II-3805 – M6 EuG, Rs. T-310/01, Slg. 2002, II-4071 – Schneider Electric EuG, Rs. T-5/02, Slg. 2002, II-4381 – Tetra Laval EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825 – Lagardère und Canal+ EuGH, Rs. C-76/00 P, Slg. 2003, I-79 – Petrotub und Republica EuGH, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 – Goldene Aktien IV (Kommission/Spanien) EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 – Schmidberger (Brenner-Blockade) EuGH, Rs. C-198/01, Slg. 2003, I-8055 – CIF EuGH, Rs. C-338/00 P, Slg. 2003, I-9189 – Volkswagen EuGH, Rs. C-170/02 P, Slg. 2003, I-9889 – Schlüsselverlag Moser EuGH, Rs. C-224/01, Slg. 2003, I-10239 – Köbler EuGH, Rs. C-93/02 P, Slg. 2003, I-10497 – Biret International EuGH, Rs. C-196/99 P, Slg. 2003, I-11005 – Aristrain EuGH, Rs. C-126/01, Slg. 2003, I-13769 – GEMO EuGH, Rs. C-34-38/01, Slg. 2003, I-14243 – Enirisorse EuG, Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357 – FENIN EuG, Rs. T-114/02, Slg. 2003, II-1279 – BaByliss EuG, Rs. T-119/02, Slg. 2003, II-1433 – Philips
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EuG, Rs. T-223/00, Slg. 2003, II-2553 – Kyowa Hakko EuG, Rs. T-224/00, Slg. 2003, II-2597 – Archer Daniels EuG, Rs. T-191 u.a./98, Slg. 2003, II-3275 – Atlantic Container Line AB u.a. EuG, Rs. T-158/00, Slg. 2003, II-3825 – ARD EuG, Rs. T-346 u. 347/02, Slg. 2003, II-4251 – Cableuropa u.a. EuG, Rs. T-368/00, Slg. 2003, II-4491 – General Motors Nederland EuG, Rs. T-56 u.a./99, Slg. 2003, II-5225 – Marlines u.a. EuG, Urt. v. 3.12.2003, Rs. T-208/01, EWS 2004, 174 – Volkswagen EuGH, Rs. C-2 u. 3/01 P, Slg. 2004, I-23 – Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e.V. EuGH, Rs. C-204 u.a./00 P, Slg. 2004, I-123 – Aalborg Portland EuGH, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837 – Kühne & Heitz EuGH, Rs. C-264 u.a./01, Slg. 2004, I-2493 – AOK EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-359/01 P, WuW 2004, 813 (teilweise) – British Sugar EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-418/01, EuZW 2004, 345 – IMS EuGH, Urt. v. 22.6.2004, Rs. C-42/01 – Portugal/Kommission EuGH (Präsident), Beschl. v. 27.9.2004, Rs. C-7/04 P (R), WuW 2004, 1197 (teilweise) – Akzo Nobel und Akcros EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-36/02, EuZW 2004, 753 – Omega EuGH, Urt. v. 9.12.2004, Rs. C-123/03 P – Greencore Group EuGH, Urt. v. 14.12.2004, Rs. C-463/01, EuZW 2005, 49 – Pfandpflicht EuGH, Urt. v. 14.12.2004, Rs. C-309/02, EuZW 2005, 81 – Radlberger EuG, Urt. v. 13.1.2004, Rs. T-67/01, WuW 2004, 1093 (teilweise) – JCB Service EuG (Präsident), Beschl. v. 21.1.2004, Rs. T-217/03 R – FNCBV EuG, Urt. v. 29.4.2004, Rs. T-236 u.a./01, WuW 2004, 1335 (teilweise) – Tokai Carbon EuG, Beschl. v. 29.4.2004, Rs. T-308/02 – SGL Carbon EuG, Urt. v. 28.5.2004, Rs. T-125 u. 253/03 R, WuW 2004, 81 (teilweise) – Akzo Nobel EuG, Urt. v. 8.7.2004, Rs. T-44/00 – Mannesmannröhren-Werke EuG, Urt. v. 8.7.2004, Rs. T-48/00 – Corus EuG, Urt. v. 8.7.2004, Rs. T-67 u.a./00, WuW 2004, 959 (teilweise) – JFE Engineering EuG, Urt. v. 28.9.2004, Rs. T-310/00 – MCI EuG, Urt. v. 30.9.2004, Rs. T-313/02 – Meca-Medina und Majcen EuG (Präsident), Beschl. v. 22.12.2004, Rs. T-201/04 R 2 – Microsoft EuGH, Urt. v. 1.3.2005, Rs. C-377/02, EuZW 2005, 214 – Van Parys EuGH, Urt. v. 15.2.2005, Rs. C-12 u. 13/03 P, WuW 2005, 319 (teilweise) – Tetra Laval
Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
KOME 67/454/EWG, ABl. 1967 L 163, S. 10 – Transocean I KOME 68/317/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 1 – Machines-outils KOME 68/319/EWG, ABl. 1968 L 201, S. 7 – ACEC/Berliet KOME 68/376/EWG, ABl. 1968 L 276, S. 25 – Rieckermann/AEG Elotherm KOME 69/240/EWG, ABl. 1969 L 192, S. 5 – Internationales Chininkartell KOME 69/242/EWG, ABl. 1969 L 195, S. 5 – Jaz/Peter KOME 69/243/EWG, ABl. 1969 L 195, S. 11 – Farbstoffe KOME 70/488/EWG, ABl. 1970 L 242, S. 22 – Omega KOME 71/23/EWG, ABl. 1971 L 10, S. 15 – Wand- und Bodenfliesen KOME 71/222/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 6 – F.N./C.F. KOME 71/224/EWG, ABl. 1971 L 134, S. 15 – GEMA KOME 71/337/EWG, ABl. 1971 L 227, S. 26 – CEMATEX KOME 72/21/EWG, ABl. 1972 L 7, S. 25 – Continental Can Company KOME 72/22/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 34 – Vereniging van Cementhandelaren KOME 72/23/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 44 – SAFCO KOME 72/24/EWG, ABl. 1972 L 13, S. 47 – SOPELEM/Langen KOME 72/41/EWG, ABl. 1972 L 14, S. 14 – Henkel/Colgate KOME 72/68/EWG, ABl. 1972 L 22, S. 16 – NCH KOME 72/88/EWG, ABl. 1972 L 31, S. 29 – MAN/SAVIEM KOME 72/237/EWG, ABl. 1972 L 143, S. 31 – Davidson Rubber Co. KOME 72/238/EWG, ABl. 1972 L 143, S. 39 – Raymond/Nagoya KOME 72/403/EWG, ABl. 1972 L 272, S. 35 – Pittsburgh Corning Europe KOME 72/457/EWG, ABl. 1972 L 299, S. 51 – Commercial Solvents KOME 72/474/EWG, ABl. 1972 L 303, S. 24 – CIMBEL KOME 73/109/EWG, ABl. 1973 L 140, S. 17 – Europäische Zuckerindustrie KOME 73/212/EWG, ABl. 1973 L 217, S. 3 – Kali und Salz KOME 74/17/EWG, ABl. 1974 L 19, S. 22 – Kali und Salz KOME 74/16/EWG, ABl. 1974 L 19, S. 18 – Transocean II KOME 74/292/EWG, ABl. 1974 L 160, S. 1 – Verpackungsglas KOME 74/431/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 3 – Papiers peints de Belgique KOME 74/432/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 12 – Advocaat Zwarte Kip KOME 74/433/EWG, ABl. 1974 L 237, S. 16 – FRUBO
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Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
KOME 74/634/EWG, ABl. 1974 L 343, S. 19 – Kugellager KOME 75/73/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 1 – BMW KOME 75/76/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 20 – RANK/SOPELEM KOME 75/77/EWG, ABl. 1975 L 29, S. 26 – Pilze KOME 75/94/EWG, ABl. 1975 L 38, S. 10 – Goodyear Italiana/Euram KOME 75/358/EWG, ABl. 1975 L 159, S. 22 – Haarden- en Kachelhandel KOME 75/482/EWG, ABl. 1975 L 212, S. 23 – INTERGROUP KOME 75/494/EWG, ABl. 1975 L 222, S. 34 – Kabelmetal KOME 75/497/EWG, ABl. 1975 L 228, S. 3 – IFTRA/Hüttenaluminium KOME 76/29/EWG, ABl. 1976 L 6, S. 8 – AOIP/Beyrard KOME 76/159/EWG, ABl. 1976 L 28, S. 19 – SABA KOME 76/172/EWG, ABl. 1976 L 30, S. 13 – Bayer/Gist-Brocades KOME 76/249/EWG, ABl. 1976 L 51, S. 15 – KEWA KOME 76/353/EWG, ABl. 1976 L 95, S. 1 – United Brands KOME 76/743/EWG, ABl. 1976 L 254, S. 40 – BASF KOME 77/66/EWG, ABl. 1977 L 16, S. 8 – Gerofabriek KOME 77/100/EWG, ABl. 1977 L 30, S. 10 – Junghans KOME 77/160/EWG, ABl. 1977 L 48, S. 32 – Vakuum Stromschalter I KOME 77/327/EWG, ABl. 1977 L 117, S. 1 – A.B.G. KOME 77/543/EWG, ABl. 1977 L 215, S. 11 – De Laval/Stork KOME 77/781/EWG, ABl. 1977 L 327, S. 26 – Natriumumwälzpumpen KOME 78/155/EWG, ABl. 1978 L 46, S. 33 – BMW Belgium KOME 78/156/EWG, ABl. 1978 L 47, S. 42 – Video-Cassetterecorders KOME 78/194/EWG, ABl. 1978 L 61, S. 17 – JAZ/Peter II KOME 78/253/EWG, ABl. 1978 L 70, S. 69 – Campari KOME 78/516/EWG, ABl. 1978 L 157, S. 39 – RAI/Unitel KOME 78/732/EWG, ABl. 1978 L 242, S. 15 – CSV KOME 79/86/EWG, ABl. 1979 L 19, S. 32 – Vaessen/Moris KOME 79/90/EWG, ABl. 1979 L 21, S. 16 – Bleiweiß KOME 79/298/EWG, ABl. 1979 L 70, S. 11 – Beecham KOME 79/934/EWG, ABl. 1979 L 286, S. 32 – BP Kemi KOME 80/182/EWG, ABl. 1980 L 39, S. 51 – FLORAL KOME 80/234/EWG, ABl. 1980 L 51, S. 19 – Lab KOME 80/256/EWG, ABl. 1980 L 60, S. 21 – Pioneer KOME 80/917/EWG, ABl. 1980 L 260, S. 24 – National Sulphuric Acid Association KOME 80/1074/EWG, ABl. 1980 L 318, S. 32 – Solnhofener Natursteinplatten KOME 80/1283/EWG, ABl. 1980 L 377, S. 16 – Johnson & Johnson KOME 80/1332/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 1 – Vakuum Stromschalter II KOME 80/1333/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 11 – Hennessy/Henkell KOME 80/1334/EWG, ABl. 1980 L 383, S. 19 – Gußglas in Italien KOME 81/1030/EWG, ABl. 1981 L 370, S. 49 – GVL
Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
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KOME 82/71/EWG, ABl. 1982 L 39, S. 25 – Langenscheidt/Hachette KOME 82/123/EWG, ABl. 1982 L 54, S. 36 – VBBB/VBVB KOME 82/203/EWG, ABl. 1982 L 94, S. 7 – Möet et Chandon KOME 82/267/EWG, ABl. 1982 L 117, S. 15 – AEG-Telefunken KOME 82/367/EWG, ABl. 1982 L 161, S. 18 – Hasselblad KOME 82/506/EWG, ABl. 1982 L 232, S. 1 – SSI KOME 82/861/EWG, ABl. 1982 L 360, S. 36 – British Telecommunications KOME 82/866/EWG, ABl. 1982 L 362, S. 40 – Zinkbleche KOME 82/896/EWG, ABl. 1982 L 379, S. 1 – UGEL/BNIC KOME 83/361/EWG, ABl. 1983 L 200, S. 44 – VIMPOLTU KOME 83/390/EWG, ABl. 1983 L 224, S. 19 – Rockwell/Iveco KOME 83/400/EWG, ABl. 1983 L 229, S. 1 – Windsurfing International KOME 83/462/EWG, ABl. 1983 L 252, S. 13 – ECS/AKZO - einstweilige Anordnung KOME 83/546/EWG, ABl. 1983 L 317, S. 1 – Gußeisen- und Gußstahlwalzen KOME 83/668/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 11 – VW/MAN KOME 83/669/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 17 – Carbon Gas Technologie KOME 83/672/EWG, ABl. 1983 L 376, S. 41 – SABA II KOME 84/380/EWG, ABl.1984 L 207, S. 17 – Kunstfasern KOME 84/387/EWG, ABl. 1984 L 212, S. 1 – BPCL/ICI KOME 84/405/EWG, ABl. 1984 L 220, S. 27 – Zinc Producer Group KOME 85/44/EWG, ABl. 1985 L 19, S. 17 – Grohe-Vertriebssystem KOME 85/45/EWG, ABl. 1985 L 20, S. 38 – Ideal-Standard KOME 85/75/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 20 – Feuerversicherung KOME 85/76/EWG, ABl. 1985 L 35, S. 35 – Milchförderungsfonds KOME 85/202/EWG, ABl. 1985 L 85, S. 1 – Zellstoff KOME 85/206/EWG, ABl. 1985 L 92, S. 1 – Aluminiumeinfuhren aus Osteuropa KOME 85/383/EWG, ABl. 1985 L 219, S. 35 – EATE-Abgabe KOME 85/410/EWG, ABl. 1985 L 233, S. 22 – Velcro/Aplix KOME 85/560/EWG, ABl. 1985 L 369, S. 6 – BP/Kellogg KOME 85/609/EWG, ABl. 1985 L 374, S. 1 – AKZO KOME 85/618/EWG, ABl. 1985 L 376, S. 29 – Siemens/Fanuc KOME 86/398/EWG, ABl. 1986 L 230, S. 1 – Polypropylen KOME 86/399/EWG, ABl. 1986 L 232, S. 15 – Dach- und Dichtungsbahnen KOME 86/405/EWG, ABl. 1986 L 236, S. 30 – Lichtwellenleiter KOME 86/507/EWG, ABl. 1986 L 295, S. 28 – Irish Banks' Standing Committee KOME 87/3/EWG, ABl. 1987 L 5, S. 13 – ENI/Montedison KOME 87/14/EWG, ABl. 1987 L 8, S. 49 – Yves Rocher KOME 87/17/EWG, ABl. 1987 L 13, S. 39 – Pronuptia KOME 87/69/EWG, ABl. 1987 L 35, S. 36 – X/Open Group KOME 87/100/EWG, ABl. 1987 L 41, S. 31 – Mitchell Cotts/Sofiltra KOME 87/359/EWG, ABl.1987 L 194,S. 28 –Tarifvergünstigungen im Luft- undSeeverkehr KOME 87/500/EWG, ABl. 1987 L 286, S. 36 – BBI/Boosey & Hawkes
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Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
KOME 88/84/EWG, ABl. 1988 L 45, S. 34 – ARG/Unipart KOME 88/87/EWG, ABl. 1988 L 50, S. 18 – Enichem/ICI KOME 88/88/EWG, ABl. 1988 L 52, S. 51 – Olivetti/Canon KOME 88/138/EWG, ABl. 1988 L 65, S. 19 – Hilti KOME 88/143/EWG, ABl. 1988 L 69, S. 21 – Rich Products/Jus-rol KOME 88/172/EWG, ABl. 1988 L 78, S. 34 – Konica KOME 88/469/EWG, ABl. 1988 L 230, S. 39 – Iveco/Ford KOME 88/501/EWG, ABl. 1988 L 272, S. 27 – Tetra Pak I KOME 88/518/EWG, ABl. 1988 L 284, S. 41 – Napier Brown/British Sugar KOME 88/541/EWG, ABl. 1988 L 301, S. 68 – BBC Brown Boveri KOME 88/555/EWG, ABl. 1988 L 305, S. 33 – Continental/Michelin KOME 88/563/EWG, ABl. 1988 L 309, S. 34 – Delta Chemie KOME 88/568/EWG, ABl. 1988 L 311, S. 36 – Eurotunnel KOME 88/589/EWG, ABl. 1988 L 317, S. 47 – London European/SABENA KOME 89/22/EWG, ABl. 1989 L 10, S. 50 – BPB Industries KOME 89/44/EWG, ABl. 1989 L 22, S. 12 – „Nettobücher“-Vereinbarungen KOME 89/93/EWG, ABl. 1989 L 33, S. 44 – Flachglas KOME 89/94/EWG, ABl. 1989 L 35, S. 31 – Charles Jourdan KOME 89/113/EWG, ABl. 1989 L 43, S. 27 – Decca Navigator System KOME 89/190/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 1 – PVC KOME 89/191/EWG, ABl. 1989 L 74, S. 21 – LDPE KOME 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78, S. 43 – Magill KOME 89/467/EWG, ABl. 1989 L 226, S. 25 – UIP KOME 89/512/EWG, ABl. 1989 L 253, S. 1 – Niederländische Banken KOME 89/515/EWG, ABl. 1989 L 260, S. 1 – Betonstahlmatten KOME IV/M.4, ABl. 1990 C 281, S. 2 – Renault/Volvo KOME IV/M.25, ABl. 1990 C 321, S. 16 – Arjomari-Prioux SA/Wiggens Teape Appleton KOME 90/25/EWG, ABl. 1990 L 15, S. 25 – Concordato Incendio KOME 90/33/EWG, ABl. 1990 L 18, S. 35 – A.P.B. KOME 90/46/EWG, ABl. 1990 L 32, S. 19 – ALCATEL/ESPACE/ANT KOME 90/186/EWG, ABl. 1990 L 100, S. 32 – Moosehead/Whitbread KOME 90/410/EWG, ABl. 1990 L 209, S. 15 – Elopak KOME 90/446/EWG, ABl. 1990 L 228, S. 31 – ECR 900 KOME IV/M.92, ABl. 1991 C 149, S. 0 – RVI/VBC/Heuliz KOME IV/M.130, ABl. 1991 C 289, S. 0 – Delta Air Lines/Pan Am KOME IV/M.159, ABl. 1991 C 334, S. 23 – Mediobanca/Generali KOME 91/38/EWG, ABl. 1991 L 19, S. 25 – KSB/Goulds/Lowara/ITT KOME 91/50/EWG, ABl. 1991 L 28, S. 32 – IJsselcentrale KOME 91/128/EWG, ABl. 1991 L 60, S. 19 – SIPPA KOME 91/130/EWG, ABl. 1991 L 63, S. 32 – Screensport/EBU-Mitglieder KOME 91/251/EWG, ABl. 1991 L 122, S. 48 – Alcatel/Telettra KOME 91/299/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 21 – Soda/Solvay KOME 91/300/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 40 – Soda/ICI KOME 91/301/EWG, ABl. 1991 L 152, S. 54 – ANSAC KOME 91/329/EWG, ABl. 1991 L 178, S. 31 – Scottish Nuclear
Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
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KOME 91/481/EWG, ABl. 1991 L 258, S. 29 – IATA KOME 91/480/EWG, ABl. 1991 L 258, S. 18 – IATA KOME 91/562/EWG, ABl. 1991 L 306, S. 22 – Eirpage KOME IV/M.152, ABl. 1992 C 17, S. 0 – Volvo/Atlas KOME IV/M.192, ABl. 1992 C 107, S. 0 – Banesto/Totta KOME IV/M.256, ABl. 1992 C 258, S. 10 – Linde/Fiat KOME IV/M.258, ABl. 1992 C 265, S. 0 – CCIE/GTE KOME IV/M.259, ABl. 1992 C 326, S. 0 – British Airways/TAT KOME 92/96/EWG, ABl. 1992 L 37, S. 16 – Assurpol KOME 92/157/EWG, ABl. 1992 L 68, S. 19–UK Agricultural Tractor Registration Exchange KOME 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72, S. 1 – Tetra Pak II KOME 92/204/EWG, ABl. 1992 L 92, S. 1 – Niederländische Bauwirtschaft KOME 92/213/EWG, ABl. 1992 L 96, S. 34 – British Midland/Aer Lingus KOME 92/262/EWG, ABl. 1992 L 134, S. 1 – Reederausschüsse KOME 92/426/EWG, ABl. 1992 L 233, S. 27 – VIHO KOME 92/521/EWG, ABl. 1992 L 326, S. 31 – Fußballweltmeisterschaft 1990 KOME IV/M.334, ABl. 1993 C 204, S. 0 – Costa Crociere/Chargeurs/Accor KOME 93/3/EWG, ABl. 1993 L 4, S. 26 – Lloyd`s Underwriters KOME 93/48/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 10 – Fiat/Hitachi KOME 93/49/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 14 – Ford/Volkswagen KOME 93/50/EWG, ABl. 1993 L 20, S. 23 – Astra KOME 93/82/EWG, ABl. 1993 L 34, S. 20 – CEWAL KOME 93/126/EWG, ABl. 1993 L 50, S. 14 – Jahrhundertvertrag KOME 93/174/EWG, ABl. 1993 L 73, S. 38 – Tarifstrukturen im kombinierten Güterverkehr KOME 93/252/EWG, ABl. 1993 L 116, S. 21 – Gillette KOME 93/403/EWG, ABl. 1993 L 179, S. 23 – EBU/Eurovisions-System KOME 93/405/EWG, ABl. 1993 L 183, S. 1 – Schöller KOME 93/438/EWG, ABl. 1993 L 203, S. 27 – CNSD KOME IV/M.391, ABl. 1994 C 4, S. 3 – BAI/Banca Populare di Lecco KOME 94/19/EG, ABl. 1994 L 15, S. 8 – Sea Containers/Stena Sealink KOME 94/119/EG, ABl. 1994 L 55, S. 52 – Hafen von Rødby KOME 94/296/EG, ABl. 1994 L 131, S. 15 – Stichting Baksteen KOME 94/322/EG, ABl. 1994 L 144, S. 20 – Exxon/Shell KOME 94/579/EG, ABl. 1994 L 223, S. 36 – BT/MCI KOME 94/599/EG, ABl. 1994 L 239, S. 14 – PVC KOME 94/601/EG, ABl. 1994 L 243, S. 1 – Karton KOME 94/663/EG, ABl. 1994 L 259, S. 20 – Night Services KOME 94/770/EG, ABl. 1994 L 309, S. 1 – Pasteur Mérieux-Merck KOME 94/771/EG, ABl. 1994 L 309, S. 24 – Olivetti-Digital KOME 94/823/EG, ABl. 1994 L 341, S. 66 – Fujitsu AMD Semiconductor KOME 94/815/EG, ABl. 1994 L 343, S. 1 – Zement KOME 94/894/EG, ABl. 1994 L 354, S. 66 – Eurotunnel KOME 94/895/EG, ABl. 1994 L 354, S. 75 – International Private Satellite Partners KOME 94/896/EG, ABl. 1994 L 354, S. 87 – Asahi/Saint Gobain KOME 94/986/EG, ABl. 1994 L 378, S. 37 – Philips/Osram
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Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
KOME IV/M.550, ABl. 1995 C 123, S. 3 – Union Carbide/Enichem KOME IV/M.612, ABl. 1995 C 207, S. 11 – RWE-DEA/Enichem Augusta KOME IV/M.551, ABl. 1995 C 264, S. 8 – ATR/Bae KOME 95/188/EG, ABl. 1995 L 122, S. 37 – COAPI KOME 95/551/EG, ABl. 1995 L 312, S. 79 – Kraanverhuur KOME IV/M.660, ABl. 1996 C 22, S. 10 – RTZ/CRA KOME IV/M.651, ABl. 1996 C 99, S. 8 – AT&T/Philips KOME IV/M.697, ABl. 1996 C 314, S. 9 – Lockheed Martin/Loral Corporation KOME 96/180/EG, ABl. 1996 L 54, S. 28 – Lufthansa/SAS KOME 96/346/EG, ABl. 1996 L 134, S. 32 – RTL/Veronica/Endemol II KOME 96/546/EG, ABl. 1996 L 239, S. 23 – ATLAS KOME 96/547/EG, ABl. 1996 L 239, S. 57 – PHOENIX/GlobalOne KOME IV/M.940, ABl. 1997 C 232, S. 5 – UBS/Mister Minit KOME IV/M.925 = IV/ECSC.1243, ABl. 1997 C 285, S. 14 – Krupp-Hoesch/Thyssen KOME 97/39/EG, ABl. 1997 L 16, S. 87 – Iridium KOME 97/84/EG, ABl. 1997 L 26, S. 23 – Fährdienstbetreiber KOME 97/624/EG, ABl. 1997 L 258, S. 1 – Irish Sugar KOME 97/780/EG, ABl. 1997 L 318, S. 1 – Unisource KOME 97/781/EG, ABl. 1997 L 318, S. 24 – Uniworld KOME 97/816/EG, ABl. 1997 L 336, S. 16 – Boeing/Mc Donell Douglas Corp. KOME IV/M.984, ABl. 1998 C 4, S. 4 – Dupont/ICI KOME IV/M.1057, ABl. 1998 C 32, S. 6 – Terra Industries/ICI KOME IV/M.1113, ABl. 1998 C 123, S. 3 – Nortel/Norweb KOME IV/M.1226, ABl. 1998 C 252, S. 10 – GEC/GPTH KOME IV/M.308, ABl. 1998 C 275, S. 3 – Kali und Salz/MDK/Treuhand KOME IV/M.1245, ABl. 1998 C 288, S. 5 – Valeo/ITT Industries KOME IV/M.1292, ABl. 1998 C 385, S. 4 – Continental/ITT KOME 98/4/EGKS, ABl. 1998 L 1, S. 10 – Wirtschaftsvereinigung Stahl KOME 98/273/EG, ABl. 1998 L 124, S. 60 – VW KOME 98/531/EG, ABl. 1998 L 246, S. 1 – Van den Bergh KOME 98/538/EG, ABl. 1998 L 252, S. 47 – AAMS KOME 98/663/EG, ABl. 1998 L 316, S. 1 – Blokker/Toys R Us KOME IV/M.1362, ABl. 1999 C 191, S. 7 – BayWA AG/RWA KOME IV/JV.22, ABl. 1999 C 318, S. 15 – Fujitsu/Siemens KOME 1999/60/EG, ABl. 1999 L 24, S. 1 – Fernwärmetechnik-Kartell KOME 1999/242/EG, ABl. 1999 L 90, S. 6 – TPS KOME 1999/243/EG, ABl. 1999 L 95, S. 1 – TACA KOME 1999/267/EG, ABl. 1999 L 106, S. 14 – EPI KOME 1999/329/EG, ABl. 1999 L 125, S. 12 – P&I Clubs KOME 1999/574/EG, ABl. 1999 L 218, S. 24 – Télécom Développement KOME 1999/573/EG, ABl. 1999 L 218, S. 14 – Cégétel +4 KOME 1999/641/EG, ABl. 1999 L 254, S. 9 – Enso/Stora KOME 1999/674/EG, ABl. 1999 L 274, S. 1 – Rewe/Meinl KOME v. 30.3.1999, IV/JV.15 – BT/AT&T
Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
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KOME COMP/M.1790, ABl. 2000 C 16, S. 5 – Deutsche Bank/BHS/Pago KOME COMP/JV.37, ABl. 2000 C 110, S. 45 – BSkyB/KirchPayTV KOME COMP/JV.39, ABl. 2000 C 125, S. 10 – Bertelsmann/Planeta/NEB KOME COMP/JV.44, ABl. 2000 C 153, S. 8 – Hitachi/NEC-Dram/JV KOME 2000/12/EG, ABl. 2000 L 5, S. 55 – Fußballweltmeisterschaft 1998 KOME 2000/74/EG, ABl. 2000 L 30, S. 1 – Virgin/British Airways KOME 2000/117/EG, ABl. 2000 L 39, S. 1 – FEG und TU KOME 2000/182/EG, ABl. 2000 L 58, S. 16 – GEAE/P&W KOME 2000/400/EG, ABl. 2000 L 151, S. 18 – Eurovision KOME 2000/475/EG, ABl. 2000 L 187, S. 47 – CECED KOME COMP/M.2243-1, ABl. 2001 C 49, S. 5 – Stora Enso/AssiDomän/JV KOME COMP/M.2446, ABl. 2001 C 177, S. 3 – Govia/Connex South Central KOME 2001/418/EG, ABl. 2001 L 152, S. 24 – Aminosäuren KOME 2001/718/EG, ABl. 2001 L 268, S. 28 – AOL/Time Warner KOME 2001/837/EG, ABl. 2001 L 319, S. 1 – DSD KOME 2001/893/EG, ABl. 2001 L 331, S. 40 – Deutsche Post KOME COMP/M.2730, ABl. 2002 C 70, S. 31 – Connex/DNVBVG KOME 2002/165/EG, ABl. 2002 L 59, S. 18 – NDC Health/IMS HEALTH KOME 2002/271/EG, ABl. 2002 L 100, S. 1 – Graphitelektroden KOME 2002/405/EG, ABl. 2002 L 143, S. 1 – Michelin KOME v. 30.10.2002, COMP/E-2/37.784 – Fine Art Auction Houses KOME v. 27.11.2002, COMP/E-1/37.152 – Gipsplatten KOME v. 17.12.2002, COMP/37.667 – Graphitspezialerzeugnisse KOME COMP/M.3130, ABl. 2003 C 297, S. 25 – Arla Foods/Express Diaries KOME 2003/2/EG, ABl. 2003 L 6, S. 1 – Vitamine KOME 2003/79/EG, ABl. 2003 L 29, S. 40 – De Beers/LVMH KOME 2003/437/EG, ABl. 2003 L 153, S. 1 – Zinkphosphat KOME 2003/570/EG, ABl. 2003 L 200, S. 59 – O2 UK Limited/T-Mobile UK Limited KOME 2003/600/EG, ABl. 2003 L 209, S. 12 – Viandes bovines françaises KOME 2003/707/EG, ABl. 2003 L 263, S. 9 – Deutsche Telekom AG KOME 2003/754/EG, ABl. 2003 L 282, S. 1 – Haniel KOME 2003/777/EG, ABl. 2003 L 291, S. 1 – Siemens/Drägerwerk KOME 2003/778/EG, ABl. 2003 L 291, S. 25 – Gemeinsame Vermarktung der gewerblichen Rechte an der UEFA Champions League KOME 2003/792/EG, ABl. 2003 L 300, S. 62 – DaimlerChrysler/Deutsche Telekom/JV KOME 2003/790/EG, ABl. 2003 L 300, S. 1 – MCI WorldCom/Sprint KOME v. 2.4.2003, M.2876 – Newscorp/Telepiu KOME v. 16.7.2003, COMP/38.233 – Wanadoo KOME v. 27.8.2003, COMP/37.685 – GVG/FS KOME v. 1.10.2003, COMP/E-1/37.370 – Sorbate KOME 2004/134/EG, ABl. 2004 L 48, S. 1 – General Electric/Honeywell KOME 2004/138/EG, ABl. 2004 L 56, S. 1 – Österreichische Banken („Lombard Club“) KOME 2004/139/EG, ABl. 2004 L 56, S. 76 – REIMS II KOME 2004/207/EG, ABl. 2004 L 75, S. 32 – T-Mobile Deutschland/O2 Germany
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Verzeichnis der Kommissionsentscheidungen
KOME 2004/275/EG, ABl. 2004 L 101, S. 1 – Schneider/Legrand KOME 2004/322/EG, ABl. 2004 L 109, S. 1 – GE/Instrumentarium KOME 2004/420/EG, ABl. 2004 L 125, S. 45 – Elektrotechnische und mechanische Kohlenstoff- und Graphitprodukte KOME 2004/421/EG, ABl. 2004 L 125, S. 50 – Industrierohre KOME v. 24.3.2004, COMP/C-3/37.792 – Microsoft KOME v. 20.10.2004 COMP/C.38.238/B.2 – Rohtabak Spanien KOME v. 26.10.2004, M.3216 – Oracle/Peoplesoft
Vorschriftenverzeichnis
Materielles Kartellrecht, insbes. Freistellungen – VO (EWG) Nr. 26/62 des Rates zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen, ABl. 1962 Nr. B 30, S. 993. – VO (EWG) Nr. 1017/68 des Rates vom 19.7.1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, ABl. 1968 Nr. L 175, S. 1; zuletzt geändert durch VO (EG) 1/2003 des Rates, ABl. 2003 L 1, S. 1. – VO (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20.12.1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1971 L 285, S. 46; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1. – VO (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr, ABl. 1986 L 378, S. 4; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1. – VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABl. 1987 L 374, S. 9; geändert durch VO (EG) Nr. 411/2004 des Rates vom 26.2.2004, ABl. 2004 L 68, S. 1. – VO (EWG) Nr. 1534/91 des Rates vom 31.5.1991 über die Anwendung des Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft; geändert durch VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1. – VO (EWG) Nr. 479/92 des Rates vom 25.2.1992 über die Anwendung des Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien), ABl. 1992 L 55, S. 3; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S.1. – VO (EG) Nr. 1215/1999 des Rates vom 10.6.1999 zur Änderung der VO Nr. 19/65/ EWG des Rates vom 2.3.1965, ABl. 1965 P 36, S. 533 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1999 L 148, S. 1. – VO (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1999 L 336, S. 21. – VO (EG) Nr. 823/2000 der Kommission vom 19.4.2000 zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und auf-
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einander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien), ABl. 2000 L 100, S. 24; geändert durch VO (EG) Nr. 463/2004 vom 12.3.2004, ABl. 2004 L 77, S. 23 und die VO (EG) Nr. 611/2005, ABl. 2005 L 101, S. 10. VO (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. 2000 L 304, S. 3. VO (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission vom 29.11.2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. 2000 L 304, S. 7. Diese VO trat an die Stelle der VO (EWG) Nr. 418/85 der Kommission vom 19.12.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. 1985 L 153, S. 5, die zum 31.12.2000 außer Kraft getreten ist. VO (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. 2002 L 203, S. 30. Diese VO ersetzte die VO (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28.6.1995 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge, ABl. 1995 L 145, S. 25. VO (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. 2003 L 53, S. 8. Diese VO löste die VO (EWG) Nr. 3932/92 der Kommission vom 21.12.1992 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft, ABl. 1992 L 398, S. 7 ab, die zum 31.3.2003 auslief. VO (EG) Nr. 411/2004 des Rates vom 26.2.2004, ABl. 2004 L 68, S. 1 zur Aufhebung der VO (EWG) Nr. 3975/87 des Rates vom 14.12.1987, ABl. 1987 L 374, S. 1 und zur Änderung der VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987, ABl. 1987 L 374, S. 9 sowie der VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003 L 1, S. 1 hinsichtlich des Luftverkehrs zwischen der Gemeinschaft und Drittländern. VO (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27.4.2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. 2004 L 123, S. 11 (Korrektur des Datums auf 7.4.2004 durch ABl. 2004 L 127, S. 158). Diese VO ersetzte die gleichnamige VO (EG) Nr. 240/96 der Kommission vom 31.1.1996, ABl. 1996 L 31, S. 2. RL 2002/77/EG der Kommission vom 16.9.2002 über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl. 2002 L 249 S. 21. Diese löste die RL 90/388/EWG vom 28.6.1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, ABl. 1990 L 192, S. 10, ab. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen, ABl. 1968 C 75, S. 3 („Kooperationsbekanntmachung“). Bekanntmachung der Kommission über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 1979 C 1, S. 2. Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372, S. 5.
