Armin Scholl · Rudi Renger · Bernd Blöbaum (Hrsg.) Journalismus und Unterhaltung
Armin Scholl · Rudi Renger Bernd Blöbaum (Hrsg.)
Journalismus und Unterhaltung Theoretische Ansätze und empirische Befunde
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. 1. Auflage August 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15291-2
Inhalt Armin Scholl, Rudi Renger und Bernd Blöbaum ...................................... 7 Einleitung und Einführung in den Band
Theoretische Grundlagen Louis Bosshart ........................................................................................ 17 Information und/oder Unterhaltung? Werner Früh und Carsten Wünsch ......................................................... 31 Unterhaltung Christian Wiesner ................................................................................... 53 Nie fand ich einen geselligeren Gesellschafter als die Unterhaltung: Eine Rekonstruktion der Bestimmungsversuche von Unterhaltung.
Theoretische Anwendungen Margreth Lünenborg .............................................................................. 67 Unterhaltung als Journalismus – Journalismus als Unterhaltung: Theoretische Überlegungen zur Überwindung einer unangemessenen Dichotomie. Alexander Görke..................................................................................... 87 Argwöhnisch beäugt: Interrelationen zwischen Journalismus und Unterhaltung. Siegfried Weischenberg ........................................................................ 117 Genial daneben: Warum Journalismus nicht (Gegen-)Teil von Unterhaltung ist. Klaus-Dieter Altmeppen ....................................................................... 133 Differenzierung und Distinktion: Journalismus, unterhaltender Journalismus, Unterhaltungsproduktion.
Stefan Weinacht und Ralf Hohlfeld....................................................... 157 Das Hofnarren-Komplott: Deskriptiv-theoretische Herleitung von Entgrenzung und Selbstthematisierung im Journalismus.
Empirische Umsetzungen Joachim Trebbe und Torsten Maurer ................................................... 211 „Unterhaltungspublizistik“: Journalistische Gratwanderungen zwischen Fernsehinformation und Fernsehunterhaltung. Rudi Renger und Christian Wiesner ..................................................... 233 Politik zum Lachen: ‚Feel Good’-Faktoren in der Politikberichterstattung österreichischer Tageszeitungen. Thomas Schierl ..................................................................................... 255 Prominenz als Medieninhalt: Eine Untersuchung zur kommunikativen und ökonomischen Bedeutung der Prominenzberichterstattung.
Autorin und Autoren …………………………………………………..277
Armin Scholl, Rudi Renger, Bernd Blöbaum
Einleitung und Einführung in den Band Journalismus wird in erster Linie mit Information in Verbindung gebracht. Im Fokus der Forschung steht deshalb häufig der Informationsjournalismus. Damit ist jedoch nur die eine Seite beschrieben. Auf einer anderen Seite stehen Unterhaltungselemente im Journalismus, Boulevardjournalismus und die journalistische Leistung, ein Publikum (auch) zu unterhalten. Zwar wird Journalismus oft deutlich von Unterhaltung unterschieden – etwa bei Rundfunkanstalten, wo zwischen Informationsund Unterhaltungsformaten programmatisch getrennt wird. Allerdings können bei den Medieninhalten, den Formaten sowie Darstellungsformen häufig Verknüpfungen von unterhaltenden und informierenden Bestandteilen beobachtet werden. So lassen sich zahlreiche Hybridformate nennen: Infotainment, Reality TV, Docutainment, Edutainment, Politainment etc., die informierende und unterhaltende Elemente vielfältig miteinander kombinieren. Wird damit auch die Grenzziehung zwischen Journalismus und anderen Formen öffentlicher Kommunikation obsolet? Findet Information heute wirklich in der Unterhaltung Unterschlupf und bleibt nur mehr interessant, soweit sie unterhaltsam ist? Oder sind solche Umstrukturierungen eher ein Indiz für die Anpassungsfähigkeit des Journalismus an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse? Und wie wirkt die Unterhaltungsorientierung des Journalismus auf andere gesellschaftliche Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport usw.? Der vorliegende Sammelband liefert Beiträge aus Wissenschaft und journalistischer Berufspraxis, die das Verhältnis von journalistischer Information und journalistischer Unterhaltung bearbeiten, einzelne Analysemethoden vorstellen, mit denen Unterhaltungsjournalismus quantitativ und/oder qualitativ analysiert werden kann und die empirische Daten zu Journalismus und Unterhaltung präsentieren.
