Gabriele Faßauer Arbeitsleistung, Identität und Markt
Gabriele Faßauer
Arbeitsleistung, Identität und Markt Eine Ana...
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Gabriele Faßauer Arbeitsleistung, Identität und Markt
Gabriele Faßauer
Arbeitsleistung, Identität und Markt Eine Analyse marktförmiger Leistungssteuerung in Arbeitsorganisationen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Bettina Endres VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15950-8
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 9 1 Einleitung .................................................................................................. 11 1.1 Problemskizze ........................................................................................ 11 1.2 Zielstellungen und Aufbau der Arbeit .................................................... 21 2 Subjektive Identität, Anerkennung und Anomie ................................... 25 2.1 Einordnung und wesentliche Facetten subjektiver Identität ................... 25 2.2 Die Konstitution subjektiver Identität - theoretische Grundlagen .......... 2.2.1 Die Sozialpsychologie von George Herbert Mead ........................... 2.2.2 Symbolvermittelte Interaktion und Entwicklung von Identität ........ 2.2.2.1 Erwerb von Selbstbewusstsein ................................................... 2.2.2.2 Die Sozialisationsstufen von „play“ und „game“ ....................... 2.2.2.3 „I“ und „Me“ als Dimensionen der subjektiven Identität ........... 2.2.2.4 Anerkennung als Medium einer gelingenden Identitätsbildung . 2.2.3 Subjektive Identität und moderne Gesellschaftsform ....................... 2.2.3.1 Individualisierung durch gesellschaftliche Differenzierung ....... 2.2.3.2 Individualisierung und Meads Identitätskonzeption ...................
30 30 32 32 34 38 41 44 45 50
2.3 Zusammenfassende Darstellung ............................................................. 52 2.3.1 Identitätskonzeption nach George Herbert Mead ............................. 53 2.3.2 Definition von Identität und Identitätsbildung ................................. 55 2.4 Identitätsbedrohende Anerkennungsmuster und Anomie ....................... 2.4.1 Veränderte, unbestimmte und rigide Anerkennungsmuster ............. 2.4.2 Der Charakter anomischer Anerkennungsmuster ............................. 2.4.2.1 Anomie - Hintergrund und Abriss zur Forschungstradition ....... 2.4.2.2 Durkheims und Mertons Konzeptualisierung von Anomie ........ 2.4.2.3 Kritik und identitätstheoretische Verknüpfung ..........................
57 58 65 66 68 73
2.5 Zusammenfassung .................................................................................. 79 5
3 Leistung in modernen Gesellschaften - Charakteristika und Bedeutung für Identität ........................................................................... 83 3.1 Wesentliche Facetten des Leistungsbegriffes ......................................... 83 3.1.1 Der „schillernde“ Leistungsbegriff ................................................... 84 3.1.2 Die formalen Elemente von Leistung ............................................... 87 3.2 Leistung - Medium der Anerkennung in modernen Gesellschaften ....... 93 3.2.1 Moderne Gesellschaften als Leistungsgesellschaften ....................... 93 3.2.1.1 Merkmale von Leistungsgesellschaften ...................................... 94 3.2.1.2 Historische Impulse der Entwicklung ........................................ 95 3.2.1.3 Leistung in Organisationen - Entwicklung zur Kollektivnorm .. 98 3.2.2 Die Bedeutung des Leistungsprinzips ............................................ 101 3.2.2.1 Allgemeine Funktionen des Leistungsprinzips ......................... 102 3.2.2.2 Organisationsbezogene Funktionen .......................................... 103 3.2.2.3 Funktionen für das Organisationsmitglied ............................... 104 3.2.3 Leistung und Leistungsprinzip - Bedeutung für Identitätsbildung . 106 3.2.3.1 Leistung und Identitätsbildung im Spiegel der soziologischen Anthropologie ........................................................................... 106 3.2.3.2 Leistung in der Erwerbsarbeit und Identitätsbildung ................ 113 3.3 Zusammenfassung ................................................................................ 130 4 Neue Formen der Leistungssteuerung in Organisationen .................. 135 4.1 „Der kurze Traum immerwährender Prosperität“ (Lutz) oder die Erosion des fordistischen Produktionsmodells ..................................... 136 4.2 Perspektiven einer neuen Leistungssteuerung in Organisationen ......... 4.2.1 Subjektorientierter Zugriff auf Arbeitskraft ................................... 4.2.2 Marktorientierte Prozessgestaltung und Dezentralisierung ............ 4.2.2.1 Die Logik der marktförmigen Leistungssteuerung ................... 4.2.2.2 Marktförmige Leistungssteuerung durch personelle Rationalisierungsstrategien ...................................................... 4.2.2.3 Subjektivierung bei verschiedenen personellen Rationalisierungsstrategien ...................................................... 4.2.2.4 Formen der Subjektivierung in unterschiedlichen personellen Rationalisierungsstrategien ...................................................... 4.2.3 Veränderungen bei Indikation und organisationaler Wertschätzung von Leistung .......................................................... 4.2.3.1 Entwicklungen bei Systemen der Grundlohndifferenzierung ... 4.2.3.2 Entwicklungen bei Systemen der leistungsbezogenen Lohndifferenzierung ................................................................. 6
141 143 145 149 155 161 164 168 169 172
4.3 Zusammenfassung – Entwicklung eines neuen Leistungsbegriffes ..... 182 5 Paradoxien der neuen Leistungssteuerung - Darstellung und Konsequenzen aus anomie- und identitätstheoretischer Perspektive.. 189 5.1 Soziale Ausweitung und Aushöhlung des Leistungsprinzips ............... 191 5.2 Entwicklungen im leistungsbezogenen Verhältnis von Individuum und Organisation .................................................................................. 5.2.1 Anreicherung und Verengung des Verständnisses von Leistung ... 5.2.1.1 Mehr Vorleistung für eine unsichere Zukunft .......................... 5.2.1.2 Nur der Output zählt, aber unter Vorbehalt .............................. 5.2.1.3 Auf die Präsentation kommt es an! .......................................... 5.2.1.4 Neue Leistung, aber „unsichtbar“ ............................................. 5.2.2 Betonung und Vernachlässigung des Leistungsvollzuges bei qualitativer Flexibilisierung ........................................................... 5.2.2.1 Betrachtung des Leistungsvollzuges aus anomietheoretischer Perspektive ............................................................................... 5.2.2.2 Typen von Anomie bei qualitativer Flexibilisierung ................ 5.2.2.3 Überlegungen zu Reaktionstypen als Lösung des anomischen Drucks ...................................................................................... 5.3 Neue Bedingungen der Anerkennung von Leistung als anomische Konstellation für Individuum und Organisation ................................... 5.3.1 Neue Leistungssteuerung in Organisationen als Veränderung von Anerkennungsmustern - Hinterfragung, Erosion und Verteidigung von Identität ................................................................................... 5.3.1.1 Bruch, Verengung und Unsicherheit von Anerkennung ........... 5.3.1.2 „Substanzlose“ Anerkennung in Organisationen ...................... 5.3.2 Veränderte Anerkennungsmuster als anomische Konstellation in Organisationen ............................................................................... 5.3.3 Anomie in der Leistungsgesellschaft? ............................................
195 197 198 201 203 207 208 210 211 215 221
222 224 227 231 237
6 Fazit ......................................................................................................... 241 6.1 Zielstellung und Problemhintergrund ................................................... 241 6.2 Aufbau und Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse ................. 244 6.3 Perspektiven für Wissenschaft und Praxis ........................................... 256 6.3.1 Wissenschaftliche Perspektiven ..................................................... 257 6.3.2 Konsequenzen für das Management von Arbeitsorganisationen .... 259 Literatur ........................................................................................................ 267 7
Abbildungsverzeichnis
Argumentative Zusammenhänge der vorliegenden Arbeit ............... 20 Aufbau der Arbeit ............................................................................. 24 Betrachtungsweisen von „Identität“ ................................................. 27 Kohärenz und Konsistenz von (Selbst)Erfahrungen ......................... 28 Identitätsbildung ............................................................................... 54 Makro- und Mikroebene in der Anomiekonzeption nach Merton .... 71 Reaktionstypen nach Merton ............................................................ 72 Rekursiver Zusammenhang von Arbeitsorganisation und Identitätsbildung unter Einbezug anomietheoretischer Überlegungen ................................................................................... 81 Abb. 9: Zweidimensionalität und korrespondierende Perspektiven von Leistung ............................................................................................ 90 Abb. 10: Formale Merkmale des Leistungsbegriffes ...................................... 92 Abb. 11: „Weiter“ und „enger“ Leistungsbegriff sowie „formalisierte“ und „nicht-formalisierte“ Leistung ........................................................ 112 Abb. 12: Anerkennungsformen und Vergesellschaftungsdimensionen der Erwerbsarbeit (Fokus der vorliegenden Arbeit hervorgehoben) .... 124 Abb. 13: Übersicht über Freie Berufe ........................................................... 130 Abb. 14: Wesentliche Funktionen und Charakteristika des Leistungsprinzips ........................................................................... 133 Abb. 15: Bereiche der Thematisierung der „Subjektivierung von Arbeit“ .... 144 Abb. 16: Gestaltung betriebsübergreifender Wertschöpfungsketten über elektronischen Datenverkehr .......................................................... 148 Abb. 17: Formen der Vermarktlichung ......................................................... 152 Abb. 18: Indikatoren zur Bestimmung individueller und kollektiver Leistungszulagen in verschiedenen Unternehmen .......................... 159 Abb. 19: Quantitatives und qualitatives Potential personeller Rationalisierungsstrategien, Form der Steuerung und Beschäftigtengruppen ..................................................................... 161 Abb. 20: Formen der Subjektivität in Prozessen der „Subjektivierung von Arbeit“ ............................................................................................ 164 Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8:
9
Abb. 21: Heuristik zu Personaleinsatz und Grad der Anforderungen (+ Anforderungen steigen, - Anforderungen sinken) and die Subjektivität ................................................................................... Abb. 22: Auswahl der ausgewerteten Studien zur leistungsbezogenen Lohndifferenzierung ....................................................................... Abb. 23: Zusammenfassende Darstellung zur marktförmigen Leistungssteuerung ......................................................................... Abb. 24: Veränderung von Anerkennungsmustern für Leistung und mögliche Konsequenzen ................................................................. Abb. 25: Bezugsrahmen zum Zusammenhang von marktförmiger Leistungssteuerung, subjektiver Identität der Organisationsmitglieder und Konsequenzen für Arbeitsorganisationen ..................................................................... Abb. 26: Ansätze für das Management marktförmiger Leistungssteuerung .
10
168 174 187 227
236 262
1 Einleitung
Im Folgenden wird eine strukturierte Einführung in das Thema der vorliegenden Arbeit gegeben. Es erfolgen die Darstellung der Zielstellungen und die Offenlegung des Untersuchungsganges. Im ersten Teil der Einleitung geht es darum, die generelle Problemstellung der Arbeit her zuleiten und diese in der aktuellen (Forschungs-)Realität zu positionieren. Des Weiteren werden die in der Arbeit zu behandelnden Untersuchungsbereiche der „marktförmigen Leistungssteuerung“, der „Identität“ und der „Anomie“ kurz vorgestellt sowie in ihrem zu analysierenden Zusammenhang erläutert. Im zweiten Teil der Einleitung werden die sich hieraus ergebenden Zielstellungen spezifiziert und der Aufbau der Arbeit erklärt. 1.1 Problemskizze Gegenwärtig lassen sich in Arbeitsorganisationen wesentliche Veränderungen bei der Steuerung menschlicher Leistung verzeichnen. Arbeitsorganisationen sind dabei solche organisationalen Gebilde, in denen die Mitgliedschaft und der Beitrag der Mehrheit der beteiligten Akteure nicht auf inhaltlich geteilten Motivlagen beruhen, wie z.B. bei politischen Parteien, Vereinen etc., sondern im Tausch gegen organisationale Gegenleistungen gewährt werden (vgl. Schimank 2005). Unternehmen und öffentliche Verwaltungen zählen beispielsweise zu dieser Kategorie von Organisationen. Der Fokus der vorliegenden Arbeit wird auf aktuelle Tendenzen der Leistungssteuerung in erwerbswirtschaftlichen Organisationen gerichtet. Unter Leistungssteuerung können alle organisationalen Aktivitäten der Schaffung und der Anwendung von Rahmenbedingungen und Instrumenten verstanden werden, die der Anpassung des Verhaltens und der Handlungen der Organisationsmitglieder an die Ziele der Organisation dienen und in der Weise „Leistung“ definieren. Im Folgenden sollen zunächst Erläuterungen zur „marktförmigen Leistungssteuerung“ vorgenommen und Schnittmengen zu entsprechenden Forschungsfeldern dargestellt werden (1). Hiervon ausgehend wird weiterhin das in der Arbeit zu behandelnde Grundproblem dieser Steuerungslogik hergeleitet (2). Anschließend soll begründet werden, warum identitäts- als auch anomietheoreti11 G. Faßauer, Arbeitsleistung, Identität und Markt, DOI 10.1007/978-3-531-91040-6_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
sche Überlegungen für die Bearbeitung der Fragestellung interessant sind und um welche spezifischen Konzeptualisierungen es sich dabei handelt (3). 1) „Marktförmige Leistungssteuerung“ - Hintergrund und Charakteristika In der gegenwärtigen betriebswirtschaftlichen und industriesoziologischen Fachdiskussion werden die Veränderungen der Leistungssteuerung auf organisationaler Ebene aus verschiedenen Perspektiven thematisiert und z.B. unter Stichworten wie „Dezentralisierung“ (z.B. Faust 1995 et al.; Drumm 1996; Faust et al. 2000), „Modularisierung“ (z.B. Child/McGrath 2001; Picot et al. 2001; Picot/Neuburger 2004), „Prozessorientierung“ (z.B. Osterloh/Frost 1996), „Vermarktlichung“ (z.B. Voswinkel 2005) oder Bildung „interner Märkte“ (z.B. Frese 2004) behandelt. Der relativ junge Forschungsansatz der „Subjektivierung von Arbeit“ (z.B. Moldaschl/Voß 2002) oder der des „Arbeitskraftunternehmers“ (Pongratz/Voß 2003) richten ihre Aufmerksamkeit u.a. auf die möglichen Auswirkungen dieser organisationalen Veränderungen auf die individuelle Ebene. Aus dezidiert soziologischer Perspektive wird in diesem Zusammenhang auch die sich womöglich wandelnde soziale Sinngebung von „Leistung“ (vgl. Neckel/Dröge 2002; Neckel et al. 2004) untersucht und werden die entsprechenden Auswirkungen in gesellschaftlicher Hinsicht diskutiert. Die organisationalen Veränderungen der Leistungssteuerung lassen sich wesentlich auf eine in den letzten Jahrzehnten wachsende Marktorientierung von Unternehmen zurückführen. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf einer stärker am Kunden bzw. am Markt ausgerichteten Wertschöpfung, was neben der Flexibilisierung der organisationalen Strukturen wesentlich durch eine erhöhte Service- bzw. Dienstleistungsorientierung von Unternehmen und Unternehmensteilen erreicht werden soll. Generell wird der Fokus auf die marktorientierte, effiziente und zeitökonomische Optimierung der Leistungserstellungsprozesse bzw. Wertschöpfungsketten innerhalb der Organisation und zwischen verschiedenen Organisationen gerichtet. Die Orientierung und strukturelle Ausrichtung an den Leistungserstellungsprozessen, d.h. an Ketten zusammenhängender Aktivitäten zur Erstellung eines Produktes bzw. einer Dienstleistung, kennzeichnet dabei einen wesentlichen Gegensatz zur überwiegend funktionalen bzw. verrichtungsorientierten Arbeitsteilung bisheriger unternehmerischer Produktionsmodelle. Diese zielten vorrangig auf eine Produktivitätsoptimierung der einzelnen Unternehmensteile durch funktionale Spezialisierung. Demgegenüber erfolgt die Optimierung nun durch die Integration von (Teil-)Funktionen in (stärker) selbstbestimmte und ergebnisverantwortliche Einheiten (Dezentralisierung) und deren flexible prozess- bzw. marktorientierte Verknüpfung (Prozess12
orientierung). Das heißt, die funktionsspezifische Arbeitsteilung zwischen einzelnen Abteilungen wird aufgehoben, indem bestimmte, miteinander integrierte Funktionen in einer organisatorischen Einheit zusammengefasst werden. Die Einheiten erfüllen damit eine nach außen hin abgrenzbare bzw. abgeschlossene Funktion im gesamten Wertschöpfungsprozess. Hierbei agieren die Einheiten im Rahmen vorgegebener Kontextbedingungen relativ selbstständig und sind zumeist ergebnisverantwortlich. Sie werden häufig über nicht (vollständig) hierarchische Mechanismen miteinander koordiniert. Das heißt, es werden marktähnliche Steuerungsformen in den Organisationen etabliert, so dass beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Segmenten über interne Angebotspreise und entsprechende Nachfrage geregelt wird (interne Märkte). Zugleich ermöglicht moderne IuK-Technologie eine informationstechnische Standardisierung der Abwicklung von Austauschprozessen zwischen den Einheiten. Ziel ist das Erreichen einer hohen, am Markt ausgerichteten Flexibilität bei gleichzeitiger Minimierung der Koordinationskosten (Abstimmungskosten usw.) zwischen den Einheiten. Dezentralisierung und Prozessgestaltung können sich dabei sowohl auf eine einzelne Organisation (Modularisierung) als auch auf die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen erstrecken. So kann es sich z.B. um die Kooperation rechtlich selbstständiger Unternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen (z.B. zwischen Einzelhändler und Produzent) als auch um das Outsourcing und die flexible Inanspruchnahme unternehmensspezifischer Dienstleistungen (z.B. Callcenter oder Softwaredienstleister vgl. Kleemann/Matuschek 2003; Boes 2003) handeln. Diese Entwicklungen beinhalten eine veränderte Steuerung der individuellen und kollektiven Arbeitsleistung von Organisationsmitgliedern und induzieren einen neuartigen Zugriff auf Arbeitskraft in Form einer stärker „subjektivierten“ Inanspruchnahme und Definition von Leistung. Subjektivierung bedeutet, dass subjektive, also organisational schwer determinierbare, persönliche Fähigkeiten und Potentiale zunehmend im Leistungserstellungsprozess bzw. für dessen Gewährleistung organisational nutzbar (gemacht) werden. In Organisationen geschieht dies zum einen wesentlich über Veränderungen der organisationalen Rahmenbedingung der Leistungserbringung (z.B. Konzernmanagement durch Kontextsteuerung vgl. Naujoks 1994), zum anderen über Veränderungen der hierauf z.T. aufbauenden Systeme der Grund- und Leistungslohndifferenzierung. Die Gestaltung einzelner Arbeitsplatzzuschnitte im Rahmen der angesprochenen Veränderungen und die entsprechenden Ansprüche an die Subjektivität der Organisationsmitglieder können dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Die im Rahmen der marktorientierten Prozessorganisation durchgeführte Dezentralisierung von Organisationen erstreckt sich nämlich nicht notwendig auf alle (Ar13
beitsplatz-)Ebenen der Organisation. So veranlasst die hinzugewonnene Verantwortung nun dezentraler Organisationseinheiten zwar deren Suche nach personellem Rationalisierungspotential bzw. zu erschließender subjektiver Potentiale der Mitarbeiter, zieht aber dabei nicht notwendig inhaltlich angereicherte bzw. inhaltlich dezentralisierte Tätigkeitszuschnitte nach sich. In diesem Sinne kann „Dezentralisierung“ auf Arbeitsplatzebene z.B. auch „nur“ in der Übertragung unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten bestehen. Zur Umsetzung einer effizienten marktorientierten Prozessorganisation bieten sich aus unternehmerischer Perspektive demnach unterschiedliche Personaleinsatzstrategien an, die je nach Tätigkeitszuschnitt und Subjektivitätsbedarf der Arbeitsaufgabe unterschiedlich effizient sein können. Je nach Personaleinsatzstrategie werden also wiederum unterschiedliche Ansprüche an die Subjektivität der Beschäftigten gestellt. Trotz dieser unterschiedlichen Realisierungsformen der neuen Marktorientierung von Organisationen, sind sie alle einer gemeinsamen Leistungssteuerungslogik verbunden. Diese neue Logik kann als „marktförmige Leistungssteuerung“ bezeichnet werden und bedeutet vereinfacht, dass die Steuerung der Leistungserbringung von Organisationsmitgliedern zunehmend über die Vorgabe und Kontrolle der marktlich bewerteten Outputgrößen ihrer Leistung erfolgt. Die Leistung von Organisationsmitgliedern wird somit in wachsendem Maße vorrangig als Beitrag zum ökonomisch bewerteten Gesamtergebnis einer Organisation definiert, gesteuert und wertgeschätzt. War dies bisher eher in höheren Hierarchieebenen der Fall, bewirkt die organisationsweite Dezentralisierung und marktliche Prozessorientierung die Steuerung der Organisationseinheiten über die Vorgabe jeweils einheitsspezifischer Funktionsbeiträge zum gesamten Leistungserstellungsprozess und die Forcierung personellen Rationalisierungspotentials in und durch die Einheiten. Die Steuerung über die Vorgabe der funktionsspezifischen Beiträge schlägt sich dabei idealtypisch in der zunehmenden Vorgabe von zu erreichenden Zielen bzw. Kennziffern für die Einheiten bzw. dann - je nach Größe und Tätigkeitszuschnitt der Einheiten und deren Beschäftigten unterschiedlich - für einzelne Mitarbeiter nieder. Die Ziele und Kennziffern sollen dabei über die kaskadenförmige Ableitung von den unternehmerischen Oberzielen der Gesamtorganisation entwickelt werden. Diese Tendenzen werden durch die wachsende informationstechnische Durchdringung und Verflechtung der Leistungserstellungsprozesse in und zwischen Organisationen unterstützt, welche die zusammenhängende Abbildung und Erfüllung einzelner Leistungsindikatoren sichtbar und damit auch bewertbar machen sollen. Die spezifischen organisationalen Mechanismen zur Umsetzung der marktförmigen Leistungssteuerung im Rahmen von Prozessorientierung, Dezentrali14
sierung und Entgeltsystemen sind dabei sehr vielfältig, reichen unterschiedlich weit und setzen auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlich an. So kann sich marktförmige Steuerung von menschlicher Arbeit auf der individuellen Arbeitsplatzebene sowohl im verstärkten Einsatz atypischer Beschäftigungsverhältnisse als auch in der am kalkulierten Verkaufspreis unmittelbar orientierten Zielvorgabe eines einzuhaltenden Projektbudgets und der entsprechenden Entgeltung der jeweiligen Mitarbeiterleistung niederschlagen. In diesem Zusammenhang spielen z.B. Formen der „simulierten“ und „echten“ Vermarktlichung als Schaffung eines unternehmensinternen, kontrollierten quasi „künstlichen“ Marktes bzw. als tatsächliche „Freisetzung“ einzelner Organisationseinheiten auf dem Markt (vgl. Moldaschl/Sauer 2000, vgl. Kap 4) sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Bildung interner Märkte (vgl. z.B. Frese 2001, 2004) als auch unterschiedlich weitgehende Formen der Abbildung marktlicher Dynamiken im individuellen Entgelt eine Rolle. 2) Herleitung des Grundproblems Generell implizieren die Tendenzen der marktförmigen Leistungssteuerung in Organisationen eine Erosion des „normativen Kerns“ des sozialen Verständnisses von Leistung (vgl. Neckel/Dröge 2000; Neckel et al. 2004) und des Leistungsprinzips als Fundamentalnorm distributiver Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften. Sind Märkte gegenüber dem Zustandekommen von „Leistungsbeiträgen“ gleichsam blind - also ausschließlich an ökonomischen Ergebnissen interessiert, richtet sich das Leistungsprinzip hinsichtlich der Gewährung von Leistung und Gegenleistung nach der Wünschbarkeit des Ergebnisses und vor allem nach der Mühe, die zu dessen Erreichung im Allgemeinen erforderlich ist (Neckel/Dröge 2002, S. 104 ff.). Das Leistungsprinzip folgt Normen der Gegenseitigkeit, der Äquivalenz und hat immer auch eine Kompensationsfunktion für aufgewandte Anstrengung und Mühe. Arbeitsorganisationen stellen die historisch gewachsenen Orte der gesellschaftlichen Realisierung des Leistungsprinzips dar. Mit der formalen Gewährleistung der Äquivalenz von individueller Leistung und organisationaler Gegenleistung stabilisiert das Leistungsprinzip das Austauschverhältnis zwischen Individuum und Organisation und damit die soziale Legitimation und Funktionsfähigkeit von Arbeitsorganisation. Es gewährleistet Teilnahme- und organisationsnützliche Beitragsentscheidungen, schafft relative Handlungssicherheit auf individueller Ebene und beeinflusst wesentlich - zumindest in formaler Hinsicht - den sozialen Status des Einzelnen. In diesem Zusammenhang und darüber hinaus haben die Erbringung von Leistung und deren organisationale Anerkennung über die Gewährung einer entspre15
chenden Gegenleistung einen wesentlichen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung des Einzelnen und dessen Identitätsbildung. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die wachsende Marktförmigkeit der Leistungsteuerung in Organisationen nicht reibungslos stattfinden wird. Jene Reibungen beziehen sich dabei auf die individuelle als auch auf die organisationale Ebene. Auf beiden, wechselseitig verknüpften Ebenen scheint die stabilisierende Funktion des Leistungsprinzips zur Disposition zu stehen. Auf individueller Ebene kann sich dies z.B. in tiefen Eingriffen in das persönliche Identitätsverständnis von Organisationsmitgliedern und einer damit verbundenen Unsicherheit über eigene Verhaltensweisen und Handlungen oder auch deren aktiver Verteidigung äußern. Auf organisationaler Ebene schlagen sich eben jene schwer antizipierbaren und mehrheitlich organisational nicht intendierten, identitätsbezogenen Verhaltensweisen im individuellen und kollektiven Leistungserstellungsprozess nieder und können auf diese Weise zu einer Destabilisierung organisationaler Abläufe führen, die stärker als geplant ausfällt. Vor diesem Hintergrund wird der Fokus der vorliegenden Arbeit auf die mit der marktförmigen Leistungssteuerung zusammenhängenden Konsequenzen für das wechselseitige Konstitutionsverhältnis von Individuum und Organisationen gerichtet (vgl. Abb. 1). Das generelle Grundanliegen der Arbeit ist es daher, einen umfassenden Bezugsrahmen zu erstellen, der die skizzierten Zusammenhänge strukturiert abbildet und zugleich analysierbar macht (vgl. Kubicek 1977; Becker 2004; Joas/Knöbl 2004). So wird der Versuch unternommen, empirische Phänomene zu ordnen und zu deuten, indem Zusammenhänge postuliert werden, die einer empirischen Überprüfung unterzogen werden können und müssen. Zugleich erhebt die vorliegende Untersuchung nicht den Anspruch, selbst eine empirische Untersuchung zu sein. Indem sie jedoch aktuelle Entwicklungen in Arbeitsorganisationen diagnostiziert und postuliert, setzt sie sich selbstverständlich der Möglichkeit empirischer Überprüfung und Kritik aus (vgl. Rosa 2005, S. 56). Wesentliche Bausteine des zu erstellenden Bezugsrahmens sind identitäts- und anomietheoretische Überlegungen. Marktförmige Leistungssteuerung und ihre möglichen Auswirkungen auf die persönlich wahrgenommene Identität der Organisationsmitglieder sowie der entsprechenden Konsequenzen für die Funktionsweise der Organisation sollen so differenziert dargestellt und in ihrem Zusammenhang für empirische Untersuchungen strukturiert werden. Die Erfassung des wechselseitigen Verhältnisses von Individuum und Organisation vor dem Hintergrund der organisationalen Leistungssteuerung und die entsprechende Verwendung identitäts- als auch anomietheoretischer Erkenntnisse ist in der bisherigen Forschungslandschaft noch nicht vorgenommen worden. Doch gerade eine solche Perspektive erscheint insbesondere bei der aktuellen Problematik marktförmiger Leistungssteuerung neue Erkenntnisse über bisher nicht antizi16
pierte und schwer erklärbare Konsequenzen dieser Steuerungslogik generieren zu können. 3) Identitäts- und anomietheoretische Überlegungen Das Verhältnis von Individuum und Organisation wird in der Arbeit grundsätzlich als ein wechselseitiges verstanden und konzeptualisiert. Es wird demnach davon ausgegangen, dass die individuelle und organisationale Ebene in einem gegenseitigen Konstitutionsverhältnis zueinander stehen. Die Organisationsmitglieder werden durch Veränderungen auf organisationaler bzw. struktureller Ebene beeinflusst und beeinflussen durch ihre Reaktionen bzw. Handlungen wiederum die organisationale Ebene. Dieses Grundverständnis bedingt eine Konzeptualisierung der Individuums- und Organisationsebene, die jeweils die wechselseitige Einflussnahme abbildbar und analysierbar macht. Im Folgenden soll zunächst auf die Individuumsebene und anschließend auf die entsprechende Konzeptualisierung der Organisationsebene eingegangen werden. Auf individueller Ebene wird mit dem Grundverständnis von Identität operiert, das George Herbert Mead (1973 orig. 1934) als ein Begründer der Handlungstheorie des Symbolischen Interaktionismus entwickelt hat und das heute insbesondere im industriesoziologischen Bereich wieder aufgegriffen wird (z.B. Holtgrewe et al. 2000). Identität wird hier als subjektiv wahrgenommene Einheit der lebenslangen Erfahrungen über einen selbst verstanden, wobei jene Erfahrungen notwendig an die soziale Interaktion mit dem sozialen Umfeld geknüpft sind. Identitätsbildung erfolgt durch den lebenslangen Prozess der wechselseitigen Perspektivenübernahme zwischen Interaktionspartnern bzw. zwischen dem Einzelnen und größeren Gruppen. Von Identität kann dann gesprochen werden, wenn der Einzelne die über sich gesammelten Erfahrungen in eine kohärente und konsistente Einheit synthetisieren kann. Der Aufbau einer Identität und deren subjektiv befriedigende Fortentwicklung kann dabei nur durch wechselseitige Anerkennung zwischen den Interaktionspartnern gewährleistet werden (vgl. Honneth 1994). Identität stellt damit die Basis für subjektiv sinnhafte Verhaltensweisen und Handlungen sowie für die Formulierung subjektiv relevanter Anerkennungsansprüche an das soziale Umfeld dar. Im Falle einer veränderten Leistungssteuerung und damit veränderten „Anerkennungsmustern“ in Organisationen kann Identität somit den „Stoff“ liefern, diese neu angetragene Anerkennung im Sinne des Schutzes oder der subjektiv gewollten Fortentwicklung der eigenen Identität abzulehnen oder abzuwandeln bzw. entsprechend zu reagieren. Generell lässt sich Identität somit sowohl als vom sozialen Umfeld bzw. von der Organisation beeinflusste als auch die Organisation beeinflussende 17
Größe darstellen. Darüber hinaus ist, mit Ausnahme der Führungsforschung, die subjektiv wahrgenommene Identität als handlungsrelevante Größe in der betriebswirtschaftlichen Forschung bisher kaum eingehender beleuchtet worden (aktuell Lührmann (2006); Schreyögg/Lührmann (2006) zum Zusammenhang von Identität und Führung).1 Nicht zuletzt deswegen erscheint es lohnenswert, sich tiefer mit entsprechenden Erkenntnissen aus anderen Forschungsbereichen auseinanderzusetzen und für die vorliegende Fragestellung aufzubereiten. Hiermit wird der bisherigen, eher geringfügigen Untersuchung von „Identität“ im hier verstandenen Sinne in organisationstheoretischen als auch betriebswirtschaftlichen Fragestellungen Rechnung getragen (vgl. Nord/Fox 1996) und gleichzeitig der lauter werdenden Forderung nach einer stärkeren Beachtung dieses Konzeptes entgegengekommen (z.B. Wiesenfeld 1997; Young 2000; Holtgrewe et al. 2000; Turnbull 2001; Thomas/Linstead 2002; Ogbonna/Wilkinson 2003; Tengblad 2004; Thomas/Davies 2005; aktuell in Bezug auf die Konzeptualisierung von Führung z.B. Lührmann 2006). Demgegenüber werden zur Konzeptualisierung der Organisationsebene und deren akteursvermittelten (!) Betroffenheit durch neue Leistungssteuerung soziologisch klassische Vorstellungen über die Beschaffenheit und die Bedingungen „stabiler“ Institutionen herangezogen. Mit der Verwendung des anomietheoretischen Ansatzes nach Merton (orig. 1938) soll keine reine Wiedererweckung strukturfunktionalistischer soziologischer und organisationstheoretischer Überlegungen vollzogen werden (vgl. Joas/Knöbl 2004). Vielmehr wird versucht, die anomietheoretischen Überlegungen über die Destabilisierung von Organisationen durch die schwache Wirksamkeit von Normen mit identitätstheoretischen Vorstellungen zu verknüpfen. Mertons Konzeption von Anomie bietet in dieser Hinsicht besonders gute Anknüpfungspunkte, da die Ausprägung gesellschaftlicher bzw. organisationaler Normen und Strukturen in eine explizite Verbindung zu Reaktionsweisen auf individueller Ebene gesetzt werden. Sein Anomieansatz scheint daher besonders gut geeignet die - in der Anomietheorie traditionell vernachlässigte - Verknüpfung zwischen Individuums- und Organisationsebene zu leisten. Auch vor dem Hintergrund identitätstheoretischer Überlegungen ist es unrealistisch, anzunehmen, dass alle Akteure in gleicher Weise auf Normenwandel reagieren. Mit dem Mertonschen Konzept der „Reaktionstypen“ auf Normenwandel wird eine brauchbare Systematisierung angeboten, um unterschiedliche Reaktionen von Akteuren und die Wirkungen ihres Handelns in Organisationen auch empirisch zu erfassen. Diese Überlegungen erlauben also einerseits die Einnahme einer institutionellen Sichtweise auf veränderte Leis1
Wobei auch Lührmann hervorhebt, dass die Analyse der eigentlichen Interaktion zwischen Geführten und Führungsperson und die entsprechende Rolle von Identität im Rahmen dieser Forschung zu wenig Beachtung findet.
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tungssteuerung, d.h. es lassen sich Aussagen über die Konsequenzen auf organisationaler Ebene treffen. Andererseits ermöglichen sie systematische Überlegungen in Bezug auf die Konsequenzen auf individueller Ebene. In dieser Hinsicht können die Veränderung von organisationalen Normen der Leistungssteuerung als veränderte Anerkennungsmuster gelesen werden, die entsprechende identitätsbezogene Reaktionen auf Individuumsebene nach sich ziehen, welche die neu vorgegebenen Normen reproduzieren oder auch untergraben (vgl. Abb. 1). Letzteres würde dann einen anomischen, also instabilen Zustand der Organisation kennzeichnen. Die Betrachtung organisationaler Leistungssteuerungssysteme aus anomietheoretischer bzw. institutioneller Perspektive, also mit der einhergehenden Frage nach den Auswirkungen auf die Organisation als Ganzes, ist in der betriebswirtschaftlichen Forschung bisher vernachlässigt worden. Hier hat man sich bisher stärker mit der individuellen Motivations- und Anreizwirkung der neuen Leistungssteuerung, also mit den Effekten auf die individuelle Leistungsanstrengung der Organisationsmitglieder, beschäftigt (z.B. Frey/Osterloh 1997, 2000). Die Verknüpfung von organisationaler Leistungssteuerung, Identität und Anomie in einem Bezugsrahmen (vgl. Abb. 1) ist dabei in mehrfacher Hinsicht von aktueller Relevanz, so dass hiermit zugleich mehrere Zielstellungen verbunden sind. Diese Aspekte und der Aufbau der Arbeit werden im folgenden Abschnitt kurz aufgezeigt.