Vorschriftenverzeichnis
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– Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGVertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2. – Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 C 368, S. 13. Diese Bekanntmachung ersetzt die vorherige Bekanntmachung von 1997, ABl. 1997 C 372, S. 13. – Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81. – Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97. – Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000 C 291, S. 1. – Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3, S. 2. – Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Art. 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen ABl. 2004 C 101, S. 2. – Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 81. – Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 97.
Kartellverfahrensrecht – VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1, S. 1 (KartellverfahrensVO). Diese VO ersetzte mit Wirkung vom 1.5.2004 die VO (EWG) Nr. 17/62 des Rates vom 6.2.1962 – Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 1962 Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1216/1999 des Rates vom 10.6.1999, ABl. 1999 L 148, S. 5. – VO (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7.4.2004 über die Durchführung von Verfahren auf Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission, ABl. 2004 L 123, S. 18. – Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. 2004 C 101, S. 43 („Netzwerkbekanntmachung“). – Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 C 101, S. 54. Diese Bekanntmachung ersetzt die entsprechende Bekanntmachung von 1993, ABl. 1993 C 39, S. 6. – Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, S. 65. – Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. 2004 C 101, S. 78.
842
Vorschriftenverzeichnis
Fusionskontrolle – VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („Fusionskontrollverordnung“), ABl. 2004 L 24, S. 1. Diese VO ersetzte die VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1989 L 395, S. 1, berichtigte Textfassung ABl. 1990 L 257, S. 13. – VO (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7.4.2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 L 133, S. 1. – Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. 2005 C 56, S. 24. Diese Bekanntmachung ersetzt die vorherige Bekanntmachung von 2001, ABl. 2001 C 188, S. 5. – Bekanntmachung der Kommission über ein vereinfachtes Verfahren für bestimmte Zusammenschlüsse gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates, ABl. 2005 C 56, S. 32. – Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 C 31, S. 5.
Sonstiges – VO (EG) Nr. 1980/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.7.2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens (UmweltzeichenVO), ABl. 2000 L 237, S. 1. – VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12, S. 1. – RL 78/660/EWG des Rates vom 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. 1978 L 222, S. 11; zuletzt geändert durch die RL 2003/51/EG, ABl. 2003 L 178, S. 16. – RL 80/723/EWG der Kommission vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, ABl. 1980 L 195, S. 35; erweitert durch RL 85/413/EWG, ABl. 1985 L 229, S. 20; geändert durch RL 93/84/EWG, ABl. 1993 L 254, S. 16 und RL 2000/52/EG, ABl. 2000 L 193, S. 75. – RL 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.6.1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. 1998 L 204, S. 37. – RL 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen (Zugangs-Richtlinie), ABl. 2002 L 108, S. 7.
Vorschriftenverzeichnis
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– RL 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungs-Richtlinie), ABl. 2002 L 108, S. 21. – RL 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. 2002 L 108, S. 33. – RL 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienst-Richtlinie), ABl. 2002 L 108, S. 51. – RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der VO (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149, S. 22.
Sachwortverzeichnis
Die Ziffern beziehen sich auf die Randnummern. Aalborg Portland 381 Absatz, Einschränkung - Festlegung Kartelle 627 ff. - Formen 1300 ff. - indirekt 1303 f. - Kontrolle 631 - Leistungsverweigerung 1295 ff. - Meldesysteme 631 - Missbrauch 1294 ff. - Rabatte 1302 - Rechtfertigung 1296 - Spezialisierungs-GVO 831 - wirtschaftliche Interessen 1294 ff. Absatzzielbestimmungen - F&E-GVO 836 - Spezialisierungs-GVO 831 Akteneinsicht - Fusionskontrolle 1897 - Kartellverfahren 1519 ff. AKZO 1365 ff. Alleinvertriebssysteme - Franchise-Systeme s. dort - KFZ-GVO s. dort - Marktaufteilung 633 - Spezialisierungsvereinbarungen s. dort - TT-GVO s. dort Allokationsfunktion 13 Almelo 2028 Amtshilfe - Fusionskontrolle 1889 f. - Kartellverfahren 1452 f. Ancillary-restraints-Doktrin 1723 Andienungspflichten 2014 f. Andorra 62 Angemessenheit - allgemein 102, 107 - Geschäftsbedingungen 1265 f.
- Gewinnbeteiligung der Verbraucher 919 ff. - Preis 1247 ff. Anhörung - Fusionskontrolle 1896 ff. - Kartellverfahren 1515 ff. Ankaufspreise, Festsetzung 622 ff. Anmeldung - Fusionen 1843 ff. - Kartelle 132, 1472 Anrechnung - Bußgelder außerhalb EU 1595 ff. - Bußgelder innerhalb EU 1594 Anteilserwerb 1682 Anwendungsbereichsbegrenzungen - Bagatellgrenze 74 f. - De-minimis-Regel 74 f. - Eingliederungen in Unternehmen 65 f. - Rule of Reason 67 ff. - Umweltschutz 710 ff., 720 ff. - Wettbewerbsförderung 71 ff., 713 ff. Anwendungsvorrang EG-Kartellrecht - doppelter Prüfungsmaßstab 142 - entscheidungsbezogene Betrachtung 137 - Grundlage 135 ff. - Gruppenausnahmen 156 - Hintergrund 140 - nationale Gerichte 189 f. - nationale Sonderwege 159 ff. - Nichtaufgreifen des Verfahrens 137 - Übereinstimmung mit nationalem Recht 137 - Verschränkung mit nationalem Recht 146 ff.
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Sachwortverzeichnis
(Anwendungsvorrang EG-Kartellrecht) - VO 1/2003 141 ff., 146 ff., 1462 ff. - Weiße Listen 156 - zweigleisiges Verfahren 138 AOK 346, 348, 2002, 2004 Appellate Body 234, 241 Arbeitgeberverbände - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2027 - Unternehmen 354 Arbeitsgemeinschaften 1082 ff. Arbeitsvermittlung 1995, 2032 Atomkraft 129 Aufteilung Märkte/Versorgungsquellen 632 ff. Ausgründung 378 Auskunftspflichten - Auskunftsverbot 217 - in Drittstaatsfällen 216 ff. Auskunftsverlangen - Auskunftsverweigerungsrechte 1530 ff., 1887 - einfaches 1478 - Fusionskontrolle 1882 ff. - qualifiziertes 1479 - Wahlrecht Kommission 1480 - Wirkung 1481 Auskunftsverweigerungsrechte - Auskunftsverlangen 1530 ff., 1887 - Unternehmensvereinigungen 1532 f. Ausnutzung, missbräuchliche - Absatzeinschränkung 1294 ff. - Beispielstatbestände 1235 ff. - Diskriminierung 1305 ff. - Einschränkung Absatz 1294 ff. - Einschränkung Entwicklung 1270 ff. - Einschränkung Erzeugung 1273 ff. - Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen 1242 ff. - essential facilities 1354 ff. - Generalklausel 1236 ff., 1344 ff. - Geschäftsverweigerung 1350 ff. - grenzüberschreitende 1400 ff. - kollektive 1399 - Konzeption 1229 ff. - Leistungsverweigerung 1294 ff.
-
Lieferungsverweigerung 1277 ff. Lizenzverweigerung 1284 ff. Oberbegriff 1239 Offenheit Tatbestand 1235 ff. Spürbarkeit 1408 ff. Unternehmenszusammenschlüsse 1377 ff. - Zusatzleistungen, sachfremde 1329 ff. Ausschaltung Wettbewerb - Begriff 962 ff. - Marktbeherrschung 964 ff., 973 ff. - Maßstab 973 ff. - möglicher Marktzugang 980 ff. - Restwettbewerb 977 ff. - Untersuchungsansatz 970 ff. Ausschließliche Rechte - Begriff 1995 - Rahmenbedingungen 2014 ff. - Übertragung 1997 Ausschließlichkeitsbindungen - KFZ-GVO 823 Außerökonomische Belange 11 f. Austritt Mitgliedstaat 63 Auswirkungsprinzip - Exporte in Drittstaaten 209 - Importe aus Drittstaaten 208 - Inhalt 198 - völkerrechtliche Grenzen 206 - Vorteile 202 - weltmarktbezogene Wettbewerbsbeschränkungen 210 - Zuständigkeit 212 Bagatellbekanntmachung - Bedeutung 496 ff. - Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels 496 f., 646 - Bindungswirkung 498 f. - Inhalt 500 ff. - Kartellverbot 496 ff. - Kernbeschränkungen 505 ff. - Missbrauchsverbot 1411 f. - Rechtsfolgen 510 ff. BAT Reynolds 1382 Bayer 417 f. Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels: s. Eignung Beeinträchtigung Befragungen - Anschlussfragen 1492 ff. - Kartellverfahren allgemein 1482 f. - Nachprüfung 1490 ff.
