Melchior David Bryant Commitment in Kundenbeziehungen
GABLER RESEARCH
Melchior David Bryant
Commitment in Kundenbe...
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Melchior David Bryant Commitment in Kundenbeziehungen
GABLER RESEARCH
Melchior David Bryant
Commitment in Kundenbeziehungen Eine multipartiale Messung und Analyse von Determinanten und Erfolgswirkungen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans H. Bauer
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Mannheim, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Stefanie Loyal Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2384-4
V
Geleitwort Die langfristige Bindung wertvoller Kunden ist das wesentliche Ziel des Kundenbeziehungsmanagements. Als Ursache für die zunehmende Bedeutung langfristig gebundener Kunden wird in Wissenschaft und Praxis häufig deren positive Auswirkung auf den Unternehmenserfolg genannt. Allerdings sind nicht alle gebundenen Kunden gleich wertvoll. Vielmehr variiert der Wert eines Kunden mit seinem Beweggrund, warum er sich an einen Anbieter bindet. Solche Bindungsformen sind unter dem Begriff Commitment bekannt. Allerdings fehlt es im Marketing an Forschungsarbeiten, die diesen Gegenstand differenziert beleuchten. Melchior D. Bryant folgt der Forderung von Wissenschaft und Unternehmenspraxis nach einer umfassenden Durchdringung dieses Themas und leistet durch seine Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Erkenntnisstandes zu diesem Untersuchungskomplex. Der Autor entwickelt auf Grundlage umfangreicher, empirischer Erhebungen mit mehr als 2.000 Probanden zunächst mehrere Modelle zur Messung von vier unterschiedlichen Commitment-Konstrukten. Hierdurch gelingt es Unternehmen, die einer Beziehung zugrunde liegende Bindungsform offenzulegen und zu bewerten. Zudem analysiert er von Unternehmen beeinflussbare Steuerungsgrößen und Erfolgswirkungen der einzelnen CommitmentKonstrukte. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse liefern der Praxis wichtige Ansatzpunkte, um vorteilhafte Bindungsformen gezielt zu fördern und den Wert von Kunden zu erhöhen. Darüber hinaus berücksichtigt Herr Bryant die in Konsumentenstudien grundsätzlich zu unterstellende Konsumentenheterogenität, indem er mittels der Finite Mixture-Analyse fünf beschreibbare Kundensegmente identifiziert. Auf Basis dieser Analyse werden zielgruppenspezifische Empfehlungen für das wertorientierte Kundenbeziehungsmanagement abgeleitet. Insgesamt präsentiert der Verfasser eine hervorragende Forschungsarbeit. Er liefert durch die ausführliche theoretisch-konzeptionelle und empirische Analyse des Commitments in Kundenbeziehungen einen wichtigen Beitrag zur Kundenbeziehungsforschung. Hervorzuheben ist der originäre Ansatz von
VI Herrn Bryant, Commitment multipartial in Form verschiedener Beweggründe zur Aufrechterhaltung einer Kundenbeziehung zu messen. Ich wünsche dieser Arbeit eine weite Verbreitung in Wissenschaft und Praxis.
Prof. Dr. Hans H. Bauer
VII
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing II der Universität Mannheim. Sie wurde Anfang 2010 durch die Fakultät für Betriebswirtschaftslehre als Dissertationsschrift angenommen. Nach dem erfolgreichen Abschluss meiner Promotion möchte ich mich bei all denjenigen Personen bedanken, die mich während dieser Zeit begleitet haben. Zuerst gilt mein Dank meinem Doktorvater Professor Dr. Hans H. Bauer. Von Beginn an verstand er es, mich durch seinen bemerkenswerten Intellekt und seine außergewöhnliche menschliche Art umfassend zu fordern und zu fördern. Von dem von ihm geschaffenen Arbeitsumfeld konnte ich sowohl fachlich als auch persönlich sehr stark profitieren. Darüber hinaus ist die gestalterische Freiheit, die ich unter seiner Leitung genießen durfte, in dieser Art einzigartig. Hierfür bin ich ihm sehr dankbar. Für die bereitwillige Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens möchte ich mich zudem bei Professor Dr. Dr. h.c. mult. Christian Homburg bedanken. In Hinblick auf das Lehrstuhlteam möchte ich zuerst unser sehr „anregendes“ und nicht minder herzliches Lehrstuhlsekretariat – Christa-Maria Elwart, Marion Kumpf-Ammon, Monika Ortlieb und Marlies Schlicksupp – nennen und mich für die langjährige Unterstützung bedanken. Auch meinen ehemaligen Kollegen Dr. Carmen-Maria Albrecht, Kai Bergner, Dr. Tobias Donnevert, Dr. Anja Düll, Dr. Stefanie Exler, Sabine Eckardt, Dr. Thomas Falk, Dr. Tobias E. Haber, Dr. Maik Hammerschmidt, Stefan Hattula, Daniel Heinrich, Dr. Frank Huber, Dr. Marcus M. Neumann, Prof. Dr. Nicola Stokburger-Sauer, Boris Toma und Hauke Wetzel möchte ich meinen herzlichen Dank für die schöne Zeit und den freundschaftlichen Beistand ausdrücken. Des Weiteren danke ich meinen ehemaligen Famulanten Verena Schoenmüller, Stella Steinmeier, Michael Timm und Friederike Weißbach für ihre wertvolle Arbeit. Für die bereichernden wissenschaftlichen Diskussionen rund um mein Dissertationsthema danke ich vor allem Dr. Maik Hammerschmidt. Bei Dr. Mark Grether möchte ich mich für die interessante und angenehme Zusammenarbeit im Rahmen unserer Drittmittelkooperation mit United Internet Media bedanken. Neben dem gesamten Lehrstuhlteam hat mich auch
VIII Dr. Julian Kawohl in der Korrektur meiner Arbeit unterstützt. Herzlichen Dank für die wertvollen Korrekturen und hilfreichen Anmerkungen. Ein besonderer Dank gilt meinen Freunden Frank, Marcus, Sabine und Tobias für die tolle Zeit vor und während meiner Lehrstuhlzeit. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft vieles gemeinsam erleben werden. Frank, Marcus und Tobias danke ich außerdem für die exzellente Unterstützung meiner Arbeit trotz ihrer eigenen hohen beruflichen Belastung. Sie verkörpern die Eigenschaften Pragmatismus, Cleverness und Weitblick, die wertvolle „Zugaben“ für meine Arbeit darstellten. Bei Monica Wagner und Professor Dr. Tillmann Wagner möchte ich mich für die tolle Gastfreundschaft während meines Forschungsaufenthalts an der Texas Tech University in den USA bedanken. Durch sie war die gemeinsame Zeit in Lubbock kurzweilig und bereichernd zugleich. Aus ganzem Herzen danke ich meiner Freundin Maike Kaffenberger, die während meiner Promotionszeit immer eng an meiner Seite war. Durch sie konnte ich mich den Anforderungen meiner Dissertation mit hoher seelischer Ausgeglichenheit stellen. Mein größter Dank gilt meiner Mutter, die mich in großartiger und selbstloser Weise in den letzten Jahrzehnten unterstützt hat. Ihr möchte ich daher auch diese Arbeit widmen.
Melchior D. Bryant
IX
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................XIII Tabellenverzeichnis...................................................................................... XV Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XIX
I
II
Problemstellung und Forschungsziele ................................................... 1 1
Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung für die Steuerung des Beziehungserfolgs ................................................... 1
2
Ziele der Arbeit....................................................................................... 3
3
Aufbau der Arbeit ................................................................................... 5
Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements........................... 9 1
Charakteristika von Kundenbeziehungen .............................................. 9
2
Kundenwert als Erfolgsgröße des Kundenbeziehungsmanagements ...................................................................................... 12
3
Forschungsbefunde zum Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg ............................................................................ 15
4
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen......... 19
III Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung............... 21 1
Zum Commitment-Begriff..................................................................... 21
2
Commitment-Konzeptualisierungen..................................................... 24 2.1 Strukturierung der bestehenden CommitmentKonzeptualisierungen .................................................................. 24 2.2 Einordnung bestehender Commitment-Konzeptualisierungen in etablierte Einstellungstheorien ................................................. 27
3
Bestandsaufnahme der empirischen Commitment-Forschung ........... 32 3.1 Strukturierung der betrachteten Literatur..................................... 32 3.2 Studien mit einstellungsorientierter Konzeptualisierung von Commitment................................................................................. 37
X 3.3 Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment................................................................................. 53 3.4 Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment ....... 57 4
Zusammenfassung der Erkenntnisbeiträge der CommitmentForschung für die Forschungsziele der Arbeit .................................... 65
IV Theoretische Bezugspunkte zur Konzeptualisierung von Commitment – ein multipartialer Ansatz ............................................... 69 1
Vorüberlegungen zur theoretischen Konzeptualisierung..................... 69
2
Soziale Identitäts-Theorie und Affektives Commitment ....................... 70 2.1 Grundlagen der Sozialen Identitäts-Theorie ................................ 70 2.2 Übertragung der Sozialen Identitäts-Theorie auf das Affektive Commitment.................................................................. 73
3
Reziprozitäts-Theorie und Normatives Commitment ........................... 75 3.1 Grundlagen der Reziprozitäts-Theorie......................................... 75 3.2 Übertragung der Reziprozitäts-Theorie auf das Normative Commitment ............................................................... 77
4
Side bet-Theorie und Kalkulatives Commitment.................................. 79 4.1 Grundlagen der Side bet-Theorie ................................................ 79 4.2 Übertragung der Side bet-Theorie auf das Kalkulative Commitment .............................................................. 80
5
Soziale Interaktions-Theorie und Kaptives Commitment..................... 82 5.1 Grundlagen der Sozialen Interaktions-Theorie ............................ 82 5.2 Übertragung der Sozialen Interaktions-Theorie auf das Kaptive Commitment.................................................................... 85
6
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen......... 86
XI V Konzeption eines Untersuchungsmodells zu den Determinanten und Erfolgswirkungen von Commitment .............................................. 89 1
Vorüberlegungen zum Untersuchungsmodell...................................... 89
2
Exploratorische Tiefeninterviews mit Konsumenten (Studie 1) ........... 92
3
Hypothesen des Untersuchungsmodells ............................................. 97 3.1 Determinanten ............................................................................. 97 3.1.1
Reputation........................................................................ 97
3.1.2
Markenpräsenz ................................................................ 98
3.1.3
Vertrauen ....................................................................... 100
3.1.4
Bevorzugte Behandlung................................................. 101
3.1.5
Direktmarketing .............................................................. 103
3.1.6
Wechselkosten............................................................... 105
3.1.7
Attraktivität von Alternativen........................................... 108
3.1.8
Mangel an Alternativen .................................................. 109
3.2 Erfolgswirkungen ....................................................................... 111
4
3.2.1
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums ............. 111
3.2.2
Bereitschaft zur Koproduktion ........................................ 114
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität ............................ 117 4.1 Definition und Relevanz von Konsumentenheterogenität.......... 117 4.2 Auswahl der beschreibenden Segmentvariablen ...................... 119
5
Das Untersuchungsmodell................................................................. 122
VI Empirische Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells ................................................................................................... 125 1
Ziel und Vorgehensweise .................................................................. 125
2
Methodische Grundlagen................................................................... 127 2.1 Konstruktmessung ..................................................................... 127 2.2 Kausalanalyse............................................................................ 135
XII 2.3 Finite Mixture-Analyse ............................................................... 138 3
Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (Studie 2) ........................................................................................... 141
4
Empirische Vorstudie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Studie 3) ............................................. 142
5
Empirische Studie zur Überprüfung der Untersuchungshypothesen (Studie 4)........................................................................ 150 5.1 Datenerhebung und deskriptive Analyse ................................... 150 5.2 Operationalisierung und Gütebeurteilung der Konstruktmessung ..................................................................... 152 5.2.1
Determinanten................................................................ 152
5.2.2
Commitment-Konstrukte ................................................ 157
5.2.3
Erfolgswirkungen............................................................ 159
5.2.4
Beschreibende Segmentvariablen ................................. 161
5.2.5
Überprüfung der Diskriminanzvalidität ........................... 163
5.2.6
Überprüfung auf Common-Method-Bias ........................ 164
5.3 Hypothesenprüfung und Ergebnisinterpretation ........................ 165 5.3.1
Ergebnisse der Kausalanalyse....................................... 165
5.3.2
Ergebnisse der Finite Mixture-Analyse .......................... 175 5.3.2.1 Schätzung der Segmente................................. 175 5.3.2.2 Charakterisierung der Segmente ..................... 183
VII Schlussbetrachtung .............................................................................. 188 1
Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse ................................ 188
2
Implikationen für die Forschung......................................................... 194
3
Implikationen für das Management.................................................... 198
Literaturverzeichnis..................................................................................... 207
XIII
Abbildungsverzeichnis Abbildung I-1:
Aufbau der Arbeit ................................................................. 8
Abbildung II-1:
Merkmale diskreter und relationaler Transaktionen........... 10
Abbildung II-2:
Entwicklungsprozess von Beziehungen............................. 12
Abbildung III-1:
Commitment-Konzeptualisierungen im Marketing ............. 25
Abbildung III-2:
Einordnung der Commitment-Konstrukte in bestehende Einstellungstheorien........................................................... 30
Abbildung III-3:
Weiterer Ablauf der Arbeit zur Verfolgung der Forschungsziele ................................................................. 68
Abbildung IV-1:
Theoretische Bezugspunkte für die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments ...................................................... 70
Abbildung IV-2:
Attraktivität und Abhängigkeit in Beziehungen................... 85
Abbildung V-1:
Vorgehen zur Konzeption des Untersuchungsmodells ...... 92
Abbildung V-2:
Ausgewählte Segmentierungskriterien im Überblick........ 119
Abbildung V-3:
Untersuchungsmodell ...................................................... 124
Abbildung VI-1:
Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells ..... 126
Abbildung VI-2:
Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Friseurkunden .................................................................. 167
Abbildung VI-3:
Basismodell mit standardisierten Pfadkoeffizienten für Werkstattkunden .............................................................. 168
Abbildung VII-1:
Empfehlungen für Segmentbearbeitung .......................... 205
XV
Tabellenverzeichnis Tabelle II-1:
Ausgewählte B2C-Studien mit Kundenwertsegmentierung ..... 16
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing ........... 23f. Tabelle III-2: Konzeptualisierung einstellungsorientierter CommitmentKonstrukte ................................................................................ 26 Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien................................................................... 33ff. Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment .................................... 37f. Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment ................................... 42ff. Tabelle III-6: Studien mit einstellungsorientierter Drei- und VierKonstrukt-Konzeptualisierung von Commitment...................... 50 Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment .................................................................... 53f. Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment.......................................................................... 57ff. Tabelle V-1:
Determinanten der vier Commitment-Konstrukte aus Konsumentensicht (n=22) ........................................................ 94
Tabelle V-2:
Determinantenauswahl der vier Commitment-Konstrukte für das Untersuchungsmodell .................................................. 96
Tabelle V-3:
Hypothesensystem im Überblick............................................ 123
Tabelle VI-1: Anspruchskriterien der ersten und zweiten Generation im Überblick ................................................................................ 134 Tabelle VI-2: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der exploratorischen Faktorenanalyse sowie des Cronbachschen Alphas (n=391) ............................................ 145 Tabelle VI-3: Güte der einzelnen Commitment-Konstrukte auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (n=391).......................... 146
XVI Tabelle VI-4: Gesamtvarianz und Eigenwerte (n=391) ............................... 147 Tabelle VI-5: Rotierte Faktorladungsmatrix (n=391) ................................... 148 Tabelle VI-6: Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (n=391) ................................. 149 Tabelle VI-7: Vergleich alternativer Messmodelle für Commitment (n=391)................................................................................... 150 Tabelle VI-8: Soziodemographika der Stichprobe (n=1.682) ...................... 152 Tabelle VI-9: Messung des Konstrukts Reputation (n=1.682)..................... 153 Tabelle VI-10: Messung des Konstrukts Markenpräsenz (n=1.682) ............. 154 Tabelle VI-11: Messung des Konstrukts Vertrauen (n=1.682) ...................... 154 Tabelle VI-12: Messung des Konstrukts Direktmarketing (n=1.682) ............. 155 Tabelle VI-13: Messung des Konstrukts bevorzugte Behandlung (n=1.682)................................................................................ 155 Tabelle VI-14: Messung des Konstrukts Wechselkosten (n=1.682).............. 156 Tabelle VI-15: Messung des Konstrukts Attraktivität von Alternativen (n=1.682)................................................................................ 156 Tabelle VI-16: Messung des Konstrukts Mangel an Alternativen (n=1.682)................................................................................ 157 Tabelle VI-17: Messung des Konstrukts Affektives Commitment (n=1.682)................................................................................ 158 Tabelle VI-18: Messung des Konstrukts Normatives Commitment (n=1.682)................................................................................ 158 Tabelle VI-19: Messung des Konstrukts Kalkulatives Commitment (n=1.682)................................................................................ 159 Tabelle VI-20: Messung des Konstrukts Kaptives Commitment (n=1.682)... 159 Tabelle VI-21: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (n=1.682)....................................................... 160 Tabelle VI-22: Messung des Konstrukts Bereitschaft zur Koproduktion (n=1.682)................................................................................ 161 Tabelle VI-23: Nutzung von Informationsquellen .......................................... 163
XVII Tabelle VI-24: Diskriminanzvalidität der Modellkonstrukte anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (n=1.682) .............................. 164 Tabelle VI-25: Chi-Quadrat-Differenztest der standardisierten Pfadkoeffizienten in den Basismodellen für Friseurkunden und Werkstattkunden ............................................................. 169 Tabelle VI-26: Totaleffekte auf den Beziehungserfolg .................................. 172 Tabelle VI-27: Kriterien zur Bestimmung der optimalen Klassenanzahl ....... 176 Tabelle VI-28: Segmentergebnisse der Finite Mixture-Analyse .................... 177 Tabelle VI-29: Segmentbezogene Totaleffekte auf den Beziehungserfolg ... 178 Tabelle VI-30: Anteil von Friseur- und Werkstattkunden in den Segmenten............................................................................. 179 Tabelle VI-31: Beschreibung der Segmente im Sample mit Friseurkunden ........................................................................ 185 Tabelle VI-32: Beschreibung der Segmente im Sample mit Werkstattkunden .................................................................... 186 Tabelle VI-33: Jährliches Kaufvolumen von Friseur- und Werkstattkunden .................................................................... 187
XIX
Abkürzungsverzeichnis AA
Attraktivität von Alternativen
AC
Affektives Commitment
AGE
Alter
AIC
Akaike Information Criterion
ANOVA
Einfaktorielle Varianzanalyse
AV
Anbieterbezogene Variable
B2B
Business-to-Business
B2C
Business-to-Consumer
BB
Bevorzugte Behandlung
BD
Beziehungsdauer
BF
Besuchsfrequenz
BIC
Bayesian Information Criterion
CD
Cronbachsches Alpha
CB
Cross-Buying
CFI
Comparative Fit Index
CL
Comparison Level
CLAlt
Comparison Level of Alternatives
DEV
Durchschnittlich erfasste Varianz
df
Anzahl der Freiheitsgrade
DM
Direktmarketing
E
Ergebnis einer Beziehung
EFA
Exploratorische Faktorenanalyse
EM-Algorithmus
Expectation-Maximation-Algorithmus
EV
Erklärte Varianz
FL-EFA
Faktorladung der exploratorischen Faktorenanalyse
XX FL-KFA
Standardisierte Faktorladung der konfirmatorischen Faktorenanalyse
FR
Faktorreliabilität
IFR
Informationsquelle „Freunde und Bekannte“
IIN
Informationsquelle „Internet“
IPR
Informationsquelle „Printmedien“
IR
Indikatorreliabilität
ITN
Informationsquelle „Testnutzung“
ITTK
Item to Total-Korrelation
KC
Kontinuierendes Commitment
KKC
Kalkulatives Commitment
KMC
Kombiniertes Commitment
KNC
Konatives Commitment
KP
Bereitschaft zur Koproduktion
KPC
Kaptives Commitment
KV
Kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable
KVOL
Kaufvolumen
LL
Logarithmierter Likelihood-Wert
L-M-R Test
Lo-Mendell-Rubin Likelihood Ratio Test
LSD-Test
Least-Significant-Difference-Test
LV
Langfristig beeinflussbare (strategische) Variable
MA
Mangel an Alternativen
MBA
Master of Business Administration
MP
Markenpräsenz
NC
Normatives Commitment
NFI
Normed Fit Index
NNFI
Non Normed Fit Index
XXI PP
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums
R2
Quadrierte Korrelation
REP
Reputation
RMSEA
Root Mean Squared Error of Approximation
SEX
Geschlecht
SRMR
Standardized Root Mean Residual
t-Wert FL
t-Wert der Faktorladung
USD
United States Dollar
VER
Vertrauen
VHB
Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft
WK
Wechselkosten
WV
Wettbewerbsbezogene Variable
-Test
Chi-Quadrat-Anpassungstest
2
1
I
Problemstellung und Forschungsziele
1
Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung für die Steuerung des Beziehungserfolgs
Das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements ist der Aufbau und die Pflege langfristig wertvoller Kundenbeziehungen.1 Die Fokussierung auf die langfristige Bindung von Kunden geht auf die Annahme zurück, dass langfristige Beziehungen einen höheren monetären Beziehungserfolg in Form höherer Umsatzerlöse und geringerer Marketingkosten aufweisen.2 Entsprechend wird in zahlreichen Praxisstudien die Bindung bestehender Kunden als ein wichtiger Erfolgsfaktor für steigende Gewinne hervorgehoben.3 In der wissenschaftlichen Forschung wird jedoch seit geraumer Zeit der positive Zusammenhang zwischen der Dauer der Kundenbeziehung und dem Beziehungserfolg in Frage gestellt.4 Studienergebnisse belegen beispielsweise, dass nicht zwangsläufig alle langfristig gebundenen Kunden höhere Preisbereitschaften oder geringere Betreuungskosten aufweisen müssen.5 Die alleinige Ausrichtung des Kundenbeziehungsmanagements auf die langfristige Bindung von Kunden kann demzufolge auch zu einer geringeren Profitabilität führen.6 Zur Umsetzung eines erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagements stellt sich somit die Frage, warum sich langfristige Kunden in ihrem Wert unterscheiden und wie sich der Kundenwert steuern lässt. Einen Erklärungsansatz hierzu liefern Überlegungen, die das wertsteigernde bzw. -mindernde Verhalten eines Kunden auf seinen Beweggrund zurückführen, warum er seine Anbieterbeziehung aufrechterhält.7
1
2 3
4 5 6 7
Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 133ff.; Homburg/Krohmer (2009), S. 501f. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108. Vgl. Roland Berger Strategy Consultants (2003), S. 5; Capgemini (2008), S. 1; BBDO Consulting (2009), S. 8f. Vgl. Dowling/Uncles (1997), S. 78. Vgl. Reinartz/Kumar (2000), S. 28; Reinartz/Krafft (2001), S. 1277. Vgl. Reinartz/Kumar (2002), S. 90. Vgl. Thomas (2001), S. 265f.; Lewis (2005), S. 233f.
2 Die Beweggründe zur Fortführung einer Beziehung werden in diversen Wissenschaftsdisziplinen dem Begriff Commitment subsumiert.8 Darunter lassen sich vier verschiedene Commitment-Konstrukte fassen, die jeweils einen eigenständigen Beweggrund zur Beziehungsfortführung beinhalten und hierdurch die bestehende Beziehung zu einem Anbieter charakterisieren: (1) emotional begründete Beziehung (Affektives Commitment), (2) moralisch begründete Beziehung (Normatives Commitment), (3) ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) und (4) „unfreiwillig“ begründete Beziehung (Kaptives Commitment).9 Diese Commitment-Konstrukte basieren auf unterschiedlichen Einstellungen, welche die Natur der jeweiligen Beziehung reflektieren.10 Sie beschreiben dadurch die Form der vom Kunden ausgehenden Bindung.11 Obwohl diese Commitment-Konstrukte grundsätzlich bekannt sind, werden in der Marketingwissenschaft fast ausschließlich die Einflussfaktoren und Erfolgswirkungen des Affektiven und Kalkulativen Commitments untersucht (vgl. Abschnitt III-3). Aussagen darüber, inwieweit sich alle vier Formen des Commitments in ihren Einflussfaktoren und Wirkungen auf den Beziehungserfolg unterscheiden, können auf dieser Erkenntnisbasis nicht getroffen werden. Es verwundert daher nicht, dass viele Marketingforscher Commitment nach wie vor als monolithisches Konstrukt behandeln und grundsätzlich von einer positiven Wirkung auf den Beziehungserfolg ausgehen.12 Folglich werden konsequent ältere Studien zitiert, die Commitment generalisiert als „[…] essential ingredient for successful longterm relationships”13 oder „[…] key to achieving valuable outcomes”14 beschreiben. Die Notwendigkeit, Commitment multipartial zu betrachten, indem die jeweiligen Beweggründe zur Beziehungsfortführung als eigenständige Konstrukte behandelt werden, wird aufgrund mangelnder Befunde zu negativen Erfolgswirkungen bestimmter Commitment8
9 10 11 12
13 14
Vgl. z.B. Adams/Jones (1997), S. 1178f.; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235f.; Meyer/ Becker/Vandenberghe (2004), S. 994ff. Vgl. z.B. Blau (2003), S. 469ff.; Blau/Holladay (2006), S. 700. Vgl. Meyer/Allen (1997), S. 10; Meyer/Herscovitch (2001), S. 323. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. z.B. Brown et al. (2005); Palmatier et al. (2006); Ramaseshan/Yip/Pae (2006); Palmatier/Dant/Grewal (2007); Tsiros/Ross/Mittal (2009). Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 78. Morgan/Hunt (1994), S. 23.
3 Konstrukte nicht gesehen. Dies steht im Gegensatz zu den Erkenntnissen aus der Organisationspsychologie, in der es als gesichert gilt, dass sich diese Commitment-Konstrukte in ihrem Einfluss auf bestimmte Verhaltensweisen eines Arbeitnehmers (z.B. Kündigungsabsicht, Abwesenheit und Arbeitsleistung) deutlich voneinander unterscheiden.15 Es ist eine plausible Annahme, dass die divergierende Wirkung dieser Commitment-Konstrukte nicht nur in Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, sondern auch in Anbieter-KundenBeziehungen auftritt und damit für den unterschiedlichen Beziehungserfolg langfristig gebundener Kunden mit verantwortlich ist. Ein multipartiales Commitment-Verständnis erscheint daher auch in der Marketingforschung sinnvoll und dringend angebracht.16 Nur so lässt sich eindeutig klären, welche der durch die Commitment-Konstrukte repräsentierten Bindungsformen sich vorteilhaft auf den Beziehungserfolg auswirken und wie sich diese und damit der Beziehungserfolg durch das Marketing steuern lassen. Die Beantwortung dieser Fragestellungen erleichtert es Unternehmen, ein differenziertes Kundenbeziehungsmanagement zu erhalten, umzusetzen und so ineffiziente Budgetallokationen zu vermeiden. Dies ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 2
Ziele der Arbeit
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist die grundlegende Annahme, dass eine multipartiale Betrachtung von Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) notwendig ist, um einen commitmentspezifischen Beziehungserfolg erkennen und gezielt steuern zu können. Zur Prüfung dieser Vermutung verfolgt diese Arbeit vier Forschungsziele. Das Forschungsziel I beinhaltet die theoretische Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments. Obwohl diese Konstrukte grundsätzlich bekannt sind, herrscht im Marketing Uneinigkeit über deren genaue inhaltliche Bedeutung. Dadurch kommt es teilweise zu gravierenden Abweichungen zwischen dem inhaltlichen Verständnis und der
15 16
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 311. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
4 jeweiligen Operationalisierung.17 Dies gilt insbesondere für das Kaptive Commitment, das bisher in den betrachteten Studien erst einmal untersucht wurde.18 Die Analyse individueller Wirkungen der vier Konstrukte auf den Beziehungserfolg ist auf dieser Basis unmöglich. Um dies aber zu ermöglichen und zukünftigen Forschungsarbeiten theoretisch fundierte CommitmentKonstrukte zu liefern, ist deren Konzeptualisierung anhand von theoretischen Bezugspunkten notwendig. Dieses Erkenntnisziel wird in der vorliegenden Arbeit erstmalig erreicht. Forschungsziel II umfasst die Sicherstellung der Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte. Damit die spezifische Wirkung dieser Konstrukte auf den Beziehungserfolg isoliert werden kann, muss gewährleistet sein, dass die vier Konstrukte jeweils nur einen spezifischen Beweggrund für die Fortführung einer Beziehung erfassen. Da diese Konstrukte aber noch nie zusammen eingesetzt wurden, ist die Prüfung der Diskriminanzvalidität erforderlich. In der vorliegenden Arbeit erfolgt diese Überprüfung umfassend in Anlehnung an die von Homburg und Giering (1996) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) vorgeschlagenen Verfahren der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-Quadrat-Differenztests.19 Die explizite Analyse der Diskriminanzvalidität als eigenes Forschungsziel erscheint angebracht, da die Problematik der hohen Korrelation zwischen einzelnen Commitment-Konstrukten häufig thematisiert wird20 und auch Gegenstand eigener Studien ist.21 Zusammen mit Forschungsziel I können damit erstmalig theoretisch fundierte und empirisch validierte Messmodelle für die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte entwickelt werden. Das Forschungsziel III besteht darin, die Einflussfaktoren und Wirkungen der vier Commitment-Konstrukte auf den Beziehungserfolg zu untersuchen. Dazu wird ein Untersuchungsmodell entwickelt, in dem Verhaltensabsichten als Erfolgsgrößen und spezifische, vom Unternehmen beeinflussbare Determinanten der einzelnen Commitment-Konstrukte berücksichtigt werden. Auf diese Weise können Steuerungsmöglichkeiten für die einzelnen Commitment17
18 19 20 21
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175. Vgl. Jones et al. (2007), S. 338. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 13; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240ff. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240; Bergman (2006), S. 646. Vgl. Blau (2003); Blau/Holladay (2006).
5 Konstrukte und damit auch für den Beziehungserfolg offengelegt werden. Zwar existiert bereits eine Vielzahl an Commitment-Studien in der Marketingforschung, allerdings konzentrieren sich diese nur auf bestimmte CommitmentKonstrukte, so dass ein Großteil der interessierenden Zusammenhänge als unerforscht gilt. Forschungsziel IV verfolgt die Identifikation von Konsumentensegmenten mit spezifischen Reaktionsprofilen auf die betrachteten Determinanten der Commitment-Konstrukte. Dies ist notwendig, da grundsätzlich von heterogenen Konsumenten ausgegangen werden muss.22 Die Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität wurde bisher in der Commitment-Forschung allerdings vernachlässigt. So wurde die Heterogenität von Konsumenten im Kontext der vier Commitment-Konstrukte lediglich für die Kausalitäten des Affektiven und Kalkulativen Commitments untersucht.23 Um zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten der vier Commitment-Konstrukte und damit des Beziehungserfolgs entwickeln zu können, reicht dies allerdings nicht aus. Die Berücksichtigung der Konsumentenheterogenität ermöglicht es in der vorliegenden Arbeit, Konsumentensegmente zu identifizieren und zielgruppenspezifische Determinanten zur Steigerung des Beziehungserfolgs aufzuzeigen. 3
Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Das diesem Abschnitt folgende Kapitel II beinhaltet den Beitrag des Kundenbeziehungsmanagements für den Unternehmenserfolg. Zunächst werden hierfür die Charakteristika von Kundenbeziehungen dargestellt (vgl. Abschnitt II-1) sowie der Kundenwert als Erfolgsmaßstab des Kundenbeziehungsmanagements eingeführt (vgl. Abschnitt II-2). In Abschnitt II-3 werden schließlich Arbeiten vorgestellt, die den Wert von Kundenbeziehungen thematisieren. In diesem Rahmen werden zudem Studien beschrieben, die Hinweise für den Zusammenhang zwischen dem Wert von Kundenbeziehungen und den verschiedenen Beweggründen für die Fortführung einer Beziehung liefern.
22 23
Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009).
6 Kapitel III dient der Darstellung des Commitment-Konzepts im Kontext der Kundenbeziehungsforschung. Dazu wird zunächst der Commitment-Begriff näher erläutert (vgl. Abschnitt III-1). Im weiteren Verlauf des Kapitels erfolgt eine Strukturierung der bisher im Marketing verwendeten Konzeptualisierungsansätze für Commitment (vgl. Abschnitt III-2.1) sowie deren Einordnung in etablierte Einstellungstheorien (vgl. Abschnitt III-2.2). Die Verwendung der Commitment-Konzeptualisierungen wird daraufhin in einem breiten Literaturüberblick näher beschrieben (vgl. Abschnitt III-3). Abschließend werden die in der Arbeit verfolgten Forschungsziele eingehend aus den bestehenden Forschungslücken hergeleitet (vgl. Abschnitt III-4). In Kapitel IV erfolgt die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments (Forschungsziel I). Als theoretische Bezugspunkte dienen die Soziale Identitäts-Theorie (vgl. Abschnitt IV-2), die Reziprozitäts-Theorie (vgl. Abschnitt IV-3), die Side bet-Theorie (vgl. Abschnitt IV-4) sowie die Soziale Interaktions-Theorie (vgl. Abschnitt IV-5). Die vorgestellten Theorien dienen außerdem als Grundlage für die im folgenden Kapitel herzuleitenden Hypothesen zu den vier Commitment-Konstrukten. In Kapitel V wird das Untersuchungsmodell zu den Determinanten und Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte konzipiert. Das Modell wird dazu exemplarisch auf die Branchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) ausgerichtet. Mittels einer qualitativen Vorstudie (vgl. Abschnitt V-2; Studie 1) wird zunächst anhand strukturierter Einzelinterviews mit Konsumenten (n=22) die Eignung der vier Commitment-Konstrukte für die beiden Untersuchungsbranchen überprüft. Im explorativen Teil der Interviews werden zudem mögliche Einflussfaktoren abgefragt. Dies dient der Auswahl relevanter Determinanten für die vier Commitment-Konstrukte im Untersuchungsmodell. Im Anschluss werden auf Basis der in Kapitel IV beschriebenen Theorien Hypothesen hergeleitet (vgl. Abschnitt V-3). In Abschnitt V-4 werden schließlich Variablen vorgestellt, die zur Beschreibung der später zu identifizierenden latenten Kundensegmente im Rahmen der Heterogenitätsanalyse benötigt werden. Kapitel VI beinhaltet die empirischen Studien zur Überprüfung des postulierten Modells. Dazu werden in Abschnitt VI-2 die dafür notwendigen
7 methodischen Grundlagen der Konstruktmessung, der Kausal- sowie der Finite Mixture-Analyse vorgestellt. Im Rahmen einer zweiten Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-3) werden die theoretisch erarbeiteten Itempools der verwendeten Konstrukte für die Hauptstudie optimiert. Zu diesem Zweck wird ein mehrstufiges Vorgehen gewählt, das zwei Expertenbefragungen mit Marketingwissenschaftlern (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26) beinhaltet. In der dritten Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-4; Forschungsziel II) wird die Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte auf Basis einer Konsumentenbefragung (n=391) gesondert analysiert. Im Rahmen der Hauptstudie (Studie 4) erfolgt schließlich die Überprüfung des in Kapitel V aufgestellten Untersuchungsmodells (vgl. Abschnitt VI-5.3.1; Forschungsziel III). Dies erfolgt mittels der Multigruppen-Kausalanalyse, die auf zwei Stichproben mit Kunden von Friseurstudios (n=842) und Autowerkstätten (n=840) zurückgreift. Weiterhin werden in Abschnitt VI-5.3.2 mit Hilfe des Finite Mixture-Ansatzes mehrere Kundensegmente identifiziert, wodurch die Konsumentenheterogenität im vorliegenden Datensatz (n=1.682) berücksichtigt wird. Anhand der beschreibenden Segmentvariablen werden die identifizierten Segmente schließlich charakterisiert (Forschungsziel IV). Zum Abschluss werden in Kapitel VII die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst (vgl. Abschnitt VII-1). Hieraus ergeben sich wichtige Implikationen für die weitere Forschung (vgl. Abschnitt VII-2) sowie für die Unternehmenspraxis (vgl. Abschnitt VII-3). Abbildung I-1 fasst das Vorgehen der Arbeit überblicksartig zusammen.
8 I Einleitung
II Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements Darstellung der Grundlagen zu Kundenbeziehungen (II-1) und zum Kundenwert (II-2) sowie Darstellung des Beitrags von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg (II-3)
III Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung Einführung des Commitment-Begriffs (III-1) und Darstellung von CommitmentKonzeptualisierungen im Marketing (III-2)
Bestandsaufnahme der Commitment-Forschung (III-3)
Ableitung der Forschungsziele der Arbeit (III-4)
Commitment-Betrachtung
Modell-Betrachtung
IV Theoretische Bezugspunkte 1
V Konzeption eines Untersuchungsmodells
Darstellung der Theorien und Verknüpfung mit den vier Commitment-Konstrukten (IV-2 – IV-5):
Tiefeninterviews zur Abfrage möglicher Determinanten der vier CommitmentKonstrukte (V-2)
(1) Soziale Identitäts-, (2) Reziprozitäts-, (3) Side bet- und (4) Soziale Interaktions-Theorie
Herleitung der Modellhypothesen (V-3) Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität (V-4)
VI Empirische Studien Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (VI-3)
2
Studie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der vier Commitment-Konstrukte (VI-4)
Hauptstudie in zwei Branchen (VI-5) Identifizierung von Determinanten und Konsequenzen der vier Commitment-Konstrukte (VI-5.3.1)
Test auf Konsumentenheterogenität und Identifizierung von Kundensegmenten (VI-5.3.2)
VII Schlussbetrachtung Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse (VII-1) sowie Darstellung der Forschungs- (VII-2) und Managementimplikationen (VII-3) Forschungsziel
Abbildung I-1: Aufbau der Arbeit
3
4
9
II
Erfolgsbeitrag des Kundenbeziehungsmanagements
1
Charakteristika von Kundenbeziehungen
Kundenbeziehungen sind im Wesentlichen als Austauschbeziehungen zu charakterisieren. Johnson und Selnes (2004) definieren eine Austauschbeziehung als „[…] a mechanism for creating value through the coordination of production, consumption, and related economic activities between a customer and a supplier.“24 Innerhalb einer Austauschbeziehung werden demnach die Bedürfnisse der Kunden mit den Angeboten und Fähigkeiten eines Anbieters zusammengeführt. Aus der Perspektive des Anbieters dient die Austauschbeziehung dazu, die Heterogenität der Kundenbedürfnisse zu verstehen, Angebote zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zu entwickeln und den Kunden durch Marketingaktivitäten im Wettbewerb mit anderen Anbietern zu gewinnen.25 Aus Kundenperspektive reflektiert die Austauschbeziehung das Ergebnis einer spezifischen Anbieterauswahl.26 Die Ausgestaltung von Austauschbeziehungen kann sich sehr unterschiedlich darstellen. Nach einer Typologisierung von MacNeil (1974) wird zwischen diskreten und relationalen Transaktionen unterschieden: x Diskrete Transaktionen werden beschrieben als „[…] sharp in by clear agreement; sharp out by clear performance […].“27 Solche Transaktionen sind nur auf einen bestimmten Zeitpunkt gerichtet und finden zwischen zwei Parteien statt, die ein vorerst einmaliges Geschäft abschließen und dabei keine soziale Beziehung entwickeln.28 In diesem Fall erfüllt die Austauschbeziehung aus Sicht des Anbieters dann ihren Zweck, sobald der Kunde das gewünschte Produkt erhält und dafür bezahlt.29 x Relationale Transaktionen sind hingegen durch ihre Langfristigkeit gekennzeichnet. Im Gegensatz zu diskreten Transaktionen gilt, dass „[…] each transaction must be viewed in terms of its history and its anticipated
24 25 26 27 28 29
Johnson/Selnes (2004), S. 2. Vgl. Reekie/Savitt (1982), S. 55ff. Vgl. Murphy/Enis (1986), S. 24ff. MacNeil (1974), S. 738. Vgl. MacNeil (1974), S. 856ff.; Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 12f.; Zimmer (2000), S. 8f. Vgl. Johnson/Selnes (2004), S. 2.