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20
Abbildung 1:
Argumentative Zusammenhänge der vorliegenden Arbeit
1.2 Zielstellungen und Aufbau der Arbeit Wie bereits erläutert, ist es das grundlegende Ziel der Arbeit, einen konzeptionellen und auch empirisch anschlussfähigen Bezugsrahmen zur Darstellung und Analyse der Konsequenzen marktförmiger Leistungssteuerung auf die Identität der Organisationsmitglieder und die akteursvermittelten (Rück-)Wirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Organisation zu erstellen (vgl. Abb. 1). Mit diesem Grundanliegen sind weitere Zielstellungen verbunden, die oben bereits angedeutet wurden und sich gemäß dem Aufbau der Arbeit folgendermaßen darstellen lassen:
Hervorhebung und differenzierte Darstellung der in der betriebswirtschaftlichen Forschung bisher vernachlässigten Identitätskonzeption nach G.H. Mead (1975 orig. 1938) (Kap. 2) Darstellung der klassischen organisationstheoretischen bzw. soziologischen Theorie der Anomie und Verknüpfung mit identitätstheoretischen Überlegungen (Kap. 2) differenzierte Aufbereitung, Darstellung und Hervorhebung des normativen Kontextes der Leistungssteuerung in Organisationen in Form des Leistungsprinzips und dessen Funktionen für das wechselseitige Verhältnis von Individuum und Organisation (Kap. 3) differenzierte Aufbereitung wesentlicher Facetten marktförmiger Leistungssteuerung und der Bedingungen ihrer unterschiedlichen Realisierung auf Arbeitsplatzebene (Erstellung einer entsprechenden Heuristik) (Kap. 4) Darstellung der aus den identitätstheoretischen Überlegungen ableitbaren Idee der „wechselseitigen Anerkennung“ (Honneth 1994) zwischen Organisationsmitglied und arbeitgebender Organisation und deren anomietheoretische Rahmung und Anwendung für das Problem der marktförmigen Leistungssteuerung in Organisationen (Kap.5)
Die Arbeit ist in vier größere Kapitel geteilt (vgl. Abb. 2). Im zweiten Kapitel erfolgt zunächst eine ausführliche Darstellung und Erläuterung des identitätstheoretischen Ansatzes nach George Herbert Mead. So werden u.a. die für den Ansatz wesentliche Idee des „taking the role of the other“ als auch die zu unterscheidenden Identitätskomponenten „I“ und „Me“ erklärt. Besonderes Augenmerk wird auf „Anerkennung“ als wesentlichem Medium der gelingenden Identitätsbildung gerichtet. Nach Ausführungen zur Identitätsbildung in modernen Gesellschaften und einer zusammenfassenden Darstellung zum verwendeten Identitätsverständnis wird letztlich auf verschiedene, soziostrukturell bedingte Identitätsbedrohungen eingegangen. Da soziale Zustände der Anomie als eine 21
solche Identitätsbedrohung gelesen werden können, wird an dieser Stelle der soziologische Ansatz der Anomie ausführlicher vorgestellt und die identitätstheoretische Verknüpfung hergestellt. Im dritten Kapitel geht es um die Charakteristika von „Leistung“ in modernen Gesellschaften und die Erläuterung der Bedeutung von in Arbeitsorganisationen erbrachter Leistung für die Identitätsbildung des Einzelnen. So werden z.B. die historische Entwicklung der europäischen „Leistungsgesellschaft“ und die entsprechende Herausbildung von Arbeitsleistung zur sozial geteilten Kollektivnorm skizziert. In diesem Zusammenhang werden im letzten Teil dieses Kapitels die unterschiedlichen Bezugsbereiche und auch Formen der identitätsrelevanten Anerkennung erläutert, welche über die Erbringung von Leistung in Arbeitsorganisationen erworben werden kann, sowie die entsprechenden Besonderheiten der Erbringung professioneller Leistung vorgestellt. Das vierte Kapitel beinhaltet die Auseinandersetzung und Darstellung mit den neuen Formen der Leistungssteuerung bzw. der marktförmigen Leistungssteuerung in Arbeitsorganisationen. Nach der Gegenüberstellung des fordistischen und postfordistischen Produktionsmodells wird auf verschiedene Perspektiven neuer Leistungssteuerung und deren Zusammenhang eingegangen, wie z.B. der stärker subjektorientierte Zugriff auf Arbeitskraft, marktorientierte Prozessgestaltung und Dezentralisierung, „Flexibilisierung“ des Personaleinsatzes oder entsprechende Veränderungen bei Entgeltsystemen. Letztlich wird die vereinende Logik dieser Veränderungen im Sinne von wachsender „Marktförmigkeit“ der Leistungssteuerung und dem damit transportierten neuen Verständnis von „Leistung“ herausgearbeitet. In Kapitel fünf werden die bisherigen Erkenntnisse zusammengeführt, indem die verschiedenen Facetten der marktförmigen Leistungssteuerung aus identitäts- und anomietheoretischer Perspektive analysiert werden. Im ersten großen Teil des Kapitels werden verschiedene Tendenzen im leistungsbezogenen Verhältnis von Individuum und Organisation dargestellt, die sich vor dem Hintergrund des normativen Kontextes des Leistungsprinzips als Paradoxa lesen lassen. Hier geht es beispielsweise um Formen der gleichzeitigen Anreicherung und Verengung des Leistungsverständnisses und die Betonung des Leistungsvollzuges bei dessen gleichzeitiger Vernachlässigung. Im zweiten Teil des Kapitels werden die sich verändernden Bedingungen der wechselseitigen Anerkennung zwischen Individuum und Organisation dargestellt, indem die herausgefilterten Paradoxa als „Bruch“, „Verengung“ und „Unsicherheit“ von Anerkennungsmustern erläutert werden, welche wiederum zur „Verteidigung“, „Erosion“ oder „Hinterfragung“ von Identität führen können. Aus diesen Gedanken werden anschließend anomietheoretische Überlegungen entwickelt. Die Konsequenzen der marktförmigen Leistungssteuerung auf Individuumsebene werden 22
hier an Überlegungen hinsichtlich eines anomischen Zustandes auf organisationaler Ebene angeschlossen (Mehrebeneanalyse). In diesem Zusammenhang erfolgen zudem Schlussfolgerungen über entsprechende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit von Arbeitsorganisationen. Letztlich werden Vermutungen über entsprechende Wirkungen in gesellschaftlicher Hinsicht getroffen sowie ein Fazit hinsichtlich des Managements von Arbeitsorganisationen gegeben.
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Abbildung 2:
Aufbau der Arbeit 1 Einleitung - Problemskizze - Zielstellung und Aufbau der Arbeit
2 Subjektive Identität, Anerkennung und Anomie als Identitätsbedrohung
3 Leistung in modernen Gesellschaften – Charakteristika und Bedeutung für Identität
- Grundlagen zur Konstitution subjektiver Identität (G.H. Mead) - anomische Anerkennungsmuster als Identitätsbedrohung
- Grundlagen des Leistungsbegriffes - Bedeutung und Funktionen des Leistungsprinzips in Arbeitsorganisationen - Leistung als Medium der Anerkennung
4 Neue Formen der organisationalen Leistungssteuerung - subjektorientierter Zugriff auf Arbeitskraft - marktorientierte Prozessgestaltung und Dezentralisierung sowie korrespondierende personelle Rationalisierungsstrategien - marktorientierte Indikation und Wertschätzung von Leistung 5 Paradoxien der neuen Leistungssteuerung – Darstellung und Konsequenzen aus anomie- und identitätstheoretischer Perspektive - Ausweitung und Aushöhlung des Leistungsprinzips - paradoxe Entwicklungen im leistungsbezogenen Verhältnis von Individuum und Organisation - neue Bedingungen der Anerkennung als anomische Konstellation für Individuum und Organisation
6 Fazit - Zusammenfassung und Forschungsausblick - Empfehlungen für das Management
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2 Subjektive Identität, Anerkennung und Anomie
In Anbetracht der mit dem Terminus „Identität“ verbundenen Bedeutungsvielfalt wird das Kapitel mit einer Einordnung und einer Darstellung der wesentlichen Facetten des hier vertretenen Begriffes von subjektiver Identität eröffnet. Im zweiten Abschnitt werden die entsprechenden theoretischen Grundlagen zum Bildungsprozess subjektiver Identität und den Bedingungen „gelingender Identitätsbildung“ ausführlich erläutert. Dabei wird auf die Theorie der Symbolischen Interaktion von George Herbert Mead zurückgegriffen und die Bedeutung der wechselseitigen Anerkennung für Identitätsbildung hervorgehoben. Unter ergänzender Einführung von Überlegungen Erving Goffmans wird anschließend auf die Bedingungen und die Art und Weise der Identitätsbildung in modernen Gesellschaften eingegangen. Im dritten Abschnitt erfolgt eine Zusammenfassung und wird die entsprechende Definition des in der Arbeit gebrauchten Identitätsbegriffes vorgenommen. Das Kapitel wird mit einem Abschnitt zu „Identitätsbedrohungen“, welche sich aus dem sozialen Umfeld des Einzelnen ergeben können, abgeschlossen. Besonderes Augenmerk wird hier auf den identitätsbedrohenden Charakter anomischer Anerkennungsmuster gerichtet. Daher werden theoretische Grundlagen als auch die Kritik am soziologischen Ansatz der Anomie erläutert und anschließend mit identitätstheoretischen Überlegungen verknüpft. 2.1 Einordnung und wesentliche Facetten subjektiver Identität So geläufig Vorstellungen über „Identität“ am alltagssprachlichen Bereich sein mögen, so schwierig gestaltet es sich, eine allgemein akzeptierte, sozialwissenschaftliche Definition zu finden (vgl. Frey/Haußer 1987; Leary/Tangney 2003). Will man am Begriff der Identität festhalten, ist es daher notwendig, dessen vielfältige Bedeutung in den „diffusen Schnittmengen diverser Fach- und Alltagsdiskurse“ (Keupp et al. 2002, S. 7) zu klassifizieren und das eigene Begriffsverständnis darin zu verorten. Eine solche Klassifikation erscheint anhand zweier Merkmalskategorien sinnvoll (vgl. Abb. 3): Zum einen nach der Art des zu „identifizierenden“ Objektes. So wird Identität einerseits zur Kennzeichnung einzelner Individuen, andererseits zur Kenn25 G. Faßauer, Arbeitsleistung, Identität und Markt, DOI 10.1007/978-3-531-91040-6_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
zeichnung sozialer Systeme, wie Gruppen oder Organisationen, gebraucht (vgl. Frey/Haußer 1987, S. 4). Zum Beispiel bezeichnet der Begriff der „organizational identity“ nach Albert/Whetten (1985) das Bild, das Organisationsmitglieder von „ihrer“ Organisation haben („Who are we anyway, as an organization?“ Gioia 1998, S. 21) und kennzeichnet somit die Identität eines sozialen Systems. Zum anderen lässt sich die Bedeutung von Identität danach klassifizieren, aus welcher Perspektive ein Objekt „identifiziert“ wird. Hier lässt sich nach Innen- und Außenperspektive unterscheiden (vgl. Daniels 1981, S. 20; Frey/Haußer 1987, S. 4). Nimmt eine Person die Innenperspektive ein, identifiziert sie sich selbst, indem sie ihre Erfahrungen über sich selbst verarbeitet. Subjekt und Objekt der Identifizierung sind also in der Person vereint. Ein geläufiger Begriff für diese Kategorie von Identität ist der der „Ich-Identität“ nach dem Psychoanalytiker Erikson (1973) (vgl. Türk 1976, S. 54ff.; Schimank 1981; Keupp et al. 2002, S. 25ff.). In der Außenperspektive hingegen wird die Person durch andere identifiziert, etwa durch die Zuschreibung von Charakterzügen oder eines bestimmten Status. Subjekt und Objekt der Betrachtung treten demnach auseinander. Die Kategorien von „sozialer“ und „persönlicher Identität“ nach Goffman (1992, S. 10 bzw. 73ff.) sind z.B. dieser Perspektive von Identität zuzuordnen, da diese eine allgemeinere oder speziellere Einordnung bzw. Kennzeichnung eines Individuums durch andere darstellen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der „Selbstidentifikation“ von Individuen in einer Organisation. Das heißt, „Identität“ bezieht sich im Folgenden auf einzelne Individuen, die sich selbst zum Objekt der Identifikation machen, also die Innenperspektive einnehmen. Im Fortgang der Arbeit wird der Begriff der „subjektiven Identität“ verwendet. Zudem wird zu zeigen sein, dass Innen- und Außenperspektive in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen. Nach dieser grundlegenden Einordnung werden im Folgenden wesentliche Facetten von subjektiver Identität vorgestellt. Dabei beinhalten diese „Facetten“ notwendige Bedingungen bzw. Merkmale von „subjektiver Identität“ als auch zu beachtende methodologische Aspekte bei der Untersuchung von Identität. Die Facetten sollen also zunächst wesentliche „Fakten“ in Bezug auf das hier vertretene Verständnis von „subjektiver Identität“ auf einen Punkt bringen. Diese Facetten lassen sich auch mit Lührmann (2006, S. 143ff.) im Bereich der aktuellen Identitätsforschung verorten bzw. spiegeln den wesentlichen Grundkonsens sozialpsychologischer Identitätsforschung wider. Anschließend wird der Identitätsbildungsprozess näher betrachtet.
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Abbildung 3:
Betrachtungsweisen von „Identität“ Art des zu identifizierenden Objektes Individuum
Perspektive der Identifizierung
Innenperspektive
subjektive Identität
Außenperspektive
z.B. „Soziale Identität“ (Goffman 1992)
Gruppen / Organisationen z.B. „organizational identity“ (Albert/Whetten 1985)
Quelle: eigene Darstellung Reflexivität und soziale Interaktion Die Fähigkeit, sich selbst zum Objekt der Betrachtung zu machen bzw. ein Bewusstsein über sich selbst zu entwickeln, ist durch die „humanspezifische Grundtatsache“ (Frey/Haußer 1987, S. 5) der Reflexivität bedingt. Hierzu formuliert Geulen: „Im Selbstbewusstsein (…) werde ich mir als von der Umwelt unterschiedenes Individuum, ja als „Subjekt“, bewusst, das heißt, ich richte mein Bewusstsein intendiert auf mich und meine Bewusstseinsakte selber; dieser Prozess ist (...) ein reflexiver. (Geulen 1989, S. 115, H.i.O.).2
Reflexivität als „...capacity to think about oneself...“(Leary/Tangney 2003, S. 4) ist damit als grundlegendes Merkmal subjektiver Identität bzw. als erste notwendige Bedingung für deren Konstitution zu betrachten (vgl. Daniels 1981, S. 12f.; Frey/Haußer 1987, S. 5ff.). Die zweite notwendige Bedingung für die Entwicklung von Identität stellt die soziale Interaktion eines Individuums dar. Das heißt, es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Reflexion über sich selbst und die Konstitution subjektiver Identität aus der sozialen Erfahrung in der Interaktion mit anderen bzw. in der Auseinandersetzung mit einem sozialen Umfeld entsteht (vgl. Habermas 1968; Keupp 2002; siehe für den Bereich der Psychologie: Mischel/Morf 2003). Ein Individuum ist demnach in seiner subjektiven Identitäts2 Im Quellentext befinden sich augenscheinlich zwei Druckfehler: statt „mir“ „mit“ und statt „bewusst“ „gewusst“. Diese wurden hier entsprechend verbessert.
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bildung gezwungen, sich mit den Erfahrungen, die es über sich in der Interaktion mit anderen sammelt, auseinanderzusetzen und diese Erfahrungen in ein für sich nachvollziehbares Bild zu bringen. Dies widerspricht z.B. klassischen, „existentialistischen“ Vorstellungen von Identität als inhärent vorhandene „Substanz“ (vgl. anschaulich Lührmann 2006, S. 148 ff.). Kontinuität und Kohärenz Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Selbstidentifikation dann gelingt, wenn das Individuum die durch andere Individuen gewonnenen Erfahrungen über sich selbst in eine für sich sinnhafte Einheit synthetisieren kann. Dieser Prozess wird von Keupp et al. als „Identitätsarbeit“ bezeichnet (Keupp et al. 2002, S. 9). In der Identitätsarbeit muss das Individuen seine Erfahrungen miteinander in Einklang bringen, die es sowohl im zeitlichen Verlauf seines Lebens, z.B. als Jugendlicher oder Erwachsener, als auch in verschiedenen sozialen Bereichen, z.B. Erwerbsarbeit oder Familie, über sich gesammelt hat (vgl. Abb. 4). Abbildung 4:
Kohärenz und Konsistenz von (Selbst)Erfahrungen
Synthese von Erfahrungen über die Zeit hinweg (Kohärenz)
Synthese von Erfahrungen über verschiedene soziale Interaktionsbereiche
Quelle: in Anlehnung an Lührmann (2006, S. 219) sowie Keupp et al. (1999, S. 191)
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In dem Sinne stellen Kontinuität als empfundene Einheit des eigenen Selbst über die Zeit und Kohärenz als empfundene Einheit des eigenen Selbst über verschiedene Interaktionsbereiche grundlegende Merkmale einer gelungenen Selbstidentifikation und damit subjektiven Identität dar (vgl. Shibutani 1961, S. 214ff.; Baumeister 1986, S. 18; Habermas 1988; Krappmann 2000, S. 7ff.; Keupp et al. 2002, S. 25ff.). So schreibt Daniel: „»Identität« meint das »Mit- Sich- Selbst- Gleichsein« in oder trotz der Mannigfaltigkeit der teilweise sehr verschiedenen und widersprüchlichen Taten, die man im Verlauf seines Lebens vollbringt oder die andere von einem erwarten.“ (Daniel 1981, S.10)
Soziohistorische Dimension Anhand der bisherigen Erläuterungen wird offensichtlich, dass sozialwissenschaftliche Untersuchungen über Identität immer eine soziohistorische Dimension aufweisen (vgl. Tatschmurat 1980, S. 23ff.; Baumeister 1986; Keupp et al. 2002, S. 25ff.). Das heißt „Identitätsarbeit“ und die Ausprägung von Identität ist von der jeweiligen Beschaffenheit des sozialen Umfeldes und dessen Veränderungen im Zeitverlauf abhängig (vgl. z.B. die Studie von Krömmelbein 1996). So beeinflusst etwa das Maß der Fragmentierung von Interaktionsbereichen in einer Gesellschaft oder deren Veränderungsdynamik die Vielfalt an Selbsterfahrungen für Individuen und damit deren subjektive Identitätsbildung. Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, dass das Phänomen der menschlichen Identität vornehmlich aus der Perspektive der gesellschaftlichen Entwicklung zur Moderne thematisiert und problematisiert wurde (vgl. Baumeister 1986; Habermas 1988; Zima 2000; Zima 2001, S. 47ff.; Keupp et al. 2002; Lührmann 2006, S. 148ff.). Die Entwicklung zur Moderne wird in der Soziologie zumeist sowohl durch den Aspekt der wachsenden gesellschaftlichen Differenzierung, z.B. als Ausdifferenzierung einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche, wie z.B. Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft, als auch durch den Aspekt der Endtraditionalisierung der Lebenswelt, gekennzeichnet der sich z.B. in der Zersetzung gemeinschaftlich bindender religiöser Weltbilder zeigt (vgl. Habermas 1988, S. 234ff.).3 In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass es zu einer wachsenden Individualisierung des Einzelnen kommt (vgl. Schimank
3
Eine umfassende Darstellung der Problematik „Moderne“ findet sich in Zima 2001.
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1996, S. 44ff.).4 Auch heute werden Fragen bezüglich Identität und Identitätsbildung im sozialwissenschaftlichen Bereich häufig vor diesem Hintergrund thematisiert (z.B. Gergen 1996; Sennett 2000; Beck 2003). 2.2 Die Konstitution subjektiver Identität - theoretische Grundlagen Im folgenden Abschnitt werden die theoretischen Hintergründe zu den eben dargestellten Facetten von Identität beleuchtet. Hierzu wird auf die wesentlichen Erkenntnisse der Sozialpsychologie von George Herbert Mead und deren aktueller sozialwissenschaftlicher und -philosophischer Interpretation zurückgegriffen (insbes. durch Honneth 1994; 2004). Des Weiteren werden die spezifischen Bedingungen der Identitätsarbeit in „modernen“ Gesellschaften vorgestellt. Der Abschnitt schließt mit der Definition des in der Arbeit gebrauchten Identitätsbegriffes. Bevor in die Theorie zur Identitätsbildung eingestiegen wird, soll die Auswahl des Meadschen Ansatzes noch kurz begründet werden. 2.2.1 Die Sozialpsychologie von George Herbert Mead Die Konstitution und Formung der subjektiven Identität eines Menschen steht in einem notwendigen Zusammenhang mit dessen sozialen Umfeld. In Bezug auf die Vorstellung von Identität bedingt dies eine Forschungskonzeption, die das Potential bietet, diese beiden Dimensionen gemeinsam zu erfassen. Tatschmurat drückt dieses Erfordernis folgendermaßen aus: „Das Wesentliche bei der wissenschaftlichen Bearbeitung des Problems menschlicher Identität ist, dass es gelingen muss, in zwei theoretischen Systemen oder auf zwei Ebenen gleichzeitig zu denken und zu argumentieren: auf der Ebene der objektiven, natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen des menschlichen Lebensraumes und auf der Ebene der subjektiven Verarbeitung der wahrgenommenen und emotional bewerteten Umweltgegebenheiten.“ (Tatschmurat 1980, S. 12)
Berger/Luckmann schreiben: „Sobald man spezifisch menschliche Phänomene untersucht, begibt man sich in den Bereich gesellschaftlichen Seins. Das spezifisch menschliche des Menschen und 4
Vor diesem Hintergrund sind auch häufig angeführte Merkmale von subjektiver Identität wie z.B. „Differenz“ (Baumeister 1986, S. 18) oder „Individualität“ einzuordnen (Schimank 1981, S.13ff.; Frey/Haußer 1987, S. 9ff.).
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sein gesellschaftliches Sein sind untrennbar miteinander verschränkt. Homo sapiens ist immer und im gleichen Maßstab auch Homo Socius.“ (Berger/Luckmann 2000, S. 54; H.i.O.).
Wenn man sich mit Identitätsbildung befasst, ist es also notwendig, sowohl die subjektive als auch die soziale Ebene in den Blick zu bekommen. Nur auf diese Weise lässt sich der Identitätsbildungsprozess - als subjektive Verarbeitung von in sozialen Interaktionen gemachten Erfahrungen - verfolgen. In der vorliegenden Arbeit wird diesem Anspruch durch die Verwendung der Sozialpsychologie von G. H. Mead nachgekommen. In dieser werden Selbstbewusstsein und Identität erstmalig als genuin soziale Phänomene aufgefasst und als solche auch beschreibbar (vgl. Tatschmurat 1980, S. 26ff.; Habermas 1988; Geulen 1989, S. 115). So formuliert z.B. Zijderveld: „Mead ist es in seinem zuerst 1934 erschienenen Buch Mind, Self and Society mit einer vorher noch nie erreichten Deutlichkeit gelungen, die Analyse der Gesellschaftsstruktur mit der Analyse des individuellen Erlebens zur Deckung zu bringen.“ (Zijderveld 1972, S. 26f)
Meads grundlegender Ansatz der symbolisch vermittelten Interaktion5 als notwendiger Bedingung von Reflexion, Selbstbewusstsein und Identität stellt daher bis heute grundlegende Ansatzpunkte für eine wissenschaftliche Durchdringung der Identitätsproblematik dar (vgl. z.B. Krömmelbein 1996 zur Transformation des Erwerbsarbeitssektors in Ostdeutschland und deren identitätsbezogene Auswirkungen; Dunn 1997 zum Vergleich der Meadschen Überlegungen und deren Potentiale in Bezug auf poststrukturalistische Identitätsvorstellungen am Beispiel von Judith Butlers Ausführungen zur Gender Problematik; Holtgrewe et al. 2000 zum Zusammenhang von Anerkennung und Identität mit dem Fokus auf den Erwerbsarbeitssektor; Keupp et al. 2002 zur Identitätskonstruktion ostdeutscher Jugendlicher mit Hinblick auf die Erwerbsarbeit; Lührmann 2006 zu einer Identitätstheorie der Führung).6
5 So gilt Mead als Mitbegründer der Handlungstheorie des Symbolischen Interaktionismus (Stryker 1980; Weiss 1993, S. 65ff.; Joas/Knöbl 2004, Lührmann 2006, S. 94ff.). 6 Für einen Gesamtüberblick über die Entwicklung des Meadschen Werkes und zu den Schwierigkeiten der entsprechenden Rezeption vgl. Joas (2000).
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2.2.2 Symbolvermittelte Interaktion und Entwicklung von Identität Vor diesem Hintergrund werden in den nächsten Abschnitten die folgenden zentralen Punkte der Meadschen Sozialpsychologie vorgestellt. So leitet Mead, auf Basis anthropologisch - biologischer Theorien sowie psychologischer und philosophischer Ansätze (Stryker 1980; Honneth 1994; Joas 2000, S. 91ff.) ab, wie Individuen über die symbolische bzw. sprachlich vermittelte Interaktion mit anderen zu Selbstreflexion und Selbstbewusstsein gelangen (2.2.2.1). Darauf aufbauend entwirft er die zwei Sozialisationsstufen von „play“ und „game“, die ein Individuum zur Selbstidentifikation innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung notwendig durchlaufen muss (2.2.2.2). Diese Selbstidentifikation bzw. die subjektive Identität erklärt Mead des Weiteren als das Zusammenspiel zweier Identitätskomponenten. Dabei stellt die Identitätskomponente „Me“ die am sozialen Umfeld orientierte, also historisch bedingte Dimension von Identität dar, wohingegen die Komponente „I“ die jeweils individuell einzigartige, spontane bzw. nicht berechenbare, also eigensinnige Identitätsdimension eines Individuums bezeichnet (2.2.2.3. Aus der Gesamtheit dieser Erkenntnisse ergibt sich der grundlegende Ansatz, die „wechselseitige Anerkennung“ zwischen Individuen als notwendigen Faktor „gelingender“ Identitätsbildung zu betrachten (2.2.2.4). 2.2.2.1 Erwerb von Selbstbewusstsein Meads sozialpsychologischer Ansatz ist von der Idee geleitet, die sozialen Bedingungen und Funktionen der Selbstreflexivität von Individuen aufzuklären (vgl. Joas 2000, S. 92).7 Dabei geht er zunächst grundsätzlich davon aus, dass Menschen nur in der sozialen Interaktion mit anderen ein Bewusstsein über ihre eigene Subjektivität entwickeln (vgl. auch Wagner 2004, S. 57ff.). Die Begründung hierfür liegt in der potentiellen Wahrnehmung eines wechselseitigen Einflusses durch die Interaktionspartner, welche in der Auseinandersetzung von Individuen mit z.B. materiellen Gegenständen so nicht gegeben ist.8 Joas beschreibt diesen Gedanken folgendermaßen:
7
Zum einen bezieht sich Mead in seinen Erklärungen auf die evolutionäre Entwicklung menschlicher Sozialformen. Zum anderen überträgt er die auf dieser Basis generierten Erkenntnisse auf das Heranwachsen von Kindern in bereits entwickelten Gesellschaften (vgl. Mead 1973, S. 81ff., 194ff.). 8 Vgl. hierzu und zum Folgenden insbes. das 2. und 3. Kapitel in Meads Geist, Identität und Gesellschaft (1973).
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„Nur in der Interaktion von Handelnden (...) wird das eigene Verhalten von unmittelbaren Reaktionen der anderen so beantwortet, dass dies zur selbstreflexiven Aufmerksamkeit zwingt. Nur wenn wir selbst Reiz für die Reaktion eines anderen sind, welche für uns wieder Reize darstellen, müssen wir uns auf unseren Charakter als Reizquelle selbst konzentrieren.“ (Joas 2000, S. 104)
Der Erwerb von Selbstbewusstsein begründet sich nach Mead, als Pragmatisten, dabei schlicht aus der damit verbundenen Funktionalität bzw. Vorteilhaftigkeit für die Bewältigung sozialer Prozesse (vgl. Mead 1973, S. 299ff.; Habermas 1988, S. 214f; Honneth 1994, S. 116f.; Joas 2000, S. 104f.). So formuliert Mead: „Reagiert jemand auf die Wetterverhältnisse, so hat das auf das Wetter selbst keinerlei Einfluss. Für den Erfolg seines Verhaltens ist nicht von Bedeutung, dass er sich seiner eigenen Handlungen und Reaktionsgewohnheiten bewusst wird, sondern der Anzeichen von Regen oder schönem Wetter. Erfolgreiches Sozialverhalten dagegen führt auf ein Gebiet, in dem das Bewusstsein eigener Haltungen zur Kontrolle des Verhaltens anderer verhilft.“ (entnommen aus Honneth 1994, S. 117)
In sozialen Interaktionen setzt die „Kontrolle des Verhaltens anderer“ voraus, dass der jeweilige Interaktionspartner die Bedeutung seiner Handlung für den anderen Interaktionspartner kennt - also Wissen über die intersubjektive Interpretation seiner eigenen Handlung hat. Die Kenntnis von der intersubjektiv geteilten Bedeutung einer Handlung ist demnach Voraussetzung für zielgerichtetes, koordiniertes Handeln zwischen zwei oder mehreren Interaktionspartnern. Die Frage nach der Entwicklung eines solchen intersubjektiven Wissens bildet nun den Ausgangspunkt für die Überlegungen Meads zur symbolisch bzw. sprachlich vermittelten Interaktion (vgl. Honneth 1994, S. 117; Joas 2000, S. 105). Mead geht also davon aus, dass ein Individuum notwendig in der Lage sein muss, seine Handlungen aus der Sicht des Interaktionspartners wahrzunehmen und zu bewerten, um sozial erfolgreich zu agieren. Mit den Worten von Honneth muss ein Individuum demnach „...die Fähigkeit zur Selbstauslösung des im Anderen bewirkten Reaktionsverhaltens...“ haben (1994, S. 116). In diesem Zusammenhang betrachtet Mead die Entwicklung und Verwendung der „Lautgebärde“ bzw. der Sprache9 als entscheidenden Schritt für die gegenseitige Per9 Eine anschauliche Erläuterung der Meadschen Konzeption der evolutionären Entwicklung von der noch instinktgesteuerten, gestenvermittelten Interaktion zur sprachlichen Interaktion findet sich in Habermas 1999, S. 23ff. Mead hält die Lautgebärde dabei zwar für die phylogenetisch grundlegende, aber ontogenetisch nicht einzige Möglichkeit zum Aufbau von Selbstbewusstsein (Joas 2000, S. 108; Mead 1973, S. 137).
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spektivenübernahme der Interaktionspartner. Nur die Lautgebärde kann durch ihre akustische Aufnahme von den beteiligten Interaktionspartnern gleichzeitig wahrgenommen werden. Dadurch, dass der sich mit einer Lautgebärde äußernde Interaktionspartner auf den anderen einwirkt und dabei zugleich sich selbst hört, lernt er über die Reaktion des anderen den eigenen Äußerungen eine unmittelbare Folgereaktion bzw. eine bestimmte Bedeutung zuzuordnen. Das Individuum lernt demnach, seine Äußerungen aus der Sicht seines Interaktionspartners zu interpretieren. Auf diese Weise wird das Individuum schrittweise in die Lage versetzt, die sozialen Reaktionen auf seine Äußerungen bzw. Handlungen zu antizipieren bzw. in sich selbst zu erzeugen und dadurch abzuwägen - sich also reflexiv auf sich selbst zu beziehen. Habermas erläutert: „Nur indem sich der Aktor die objektive Bedeutung seiner nach beiden Seiten gleichermaßen stimulierenden Lautgebärde zu eigen macht, nimmt er sich selbst gegenüber die Perspektive eines anderen Interaktionsteilnehmers ein und wird seiner selbst als soziales Objekt ansichtig.“ (Habermas 1988, S. 216)
Die Einnahme der Perspektive des anderen ist demnach notwendige Bedingung für die Kenntnisnahme des eigenen Selbst und die Entwicklung von Selbstbewusstsein. So formuliert Mead, dass Selbstbewusstsein auf die Fähigkeit verweist, „...in uns selbst definite Reaktionen auszulösen, die den anderen Mitgliedern der Gruppe eignen.“(1973, S. 206). Dieser Vorgang wird von ihm als „taking the role of the other“ bezeichnet (Mead 1973, S. 192ff. oder 299ff.). „Taking the role of the other“ beinhaltet also die Antizipation des Verhaltens des anderen Interaktionspartners auf eigene Verhaltensweisen und Handlungen, nicht etwa die Einnahme seiner Stellung in einem organisierten sozialen Zusammenhang (vgl. Zijderveld 1972, S. 30; Geulen 1989, S. 116; Joas 2000, S. 116). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Mead den Erwerb von Selbstbewusstsein grundlegend aus der sozialen Interaktion und hier insbesondere aus der Entwicklung und dem Gebrauch der Sprache erklärt. Dabei wird das Entstehen von Selbstbewusstsein durch die gegenseitige Perspektivenübernahme der Interaktionspartner bewirkt. Ein Individuum erlangt demnach nur dann ein selbstreflexives Bewusstsein, wenn es lernt, sein Verhalten und seine Handlungen aus der Sicht anderer zu interpretieren. 2.2.2.2 Die Sozialisationsstufen von „play“ und „game“ Die wechselseitige Perspektivenübernahme zwischen Interaktionspartnern ist nach Mead der grundlegende Mechanismus zum Erwerb von Selbstbewusstsein. 34
„Taking the role of the other“ drückt aus, dass sich das Selbstbild eines Individuums aus dessen innerer Repräsentation der Reaktionen seiner Interaktionspartner auf seine eigenen Verhaltensweisen ergibt (vgl. Joas 2000, S. 109). Ein einfaches Beispiel soll den oben bereits erklärten Vorgang nochmals illustrieren: Ein kleines Kind lernt über die Interaktion mit den Eltern schrittweise, bestimmten eigenen Handlungen korrespondierende Reaktionen zuzuordnen. So lernt es z.B., dass das mutwillige Verschütten der Mahlzeit negative, bzw. für es selbst eher unerfreuliche Reaktionen der Eltern nach sich zieht. Das bedeutet, das Kind ist zunehmend in die Lage versetzt, Reaktionen der Eltern auf eigene Handlungsweisen zu antizipieren, also ihre Perspektive auf sich selbst einzunehmen und sich dementsprechend zu verhalten. Das bedingt zugleich, dass das Kind einen normativen Bezugsrahmen dafür verinnerlicht, eigenes Verhalten als „gut“, „artig“, „quengelig“ usw. zu beurteilen. Nur in Anwendung eines solchen Bezugsrahmens auf sich selbst erwirbt das Kind schrittweise Erkenntnisse über sich und kann eine subjektive Identität aufbauen (Bin ich ein artiges Kind?). Dieser Grundgedanke bildet den Ansatzpunkt für die Meadsche Erklärung der menschlichen Identitätsbildung. Er entwirft eine Konzeption, die die Entwicklung von Identität als schrittweise Auseinandersetzung mit einer wachsenden Zahl von Interaktionspartnern bzw. Bezugsgruppen auffasst und auf diese Weise einen zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss auf die subjektive Identitätsbildung annimmt. Joas formuliert dazu: „Mead sieht eine kontinuierliche Entwicklung, die von der unmittelbar dialogischen Struktur des kindlichen Selbstbewusstseins, das zu sich selbst in den Worten der Eltern spricht, bis zu den abstraktesten Denkprozessen reicht.“ (Joas 2000, S. 110)
So verbleibt das Kind aus dem obigen Beispiel im Verlaufe seines Heranwachsens nicht im Umkreis seiner Eltern, sondern besucht ab einem bestimmten Alter z.B. die Schule, lernt Spielkameraden kennen, engagiert sich für eine politische Partei, wird Mitglied in einem Sportverein usw. - wird also kurzum mit verschiedensten sozialen Interaktionsbereichen bzw. sozialen Institutionen (vgl. z.B. Krömmelbein 1996 zur „Institution Erwerbsarbeit“) konfrontiert. Damit sich das Individuum hier einordnen kann, ist es notwendig, dass es lernt, die Perspektive der jeweiligen Bezugsgruppen auf sich selbst einzunehmen. Nur auf diese Weise schafft es für sich einerseits die Möglichkeit, in dem sozialen Kontext koordiniert zu handeln und andererseits sein eigenes Verhalten zu bewerten und damit eine subjektive Identität zu entwickeln. Mead veranschaulicht das Prinzip des immer umfangreicher werdenden Prozesses des „taking the role of the other“, indem er diesen in zwei Stufen teilt. Diese Stufen kennzeichnen bestimmte Phasen des kindlichen Spiels und können 35
auch als Sozialisationsstufen aufgefasst werden, da sie entsprechende Ebenen der Auseinandersetzung eines Individuums mit dem sozialen Umfeld umschreiben (vgl. Geulen 1989, S. 11; Weiss 1993, S. 69). Die erste Stufe des „play“ ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind einfache Rollenspiele imaginiert, welche es in seinem sozialen Umfeld wahrnimmt. Es imitiert das Verhalten eines konkreten Interaktionspartners, um dann darauf selbst zu reagieren. Auf diese Weise übt sich das Kind in der einfachen Verhaltensantizipation bzw. darin, die durch eine eigene Handlung intendierte Reaktion eines vorgestellten Interaktionspartners in sich selbst zu erzeugen (vgl. Mead 1973, S. 191ff.; Honneth 1994, S. 124ff.; Joas 2000, S. 117ff.). Mead erläutert: „Es spielt zum Beispiel, daß es sich etwas anbietet, und kauft es; es gibt sich selbst einen Brief und trägt ihn fort; es spricht sich selbst an - als Elternteil; als Lehrer; es verhaftet sich selbst - als Polizist.“ (1973, S. 193).
An diese Stufe des „play“ schließt sich die des „game“ an, in der der Heranwachsende die Fähigkeit zur Teilnahme an Gruppenspielen erwirbt. Der Unterschied zur Stufe des „play“ besteht darin, dass das Individuum nicht nur die Perspektive eines einzelnen Interaktionspartners einnimmt. Vielmehr müssen die Perspektiven mehrerer Interaktionspartner übernommen und organisiert werden, um sich selbst im Gruppenspiel sinnhaft verhalten zu können, bzw. die eigenen Verhaltensweisen bewerten zu können (Mead 1973, S. 194). Honneth formuliert in Bezug auf „play“ und „game“: „…im ersten Fall ist es das konkrete Verhaltensmuster einer konkreten Bezugsperson, im zweiten Fall sind es die sozial generalisierten Verhaltensmuster einer ganzen Gruppe, die als normative Erwartungen kontrollierend in das eigene Handeln miteinbezogen werden müssen.“ (Honneth 1994, S. 124)
Mead schreibt beispielhaft: „Macht es (das Kind, Anm. d. V.) beim Baseball einen bestimmten Wurf, so muss es die Positionen jeder betroffenen Position in seiner eigenen Position angelegt haben. Es muss wissen, was alle anderen tun werden, um sein eigenes Spiel erfolgreich spielen zu können. Es muss alle diese Rollen einnehmen.“ (Mead (1973, S. 193)
Diese Erläuterung der Entwicklung des kindlichen Spiels dient Mead als Vorlage, um den generellen Sozialisationsprozess des Menschen herzuleiten (vgl. Honneth 1994, S. 125). So lässt sich das Prinzip der Sozialisation in der Darstellung des kindlichen Gruppenspiels auch auf andere Gruppen oder Gemeinschaf36
ten übertragen, in denen ein Individuum bestimmte Funktionen einnimmt oder einnehmen soll. Um sich subjektiv sinnhaft in solchen Interaktionsbereichen bewegen zu können, muss das Individuum lernen, die gemeinschaftlich geteilte Perspektive der entsprechenden Gemeinschaft zu übernehmen bzw. sich als Orientierungsrahmen anzueignen - ansonsten wäre eine Bewertung der eigenen Handlungen und damit die subjektive Einordnung des eigenen Selbst in die Gemeinschaft und Identitätsbildung nicht möglich. Mead bezeichnet eine solche Gemeinschaft in diesem Zusammenhang als generalisierten bzw. „verallgemeinerten Anderen“ (Mead 1973, S. 196). So formuliert er: “The attitude of the generalized other is the attitude of the whole community. Thus, for example, in the case of such a social group as a ball team, the team is the generalized other in so far as it enters - as an organized process or social activity - into the experience of any one of the individual members of it.” (Mead 1934, S. 154).
Geulen erläutert dazu: „Im generalisierten Anderen sind also nicht nur die puren Attitüden der Anderen gegeben, sondern auch ihr systematischer Zusammenhang, genauer: der Zusammenhang aller Positionen, aus dem Ego dann auch seine eigene Position ablesen kann.“ (Geulen 1989, S. 118)
Der verallgemeinerte Andere drückt in dem Sinne also die normativ generalisierten Werte und Normen eines bestimmten sozialen Interaktionsbereiches aus (vgl. Habermas 1988, S. 219).10 Es lässt sich zusammenfassen, dass der Erwerb von Kenntnissen über sich selbst nach Mead notwendig soziale Interaktion voraussetzt und insbesondere an den Prozess des „taking the role of the other“ gebunden ist. Erst die Einnahme der Perspektive des oder der anderen Interaktionspartner auf sich selbst ermöglicht die subjektive Beurteilung und Einordnung des eigenen Verhaltens und damit den Aufbau einer subjektiven Identität. Mead konzeptualisiert den Vorgang der Perspektivenübernahme in den aufeinander folgenden Stufen von „play“ und „game“. Dabei lernt das Individuum schrittweise, sich aus einer sozial immer umfassender werdenden Perspektive zu betrachten, um schließlich eine Identität als Mitglied einer Gesellschaft zu entwickeln.