Sachwortverzeichnis Begünstigte s. Berechtigte Beherrschende Stellung - Abstand Wettbewerber 1206 ff. - Anhaltspunkte 1160 ff., 1198 ff. - Beherrschung Wettbewerb 1164 f. - Beispielstatbestände 1224 f. - EGKS 1166 - kommerzielle Überlegenheit 1216 f. - Marktanteil 1200 ff. - Marktergebnisse 1226 ff. - Marktführer (Struktur) 1215 ff. - Marktgesamtstruktur 1208 ff. - Marktstruktur 1198 ff. - Marktunabhängigkeit 1160 ff. - Marktverhalten 1224 ff. - Marktzutrittsschranken 1211 ff. - Nachfragemacht 1222 f. - technologische Leistungsfähigkeit 1221 - Unternehmensgröße 1218 ff. Beherrschung des Wettbewerbs 1164 ff. Beihilfenverbot - Beeinträchtigung 78 - Daseinsvorsorge 2056 - Diskriminierungsverbot 81 - Grundfreiheiten 111 ff. - Kartellverbot 294 f. - öffentliche Unternehmen 2056 - Rechtfertigung von Beeinträchtigungen 95 f. - Schranken der Rechtfertigung 102 - Stellenwert 111 ff. Beispielskatalog - Kartellverbot 618 ff. - Missbrauchsverbot 1242 ff. Beitritt Mitgliedstaat 63 Beitrittsakte von 1972, Protokoll zu 62 Bekanntmachungen Kommission s. auch Leitlinien der Kommission - Beratungsschreiben 1562 ff. - Beschwerden 1634 ff. - Netzwerk 1430 ff. Beliehene - besondere Rechte 1996 - Missbrauchsverbot 1151, 1169 - Prüfung Straßenverkehrszulassungsvorschriften 1169 - staatliches Verhalten 1963 Benachteiligung - Diskriminierung 1307 f., 1328
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- Handelspartner 635 ff., 1305 ff., 1326 f. Beratender Ausschuss - Anhörung 1446 ff. - Erörterungen 1452 - Schiedsstelle 1450 - Zusammensetzung 1451 Beratungsschreiben 730, 1562 ff. Berechtigte 45 f., 60 f. Berufsausübungsregeln 582 ff. Berufsfreiheit 114, 118, 527 Berufsverbände 383 Beschlüsse Unternehemensvereinigung 438 ff. Beschränkungsverbot 80, 82 Beschwerde(verfahren) - berechtigtes Interesse 1635 ff. - Formblatt 1632 - Fusionskontrolle 1890 - Prüfungsschwerpunkte 1641 f. - Rechte Beschwerdeführer 1647 ff. - Verfahrensablauf 1638 ff. - Verfahrenseinleitung 1648 - Verfahrensschritte 1644 ff. - Zulässigkeit 1630 ff. - Zurückweisung 1649 ff. Besondere Rechte - Begriff 1996 - Übertragung 1997 Bestattungen (Konzessionen) 1995 Beteiligungsgesellschaften 1742 Betrauung - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2034 ff. - Flexibilisierung 2035 - Sonderrechte 1997 Betriebsrentenkassen 2002 f. Beurteilungsspielraum - Freistellungen 740 - Fusionskontrolle 1790 ff., 1944 - Kartellverfahren 1608 f. Beweisverwertung 1440 ff. Bewirkung Wettbewerbsverfälschung - Adäquanz 612 f. - Kausalität 608 ff. - kumulative Wirkungen 608 ff. - Marktverhältnisse 604 ff. - objektive Betrachtung 614 ff. - Prüfungsreihenfolge 591, 604 ff. - Spürbarkeit 617 Bezugsbindungen, kollektive 628
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Sachwortverzeichnis
Bezugspflichten - kollektive 628 - Nebenabrede Verhältnismäßigkeit 1735 Bezweckung Wettbewerbsverfälschung - Anhaltspunkte 602 f. - Beispielstatbestände 603 - Eignung zu 592 ff. - Kernbeschränkungen 595 ff. - Prüfungsreihenfolge 591 - wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit 598 ff. BGB-Gesellschaften 383 Bierlieferungsverträge 605 Binnenmarkt 1 ff. Boykottabsprachen - Unterlassungsansprüche 1099 Briefbeförderung, Kostenausgleich 2053 Bronner 1280 Bundesagentur für Arbeit 2032 Bürgernähe 998 ff. Bußgeld - Anpassung durch Rspr. 1580 f. - Anrechnung 1579, 1594 ff. - Bemessung 1569 ff. - Berücksichtigung anderer Bußgelder 1579 - Charakter 1586 ff. - Durchgriffshaftung 1582 f. - Funktion 1569 - Fusionskontrolle 1948 - Gesamtschuld 1584 f. - Grenzen, allgemeine 1577 ff. - Kartellverstoß 1567 ff. - Kronzeugenregelung 1574 ff. - Leitlinien Kommission 1571 ff. - Prüfungsdichte 1610 f. - Rechtsschutz 1610 ff. - Strafrecht 1585 ff. - Verjährung 1591 - Verwaltungsrecht 1586 ff. - Völkerrecht 1579 - Zahlungspflicht 1582 f. - Zwangsvollstreckung 1589 Bußgeldanrechnung 138 Cassis-Formel - Freistellungen 985 ff. - Inhalt 90 - private Maßnahmen 93, 97 ff.
- staatliche Maßnahmen 94 ff., 1977 ff. - Übertragbarkeit 91 ff. Chancengerechtigkeit 19 Chancengleichheit 20 ff. CNSD 1969 Comfort letter 133, 727 Continental Can 282, 285, 1659 ff. Corbeau 2015, 2049 ff. Crespelle 2018 Daseinsvorsorge - allgemein 2026 - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse s. dort - Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts 2083 f. - genetische Aspekte 2076 ff. - Gestaltungspflicht 2093 ff. - Grundlagen EG 2072 ff. - Sorgepflicht 2093 f. Dassonville-Formel 76 ff. Dauerbezugsvereinbarungen 605 ff. De-minimis-Regel - Anwendungsbereichsbegrenzung 74 f. - Kartellverbot 493 ff. - Missbrauchsverbot 1411 f. Delimitis 67, 604 ff., 721 Deutsche Bahn 1315, 1321 Deutsche Post 1298, 1995, 2011, 2032, 2051 Dienst(leistung)e(n) von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse - Abwägungsbelang 2081 ff. - Arbeitgeberverbände 2027 - Arbeitsvermittlung 2032 - Aufgaben 2027, 2098 f. - Begriff 1998 ff., 2026 ff. - Behinderung Aufgabenerfüllung 2038 ff. - Betrauung 2034 ff. - Bundesagentur für Arbeit 2032 - Entsorgung 2033 - Gemeinschaftspolitiken 2100 ff. - Gemeinwohlbezug 2026 ff. - Gestaltungsauftrag 2093 ff. - Gesundheitsschutz 2044 f. - Gewerkschaften 2027 - Gleichbehandlung 2103 ff.
Sachwortverzeichnis (Dienst(leistung)e(n) von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) - Handelsverkehr, Einschränkung 2057 f. - Kostenausgleich 2051 f. - Liberalisierung 2026 - Mitgliedstaaten 2106 ff. - Post 2032 - Privatisierung 2101 - Rang 2090 ff. - rechtliche Gestaltung 2064 ff. - Rechtsform 2026 - Rechtsgrundlagen 2023 ff. - Richtlinien 2068 ff. - Serviceleistungen 2028 - services publics 2024 - Sonderpflichten 2026, 2040 ff. - Sonderstellung 2023 ff. - Stellenwert 2087 - Stromversorger 2028 - Telekommunikationsdienste 2028 - Überwachung 2027 - Umweltschutz 2044 f. - Verkehrsdienste 2028 - Versorgungsdienste 2028 ff. - Wasserversorgung 2031 - Wettbewerbsregeln 2038 ff., 2081 ff., 2088 ff. - Zugangsanspruch 2077 Dienstleistungen, gemeinwohlbezogene 2023 ff., 2078 Diskriminierung - allgemeines Diskriminierungsverbot 1307 f. - Benachteiligung im Wettbewerb 1328 - Generalklausel 1309, 1347 ff. - Geschäftsverweigerung 1305 - Gleichwertigkeit Leistungen 1319 ff. - Handelspartner 635 ff., 1305 ff., 1326 f. - Kartellverbot 635 ff., 1310 - leistungsbezogene 1311 f. - Leistungsverweigerung 1350 ff. - marktbezogene 1313 ff. - Missbrauchsverbot 1305 ff. - Rechtfertigung 1316 ff. - Treuerabatte 1305 Diskriminierungsverbot - Wettbewerbsregeln als 80 f.
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- Diskriminierung Handelspartner 1307 f. - Missbrauchsverbot 1307 f. Diskriminierungsvereinbarungen - Benachteilung Handelspartner 635 ff., 1305 ff., 1326 f. - Unterlassungsansprüche 1099 Dispute Settlement Body 234, 241 Dopingkontrollen 360 Doppelbestrafungsverbot 1593 Downloadable music (Markt) 1765 Drittstaatsunternehmen - Auswirkungsprinzip 198 f. - Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels 655 - Bußgeldanrechnung 1579, 1595 ff. - Durchführungsprinzip 200 ff. - Durchsetzungshemmnisse 211 ff. - Fusionen 221 ff. - Kartellverbot 386 ff. - Konstellationen 194 ff., 208 ff. - Territorialitätsprinzip 197 ff. - unmittelbare Wirkung 207 - völkerrechtliche Vorgaben 203 ff. DSB 234, 241, 252 DSD 694, 1961 f., 2033 DSU 234, 240 Duale Wettbewerbsordnung 142 Duldungspflicht - Fusionskontrolle 1893 - Kartellverfahren 1498 f. Durchführungsprinzip - Fusionskontrolle 222 - Inhalt 200 - Zellstoff-Fall 201, 222 Durchgriffshaftung - Bußgelder 1582 f. Durchsetzung - verglichen mit Grundfreiheiten 47 ff. Durchsetzungshemmnisse - international 211 ff. Effizienzpflicht 1253 f. EGKS - beherrschende Stellung 1166 - Kartellverbot 298 f. - Unternehmen 344 Eigenbedarfsdeckung - TT-GVO 812
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Sachwortverzeichnis
Eigenbetriebe 1998 Eignung Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels - allgemein 640 ff. - Drittstaatsmärkte 656 f. - Drittstaatsunternehmen 655 - Eignung 664 ff. - Gesamtbetrachtung 672 f. - Marktanteil 683 - Missbrauchsverbot 1400 ff. - NAAT-Regel 684 - Spürbarkeit 679 ff. - Tatsachen (notwendige) 674 f. - Ursachen 676 ff. - Vertragsziele 670 f. - Wettbewerbsstruktur 668 f. Einflusserwerb 1682 ff. Einführungsrabatte 1316 Eingliederung in Unternehmen - Anwendungsbereichsbegrenzung 65 f. - Handelsvertreter 355 ff. - Konzerne 373 ff. Einkaufspreise - Erzwingung 1242 ff. - Niedrigpreise 1370 - unangemessene 1247 ff. Einkaufsvereinbarungen - Auftreten 1048 ff. - Freistellung 1054 - Wettbewerbsbeschränkung 1051 f. Einschränkung - Absatz 627 ff., 1294 ff. - Entwicklung 630, 1270 ff. - Erzeugung 627 ff., 1273 ff. Einschreiben mit Rückschein - in Drittstaaten 213 Einstweilige Maßnahmen - Fusionskontrolle 1880 f. - Kartellverfahren 1538 f. - Rechtsschutz 1617 f. Einzelfreistellungen s. auch Freistellungstatbestände - Abwägung 858 ff. - Beweislast 764 ff., 868 ff. - Einkaufsvereinbarungen 1054 - F&E-Vereinbarungen 1033 ff. - Förderung des technischen Fortschritts 883 ff. - Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts 886 ff.
- Freistellungsgründe 876 ff. - gemeinsame Vermarktung 1064 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen 757 f., 936 ff. - In-dubio-Regel 863 - Informationsaustausch 1081 - Kernbeschränkungen 846 f., 938 ff. - Kumulativität Voraussetzungen 759 ff. - Leitlinien horizontale Vereinbarungen 1023 ff. - Marktaufteilungen 1016 - nachhaltige Entwicklung 855 - Normenvereinbarungen 1070 f. - Preisfestlegungen 1016 - Produktionsvereinbarungen 1046 f. - Quotenfestlegungen 1016 - räumlich 947 - Spezialisierungsvereinbarungen 1046 f. - spürbare Vorteile 844 f. - Strukturkrisenkartelle 1019 ff. - Stufenbezogenheit 942 ff. - Tatsachengrundlage 873 ff. - Typenvereinbarungen 1070 f. - Umweltschutzvereinbarungen 1075 - Unerlässlichkeit 928 ff. - Verbesserung der Warenerzeugung 876 ff. - Verbesserung der Warenverteilung 880 ff. - Verbrauchernutzen 897 ff. - Wahrscheinlichkeitsbeurteilung 864 ff. - zeitlich 945 f. E-Mails - Ansprache Kunden 796 - Nachweis 401 Energieversorger 1354 ff., 2028 Enger Markt 1180 Entscheidungsspielraum - Freistellungen 740 Entsorger 2033, 2042, 2044 f., 2048 Entwicklung, Einschränkung - Bedeutung 1270 - Festlegung (Kartelle) 630 - Kontrolle 631
Sachwortverzeichnis (Entwicklung, Einschränkung) - Patentverletzungsklagen 1272 - Sperrpatente 1272 - Vorenthaltung 1271 Erfahrungsaustausch 1077 Erforderlichkeit - Begriff 101 - Beihilfenverbot 102 - Unerlässlichkeit 101 Ermittlungsbefugnisse - Drittstaatsfälle 216 ff. - Fusionskontrolle 1882 ff. - Kartellverfahren 1473 ff. Ersetzungsklauseln 1095 ERT 2018 Erwerbswirtschaftliche Betätigung Kommunen 2043, 2053 f. Erzeugung, Einschränkung - Festlegung (Kartell) 627 ff. - Kontrolle 631 - Lieferungsverweigerung 1277 ff. - Lizenzverweigerung 1284 ff. - Meldesysteme 631 - Produktionseinschränkungen 1273 ff. - Vereinbarungen 1276 Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen - Erzwingung 1242 ff., 1267 - Geschäftsbedingungen 1264 - Hinnahme 1244 - mittelbar 1245 - Preise 1247 ff. - unangemessen 1247 ff., 1265 f. - unmittelbar 1245 Essential facilities (doctrine) - Antitrust-Recht 1355 - Anwendungsbereich 1354 ff. - EG-Kartellrecht 1283 - Kapazitätsgrenzen 1360 - Lizenzverweigerung 1282 ff. - Netzzugang 1354 ff. - Ursprung 1282, 1355 - USA 1282, 1355 - Zugangsberechtigung 1357 f. - Zugangsschranken 1359 f. EuGVO 1101 Eurocontrol 370 Europäische Verfassung s. Verfassung für Europa (Entwurf) Exklusivlizenzen
851
- TT-GVO 809 f. Exportkartelle in Drittstaaten 209 Exportverbote - in Gemeinschaft 209 F&E-GVO - Anwendungsbereich 833 - Bedingungen 834 - Freistellungsdauer 835 - Kernbeschränkungen 836 - Marktanteilsschwellen 835 - TT-GVO 803 F&E-Vereinbarungen - F&E-GVO s. dort Fahrpreise Bahn 1315 Fair trial 1587 Fallverteilungsphase 1435 f. Farbstoff-Fälle 198, 201, 469, 475 Färöer 62 Fernsehen - Monopole 1995 - Programmführer 1277 - Übertragungsrechte 980 f. Field-of-use-Klausel 810 Finanzmonopole 2023 ff., 2037 Fixkosten - Begriff 1366 - Niedrigpreise 1366 Flaschenmilch (Markt) 1940 Flughafen - Bodenabfertigungsdienste 2012 - relevanter Markt 1195 Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts 2083 f. Forschung und Entwicklung(svereinbarungen) - Bedeutung 1024 - Forschungspole 1027, 1035 - Freistellungen 1031 ff. - GVO s. F&E-GVO - Leitlinien horizontale Vereinbarungen 1025 ff. - Nebenabreden 1036 - Spillover 1029 - Unerlässlichkeit 1035 f. - Wettbewerbsbeschränkung 1026 ff. Forschungspole, selbstständige 1027, 1035 Forschungspolitik - Freistellung 854
852
Sachwortverzeichnis
Forum shopping 181 Franchise-Systeme - Vertikal-GVO 785 - Wettbewerbsförderung durch 72 Freiheitssystem, europäisches 123 Freistellungen - Einzelbereiche s. Gruppenfreistellungsverordnungen - Einzelfreistellungen s. dort - Freistellungstatbestände s. dort - Fusionskontrolle 1719 ff. - Gruppenfreistellungen 744 ff., 767 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen s. dort - Leitlinien 741 ff. - staatliches Verhalten 94 ff., 1971 ff. Freistellungsentscheidungen 727 Freistellungsgründe s. Freistellungstatbestände Freistellungstatbestände - Abgrenzung 850 - Abwägung 858 ff. - Allgemeines 844 ff. - Ausschaltung Wettbewerb 962 ff. - Bestimmtheit 739 f. - Beurteilungsspielraum 740 - Beweislast 868 - Cassis-Formel 985 ff. - Einzeltatbestände 876 ff. - Erweiterung 985 ff. - Förderung des technischen Fortschritts 883 ff. - Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts 886 ff. - Forschungspolitik 854 - Fusionskontrolle 1720 - Gemeinsamer Markt 851 ff. - Gewinnbeteiligung Verbraucher 897 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen s. dort - Industriepolitik 857 - Lauterkeit Handelsverkehr 986 - Legalausnahme 725 ff. - Schutz geistigen Eigentums 986 - Selbsteinschätzung Unternehmen 728 ff. - staatliches Verhalten 94 ff., 1971 ff.