10 future.“30 Mit zunehmender zeitlicher Ausdehnung der Transaktionen bilden sich relationale Elemente aus, die für beide Beziehungspartner von Vorteil sind. So kommt es beispielsweise dazu, dass Anbieter und Kunde zusammenarbeiten, Informationen teilen, sich sozialisieren, Tätigkeiten integrieren und Ressourcen in die Beziehung investieren.31 Beide Transaktionsformen bilden die Endpunkte eines Kontinuums und stellen damit gegenpolige Ausprägungen dar (vgl. Abbildung II-1).32 Die Extremformen des Kontinuums sind in der Realität allerdings kaum anzutreffen. Vielmehr verfügen alle Transaktionen über mehr oder weniger stark ausgeprägte relationale Elemente.33
Diskrete Transaktion
• zeitpunktorientiert • kurzfristig • ohne sozialen Bezug • einmalig • ohne Abhängigkeit
Ausprägung relationaler Elemente
Relationale Transaktion
• zeitraumbezogen • langfristig • mit sozialem Bezug • regelmäßiger, informeller Informationsaustausch • kooperatives Verhalten • mit Abhängigkeit
Abbildung II-1: Merkmale diskreter und relationaler Transaktionen Quelle: In Anlehnung an MacNeil (1980), S. 14ff.; Werner (1997), S. 39; Zimmer (2000), S. 8.
Den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit bilden relationale Transaktionen, die, wie beschrieben, über wesentliche Vorteile gegenüber den rein diskreten Transaktionen verfügen. Sie sind außerdem Fokus des Kundenbeziehungsmanagements, dessen Ziel sowohl der Aufbau als auch die Pflege langfristiger und erfolgreicher Kundenbeziehungen darstellt.34 Geschäfts- und Kundenbeziehungen durchlaufen, vergleichbar mit den Überlegungen zur Lebenszyklustheorie, verschiedene Entwicklungsphasen.35 In der Marketingforschung existiert eine Vielzahl phasenbezogener Kunden-
30 31 32 33 34 35
Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 12. Vgl. Johnson/Selnes (2004), S. 2. Vgl. MacNeil (1980), S. 14ff.; Werner (1997), S. 39; Zimmer (2000), S. 8. Vgl. Saab (2007), S. 9. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 133ff. Vgl. z.B. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 11.
11 lebenszyklusmodelle,36 worunter dem sektorenübergreifend formulierten Ansatz von Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowohl in B2C-37 als auch B2BStudien38 besondere Beachtung gewidmet wird. Nach diesem Modell wird der Entwicklungsprozess einer Kundenbeziehung in fünf idealtypische Phasen unterteilt (vgl. Abbildung II-2):39 1. Die erste Phase des Modells (Kenntnisnahme) beschreibt die initiale Wahrnehmung und Identifikation eines Anbieters als potenziellen Geschäftspartner. Sie stellt damit den Ausgangspunkt für die Beziehungsanbahnung dar. 2. In der sich daran anschließenden Erkundungsphase finden erste Interaktionen zwischen dem Kunden und dem Anbieter statt. In diesem Beziehungsstadium werden Vor- und Nachteile der möglichen Austauschbeziehung gegeneinander abgewogen. Hierzu können einzelne Testkäufe erfolgen, um die Leistungsfähigkeit des Anbieters besser einschätzen zu können. 3. Als dritte Phase ist die Ausweitungsphase zu nennen, in der weitere Transaktionen zwischen Kunde und Anbieter getätigt werden und sich der beiderseitige Beziehungsnutzen zunehmend erhöht. Ein weiterer Unterschied zur vorherigen Phase liegt darin, dass sich die Partner nun in einem stärkeren Maße vertrauen und zufriedener mit den Ergebnissen der Beziehung sind. Dies bewirkt eine Intensivierung der Geschäftsbeziehung durch zusätzliche Investitionen. Die Zahl und Attraktivität der wahrgenommenen Alternativen sinkt, wodurch die Abhängigkeit vom Anbieter steigt. 4. Die sich anschließende vierte Phase ist durch die Entstehung von Commitment gekennzeichnet. Diese Phase reflektiert den fortgeschrittensten und wünschenswertesten Zustand der Anbieter-KundenBeziehung und bezieht sich auf ein explizites oder implizites Versprechen der Beziehungsfortführung zwischen den Partnern.
36 37 38 39
Vgl. Schmitz (1997), S. 67; Lorbeer (2003), S. 59. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235; von Stenglin (2008), S. 33. Vgl. z.B. Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 66; Saab (2007), S. 8. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.
12 5. Als fünfter und letzter Schritt beschreibt die Auflösungsphase eine mögliche Beendigung der Geschäftsbeziehung. Diese Phase beginnt mit der Absicht des Kunden, den Anbieter wechseln zu wollen, und kann bei Vorhandensein von adäquaten Alternativen schließlich zum tatsächlichen Abbruch der Beziehung führen. Zufriedenheit Vertrauen Investitionen
Dauer der Beziehung Kenntnisnahme
Erkundung
Ausweitung Commitment
Auflösung
Abbildung II-2: Entwicklungsprozess von Beziehungen Quelle: In Anlehnung an Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.; von Stenglin (2008), S. 33.
Zusammenfassend zeigt das Phasenmodell von Dwyer, Schurr und Oh (1987), dass sich Kundenbeziehungen über die Zeit entwickeln und je nach Zyklusphase unterschiedlich zu charakterisieren sind. Deutlich wird auch, dass das Commitment ein zentrales Konstrukt für langfristige Kundenbeziehungen darstellt.40 Dies wird auch umfassend durch eine Meta-Analyse von Palmatier et al. (2006) empirisch bestätigt.41 2
Kundenwert als Erfolgsgröße des Kundenbeziehungsmanagements
Der Kundenwert wird von Reichheld und Sasser (1990) als „[…] net present value of the profit streams a customer generates over the average customer
40 41
Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 20; Schmitz (1997), S. 102f. Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f.
13 life“42 definiert. Er dient als Maßstab für den Kapitalwert der als Investitionsobjekt betrachteten Kundenbeziehung.43 Der Kundenwert wird zudem als abhängige Variable des Kundenbeziehungsmanagements verstanden44 und eignet sich daher auch zur Messung der Zielerreichung des Kundenbeziehungsmanagements.45 Dies ist einerseits erforderlich, um die interne Forderung nach verlässlichen Steuerungsgrößen für Kundenbeziehungen zu erfüllen. Andererseits erfordert die zunehmende Kapitalmarktorientierung von Unternehmen die Bewertung von konkreten Marketingaktivitäten.46 Zudem kann es passieren, dass bei der Vernachlässigung des Kundenwerts unprofitable Kundenbeziehungen bearbeitet werden.47 Im Rahmen einer wertorientierten Unternehmensführung ist daher die Berücksichtigung von Erfolgsgrößen der Kundenbeziehung in Form des Kundenwerts notwendig.48 Für die Berechnung des Kundenwerts ist die Betrachtung seiner einzelnen Teilwerte erforderlich. Nach Bauer, Stokburger und Hammerschmidt (2006) können die Kundenwertbestandteile Basiswert, Loyalitätswert, Cross-SellingWert, Referenzwert sowie Kooperations- und Informationswert unterschieden werden. Dieses Verständnis wird auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt und nachfolgend erläutert:49 x Der Basiswert entspricht dem Mindestertrag, der relativ sicher erwartet werden kann. Er gilt als „autonomer“ Umsatz, der ohne den Einsatz von kundenspezifischen Marketingaktivitäten erzielt wird.50 x Der Loyalitätswert ergibt sich für den Anbieter durch zusätzliche Erfolgsbeiträge des Kunden. Diese können zum einen in Form von höheren Kaufmengen pro Transaktion (höhere Kaufintensität) und zum anderen in Form von häufigeren Transaktionen pro Periode (höhere Kauffrequenz) erfolgen. Neben der Möglichkeit, Kunden mehr desselben Produkts zu 42 43 44 45 46 47 48 49 50
Reichheld/Sasser (1990), S. 109. Vgl. Rust/Lemon/Zeithaml (2004), S. 112; Lewis (2005), S. 230f. Vgl. Lewis (2005), S. 230. Vgl. Bruhn (2009), S. 15. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 26ff. Vgl. Homburg (2007), S. 399. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 58. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 49ff. Vgl. Bauer/Hammerschmidt (2005), S. 334f.
14 verkaufen, ist auch das Up-Selling, d.h. der Verkauf höherpreisiger Güter derselben Produktkategorie, möglich.51 x Der Cross-Selling-Wert entspricht den zusätzlichen zukünftigen Erfolgsbeiträgen aus dem Absatz von Produkten außerhalb der Produktkategorie des Basisgeschäfts.52 Dabei handelt es sich nicht nur um den gekoppelten Verkauf voneinander unabhängiger Güter, sondern auch um die Bündelung von Komplementär- oder Substitutionsgütern sowie zeitlich aufeinanderfolgende Geschäfte.53 x Der Referenzwert eines Kunden bezieht sich auf dessen Erfahrungsaustausch über seinen Anbieter mit anderen potenziellen Kunden außerhalb der Geschäftsbeziehung.54 Diese Kommunikationsaktivität wird als Weiterempfehlung bezeichnet, durch die neue Kunden gewonnen sowie die Abwanderung bestehender Kunden verhindert werden können. Solche Referenzen werden aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaft als besonders vertrauenswürdig und kaufverhaltensrelevant angesehen.55 x Der Kooperationswert bezeichnet die Bereitschaft eines Kunden, sich in die Prozesse des Anbieters zur Leistungserstellung mit einzubringen.56 Dies hat insbesondere durch erzielbare Kostenreduktionen auf Seiten des Anbieters einen positiven Einfluss auf den Erfolgsbeitrag eines Kunden.57 x Der Informationswert quantifiziert den Informationsfluss zwischen den Geschäftspartnern einer Austauschbeziehung, der kundeninitiiert oder durch Anbietermaßnahmen induziert sein kann.58 Diese Informationen können beispielsweise Prozessinnovationen ermöglichen, die Kostensenkungen durch Effizienzverbesserungen und damit günstigere Transaktionen ermöglichen. Gleichfalls können daraus auch neue Erlösquellen in Form von Produktentwicklungen und -verbesserungen erschlossen werden.59 Auch Kundenbeschwerden werden als wertvolle Informationen 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Vgl. Bauer/Hammerschmidt (2005), S. 335. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 51. Vgl. Schäfer (2002), S. 52ff. Vgl. Bayón/Weber/von Wangenheim (2002), S. 181f. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 51. Vgl. Homburg/Schnurr (1998), S. 173. Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Tomczak/Rudolf-Sipötz (2006), S. 134. Vgl. Gruner/Homburg (1999), S. 124f.
15 angesehen, da Anbieter daraus Handlungsempfehlungen ableiten können, mittels derer Kundenzufriedenheit und -bindung positiv beeinflusst werden können.60 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements der Aufbau langfristiger und wertvoller Kundenbeziehungen ist. Die Zielerreichung wird dabei anhand des erzielten Kundenwerts bzw. einzelner Teilkomponenten des Kundenwerts ermittelt. Entscheidend ist nun die Frage, ob langfristige Kundenbeziehungen generell wertvoller sind und ob es Unterschiede im Wert solcher Beziehungen in Abhängigkeit bestimmter Einflussfaktoren gibt, die im Beziehungsmanagement berücksichtigt werden müssen. 3
Forschungsbefunde zum Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg
Eine generelle Annahme ist, dass Unternehmen mehr von langfristigen als von kurzfristigen Kundenbeziehungen profitieren.61 Überzeugende, aber nur konzeptionelle Argumente liefern hierzu beispielsweise Morgan und Hunt (1994), Sheth und Parvatiyar (1995) oder Bendapudi und Berry (1997). Ein weiterer in diesem Zusammenhang oft zitierter Artikel stammt von Reichheld und Sasser (1990). Die Autoren erläutern, wie langfristige Kundenbeziehungen zum Unternehmensprofit beitragen. Demnach neigen Kunden auf der einen Seite dazu, umso mehr Käufe zu tätigen, höhere Preise zu zahlen sowie neue Kunden zu werben, je länger die Kundenbeziehung andauert. Auf der anderen Seite profitiert das Unternehmen an den fallenden Kosten bei der Betreuung langfristiger Kunden.62 Reichheld und Sasser (1990) schlussfolgern daher: „As a customer´s relationship with the company lengthens, profits rise.“63 Mittlerweile kann diese pauschale Annahme nicht mehr aufrechterhalten werden. Zum einen zeigen Studien, dass sich Kundensegmente identifizieren lassen, die unterschiedlich wertvoll sind.64 Zum anderen werden Einfluss60 61 62 63 64
Vgl. Stauss/Seidel (2007), S. 38f. Vgl. Reinartz/Kumar (2000), S. 17. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108. Reichheld/Sasser (1990), S. 105. Vgl. hierzu auch Steiner (2009), S. 13ff.
16 faktoren erkannt, die je nach Segment die Wertigkeit der Kunden beeinflussen (vgl. Tabelle II-1). Autor/-en (Jahr) Reinartz/ Kumar (2000)
Studiencharakteristika Kunden eines Versandhändlers (B2C, n=9.167, stochastisches Modell)
x x x x x
Thomas (2001)
Mitglieder (im x Sinne von Kunden) einer x Pilotenorganisation (B2C, n=2.300, ökonox metrisches Modell)
x Lewis (2005)
Abonnenten einer x Zeitung (B2C, n=1.578, ökonox metrisches Modell)
x Homburg/ Steiner/ Totzek (2009)
Kunden jeweils x eines Finanz- und Telekomx munikationsanbieters (B2C, n1=100.000, n2=300.000, stochastisches Modell)
Zentrale Ergebnisse bzgl. segmentspezifischer Kundenwerte Identifikation von vier Segmenten im Kundenstamm Als Segmentierungskriterien werden Beziehungsdauer und -umsatz verwendet. Alle Segmente zeichnen sich durch eine unterschiedliche Profitabilität aus. In drei der vier Segmente nimmt die Profitabilität über die Zeit ab. In allen Segmenten sinken weder die Kundenbearbeitungskosten noch steigt die Zahlungsbereitschaft für höhere Preise über die Zeit. Identifikation von zwei latenten Segmenten im Kundenstamm Segment 1 wird im Vergleich zu Segment 2 durch eine kürzere Kundenbeziehungsdauer und einen niedrigeren Kundenwert beschrieben. In Segment 1 wird die Kundenbeziehungsdauer durch alle drei eingesetzten Marketingaktivitäten (Werbegeschenke, kostenlose Ergänzungsprodukte und kostenlose, eigenständige Produkte) beeinflusst. In Segment 2 wirken nur Werbegeschenke auf die Kundenbeziehungsdauer. Identifikation von zwei latenten Segmenten im Kundenstamm In Segment 1 steigern gewährte Rabatte und anfänglich niedrige Preise die Preissensibilität über die Zeit. Hier führen niedrige Preise und häufige Rabattaktionen zum maximalen Kundenwert. In Segment 2 fällt dagegen die Preissensibilität mit der Dauer des Abonnements. Hier steigert eine anfängliche Rabattaktion den Kundenwert. Identifikation von mehreren Segmenten je Kundenstamm Zur Beschreibung von Segmenten mit unterschiedlicher gegenwärtiger (zukünftiger) Kundenprofitabilität eignen sich Kaufverhaltensvariablen (Soziodemographika).
Tabelle II-1: Ausgewählte B2C-Studien mit Kundenwertsegmentierung Zunächst widerlegen Reinartz und Kumar (2000) die generalisierten Überlegungen von Reichheld und Sasser (1990). In ihrer Studie mit Kunden eines Versandhändlers zeigen sie, dass über die Beziehungsdauer weder die Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise automatisch steigt, noch die Kosten
17 zur Bearbeitung eines Kunden automatisch fallen. Vielmehr können sie nachweisen, dass hochprofitable Kundensegmente sowohl mit kurzer als auch langer Beziehungsdauer existieren. Eine mögliche Erklärung sehen sie in den grundlegenden Beweggründen der Kunden für die Fortführung ihrer Anbieterbeziehung. Das segmentspezifische Kaufverhalten ist demnach „[…] driven mostly by an affective momentum for the short-life, high-revenue customers or by a cognitive element for the long-life, high-revenue customers.“65 Für den Fall einer „unfreiwilligen” Kundenbeziehung aufgrund mangelnder Alternativen sehen die Autoren die Möglichkeit einer über die Zeit steigenden Profitabilität: „[…] loyalty might lead to increased profit over time if there is a forced ongoing relationship or an inertia-driven relationship, if costs of maintenance decrease over time at a faster rate than revenues fall off, and so forth.”66 Thomas (2001) identifiziert in seiner Untersuchung zum Kaufverhalten von Mitgliedern einer Pilotenorganisation zwei latente Segmente, die unterschiedlich auf den Einsatz von Marketinginstrumenten ansprechen. Während sich in dem einen Segment die Kundenbeziehungsdauer und der daraus kalkulierte Kundenwert durch ermäßigte und kostenlose Produkte sowie Werbegeschenke beeinflussen lassen, wirken im zweiten Segment lediglich Werbegeschenke auf die Dauer der Beziehung und den daraus abgeleiteten Kundenwert. Generell zeichnet sich das erste Segment durch eine niedrigere Kundenbeziehungsdauer und demzufolge einen niedrigeren Kundenwert aus. Als möglicher Grund für die unterschiedlichen Reaktionen der Segmentmitglieder auf diese Marketingaktivitäten wird der divergierende Anteil an Berufspiloten in den beiden Segmenten angeführt. Es ist davon auszugehen, dass Berufspiloten grundsätzlich einen anderen Beweggrund haben, Mitglied in der Pilotenorganisation zu sein, und dies ein Erklärungsansatz für das unterschiedliche Verhalten darstellt. Auch Lewis (2005) kommt in seiner Studie mit Zeitungsabonnenten zu dem Schluss, dass sich Unterschiede im Kundenwert auf die grundsätzlichen Beweggründe der Kunden für die Fortführung ihrer Beziehung zurückführen lassen. Von den beiden latenten Segmenten, die er identifiziert, weist eines eine generell höhere Preissensibilität aus. Weiterhin entwickelt sich die segmentspezifische Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, über die Zeit 65 66
Reinartz/Kumar (2000), S. 33. Reinartz/Kumar (2000), S. 27.
18 unterschiedlich. Während sich beim ersten Segment die Preissensibilität durch den Einsatz von Rabatten und niedrigen Einstiegspreisen weiter erhöht, sinkt beim zweiten Segment die Preissensibilität unabhängig vom Marketingeinsatz. Lewis (2005) vermutet, dass im ersten preissensibleren Segment überwiegend opportunistische Abonnenten vertreten sind, die auf Basis preisgetriebener, kalkulativer Überlegungen das Abonnement erwerben und wieder kündigen. So lässt sich der Kundenwert im preissensiblen Segment durch niedrige Einstiegspreise und häufige Rabattaktionen maximieren. Im zweiten Segment maximiert dagegen lediglich eine anfängliche Rabattaktion den Kundenwert. Somit zeigt der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der vorliegenden Beweggründe für eine Beziehungsfortführung einen unterschiedlichen Einfluss auf den Kundenwert. Eine weitere Studie von Homburg, Steiner und Totzek (2009) nutzt dagegen Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika zur Identifizierung von Segmenten mit unterschiedlicher Kundenprofitabilität. Die Autoren unterscheiden hierbei die gegenwärtige und zukünftige Profitabilität von Kunden eines Finanz- und Telekommunikationsdienstleisters. Zur Identifizierung von Segmenten mit divergierender gegenwärtiger Profitabilität erweisen sich die Kaufverhaltensvariablen der Kunden (z.B. Kaufvolumen und Cross-Buying) als die maßgeblichen Kriterien. Zur Bestimmung zukünftiger Kundenprofitabilität sind wiederum Soziodemographika (z.B. Alter, Geschlecht und Einkommen) die geeigneten Segmentierungskriterien. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Kunden weder gleich wertvoll sind, noch dass ihr Wert bei anhaltender Kundenbeziehung automatisch steigt. Vielmehr müssen im Kontext der Wertbetrachtung weitere Faktoren berücksichtigt werden. Dazu lassen sich anhand der exemplarisch ausgewählten Studien drei Gruppen von Variablen unterscheiden: 1. Reinartz und Kumar (2000) sowie Lewis (2005) postulieren, dass der Beweggrund, warum Kunden ihre Anbieterbeziehung aufrechterhalten, einen Einfluss auf den Wert des Kunden besitzt. 2. Thomas (2001) und Lewis (2005) vermuten, dass der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der Beweggründe für die Beziehungsfortführung unterschiedliche und teilweise sogar gegensätzliche
19 Effekte auf das Kundenverhalten und damit auf den Kundenwert hervorrufen. 3. Homburg, Steiner und Totzek (2009) nutzen Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika, um Kundensegmente mit unterschiedlicher Profitabilität zu identifizieren. 4
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen
In den vorangegangenen Abschnitten wurde zunächst auf die Charakteristika von Kundenbeziehungen eingegangen und ein mehrstufiges Phasenmodell des Kundenlebenszyklus von Dwyer, Schurr und Oh (1987) vorgestellt (vgl. Abschnitt II-1). Weiterhin wurden in Abschnitt II-2 die einzelnen Bestandteile des Kundenwerts erläutert, der für das Management von Kundenbeziehungen als Erfolgsmaßstab herangezogen wird. Abschließend wurden mehrere Forschungsbefunde vorgestellt, die den Beitrag von Kundenbeziehungen für den Unternehmenserfolg thematisieren (vgl. Abschnitt II-3). Zusammenfassend kann festgehalten werden: x Das Phasenmodell von Dwyer, Schurr und Oh (1987) dient als konzeptioneller Rahmen für das Verständnis von Kundenbeziehungen. Es werden hier die fünf idealtypischen Phasen Kenntnisnahme, Erkundung, Ausweitung, Commitment und Auflösung unterschieden. Darunter stellt das Commitment die wichtigste Phase der Kundenbeziehung dar, da in dieser ein explizites oder implizites Versprechen der Beziehungsfortsetzung zwischen den Partnern besteht. Diese Phase ist daher auch der Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. x Das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements besteht im Auf- und Ausbau von profitablen Kundenbeziehungen. Als Bewertungsmaßstab dafür wird der Kundenwert herangezogen, der üblicherweise in die Bestandteile Basiswert, Loyalitätswert, Cross-Selling-Wert, Referenzwert sowie den Kooperations- und Informationswert zerlegt wird.67 Der Kundenwert bzw. seine Komponenten werden daher als Erfolgsgröße für den empirischen Teil der Arbeit genutzt.
67
Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 49ff.
20 x Zahlreiche Studien zeigen, dass Kunden in ihrem Wertbeitrag nicht gleich sind und dass ihr Wert nicht zwangsläufig mit der Dauer der Kundenbeziehung steigt. Zwar kann der Kundenwert über Aktivitäten des Kundenbeziehungsmanagements beeinflusst werden, allerdings sind weitere Faktoren dafür verantwortlich, dass sich der Kundenwert unterscheidet. Es wird von mehreren Forschern vermutet, dass der Einsatz von Marketinginstrumenten in Abhängigkeit der vorliegenden Beweggründe für eine Beziehungsfortführung unterschiedliche bzw. keine Effekte auf die Wertsteigerung ausüben kann.68 Zur Erklärung des wertsteigernden bzw. -mindernden Verhaltens von Kunden reicht es daher nicht aus, solche Marketingaktivitäten isoliert zu betrachten. Vielmehr sollten beide Aspekte in einem Modell berücksichtigt werden, um das Kundenverhalten erklären zu können. Weiterhin können Kundensegmente mit unterschiedlichem Wert anhand von Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika identifiziert werden.69 Der Einsatz dieser Kriterien bei der Kundensegmentierung eignet sich vor allem deswegen, weil dadurch die gebildeten Kundensegmente eine hohe Ansprechbarkeit gewährleisten. Aufgrund der beschriebenen Gründe werden für diese Arbeit alle genannten Aspekte (Marketingaktivitäten, Beweggründe zur Beziehungsfortführung sowie Kaufverhaltensvariablen und Soziodemographika) Berücksichtigung finden. Für das weitere Vorgehen empfiehlt sich zunächst eine detaillierte Betrachtung des Commitments aus zwei Gründen. Erstens stellt das Commitment die zentrale Phase im Kundenbeziehungszyklus dar. Zweitens können über das Commitment die in Abschnitt II-3 angesprochenen Beweggründe für eine Beziehungsfortführung erfasst werden.
68 69
Vgl. Thomas (2001), S. 265f.; Lewis (2005), S. 233f. Vgl. Homburg/Steiner/Totzek (2009), S. 74.
21
III
Commitment im Kontext der Kundenbeziehungsforschung
1
Zum Commitment-Begriff
Dem anglo-amerikanischen Begriff Commitment stehen im Deutschen eine Vielzahl an unterschiedlichen Bedeutungen wie Engagement, Verpflichtung oder Bindung gegenüber.70 Den wissenschaftlichen Ursprung findet das Commitment-Konzept in den Disziplinen der Soziologie und der Psychologie. Erste Überlegungen in der Soziologie beziehen sich auf die gesellschaftlichen und sozialen Faktoren, die Individuen auf ein bestimmtes Verhalten festlegen.71 In der Psychologie wurde Commitment hingegen als Entscheidung oder Kognition definiert, die ein Individuum an eine bestimmte Verhaltensdisposition bindet.72 Bis dato hat sich das Commitment-Konstrukt vor allem in der Sozial- und Organisationspsychologie sowie im Marketing fest etabliert.73 In der Sozialpsychologie haben sich bis heute zahlreiche Anwendungsfelder für das Commitment-Konstrukt herausgebildet. Ein zentraler Bereich stellt die interpersonelle Commitment-Forschung (partner commitment) dar, welche die konsistente Fortführung eines Verhaltens gegenüber einem Partner betrachtet.74 Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit dem Commitment zu bereits getroffenen Entscheidungen (commitment to course of action).75 Von hoher Bedeutung sind auch die Forschungsfelder zum Commitment gegenüber persönlichen Zielen (goal commitment)76 und zur Berufswahl (occupational commitment)77, wobei das letztere Anwendungsgebiet meist im direkten Vergleich mit dem aus der Organisationspsychologie stammenden Commitment zum Arbeitgeber (organizational commitment) diskutiert wird.78
70 71 72 73
74 75 76 77
78
Vgl. Dietl/Lee (2007), S. 86f. Vgl. Becker (1960); Kanter (1968). Vgl. Festinger (1957); Kiesler (1971). Vgl. Meyer/Becker/Vandenberghe (2004), S. 991; Blau/Holladay (2006), S. 691ff.; Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. z.B. Finkel et al. (2002); Frank/Brandstätter (2002); Arriaga et al. (2006). Vgl. z.B. Simonson/Staw (1992); Bobocel/Meyer (1994); Moon (2001). Vgl. z.B. Oettingen/Pak/Schnetter (2001); Sue-Chan/Ong (2002); Koo/Fishbach (2008). Vgl. z.B. Irving/Coleman/Cooper (1997); Lee/Carswell/Allen (2000); Snape/Redman (2003). Vgl. Chang/Choi (2007), S. 300.
22 In der Organisationspsychologie besteht gerade im organizational commitment das zentrale Anwendungsgebiet. Commitment wird hier als „[...] the relative strength of an individual´s identification with and involvement in a particular organization“79 definiert. Commitment gilt in diesem Kontext als der zentrale Einflussfaktor auf das Wechselverhalten von Arbeitnehmern gegenüber ihrem Arbeitgeber.80 Weitere Studien befassen sich mit dem Commitment von Arbeitnehmern gegenüber organisatorischem Wandel (commitment to organizational change)81 sowie gegenüber organisatorischen Zielen (organizational goal commitment)82. In der Marketingwissenschaft wurde das Commitment-Konstrukt von Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowie Morgan und Hunt (1994) in die Kundenbeziehungsforschung eingeführt.83 Wie eine Meta-Analyse von Palmatier et al. (2006) zeigt, hat sich das Commitment-Konstrukt mittlerweile als zentraler Bestandteil des Kundenbeziehungsmanagements etabliert und dient als Mediator zwischen unabhängigen (Steuerungs-)Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen.84 Das CommitmentKonstrukt findet sich sowohl in B2B-85 als auch in B2C-Studien86 wieder. Beim Bezugsobjekt des Commitments wird unterschieden zwischen der Beziehung zu einem Unternehmen87, der geschäftlichen Beziehung zu einem Vertreter dieses Unternehmens88 oder der freundschaftlichen Beziehung zu diesem Vertreter89. Für das Commitment-Konstrukt existiert eine Reihe unterschiedlicher Begriffsbestimmungen im Marketing (vgl. Tabelle III-1). Ein erster und häufig verwendeter Definitionsansatz stammt von Dwyer, Schurr und Oh (1987), die Commitment als eine implizite oder explizite Bindung an einen Austauschpartner sehen.90 Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
Mowday/Porter/Steers (1982), S. 27. Vgl. z.B. Wright/Bonett (2002); Bentein et al. (2005); Sinclair et al. (2005). Vgl. z.B. Herscovitch/Meyer (2002); Herold/Fedor/Caldwell (2007); Herold et al. (2008). Vgl. z.B. Klein et al. (2001); Latham (2001); Jarzabkowski/Sillince (2007). Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19; Morgan/Hunt (1994), S. 20. Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. z.B. Jap/Ganesan (2000); Palmatier/Dant/Grewal (2007); Tsiros/Ross/Mittal (2009). Vgl. z.B. Verhoef (2003); Johnson/Herrmann/Huber (2006); Zeithammer (2007). Vgl. z.B. Gustafsson/Johnson/Roos (2005); Auh et al. (2007). Vgl. z.B. Hansen/Sandvik/Selnes (2003); Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007). Vgl. z.B. Jones/Taylor/Bansal (2008). Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19.
23 erkennen im Commitment den Wunsch, die Beziehung mit einem Geschäftspartner aufrechtzuerhalten.91 Anderson und Weitz (1992) sowie Morgan und Hunt (1994) gehen einen Schritt weiter und definieren Commitment als eine Verhaltensabsicht, Investitionen jeglicher Art zu tätigen, um eine Beziehung zu entwickeln bzw. diese fortzuführen.92 Eine mehrdimensionale Sichtweise vertreten dagegen Gundlach, Achrol und Mentzer (1995). Nach deren Verständnis beinhaltet Commitment ein beziehungsförderndes Verhalten, eine positive Einstellung gegenüber diesem Verhalten und eine temporale Komponente, welche die Langfristigkeit der Beziehung deutlich werden lässt.93 Diese exemplarische Aufzählung an häufig zitierten Commitment-Definitionen lässt allerdings erkennen, dass sich in der Vergangenheit kein Konsens über die Konzeptualisierung von Commitment im Marketing herausgebildet hat. Autor/-en (Jahr), Seite Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19
Definition von Commitment „Commitment refers to an implicit or explicit pledge of relational community between exchange partners.“
Anderson/Weitz (1992), S. 19
„[…] commitment to a relationship entails a desire to develop a stable relationship, a willingness to make shortterm sacrifices to maintain the relationship, and a confidence in the stability of the relationship.”
Moorman/Zaltman/Deshpandé „Commitment to the relationship is defined as an enduring (1992), S. 316 desire to maintain a valued relationship […].”
Morgan/Hunt (1994), S. 23
„[…] we define relationship commitment as an exchange partner believing that an ongoing relationship with another is so important as to warrant maximum efforts at maintaining it; that is, the committed party believes the relationship is worth working on to ensure that it endures indefinitely.”
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing (Teil 1/2)
91 92 93
Vgl. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316. Vgl. Anderson/Weitz (1992), S. 19; Morgan/Hunt (1994), S. 23. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 79.
24 Fortsetzung Autor/-en (Jahr), Seite
Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 79
Definition von Commitment „First, commitment is defined to possess an input or instrumental component, that is, an affirmative action taken by one party that creates a self-interest stake in the relationship and demonstrates something, more than a mere promise. Second, commitment includes an attitudinal component signifying an enduring intention by the parties to develop and maintain a stable long-term relationship […] Third, commitment is thought to embrace a temporal dimension, highlighting the fact that commitment means something only over long term, that is, the inputs and attitudes brought to the relationship must reveal consistency over time […].”
Tabelle III-1: Ausgewählte Commitment-Definitionen im Marketing (Teil 2/2) 2
Commitment-Konzeptualisierungen
2.1
Strukturierung der bestehenden Commitment-Konzeptualisierungen
Um eine geeignete Strukturierung der in der empirischen Marketingliteratur verwendeten Commitment-Konzeptualisierungen vornehmen zu können, ist es zunächst notwendig, die bestehenden Ansätze zu identifizieren. Im vorliegenden Fall kann dies nur über die jeweilige Konstruktoperationalisierung erfolgen, da die in der Literatur angebrachten Konzeptualisierungsversuche unzureichend sind und die inhaltliche Bedeutung des jeweils verwendeten Commitment-Konstrukts nur selten exakt erfassen.94 Insgesamt lassen sich so drei unterschiedliche Commitment-Konzeptualisierungen herausarbeiten, die im Folgenden näher beschrieben werden (vgl. Abbildung III-1).
94
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175.
25 CommitmentKonzeptualisierungen
einstellungsorientiertes Commitment
verhaltensorientiertes Commitment
kombiniertes einstellungsund verhaltensorientiertes Commitment
Existierende Konstrukte: • Affektives Commitment • Normatives Commitment • Kalkulatives Commitment • Kaptives1 Commitment • Kontinuierendes Commitment (bestehend aus Kalkulativem und Kaptivem Commitment)
Existierende Konstrukte: • Konatives1 Commitment (Messung einer Verhaltensabsicht oder eines tatsächlichen Verhaltens)
Existierende Konstrukte: • Kombiniertes1 Commitment (Messung einstellungsorientierter als auch verhaltensorientierter Aspekte in einem Konstrukt)
Verwendung: • Überwiegend wird das Affektive Commitment entweder einzeln oder zusammen mit dem Kalkulativen oder Kontinuierenden Commitment eingesetzt
Verwendung: • Das Konative Commitment wird in Studien überwiegend nur einzeln eingesetzt
Verwendung: • Das Kombinierte Commitment wird in Studien überwiegend nur einzeln eingesetzt
Abschnitt III-3.2
Abschnitt III-3.3
Abschnitt III-3.4
1 Neu eingeführte Bezeichnung, da sich in der Literatur bisher kein eigener Begriff durchgesetzt hat
Abbildung III-1: Commitment-Konzeptualisierungen im Marketing Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte geben einen Beweggrund wieder, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung grundsätzlich aufrechterhält.95 Die Konstrukte basieren somit auf unterschiedlichen Einstellungen, welche die Natur der jeweiligen Beziehung reflektieren und Auswirkungen auf die Entscheidung haben, diese Beziehung fortzuführen.96 Dadurch charakterisieren sie jeweils eine ganz bestimmte Form der vom Kunden ausgehenden Bindung.97 In der Literatur lassen sich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives98, Normatives99, Kalkulatives100, Kaptives101 und Kontinuierendes Commitment102 unterscheiden (vgl. Tabelle III-2). Das Kontinuierende Commitment beinhaltet allerdings keinen eigenen Beweggrund und vermischt die Aspekte des Kalkulativen und Kaptiven Commitments. Folglich wird es in der Literatur häufig kritisiert.103 Hervorzuheben ist, dass alle 95 96 97 98 99 100 101 102 103
Vgl. Scholl (1981), S. 590; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. Meyer/Allen (1997), S. 10; Meyer/Herscovitch (2001), S. 323. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236. Vgl. z.B. Auh et al. (2007), S. 364. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 242. Vgl. z.B. Gustafsson/Johnson/Roos (2005), S. 213. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. z.B. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 41. Vgl. Blau (2003), S. 470ff.; Blau/Holladay (2006), S. 692f.
26 angesprochenen Commitment-Konstrukte keine Verhaltensabsicht und kein konkretes Verhalten beschreiben. Sie werden daher nach dem Verständnis von Ajzen und Fishbein (1970) als einstellungsorientierte Konstrukte beschrieben,104 die der Verhaltensabsicht bzw. dem Verhalten vorgelagert sind.105 Einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte
Konzeptualisierung
Affektives Commitment (AC)
Das Affektive Commitment entspricht der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit einem Anbieter. Es beschreibt somit die emotional begründete Beziehung zu einem Anbieter.
Normatives Commitment (NC)
Das Normative Commitment basiert auf der Norm zur Reziprozität gegenüber einem Anbieter. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die moralische Verpflichtung, die empfangenen Leistungen in einer für den Anbieter nützlichen Form zurückzugeben.
Kalkulatives Commitment (KKC)
Das Kalkulative Commitment basiert auf der Wahrnehmung der ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die bei einem Anbieterwechsel entstehenden ökonomischen Nachteile.
Kaptives Commitment (KPC)
Das Kaptive Commitment beruht auf einer wahrgenommenen Abhängigkeit von einem Anbieter. Es beschreibt daher eine „unfreiwillige“ Beziehung zu einem Anbieter, die mehr aus einer Notwendigkeit als aus einer freien Entscheidung resultiert.
Kontinuierendes Commitment (KC)
Das Kontinuierende Commitment stellt eine Vermischung des Kalkulativen und Kaptiven Commitments dar, indem die inhaltlichen Aspekte beider Commitment-Konstrukte in einem Konstrukt integriert werden.
Tabelle III-2: Konzeptualisierung einstellungsorientierter Commitment-Konstrukte Das verhaltensorientierte Commitment-Konstrukt (Konatives Commitment) misst wiederum die Beziehungsaufrechterhaltung auf Basis eines konkreten Verhaltens oder einer Verhaltensabsicht.106 Kritisch zu sehen ist hier, dass das Konative Commitment eine inhaltliche Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten aufweist, die Verhalten oder Verhaltensabsichten beispielsweise in Form des Wiederkaufs107, des Zusatzkaufs108, der Zahlung eines Preispremiums109 oder der 104 105 106 107
Vgl. Ajzen/Fishbein (1970), S. 466ff. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235. Vgl. z.B. Jap/Ganesan (2000), S. 243. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352.
27 Koproduktion110 erfassen. In diesem Fall erfüllt das Konative Commitment keine mediierende Rolle zwischen den unabhängigen Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen, da es die verhaltensbezogenen Größen selbst integriert. Das kombiniert einstellungs- und verhaltensorientierte CommitmentKonstrukt (Kombiniertes Commitment) vermischt das Konative Commitment mit einem oder mehreren einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten.111 Hier gilt der gleiche Kritikpunkt, der bereits beim Konativen Commitment angeführt wurde. Die Berücksichtigung von Verhalten oder Verhaltensabsichten im Kombinierten Commitment führt zu einer inhaltlichen Überschneidung mit den loyalitätsbezogenen Konstrukten im Marketing. Zusammenfassend können drei Ansätze zur Konzeptualisierung von Commitment identifiziert werden. Darunter erweisen sich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte, insbesondere das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment, zum einen aufgrund ihrer inhaltlich trennscharfen Konzeptualisierungen und zum anderen durch die Erfassung spezifischer Beweggründe für die Beziehungsfortführung als besonders vorteilhaft. Diese Konstrukte stellen folglich auch den Forschungsfokus der vorliegenden Arbeit dar. 2.2
Einordnung bestehender Commitment-Konzeptualisierungen in etablierte Einstellungstheorien
Für ein besseres Verständnis der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Commitment-Konzeptualisierungen werden diese in die Einstellungstheorien nach Thurstone (1928) sowie Hovland und Rosenberg (1960) eingeordnet.112 Der Ausgangspunkt für beide Theorien stellt das Einstellungskonstrukt dar, das zunächst Gegenstand der Betrachtung ist. Das Einstellungskonstrukt verdankt seine Popularität in der Sozialpsychologie und Marketingwissenschaft der ihm zugeschriebenen
108
109 110 111 112
In Form von Anzahl gekaufter Dienstleistungen, vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2002), S. 208. Vgl. z.B. Fullerton (2003), S. 339. Vgl. z.B. Auh et al. (2007), S. 364. Vgl. z.B. Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 68. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff.; Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff.