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Mead selbst bezieht diesen Gedanken auf die gesamte gesellschaftliche Ebene, die sich so für jedes Gesellschaftsmitglied als generalisierter Anderer darstellen würde.
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2.2.2.3 „I“ und „Me“ als Dimensionen der subjektiven Identität Der sozialisationsbedingte Prozess des „taking the role of the other“ hat zur Folge, dass sich in jedem sozialisierten Individuum zwei identitätsbildende Dimensionen entwickeln (vgl. Geulen 1989, S. 117; Joas 2000, S. 116). Dies lässt sich folgendermaßen erklären: Kern des „taking the role of the other“ ist es, sich im Rahmen eines wechselseitigen sozialen Prozesses aus der Perspektive der jeweiligen Interaktionspartner betrachten zu lernen - sich also reflektierend auf sich und seine Verhaltensweisen zu beziehen. Dies zieht den Schluss nach sich, dass es eine vorgängige Instanz des Selbst geben muss, die über eine andere wahrgenommen und beurteilt wird. Diese Schlussfolgerung soll an dem schon angeführten Beispiel des kleinen Kindes nochmals vereinfacht illustriert werden: Das Kind erwirbt erst über die Reaktion der Eltern auf seine Handlungen einen Orientierungs- bzw. Bewertungsrahmen seines Verhaltens. So lernt es schrittweise, zu antizipieren, welche Verhaltensweisen auf Zustimmung oder Ablehnung durch die Eltern stoßen. Indem es sich in der Weise die elterliche Perspektive auf sich selbst zu eigen macht, vollzieht es den Prozess des „taking the role of the other“. Hierdurch entwickelt das Kind in sich selbst eine bewertende Instanz in Bezug auf die eigenen Wünsche und Einfälle oder spontanen oder mutwilligen, intendierten oder bereits vollzogenen Verhaltensweisen und Handlungen. Diese stellt sich demnach als die andere, beurteilende Instanz dar. Nascht das Kind z.B. trotz elterlichen Verbots zuviel Süßigkeiten, könnte es hierüber ein schlechtes Gewissen entwickeln oder stolz auf sich sein, ein Verbot umgangen zu haben. Joas formuliert zu diesem Vorgang: „Neben die Dimension der Triebimpulse tritt jetzt also eine Instanz zu deren Bewertung, die aus den Erwartungen der Reaktionen auf die Äußerung dieser Impulse hin besteht.“ (Joas 2000, S. 117)
Mead nimmt vor diesem Hintergrund eine Teilung in die identitätsbildenden Dimensionen des „I“ und „Me“ vor (1973, S. S. 216ff.).11 Das „Me“ stellt dabei die Gesamtheit der durch den Prozess des „taking the role of the other“ erworbenen Kenntnisse eines Individuums über sich selbst dar. Es handelt sich demnach um Selbsterfahrungen und -bewertungen, die sich notwendig - in welcher Art und Weise auch immer - über das Raster der Normen des sozialen Umfeldes ausdrücken. In dem obigen Beispiel könnte das Kind z.B. die Kenntnis erworben haben, ein „liebes“ Kind zu sein, weil es das Bedürfnis nach Süßigkeiten nicht ohne elterliche Erlaubnis stillt. So schreibt Joas: 11 In der hier verwendeten deutschen Übersetzung von Mind, Self and Society wird für „I“ und „Me“ die Bezeichnung „Ich“ und „ICH“ verwendet.
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„Das „Me“ als Niederschlag einer Bezugsperson in mir ist sowohl Bewertungsinstanz für die Strukturierung der spontanen Impulse wie Element eines entstehenden Selbstbildes.“ (Joas 2000, S. 117).
Allgemein stecken demnach im „Me“ die über Sozialisation („game“) erworbenen Kenntnisse über die Normen und Werte sozialer Interaktionsbereiche und die eigene Position darin. Das „Me“ als kontrollierende und bewertende Instanz der eigenen Verhaltensweisen macht in dem Sinne sozial sinnhaftes Handeln für das Individuum möglich (Mead 1973, S. 236ff.). So erklärt Mead: „Das „ICH“ (Me, Anm. d. V.) ist ein von Konventionen und Gewohnheiten gelenktes Wesen. Es ist immer vorhanden. Es muss jene Gewohnheiten, jene Reaktionen in sich haben, über die auch alle anderen verfügen; der einzelne könnte sonst nicht Mitglied einer Gesellschaft sein.“ (Mead 1973, S. 241).
Das „Me“ spiegelt also die Lebensformen und Institutionen, die in einer Gesellschaft eingespielt und anerkannt sind, wider (Habermas 1988, S. 220). Obwohl bei Mead nur am Rande betont, stellt das „Me“ zugleich auch die potentielle Substanz einer individualisierten, sich von anderen unterscheidenden Identität dar. Antriebskraft einer sich solchermaßen individualisierenden Identität ist die Identitätskomponente „I“ (vgl. Honneth 1994; Hartz/Faßauer 2006). Das „I“ steht zum einen für die vorsozialen Triebe eines Individuums, dessen Spontaneität von Verhaltensweisen, Einfällen, Wünschen und Gefühlen. (vgl. Honneth 1994, S. 120; Habermas 1999, S. 66f; Joas 2000, S. 117). Mead führt in diesem Zusammenhang wieder das Beispiel des Baseballspielers an und beschreibt, wie der Spieler sich einerseits der Perspektiven und damit Erwartungen seiner Mitspieler bewusst ist, seine genaue Reaktion andererseits jedoch auch für ihn selbst nicht vorhersehbar ist: „Vielleicht wird er gut spielen, vielleicht einen Fehler begehen. Die Reaktion auf diese Situation, so wie sie in seiner unmittelbaren Erfahrung aufscheint, ist unbestimmt - und das macht das „Ich“ („I“, Anm. d. V.) aus.“ (Mead 1973, S. 218f).
Das „I“ ist demnach dafür verantwortlich, dass dem menschlichen Handeln immer das Potential der Unbestimmtheit innewohnt. In diesem Sinne bildet das „I“ zum anderen das Potential zur kreativen Beantwortung von Handlungsproblemen und kann damit auch Motor sozialer Veränderungen sein (Mead 1973, S. 240ff.). Stryker formuliert hinsichtlich dieses Potentials:
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„…according to Mead, the self continuously reacts (through an „I-me“ dialectic) to the society that shapes the self. Through this process, society is continuously being created and recreated; it is never fixed.” (Stryker 1980, S. 39)
Diesen Aspekt der dialektischen Konstitution von Subjekt und Objekt hebt Dunn (1997) als wesentliche Stärke der Meadschen Überlegungen hervor: “The “I” of Mead´s self is an interpretive figure, opening the door to an continuous process of interpretation and reinterpretation of the social meaning of objects and events. On both objective and subjective levels, then, meaning is drawn into a dialectical process of problematization and reconstruction as a means of moving action forward.” (Dunn 1997, S. 703)
So bietet sich jedem Individuum über das „I“ die Möglichkeit, die im „Me“ organisierten externen Perspektiven in einer neuen Form auszudrücken und bei entsprechender sozialer Beachtung dem „Me“ eine neue Facette zu verleihen bzw. eine neue Erkenntnis über sich zu erwerben - also eine individualisierte Identität zu entwickeln. Habermas (1999, S. 66f) und Honneth (1994, S. 139) sprechen in diesem Zusammenhang auch vom Potential zur „Selbstverwirklichung“ des Individuums.12 Generell kann sich das Individuum dabei also nur über das „Me“ bewusst werden und in den Blick bekommen, denn sobald es über die Impulse des „I“ reflektiert, muss es sich ja auf die über das „Me“ gehaltenen Erfahrungen beziehen (Mead 1973, S. 216ff.). „Selbstverwirklichung“ stellt sich demnach als die immer umfassendere Ausprägung des „Me“ dar, indem immer mehr Facetten des „I“ positiv sozial validiert bzw. anerkannt werden. Mit Mead lässt sich zusammenfassend formulieren: “Both aspects of the “I” and “me” are essential to the self in its full expression. One must take the attitude of the others in a group in order to belong to a community; he has to employ that outer social world taken within himself in order to carry one thought. (...) On the other hand, the individual is constantly reacting to the social attitudes, and changing in this co-operative process the very community to which he belongs.” (Mead 1934, S. 199).
12 Zum Zusammenhang von Selbstverwirklichung und Gesellschaftswandel vgl. Honneth (1994); Wagner (2004).
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2.2.2.4 Anerkennung als Medium einer gelingenden Identitätsbildung Um die Bedeutung der Anerkennung für eine „gelingende“ Identitätsbildung darzustellen, ist es sinnvoll, den Abschnitt mit einer kurzen Zusammenfassung der bisher erläuterten theoretischen Grundlagen zu eröffnen. Anschließend erfolgt die Erläuterung von Anerkennung und deren grundlegendem Zusammenhang mit Identität. Es wurde gezeigt, dass der individuelle Erwerb von Selbstbewusstsein und die Bildung einer subjektiven Identität notwendig an die soziale Interaktion mit anderen Individuen geknüpft sind. In der Meadschen Konzeption wird dies durch den Prozess des „taking the role of the other“ und die entsprechende Ausbildung des „Me“ als Identitätskomponente beschrieben. Das heißt, es erfolgt zum einen die Übernahme der normativen Perspektive der jeweiligen Interaktionspartner, bzw. des „generalisierten Anderen“ auf sich selbst, und zum anderen die Speicherung und Organisation dieser Perspektiven in der reflexiv zugänglichen Identitätskomponente „Me“. Dabei steht dem „Me“ die zweite Identitätskomponente des „I“ gegenüber, welche das Potential spontaner oder neuartiger Handlungen eines jeden menschlichen Individuums verkörpert. Die jeweiligen Reaktionen und die darin eingebetteten normativen Bewertungen der Interaktionspartner auf individuelle Handlungen, die je nach Interaktionssituation mehr oder weniger durch das „I“ bestimmt sein können, fließen also als Erfahrungen über einen selbst in die Identitätskomponente „Me“ ein und erlauben damit die Genese von subjektiver Identität („taking the role of the other“). Ein Individuum kann seine Identität somit nur anhand der im „Me“ gesammelten, vom sozialen Umfeld übernommenen normativen Bewertungen wahrnehmen. Die Perspektive der Anerkennung lässt sich nun folgendermaßen in die Argumentation einbringen: Wie erläutert, kann sich ein Individuum in seiner Identität nur dann erfassen, wenn es die sozialen Normen bzw. Bewertungskriterien des sozialen Umfeldes kennt bzw. als solche akzeptiert13 und auch auf sich anwendet. In der Meadschen Konzeption wird grundlegend angenommen, dass ein Individuum nur dann dauerhaft eine Identität erhalten und diese im Rahmen seiner Selbstverwirklichung fortentwickeln kann, wenn es damit auch auf die Akzeptanz des jeweils subjektiv relevanten Umfeldes stößt. Ein Individuum muss sich demnach als akzeptiertes Mitglied einer bestimmten Gruppe bzw. eines bestimmten Interaktionsbereiches fühlen können. So formuliert Mead: „...nur insoweit er (das Individuum Anm. d. V.) die Haltungen der organisierten gesellschaftliche Gruppe, zu der er gehört, gegenüber der organisierten, auf Zusam13 Ein Individuum muss sich dabei nicht ausschließlich an seinem unmittelbaren sozialen Umfeld orientieren. Es könnte sich auch um einen abstrakten Dialogpartner, wie z.B. eine Religion, handeln.
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menarbeit beruhenden gesellschaftlichen Tätigkeiten, mit denen sich diese Gruppe befasst, annimmt, kann er eine vollständige Identität entwickeln und die, die er entwickelt hat, besitzen.“ (Mead 1973, S. 197)
In diesem Zusammenhang schreibt er weiter: „Das ist jene Identität, die sich in der Gemeinschaft halten kann, die in der Gemeinschaft insoweit anerkannt wird, als sie die anderen anerkennt.“ (Mead 1973, S. 249).14
Eine so verstandene, wechselseitige Anerkennung lässt sich als „Medium sozialer Integration“ (Holtgrewe et al. 2000, S. 9) beschreiben und wird - wie bereits einer langen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Tradition folgend als notwendige Bedingung für die Aufrechterhaltung und Fortentwicklung einer subjektiv akzeptierbaren Identität betrachtet (vgl. Hösle 1988; Honneth 1994; Taylor 1995; Wagner 2004). So schreibt Taylor: „Die These lautet, unsere Identität werde teilweise von der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung, oft auch von der Verkennung durch die anderen geprägt, so dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen wirklichen Schaden nehmen, eine wirkliche Deformation erleiden kann, wenn die Umgebung oder die Gesellschaft ein einschränkendes, herabwürdigendes oder verächtliches Bild ihrer selbst zurückspiegelt. Nichtanerkennung oder Verkennung kann Leiden verursachen, kann eine Form von Unterdrückung sein, kann den anderen in ein falsches, deformiertes Dasein einschließen.“ (Taylor 1993, S. 13f, H.i.O.)
Meads eigene Ausführungen zum Wesen der wechselseitigen „Anerkennung“ sind nicht besonders ausführlich. Zuweilen entsteht der Eindruck einer eher einseitigen „Anpassung“ des Einzelnen an vorhandene Anerkennungsstrukturen.15 Die Gründe hierfür liegen wesentlich in der zwar vorhandenen, aber geringen Betonung eines nach Individualität und somit nach entsprechender Aner14 In diesem Zusammenhang kann auch von unterschiedlichen Foren der Anerkennung bzw. Ebenen der Anerkennung gesprochen werden, in denen unterschiedliche Standards der Anerkennung gelten und die im Sinne des Ausmaßes der gesellschaftlichen Anerkennung auch zueinander über- bzw. untergeordnet sind. So lässt sich z.B. in Bezug auf den Interaktionsbereich Arbeit Anerkennung sowohl horizontal, etwa im Sinne einer gleichwertigen Anerkennung in unterschiedlichen beruflichen Interaktionsbereichen (z.B. Arzt und Rechtsanwalt), als auch vertikal im Sinne unterschiedlicher Chancen auf gesellschaftliche Anerkennung, z.B. Arbeit im Schlachthaus („dirty work“ vgl. Ashforth/Kreiner 1999) vs. Arbeit als Arzt, unterteilen (vgl. z.B. Holtgrewe/Voswinkel/Wagner 2000, S. 17ff.; Wagner 2004). 15 Dies liegt sicherlich in der Forschungstradition des Pragmatismus begründet, der Mead wesentliche inhaltliche Impulse verdankt (z.B. John Dewey) und der er sich auch selbst zurechnet (für eine kurze Übersicht vgl. Stryker 1980).
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kennung strebenden „I“ („Selbstverwirklichung“) sowie in der Nichtbeachtung potentieller Konflikte, die durch die Verkennung oder gar Missachtung der im „Me“ gehaltenen Erfahrungen über einen selbst entstehen können. Diesbezüglich betont Honneth (2004) z.B., dass die Anerkennung aus bestimmten Interaktionsbereichen vom Einzelnen auch zurückgewiesen werden kann, wenn diese bisherigen subjektiven Identitätsvorstellungen zuwiderläuft bzw. auch eine bestimmte Anerkennung vom Einzelnen eingefordert werden kann. Generell korrespondiert mit der Erfahrung der wechselseitigen Anerkennung ein Modus der praktischen Selbstbeziehung, indem das Individuum sich des sozialen Wertes seiner Identität versichern kann (Honneth 1994, S. 127). Dabei wird der überwiegend positive Bezug zum eigenen Selbst als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der eigenen Identität, also „gelingender“ Identitätsbildung, bzw. der oben angesprochenen „Selbstverwirklichung“ betrachtet. So spiegeln sich „Identitätsstörungen“ bzw. „narzisstische Störungen“ auch aus psychoanalytischer Perspektive als „schwere Störungen in der Einstellung zum Selbst und in der Regulierung des Wohlbefindens und der Selbstachtung wieder“ (Volmerg 1976a, S. 130). Dabei wird eine hohe Selbstachtung bzw. ein positives Selbstwertgefühl ebenfalls dann angenommen, wenn das „affektive Bild vom Selbst mit einer Dominanz positiver und lustvoller Affekte verbunden ist“ (ebenda). Mead spricht in diesem Zusammenhang von dem „Selbstrespekt“ eines Individuums (Mead, 1973, S. 248f.) und geht davon aus, dass der Grad dieses Selbstrespektes daran gebunden ist, bis zu welchem Maße die Eigenschaften oder Fähigkeiten, in denen das Individuum Anerkennung durch seine Interaktionspartner findet, jeweils individualisiert16 sind (vgl. Mead 1973, S. 248ff.; Honneth 1994, S. 127ff.).17 Das heißt, ein Individuum empfindet einen umso höheren Selbstrespekt, desto mehr es sich in seinen Unterschieden gegenüber anderen Individuen anerkannt fühlt. Mead (1973, S. 248f) formuliert dazu: „Es ist sehr interessant in das eigene innerste Bewusstsein zurückzugreifen und das zu suchen, wovon die Aufrechterhaltung unseres Selbstrespektes abhängt. Natürlich 16
„Individualität“ stellt dabei, wie zu Beginn des Kapitels zur soziohistorischen Dimension von Identität ausgeführt, einen modernen Anspruch an Identität dar (Schimank 1996, S. 44ff.). 17 Honneth legt in diesem Zusammenhang in seiner frühen Arbeit eine umfangreiche Analyse zu unterschiedlichen Stufen der Anerkennung (Liebe, Recht, Solidarität) und den korrespondierenden Modi des Selbstbezuges vor (Honneth 1994, S. 126ff.). Später wendet er sich von den Meadschen Grundlagen zur Identitätsbildung ab, da diese für sein Vorhaben nicht ausreichend normativ gefüllt bzw. begründet seien (vgl. das Nachwort in Honneth 2003). Hiermit ist insbesondere die bei Mead wenig spezifizierte Rolle und Richtung des „I“ gemeint („Selbstverwirklichung“). Meiner Ansicht nach bietet Honneth jedoch keine befriedigende Erklärung für den gänzlichen Verzicht auf die Meadschen Ideen, denn diese bieten durchaus Ansatzpunkte für die oben dargestellten Gedanken, bzw. lassen sich in der Form entsprechend anreichern.
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gibt es tiefe und solide Grundlagen. Man hält sein Wort, erfüllt seine Verpflichtungen. Das gibt bereits eine Basis für den Selbstrespekt. Doch handelt es sich hier um Eigenschaften, die den meisten Mitgliedern unserer Gemeinschaft zuzuschreiben sind. Wir alle versagen gelegentlich, aber im großen und ganzen stehen wir zu unserem Wort. Wir gehören zu einer Gemeinschaft und unser Selbstrespekt hängt davon ab, dass wir uns als selbstbewusste Bürger sehen. Doch genügt uns das nicht, da wir uns in unseren Unterschieden gegenüber anderen Personen erkennen wollen.“(Mead 1973, S. 248f) (“But that is not enough for us, since we want to recognize ourselves in our difference from other persons.” Mead 1934, S. 205).
So lässt sich Anerkennung mit Holtgrewe et al. (2000, S. 9) allgemein verstehen „...als Element sozialer Reziprozität, als Grundlage der Identitätsbildung und des Selbstwertes und als Medium der Moral verstanden als Achtungskommunikation.“ 2.2.3 Subjektive Identität und moderne Gesellschaftsform Die sozialwissenschaftliche Thematisierung und Konzeption individueller Identität als auch die alltagsweltlichen Vorstellungen über Identität sind zumeist durch grundlegende Vorstellungen über die Beschaffenheit moderner Gesellschaftsformen geprägt (vgl. Baumeister 1986; Keupp et al. 2002). So ist die Vorstellung, dass jede Person über eine individuelle - also einzigartige und selbstbestimmte - Identität verfügt bzw. verfügen sollte, als normativer Anspruch der Moderne zu begreifen (vgl. Frey/Haußer 1987, S. 9; Schimank 1996, S. 46). Schimank schreibt entsprechend: „Die Mitglieder moderner Gesellschaften sind es gewohnt, sich als Individuen zu begreifen. (...) Einem mittelalterlichen Menschen wäre das damit heute von uns gemeinte Selbstverständnis ganz fremd gewesen.“ (Schimank 199, S. 44f)
Ein solches Verständnis von Identität resultiert aus dem soziostrukturellen und kulturellen Zuschnitt moderner Gesellschaften. Diese sind durch eine hohe Differenzierung sozialer Interaktionsbereiche gekennzeichnet, in denen das Individuum mit unterschiedlichen, z.T. widersprüchlichen Erwartungen bzw. Bedingungen der Anerkennung konfrontiert wird und diese im Sinne der eigenen Identitätsbildung verarbeiten muss. In dieser Hinsicht erscheint es problematisch, dass die Bildung von Identität in der Meadschen Konzeption relativ bruchlos aus den Erwartungen bzw. normativen Bewertungen der jeweiligen Interaktionsbereiche abgeleitet wird (Geulen 1989, S. 120). Mead geht dabei vom „normalen“ Zustand einer „ein44
heitlichen“, „vollständigen“ oder „kompletten“ Identität aus, welche in der Form von der Einheit des sozialen Umfeldes bzw. der relativ unproblematischen Synthese sozialer Verhaltensanforderungen im generalisierten Anderen abhängig ist: „Die Einheit und Struktur der kompletten Identität spiegelt die Einheit und Struktur des gesellschaftlichen Prozesses als Ganzen.“ (Mead 1973, S. 186). Laut Stryker (1980, S. 38) spiegelt sich hierin Meads generelle, sicherlich durch das Studium der philosophischen Schriften von Hegel beeinflusste „…vision of mankind as an ultimate member of a „single universe“ in which all participated cooperatively in moving mankind to higher evolutionary levels.” (vgl. auch Honneth 1994, Hartz/Faßauer 2006). Ist die Einheit des gesellschaftlichen Prozesses als Ganzen nicht gegeben, entsteht gemäß Mead für den Einzelnen der pathologische Zustand der „Persönlichkeitsspaltung“ (Mead 1973, S. 186). Auch in diesen Zusammenhang wird wieder Meads geringes „Vertrauen“ in das eigentliche Potential, das die subjektive Identität dem Einzelnen in Hinsicht auf Entscheidungsfähigkeit und Konfliktbereitschaft bieten kann, deutlich. Das heißt, der Einfluss bisher gemachter Anerkennungs- bzw. Identitätserfahrungen auf zukünftige Entscheidungen in Hinsicht auf die Wahl bestimmter sozialer Interaktionsbereiche bzw. Anerkennungspartner oder auch die Bereitschaft zur Verteidigung und Fortentwicklung der eigenen Identität werden von Mead nicht in Betracht gezogen. Demnach kommt die Meadsche Identitätskonzeption einer Vorstellung von Individualisierung als Konfrontation mit und Verarbeitung von vielen unterschiedlichen, spannungsreichen sozialen Verhaltenserwartungen kaum entgegen und wirft die Frage auf, wie man sich eine Identität vorstellen kann, die sich unter einer großen Vielfalt des sozialen Umfeldes bildet (vgl. Geulen 1989, S. 119ff.). Aus diesem Grunde werden im folgenden Abschnitt ausgewählte Aspekte des Zuschnittes moderner Gesellschaftsformen vorgestellt. Anschließend wird auf die in diesen Kontext einordbaren identitätstheoretischen Erkenntnisse von Erving Goffman eingegangen, da durch diese die Meadsche Identitätskonzeption entsprechend spezifiziert werden kann. 2.2.3.1 Individualisierung durch gesellschaftliche Differenzierung Moderne Gesellschaften sind durch eine hohe Differenzierung sozialer Interaktionsbereiche gekennzeichnet (vgl. Habermas 1988; Türk 1995, S. 155ff.; Schimank 1996; Willems/Hahn 1999). Die Entwicklung zur „modernen“ Gesellschaftsform wird demnach häufig anhand der Tendenz der gesellschaftlichen
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Differenzierung, als „zunehmende Ungleichartigkeit der Bausteine“ einer Gesellschaft, diagnostiziert18 (Schimank 1996, S. 10). Der Beginn der Moderne wird in unterschiedlichen Zeiträumen verankert. Zumeist werden die Anfänge im beginnenden 16. Jahrhundert gesehen und auf unterschiedliche, sich gegenseitig beeinflussende Faktoren, wie z.B. sich wandelnde religiöse Orientierungen oder Innovationen im wissenschaftlichen und technologischen Bereich, zurückgeführt (vgl. Arzberger 1988; Bohn/Hahn 1999). Schimank betrachtet insbesondere die Differenzierungserscheinungen infolge der industriellen Revolution des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts als wesentlich und thematisiert diese auf zwei Ebenen: auf der Ebene gesellschaftlicher Teilbereiche und auf der Ebene sozialer Rollen. Die erste Ebene kennzeichnet die zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung einzelner gesellschaftlicher Bereiche mit entsprechend spezifischen gesellschaftlichen Handlungslogiken. So differenziert sich z.B. der „Bereich der Politik für das Streben nach Macht, die Wirtschaft für das Streben nach Gewinn, die Wissenschaft für das Streben nach Wahrheit und die Jurisprudenz für das Streben nach Recht“ heraus, wie Schimank (1996, S. 59) am Beispiel der Ausführungen Max Webers (1988) zur Rationalisierung gesellschaftlicher „Wertsphären“ formuliert. Dabei wird in der Soziologie insbesondere die Ausdifferenzierung und Dominanz des wirtschaftlichen Teilbereiches als marktwirtschaftlich-kapitalistisches System, als zentral in Bezug auf die gesellschaftlichen Auswirkungen betrachtet (vgl. Türk 1995, S. 186ff.; Zima 2001, S. 47f.). Hierfür beispielhaft steht nach Schimank insbesondere die Analyse der kapitalistischen Ökonomie nach Karl Marx (1962) als auch die Arbeit Georg Simmels (1999) über die Rolle des Geldes in der modernen Wirtschaft (Schimank 1996, S. 69ff.). Auch Max Webers (1988) Analyse über die Auswirkungen des Protestantismus auf die Entfaltung der kapitalistischen Rationalität ist hier als grundlegend zu betrachten (vgl. Schluchter 1979; Arzberger 1988; Zima 2001). Diese Spezialisierung und Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche wird dabei durch deren zunehmende „Organisierung“ begleitet bzw. getragen. Das heißt, es entsteht eine zunehmend arbeitsteilige, planmäßig koordinierte soziale Interaktion in den Teilsystemen. Beispielhaft hierfür steht das Aufkommen zunehmend bürokratisch organisierter, staatlicher Verwaltungen oder die Entwicklung hoch arbeitsteiliger bzw. fabrikförmig organisierter Produktionsunternehmen. Vor diesem Hintergrund können moderne Gesellschaften auch als „Organisationsgesellschaften“ bezeichnet werden (vgl. Türk et al. 2002; Schimank 2005). 18
Eine umfassende und differenzierte Darstellung der Problematik „Moderne“ findet sich in Zima 2001.
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Die Ebene der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche und deren korrespondierende zunehmende „Organisierung“ überwölbt die zweite Ebene, auf der Differenzierung von Schimank betrachtet wird. Es handelt sich hierbei um die Ebene der sozialen Rollen, auf der eine wachsende Rollendifferenzierung festzustellen ist (Schimank 1996, S. 10). Das heißt, es kommt zu einer Vervielfältigung der sozial standardisierten Verhaltenserwartungen, denen Personen in einer Gesellschaft potentiell unterliegen können. Diese Rollendifferenzierung entwickelt sich aus der wachsenden Arbeitsteilung und beruflichen Speziali-sierung innerhalb und zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen bzw. deren Organisationen. So erlauben technische Entwicklungen ein weitaus höheres Niveau der Zerlegung von Arbeitstätigkeiten im Produktionsprozess bzw. eine zunehmend fabrikförmige Arbeitsorganisation und die korrespondierende Trennung von „Hand- und Kopfarbeit“ (z.B. Arbeiter und Angestellte) in Unternehmen. Auf diese Weise entwickeln sich je nach Arbeitsaufgabe notwendigerweise unterschiedliche Rollenerwartungen an die Organisationsmitglieder, die sich auch gesellschaftlich ausprägen (vgl. z.B. Kracauer 1971). Diese Differenzierungserscheinungen bedingen zugleich eine sich notwendig wandelnde Art und Weise der Integration des Einzelnen in sein soziales Umfeld bzw. die Gesellschaft. Zur Veranschaulichung dieses Zusammenhanges ist es hilfreich, sich die entsprechende Theorie zur Entwicklung moderner Gesellschaften nach Emile Durkheim (1992 orig. 1893) zu vergegenwärtigen: Durkheim betrachtet die Arbeitsteilung als grundlegenden Faktor der gesellschaftlichen Differenzierung. Dementsprechend trifft er eine Unterscheidung zwischen „einfachen Gesellschaften“ und „höheren bzw. modernen Gesellschaften“ anhand des Ausmaßes der vorliegenden Arbeitsteilung. „Einfache Gesellschaften“ bestehen aus vielen kleinen autarken Segmenten. Das heißt, zwischen diesen Segmenten besteht eine geringe soziale Interdependenz und Arbeitsteilung. Auch innerhalb der Segmente findet Arbeitsteilung weitgehend nur nach Alter und Geschlecht statt. Der soziale Zusammenhalt solcher Segmente beruht auf der allen Mitgliedern gemeinsamen Gesamtheit von Werten, Verhaltensnormen, Wissensgehalten und Meinungen und basiert somit auf der Ähnlichkeit der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Mitglieder. Die soziale Integration des Einzelnen beruht damit auf der mit den anderen Segmentmitgliedern geteilten, gleichen kulturellen Orientierung, welche sich über die soziale Nähe entwickelt und durch die entsprechende soziale Kontrolle innerhalb des Segmentes aufrechterhalten wird. Durkheim bezeichnet diese Integrationsform als „mechanische Solidarität“. „Höhere Gesellschaften“ weisen demgegenüber ein hohes Maß an gesellschaftlicher Arbeitsteilung zwischen den Gesellschaftsmitgliedern auf. Die auf der Arbeitsteilung basierende Rollendifferenzierung impli47
ziert eine Pluralisierung individueller Wahrnehmungs- und Deutungsmuster. Dementsprechend ist eine soziale Integration des einzelnen Menschen, die auf dessen Ähnlichkeit mit den anderen Gesellschaftsmitgliedern beruht, nicht mehr möglich. Vielmehr wird die „mechanische Solidarität“ gemäß Durkheim nun durch eine andere Integrationsform überwölbt, die sich aus den, durch die Arbeitsteilung entstandenen Abhängigkeiten der Gesellschaftsmitglieder entwickelt - also auf deren Unähnlichkeit und Ergänzung beruht. Die Integration des Einzelnen erfolgt also nun über die Erfüllung der arbeitsteilig bedingten Verhaltenserwartungen im Leistungsaustausch mit den anderen Gesellschaftsmitgliedern. Die Mechanismen der Integration erwachsen demnach aus der Arbeitsteilung selbst und werden von Durkheim als „organische Solidarität“ bezeichnet. Die in der Form entstehenden Normen, die sich über die gesamte Gesellschaft erstrecken, finden ihre formale Manifestation etwa in rechtlichen Grundsätzen. (vgl. Schimank 1996, S. 27ff.; Kippele 1998, S. 84ff.; Habermas 1999, S. 118ff.). Die Durkheimschen Vorstellungen über die Entwicklung von einfachen zu höheren Gesellschaften zeigen anschaulich die zwei wesentlichen Merkmale, die dem Vorgang der gesellschaftlichen Differenzierung grundlegend zugeschrieben werden: Zum einen liegt eine gesellschaftliche Differenzierung auf funktionaler Ebene vor. Zum anderen ist hiermit die Zersetzung traditioneller, sozialer Integrationsformen, wie traditioneller Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge und traditioneller Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen,19 wie sie z.B. in der Durkheimschen Konzeption innerhalb eines Segmentes zu finden waren, verbunden (vgl. Beck 1986, S. 206ff.; Habermas 1988, S. 234; Willems/Hahn 1999). Die so verstandene Differenzierung einer Gesellschaft wird dabei als eine grundlegende Quelle einer zunehmenden Individualisierung von Gesellschaftsmitgliedern betrachtet (Geulen 1989, S. 108 ff.; Schimank 1996; Wagner 2004, S. 28ff., S. 63ff.). Individualisierung bezeichnet in diesem Zusammenhang die wachsende Einzigartigkeit und Selbstbestimmung von Identität. Dieser Individualisierungsvorgang ist folgendermaßen zu erklären: Die Herausbildung gesellschaftlicher Teilbereiche, die zunehmende Rollendifferenzierung und die hiermit einhergehende Auflösung traditioneller Einbindungsformen bedingen eine zunehmende Vervielfältigung von Interaktionsbereichen und sozialen Verhaltenserwartungen für den Einzelnen. Dies bewirkt eine entsprechende Vervielfältigung der sozialen Erfahrungen des Einzelnen, welche im Rahmen der Iden19 Hieran schließt sich in den Theorien der gesellschaftlichen Differenzierung die unmittelbare Frage nach neuen sozialen Integrationsmechanismen an (Schimank 1996). Vor diesem Hintergrund sind auch Ausführungen in Bezug auf die negativen Folgeerscheinungen der gesellschaftlichen Desintegration (Entfremdung, Anomie) einzuordnen.
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titätsarbeit subjektiv verarbeitet und in Einklang gebracht werden müssen (vgl. z.B. Schäfer 1998; Bohn/Hahn 1999). Aufgrund der hohen Anzahl möglicher Erfahrungskombinationen und der subjektiven Verarbeitung und Aneinanderreihung von Erfahrung bewirkt gesellschaftliche Differenzierung damit eine zunehmende Einzigartigkeit der Identität des Einzelnen, wie Schimank (1996, S. 46ff.) unter beispielhaftem Bezug auf die Arbeit Georg Simmels (1992) über gesellschaftliche Differenzierung und Individualisierung zeigt. Neben dem Merkmal der Einzigartigkeit betrachtet Schimank dabei das der Selbstbestimmung als zweites Merkmal von Individualität. Selbstbestimmung äußert sich in dem mehr oder weniger großen Spielraum in Bezug auf Wahl und Umgang mit den sozial vorgegebenen Rollen und ermöglicht in der Form erst die Einzigartigkeit von Identität. So formuliert Habermas: „Was sich historisch als gesellschaftliche Differenzierung darstellt, spiegelt sich ontogenetisch im Zuge einer immer differenzierteren Wahrnehmung von, und Konfrontation mit, vervielfältigten und spannungsreichen normativen Erwartungen. Die internalisierende Verarbeitung dieser Konflikte führt zu einer Autonomisierung des Selbst: das Individuum muss sich gewissermaßen als selbsttätiges Subjekt selber erst setzen. Insofern wird Individualität nicht in erster Linie als Singularität, nicht als askriptives Merkmal, sondern als Eigenleistung gedacht - und Individuierung als eine Selbstrealisierung des Einzelnen.“ (Habermas 1988, S. 190, H.i.O.)
Einzigartigkeit und Selbstbestimmung und somit die Individualität von Identität stellen sich dabei als parallel erwachsendes Erfordernis für die Entstehung und Aufrechterhaltung moderner Gesellschaften dar. Schimank (1996, S. 46) bezeichnet sie demnach als Wollens-, aber zugleich auch Sollensprinzipien moderner Gesellschaften, wodurch zugleich die Ambivalenz von Individualisierung deutlich wird20 (vgl. Habermas 1988; Schäfer 1998; Hitzler 1999; Honneth 2002; Keupp 2002). Einerseits hat der Einzelne größere Spielräume, die eigene Identität zu entfalten, andererseits besteht der gesellschaftlich funktional bedingte Zwang zu dieser Entfaltung - also ein „Individualitätszwang“ - und dies notwendigerweise ausschließlich in Auseinandersetzung mit dem Rollenrepertoire der Gesellschaft.
20
Vgl. Gesellschaftshistorische Analysen, die auf den Zwangscharakter dieses „Individualisierungsprozesses“ hinweisen, z.B. Negt/Kluge (1993) oder die Perspektiven der Kritischen Theorie, z.B. Marcuse (1998), Adorno (1995a, b).