-
Strukturpolitik 854 technischer Fortschritt 883 ff. Technologiepolitik 854 Umweltschutz 855 ff., 861 ff., 890 ff., 986, 1003 ff. - Unerlässlichkeit 928 ff. - unmittelbare Wirkung 738 - Verbesserung der Warenerzeugung 876 ff. - Verbesserung der Warenverteilung 880 ff. - Vertragsziele 1003 ff. - wirtschaftlicher Fortschritt 886 ff. - zukunftsbezogene Wahrscheinlichkeitsbeurteilung 864 ff. Funktionsidentität (mit Grundfreiheiten) 33 f. Fusionen 1673 ff. - internationale 195, 221 ff. - Kontrolle s. Fusionskontrolle - Vollzugsverbot 223 f. Fusionskontrolle - Abgrenzung Kartellverbot 287 ff. - Airtours 1814 ff. - Anhörung 1896 ff. - Anmeldung 1843 ff. - Antragsinhalt 1861 - Antragsrücknahme 1864 ff. - Antragsveröffentlichung 1863 - Anwendungsbereich 1668 ff. - Auskunftsverlangen 1882 ff. - BaByliss 1799 ff. - BAT Reynolds 1382 - Belange von Mitgliedstaaten 1917 f. - Beschwerderecht 1900 - Beteiligungsgesellschaften 1742 - Beurteilungsmaßstab 1756 ff. - Beweisanforderungen 1790 ff. - Continental Can 1659 ff. - Drittstaatsunternehmen 221 ff. - Duldungspflicht 1893 - Effizienzvorteile 1831 ff. - Entscheidungsformen 1924 ff. - EuGH 1659 ff. - Fiktion 1931 - Fristen 1928 ff. - Geldbußen 1948 - Gencor 1814 ff. - Grundlagen 1656 - Hebelwirkungen 1799 ff.
Sachwortverzeichnis (Fusionskontrolle) - Honeywell 1796 f. - horizontaler Zusammenschluss 1829 - Kartellverbot in 1701 ff. - kollektive marktbeherrschende Stellung 1812 ff. - Marktanteilsschwellen 1779 ff. - Mitteilungspflicht 1938 - Nachprüfung 1888 ff. - nationale Behörden 1905 ff. - Nebenabreden 1723 ff. - Oligopole 1822 ff. - Philip Morris 1382, 1662 ff. - potenzieller Wettbewerb 1786 f. - Prävention 1667 - Prognoseunsicherheiten 1788 ff. - Rechtsschutz 1902, 1951 ff. - relevanter Markt 1763 ff. - Sanierungsfusionen 1835 ff. - Schadensersatz 1927 - Tetra Laval 1799 ff. - Umsatzschwellen 1743 ff. - Unternehmensauflösungen 1741 - Unternehmenszusammenschluss s. dort - Unvereinbarerklärung 1932 - Veränderung des Konzentrationsgrades 1810 ff. - Veräußerungsgeschäfte Finanzinstitute 1738 ff. - Vereinbarerklärung 1924 ff. - vereinfachtes Verfahren 1919 ff. - Verfahrenseinleitung 1869 ff. - Veröffentlichung Entscheidungen 1923 - vertikale Erweiterung 1827 - Verweisungen an Kommission 1858 ff. - Verweisungen an nationale Behörden 1847 ff., 1939 ff. - Vollzugshemmung 1879 ff. - Wettbewerbsbehinderung 1769 ff. - Zeitpunkt Anmeldung 1843 ff. - Zusagen 1874 ff. - Zwangsbefugnisse 1894 f. - Zwangsgelder 1949 f. - Zweck 1657 f., 1666 f. Fußballsenderechte - Marktzugangsrechte 979 ff.
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GATS 234 GATT - Entwicklung 232 - Europarecht 243 ff., 251 ff. - Gehalt 235 ff. - Inländergleichbehandlung 237 - Meistbegünstigung 236 - Nichtdiskriminierung 239 - Panelverfahren 241 - Streitbeilegung 240 f. - unmittelbare Wirkung 253 ff. - Verbot mengenmäßiger Beschränkungen 238 f. Gebietsaufteilungen - horizontal 1015 - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 807, 810 - Vertikal-GVO 797 Gebietslizenz - Freistellung 935 Gebietsquoten - Drittstaatsunternehmen 209 Gebietsschutz, absoluter - Einzelfreistellung 935 - Freistellung 847 Geistiges Eigentum - F&E-GVO 834 - Nebenabreden 1729 ff. - TT-GVO 802 - Vertikal-GVO 785 Geltungsdauer 63 Gemeinsamer Markt - Freistellungstatbestände 851 ff. - Wettbewerb 1 ff. Gemeinschaftsunternehmen - Fusionskontrolle 1691 ff. - horizontale Vereinbarungen 1013 ff. - Kartellverbot 575 ff., 628 f., 1084, 1692, 1701 ff. - Spezialisierung 629 - Verkaufsbeschränkung 628 - Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen 1693 ff. - Wettbewerb mit Gründerunternehmen 575 ff. - Wettbewerbsförderung 1084 Gemeinwohlverpflichtungen, besondere 2026 ff., 2046 ff. Gencor 222, 1814 ff.
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Sachwortverzeichnis
Genehmigungs-Richtlinie (Kommunikationsnetze) 2071 Generalklausel (Missbrauchsverbot) - Behinderung Wettbewerb 1361 ff. - Beispielstatbestände 1344 ff. - Diskriminierungen 1347 ff. - essential facilities 1354 ff. - Geschäftsverweigerung 1350 ff. - Lizenzverweigerung 1352 - Lückenfunktion 1344 ff. - Monopole Infrastruktur 1354 ff. - netzgebundene Wirtschaftszweige 1372 ff. - Niedrigpreise 1364 ff. - Unternehmenszusammenschlüsse 1377 ff. - Zugangsberechtigung 1357 f. - Zugangsschranken 1359 f. Genossenschaften 383 Gentlemen´s Agreements - Vereinbarungen Kartell 400, 402 - Umweltschutzvereinbarungen 1072 Gerechtigkeitsfunktion 23 Gerichte, nationale - Abweichungsverbot (von Kommission) 188 f. - Abstimmungspflicht 193 - Anrufung 186 - Gruppenfreistellungsverordnungen 754 - Informationsaustausch mit Kommission 187 - künftige Kommissionsentscheidungen 190 - Leitlinien 741 ff. - Vorlageverfahren 192 - Zusammenarbeitspflicht 190 ff. Gerichtsstand 1101 Gesamtschuld - Bußgelder 1584 f. Gesamtumsatzrabattkartelle 636 Geschäftsbedingungen - Begriff 1264 - Erzwingung 1242 ff., 1267 - Festsetzung (Kartell) 626 - Preise 1247 ff. - unangemessene 1247 ff., 1265 f. Geschäftsgeheimnisse, Schutz 1523 ff. Geschäftsöffnungszeiten 626
Geschäftsräume, Schutz vor Nachprüfungen 1508 Gesetzgebung 693 ff. Gestaltungsspielraum, legislativer 768 Gestehungskosten 1251 f. Gewährleistungsaufgabe Wettbewerbsaufsicht 44 Gewährträgerhaftung, staatliche 1987 Gewerbliche Schutzrechte - Nebenabrede Fusionskontrolle 1729 - Nebenabreden 1729 ff. Gewerkschaften 2027 - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2027 - Unternehmen 354 Gewinn - Beteiligung Verbraucher 919 ff. - finanziell 908 ff. - Gemeinwohl 913 ff. - Leistungsverbesserung 911 f. - Verbraucher 900 ff. - Wahrscheinlichkeit 903 ff. - zeitlich 917 f. Gewinnbeteiligung Verbraucher - Angemessenheit 919 ff. - finanzielle Vorteile 908 ff. - Fusionskontrolle 1721 - Gemeinwohlbelange (Verbesserung) 913 ff. - Inhalt 897 ff. - Leistungsverbesserungen 911 ff. - Umweltverbesserung 915 f. - Wahrscheinlichkeitsbeurteilung 903 ff. - Zeitgewinn 917 f. Gibraltar 62 Gleichbehandlung - Diskriminierungsverbot 1307 f. - Handelspartner 635 ff., 1307 ff. - öffentliche Unternehmen 1987, 2103 ff. - Wettbewerbsregeln 21 Gleichheitsfunktion 20 f. Gleichwertigkeit Leistungen 1319 ff. Grenzüberschreitung - allgemein 58 f. - Fusionskontrolle 1743 ff. - Kartellverbot 640 ff. - Missbrauchsverbot 1400 ff.
Sachwortverzeichnis Grundfreiheiten (im Bezug auf Wettbewerbsregeln) - Abgrenzung 109 ff. - allgemeine Marktfreiheit 38 ff. - Beeinträchtigung 76 ff. - Funktionszusammenhang 33 ff. - Idealkonkurrenz 113 - Rechtfertigung von Beeinträchtigungen 83 ff. - Rechtfertigungsschranken 100 ff. - Struktur 52 ff. - Übertragbarkeit von Rechtfertigungsgründen 87 ff. - unverfälschter Wettbewerb 15 - Wettbewerbsfreiheit als Grundfreiheit 42 ff. Grundrechte (im Hinblick auf Wettbewerbsregeln) - Abgrenzung 114 ff. - Ableitung 118 f. - Abwehrrechte 122 - Grundlagenfunktion 121 - Schutzpflichten 117 ff. - Überschneidungen 120 ff. - Unternehmerfreiheiten 114, 116, 121 - Unverletzlichkeit der Wohnung 122, 1508, 1891 Gruppenfreistellungen - Bedeutung 744 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen s. dort Gruppenfreistellungsverordnungen - Abschirmeffekt 751 - allgemeine Funktion 5 - Anforderungen 767 ff. - Ausnahmecharakter 753 - Beachtung von Primärrecht 750, 769 f. - Einzelfallbeurteilung 751 - Einzelfreistellungen 757 f. - Entzug 749, 777 ff. - Forschung und Entwicklung 833 ff. - Geltungsdauer 815 - Gestaltungsspielraum 768 - horizontale Vereinbarungen 828 - Kernbeschränkungen s. dort - KFZ 815 ff. - Konkretisierungsfunktion 748 f. - konstitutive Bedeutung 748
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Marktanteile s. dort Merkmale 775 ff. Prüfungsort 756 Reichweite 772 ff. Schwarze Listen 780 Spezialisierungsvereinbarungen 829 ff. - Technologietransfer 800 ff. - Unerlässlichkeit 936 ff. - unmittelbare Wirkung 754 - Verfahren 776 - Verhaltenspflichten 755 - Versicherungssektor 838 ff. - vertikale Koordinierungen 782 ff. - Verwerfungskompetenz 751, 754 Guerlain 137 f. GVG 1296, 1355 GVL 1296, 1298, 1309, 1350 GWB - einschlägige Tatbestände 162 ff. - Reform 131 -
Haecht 67 ff., 604 Hafenanlagen - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2030 - relevanter Markt 1195 - Zugangsmöglichkeiten 1354 ff. Hafenarbeiten (Exklusivrechte) 1995, 2032 Handelsbrauch - sachfremde Zusatzleistungen 1343 Handelsmonopole, staatliche 1992 Handelspartner - Begriff 1326 f. - Benachteiligung 635 ff., 1305 ff., 1326 f. - Diskriminierung 1307 f. Handelsverkehr, Einschränkung - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2057 ff. - Eignung zu 640 ff. Handelsvertreter - Eingliederung 355 f., 358 f. - EuGH 356 - Kommission 357 - Risikoverteilung 357 ff. Handlungsfreiheit, allgemeine 114, 527 Herfindahl-Hirshman-Index (HHI) - Fusionskontrolle 1810 f. - Produktionsvereinbarungen 1042
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Sachwortverzeichnis
Herstellungsverbote 629 Höchstpreise s. auch Preisabsprachen - horizontal 1014 - Kartellverbot 624 Höfner und Elser 2018, 2032 Hoheitsgewalt, begrenzte - in Gemeinschaft 175 ff. - international 211 ff. - Unternehmereigenschaft 370 f. Honeywell 1796 f. Horizontale Vereinbarungen - abgestimmte Verhaltensweisen 469 - F&E 833 ff. - Leitlinien 1023 ff. - Gruppenfreistellungen 773 - RahmenGVO 828 - Spezialisierungen 829 ff. - Versicherungen 838 ff. - Wettbewerbsbeschränkung 537 Horizontaler Zusammenschluss - Fusionskontrolle 1829 Hugin 1403 IFTRA-Fälle 589 Importkartelle in Drittstaaten 208 IMS Health 1285 ff. In-dubio-Regel 863 Informationsaustausch - abgestimmte Verhaltensweise 461, 464 ff., 488 ff. - Abschottungswirkung 1079 - Freistellung 1081 - vergangenheitsbezogen 551, 1080 - versicherungsrisikobezogen 839 - Wettbewerbsbehörden 1438 ff. - Wettbewerbsbeschränkung 550 ff., 1077 ff. Informelles Verhalten - abgestimmte Verhaltensweise 462 ff. - Vereinbarung Kartell 399 ff. Infrastruktureinrichtungen - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2029 - essential facilities 1354 ff. - Zugangsberechtigung 1357 f. - Zugangsgrenzen 1359 Inländergleichbehandlung (GATT) 237 Instandsetzungsdienstleistungen KFZ 824
Integrationsfaktor 1 ff. Intellektuelles Eigentum s. geistiges Eigentum International Fruit Company 245 f. Internationale Dimension s. Drittstaatsunternehmen Internationales Privatrecht 1100 Internet - KFZ-Handel 822 Internetmarktplätze 491 f. Irish Sugar 1407 Jahresbonus, vertraulicher 1316 Jahresumsatzrabatte 1302 Kalkulationsschemata, gemeinsame Erstellung 1077 Kammern 383 f. Kanalinseln 62 Kartell-/Missbrauchsverbot - Idealkonkurrenz 57, 278 ff. Kartellverbot - Anwendungsbereich 321 ff. - Beeinträchtigung 330 ff. - Beihilfenverbot 294 f. - Beispielskatalog 618 ff. - Bewirkung Wettbewerbsverfälschung 604 ff. - Bezweckung Wettbewerbsverfälschung 591 ff. - Binnenmarkt 275 ff. - Bußgeld 1567 ff. - Dassonville-Formel 76 - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2023 ff., 2079 ff. - Diskriminierungsverbot 80 - EGKS 298 f. - Einzelfreistellungen s. dort - Entwicklung 298 ff. - FKVO 287 ff. - Freistellung(statbestände) s. dort - Gesetz 693 ff. - Grundfreiheiten 267 f. - Gruppenfreistellungen s. dort - informelles Verhalten 399 ff. - Kausalität 700 ff. - Kommissionsverfahren 1570 ff. - Koordinierungen 389 ff. - laufende Geschäftsbeziehung 417 f.