28 Funktion als Prädiktor menschlichen Verhaltens.113 Die Einstellung wird in diesem Zusammenhang als Handlungsbereitschaft charakterisiert.114 Fishbein (1967) beschreibt die Einstellung als eine „[…] learned predisposition to respond to any object in a consistently favorable or unfavorable way.“115 Es existiert eine Vielzahl an Konzeptualisierungsversuchen der Einstellung. Bislang finden allerdings das von Hovland und Rosenberg (1960) vorgeschlagene Dreikomponentenmodell der Einstellung116 sowie der eindimensionale Ansatz von Thurstone (1928)117 die größte Beachtung.118 Beide Ansätze zeichnen sich durch den bewertenden Charakter der Einstellung aus.119 Das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) beschreibt, wie später auch Eagly und Chaiken (1993), die Einstellung als eine Kombination von kognitiven, affektiven und konativen Reaktionen auf ein bestimmtes Objekt. Eine Einstellung besitzt demnach eine affektive Komponente, die sich auf Gefühle und Werte begründet, eine kognitive Komponente, die sich vor allem durch die Überzeugungen und das Wissen einer Person bildet, und eine konative Komponente. Letztere beschreibt vor allem das eigene Verhalten gegenüber einem Objekt und begründet eine Verhaltensintention bzw. ein tatsächliches Verhalten.120 Allerdings kann die Einstellung auch dann zustande kommen, wenn nicht alle drei Reaktionen gleichzeitig auftreten.121 Die Messung der Einstellung über nur einen einzigen Einstellungswert ist jedoch unvorteilhaft, da in diesem Fall die drei Komponenten nur unzureichend wiedergegeben werden. Aus diesem Grund fordert Fishbein (1967) „[…] that beliefs and behavioral intentions must be studied in their own rights.“122 Weiterhin kritisiert Fishbein (1967) die Skalierung vieler der für das dreidimensionale Einstellungskonstrukt
113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Vgl. Franzoi (1996), S. 173. Vgl. Spencer (1862); Thomas/Znaniecki (1918), S. 21. Fishbein (1967), S. 483. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff. Vgl. Braunstein (2001), S. 96. Vgl. Ajzen/Fishbein (1977), S. 889. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198ff.; Eagly/Chaiken (1993), S. 1ff. Vgl. Franzoi (1996), S. 173. Fishbein (1967), S. 479.
29 verwendeten Messmodelle, da diese häufig nur die affektive Einstellungskomponente erfassen.123 Als Alternative bietet sich der eindimensionale Einstellungsansatz von Thurstone (1928) an, bei dem eine Einstellung lediglich mit dem Affekt gleichgesetzt wird.124 Überzeugungen als kognitive Komponente und die Verhaltensintention bzw. das tatsächliche Verhalten als konative Einstellungskomponente finden hier explizit keine Berücksichtigung. Insbesondere die Einstellungsforscher Petty und Cacioppo (1981) konzentrieren sich ausschließlich auf die affektive Komponente.125 Sowohl der eindimensionale Einstellungsansatz als auch das Dreikomponentenmodell der Einstellung sind in der Vergangenheit oft in wissenschaftlichen Studien verwendet worden.126 Die generelle Vorteilhaftigkeit eines bestimmten Ansatzes ist bis heute allerdings umstritten. Vielmehr hängt es vom Kontext ab, wann sich welcher der beiden Ansätze zur Erklärung der Einstellung am besten eignet. So empfehlen beispielsweise Schlegel und DiTecco (1982) die Erfassung der Einstellung als affektive Reaktion nur dann, wenn die relevanten Überzeugungen hinsichtlich des Einstellungsobjektes einfach, gering an der Zahl und widerspruchsfrei sind.127 Bei der Betrachtung der verschiedenen Commitment-Konzeptualisierungen (vgl. Abschnitt III-2.1) wird deutlich, dass es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das neben affektiven Reaktionen kognitive und je nach Konzeptualisierung auch konative Elemente in sich vereint. Der eindimensionale Einstellungsansatz von Thurstone (1928) eignet sich daher nur für die Einordnung bestimmter Commitment-Konstrukte. Es ist daher vorteilhafter, das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) für die Kategorisierung der Commitment-Konstrukte heranzuziehen. Abbildung III-2 verdeutlicht die Systematisierung der Commitment-Konstrukte nach beiden Einstellungstheorien.
123 124 125 126 127
Vgl. Fishbein (1967), S. 479. Vgl. Thurstone (1928), S. 529ff. Vgl. Petty/Cacioppo (1981), S. 7. Vgl. Braunstein (2001), S. 97. Vgl. Schlegel/DiTecco (1982), S. 17ff.
30
Einstellungstheorien
Commitment-Konstrukte
Dreikomponentenmodell der Einstellung nach Hovland/Rosenberg (1960) • Kombiniertes Commitment Eindimensionale Einstellung nach Thurstone (1928) Psychologischer Zustand als Ergebnis einer Emotion
• Affektives Commitment • Normatives Commitment
Kognition
Psychologischer Zustand als Ergebnis einer bewussten Wahrnehmung
• Kalkulatives Commitment • Kaptives Commitment • Kontinuierendes Commitment
Konation
Offenkundige Verhaltensabsichten
• Konatives Commitment
Affekt
Sammelbegriffe im Marketing
Kombiniert einstellungsund verhaltensorientiertes Commitment
Einstellungsorientiertes Commitment
Verhaltensorientiertes Commitment / Verhaltensorientierte Loyalität
Abbildung III-2: Einordnung der Commitment-Konstrukte in bestehende Einstellungstheorien Unter der auf Emotionen basierenden affektiven Komponente des Einstellungsmodells von Hovland und Rosenberg (1960) lässt sich das Affektive Commitment einordnen, das die Beziehung zu einem Anbieter aufgrund der sozialen Identifikation mit diesem beschreibt. Zu dieser Komponente kann ebenfalls das Normative Commitment gezählt werden, das eine Anbieterbeziehung resultierend aus der moralischen Norm der Reziprozität darstellt. Die auf bewussten Wahrnehmungen basierende kognitive Komponente des Einstellungsmodells wird durch das Kontinuierende Commitment bzw. dessen einzelne Bestandteile des Kalkulativen Commitments (Beziehung auf Basis von Kosten-Nutzen-Überlegungen) und des Kaptiven Commitments (Beziehung auf Basis wahrgenommener Abhängigkeit) repräsentiert. Die konative Komponente des Einstellungsmodells findet sich schließlich im Konativen Commitment wieder. Wie bereits aufgezeigt, stellt das Konative Commitment allerdings eine inhaltliche Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten dar, die Verhalten oder Verhaltensabsichten erfassen. Dadurch kann es seiner mediierenden Rolle zwischen unabhängigen Variablen und den kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensgrößen nicht mehr gerecht werden. Dies macht die Loslösung des Konativen Commitments vom Einstellungsmodell und eine gesonderte Betrachtung als rein
31 verhaltensorientiertes Konstrukt im Sinne einer verhaltensorientierten Loyalität zwingend notwendig. Die Abtrennung der konativen Komponente vom Einstellungsmodell entspricht auch dem Verständnis von Ajzen und Fishbein (1970), die das Verhalten bzw. die Verhaltensabsicht als Folge der Einstellung eines Individuums bzgl. eines konkreten Objekts sehen und nicht als Bestandteil der Einstellung.128 Im Marketing wird daher vom Konativen Commitment oft als verhaltensorientiertes (behavioral) Commitment gesprochen. Der Begriff einstellungsorientiertes (attitudinal) Commitment wird dagegen für die Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kontinuierendes, Kalkulatives und Kaptives Commitment verwendet.129 Die exakte Einordnung des Kombinierten Commitments in das Dreikomponentenmodell von Hovland und Rosenberg (1960) fällt schwer, da sich in diesem Konstrukt sowohl affektive, kognitive als auch konative Einstellungselemente wiederfinden. Es gilt hier der gleiche Kritikpunkt wie für das Konative Commitment. Bei der Verwendung dieses Konstrukts kommt es ebenfalls zu einer inhaltlichen Überschneidung mit den im Marketing verwendeten loyalitätsbezogenen Konstrukten. Im Folgenden wird daher das Kombinierte Commitment als eine kombinierte einstellungs- und verhaltensorientierte Konzeptualisierung behandelt. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass zu einem umfassenden Commitment-Verständnis auch die Berücksichtung der konativen Komponente grundsätzlich notwendig ist. Da allerdings in der bisherigen Kundenbeziehungsforschung der konative Aspekt als verhaltensorientierte Loyalität Eingang findet, ist es für die vorliegende Arbeit zweckmäßig, das Konative Commitment-Konstrukt in Tradition zur bestehenden Literatur als verhaltens- und nicht als einstellungsorientiert zu klassifizieren. Damit muss allerdings die Notwendigkeit eines Konativen Commitments in Frage gestellt werden, da es inhaltlich bereits durch andere Konstrukte abgedeckt wird. Gleiches gilt für das Kombinierte Commitment, das ebenfalls konative Elemente in sich vereint.
128 129
Vgl. Ajzen/Fishbein (1970), S. 466ff. Vgl. z.B. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
32 Zusammenfassend unterscheidet sich das einstellungsorientierte Commitment von der Einstellung in der fehlenden konativen Komponente, die im Marketing unter der verhaltensorientierten Loyalität bzw. dem verhaltensorientierten Commitment zu finden ist. Um die Problematik einer fehlenden Abgrenzbarkeit des Commitments von der Loyalität zu vermeiden, erscheint es im Marketingkontext daher vorteilhaft, ausschließlich die einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) zu verwenden. 3
Bestandsaufnahme der empirischen Commitment-Forschung
3.1
Strukturierung der betrachteten Literatur
Insgesamt wurden 38 Studien in den vorliegenden Literaturüberblick aufgenommen. Zur Auswahl geeigneter Studien dienten zwei Kriterien. Zum einen musste mindestens ein Commitment-Konstrukt in der Studie empirisch enthalten und zum anderen musste die Studie in einer Zeitschrift publiziert sein, die nach dem VHB Jourqual 2-Ranking130 als A oder A+ kategorisiert ist. Zusätzlich wurden zwei deutschsprachige Dissertationen in den Literaturüberblick mit aufgenommen.131 Tabelle III-3 stellt überblicksartig die in der vorliegenden Arbeit betrachteten Studien und die darin verwendeten Commitment-Konstrukte dar. Für den folgenden Literaturüberblick wurden die Commitment-Konstrukte auf Basis der in der jeweiligen Studie vorgenommenen Operationalisierung benannt. Da die ursprüngliche Konstrukt-Bezeichnung bzw. -Konzeptualisierung durch den Autor nicht in jeder Studie mit der angewandten Operationalisierung übereinstimmt, kann die Originalbezeichnung der Konstrukte irreführend sein. Tabelle III-3 gibt für jede Studie sowohl die Bezeichnung auf Basis der zugrunde liegenden Operationalisierung als auch die ursprüngliche Bezeichnung durch den Autor wieder.
130 131
Vgl. Schrader/Hennig-Thurau (2008). Vgl. Zimmer (2000); Martin (2009).
33
CommitmentKonzeptualisierung Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.2)
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Moorman/Zaltman/ Deshpandé (1992)
x
AC [Commitment]
Brown/Lusch/Nicholson (1995)
x x
AC [Normative Commitment] KKC [Instrumental Commitment]
Geyskens et al. (1996)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Garbarino/ Johnson (1999)
x
AC [Commitment]
Grayson/Ambler (1999)
x
AC [Commitment]
Gruen/Summers/Acito (2000)
x x x
AC [Affective Commitment] NC [Normative Commitment] KC [Continuance Commitment]
Zimmer (2000)
x x
AC [Innere Verbundenheit] KKC [Innere Verpflichtung]
Harrison-Walker (2001)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [High Sacrifice Commitment]
Gilliland/Bello (2002)
x x
AC [Loyalty Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Verhoef/Franses/Hoekstra (2002)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Calculative Commitment]
Fullerton (2003)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Continuance Commitment]
Hansen/Sandvik/Selnes (2003)
x x
AC [Affective Commitment] KC [Calculative Commitment]
Verhoef (2003)
x
AC [Affective Commitment]
Bansal/Irving/Taylor (2004)
x x x
AC [Affective Commitment] NC [Normative Commitment] KC [Continuance Commitment]
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 1/3)
34 Fortsetzung CommitmentKonzeptualisierung Einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.2)
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Gustafsson/Johnson/Roos x (2005) x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
x x x
KNC [Behavioral Commitment] AC [Affective Commitment] NC [Obligation-based Commitment] KC [Locked-in Commitment] KKC [Value-based Commitment]
Sharma/Young/Wilkinson (2006)132
x x
Verhaltensorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.3)
Auh et al. (2007)
x
AC [Affective Commitment]
Jones et al. (2007)
x x
AC [Affective Commitment] KPC [Calculative Commitment]
Palmatier/Dant/Grewal (2007)
x
AC [Commitment]
Davis-Sramek et al. (2009)
x x
AC [Affective Commitment] KKC [Calculative Commitment]
Martin (2009)
x x
AC [Affektives Commitment] KKC [Kalkulatives Commitment]
Gundlach/Achrol/Mentzer (1995)133
x
KNC [Long-term Commitment Intentions]
Andaleeb (1996)
x
KNC [Commitment]
Siguaw/Simpson/Baker (1998)
x
KNC [Commitment]
Jap/Ganesan (2000)
x
KNC [Commitment]
Tsiros/Ross/Mittal (2009)
x
KNC [Commitment]
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 2/3)
132
133
Aufgrund der überwiegenden Anzahl an einstellungsorientierten CommitmentKonstrukten wird die Studie von Sharma/Young/Wilkinson (2006) in die gleichnamige Kategorie eingeordnet. Zwar konzeptualisieren die Autoren Commitment über die Konstrukte Glaubwürdigkeit vergangener Beziehungsinvestionen, Verhaltensabsicht für zukünftige Investitionen und deren zeitliche Stabilität, doch nur die Verhaltensabsicht ist dem vorliegenden Commitment-Verständnis als Konatives Commitment zuzuordnen und wird daher ausschließlich betrachtet. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89.
35 Fortsetzung CommitmentKonzeptualisierung Kombinierte einstellungsund verhaltensorientierte Commitment-Konstrukte (vgl. Abschnitt III-3.4)
AC: KC: KPC: KMC:
Verwendete Commitment-Konstrukte [Bezeichnung in Studie]
Autor/-en (Jahr) Anderson/Weitz (1992)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und NC) [Commitment]
Scheer/Stern (1992)
x
KMC (bestehend aus KNC und KKC) [Commitment]
Ganesan (1994)
x
KMC (bestehend aus KNC und KKC) [Long-term Orientation]
Morgan/Hunt (1994)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Kumar/Scheer/Steenkamp x (1995)
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Mohr/Fisher/Nevin (1996)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Hennig-Thurau/Gwinner/ Gremler (2002)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Brown et al. (2005)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Johnson/Herrmann/Huber (2006)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Affective Commitment]
Ramaseshan/Yip/Pae (2006)
x
KMC (bestehend aus KNC und AC) [Commitment]
Dean (2007)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und NC) [Affective Commitment]
Jones/Taylor/Bansal (2008)
x
KMC (bestehend aus KNC, AC und KKC) [Commitment]
Affektives Commitment Kontinuierendes Commitment Kaptives Commitment Kombiniertes Commitment
NC: Normatives Commitment KKC: Kalkulatives Commitment KNC: Konatives Commitment
Tabelle III-3: Konzeptualisierung von Commitment in ausgewählten Marketingstudien (Teil 3/3) In den betrachteten Studien herrscht Uneinigkeit darüber, ob Commitment einstellungs- und/ oder verhaltensorientiert konzeptualisiert werden sollte. Studien, die Commitment rein verhaltensorientiert verwenden (Konatives Commitment), finden sich überwiegend im B2B-Bereich.134 Die Mehrheit der Studien konzeptualisiert Commitment allerdings einstellungsorientiert und 134
Vgl. z.B. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 90; Andaleeb (1996), S. 90; Jap/Ganesan (2000), S. 243.
36 verwendet folglich das Affektive, Normative, Kalkulative, Kaptive und Kontinuierende Commitment.135 Entsprechend werden die Messmodelle operationalisiert, indem affektive136 und/ oder kognitive137 Einstellungskomponenten abgebildet werden. Überwiegend werden jedoch nur das Affektive, Kalkulative und Kontinuierende Commitment eingesetzt. Studien mit dem Normativen138 oder Kaptiven Commitment139 finden sich dagegen kaum. Weiterhin existieren Studien, die keine klare Trennung zwischen einstellungsund verhaltensorientiertem Commitment vornehmen und beide Aspekte im Kombinierten Commitment-Konstrukt vereinen.140 Zudem gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Anzahl der zu verwendenden Commitment-Konstrukte. Einige Studien nutzen lediglich ein Commitment-Konstrukt,141 während andere Commitment in Form von zwei Konstrukten konzeptualisieren.142 In zwei neueren Marketingstudien von Gruen, Summers und Acito (2000) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) finden sich Ansätze, die sich an die Commitment-Konzeptualisierung von Allen und Meyer (1990) aus der Organisationspsychologie anlehnen, die das Affektive, Normative und Kontinuierende Commitment verwenden.143 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Commitment zwar Eingang in eine Vielzahl von Studien findet, allerdings die genaue Konzeptualisierung sowohl in der Art als auch in der Anzahl der verwendeten Commitment-Konstrukte stark variiert. Folglich sind bei der sich anschließenden Studienbetrachtung auch sehr unterschiedliche Erkenntnisse zu den Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte zu erwarten.
135
136 137 138
139 140
141 142
143
Vgl. z.B. Verhoef (2003), S. 43; Auh et al. (2007), S. 364; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 191. Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999), S. 84. Vgl. z.B. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 41; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 242; Sharma/ Young/Wilkinson (2006), S. 78. Vgl. Jones et al. (2007), S. 352. Vgl. z.B. Siguaw/Simpson/Baker (1998), S. 108; Johnson/Herrmann/Huber (2006), S. 127; Ramaseshan/Yip/Pae (2006), S. 68. Vgl. z.B. Johnson/Herrmann/Huber (2006); Auh et al. (2007); Dean (2007). Vgl. z.B. Hansen/Sandvik/Selnes (2003); Gustafsson/Johnson/Roos (2005); Jones et al. (2007). Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 46; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235.
37 3.2
Studien mit einstellungsorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Bei der einstellungsorientierten Konzeptualisierung von Commitment greifen die Autoren in ihren Studien entweder auf ein einzelnes einstellungsorientiertes Commitment-Konstrukt oder auf mehrere dieser Art zurück. Hervorzuheben ist, dass bei der Verwendung eines einzigen einstellungsorientierten Commitment-Konstrukts ausschließlich das Affektive Commitment berücksichtigt wird (vgl. Tabelle III-4). Solche Studien werden zunächst im Folgenden näher beschrieben.
Autor/-en (Jahr) Moorman/ Zaltman/ Deshpandé (1992)
Untersuchungsobjekt Marktforschungsnutzer und -anbieter (B2B, n=779, Regressionsanalyse)
Garbarino/ Johnson (1999)
Kunden eines Theaters (B2C, n=401, Kausalanalyse)
Grayson/ Ambler (1999)
Kunden von Werbeagenturen (B2B, n=200, Regressionsanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Vertrauen (+, stärker bei (der Marktforinterorganisationalen schungsnutzer Beziehungen) und -anbieter) x wahrgenommene Qualität der Interaktion (+) Konsequenz (bei Marktforschungsnutzern): x Nutzung von Marktforschungsinformationen (+, stärker bei intraorganisationalen Beziehungen und Beziehungen zwischen Marketingmanagern) Affektives Determinanten bei hoher Commitment Beziehungsorientierung: (des Kunden) x Einstellung ggü. Aufführung (+) x Familiarität mit Schauspielern (+) x Vertrauen (+) Determinante bei niedriger Beziehungsorientierung: x Zufriedenheit (+) Konsequenz bei hoher Beziehungsorientierung: x Loyalitätsabsicht (+) Determinanten: Affektives Commitment x Erwartungen an Geschäftspartner (des Kunden) (+) x Vertrauen (+) x wahrgenommene Qualität der Interaktion (+)
Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/2)
38 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Verhoef (2003)
Auh et al. (2007)
Palmatier/ Dant/ Grewal (2007)
Untersuchungsobjekt Kunden eines Finanzanbieters (B2C, n=1.128, Probit Analyse, Regressionsanalyse) Kunden von Finanzanbietern (B2C, n=1.197, Kausalanalyse) und Ärzten (B2C, n=100, Kausalanalyse) Händler (B2B, n=396, Kausalanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Konsequenzen: Commitment x Share-of-Wallet (+) (des Kunden) x Wiedernutzung (+)
Affektives Commitment (des Kunden)
Konsequenz bei Branche Finanzanbieter: x Koproduktion (+)
Affektives Commitment (des Händlers)
Determinanten in Teilstudie 1: x Interdependenz der Beziehungspartner (+) x Relationale Normen (+) x Vertrauen (+) Konsequenzen in Teilstudie 1: x Ausmaß an Konflikten (-) x Finanzieller Erfolg (+) x Kooperation (+, stärker bei hoher Unsicherheit ggü. Veränderungen in der Umwelt sowie bei hoher Heterogenität von Kundenbedürfnissen) x Umsatzwachstum (+) Konsequenz in Teilstudie 2: x Interdependenz der Beziehungspartner (+) Konsequenz in Teilstudie 3: x Relationale Normen (+)
Tabelle III-4: Studien mit einstellungsorientierter Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/2) Zwei B2B-Studien thematisieren die Bedeutung des Affektiven Commitments in verschiedenen Beziehungsdyaden. In diesem Kontext untersuchen Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) die Faktoren, die das Verhalten der Informationsbeschaffung und -nutzung von Informationsanbietern (Marktforschern) und Informationsnutzern (Marktforschungsnutzern) beeinflussen. Sie postulieren, dass je nach vorliegender Beziehungsdyade die Kausalitäten zentraler Konstrukte wie die des Affektiven Commitments variieren und damit die Art des Umgangs mit Informationen beeinflusst wird. Zur Operationalisierung der Beziehungsdyaden unterscheiden die Autoren die
39 Marktforschungsnutzer in reine Marketingmanager und fachfremde Manager. Bei den Marktforschungsanbietern werden Anbieter im eigenen mit denen in externen Unternehmen verglichen. Es zeigt sich, dass Affektives Commitment in intraorganisationalen Dyaden die Nutzung von Marktforschungsinformationen stärker determiniert als in interorganisationalen Dyaden. Da Mitglieder der gleichen Organisation ähnliche Werte teilen und sich näher stehen, womit die Entstehung des Affektiven Commitments wahrscheinlicher ist, wird das Verhalten hinsichtlich der Nutzung von Informationen dadurch auch stärker beeinflusst. Zudem lässt sich nachweisen, dass Affektives Commitment in Beziehungen zwischen Marketingmanagern einen höheren Effekt auf die Nutzung von Marktforschungsinformationen besitzt als in anderen Dyaden. Dies wird durch die vergleichsweise stärkere Vertrautheit von Marketingmanagern untereinander als zwischen Managern fachfremder Gebiete erklärt. Die Studie von Grayson und Ambler (1999) repliziert und erweitert die Untersuchung von Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992). Die Autoren untersuchen dabei die Beziehung zwischen Werbeagenturen und ihren Kunden. Die Nutzung der Agenturdienstleistung erweist sich im Gegensatz zu den Ergebnissen von Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) allerdings nicht als signifikante Konsequenz des Affektiven Commitments. Auch wenn Moorman, Zaltman und Deshpandé (1992) diesen Zusammenhang nicht in allen Subsegmenten ihres Datensatzes nachweisen können, erscheint diese Beziehung abhängig vom Industriekontext zu sein. Garbarino und Johnson (1999) betrachten die Fragestellung, inwieweit sich Theaterbesucher in ihrem Beziehungsverhalten unterscheiden. Dafür trennen sie die Probanden anhand ihrer entweder rein transaktionalen (niedrigen Beziehungsorientierung) oder relationalen Beziehung (hohen Beziehungsorientierung) in zwei Gruppen. In zwei Teilstudien modellieren die Autoren in Abhängigkeit der Beziehungsorientierung die Zufriedenheit bzw. das Vertrauen und das Affektive Commitment als Determinanten der Treueabsicht. Für Kunden mit hoher Beziehungsorientierung werden Vertrauen und Affektives Commitment als Determinanten der Loyalitätsabsicht identifiziert. Bei Kunden mit reiner Transaktionsorientierung ist hingegen die Zufriedenheit der zentrale Einflussfaktor. Bei relationalen Kunden gelingt weiterhin der
40 Nachweis, dass das Affektive Commitment als Mediator zwischen dem Theater-Image und dem Loyalitätskonstrukt fungiert. Mittels einer vierjährigen Längsschnittuntersuchung testen Palmatier, Dant und Grewal (2007) verschiedene Theorien zur Erklärung erfolgreicher Beziehungen in Distributionskanälen. Neben der Commitment-Trust-Theorie von Morgan und Hunt (1994)144 werden auch weitere Theorien basierend auf Abhängigkeiten,145 relationalen Normen146 und Transaktionskosten147 herangezogen, um die Wirkung des Affektiven Commitments auf den finanziellen und relationalen Erfolg einer Beziehung zu testen. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass lediglich das Affektive Commitment und beziehungsspezifische Investitionen in allen auf den vier Theorien beruhenden Modellen einen positiven direkten Effekt auf die beiden Finanzkennzahlen Umsatzwachstum und finanziellen Erfolg zeigen. Hinsichtlich der Variablen Kooperation und Konfliktvermeidung kann neben dem Affektiven Commitment und beziehungsspezifischen Investitionen auch das Vertrauen als Kerndeterminante über alle Modelle ausgewiesen werden. Weitere Studien, die explizit einzelne Kundenwert-Treiber als direkte und indirekte Konsequenz des Affektiven Commitments untersuchen, stammen aus dem B2C-Kontext. So analysiert Verhoef (2003) die ökonomischen Konsequenzen des Affektiven Commitments. In seiner Längsschnittstudie mit Kunden eines Versicherungsanbieters weist er nach, dass Affektives Commitment im Zeitverlauf sowohl einen positiven Effekt auf den Share-ofWallet als auch auf die Kundenbindung im Sinne einer Wiedernutzung der Versicherungsdienstleistungen ausübt. Auh et al. (2007) untersuchen den Beitrag des koproduzierenden Verhaltens auf den Kundenwert sowohl in Kundenbeziehungen zu einem Finanzdienstleister als auch in Arzt-Patienten-Beziehungen. Darüber hinaus wird untersucht, ob Affektives Commitment koproduzierendes Verhalten begünstigt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich ein positiver Effekt des Affektiven Commitments auf die Koproduktion nur in der Teilstudie zu Finanzdienstleistungen nachweisen lässt. Die Autoren erklären den nicht signifikanten 144 145 146 147
Vgl. Morgan/Hunt (1994), S. 20. Vgl. Bucklin/Sengupta (1993); Hibbard/Kumar/Stern (2001). Vgl. Macneil (1980). Vgl. Williamson (1975).
41 Zusammenhang bei Arzt-Patienten-Beziehungen mit dem traditionell starken paternalistischen Rollenmodell zwischen Arzt und Patient. Demnach nehmen Patienten eine wesentlich passivere Rolle bei Arztbesuchen ein, als dies beim Besuch ihres Finanzdienstleisters der Fall ist. Zusammenfassend lässt sich für die Studien mit einer einstellungsorientierten Ein-Konstrukt-Konzeptualisierung festhalten: x Alle Autoren, die nur ein einzelnes der einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte in ihrer jeweiligen Studie verwenden, greifen ausschließlich auf das Affektive Commitment zurück. Dem Affektiven Commitment kann demnach unter den einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten eine zentrale Bedeutung zugesprochen werden. x Die in den betrachteten Studien identifizierten Konsequenzen des Affektiven Commitments sind ausschließlich positiv. x Als signifikante Moderatoren der Zusammenhänge mit dem Affektiven Commitment können die Beziehungsorientierung148, die Art der Beziehungsdyade149, die Unsicherheit gegenüber Veränderungen in der Umwelt und die Heterogenität von Kundenbedürfnissen150 identifiziert werden. Weiterhin deuten die Ergebnisse von Auh et al. (2007) und die divergierenden Befunde von Grayson und Ambler (1999) sowie Moorman, Zaltman und Desphandé (1992) auf einen moderierenden Einfluss der Branche hin.151 Bei der einstellungsorientierten Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment werden zwei eigenständige einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte verwendet. Die getroffene Auswahl der beiden Konstrukte variiert dabei je nach Studie (vgl. Tabelle III-5).
148 149 150 151
Vgl. Garbarino/Johnson (1999), S. 80. Vgl. Moorman/Zaltman/Desphandé (1992), S. 321. Vgl. Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 184. Vgl. Moorman/Zaltman/Desphandé (1992); Grayson/Ambler (1999); Auh et al. (2007), S. 366.
42 Autor/-en (Jahr) Brown/ Lusch/ Nicholson (1995)
Geyskens et al. (1996)
Zimmer (2000)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Determinanten: Affektives Commitment x Machtausübung durch Hersteller (des Händlers) (-, stärker bei hoher Macht des Händlers) x Steuerung über Information und Expertise durch Hersteller (+) Konsequenz: x Vorsteuergewinn (+) Determinanten: Kalkulatives Commitment x Machtausübung durch Hersteller (+) (des Händlers) x Steuerung durch Hersteller über Information und Expertise (-, stärker bei hoher Macht des Händlers) Determinanten: Händler von Affektives AutomobilherCommitment x Gegenseitige Abhängigkeit (+) stellern (B2B, (des Händlers) x Vertrauen (+) n=706, RegresKalkulatives Determinanten: sionsanalyse) Commitment x Gegenseitige Abhängigkeit (+) (des Händlers) x Vertrauen (-) Determinanten: Hersteller von Affektives Industrieprodukten Commitment x Investitionen des Kunden (+) (B2B, n=121, (des Herx Konstruktiver Widerspruch des Kausal- und stellers) Kunden (+) Clusteranalyse) x Offenheit der Kommunikation des Kunden (+) x Opportunismus des Kunden (-) Konsequenzen: x Beziehungsfortführung (+) x Investitionen (+) x Offenheit der Kommunikation (+) x Konstruktiver Widerspruch (+) x Opportunismus (-) x Suche nach Alternativen (-) Kalkulatives Determinanten: Commitment x Bedeutung des Kunden (+) (des Herx Investitionen (+) stellers) Untersuchungsobjekt Händler von Agrarequipmentherstellern (B2B, n=203, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/4)
43 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) HarrisonWalker (2001)
Gilliland/ Bello (2002)
Verhoef/ Franses/ Hoekstra (2002)
Fullerton (2003)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Konsequenzen: Commitment x Positive Valenz der (des Kunden) Weiterempfehlung (+) x Weiterempfehlungsfrequenz (+) Kalkulatives Keine signifikanten Zusammenhänge Commitment (des Kunden) Hersteller von Affektives Determinanten: Industrieprodukten Commitment x Investitionen des Abnehmers (+) (B2B, n=314, (des Herx Vertrauen des Herstellers (+) Kausalanalyse) stellers) Konsequenz: x Zusammenarbeit ohne vertragliche Regeln (+) Kalkulatives Determinanten: Commitment x Abhängigkeit vom Abnehmer (+) (des Herx Exklusivität des Abnehmers (+) stellers) x Investitionen des Herstellers (+) Konsequenzen: x Zusammenarbeit mit vertraglichen Regeln (+) x Zusammenarbeit ohne vertragliche Regeln (-) Kunden eines Konsequenzen: Affektives Finanzanbieters Commitment x Abgabe von Weiterempfehlungen (B2C, n=1.677, (des Kunden) (+) Probit- und x Anzahl gekaufter Produkte (+, Regressionsstärker bei hoher Beziehungsdauer) analyse) Kontinuieren- Keine signifikanten Zusammenhänge des Commitment (des Kunden) Studenten als Affektives Konsequenzen: fiktive Kunden Commitment x Bereitschaft zur Zahlung eines eines Mobilfunk(des Kunden) Preispremiums (+) anbieters (B2C, x Wechselabsicht (-) n=92, Varianzx Weiterempfehlungsabsicht (+) analyse) Kontinuieren- Konsequenzen: des Commit- x Wechselabsicht (-) ment (des x Weiterempfehlungsabsicht (-) Kunden) Untersuchungsobjekt Kunden von Friseurstudios und Tierarztpraxen (B2C, n=471, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/4)
44 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Hansen/ Sandvik/ Selnes (2003)
Untersuchungsobjekt Kunden einer Bank (B2C, n=335, Kausalanalyse)
Gustafsson/ Johnson/ Roos (2005)
Kunden eines Telekommunikationsanbieters (B2C, n=2.715, Regressionsanalyse) Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, n=863, Kausalanalyse)
Jones et al. (2007)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Determinanten: Affektives Commitment x Affektives Commitment ggü. (des Kunden Mitarbeiter (+) ggü. Bank) x Kontinuierendes Commitment ggü. Bank (+) Konsequenz: x Wiederbesuchsabsicht (+) Kontinuieren- Determinante: des Commit- x Kontinuierendes Commitment ggü. ment (des Mitarbeiter (+) Kunden ggü. Konsequenz: Bank) x Affektives Commitment ggü. Bank (+) Konsequenz: Affektives Commitment x Affektives Commitment ggü. (des Kunden Mitarbeiter (+) ggü. Mitarbeiter) Kontinuieren- Konsequenz: des Commit- x Kontinuierendes Commitment ggü. ment (des Mitarbeiter (+) Kunden ggü. Mitarbeiter) Keine signifikanten Zusammenhänge Affektives Commitment (des Kunden) Konsequenz: Kalkulatives Commitment x Wechsel (-) (des Kunden) Affektives Determinanten: Commitment x Auf entgangenen Gewinnen (des Kunden) basierende Wechselkosten (+) x Soziale Wechselkosten (+) Konsequenzen: x Abgabe negativer Weiterempfehlung (-) x Wiederkaufsabsicht (+) Kaptives Determinante: Commitment x Prozessuale Wechselkosten (+) (des Kunden) Konsequenzen bei positiver Einschätzung der Beziehung: x Abgabe negativer Weiterempfehlung (+) x Wiederkaufsabsicht (-) Konsequenz bei negativer Einschätzung der Beziehung: x Wiederkaufsabsicht (+)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 3/4)
45 Fortsetzung Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen Konstrukte der Commitment-Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Kalkulatives Commitment (+, stärker (des Händlers) bei Kunden mit hohem Share-ofWallet) x Servicequalität (+) x Zufriedenheit (+) Konsequenz: x Loyalität (+) Kalkulatives Determinante: Commitment x Zufriedenheit (+) (des Händlers) Martin (2009) Kunden von Affektives Determinanten: EinrichtungsCommitment x Einkaufsstättenatmosphäre (+) häusern (B2C, (des Kunden) x Persönliche Beratung (+) n=2.033, Kausalx Vertrauen (+) und Finite MixtureKonsequenz: Analyse) x Kundenbindung (+) Determinanten: Kalkulatives Commitment x Preiswürdigkeit (+) (des Kunden) x Produktauswahl (+) Konsequenz: x Kundenbindung (+) Autor/-en Untersuchungs(Jahr) objekt Händler eines DavisSramek et al. Konsumgüter(2009) herstellers (B2B, n=389, Kausalanalyse)
Tabelle III-5: Studien mit einstellungsorientierter Zwei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment (Teil 4/4) Anhand von Hersteller-Händler-Beziehungen untersuchen Brown, Lusch und Nicholson (1995) wie sich die vom Hersteller ausgeübte Macht sowie die Steuerung von Händlern durch Expertise und Informationen auf die Entstehung des Affektiven und Kalkulativen Commitments auswirken. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Commitment-Konstrukte deutlich in ihren Kausalitäten unterscheiden. Während beispielsweise die Ausübung von Macht das Affektive Commitment verringert, wird das Kalkulative Commitment dadurch erhöht. Umgekehrt verhält es sich mit der Steuerung der Beziehung über Information und Expertise. Auch in den Erfolgswirkungen unterscheiden sich die Konstrukte. Demnach geht lediglich vom Affektiven Commitment ein Erklärungsbeitrag für den Vorsteuergewinn des Händlers aus. Eine weitere B2B-Studie von Geyskens et al. (1996) untersucht den Einfluss der Abhängigkeitsstruktur und des Vertrauens innerhalb von Geschäftsbeziehungen auf das Affektive und Kalkulative Commitment von Händlern gegenüber Automobilherstellern. Die Abhängigkeit voneinander begünstigt
46 zunächst alle betrachteten Arten des Commitments, wobei die Wirkung auf das Kalkulative Commitment deutlich stärker ausfällt. Welche Art von Commitment aber letztlich entsteht, hängt wiederum vom Vertrauen ab, welches das Affektive Commitment positiv und das Kalkulative Commitment negativ beeinflusst. Abhängigkeitsassymetrien in Beziehungen sind in diesem Kontext zudem nicht zu vernachlässigen. Fällt die Abhängigkeit des Herstellers höher aus als die des Händlers, so verringert dies das Kalkulative Commitment des Händlers gegenüber dem Hersteller und umgekehrt. Zimmer (2000) untersucht anhand von Geschäftsbeziehungen die Kausalitäten des Affektiven und Kalkulativen Commitments. Als positive Determinanten des Affektiven Commitments können Investitionen, konstruktiver Widerspruch und Offenheit der Kommunikation seitens des Kunden identifiziert werden. Der Opportunismus des Kunden wirkt sich dagegen negativ aus. Alle Aktivitäten des Kunden, die als Determinanten bestätigt werden, sind auch als analoge Aktivitäten des Herstellers Konsequenzen des Affektiven Commitments. Zusätzlich identifiziert der Autor die Absicht zur Fortführung der Beziehung als Konsequenz des Affektiven Commitments. Hinsichtlich des Kalkulativen Commitments gelingt es ihm, nur die Bedeutung des Kunden und spezifische Kundeninvestitionen als Einflussfaktoren zu bestätigen. Im Rahmen einer zusätzlichen Clusteranalyse kann er seine Hypothese im Rahmen der Clan-Theorie verifizieren, wonach Geschäftsbeziehungen mit hoher innerer Verbundenheit (Affektives Commitment) in komplexen Situationen geringere Transaktionskosten aufweisen als Beziehungen mit niedriger innerer Verbundenheit. Gilliland und Bello (2002) betrachten die Wirkung des Affektiven und Kalkulativen Commitments auf die Art der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Abnehmern. Je nach Ausprägung der Commitment-Konstrukte wird die Handelsbeziehung mehr oder weniger formell durchgesetzt. Während das Kalkulative Commitment die Zusammenarbeit mit dem Partner ohne vertragliche Regeln negativ beeinflusst, geht vom Affektiven Commitment eine positive Wirkung aus. Auch in der Untersuchung von Davis-Sramek et al. (2009) zeigt sich die Vorteilhaftigkeit des Affektiven Commitments. Mittels einer Händlerbefragung in der Konsumgüterbranche zeigt sich, dass beispielsweise lediglich das
47 Affektive Commitment durch die Servicequalität beeinflusst wird. Zudem wird das Loyalitätsverhalten nur durch das Affektive Commitment bestimmt, während vom Kalkulativen Commitment kein signifikanter Einfluss ausgeht. In seiner B2C-Studie fokussiert sich Harrison-Walker (2001) auf die Entwicklung und Validierung einer Skala zur Messung der Frequenz von Weiterempfehlungen und deren Valenz in Endkundenbeziehungen. Mittels zweier Branchenstudien betrachtet er dabei das Affektive und das Kalkulative Commitment als Determinanten beider Weiterempfehlungs-Konstrukte. Es zeigt sich, dass das Affektive Commitment sowohl in der Teilstudie mit Friseurkunden als auch in der Teilstudie mit Tierarztbesuchern einen positiven Einfluss auf die Weiterempfehlungsfrequenz und deren Valenz ausübt. Hinsichtlich des Kalkulativen Commitments kann kein signifikanter Effekt festgestellt werden. Verhoef, Franses und Hoekstra (2002) untersuchen die moderierende Wirkung der Beziehungsdauer auf die Zusammenhänge zwischen relationalen Konstrukten und der Abgabe von Weiterempfehlungen sowie der Anzahl gekaufter Produkte bei einem Anbieter von Versicherungs- und Finanzierungsprodukten. Als relationale Konstrukte werden die beiden CommitmentKonstrukte Affektives und Kontinuierendes Commitment verwendet. Vergleichbar mit den Ergebnissen von Harrison-Walker (2001) leistet lediglich das Affektive Commitment einen positiven Erklärungsbeitrag für beide abhängigen Variablen. Verhoef, Franses und Hoekstra (2002) weisen zudem den moderierenden Einfluss der Beziehungsdauer nach. Demnach begünstigt eine lange Geschäftsbeziehung den Zusammenhang zwischen Affektivem Commitment und der Anzahl gekaufter Produkte beim betrachteten Anbieter. Die Wirkung des Affektiven und Kontinuierenden Commitments auf die Bereitschaft, ein Preispremium zu zahlen, sowie auf die Weiterempfehlungsund Wechselabsicht steht im Mittelpunkt der Studie von Fullerton (2003). Anhand von Kundenbeziehungen zu einem Mobilfunkanbieter deckt er divergierende Konsequenzen der beiden Commitment-Konstrukte auf. Affektives Commitment wirkt sich durchweg positiv auf die Geschäftsbeziehung aus, da es die Wechselabsicht verringert und die Weiterempfehlungsabsicht sowie die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums steigert. Das Kontinuierende Commitment zeigt dagegen gemischte Effekte, indem es zum
48 einen die Wechselabsicht verringert und zum anderen aber auch die Weiterempfehlungsabsicht negativ beeinflusst. Folglich zieht Fullerton (2003) sein Fazit: „[…] it is not necessarily the case that more customer commitment is better for either the service provider or the customer.”152 Als eine der ersten Studien thematisieren Hansen, Sandvik und Selnes (2003) die Wirkungen von Affektivem und Kontinuierendem Commitment gegenüber Servicemitarbeitern von Banken. Die Untersuchung zeigt, dass sich die Commitment-Konstrukte gegenüber dem Servicemitarbeiter zum einen positiv auf die jeweiligen Commitment-Konstrukte gegenüber der Bank und zum anderen indirekt positiv auf die Wiederbesuchsabsicht auswirken. Die Untersuchung von Hansen, Sandvik und Selnes (2003) stellt neben der Studie von Jones, Taylor und Bansal (2008) eine der wenigen Forschungsbeiträge dar, die den Einfluss des Commitments gegenüber dem Servicemitarbeiter auf die Kundenloyalität explizit betrachten und nachweisen können. Allerdings nutzen Jones, Taylor und Bansal (2008) ein Commitment-Konstrukt, das sowohl verhaltensorientierte als auch einstellungsorientierte Aspekte vermischt, wodurch der Aussagegehalt ihrer Studie geschmälert wird. Gustafsson, Johnson und Roos (2005) modellieren die Wechselrate der Kunden eines Telekommunikationsanbieters als abhängige Variable des Affektiven und Kalkulativen Commitments. Sie finden dabei zunächst einen negativen Effekt beider Commitment-Konstrukte. Wird in das Gesamtmodell allerdings die Zufriedenheit als Prädiktor des Wechsels mit aufgenommen, verliert das Affektive Commitment seine Erklärungskraft auf die Wechselrate. Eine Begründung für dieses Ergebnis sehen die Autoren in der hohen inhaltlichen Überschneidung und folglich auch hohen Korrelation des Affektiven Commitments mit der Zufriedenheit, die im Gesamtmodell die Wechselrate verringert. Jones et al. (2007) analysieren die Bedeutung von Wechselkosten als Bindungsstrategie bei Endkundenbeziehungen im Dienstleistungskontext. Als einzige der betrachteten Studien verwenden sie dabei als Mediatoren neben dem Affektiven Commitment das Kaptive Commitment. Das Hauptziel der Studie besteht in der Identifizierung des Einflusses von sozialen, prozessualen und auf entgangenen Gewinnen basierenden Wechselkosten auf zentrale 152
Fullerton (2003), S. 333.