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2.2.3.2 Individualisierung und Meads Identitätskonzeption In diesem Abschnitt geht es um die Frage, wie die Erkenntnisse Meads über den grundlegenden Charakter der Identitätsbildung mit den Einsichten über die gesellschaftliche Differenzierung und der hiermit implizierten Individualisierung von Identität zusammengebracht werden können. Die Kritik an Meads Ansatz, die „einheitliche“ Identität aus der Einheit des sozialen Umfeldes abzuleiten, kann unterschiedlich gesehen werden. Einerseits kann Mead durchaus zugestimmt werden, dass eine hoch diversifizierte Umwelt, d.h. hoch differenzierte, voneinander abweichende Anerkennungsbereiche, mit denen der Einzelne konfrontiert werden kann, dessen Identitätsbildung erschweren können. Andererseits erweckt Meads Aussage den Eindruck, dass der Einzelne kaum Spielraum für die subjektive Genese der eigenen Identität hat, also vollkommen abhängig vom sozialen Umfeld ist. Dies reibt sich jedoch mit seinen eigenen Ideen in Bezug auf die Beschaffenheit des „I“ oder den Gedanken der individualisierten Anerkennung. Die Kritik an der Ableitung einer einheitlichen Identität aus einer einheitlichen Umwelt kann gut mit der entsprechenden Kritik und den Weiterführungen der frühen Rollentheorie verknüpft werden (vgl. Geulen 1989, S. 120; Schimank 2000, S. 55ff.). So lassen sich die in verschiedenen sozialen Interaktionsbereichen an den Einzelnen gestellten und anzuerkennenden Verhaltenserwartungen in der Meadschen Konzeption soziologisch als Rolle definieren, was schon begrifflich im Prozess des „taking the role of the other“ angedeutet ist (vgl. Dahrendorf 1977; Stryker 1980; Schimank 2000, S. 44). Die nun schon mehrfach angesprochenen Prozesse der Selbstverwirklichung stellen sich so als Versuche des „role making“ im Sinne der Kreation und Modifikation der vorgegebenen Rollen dar (vgl. z.B. Ansätze von Ralph H. Turner und George McCall zur Verknüpfung von Rolle und „Selbst“, vgl. übersichtsartig Stryker 1980; Schimank 2000, S. 55ff.). In der Meadschen Konzeption ist der Einzelne jedoch, wie gezeigt, auf die generelle Einheit der sozialen Rollen angewiesen, um eine „einheitliche“ Identität aufrechtzuerhalten. Die entsprechende Identitätsarbeit des Einzelnen unterliegt in der Meadschen Konzeption damit zwei wesentlichen Voraussetzungen:
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Die Erwartungen verschiedener Bezugsgruppen in Bezug auf eine einzunehmende Rolle sind ohne Weiteres miteinander vereinbar (kein IntraRollenkonflikt). Die Erwartungen, denen die Person in einer Rolle genügen muss, sind problemlos mit denen anderer Rollen der Person vereinbar (kein Inter-
Rollenkonflikt). (vgl. zu weiteren kritischen Aspekten der frühen Rollentheorie Schimank 2000, S. 55ff.) Diese Voraussetzungen sind in modernen Gesellschaften längst nicht immer gegeben. Vielmehr hat man es mit einer hohen Vielfalt von möglichen Verhaltenserwartungen für den Einzelnen zu tun, die sich zueinander durchaus spannungsreich verhalten können. Vor diesem Hintergrund bedarf die Meadsche Identitätskonzeption also einer entsprechenden Erweiterung, mit der die Annahme, dass eine „einheitliche“ Identität lediglich das Spiegelbild einer einheitlichen sozialen Umwelt darstellt, durchbrochen werden kann. Ansätze hierfür finden sich nach Geulen (1989, S. 120ff.) vornehmlich in den Arbeiten Erving Goffmans (1973; 1992; 1999; 2003). Goffman begreift den Begriff der Rolle in seinem ursprünglichsten Sinne und geht davon aus, dass Individuen bewusst ihre sozialen Rollen „spielen“ bzw. „inszenieren“ - also nicht gänzlich in einer Rolle aufgehen, sondern eine bewusste Rollendistanz entwickeln (vgl. Krappmann 1969, S. 133ff.; Goffman 1973; Weiss 1993, S. 80ff.). Dabei signalisiert das Individuum den anderen Interaktionspartnern aktiv seine Distanzierung von der sozial aufgedrängten Identität, indem es bestimmte Techniken anwendet, wie z.B. geringstmögliche Involvierung in die Situation, wohldosierte Abweichungen von den Normen, Persiflage des korrekten Rollenverhaltens, Gebrauch bestimmter Gesten, Späße, Faxen und anderes mehr (vgl. Geulen 1989, S. 123; Goffman 1973 S. 121; 2003). Um den Kooperations- und Interaktionszusammenhang zwischen den Beteiligten nicht zu gefährden, ist die Demonstration der Rollendistanz jedoch nur bis zu einem Grad möglich, der je nach Situation variieren kann (vgl. Geulen 1989, S. 123; Goffman 1992, S. 136ff.). So zitiert Goffman in seiner Arbeit über Stigmatisierte einen an Kinderlähmung erkrankten Mann, der in bestimmten Situationen die Rolle des Behinderten spielt und auf sichtbare Rollendifferenzierung verzichtet: „Wenn meine Nachbarn an einem schneereichen Tag bei mir klingeln, um zu erfragen, ob ich etwas aus dem Laden brauche, versuche ich, auch wenn ich auf schlechtes Wetter vorbereitet bin, mir lieber irgendeinen Artikel auszudenken, als ein großzügiges Angebot zurückzuweisen. Es ist liebenswürdiger, Hilfe zu akzeptieren, als sie in einer Bemühung, Unabhängigkeit zu beweisen, abzulehnen.“ (Goffman, 1992, S. 148)
Wird Rollendistanz jedoch inszeniert, dient sie der Demonstration des über die Rolle hinausgreifenden subjektiven Selbstbildes und hat zum Ziel, „die Sicht des Anderen von Ego so zu beeinflussen, dass sie Egos Selbstbild angemessener wird.“ (Geulen 1989, S. 123). Dabei ergibt sich diese Identität bzw. das Selbstbild bei Goffman aus der Gesamtheit aller Rollen, die das Individuum beklei51
det.21 Rollendistanz soll also zum Ausdruck bringen, dass der Betreffende noch andere Rollen einnimmt und welche diese sind. So verlangt jede Situation ein Ausbalancieren der Identität mit den von außen herangetragenen Rollen (Weiss 1993, S. 81). Im Unterschied zur Meadschen Konzeption bildet sich die Gesellschaft also nicht harmonisch in der Identitätsstruktur des Einzelnen ab. Vielmehr betont Goffman, dass die Identität des Einzelnen auf mehreren, z.T. widersprüchlichen Rollen beruht, die je nach Situation zueinander ausbalanciert werden müssen.22 Role making resultiert hiernach nicht wie bei Mead ausschließlich aus dem Trieb eines auf Anerkennung und Selbstverwirklichung strebenden „I“, sondern aus der Verschiedenartigkeit der Rollen, die der Einzelne einnimmt also aus seiner sozialen Bedingtheit. Goffman entwickelt in diesem Zusammenhang jedoch keine Vorstellung hinsichtlich der individuellen Quelle der Rollendistanzierung bzw. über die Entwicklung einer subjektiv wahrgenommenen Identität, die einen Referenzpunkt für den Umgang mit Rollen darstellen könnte. In dieser Hinsicht lässt sich wieder auf Meads Vorstellungen über „I“ und „Me“ sowie die Idee der wechselseitigen Anerkennung zurückgreifen. So kann ein subjektiv relativ stabiles „Me“ als Einheit von in Prozessen der wechselseitigen Anerkennung gemachten Erfahrungen eine sich stetig fortentwickelnde Ausgangsbasis für aktuelle und zukünftige Verhaltensweisen, Entscheidungen und Handlungen sein. Hervorzuheben ist, dass die Einheit der Erfahrungen nicht allein von der Einheit des sozialen Umfeldes abhängt (Mead), sondern vom Einzelnen - natürlich in einem gewissen Rahmen - selbst aktiv hergestellt werden kann, indem ausgehend von bisher gemachten Erfahrungen Entscheidungen in Bezug auf Rollendistanz, Rolemaking getroffen werden. Auf diese Weise lässt sich der Ansatz der Meadschen Identitätskonzeption als Prozess des „taking the role of the other“ unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Differenzierung denken und erfassen (Geulen 1989, S. 124). Vor diesem Hintergrund vollzieht sich die Bildung von subjektiver Identität über die Perspektivenübernahme in unterschiedlichen sozialen Interaktionsbereichen und deren je individuelle Synthese in ein subjektiv als konsistent und kohärent empfundenes Selbst. 2.3 Zusammenfassende Darstellung Dieser Abschnitt dient zum einen dazu, die wesentlichen Erkenntnisse dieses Kapitels zur Beschaffenheit und Bildung von subjektiver Identität zusammen21
Zur Vertiefung und Kritik des Goffmanschen Identitätsbegriffes vgl. Daniels 1981, S. 167ff.; Weiss 1993, S.80ff. 22 Weitere Unterschiede zur Meadschen Identitätskonzeption vgl. Weiss 1993, S. 82ff.
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fassen. Hierauf basierend soll zum anderen die Definition und Erläuterung des in der Arbeit verwandten Identitätskonzeptes vorgenommen werden. 2.3.1 Identitätskonzeption nach George Herbert Mead Auf der Basis der Sozialpsychologie G.H. Meads lässt sich zeigen, dass die Konstitution der selbst wahrgenommenen bzw. subjektiven Identität des Einzelnen an die soziale Interaktion mit anderen gebunden ist. Erst über die Interaktion mit anderen ist der Einzelne veranlasst und in die Lage versetzt, über sich zu reflektieren, Erfahrungen über sich zu sammeln und darüber ein Bild über sich selbst bzw. eine subjektive Identität aufzubauen. Mead konzeptualisiert diesen Prozess als „taking the role of the other“ und Herausbildung und Zusammenspiel von zwei Identitätskomponenten. „Taking the role of the other“ beschreibt den Prozess der wechselseitigen Perspektivenübernahme zwischen Interaktionspartnern. Das heißt, der Einzelne lernt, sich aus der Perspektive seines Interaktionspartners zu betrachten bzw. dessen Sicht auf sich selbst einzunehmen. Dies geschieht, indem der Einzelne über die Reaktionen seiner Interaktionspartner Erfahrungen darüber sammelt, wie seine Verhaltens- und Handlungsweisen sozial bewertet werden. Auf diese Weise eignet er sich einen Bewertungsrahmen in Bezug auf seine vollzogenen oder intendierten Verhaltens- und Handlungsweisen an und ist damit in die Lage versetzt, sich als selbst Akteur in einem bestimmten sozialen Kontext betrachten zu können bzw. eine Identität aufzubauen. Mead beschreibt diesen Prozess als Sozialisationsvorgang, in dem der Einzelne schrittweise in einen immer größeren Kreis von Interaktionspartnern, bzw. in soziale Interaktionsbereiche, wie Familie, Schule, Beruf, Freizeit hineinwächst, um schließlich ein Bild von sich als Mitglied einer Gesellschaft zu entwickeln. Der Einzelne lernt sich also aus der normativen Perspektive eines immer größer werdenden sozialen Umfeldes zu betrachten bzw. sich selbst in ein größer werdendes soziales Gefüge sinnhaft einzuordnen. Das bedeutet zugleich, dass der Einzelne sich nur als jemand erfahren kann, der die Erwartungshaltungen seiner sozialen Umwelt in einer bestimmten Art und Weise erfüllt oder nicht erfüllt. „Taking the role of the other“ impliziert somit, dass der Einzelne seine Identität ausschließlich anhand des normativen Rasters seiner sozialen Umgebung festmachen kann. Die über dieses normative Raster strukturierten Selbsterfahrungen des Einzelnen werden in der Identitätskomponente „Me“ gespeichert. Das „Me“ wird demnach im Sozialisationsprozess sukzessive aufgebaut und beinhaltet die über den Vorgang des „taking the role of the other“ gewonnenen Erfahrungen über sich selbst (Welche Erwartungen haben meine Interaktionspartner an mich? Wie bin ich diesen 53
Erwartungen bisher nachgekommen und wofür werde ich dementsprechend besonders geschätzt? - Wer bin ich also?). Dem „Me“ ist das „I“ als zweite Komponente von Identität gegenübergestellt. Das „I“ ist somit die eigensinnige, also im weitesten Sinne spontane, kreative, sich des sozialen Einflusses entziehende Komponente von Identität. Das „I“ prägt die Gedanken, Verhaltensweisen und Handlungen des Einzelnen und kann ausschließlich über die unmittelbar erfahrenen oder die, aufgrund bisheriger Erfahrungen, antizipierbaren Reaktionen des sozialen Umfeldes subjektiv wahrgenommen bzw. bewertet werden. Das „I“ dringt demnach nur über die Brechung im „Me“ in das Bewusstsein des Einzelnen vor. Die Komponente „I“ ist der treibende, dynamische Faktor der Identitätsbildung. Das „Me“ beinhaltet demgegenüber die erfahrenen Kommentierungen über eigene Gedanken, Verhaltensweisen und Handlungen und stellt so die reflexiv zugängliche Komponente von Identität dar (vgl. zusammenfassend Abb. 5). Abbildung 5:
Identitätsbildung „Anerkennung“
„Anerkennung“ / Reaktionen des „signifikanten“ oder „generalisierten Anderen“
„I“ 2
„Me “ „I“ /“Eigensinn“ „Me“
Gesamtheit der bisherigen Erfahrungen
Gegenwärtige Erfahrung
Zukünftige Erfahrung
Quelle: eigene Darstellung Mead geht dabei generell davon aus, dass der Einzelne erst dann eine stabile Identität aufbauen bzw. einen positiven Bezug zu sich selbst bzw. seinem „Me“ entwickeln kann, wenn er sich in seinen Gedanken, Verhaltens- und Handlungsweisen sozial anerkannt fühlt. Facetten des „I“, die z.B. auf einhellige soziale Missachtung stoßen und negativ sanktioniert werden, sind nicht geeignet, einen befriedigenden Bezug zu sich selbst bzw. Selbstrespekt zu gewähr54
leisten, da der Einzelne gemäß der Logik des „taking the role of the other“ das normative Raster seiner Umwelt notwendig auf sich selbst anwenden muss, um überhaupt eine Identität aufzubauen. So lässt sich formulieren, dass der Einzelne erst dann eine subjektiv befriedigende und stabile Identität aufbauen kann, wenn er sich als anerkanntes Mitglied eines bestimmten Interaktionsbereiches bzw. der gesamten Gesellschaft fühlen kann, also grundlegende soziale Normen akzeptiert und auf sich anwendet. Meads Ausführungen erwecken in dieser Hinsicht häufig den Eindruck, dass es sich hierbei um einen sehr einseitigen Prozess handelt, d.h., dass das Individuum sich einseitig an soziale Verhältnisse anpasst. Die Betonung liegt also weniger auf dem nach Fortentwicklung strebenden „I“, der eigentlichen Wechselseitigkeit von Anerkennung und dem selbstreflexiven Potential eines sich entwickelnden individuellen „Me“, welches zu Rollendistanz, role making und aktiver Verteidigung der eigenen Identität befähigen kann. Für diese Interpretation von Identität bietet Meads Konzeptualisierung zwar durchaus Anknüpfungspunkte, diese werden jedoch von ihm selbst kaum behandelt oder spezifiziert. Hiermit mag auch zusammenhängen, dass Mead von der Idee einer einheitlichen, normativ widerspruchslosen Gesellschaft als Voraussetzung für eine einheitliche bzw. in sich widerspruchsfreie Identität eines jeden Gesellschaftsmitgliedes ausgeht. Unter Verweis auf den Vorgang der gesellschaftlichen Differenzierung und Anleihen bei der Rollentheorie wurde in Abschnitt 2.2.3 jedoch darauf hingewiesen, dass der Einzelne eher mit unterschiedlichen, nicht in einem allumfassenden gesellschaftlichen Rahmen auflösbaren, normativen Erwartungen bzw. Rollen konfrontiert ist. Diese Rollenerwartungen und entsprechenden Selbsterfahrungen müssen vom Einzelnen in seiner Identitätsarbeit notwendig in eine subjektiv nachvollziehbare Einheit synthetisiert werden. Aufgrund der potentiellen Vielfalt der Selbsterfahrungen aller Mitglieder einer differenzierten Gesellschaft wird in diesem Zusammenhang auch von der Individualisierung von Identität gesprochen. 2.3.2 Definition von Identität und Identitätsbildung In der vorliegenden Arbeit wird eine Definition23 von subjektiver Identität verwendet, die auf den entsprechenden Erkenntnissen von Mead aufbaut und die wesentlichen Facetten von Identität beinhaltet. Eine Definition, die dem schon sehr nahe kommt, ist jene nach Geulen. Hiernach ist subjektive Identität: 23
Zu weiteren konzeptionellen Ansatzpunkten der Definition von Identität, etwa nach qualitativen (Inhalt von Identität) oder formalen Gesichtspunkten (Herstellung von Identität) vgl. Frey/Haußer 1987, S. 11ff.; Keupp et al. 2002, S. 32.
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„...das in der Selbstreflexion gegebene Subjekt, soweit dieses unvertretbar die Synthese der gegebenen Mannigfaltigkeit in der biographischen Zeit (persönliche Identität) und im sozialen Raum (Rollen) leistet und daher Einheit ist.“ (Geulen 1989, S. 133)
In dieser Definition tauchen bereits wesentliche, bisher erläuterte Aspekte subjektiver Identität auf, die noch einmal kurz hervorgehoben werden sollen: Wie zu Beginn eingeleitet, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der subjektiv wahrgenommenen Identität des Einzelnen. Dies beinhaltet, dass der Einzelne also das Subjekt - über sich selbst nachdenkt, sich selbst zum Objekt der eigenen Betrachtung macht. Subjektive Identität entsteht demnach immer in Selbstreflexion. Dieser Aspekt und die entsprechende Entwicklung von Selbstbewusstsein und Reflexion konnte auf Basis des Meadschen Ansatzes der symbolisch vermittelten Interaktion in Abschnitt 2.2.2 dieser Arbeit hergeleitet werden. Der Sachverhalt, dass subjektive Identität ausschließlich vom in Selbstreflexion gegebenen Subjekt hergestellt werden kann, impliziert zugleich, dass das Subjekt in diesem Prozess unvertretbar - also subjektiv immer „Ich“ ist. Zwei wesentliche Facetten subjektiver Identität stellen Kontinuität als subjektiv empfundene Einheit über die Zeit und Kohärenz als empfundene Einheit des selbst über verschiedene Interaktionsbereiche dar. Kontinuität bedeutet also, dass Selbstidentifikation bzw. die Konstitution von subjektiver Identität dann gelingt, wenn der Einzelne seine Erfahrungen, die er im zeitlichen Verlauf seines Lebens über sich gesammelt hat, in eine subjektiv nachvollziehbare Einheit bringen kann bzw. sich immer als dasselbe, unvertretbare Subjekt mit eigener Lebensgeschichte empfinden kann („Ich war immer ich.“). Geulen bezeichnet diesen Aspekt der subjektiven Identitätsbildung als Synthese in der biographischen Zeit und den betreffenden Teil von Identität als persönliche Identität. In diesem Sinne kann für den Begriff der persönlichen Identität der Meadsche Begriff des „Me“ verwendet werden, wie in Abschnitt 2.2.2.3 nachzuvollziehen ist. Dabei ist die Einheit der persönlichen Identität bzw. des „Me“ zugleich an den Aspekt der Kohärenz gebunden. Kohärenz beinhaltet, dass der Einzelne die Erfahrungen, die er über sich in verschiedenen sozialen Räumen bzw. Interaktionsbereichen, wie z.B. Erwerbsarbeit, Familie, Freizeit, in eine subjektiv nachvollziehbare Einheit synthetisieren können muss. Geulen spricht an dieser Stelle von der notwendigen Synthese der unterschiedlichen Rollenerwartungen, die an den Einzelnen herangetragen werden. Dieser Punkt wurde unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Differenzierung und unter Rückgriff auf die Erkenntnisse Goffmans in Abschnitt 2.2.3 dieser Arbeit behandelt und als Ergänzung zur Meadschen Identitätskonzeption vorgestellt. 56
Geulen benennt in seiner Definition wesentliche Bausteine des in der vorliegenden Arbeit verwendeten Identitätsbegriffes, unterlässt es jedoch, explizit auf die notwendige Funktion der Interaktion bzw. der Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld und damit auch auf die Funktion der wechselseitigen Anerkennung für die Bildung von Identität einzugehen. Da wechselseitige Anerkennung jedoch notwendige Bedingung für die subjektiv befriedigende Identitätsbildung bzw. für den Aufbau eines positiven Selbstbezuges ist, wird folgende Definition des subjektiven Identität bzw. des Identitätsbildungsprozesses vorgeschlagen: Subjektive Identität ist die subjektiv empfundene Einheit (Kontinuität, Kohärenz) der lebenslangen und notwendig in sozialer Interaktion erworbenen Erfahrungen über sich selbst. Gelingende Identitätsbildung bzw. ein positiver Selbstbezug zur eigenen Identität ist dabei an die wechselseitige soziale Anerkennung in mindestens einem, subjektiv signifikanten Interaktionsbereich gebunden. 2.4 Identitätsbedrohende Anerkennungsmuster und Anomie Der letzte Abschnitt dieses Kapitels beschäftigt sich mit verschiedenen Möglichkeiten der Bedrohung subjektiv empfundener Identität durch mögliche Wechselwirkungen mit dem sozialen Umfeld. Eine Bedrohung oder gar Krise der eigenen Identität kann sich z.B. ergeben, wenn bisherige identitätsstiftende Erfahrungen radikal in Frage gestellt werden oder die Entfaltung einer subjektiv befriedigenden Identität durch überreglementierte oder gar gewalttätige Formen24 des sozialen Umganges verhindert wird (vgl. z.B. Schimank 1981; Frey/Haußer 1987). Hervorzuheben ist, dass „Bedrohungen für Identität“ im Folgenden in der Beschaffenheit und möglichen Dynamik sozialer Anerkennung - also auf der soziostrukturellen Seite des Identitätsbildungsprozesses - gesucht werden. Das heißt, der Fokus wird auf Merkmale des sozialen Umfeldes gerichtet, welche die subjektive Identitätsbildung des Einzelnen beeinflussen und so Identitätskrisen auslösen können (vgl. z.B. Zoll 1984). Aus dieser Perspektive kommen Identitätsbedrohungen in Form von psychopathologischen Zuständen, deren Ursachen auch physisch bedingt sein können, hier nur als Konsequenz sozialer Einflussnahme ins Blickfeld. Die auf Meads Ansatz aufbauenden Annahmen über die Beschaffenheit von Identität und die Bedingungen gelingender Identitätsbildung erlauben 24
In diesem Zusammenhang kann etwa auf die Ausführungen Honneths (1994) hingewiesen werden, der die Erfahrung von physischer Misshandlung und Vergewaltigung als einschneidende Bedrohung für das „Selbstvertrauen“ der betroffenen Person ansieht.
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grundlegende Aussagen über den Charakter einer potentiell identitätsbedrohenden sozialen Einflussnahme. In diesem Sinne werden im Folgenden bestimmte Charakteristika der den Einzelnen umgebenden sozialen Struktur in den Fokus genommen, die vor dem Hintergrund identitätstheoretischer Erkenntnisse identitätsbedrohend wirken. So werden in 2.4.1 das identitätsbedrohende Potential sich 1) radikal verändernder, 2) unbestimmter und 3) rigider Muster sozialer Anerkennung erläutert. Da in der Arbeit insbesondere das wechselseitige Konstitutionsverhältnis von Individuum und Organisation von Interesse ist, sollen die identitätstheoretischen Ableitungen aus 2.4.1 in 2.4.2 in einen konzeptionellen Rahmen gegossen werden, welcher sowohl Aussagen über die entsprechenden Auswirkungen auf die Individuumsebene als auch über die (Rück-)Wirkungen auf die soziostrukturelle Ebene erlaubt. Die soziologische Forschungstradition bietet dabei unterschiedliche Ansätze zur konzeptionellen Bündelung der in 2.4.1 getroffenen Aussagen über identitätsbedrohende Merkmale sozialer Verhältnisse. Einen anregenden Ansatz zur Analyse und Darstellung entsprechender sozialer Muster stellt der Ansatz der Anomie dar. Anomietheoretische Überlegungen bieten interessante Möglichkeiten zur systematischen Verknüpfung von individueller und soziostruktureller Ebene. In 2.4.2 wird daher spezifischer auf den identitätsbedrohenden Charakter anomischer Anerkennungsmuster eingegangen. 2.4.1 Veränderte, unbestimmte und rigide Anerkennungsmuster Generell kann subjektive Identität als die empfundene Einheit der über das Leben hinweg gesammelten Erfahrungen über einen selbst betrachtet werden. Die Entwicklung von Identität ist dabei notwendig an den Vorgang der wechselseitigen Anerkennung in sozialen Interaktionsprozessen und hinreichend an den empfundenen Grad der Individualisierung dieser Anerkennung gebunden. Abgesehen von allein physiologisch bedingten Faktoren sind die Ursachen für Identitätsbedrohungen bzw. -krisen als subjektiv empfundene Destabilisierung oder gar Zerfall der eigenen Identität demnach im Charakter der vom Einzelnen wahrgenommenen Anerkennungsverhältnisse zu suchen. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen, lassen sich drei wesentliche Ansatzpunkte für die Unterteilung von Anerkennungsmustern mit identitätsbedrohendem Charakter finden. Es handelt sich dabei um die radikale Veränderung oder den „schockartigen“ Zusammenbruch bisheriger Anerkennungsmuster, die ständige Unbeständigkeit bzw. Unsicherheit von Anerkennungsmustern und die rigide, „unterdrückende“ Beschaffenheit von Anerkennungsmustern.
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1) Radikale Veränderung von Anerkennungsmustern Schockartige Hinterfragung von Identität Wenn sich Anerkennungsmuster inhaltlich und in relativ kurzer Zeitspanne radikal verändern kann der Fall eintreten, dass die bisherige, subjektiv empfundene Einheit identitätsstiftender Erfahrungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Frey/Haußer erklären hierzu: „Wir stellen uns nicht jeden Tag vor den Spiegel mit der Frage „Wer bin ich?“ Wenn aber ein Ereignis bestimmte Aspekte unserer bisherigen Identität erschüttert, dann kann diese Frage, in Abhängigkeit der Qualität des Ereignisses durchaus zwingend werden. Die Person muss demnach prüfen, ob sie noch dieselbe ist, was sich möglicherweise geändert hat, ob sie diese Änderung als Teil ihrer neuen persönlichen Identität akzeptieren will und wie sie ihre neue Identität nach außen vertreten und darstellen will.“ (Frey/Haußer 1987, S. 13)
Auslösende Ereignisse könnten der Eintritt in die Arbeitslosigkeit, eine Scheidung, der Verlust einer nahestehenden Person, eine Beförderung oder auch ein Lottogewinn sein.25 So untersucht Krömmelbein (1996) beispielsweise die Auswirkungen der Transformation des Charakters der Erwerbsarbeit auf die Identität von Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung (vgl. auch Hackel 1995; Hahn/ Schön 1996; Kudera 2001) und schreibt: „Die bisherige Erwerbsarbeitsorientierung kann sich entwerten, es können Diskrepanzen zwischen objektiven Anforderungen der Erwerbsarbeit und dem subjektiv gemeinten Sinn von Erwerbsarbeit im bisherigen Lebenslauf auftreten.“ (Krömmelbein 1996, S. 64)
In eine ähnliche Richtung wie Krömmelbeins Studie deuten Untersuchungen über die Bedrohung von Identität durch Arbeitslosigkeit (z.B. Neumann et al. 1984; Rademacher 2003) oder über die Infragestellung beruflicher oder professioneller Identitäten, z.B. durch Einführung betriebswirtschaftlicher Managementmethoden in öffentlichen Organisationen (z.B. Hutter 1992; Henkel 2000; von Engelhardt el al. 2001; Doolin 2002). Generell impliziert die plötzliche Infragestellung der eigenen Identität und eine dadurch ausgelöste Identitätskrise, dass die Erfahrungen über sich selbst bzw. ein gewichtiger Teil von diesen Erfahrungen keine oder nur unsichere subjektive Anknüpfungspunkte bzw. Orientierungen in Bezug auf sozial aner25
Hierzu könnten auch Situationen gezählt werden, die von Frey/Haußer (1987) als gesellschaftlich periodisierte Krisenlagen bezeichnet werden, sich letztlich jedoch in individuellen Sinnkrisen niederschlagen können, wie z.B. die Pensionierung oder der Übergang von der Schule in den Beruf.
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kannte Handlungen und die Gestaltung der eigenen Zukunft liefern. Das mögliche „ritualistische“ Festhalten an sozial entwerteten Erfahrungen über sich selbst und hierauf basierende Handlungen stellen sich je nach Interaktionsbereich als mehr oder weniger sozial konflikthaft dar und erschweren somit die langfristige Aufrechterhaltung der subjektiv bedeutsamen („alten“) Identität, da Anerkennung vorenthalten wird und der positive Selbstbezug zur eigenen Identität so ständig hinterfragt wird. Ein positiver Selbstbezug kann ebenfalls auch dann nicht aufgebaut werden, wenn neue soziale Anerkennungs- und entsprechende Identitätsmuster zwanghaft übernommen werden. Hier ist die Notwendigkeit der Wechselseitigkeit im Anerkennungsprozess nicht gegeben, d.h. der Einzelne kann keine befriedigende Anerkennung erfahren, wenn er die anerkennende Instanz bzw. die neuen Inhalte der Anerkennung aufgrund seiner bisherigen identitätsstiftenden Erfahrungen selbst nicht anerkennt. Handlungsfähigkeit ist in dieser Situation zwar gegeben, es ist jedoch fraglich, wie lange der Einzelne einen solchen Konflikt ertragen kann.26 2) Unbeständigkeit von Anerkennungsmustern - Erosion, Entfaltung oder Befreiung von Identität Neben der radikalen Veränderung bisheriger identitätsstiftender Anerkennungsmuster kann deren ständige Unbestimmtheit, d.h. deren ständige hohe zeitliche und inhaltliche Veränderlichkeit, als zweite Möglichkeit einer soziostrukturell bedingten Identitätsbedrohung identifiziert werden. Unbestimmte, schwer antizipierbare Anerkennungsmuster können den Aufbau kohärenter und konsistenter Erfahrungen über einen selbst und die Entwicklung eines positiven Selbstbezuges erschweren sowie subjektive Handlungssicherheit schwächen. Wagner schreibt zu dieser Perspektive der „Erosion“ von Identität im Zusammenhang mit dem entsprechenden Formwandel der Erwerbsarbeit: „Die Multiplikation einander widersprechender, inkonsistenter Perspektiven, die sich in der Zeitdimension als rascher Wechsel diskontinuierlicher Fragmente darstellt, untergräbt die Fähigkeit der Subjekte, Erlebnispartikel und Erfahrungsbruchstücke auch nur ansatzweise in einer biographischen Gestalt integrieren zu können.“ (Wagner 2000, S. 147). 26
In diesem Zusammenhang wird häufig auf die Entwicklung von „Rollendistanz“ als wirksamer Mechanismus zur Handhabung dieses Konfliktes hingewiesen (vgl. z.B. Krappmann 2000). Um jedoch Rollendistanz entwickeln zu können, muss der Einzelne „wenigstens in einem gewissen Ausmaß“ eine subjektive Identität entwickelt haben (ebenda S. 137f). D.h. im vorliegenden Fall müssten andere Anerkennungsverhältnisse als das erschütterte eine gewisse subjektive Signifikanz besitzen.
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Beispielhaft kann hier die ständige Beschäftigung in wechselnden, zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen genannt werden, die immer wieder unterschiedliche Anerkennungsmuster aufweisen. So beschäftigt sich z.B. Wohlrab-Sahr (1993) mit dem Zusammenhang von Identität und „biographischer Unsicherheit“ bei weiblichen Zeitarbeiterinnen (vgl. auch Sennet 1998 zum Phänomen des „Drift“; Keupp et al. 2002). Soziale Unbestimmtheit und die Annahme der dadurch bedingten „Erosion von Identität“ ist auch mit Schimanks (1981, S. 27ff.) Ausführungen zur identitätsbedrohenden Wirkung sozialer Unterstrukturierung vergleichbar. Das Problem sozialer Unterstrukturierung besteht hiernach darin, dass nicht ausmachbar ist, was langfristig überhaupt als („echte“) soziale Bestätigung erlebbar sein könnte. In gravierenden Fällen resultiert soziale Unterstrukturierung in persönlicher Sinnleere, „einem Verlust des eigenen Standortes in der Welt.“ Etliche Autoren sehen in diesem Zusammenhang die Gefahr, dass die stärker werdenden Imperative des Arbeitsmarktes in wachsendem Maße zum alleinigen Orientierungs- und Anerkennungsfeld für den Einzelnen avancieren. Auf diese Weise würde die persönliche Identität nahezu restlos in der sozialen Identität bzw. Rolle übergehen, die sich aus den Anforderungen der Erwerbsarbeit bzw. der arbeitgebenden Organisation ergibt. So entstehen „stromlinienförmige, mobile und sozial entwurzelte Funktionsträger“ (Deutschmann et al. 1995, S. 448). Das Subjekt verliert demnach seine „biographische Autorenschaft“ und wird zum Objekt marktlicher Relationalisierung (vgl. Wagner 2000, S. 148). Aufgrund der marktlich bedingten und damit individuell schwer antizipierbaren, abstrakten sowie obendrein wenig individualisierten Anerkennung erscheint der Aufbau einer subjektiv befriedigenden Identität und der entsprechende Gewinn von umfassender Handlungsorientierung aus dieser Perspektive nahezu unmöglich. Neben dieser Gefahr der „Erosion von Identität“ durch Flexibilisierung und Differenzierung von Arbeits- und Lebensformen wird in der sozialwissenschaftlichen und sozialphilosophischen Fachwelt zum einen auch die hierdurch bedingte Möglichkeit zur positiven Entfaltung von Identität oder zum anderen gar „Befreiung von Identität“ diskutiert (vgl. übersichtsartig Wagner 2000). Die erste Perspektive bezieht sich in erster Linie auf die Zunahme gesellschaftlicher Differenzierung und verwendet eine ähnliche Argumentationsfigur wie jene zum Zusammenhang von Individualisierung und der Entwicklung moderner Gesellschaften. Die Konfrontation mit unterschiedlichsten Anerkennungsmustern erlaubt dem Einzelnen hiernach erst einen selbstreflexiv kritischen Umgang mit entsprechenden Erfahrungen:
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„Die Vielfalt von Anerkennungserfahrungen, die ihrerseits auf heterogene, nicht ineinander abbildbare Anerkennungsordnungen verweisen, ermöglicht es den Subjekten, eine kritisch reflektierte Distanz gegenüber partikularen Anerkennungszumutungen aufzubauen und aus dieser Distanz heraus die unterschiedlichen Anerkennungsformen, -foren und -erfahrungen mit je eigensinnigen Wertindizes zu versehen.“ (Wagner, 2002, S. 144).
Aus der identitätstheoretischen Perspektive der vorliegenden Arbeit ist anzumerken, dass die Basis für eine solche Entfaltung von Identität nur in der subjektiven Sicherheit über die Bewertung bisheriger Erfahrungen - also in einer bisherigen relativ stabilen subjektiven Identität - liegen kann. In diese Richtung deuten auch die theoretischen Ausführungen über die in diesem Zusammenhang häufig diskutierte Fähigkeit zur Rollendistanz als der kritischen Reflexion und dem spielerischen Umgang mit Rollen (orig. Goffman 1973).27 Auch für die Entwicklung von Rollendistanz wird die Notwendigkeit einer „wenigstens in gewissem Ausmaß“ vorhandenen subjektiven Identität gesehen (Krappmann 2000, S. 137f.). In diesem Sinne muss der Einzelne also Sicherheit über bestimmte, subjektiv relevante Anerkennungsmuster besitzen, um seine Identität gegenüber neuen Identitätsangeboten kritisch distanziert fortentwickeln zu können, beispielsweise hinsichtlich der beruflichen Identität in professionalisierten Berufen. Hier gehört die Bewältigung von Unsicherheit zur beruflichen Identität, wobei die Basis für die Bewältigung dieser Unsicherheit in den verinnerlichten Standards der eigenen Profession zu suchen ist (Gildemeister 1987; vgl. auch Beyer/Hannah 2002). Wird diese Basis durch einschneidende Ereignisse erschüttert oder durch fortwährende Konfrontation mit widersprechenden Erfahrungen konterkariert, erscheint die positive Entfaltung von Identität erschwert. Die zweite, oben benannte Perspektive der „Befreiung von Identität“ durch soziale Differenzierungsprozesse betrachtet die Bildung von Identität als Ausdruck gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse und Identität entsprechend als Zwangsgehäuse der eigenen Subjektivität, das dem Einzelnen von außen auferlegt wird (z.B. in Hinsicht auf Geschlechtertypisierungen). Hier wird z.T. in eine ähnliche Richtung argumentiert, wie sie oben im Zusammenhang mit der zunehmenden Unsicherheit und der Gefahr der alleinigen Orientierung an Imperativen der Erwerbsarbeit bzw. an Imperativen der arbeitgebenden Organisation vorgestellt wurde (vgl. auch Alvesson/Willmott 2002). Kontinuität und Kohärenz von Erfahrungen erscheinen in dieser Perspektive als von außen zugemutete, einengende Ideologie bzw. als Kontrollmodus. Aus dieser Perspektive ist das Ziel, sich von „Identität“ zu befreien, vollkommen nachvollziehbar. Aus 27 Über den Begriff der „Entfremdung“ erarbeitet Schuller (1991) meines Erachtens einen sehr anregenden Zugang zu dieser Frage.