Sachwortverzeichnis (Kartellverbot) - Missbrauchsverbot 57, 278 ff., 395, 1124 ff. - Nichtigkeitsfolge 1085 ff. - öffentliche Unternehmen 296 f. - Prüfungsdichte 1608 ff. - Prüfungsschema 342 - Rechtfertigung Beschränkungen 334 ff., 725 ff. - Reichweite (räumlich) 324 f. - relevanter Markt 553 ff. - Rule of reason 720 ff. - Sekundärrecht, Bedeutung 301 ff. - Selbsthilfe 589 f. - staatliches Verhalten 424 ff. 688 ff., 1954 ff. - Systematik 317 ff. - Umweltschutz s. dort - unlauterer Wettbewerb 580 ff. - unmittelbare Wirkung 301 - Unternehmen s. dort - VE 300 - Vereinbarungen 389 ff. - Verpflichtete 343 ff. - VO 1/2003 306 ff. - Wettbewerbseröffnung 713 ff. - Wettbewerbsverfälschung 513 ff. - Zweck 267 ff. - zwischenstaatlicher Handel, Beeinträchtigung 640 ff. Kartellverfahren(srecht) - Auskunftsverlangen 1477 ff. - Befragungen 1482 f. - Begriff 1423 - Beratungsschreiben 1562 ff. - Entwicklung 131 ff., 1424 - Ermittlungsbefugnisse 1477 ff. - Kommission 1427, 1434 ff. - Kommissionsverfahren 1470 ff. - Konkurrenzen Behörden 1454 ff. - Nachprüfungen 1484 ff. - nationale Wettbewerbsbehörden 1428, 1599 ff. - Netzwerk der Wettbewerbsbehörden s. dort - Rechtsschutz 1604 ff. - Selbsteintrittsrecht 1434 ff. - Umverteilung 1455 ff. - Untersuchung Wirtschaftszweige 1474 ff. - Verfahrensgrundsätze s. dort
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- Zuständigkeiten s. dort Kernbereichslehre 157 Kernbeschränkungen - Bagatellbekanntmachung 505 ff. - Einzelfreistellungen 846 f., 938 ff. - F&E-GVO 836 - Gruppenfreistellungen 780 - KFZ-GVO 821 ff. - Spezialisierungs-GVO 831 - Spürbarkeit 505 ff. - TT-GVO 807 ff. - Vertikal-GVO 793 ff. KFZ-GVO - Anwendungsbereich 817 ff. - Entstehung 815 - Entzug 816 - Gebietsbeschränkungen 822 - Internet 822 - Kernbeschränkungen 821 ff. - Kundenbeschränkungen 822 - Leitfaden 815 - Marktanteilsschwellen 819 - Verhaltensanforderungen 826 f. KFZ-Handel - KFZ-GVO s. dort - Missbrauchsverbot 1169 Kirchengemeinden 361 Klimavereinbarung 708 Know-how-Vorenthaltung - KFZ-GVO 825 Know-how-Verträge - Drittmärkte 659 - Nebenabreden 1729 Kohle 128 Kollektive beherrschende Stellung - Fusionskontrolle 1812 f. - Missbrauchsverbot 1391 ff. Kommerzielle Schutzrechte - Nebenabrede Fusionskontrolle 1729 Kommission - Beschwerde gegen 1630 ff. - Ermittlungsbefugnisse 1473 ff. - Federführung 183 ff. - Kooperation mit USA 231 - mögliche Handlungsweisen 1534 ff. - Rechtsschutz gegen 1605 ff. - Selbsteintrittsrecht 170, 1434 ff. - Zuständigkeit 169 ff., 1427
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Sachwortverzeichnis
Kommunale Unternehmen - erwerbswirtschaftliche Betätigung 2043, 2053 f. - Gestaltungsauftrag an Mitgliedstaaten 2108 f. - Nachteile 2108 - Örtlichkeitsprinzip, kommunales s. dort - Umsatzsteuerpflichtigkeit 2107 Konditionenkartelle 1014 Konflikt nationales/EG-Wettbewerbsrecht - grundsätzlich 135 ff. - Zusammenschau 146 ff. Konkurrentenausgrenzung - Unerlässlichkeit 955 ff. Konkurrentenrechtsschutz - Fusionskontrolle 1902, 1951 - Kartellrecht 1612 ff. Konkurrenz Wettbewerbsregeln - zu den Grundfreiheiten 57 Kontrollerwerb 1672, 1676 ff., 1687 ff. Konzerne, transnationale - Auskunftspflichten 218 - weltmarktbezogene Wettbewerbsbeschränkungen 210 Konzernverbünde 373 ff. Kooperationsabkommen - Japan 227 - Kanada 227 - Positive-Comity-Abkommen 230 - USA 227 ff. Kooperationsbekanntmachung - Informationsaustausch 1076 - Arbeitsgemeinschaften 1083 Koordinierung - Verhaltensweisen, abgestimmte s. dort - Beschlüsse Unternehmensvereinigung 438 ff. - Gründerunternehmen/GU 1699 ff. - staatliche Beteiligung 708 f. - Unternehmen 389 ff. - Vereinbarungen s. dort Koordinierungstatbestand 392 ff. Koppelungszwang - Versicherungssektor 840 Kostenausgleich, sonderpflichtenbedingter 2051 f. Kraftfahrzeugwesen - Gruppenfreistellung 815 ff.
Krankenkassen 363, 2002, 2004 Krankentransporte, Kostenausgleich 2053 Kreuzpreiselastizität 1183 Kronzeugen - Beweisverwertung 1442 - Bußgelderlass 1574 - Bußgeldermäßigung 1575 f. - mildernder Umstand 1576 - Regelung 1574 f. - Voraussetzungen 1574 f. Kundenaufteilungen - horizontal 1015 f. - Produktionsvereinbarungen 1042 - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 809 ff. - Vertikal-GVO 796 Kundendienst, gemeinsamer 1013 Künstler 360 Lagardère 1726 Lagergemeinschaften 1013 Landwirtschaft 127 Langnese-Iglo 604 ff. Leasingverträge - Vertikal-GVO 783 Legal professional privilege 1526 ff. Legalausnahme - Beurteilungsspielraum 740 - Europarechtskonformität 733 ff. - Konsequenzen 144 f., 725 ff. - Selbsteinschätzung Unternehmen 728 ff. - Systemwechsel 132 ff. Leistungserbringung, flächendeckende 2027, 2050 Leistungsfunktion 21 Leistungsverweigerung - Absatzeinschränkung 1294 f., 1297 ff. - Rechtfertigung 1296 Leitfaden - KFZ-GVO 815 Leitlinien der Kommission - Bindungswirkung 742 - Rechtscharakter 741 - Verbindlichkeit 743 Liberalisierung - Daseinsvorsorge 2026 - zwischenstaatlicher Handel 667 Lieferbindungen, kollektive 628
Sachwortverzeichnis Lieferboykott 638 Lieferhöchstgrenzen 627 Lieferkontingente 627 Lieferpflichten - Nebenabrede Verhältnismäßigkeit 1735 Lieferquoten 627 - Drittstaatsunternehmen 209 Lieferungsverweigerung - Absatzeinschränkung 1294 ff. - Anwendungsfälle 1277 - essential facilities doctrine 1282 f. - Lizenzverweigerung 1284 ff. - Kartellverbot 638 - Missbrauch 1278 ff. Lizenzvereinbarungen - Drittstaatsexporte 659 - Einzelfreistellung 935 - F&E-GVO 836 - Nebenabreden 1729 - TT-GVO 801 ff. - Übertragungsrechte 981 - Unerlässlichkeit 935 Lizenzverweigerung - IMS Health 1285 ff. - internationale 195 - Lieferungsverweigerung 1284 - Magill 1284 - Marktzutritt 1285 ff. - Microsoft 1288 ff. - Missbrauchsverbot 1284 ff. - Verdrängung 1288 ff. Luftverkehr 774 Magill 1277 ff., 1284 Man (Insel) 62 Markenvereinbarungen - TT-GVO 803 Markt, relevanter - Abnehmersicht 1176 f. - Angebotsbegrenzung 1188 ff. - Eigenschaften Erzeugnisse 1178 - enge Märkte 1180 - Fusionskontrolle 1763 ff. - Kartellverbot 553 ff. - Kreuzpreiselastizität 1183 - Massenprodukte 1179 - Missbrauchsverbot 1170 ff. - Nachfrageverhalten 1184 ff. - räumlich 556, 1184 ff., 1766 ff. - sachlich 558 ff., 1176 ff., 1765
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- Substituierbarkeit Leistungen 558 f., 1176 ff. - Wesentlichkeit 1191 ff. - zeitlich 557, 1196 f. Markt, wesentlicher 1191 ff. Marktabschottungseffekte - Beeinträchtigung zwischenstaatlicher Handel 644 f. - kumulative 606, 608 ff. Marktanteil - Abstand Wettbewerber 1206 ff. - Ausschaltung Wettbewerb 973 ff. - Berechnung 1200 ff. - Fusionskontrolle 1776 ff. - Gesamtstruktur 1208 ff. - Handelsbeeinträchtigung 683 - hoch 1205 - Kartellverbot 502 ff., 973 ff., 1029 - Missbrauchsverbot 1198 ff. - mittel 1206 f. - niedrig 1209 f. - Wettbewerbsverfälschung 502 ff. Marktanteilsschwellen - Kartellverbot (allgemein) 505 ff. - F&E-GVO 835 - Fusionskontrolle 1779 ff. - KFZ-GVO 819 - Spezialisierungs-GVO 830 - Spürbarkeit 502 ff. - TT-GVO 804 - Vertikal-GVO 790 ff. - Versicherungs-GVO 841 Marktaufteilungen - horizontal 1015 f. - Kartellverbot 632 ff. - Produktionsvereinbarungen 1042 - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 809, 811 - Versicherungs-GVO 843 - Vertikal-GVO 797 Marktforschung, gemeinsame 1077 Marktfreiheit, allgemeine - Auslegungsdeterminante 40 f. - Gemeinschaftsgrundrecht 38, 41 - Grundfreiheiten 38 ff. - Grundrechte 39 - Justiziabilität 38, 41 - Wettbewerbsregeln 38 ff. Marktgesamtstruktur - Missbrauchsverbot 1208 ff. Marktinformationsverfahren 1076 ff.
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Sachwortverzeichnis
Marktunabhängigkeit - Missbrauchsverbot 1160 ff. Marktwirtschaft, offene - Entwicklung 8, 10 - Interpretationsbedeutung 28 Marktzugang, möglicher - Ausschaltung Wettbewerb 980 ff. Marktzutrittsschranken - Fusionskontrolle 1786 f. - Kartellverbot 572 ff. Missbrauchsverbot 1211 ff. Maschinenbau Ulm 71 Maßnahmen gleicher Wirkung 419 ff. Masterfood 191 Meistbegünstigungsgrundsatz 236 Meistbegünstigungsklauseln - Kartellverbot 625 Meldesysteme - Absatz 631 - Erzeugung 631 - Preis 623 Mengenfestlegungen - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 807 Mengenrabatte 1302 Merci 2018 Microsoft 1288 ff. Milderes Mittel 928 ff. Mindestpreise s. auch Preisabsprachen - horizontal 1014 - Kartellverbot 624 Missbrauch s. Ausnutzung, missbräuchliche Missbrauchsverbot - Absatzeinschränkung 1294 ff. - Anwendungsbereich 1151 ff. - Ausnutzung, missbräuchliche s. dort - Bedeutung 1107 ff. - beherrschende Stellung s. dort - Beispielstatbestände 1242 ff. - Bußgeld 1567 ff. - Dassonville-Formel 77 - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2023 ff., 2079 ff. - Diskriminierungsverbot 80 f., 1305 ff., 1347 ff. - Eignung Handelsbeeinträchtigung 1400 ff. - Einschränkung Absatz 1294 ff.
- Einschränkung Entwicklung 1270 ff. - Einschränkung Erzeugung 1273 ff. - essential facilities doctrine 1354 ff. - FKVO 1133 ff. - Funktion 1107 ff. - Generalklausel 1236 ff., 1344 ff. - Geschäftsverweigerung 1277 ff., 1350 ff. - Gesetze 693 ff. - grenzüberschreitendes 1400 ff. - Kartellverbot 57, 278 ff., 395, 1124 ff. - Kausalitätserfordernis 1120 f. - kollektiv 1391 ff. - Leistungsverweigerung 1294 ff. - Lieferungsverweigerung 1277 ff. - Lizenzverweigerung 1284 ff. - Marktanteile 1200 ff. - marktbeherrschende Stellung s. beherrschende Stellung - Marktergebnisse 1226 ff. - Marktverhalten 1224 ff. - Missbrauch 1229 ff. - öffentliche Unternehmen 1136 ff. - Positionsverstärkung 1122 f. - Prüfungsschema 1159 - Rechtfertigung 1413 f. - Rechtsfolgen 1415 ff. - Restwettbewerb, Erhaltung 1112 ff. - sachfremde Zusatzleistungen 1329 ff. - Schadensersatz 1422 - Schutzwirkung 1117 ff. - Spürbarkeit 1408 ff. - staatliches Verhalten 688 ff., 1954 ff. - Systematik 1146 ff. - unangemessene Geschäftsbedingungen 1242 ff. - unmittelbare Wirkung 1143 f. - Unterlassung 1422 - Unternehmen s. dort - Unternehmenszusammenschluss 1122 f., 1377 ff. - Verpflichtete 343 ff., 1136 ff. - Wettbewerbsbehinderung 1361 ff.