49 Verhaltensvariablen, wie die Wiederkaufsabsicht und die Abgabe negativer Weiterempfehlungen. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass soziale Wechselkosten und Kosten entgangener Gewinne das Affektive Commitment erhöhen, welches wiederum die Wiederkaufsabsicht steigert und die Abgabe negativer Weiterempfehlungen vermindert. Dagegen sind prozessuale Wechselkosten förderlich für die Entstehung des Kaptiven Commitments, das zwar in einigen Fällen die Wiederkaufsabsicht, aber auch die Abgabe negativer Weiterempfehlungen erhöht. Die pauschale Verwendung von Wechselkosten als Kundenbindungsstrategie kann demnach auch zu negativen Effekten beim Kunden führen. Martin (2009) untersucht in ihrer Arbeit den Einfluss des Affektiven und Kalkulativen Commitments auf die Kundenbindung an einen Händler. Von beiden Commitment-Konstrukten kann sie einen positiven Einfluss auf die Kundenbindung feststellen. Für das Affektive Commitment erweisen sich die Einkaufsstättenatmosphäre, die persönliche Beratung und das Vertrauen als positive Determinanten. Zur Entstehung des Kalkulativen Commitments tragen dagegen die Preiswürdigkeit und die Produktauswahl des Händlers bei. Im Rahmen einer Finite Mixture-Analyse kann die Autorin zudem drei Kundensegmente identifizieren. Eines der Segmente zeichnet sich durch affektiv gebundene Kunden aus (Affektives Commitment), während die Kunden eines zweiten Segments sich kognitiv binden (Kalkulatives Commitment). Die Mitglieder des dritten Segments binden sich aufgrund einer hohen Zufriedenheit mit dem Kaufentscheidungsprozess. Studien, die mehr als zwei einstellungsorientierte CommitmentKonstrukte verwenden, sind im Marketing selten (vgl. Tabelle III-6). Lediglich Gruen, Summers und Acito (2000) sowie Bansal, Irving und Taylor (2004) verwenden die aus der Organisationspsychologie bekannte Drei-KonstruktKonzeptualisierung von Allen und Meyer (1990) bestehend aus dem Affektiven, Normativen und Kontinuierenden Commitment. Ein weiterer Beitrag von Sharma, Young und Wilkinson (2006) erweitert dieses Modell und identifiziert sogar fünf Commitment-Konstrukte, wobei ein Konstrukt verhaltensorientiert konzeptualisiert wird.
50
Autor/-en (Jahr) Gruen/ Summers/ Acito (2000)
Untersuchungsobjekt Mitglieder eines Berufsfachverbandes für Versicherungsvertreter (B2B, n=2.545, Kausalanalyse)
Bansal/ Irving/ Taylor (2004)
Kunden von Autowerkstätten (B2C, n=356, Kausalanalyse)
Sharma/ Young/ Wilkinson (2006)
Geschäftspartner (B2B, n=160, Kausalanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Affektives Determinanten: Commitment x Anerkennung von Kontributionen (des Mitglieds) an den Verband (+) x Weitergabe organisatorischen Wissens (+) Konsequenzen: x Koproduktion von Verbandsangeboten (+) x Partizipation an Verbandsangeboten (+) Normatives Determinante: Commitment x Mitgliederverflechtung (+) (des Mitglieds) Konsequenz: x Koproduktion von Verbandsangeboten (+) Konsequenz: Kontinuierendes Commitx Partizipation an ment (des Verbandsangeboten (+) Mitglieds) Affektives Determinante: Commitment x Vertrauen (+) (des Kunden) Konsequenz: x Normatives Commitment (+) Normatives Determinanten: Commitment x Normatives Commitment (+) (des Kunden) x Subjektive Normen (+) Konsequenz: x Wechselabsicht (-) KontinuierenDeterminante: des Commitx Wechselkosten (+) ment (des Konsequenz: Kunden) x Wechselabsicht (-) Affektives Determinanten für alle CommitmentCommitment Konstrukte: x Konfliktmangel (+) Normatives x Kooperation (+) Commitment x Vertrauen (+) Kontinuierendes Commitment Kalkulatives Commitment Konatives Commitment153
Tabelle III-6: Studien mit einstellungsorientierter Drei- und Vier-KonstruktKonzeptualisierung von Commitment 153
Das Konative Commitment aus der Studie von Sharma/Young/Wilkinson (2006) wird nur zur Vollständigkeit der Studiendarstellung angegeben.
51 Gruen, Summers und Acito (2000) untersuchen in ihrer empirischen Studie den Einfluss von Beziehungsaktivitäten eines Berufsfachverbandes auf das Commitment gegenüber der Mitgliedschaft sowie das Verhalten der Mitglieder im Verband. Die Autoren übernehmen in ihrem Beitrag erstmals die Commitment-Konzeptualisierung nach Allen und Meyer (1990). Hierbei sollen das Affektive, Normative und Kontinuierende Commitment als Mediatoren zwischen den Beziehungsaktivitäten des Verbands und dem Verhalten der Mitglieder wirken. Die Ergebnisse der Studie bestätigen dies zumindest für das Affektive und Normative Commitment. Obwohl alle untersuchten CommitmentKonstrukte nach Meyer und Herscovitch (2001) als Determinanten der Beziehungsaufrechterhaltung gelten,154 können Gruen, Summers und Acito (2000) keinen signifikanten Effekt der Commitment-Konstrukte auf die Aufrechterhaltung der Verbandsmitgliedschaft identifizieren. Die Autoren führen dies zum einen darauf zurück, dass das Modell auf einer aggregierten Gruppen- anstatt auf einer Mitgliedsebene geprüft wurde, und zum anderen darauf, dass nicht die Absicht, sondern die tatsächliche Mitgliedschaftsaufrechterhaltung gemessen wurde. Auch Bansal, Irving und Taylor (2004) nutzen die von Allen und Meyer (1990) entwickelte Drei-Konstrukt-Konzeptualisierung von Commitment, um die Einflussfaktoren der Wechselbereitschaft von Kunden einer Autowerkstatt zu analysieren. Im Gegensatz zu den Ergebnissen von Gruen, Summers und Acito (2000)155 beeinflussen in dieser Studie zumindest das Normative und das Kontinuierende Commitment die Beziehungsaufrechterhaltung durch eine Verringerung der Wechselabsicht. Den nicht-signifikanten Einfluss des Affektiven Commitments erklären die Autoren über einen relativ starken indirekten Effekt des Affektiven Commitments, der die Wechselabsicht über das Normative Commitment beeinflusst. Mit der Berücksichtigung von Beziehungen zwischen den einzelnen Commitment-Konstrukten greifen Bansal, Irving und Taylor (2004) Überlegungen von Meyer und Smith (2000) aus der Organisationspsychologie auf, die einen Einfluss des Affektiven auf das Normative Commitment postulieren.156 Obwohl dieser Zusammenhang mit einer Einflussstärke von 0,53 relativ stark ausfällt, gelingt dennoch der Nachweis der Diskriminanzvalidität. Die Autoren schlussfolgern, dass es sich 154 155 156
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 311f. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000), S. 43. Vgl. Meyer/Smith (2000), S. 324.
52 bei den Commitment-Konstrukten zwar um stark verwandte, aber dennoch unterschiedliche Ansätze handelt. Sharma, Young und Wilkinson (2006) führen eine explizite Untersuchung der Dimensionalität von Commitment bei internationalen Handelspartnerbeziehungen durch. Die Autoren unterscheiden in ihrem Modell die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kontinuierendes Commitment sowie das Konative Commitment als verhaltensorientiertes Konstrukt. Obwohl Kontinuierendes und Kalkulatives Commitment hinsichtlich des Aspekts der Beziehungsaufrechterhaltung aufgrund hoher wahrgenommener Wechselkosten inhaltlich vergleichbar sind, gelingt den Autoren der Nachweis der Diskriminanzvalidität aller betrachteten Commitment-Konstrukte. Weiterhin überprüfen sie deren nomologische Validität und finden in Vertrauen, Kooperation und Konfliktmangel jeweils positive Determinanten für alle Commitment-Konstrukte. Zusammenfassend lässt sich für die einstellungsorientierte Konzeptualisierung mit zwei und mehr Commitment-Konstrukten festhalten: x Commitment-Studien, die mehrere eigenständige Commitment-Konstrukte verwenden, nutzen mit Ausnahme der Studie von Sharma, Young und Wilkinson (2006) nur einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte. Darunter finden sich das Affektive, Normative, Kalkulative, Kaptive und Kontinuierende Commitment. Dabei wird das Normative Commitment lediglich in drei Studien157 und das Kaptive Commitment158 nur in einer Studie verwendet. x Bei der Betrachtung von Commitment-Konzeptualisierungen mit mehreren eigenständigen Commitment-Konstrukten wird deutlich, dass die jeweiligen Konstrukte unterschiedliche Determinanten, aber auch unterschiedliche Konsequenzen besitzen. x Als Moderatoren der betrachteten Kausalbeziehungen der CommitmentKonstrukte können vier Variablen identifiziert werden. Neben der
157
158
Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000); Bansal/Irving/Taylor (2004); Sharma/Young/Wilkinson (2006). Vgl. Jones et al. (2007).
53 Beziehungsmacht159, spielen auch der Share-of-Wallet160, die Einschätzung der Beziehung161 sowie die Beziehungsdauer162 eine moderierende Rolle. 3.3
Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Verhaltensorientierte Konzeptualisierungen von Commitment sind in der wissenschaftlichen Forschung nicht sehr verbreitet (vgl. Tabelle III-7). Sie beruhen auf einem einzelnen Commitment-Konstrukt, das in der vorliegenden Betrachtung als Konatives Commitment bezeichnet wird. Seine Operationalisierung erfolgt durch Indikatorvariablen, die entweder eine Verhaltensabsicht oder ein tatsächliches Verhalten abfragen.
Autor/-en (Jahr) Gundlach/ Achrol/ Mentzer (1995)
Studiencharakteristika MBA-Studenten als Händler und Hersteller von Computern (B2B, Szenario, n=130, Regressionsanalyse)
Andaleeb (1996)
MBA-Studenten als Händler von diversen Herstellern (B2B, Szenario, n=72, Varianzanalyse) Händler und Hersteller von Elektronikwaren (B2B, n=179, Kausalanalyse)
Siguaw/ Simpson/ Baker (1998)
Verwendete CommitmentKonstrukte Konatives Commitment (des Herstellers und des Händlers)
Konatives Commitment (des Händlers)
Konatives Commitment (des Händlers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten: x Glaubwürdigkeit der Investitionen des Partners (+) x Relationale Normen (+) Konsequenz (nur aus Händlerperspektive): x Investitionen in darauffolgender Periode (+) Determinanten: x Abhängigkeit (+) x Vertrauen (+, stärker bei geringer Abhängigkeit)
Determinanten: x Marktorientierung des Herstellers (+) x Relationale Normen (+) Konsequenz: x Zufriedenheit des Händlers mit finanziellem Ergebnis (+)
Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/2)
159 160 161 162
Vgl. Brown/Lusch/Nicholson (1995), S. 380. Vgl. Davis-Sramek et al. (2009), S. 449. Vgl. Jones et al. (2007), S. 345. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2002), S. 210.
54 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Jap/ Ganesan (2000)
Studiencharakteristika Händler eines Chemieproduzenten (B2B, n=1.457, Regressionsanalyse)
Tsiros/ Ross/ Mittal (2009)
Studie 1: MBAStudenten als Abnehmer und Lieferanten (B2B, Szenario, n=80, Varianzanalyse) Studie 2: Geschäftspartner (B2B, n=76, Varianzanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte Konatives Commitment (des Produzenten)
Konatives Commitment (des Abnehmers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten: x Investitionen des Händlers (-) x Investitionen des Produzenten (+) x Relationale Normen (+) x Vertragliche Regeln (-) Konsequenzen: x Bewertung der Produzentenperformance (+) x Konfliktintensität (-) x Zufriedenheit (+) Konsequenzen (Studie 1): x Suche nach Alternativen (-) x Wechselabsicht (-) Konsequenzen (Studie 2): x Evaluation von Alternativen (-, stärker bei Unzufriedenheit mit Geschäftspartner) x Suche nach Alternativen (-) x Wechselabsicht (-, stärker bei Unzufriedenheit mit Geschäftspartner)
Tabelle III-7: Studien mit verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/2) Eine Reihe von Studien spricht den Investitionen und relationalen Normen in Geschäftsbeziehungen eine hohe Bedeutung für die Entstehung des Konativen Commitments zu. Eine frühe Untersuchung, die diese Thematik adressiert, stammt von Gundlach, Achrol und Mentzer (1995), die ihren Ausführungen zufolge drei Commitment-Konstrukte verwenden. Während das erste Konstrukt nur die Glaubwürdigkeit vergangener Investitionen in die Geschäftsbeziehung darstellt, beschreibt das zweite Konstrukt die Verhaltensabsicht, zukünftige Investitionen in die Beziehung zu tätigen. Das dritte Konstrukt bezeichnet lediglich die zeitliche Stabilität des zweiten Konstrukts über drei Zeitperioden. Daher kann hier einzig die Verhaltensabsicht als Commitment-Konstrukt aufgefasst und als Konatives Commitment bezeichnet werden. Mittels eines Laborexperiments, in dem MBA-Studenten als fiktive Händler und Hersteller fungieren, stellen die Autoren fest, dass sich die Glaubwürdigkeit der Investitionen und relationale Normen positiv auf das Konative Commitment auf beiden Seiten der Dyade auswirken. Der Nachweis, dass sich in darauffolgenden Perioden das Konative Commitment in
55 tatsächlichem Verhalten in Form von Investitionen in die Beziehung äußert, gelingt den Autoren nur in der Stichprobe der Händler. Eine weitere Studie, welche die Auswirkungen relationaler Normen in Geschäftsbeziehungen analysiert, wurde von Siguaw, Simpson und Baker (1998) durchgeführt. Ihre Ergebnisse zeigen, dass neben der Marktorientierung des Herstellers auch die Existenz relationaler Normen in der Geschäftsbeziehung die Entstehung des Konativen Commitments auf Händlerseite begünstigt. Investitionen und relationale Normen stehen auch im Fokus der Studie von Jap und Ganesan (2000). Sie betrachten in diesem Zusammenhang die Fragestellung, wie das Konative Commitment eines Produzenten von Chemieerzeugnissen in einer bestehenden Geschäftsbeziehung aus Händlersicht erhöht und damit einer möglichen „Ausbeutung“ durch den Lieferanten vorgebeugt werden kann. Sie identifizieren dabei Investitionen des Produzenten und die Entwicklung von relationalen Normen als positive Einflussfaktoren des Konativen Commitments, während sich die Investitionen des Händlers sowie der Einsatz von Verträgen hemmend auswirken. Die Vorteilhaftigkeit eines hohen Konativen Commitments zeigt sich in der Folge durch niedrigere Konfliktintensität, höhere Produzentenperformance und steigende Zufriedenheit des Händlers. Neben der Forschungsströmung zu den Auswirkungen von Investitionen und relationalen Normen finden sich in der vorliegenden Betrachtung auch Studien, die den Einfluss der Abhängigkeiten in Beziehungen auf die Entstehung des verhaltensorientierten Commitments untersuchen. In diesem Zusammenhang untersucht Andaleeb (1996) die unabhängigen und interagierenden Effekte von Vertrauen und Abhängigkeit auf die Zielkonstrukte Zufriedenheit und Konatives Commitment von Händlern. Als Datenbasis dienen ihm experimentelle, szenariobasierte Hersteller-Händler-Beziehungen. Sowohl die Abhängigkeit vom Hersteller als auch das Vertrauen in den Hersteller begünstigen die Entstehung des Konativen Commitments und der Zufriedenheit auf Händlerseite. Ein weiteres Ergebnis zeigt, dass sich bei geringer Abhängigkeit vom Hersteller das Vertrauen in Form eines höheren Einflusses auf das Konative Commitment als besonders vorteilhaft erweist.
56 Die Bedeutung des Konativen Commitments für die Terminierung von Geschäftsbeziehungen ist Gegenstand der Untersuchung von Tsiros, Ross und Mittal (2009). Als theoretischen Bezugsrahmen nutzen die Autoren das Buy-Grid-Model von Robinson, Faris und Wind (1967),163 in dem sie den Ablauf eines Lieferantenwechsels explizit anhand der Schritte Suche, Evaluation und Wechselabsicht betrachten. Mittels einer ersten Studie mit MBA-Studenten als fiktiven Geschäftspartnern identifizieren die Autoren einen negativen Einfluss des Konativen Commitments auf die Suche nach alternativen Unternehmen und auf die Wechselabsicht. In einer zweiten Studie replizieren sie ihre vorherigen Ergebnisse anhand einer realen Stichprobe mit Managern und konkretisieren ihre Befunde. Diese zeigen, dass das Konative Commitment in dieser Stichprobe auch die Evaluation von Alternativen verringert. Weiterhin wirkt die Unzufriedenheit mit dem bestehenden Geschäftspartner verstärkend auf den negativen Zusammenhang zwischen dem Konativen Commitment und der Evaluation sowie der Wechselabsicht. Zusammenfassend lässt sich festhalten: x Verhaltensorientierte Commitment-Konzeptualisierungen sind in der vorliegenden Betrachtung ausschließlich in B2B-Studien zu finden. Hierbei gilt die direkte Händler-Hersteller-Beziehung bei vielen Autoren als beliebter Untersuchungsgegenstand. x Weiterhin wird ersichtlich, dass sich in den betrachteten Studien ausschließlich vorteilhafte Konsequenzen des Konativen Commitments für die jeweilige Geschäftsbeziehung identifizieren lassen. x Nur zwei Studien betrachten Moderatoren, welche die Kausalitäten des Konativen Commitments beeinflussen. So werden die Abhängigkeit vom164 und die Unzufriedenheit mit dem Geschäftspartner165 als Moderatoren bzw. Interaktionsvariablen identifiziert. x Die Zahl der Studien, die eine verhaltensorientierte CommitmentKonzeptualisierung verwenden, ist überschaubar. Da den Loyalitätskonstrukten (z.B. Wiederkauf bzw. Wiederkaufsabsicht oder Weiterem163 164 165
Vgl. Robinson/Faris/Wind (1967), S. 13ff. Vgl. Andaleeb (1996), S. 86f. Vgl. Tsiros/Ross/Mittal (2009), S. 270.
57 pfehlung bzw. Weiterempfehlungsabsicht) ebenfalls eine Verhaltensorientierung zugrunde liegt, ergibt sich bei gleicher Konzeptualisierung des Commitments die Problematik einer trennscharfen Abgrenzung. Dies erklärt möglicherweise, warum nur eine vergleichsweise kleine Anzahl an Autoren eine verhaltensorientierte Commitment-Konzeptualisierung aufgreift. 3.4
Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment
Kombinierte einstellungs- und verhaltensorientierte Konzeptualisierungen von Commitment verwenden das Kombinierte Commitment als einziges Konstrukt (vgl. Tabelle III-8). Zur Operationalisierung werden Items verwendet, die sowohl eine Verhaltensorientierung als auch verschiedene Aspekte der Einstellungsorientierung erfassen. Autor/-en (Jahr) Anderson/ Weitz (1992)
Studiencharakteristika Händler und Hersteller (B2B, n=518, Regressionsanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte Kombiniertes Commitment
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Determinanten (der Händlerwahrnehmung des HerstellerCommitments): x Commitment des Herstellers (+) x Exklusive Vertriebsrechte (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergangene Konfliktintensität (-) Determinanten (der Herstellerwahrnehmung des HändlerCommitments): x Commitment des Händlers (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergabe exklusiver Vertriebsrechte (+) x Vergangene Konfliktintensität (-) Determinanten (des HändlerCommitments): x Commitment des Herstellers (+) x Intensität der Kommunikation (+) x Investitionen des Händlers (+) x Reputation des Herstellers (+) …
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 1/4)
58 Fortsetzung Autor/-en (Jahr)
Scheer/ Stern (1992)
Ganesan (1994)
Studiencharakteristika
MBA-Studenten als Händler von Herstellern medizinischer Ausrüstung (B2B, Szenario, n=208, Varianzanalyse) Händler (B2B, n=124, Kausalanalyse) und Hersteller (B2B, n=52, Regressionsanalyse)
Händler von Morgan/ Hunt (1994) Reifenherstellern (B2B, n=204, Kausalanalyse)
Kumar/ Scheer/ Steenkamp (1995)
Händler von Automobilherstellern (B2B, n=417, Regressionsanalyse)
Verwendete CommitmentKonstrukte
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Kombiniertes Commitment
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Kombiniertes Commitment (des Händlers)
Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte … Determinanten (des HerstellerCommitments): x Herstellerwahrnehmung des Händler-Commitments (+) x Intensität der Kommunikation (+) x Investitionen des Herstellers (+) x Vergabe exklusiver Vertriebsrechte (-) Keine signifikanten Zusammenhänge
Determinanten (des HändlerCommitments): x Abhängigkeit des Händlers vom Hersteller (+) x Abhängigkeit des Herstellers vom Händler (-) x Glaubwürdigkeit des Herstellers (+) x Zufriedenheit des Händlers (+) Determinanten (des HerstellerCommitments): x Abhängigkeit des Händlers vom Hersteller (+) x Glaubwürdigkeit des Händlers (+) x Zufriedenheit des Herstellers (+) Determinanten: x Gemeinsame Werte (+) x Vertrauen (+) x Wechselkosten (+) Konsequenzen: x Einverständnis mit Anforderungen des Herstellers (+) x Kooperation (+) x Wechselabsicht (-) Determinanten: x Ausmaß der Abhängigkeitsasymmetrie (+) x Stärke der Abhängigkeit beider Partner untereinander (+)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 2/4)
59 Fortsetzung Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Determinanten: Kombiniertes Commitment x Gemeinschaftliche Kommunikation (des Händlers) (+, schwächer bei hoher Kontrolle des Herstellers) x Konflikthäufigkeit (-) x Kontrolle des Herstellers (+) Determinanten: Kunden von Kombiniertes HennigDienstleistungsCommitment Thurau/ x Bevorzugte Behandlung (+) anbietern (B2C, (des Kunden) Gwinner/ x Soziale Benefits (+) n=336, KausalGremler x Zufriedenheit (+) analyse) (2002) Konsequenzen: x Loyalitätsabsicht (+) x Weiterempfehlungshäufigkeit (+) Kombiniertes Determinanten: Brown et al. Kunden eines (2005) Autohauses (B2C, Commitment x Identifizierung mit Autohaus (+) (des Kunden) n=397, Regresx Zufriedenheit (+) sionsanalyse) Konsequenzen: x Weiterempfehlungsabsicht (+, schwächer bei hoher Zufriedenheit) x Weiterempfehlungshäufigkeit (+, schwächer bei hoher Zufriedenheit) Determinanten: Kombiniertes Kunden eines Johnson/ Mobilfunkanbieters Commitment Herrmann/ x Commitment aus vorangegan(des Kunden) (B2C, n=2.990, Huber gener Periode (+, schwächer bei Kausalanalyse) (2006) langer Beziehungsdauer) x Wahrgenommener ökonomischer Wert (+, stärker bei langer Beziehungsdauer) Konsequenz: x Loyalitätsabsicht (+, stärker bei langer Beziehungsdauer) Determinanten: Händler von Kombiniertes Ramasediversen Commitment shan/Yip/ x Ökonomische Zufriedenheit (+) (des Händlers) x Soziale Zufriedenheit (+) Pae (2006) Herstellern (B2B, n=295, Konsequenz: Kausalanalyse) x Wahrnehmung eines strategischen Wettbewerbsvorteils (+) Autor/-en (Jahr) Mohr/ Fisher/ Nevin (1996)
Studiencharakteristika Händler von Computerherstellern (B2B, n=125, Regressionsanalyse)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 3/4)
60 Fortsetzung Autor/-en (Jahr) Dean (2007)
Jones/ Taylor/ Bansal (2008)
Studiencharakteristika Kunden eines Versicherungsanbieters (B2C, n=289, Kausalanalyse) und Geschäftskunden einer Bank (B2B, n=325, Kausalanalyse) Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, n=472, Kausalanalyse) und fiktive Kunden von Dienstleistungsanbietern (B2C, Szenario, n=768, Regressionsanalyse)
Verwendete Commitment- Determinanten und Konsequenzen der Commitment-Konstrukte Konstrukte Determinanten (beider Studien): Kombiniertes Commitment x Eingefordertes Kundenfeedback (des Kunden) (+) x Servicequalität (+) Konsequenz (beider Studien): x Loyalitätsabsicht (+)
Kombiniertes Commitment (des Kunden)
Determinante (des Commitments ggü. dem Mitarbeiter): x Commitment ggü. der Person (+) Determinanten (des Commitments ggü. dem Unternehmen): x Commitment ggü. dem Mitarbeiter (+) x Commitment ggü. der Person (+) Konsequenzen (des Commitments ggü. dem Mitarbeiter): x Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (+) x Wiederkaufsabsicht (+) Konsequenzen (des Commitments ggü. der Person): x Altruismus (+) x Beziehungsdauer (+) x Commitment ggü. dem Mitarbeiter (+) x Commitment ggü. dem Unternehmen (+) x Wiederkaufsabsicht (-) Konsequenzen (des Commitments ggü. dem Unternehmen): x Altruismus (+) x Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (+) x Relative Einstellung (+) x Treueausmaß bei Wiederkauf (+) x Weiterempfehlungsabsicht (+) x Wiederkaufsabsicht (+)
Tabelle III-8: Studien mit kombinierter einstellungs- und verhaltensorientierter Konzeptualisierung von Commitment (Teil 4/4) Als eine der ersten Studien im Marketing betrachten Anderson und Weitz (1992) das Kombinierte Commitment in Hersteller-Händler-Beziehungen. Als Kernergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass das wahrgenommene Kombinierte Commitment der Gegenseite eine wesentliche, positive
61 Einflussgröße auf das eigene Kombinierte Commitment darstellt. Weiterhin zeigt sich, dass Investitionen die Entstehung des Kombinierten Commitments beider Partner begünstigen, wodurch der jeweilige Partner die Glaubwürdigkeit seines langfristigen Interesses an der Beziehung unterstreicht. In ihrer vielbeachteten Studie166 führen Morgan und Hunt (1994) die „Commitment-Trust Theory of Relationship Marketing“ ein. Laut dieser Theorie wirken Kombiniertes Commitment und Vertrauen als mediierende Variablen zwischen unabhängigen Variablen und Verhaltenskonsequenzen, weshalb die Autoren diesen Ansatz auch als „key mediating variable model“ bezeichnen. In der Empirie kann anhand von Hersteller-Händler-Beziehungen die mediierende Rolle des Kombinierten Commitments und des Vertrauens bestätigt werden. Schließlich erweitern die Autoren die Aussagekraft ihres Modells, indem sie es nicht nur auf die reine Anbieter-Kunden-Beziehung beschränken, sondern es auf alle Formen des relationalen Austauschs beziehen. Im Fokus der Studie von Ramaseshan, Yip und Pae (2006) steht der positive Einfluss der ökonomischen und sozialen Zufriedenheit auf das Kombinierte Commitment von Händlern diverser Hersteller. Die Analyse bestätigt diesen Zusammenhang und offenbart weiterhin, dass das Kombinierte Commitment die Wahrnehmung eines strategischen Wettbewerbsvorteils begünstigt. Weitere Studien thematisieren die Machtverteilung in Beziehungen und deren Einfluss auf das Kombinierte Commitment. In diesem Zusammenhang untersucht Ganesan (1994) die Entwicklung des Kombinierten Commitments auf beiden Seiten einer Händler-Hersteller-Beziehung unter Berücksichtigung gegenseitiger Abhängigkeiten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Kombinierte Commitment des Herstellers positiv durch die Abhängigkeit des Händlers beeinflusst wird. Im Gegensatz dazu übt die Abhängigkeit des Herstellers einen negativen Effekt auf das Kombinierte Commitment des Händlers aus. Der Autor begründet dieses Ergebnis damit, dass Hersteller die Abhängigkeit von Händlern als vermeintliches Signal starken Commitments in die Beziehung auffassen und sich daher ebenfalls langfristig in dieser Partnerschaft engagieren. Händler wiederum versuchen die Abhängigkeit von
166
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136.
62 Herstellern auszunutzen und setzen daher nur auf eine kurze Beziehungsdauer. Kumar, Scheer und Steenkamp (1995) beschäftigen sich ebenfalls mit Machtstrukturen in Beziehungen und vermuten, dass sowohl die Abhängigkeitsasymmetrie als auch die aufsummierten Abhängigkeiten von Händlern und Herstellern das Kombinierte Commitment beeinflussen. Anhand einer Befragung von Autohändlern zu ihrer Beziehung mit Autoherstellern zeigen sie, dass mit steigender Asymmetrie der Abhängigkeit das Kombinierte Commitment gegenüber dem Hersteller abnimmt und mit steigender Gesamtabhängigkeit innerhalb der Geschäftsbeziehung zunimmt. Die Autoren erklären diese Effekte mit der bilateralen Konvergenztheorie, nach der sich bei hoher und gegenseitig ausgeglichener Abhängigkeit beide Parteien aktiv für die Beziehung engagieren. Auch Mohr, Fisher und Nevin (1996) berücksichtigen Machtverhältnisse in Geschäftsbeziehungen. Anhand einer Händlerbefragung bestätigen sie zunächst die gemeinschaftliche Kommunikation als positiven Einflussfaktor auf das Kombinierte Commitment. Zudem kann die Beziehungsmacht in Form der Kontrolle über den jeweiligen Partner als abschwächender moderierender Effekt auf diesen Zusammenhang identifiziert werden. Während in B2B-Studien überwiegend Aspekte der Machtverteilung als Determinanten des Kombinierten Commitments betrachtet werden, schließen Untersuchungen aus dem B2C-Kontext auch explizit die Konsequenzen des Kombinierten Commitments mit ein. So werden beispielsweise die Weiterempfehlungsabsicht bzw. -häufigkeit167 sowie die Loyalitätsabsicht168 als Konsequenzen analysiert. Hennig-Thurau, Gwinner und Gremler (2002) untersuchen die Determinanten der Weiterempfehlungshäufigkeit von Konsumenten in der Dienstleistungsbranche. Als Determinanten verwenden sie zum einen den Relational Benefits Approach von Gwinner, Gremler und Bitner (1998), der aus sozialen Benefits, Vertrauen und bevorzugter Behandlung besteht,169 und zum anderen die Konstrukte Zufriedenheit und Kombiniertes Commitment. Die 167 168 169
Vgl. Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002); Brown et al. (2005). Vgl. Johnson/Herrmann/Huber (2006); Dean (2007). Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 103ff.
63 Autoren können einen positiven Einfluss der sozialen Benefits und der bevorzugten Behandlung sowie der Zufriedenheit auf das Kombinierte Commitment nachweisen, das wiederum die Weiterempfehlungshäufigkeit positiv determiniert. Die Einflussfaktoren auf die Weiterempfehlungsabsicht bzw. -häufigkeit stehen im Fokus der Betrachtung von Brown et al. (2005). Anhand einer Kundenbefragung eines Autohändlers können die Autoren neben der Zufriedenheit das Kombinierte Commitment als zentralen Einflussfaktor nachweisen. Zur Entstehung des Kombinierten Commitments tragen zudem die Zufriedenheit und die Identifizierung mit dem Autohaus wesentlich bei. Dean (2007) analysiert die Auswirkungen der Kundenorientierung von Callcenter-Mitarbeitern auf die Loyalitätsabsicht von Kunden verschiedener Dienstleistungsunternehmen. Mittels zweier Studien, in denen Endkunden eines Versicherungsanbieters und Geschäftskunden einer Bank befragt werden, identifiziert der Autor das Kombinierte Commitment als Mediator der Einflüsse der Einforderung von Kundenfeedback sowie der Servicequalität auf die Loyalitätsabsicht. Die Entstehung von Loyalitätsabsichten steht ebenfalls im Mittelpunkt der Analyse von Johnson, Herrmann und Huber (2006). Anhand einer Längsschnittstudie mit Kunden eines Mobilfunkanbieters wird zudem der Einfluss der Beziehungsdauer berücksichtigt. Die Studienergebnisse zeigen, dass in einer frühen Beziehungsphase die Loyalitätsabsichten eine Funktion des wahrgenommenen ökonomischen Werts der Beziehung sind. Über die Zeit mediieren allerdings das Kombinierte Commitment und das Markenimage des Anbieters den Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Wert der Beziehung und den Loyalitätsabsichten. Die Autoren schlussfolgern, dass die wahrgenommenen kognitiven Vorteile einer Beziehung über die Zeit an Einfluss verlieren und affektive Einstellungen, wie sie das Markenimage und zum Teil das Kombinierte Commitment darstellen, an Bedeutung gewinnen. Die erste Studie in der vorliegenden Betrachtung, welche die Auswirkungen des Kombinierten Commitments gegenüber drei unterschiedlichen Bezugsobjekten thematisiert, stammt von Jones, Taylor und Bansal (2008). Ihre Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten von Dienstleistungsanbietern zwischen dem Kombinierten Commitment gegenüber dem Unternehmen,
64 gegenüber der Person in der Rolle des Mitarbeiters und gegenüber der Person in der Rolle als persönlicher Freund unterscheiden. Weiterhin offenbaren die drei Kombinierten Commitment-Konstrukte einen hierarchischen Wirkungszusammenhang und bedingen in der Folge zum Teil sehr unterschiedliche Konsumentenreaktionen. So führen beispielsweise das Kombinierte Commitment gegenüber dem Mitarbeiter und gegenüber dem Unternehmen zu einer gesteigerten Wiederkaufsabsicht, während das Kombinierte Commitment gegenüber der Person als Freund diese verringert. Zusammenfassend lässt sich festhalten: x Das Kombinierte Commitment findet sich sowohl in B2B- als auch in B2CStudien wieder. Die Berücksichtigung von einstellungs- und verhaltensorientierten Aspekten in einem Commitment-Konstrukt erscheint daher nicht auf einen Anwendungskontext beschränkt zu sein. x Bis auf die Studie von Jones, Taylor und Bansal (2008), die auch negative Konsequenzen des Kombinierten Commitments identifiziert,170 weisen alle übrigen Untersuchungen ausschließlich positive Effekte dieses Commitment-Konstrukts nach. x Allerdings ist die Verwendung des Kombinierten Commitments in vielen der vorliegenden Studien kritisch zu sehen, da häufig Verhaltensabsichten bzw. tatsächliches Verhalten als Konsequenz des Kombinierten Commitments modelliert werden. In diesen Fällen kommt es zu einer inhaltlichen Überschneidung des Commitments mit seinen Konsequenzen, wodurch eine genaue Wirkungsaussage erschwert wird. x Variablen, welche die Kausalitäten des Kombinierten Commitments moderieren, werden nur selten betrachtet. So finden sich lediglich drei Studien, in denen die Kontrolle des Geschäftspartners,171 die Zufriedenheit172 und die Beziehungsdauer173 als signifikante Moderatoren bzw. Interaktionsvariablen identifiziert werden.
170 171 172 173
Vgl. Jones/Taylor/Bansal (2008), S. 481. Vgl. Mohr/Fisher/Nevin (1996), S. 111. Vgl. Brown et al. (2005), S. 132. Vgl. Johnson/Herrmann/Huber (2006), S. 129.