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identitätstheoretischer Perspektive stellt sich dabei jedoch die Frage, ob der Begriff der Identität hier nicht vorschnell aufgegeben wird. So erscheint die Sichtweise auf den eigentlichen Charakter von Identität, deren zeitlicher Bezug (Biographie) und deren handlungsorientierende Wirkung sowie deren inhärent angelegter Druck nach subjektiv positiver Entfaltung bzw. „echter“ wechselseitiger Anerkennung (vgl. Dunn 1997; Honneth 2004; Hartz/Faßauer 2006) unterbeleuchtet. Dieser letzte Punkt kommt auch in der folgenden Erläuterung des identitätsbedrohenden Charakters rigider Anerkennungsverhältnisse zum Ausdruck. 3) Rigide Anerkennungsmuster - Unterdrückung gelingender Identität Ausgehend von dem hier vertretenen, identitätstheoretischen Ansatz kann nur dann von gelingender Identitätsbildung gesprochen werden, wenn der Einzelne einen positiven Selbstbezug zur eigenen Identität entwickeln kann. Dieser positive Selbstbezug kann nur generiert werden, wenn der Einzelne in seinen Verhaltensweisen und Handlungen auf eine positive soziale Anerkennung in mindestens einem subjektiv relevanten Interaktionsbereich trifft. Der mit dem positiven Selbstbezug korrelierte Aufbau von „Selbstrespekt“ (Mead) ist dabei umso höher, je individualisierter die jeweilige Anerkennung für den Einzelnen ist - je höher der Grad ist, in dem sich der Einzelne in positiver Weise seiner Individualität versichern kann. Unter rigiden Anerkennungsmustern werden im Folgenden solche verstanden, die keinen oder nur geringsten Spielraum für die subjektiv positiv besetzte Entfaltung von Individualität bieten. Dies ist einerseits in der Form denkbar, dass der Einzelne gar nicht zum Bewusstsein über die eigene Individualität gelangt - also nahezu sein gesamtes Leben in einem in sich geschlossenen, rigiden Anerkennungsverhältnis zubringt. Zum anderen kann der Fall auftreten, dass der Einzelne seine bereits subjektiv wahrgenommene Individualität in einem gegenwärtig dominanten Anerkennungsfeld nicht positiv validiert bekommt bzw. dafür sogar negativ sanktioniert wird. Beide Fälle wären z.B. in Goffmans (1973) „totalen Institutionen“ denkbar. Diese weisen folgende Merkmale auf: 1) Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt. 2) Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Tätigkeit gemeinsam verrichten müssen. 3) Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter formaler Regeln und durch einen 63
Stab von Funktionären vorgeschrieben. 4) Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen. (vgl. Goffman 1973, S. 17). Generell wird der „Insasse“ „totaler Institutionen“ also nicht oder kaum mit inhaltlich differenzierten und darüber hinaus stark reglementierten Anerkennungsverhältnissen konfrontiert, was die Entfaltung bzw. Fortentwicklung von Identität nahezu unmöglich macht. Schimank schreibt entsprechend: „Je (zeitlich) dauerhafter, (sachlich) universaler und (sozial) generalisierter die Machtunterwerfung ist, desto mehr widerspricht sie der Prämisse individualistischer Identität, dass die Person ihr Handeln selbst bestimmt.“ (Schimank 1981, S. 30)
Goffman (1973) beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit dem Zustand von Patienten in psychiatrischen Heilanstalten und zählt aber auch Gefängnisse, Kasernen oder Internate zu solchen Institutionen. Bemerkenswert ist, dass seine Beobachtungen und Studien zeigen, dass selbst die Insassen totaler Institutionen versuchen, sich nicht vollkommen von der Institution vereinnahmen zu lassen und ihre Individualität nach außen hin zu entfalten. Selbst die winzigen institutionellen Spielräume der totalen Institution werden ausgenutzt, um sie individuell auszufüllen bzw. sich von anderen abzuheben. Neben Goffmans „totalen Institutionen“ lässt sich auch der Zustand von Organisationen der Erwerbsarbeit aus der Perspektive rigider Anerkennungsmuster beleuchten (z.B. Schimank 1981). Insbesondere hoch arbeitsteilige, tayloristische Arbeitsformen mit hoher Aufgabenrestriktivität wurden häufig als identitätsbedrohend gekennzeichnet (z.B. Schimank 1981, S. 30ff.; Geisler et al. 1984; S. 20f.). Die Aufhebung dieser Arbeitsformen wurde in diesem Zusammenhang häufig als ein Mittel zur positiven Entfaltungsmöglichkeit von Subjektivität und der „Humanisierung“ von Arbeit gesehen (vgl. z.B. Kern/Schumann 1984; Baethge 1991; übersichtsartig zur kritischen Diskussion um „Subjektivierung von Arbeit“ Kleemann et al. 2002). Mit Verweis auf die oben beschriebene Sichtweise der Vereinnahmung des Einzelnen durch die Anforderungen der arbeitgebenden Organisation muss in diesem Zusammenhang jedoch konstatiert werden, dass auch dezentralisierte, also wenig tayloristische Arbeitsformen, rigide Anerkennungsverhältnisse beschreiben können (vgl. generell Wolf 1999). Stichworte der gegenwärtigen Diskussion sind etwa „Herrschaft durch Autonomie“ oder „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. Moldaschl 2001; Voß/Pongratz 2003). Diese Entwicklung wirkt sich vor allem dann kritisch auf Identität aus, wenn die arbeitgebende Organisation die dominierende Instanz der Anerkennung für den Einzelnen darstellt, also „Rollendistanz“ im Sinne Goffmans nicht hergestellt werden kann. 64
Die Bedrohung von Identität durch die radikale Veränderung und Unsicherheit (lesbar als anomische Konstellationen) sowie die Rigidität von Anerkennungsmustern stellen unterschiedliche Zustände der soziostrukturellen Seite der subjektiven Identitätsbildung dar. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit nicht einseitig auf die Auswirkungen der sozialen Struktur auf Identitätsbildungsprozesse, sondern auch auf entsprechende (Rück-)Wirkungen auf eben jene soziale Struktur gerichtet werden soll - also die Wechselseitigkeit der beiden Ebenen in den Blick genommen werden soll - erscheint die Auseinandersetzung mit entsprechenden, diese Wechselseitigkeit abbildenden Konzepten sinnvoll. In der soziologischen Forschungstradition existieren unterschiedliche Konzeptualisierungen für die (In)Stabilität sozialer Strukturen und deren Zusammenhang bzw. Auswirkungen auf die Individuumsebene. Wohlrab-Sahr (1993) beschäftigt sich in diesem Zusammenhang z.B. mit Simmels Figur des „Fremden“ (1992 orig. 1908), Parks Typus des „Marginal Man“ (1928), strukturfunktionalistischen Ansätzen in der Tradition Gehlens (1986 orig. 1956) sowie den breit rezipierten Ansätzen über Anomie in der Tradition Durkheims (1992, 1983, orig. 1893 sowie 1897) und Mertons (1975 orig. 1938). Da anomietheoretische Überlegungen in der Tradition von Merton miteinander verknüpfte Ansatzpunkte für eine Analyse moderner Leistungssteuerung aus institutioneller und individueller Perspektive bieten, erscheinen sie besonders interessant für die vorliegende Fragestellung. Ohne die Tradition der funktionalistischen Theorie wieder beleben zu wollen (vgl. Joas/Knöbl 2004), soll die Anomietheorie hier als analytisches Instrument verstanden werden, das ein Raster bietet, moderne Leistungssteuerung aus einer institutionellen Perspektive zu analysieren und sie auf ihre Konsequenzen in Bezug auf individuelle Reaktionsweisen zu überprüfen. In dieser Hinsicht bieten insbesondere die anomietheoretischen Überlegungen von Merton (1975 orig. 1938) einen gut systematisierten Untersuchungsrahmen, welcher auch für empirische Untersuchungen interessant ist. 2.4.2 Der Charakter anomischer Anerkennungsmuster Der folgende Abschnitt beginnt mit einleitenden Hinweisen zur Verwendung und Forschungstradition des anomietheoretischen Ansatzes (2.4.2.1). Anschließend werden die klassischen theoretischen Grundlagen der Anomie in der Tradition Durkheims und Mertons vorgestellt (2.4.2.2). Letztlich werden wesentliche Kritikpunkte am Mertonschen Anomieansatz benannt und erfolgt die Übertragung der anomietheoretischen Interpretation auf identitätsbedrohende Anerkennungsmuster (2.4.2.3). 65
2.4.2.1 Anomie - Hintergrund und Abriss zur Forschungstradition Allgemein bezeichnet Anomie (griech.: nomós = Regel) einen Zustand sozialer Regellosigkeit bzw. das Fehlen von Normen für das gesellschaftliche Handeln eines Individuums (vgl. Esser 1999, S. 422ff.; Boudon/Bourricaud 2000; Lamnek 2001, S. 108; Stock 2004). Normen können dabei als soziale Verhaltensforderungen in regelmäßig auftretenden Situationen definiert werden (vgl. Lamnek 2001, S. 16ff.). Normen drücken soziale Wertorientierungen aus und liefern die Referenzpunkte für die Bewertung individuellen und kollektiven Verhaltens bzw. machen dieses bewertbar. Boudon/Bourricaud (1992, S. 355) bezeichnen Normen entsprechend als sozial definierte und sanktionierte Handlungs-, Seinsund Denkweisen, wobei mit Lamnek (2001) differenzierend angemerkt werden kann, dass unterschiedliche gesellschaftliche Normen auch unterschiedliche soziale Geltungs- und Wirkungsgrade, Sanktionsbereitschaften und wahrscheinlichkeiten sowie unterschiedliche Toleranzbereiche und Verhaltenstransparenz in Bezug auf ihre Einhaltung aufweisen können. So besteht z.B. ein Unterschied zwischen einer sogenannten „Idealnorm“ und einer „informellen Norm“. Bei der Idealnorm ist der Geltungs- und Wirkungsgrad, als Grad der Akzeptanz und Realisation bei Normsendern bzw. -empfängern, nahezu 100% und die Abweichung von der Norm wird hoch sanktioniert. Die „informelle Norm“ weist demgegenüber einen hohen Wirkungsgrad auf, d.h. ist sozial weithin akzeptiert, wird entsprechend hoch sanktioniert, hat aber einen geringen Geltungsgrad, d.h. z.B., dass die Norm kaum sozial formalisiert ist (siehe zur weiteren Unterscheidung von Pseudonormen, Residualnormen, informellen Normen usw. Lamnek 2001, S. 22ff.). In der Denktradition der Anomietheorie wird die Akzeptanz und Einhaltung von grundlegenden sozialen Normen als Notwendigkeit für die Stabilität und Funktionsweise einer Gesellschaft betrachtet (vgl. Durkheim 1992, 1983; Merton 1975). Ist diese gesamtgesellschaftliche Sichtweise später auch häufig kritisiert und differenziert worden, besteht in den Sozialwissenschaften weitgehende Einigkeit darüber, dass über wechselseitig akzeptierte Normen eine relative Sicherheit über das wechselseitige Verhalten in Interaktionsprozessen hergestellt werden kann (vgl. z.B. den einflussreichen wissenssoziologischen Ansatz bei Berger/Luckmann 2000 orig. 1969; Schimanks (2000) Auffächerung der Akteurskonzeptionen in der Soziologie oder die Übertragung auf Gruppenarbeit in Organisationen vgl. Stock 2004). Insbesondere in komplexen sozialen Einheiten dient die Institutionalisierung von Normen der Verhaltenssicherheit, „weil solche institutionalisierte Normen durch Sozialisation allgemein und jedem Mitglied des sozialen Systems vermittelt werden können und Standardisierungen von Situationen, Positionen und Verhaltensweisen unabhängig von den 66
Personen und Persönlichkeiten schaffen, die ein quasi „schematisiertes“ Verhalten erlauben“ (Lamnek 2001, S. 28f). Auf individueller Ebene schaffen institutionalisierte Normen demnach eine relative Sicherheit über die soziale Beurteilung eigener Verhaltensweisen, erlauben die potentiell kritische Reflexion der eigenen und fremden sozialen Positionen und sind damit Ausgangspunkt von Identitätsbildung (vgl. Mead 1973; Berger/Luckmann 2000). Eine anomische Gesellschaft bzw. Institution bietet in dieser allgemeinen Lesart somit keine Orientierung in Bezug auf angemessenes soziales Verhalten sowie die Selbsteinschätzung des Einzelnen und ist damit zugleich in ihrer eigenen Funktionsfähigkeit bedroht. Die sozialwissenschaftlichen Wurzeln der Theorie über Anomie liegen in den Arbeiten Emile Durkheims „Über die soziale Arbeitsteilung“ (1992 orig.1893) und „Der Selbstmord“ (1983 orig. 1897) sowie Robert K. Mertons Beitrag über „Sozialstruktur und Anomie“ (1975 orig. 1938). Insbesondere Mertons Arbeit inspirierte zahlreiche Erweiterungen, Differenzierungen und entsprechende Diskussionen in der sozialwissenschaftlichen Fachwelt (z.B. Parsons 1951; Cloward/Ohling 1960; Cohen 1965; Merton 1970; zusammenfassend Fischer 1970; Dreitzel 1972; Bohle 1975; Ortmann 2000; Lamnek 2001; Passas/Agnew 2001). Neben der ursprünglichen soziologischen Verwendung und Beforschung des Begriffes wurde der Begriff der Anomie (dann häufig als „anomia“ bezeichnet) auch zur Beschreibung bestimmter psychischer Zustände verwendet bzw. als Merkmal personaler Charakterstrukturen empirisch erhoben (vgl. z.B. McClosky/Schaar 1965; Srole 1956). Ausgehend von dieser Ausdifferenzierung unterscheiden Dreitzel (1972) und Passas/Agnew (2001) zwischen einem soziologischen und einem psychologischen Anomiebegriff bzw. einer Makro- und einer Mikro-Anomietheorie. Beide summieren die Beschäftigung mit anomischen Zuständen von Gesellschaften und sozialen Institutionen bzw. die Auseinandersetzung mit soziostrukturellen Aspekten unter die Makrotheorie bzw. den soziologischen Ansatz der Anomie. In dieser Lesart kennzeichnet Anomie einen bestimmten Zustand einer Gesellschaft bzw. einer Institution und ist traditionsgemäß stark in strukturfunktionalistischen Denkweisen aufgegriffen worden (z.B. Parsons 1951; Joas/Knöbl 2004). Demgegenüber fassen Passas/Agnew (2001) unter die Mikrotheorie solche Untersuchungen und Fragestellungen, die sich mit Erfahrungen und Reaktionen des Individuums unter sozio-strukturell anomischen Bedingungen auseinandersetzen. Dreitzel (1972) ordnet unter seinen „psychologischen“ Anomiebegriff solche Untersuchungen, die Anomie als psychischen Zustand begreifen, ohne dabei differenzierter auf die Merkmale des sozialen Umfeldes einzugehen (z.B. Srole 1956).
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In der vorliegenden Arbeit erfolgt keine eingehende Beschäftigung mit diesem „psychologischen“ Begriff der Anomie. Vielmehr interessiert hier die anomietheoretische Betrachtung des Charakters und der Auswirkungen aktuell vorgenommener Veränderungen in erwerbswirtschaftlichen Organisationen. Im folgenden Abschnitt wird daher auf wesentliche Grundlagen der klassischen Makro- und Mikrotheorie von Anomie eingegangen. 2.4.2.2 Durkheims und Mertons Konzeptualisierung von Anomie Der wissenschaftliche Begriff der Anomie als Zustand der Regel- oder Normlosigkeit wurde erstmals von Durkheim in die soziologische Forschung eingeführt. Zunächst verwendet er den Begriff zur Erklärung sozialer Desintegrationserscheinungen infolge wachsender gesellschaftlicher Arbeitsteilung (1992 orig. 1893). Die mit der Arbeitsteilung verbundene Differenzierung einzelner Funktionen und Rollen geht nach Durkheim mit der Gefahr der Erosion des gesellschaftlichen „Kollektivbewusstseins“ als Solidarität zum Ganzen einher. Die Funktionsdifferenzierung bringt demnach - abgesehen von der reinen funktionalen Ergänzung - weniger Gemeinsamkeiten und weniger gegenseitige Verständnismöglichkeiten mit sich, so dass soziale Beziehungen problematischer werden, weniger befriedigend oder gar verhindert werden können (vgl. Lamnek 2001, S. 108ff.). Diesen gesellschaftlichen Zustand bezeichnet Durkheim im Beitrag über die Arbeitsteilung als anomisch. Einen spezifischeren inhaltlichen Anstrich erhält der Begriff der Anomie in Durkheims Arbeit über den Selbstmord (1983 orig. 1897). Durkheim versucht hierin, die empirische Regelmäßigkeit des Anstieges der Selbstmordrate sowohl in Zeiten wirtschaftlicher Depression als auch in Zeiten der Hochkonjunktur zu erklären. Wieder hervorzuheben ist, dass er den wesentlichen Erklärungsgehalt für dieses Phänomen in der gesellschaftlichen Struktur bzw. in den „sozialen Tatsachen“ sucht, nicht in spezifischen menschlichen Individuallagen. Generell geht Durkheim davon aus, dass der Mensch keinerlei natürliche Grenzen seiner Bedürfnisse besitzt (vgl. Durkheim 1983, S. 279ff.). Deshalb würde er ständig in einem unbefriedigten Zustand leben müssen, würde die Gesellschaft als äußere moralische Macht nicht mäßigend auf den Menschen einwirken und ihm z.B. entsprechende Positionen zuweisen (vgl. ebenda S. 282ff.). Dabei ist eine so verstandene gesellschaftliche Einordnung unterschiedlicher Gesellschaftsklassen nicht unabänderlich, sondern abhängig von den geltenden Moralauffassungen der Gesellschaft (ebenda, S. 284). In diesem Sinne besitzt die Gesellschaft nach Durkheim nur dann eine richtungsweisende Autorität für die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder bzw. wird anerkannt, wenn sie als gerecht empfunden wird. Durkheim argumentiert, 68
dass die Erosion bzw. der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Struktur, z.B. durch „Störungen“ oder „Wandlungen“, wie wirtschaftliche Depression oder auch Hochkonjunktur, zu einer Infragestellung dieser Autorität führen kann. Damit ginge dann zugleich eine Erosion der gesellschaftlichen Regulation der individuellen Ansprüche und Bedürfnisse von Gesellschaftsmitgliedern einher (ebenda, S. 287ff.). Dies betrifft dann sowohl die durch die gestörte Ordnung „deklassierten“ Menschen, welche lernen müssen, ihre Bedürfnisse entsprechend einzuschränken, aber vor allem die positiv Betroffenen, deren Ansprüche kein angemessenes Maß mehr kennen und die dadurch ebenso unbefriedigt bleiben (vgl. Durkheim 1983, S. 288 ff.). „Die Individuen stehen in diesem Fall ständig in der Gefahr, sich unerreichbare Ziele zu setzen, sich von Begierden und Leidenschaften fortreißen zu lassen, sich in Hybris zu verlieren.“ (Boudon/Bourricaud 1992, S. 29, H.i.O.).
Aus dem Ungleichgewicht zwischen Bedürfnis und faktischer Bedürfnisbefriedigung kann sich nach Durkheim eine verstärkte Tendenz zur Schwächung des Lebenswillens und zum Selbstmord entwickeln. Diesen Selbstmord-Typ bezeichnet er als „anomischen Selbstmord“ und den Zustand der gestörten gesellschaftlichen Ordnung als „Anomie“ (ebenda S. 296). Lamnek schreibt zusammenfassend: „Sozial instabilen Verhältnissen (als Gemeinsamkeit von Prosperität und Depression) fehlt also die Sicherheit über Inhalt und Ausmaß der Normgeltung, die für die Kanalisierung der menschlichen Bedürfnisse notwendig ist. Instabile Verhältnisse wirken sich auf die Normgeltung aus, so dass der Zustand der Anomie eintritt, eine allgemeine Schwächung des Kollektivbewusstseins, der allgemein moralischen Überzeugungen und Handlungsmaximen.“ (Lamnek 2001, S. 112)
In jedem Fall muss nach Durkheim eine den veränderten Strukturen angemessene „moralische Erziehung“ durch die Gesellschaft erfolgen, müssen also neue Normen entwickelt werden. Der Begriff der Anomie impliziert deshalb eine dynamische Gesellschaft. Das Vorhandensein von Anomie ist also ein Indiz dafür, dass sich eine Gesellschaft im Wandel befindet (vgl. Fischer 1970, S. 20). Im Gegensatz zu Durkheim erfasst Merton (1975) soziale Zustände von Anomie über sozial „nicht konformes“ Verhalten von Individuen und Gruppen bzw. deren „Anpassungsverhalten“ an die sozialen Strukturen. In seinem Aufsatz über „Sozialstruktur und Anomie“ formuliert er: „Es ist unser vornehmliches Ziel festzustellen, auf welche Weise einige soziostrukturelle Gegebenheiten auf bestimmte Personen in der Gesellschaft einen deut-
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lichen Druck dahingehend ausüben, dass sie sich eher auf nichtkonformes als auf konformes Verhalten einlassen.“ (Merton 1975, S. 339)
Dabei führt er - in Absetzung von Durkheim - diese Verhaltensweisen nicht auf (eigentlich zu zügelnde) „biologische Triebe“ der Menschen zurück, sondern versucht, deren „normale Reaktionen“ in bestimmten sozialen Situationen zu erfassen (vgl. auch Dreitzel 1972, S. 44ff.). Eine stabile soziale Struktur ist nach Merton wesentlich durch die soziale Akzeptanz und Einhaltung der „kulturell“ vorgegebenen Ziele und Mittel für die Zielerreichung gekennzeichnet. Die kulturellen Ziele und Mittel werden gemäß Merton von der so genannten „kulturellen Struktur“ der Institution vorgegeben und kennzeichnen deren normative Ebene. Eine stabile Sozialstruktur bleibt nach Merton demnach solange erhalten, „als die Individuen, die sich beiden kulturellen Anforderungen beugen, eine doppelte Befriedigung finden: nämlich einmal eine in dem Erreichen der Ziele selbst liegende Befriedigung, die unmittelbar aus der Verwendung institutionell gelenkter Verfahrensweisen beim Streben nach diesen Zielen entsteht.“ (Merton, 1975, S. 343). Soziale Institutionen befinden sich dann in einem anomischen Zustand, wenn Institutionsmitglieder eine geringe bzw. unausgeglichene Akzeptanz dieser Ziele und Mittel aufweisen. So führt nach Merton insbesondere die starke Betonung und soziale Akzeptanz institutionell vorgegebener Ziele (z.B. finanzieller Erfolg) bei gleichzeitig gering akzeptierten institutionellen Vorgaben hinsichtlich der zur Zielerreichung anzuwendenden Mittel (z.B. Erwerbsarbeit) dazu, dass Institutionsmitglieder „abweichende“, mitunter die Institution schädigende Mittel (z.B. kriminelle Handlungen) anwenden, um die allgemein anerkannten Ziele zu erreichen. Die Gründe für die geringe oder unausgeglichene Akzeptanz der kulturellen Struktur können unterschiedlich sein. Nach Merton kann der schwache Wirkungsgrad kultureller Mittel insbesondere aus dem für Institutionsmitglieder beschränkten faktischen Zugang zu diesen Mitteln herrühren (z.B. durch beschränkten Zugang zu Erwerbsarbeit) und liegt damit in der „Sozialstruktur“ einer Institution begründet. Institutionelle Anomie wäre demnach das Ergebnis des Auseinanderklaffens von allgemein verbindlichen, kulturellen Zielen und der sozialstrukturell determinierten Verteilung der legitimen Mittel, die zur Zielerreichung dienen sollen (vgl. Lamnek 2001, S. 114). Merton schreibt: „Anomie wird so verstanden als ein Zusammenbruch der „cultural structure“, der besonders dann auftritt, wenn ein scharfer Bruch zwischen den kulturellen Normen und Werten einerseits und andererseits den sozial strukturierten Möglichkeiten der Gruppenmitglieder, ihnen entsprechend zu handeln, entsteht.“ (Merton 1970, S. 138)
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Eine solche Diskrepanz erzeugt eine Desorientierung der Institutionsmitglieder und übt zugleich einen Druck zur individuellen Lösung dieses Konfliktes aus. Vor diesem Hintergrund entwirft Merton bestimmte Typen der Anpassung bzw. typische Reaktionsweisen als Lösungsformen dieser Desorientierung und verlässt damit notwendig die Makro-Perspektive der Anomie- Theorie (vgl. Bohle 1975, S. 15; Boudon/Bourricaud 1992, S. 30; Ortmann 2000, S. 76ff.; vgl. Abb. 6). Abbildung 6:
Makro- und Mikroebene in der Anomiekonzeption nach Merton
Diskrepanz in der Kulturstruktur (Reduktion im Wirkungsgrad kulturell vorgegebener Ziele und Mittel) zeigt
sich in
führen
zu
Anpassungs- bzw. Reaktionstypen (Akzeptanz/Nichtakzeptanz kulturell vorgegebener Ziele und Mittel
Quelle: eigene Darstellung Die Anpassungstypen unterscheiden sich nach der jeweiligen Akzeptanz gegenüber den vorgegebenen Zielen eines sozialen Interaktionsbereiches bzw. einer sozialen Institution und den vorgegebenen Mitteln der Zielerreichung (vgl. Abb. 7). So könnte z.B. eine Akzeptanz von Zielen und Mitteln oder nur eine Akzeptanz von Zielen vorliegen usw. Die Anpassungstypen stellen Modi überdauernder Reaktionen von Individuen oder Gruppen in bestimmten sozialen Situationen bzw. Interaktionsbereichen, nicht aber Persönlichkeitstypen dar. Das bedeutet, dass Individuen ihren Anpassungsmodus in Abhängigkeit des sozialen Interaktionsbereiches auch wechseln können. Auch können entsprechende Erfahrungen Individuen dazu bewegen, ihren bisherigen Anpassungsmodus in derselben sozialen Situation zu ändern (vgl. zum Folgenden Merton 1975, S. 345ff.). Verbleibt man als Betrachter in der Makro-Perspektive, kann das jeweilige Auftreten der Reaktionstypen in einer sozialen Institution als Resultat (vgl. Ortmann 2000, S. 85) bzw. Gradmesser anomischer sozialer Strukturen betrachtet werden und ist je nach Ausmaß Indiz für deren Instabilität. 71
Abbildung 7:
Reaktionstypen nach Merton
Reaktionstypen I. II. III. IV. V.
Konformist Rebellion Ritualismus Rückzug Innovation
kulturell vorgegebene Ziele kulturell vorgegebene Mittel + +/+
+ +/+ -
Quelle: in Anlehnung an Merton 1975, S. 346 (+ Akzeptanz, - Nicht-Akzeptanz, +/- Aktivität richtet sich auf Ziele und Mittel, die außerhalb der bestehenden kulturellen Struktur liegen) Anpassungsmodus Konformität Bei diesem Anpassungsmodus werden die kulturellen Ziele als auch die institutionalisierten Mittel zur Zielerreichung angenommen. Konformität ist nach Merton der am häufigsten vorkommende Anpassungsmodus. Wäre dies nicht der Fall, könnten Stabilität und Bestand der Gesellschaft nicht aufrechterhalten werden. Konformität stellt in diesem Sinne kein Indiz für anomische Strukturen dar. Anpassungsmodus Rebellion Zum Anpassungsmodus Rebellion schreibt Merton: „Diese Anpassung führt die Individuen aus der sie umgebenden Sozialstruktur hinaus und lässt sie eine neue, d.h. eine im Wesentlichen modifizierte Sozialstruktur ins Auge fassen bzw. versuchen, sie zu verwirklichen.“ (Merton, 1975, S. 356).
Die Ziele und institutionalisierten Mittel der gegenwärtigen Gesellschaft werden bei diesem Anpassungstyp nicht akzeptiert. Voraussetzung dieses Anpassungstyps ist die Vorstellung eines Alternativmodells zur gegenwärtigen Gesellschaft. Gesellschaftliche Situationen, die zu Rebellion führen können, sind nach Merton vielfältig, als Beispiel führt er solche „Massenfrustrationen“ an, wie sie etwa bei Massenarbeitslosigkeit entstehen. Anpassungsmodus Ritualismus Der ritualistische Typ der Anpassung zeichnet sich durch die Aufgabe bzw. verringerte Akzeptanz hoher kultureller Ziele (z.B. schneller sozialer Aufstieg) bei gleichzeitigem Festhalten und Befolgen der institutionalisierten Mittel aus (der Funktionär, der seine „Pflicht“ tut und ansonsten „den lieben Gott einen guten Mann sein lässt“ (Boudon/Bourricaud 1992, S. 30). Merton zufolge resultiert dieser Anpassungstyp aus hoher Statusunsicherheit, welche sich aus dem in einer Gesellschaft hohen Konkurrenzkampf ergibt. Ein Weg, dieser Unsicher72
heit zu entgehen, ist der, die eigenen Ansprüche zu senken und zugleich streng nach den vorgegebenen Mitteln zu handeln (in Routinen zu handeln). Anpassungsmodus Rückzug Der Anpassungsmodus Rückzug ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die kulturell vorgegebenen Ziele als auch Mittel abgelehnt werden. Rückzug tritt nach Merton dann ein, wenn Individuen in einer sehr stark verinnerlichten Erwartung, die kulturellen Ziele mit den kulturell vorgegebenen Mitteln zu erreichen, schwer enttäuscht werden und ihnen zugleich ein Ausweichen auf verbotene Mittel durch die selbst verinnerlichten kulturellen Werte verwehrt wird. Rückzug ist somit ein Ausweg „...der aus ständigen Fehlschlägen, das Ziel mit legitimen Mitteln zu erreichen, und aus einer Unfähigkeit entsteht, illegitime Mittel zu verwenden, und zwar auf Grund von innerpersönlichen Verboten...“ (Merton, 1975, S. 355). Mit einem Rückzug „entflieht“ man sozusagen allen Ansprüchen der Gesellschaft. Anpassungsmodus Innovation Die Reaktion der Innovation tritt dann ein, wenn sich ein Individuum die kulturelle Betonung des Ziels zu eigen gemacht hat, ohne in gleicher Weise die Normen internalisiert zu haben, welche die Mittel für das Erreichen der Ziele bestimmen. Der Innovator wendet also institutionell verbotene, aber wirksame Mittel an, um sozial anerkannte Ziele zu erreichen. Nach Merton tritt dieser Anpassungstyp insbesondere in solchen Gesellschaften auf, in denen das Erfolgsziel (Wohlstand, Macht) zum einen stark betont und als für alle Gesellschaftsmitglieder erreichbar postuliert wird, dies jedoch zum anderen mit einer sozialen Struktur einhergeht, welche die Wirksamkeit der legitimen Mittel nicht für alle, eigentlich befähigten Individuen gewährleistet (z.B. bei ethnischer oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung) (vgl. Merton, 1975, S. 348). Merton schreibt hierzu: „In Gesellschaften, wie in unserer eigenen, etablieren die große kulturelle Betonung des finanziellen Erfolges für alle und eine Sozialstruktur, die für viele in unangemessener Weise die Zuflucht zu gebilligten Mitteln einschränkt, eine Spannung in Richtung innovierender Verfahrensweisen, die sich von den institutionalisierten Verfahren entfernen.“ (Merton, 1975, S. 351).
2.4.2.3 Kritik und identitätstheoretische Verknüpfung Die Mertonsche Konzeptualisierung von Anomie erfuhr seit ihrem Erscheinen 1938 bis in die 70er Jahre hinein einen großen Widerhall sowohl in den amerikanischen als auch in den europäischen Sozialwissenschaften. Das theoretische Gerüst fand damit einerseits eine sehr breite Rezeption und wurde andererseits 73
im Zuge dessen vielfach kritisiert, differenziert als auch entsprechend empirisch untersucht. In diesem Abschnitt sollen zunächst die wesentlichsten Kritikpunkte und Erweiterungsvorschläge zum Mertonschen Ansatz der Anomie vorgestellt werden. Abschließend geht es um die Zusammenführung des anomietheoretischen Gedankens, als „Störung“ des normativen Gerüsts einer Institution, und der Idee der menschlichen Identitätsbildung. Kritische Aspekte und Vorschläge zur Erweiterung Kritik am Mertonschen Ansatz bezieht sich wesentlich 1) auf die Trennung und Konzeptualisierung der „Kultur- und Sozialstruktur“, 2) den Inhalt und die Lesbarkeit des Schemas der Anpassungstypen und 3) die eher lückenhaften Erklärungen in Bezug auf das Zustandekommen der Reaktionstypen (vgl. übersichtsartig Bohle 1975, S. 10ff.; Lamnek 2000, S. 123ff.). Zu 1) Die Trennung und begriffliche Abgrenzung zwischen Kultur- und Sozialstruktur wird häufig als etwas willkürlich betrachtet, zumal Merton den Begriff der Sozialstruktur in seinem ursprünglichen Aufsatz nicht näher erläutert (z.B. Dreitzel 1972, S. 45). Generell kann man sagen, dass Merton damit eine offiziell normative von einer faktischen Ebene der Gesellschaft absetzt. Gravierender ist demgegenüber der Einwand, dass die Konzeption einer homogenen kulturellen Struktur, welche allgemeinverbindliche Ziele und Mittel vorgibt, ungeeignet für die genauere Untersuchung pluralistischer Gesellschaften erscheint. Einflussreiche Erweiterungen beziehen z.B. bezugsgruppentheoretische Aspekte (Cohen 1965) oder Überlegungen hinsichtlich verschiedener Subkulturen (Cloward/Ohlin 1960) in den anomietheoretischen Ansatz ein, was Merton (1970) später selbst als wichtige Weiterführung betrachtet hat. Weiterhin kritisch ist, dass die „Kulturstruktur“ im Mertonschen Konzept als abstrakte Entität erscheint, die menschliches Verhalten regelt und kontrolliert. Diese eher der struktur-funktionalistischen Theorie zuzuordnende Perspektive läuft Gefahr, Kultur als eine Instanz zu betrachten, die nicht selbst Ergebnis sozialer Interaktionsprozesse bzw. menschengemacht ist. Sicherlich tritt „Kultur“ - auch in der hier vertretenen Perspektive von Identitätsentwicklung - dem Einzelnen im Rahmen seiner Sozialisation, z.T. sogar „übermächtig“, entgegen. Dennoch entsteht sie auf Basis sozialer Interaktionsprozesse und kann hierüber auch verändert werden. Dieser Gedanke der prozesshaften, wechselseitigen Konstitution wurde z.B. prägnant von Cohen (1965) vertreten als auch von Short/Strodtbeck (1964) aufgegriffen, indem sie für den Einbezug sozialpsychologischer Kenntnisse über Gruppenprozesse in die anomietheoretischen Überlegungen plädieren. 74
Zu 2) Kritik am Schema der Anpassungstypen wird häufig in der Hinsicht geübt, dass Merton hiermit weniger konkrete Verhaltensweisen beschreibt als vielmehr zwei Dimensionen definiert, um die sich das Verhalten bewegen kann. Die Reaktionstypen werden dabei aus der Logik des Schemas abgeleitet und zugleich hierüber bestimmt. Zudem erscheint unklar, ob es sich bei den Anpassungstypen um frei wählbare Möglichkeiten der Bewältigung einer bestimmten Situation handelt oder ob das Verhalten des Einzelnen von der Situation determiniert ist. Darüber hinaus ist die Trennung zwischen Zielen und Mitteln in der praktischen Vergegenwärtigung schwierig. Differenzierungen am Schema selbst, etwa durch die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Ablehnung von Mitteln u.a., sowie die Einführung einer neuen Symbolik (+,-,0) wurden z.B. von Dubin (1959) und Harary (1966) vorgenommen. Zu 3) Am schwerwiegendsten und als größte Herausforderung ist der Einwand zu betrachten, dass Merton kaum Erklärungen für das Zustandekommen der einzelnen Reaktionstypen anbietet. Zum einen erläutert er vordringlich die soziostrukturellen Entstehungsbedingungen für den Reaktionstyp der Innovation und des Rückzuges, indem er das Auseinanderklaffen von Kultur- und Sozialstruktur als Hauptargument für das Zustandekommen von Anomie begreift. Die soziostrukturellen Bedingungen für Rebellion und Ritualismus bleiben demgegenüber eher im Dunkeln. Zum anderen bietet Merton keine konsistenten Erklärungen über die Wahl des jeweiligen Reaktionstyps in bestimmten Situationen bzw. die Möglichkeit zu einer solchen Wahl an. Was führt dazu, dass eine Person in derselben Situation zum Rückzügler oder zum Innovator wird? Mertons Erklärungen über die soziostrukturellen Bedingungen des Zustandekommens dieser beiden Reaktionstypen differieren kaum. Vielmehr führt er den Unterschied auf die unterschiedlich starke Verinnerlichung kultureller Vorgaben und damit auf unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen zurück. In diesem Zusammenhang führt Merton also sozialisationsbedingte Einflussfaktoren von Seiten der betroffenen Akteure ein, baut diese Erklärungen jedoch nicht konsistent aus. Dieser Gedanke des Hinzudenkens von Persönlichkeitsstrukturen, Akteurskonstellationen und sozialisierenden Interaktionsprozessen ist - wie sich oben in 1) und 2) schon andeutete - vielfach aufgegriffen worden. Die Arbeiten von Parsons (1951), Short/Strodtbeck (1964), Cohen (1965), Cloward/Ohlin (1960) als auch Opp (1968) können als Beispiele für solche wesentlichen Erweiterungen betrachtet werden. Insbesondere Albert Cohen (1965) plädierte heftig für den Einbezug von Erkenntnissen des Meadschen Symbolischen Interaktionismus über den Prozess sozialer Dynamiken, Identitätsbildung und deren Wechselseitigkeit mit sozialer Strukturbildung. So hob er u.a. hervor (S. 12ff.), dass gesellschaftlich nicht-konformes Verhalten nicht unbedingt Ausdruck soziostrukturell bedingter Diskrepanzen sein muss, sondern vielmehr zur Darstellung 75
der eigenen sozialen Identität dienen kann (z.B. Mitglied einer bestimmten Jugendbewegung zu sein). Auch gab er zu bedenken, dass anomische Entwicklungen in Gesellschaften wahrscheinlich nicht den Charakter eines Bruches oder einer einschneidenden Diskontinuität im Verhalten des Einzelnen haben, sondern es sich eher um längerfristige Prozesse handelt: „People taste and feel their way along.“ (S. 8). Im folgenden Abschnitt wird kurz die Bedeutung dieser Kritikpunkte für die vorliegende Arbeit geklärt, um anschließend die Übertragung auf identitätstheoretische Kenntnisse zu leisten. Soziologischer Anomiebegriff und subjektive Identität - Klärung der Untersuchungsperspektive Auch wenn dem Plädoyer für den stärkeren Einbezug akteurs- bzw. identitätstheoretischer Erkenntnisse in anomietheoretische Überlegungen in der vorliegenden Arbeit ohne Umschweife gefolgt wird, ist zugleich darauf zu achten, den Kern der ursprünglichen soziologischen Anomiekonzeption nicht über Bord zu werfen. Dieser besteht darin, einen regel- bzw. normlosen Zustand von Gesellschaften oder sozialen Institutionen zu beschreiben. Auch in der vorliegenden Arbeit wird ausdrücklich einem eher institutionenzentrierten Begriff der Anomie gefolgt, ohne dabei in eine funktionalistische Perspektive verfallen zu wollen. Anomie wird hier als Zustand einer sozialen Institution bzw. einer Organisation begriffen, der über das wechselseitige Zusammenwirken beteiligter Akteure entsteht. Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung sind gegenwärtige Veränderungen organisationaler Leistungssteuerungssysteme und deren (wiederum) akteursvermittelte Auswirkungen auf die Organisation. In dieser Hinsicht wird ausdrücklich von einer reinen akteurszentrierten Erfassung von Anomie - etwa als individuelle Verhaltensunsicherheit - abgesehen. Eine solche Untersuchungskonzeption setzt zwei Grundgedanken voraus: Erstens wird davon ausgegangen, dass in Organisationen bzw. sozialen Institutionen normative Strukturen existieren, die bis zu einem bestimmten Grad kollektiv geteilt und verhaltenswirksam sind. Das heißt, trotz aller individuellen Unterschiede in Sozialisation und Identität existieren Werte und Normen, die für eine Mehrheit von Akteuren verhaltensorientierend wirken und deren zunehmende Destabilisierung die bisherige Funktionsweise einer Institution in Frage stellt. Um hierbei der berechtigten Kritik der Vorstellung einer einheitlich akzeptierten „Kulturstruktur“ zu entgehen, ist es jedoch notwendig zu spezifizieren, um welche Normen und welche Institutionen es sich inhaltlich handelt. In der vorliegenden Arbeit wird das „Leistungsprinzip“ als eine solche grundle76
gende Norm in (Arbeits)Organisationen begriffen. Das Leistungsprinzip erfüllt eine wesentliche Stabilisierungsfunktion für Organisationen in den modernen Industrieländern. Dementsprechend kann angenommen werden, dass die bewusste und tiefgreifende Veränderung organisationaler Leistungssteuerungssysteme bisher verhaltensorientierende Normen und dahinterstehende Wertorientierungen von Organisationsmitgliedern konterkarieren und auf diese Weise zu einer gewollten oder ungewollten Destabilisierung der organisationalen Abläufe führen kann. Dreh- und Angelpunkt bzw. „Anfangs- und Endpunkt“ solcher Prozesses sind dabei menschliche Akteure. Dennoch tritt zweitens die soziale Struktur bzw. das Werte- und Normengefüge, als Ergebnis menschlicher Handlungen bzw. kollektiver Interaktionsprozesse, dem Einzelnen in vielen Situationen und Lebenslagen als gegeben und relativ gering beeinflussbar gegenüber und führt zu bestimmten Reaktionen, die den Zustand der betreffenden Institution beeinflussen können. Hiermit kommen insbesondere solche Organisationen ins anomietheoretische Blickfeld, die die soziale Position des Einzelnen wesentlich bestimmen, jedoch aufgrund von Machtasymmetrien von diesem zumeist nur geringfügig offiziell und aktiv veränderbar sind (z.B. Schule, öffentliche Verwaltung, arbeitgebendes Unternehmen). Beispielsweise besteht zumeist ein Unterschied in der subjektiv wahrgenommenen Chance zur aktiven Veränderung von Normen im eigenen Sportverein und der arbeitgebenden Organisation. So schreibt z.B. Stryker zur Veränderlichkeit von sozialen Rollen durch den Einzelnen: „…the degree to which roles can be made rather than simply played is variable in part as a function of social structure. There is very little room for improvisation in the context of a prison ; there is, presumably, a great deal more room for the creative construction of roles in the early stages of a newly formed voluntary association.” (Stryker (1980 S. 71)
Auch in der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Veränderung von Leistungssteuerungssystemen in arbeitgebenden Organisationen um eher einseitige Normveränderungen handelt, mit denen der Einzelne konfrontiert wird. Es handelt sich um Normveränderungen, die der Einzelne in den wenigsten Fällen selbst initiiert, sondern die eher bestimmte Reaktionen bei ihm auslösen (vgl. auch Giddens 1997). Die Grundannahmen der soziologischen Vorstellung von Anomie lassen sich dabei mit dem hier vertretenen Verständnis von Identitätsbildung in Einklang bringen. Gemäß Mead ist die Identitätsbildung des Einzelnen an die interaktive Auseinandersetzung mit normativen Erwartungshaltungen des eigenen sozialen Umfeldes geknüpft. Dabei wird auch hier von einzelnen Interaktionsbereichen mit kollektiv geteilten Normen ausgegangen, mit denen der Einzelne in 77
seiner Sozialisation konfrontiert wird und die er mehr oder weniger verändern kann. Identitätsbildung besteht dabei grundlegend in der selbstreflexiven Stellungnahme zum Normengefüge des sozialen Umfeldes und der entsprechenden subjektiven Positionierung und Bewertung in diesem Gefüge. Kernidee ist, dass gelingende Identitätsbildung an die wechselseitige Anerkennung in Interaktionsprozessen gebunden ist. Das heißt, der Einzelne benötigt die subjektiv empfundene Anerkennung durch wenigstens einen subjektiv signifikanten bzw. subjektiv anerkannten Interaktionsbereich, um einen positiven Bezug zur eigenen Identität aufbauen zu können. In modernen Gesellschaften spielt z.B. häufig der Bereich der Erwerbsarbeit eine wesentliche Rolle bei der Identitätsbildung des Einzelnen. Identität stellt sich dabei als subjektiv empfundene Einheit (Konsistenz, Kohärenz) der lebenslangen Erfahrungen (von Anerkennung, Missachtung, Nicht-Wahrnehmung) über einen selbst dar, welche in der Weise auch verhaltens- und handlungswirksam werden. Vor diesem Hintergrund wird offensichtlich, dass die einseitige Veränderung von signifikanten Anerkennungsstrukturen bzw. von identitätsstiftenden Normen des sozialen Umgangs die subjektive Identität in Frage stellen kann. Institutionelle Zustände von Anomie können Identitätsbildungsprozesse demnach wesentlich tangieren und wirken sich entsprechend auf die Handlungsfähigkeit und Handlungsrichtung des Einzelnen aus. Diese Perspektive ermöglicht es darüber hinaus, die von Merton nur angedeuteten Erklärungen zur Entstehung der verschiedenen Reaktionstypen um eine wesentliche Facette anzureichern. Von den oben identifizierten Identitätsbedrohungen lassen sich die schockartige Hinterfragung von Identität durch den Zusammenbruch subjektiv signifikanter Anerkennungsmuster und die Identitätsbedrohung durch die ständige Unbestimmtheit von Anerkennungsmustern in die anomietheoretische Lesart einbinden. Beide Identitätsbedrohungen entwickeln sich aus dem Zusammenbruch bisher geltender Normen der Anerkennung bzw. der Dynamik und Intransparenz solcher Normen. Wie von Merton vorgeschlagen, kann sich der Zusammenbruch bisheriger Normgefüge etwa aus deren faktischer Unbrauchbarkeit entwickeln. Beispielsweise führte nach der deutschen Wiedervereinigung die Anwendung herkömmlicher Mittel in der Erwerbsarbeit oftmals nicht mehr zur Erreichung der persönlich verfolgten und weiterhin sozial anerkannten Karriereziele. Auch die ständige Unklarheit über sozial anerkannte Ziele und vor allem über die Mittel zur Zielerreichung lässt sich als Zustand der institutionellen Anomie interpretieren. Die Identitätsbedrohung durch rigide Anerkennungsmuster, wie sie etwa in den Goffmannschen „totalen Institutionen“ anzutreffen sind, kennzeichnet demgegenüber die Einengung von subjektiver Identitätsbildung durch eine starke soziale Reglementierung in Form gesetzter Nor-
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men. Setzt man voraus, dass die hier vorgegebenen Normen auch erfüllbar sind, besteht keine Anknüpfung an anomieartige Strukturen. Im fünften Kapitel wird der Ansatz der Anomie wieder aufgenommen, um die Trends der Leistungssteuerung in Organisationen aus dieser Perspektive zu interpretieren und Zusammenhänge in Bezug auf Identitätsbildungsprozesse herzustellen. Um jene Entwicklungen der Leistungssteuerung in ihrem Bedeutungsgehalt einordnen zu können, erfolgt im folgenden Kapitel eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Leistung, dem Leistungsprinzip und dessen Funktionen sowie mit dem Zusammenhang von Identität und Leistung. 2.5 Zusammenfassung Das Kapitel wurde mit einer generellen Einordnung der identitätstheoretischen Untersuchungsperspektive und der Benennung sowie einer kurzen Erläuterung der wesentlichen Facetten des hier vertretenen Identitätsverständnisses eröffnet. Es wurde deutlich gemacht, dass die vorliegende Arbeit die subjektiv empfundene Identität des Einzelnen zum Thema hat (Subjektive Identität), welche sich durch die menschliche Grundtatsache der Reflexion über sich selbst auszeichnet. Des Weiteren wird generell davon ausgegangen, dass Selbstreflexion und Identitätsbildung als das Sammeln von (Selbst)erfahrungen notwendig an soziale Interaktionsprozesse gebunden sind. Identitätsbildung besteht dabei darin, jene, in sozialer Interaktion und über das gesamte Leben hinweg gemachten Erfahrungen in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht in eine subjektiv empfundene Einheit zu synthetisieren (Identitätsarbeit). Dementsprechend sind subjektiv empfundene Kohärenz und Konsistenz der Erfahrungen über sich selbst konstitutive Merkmale von subjektiver Identität. Da Identitätsbildung an soziale Interaktionsprozesse geknüpft ist, besteht zugleich eine untrennbare Verbindung zwischen der Ausprägung von Identität und der jeweiligen Beschaffenheit des sozialen Umfeldes (z.B. hinsichtlich der Fragmentierung des gesellschaftlichen Umfeldes usw.). Das bedeutet, dass Untersuchungen von menschlicher Identität immer auch eine soziohistorische Dimension aufweisen, die besonders dadurch deutlich wird, dass Fragen zur menschlichen Identität insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung moderner Gesellschaften gestellt und diskutiert wurden. Zur genaueren Erläuterung des Identitätsbildungsprozesses wurde auf das theoretische Fundament von George Herbert Mead als Mitbegründer des Symbolischen Interaktionismus zurückgegriffen. Meads Erkenntnisse bilden bis heute den Kern aktueller Identitätsforschung im sozialpsychologischen Bereich. Der Vorgang der wechselseitigen Perspektivenübernahme (taking the role of the 79
other) zwischen Interaktionspartnern und die dadurch bedingte Herausbildung zweier Identitätskomponenten in Form von Me und I im Zuge der schrittweisen Sozialisation (play und game) in die Gesellschaft (generalisierter Anderer) lässt sich dabei als dialektische Verknüpfung der Fortentwicklung der Identität des Einzelnen und der Beschaffenheit des sozialen Umfeldes lesen. Wie insbesondere Honneth (1994) verstärkt herausarbeitet, ist der Kern dieser Grundidee der Aspekt der wechselseitigen Anerkennung zwischen den Interaktionspartnern. Mead und Honneth gehen dementsprechend davon aus, dass der Aufbau einer subjektiv befriedigenden Identität (positiver Selbstbezug, Selbstachtung bzw. Selbstrespekt) erst dann gelingt, wenn der Einzelne in mindestens einem subjektiv signifikanten Interaktionsbereich Anerkennung erfährt und umso befriedigender ist, je individualisierter die erfahrene Anerkennung durch die Interaktionspartner ist. Zusammenfassend wurde subjektive Identität für die vorliegende Arbeit folgendermaßen definiert: Subjektive Identität ist die subjektiv empfundene Einheit (Kontinuität, Kohärenz) der lebenslangen und notwendig in sozialer Interaktion erworbenen Erfahrungen über sich selbst. Gelingende Identitätsbildung bzw. ein positiver Selbstbezug zur eigenen Identität ist dabei an die wechselseitige soziale Anerkennung in mindestens einem subjektiv signifikanten Interaktionsbereich gebunden. Die notwendige Bedingung der sozialen Anerkennung für Identitätsbildung impliziert zugleich, dass die Quelle für Identitätsbedrohungen wesentlich in der Beschaffenheit jener Anerkennungsverhältnisse liegt. Die radikale Veränderung bisheriger Anerkennungsmuster kann beispielsweise zur schockartigen Hinterfragung der bisherigen Identität führen. Auch die ständige Unbestimmtheit von Anerkennungsmustern resultiert möglicherweise in der Erosion subjektiver Identität. Die Unterdrückung gelingender Identität durch rigide Anerkennungsmuster, wie sie beispielsweise in Goffmans „totalen Institutionen“ anzutreffen sind, wurde als dritte Möglichkeit für identitätsbedrohende Anerkennungsmuster vorgestellt. Die radikale Veränderung als auch die ständige Unbestimmtheit von Anerkennungsmustern lassen sich zugleich als Figuren anomischer sozialer Zustände lesen. Anomie bezeichnet im Allgemeinen einen Zustand sozialer Regellosigkeit bzw. das wahrgenommene Fehlen von Normen für das gesellschaftliche Handeln eines Individuums. Da der Identitätsbildungsprozess gemäß Mead notwendig an die interaktive Auseinandersetzung des Einzelnen mit normativen Erwartungen des sozialen Umfeldes geknüpft ist, bzw. Normen der soziale Referenzpunkt für die Beurteilung eigener Verhaltensweisen und damit Identität sind, stellt die Anomie sozialer Strukturen eindeutig eine Identitätsbedrohung dar.