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Dazu zählen insbesondere Forschungsfragen und Problemstellungen, x die sich mit Kommunikatoren und Organisationen (Typologie, Selbstverständnis), Inhalten (Themen, Programme, Hybridisierung) und Rezipienten (Publikumstypologien, Publikumsbilder) beschäftigen; x die Funktionen und Leistungen von Unterhaltungsjournalismus analysieren; x die spezifische Berichterstattungsmuster und Darstellungsmuster (z.B. Sensations- und Boulevardjournalismus) analysieren und hierbei etwa unterhaltende Elemente in Nachrichtenformaten identifizieren; x die das Wechselspiel von Kognition und Affekt, das heißt das Spannungsfeld zwischen Nachrichtenwerten und Gefühlsfaktoren, analysieren; x die zeigen, welche Kriterien der Nachrichtenauswahl beim Unterhaltungsjournalismus bevorzugt werden; x die den Umgang mit Unterhaltung in unterschiedlichen Berichterstattungsfeldern (z.B. Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Lokales) und/ oder unterschiedlichen Ländern komparativ analysieren. Das Buch „Journalismus und Unterhaltung“ soll nicht zuletzt dazu beitragen, die langjährige kommunikationswissenschaftliche Vernachlässigung von Unterhaltung im Journalismus etwas zu mindern und das Feld Journalismus und Unterhaltung angemessen zu beschreiben. Die hier versammelten Beiträge basieren zum Teil auf Vorträgen, die im Rahmen der Jahrestagung der Fachgruppe „Journalistik und Journalismusforschung“ der „Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“ (DGPuK) im Februar 2005 am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg gehalten wurden. Diese Veranstaltung war zugleich auch der „7. Salzburger Journalistik-Tag“. Im ersten Teil dieses Sammelbandes werden theoretische Grundlagen bearbeitet, bei denen es um die Begriffe Information und Unterhaltung geht. Louis Bosshart entwickelt definitorisches Material, bietet erste Einblicke in die Verzahnung von Mediennutz und Medienlust, von primären und sekundären Realitäten zwischen Journalismus und Unterhaltung und liefert eine „Tour d’horizon“ der Unterhaltungsforschung von den ersten Anfängen Mitte der 1960er Jahre bis heute. Entscheidend ist dabei, dass sich Information und Unterhaltung auf Produktion, Produkt und auf Rezeption beziehen kann, was die Beschäftigung mit beiden
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Phänomenen nicht einfacher macht. Carsten Wünsch und Werner Wirth definieren den Unterhaltungsbegriff konsequent aus der Rezeptionsperspektive. Die Medien können zwar Unterhaltungsangebote machen, aber Unterhaltung selbst kommt erst durch das Medienangebot im Zusammenspiel mit der Rezeptionssituation und den Merkmalen der Rezipienten zustande und ist demzufolge eine Erlebnisqualität. Christian Wiesner beschäftigt sich ebenfalls grundlegend mit dem Unterhaltungsbegriff und systematisiert dessen wissenschaftlichen Umgang. Er unterscheidet dabei normative, analytische und empirische Bestimmungsversuche, die auch unterschiedliche Problemperspektiven markieren. Aus allen drei Grundlagenbeiträgen wird deutlich, dass Journalismus und Unterhaltung nicht auf einer logischen Dimension anzusiedeln sind und demnach nicht (direkt) einander gegenübergestellt werden können. Unterhaltung lässt sich nicht ausschließlich der Produktions- oder Rezeptionsseite zuordnen, sondern resultiert aus ihrer Kombination. Demzufolge lassen sich allenfalls als solche gekennzeichneten Unterhaltungsangebote direkt mit journalistischen Angeboten vergleichen. Von der Rezeptionsseite her mag zwar die Wahrscheinlichkeit höher sein, dass Unterhaltungserlebnisse aus Unterhaltungsangeboten (und weniger aus journalistischer Berichterstattung) resultieren, aber logisch ist damit keineswegs ausgeschlossen, sondern sogar erwartbar, dass journalistische Angebote (auch) unterhalten. Umgekehrt informiert die journalistische Berichterstattung nicht nur, auch Unterhaltungsangebote ermöglichen – analog zu Unterhaltungserlebnissen – Informationen im Sinn von „Informationserlebnissen“. Damit ist das Verhältnis von Information und Unterhaltung im Journalismus fokussiert. Weitere Beiträge des Bandes befassen sich mit theoretischen Anwendungen, insbesondere mit dem Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung bzw. mit der Unterhaltung im Journalismus. Die hier vorgestellten Ansätze umfassen in erster Linie systemtheoretische und kulturtheoretische Betrachtungsweisen. Gewisse journalistische Programme, so die Vermutung, scheinen für Unterhaltungseinflüsse empfänglicher als andere zu sein: Alexander Görke differenziert Journalismus und Unterhaltung als zwei funktional getrennte Leistungssysteme der Öffentlichkeit. Sie ermöglichen die Kommunikation von Aktualität und von Potenzialität. Mit Hilfe des „operativen Displacement“ lassen sich im