Sachwortverzeichnis Mitgliedstaaten - Abstinenzpflicht 1988 f. - Anstoß zu Wettbewerbsverstößen 409 ff., 1954 ff. - Druck 409 ff., 1954 f. - Förderung Wettbewerbsverstöße 1954 ff. - Gestaltungspflicht 1990 f., 2106 ff. - Handelsmonopole 1992 - Präventionspflichten 2016 ff. - Rahmenbedingungen 2014 ff., 2106 ff. - Zurückhaltungspflicht 1990 Monaco 62 Monopol - essential facilities doctrine 1354 ff. - Infrastruktur 1354 ff. - staatlich begründete 1986 ff. - Zugangsberechtigung 1357 f. - Zugangsschranken 1359 f. Monopol, staatliches - Ausdehnung 2012 - Begründung 2011 Muttergesellschaft 373 ff. NAAT-Regel 684 Nachfragemacht 1222 f. Nachhaltige Entwicklung - Ausrichtung Kartellverbot 1007 - Freistellung 855, 1008 f. - Gleichberechtigung Belange 859 - unerlässliche Wettbewerbsbeschränkung 949 Nachlässe im Preis 1316 Nachprüfungen - Allgemeines 1484 f. - Anschlussfragen 1492 f. - Auswirkungen 1498 f. - Befragungen 1490 ff. - Fusionskontrolle 1888 ff. - private Räumlichkeiten 1504 ff. - Rechtsschutz 1500 ff. - Sanktionen 1494 ff. - Verfahren 1486 ff. Nachverhandlungen, Pflicht zu 1095 Nähebeziehung - Unternehmen/Staat 1993 f. Nahverkehrsdienste, öffentliche - Fusionskontrolle 1940
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Nationale Sicherheit 130 Nationale Wettbewerbsbehörden - anwendbares Recht 146 ff. - Bindung an Leitlinien 741 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen 754 - Klage auf Zuständigkeit 171 - Netzwerk 168, 1429 ff. - paralleles Vorgehen 180 - Parallelität mit Kommission 180 f. - Rechtsschutz 1622 ff. - territoriale Begrenzung 175 ff. - Verfahren 1599 ff. - Verwerfungskompetenz VOen 751 - Vorschriftenübertragung 173 f. - Zusammenarbeit mit Kommission 168 - Zuständigkeit 169 ff., 1428 Ne bis in idem 1593 ff. Nebenabreden - ancillary-restraints-Doktrin 1723 - Fusionskontrolle 1723 ff. - Notwendigkeit 1730 ff. - Rule of Reason 1723 - selbstständige Prüfung 1727 - Verhältnismäßigkeit 1734 ff. - Zusammenschluss, Verhältnis zu 1723 ff., 1728 ff. Negativattest 133, 727 Neste 610 f. Netzgebundene Wirtschaftszweige - Netzzugang 1354 ff. - Niedrigpreise 1372 ff. Netzwerk der Wettbewerbsbehörden - Amtshilfe 1452 f. - Aussetzung Verfahren 1443 f. - beratender Ausschuss 1445 ff. - Beweisverwertung (gegenseitige) 1440 ff. - Einstellung Verfahren 1443 f. - Fallverteilung 1455 ff. - Informationsaustausch 1438 ff. - Netzwerkbekanntmachung 1430 - Selbsteintrittsrecht Kommission 1434 ff. - Verschwiegenheitspflicht 1441 - Zusammenarbeit 1430 ff. Netzwerkbekanntmachung 1430 ff. Nichtdiskriminierung (GATT) 239
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Sachwortverzeichnis
Nichtigkeitsfolge - Dritte (Verträge mit) 1097, 1421 - Kartellverbot 1085 ff. - Missbrauchsverbot 1418 ff. - Nachverhandlungen 1095 - Teilnichtigkeit 1093 ff., 1420 f. Niedrigpreise - Fixkosten 1366 - Kostenermittlung 1366 f. - Missbrauchsverbot 1364 ff. - netzgebundene Wirtschaftszweige 1372 ff. - variable Kosten 1366 f. Normenvereinbarungen - Begriff 1072 - Freistellung 1070 f. - technischer Fortschritt 1071 - Wettbewerbsbeschränkung 1068 f. Obstverkauf - Missbrauchsverbot 1178, 1226 - United Brands s. dort Öffentliche Unternehmen s. auch Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse - Beihilfenverbot 2056 - Dispens (von Wettbewerbsregeln) 2038 ff. - Gleichbehandlung 1987, 2103 ff. - Quersubventionierung 2013, 2049 ff. - Sonderpflichten 2026 ff., 2040 ff. - Transparenzrichtlinie 1998 - Überforderung 2041 f. - Wettbewerbsregeln 1985 ff. - Zusatzbetätigung 2053 f. - Zusatzkosten, Ausgleich 2055 f. Oligopol(istischer Markt) - Eignung Handelsbeeinträchtigung 661 - Fusionskontrolle 1814 ff., 1822 ff. - Informationsaustausch 1079 Ordnungsprinzip Wettbewerb 15 Originalersatzteile KFZ 825 Örtlichkeitsprinzip, kommunales 1989, 2008, 2108 f. Panelverfahren 241 Parallelimporte, Verbot 718 Pareto-Optimum 14 Passivverkäufe
- KFZ-GVO 823 - Vertikal-GVO 798 Patentverletzungsklagen 1272 Pay-TV (Markt) 1765 Philip Morris 1382, 1662 ff. Poollösungen 627 Positionsverstärkung 1122 f. Positive-Comity-Abkommen 230 Post 2032 Postsendungen 1995, 2032 Potenzieller Wettbewerb s. Wettbewerb, potenzieller Praktische Konkordanz - Abwägung mit außerökonomischen Belangen 96 - Freistellung 1003 ff. - Inhalt 88 f. - staatliche Maßnahmen 1984 Preisabsprachen - allgemein 622 ff., 1014 - KFZ-GVO 821 - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 807 f. - Vertikal-GVO 795 - weltweite 210 Preise - abgestimmtes Verhalten 475 ff. - Begriff 624 - Empfehlung 622 - Erzwingung 1242 ff. - Festlegung (Kartell) 622 ff. - Gestehungskosten 1251 f. - Gewinnerzielung 1256 f. - Meldesysteme 623 - Nachlass 1316 - regional 1255 - unangemessene 1247 ff. - Vergleich 1251 ff. Preisfestlegungen s. Preisabsprachen Preissenkungen - Freistellung 879 Preissteigerung - Unerlässlichkeit 954 Preisvergleich - Gestehungskosten (bezogen auf) 1251 ff. - marktbezogen 1258 ff. - räumlich 1261 ff. - regionale Unterschiede 1255 - sachlich 1260 - zeitlich 1259
Sachwortverzeichnis Produktionsbeschränkungen - Produktionsvereinbarungen 1042 - Quotenkartelle 1015 - Spezialisierungs-GVO 831 - TT-GVO 808, 813 Produktionseinstellungen 1273 ff. Produktionsreduzierungen 1273 ff. Produktionsvereinbarungen - Begriff 1037 - Freistellung 1044 ff. - Kundenaufteilungen 1042 - Marktaufteilungen 1042 - Missbrauchsverbot 1276 - Spezialisierungs-GVO 1044 f. - Spürbarkeit 1043 - Wettbewerbsbeschränkung 1039 ff. - Zulieferabreden 1038 Produktneuheiten - Freistellung 848 Qualitätssteigerungen - Freistellung 878 Querlieferungen - KFZ 823 - Vertikal-GVO 798 Quersubventionierung 2013, 2049 ff. Quotenabsprachen 627 Quotenkartelle - allgemein 1015 f. - Strukturkrisenkartelle 1022 Rabatte - Kartellverbot 623 - Missbrauchsverbot 1302, 1316 Rabattregelungen - horizontal 1014 Rahmengesetzgebung 693 ff. Rahmenrichtlinie Kommunikationsnetze 2071 Rechte - ausschließliche 1995 - besondere 1996 - Übertragung 1997 Rechtfertigung von Beeinträchtigungen - allgemein 83 ff. - Freistellungen s. dort - Freistellungstatbestände s. dort - staatliches Verhalten 1977 ff., 2021 f. Rechtfertigungsschranken 100 ff.
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Rechtliches Gehör - Anhörung 1517 - Informationen 1510 ff., 1518 - Fusionskontrolle 1896 - mündliche Verhandlung 1515 f., 1897 - schriftliche Stellungnahme 1514, 1898 Rechtsanwaltskammern 384 Rechtsschutz - Bußgelder 1610 f. - einstweilige Maßnahmen 1617 f. - Fusionskontrolle 1902, 1951 ff. - Kartellverfahren 1437, 1604 ff. - Kommissionsentscheidungen 1605 ff. - Konkurrenten 1612 ff., 1902, 1951 - Nachprüfungen 1500 ff. - nationale Wettbewerbsentscheidungen 1622 ff. - Verpflichtungszusagen 1615 f. - zivilrechtlicher 1628 f. - Zwangsgelder 1610 f., 1951 Regiebetriebe 1998 Reifenhandel, Missbrauchsverbot - Neureifen 1179 - runderneuerte Reifen 1178, 1219 Reims II 1016 Relevanter Markt s. Markt, relevanter Restwettbewerb, Erhaltung 1112 ff. Richtlinie unlautere Geschäftspraktiken 1114 Risikostrukturausgleich 2002 Rom-II-VO 1100 Rücklieferungen - TT-GVO 813 Rule of reason - Anwendungsbereichsbegrenzung 67 ff. Sachfremde Zusatzleistungen 1329 ff. Sachverständige Dritte 731 San Marino 62 Sanierungsfusionen 1835 ff. Sanktionen - Bußgelder 1567 ff. - Kartellverstöße 1566 ff. - Zwangsgeld 1590 Schadensersatzansprüche - anwendbares Recht 1100
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Sachwortverzeichnis
(Schadensersatzansprüche) - gemeinschaftsrechtliche 1103 - Gerichtsstand 1101 - Kartellverbotsverstoß 1100 ff. - Missbrauchsverbot 1422 Schutzpflichten - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2093 f. - grundrechtliche 117 ff. Seeschifffahrt 774 Selbsteinschätzung Unternehmen - Permanenz 731 - Pflicht zu 728 ff. - Sachverständige Dritte 731 - Schwierigkeiten 729 Selbsteintrittsrecht der Kommission - Anlass 1436 - Rechtsschutz 1437 - Zeitpunkt 1435 f. Selbsthilfe 589 f. Selbstkostenpreis, Verkauf unter 624 Selbstverpflichtungen der Wirtschaft - Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels 644 - Beteiligung Staat 708 f. - Einfluss Staat 688 ff. - Freistellung s. Umweltschutz - Klimavereinbarung 708 - Marktabschottung 644 - Rechtfertigung s. Umweltschutz - Relevanz staatlichen Verhaltens 109, 688 ff. - Vereinbarungen 403 Selektives Vertriebssystem s. Vertriebssystem, selektives Service public 2024 Serviceleistungen 2029 SIEC-Test 1756 ff. Sittenwidrige Tätigkeit 365 Skalenvorteile 879 SLC-Test 1759 Softwarevereinbarungen - TT-GVO 802 Sonderpreise, Festlegung 624 Souveränität, nationale 178 ff. Soziale Belange 9, 26 Soziale Tätigkeit 361 Sozialversicherungen - Pflichtaufgaben 2002 f. - Zusatzleistungen 2004 Sperrpatente 1272
Spezialisierungs-GVO - Anwendungsbereich 829 f. - Entzug 832 - Kernbeschränkungen 831 - Marktanteilsschwellen 830 - TT-GVO 803 Spezialisierungsvereinbarungen - Einzelfreistellungen 1046 f. - Festlegung 629 - Marktaufteilung 633 - Produktionsvereinbarungen 1037 ff. - Spezialisierungs-GVO s. dort - wirtschaftlicher Fortschritt 886 - Zulieferabreden 1038 Spillover 1029 Sportverbände 360 Sportvereine 360 Sprunglieferungen - TT-GVO 813 - Vertikal-GVO 797 Spürbarkeit - Bagatellbekanntmachung 496 ff. - grenzüberschreitende Handelsbeeinträchtigung 679 ff. - Kartellverbot 493 ff. - Kernbeschränkungen 505 ff. - Missbrauchsverbot 1408 ff. - ungeschriebenes Merkmal 493 ff. - Wettbewerbsverfälschung 496 ff., 595 ff. Staatliches Verhalten s. auch Mitgliedstaaten - Ansatzpunkt (dogmatisch) 1956, 1960 ff. - Ausschluss unternehmerischer Verantwortung 688 ff. - Cassis-Formel 1977 ff. - Druck 688 ff. - effet utile 1960 - Freistellung 1971 ff. - Gesetz 693 ff. - öffentliche Unternehmen 1985 ff. - praktische Konkordanz 1984 - privatrechtliches 2007 - Quersubventionierung 2013, 2049 ff. - Rechtfertigung 1977 ff., 2021 f. - Sonderrechte 1961 ff. - Stimmrechtsausübung 2007 - Warenverkehrsfreiheit 1954 f.
Sachwortverzeichnis (Staatliches Verhalten) - Wettbewerbsregeln 1955 ff. Stahl 128 Standesregeln 582 ff. Stellung, beherrschende s. beherrschende Stellung Streaming - Koppelung Missbrauch 1337 - Markt 1765 Stromversorger 2028 Strukturkrisenkartelle 1017 ff. Strukturpolitik - Freistellung 854 - Strukturkrisenkartelle 1017 ff. Submissionsabsprachen 1014 Subsidiarität 998 Substituierbarkeit Leistungen - Kartellverbot 558 f. - Missbrauchsverbot 1176 ff. Synergieeffekte 879 Tankstellenverträge 610 f. Technische Fortentwicklung - sachfremde Zusatzleistung 1337 Technischer Fortschritt - allgemein 883 ff. - Normenvereinbarungen 1071 Technologiepolitik - Freistellung 854 Technologietransfer - TT-GVO s. dort Technologische Leistungsfähigkeit - Missbrauchsverbot 1221 Telekommunikationsdienste - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2028 - Liberalisierung 2071 - Richtlinien 2071 Territorialitätsprinzip - Auswirkungsprinzip 198 - Durchführungsprinzip 200 f. - innerhalb EU 175 ff. - unmittelbare Wirkung 207 - völkerrechtliches 197 Tochtergesellschaften 373 ff. Transaktionen, konzerninterne 650 Transparenzrichtlinie 1998, 2069 f. Transportgemeinschaften 1013 Treuerabatte 1302 TRIPS 234
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TT-GVO - Altverträge 800 - Anwendungsausschlüsse 805 f. - ausgenommene Klauseln 814 - Entwicklung 800 - F&E-GVO 803 - Kernbeschränkungen 807 ff. - Lizenzvereinbarungen 801 ff. - Marktanteilsschwellen 803 - Softwarevereinbarungen 802 - Spezialisierungs-GVO 803 - Vertikal-GVO 784 Übergangsfristen 63 Überlegenheit - kommerzielle 1216 f. - technologische 1221 Überseegebiete 62 Übertragungsrechte - Marktzugangsrechte 979 ff. Ulmer Maschinenbau 71 Umsatzschwellen - Fusionskontrolle 1743 ff. Umsatzsteuerpflichtigkeit kommunale Unternehmen 2107 Umverteilung, soziale 2002 Umweltschutz - bestmöglicher (Grundsatz) 2090 f. - Freistellung 855 ff., 890 ff., 985 ff. - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2044 f. - Dispens Wettbewerbsregeln 2044 ff. - Gewinnbeteiligung 915 f. - hoheitliche Tätigkeit 370 - Kartellverbot 710 ff., 855 ff., 890 ff., 985 ff. - Rule of reason 720 ff. - Tatbestandslosigkeit 710 ff. - technischer Fortschritt 885 - Verbesserung Warenerzeugung 877 - Verbrauchernutzen 915 f. - Vorrang 861 ff. - wirtschaftlicher Fortschritt 887 f. Umweltschutzvereinbarungen - Freistellung 1075 - normbezogen 1072 - Wettbewerbsbeschränkung 1073 f. - Zielvereinbarungen 1072
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Sachwortverzeichnis
UmweltzeichenVO 693 Unangemessenheit - Gestehungskosten 1251 f. - Gewinnerzielung 1256 f. - Preise 1247 ff. Unbedenklichkeitsbescheinigung 133 Unerlässlichkeit - Erforderlichkeit 101 - früherer Erfolgseintritt 950 ff. - Gruppenfreistellungsverordnungen 936 ff. - Konkurrentenausgrenzung 955 ff. - Kostensteigerung 954 - milderes Mittel 928 ff. - Prognoseunsicherheiten 958 ff. - räumlich 947 - sachlich 932 ff. - Verhältnismäßigkeit 101 - zeitlich 945 f. United Brands 1178, 1226, 1251 f., 1260 ff., 1264 ff., 1294 f., 1298, 1300, 1312 ff., 1351, 1404 Universaldienst-Richtlinie (Kommunikationsnetze) 2071 Universaldienstverpflichtung 2026 ff., 2050 Unlauterer Wettbewerb - Kartellverbot 580 ff. - Richtlinie unlautere Geschäftspraktiken 1114 - Selbsthilfe 589 f. Unterlassungsansprüche - Kartellverbot 1098 f. - Missbrauchsverbot 1422 Unternehmen - Arbeitgeberverbände 354 - Ausgründungen 378 - Begriff 343 ff. - Betriebsrentenkassen 2002 f. - Büroorganisation 352 - EGKS 344 - Gewerkschaften 354 - Handelsvertreter 355 ff. - hoheitliche Tätigkeit 370 f. - Krankenkassen 363, 2002, 2004 - Künstler 360 - öffentliche 1985 ff. - Rechtsfähigkeit 368 - Selbstständigkeit 353 ff., 366 ff., 373 ff. - sittenwidrige Tätigkeit 365
- Sozialversicherungen 362, 2002 ff. - Sportverbände 360 - Sportvereine 360 - staatliche 369 ff., 424 ff. - staatsnahe 1993 ff., 2005 ff. - verbotene Tätigkeit 365 - Verbraucher 349 ff. - Unternehmenskontinuität 377 - Unternehmensvereinigung 383 - Unternehmensverkauf 378 f. - Verschmelzung 379 - wirtschaftliche Tätigkeit 347 f. - Wohltätigkeitsvereine 361 Unternehmensauflösungen 379 ff., 1741 Unternehmensvereinigung - Begriff 382, 430 ff. - Berufsverbände 383 - Beschluss 438 ff. - BGB-Gesellschaften 383 - Genossenschaften 383 - Kammern 383 f. - tatsächliche Maßnahmen 441 ff. - Verbände 383 f. - Vereinbarung 427 ff. - Vereine 383 Unternehmenszusammenschluss - Anteilserwerb 1682 - Einflusserwerb 1682 ff. - Fusion 1673 ff. - Fusionskontrolle 1668 ff. - Gemeinschaftsunternehmen 1691 ff. - kollektive Marktbeherrschung 1392 - Kontrollerwerb 1672, 1676 ff., 1687 ff. - Missbrauchsverbot 1122 f., 1377 ff. - Nebenabreden 1723 ff. - Umsatzschwellen 1743 ff. - Vermögenserwerb 1679 ff. Unternehmerfreiheit 114, 118, 527 Untersuchung Wirtschaftszweige 1474 ff. Unvereinbarerklärung Fusion 1932 Unverfälschter Wettbewerb - außerökonomische Belange 17 - Chancengerechtigkeit 19 - eigene Funktion 15 f. - Freiheitsfunktion 18
Sachwortverzeichnis (Unverfälschter Wettbewerb) - Gleichbehandlung 21 - Grundfreiheiten 15 - Inhalt 4 - System 29 ff. - Wettbewerbseffektivität 16 Unverletzlichkeit der Wohnung 122, 1508, 1891 Urheberrechte - Geltendmachung 836 - Geschäftsverweigerung 1284 ff. - Nebenabrede Fusionskontrolle 1729 Urheberrechtsvereinbarungen - Unerlässlichkeit 935 - TT-GVO 803 Urheberrechtsverwertungsgesellschaften - Missbrauchsverbot 1304 UrhG 167 UWG - Unterlassungsansprüche 1099 Variable Kosten - Begriff 1366 - Niedrigpreise 1366 f. Vatikanstadt 62 Verantwortlichkeitsübergang 379 Veräußerungsgeschäfte Finanzinstitute 1738 ff. Verbände 383 f. Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (GATT) 238 f. Verbotene Tätigkeit 365 Verbraucher 897 ff. - angemessene Gewinnbeteiligung 897 ff. - Wettbewerb 13 Verbundvorteile 879 Vereinbarerklärung Fusion 1924 ff. Vereinbarungen - Einseitigkeit (Abgrenzung) 414 ff. - Freiwilligkeit 409 ff. - horizontale s. dort - Kartellverbot 389 ff. - laufende Geschäftsbeziehung 417 f. - Unternehmen, zwischen 422 ff. - Unternehmensvereinigung 427 ff. - vertikale s. dort - wettbewerbsverfälschende Absicht 404 ff.