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Insbesondere Merton entwickelte eine wohlstrukturierte Vorstellung über die Anomie bzw. „Instabilität“ institutioneller Strukturen in Form der unausgeglichenen Akzeptanz institutionell vorgegebener Ziele und den vorgegebenen Mitteln der Zielerreichung. Hervorzuheben ist, dass er diese Instabilität als Resultat der quasi dialektischen Verknüpfung von individueller Handlungs- und organisationaler Strukturebene begreift. So entwirft er verschiedene Reaktionstypen (Rebellion, Ritualismus, Rückzug, Innovation), die sich je nach Akzeptanz von institutionellen Zielen und Mitteln unterscheiden und in der Form die Instabilität der jeweiligen Institution abbilden. Im Sinne der Zielstellung der vorliegenden Arbeit bietet Mertons Konzeption einen strukturierten und auch empirisch anschlussfähigen Rahmen für die Analyse und Abbildung des identitätsbedrohenden Charakters moderner Leistungssteuerungssysteme und die entsprechenden (akteursvermittelten) Rückwirkungen auf die Funktionsweise der Organisation. So lässt sich formulieren, dass die einseitige Veränderung organisationaler Anerkennungsmuster über die „Abarbeitung“ im Identitätsverständnis (Identitätsbedrohung) des einzelnen Organisationsmitgliedes zu entsprechenden Reaktionsweisen führt, welche die Instabilität organisationaler Strukturen und Abläufe hervorrufen bzw. befördern können (vgl. Abb. 8). Abbildung 8:
Rekursiver Zusammenhang von Arbeitsorganisation und Identitätsbildung unter Einbezug anomietheoretischer Überlegungen
Arbeitorganisation
Reaktionstypen: - Rebellion - Ritualismus - Rückzug - Innovation
Veränderte Anerkennungsmuster bzw. veränderte Normen der Anerkennung (Anomie) als Identitätsbedrohung
Individuum / Organisationsmitglied - Identitätsbildung über Anerkennung von „Leistung“ - Identität als empfundene Kohärenz und Konsistenz von Erfahrungen über einen selbst
Quelle: eigene Darstellung Diese Zusammenhänge sollen in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die organisationale Einführung marktförmiger Leistungssteuerung dargestellt und inhalt81
lich untersetzt werden. Im folgenden Kapitel wird daher zunächst gezeigt, dass es sich bei den Normen der Anerkennung für Leistung um wesentliche, identitätsrelevante Anerkennungsmuster handelt, deren Veränderung durchaus anomische Tendenzen in Organisationen hervorrufen können.
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3 Leistung in modernen Gesellschaften Charakteristika und Bedeutung für Identität
Im folgenden Kapitel werden die Grundlagen zum hier verwendeten Begriff der „Leistung“ und die Bedeutung von Leistung für die Konstitution von subjektiver Identität in modernen Gesellschaften erläutert. Dementsprechend werden zunächst wesentliche Facetten des Leistungsbegriffes dargestellt. Anschließend wird ausführlicher auf die gesellschaftshistorische Entwicklung von Leistung als grundlegendem Medium der sozialen Integration bzw. Anerkennung in modernen Gesellschaften eingegangen. In diesem Zusammenhang werden die wesentlichen, historisch gewachsenen Merkmale jener „Leistungsgesellschaften“ (McClelland 1966) vorgestellt und die entsprechend herrschende Dominanz von in Erwerbs- bzw. Berufsarbeit erbrachter Leistung und deren Bedeutung für die soziale Anerkennung des einzelnen Gesellschaftsmitgliedes herauskristallisiert. Dies impliziert zugleich die Erläuterung des Leistungsprinzips als normativem Rahmen für die Verteilung sozialer Anerkennung und dessen entsprechenden Funktionen für Organisation und Individuum. Hieran schließt sich ein Abschnitt an, der die Grundlagen zu Identitätsbildung aus dem vorangegangenen Kapitel und die dargestellten Erkenntnisse über das Wesen und die Bedeutung menschlicher Leistung zusammenführt und entsprechende Zusammenhänge aufzeigt. Letztlich wird das Kapitel mit einer Zusammenfassung abgeschlossen. 3.1 Wesentliche Facetten des Leistungsbegriffes Um den Facettenreichtum des Leistungsbegriffes zu illustrieren, wird in wissenschaftlichen Publikationen über Leistung häufig folgendes Zitat nach Dreitzel (1974, S. 31) verwendet: „Der Begriff der Leistung ist mit so vielen Äquivokationen behaftet, dass sich seine wissenschaftliche Verwendung fast verbietet.“ Auch in dieser Arbeit wird zunächst auf die hiermit anklingende Vieldimensionalität und schwere Erfassbarkeit des Leistungsbegriffes eingegangen. Anschließend soll jedoch gezeigt werden, dass „Leistung“ als eine bestimmte Form der menschlichen Tätigkeit im Verständnis moderner Gesellschaften bestimmte, gesellschaftshistorisch gewachsene Merkmale aufweist. 83 G. Faßauer, Arbeitsleistung, Identität und Markt, DOI 10.1007/978-3-531-91040-6_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
3.1.1 Der „schillernde“ Leistungsbegriff Der Begriff der Leistung weist eine sehr hohe Vielfalt an möglichen Bedeutungen auf. So formulieren Neckel/Dröge: „So eindeutig seine Verwendung dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch erscheinen mag, so widersprüchlich und unscharf nehmen sich seine Konturen aus, wenn das Prädikat „Leistung“ näher definiert werden soll.“ (Neckel/Dröge 2002, S. 93)
Selbst innerhalb der modernen Umgangssprache zeigen sich bei näherer Betrachtung höchst unterschiedliche Bedeutungen von „Leistung“ und „leisten“. Hierüber liefert z.B. die Etymologie des Leistungsbegriffes interessante Einblicke (vgl. Vonessen 1974, S. 57ff.; Schlie 1988; Becker 2003, S. 13ff). Bedeutet das Wort „leisten“ ursprünglich so viel wie „der Spur folgen“ bzw. später ein „Gebot befolgen“ (vgl. Kluge 2002), ist es dann vor allem ein Rechtswort, welches die Bindung einer bestimmten Tätigkeit an eine rechtserhebliche Vorgabe beschreibt, das später jedoch auf zunehmend mehr Tätigkeiten bzw. Bedeutungszusammenhänge ausgedehnt wird. So schreibt Becker in Bezug auf die umgangssprachliche Verwendung des Leistungsbegriffes: „So leistet man einer Einladung Folge, man leistet einen Eid, Gesellschaft, Gefolgschaft, Rechenschaft, Hilfe, aber auch Abbitte, Sühne u.a.m. Leistung wird mit Tüchtigkeit, Anstrengung und/oder bewusstem Streben nach einem nützlichen Ergebnis gleichgesetzt. Das Erreichen von relativ guten Ergebnissen im Sport, beim Spiel, bei der Arbeit u.a. wird als Leistung bezeichnet. Macht man einen Fehler, vergisst man etwas oder arbeitet stümperhaft, kommt eine ironische Bemerkung zum Tragen „Da hat man sich aber was geleistet.“ Leistung ist für viele das stärkste Auto, das schnellste Flugzeug, der größte Tanker, der höchste Fernsehturm usw. Das Wort „Leistung“ riecht nach Schweiß, schwerer Muskelkraft, nach außergewöhnlichen Bemühungen.“ (Becker 2003, S. 11f.)
Obwohl also der zur „kulturellen Selbstverständlichkeit geronnene Leistungsbegriff im Alltag unbekümmert verwendet wird, bleibt er - bei genauerem Hinsehen - schillernd“ (Schettgen 1996, S. 173). Die wissenschaftliche Definition von Leistung erscheint nicht weniger schwierig, da unterschiedliche Wissenschaften, sowohl im natur- als auch sozialwissenschaftlichen Bereich, „Leistung“ je nach ihrem Blickwinkel anders deuten und eine universelle Leistungstheorie bisher nicht existiert (Lenk 1976; S. 25, 1983, S. 13ff.; Schettgen 1996, S. 173ff.; Becker 2003, S. 16ff.). In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der „Leistung“ zunächst grundlegend auf menschliche Handlungen bzw. deren Ergebnisse bezogen (vgl. zu 84
Begriff und Bedeutung von „Handlung“ für den Bereich der Soziologie z.B. Boudon/Bourricaud 1992, S. 192ff. oder Esser 1999; für den Bereich der Psychologie z.B. Kaminski 1981). Das heißt, es geht generell um ein intentionales bzw. zielgerichtetes menschliches Tun und dessen Resultate, die in der Selbstund/oder in der Fremdbewertung als „Leistung“ definiert werden (vgl. Heckhausen 1974, S. 11; Schlie 1988, S. 63; Neckel et al. 2004, S. 142, 2005, S. 370). Dabei sind gerade die Folgen aktuell zu beobachtender Veränderungen dieser Definitions- bzw. Interpretationsmuster in Organisationen von Interesse. Deshalb scheiden zum einen bestimmte Leistungsdefinitionen für die Untersuchung aus, wie beispielsweise die der Physik als Arbeit (Kraft x Weg) pro Zeiteinheit, da mit dieser die beigemessene Sinnhaftigkeit einer Leistung nicht erfasst werden kann (vgl. Lenk 1983, S. 13; Becker 2003, S. 18). Zum anderen wird deshalb auf eine genaue inhaltliche Definition von Leistung (z.B. bestimmte Aufgabe und Kriterien in Bezug auf deren „gute“ Bewältigung) verzichtet. Vielmehr wird ein soziologisches Begriffsverständnis angewandt, welches die Abhängigkeit der Interpretation einer Handlung oder eines Handlungsergebnisses als Leistung von den jeweils geltenden kulturellen Werten und Normen einer Zeitepoche als auch des jeweiligen Interaktionsbereiches betont. So formuliert Braun in Bezug auf die Interpretation von menschlicher Leistung: „Die historische Betrachtung belegt in ihren Ergebnissen, dass heute vieles als Leistung bewertet wird, was zur Zeit seiner Erstellung als Vergeudung, Narretei, Aufsässigkeit oder Widerstand disqualifiziert wurde.“ (Braun 1977, S. 193)
Schettgen schreibt in Bezug auf die Definition von Leistung in unterschiedlichen Interaktionsbereichen: „Was jeweils als Leistung gilt, ist davon abhängig, was die Angehörigen einer Bezugsgruppe (Vorgesetzte, Kollegen, Familie, Betriebsrat etc.) vor dem Hintergrund ihrer Kriterien und Maßstäbe als Leistung bezeichnen, anerkennen und durchsetzen.“ (Schettgen 1996, S. 180)
Dies verdeutlicht, dass die genaue inhaltliche Definition von Leistung sehr unterschiedlich sein kann, dabei jedoch immer von den geltenden Normen des jeweiligen Bezugssystems abhängig ist. So betont auch Heckhausen (1974, S. 48) bei der Abgrenzung seines (psychologischen) Leistungsbegriffes28, dass Leistung nur beurteilt werden kann, wenn ein Gütemaßstab zugrunde liegt. 28
Der Unterschied zwischen dem in der Psychologie vorherrschenden Leistungsbegriff nach Heckhausen (1974) und dem soziologischen Begriffsverständnis liegt in der stärkeren Subjektivierung von Leistung bzw. der Betonung der Aktivierung, Wahrnehmung und Zurechnung der eigenen Leistung (vgl. Heckhausen 1980; Zimbardo/Gerrig 1996).
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Dabei ist ein solcher Gütemaßstab ein Bezugssystem, innerhalb dessen ein Sachverhalt erst seinen Stellenwert, seine Bedeutung erhält, ja „überhaupt erst als Sachverhalt in Erscheinung treten kann.“ Mit Hartfiel lässt sich also zusammenfassend formulieren: „Als Leistung wird aber nur dann ein bestimmtes Verhalten oder ein Verhaltensergebnis anerkannt, wenn es gewissen soziokulturellen Erwartungen über ein solches Verhalten oder Verhaltensergebnis entspricht. Erforderlich ist die Existenz einer Norm der Gesellschaft oder der sozialen Bezugspersonen. (…) Wo keine Normen sind, kann auch nicht über Leistung entschieden werden.“ (Hartfiel 1977, S. 33)
Vor diesem Hintergrund wird in der Soziologie zwischen statischen und dynamischen Definitionen von Leistung unterschieden. Statische Definitionen betonen die notwendige Anpassung einer als „Leistung“ beurteilten Handlung oder eines Handlungsergebnisses an ein geltendes Normsystem. Dynamische Definitionen versuchen hingegen, „Leistung“ auch in Bezug auf zukünftige Standards zu definieren, also die historische Abhängigkeit der Interpretation von menschlicher Aktivität als „Leistung“ zu betonen (Becker 2003, S. 20ff.). Auf denselben Sachverhalt weist auch Braun (1977, S. 202f) hin, wenn er zwischen einer „technisch-funktionalen“, also - vereinfacht ausgedrückt - „angepassten“, statischen Art von Leistung und einer „transgredient-progressiven“, also neuartigen, erst später als „Leistung“ anerkannten Leistungsart unterscheidet. Trotz der Abhängigkeit von den Maßstäben des jeweiligen institutionellen Kontextes ist in modernen Gesellschaften die soziale Definition einer Handlung bzw. eines Handlungsergebnisses als Leistung nicht vollkommen willkürlich. So existieren bestimmte, „unhintergehbare“ oder formale Merkmale (vgl. Braun 1977, S. 190; Schlie 1988, S. 65; Neckel et al. 2004, S. 141), die ihren Ursprung in der historischen Entwicklung moderner Gesellschaften haben und die die Verwendung des Leistungsbegriffes begrenzen. So schreiben Neckel/Dröge: „Akteure verfügen über ein intuitives Wissen der elementaren Merkmale dessen, was eine Aktivität als „Leistung“ erst qualifiziert, und vermögen diese Bezeichnungen von anderen Ausdrücken für die menschliche Praxis sinnhaft zu differenzieren. Rein zufällige Handlungsergebnisse etwa oder passives Zuwarten auf den Eintritt erwünschter Ereignisse kommen danach für das Prädikat „Leistung“ kaum in Betracht.“ (Neckel/Dröge 2002, S. 110f)
Auch Schlie (1988, S. 66) pointiert, dass das zerstreute Blättern in einem Buch oder das Einschlafen über dem Schreibtisch wohl kaum als Leistung interpretiert würde.
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Es ist also davon auszugehen, dass bestimmte formale Elemente in der Sinngebung von Leistung existieren, die trotz ihrer verschiedenartigen, jeweiligen Interpretation bzw. genauen inhaltlichen Füllung und Betonung als auch ihrer z.T. gegebenen Widersprüchlichkeit eine allgemeine Geltung beanspruchen können (vgl. Neckel et al. 2005). Anders lässt sich schwer begründen, warum Begriffe wie „Leistung“, „Leistungsprinzip“ und „Leistungsgerechtigkeit“ bis heute für die Begründung individueller oder kollektiver Ansprüche sowohl innerhalb von Organisationen als auch gesamtgesellschaftlich herangezogen werden. So schreiben Hack et al.: „Die diffus-schillernde Bedeutungsvielfalt des „Leistungs“-begriffes und die in dieser Diffusität zugleich enthaltene strukturelle Identität sind Ausdruck & Voraussetzung der ubiquitären Geltungsansprüche der durch diesen Begriff bezeichneten Wirklichkeitsstrukturen.“ (Hack et al. 1976, S. 27, Fußnote 7):
Neckel/Dröge bekräftigen: „Wäre „Leistung“ in der alltäglichen sprachlichen Verwendung keine Kategorie, die intuitiv bestimmte Abgrenzungen kennt, könnte sie gewiss nicht für allgemein geteilte Normanforderungen kandidieren.“ (Neckel/Dröge 2002, S. 111)
Im folgenden Abschnitt wird auf jene formalen Merkmale von menschlicher Leistung näher eingegangen. 3.1.2 Die formalen Elemente von Leistung Da menschliche Leistung in ihrem genauen Bedeutungsinhalt vom jeweiligen sozialen Funktionszusammenhang bzw. vom jeweiligen institutionellen Kontext und der entsprechenden Bewertung durch die beteiligten Akteure abhängig ist, soll der Leistungsbegriff zunächst als eine „formale Kategorie“ (Braun 1977, S. 190), als ein durch formale oder „vorinstitutionelle“ Kriterien abgrenzbarer Begriff verstanden werden (vgl. Miller 1999, S. 138ff.; Neckel/Dröge 2002, S. 110ff.) Demnach wird im Folgenden ein formales oder analytisches Deutungsmodell von Leistung vorgestellt, das unterschiedliche Leistungsdefinitionen in sich vereint (vgl. Miller 1999, S. 131; Neckel/Dröge 2002, S. 110ff.; Neckel et al. 2004; 2005) und somit erlaubt, die unterschiedlichen Leistungsbegriffe in sozialen Interaktionsbereichen und in verschiedenen Organisationstypen (z.B. Branchen) bzw. auch in verschiedenen Bereichen innerhalb von Organisationen (z.B. Hierarchieebenen) abzubilden. Eine solche Vorgehensweise hat laut Neckel/Dröge (2002, S. 110ff.) zwei wesentliche Vorzüge. Zum einen wird damit 87
die Reflexivität in der gesellschaftlichen Verwendung des Leistungsbegriffes untermauert. Wie oben bereits erläutert, ist die Vorstellung über menschliche Leistung, zumindest in modernen Gesellschaften, durch bestimmte, eben jene formalen bzw. normativen Kriterien geprägt. Das heißt, alle menschlichen Handlungen, die als Leistung interpretiert werden, verbindet trotz ihrer möglichen Unterschiedlichkeit die Gemeinsamkeit bestimmter Merkmale, die diese unterschiedlichen Handlungen für die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder erst als Leistung kennzeichnen. Diese Merkmale werden im Rahmen eines formalen Deutungsmodells von Leistung extrahiert. Zum anderen betonen Neckel/Dröge (2002, S. 111), dass der im Folgenden vorzustellende formale Leistungsbegriff zugleich umfassend wie dezidiert genug ist. So kann er zugleich dem Wandel des Leistungsverständnisses und den verschiedenen Varianten von Leistung Rechnung tragen, die sich z.B. in unterschiedlicher Betonung und/oder differierenden Inhalten der formalen Merkmale äußern, ohne jedoch die Trennschärfe gegenüber grundlegend leistungsfremden Aktivitäten zu verlieren. So lassen sich etwa Annäherungen oder zunehmende Differenzen in den Leistungsverständnissen unterschiedlicher Hierarchieebenen einer Organisation feststellen, indem man die Betonung und Auslegung der einzelnen formalen Kriterien von Leistung im Zeitverlauf untersucht. Jene formalen bzw. normativen Merkmale des Leistungsbegriffes sind nach Neckel et al. (2004, S. 142ff.) zum einen die Zweidimensionalität des Leistungsbegriffes und die hiermit verbundene Ausgewogenheitserwartung. Da die Erbringung einer Leistung in modernen Gesellschaften den Anspruch auf eine gesellschaftliche Gegenleistung begründet (Leistungsprinzip), benennen Neckel et al. (2002, S. 144) unter Bezug auf Millers (1999, S. 131ff.) „concept of desert“29 zum anderen die Äquivalenzerwartung und die vorauszusetzende Chancengleichheit zur Erbringung von Leistung als weitere, formale Merkmale, die mit dem Begriff der Leistung verbunden sind. Diese Merkmale werden nun einzeln vorgestellt. Zweidimensionalität des Leistungsbegriffes Der Begriff der Leistung weist eine Aufwandsdimension und eine Ergebnisdimension auf (vgl. Abb. 9). Das heißt, Leistung „ist nomen actionis und nomen acti zugleich, meint zuerst das Geschehen selbst, den Vorgang, und dann erst das durch das Geschehen erreichte Ergebnis.“ (Vonessen 1974, S. 60). Die Beurteilung von Leistung erfolgt demnach zum einen an der Dimension des intentionalen, individuellen Aufwandes oder Inputs. Das heißt, Leistung wird anhand der „subjektiven Kosten“ (Offe 1970; S. 47), der „Mühe“ oder dem jeweiligen „individuellen Einsatz“ (vgl. Bolte 1979, S. 20f; Schlie 1988, S. 63ff.; Neckel et 29 Miller (1999, S. 131ff.) stellt hier den individuellen, durch „Leistung“ begründeten Verdienst als ein Element sozialer Gerechtigkeitsvorstellungen vor.
88
al. 2004, S. 142) definiert. In dieser Dimension lassen sich wiederum zwei Perspektiven auf Leistung unterscheiden. So kann die Definition bzw. Beurteilung des Aufwandes bzw. Inputs zum einen fähigkeitszentriert und zum anderen anstrengungszentriert erfolgen (vgl. Heckhausen 1974, S. 11ff.; Lenk 1983, S. 13ff.). Voswinkel (2005, S. 292ff.) spricht hier auch von der Leistungsdimension „Ressource“ und der des „Einsatzes“. Dabei meint Ressourcen- oder Fähigkeitszentrierung den Bezug auf ererbte und erlernte, relativ stabile Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. erworbene Qualifikationen (vgl. Lenk 1983, S. 16; Zimbardo/Gerring 1996, S. 34), die u.U. mit „Mühe“ und unter hohen „subjektiven Kosten“ erworben worden sind. Einsatz- oder Anstrengungszentrierung bezieht sich auf die von solchen Fähigkeiten unabhängig zu betrachtende Leistung. So können Menschen mit gleicher Qualifikation unterschiedliche Leistungsergebnisse erzielen, die dann, unter Ausschluss anderer beeinflussender Faktoren, auf ein unterschiedliches Bemühen bzw. unterschiedlichen „Einsatz“ oder unterschiedliche „Anstrengung“ zurückgeführt werden. Neben dieser Aufwands- oder Inputdimension wird bei der Interpretation von Leistung zum anderen auch das hiermit verbundene Ergebnis mitgedacht bzw. berücksichtigt. Die Definition von Leistung innerhalb dieser Ergebnisdimension kann, wie auch schon in der Aufwandsdimension, anhand unterschiedlichster Perspektiven bzw. Maßstäbe erfolgen (z.B. Bolte 1979, S. 23ff.) Voswinkel (2005 b, S. 28ff.; 2005a, S. 292ff.) unterscheidet in dieser Hinsicht einen sachlichen, sozialen und ökonomischen Leistungsbegriff. Der sachliche Leistungsbegriff bezieht sich auf die Beurteilung eines Leistungsergebnisses in Form von Menge und/oder Qualität hergestellter Güter oder absolvierter Dienstleistung. Der soziale Leistungsbegriff meint die erzielte Problemlösung für einen Kunden oder auch die Lösung gesellschaftlicher Probleme, wobei die Beurteilung dessen anhand der beigemessenen sozialen Wertigkeit eines Leistungsergebnisses erfolgt: Wie wichtig erscheint z.B. eine bestimmte Problemlösung, bzw. wie hoch erscheint die damit verbundene soziale Verantwortung. Darüber hinaus ist hiermit auch das Verdienst bezeichnet, das sich Leistungsträger durch ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl erworben haben. Der ökonomische Leistungsbegriff beinhaltet die Beurteilung bzw. Definition eines Leistungsergebnisses anhand dessen marktlicher Verwertbarkeit bzw. am Ausmaß des Markterfolges (Ertrag, Gewinn).
89
Abbildung 9:
Zweidimensionalität und korrespondierende Perspektiven von Leistung
Aufwand
Ergebnis = sozial dienlich
Ressource
Einsatz
sachlich
sozial
Fähigkeit Qualifikation
Bemühen Anstrengung Belastung
Menge Qualität
Problemlösung gesellschaftliches Verdienst
ökonomisch Ertrag Gewinn
Quelle: Voswinkel 2005a, S. 294; 2005b, S. 29 Generell ist, wie mehrfach betont, die Beurteilung der Aufwands- und Ergebnisdimension abhängig von den historisch wandelbaren Zieldefinitionen und Wertpräferenzen des jeweiligen sozialen Umfeldes. Für die vorliegende Arbeit wird vor diesem Hintergrund grundlegend Neckel et al. (2004, S. 143ff.) gefolgt, die in Bezug auf moderne Gesellschaften konstatieren, dass die gesellschaftliche „Erwünschbarkeit“ bzw. soziale „Dienlichkeit“ einer Handlung bzw. eines Handlungsergebnisses konstitutiv für die Interpretation einer Handlung als Leistung ist. Dieser Aspekt kann durch die gesellschaftshistorische Entwicklung moderner Gesellschaften („Leistungsgesellschaften“) begründet werden, die die Zuteilung sozialer Anerkennung und den sozialen Status mit einer den offiziellen gesellschaftlichen Standards entsprechenden Leistung des Einzelnen begründen. So Neckel et al.: „Bestimmte Tätigkeiten, selbst wenn sie aufgrund ihrer Finesse oder Unerschrockenheit Bewunderung erfahren sollten, scheiden (…) immer dann als legitime Basis für sozialen Status aus, wenn ihre gesellschaftliche Folgen - wie beim Bankraub - als schädlich definiert worden sind.“30 (Neckel et al. 2004, S. 145)
Ausgewogenheitserwartung Zunächst ist also festzuhalten, dass Leistung ein mit Aufwand verbundener Prozess und zugleich das Ergebnis dieses Prozesses ist - demnach zweidimensional zu denken ist. Der interne Zusammenhang dieser beiden Leistungsdimensionen wird dabei durch die gesellschaftshistorisch begründete Erwartung der Ausgewogenheit bestimmt (Neckel et al. 2004, S. 143). Das heißt, beide Leistungsdimensionen sollten bei der Beurteilung von Leistung eine gleichgewichti30 Dieser Aspekt wird aber unterschiedlich gehandhabt: vgl. z.B. Miller (1999, S. 135), der über die Zuteilung „leistungsbezogener“ Verdienste bei Bankräubern nachdenkt, oder auch Schlie (1988), der zwischen „moralischen“ und „nicht-moralischen“ Leistungen unterscheidet. Weiterhin: Bolte 1979, S. 23; Becker 2003, S. 110 Fußnote 11).