65 4
Zusammenfassung der Erkenntnisbeiträge der CommitmentForschung für die Forschungsziele der Arbeit
In einem ersten Untersuchungsschritt wurden der Commitment-Begriff und seine Entstehung näher beleuchtet (vgl. Abschnitt III-1). Dabei wurde insbesondere auf dessen breite Verwendung in der Sozial- und Organisationspsychologie sowie dem Marketing eingegangen. Weiterhin wurde das heterogene Definitionsverständnis von Commitment beschrieben und es wurde näher auf die unterschiedlichen Konzeptualisierungen hinsichtlich der Einstellungs- und Verhaltensorientierung eingegangen (vgl. Abschnitt III-2). Schließlich erfolgte eine Betrachtung der bestehenden Literatur im Marketing bezüglich der Verwendung einzelner CommitmentKonstrukte (vgl. Abschnitt III-3). Als Ergebnis der vorangegangenen Abschnitte lässt sich festhalten: x Commitment wird im Marketing uneinheitlich konzeptualisiert (vgl. Abschnitt III-2.1). Es existieren Konzeptualisierungen, die Commitment rein verhaltensorientiert auslegen, während andere Ansätze Commitment rein einstellungsorientiert definieren oder sogar beide Orientierungen verwenden. Die verhaltensorientierte Konzeptualisierung von Commitment ist allerdings kritisch zu sehen, da sich hier Abgrenzungsprobleme zu Loyalitätskonstrukten ergeben, die überwiegend ein Verhalten bzw. eine Verhaltensabsicht abfragen. Hinsichtlich der verwendeten Anzahl und Art der Commitment-Konstrukte herrscht ebenfalls große Uneinigkeit. Zum einen variiert die Anzahl der berücksichtigten Commitment-Konstrukte in Marketingstudien zwischen eins und fünf. Zum anderen existieren bei den rein einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten die Arten Affektives, Normatives, Kontinuierendes, Kalkulatives und Kaptives Commitment. Hervorzuheben ist, dass das Kontinuierende Commitment eine Vermischung aus Kalkulativem und Kaptivem Commitment darstellt und folglich von etlichen Autoren kritisiert wird.174 Somit erscheinen lediglich das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment als vorteilhaft, da sie zum einen einstellungsorientiert sind und damit keine Abgrenzungsprobleme zu verhaltensorientierten Loyalitätskonstrukten aufweisen und zum anderen distinkte Beweggründe zur Fortführung einer 174
Vgl. z.B. Blau (2003), S. 470ff.; Blau/Holladay (2006), S. 692f.
66 Beziehung repräsentieren. Allerdings sind sich viele Autoren nicht bewusst, welches dieser einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte sie tatsächlich in ihrer Studie verwenden (vgl. Abschnitt III-3.1). So divergieren Konzeptualisierung und Operationalisierung dieser Konstrukte.175 Bis dato mangelt es daher an einer Studie, welche die theoretischen Bezugspunkte der einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment klar definiert und auf dieser Basis eine umfassende Commitment-Konzeptualisierung für zukünftige Forschungsarbeiten vorstellt (Forschungsziel I). x Vereinzelt wird die Problematik der hohen Korrelation zwischen den einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten angesprochen. So weisen Bansal, Irving und Taylor (2004) in ihrer Studie auf den hohen Einfluss des Affektiven auf das Normative Commitment hin, können aber dennoch die Diskriminanzvalidität dieser Konstrukte bestätigen.176 Gleichfalls gelingt Sharma, Young und Wilkinson (2006) der Nachweis der Diskriminanzvalidität ihrer betrachteten Commitment-Konstrukte.177 In der Organisationspsychologie, in welcher der Einsatz mehrerer einstellungsorientierter Commitment-Konstrukte eine weitaus längere Tradition hat, wird dagegen nach wie vor die hohe Korrelation zwischen Affektivem und Normativem Commitment thematisiert.178 Zudem muss festgehalten werden, dass die für diese Arbeit relevanten vier Commitment-Konstrukte noch nie im Marketing zusammen eingesetzt und auf Diskriminanzvalidität überprüft wurden. Es erscheint daher notwendig, nach erfolgter Konzeptualisierung der vier einstellungsorientierten CommitmentKonstrukte eine umfassende diskriminanzanalytische Überprüfung dieser vorzunehmen (Forschungsziel II). Zusammen mit Forschungsziel I kann dadurch erstmalig ein theoretisch fundiertes und empirisch valides Messmodell für die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte entwickelt werden. x Sofern mehrere Commitment-Konstrukte in einer Studie angewendet werden, liegt mit Ausnahme der Studie von Sharma, Young und Wilkinson 175
176 177 178
Vgl. z.B. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992), S. 316; Grayson/Ambler (1999), S. 133f.; Palmatier/Dant/Grewal (2007), S. 175. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240. Vgl. Sharma/Young/Wilkinson (2006), S. 74ff. Vgl. Bergman (2006).
67 (2006) eine vollständig einstellungsorientierte Konzeptualisierung zugrunde.179 Dabei werden die Commitment-Konstrukte Affektives, Kalkulatives und Kontinuierendes Commitment sehr häufig angewendet. Das Normative Commitment ist dagegen lediglich in drei Studien180, das Kaptive Commitment sogar nur in einem Beitrag181 zu finden (vgl. Abschnitt III-3.1). Die Kausalitäten der für diese Arbeit relevanten CommitmentKonstrukte, insbesondere für das Normative und Kaptive Commitment, können daher als weitestgehend unerforscht eingestuft werden. Ein Vergleich spezifischer Bestimmungsfaktoren und Erfolgswirkungen der einzelnen Commitment-Konstrukte ist auf dieser Erkenntnisbasis nicht möglich und bedarf daher weiterer Forschungsbemühungen (Forschungsziel III). x In den betrachteten Studien wird zudem die Heterogenität von Konsumenten vernachlässigt. So wird die Konsumentenheterogenität im Kontext der vier interessierenden Commitment-Konstrukte lediglich beim Affektiven und Kalkulativen Commitment untersucht.182 Dieser Kenntnisstand reicht allerdings nicht aus, um daraus zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten der vier Commitment-Konstrukte und damit des Beziehungserfolgs entwickeln zu können. Grundsätzlich muss aber von Konsumentenheterogenität ausgegangen werden.183 Es ist daher notwendig, für die Kausalitäten der vier im Fokus stehenden CommitmentKonstrukte eine Prüfung der Konsumentenheterogenität vorzunehmen (Forschungsziel IV). Das weitere Vorgehen dieser Arbeit zur Schließung der beschriebenen Forschungslücken ist überblicksartig in Abbildung III-3 dargestellt.
179 180
181 182
183
Vgl. Gilliland/Bello (2002), S. 36; Sharma/Young/Wilkinson (2006), S. 75ff. Vgl. Gruen/Summers/Acito (2000); Bansal/Irving/Taylor (2004); Sharma/Young/Wilkinson (2006). Vgl. Jones et al. (2007). Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009). Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39.
68
Commitment-Betrachtung Konzeptualisierung der vier Commitment-Konstrukte anhand von vier Theorien:
Forschungsziel I
Forschungsziel II
1.Soziale Identitäts-Theorie 2.Reziprozitäts-Theorie 3.Side bet-Theorie 4.Soziale Interaktions-Theorie
Prüfung der Diskriminanzvalidität der in Forschungsziel I konzeptualisierten CommitmentKonstrukte unter Anwendung der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-Quadrat-Differenztests (n=391)
Kapitel IV
Abschnitt VI-4
Modell-Betrachtung
Forschungsziel III
Identifizierung von Determinanten und Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte in zwei Branchen unter Anwendung der MultigruppenKausalanalyse (n1=840; n2=842)
Abschnitt VI-5.3.1
Forschungsziel IV
Test der Commitment-Kausalitäten aus Forschungsziel III auf unterstellte Konsumentenheterogenität und Identifizierung von Konsumentensegmenten unter Anwendung der Finite Mixture-Analyse (n=1.682)
Abschnitt VI-5.3.2
Abbildung III-3: Weiterer Ablauf der Arbeit zur Verfolgung der Forschungsziele
69
IV
Theoretische Bezugspunkte zur Konzeptualisierung von Commitment – ein multipartialer Ansatz
1
Vorüberlegungen zur theoretischen Konzeptualisierung
Auf Basis der Ergebnisse des vorangehenden Abschnittes wird zur Erreichung des Forschungsziels I im Folgenden ein multipartiales Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten für den Anwendungskontext Konsumentenbeziehungen konzeptualisiert. Der Fokus der folgenden Abschnitte liegt hierbei in der theoretischen Fundierung der Commitment-Konzeptualisierung. Dadurch soll zukünftigen Forschungsarbeiten ein inhaltlich exaktes Verständnis zum Einsatz dieser CommitmentKonstrukte bereitgestellt werden. Die inhaltliche Bedeutung der einstellungsorientierten CommitmentKonstrukte kann grundsätzlich als Beweggrund wiedergegeben werden, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung aufrechterhält (vgl. Abschnitt III-2.1).184 Unterscheiden lassen sich dabei vier Commitment-Konstrukte, welche jeweils einen spezifischen Beweggrund zur Beziehungsfortführung beinhalten und damit die Natur der jeweiligen Beziehung charakterisieren: (1) emotional begründete Beziehung (Affektives Commitment), (2) moralisch begründete Beziehung (Normatives Commitment), (3) ökonomisch begründete Beziehung (Kalkulatives Commitment) und (4) „unfreiwillig“ begründete Beziehung (Kaptives Commitment). Als theoretische Bezugspunkte für die vier interessierenden CommitmentKonstrukte können die Soziale Identitäts-Theorie (Affektives Commitment), die Reziprozitäts-Theorie (Normatives Commitment), die Side bet-Theorie (Kalkulatives Commitment) sowie die Soziale Interaktions-Theorie (Kaptives Commitment) identifiziert werden. In den nachfolgenden Abschnitten werden jeweils die Grundlagen dieser Theorien sowie deren Erklärungsbeitrag zur Entstehung der vier Commitment-Konstrukte vorgestellt. Die Theorien dienen zudem als Basis für das im Kapitel V herzuleitende Untersuchungsmodell. Abbildung IV-1 verdeutlicht die Verknüpfung der einzelnen Theorien mit den jeweiligen Commitment-Konstrukten im Überblick.
184
Vgl. Scholl (1981), S. 590; Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 236.
70
Soziale Identitäts-Theorie (vgl. Tajfel/Turner 1979, 1986) Soziale Identifikation mit einer Personengruppe ist Bestandteil des Selbstkonzepts. Soziale Identifikation ist auch mit Kundengruppen eines Anbieters und dem Anbieter selbst möglich. Als Folge der sozialen Identifikation mit einem Anbieter kommt es zu einer emotional begründeten Beziehung.
Affektives Commitment
Abschnitt IV-2
Reziprozitäts-Theorie (vgl. Gouldner 1960) Die Norm der Reziprozität ist Bestandteil der Moral und besagt, dass Individuen denen helfen bzw. nicht schaden sollen, die ihnen geholfen haben. Die empfangenen Leistungen eines Anbieters können zu einer Verpflichtung zur Gegenleistung führen. Als Folge dieser Verpflichtung kommt es zu einer moralisch begründeten Beziehung.
Normatives Commitment
Abschnitt IV-3
Side bet-Theorie (vgl. Becker 1960) Als Seitenwette (side bet) werden spezifische Investitionen in Form von Zeit und Geld in die Beziehung gesehen, die bei Abbruch dieser ihren Wert verlieren. Als Folge der wahrgenommenen ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe kommt es zu einer kalkulativ begründeten Beziehung.
Kalkulatives Commitment
Abschnitt IV-4
Soziale Interaktions-Theorie (vgl. Thibaut/Kelley 1959) Abhängigkeit in einer Beziehung entsteht dann, wenn entweder Alternativen unattraktiver sind als die aktuelle Beziehung oder keine Alternativen vorhanden sind. Als Folge der wahrgenommenen Abhängigkeit kommt es zu einer „unfreiwilligen“ Beziehung.
Kaptives Commitment
Abschnitt IV-5
Abbildung IV-1: Theoretische Bezugspunkte für die Konzeptualisierung des Affektiven, Normativen, Kalkulativen und Kaptiven Commitments 2
Soziale Identitäts-Theorie und Affektives Commitment
2.1
Grundlagen der Sozialen Identitäts-Theorie
Die Soziale Identitäts-Theorie (Social Identity Theory) befasst sich mit den Beziehungen zwischen Gruppen sowie mit Prozessen innerhalb von Gruppen
71 und dem sozialen Selbst.185 Grundsätzlich beschreibt die Soziale IdentitätsTheorie, wie die selbst wahrgenommene Zugehörigkeit zu anderen Personen und sozialen Gruppen die eigenen sozialen Wahrnehmungen, Einstellungen und das eigene Verhalten beeinflusst. Die Theorie besteht im Wesentlichen aus vier verknüpften Elementen: Der sozialen Kategorisierung, der sozialen Identität, dem sozialen Vergleich und der sozialen Distinktheit, die im Nachfolgenden näher erläutert werden.186 Grundlage der sozialen Kategorisierung ist die Tendenz von Individuen, nach bestimmten Mustern Kategorien zu bilden. Demnach werden Personen (z.T. auch Objekte und Ereignisse), die in Bezug auf ihre Relevanz für die Handlungen, Absichten oder Einstellungen eines Individuums ähnlich oder äquivalent sind, einer Kategorie zugeordnet. Die Kategorisierung verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen wird die soziale Umwelt kognitiv segmentiert und geordnet, wodurch andere Personen auf systematische Weise definiert werden. Zum anderen ermöglicht es die Kategorisierung dem Individuum, seine eigene Position in der sozialen Umwelt zu bestimmen.187 Individuen unterscheiden weiterhin zwischen Kategorien, denen sie selbst angehören (Ingroup) und solchen, denen sie nicht angehören (Outgroup). Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie wiederum bildet die Grundlage für die soziale und persönliche Identität des Individuums.188 Während die persönliche Identität individuelle Eigenschaften subsumiert, versteht Tajfel (1978a) unter der sozialen Identität „[…] that part of an individual´s self concept which derives from his knowledge of his membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance attached to that membership.“189 Somit leistet die soziale Identität zusammen mit der persönlichen Identität einen Beitrag zum gesamten Selbstkonzept eines Individuums.190 Je nach Kontext bestimmen die soziale und die persönliche Identität nicht nur die aktuelle Handlungsweise, sondern auch Handlungsabsichten.191 Die soziale Identität erweist sich dabei 185 186 187 188 189 190 191
Vgl. Tajfel/Turner (1986). Vgl. Tajfel (1978a); Tajfel/Turner (1979). Vgl. Tajfel (1978a), S. 61ff.; Mummendey (1995), S. 100. Vgl. Röder (2001), S. 44f. Tajfel (1978a), S. 63. Vgl. Fischer/Wiswede (2009), S. 731. Vgl. Sproull (1981), S. 215.
72 insbesondere bei Intergruppensituationen als die einflussreichere der beiden Identitätsfacetten. In diesem Fall wird das Bedürfnis nach positiver sozialer Identität nur dann befriedigt, wenn sich die eigene soziale Gruppe im Rahmen des sogenannten sozialen Vergleichs positiv von anderen Gruppen abhebt.192 Für das Individuum besteht somit ein gewisser Druck, die Ingroup gegenüber der Outgroup im sozialen Vergleich positiv zu bewerten. Um eine möglichst hohe positive Bewertung zu ermöglichen, müssen sich die Gruppen deutlich voneinander abgrenzen. Dieser Prozess unterliegt drei Einschränkungen. Erstens müssen die Individuen ihre Gruppenmitgliedschaften internalisiert haben und sich als Teil der Gruppe fühlen. Zweitens werden nur diejenigen Gruppenattribute einem Vergleich unterzogen, die zu einer möglichst hohen positiven Diskrepanz zu einer anderen Gruppe führen. Die Attributsauswahl variiert folglich je nach betrachteter Vergleichsgruppe. Drittens vergleichen sich Ingroups nicht mit allen kognitiv verfügbaren Outgroup-Alternativen. Lediglich die als relevant erachteten Vergleichsgruppen werden herangezogen.193 Das Ziel des sozialen Vergleichs besteht zusammengefasst darin, eine möglichst hohe positive Differenz zur Fremdgruppe aufzudecken. Je höher die Differenz ausfällt, desto mehr gewinnen die Mitglieder der eigenen Gruppe an Selbstwert und damit an positiver sozialer Identität. Da jedoch grundsätzlich die Mitglieder aller Gruppen daran interessiert sind, eine positive soziale Identität zu erreichen, und diese nur zu Lasten der Mitglieder anderer Gruppen entwickelt werden kann, ist das Verhältnis der Gruppen untereinander kompetitiv. Dies kann zu Intergruppenkonflikten führen, die sich entweder in sozialen oder materiellen Wettbewerben äußern und die Polarisation gegenüber der jeweils anderen Gruppe noch verstärken. Der soziale Wettbewerb erfolgt durch eine Selbstevaluierung und einem anschließenden Vergleich mit der jeweils anderen Gruppe. Beim materiellen Wettbewerb wird dagegen die Realisierung eines realistischen materiellen Ziels verfolgt und der eigene Fortschritt mit dem der anderen Gruppen verglichen.194
192 193 194
Vgl. Mummendey (1985), S. 199f. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 16f. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 16f.
73 Das Ergebnis sozialer Vergleiche wird als soziale Distinktheit bezeichnet und stellt die psychologische Eigenart einer Gruppe dar.195 Positive soziale Distinktheit liegt dann vor, wenn eine positive soziale Identität entwickelt wurde. Sobald jedoch die Gruppenmitglieder feststellen, dass sie sich bezogen auf ein relevantes Vergleichsattribut schlechter stellen, sinkt der Gruppenstatus. Entsprechend fällt damit die soziale Identität weniger positiv aus.196 In diesem Fall werden die Gruppenmitglieder versuchen, die Distanz zur Fremdgruppe zu erhöhen, um wieder eine positive Distinktheit und positive Identität zu erreichen. Zwei Strategien stehen dafür zur Verfügung: Entweder können Individuen auf Grundlage des Vergleichsattributs einen sozialen Wettbewerb anstreben oder sie wechseln zu einem für sie günstigeren Vergleichsattribut.197 Zusammenfassend ist Tajfel (1978a) der Auffassung, dass Individuen nicht in der Lage sind, Selbstkonzepte zu bilden, ohne auf soziale Identitäten zurückzugreifen. Demnach definieren sich Individuen meist über gruppenbezogene Merkmale (z.B. Familie oder Nationalität). Sie können aber auch bewusst Mitglieder von frei wählbaren gesellschaftlichen Gruppierungen (z.B. Sportvereinen, Parteien oder religiösen Verbindungen) werden, die in Folge als Erweiterung des Selbstkonzepts dienen.198 Aber auch die gemeinsame Anstellung bei einem Arbeitgeber kann als identitätsstiftende Gruppe dienen,199 ebenso wie die Zugehörigkeit zur Kundengruppe eines Anbieters von Produkten oder Dienstleistungen.200 2.2
Übertragung der Sozialen Identitäts-Theorie auf das Affektive Commitment
Die Entstehung des Affektiven Commitments kann direkt aus der Sozialen Identitäts-Theorie hergeleitet werden. Die Art des Bezugsobjekts nimmt dabei nur eine untergeordnete Rolle ein. So lässt sich mittels dieser Theorie auch das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen erklären.
195 196 197 198 199 200
Vgl. Tajfel (1978b), S. 83. Vgl. Tajfel (1978b), S. 86ff. Vgl. Tajfel/Turner (1986), S. 17. Vgl. Tajfel (1978a). Vgl. Johnson/Chang (2006), S. 553. Vgl. z.B. Büttner et al. (2008), S. 43ff.
74 Entscheidend für die Entstehung des Affektiven Commitments ist die dreidimensionale Struktur der sozialen Identität. Nach Ellemers, Kortekaas und Ouwerkerk (1999) kann die soziale Identität in die Dimensionen kognitiv, evaluativ und emotional unterteilt werden. Die kognitive Dimension zielt auf das Bewusstsein über die Mitgliedschaft des Individuums in einer sozialen Gruppe ab. Die evaluative Dimension beschreibt dagegen die positive oder negative Bewertung, die mit der Gruppenmitgliedschaft assoziiert wird. Damit ist die Wahrnehmung der Attribute gemeint, die der jeweiligen Gruppe von außen zugeschrieben werden. Die emotionale Dimension bezeichnet schließlich die affektive Identifikation mit der Gruppe und ist Ellemers, Kortekaas und Ouwerkerk (1999) zufolge gleichzusetzen mit dem Affektiven Commitment gegenüber der jeweiligen Gruppe.201 Dieser emotionalen Dimension wird im Vergleich zur evaluativen und kognitiven Dimension zudem eine höhere Prognosegüte für das tatsächliche Verhalten zugeschrieben.202 Die Herleitung des Affektiven Commitments gegenüber einem Anbieter kann nun wie folgt begründet werden. Zunächst wird angenommen, dass die aus der Zugehörigkeit zu einer Kundengruppe resultierende soziale Identität zu einer sozialen Identifikation mit dem jeweiligen Anbieter führt. Die emotionale Dimension dieser sozialen Identität entspricht wiederum dem Affektiven Commitment gegenüber diesem Anbieter. Eine Untersuchung von Büttner et al. (2008) belegt diesen Zusammenhang. Sie zeigen, dass sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe einer Luxusmarke positiv auf die in dieser Studie dem Affektiven Commitment ähnlich operationalisierten markenbezogenen Beziehungsqualität auswirkt.203 Das Affektive Commitment wird in der vorliegenden Arbeit daher wie folgt definiert: Das Affektive Commitment entspricht der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit einem Anbieter. Es beschreibt somit die emotional begründete Beziehung zu einem Anbieter.
201 202 203
Vgl. Ellemers/Kortekaas/Ouwerkerk (1999), S. 372. Vgl. Ouwerkerk/Ellemers/Gilder (1999), S. 188f. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff.
75 3
Reziprozitäts-Theorie und Normatives Commitment
3.1
Grundlagen der Reziprozitäts-Theorie
Die Reziprozitäts-Theorie beschreibt das Phänomen der Gegenseitigkeit beim Erbringen von Leistungen zwischen verschiedenen Individuen.204 Der Begriff Reziprozität wird oft gleichgesetzt mit der in der interpersonellen Psychologie verwendeten Reziprozitätsnorm,205 die im Wesentlichen auf die Überlegungen von Gouldner (1960) zurückgeht.206 Obwohl die Reziprozitätsnorm die bekannteste Form der Reziprozität ist, lassen sich inhaltlich insgesamt vier Reziprozitätsformen unterscheiden:207 1. Generalisierte Reziprozität 2. Reziprozität von Positionen 3. Reziprozität der Perspektive 4. Direkte oder „echte“ Reziprozität (auch bekannt als Reziprozitätsnorm) Die Generalisierte Reziprozität bezeichnet eine Leistung, die erbracht wird, ohne dass der Leistungsgeber auf einen direkten Ausgleich hofft. Diese Art der Reziprozität wird häufig in Verbindung gebracht mit der Gruppenzugehörigkeit.208 Die Gruppenzugehörigkeit kann in diesem Fall entweder eine konkrete soziale Gruppe sein (z.B. die Familie) oder eine soziologische Gruppe (z.B. Lehrer). In diesem Fall wird allein durch die Gruppenzugehörigkeit eine Reziprozitätsbeziehung aufgebaut, ohne dass eine Gegenleistung in jeglicher Form erwartet wird.209 Hondrich (2001) bezeichnet dieses Verhalten auch als Solidarität unter Individuen, die sich in bestimmten Merkmalen ähneln.210 Reziprozität von Positionen bedeutet, dass in Rollensystemen eine bestimmte soziale Rolle zugleich auch einen bestimmten Gegenpart besitzt. Beispielsweise ist die Rolle eines Arztes immer an die Rolle seiner Patienten 204 205 206 207 208 209 210
Vgl. Stegbauer (2002), S. 19. Vgl. Petersitzke (2009), S. 65. Vgl. Gouldner (1960), S. 171ff. Vgl. Stegbauer (2002), S. 31. Vgl. Stegbauer (2002), S. 79. Vgl. Stegbauer (2002), S. 79ff. Vgl. Hondrich (2001), S. 105f.
76 gebunden. Demnach existieren die unterschiedlichen Rollen in Abhängigkeit voneinander. Nach Boorman und White (1976) erzeugt nun die Erwartung eines Akteurs A reziproke Erwartungen bei Akteur B. Erfüllt ein Akteur die mit der Rolle verbundenen Erwartungen nicht ausreichend, drohen ihm Sanktionen. So ist neben der Kritik die häufigste und auch schwerwiegendste Sanktion für einen Partner der Beziehungsabbruch.211 Die Gegenseitigkeit des Verhaltens ist hier nicht an eine bestimmte Leistung oder ein entsprechendes Äquivalent geknüpft, sondern der Austausch ist durch die spezifische Position der Beteiligten geregelt. Meist werden die Partner nicht als gleichberechtigt angesehen, da in derartigen Rollensystemen natürliche Hierarchien existieren. Daher sind Tauschgüter oder -leistungen in vielen Fällen nicht gleichwertig.212 Die Reziprozität der Perspektive ist eng mit der Reziprozität von Positionen verwandt. Diese Form beschreibt, inwiefern ein Akteur in der Lage ist, sich in die Rolle des anderen hineinzuversetzen und die sich aus der jeweils anderen Perspektive ergebenden Erwartungen zu erkennen. Mittels der Perspektivenübernahme kann der Akteur seine Reaktion auf den anderen besser kontrollieren. Letztlich handelt es sich aber um eine selbstreflexive Perspektive, bei der es um die Frage geht, wie das Gegenüber einen selbst wahrnimmt und welche Handlungen es von der eigenen Person erwartet.213 Die Verknüpfung zur Reziprozität resultiert daher, dass diese Art der Reziprozität stark mit einer Rollen-Typisierung einhergeht, d.h. ein Individuum lässt sich bei der Perspektivenübernahme stark vom Rollenbild des anderen gegenüber der eigenen Person beeinflussen.214 Die vierte Form der Reziprozität wird direkte oder auch „echte“ Reziprozität genannt. Sie geht in ihren Ursprüngen auf die Ausführungen von Gouldner (1960) zurück, der sich in seiner Arbeit auf die Reziprozitätsnorm bezieht. Mit ihr sind zwei miteinander verknüpfte Minimalforderungen verbunden: (1) Individuen sollten denen helfen, die ihnen geholfen haben und (2) Individuen sollten denen nicht schaden, die ihnen geholfen haben. Die Reziprozitätsnorm ist grundsätzlich in allen Wertesystemen vorzufinden und gilt als Hauptkomponente der Moral.215 Die Norm ist mittlerweile als universelles Prinzip 211 212 213 214 215
Vgl. Boorman/White (1976), S. 1391. Vgl. Stegbauer (2002), S. 32. Vgl. Joas (1992), S. 251f. Vgl. Berger/Luckmann (2007), S. 33. Vgl. Gouldner (1960), S. 171.
77 anerkannt.216 Nach Regan (1971) scheinen Individuen ein inneres Bedürfnis zu haben, jegliche Gefälligkeiten, die ihnen andere zuteil werden lassen, zurückzuzahlen, sogar wenn dies nicht erwünscht ist.217 Die Reziprozitätsnorm beinhaltet somit eine Verpflichtung zur Rückzahlung, die aus den gewährten Leistungen anderer resultiert. Die Höhe der Rückzahlung ist abhängig vom kalkulatorischen Wert der Leistungen und variiert je nach Kontext. Demnach ist der Wert beispielsweise abhängig von der Dringlichkeit der Leistung, der Wertigkeit der Leistung aus Sicht des Gebers und der Motivation des Gebers. Der Wert der Rückzahlung soll dabei in etwa zum Wert der gegebenen Leistung äquivalent sein.218 Bei der Äquivalenz von Rückzahlungen werden zwei Formen unterschieden. Zum einen existiert die Heteromorphe Reziprozität, bei der die ausgetauschten Leistungen unterschiedlich, deren Wert aus der Perspektive der Akteure aber identisch ist. Zum anderen gibt es die Homomorphe Reziprozität. In diesem Fall sind die ausgetauschten Leistungen nahezu identisch. Allerdings ist zu beachten, dass die Äquivalenzbewertung der ausgetauschten Leistungen nur aus der Perspektive der Akteure in einer bestimmten Situation erfolgt. Demzufolge können sich die Werte der Leistungen objektiv betrachtet deutlich voneinander unterscheiden. Dies steht in einem deutlichen Gegensatz zur Annahme von Ökonomen und Sozialwissenschaftlern, dass ausgetauschte Leistungen zwischen zwei Individuen langfristig die gleichen Marktbewertungen aufweisen.219 3.2
Übertragung der Reziprozitäts-Theorie auf das Normative Commitment
Die Rezprozitäts-Theorie lässt sich direkt auf Anbieter-Kunden-Beziehungen übertragen. Nach Morales (2005) zeigen Konsumenten Tendenzen, eine reziproke und gegenseitig lohnende Beziehung mit einem Anbieter einzugehen.220 Bagozzi (1995) erwähnt bereits, dass die Reziprozität eine grundlegende Eigenschaft in Anbieter-Kunden-Beziehungen darstellt.221 216 217 218 219 220 221
Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Regan (1971), S. 628ff. Vgl. Gouldner (1960), S. 171f. Vgl. Gouldner (1960), S. 171f. Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Bagozzi (1995), S. 272ff.
78 Fournier (1998) geht einen Schritt weiter und stellt fest, dass in guten Anbieter-Kunden-Beziehungen eine Balance zwischen Geben und Nehmen vorhanden sein sollte.222 Obgleich sich alle Reziprozitätsformen eignen, dient in der Marketingforschung primär die Reziprozitätsnorm von Gouldner (1960) als Erklärung für das belohnende Verhalten von Konsumenten gegenüber Firmen, die sich überdurchschnittlich um das Kundenwohl besorgt zeigen. Nach Morales (2005) ist in länger andauernden Anbieter-Kunden-Beziehungen die Wahrnehmung von Leistungen und Kosten entscheidend. Wenn beispielsweise ein Kundenbetreuer besonders viel Zeit für die Bedienung eines Kunden aufwendet, so steigen die Aufwendungen des Anbieters ebenso wie der Nutzen des Kunden. Hält der Anbieter dabei seine Preise konstant, führt dies aus Kundenperspektive zu einem Ungleichgewicht, da der Kundennutzen den für die Anbieteraufwendungen entrichteten Preis übersteigt. Als Konsequenz fühlt sich der Kunde gegenüber dem Anbieter zu großem Dank verpflichtet. Da dieses Gefühl der Verpflichtung für Individuen unangenehm ist, streben diese eine Rückzahlung an, die sich beispielsweise in einem höheren Kaufvolumen niederschlagen kann.223 Demnach löst das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Anbieter vorteilhafte Verhaltensreaktionen beim Konsumenten aus, welche die Leistungen des Anbieters honorieren.224 In der vorliegenden Arbeit wird das Gefühl der Verpflichtung gegenüber einem Anbieter als Normatives Commitment konzeptualisiert. Dieses CommitmentKonstrukt definiert sich daher wie folgt: Das Normative Commitment basiert auf der Norm zur Reziprozität gegenüber einem Anbieter. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die moralische Verpflichtung, die empfangenen Leistungen in einer für den Anbieter nützlichen Form zurückzugeben.
222 223 224
Vgl. Fournier (1998), S. 344ff. Vgl. Morales (2005), S. 806. Vgl. Goranson/Berkowitz (1966), S. 232.
79 4
Side bet-Theorie und Kalkulatives Commitment
4.1
Grundlagen der Side bet-Theorie
Die Side bet-Theorie geht im Wesentlichen auf die Überlegungen von Becker (1960) zurück, in denen er sogenannte Seitenwetten (side bets) als Ursache für konsistentes Verhalten beschreibt.225 Konsistentes Verhalten ist dabei durch Dauerhaftigkeit gekennzeichnet und richtet sich immer auf ein bestimmtes Bezugsobjekt. Letztlich führt konsistentes Verhalten zur Ablehnung von Handlungsalternativen.226 Der Begriff Seitenwette bezieht sich auf die Kosten, die einem Individuum entstehen, wenn dieses ein bestimmtes Verhalten nicht konsistent fortführt. Becker (1960) veranschaulicht dies anhand einer hypothetischen Verhandlungssituation. In diesem Beispiel bietet ein potenzieller Hauskäufer 16.000 USD, während der Verkäufer des Hauses 20.000 USD verlangt. Gleichzeitig hat der Interessent mit einer dritten Peson gewettet, dass er nicht mehr als sein ursprüngliches Angebot in Höhe von 16.000 USD zahlen wird. Durch diese Seitenwette hat sich der potenzielle Käufer darauf festgelegt, nicht mehr als sein ursprüngliches Angebot zu zahlen, da er sonst die Wette mit der dritten Person verliert. Der Käufer hat demnach durch eine der Verhandlung zeitlich vorgelagerten Aktion einen Wert an das konsistente Fortführen seines ursprünglich geplanten Verhaltens geknüpft. Die Konsequenz eines inkonsistenten Verhaltens, d.h. die Abgabe eines höheren Angebots als 16.000 USD, würde zu einem Verlieren der Seitenwette führen und damit diese Handlungsalternative als unvorteilhaft erscheinen lassen.227 Es lassen sich drei Voraussetzungen identifizieren, die zu dem Aufrechterhalten eines ursprünglichen Verhaltens durch Seitenwetten führen. Erstens muss das Individuum in einer Position sein, in der seine Entscheidung bezüglich einer bestimmten Handlung Konsequenzen für eine andere Handlung nach sich zieht, wobei die Konsequenzen nicht zwangsläufig miteinander verknüpft sind. Zweitens muss sich das Individuum durch frühere Handlungen selbst in diese Position gebracht haben. Drittens muss das
225 226 227
Vgl. Becker (1960), S. 33ff. Vgl. Moser (1996), S. 1. Vgl. Becker (1960), S. 35.
80 Individuum bewusst erkennen, dass es eine Seitenwette eingegangen ist, die zu einem Verlust führt, wenn es sein ursprüngliches Verhalten aufgibt.228 Weiterhin macht Becker (1960) darauf aufmerksam, dass konsistentes Verhalten durch mehrere Seitenwetten gleichzeitig verursacht werden kann.229 Darüber hinaus ist der Wert von Seitenwetten an das persönliche Wertesystem eines Individuums gekoppelt. Becker (1960) bemerkt dazu: „[…] it is important to recognize that many sets of valuable things have value only within subcultural groups in a society and that many side bets […] are made within a system of value of limited provenience.“230 Folglich ist der Wert von Seitenwetten individuell zu bestimmen und kann nicht objektiviert werden. 4.2
Übertragung der Side bet-Theorie auf das Kalkulative Commitment
Die Side bet-Theorie dient sowohl in der Organisationspsychologie231 als auch in der Marketingwissenschaft232 zur Erklärung des auf ökonomischen Vor- und Nachteilen einer Beziehung basierenden Kalkulativen Commitments. Der Ursprung dieser Verknüpfung geht auf Becker (1960) zurück, der die Side bet-Theorie als wesentlichen Erklärungsansatz für die Entstehung des Kalkulativen Commitments sieht.233 Nach Becker (1960) ist die Voraussetzung für die Entstehung des Kalkulativen Commitments eine Seitenwette, deren Wert verloren geht, wenn das mit der Seitenwette verknüpfte Verhalten nicht fortgesetzt wird. Kalkulatives Commitment wiederum beschreibt er als Wahrnehmung des Einflusses dieser Seitenwette auf die Entscheidung zur Fortführung des damit verbundenen Verhaltens. Die Konsequenz des Kalkulativen Commitments sieht er im konsistenten Verhalten. Demzufolge bilden die Konstrukte Seitenwette und Kalkulatives Commitment für ihn die zentralen Bestandteile zur Erklärung der Verhaltenskonsistenz.234 Becker (1960) betont weiterhin, dass Kalkulatives Commitment nicht mit dem konsistenten Verhalten gleichzusetzen ist, sondern dessen Determinante darstellt: „Note that […]
228 229 230 231 232 233 234
Vgl. Becker (1960), S. 35f. Vgl. Becker (1960), S. 38. Becker (1960), S. 39. Vgl. z.B. Cohen/Lowenberg (1990), S. 1016ff.; Shore et al. (2000), S. 429ff. Vgl. z.B. Harrison-Walker (2001), S. 65; Gilliland/Bello (2002), S. 29. Vgl. Becker (1960), S. 36. Vgl. Becker (1960), S. 36.
81 commitment can be specified independent of the consistent activity which is its consequence.“235 Im Marketing ist der Zusammenhang zwischen Seitenwette und Kalkulativem Commitment folgendermaßen begründet. Sobald ein Kunde in eine Beziehung mit einem Anbieter eingetreten ist, kann er grundsätzlich Seitenwetten abgeben. Dwyer, Schurr und Oh (1987) sowie Söllner (1993) argumentieren, dass mit zunehmender Dauer der Beziehung mehr spezifische Investitionen getätigt werden, die bei Abbruch der Beziehung ihren Wert verlieren.236 Diese Investitionen können als Seitenwetten interpretiert werden. Je höher deren Wert ausfällt, desto eher wird die Beziehung aufrechterhalten, um die bereits getätigten Investitionen nicht als versunkene Kosten (sunk costs) verbuchen zu müssen. Die Wahrnehmung des Einflusses der Seitenwette auf die Beziehungsfortführung wird wiederum als Kalkulatives Commitment bezeichnet.237 Von Stenglin (2008) setzt den Wert von Seitenwetten auch mit Wechselkosten gleich.238 In der Marketingliteratur findet sich unter dem Begriff Wechselkosten eine Vielzahl weiterer relevanter Wertbestandteile von Seitenwetten. So können nach Jones, Mothersbaugh und Beatty (2002) Wechselkosten zunächst in Kontinuitätskosten und Lernkosten unterschieden werden (vgl. auch Abschnitt V-3.1.6). Unter Kontinuitätskosten fallen die verlorenen Gewinne aus einer Beziehung, die sich ein Konsument durch eine lang andauernde Beziehung mit dem Anbieter „verdient“ hat. Beispielsweise können dies Vorteile aus Bonusprogrammen oder volumenbasierten Discounts sein. Ebenfalls unter Kontinuitätskosten fallen Unsicherheitskosten, die notwendig waren, um den vormals unbekannten Anbieter kennenzulernen und ihm zu vertrauen. Bei einem Anbieterwechsel würden auch diese Investitionen verloren gehen. Unter den Lernkosten finden sich die Kosten, die für Suche, Bewertung sowie Anpassung an einen Anbieter notwendig sind. Diese Kosten sind Investitionen, die vor dem Beziehungseintritt anfallen und bei einem Beziehungsaustritt ebenfalls verloren sind.239
235 236 237 238 239
Becker (1960), S. 36. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 15ff.; Söllner (1993), S. 109f. Vgl. Zimmer (2000), S. 49. Vgl. von Stenglin (2008), S. 78f. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 442f.