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Journalismus und in der Unterhaltung Berichterstattungsmuster, Darstellungsformen, aber auch Organisationsstrukturen unterscheiden. Überschneidungen beider Leistungssysteme sind erkennbar, allerdings immer aus der Perspektive eines spezifischen und exklusiven Funktionsprimats. Aus dieser Perspektive erscheinen Journalismus und Unterhaltung als zwei gleichrangige Teilsysteme von Öffentlichkeit. Margreth Lünenborg zielt auf die Formulierung eines Konzeptes der informativen Unterhaltung („pleasure of meaning“) und diskutiert diesen Kontext historisch und organisationsbezogen, aber immer (auch) aus der Perspektive der Rezipienten. Im Unterschied zu Görke identifiziert Lünenborg auch im klassischen Kernbereich des Journalismus notwendige Unterhaltungselemente in Form von narrativen Strukturen. Der CulturalStudies-Ansatz setzt bei diesen Vermischungen als basalen Bestandteilen und nicht als sekundären Phänomenen an. Dementsprechend lassen sich keine getrennten Teilsysteme bestimmen, sondern unterschiedliche Varianten von Mischformen. Eine dritte Position nimmt Siegfried Weischenberg ein, wenn er Journalismus weder als (integralen) Bestandteil noch als differentes Gegenteil von Unterhaltung als Ansatzpunkt wählt, weil beide Phänomene nicht auf derselben Ebene angesiedelt sind. An der Position Görkes kritisiert er, dass das symbolisch generalisierte Medium Aktualität zu abstrakt ist und damit weder dem Journalismus (als Präferenzwert von Aktualität) noch der Unterhaltung (als Referenzwert von Aktualität) gerecht wird. An der Position Lünenborgs kritisiert er die Ebenenvermischung der Kommunikator- und der Rezipientenorientierung. Beide Perspektiven lassen sich nicht ineinander überführen, sonst würde jegliche Unterscheidung unmöglich. Deshalb identifiziert Weischenberg als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des Journalismus „nachrichtlich versus nicht-nachrichtlich“. Journalismus sei eben immer anhand von Nachrichtenwerten identifizierbar; die Unterhaltungsausrichtung und der Grad der Unterhaltsamkeit von Nachrichten ist dieser primären Differenzierung nachgeordnet und sekundär (was nicht unwichtig bedeutet). Mit diesen drei (konkurrierenden) Positionen ist ein breites Feld der theoretischen Identifizierung des Journalismus abgesteckt. Vor diesem
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Hintergrund lässt sich das Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung weiter konkretisieren. Für jedwede Zusammenhänge von Journalismus und Unterhaltung sehen Ralf Hohlfeld und Stefan Weinacht den Begriff des Infotainments ideal. Sie entwickeln diesen jedoch in Richtung der Hybridisierung von „Faction“ weiter. Eine deskriptive Klassifikation und Typologie wird anhand der Verbindung zwischen der Entgrenzung von Journalismus und Unterhaltung und den Selbstbezügen im Journalismus entwickelt. Daraus ergeben sich zwischen den Polen des reinen Informationsjournalismus und der allgemeinen Unterhaltung ohne Journalismusbezug fünf gradualisierbare Formen des Journalismus mit unterschiedlich starkem Unterhaltungsbezug, die mit Hilfe verschiedener Kriterien empirisch bestimmbar sind. Sowohl für die Entgrenzungsphänomene im Journalismus als auch für die Selbstthematisierung der Medien lassen sich ähnliche gesellschaftliche, organisationsbezogene und personenbezogene Erklärungen finden. Dass Journalismus und Unterhaltung unterschiedlichen organisationsstrukturellen Systemen angehören, modelliert Klaus-Dieter Altmeppen in seinem Beitrag. Unterhaltender Journalismus ist dabei als Darstellungsschema bzw. Berichterstattungsform von Unterhaltung als Medienangebotsform zu unterscheiden. Zwischen Journalismus und Unterhaltung gibt es offensichtlich eine Reihe von Kopplungen und ausdifferenzierten Berichterstattungsmustern, die vor allem auf der Strukturebene, aber darüber hinaus auch auf der Akteursebene anzusiedeln sind. Der dritte Teil des Bandes beschäftigt sich mit empirischen Umsetzungen der theoretisch vorbereiteten Unterscheidungen und Ausdifferenzierungen im Bereich Journalismus und Unterhaltung. Joachim Trebbe und Torsten Maurer führen in ihrem Beitrag die Kategorie der Unterhaltungspublizistik im Fernsehen ein. Diese Kategorie lässt sich einerseits nach Relevanzkriterien von der Fernsehinformation abgrenzen, weil sie die journalistische Bearbeitung von gesellschaftlich und normativ weniger bedeutenden Human-Touch-Themen umfasst. Sie ist aber nicht der Unterhaltung zuzuordnen insofern, weil es sich um journalistische Berichterstattung handelt. Für die Programmstrukturanalyse der ALM-Studie ergibt sich die Konsequenz, dass die Unterhaltungspublizistik die Schnittstelle zwischen Information und Unterhaltung darstellt und je