90
ge Bedeutung haben, also ausgewogen und proportional berücksichtigt werden (Neckel et al. 2005). Dieser „gordische Knoten“ des Leistungsbegriffes (Becker 2003, S. 76) oder - in Offes (1970, S. 47) viel zitierter Formulierung - „unausgetragene Dualismus von Leistungskriterien“ wird dann sichtbar, wenn sich jene gesellschaftliche Erwartung der Ausgewogenheit an der Realität der Leistungserbringung und -bemessung bricht: Soll z.B. eine unter hohem individuellen Einsatz hervorgebrachte Erfindung, die sich jedoch am Markt nicht verkaufen lässt, weniger oder mehr Wert sein als ein am Markt erfolgreiches Produkt, das jedoch durch Produktimitation, also ohne jene vergleichbare große Mühe, entstanden ist? (Neckel et al. 2004, S. 143ff.; vgl. auch Bolte 1979, S. 31). Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung Die historische Entwicklung moderner Gesellschaften ist wesentlich durch die Ausprägung des Leistungsprinzips gekennzeichnet (vgl. McClelland 1966; Offe 1970; Dreitzel 1974; Heckhausen 1974, S. 58ff.; Braun 1977; Steinkamp 1977; Bolte 1979, S. 14ff.; Arzberger 1988; Schettgen 1996, S. 181ff.; Neckel 2002; Becker 2003, S. 107ff.). Das bedeutet, dass die individuelle Leistung als ein allgemein anerkannter Maßstab der Verteilung sozialer Anerkennung (gesellschaftliche Gegenleistung) fungiert. Die Äquivalenzerwartung bezeichnet in dieser Hinsicht die Erwartung, dass die individuelle Leistung und die soziale Gegenleistung in Form sozialökonomischer Statusvorteile in einem äquivalenten Verhältnis zueinander stehen sollen. Status ist dabei ein Attribut sozialer Positionen in Bezug auf Ressourcen, Reichtum, Wissen, Rang und Zugehörigkeit, oder wie Neckel (1991, S. 197) genauer erläutert, ist Status das Attribut sozialer Anerkennung, das mit der jeweiligen sozialen Position verbunden ist, die aus der eigenen Verfügung über Reichtum, Wissen, Rang und Zugehörigkeit resultiert. Die inhaltliche Bestimmung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in Form von Statusvorteilen ist - wie nun schon mehrfach in Bezug auf die formalen Kriterien von Leistung hervorgehoben - kontextabhängig. So Neckel et al.: „Nach welchen inhaltlichen Maßstäben diese Äquivalenz zu bestimmen ist, bleibt Gegenstand sozialer Aushandlungsprozesse, die über die Gewichtung des Aufwandes, der Erwünschtheit eines Ergebnisses und den symbolischen Wert verschiedener Formen von Gegenleistungen (etwa materielle Einkünfte oder Prestige) befinden müssen.“ (Neckel et al. 2004, S. 144)
Individuelle Chancengleichheit Im Zusammenhang mit der Entwicklung und normativen Wirkung des Leistungsprinzips ist auch die normative Erwartung der individuellen Chancengleichheit zu sehen (Bolte 1979, S. 30; Becker 2003, S. 109, 115; Neckel et al. 2004, S. 144). Wenn individuelle Leistung als wesentlicher Maßstab für die 91
Positionierung in der gesellschaftlichen Statusordnung angesehen wird, besteht die Erwartung, dass auch jedes Gesellschaftsmitglied die gleichen Möglichkeiten haben sollte, individuelle Leistung zu erbringen und diese anerkannt zu bekommen - jeder sollte diesbezüglich die gleichen Chancen haben. Welchen zentralen Stellenwert die Forderung der Chancengleichheit in modernen Gesellschaften bzw. „Leistungsgesellschaften“ (McClelland 1966) hat, lässt sich z.B. an der öffentlichen Diskussion der internationalen Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) ablesen. Diese zeigen für Deutschland u.a., dass Schüler aus unteren Sozialschichten bzw. sozial schlechter gestellten Familien zu signifikant geringerem Maße höhere Bildungsabschlüsse erreichen.31 Dies sorgt regelmäßig für Diskussionen hinsichtlich der Voraussetzungen des Leistungsprinzips und dessen faktischer Wirksamkeit in Deutschland. Die in diesem Abschnitt angesprochenen Erkenntnisse zu den formalen Merkmalen des Leistungsbegriffes werden in der Abbildung 10 zusammenfassend dargestellt. Abbildung 10: Formale Merkmale des Leistungsbegriffes
Cf
Aiz
Ee = L
Sozioökonomis cher Status
Quelle: Neckel et al. 2004, S. 144 Unter der Bedingung formaler Chancengleichheit (Cf) gilt ein intentionaler und individuell zurechenbarer Aufwand (Aiz), der zu einem gesellschaftlich erwünschten Ergebnis (Ee) führt, als Leistung (L). An das Verhältnis von AufEe). wand und Ergebnis richtet sich eine Ausgewogenheitserwartung (Aiz Leistung begründet den Anspruch auf eine äquivalente Gegenleistung in Form von sozial-ökonomischem Status (L sozioökonomischer Status) (Neckel et al. 2004, S. 144).
31
Vgl. www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/PISA_im_Überblick. (S. 19ff) (31.12. 2006).
92
3.2 Leistung - Medium der Anerkennung in modernen Gesellschaften Im vorhergehenden Kapitel wurde die Entwicklung moderner Gesellschaften am Merkmal der zunehmenden Differenzierung festgemacht. Diese Differenzierung wurde zum einen auf die Ebene gesellschaftlicher Teilbereiche und zum anderen - bedingt durch die hiermit korrespondierende, zunehmende Arbeitsteilung und funktionale Spezialisierung - auf die Ebene der sozialen Rollen bezogen. Es wurde erläutert, dass sich im Zuge dieser funktionalen Ausdifferenzierung die traditionelle Form der wechselseitigen sozialen Anerkennung bzw. sozialen Integration in Form von durch Geburt bedingter Gruppenzugehörigkeit und entsprechend geteilter Werte und Normen zu einer, auf dem Austausch funktionaler Beiträge bzw. „Leistungen“ basierenden Anerkennungs- bzw. Integrationsform wandelte. Im Folgenden sollen die Merkmale und die Entwicklung moderner Gesellschaften als „Leistungsgesellschaften“ ausführlicher erläutert werden. Anschließend wird das Leistungsprinzip als normatives konstitutives Element von Leistungsgesellschaften und dessen Bedeutung für Organisationen als Orten der Leistungserbringung und Individuen als Leistungserbringern vorgestellt. Letztlich wird der Zusammenhang von Leistung und Identitätsbildung vertiefend betrachtet. 3.2.1 Moderne Gesellschaften als Leistungsgesellschaften Der Begriff „Leistungsgesellschaft“ geht auf die deutsche Übersetzung von McClellands bekannter Monographie „The Achieving Society“ (1961) zurück. McClelland versucht hier den Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Ausprägung und Verbreitung des „Leistungsmotivs“32 als Bedürfnis oder Streben nach Leistung und dem wirtschaftlichen Wachstum der westlichen Industriegesellschaften nachzuweisen. Unter Bezug auf Webers Analysen zu Entwicklung und Auswirkungen der protestantischen Ethik führt er dabei die Entstehung und Verbreitung des Leistungsmotivs auf die historische Entwicklung und die hiermit zusammenhängenden, nachhaltigen Folgen für die Erziehungspraktiken und -inhalte33 in diesen Gesellschaften zurück. In diesem Zusammenhang definiert McClelland (1966, S. 109) „Leistungsgesellschaften“ als Gesellschaften, 32 So führt McClelland für das Leistungsmotiv auch das Kürzel n Ach („need for achievement“ zu deutsch: Bedürfnis nach Leistung (b Leistung)) ein (vgl. McClelland 1966, S. 80 ff.; Zimbardo/Gerrig 1996, S. 345ff.). 33 Z.B. frühe Erziehung zur Selbstständigkeit, Förderung des eigenständigen Leistungsstrebens über die Vermittlung von Gütemaßstäben für Handlungen.
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„die sich wirtschaftlich rascher entwickelt haben.“ Diese Definition weist zwar schon auf den in modernen Gesellschaften dominanten Stellenwert von Leistung im Bereich der Erwerbsarbeit, des Berufes bzw. der Wirtschaft hin, verrät jedoch nur wenig über den Kern oder die grundlegenden Merkmale von „Leistungsgesellschaften“. Im Folgenden werden moderne Gesellschaften als Leistungsgesellschaften näher vorgestellt. Zunächst werden die grundlegenden Merkmale von Leistungsgesellschaften dargestellt, um anschließend die wesentlichen Impulse für die historische Genese aufzuzeigen. Schlussendlich wird auf die Entwicklung und Bedeutung von Leistung als kollektive Norm eingegangen. 3.2.1.1 Merkmale von Leistungsgesellschaften Im Folgenden wird auf die Ausführungen Boltes (1979, S. 11f.) Bezug genommen, der die wesentlichen, auch heute in der Literatur diskutierten und in dieser Arbeit teilweise bereits erwähnten Aspekte zum Begriff der Leistungsgesellschaft zusammenträgt (vgl. z.B. Arzberger 1988; Becker 2003, S. 109ff.). Zunächst wird es als charakteristisch für Leistungsgesellschaften angesehen, dass viele Mitglieder dieser Gesellschaft Leistung als etwas Schätzens- und Erstrebenswertes empfinden. Das heißt, Leistung ist als ein gesellschaftlicher Wert anzusehen, der in hohem Ausmaß akzeptiert wird - die Gesellschaftsmitglieder zeichnen sich durch eine hohe Leistungsorientierung aus. Des Weiteren wird bezeichnend für Leistungsgesellschaften die Tatsache betont, dass sie im internationalen und historischen Vergleich besondere Leistungen in wirtschaftlicher Hinsicht, also eine relativ hohe Produktivität, aufzuweisen haben. Wie in den Ausführungen zur funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften bereits betont, spielt Leistung im Bereich der Wirtschaft, der Erwerbsarbeit bzw. des Berufes eine besondere Rolle. In Leistungsgesellschaften wirken demnach bestimmte „Kräfte“ darauf hin, alle vorhandenen „Ressourcen“ für eine Steigerung des Wirtschaftswachstums zu erschließen, wodurch historisch ein relativ hoher Lebensstandard für breite Bevölkerungskreise verwirklicht werden konnte. Als typisch für Leistungsgesellschaften wird weiterhin erachtet, dass die individuelle Leistung als Zuteilungskriterium für Status und Lebenschancen gilt - demnach also das Leistungsprinzip (Äquivalenzerwartung) prinzipiell als Verteilungsmechanismus akzeptiert wird. In diesem Sinne werden in historischer Betrachtung „moderne industrielle Leistungsgesellschaften“ häufig abgesetzt von früheren „vorindustriellen Abstammungsgesellschaften“, in denen die Herkunft das entscheidende Zuteilungskriterium für materielle und soziale Chancen war. 94
Letztlich wird als besondere Eigenart von Leistungsgesellschaften genannt, dass in ihnen eine spezifische Art von Zweck-Mittel-Rationalität entfaltet ist, wonach es sowohl als richtig gilt, gesetzte Ziele mit möglichst geringem Aufwand34 zu erreichen (Effizienzprinzip), als auch, dass Wettbewerb in vielen Lebensbereichen vorkommt und als eine wichtige Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der hohe Stellenwert von wirtschaftlicher Leistung und die prinzipielle Akzeptanz von individueller Leistung als hauptsächlichem Zuteilungskriterium für gesellschaftliche Anerkennung die wesentlichen Kennzeichen von Leistungsgesellschaften sind. 3.2.1.2 Historische Impulse der Entwicklung Die Triebkräfte der historischen Entwicklung, also jene Impulse und Zeitströme, welche die Entwicklung der westlichen Leistungsgesellschaften hervorbrachten, sind vielfältig und stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander (vgl. z.B. Braun 1977; Arzberger 1988). Jene Triebkräfte lassen sich wesentlich im Aufkommen bestimmter sozialphilosophischer und religiöser Geistesströmungen als auch in der Entwicklung einer zunehmend industriellen Produktionsweise ausmachen. Sie bilden den Hintergrund für die Entstehung „großorganisatorischer“ Unternehmen sowie für die Entwicklung staatlicher Institutionen (Bildungswesen, Rechtswesen, Polizei usw.) mit einem zunehmend bürokratisch organisierten Verwaltungsapparat (vgl. Bendix 1960; Offe 1970, S.44; Steinkamp 1977; Türk 1995, S. 155ff.; Kieser 1999). Wesentliche Zielgruppe und Träger dieser Tendenzen war das aufstrebende, sich gegenüber dem Adel und der traditionellen Ständeordnung emanzipierende Wirtschaftsbürgertum. Jene Kaufleute und Unternehmer waren besonders empfänglich für die neuen Geistesströmungen im sozialphilosophischen und religiösen Bereich, brachten diese doch eine Aufwertung ihres originären Tätigkeitsbereiches mit sich. So stellten die Gedanken der liberalistisch orientierten Gesellschaftstheorie, z.B. von John Locke (1632-1704), und der darauf aufbauenden politischen Ökonomie, z.B. vertreten von Adam Smith (1723-1790) und David Ricardo (17721823), wichtige geistige Impulse im sozialphilosophischen Bereich dar (vgl. Braun 1977, S. 12ff., S. 87ff.; Kiss 1977, S. 60ff.). Diese klassischen Theoretiker der frühen bürgerlichen Gesellschaft entwarfen das Bild einer „gerechten“ gesellschaftlichen Ordnung, die auf dem marktlichen Leistungsaustausch zwi34
Anzufügen ist bei diesem Merkmal, dass auch hier das bereits erwähnte Kriterium der sozialen Erwünschtheit der Art des Aufwandes gilt. Das Erreichen bestimmter Wettbewerbsergebnisse durch Betrug oder Bestechung wird z.B. allgemein als nicht akzeptabel angesehen.
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schen den Gesellschaftsmitgliedern beruht. Hiernach könnten sich die im Menschen verborgenen Kräfte des „Eigeninteresses“ und der „Vernunft“ und das damit verbundene Interesse, für sich selbst zu arbeiten, zum Wohle aller auswirken. So würde jeder die Produkte seiner Arbeit auf dem Markt anbieten und jedem würde nur das abgenommen, was andere gebrauchen können (z.B. über Smiths „invisible hand“). Bolte (1979, S. 17) erklärt den Ansatz: „Um sich selbst zu dienen, muss man also zunächst etwas tun, das anderen nützt; Eigeninteresse setzt sich daher in Gemeinwohl um.“ Hieraus entspringt die grundsätzliche Idee, dass jeder gemäß seiner „Leistung“, also je nach Ausmaß seines - an ökonomischen Kategorien gemessenen - Beitrages zum Gemeinwohl, seinen „gerechten“ Platz in der Gesellschaft selbst bestimmen kann. Dieser Gesellschaftsentwurf bedingte zugleich die Idee der gesellschaftlichen „Chancengleichheit“ und zog politische Forderungen nach sich, die darauf drängten, alle Regelungen und Verhältnisse zu beseitigen, die die wirtschaftliche Aktivität des Einzelnen behinderten. In diesen Kontext können z.B. Entwicklungen wie die Einforderung staatsbürgerlicher Rechte für alle sowie das Recht auf Eigentum und dessen Nutzung35, die Etablierung der Gewerbefreiheit, als auch die öffentliche Förderung des Bildungswesens eingeordnet werden (vgl. Dreitzel 1971, S. 34; Braun 1977; Kiss 1977, S. 60ff.). Das waren Tendenzen, die den Interessen des Bürgertums an der eigenen wirtschaftlichen Entfaltung und gesellschaftlichen Stellung sehr entgegenkamen und die auch andere Gesellschaftsmitglieder aus traditionellen Bindungen herauszulösen vermochten. Neue Strömungen im religiösen Bereich wirkten ebenso als Triebkraft gesellschaftlicher Veränderungen. Luthers (1483-1546) Reformation, die Auseinandersetzung mit dem sich seit dem 15. Jh. entwickelnden Protestantismus (vgl. Oevermann 2001) und die Ausdeutung und Folgen von Calvins (15091564) Prädestinationslehre36 trugen gemäß der Analyse Max Webers (1988) zu einem neuen Verständnis von Arbeit bei (vgl. Schluchter 1979). Insbesondere die calvinistische Lehre führte dazu, dass Arbeit nicht mehr nur als göttliche Strafe für den Sündenfall oder als notwendiges Übel schien, und nicht mehr nur von jedem ehrlichen Christenmenschen verlangt wurde, an seinem Platz seine 35
Zum Zusammenhang der Stellung von Eigentum und der Entstehung von Rechtsnormen als neues Integrations- bzw. Anerkennungsmedium in modernen Gesellschaften vgl. z.B. die Analyse von Habermas zu den Durkheimschen Thesen (Habermas 1999, S. 118ff.) oder seine Auseinandersetzung mit Hegel (Habermas 1968). 36 Gemäß der Prädestinationslehre ist es eigentlich nicht möglich, das eigene ewige Seelenheil im Jenseits durch eine bestimmte Lebensweise im Diesseits zu beeinflussen. Nur eine kleine, vorherbestimmte Anzahl von Menschen, so Calvin, würde von Gott auserwählt, alle anderen hingegen verdammt. Dies führte nach Max Weber gerade dazu, dass sich die Gläubigen durch das eigene „gottgewollte Handeln“ (durch „rastlose Berufsarbeit“ und einen „asketischen“ Lebensstil) ihrer erhofften Auserwähltheit zu versichern suchten (Weber, 1988, S. 102ff.).
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Pflicht zu tun, sondern „Arbeit wurde jetzt als Medium begriffen, durch das der Mensch mitzuwirken hat an der Gestaltung des Reiches Gottes in dieser Welt.“ (Bolte 1979, S. 16). In diesem Sinne förderte gemäß Weber (1988) die Haltung der protestantischen Ethik wie keine andere den Unternehmergeist, das rationale, organisierte und kontinuierliche Streben nach Gewinn und dessen Reinvestition für Produktionszwecke, als auch - basierend auf der Forderung der innerweltlichen Askese - die allgemeine Berufsethik (vgl. Braun 1977, S. 16ff.; Arzberger 1988). Hartfiel schreibt dazu: „Der asketische Protestantismus legitimierte ein Wertsystem und entsprechende (...) Handlungsweisen, die maximale Arbeits- und Sachleistung, Akkumulation von Reichtum und dessen unermüdlichen Einsatz zu Produktionszwecken nicht nur gestattete, sondern ausdrücklich begünstigte, und zwar (...) durch „gottgefällige“, d.h. nicht „unlautere“ Methoden und Mittel.“ (Hartfiel 1977, S. 15)
Leistungsfähigkeit und Leistungsstreben, bemessen in Kapitelvermehrung und Akkumulation von Eigentum, ließen sich somit auf religiöser Basis für die Verteilung sozialer Positionen bzw. sozialer Anerkennung legitimieren und verhalfen dem Bürgertum somit zu Emanzipation und Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie. Dabei war die planmäßige, umfassende und effiziente Organisation des gesamten Produktionsprozesses auf der Grundlage disziplinierter Arbeit unverzichtbare Voraussetzung der bürgerlichen Profitakkumulation (vgl. Braun 1977, 14ff.). Das bedingte einerseits die ständige Integration technischer Innovationen und neuer Erkenntnisse in den Produktionsprozess als auch die Notwendigkeit zur Anstellung und Kontrolle von Arbeitskräften im Rahmen der zunehmend arbeitsteiligen Produktionsweise (vgl. Marx 1962; Dreitzel 1974, S. 34f; Braun 1977, S. 14). Bis die Mehrheit jener Arbeitskräfte jedoch die harten Normen der neuen Arbeitswelt weitgehend verinnerlicht hatte, bedurfte es Jahrhunderte der „Disziplinierung“, „Erziehung“ bzw. Zwang und Not (vgl. Marx 1962; Bendix 1960; Braun 1977, S. 35ff.; Hirschmann, 1987; S. 47ff.; Arzberger 1988; Negt/Kluge 1993; Veblen 2000). Die durch die arbeitsteilige Großorganisation bedingte, neue Aufteilung des Lebens in zeitlicher und räumlicher Hinsicht und die in diesem Ausmaß bisher nicht gekannte Standardisierung und Aufteilung von Arbeit widersprachen vollkommen deren bisherigem Charakter und entsprechenden sozialen Traditionen (Bendix 1960, S. 275). So formuliert Braun: „Für die meisten waren Hunger und Not die einzigen Antriebe, sich dem Fabriksystem zu unterwerfen. Von einer spontanen oder freudigen Leistungsbereitschaft kann zu keiner Zeit die Rede sein.“ (Braun 1977, S. 37)
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Erst der mit der arbeitsteiligen Großorganisation und anderen öffentlichen Institutionen und deren Organisierung (z.B. Bildungswesen) einhergehende Zwang führte zu einem modernen, den unternehmerischen Interessen entsprechenden Leistungsethos bei der Mehrheit der Bevölkerung. Braun beschreibt jenen Ethos im Bereich der fabrikorganisierten Produktionsarbeit: „Privates Interesse an Sorgfalt, Pünktlichkeit und Exaktheit gemäß den Regeln der Organisation in Verbindung mit gleichbleibender Intensität der Arbeit und der Bereitschaft, sich reibungslos in den Produktionsablauf zu integrieren bei gleichzeitiger Unterwerfung unter ein autoritäres Befehlsgefüge.“ (Braun 1977, S. 39)
3.2.1.3 Leistung in Organisationen - Entwicklung zur Kollektivnorm Mit fortschreitender Entwicklung bewirkten das unternehmerische Interesse an einer effizienten Arbeitskräftesteuerung in der hoch arbeitsteiligen Produktion und entsprechende Aushandlungsprozesse zwischen Lohnabhängigen und Unternehmern die - zumindest formale - Etablierung und Umsetzung des Leistungsprinzips für die Organisationsmitglieder (vgl. z.B. Deutschmann 2002, S. 68ff. zu den Bedingungen der Entwicklung der „Ware“ Arbeitskraft). Das heißt, dass die Leistung der Organisationsmitglieder zunehmend über deren Erwartung und die Zuteilung einer äquivalenten Gegenleistung aktiviert und gesteuert wurde. Dieser Prozess war dabei nicht nur für den Bereich der Produktionsarbeit beobachtbar. Auch die Tätigkeiten des bis dahin eher ständisch organisierten Beamtentums in den staatlichen Verwaltungen verloren - nicht zuletzt durch die sich etablierende Bürokratisierung - zunehmend ihren ursprünglich nicht erwerbsorientierten Amtscharakter („Dienst“ vgl. z.B. Voswinkel 2005b, S. 25ff.) und wurden in wachsendem Maße durch das Motiv der organisationalen Gegenleistung angereizt und gelenkt (vgl. Kluth 1977). Die Zulassung zu einer Berufsposition, der Erwerb von Einkommen, der soziale Aufstieg in eine „höhere“ Position derselben Organisation und die Ausstattung mit Anordnungsbefugnis (formale Autorität) entwickelten sich auf diese Weise zu Indizien der eigenen Leistungsfähigkeit (vgl. Offe 1970, S. 45) und wurden somit zum wichtigen Medium der gesellschaftlichen Integration. Leistung als ursprüngliche Individualnorm des Unternehmers entwickelte sich somit über das Aufkommen arbeitsteiliger Produktionsformen und bürokratischer Organisation zur Kollektivnorm, d.h. zur allgemeinen gesellschaftlichen Verhaltenserwartung an den Einzelnen (vgl. Braun 1977, S. 33ff.). Wurde dabei die individuelle Leistung des Unternehmers noch in Relation zum Markt - also über die ökonomische Perspektive von Leistung (Abb. 9) - definiert, machten es die hocharbeitsteiligen Arbeitsorganisationen notwendig, die einzelnen Leistungen der Organisationsmitglieder 98
unabhängig vom Marktmechanismus zu ermitteln (vgl. Offe 1970, S. 44). Diese „preis-unabhängige“ Perspektive auf die individuelle Leistung der Organisationsmitglieder entwickelte sich notwendig auf Grund zweier ineinandergreifender Tendenzen. Einerseits verhinderten die zunehmend komplexen, arbeitsteiligen Strukturen in den Organisationen die jeweilige Zurechnung der individuellen Anteile der Organisationsmitglieder an der organisationalen Gesamtleistung bzw. deren Markterfolg. Andererseits machten es die komplexen Arbeitsstrukturen in wachsendem Maße notwendig, die innere Leistungs- und Kooperationsbereitschaft der Organisationsmitglieder bzw. das „kreative Potential menschlicher Arbeitskraft“ zu motivieren (Deutschmann 2002, S. 71). So schreibt Deutschmann (2002, S. 69): „Ungeachtet aller Machtasymmetrien ist nicht nur der Arbeiter auf das Kapital angewiesen, sondern auch das Kapital auf die Arbeit. Nur wenn auch die Arbeiter sich die ihnen zugedachte wertschöpfende Rolle zu Eigen machen, kann das Geld jenen schlechterdings unüberholbaren Eigenwert gewinnen, der es zum Kapital macht.“ (Deutschmann 2002, S. 69)
Weiter stellt er fest: „Die Arbeit erfüllt (…) gewährleistende Funktionen, die gerade mit wachsender Kapitalintensität des Produktionssystems an Bedeutung gewinnen. Sie ist kreativ, insofern sie neue Produkte und Produktionsmittel erfindet und herstellt, und zugleich zerstörerisch.“ (Deutschmann 2002, S. 71)
Um dieses notwendige Engagement der Beschäftigten dauerhaft und regelmäßig mobilisieren zu können (und nicht zuletzt auch den Absatz der eigenen Produkte zu befördern und zu gewährleisten - man denke z.B. an Henry Fords T-Modell), wurde es notwendig, Gegenleistungen in Form bzw. zum Erwerb eines sozioökonomischen Status (vgl. Neckel 1991, S. 193ff.; Veblen 2000) zu gewährleisten.37 Organisationen, die sich auf der Basis dieser Funktionslogik des Tausches konstituieren, bezeichnet Schimank (2005) als „Arbeitsorganisationen“ und setzt sie von solchen Organisationen ab, welche aufgrund inhaltlich gleich gerichteter Interessen gegründet werden (z.B. Parteien, Gewerkschaften). In Arbeitsorganisationen konnte die über die Tauschlogik bewirkte „homogenisierte 37
Wie oben bereits beschrieben, ist Status laut Neckel (1991, S. 197) ein Attribut sozialer Positionen in Bezug auf Ressourcen, Reichtum, Wissen, Rang und Zugehörigkeit bzw. ist Status das Attribut sozialer Anerkennung, das mit der jeweiligen sozialen Position verbunden ist, die aus der eigenen Verfügung über Reichtum, Wissen, Rang und Zugehörigkeit resultiert. In dieser Weise legt Status Rechte und Pflichten von Akteuren fest, gewährt Vor- und Nachteile in der sozialen Konkurrenz und ist mit einem distinkten Prestige verbunden.
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Mitgliedschaftsmotivation“ der Organisationsmitglieder die Möglichkeit ansonsten nicht gegebener organisatorischer Spezialisierungs- und Wachstumspfade eröffnen (vgl. Schimank 2005, S. 27). Hierin sieht Schimank auch eine Antwort auf die Frage, warum die moderne (Leistungs-)Gesellschaft als „Organisationsgesellschaft“ betrachtet werden kann, welche sich durch die Anspruchsbefriedigung der Gesellschaftsmitglieder konstituieren und langfristig legitimieren konnte: „Fragt man danach, warum sich auf diese Weise zustande kommende Arbeitsorganisationen in der modernen Gesellschaft immer mehr verbreitet haben, lässt sich wiederum jenseits aller historischen Details und Varianten ein Grundmuster klar ausmachen. Arbeitsorganisationen, die so wie dargestellt über ihre Mitglieder verfügen können, verschaffen sich dadurch große Effizienz- und Effektivitätsvorteile ihrer Leistungsproduktion. (…) Förderlich für die „Lebenschancen“ fast aller Gesellschaftsmitglieder ist daran gewesen, dass sich so in einer Reihe von gesellschaftlichen Teilsystemen eine enorme Steigerung ihrer Leistungsproduktion eingestellt hat. Es war ebenfalls Marx, der (…) die schon zu seiner Zeit beispiellose Menge, Qualität, Diversifikation und Verbilligung von Gütern und Dienstleistungen als Errungenschaft der modernen, auf formalen Organisationen beruhenden Wirtschaft hervorhob. Gleiches ließe sich über die Leistungen des modernen Schul- und Hochschulwesens im Bildungssystem, in der modernen Krankenhausorganisation, im Gesundheitssystem sowie über die Leistungsorganisationen der Massenmedien, des Wohlfahrtsstaates, des Rechtswesens oder der Forschung sagen. Sie alle werden durch ihre Form der Mitgliedschaft, also den Tausch von Fügsamkeit gegen Gehalt, zu unübertroffen effizienten und effektiven Arbeitsorganisationen, die stetig mitwachsende Leistungsansprüche der Gesellschaftsmitglieder an die betreffenden Teilsysteme mit historisch beispielloser Zuverlässigkeit befriedigen.“ (Schimank
2005, S. 27f) In dieser wechselseitigen Verflochtenheit sind die Systeme der Leistungsmessung und -beurteilung daher als formale Indizien der Herstellung eines „working consense“ zu betrachten (Bechtle/Sauer 2003, S. 42) und Leistung zugleich als eine, die Organisation stabilisierende Handlungsnorm. Das heißt, dass sich der Leistungsbegriff, insbesondere die „preis- oder marktunabhängige Kategorie von Leistung“ (Offe 1970, S. 44), und die formalen Systeme der Leistungsmessung und -beurteilung zu einem legitimatorischen und konstitutiven Element modernder arbeitsteiliger Organisationen und damit auch zum wesentlichem Medium der sozialen Integration entwickelten (vgl. Braun 1977; Deutschmann 2002, S. 61ff.; Bechtle/Sauer 2003; Schimank 2005). Vor diesem Gesamthintergrund kann einerseits konstatiert werden, dass die profit- und leistungsorientierten „Privatunternehmer einen wesentlichen Beitrag zur leistungsvermittelten Individualisierung der Gesellschaft geleistet“ haben 100
(Braun 1977, S. 15). Andererseits lässt sich damit der hohe soziale Stellenwert von Leistung im Bereich der bezahlten Erwerbsarbeit und wirtschaftlicher Aktivitäten und deren Dominanz über andere gesellschaftliche Leistungsbereiche, wie z.B. den der Erziehungsarbeit, erklären (vgl. Hondrich et al. 1988). So schreibt Braun (1977, S. 54): „Der die moderne Industriegesellschaft bestimmende Leistungsbegriff ist nicht älter als die Industriegesellschaft selbst.“ 3.2.2 Die Bedeutung des Leistungsprinzips Das Leistungsprinzip stellt neben anderen Ordnungsprinzipien wie dem Demokratie-, Rechtsstaats- und Solidaritätsprinzip eine Fundamentalnorm im Selbstverständnis moderner Gesellschaften dar (Neckel 2002, S. 94). Jedes dieser Prinzipien steht für bestimmte Vorstellungen darüber, wie bestimmte Aspekte des gesellschaftlichen Lebens geregelt werden sollen (vgl. Braun 1977, S. 215ff.; Hartfiel 1977, S. 19ff.; Becker 2003, S. 181). Das heißt zugleich, dass jene Prinzipien nicht notwendig eine realistische Beschreibung der Sozialstruktur moderner Gesellschaften widerspiegeln, sondern vielmehr wesentliche, verbindlich akzeptierte bzw. erwünschte und vielfach institutionalisierte soziale Organisationsprinzipien darstellen (vgl. Offe 1970, S. 42). So ändert der berechtigte Zweifel (vgl. z.B. grundlegend Offe 1970) an der realen Wirksamkeit der sozial anerkannten Funktionen des Leistungsprinzips nichts an dessen Status als legitimes, also wünschenswertes oder eigentlich „richtiges“ Prinzip (vgl. Neckel 2002, S. 107). Verbürgen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip den Anspruch auf politische Gleichheit bzw. unverlierbare persönliche Rechte aller Gesellschaftsmitglieder, beinhaltet das Leistungsprinzip Vorstellungen über die angemessenen und verbindlichen Regeln der Verteilung gesellschaftlicher Positionen. Es wird demnach als verbindlicher und legitimer Mechanismus zur Rechtfertigung sozialer Gleichheit als auch Ungleichheit von Gesellschaftsmitgliedern angesehen. Kern des Leistungsprinzips ist dabei, dass es die selbst erbrachte individuelle Leistung zum Bezugspunkt für die Verteilung gesellschaftlicher Gegenleistungen in Form von finanzieller Vergütung (Lohn, Einkommen), Zuerkennung sozialer Wertschätzung (z.B. soziale Privilegien) und Zulassung zu sozialen Positionen, Berufen oder Ämtern (vgl. Schettgen 1996, S. 181) macht. Das Leistungsprinzip ist in der Weise konstitutiv für die normative Sozialordnung der Moderne.
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3.2.2.1 Allgemeine Funktionen des Leistungsprinzips In differenzierter Form lässt sich die Bedeutung des Leistungsprinzips zeigen, wenn man seine sozialen Funktionen näher betrachtet. In der Literatur wird an dieser Stelle häufig zwischen manifesten und latenten Funktionen unterschieden (vgl. Steinkamp 1977; Becker 2003, S. 113ff.). Manifeste Funktionen sind die offiziell geltenden bzw. allgemein anerkannten Funktionen des Leistungsprinzips. Aus der Vorgabe und dem Anspruch der Erfüllung dieser Funktionen bezieht das Leistungsprinzip seine gesellschaftliche Legitimität. Offe (1970, S. 45ff.) unterscheidet vier offizielle Funktionen: 1) die Entschädigungsfunktion, 2) das Äquivalenzprinzip, 3) das Produktivitätsprinzip und 4) die Allokationsfunktion (vgl. auch Heckhausen 1974, S. 60f.; Hartfiel 1977, S. 18f; Braun 1977, S. 213ff.; Becker 2003, S. 113ff.): 1) Gemäß den formalen Kriterien von Leistung wird angenommen, dass die Leistungserbringung mit einem bestimmten Aufwand einhergeht. Somit ist mit der Verwirklichung des Leistungsprinzips die offizielle Funktion verbunden, die betreffenden Individuum für den vor oder während der Leistungserbringung gemachten Aufwand zu entschädigen. Gemäß den Perspektiven der Aufwandsdimension kann es sich hierbei um Entschädigungen für den Erwerb eines bestimmten Leistungswissens und -könnens (Qualifikation, Fähigkeit) als auch um Entschädigungen für die aufgewandte Arbeitsmühe, belastende Leistungsbedingungen usw. (Anstrengung, Bemühen) handeln. 2) Mit der Äquivalenzfunktion wird versucht, eine anders als durch Leistung begründete Ungleichheit zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu verhindern. Das heißt, es geht darum, z.B. eine geschlechts- oder altersspezifische, ethnisch oder regional begründete Zuweisung von sozial-ökonomischem Status außer Kraft zu setzen und nach dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Leistung“ irrationale Diskriminierungen zu verhindern (vgl. Offe 1970, S. 46). Auf diese Weise wird eine spezifische Form der sozialen Gleichheit (Äquivalenz) geschaffen (abweichend zur oben definierten Äquivalenzerwartung: hier bezog sich die Äquivalenz auf Leistung und Gegenleistung). 3) In Bezug auf die Leistungserbringung in arbeitsteiligen Organisationen wird der Verwirklichung des Leistungsprinzips die potentielle Funktion zugeschrieben, soziale Konflikte abzumildern, Ausbeutungsverhältnisse auszuschalten und die „Früchte der Arbeit“ in gerechter Weise zu verteilen (Offe 1970, S. 46). Dies ist nach Offe dann der Fall, wenn die Arbeitenden proportional zum Umfang der organisationalen Produktivität am Wert der geschaffenen Gesamtleistung beteiligt werden. Offe bezeichnet diese Funktion als Produktivitätsprinzip.
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4) Die manifeste Funktion der Allokation wirkt nach Offe auf mikro- und makroökonomischer Ebene. Auf mikroökonomischer Ebene hat die Anwendung des Leistungsprinzips die Funktion, die Leistungsbereitschaft des Einzelnen anzureizen und die Leistung im Rahmen arbeitsteiliger Leistungserstellung so zu verteilen, dass die optimale Produktivität des Gesamtsystems erreicht wird. Auf makroökonomischer Ebene sollen die leistungsbezogenen Mechanismen der Berufswahl und des Arbeitsmarktes eine rationale Zuordnung und Verteilung von gesellschaftlichen Positionen gewährleisten. Von den manifesten Funktionen des Leistungsprinzips lassen sich die latenten Funktionen unterscheiden. Hierbei handelt es sich um öffentlich nicht reflektierte, anerkannte bzw. auch nicht akzeptabel erscheinende Funktionen des Leistungsprinzips. Becker (2003, S. 114) erwähnt in diesem Zusammenhang z.B. dass das Leistungsprinzip auch als Mittel von Zwang und Disziplinierung angesehen werden kann, was im Hinblick auf die historische Entwicklung von Leistungsgesellschaften vollkommen einsichtig ist. Des Weiteren lässt sich mit der offiziellen Präsenz des Leistungsprinzips jede soziale Statusdifferenzierung als leistungslegitimiert darstellen, so dass originär nicht-leistungsbedingte Ungleichheiten in Gesellschaft und Betrieben verschleiert werden.38 Auf diese Weise verdeckt und befestigt die normative Geltung des Leistungsprinzips bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse und erfüllt die Funktion einer Ideologie39 (Offe 1970; Braun 1977, S. 213; Steinkamp 1977; Hack et al. 1979). 3.2.2.2 Organisationsbezogene Funktionen Es wurde bereits angedeutet, dass die Entfaltung von Leistung als kollektiver Handlungsnorm und die notwendig korrespondierende Umsetzung des Leistungsprinzips in einem generellen Zusammenhang mit der Entwicklung arbeitsteiliger Organisationen zu betrachten ist (vgl. Steinkamp 1977; Türk 1995; Schimank 2005) Generell hat sich das Leistungsprinzip zu einem grundlegenden Organisationsprinzip ökonomischer und verwaltungstechnischer Prozesse entwickelt und erfüllt in dieser Weise wichtige Funktionen für die arbeitsteilige Organisation (vgl. Braun 1977, S. 213). Im Folgenden werden diese Funktionen näher erläutert: 38
Vgl. z.B. die Ausführungen von Krell/Winter (2001) oder Krell/Tondorf (2001) zu geschlechtsspezifischen Unterschieden von Arbeits- und Leistungsbewertung. 39 „Ideologien sind dadurch definiert, dass sie einen gegebenen gesellschaftlichen Zustand einerseits durch interne Rechtfertigungen konsolidieren, ihn andererseits gegen seine historischen Alternativen verwahren und abschirmen, ja die historische Begrenztheit eines bestehenden Zustandes leugnen.“ (Offe 1970, S. 9, H.i.O.)
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Die für den Bestand arbeitsteiliger Organisationen grundlegend notwendige Funktion des Leistungsprinzips ist dessen Stabilisierungswirkung. Das heißt, die formelle Umsetzung des Leistungsprinzips für die Organisationsmitglieder in Form der Zurechnung, Bewertung und entsprechenden Honorierung der „preisbzw. vom Markt unabhängigen“, individuellen Leistung kann als wesentlicher Integrationsmodus in arbeitsteiligen Organisationen betrachtet werden (vgl. Deutschmann 2002; Schimank 2005). Wie bereits erläutert, wird über die normative Geltung des Leistungsprinzips und der korrespondierenden Wirkung von Leistung als gesellschaftlicher Kollektivnorm die Möglichkeit eröffnet, sich sehr weitgehend über die konkreten und individuellen Motivlagen der Organisationsmitglieder hinwegzusetzen und die bereits zitierte „homogenisierte Mitgliedschaftsmotivation“ zu erzeugen (Schimank 2005, S. 27). Die formelle Umsetzung des Leistungsprinzips erlaubt demnach die Verfügung über die Organisationsmitglieder und gewährleistet somit erst die Ausschöpfung von Effizienz- und Effektivitätsvorteilen einer arbeitsteiligen Leistungsproduktion (vgl. Deutschmann 2002; Schimank 2005). Mit der Wirkung der Stabilisierungsfunktion hängen unmittelbar weitere Funktionen des Leistungsprinzips für die Organisation zusammen (vgl. Braun 1977, S. 214; Schettgen 1996, S. 191):
die Mobilisierung der Leistungsanstrengungen der Organisationsmitglieder die Wirkung als Orientierungsmarke für die gewünschten Verhaltensweisen die Funktion der Begründung jeweils zugeteilter Sanktionen und Ungleichheiten die Forcierung des ökonomischen Ressourceneinsatzes, indem eine leistungsbezogene Zuteilung an Mitteln an die qualifizierteren bzw. „leistungsstärkeren“ Organisationsmitglieder prinzipiell ermöglicht wird die Wirkung als Disziplinierungsinstrument für die an positiven Sanktionen interessierten Mitarbeiter.