82 Um als Seitenwette wahrgenommen zu werden, ist entscheidend, dass diese Kosten als spezifische Investitionen240 in die Beziehung interpretiert werden. Die Spezifität beschreibt hierbei das Ausmaß, zu dem eine Investition oder ein aus der Beziehung hervorgegangener Vorteil nur in einer bestimmten Austauschbeziehung genutzt wird und nicht auf alternative Beziehungen übertragen werden kann.241 Somit entstehen bei Beendigung einer Anbieterbeziehung für das Individuum grundsätzlich ökonomische Nachteile, deren Wahrnehmung zu konsistenten Verhalten, d.h. dem Beibehalten der ursprünglichen Austauschbeziehung, führen. In der vorliegenden Arbeit wird daher das Kalkulative Commitment wie folgt definiert: Das Kalkulative Commitment basiert auf der Wahrnehmung der ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe. Es beschreibt daher die Beziehung zu einem Anbieter, begründet durch die bei einem Anbieterwechsel entstehenden ökonomischen Nachteile. 5
Soziale Interaktions-Theorie und Kaptives Commitment
5.1
Grundlagen der Sozialen Interaktions-Theorie
Die Soziale Interaktions-Theorie, auch als Soziale Austauschtheorie (Social Exchange Theory) bekannt, geht in ihren Grundlagen auf die Arbeiten von Soziologen wie Homans (1958, 1961) und Blau (1960, 1964) sowie auf die Sozialpsychologen Thibaut und Kelley (1959) zurück. Mittels der Sozialen Interaktions-Theorie können Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen Bedingungen Interaktionspartner eine Beziehung fortführen und welche Bedingungen sie zur Abwanderung veranlassen.242 Soziale Interaktionen werden nach dem Prinzip wirtschaftlicher Tauschbeziehungen erklärt.243 Nach Thibaut und Kelley (1959) sind damit zunächst dyadische Austauschbeziehungen gemeint. Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen werden aber auch komplexere Beziehungen wie soziale Gruppen untersucht.244 Eine Gruppe ist in diesem Kontext dadurch definiert, 240
241 242 243 244
Spezifische Investitionen sind auch als sunk costs in der Transaktionskostentheorie bekannt und bezeichnen Investitionen, die mit Beendigung der Beziehung vollständig oder zumindest teilweise ihren Wert verlieren. Vgl. Williamson (1990), S. 60ff. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367. Vgl. Schütze (1992), S. 83f. Vgl. Neuberger (1974), S. 95. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 9ff.
83 dass eine Mehrzahl von Personen in direkter Interaktion über eine längere Zeitspanne soziale Austausche vornimmt.245 Grundlage der Sozialen Interaktions-Theorie ist der Ansatz des AnreizBeitrags-Gleichgewichts.246 Dieser beruht auf der Annahme, dass Interaktionspartner ihr Verhalten an konkreten Kosten-Nutzen-Überlegungen ausrichten. Eine Austauschbeziehung wird nur dann aufrechterhalten, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis positiv und damit die Beziehung als profitabel beurteilt wird.247 Dabei sind Kosten und Nutzen nicht aus einer rein ökonomischen Perspektive zu verstehen, sondern beinhalten auch psychologische Elemente wie Werte, Gefühle und Einstellungen.248 Thibaut und Kelley (1959) postulieren, dass jeder Interaktionspartner über unterschiedliche Verhaltensmöglichkeiten verfügt, die für ihn Nutzen und Kosten und folglich bestimmte Werte repräsentieren. Die Beurteilung der Wertadäquanz in einer Austauschbeziehung erfolgt allerdings nicht objektiv sondern immer über Vergleichsprozesse. Dazu führen die Autoren das Konstrukt „Comparison Level“ (CL) ein.249 Das CL misst dabei Kosten und Nutzen der Beziehung basierend auf den Erfahrungen der Vergangenheit. Je positiver die Erfahrungen, desto höher liegt das CL.250 Das CL dient damit als Vergleichsmaßstab im Sinne eines Standards, anhand dessen der Interaktionspartner die Ergebnisse (E) seiner Beziehung bewertet. Das CL kann allerdings im Laufe der Beziehung variieren. Es verändert sich je nach positiven und negativen Erfahrungen sowie subjektiven Wahrnehmungen.251 Ob ein Interaktionspartner in der Austauschbeziehung verbleibt, lässt sich allerdings anhand der Betrachtung des CL alleine noch nicht ablesen. So kann eine Beziehung auch bei Unzufriedenheit aufrechterhalten werden, wenn keine bzw. keine gleichwertige Alternative zur Verfügung steht. Um Handlungsabsichten vorhersagen zu können, führen Thibaut und Kelley (1959) den „Comparison Level of Alternatives“ (CLAlt) als zweiten Bewertungsmaßstab ein. Das CLAlt steht für das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit der besten zur 245 246 247 248 249 250 251
Vgl. Rosenstiel (2003), S. 274. Vgl. Kern (1990), S. 10. Vgl. Homans (1961), S. 10ff. Vgl. Schütze (1992), S. 85. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 21. Vgl. Douven (2009), S. 55. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 81.
84 Verfügung stehenden Alternativbeziehung. Damit gilt das CLAlt als das niedrigste Niveau der Ergebnisse innerhalb einer bestehenden Austauschbeziehung, das vom Interaktionspartner gerade noch toleriert wird, ohne die Beziehung zu beenden und zur Alternative zu wechseln.252 Je nach Relation von CL, CLAlt und E wird eine Beziehung als mehr oder weniger attraktiv wahrgenommen und die Interaktionspartner sind in der Konsequenz mehr oder weniger voneinander abhängig. Zur Fortführung der Beziehung kommt es, wenn eine der folgenden drei AttraktivitätsAbhängigkeits-Kombinationen vorliegt (vgl. Abbildung IV-2):253 1. Szenario 1 beschreibt eine Beziehung, die attraktiv und unabhängig wahrgenommen wird. Attraktiv erscheint die Beziehung dann, wenn die durchschnittlich erzielten Ergebnisse einer Beziehung über dem CL liegen. Gleichzeitig besteht Unabhängigkeit, wenn das CLAlt über dem CL liegt, da folglich Alternativen existieren, die auch potenzielle Ergebnisse über dem CL versprechen. Die Unabhängigkeit ist dabei umso größer, je geringer der Abstand zwischen E und CLAlt ist. Je weiter die erzielten Ergebnisse das CLAlt jedoch übersteigen, desto höher sind die empfundenen Wechselkosten im Sinne eines Verzichts auf den Nutzen, den die aktuelle Austauschbeziehung realisiert. 2. Szenario 2 zeigt eine attraktive, aber abhängige Beziehung. Liegen die durchschnittlichen erzielten Ergebnisse höher als das CL und liegt das CL über dem CLAlt dann besteht zunächst Zufriedenheit mit der Beziehung. Allerdings liegt auch Abhängigkeit vor, da sich mit den wahrgenommenen adäquaten Alternativen keine über dem CL liegenden Ergebnisse erzielen lassen. 3. Szenario 3 beschreibt eine Situation, in der ein Interaktionspartner unzufrieden mit der Beziehung, gleichzeitig aber auch abhängig von ihr ist. Die Ergebnisse der Beziehung sind niedriger als das CL, die zu erwartenden Ergebnisse von Alternativen CLAlt sind aber noch schlechter einzustufen. Folglich wird eine Beziehung selbst dann fortgeführt, wenn die aktuellen Ergebnisse unter dem CL liegen, jedoch nur, wenn die Alternativen genauso schlecht oder noch schlechter eingestuft werden. In 252 253
Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 21. Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 23f.
85 diesem Fall sprechen Thibaut und Kelley (1959) von „nonvoluntary relationships“254. Beziehung
Konstellationen
Szenario 1: attraktiv und unabhängig
-
Szenario 2: attraktiv und abhängig
-
Szenario 3: unattraktiv und abhängig
-
+ CL
CLAlt
CL
E
E
+ CLAlt
+ CLAlt
E
CL
CL = Comparison Level CLAlt = Comparison Level für Alternativen E = Ergebnis einer Beziehung
Abbildung IV-2: Attraktivität und Abhängigkeit in Beziehungen Quelle: In Anlehnung an Herkner (2001), S. 398.
5.2
Übertragung der Sozialen Interaktions-Theorie auf das Kaptive Commitment
Die Soziale Interaktions-Theorie wird im Marketing zur Beantwortung der Frage genutzt, wann Partner eine Beziehung aufgrund eines unvorteilhaften Kosten-Nutzen-Verhältnisses verlassen. Die Soziale Interaktions-Theorie bietet daher neben der Side bet-Theorie auch einen Erklärungsansatz für das Kalkulative Commitment. Darüber hinaus eignet sich die Soziale InteraktionsTheorie aber auch für die Herleitung des Kaptiven Commitments, also der Beibehaltung einer Beziehung aufgrund des wahrgenommenen Gefühls der Abhängigkeit. Grundsätzlich sind im vorliegenden Kontext zwei Konstellationen vorstellbar, bei denen sich ein Konsument von seinem Anbieter abhängig fühlt. Zunächst ist das aus Abschnitt III-5.1 beschriebene Szenario 2 vorstellbar, bei dem der Konsument sich zwar in einer attraktiven, aber abhängigen Beziehung befindet. In diesem Fall liegt das Ergebnis der Beziehung über dem Vergleichswert CL, weswegen die Beziehung attraktiv erscheint. Der 254
Thibaut/Kelley (1959), S. 23f.
86 Vergleichswert für alternative Anbieter CLAlt ist allerdings niedriger einzustufen als der Vergleichswert CL, wodurch der Konsument abhängig vom ursprünglichen Anbieter ist, da es keinen gleich guten oder besseren Anbieter als Alternative gibt. Die Motivation zum Wechsel sollte allerdings aufgrund der attraktiven Beziehung nicht gegeben sein, wodurch der Aspekt der Abhängigkeit zunächst in den Hintergrund tritt. Dennoch kann die Wahrnehmung fehlender adäquater Alternativen das Gefühl des „Gefangenseins“ in der Beziehung oder sogar der „Unfreiwilligkeit“ mit der Anbieterwahl nach sich ziehen. Im Szenario 3 handelt es sich um eine unattraktive und zugleich abhängige Beziehung. Das Ergebnis der Austauschbeziehung wird vom Konsumenten schlechter als der Vergleichswert CL eingestuft, wodurch die Anbieterbeziehung als unattraktiv empfunden wird. Jedoch ist das Ergebnis besser als der Vergleichswert einer adäquaten Alternative CLAlt, weswegen sich keine Alternative für einen Wechsel anbietet. In diesem Fall bleibt der Konsument bei seinem Anbieter, obwohl es sich um eine unattraktive Beziehung handelt. Das Gefühl der Abhängigkeit dominiert hier die Wahrnehmung des Konsumenten. Das in der vorliegenden Arbeit verwendete Kaptive Commitment bezieht sich grundsätzlich auf die beiden letztgenannten Szenarien, in denen eine Abhängigkeit vom betrachteten Anbieter besteht. Das Konstrukt wird daher wie folgt definiert: Das Kaptive Commitment beruht auf einer wahrgenommenen Abhängigkeit von einem Anbieter. Es beschreibt daher eine „unfreiwillige“ Beziehung zu einem Anbieter, die mehr aus einer Notwendigkeit als aus einer freien Entscheidung resultiert. 6
Zusammenfassung und Konsequenz für das weitere Vorgehen
In den vorangegangenen Abschnitten wurden vier einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte auf Basis von vier unterschiedlichen Theorien konzeptualisiert. Jedes dieser Commitment-Konstrukte bildet dabei einen spezifischen Beweggrund ab, warum ein Kunde seine Anbieterbeziehung aufrechterhält. Das Spektrum der Beweggründe ist dabei vielfältig. So wird zunächst zwischen dem Affektiven Commitment, das eine emotional begründete
87 Beziehung auf Basis der sozialen Identifikation mit einem Anbieter beschreibt, und dem Normativen Commitment, das auf der moralischen Verpflichtung gegenüber einem Anbieter beruht, unterschieden. Weiterhin existieren das Kalkulative Commitment, das eine Beziehung auf Basis eines KostenNutzen-Verhältnisses darstellt, und das Kaptive Commitment, das auf einer „unfreiwilligen“, abhängigen Beziehung gründet. Die vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte unterscheiden sich inhaltlich auch in der Freiwilligkeit, mit der eine Beziehung aufrechterhalten wird. Während das Affektive Commitment eine völlig freiwillige Bindungsform beschreibt, beinhalten das Normative Commitment und das Kalkulative Commitment bereits Zwänge, in der Anbieterbeziehung zu verbleiben. Beim Normativen Commitment verursacht die moralische Norm, eine empfangene Leistung wieder zurückgeben zu wollen, die Verpflichtung zur Beziehungsaufrechterhaltung. Beim Kalkulativen Commitment führen ökonomische Kosten-Nutzen-Abwägungen dazu, dass die Beziehung aus rationaler Sicht nicht aufgegeben werden sollte. Das Kaptive Commitment verkörpert schließlich das „Gefangensein“ in einer Beziehung, die beispielsweise aus der Wahrnehmung mangelnder Alternativen resultiert. Die Fortführung der Beziehung fußt in diesem Fall nicht auf einer freien Entscheidung. Die Notwendigkeit einer multipartialen Commitment-Betrachtung in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten geht auf Überlegungen der Organisationspsychologen Mowday, Porter und Steers (1982) zurück, die bereits früh die unterschiedlichen Bedeutungsinhalte von Commitment erkannt haben. Die Betrachtung von Commitment als ein einzelnes Konstrukt ist zudem problematisch, werden empirische Befunde herangezogen, die nicht nur das Vorhandensein mehrer inhaltlicher Ausprägungen von Commitment, sondern auch unterschiedliche Wirkungen dieser Konstrukte auf das Verhalten belegen. So können in der Organisationspsychologie Meyer und Herscovitch (2001) unterschiedliche Einflussstärken einzelner Commitment-Konstrukte auf Verhaltensvariablen nachweisen.255 Es ist folglich davon auszugehen, dass auch die in dieser Arbeit im Fokus stehenden Commitment-Konstrukte nicht nur unterschiedlich entstehen, 255
Vgl. Meyer/Herscovitch (2001), S. 310ff.
88 sondern auch unterschiedliche Erfolgswirkungen aufweisen. Zur Überprüfung dieser Annahme wird im weiteren Verlauf der Arbeit ein komplexes Hypothesensystem zu den Determinanten und den Erfolgswirkungen dieser Commitment-Konstrukte aufgestellt und auf Signifikanz getestet.
89
V
Konzeption eines Untersuchungsmodells zu den Determinanten und Erfolgswirkungen von Commitment
1
Vorüberlegungen zum Untersuchungsmodell
Im vorangegangen Kapitel IV wurde auf Basis mehrerer Theorien das Affektive, Normative, Kalkulative und Kaptive Commitment konzeptualisiert. Das Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, ein hypothetisches Untersuchungsmodell zu entwickeln, das die Steuerung des Beziehungserfolgs anhand einer multipartialen Commitment-Betrachtung in Form dieser vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte beschreibt. Dazu wird zunächst der Einfluss ausgewählter Determinanten auf die einzelnen Commitment-Konstrukte modelliert, die wiederum den Beziehungserfolg in Form ausgewählter Verhaltensabsichten beeinflussen sollen (vgl. Abschnitt V-3; Forschungsziel III). Um darüber hinaus die unterstellte Konsumentenheterogenität zu berücksichtigen und zielgruppenspezifische Steuerungsmöglichkeiten aufzudecken (Forschungsziel IV), werden zudem Variablen ausgewählt, die später zur Segmentbeschreibung herangezogen werden (vgl. Abschnitt V-4). Das zu entwickelnde Untersuchungsmodell wird hierzu auf den Dienstleistungskontext ausgerichtet. In der Forschung hat sich die Analyse der Commitment-Kausalitäten mit Kunden von Friseurstudios (personenorientierte Dienstleistungen) und Kunden von Autowerkstätten (produktorientierte Dienstleistungen) bewährt.256 Daher werden diese beiden Dienstleistungsbranchen exemplarisch auch für die vorliegende Untersuchung verwendet. In einer ersten Studie (vgl. Abschnitt V-2) wird zunächst die Eignung der vier Commitment-Konstrukte für die beiden Untersuchungsbranchen mittels strukturierter Einzelinterviews mit Konsumenten (n=22) geprüft. Dies erscheint notwendig, da bisher nur einzelne Commitment-Konstrukte in beiden Untersuchungsbranchen eingesetzt wurden. In einem explorativen Teil der Interviews werden außerdem mögliche Einflussfaktoren der vier CommitmentKonstrukte abgefragt. Dies dient neben den Erkenntnissen der vorhandenen
256
Vgl. Harrison-Walker (2001); Bansal/Irving/Taylor (2004).
90 Literatur der Auswahl relevanter Determinanten für die CommitmentKonstrukte. Der Aufbau des Untersuchungsmodells bildet die Wirkungskette (1) Determinanten, (2) einstellungsorientierte Commitment-Konstrukte und (3) Verhaltensabsichten ab und kann somit in drei Ebenen gegliedert werden: x Die erste Stufe stellt die Determinantenebene dar. Diese Ebene beinhaltet unabhängige Variablen, die es ermöglichen, über eine Beeinflussung der Commitment-Konstrukte gezielt den Beziehungserfolg zu steuern. Für jedes der Commitment-Konstrukte werden charakteristische Determinanten eingesetzt. Die Auswahl der unabhängigen Variablen erfolgt im Wesentlichen auf Basis der Erkenntnisse aus den exploratorischen Tiefeninterviews (vgl. Abschnitt V-2). x Die zweite Ebene des Untersuchungsmodells ist die Commitmentebene, in welche die einzelnen einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) eingebunden sind (vgl. Abschnitt IV). An dieser Position des Untersuchungsmodells mediieren die Commitment-Konstrukte den Zusammenhang zwischen unabhängigen und kundenbeziehungsbezogenen Verhaltensvariablen. Die mediierende Rolle des Commitments in der Kundenbeziehungsforschung gilt als bestätigt und wird daher auch für diese Arbeit übernommen.257 x Auf der dritten Ebene (Erfolgsebene) finden sich schließlich die Kundenwertkomponenten wieder, die durch die Commitment-Konstrukte beeinflusst werden. Im Modell werden die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums und die Bereitschaft zur Koproduktion berücksichtigt. Diese Auswahl an verfügbaren Kundenwertkomponenten (vgl. Abschnitt II-1.2) begründet sich durch deren Bedeutung für den Kundenwert. Nach Zeithaml (2000) wird der Kundenwert bei Dienstleistungsanbietern hauptsächlich durch Kostensenkungen bei der Kundenbedienung und der Möglichkeit zur Durchsetzung eines Preispremiums beeinflusst.258 Die Möglichkeit zur Durchsetzung eines Preispremiums wird von Zeithaml, Berry und Parasuraman (1996) als ein dominanter Faktor zur Steigerung von 257 258
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136f. Vgl. Zeithaml (2000), S. 73ff.
91 Umsatzerlösen und Unternehmensgewinnen gesehen.259 Die Reduktion kundenspezifischer Kosten kann dagegen durch die Integration der Kunden in den Erstellungsprozess der Dienstleistung erreicht werden.260 Um den Beziehungserfolg im Untersuchungskontext der vorliegenden Arbeit adäquat zu erfassen, werden daher die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (Erlöskomponente) als Bestandteil des Loyalitätswerts und die Bereitschaft zur Koproduktion (Kostenkomponente) als Kooperationswert verwendet. Die Auswahl dieser beiden Kundenwertkomponenten stützt sich zudem auf die Erkenntnisse des Literaturüberblicks (vgl. Abschnitt III-3). Demnach sind die Wirkungen der vier interessierenden Commitment-Konstrukte auf diese Erfolgsgrößen weitestgehend unerforscht. So findet im B2C-Kontext lediglich Fullerton (2003) einen positiven Effekt des Affektiven Commitments auf die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums, während Auh et al. (2007) einen positiven Effekt auf die Bereitschaft zur Koproduktion feststellen.261 Zusammenfassend dient das skizzierte dreistufige Untersuchungsmodell dazu, die vier Commitment-Konstrukte in ein Wirkungsgefüge aus unabhängigen Variablen und Erfolgsgrößen einzubetten. Dadurch soll die Prüfung der grundlegenden Annahme ermöglicht werden, dass die betrachteten Commitment-Konstrukte nicht nur unterschiedlich entstehen, sondern auch einen divergierenden Einfluss auf den Beziehungserfolg haben. Dazu werden nun im weiteren Verlauf des vorliegenden Kapitels die Wirkungszusammenhänge des Untersuchungsmodells theoretisch fundiert und konkretisiert (vgl. Abbildung V-1).
259 260 261
Vgl. Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996), S. 31. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 10f. Vgl. Fullerton (2003), S. 340; Auh et al. (2007), S. 366.
92
Exploratorische Tiefeninterviews (Studie 1) Eignungsprüfung der Commitment-Konstrukte für die Untersuchungsbranchen Abfrage von spezifischen Einflussfaktoren für die CommitmentKonstrukte
Abschnitt V-2
Hypothesenherleitung Determinanten der Commitment-Konstrukte Definition der Konstrukte Theoriebasierte Hypothesenherleitung
Abschnitt V-3.1
Erfolgswirkungen der Commitment-Konstrukte Definition der Konstrukte Theoriebasierte Hypothesenherleitung
Abschnitt V-3.2
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität Definition und Darstellung der Relevanz der Konsumentenheterogenität Auswahl von beschreibenden Segmentvariablen
Abschnitt V-4
Abbildung V-1: Vorgehen zur Konzeption des Untersuchungsmodells 2
Exploratorische Tiefeninterviews mit Konsumenten (Studie 1)
Mit der qualitativen Vorstudie werden mehrere Zielsetzungen verfolgt. Zunächst wird die Eignung der vier Commitment-Konstrukte (Affektives, Normatives, Kalkulatives und Kaptives Commitment) für die beiden Untersuchungsbranchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) überprüft. Im Anschluss werden Einflussfaktoren für die Entstehung der CommitmentKonstrukte abgefragt, die der Auswahl der unabhängigen Variablen des Untersuchungsmodells dienen. Hierfür werden Tiefeninterviews angewendet. Das Tiefeninterview kann nach Salcher (1995) definiert werden als „[…] ein langes und intensives Gespräch zwischen Interviewer und Befragtem über vorgegebene Themen, das der Interviewer in weitestgehend eigener Regie so zu steuern versucht, dass er möglichst alle relevanten Einstellungen und Meinungen der befragten Person zu diesem Thema erfährt, auch wenn es sich um Aspekte handelt, die der befragten Person bis zu diesem Zeitpunkt selbst
93 nicht klar bewusst waren.“262 Die Befragungsmethodik Tiefeninterview eignet sich besonders, um Motive, Einstellungen, Denkmuster, Argumentationsketten sowie Empfindungs- und Verhaltensweisen der Probanden zu erforschen. Folglich lassen sich komplexe psychische Zusammenhänge gut dadurch abbilden.263 Für die operative Durchführung und Auswertung der Tiefeninterviews wird den Empfehlungen der einschlägigen Literatur gefolgt.264 Die Tiefeninterviews wurden im Mai 2009 mit insgesamt 22 Personen durchgeführt, die sich gleichmäßig auf die beiden Untersuchungsgruppen Friseur- und Werkstattkunden aufteilten. Die durchschnittliche Interviewzeit lag bei 21 Minuten. Der zugrunde liegende Interviewleitfaden zeichnet sich durch den Einsatz von zwei Befragungsvarianten aus. Zum einen enthält er Bewertungsfragen mit vorgegebenen Antwortskalen, die dem Interviewer nur wenige Freiheitsgrade in der Befragung geben, zum anderen sind offene Fragen vorhanden, die wiederum einen Dialog mit dem Befragten ermöglichen. Zunächst wurde den Probanden die inhaltliche Bedeutung der vier Commitment-Konstrukte im Sinne von spezifischen Beweggründen für die Fortführung einer Kundenbeziehung ausführlich erklärt. Im Anschluss erfolgte eine Szenariobeschreibung, durch die sich die Probanden in die Lage eines Kunden einer Autowerkstatt oder eines Friseurstudios hineinversetzen sollten. Daraufhin wurde um eine Einschätzung gebeten, ob die jeweiligen Beweggründe zur Beziehungsfortführung als realistisch in dem jeweiligen Branchenkontext anzusehen sind (Likertskala mit 1=sehr unrealistisch bis 7=sehr realistisch). In der Untersuchungsgruppe mit Friseurkunden erhielt das Normative Commitment (3,7) die niedrigste und das Kalkulative Commitment (5,9) die höchste gemittelte Einstufung. Für die Werkstattgruppe wurde das Kaptive Commitment (3,2) am niedrigsten und das Kalkulative Commitment (5,0) am höchsten eingestuft. Zwar stellen das Normative Commitment für Friseurkunden und das Kaptive Commitment für Werkstattkunden die Beweggründe mit den jeweils niedrigsten durchschnittlichen Eignungswerten dar, allerdings finden sich in beiden Kundengruppen auch Probanden, die diesen Beweggründen eine hohe Relevanz bescheinigen. Zusammenfassend 262 263 264
Salcher (1995), S. 34. Vgl. Kepper (1996), S. 158; Kuß (2007), S. 127f. Vgl. Lamnek (2005), S. 402ff.; Bortz/Döring (2006), S. 310f.; Kepper (2008), S. 180; Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2009), S. 90; Mayer (2009), S. 47ff.
94 lässt sich daher festhalten, dass alle betrachteten Beweggründe für eine Beziehungsfortführung in beiden Branchen als ausreichend realistisch eingeschätzt wurden. Im zweiten Hauptteil der Befragung wurden die Probanden ungestützt zu den aus ihrer Sicht maßgeblichen Einflussfaktoren für die Entstehung der vier Commitment-Konstrukte befragt. Tabelle V-1 stellt die genannten Einflussfaktoren im Überblick dar. Commitment-Konstrukt Affektives Commitment
Determinanten aus Konsumentensicht1 x x x x
Reputation des Anbieters Zufriedenheit mit dem Anbieter Vertrauen in den Anbieter Qualität der Dienstleistungen und Produkte
Normatives Commitment
x x x
Bevorzugte Behandlung durch das Personal Freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters Sonderangebote des Anbieters
Kalkulatives Commitment
x x
Preis-Leistungs-Verhältnis des Anbieters Bevorzugte Behandlung durch das Personal
x Mangel an Alternativen zum Anbieter x Wechselkosten x Freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters Aufgelistet sind nur Einflussfaktoren mit zwei oder mehr Nennungen
Kaptives Commitment
1
Tabelle V-1: Determinanten der vier Commitment-Konstrukte aus Konsumentensicht (n=22) Anhand der aus den Tiefeninterviews gewonnenen Erkenntnisse wird im Folgenden eine Auswahl an anbieter- und wettbewerbsbezogenen Determinanten für die vier Commitment-Konstrukte getroffen: x Hinsichtlich des Affektiven Commitments werden die in den Interviews genannten Variablen Reputation des Anbieters und Vertrauen in den Anbieter als Determinanten im Untersuchungsmodell verwendet. Die in den Interviews geäußerten Einflussfaktoren Zufriedenheit mit dem Anbieter sowie Qualität der Dienstleistungen und Produkte werden nicht in das Untersuchungsmodell übernommen. Hierzu zeigen Studien, dass sowohl Zufriedenheit265 als auch Qualität266 Determinanten des Konstrukts Vertrauen sind, das bereits im Modell berücksichtigt wird.
265 266
Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999), S. 80. Vgl. z.B. Aydin/Özer (2005), S. 920.
95 x Als eine Determinante des Normativen Commitments wird die bevorzugte Behandlung aus den Tiefeninterviews übernommen. Die Berücksichtigung des Einflussfaktors freundschaftliches Verhältnis zum Besitzer des Anbieters erscheint nicht sinnvoll, da dies keine explizite steuerbare Variable aus Anbieter- oder Wettbewerbssicht darstellt. Die Wahrnehmung von Sonderangeboten kann dagegen als wahrgenommene Intensität des Direktmarketings interpretiert werden, da gerade in der Bekanntmachung von Sonderangeboten der Hauptzweck des Direktmarketings liegt.267 Das Direktmarketing ist daher zweckmäßig, um die Wahrnehmung von Sonderangeboten beim Kunden zu stärken und wird somit als Determinante in das Untersuchungsmodell aufgenommen. x Für das Kalkulative Commitment wird von den Probanden ebenfalls die bevorzugte Behandlung als Einflussfaktor genannt und daher in das Untersuchungsmodell übernommen. Ein weiterer genannter Einflussfaktor ist das Preis-Leistungs-Verhältnis des Anbieters. Da eine solche Beurteilung meist im Vergleich mit dem Wettbewerb erfolgt,268 kann diese Variable durch die Determinante Attraktivität alternativer Anbieter mit abgedeckt werden. Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis steht, ist die Kenntnis von günstigen Angeboten des Anbieters. Da das Direktmarketing die Wahrnehmung von Sonderangeboten stärkt,269 wird dieses ebenfalls als unabhängige Variable des Kalkulativen Commitments übernommen. x Sowohl die Wechselkosten als auch der Mangel an alternativen Konkurrenzanbietern werden von den Probanden als Einflussfaktoren des Kaptiven Commitments beschrieben und folglich als Determinanten berücksichtigt. Kein Eingang in das Untersuchungsmodell findet dagegen der Einflussfaktor des freundschaftlichen Verhältnisses zum Besitzer des Anbieters. Bei dieser Variable muss, wie bereits in Bezug auf das Normative Commitment, von einer geringen Relevanz hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit ausgegangen werden.
267 268 269
Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 241; von Stenglin (2008), S. 84f. Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f.
96 Neben den aus den Tiefeninterviews gewonnenen Determinanten werden auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Literatur zwei weitere Variablen ausgewählt. So wird in einer Studie von Bauer et al. (2008) die Präsenz der Anbietermarke als markenbezogene Determinante des Affektiven Commitments diskutiert.270 Weiterhin können die Kosten eines Anbieterwechsels als Einflussfaktor des Kalkulativen Commitments theoretisch begründet werden.271 Zur Prüfung dieser Annahmen werden beide Variablen zusätzlich in das Modell aufgenommen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aus Sicht der Befragten alle vier Commitment-Konstrukte jeweils für beide Untersuchungsbranchen einen ausreichend realistischen Beweggrund für die Fortführung einer Kundenbeziehung darstellen. Weiterhin wurden sechs anbieterbezogene und zwei wettbewerbsbezogene unabhängige Variablen für das Untersuchungsmodell ausgewählt. Tabelle V-2 stellt diese im Überblick dar. Commitment-Konstrukt Affektives Commitment
Determinanten x x x
Reputation des Anbieters (AV) Markenpräsenz (AV) Vertrauen in den Anbieter (AV)
Normatives Commitment
x x
Bevorzugte Behandlung (AV) Direktmarketing (AV)
Kalkulatives Commitment
x x x x
Attraktivität von Alternativen (WV) Bevorzugte Behandlung (AV) Direktmarketing (AV) Wechselkosten (AV)
x Mangel an Alternativen (WV) x Wechselkosten (AV) AV: anbieterbezogene Variable WV: wettbewerbsbezogene Variable Kaptives Commitment
Tabelle V-2: Determinantenauswahl der vier Commitment-Konstrukte für das Untersuchungsmodell
270 271
Vgl. Bauer/Bryant/Hammerschmidt/Timm (2008). Vgl. von Stenglin (2008), S. 87f.
97 3
Hypothesen des Untersuchungsmodells
3.1
Determinanten
3.1.1
Reputation
Die Reputation eines Unternehmens ist ein zentrales Konzept, mit dessen Hilfe untersucht werden kann, wie Individuen ein Unternehmen wahrnehmen und sich ihm gegenüber verhalten.272 Forschungsergebnisse im Marketing zeigen, dass eine hohe Anbieterreputation sowohl das Vertrauen273 als auch die Kaufabsicht274 positiv beeinflussen kann. Die Reputation eines Anbieters reflektiert Wahrnehmungen, die zum einen auf persönlichen Informationen Dritter beruhen, die in der Vergangenheit Erfahrungen mit dem Anbieter gemacht haben,275 und zum anderen aus Informationen resultieren, die über öffentliche Medien zugänglich sind.276 Die Reputation entwickelt sich somit in einem sozialen System im Sinne eines Netzwerkeffekts277 und entsteht folglich nicht aufgrund direkter Erfahrungen eines Individuums mit einem Bezugsobjekt, sondern bildet sich durch öffentlich verfügbare Informationen.278 Entsprechend diesen Überlegungen wird der Reputation folgendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt: Reputation stellt den guten Ruf eines Anbieters dar, der aus sozial vermittelten Einstellungen Dritter gegenüber selbigem resultiert. Aus Unternehmenssicht ist der Aufbau von Reputation ein langfristiger Prozess, da hierzu viele Elemente eines sozialen Systems mit einbezogen werden müssen.279 Diese Anbietervariable ist daher als langfristig beeinflussbar (strategisch) einzustufen. Anhand der Sozialen Identitäts-Theorie kann ein kausaler Zusammenhang zwischen der Reputation eines Anbieters und dem Affektiven Commitment 272 273
274 275 276 277 278
279
Vgl. Brown et al. (2006), S. 104. Vgl. Ganesan (1994), S. 11; Doney/Cannon (1997), S. 45; Johnson/Grayson (2005), S. 505. Vgl. Yoon/Guffey/Kijewski (1993). Vgl. Ripperger (2003), S. 183. Vgl. Brown et al. (2006), S. 105. Vgl. Granovetter (1985), S. 490. Vgl. Smith/Barclay (1997), S. 10; Einwiller (2003), S. 198; Einwiller/Herrmann/Ingenhoff (2005), S. 27. Vgl. Granovetter (1985), S. 490.
98 gegenüber diesem hergeleitet werden (vgl. Abschnitt IV-2). Zunächst besagt die Soziale Identitäts-Theorie, dass sich Individuen über ihre Mitgliedschaft in den Gruppen identifizieren, die sich positiv gegenüber anderen Gruppen abgrenzen. Muniz und O'Guinn (2001) erläutern im Rahmen ihrer Brand Community-Forschung, dass Konsumenten von Marken mit hoher öffentlich wahrgenommener Reputation dazu neigen, sich zu einer markenbezogenen Gruppe (Brand Community) zusammen zu schließen. Eine solche Gruppe zeichnet sich vor allem durch eine positive Selbstwahrnehmung aus.280 Somit besteht für diese Kundengruppe eine positive Distinktheit gegenüber anderen Kundengruppen. Die Gruppenmitglieder nutzen dies in Folge dazu, aus der Gruppenzugehörigkeit ihre soziale Identität abzuleiten. Weiterhin belegt eine Untersuchung von Büttner et al. (2008), dass sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe eines Anbieters positiv auf das Affektive Commitment gegenüber diesem auswirkt.281 Auf dieser Basis kann die folgende Hypothese formuliert werden: H 1:
Je positiver die Reputation eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.2
Markenpräsenz
Das Konstrukt Markenpräsenz lehnt sich an die Wahrnehmungskomponente der Markenwert-Konzepte von Aaker (1991) und Keller (1998) an. Forschungsergebnisse zeigen, dass Marken, die leicht und häufig wahrgenommen werden, generell einen höheren Markenwert aufweisen.282 Nach Aaker (1991) ist die Markenwahrnehmung die Fähigkeit von Individuen, eine Marke wiederzuerkennen oder sich an sie zu erinnern.283 Keller (1998) erweitert dieses Verständnis und charakterisiert die Markenwahrnehmung zum einen mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum die Marke wiedererkennt oder sich an sie erinnert, und zum anderen mit der Anzahl an Kaufund Konsumsituationen, in denen ein Individuum bewusst an die Marke denkt.284 Das in der vorliegenden Arbeit betrachtete Konstrukt Markenpräsenz bezieht sich auf dieses letztere Verständnis. Da in der Arbeit allerdings 280 281 282 283 284
Vgl. Muniz/O'Guinn (2001), S. 415. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff. Vgl. Yoo/Donthu/Lee (2000), S. 205. Vgl. Aaker (1991), S. 61. Vgl. Keller (1998), S. 50.
99 personen- und produktorientierte Dienstleistungen untersucht werden und der Konsum dieser Dienstleistungen nur am Ort ihrer Entstehung erfolgen kann, ist die Markenpräsenz hier auf den Ort der Dienstleistungserstellung beschränkt. Auf Basis dieser Überlegungen wird das Konstrukt wie folgt definiert: Die Markenpräsenz bezeichnet die Sichtbarkeit der Anbietermarke am Ort der Dienstleistungserstellung. Da sich die Markenpräsenz durch den Einsatz von markencharakteristischen visuellen Elementen (z.B. Logos, Symbole, Schriftzüge, Ladengestaltung etc.) vergleichsweise schnell steuern lässt,285 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) eingestuft. Anhand der Sozialen Identitäts-Theorie, nach der Individuen ihre soziale Identität aus der Mitgliedschaft in Gruppen mit positiver Distinktheit ableiten (vgl. Abschnitt IV-2), lässt sich ein positiver Effekt der Markenpräsenz auf das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter begründen. Es ist eine plausible Annahme, dass bei starker Präsenz der Anbietermarke, diese öfter wahrgenommen wird. Auf Basis des Mere Exposure-Effekts ist als Folge der häufigen Wahrnehmung der Marke auch eine positivere Markeneinstellung zu erwarten.286 Aus der Brand Community-Forschung von Muniz und O'Guinn (2001) ist bekannt, dass neben einer starken öffentlich wahrgenommenen Reputation auch eine positive Markeneinstellung des Konsumenten einen Einfluss darauf hat, dass sich Konsumenten zu Brand Communities mit positiver Selbstwahrnehmung zusammenschließen.287 Laut der Sozialen Identitäts-Theorie entsteht dadurch eine positive Distinktheit gegenüber anderen Kundengruppen, infolge derer die Gruppenmitglieder ihre soziale Identität bilden. Gemäß dem Untersuchungsergebnis von Büttner et al. (2008), nach der sich die soziale Identifikation mit der Kundengruppe eines Anbieters positiv auf das Affektive Commitment diesem gegenüber auswirkt (vgl. Abschnitt IV-2),288 kann die folgende Hypothese formuliert werden: H 2:
285 286 287 288
Je stärker die Markenpräsenz eines Anbieters, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Vgl. Keller (1998), S. 51. Vgl. Zajonc (1980); Yoo/Donthu/Lee (2000), S. 205. Vgl. Muniz/O'Guinn (2001), S. 415. Vgl. Büttner et al. (2008), S. 94ff.
100 3.1.3
Vertrauen
Vertrauen ist ein zentrales Konzept im Kundenbeziehungsmanagement.289 Forschungsbefunde zeigen, dass Vertrauen unter den identifizierten Commitment-Konstrukten hauptsächlich das Affektive Commitment gegenüber einem Unternehmen sowohl im B2C-290 als auch im B2B-Kontext291 positiv beeinflusst. Grundsätzlich kann sich Vertrauen sowohl gegenüber Personen als auch gegenüber Unternehmen entwickeln.292 Es wächst inkrementell über die Zeit und basiert auf einem Prozess des Sammelns von Informationen.293 Diese Informationen werden hauptsächlich durch direkte Interaktionen mit dem jeweiligen Partner gewonnen.294 Nach Fang et al. (2008) bezieht sich Vertrauen auf die Erwartung, dass der Partner verlässlich ist, zukünftig seine Verpflichtungen erfüllt sowie sich integer und gutmütig verhält.295 Entsprechend diesem Begriffsverständnis wird Vertrauen für die vorliegende Arbeit wie folgt definiert: Vertrauen ist die Erwartung eines Konsumenten, dass ein Anbieter zukünftig verlässlich, ehrlich und glaubwürdig am Markt auftritt. Da der Aufbau von Vertrauen nur durch wiederholte Interaktionen der Beziehungspartner möglich ist,296 wird das Vertrauen als eine langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariable kategorisiert. Der mehrfach nachgewiesene positive Einfluss von Vertrauen auf das Affektive Commitment297 kann auf Basis der Sozialen Identitäts-Theorie begründet werden (vgl. Abschnitt IV-2). Hiernach entspricht das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter der emotionalen Dimension der sozialen Identifikation mit diesem. Sobald das Bezugsobjekt der sozialen Identität aber der Anbieter darstellt, ist die Identität vom zukünftigen Verhalten des Anbieters abhängig und folglich „verwundbar“. Garbarino und Johnson
289 290 291
292 293 294 295 296 297
Vgl. Palmatier et al. (2006), S. 136; Neumann (2007), S. 189ff. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Bansal/ Irving/Taylor (2004). Vgl. Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992); Geyskens et al. (1996); Grayson/Ambler (1999); Palmatier/Dant/Grewal (2007). Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 35. Vgl. Jones/George (1998), S. 536; Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. Fang et al. (2008), S. 80. Vgl. Jones/George (1998), S. 536; Grayson/Johnson/Chen (2008), S. 242. Vgl. z.B. Garbarino/Johnson (1999); Bansal/Irving/Taylor (2004).