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Vereine 383 Verfahren, zweigleisiges 138 Verfahrensgrundsätze - Akteneinsicht 1519 ff. - Auskunftsverweigerung 1530 ff. - Doppelbestrafungsverbot 1593 ff. - legal professional privilege 1526 ff. - ne bis in idem 1593 ff. - rechtliches Gehör 1510 ff. - Schutz von Geschäftsgeheimnissen 1523 ff. Verfahrensstands-Zusammenkünfte 1903 Verfassung für Europa (Entwurf) - Binnenmarkt 8, 10 - Grundfreiheiten, Stellung 37 - Kartellverbot 300 - Marktwirtschaft 8, 10 - Missbrauchsverbot 1107 - nachhaltige Entwicklung 9 - Neubestimmung 8 - soziale Komponente 9 - Vollbeschäftigung 9 - Wettbewerbsregeln, Stellung 37 Verfolgungsverjährung 1591 Vergleichsmarkt - räumlich 1261 ff. - sachlich 1260 - zeitlich 1259 Verhalten, staatliches s. staatliches Verhalten sowie Mitgliedstaaten Verhaltensweisen, abgestimmte - Abstimmung 457 ff. - Bedeutung 447 f. - bewusstes Parallelverhalten 474 ff. - Dritte 467 f. - Festigung Marktposition 482 - Fühlungnahme 463 - horizontal 469 - Informationsaustausch 464 ff., 488 ff. - Internetmarktplätze 491 f. - Isolation von Teilmärkten 480 f. - Nachweis 470 ff. - Preispolitik 475 ff. - Struktur 449 ff. - Verhalten 483 ff. - vertikal 469 Verhältnismäßigkeit 101
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Sachwortverzeichnis
Verjährung - Verfolgung 1591 - Vollstreckung 1592 Verkauf unter Selbstkostenpreis - Kartellverbot 624 Verkaufsbeschränkungen - KFZ-GVO 821 f. - TT-GVO 813 - Vertikal-GVO 797 Verkaufspreise - Erzwingung 1242 ff. - Festlegung (Kartell) 622 ff. - Niedrigpreise 1364 ff. - unangemessene 1247 ff. Verkaufsverbote - Festlegung 628 - TT-GVO 811 Verkaufsziele - F&E-GVO 836 - Spezialisierungs-GVO 831 Verkehrsdienste 2028 Verkehrssektor 125 f. Vermarktungsvereinbarungen - Begriff 1055 - Freistellung 1063 ff. - Vertriebsvereinbarungen 1056 - Wettbewerbsbeschränkung 1057 ff. Vermögenserwerb 1679 ff. Verpflichtete - verglichen mit Grundfreiheiten 43 f., 46 Verpflichtungszusage 1540 ff. - Anforderungen (materielle) 1547 f. - Anwendungsbereich 1542 - Bindungswirkung 1549 ff. - Einordnung 1540 f. - Rechtsfolgen 1549 ff. - Rechtsschutz 1615 f. - Verfahrenserfordernisse 1543 ff. Verschmelzung 379 Verschwiegenheitsverpflichtung Behörden 1441 Versicherungs-GVO - Anwendungsbereich 838 - Bedingungen 839 ff. - Entwicklung 838 - Entzug 843 - Geltungsdauer 843 - Koppelungszwang 840
- Marktanteilsschwellen 841 - Mitversicherungsgemeinschaften 841 - Risikoausschlüsse 840 Versorgungsquellen, Aufteilung 632 ff. Verteidigung 130 Vertikale Erweiterung - Fusionskontrolle 1827 Vertikale Vereinbarungen - abgestimmte Verhaltensweisen 469 - Gruppenfreistellungen 774, 782 ff. - KFZ-Vertrieb 817 ff. - TT-GVO 801 ff. - Vertikal-GVO 782 ff. - Wettbewerbsverfälschung 542 ff. Vertikal-GVO 782 ff. - Anwendungsbereich 783 ff. - Entzug Gruppenfreistellung 789 - Franchisevereinbarungen 785 - horizontale Vereinbarungen 787 - intellektuelles Eigentum 785 - Kernbeschränkungen 793 ff. - Konzeption 782 - Marktanteilsschwellen 790 ff. - TT-GVO 784 - vertikale Vereinbarungen 783 ff., 788 Vertriebsorganisation - Freistellung 880 Vertriebssystem, selektives - Handelsbeeinträchtigung 647 - KFZ-GVO 822 ff. - Marktaufteilungen 633 - Vertikal-GVO 798 f. - Wettbewerbsbeschränkung 546 ff. Verweisungen - Fusionskontrolle 1847 ff., 1939 ff. Verwerfungskompetenz bzgl. VOen 751 Verwertungsquoten VerpackV 694, 696 VO 1/2003 - doppelter Prüfungsmaßstab 142 - duale Wettbewerbsordnung 142, 146 ff. - Fortentwicklung 132 - Kartellverfahren s. dort - Legalausnahme, Konsequenzen 144 f., 740 - organisatorische Verschränkung 168 ff.
Sachwortverzeichnis (VO 1/2003) - Vorranganspruch 141 ff., 1462 ff. - Zuständigkeitsverteilung 169 ff., 1426 ff. VO Nr. 17 132 ff. Völkerrecht - Auswirkungsprinzip 205 f. - Bußgeldanrechnung 1579 - GATT 232, 235 ff., 253 ff. - Inländergleichbehandlung 237 - Kartellrecht auf Drittstaatsunternehmen 203 ff. - Kooperationsabkommen 227 ff. - Meistbegünstigung 236 - staatliche Hoheitsgewalt 211 ff. - Strafgewalt 204 - Vollzugsverbot Fusionen 223 - WTO 233 f., 253 ff. Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen - Begriff 1693 ff. - Freistellung 1719 ff. - Fusionskontrolle 1691 ff. - Kartellverbot 1692, 1701 ff. - Koordinierung mit Gründerunternehmen 1699 f. - Koordinierung über GU 1701 ff. - Nebenabreden 1723 ff. - notwendige Dauer 1697 f. Vollstreckungsverjährung 1592 Vorführlizenzen Film 718 Walt Wilhelm 135 f., 138, 148 Warenerzeugung, Verbesserung - Begriff 876 ff. - Qualitätssteigerung 878 - Preissenkungen 879 - Umweltschutz 877 Warenverteilung, Verbesserung 880 ff. Wartungsdienstleistungen KFZ 824 Wasserversorgung 2008, 2031 Wechselwirkung Wettbewerb – allgemeine Vertragsziele 4 Weiterverkäufe - KFZ-GVO 822 f. - Vertikal-GVO 798 Weltkartelle 210 Weltkartellrecht 195 Weltweite Wettbewerbsbeschränkungen 210 Werbekampagnen, Beschränkung 626
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Wertpapierhandel - Fusionskontrolle 1738 ff. Wesensgehaltsgarantie 103 Wesentlicher Markt 1191 ff. Wettbewerb - allgemeine Vertragsziele 4 - Allokationsfunktion 14 - Beherrschung 1164 f. - Behinderung 1361 ff. - Binnenmarkt 3 - Freiheitsfunktion 18 - Funktion (allgemein) 1 ff. - Gemeinsamer Markt 1, 3 - gemeinschaftliches Wirtschaftssystem 24 ff. - Gerechtigkeitsfunktion 23 - Gleichbehandlung 21 - Leistungssteigerung 13 - marktprägendes Prinzip 15 - Ordnungsprinzip 15 - Pareto-Optimum 14 - potenzieller s. Wettbewerb, potenzieller - unverfälschter 15 ff. - Wettbewerbsfreiheit 3 Wettbewerb, lauterer - Kartellverbot 580 ff. - Rechtfertigungsgrund 583 f., 985 ff. Wettbewerb, potenzieller - Eignung Handelsbeeinträchtigung 662 f. - Fusionskontrolle 1786 ff. - Gemeinschaftsunternehmen 575 ff. - Kartellverbot 567 ff. - Marktzutrittsschranken s. dort - Missbrauchsverbot 1211 ff. Wettbewerbsbeschränkungen - EG-Kartellrecht 513 ff. - Fusionskontrolle 1756 ff. - Missbrauchsverbot 1361 ff. - weltweite 210 Wettbewerbsförderung - Anwendungsbereichsbegrenzung 71 ff. - Arbeitsgemeinschaften 1084 - Gemeinschaftsunternehmen 575, 1084 - staatliche Maßnahmen 1973 f.
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Sachwortverzeichnis
(Wettbewerbsförderung) - Wettbewerbsbeeinträchtigung 538 ff. Wettbewerbsfreiheit - allgemeine Marktfreiheit 38 ff. - Anwendungsbereich 53 ff. - Ausdehnung (räumliche) 62 - außerökonomische Belange 11 f., 17, 26 ff. - Beeinträchtigung 76 ff. - Berechtigte s. dort - Cassis-Formel 90 ff., 106 f. - Dienstleistungsfreiheit 35 - Freiheitswirkung 51 - Funktion für Wettbewerb 3 - Geltungsdauer 63 - Gemeinsamer Markt 6 - Gleichheitsfunktion 20 ff. - gleichmäßige Marktverhältnisse 5 - grenzüberschreitendes Element 58 f. - Grundfreiheit (als) 42 ff. - Grundfreiheiten 22 f., 33 ff., 109 ff. - Grundrechte 114 ff. - Integrationsfaktor 6 - Kapitalverkehrsfreiheit 35 - Kartellverbot s. dort - Missbrauchsverbot s. dort - Niederlassungsfreiheit 35 - öffentliches Interesse an 7 - Rechtfertigung Beeinträchtigungen 83 ff. - Regelcharakter 28 - Schutzlücken 57 - Struktur (verglichen mit Grundfreiheiten) 52 ff. - Verbrauchernutzen 13 - Verfassungsrang 6 - Verpflichtete s. dort - Warenverkehrsfreiheit 35 - Wirtschaftssystem 26, 28 Wettbewerbsregeln s. auch Wettbewerb(sfreiheit) - Ausfluss grundrechtlicher Schutzpflichten 118 f., 527 - Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 2023 ff., 2079 ff. - GATT 235 ff., 243 ff., 251 ff. - Kartellverbot s. dort
- Missbrauchsverbot s. dort - öffentliche Unternehmen 1985 ff. - Sondervorschriften 124 ff. - WTO 234, 243, 247 ff. Wettbewerbsstruktur, Erhaltung - Fusionskontrolle 1666 f., 1756 ff. - Kartellverbot 668 f. - Missbrauchsverbot 1117 ff. Wettbewerbsverfälschung - Bewirkung 604 ff. - Bezweckung 591 ff. - Kernbeschränkungen 595 ff. - Marktmacht 598 - Struktur 513 ff. - Spürbarkeit 493 ff. Willenserklärung, gemeinsame 396 ff. Wirtschaftliche Einheit - Handelsvertreter 356 - Konzernverbünde 373 ff. Wirtschaftlicher Fortschritt 886 ff. Wirtschaftskollisionsrecht 195 Wirtschaftssystem, gemeinschaftliches 24 ff. Wirtschaftsverfassung 25 Wohltätigkeitsvereine 361 Wohnung, Schutz vor Nachprüfungen 1508, 1891 Workable competition 4 Wouters 353, 384, 584 WTO - Appellate Body 241 - Europarecht 243, 247 ff. - Gehalt 233 f. - Panel 241 - Streitbeilegung 240 f. - unmittelbare Wirkung 253 ff. Zellstoff-Fall 199, 222 Zellstoffkartell, internationales 199 Zielvereinbarungen - Umweltschutz 1072 Zinc Producer Group 1018 Zivilrechtsfolgen - Nichtigkeit 1085 ff. - Schadensersatz 1100 ff. - Unterlassung 1098 f. Züchner 649 Zugangs-Richtlinie (Kommunikationsnetze) 2071 Zuliefervereinbarungen 1038, 1040
Sachwortverzeichnis Zulieferverträge, industrielle - Gruppenfreistellung 783 Zusammenschlüsse s. Unternehmenszusammenschluss Zusatzleistungen (sachfremde) - Bedeutung 1329 - Begriff 1335 ff. - Handelsbrauch 1343 - Hauptgeschäft 1330 ff. - Kartellverbot 639 - sachfremd 1338 ff. - technische Fortentwicklung 1337 Zuständigkeit - internationale Fälle 212 - Kommission 169 ff. - Kooperationsabkommen 227 ff. - nationale Gerichte 186 f. - nationale Wettbewerbsbehörden 169 ff. - traditionelle Grundsätze 133 f. Zuständigkeitsverteilung - Fusionskontrolle 1843, 1847 ff., 1939 ff. - Kartellverfahren 133 ff., 168 ff., 1426 ff. Zustellungen - in Drittstaat 213 ff. Zwangsgeld - Fusionskontrolle 1949 f. - Kartellverfahren 1590 - Verjährung 1591 Zwangslizenzen 1284 ff. Zwangsvollstreckung - in Drittstaatsfällen 220 Zweischrankentheorie 135
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