Diese Funktionen zeigen die hohe Wichtigkeit der normativen Gültigkeit des Leistungsprinzips für die Stabilität und den Leistungserstellungsprozess in arbeitsteiligen Organisationen und deren generelle soziale Legitimation. 3.2.2.3 Funktionen für das Organisationsmitglied Die organisationsbezogenen Funktionen des Leistungsprinzips können nur erfüllt werden, wenn mit diesen zugleich bestimmte Funktionen für das Organisa104
tionsmitglied verbunden sind. So entfalten sich die organisationsbezogenen Funktionen nur dann, wenn die Organisationsmitglieder Leistung als Mittel zur Verwirklichung eigener Interessen und Ziele akzeptieren und zugleich die Wirksamkeit des Leistungsprinzips in der Organisation unterstellen. Das impliziert also, dass die über Leistung zu erwerbenden organisationalen Gegenleistungen als erstrebenswert empfunden werden und Leistung als Mittel zum Erwerb der Gegenleistungen akzeptiert ist. Zugleich sollte die Erwartung bestehen, auf die selbst erbrachte und den geltenden organisationalen Kriterien entsprechende Leistung auch die entsprechende organisationale Gegenleistung zu erhalten. Nur unter diesen Bedingungen kann das Leistungsprinzip seine integrative Wirkung entfalten und wird Leistung als Norm des Handelns in Organisationen reproduziert. Dies verdeutlicht den unauflösbaren Zusammenhang zwischen Organisationsmitgliedern und Organisation in der Form, dass das Leistungsprinzip sowohl eine Stabilisierungswirkung in Bezug auf die Organisation als auch die Organisationsmitglieder ausübt, indem es Erwartungssicherheiten in Bezug auf die Akzeptanz und den Inhalt von Handlungen gibt. Funktionen des Leistungsprinzips, die auf das Organisationsmitglied bezogen werden, beschreiben in dem Sinne Funktionen der organisationalen und damit auch wesentlich gesellschaftlichen Integration. So benennen Braun (1979, S. 214) und Steinkamp (1977, S. 122) die Funktion der Allokation und die der Gewährleistung von Äquivalenz als „Individualfunktionen“ bzw. „Personenbezogene Funktionen“ des Leistungsprinzips. Im Sinne der Allokation wirkt das Leistungsprinzip als wesentlicher Mechanismus der Zuteilung der in der Gesellschaft vorhandenen und sozial unterschiedlich bewerteten Berufspositionen bzw. Arbeitsplätze. Das heißt, die Rekrutierung und der Aufstieg in Organisationen wird für das einzelne Organisationsmitglied über den Modus der eigenen Leistung und die formale Anwendung des Leistungsprinzips geregelt. So entscheidet z.B. die Höhe der erworbenen Qualifikation, als eine Aufwandsdimension von Leistung (vgl. Abb. 9) über die Einstiegsposition und das entsprechende Einkommen des Einzelnen in Organisationen. Auf diese Weise determiniert die Anwendung des Leistungsprinzips wesentlich die Lebenschancen und das „soziale Schicksal“ des Einzelnen (Steinkamp 1977, S. 122) und wirkt zugleich als Kriterium und Legitimation für die differentielle Verteilung des sozioökonomischen Status zwischen den Organisations- bzw. Gesellschaftsmitgliedern. Das Leistungsprinzip ist in diesem Sinne ein normativer Rahmen der Gewährleistung einer bestimmten Form von sozialer Gleichheit bzw. Äquivalenz (Jeder nach seiner Leistung.) als auch Ungleichheit (Jeder nach seiner Leistung.). Zusammenfassend ist also nochmals zu betonen, dass Allokations- und Äquivalenzfunktion offensichtlich bestimmte, für den Einzelnen in modernen Gesellschaften sehr wichtige Funktionen der sozialen Integration erfüllen. 105
3.2.3 Leistung und Leistungsprinzip - Bedeutung für Identitätsbildung Im folgenden Abschnitt soll die Bedeutung der selbst erbrachten Leistung und des hiermit zusammenhängenden Leistungsprinzips für die subjektive Identität beleuchtet werden. Die Betrachtung erfolgt aus drei Perspektiven: Da Leistung allgemein als Form der Handlung zu begreifen ist, wird zunächst im Rahmen einer soziologisch anthropologischen Perspektive die wesentliche Funktion des Handelns für die menschliche Sozialität und damit auch Identitätsbildung vorgestellt. In einer zweiten Perspektive wird auf die subjektive Bedeutung der in Erwerbsarbeit erbrachten Leistung eingegangen. Das heißt, dass der in modernen Gesellschaften vorherrschende hohe Stellenwert von in Erwerbsarbeit erworbener Anerkennung für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der eigenen Identität betrachtet wird. Auf einer dritten Ebene wird schließlich der spezifische Stellenwert der „professionellen Leistung“ für die Definition der Identität betroffener Individuen untersucht. 3.2.3.1 Leistung und Identitätsbildung im Spiegel der soziologischen Anthropologie Eine Grundannahme der soziologischen Anthropologie besteht darin, dass der Mensch sowohl das Potential als auch die existentielle Notwendigkeit zur zielgerichteten Anpassung an die Umwelt besitzt. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass diese Anpassung über Handlungen in sozialen Interaktionsprozessen erfolgt. Verbirgt sich hierunter zum einen der treibende Prozess der menschlichen Identitätsbildung („taking the role of the other“), erscheint es in Bezug auf den Begriff der Leistung zum anderen interessant, dass einige Soziologen hinsichtlich dieser Anpassungsprozesse bzw. Handlungen bereits von menschlichen „Leistungen“ sprechen. Der folgende Abschnitt dient demnach zunächst dazu, diese grundlegende bzw. „weite“ Verwendung des Leistungsbegriffes etwas zu erhellen und in Zusammenhang mit dem Prozess der Identitätsbildung zu stellen. Anschließend wird auf die Unterscheidung zwischen der formalisierten und nicht-formalisierten Leistung eingegangen. Beide weisen wesentliche Bezüge zur Identitätsbildung auf, haben jedoch einen unterschiedlichen Charakter sowie unterschiedliches Gewicht für die in der Arbeit zu untersuchende Fragestellung.
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Der Mensch als handelndes Wesen Der Fokus der soziologischen Anthropologie richtet sich insbesondere auf den wechselseitigen Zusammenhang zwischen den biogenetischen Merkmalen des Menschen (z.B. physiologische Merkmale, wie Entwicklung von Sinnesorganen etc.) und dessen kultureller bzw. gesellschaftlicher Entwicklung. Entsprechende Vertreter versuchen demnach, empirische Erkenntnisse der biologischen Anthropologie (Evolutionstheorie) als auch der Kulturanthropologie (z.B. Ethnologie) für die Erklärung der Entwicklung und Beschaffenheit menschlicher, gesellschaftlicher Strukturen nutzbar zu machen (vgl. Esser 1999, S. 143ff.).40 So fußt z.B. Mead, als ein Vertreter der soziologischen Anthropologie, seine Annahmen über die Entwicklung der symbolischen Interaktion (Kap. 2) auf eine „anthropologische Kommunikationstheorie“ (Joas 1989, S. 92). Diese basiert wesentlich auf der evolutionstheoretischen Analyse von Charles Darwin zum tierischen Ausdrucksverhalten (vgl. Mead 1973, S. 53ff.), der Gebärden- und Sprachkonzeption des Psychologen Wilhelm Wundt (ebenda S. 81ff.) sowie auf Erkenntnissen zu den besonderen physiologischen Voraussetzungen des Menschen (z.B. Beschaffenheit des Nervensystems bzw. des menschlichen Gehirns oder die Entwicklung der menschlichen Hand, ebenda S. 273ff.) (vgl. Joas 1989, S. 91ff.). Ähnlich wie Mead sehen weitere Vertreter41 der soziologischen Anthropologie in den besonderen biogenetischen Voraussetzungen des Menschen den wesentlichen Ursprung für dessen Fähigkeit als auch dessen Angewiesenheit auf soziale Interaktion bzw. den Aufbau gesellschaftlicher Struktur (vgl. Esser 1999, S. 148ff.). Demnach führt der besonders leistungsfähige HomöostaseMechanismus des Menschen (Ausprägung und Abstimmung von Sinnesorganen, Gehirn sowie Sprechapparat und Händen) und die sich daraus ergebenden intellektuellen und kulturellen Fähigkeiten (z.B. Fähigkeit des Lernens oder der Tradierung von Wissensbeständen) zur Ablösung der genetischen bzw. instinkthaften Verhaltenssteuerung und damit zugleich zur wesentlichen Besonderheit
40 Von einigen Vertretern der soziologischen Anthropologie wird die Erklärung gesellschaftlicher Ordnungen z.T. auch mit philosophischen Annahmen begründet. So ist die soziologische Anthropologie nach Esser (1999, S. 147) „…immer ein wenig durch ein hybrides Schwanken zwischen der strikten Beschränkung auf die Annahme empirischer Erkenntnisse und dem Festhalten an apriorischen Annahmen über das („eigentliche“) Wesen des Menschen und der darauf aufbauenden Konstruktion von Entwürfen gesellschaftlicher Ordnung gekennzeichnet gewesen.“ In der vorliegenden Arbeit wird jedoch auf die Annahmen dieser Vertreter der soziologischen Anthropologie (z.B. Max Scheler) nicht eingegangen. 41 Esser führt neben Mead insbesondere Karl Marx, Arnold Gehlen als auch die hierauf z.T. aufbauenden Ausführungen von Peter L. Berger und Thomas Luckmann an.
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des homo sapiens: der Fähigkeit als auch Notwendigkeit zur zielgerichteten Anpassung an die Umwelt.42 In diesem Zusammenhang besteht eine Grundannahme der soziologischen Anthropologie darin, dass eine solche Anpassung notwendig durch Handlungen, also durch ein subjektiv sinnhaftes Verhalten, in sozialen Interaktionen mit anderen Menschen erfolgt - Menschen demnach notwendig gesellschaftliche Verhältnisse eingehen müssen, um existenzfähig zu sein (vgl. Esser 1999, S. 161ff.). Dies lässt sich mit zwei wesentlichen Bedingungen der menschlichen Reproduktion begründen: Zum einen kann durch die zielgerichtete Interaktion mit anderen die materielle Reproduktion bzw. Aufrechterhaltung der eigenen physischen Funktionsfähigkeit besser bzw. überhaupt gewährleistet werden. Dieses Argument lässt sich sowohl auf die phylogenetische, also evolutionäre Entwicklung früher menschlicher Gesellschaftsformen als auch auf das Heranwachsen eines Menschen in gegenwärtigen Gesellschaften beziehen. Im ersten Fall lässt sich eine erfolgreiche Reproduktion der eigenen Spezies eher gewährleisten, wenn z.B. gemeinsam auf Jagd gegangen wird - also eine Arbeitsteilung vorgenommen wird. Im zweiten Fall kann das Kind und später auch der Erwachsene die eigenen Bedürfnisse besser bzw. überhaupt erfüllen, wenn eine erfolgreiche Behauptung in sozialen Interaktionen mit anderen Menschen stattfindet. Die hiermit zusammenhängende zweite Begründung für die oben aufgezeigte Annahme, dass menschliche Anpassung wesentlich über Handlungen in sozialen Interaktionen mit anderen erfolgt, wird in der für den Menschen bestehenden Notwendigkeit zu einer sozial vorgegebenen Verhaltensorientierung gesehen. Begründung hierfür ist die fehlende Instinktsteuerung des Menschen und die dadurch bedingte Offenheit zur Selektion möglicher eigener Verhaltensweisen. Wie anhand des Meadschen Ansatzes in Kapitel 2 der Arbeit bereits gezeigt, kann eine zielgerichtete Selektion der eigenen Verhaltensweisen, z.B. im Sinne eines erfolgreichen Verhaltens gegenüber den eigenen Eltern, beim Menschen nur durch eine sozial bedingte Verhaltensselektion erfolgen („taking the role of the other“). „Und diese“, so formuliert Esser (1999, S. 162, H.i.O.), „wird nur durch soziale Kontrolle, durch soziale Anerkennung, nur durch soziale Normierungen und nur durch soziale Verhaltensbestätigung möglich.“ Vor diesem Hintergrund kann in Bezug auf die Funktion sozialer Institutionen für den Menschen erneut konstatiert werden: „Von daher sind die Leistungen von Institutionen nicht nur in der kooperativen Produktion von materiellen Gütern, sondern auch in der Produktion des immateriel-
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Hierbei eröffnet sich natürlich die Frage nach Ursache und Wirkung. Vorstellbar ist ein eher wechselseitiger Prozess.
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len, aber höchst lebenswichtigen Gutes der Verhaltensbestätigung zu sehen.“ (Esser 1999, S. 163).
Leistung als anerkannte Handlung - Medium der Identitätsbildung Der Mensch hat demnach die Möglichkeit und damit zugleich den Zwang zur sozialen Anpassung. Versteht man darunter allgemein eine mit Aufwand oder Anstrengung verbundene Ausrichtung des eigenen Verhaltens an sozialen Vorgaben, kann Anpassung grundlegend als sich über Handlung realisierende Leistung definiert werden. (vgl. z.B. Becker 2003, S. 20f.). So schreibt Braun (1977, S. 198) in diesem Zusammenhang: „In diesem Sinne ist Leistung erfolgreiches Handeln.“ Das heißt, dass die Normen und Werte eines sozialen Interaktionsbereiches bis zu einem bestimmten Grad anerkannt werden müssen, um „Leistung“ zu erbringen und sich somit selbst anerkannt zu wissen. Wie in Kapitel 2 gezeigt, ist diese „wechselseitige Anerkennung“ zugleich notwendige Bedingung für die gelingende Identitätsbildung eines Menschen. Allgemein lässt sich demnach formulieren, dass die Erbringung von „Leistung“ treibende Kraft der Entstehung, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung von Identität ist. So konstatiert z.B. Lenk: „Der Mensch ist das leistende Wesen: Homo performator (…). Er bildet und versteht sich durch Formen („per formas“) - durchaus im doppelten Sinne, er orientiert sich an den Formen und durch das Formen: An und durch Strukturen kann er sich selbst - und nur so kann er sich - individualisieren und deuten.“ (Lenk 1983, S. 40)
Dieser allgemeine Zusammenhang zwischen „Leistung als anerkannter Handlung“ und Identitätsbildung soll auf Basis des vorangegangenen Kapitels noch einmal kurz zusammengefasst und verdeutlicht werden: Anpassung erfolgt über Handlungen, also einem zielgerichteten bzw. subjektiv sinnhaften Verhalten im Rahmen sozialer Interaktion. Die Kenntnis von der „Sinnhaftigkeit“ bzw. die Möglichkeit zur normativen Bewertung des eigenen intendierten oder vollzogenen Verhaltens wird dabei durch die fortwährende Auseinandersetzung mit dem normativen Raster des entsprechenden sozialen Interaktionsbereiches erreicht. Wie in Kapitel 2 ausführlich gezeigt, geschieht dies, indem der Mensch entsprechende soziale Reaktionen auf eigene Verhaltensweisen verarbeitet und auf diese Weise schrittweise Erfahrungen über soziale Normen und die eigene Position zu diesen aufbaut. Diese Erfahrungen dienen wiederum als Orientierung in Bezug auf die Entwicklung der eigenen, hierüber erst subjektiv sichtbar werdenden Identität. Subjektiv sinnhaftes Verhalten bzw. 109
Handlungen oder auch „Anpassungsleistungen“ können in dieser Form einerseits als ein Resultat jener, über die Interaktion aufgebauten und in Synthese gebrachten Selbsterfahrungen - also der eigenen Identität - betrachtet werden. Andererseits bilden sie zugleich die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung bzw. Fortentwicklung, Bestätigung oder Nicht-Bestätigung der eigenen Identität durch die Reaktionen des sozialen Umfeldes. So schreibt z.B. Krömmelbein : „In der Identität sind unterschiedliche Erfahrungen und daraus resultierende Interpretations- und Handlungsmuster in einem biographischen Sinnzusammenhang verarbeitet, mit dem sich das Individuum in der Gesellschaft zurechtfindet, sich darin verortet und seine Selbst- und Lebensentwürfe beständig anhand neuer Erfahrungen und Interaktionen mit der Umwelt überprüft.“ (Kömmelbein 1996, S. 16)
Identitätsstörungen können sich vor diesem Hintergrund z.B. durch den Wegfall von sozial vorgegebenen Handlungsorientierungen bzw. von Normen der „Anpassung“, etwa durch die Beseitigung bisher bestimmte Handlungsweisen anerkennende soziale Instanzen, und einer sich hieraus ergebenden Desorientierung und Handlungsunfähigkeit des betroffenen Individuums zeigen (vgl. ebenda S. 62ff.). Schimank (1981; S. 27) spricht in diesem Zusammenhang z.B. von der „sozialen Unterstrukturierung“ als eine Form der „Identitätsbedrohung“ (vgl. Kap. 2, Abschn. 2.4). „Enge“ und „weite“ sowie „formalisierte“ und „nicht-formalisierte“ Leistung Zur besseren Veranschaulichung des Zusammenhangs von Leistung und Identitätsbildung und im Sinne einer analytisch eindeutigeren Verfolgung der Fragestellung empfiehlt es sich, vier Formen der Anpassung bzw. Leistung zu unterscheiden: einen weiten und einen engen Leistungsbegriff sowie die formalisierte und die nicht-formalisierte Leistung (vgl. zum Folgenden zusammenfassend Abb. 11). Als Leistung im weiten Sinne wird hier die Anpassung an grundlegende und allgemeine Standards des gesellschaftlichen Zusammenlebens bezeichnet. Die soziale Definition dieser Leistung erfolgt zumeist ohne explizit skalierte bzw. explizit formal festgelegte Gütekriterien. Es handelt sich hierbei um die Anpassung eines Menschen, die wesentlich in der frühen primären Sozialisation erlernt wird (vgl. Berger/Luckmann 2000, S. 139ff.).43 Wie bereits angespro-
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Berger/Luckmann (2000, S. 141) bezeichnen die primäre Sozialisation als „die erste Phase, durch die der Mensch in seiner Kindheit zum Mitglied der Gesellschaft wird.“ Die sekundäre Sozialisation
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chen, lernt der Mensch früh, sein Verhalten an sozialen Vorgaben bzw. Standards auszurichten, lernt z.B. unter relativ großer Anstrengung eigene Triebe oder spontane Impulse zu unterdrücken, zu kanalisieren, sich z.B. an bestimmte Regeln des Gebrauchs von Messer und Gabel anzupassen, bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Zeiteinteilung des Tages zu akzeptieren oder auch seine Sprachfähigkeit auszubilden. Dabei können diese, in der frühen Sozialisation erlernten und später z.T. unbewusst erbrachten Leistungen zugleich als Voraussetzung für die in Organisationen zu erbringende und zumeist anhand formalisierter Maßstäbe definierten Arbeitsleistung betrachtet werden, welche als Leistung im engeren Sinne definiert werden kann (vgl. Volmerg 1976b).44 Im Gegensatz zum weiten Verständnis von Leistung erfolgt die Definition von Leistung im engeren Sinne demnach anhand von Gütekriterien, die in einem bestimmten sozialen Interaktionsbereich oder gesellschaftlichen Teilbereich gelten und in dieser Form einen spezifischeren Charakter haben (sportliche Leistung, schulische Leistung usw.). Leistung im engeren Sinn lässt sich nochmals in formalisierte und nicht-formalisierte Leistung unterscheiden. Nichtformalisierte Leistung wird zwar anhand von spezifischen Gütekriterien eines bestimmten Leistungsbereiches bewertet, jedoch formal unabhängig von spezifischen Institutionen erbracht. Das heißt, der Einzelne erbringt seine Leistung unabhängig von der formalen Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation bzw. unabhängig von einer vertraglichen Verbundenheit mit dieser.45 Das impliziert zumeist auch eine fehlende, extern formalisierte Vorgabe der Leistungskriterien. Beispielhaft für diese Form der Leistung stehen z.B. solche im Bereich des Freizeitsportes, der „Hausmusik“ oder anderer Hobbys. Wie bereits angesprochen, wird formalisierte Leistung demgegenüber im Rahmen der formalen Mitgliedschaft in einer Organisation bzw. auf der Basis eines bestimmten vertraglichen Verhältnisses erbracht. Es besteht hiermit also die formale Verpflichtung zur Leistungserbringung und die mehr oder weniger spezifizierte, jedoch explizite formale Definition der zu erbringenden Leistung. Herausragendes Beispiel für formalisierte Leistung ist das der modernen Erwerbsarbeit. Grundlage für diese Form der Leistungserbringung ist zumeist ein Arbeitsvertrag oder eine andere vertragliche Gestaltung, die den Austausch von Leistung und Geist demgegenüber „jeder spätere Vorgang, der eine bereits sozialisierte Person in neue Ausschnitte der objektiven Welt ihrer Gesellschaft einweist.“ 44 Negt/Kluge (1993) sprechen in diesem Zusammenhang z.B. vom Prozess der „ursprünglichen Akkumulation“. 45 In diesen Zusammenhang könnte - wenn auch nicht ganz deckungsgleich - Lenks (1983) Begriff der „Eigenleistung“ gebracht werden, die selbstinitiiert ist, selbstbestimmt erbracht wird und wesentliche Grundlage für die subjektive Identifikation ist. Lenk - selbst ehemaliger Leistungssportler bezieht sich in seinen entsprechenden Erklärungen insbesondere auf den Leistungsbereich des Sportes.
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genleistung, etwa in Form von Geldeinkommen und einem damit ermöglichten Status, formal regelt (vgl. Ganßmann 1996). Die Beurteilung der Arbeitsleistung erfolgt anhand formalisierter Kriterien. Abbildung 11: „Weiter“ und „enger“ Leistungsbegriff sowie „formalisierte“ und „nicht-formalisierte“ Leistung
weiter Leistungsbegriff
- Anpassung an allgemeine Standards des menschlichen Zusammenlebens - primäre Sozialisation/später z.T. „unbewusst“ vollzogen - ohne explizit skalierte Gütekriterien - nicht formalisiert z.B. Unterdrückung körperlicher Triebe, Anpassung an übliche Zeitstrukturen
enger Leistungsbegriff
- Anpassung an spezifische Standards eines bestimmten sozialen Interaktionsbereiches - eher bewusst vollzogen - Bewertung anhand spezifischer, z.T. skalierbarer Gütekriterien - formalisiert und nicht formalisiert
nicht-formalisiert
formalisiert
- nicht auf Basis eines formalisierten Verhältnisses zu einem Leistungsempfänger
- auf Basis eines formalisierten Verhältnisses zu einem Leistungsempfänger
z.B. hobbymäßig erbrachte und bewertete Leistung in einer Sportart, hobbymäßiges Erlernen eines Musikinstrumentes
z.B. auf Basis eines Arbeitsvertrages
Quelle: eigene Darstellung Es ist hervorzuheben, dass mit den bisherigen Unterscheidungen der Leistungsbegriffe keine Aussage zu Aspekten der extrinsisch oder intrinsisch motivierten Leistung oder der externen und subjektiven Leistungsbeurteilung getroffen werden soll. So kann z.B. auch formalisierte Leistung intrinsisch motiviert sein und subjektiv beurteilt werden. 112
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit geht es generell um die Untersuchung einer veränderten organisationalen Steuerung der dort erbrachten menschlichen Leistung. Das heißt etwas spezifischer, Fokus der Arbeit ist „formalisierte Leistung“ im Bereich der Erwerbsarbeitssphäre. 3.2.3.2 Leistung in der Erwerbsarbeit und Identitätsbildung Im Folgenden wird zunächst das, für die verfolgte Fragestellung relevante Verhältnis von Arbeit und Leistung geklärt. Anschließend werden die wesentlichen Funktionen, welche die Erwerbsarbeit für den Einzelnen erfüllt allgemein vorgestellt, um letztlich die Bedeutung der Anerkennung für die eigene Arbeit in Bezug auf die Identitätsbildung des Einzelnen zu verdeutlichen. Das Verhältnis von Leistung und Erwerbsarbeit Wie gezeigt wurde, verbergen sich im Terminus „Leistung“ verschiedene Bedeutungen und korrespondierende Untersuchungsperspektiven. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der „Arbeit“ als „Dreh- und Angelpunkt“ sowohl klassischer Gesellschaftstheorien (z.B. Marx 1962; Weber 1988; Durkheim 1992) als auch gegenwärtiger soziologischer Betrachtungen von Arbeit (vgl. z.B. Wolf 1999; Kocka/Offe 2000; kritisch: Offe 1983). Aus diesem Grunde wird an dieser Stelle auf eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Terminus „Arbeit“ (vgl. z.B. Ganßmann 1996; Hartz 2008) verzichtet, sondern vielmehr die inhaltliche Überschneidung von Arbeits- und Leistungsbegriff in den Fokus genommen, welche für die hier verfolgte Fragestellung relevant ist. Diese inhaltliche Schnittmenge ist auszumachen, wenn man beide Begriffe auf bestimmte Untersuchungsbereiche bzw. Facetten eingrenzt und damit andere notwendig außen vor lässt. Wesentliches Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, einen Analyserahmen zu erarbeiten, mit dem sich die Wechselwirkungen zwischen der organisationalen Steuerung menschlicher Leistung und der identitätsbezogenen Betroffenheit und Reaktion der Organisationsmitglieder abbilden lassen. Aus diesem Grund erfolgt an dieser Stelle die Konzentration auf den Bereich der bereits beschriebenen „formalisierten Leistung“ und eine entsprechende Eingrenzung von „Arbeit“ auf die Sphäre der „Erwerbsarbeit“. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass beide Begriffe als inhaltlich synonym betrachtet werden können. Generell wird Arbeit mit Mühe und Anstrengung konnotiert. Dabei wird Erwerbsarbeit, im Gegensatz zu einem sehr weiten Verständnis von Arbeit als „jede menschliche Tätigkeit, die um der Herstellung zweckdienlicher Situationen und Gegenstände willen ausgeführt wird“ (und die damit auch reiner Selbst113
zweck sein kann), nicht auf jedes zweckrational deutbare Herstellungshandeln bezogen (vgl. Mittelstraß 2004; auch Bahrdt 1983). Vielmehr bezeichnet Erwerbsarbeit eine Tätigkeit, die im Tausch für ein Geldeinkommen „geleistet“ wird und damit dem letztlichen Zweck dient, Mittel zur eigenen bzw. familiären materiellen Existenzsicherung bereitzustellen (vgl. Ganßmann 1996, S. 95ff.; Kocka/Offe 2000, S. 9). Erwerbsarbeit ist damit ein Produkt moderner Gesellschaften und auch noch gegenwärtig als Norm und Realität zentral für deren Kultur und Zusammenhalt (vgl. Kocka/Offe 2000, S. 10). Wie bereits beschrieben, wird in modernen Gesellschaften - im Gegensatz zu vorindustriellen bzw. ständisch aufgebauten Gesellschaften - die individuelle Arbeitskraft vornehmlich in arbeitsteilig organisierten Unternehmen und Verwaltungen bzw. in „Arbeitsorganisationen“ erbracht. Die Motivation und Steuerung der Arbeitskraft wird dabei über die Zuteilung entsprechender „Gegenleistungen“, wie Lohn oder Aufstieg in der organisationalen Hierarchie, vorgenommen. Erwerbsarbeit muss demnach generell den Standards bzw. der Zielstellung der Organisation bzw. des Auftraggebers genügen, um für den Erwerb von Gegenleistungen geeignet zu sein. Das heißt, Erwerbsarbeit ist immer eine an spezifischen, extern gesetzten Gütekriterien ausgerichtete und beurteilte Tätigkeit und damit immer „Leistung im engeren Sinne“. Die gegenseitige Verpflichtung zu Leistung und Gegenleistung (Leistungsprinzip) bei Einhaltung jener gesetzten Gütekriterien erfolgt dabei im Regelfall über eine bestimmte vertragliche Regelung (z.B. Arbeitsvertrag, Werk- oder Dienstvertrag), was bedeutet, dass Erwerbsarbeit für den Einzelnen generell den Charakter einer „formalisierten Leistung“ hat (vgl. z.B. Deutschmann (2002) zur Bewältigung des Transformationsproblems). Vor diesem Hintergrund können „formalisierte Leistung“ und „Erwerbsarbeit“ als inhaltlich deckungsgleich betrachtet werden. Diese Sichtweise widerspricht der in Betriebs- und Personalwirtschaft gebräuchlichen Handhabung des Leistungsbegriffes. Begriffe wie „Leistungslohn“, „leistungsbezogene Vergütung“, „leistungsbezogenes Anreizsystem“, „Leistungszulage“ o.ä. bezeichnen zumeist die individuellen Leistungsunterschiede zwischen Personen und eine entsprechend variable Gestaltung von Anreizsystemen. Ausgehend von der historischen Entwicklung von Leistungsgesellschaften erscheint es jedoch angebracht, den Begriff auf die gesamte Erwerbsarbeit auszudehnen. Im Folgenden soll dies durch den Begriff der „Arbeitsleistung“ ausgedrückt werden. Vergesellschaftungsdimensionen der Erwerbsarbeit Die Bedeutung, welche die Erwerbsarbeit in modernen Gesellschaften für den Einzelnen besitzt, lässt sich anhand verschiedener Dimensionen analytisch auf114
fächern und zeigen (vgl. z.B. Jahoda et al. 1975; Wacker 1976; Hack et al 1979; Kieselbach/Wacker 1987; Kronauer et al. 1993; Krömmelbein 1996; Voswinkel 2005b). Generell kann dabei davon ausgegangen werden, dass Erwerbsarbeit als normative Orientierung und faktische Gegebenheit eine wesentliche, „vergesellschaftende Kraft“ auf den Einzelnen ausübt (Kronauer et al. 1993, S. 23).46 So verbringen gegenwärtig die meisten Menschen in modernen Gesellschaften einen großen Teil und eine wichtige Phase ihres erwachsenen Lebens in verschiedenen Formen von Erwerbsarbeit (vgl. z.B. Kohli 2000). Des Weiteren findet z.B. bereits vor dem Eintritt in ein formalisiertes Arbeitsverhältnis - etwa über die Schul- und Lehrausbildung bzw. über den Erwerb anderweitiger Bildungszertifikate - eine entsprechende Ausrichtung in Bezug auf das zukünftige Erwerbsleben statt (vgl. Heinz 1987; Fobe/Minx 1996; Keupp et al. 2002; S. 109ff.). So formulieren Kocka/Offe: „Erwerbsarbeit und das durch sie erzielte Einkommen spielen eine zentrale Rolle für das materielle Wohlergehen, das Selbstverständnis, die Lebenschancen, die Anerkennung und die gesellschaftliche Einbindung der meisten Individuen.“ (Kocka/Offe 2000, S. 9)
Im Folgenden wird der Ansatz von Kronauer et al. (1993) verwendet, um einen analytisch strukturierten Zugang zu den Bedeutungsdimensionen von Erwerbsarbeit zu schaffen (vgl. auch Krömmelbein 1996). In kritischer Anlehnung an Jahodas Unterscheidung von subjektiv beabsichtigten und nicht beabsichtigten Funktionen der Erwerbsarbeit (vgl. Jahoda 1983, S. 136ff. (vgl. auch die hierfür zugrundeliegende, sehr einflussreiche empirische Untersuchung zu den Arbeitslosen von Marienthal (erstmals 1933): Jahoda et al. 1975) wird nach Kronauer et al. (1993, S. 23ff.) die Vergesellschaftung des Einzelnen wesentlich über folgende „Erfahrungskategorien“ der Erwerbsarbeit geleistet: 1) über den Verkauf der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt und das Merkmal der Bezahlung; 2) in der Arbeit selbst; 3) über die Teilnahme am Markt der Güter und Dienstleistungen, die sie ermöglicht; 4) über die soziale Organisation der Zeit- und Sinnstruktur des Alltags; 5) durch die soziale Vorgabe von Mustern der Erwerbsbiogra46
An dieser Aussage ändern z.B. auch die gegenwärtig hohen Arbeitslosenquoten in der Bundesrepublik Deutschland nichts. Die vergesellschaftende Kraft der Erwerbsarbeit zeigt sich hier z.B. in ihrem Fehlen und entsprechend auftretenden Problemen auf individueller als auch sozialer Ebene. Vgl. z.B. Schweer et al. (1996) zu Arbeitslosigkeit und Sucht; Harych/Harych (1997) zum Zusammenhang Arbeitslosigkeit bzw. subjektiv empfundener Arbeitsplatzunsicherheit und subjektiven wie objektiven gesundheitlichen Folgen in Ostdeutschland; Adamy/Steffen (1998) zu Arbeitslosigkeit und finanziellen Auswirkungen für die Betroffenen; Kieselbach/Wacker (Hg.)(1987) zu Betrachtungsweisen und Konsequenzen von Arbeitslosigkeit auf psychologischer Ebene und deren Auswirkungen.
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phie. Diese Wirkungen sind zwar miteinander verschränkt, können jedoch gemäß Kronauer et al. (1993, S. 26) analytisch einzeln betrachtet werden: 1) Vergesellschaftung durch den Verkauf von Arbeitserzeugnissen und Arbeitskraft Im Gegensatz zu privaten bzw. dem Selbstzweck dienenden Tätigkeiten ist es das wesentliche Kennzeichen von Erwerbsarbeit, dass sie im Tausch gegen ein Geldeinkommen geleistet wird. Dieser Tausch wird in modernen Gesellschaften über den Markt, also über die wettbewerbliche Abstimmung von Angebot und Nachfrage, reguliert (wie oben dargestellt, natürlich über Arbeitsorganisationen „gefiltert“). So werden sowohl die in selbstständiger Erwerbsarbeit hergestellten Produkte auf dem Markt angeboten als auch die eigene, in abhängige Erwerbsarbeit zu stellende Arbeitskraft. Der geglückte Tausch, bzw. die Bezahlung dieser Produkte oder Handlungen bestätigt dabei deren gesellschaftliche Nachfrage bzw. soziale „Nützlichkeit“. Geldeinkommen als allgemeingültige Form sozialer Gegenleistung enthält somit immer auch ein Moment „gesellschaftlicher Anerkennung“ und vermittelt denjenigen, die ihrer zuteil werden, das Gefühl, vollwertige Mitglieder der Arbeits- (bzw. Leistungs-) Gesellschaft zu sein. So formulieren Kronauer et al. in Bezug auf abhängige Erwerbsarbeit: „Auf dem Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden bedeutet, über den Kreis persönlicher Verpflichtungen hinaus gesellschaftlich tätig und gebraucht zu werden.“ (Kronauer et al. 1993, S. 27)
Neben dem Aspekt der Bezahlung trägt auch der Umstand, dass der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft bzw. eines entsprechenden Produktes mehrheitlich auf Basis einer rechtlichen Regelung durchgeführt wird („formalisierte Leistung“), zur subjektiven Empfindung gesellschaftlicher Anerkennung bei. Die am Tausch Beteiligten unterliegen formal gleichen Rechten und Pflichten - treten sich also auf rechtlicher Basis als Gleichgestellte gegenüber. Jeder kann sich demnach als ein mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattetes und damit anerkanntes Gesellschaftsmitglied begreifen. 2) Vergesellschaftung in der Arbeit Kronauer et al. (1993, S. 30ff.) identifizieren zwei wesentliche Aspekte in Bezug auf vergesellschaftende Erfahrungen innerhalb der Erwerbsarbeit. Zum einen handelt es sich dabei um die mehr oder weniger hohe Verwirklichung des individuellen Arbeitsvermögens. So entwickeln die Erwerbstätigen notwendig spezifische Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit bestimmten Arbeitsanforderungen. Zum anderen ermöglicht die zumeist arbeitsteilig organisierte Erwerbsarbeit, die eigenen fachlichen und sozialen Qualifikationen an denen anderer zu messen, bzw. bringt Erwerbsarbeit sogar die Notwendigkeit mit sich, 116
eigene Kompetenzen und Handlungen von anderen, z.B. auch von Kunden, beurteilen zu lassen - also der „eigenen Arbeit einen sozialen Spiegel vorzuhalten“ (ebenda S. 31). Kronauer et al. betonen hiervon ausgehend: „In diesem wechselseitigen Beurteilen, soweit es ein Anerkennen einschließt, kann das Selbstwertgefühl als Produzentenstolz, Leistungsbewusstsein oder berufliche Identität Gestalt annehmen.“ (Kronauer et al. 1993, S. 31)
Neben der Wichtigkeit dieser beiden Aspekte spielen auch kollegiale Beziehungen eine große Rolle in Bezug auf vergesellschaftende Erfahrungen in der Arbeit. 3) Vergesellschaftung über den Kauf von Gütern und Dienstleistungen für den Konsum Die Ausprägung und entsprechende Bezahlung der eigenen Erwerbsarbeit bestimmt die Vergesellschaftung über den Kauf von Gütern und Dienstleistungen in dreierlei Hinsicht: Erstens wird durch das in Erwerbsarbeit erworbene Geldeinkommen das jeweilige Wohlstandsniveau des Einzelnen bzw. auch der versorgungsabhängigen Haushaltsangehörigen wesentlich beeinflusst.47 Das Einkommen bildet zweitens die Voraussetzung dafür, als Konsument am Markt mit einer gewissen Unabhängigkeit auftreten und Entscheidungen treffen zu können (vgl. Kronauer et al. 1993, S. 33). Dabei erlaubt die Möglichkeit, am Markt als Konsument aufzutreten, sowohl die soziale Angleichung an andere als auch die Differenzierung von anderen bzw. die eigene „Individualisierung“: Einerseits hat man mehr oder weniger Anteil am gesellschaftlich vorgegebenen Warenangebot, andererseits „erlaubt es die potentielle Individualität der Kaufakte, diese gesellschaftliche Angleichung in Varianten eigener Wahl zu vollziehen und auf diese Weise als Verwirklichung persönlicher Vorlieben zu erleben.“ (ebenda S. 34). Diese zwei Aspekte, das über die Erwerbsarbeit bestimmte Einkommen und die dadurch bedingten Konsequenzen in Bezug auf Konsumentscheidungen, beeinflussen drittens wesentlich die Grenzen der eigenen sozialen Reichweite. Kronauer et al. argumentieren diesbezüglich, dass die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte in der Regel Geldausgaben erfordert (wechselseitige Einladungen, Geschenke usw.; vgl. auch die Ergebnisse zum Freizeitverhalten von Arbeitslosen in Harych/Harych 1997). Sie formulieren:
47
Dies wird gemäß Kronauer et al. (1993, S. 32ff.) auch durch solche Phänomene wie Schwarzarbeit wenig tangiert, da z.B. für die Ausübung von Schwarzarbeit Ressourcen benötigt werden, die zumeist über formale Erwerbsarbeit erworben werden (Werkzeuge, Arbeitsmaterialien).
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