101 (1999) argumentieren daher, dass Vertrauen in das zukünftige Verhalten des Anbieters bestehen muss, damit Konsumenten Affektives Commitment entwickeln.298 Vertrauen gilt aus den gleichen Gründen auch in der Organisationspsychologie als Determinante des Affektiven Commitments.299 Es gilt: H 3:
Je stärker das Vertrauen in einen Anbieter, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.4
Bevorzugte Behandlung
Die bevorzugte Behandlung ist Bestandteil des Relational BenefitsAnsatzes300 und wird überwiegend im Kundenbeziehungsmanagement angewendet.301 Gwinner, Gremler und Bitner (1998) können eine hohe Korrelation der bevorzugten Behandlung mit der Weiterempfehlungs- und Wiederkaufsabsicht sowie der Zufriedenheit nachweisen.302 Nach Gwinner, Gremler und Bitner (1998) ist die bevorzugte Behandlung nur ausgewählten Kunden vorbehalten und besteht aus zwei Nutzenarten. Zum einen lässt sich ein ökonomischer Nutzen durch günstigere Preise oder schnellere Dienstleistungen, zum anderen ein Individualisierungsnutzen durch zusätzliche auf den Kunden angepasste Dienstleistungen realisieren.303 In der Literatur wird allerdings kritisch angemerkt, dass der ökonomische Nutzen durch günstigere Preise keinen Wettbewerbsvorteil darstellt und von Konkurrenzanbietern leicht imitiert werden kann.304 Aus diesem Grund wird dieser für die vorliegende Arbeit nicht als Bestandteil der bevorzugten Behandlung gesehen. Somit ergibt sich die folgende Definition: Die bevorzugte Behandlung beschreibt vergleichsweise schnell ausgeführte und auf den Kunden angepasste zusätzliche Dienstleistungen, die nur ausgewählten Kunden angeboten werden. Da die bevorzugte Behandlung Dienstleistungen beschreibt, die ausgewählten Kunden unmittelbar ohne längere Vorbereitungen durch das Unternehmen 298 299 300 301 302 303 304
Vgl. Garbarino/Johnson (1999), S. 73. Vgl. Meyer et al. (2002), S. 19. Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998); Reynolds/Beatty (1999). Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000). Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 109. Vgl. Gwinner/Gremler/Bitner (1998), S. 108. Vgl. Berry (1995), S. 240; Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002), S. 243.
102 angeboten werden können (z.B. Bonusprogramme),305 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) eingestuft. Mit der Reziprozitäts-Theorie kann ein positiver Einfluss der bevorzugten Behandlung auf das Normative Commitment erklärt werden (vgl. Abschnitt IV-3). De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001) zeigen, dass Konsumenten die bevorzugte Behandlung als Investment des Anbieters in die Beziehung wahrnehmen.306 Peterson (1995) argumentiert, dass eine solche Behandlung als außergewöhnlich angesehen wird, da sie nur ausgewählten Kunden zuteil wird.307 Nach Reynolds und Beatty (1999) würdigen Kunden den von einem Anbieter empfangenen Nutzen.308 Auf Basis der Reziprozitätsnorm fühlt sich der Konsument dazu verpflichtet, die empfangenen und als außergewöhnlich empfundenen Leistungen zu honorieren. In Folge sollte es zu einer moralisch begründeten Aufrechterhaltung der Beziehung in Form des Normativen Commitments kommen. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H 4:
Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Weiterhin kann auf Basis der Side bet-Theorie ein positiver Effekt der bevorzugten Behandlung auf das Kalkulative Commitment begründet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Die bevorzugte Behandlung beinhaltet einen Nutzengewinn für einen ausgewählten Kundenkreis. Für gewöhnlich sind dies Kunden mit einer langen Beziehungsdauer oder hohen Umsätzen.309 Insofern haben diese Kunden sich die bevorzugte Behandlung „erarbeitet“ und riskieren bei einem Anbieterwechsel deren Verlust. Die lange Beziehungsdauer und die wiederholten Käufe bei demselben Anbieter können nach dem Verständnis von Riordan und Williamson (1985) als spezifische Investitionen des Kunden in die Beziehung interpretiert werden, die bei Beendigung der Beziehung ihren Wert verlieren.310 Die Erwartung dieses ökonomischen Verlusts führt laut der Side bet-Theorie dazu, dass Kunden nicht von ihrem bisherigen Verhalten 305 306 307 308 309 310
Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000), S. 72. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Peterson (1995), S. 279f. Vgl. Reynolds/Beatty (1999), S. 25. Vgl. Morgan/Crutchfield/Lacey (2000), S. 72. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367.
103 abweichen und folglich die Beziehung zu ihrem Anbieter aufrechterhalten. Somit kommt es zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter im Sinne des Kalkulativen Commitments. Folgende Hypothese kann daher aufgestellt werden: H 5:
Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.5
Direktmarketing
Das Direktmarketing wird als Teilaspekt der Anbieter-Kunden-Kommunikation gesehen.311 Während die Anbieter-Kunden-Kommunikation einen positiven Effekt auf die Entwicklung von Vertrauen in den Anbieter ausübt,312 wird das Direktmarketing als positive Determinante der wahrgenommenen Beziehungsinvestitionen des Anbieters bestätigt.313 Generell werden der Anbieter-Kunden-Kommunikation mehrere Vorteile zugeschrieben. Zum einen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde neue Anbieteraspekte entdeckt, die er positiv wahrnimmt, und zum anderen werden die Rolle und das Verhalten des Anbieters für den Kunden transparenter.314 Daher wird Kommunikation auch als eine notwendige Bedingung für die Existenz erfolgreicher Beziehungen aufgefasst.315 Prins und Verhoef (2007) verstehen unter Direktmarketing die direkte transaktionsorientierte Kommunikation mit Kunden.316 Für die vorliegende Arbeit bezieht sich das Verständnis von Direktmarketing daher auf die Zustellung von Werbung, die den Abverkauf von Produkten oder Dienstleistungen erhöhen soll.317 Es ergibt sich somit folgendes Begriffsverständnis: Das Direktmarketing bezeichnet die direkte transaktionsorientierte Kommunikation des Anbieters.
311 312
313 314 315 316 317
Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 35. Vgl. Anderson/Weitz (1989), S. 320; Anderson/Narus (1990), S. 50; Morgan/Hunt (1994), S. 30. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 46; Smith/Barclay (1997), S. 8. Vgl. Anderson/Narus (1990), S. 45; Duncan/Moriarty (1998), S. 7. Vgl. Prins/Verhoef (2007), S. 171. Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f.
104 Da sich das Direktmarketing in der vorliegenden Arbeit im Wesentlichen auf die Zustellung von Werbung beschränkt,318 wird diese Anbietervariable als kurzfristig beeinflussbar (instrumentell) betrachtet. Auf Basis der Reziprozitäts-Theorie ist ein positiver Einfluss des Direktmarketings auf das Normative Commitment zu vermuten (vgl. Abschnitt IV-3). Zunächst können Verhoef, Franses und Hoekstra (2001) bestätigen, dass Direktmarketing auch den Kauf von Produkten aus anderen Kategorien beim gleichen Anbieter fördert.319 Folglich ist anzunehmen, dass die durch das Direktmarketing übermittelten Informationen dem Kunden einen Zusatznutzen bei der Kaufentscheidung liefern und das Direktmarketing daher als beziehungsorientierte Handlung des Anbieters wahrgenommen wird. Die Studie von De Wulf, Odekerken-Schröder und Iacobucci (2001) belegt diese Annahme, indem ein positiver Einfluss des Direktmarketings auf die wahrgenommenen Beziehungsinvestitionen des Anbieters nachgewiesen wird.320 Infolge der Anbieterinvestitionen kann sich der Kunde entsprechend der Reziprozitätsnorm verpflichtet fühlen, diese Zuwendung in einer dem Anbieter nützlichen Form zu erwidern. Somit ist anzunehmen, dass der intensive Einsatz von Direktmarketing die Entstehung einer moralisch begründeten Beziehung in Form des Normativen Commitments fördert. Daher lässt sich die folgende Hypothese formulieren: H 6:
Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Weiterhin kann die Side bet-Theorie herangezogen werden, um einen positiven Effekt des Direktmarketings auf das Kalkulative Commitment zu erklären (vgl. Abschnitt IV-4). Die durch das Direktmarketing übermittelten Informationen helfen dem Kunden, das Angebotsportfolio und -verhalten des Anbieters besser einzuschätzen.321 Letztlich führen diese dazu, dass der Kunde einen größeren Anteil seines Bedarfs bei seinem Anbieter deckt, wie die Studie von Verhoef, Franses und Hoekstra (2001) zeigt.322 Das Wissen über das anbieterspezifische Angebotsportfolio und -verhalten entwickelt sich 318 319 320 321 322
Vgl. Diepen/Donkers/Franses (2009), S. 120f. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2001), S. 371. Vgl. De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci (2001), S. 43. Vgl. Doney/Cannon (1997), S. 46; Smith/Barclay (1997), S. 8. Vgl. Verhoef/Franses/Hoekstra (2001), S. 371.
105 über die Zeit und besitzt nur in Bezug auf diesen Anbieter einen Wert. Die Spezifität der Information führt dazu, dass bei einem Anbieterwechsel dieser Wissensvorsprung verloren geht und der Kunde seine vorteilhaften Kenntnisse über den Anbieter nicht mehr einsetzen kann.323 Die Wahrnehmung dieses Verlusts führt nach der Side bet-Theorie dazu, dass der Kunde sein bisheriges Verhalten beibehält und entsprechend die Beziehung zu seinem Anbieter aufrechterhält. Somit kommt es zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments. Es kann daher folgende Hypothese aufgestellt werden: H 7:
Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.6
Wechselkosten
Wechselkosten sind ein zentrales Konzept,324 um den Wechsel zu einem alternativen Anbieter zu erklären.325 Forschungsbefunde zeigen, dass sich Wechselkosten negativ auf die Wechselneigung auswirken.326 Nach Jones, Mothersbaugh und Beatty (2002) können Wechselkosten in Kontinuitätskosten und Lernkosten eingeteilt werden. Die Kontinuitätskosten wiederum lassen sich in verlorene Gewinne und Unsicherheitskosten unterteilen.327 Verlorene Gewinne beziehen sich auf die ökonomischen Vorteile, die sich ein Konsument durch eine lang andauernde Beziehung mit dem Anbieter erarbeitet hat und die bei einem Wechsel verloren gehen.328 Ein Beispiel für einen solchen Vorteil ist die bevorzugte Behandlung, die viele Kunden erst nach längerer Zugehörigkeit zum Kundenkreis erhalten (vgl. Abschnitt V-3.1.4). Unter den Unsicherheitskosten werden Investitionen in Form von Zeit und Geld verstanden, die notwendig waren, um den vormals unbekannten Anbieter kennenzulernen. Diese Investitionen sind verloren, wenn sich der Konsument von seinem Anbieter trennt.329 Die Unsicher-
323 324 325 326 327 328 329
Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367. Vgl. Morgan/Hunt (1994), S. 24. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238f. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 449; Bell/Auh/Smalley (2005), S. 177. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 442f. Vgl. Turnball/Wilson (1989), S. 233; Maute/Forrester (1993), S. 239f. Vgl. Guiltinan (1989), S. 216ff.
106 heitskosten lassen sich beispielsweise durch die Anbieter-Kunden-Kommunikation in Form des Direktmarketings senken (vgl. Abschnitt V-3.1.5). Unter den Lernkosten finden sich die Ausgaben, die für die Suche und Bewertung von Anbieteralternativen sowie für die Anpassung an einen bestimmten neuen Anbieter investiert werden. Die Such- und Bewertungskosten beziehen sich auf den Zeitpunkt vor dem Beziehungseintritt. Sie beinhalten alle Aufwendungen, die geleistet werden müssen, um zum einen Informationen über mögliche Anbieter zu finden und zum anderen potenzielle Anbieter auf Vorteilhaftigkeit zu prüfen.330 Anpassungskosten fallen an, wenn sich ein Kunde auf einen bestimmten Anbieter einstellt. Dazu zählen auch kognitive Kosten, die den mentalen Aufwand der Anpassung an einen Anbieter beschreiben. Diese treten vor allem bei Dienstleistungsanbietern auf, da hier der Kunde einen integralen Bestandteil bei der Dienstleistungserstellung darstellt.331 Da zu vermuten ist, dass die Kontinuitätskosten mit den Modellkonstrukten der bevorzugten Behandlung und dem Direktmarketing stark korrelieren, werden sie für das Wechselkostenverständnis der vorliegenden Arbeit nicht weiter betrachtet. Den Wechselkosten wird daher lediglich das Begriffsverständnis der Lernkosten zugrunde gelegt. Somit ergibt sich die folgende Definition: Wechselkosten beziehen sich auf die Aufwendungen, die notwendig sind, um einen vergleichbaren, alternativen Anbieter zu finden und sich auf diesen einzustellen. Die einzelnen Bestandteile der Wechselkosten können von Unternehmen langfristig beeinflusst werden. So können die Such- und Bewertungskosten für alternative Anbieter erhöht werden, indem ein Kunde über die Zeit an Produkte und Dienstleistungen herangeführt wird, die nicht direkt mit Angeboten der Konkurrenz vergleichbar sind. Dadurch wird die Suche nach vergleichbaren Anbietern und die Bewertung derselbigen erschwert.332 Hinsichtlich der mentalen Anpassungskosten ist bekannt, dass ein Kunde über die Zeit von einem Anbieter lernt, sich auf ihn einstellt und davon profitiert.333 Je intensiver diese Anpassung ausfällt, die beispielsweise durch kundenspezifische
330 331 332 333
Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 443. Vgl. Bowen (1986), S. 373ff. Vgl. Bowen (1990), S. 47f.; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 444. Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 170f.
107 Prozesse gefördert werden kann,334 desto aufwendiger ist es für den Kunden, sich bei einem Anbieterwechsel an vollkommen neuen Prozessen auszurichten.335 Die Wechselkosten werden in der vorliegenden Arbeit daher als vom Unternehmen steuerbar gesehen und sind als eine langfristig beeinflussbare (strategische) Anbietervariable einzustufen. Ein positiver Effekt der Wechselkosten auf das Kalkulative Commitment kann anhand der Side bet-Theorie begründet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Von Stenglin (2008) argumentiert, dass Wechselkosten und insbesondere die Lernkosten spezifische Investitionen in eine Beziehung darstellen.336 Diese gehen bei einem Wechsel verloren, was laut der Side bet-Theorie zu einem Festhalten an der ursprünglichen Beziehung führen kann.337 Neben dem Verlust der Investitionen in Suche, Bewertung und Anpassung sind bei einem Anbieterwechsel erneut Investitionen in diesen Kategorien notwendig, um vergleichbare Alternativen zu finden.338 Diese wahrgenommenen Wechselkosten machen das Wechselvorhaben unvorteilhaft und führen damit zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen Beziehung. Es kommt zu einer auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung mit dem Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments. Somit kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H 8:
Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter.
Von den Wechselkosten kann zudem ein positiver Einfluss auf das Kaptive Commitment hergeleitet werden. Ein solcher Effekt ist auf Basis der Sozialen Interaktions-Theorie nachvollziehbar, nach der Kunden ihre Anbieterbeziehung nur aufrechterhalten, weil sie keine adäquate oder gar keine Alternative am Markt finden (vgl. Abschnitt IV-5). Da Wechselkosten die Vorteilhaftigkeit einer neuen Alternative geringer erscheinen lassen, erschwert die Existenz von hohen Wechselkosten das Auffinden von vergleichbaren Alternativen, was wiederum zu einem Gefühl der Abhängigkeit vom Anbieter 334 335 336 337 338
Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 180. Vgl. Bowen (1990), S. 47f. Vgl. Riordan/Williamson (1985), S. 367; von Stenglin (2008), S. 78. Vgl. von Stenglin (2008), S. 78f. Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 111ff.
108 führt.339 Somit begünstigen hohe Wechselkosten das Gefühl, eine „unfreiwillige“ Beziehung zu führen, die mehr aus einer Notwendigkeit statt aus einer freien Entscheidung resultiert. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H 9:
Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber diesem Anbieter.
3.1.7
Attraktivität von Alternativen
Das Konstrukt Attraktivität von Alternativen wird verwendet, um den Wechsel eines Kunden zu einem alternativen Anbieter zu erklären.340 Studien zeigen, dass eine geringe Attraktivität von Alternativen die Absicht zur Beibehaltung der Kundenbeziehung signifikant erhöht.341 Sharma und Patterson (2000) definieren die Attraktivität von Alternativen als absolute Größe. Die Autoren betrachten sie als die vom Kunden geschätzte Wahrscheinlichkeit, mit einer alternativen Anbieterbeziehung zufrieden zu sein.342 Bansal, Irving und Taylor (2004) verfolgen dagegen eine relative Betrachtung des Konstrukts, indem sie die Attraktivität des derzeitigen Anbieters mit der alternativer Anbieter vergleichen.343 Diesem Ansatz entsprechend stellt die Attraktivität von Alternativen eine Differenzbetrachtung aus Sicht des Nachfragers dar.344 Das Ergebnis dieser Betrachtung ist eine subjektive Nettonutzendifferenz, die sich aus dem Vergleich des wahrgenommenen Nettonutzens in der aktuellen Beziehung mit dem antizipierten Nettonutzen alternativer Beziehungen ergibt.345 Der Nettonutzen stellt hierbei den Nutzen dar, den ein Nachfrager in einer Anbieterbeziehung erzielt, abzüglich der in diesem Geschäftsverhältnis anfallenden Kosten.346 Sobald der Kunde in der bestehenden Beziehung einen subjektiven Nettonutzenvorteil wahrnimmt, würde die Aufgabe dieser Geschäftsbeziehung zu einem Verlust dieses relativen Nutzenvorteils führen.347 In der vorliegenden 339 340 341 342 343 344 345 346 347
Vgl. von Stenglin (2008), S. 82ff. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238. Vgl. Ping (1994), S. 369; Theron/Terblanche/Boshoff (2008), S. 1002. Vgl. Sharma/Patterson (2000), S. 475. Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 241. Vgl. von Stenglin (2008), S. 85. Vgl. Plinke (2000), S. 80; Adler (2003), S. 99. Vgl. Bliemel/Eggert (1998), S. 39; Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein (2009), S. 427. Vgl. von Stenglin (2008), S. 83.
109 Arbeit wird dieses relative Begriffsverständnis aufgegriffen. Somit ergibt sich für die Attraktivität von Alternativen folgende Definition: Die Attraktivität von Alternativen stellt die subjektive Nettonutzendifferenz aus dem Vergleich des Nettonutzens der aktuellen Beziehung mit dem antizipierten Nettonutzen alternativer Beziehungen dar. Die Attraktivität von Alternativen stellt im Gegensatz zu den bisher behandelten Konstrukten keine Variable dar, die sich direkt vom Unternehmen beeinflussen lässt. Durch die Berücksichtigung des Wettbewerbs in Form des antizipierten Nettonutzenvorteils alternativer Beziehungen kann dieser exogene Markteinfluss aber als Wettbewerbsvariable in das Modell einfließen. Der negative Effekt der Attraktivität von Alternativen auf das Kalkulative Commitment kann mit Hilfe der Side bet-Theorie hergeleitet werden (vgl. Abschnitt IV-4). Je höher die Attraktivität von Alternativen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Nettonutzen aus einer neuen Beziehung die ökonomischen Nachteile einer Beziehungsaufgabe überwiegt. Sobald die subjektive Nettonutzendifferenz zugunsten der Alternative ausfällt, ist das Festhalten an der ursprünglichen Beziehung zur Vermeidung wechselbedingter ökonomischer Nachteile rational nicht mehr sinnvoll.348 Nach der Side bet-Theorie verlieren in diesem Fall die wahrgenommenen Nachteile einer Beziehungsaufgabe ihren Einfluss auf die Beziehungsfortführung. Somit bekräftigt eine hohe Attraktivität von Alternativen den Kunden nicht in seiner auf Kosten-Nutzen-Überlegungen basierenden Beziehung zum Anbieter in Form des Kalkulativen Commitments, sondern bringt ihn vielmehr davon ab. Es kann daher folgende Hypothese aufgestellt werden: H10: Je höher die Attraktivität von Alternativen wahrgenommen wird, desto geringer ist das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter. 3.1.8
Mangel an Alternativen
Das Konstrukt Mangel an Alternativen wird in der Kundenbeziehungsforschung verwendet, um die Abhängigkeit von einem Anbieter zu erklären.349
348 349
Vgl. von Stenglin (2008), S. 83ff. Vgl. Barnes (1997), S. 768.
110 Dieses Konstrukt wurde in der Commitment-Forschung bisher nur in B2BStudien eingesetzt.350 Es lassen sich drei verschiedene Formen des Alternativenmangels unterscheiden. Es gibt viele Beziehungen, bei denen der Zugang zu Alternativen durch vertragliche Regelungen bewusst verwehrt wird. Beispielsweise ist dies bei Abonnements der Fall.351 Eine zweite Form des Alternativenmangels kommt dadurch zustande, dass zwar Alternativen wahrgenommen werden, diese aber keinen Nutzenvorteil im Vergleich zur bestehenden Beziehung bieten.352 Die dritte Form ist der tatsächliche Mangel an Alternativen, bei dem es keine verfügbaren Alternativen gibt, zu denen gewechselt werden kann.353 Da die vorliegende Arbeit keine vertraglich fixierten Kundenbeziehungen betrachtet und der Alternativenmangel aufgrund fehlenden Nutzenvorteils der Alternative bereits in Form der Attraktivität von Alternativen berücksichtigt ist (vgl. Abschnitt V-3.1.7), wird das Konstrukt hier auf den tatsächlichen Mangel an Alternativen beschränkt. Hieraus ergibt sich folgendes Begriffsverständnis: Der Mangel an Alternativen beschreibt einen Zustand, in dem keine Alternativen für einen Wechsel des Anbieters zur Verfügung stehen. Der Mangel an Alternativen ist ebenso wie die Attraktivität von Alternativen keine durch das Unternehmen direkt beeinflussbare Größe. Vielmehr ist diese Variable ein Indikator für die Intensität des Wettbewerbs und wird daher als Wettbewerbsvariable erfasst. Nach der Sozialen Interaktions-Theorie kann angenommen werden, dass der Mangel an Alternativen beim Kunden das Gefühl von Abhängigkeit verstärkt (vgl. Abschnitt IV-5). Fullerton (2005) argumentiert analog, dass der wahrgenommene Mangel an Wechselalternativen beim Kunden zu der Erkenntnis führt, vom derzeitigen Anbieter abhängig zu sein, ganz gleich, ob die Beziehung als attraktiv oder unattraktiv eingeschätzt wird.354 Es ist entsprechend zu erwarten, dass der wahrgenommene Alternativenmangel das Gefühl begünstigt, eine „unfreiwillige“ Beziehung in Form des Kaptiven 350
351 352 353 354
Vgl. Anderson/Weitz (1992), S. 25ff.; Kumar/Scheer/Steenkamp (1995), S. 352; Gilliland/ Bello (2002), S. 38. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 904. Vgl. Sharma/Patterson (2000), S. 475. Vgl. Fullerton (2005), S. 102. Vgl. Fullerton (2005), S. 102.
111 Commitments zu führen, die mehr auf einer Notwendigkeit anstatt einer freien Entscheidung basiert. Daher kann folgende Hypothese formuliert werden: H11: Je größer der Mangel an Alternativen wahrgenommen wird, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter. 3.2
Erfolgswirkungen
3.2.1
Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums
Das Konstrukt Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums (nachfolgend auch Preispremiumbereitschaft) stellt einen Indikator für den Kundenwert dar und gibt Unternehmen einen Hinweis darauf, ob sie beim Kunden höhere Preise durchsetzen können.355 Die Bereitschaft zur Zahlung höherer Preise wird daher auch als wichtige Voraussetzung für die Steigerung von Umsatzerlösen356 und die Steigerung der Kundenprofitabilität357 gesehen. Forschungsbefunde belegen, dass sich die Preispremiumbereitschaft durch den Beziehungsnutzen358 und das Affektive Commitment359 positiv beeinflussen lässt. Das Konstrukt Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums bezieht sich auf die Bereitwilligkeit des Kunden, einen Preisaufschlag bei seinem Anbieter zu zahlen.360 Die Preispremiumbereitschaft basiert auf der Preisbereitschaft, welche die Bereitwilligkeit beschreibt, in einer bestimmten Kaufsituation höchstens einen bestimmten Preis zu zahlen.361 Die Preisbereitschaft markiert somit eine obere Preisschwelle und stellt ein monetäres Maß des Nutzens dar, den ein Produkt oder eine Dienstleistung stiftet.362 Bezugsobjekte der Preisbereitschaft können beispielsweise eine Produktkategorie, eine Marke oder eine Einkaufsstätte sein.363 Das Preispremium bezieht sich demnach auf die Differenz zwischen dem maximalen Preis, den ein Konsument bereit ist zu zahlen, und dem aktuell gezahlten Preis. Aufbauend auf diesen Ausführungen
355 356 357 358 359 360 361 362 363
Vgl. Zeithaml (2000), S. 73ff.; Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 50f. Vgl. Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996), S. 31. Vgl. Jones/Taylor/Bansal (2008), S. 482. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 193. Vgl. Fullerton (2003), S. 340. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 190. Vgl. Koschate (2002), S. 39. Vgl. Goldman/Leland/Sibley (1984); Oren/Smith/Wilson (1984). Vgl. Diller (2008), S. 155.
112 wird die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums wie folgt definiert: Die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums gibt die Bereitwilligkeit eines Kunden wieder, für Anbieterleistungen einen Preisaufschlag zu zahlen. Im Folgenden wird der positive Einfluss des Affektiven Commitments auf die Preispremiumbereitschaft hergeleitet. Einen empirischen Nachweis für diesen Zusammenhang liefert Fullerton (2003). Er begründet diesen Effekt damit, dass emotional gebundene Kunden eher dazu neigen, Forderungen des Anbieters nachzugeben und daher auch bereit sind, höhere Preise zu zahlen.364 Auch die Soziale Identifikations-Theorie bietet einen Erklärungsbeitrag für den Zusammenhang (vgl. Abschnitt IV-2). Demnach können sich Kunden mit hohem Affektiven Commitment gegenüber einem Anbieter mit diesem identifizieren und leiten daraus ihre soziale Identität ab. Dutton, Dukerich und Harquail (1994) nehmen an, dass solche Kunden ihrem Anbieter nicht „schaden“ wollen, da der Anbieter in diesem Fall das Bezugsobjekt für ihre soziale Identität darstellt. Ein „erfolgloser“ Anbieter würde die positive Wahrnehmung desselben und damit auch die eigene soziale Identität des Kunden beschädigen.365 Es ist daher anzunehmen, dass Kunden mit hohem Affektiven Commitment bereitwillig der Forderung nach höheren Preisen nachkommen und so den Anbieter in seiner Geschäftspolitik stützen. Somit gilt: H12: Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Die Reziprozitäts-Theorie kann herangezogen werden, um einen positiven Einfluss des Normativen Commitments auf die Preisbereitschaft zu begründen (vgl. Abschnitt IV-3). Kunden mit hohem Normativen Commitment fühlen sich ihrem Anbieter gegenüber zu Gegenleistungen verpflichtet. Diese auf der Reziprozitätsnorm beruhende Verpflichtung kann dadurch entstehen, dass der Anbieter dem Kunden zuvor besondere Produkte oder Dienstleistungen geboten hat, die ihm einen hohen zusätzlichen Nutzen erbracht haben. In Folge empfindet der Kunde die Verpflichtung, dem Anbieter etwas zurückzugeben. Morales (2005) belegt diese Vermutung und zeigt, dass Kunden auf Basis der Reziprozitätsnorm besondere Leistungen des Anbieters mit der 364 365
Vgl. Fullerton (2003), S. 336. Vgl. Dutton/Dukerich/Harquail (1994), S. 254.
113 Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, honorieren.366 Die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums stellt folglich aus Kundenperspektive eine angemessene Art der Gegenleistung für besondere Anbieterleistungen dar. Entsprechend kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H13: Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Weiterhin kann ein positiver Einfluss des Kalkulativen Commitments auf die Preispremiumbereitschaft erwartet und hergeleitet werden. Laut der Side betTheorie sind sich Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment der Tatsache bewusst, dass die Aufgabe der Anbieterbeziehung mit ökonomischen Nachteilen verbunden ist (vgl. Abschnitt IV-4). Folglich sehen sie in der Beziehungsaufrechterhaltung einen positiven Nutzen und sind daher eher bereit, einen Preisaufschlag zu zahlen. Palmatier, Scheer und Steenkamp (2007) können einen positiven Zusammenhang zwischen dem aus einer Geschäftsbeziehung gezogenen Nutzen und der Preispremiumbereitschaft nachweisen.367 Auf dieser Basis kann folgende Hypothese formuliert werden: H14: Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Vom Kaptiven Commitment ist schließlich ein negativer Einfluss auf die Preispremiumbereitschaft zu erwarten. Kunden mit hohem Kaptiven Commitment fühlen sich von ihrem Anbieter abhängig, da laut der Sozialen Interaktions-Theorie entweder keine attraktiven Alternativanbieter oder überhaupt keine Alternativen existieren (vgl. Abschnitt IV-5). Am Beispiel von Distributionskanalbeziehungen weisen Gundlach, Achrol und Mentzer (1995) nach, dass der abhängigere Partner das Risiko scheut, in die Geschäftsbeziehung zu investieren, um Opportunismus seitens des Partners vorzubeugen.368 Als ein Beispiel für opportunistisches Verhalten sieht Fullerton (2003) Preiserhöhungen.369 Folglich ist anzunehmen, dass Kunden mit hohem Kaptiven Commitment, d.h. mit dem Gefühl von einem Anbieter abhängig zu
366 367 368 369
Vgl. Morales (2005), S. 808. Vgl. Palmatier/Scheer/Steenkamp (2007), S. 193. Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89. Vgl. Fullerton (2003), S. 336.
114 sein, opportunistisches Anbieterverhalten in Form von höheren Preisen ablehnen. Daher kann folgender Zusammenhang postuliert werden: H15: Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. 3.2.2
Bereitschaft zur Koproduktion
Das Konstrukt Bereitschaft zur Koproduktion (nachfolgend auch Koproduktionsbereitschaft) stellt einen weiteren Indikator für den Kundenwert dar.370 Es beschreibt die Bereitwilligkeit des Kunden, sich am Erstellungsprozess der Dienstleistung zu beteiligen und trägt damit zur Reduktion kundenspezifischer Kosten bei.371 Ein Forschungsbefund aus dem B2CKontext zeigt, dass die Koproduktionsbereitschaft durch das Affektive Commitment positiv beeinflusst wird.372 Koproduzierende Kunden werden als aktive Elemente in der Erbringung der Anbieterleistung gesehen373 und werden deshalb auch als „partial employees“374 des Anbieters bezeichnet. Im Rahmen der Koproduktion unterstützen die Kunden den Anbieter mit ihren physischen und psychischen Fähigkeiten bei der Dienstleistungserstellung.375 Die aktive Partizipation der Kunden am Erstellungsprozess der Dienstleistung ist nicht beschränkt auf Dienstleistungskategorien, für die ein hohes Kundeninvolvement typisch ist. Auch in Kategorien mit niedrigem Involvement sind Kunden bereit, den Erstellungsprozess aktiv zu begleiten.376 Koproduktion wird in der Literatur mit zwei wesentlichen Vorteilen assoziiert. Zum einen entsteht in Form eingesparter Personalkosten ein direkter ökonomischer Benefit für den Anbieter.377 Zum anderen bekommt der Anbieter durch die Interaktion mit dem Kunden die Möglichkeit, seine Leistungen besser an die Kundenwünsche anzupassen.378 Entsprechend der vorangegangenen Ausführungen wird der
370
371 372 373 374 375 376 377 378
Vgl. Zeithaml (2000), S. 83; Bendapudi/Leone (2003), S. 14; Bauer/Stokburger/ Hammerschmidt (2006), S. 56f. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Auh et al. (2007), S. 366. Vgl. Lengnick-Hall/Claycomb/Inks (2000), S. 359. Kelley/Donnelly/Skinner (1990), S. 316. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 10f. Vgl. Bateson (1985), S. 73ff. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Auh et al. (2007), S. 360.
115 Bereitschaft zur Koproduktion analog zu Lengnick-Hall, Claycomb und Inks (2000) in der vorliegenden Arbeit folgendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt:379 Die Bereitschaft zur Koproduktion bezeichnet die Bereitwilligkeit eines Kunden, sich aktiv am Erstellungsprozess einer Dienstleistung zu beteiligen. Der positive Einfluss des Affektiven Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion wird von Auh et al. (2007) bestätigt.380 Ihre Argumentation basiert auf der Sozialen Identifikations-Theorie (vgl. Abschnitt IV-2). Da Kunden mit hohem Affektiven Commitment gegenüber einem Anbieter ihre soziale Identität aus der Identifikation mit diesem ableiten, ist ihnen daran gelegen, dass ihr Anbieter auch zukünftig erfolgreich ist.381 Ein „schlecht agierender“ Anbieter kann seine Wahrnehmung und damit auch die soziale Identität des Kunden beschädigen. Daher ist anzunehmen, dass Kunden mit hohem Affektiven Commitment sich koproduzierend verhalten, um dem Anbieter zu helfen und damit ihre aus der Identifikation mit dem Anbieter abgeleitete soziale Identität zu schützen.382 Daher kann folgende Hypothese aufgestellt werden: H16: Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ein positiver Einfluss des Normativen Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion kann anhand der Reziprozitäts-Theorie erklärt werden (vgl. Abschnitt IV-3). Demnach fühlen sich Kunden mit hohem Normativen Commitment ihrem Anbieter aufgrund der Reziprozitätsnorm zu Gegenleistungen verpflichtet. Laut Bendapudi und Leone (2003) stellt die Koproduktion eine Verhaltensweise dar, von der ein Anbieter wegen ihres Kostensenkungspotenzials profitiert.383 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich Kunden koproduzierend Verhalten, um sich bei ihrem Anbieter für die empfangenen Leistungen erkenntlich zeigen. Es gilt daher folgende Zusammenhangsvermutung:
379 380 381 382 383
Vgl. Lengnick-Hall/Claycomb/Inks (2000), S. 359. Vgl. Auh et al. (2007), S. 366. Vgl. Dutton/Dukerich/Harquail (1994), S. 254. Vgl. Auh et al. (2007), S. 362. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14.
116 H17: Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ebenso kann ein positiver Einfluss des Kalkulativen Commitments auf die Bereitschaft zur Koproduktion hergeleitet werden. Nach der Side bet-Theorie führen Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment gegenüber einem Anbieter eine Beziehung auf Basis von Kosten-Nutzen-Überlegungen (vgl. Abschnitt IV-4). Koproduzierendes Verhalten kann für den Kunden eine Nutzensteigerung mit sich bringen. Zum einen führt die Beteiligung am Dienstleistungserstellungsprozess dazu, dass Anbieter Personalkosten einsparen.384 Nach Fitzsimmons (1985) eröffnet eine solche Kosteneinsparung den Anbietern Spielraum für Preissenkungen, wodurch der Kunde wiederum direkt profitiert.385 Zum anderen, argumentieren Vargo und Lusch (2004), können Anbieter durch die Integration des Kunden Dienstleistungen besser auf dessen Wünsche anpassen und damit den Nutzen des Kunden steigern.386 Bauer, Bryant und Hammerschmidt (2009) schlussfolgern daher, dass Kunden mit hohem Kalkulativen Commitment eine hohe Koproduktionsbereitschaft zeigen.387 Auf Basis dieser Überlegungen kann folgende Hypothese formuliert werden: H18: Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Ein negativer Einfluss auf die Koproduktionsbereitschaft ist hingegen vom Kaptiven Commitment zu erwarten. Nach der Sozialen Interaktions-Theorie fühlen sich Kunden mit hohem Kaptiven Commitment von ihrem Anbieter abhängig, wenn entweder keine attraktiven Alternativanbieter oder überhaupt keine Alternativen existieren (vgl. Abschnitt IV-5). Aus der Studie von Gundlach, Achrol und Mentzer (1995) ist bekannt, dass in Distributionskanalbeziehungen der abhängigere Partner nicht in die Geschäftsbeziehung investiert. Dadurch will er die Abhängigkeit vom anderen Partner nicht weiter vergrößern, um so Opportunismus seitens des Partners vorzubeugen.388 Koproduzierendes Verhalten versetzt den Anbieter allerdings in die Lage, auf 384 385 386 387 388
Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 14. Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12. Vgl. Bauer/Bryant/Hammerschmidt (2009). Vgl. Gundlach/Achrol/Mentzer (1995), S. 89.
117 zweierlei Arten opportunistisch handeln zu können. Zum einen ist er nicht verpflichtet, die durch die Koproduktion entstehenden Kosteneinsparungen389 in Form von Preissenkungen an den Kunden weiterzugeben. Zum anderen kann der Anbieter die Wechselkosten erhöhen, da er durch die Koproduktion in der Lage ist, Leistungen an die Kundenwünsche anzupassen. Damit steigert er zwar den Kundennutzen,390 allerdings begibt sich der Kunde durch die maßgeschneiderten Leistungen in eine stärkere Abhängigkeit. Ein späterer Wechsel zu einem alternativen Anbieter wird dadurch erschwert.391 Da sich der Kunde aber die Möglichkeit für einen etwaigen Wechsel offen halten und dem opportunistischen Verhalten seitens des Anbieters vorbeugen möchte, ist anzunehmen, dass er nicht zur Koproduktionsbereitschaft neigen wird. Daher kann folgender Zusammenhang hergeleitet werden: H19: Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Koproduktion. 4
Berücksichtigung von Konsumentenheterogenität
4.1
Definition und Relevanz von Konsumentenheterogenität
Konsumentenheterogenität wird allgemein von DeSarbo et al. (2007) als das Ergebnis individueller Differenzen beschrieben, die Konsumenten hinsichtlich ihrer Entscheidungen und deren zugrunde liegenden Prozesse aufweisen.392 In der Konsumentenforschung sollte grundsätzlich von Heterogenität ausgegangen werden.393 Die Konsumentenheterogenität ist im Marketing daher ein zentrales Konzept und wird als Ausgangspunkt für Marktsegmentierungen gesehen.394 Es wird eine Reihe von Heterogenitätsarten unterschieden.395 Für die vorliegende Arbeit besitzt insbesondere die präferentielle Heterogenität hohe Bedeutung. Sie beschreibt die Unterschiede zwischen Konsumenten hinsichtlich ihrer Reaktionen auf exogene Stimuli, wie z.B. anbieter- oder
389 390 391 392 393 394 395
Vgl. Fitzsimmons (1985), S. 61f. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12. Vgl. Hennig-Thurau/Gwinner/Gremler (2002), S. 236. Vgl. DeSarbo et al. (1997), S. 336. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997), S. 39. Vgl. Kamakura/Kim/Lee (1996), S. 153. Für einen Überblick vgl. DeSarbo et al. (1997), S. 337f.
118 wettbewerbsbezogene Variablen.396 Die Berücksichtigung dieser Form der Heterogenität ermöglicht es, für das Untersuchungsmodell der vorliegenden Arbeit Segmente mit charakteristischen Wirkungsprofilen bezüglich der im Modell enthaltenen Anbieter- und Wettbewerbsvariablen zu bilden. Zur Bestimmung einer geeigneten Segmentierungsmethodik zur Erfassung der Konsumentenheterogenität ist die Differenzierung in beobachtbare und nicht-beobachtbare Heterogenität entscheidend. Beobachtbare Heterogenität liegt dann vor, wenn Unterschiede zwischen den Segmenten aufgrund theoretischer oder sachlogischer Erkenntnisse ex ante bekannt sind und über Indikatoren operationalisiert werden können.397 In diesem Fall kommen a priori-Segmentierungen zur Anwendung, die im Vorfeld auf Basis von theoretischen Überlegungen Segmente bilden.398 Nicht-beobachtbare Heterogenität besteht dagegen in latenten Strukturen, die durch solche Überlegungen nicht ex ante aufgedeckt werden können.399 In diesem Fall werden a posteriori-Segmentierungen genutzt, welche auf Basis einer Datenanalyse die Art und Anzahl der Segmente bestimmen.400 Für das Untersuchungsmodell der vorliegenden Arbeit muss aus mehreren Gründen von einer nicht-beobachtbaren Heterogenität ausgegangen werden. Zunächst liefert die Bestandsaufnahme der empirischen CommitmentForschung kaum Erkenntnisse über mögliche Segmentierungskriterien. Es existieren nur wenige Studien im Konsumentenkontext, die anhand von Moderatorvariablen solche Kriterien identifizieren (vgl. Abschnitt III-3). Zudem wurde die Heterogenität von Konsumenten im Kontext der vier interessierenden Commitment-Konstrukte lediglich beim Affektiven und Kalkulativen Commitment untersucht.401 Auf Basis dieser Erkenntnisgrundlage ist eine Ableitung von Segmentierungskriterien und die Durchführung einer a prioriSegmentierung nicht möglich. Es ist daher von nicht-beobachtbarer Heterogenität auszugehen.
396 397 398 399 400 401
Vgl. Kamakura/Kim/Lee (1996), S. 153. Vgl. Görz/Hildebrandt (1999), S. 6f. Vgl. Bunn (1993), S. 40. Vgl. Görz/Hildebrandt (1999), S. 6f. Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 17. Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Verhoef/Franses/Hoekstra (2002); Jones et al. (2007); Martin (2009).
119 Zur Berücksichtigung nicht-beobachtbarer Heterogenität zählt die Finite Mixture-Analyse zu den am weitest verbreiteten Ansätzen der a posterioriSegmentierungen402 und wird daher auch in dieser Arbeit angewendet (vgl. Abschnitt VI-2.3). Der wesentliche Vorteil dieser Methodik besteht darin, dass die Bildung der Segmente und die Schätzung segmentspezifischer Strukturgleichungen simultan erfolgen.403 Um die spezifische Ansprache der Segmentmitglieder zu erleichtern, sind beschreibende Segmentvariablen zu erheben, die nach Abschluss der Finite-Mixture-Analyse zur Identifizierung der Segmentmitglieder herangezogen werden können.404 4.2
Auswahl der beschreibenden Segmentvariablen
Grundsätzlich lassen sich Segmentierungskriterien in Variablen ohne direkten Produktbezug (soziodemographische Kriterien und allgemeine Persönlichkeitsmerkmale) und mit direktem Produktbezug (nutzen- und verhaltensbezogene Kriterien) unterscheiden (vgl. Abbildung V-2). Alle Variablen können hinsichtlich ihrer Eignung auf Ansprechbarkeit der Segmentmitglieder und Kaufverhaltensrelevanz bewertet werden.405
Segmentierungskriterien Kriterien ohne direkten Produktbezug
soziodemographische Kriterien Sozioökonomische Kriterien: • Beruf • Bildung • Einkommen
allgemeine Persönlichkeitsmerkmale • Einstellungen • Interessen • Lebensstil
Demographische Kriterien: • Alter • Familienstand • Geschlecht • Wohnort
Kriterien mit direktem Produktbezug
nutzenbezogene Kriterien • Imagenutzen • Preisnutzen • Qualitätsnutzen • Servicenutzen
verhaltensbezogene Kriterien Kaufverhalten: • Beziehungsdauer • Besuchsfrequenz • Cross-Buying • Einkaufsstättenwahl • Kaufvolumen • Markenwahl Informationsverhalten: • Informationsweitergabe Nutzung von Medien
Abbildung V-2: Ausgewählte Segmentierungskriterien im Überblick Quelle: In Anlehnung an Bauer (1986), S. 249; Homburg/Krohmer (2009), S. 465.
402 403 404 405
Vgl. Wedel/Kamakura (2003), S. 17. Vgl. Jedidi/Jagpal/DeSarbo (1997). Vgl. Shively/Allenby/Kohn (2000), S. 159. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 465.
120 Zu den Variablen, die eine gute Ansprechbarkeit der Segmente ermöglichen, gehören soziodemographische und verhaltensbezogene Kriterien. Soziodemographische Kriterien unterteilen sich in demographische (z.B. Alter und Geschlecht) und sozioökonomische Kriterien (z.B. Beruf, Bildung und Einkommen). Sie haben den Vorteil, dass sie einfach zu erheben bzw. zu beobachten sind und damit eine gute Ansprechbarkeit der Segmente gewährleisten.406 Allerdings ist gerade bei den sozioökonomischen Kritierien zu beobachten, dass ihre Kaufverhaltensrelevanz an Bedeutung verliert. Dies ist zum Teil darin begründet, dass in den vergangenen Jahren der Trend zum „hybriden Konsumenten“ weiter zugenommen hat. Demnach tätigen Konsumenten nebeneinander Teuer-, Preiswert- und Billigkäufe, was sich nicht mehr durch das sozioökonomische Kriterium Einkommen alleine erklären lässt.407 Verhaltensbezogene Kriterien können unterschieden werden in Informationsverhalten (z.B. Mediennutzung) und Kaufverhalten (z.B. Kaufvolumen, Kaufhäufigkeit und Markenwahl). Verhaltensbezogene Kriterien sind vergleichsweise einfach zu erfassen. Da sie das Ergebnis von Entscheidungen sind, lassen sie allerdings keinen Rückschluss auf die grundlegenden Beweggründe des Verhaltens zu.408 Dennoch eignen sich insbesondere kaufverhaltensbezogene Kriterien zur Identifizierung von Kundenwertsegmenten (vgl. Abschnitt II-1.3).409 Im Gegensatz dazu stehen Variablen, die eine hohe Kaufverhaltensrelevanz aufweisen. Hier werden allgemeine Persönlichkeitsmerkmale und nutzenorientierte Kriterien unterschieden. Den allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen werden Lebensstile, Interessen und Einstellungen zugeordnet. Ihnen wird zwar eine hohe Kaufverhaltensrelevanz zugesprochen, allerdings sind sie nicht einfach zu erheben und lassen sich zur Segmentansprache kaum nutzen.410 Schließlich sind noch nutzenorientierte Kriterien zu nennen. Die Erhebung dieser Kriterien erfolgt in der Regel über eine Conjoint-Analyse und ist daher sehr aufwendig. Zur besseren Ansprache der Individuen sind diese ebenfalls nicht praktikabel.411
406 407 408 409 410 411
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 194ff. Vgl. Esser (2002), S. 40f. Vgl. Freter (1983), S. 87f.; Meyer (1996), S. 76. Vgl. Homburg/Steiner/Totzek (2009), S. 74. Vgl. Homburg/Krohmer (2009), S. 465f. Vgl. Perrey (1998), S. 107ff.; Perrey/Hölscher (2003), S. 8ff.
121 Es wird deutlich, dass bei den zentralen Kriterien der Kundensegmentierung ein Zielkonflikt zwischen Ansprechbarkeit und Kaufverhaltensrelevanz vorliegt.412 In der Marktforschung wird daher ein zweistufiges Segmentierungsverfahren vorgeschlagen. In einem ersten Schritt sollen aktive Segmentierungskriterien herangezogen werden, die eine hohe Kaufverhaltensrelevanz aufweisen. In einem zweiten Schritt können passive Segmentierungskriterien zur Beschreibung dieser Segmente verwendet werden, die eine gute Ansprechbarkeit gewährleisten.413 Ein vergleichbares Vorgehen lässt sich auch mit der Finite-Mixture-Analyse durchführen. Zunächst werden durch die Finite-Mixture-Analyse in sich homogene Segmente gebildet, die sich in ihren Reaktionen auf exogene Stimuli gleichen und damit eine hohe Kaufverhaltensrelevanz der Segmente sicherstellen. Zu diesem Analyseschritt werden allerdings keine vorgegebenen Segmentierungskriterien benötigt. Erst in einem zweiten Schritt sind beschreibende Segmentvariablen zur Identifizierung dieser Segmente notwendig, um deren spezifische Ansprache zu ermöglichen. Für die vorliegende Arbeit erscheint es daher zweckmäßig, sich auf soziodemographische und verhaltensbezogene Kriterien zu beschränken. Diese Variablen sind einfach zu erheben und gewährleisten eine ausreichend gute, spezifische Ansprechbarkeit der Segmente. Als soziodemographische Kriterien werden Alter und Geschlecht, als verhaltensbezogene Kriterien das Kaufvolumen pro Besuch, die Beziehungsdauer, die Besuchsfrequenz sowie das Cross-Buying verwendet. Weiterhin wird zur Segmentbeschreibung die Nutzung von Informationsquellen bei der Suche eines neuen Anbieters als verhaltensbezogenes Kriterium berücksichtigt.414 Grundsätzlich ist bekannt, dass bei zunehmendem individuellen Kaufrisiko die Nutzung von Informationsquellen zunimmt.415 Aus diesem Grund wird das Ausmaß der Nutzung der Informationsquellen Printmedien, Internet, Freunde und Bekannte sowie Testnutzung als zusätzliche beschreibende Segmentvariable berücksichtigt.416
412 413 414 415 416
Vgl. Bonoma/Shapiro (1984), S. 257f.; Perrey (1998), S. 111f. Vgl. Bauer/Neumann/Hoffmann (2004), S. 63; Homburg/Krohmer (2009), S. 468. Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 207. Vgl. Locander/Hermann (1979), S. 271; Bauer et al. (2004), S. 8f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein (2009), S. 306.
122 5
Das Untersuchungsmodell
Insgesamt wurden auf Basis theoretischer und empirischer Erkenntnisse 19 Hypothesen zu den Determinanten und Wirkungen der vier CommitmentKonstrukte hergeleitet. Elf Hypothesen (H1-H11) beschreiben die Wirkungen der langfristig beeinflussbaren (strategischen) Anbietervariablen (Reputation, Vertrauen und Wechselkosten) und der kurzfristig beeinflussbaren (instrumentellen) Anbietervariablen (bevorzugte Behandlung, Direktmarketing und Markenpräsenz) sowie der Wettbewerbsvariablen (Attraktivität von Alternativen und Mangel an Alternativen) auf die Commitment-Konstrukte. In jeweils vier Hypothesen werden die Erfolgswirkungen der vier Commitment-Konstrukte auf die Erfolgsvariablen Preispremium(H12-H15) und Koproduktionsbereitschaft (H16-H19) beschrieben. Tabelle V-3 fasst alle Hypothesen überblicksartig zusammen. Abbildung V-3 veranschaulicht die Wirkungszusammenhänge des Untersuchungsmodells grafisch. Zusammenfassend basiert das entworfene dreistufige Untersuchungsmodell auf der Anforderung, wertorientiertes Kundenmanagement zielgruppenspezifisch zu gewährleisten. Durch das entwickelte Modell lassen sich im Rahmen der folgenden empirischen Untersuchung zunächst die Erfolgswirkungen der einzelnen Commitment-Konstrukte miteinander vergleichen. Weiterhin kann auf dieser Erkenntnisbasis eine Priorisierung commitmentspezifischer Kundenbearbeitungsstrategien vorgenommen werden. Durch die Auswahl beschreibender Segmentvariablen wird zudem gewährleistet, dass die aufzudeckenden Kundensegmente identifiziert und damit zielgruppenspezifische Besonderheiten im Kundenbeziehungsmanagement adressiert werden können.
123 # H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H8 H9 H10 H11 H12 H13 H14 H15 H16 H17 H18 H19
Hypothesen Je positiver die Reputation eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je stärker die Markenpräsenz eines Anbieters, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je stärker das Vertrauen in einen Anbieter, desto höher ist das Affektive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je ausgeprägter die bevorzugte Behandlung eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Normative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je intensiver das Direktmarketing eines Anbieters wahrgenommen wird, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kalkulative Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Wechselkosten eines Anbieters wahrgenommen werden, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber diesem Anbieter. Je höher die Attraktivität von Alternativen wahrgenommen wird, desto geringer ist das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter. Je größer der Mangel an Alternativen wahrgenommen wird, desto höher ist das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter. Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Zahlung eines Preispremiums. Je höher das Affektive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Normative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Kalkulative Commitment gegenüber einem Anbieter, desto höher ist die Bereitschaft zur Koproduktion. Je höher das Kaptive Commitment gegenüber einem Anbieter, desto niedriger ist die Bereitschaft zur Koproduktion.
Tabelle V-3: Hypothesensystem im Überblick
124
Reputation (LV)
Markenpräsenz (KV)
Vertrauen (LV)
H1 +
Affektives Commitment
H2 +
H3 +
H12 +
H16 + Erlössteigerung
Bevorzugte Behandlung (KV)
Normatives Commitment
H4 +
H13 +
Preispremiumbereitschaft
H5 + H17 + Multipartiales Commitment
Anbietervariablen
H6 + Direktmarketing (KV) Wechselkosten (LV)
Beziehungserfolg
H14 + Kalkulatives Commitment
H7 +
H18 +
Koproduktionsbereitschaft
Kostenreduktion
H8 + H15 -
H9 + Kaptives Commitment
H19 -
H10 H11 + Attraktivität von Alternativen
Mangel an Alternativen
KV: kurzfristig beeinflussbare (instrumentelle) Variable LV: langfristig beeinflussbare (strategische) Variable
Wettbewerbsvariablen
Beschreibende Segmentvariablen Soziodemographika: • Alter • Geschlecht
Kaufverhalten: • Beziehungsdauer • Besuchsfrequenz • Cross-Buying • Kaufvolumen pro Besuch
Abbildung V-3: Untersuchungsmodell
Nutzung von Informationsquellen: • Printmedien • Internet • Freunde und Bekannte • Testnutzung
125
VI
Empirische Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells
1
Ziel und Vorgehensweise
In den vorangegangen Kapiteln IV und V wurde zunächst ein multipartiales Commitment in Form von vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukten konzeptualisiert und anschließend in ein komplexes Hypothesensystem eingebettet. Dabei wurden ausgewählte Anbieter- und Wettbewerbsvariablen als Determinanten und kundenwertbezogene Verhaltensabsichten als Erfolgskonsequenzen der vier Commitment-Konstrukte berücksichtigt. In diesem Kapitel werden die Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Forschungsziel II) sowie die theoretisch hergeleiteten Wirkungszusammenhänge des Hypothesensystems auf Signifikanz (Forschungsziel III) und nichtbeobachtbare Konsumentenheterogenität (Forschungsziel IV) geprüft. Zur Erreichung dieser Forschungsziele werden in den exemplarisch ausgewählten Branchen personenorientierte Dienstleistungen (Friseurstudios) und produktorientierte Dienstleistungen (Autowerkstätten) insgesamt drei weitere, separate Studien durchgeführt (vgl. Abbildung VI-1). Im Rahmen der Vorstudie in Abschnitt VI-3 (Studie 2) werden die in der vorliegenden Literatur identifizierten Itempools der verwendeten Modellkonstrukte für die folgenden Studien optimiert. Um geeignete Indikatorvariablen identifizieren zu können, die den jeweiligen Konstrukten inhaltlichsemantisch entsprechen, wird ein mehrstufiges Vorgehen gewählt, das zwei Expertenbefragungen mit Marketingwissenschaftlern (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26) beinhaltet. In der Literatur wird die Diskriminanzvalidität der verschiedenen CommitmentKonstrukte, insbesondere zwischen Affektivem und Normativem Commitment, oft in Frage gestellt.417 Daher wird in einer weiteren Vorstudie (vgl. Abschnitt VI-4; Studie 3) umfassend die Diskriminanzvalidität der vier einstellungsorientierten Commitment-Konstrukte separat analysiert (Forschungsfrage II). Hierfür kommen die exploratorische Faktorenanalyse, der Fornell-Larcker-Test sowie der Chi-Quadrat-Differenztest zur Anwendung. Alle Verfahren greifen
417
Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 240; Bergman (2006).
126 dabei auf die Daten einer quantitativen Konsumentenerhebung (n=391) zurück.
Experten- und Konsumentenbefragung zur Itemoptimierung (Studie 2) Optimierung der auf Basis der Literatur entwickelten Items durch zwei Expertenbefragungen (n1=8; n2=5) und eine Konsumentenbefragung (n=26)
Abschnitt VI-3
Empirische Vorstudie zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität der Commitment-Konstrukte (Studie 3; Forschungsziel II) Durchführung einer Konsumentenbefragung (n=391) Überprüfung der Diskriminanzvalidität anhand der exploratorischen Faktorenanalyse, des Fornell-Larcker-Tests und des Chi-QuadratDifferenztests alternativer Messmodelle
Abschnitt VI-4
Hauptstudie (Studie 4) Prüfung der Wirkungszusammenhänge im Untersuchungsmodell (Studie 4 – Teil 1; Forschungsziel III) Durchführung einer Konsumentenbefragung in zwei Branchen (n1=840; n2=842) Identifizierung der Determinanten und Konsequenzen der vier Commitment-Konstrukte anhand der Multigruppen-Kausalanalyse
Prüfung der Wirkungszusammenhänge auf nicht-beobachtbare Konsumentenheterogenität (Studie 4 – Teil 2; Forschungsziel IV) Identifizierung von Kundensegmenten anhand der Finite Mixture-Analyse (n=1.682)
Abschnitt VI-5.3.1
Abschnitt VI-5.3.2
Abbildung V-1: Studien zur Überprüfung des Untersuchungsmodells Ziel der Hauptstudie (vgl. Abschnitt VI-5; Studie 4) ist die Überprüfung des in Kapitel V aufgestellten Untersuchungsmodells. Hierzu wird auf eine branchenübergreifende Stichprobe (n=1.682) zurückgegriffen, die sich sowohl aus Kunden von Friseurstudios als auch aus Kunden von Autowerkstätten zusammensetzt. Für jede Branche wird anhand der Multigruppen-Kausalanalyse zunächst ein Basismodell geschätzt, dass zum einen Anbieter- und Wettbewerbsvariablen als Determinanten und zum anderen einzelne Kundenwertkomponenten als Erfolgsauswirkungen der vier CommitmentKonstrukte enthält (Forschungsfrage III). Danach wird mit Hilfe des Finite Mixture-Ansatzes eine Mehr-Klassenlösung geschätzt, um die vermutete nicht-
127 beobachtbare Konsumentenheterogenität im Datensatz zu berücksichtigen (Forschungsfrage IV). Auf dieser Basis werden segmentspezifische Einflüsse sowie deren Wirkungsstärken aufgedeckt, die eine zielgruppenspezifische Marktbearbeitung ermöglichen sollen. 2
Methodische Grundlagen
2.1
Konstruktmessung
Die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Modellvariablen sind fast ausschließlich hypothetische Konstrukte, die nicht direkt beobachtbar bzw. messbar sind. Eine solche latente Variable wird von Bagozzi und Fornell (1982) definiert als „[…] an abstract entity which represents the ‚true’, nonobservable state or nature of a phenomenon.“418 Zur Messung von latenten Variablen werden Indikatorvariablen (Items) genutzt, die das Konstrukt indirekt erfassen. Im Vorfeld der Messung müssen diese Konstrukte allerdings zunächst inhaltlich konzeptualisiert und operationalisiert werden.419 Unter dem Begriff Konzeptualisierung wird die Erarbeitung der Konstruktdimensionen verstanden, während die Operationalisierung die Entwicklung des dazugehörigen Messinstruments, bestehend aus den Indikatorvariablen, beschreibt.420 Grundsätzlich wird bei der Konstruktoperationalisierung zwischen formativen und reflektiven Indikatoren unterschieden. Von reflektiven Indikatoren wird gesprochen, wenn das Konstrukt die ihm zugeordneten, beobachtbaren Variablen verursacht. In diesem Fall wird von einer fehlerbehafteten Messung des Konstrukts ausgegangen. Umgekehrt gelten formative Indikatoren als beeinflussende Größen des Konstrukts.421 Die Entscheidung, ob das Messmodell mit formativen oder reflektiven Indikatoren operationalisiert wird, sollte theoriegeleitet erfolgen, doch bei sehr vielen Konstrukten besteht zwischen beiden Messphilosophien eine freie Wahlmöglichkeit. Da allerdings die Gütebeurteilung von Messmodellen, insbesondere die Reliabilitäts- und Validitätsprüfung, bei der Verwendung von reflektiven Indikatoren besser möglich ist als bei formativen Indikatoren,422 418 419 420 421 422
Bagozzi/Fornell (1982), S. 24. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 5f. Vgl. Bagozzi (1979); Fornell (1986); Bollen/Lennox (1991). Vgl. Eberl (2006), S. 652ff.; Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 36ff.; Homburg/ Klarmann/Pflesser (2008), S. 296.
128 empfehlen Homburg und Klarmann (2006), „[…] in solchen Fällen reflektive Indikatoren zu entwickeln und formative Indikatoren nur mit Bedacht einzusetzen.“423 In der vorliegenden Arbeit werden aufgrund dieser Empfehlung und inhaltlicher Überlegungen ausschließlich reflektive Messmodelle eingesetzt. Zur Beurteilung der Güte eines Messmodells werden die Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität herangezogen. Sie bestimmen das Ausmaß der Güte des Messvorgangs und erlauben damit eine Aussage über die Qualität der durch die Messung generierten Daten und der daraus abgeleiteten Implikationen. 424 Von Objektivität wird gesprochen, wenn die Messergebnisse unabhängig vom Versuchsleiter sind. Eine objektive Messung zeichnet sich also dadurch aus, dass mehrere Personen, die unabhängig voneinander die Messergebnisse registrieren, zum gleichen Ergebnis gelangen. Je nach Ablauf eines Messvorgangs lässt sich die Objektivität der Durchführung, der Auswertung sowie der Interpretation der Messung beurteilen.425 Die Reliabilität ist definiert als der Grad, zu dem das Messverfahren frei von Zufallsfehlern ist. Reliabilität manifestiert sich also darin, dass bei einer Wiederholung der Messung unter gleichen Rahmenbedingungen auch das gleiche Messergebnis erzielt wird.426 Ein Messmodell ist dann als reliabel zu bezeichnen, wenn der Zufallsfehler möglichst gering ist und somit der wesentliche Anteil der Varianz eines Indikators durch das zugrunde liegende Konstrukt erklärt wird. Die Reliabilität des Messinstruments ist weiterhin eine notwendige Bedingung für dessen Validität.427 Die Validität bezieht sich sowohl auf systematische Fehler als auch auf Zufallsfehler. Validität beschreibt somit die konzeptionelle Richtigkeit einer Messung, d.h. inwieweit das Messverfahren auch wirklich das misst, was es messen soll.428 Insgesamt lassen sich vier Arten der Validität unterscheiden.429
423 424 425 426 427 428 429
Homburg/Klarmann (2006), S. 731. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2009), S. 80. Vgl. Herrmann/Homburg/Klarmann (2008), S. 10f. Vgl. Peter/Churchill (1986), S. 1ff. Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 278. Vgl. Heeler/Ray (1972), S. 361; Homburg/Giering (1996), S. 6f. Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 279.
129 So bezieht sich die Inhaltsvalidität auf den Grad, zu dem die Variablen eines Messmodells dem inhaltlich-semantischen Bereich des Konstrukts angehören und alle Bedeutungsinhalte und Aspekte des Konstrukts abbilden.430 Die Konvergenzvalidität bezeichnet den Grad, zu dem zwei oder mehrere unterschiedliche Messungen des gleichen Konstrukts übereinstimmen.431 Die Diskriminanzvalidität ist der Grad, zu dem sich Messungen unterschiedlicher Konstrukte unterscheiden.432 Schließlich repräsentiert die Nomologische Validität den Grad, zu dem vorhergesagte Beziehungen des Konstrukts zu anderen Konstrukten bestätigt werden können. Die vorhergesagten Beziehungen müssen dabei aus einem übergeordneten theoretischen Rahmen hergeleitet werden.433 Die Prüfung der Reliabilität und Validität lassen sich in Verfahren der ersten und zweiten Generation unterscheiden.434 Von den Kriterien der ersten Generation werden die folgenden angewendet: x Anteil der durch die Faktoren erklärten Varianz (EV) x Faktorladung der exploratorischen Faktorenanalyse (FL-EFA) x Cronbachsches Alpha (C) x Item to Total-Korrelation (ITTK). Die exploratorische Faktorenanalyse (EFA) untersucht die vorliegenden Indikatoren auf die ihnen zugrunde liegende Faktorenstruktur, ohne dass a priori eine bestimmte Struktur festgelegt wird.435 Der zur Verdichtung der Indikatoren extrahierte Faktor sollte mindestens den Schwellenwert von 50% der EV erreichen.436 Die FL-EFA gibt die jeweilige Stärke des Zusammenhangs zwischen den einzelnen, ursprünglichen Indikatoren und den extrahierten Faktoren an. In der Literatur wird ein Mindestwert von 0,4 für die jeweilige Faktorladung gefordert. 430 431 432 433 434 435 436
Vgl. Bohrnstedt (1970), S. 92. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 468. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 469. Vgl. Bagozzi (1979), S. 15ff. Vgl. Homburg (2000), S. 75. Vgl. Hartung/Elpelt (1992), S. 505ff.; Backhaus et al. (2008), S. 324. Vgl. Peter (2001), S. 179.
130 In diesem Fall lassen sich die Indikatoren eindeutig einem Faktor zuordnen und es kann von einer ausreichenden Konvergenz- und Diskriminanzvalidität ausgegangen werden.437 Der am häufigsten angewandte Reliabilitätskoeffizient der ersten Generation stellt das C dar.438 Es misst die Reliabilität einer Gruppe von Indikatoren, die nur einen Faktor messen,439 und ist damit ein gutes Maß für die interne Konsistenz.440 Ein Mindestwert für das C ist in der Literatur umstritten, häufig wird jedoch der Vorschlag von Nunnally (1978) aufgegriffen, der einen Mindestwert von 0,7 fordert.441 Die ITTK empfiehlt sich als Eliminiationskriterium für Indikatoren. Liegt das C eines Faktors unterhalb seines geforderten Mindestwerts, so lässt sich seine Reliabilität dadurch steigern, dass die zugehörige Indikatorvariable mit der jeweils niedrigsten ITTK eliminiert wird.442 Die Beurteilung der Reliabilität und Validität anhand der Ansätze der ersten Generation weist jedoch einige Nachteile auf.443 So ist eine differenzierte Untersuchung der einzelnen Indikatoren in Hinblick auf die jeweils zugrunde liegenden Messfehlereinflüsse nicht möglich. Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die Beurteilung von Validitätsaspekten, die bei diesen Ansätzen im Wesentlichen auf Faustregeln und nicht auf inferenzstatistischen Prüfungen basiert.444 Bezüglich dieser Schwachstellen erweist sich der Einsatz der konfirmatorischen Faktorenanalyse als überlegen.445 Die konfirmatorische Faktorenanalyse unterscheidet sich vom exploratorischen Ansatz dadurch, dass a priori Hypothesen über die den Indikatoren zugrunde liegende Faktorenstruktur formuliert werden.446 Die in Verbindung mit der konfirmatorischen Faktorenanalyse anzuwendenden Gütemaße erlauben eine detaillierte Prüfung der Reliabilität und Validität. Die Überlegenheit dieser
437 438 439 440 441 442 443 444 445 446
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. Vgl. Peterson (1994), S. 381ff. Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 190. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. Vgl. Nunnally (1978), S. 245. Vgl. Churchill (1979), S. 68. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982); Gerbing/Anderson (1988); Bagozzi/Yi/Phillips (1991). Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 189. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982); Gerbing/Anderson (1988); Steenkamp/van Trijp (1991). Vgl. Backhaus et al. (2008), S.381.
131 sogenannten Kriterien der zweiten Generation447 ist in der Marketingforschung unumstritten.448 Grundsätzlich lässt sich bei den Kriterien der zweiten Generation zwischen globalen und lokalen Anpassungsmaßen unterscheiden. Während globale Anpassungsmaße die Anpassungsgüte des gesamten Modells beurteilen, beziehen sich lokale Anpassungsmaße auf einzelne Modellteile.449 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kommen folgende globale Anpassungsmaße zur Anwendung: x Chi-Quadrat-Anpassungstest (2-Test) x Root Mean Squared Error of Approximation (RMSEA) x Standardized Root Mean Residual (SRMR) x Non Normed Fit Index (NNFI) x Comparative Fit Index (CFI). Mithilfe des 2-Tests kann die inferenzstatistische Beurteilung des spezifizierten Modells in Abhängigkeit der Stichprobengröße erfolgen. Es wird in einer Nullhypothese davon ausgegangen, dass sich die empirische Kovarianzmatrix und die vom Modell reproduzierte Kovarianzmatrix entsprechen.450 Zur Überprüfung wird der 2-Wert als deskriptives Anpassungsmaß in Form des Quotienten aus dem 2-Wert und der Freiheitsgrade (2/df) benutzt.451 Als Maximalwert des Quotienten wird ein Wert von 5,0 angestrebt.452 Der RMSEA prüft, ob das Modell die Realität ausreichend gut approximiert. Werte kleiner als 0,05 deuten auf einen sehr guten Fit hin, während Werte bis 0,08 noch als akzeptabel gelten.453 Das Gütemaß SRMR bezieht sich auf die Residuen (Varianzen und Kovarianzen), die in dem zugrunde liegenden Modell nicht erklärt werden. Je 447 448 449 450 451
452 453
Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S.417. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 9. Vgl. Homburg/Baumgartner (1998), S. 351. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10; Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 561. Vgl. Förster et al. (1984), S. 361; Jöreskog/Sörbom (1989), S. 43; Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 398. Vgl. Fritz (1995), S. 140. Vgl. Steiger (1990), S. 173ff.; Homburg/Klarmann (2006), S. 737.
132 mehr sich der SRMR dem Wert Null annähert, desto weniger Residuen werden im Modell nicht erklärt und desto besser ist folglich die Anpassungsgüte des Modells.454 Als Höchstwert des SRMR wird in der Literatur ein Wert von 0,1 genannt.455 Der NNFI stellt eine Weiterentwicklung des Normed Fit Indexes (NFI) dar, der den Minimalwert der Diskrepanzfunktion des unterstellten Modells mit dem des dazugehörigen Basismodells vergleicht. Der NFI misst dabei die Verbesserung der Anpassungsgüte beim Übergang vom Basismodell, in dem alle Indikatorvariablen als unkorreliert angenommen werden, zum unterstellten Modell. Der NNFI basiert auf der gleichen Methodik, allerdings berücksichtigt dieser die Stichprobengröße, was als Mangel des NFI kritisiert wird.456 Als Mindestwert des NNFI gilt hierbei der Wert von 0,9.457 Der CFI gilt ebenso wie der NNFI als inkrementelles Anpassungsmaß und berücksichtigt ebenfalls die Stichprobengröße.458 Seine Berechnung basiert auf dem Relative Noncentrality Index von McDonald und Marsh (1990). Als Mindestwert gilt gleichfalls der Wert von 0,9.459 Die angesprochenen Gütemaße zur Überprüfung des globalen Fits eines Modells erlauben jedoch keine Auskunft über die Anpassungsgüte von Teilstrukturen des Modells. Für die vorliegende Studie werden daher folgende lokale Anpassungsmaße für die Messmodelle verwendet: x Indikatorreliabilität (IR) x Faktorreliabilität (FR) x durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors (DEV) x standardisierte Faktorladung (FL-KFA) x t-Wert der Faktorladung eines Indikators (t-Wert FL) 454 455 456
457 458 459
Vgl. Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 285. Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 737. Vgl. Bentler/Bonett (1980), S. 599f.; Homburg/Baumgartner (1995a), S. 170; Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 40f.; Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 284f. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 166. Vgl. Bentler (1990), S. 238ff. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 166.
133 x Fornell-Larcker-Kriterium. Die IR beschreibt für einzelne Indikatoren den Anteil der durch den zugehörigen Faktor erklärten Varianz an der Gesamtvarianz dieser Variablen.460 Damit erfasst sie auch die jeweilige Varianz des zugehörigen Messfehlers des Indikators. Der Wertebereich der IR reicht von Null bis Eins, wobei sie im günstigsten Fall den Wert Eins annimmt, wenn keine Varianz des Messfehlers vorhanden ist.461 In der Literatur wird ein Mindestwert von 0,4 vorgeschlagen.462 Während die IR die Reliabilität eines einzelnen Indikators untersucht, zeigen die FR und die DEV, wie gut der Faktor durch die Gesamtheit aller ihm zugeordneten Indikatoren gemessen wird.463 Dies ist ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Reliabilitätsbeurteilung des Messmodells.464 Während die DEV lediglich die Varianzanteile innerhalb einer Messkomposition berücksichtigt, erfasst die FR auch die Kovarianz zwischen den Indikatoren.465 Beide Maße verfügen über einen Wertebereich zwischen Null und Eins und für beide gilt, dass Werte nahe Eins unter Reliabilitätsgesichtspunkten wünschenswert sind. In der Literatur wird für die FR ein Mindestwert von 0,6 und für die DEV ein Mindestwert von 0,5 vorgeschlagen.466 Weiterhin sollte die FL-KFA, welche Hinweise für die Konvergenzvalidität liefert, hinreichend groß und signifikant sein.467 Die FL-KFA gibt die Stärke des Zusammenhangs zwischen einem einzelnen Indikator und den extrahierten Faktoren an. Als Mindestwert für die FL-KFA wird die Schwelle von 0,5 vorgeschlagen.468 Zur Überprüfung der Konvergenzvalidität der Indikatoren eines Faktors wird weiterhin geprüft, ob alle zugehörigen Faktorladungen signifikant von Null verschieden sind. Hierzu erfolgt die Untersuchung mittels eines einseitigen t-Tests auf einem in der Literatur vorgeschlagenen
460 461 462 463 464 465 466 467 468
Vgl. Bagozzi (1982), S. 156. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10f. Vgl. Homburg (2000), S. 91f. Vgl. Fritz (1995), S. 133. Vgl. Bagozzi/Yi (1988), S. 74ff.; Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 386ff. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Fritz (1995), S. 132ff.
134 Signifikanzniveau von 5%, woraus sich für den t-Wert der FL-KFA ein Mindestwert von 1,645 ergibt.469 Für eine vollständige Reliabilitäts- und Validitätsbetrachtung ist abschließend die Analyse der Diskriminanzvalidität anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums notwendig.470 Demnach kann von einer ausreichenden Diskriminanzvalidität zwischen den Faktoren ausgegangen werden, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors größer ist als jede quadrierte Korrelation dieses Faktors mit einem anderen Faktor (R²).471 Die Gütekriterien der ersten und zweiten Generation sowie deren optimales Anpassungsniveau sind in Tabelle VI-1 zusammengefasst. Sie bilden die Basis für die Beurteilung der Anpassungsgüte der in der Hauptstudie verwendeten Messmodelle. Gütekriterien Kriterien der 1. Generation Anteil der durch die Faktoren erklärten Varianz Faktorladung der EFA Cronbachsches Alpha Item to Total-Korrelation Kriterien der 2. Generation Globale Gütekriterien 2-Anpassungstest (2/df) Root Mean Squared Error of Approximation Standardized Root Mean Residual Non Normed Fit Index Comparative Fit Index Lokale Gütekriterien Indikatorreliabilität Faktorreliabilität Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorladung der KFA t-Wert der Faktorladung Fornell-Larcker-Kriterium
Optimales Anpassungsniveau 0,5 0,4 0,7 Zu eliminierendes Item, falls C < 0,7
5,0 0,08 0,1 0,9 0,9 0,4 0,6 0,5 0,5 1,645 (5% Signifikanzniveau) DEV>R²
Tabelle VI-1: Anspruchskriterien der ersten und zweiten Generation im Überblick Quelle: In Anlehnung an Homburg/Klarmann/Pflesser (2008), S. 288.
469 470 471
Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46.
135 2.2
Kausalanalyse
Viele Fragestellungen beziehen sich auf die Überprüfung von kausalen Abhängigkeiten zwischen bestimmten Merkmalen. Werden mit Hilfe von Datensätzen Kausalitäten überprüft, so wird allgemein von einer Kausalanalyse gesprochen. Dabei wird ein im Vorfeld theoretisch fundiertes Hypothesensystem auf Übereinstimmung mit dem empirisch gewonnen Datenmaterial getestet.472 Die Kausalanalyse hat damit konfirmatorischen Charakter473 und wird zu den strukturprüfenden Verfahren der Dependenzanalyse gezählt.474 Die Kausalanalyse wird mathematisch als lineares Strukturgleichungsmodell formuliert und kombiniert die Faktorenanalyse mit der Regressionsanalyse.475 Die Verknüpfung beider Verfahren ermöglicht der Kausalanalyse simultan die fehlerbehaftete Messung komplexer Konstrukte sowie die Analyse komplexer Abhängigkeitsstrukturen.476 Während die Faktorenanalyse eine Methode zur Operationalisierung latenter, nicht direkt beobachtbarer Konstrukte durch beobachtbare Indikatoren darstellt, untersucht die Regressionsanalyse die Stärke des Zusammenhangs zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen.477 Nach Homburg, Pflesser und Klarmann (2008) ist der Ausgangspunkt einer kausalanalytischen Untersuchung ein Modell aus linearen Gleichungen, die hypothetische Beziehungen zwischen den Modellvariablen beschreiben. Ein solches Modell lässt sich wie folgt darstellen:478 (1)
= B + +
(Strukturmodell)
(2)
y = y +
(endogenes Messmodell)
(3)
x = x +
(exogenes Messmodell)
Diese Modellformulierung zeigt, wie die Kausalanalyse mehrere multivariate Modelle integriert: Gleichung (1) ist ein herkömmliches Strukturgleichungs472 473 474 475 476 477 478
Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 511ff. Vgl. Homburg (1989), S. 2. Vgl. Pepels (2000), S. 326. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 549f. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995b), S. 1092. Vgl. Bagozzi/Fornell/Larcker (1982), S. 104ff. Vgl. Homburg/Pflesser/Klarmann (2008), S. 554ff.
136 modell (im weiteren Verlauf als Strukturmodell bezeichnet), dessen Variablen allerdings nicht direkt messbar sind. Es stellt die hypothetischen Beziehungen zwischen den latenten Variablen (den Konstrukten) des Modells dar.479 Bei den latenten Variablen wird zwischen endogenen () und exogenen () Größen unterschieden. Während die exogenen latenten Variablen nicht von anderen Modellvariablen abhängen, werden die endogenen latenten Variablen von anderen Modellvariablen beeinflusst. Die Koeffizientenmatrix B modelliert die Effekte zwischen latenten endogenen Variablen, während die Koeffizientenmatrix die Effekte latenter exogener auf latente endogene Variablen abbildet. ist ein Vektor von Fehlergrößen im Strukturmodell, der dem Fehlerterm im Modell der multiplen Regressionsanalyse entspricht.480 Die Gleichungen (2) und (3) sind faktoranalytische Modelle und werden als Messmodell bezeichnet. Sie stellen die Beziehung zwischen den latenten Variablen ( und ) sowie den zugehörigen messbaren Indikatorvariablen dar. Hierbei enthält der Vektor y die Indikatoren der latenten endogenen Variablen und der Vektor x die der latenten exogenen Variablen. Die Koeffizientenmatrizen y und x sind als Faktorladungsmatrizen interpretierbar. Da unterstellt wird, dass jeder Indikator eine fehlerbehaftete Messung einer oder auch mehrerer latenter Variablen darstellt, werden durch die Vektoren und explizit Messfehlervariablen modelliert.481 Unter geeigneten Voraussetzungen ist es möglich, die Kovarianzmatrix der beobachteten Variablen x und y durch die acht Parametermatrizen B, , /y, /x, ),