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nach Fragestellung dem einen oder dem anderen Bereich zugeordnet werden kann. Insbesondere bei den privaten Sendern besteht der Anteil von Informationssendungen (Fernsehpublizistik) zum größten Teil aus Unterhaltungspublizistik, aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist der Anteil an Unterhaltungspublizistik erheblich. Rudi Renger und Christian Wiesner stellen am Beispiel von acht ausgewählten österreichischen Tageszeitungen den Grad der ‚Politainisierung’ des Politkressorts dar. Auch in dieser Studie werden nicht einfach Journalismus und Unterhaltung gegenübergestellt, sondern eine differenzierte Kategorisierung unterschiedlicher ‚Journalismen’ benutzt, um den Kern-Journalismus von populären Formen wie dem ‚Journalismus light’, dem Boulevard-Journalismus und der Informationsinszenierung abzugrenzen. Die unterhaltsame Politikberichterstattung erweist sich in der Analyse als weitgehend genreunabhängig; demnach berichten Boulevardzeitungen und populärjournalistische Blätter nicht per se unterhaltsamer über politische Themen als die Qualitätspresse. Weiterhin korrelieren die Unterhaltungselemente im Politikjournalismus positiv mit der Verständlichkeit der Berichterstattung, aber negativ mit der Objektivität und Sachlichkeit. Folglich fördert Unterhaltsamkeit zwar die Verständlichkeit, sie knabbert aber nicht unwesentlich am Grad der Objektivität. In Bezug auf Themenkarrieren zeigt Thomas Schierl die Attraktivität von Prominenz für den Zeitschriftenjournalismus. Dazu verbindet er die publizistisch-kommunikative Bedeutung der Prominenzberichterstattung mit der ökonomischen Bedeutung: Prominenz ist eine besondere Form der Personalisierung, die sich gut für unterhaltende Zwecke eignet und damit besonders Aufmerksamkeit generiert. Dazu untersucht er mit einer Inhaltsanalyse den deutschen Zeitschriftenmarkt der Yellow Press, der People Press und der Lifestyle Magazine und kann nachweisen, dass das Angebot von und die Nachfrage nach Prominenzberichterstattung im Lauf der Zeit deutlich gestiegen ist und sich ausdifferenziert hat. Darüber hinaus wird der Medieninhalt Prominenz zunehmend professionell und strategisch produziert und verwertet. Die Ergebnisse sind – so Schierl – vermutlich auch auf die Sportberichterstattung übertragbar. Die Journalistik hat in den vergangenen Jahrzehnten häufig auf die notwendige Grenzziehung zwischen Journalismus und Unterhaltung hingewiesen. Ist diese Forderung nun obsolet? In Bezug auf die hier ge-
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sammelten Beiträge lautet die Antwort: Nein. Aber es gibt offenbar mehrere ‚Informationswelten’ mit jeweils unterschiedlichen Reglements. Wie groß hat die Anpassungsfähigkeit des Journalismus gegenüber Unterhaltung sein? Offenbar unterliegt Journalismus einer Entwicklung, die immer wieder neue Strukturen und Formen hervorbringt, um im gesellschaftlichen Wandel – und im ökonomischen Wettbewerb – beständig zu bleiben. Unterhaltung hat heute alle Themenbereiche der journalistischen Berichterstattung ergriffen (ein aktuelleres Beispiel ist das Phänomen des „Politainments“), wobei die Effekte auf die journalistischen Berichterstattungsfelder wie Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport noch nicht ausgeleuchtet sind. Eine Symbiose bzw. eine Kopplung von Journalismus und Unterhaltung – das verdeutlicht auch dieser Band – ist nicht ausschließlich eine negativ zu bewertende Erscheinung: Unterhaltung im Journalismus birgt Potenzial für mehr Abwechslung, Anregung, Atmosphäre, Entspannung, Spaß und Genuss. Und sie dient heuristischen Verarbeitungsmustern wie einem intensivierten Rezeptionserleben. Die Journalismusforschung sollte bei der Bearbeitung dieser Fragen stärker mit der Rezeptionsforschung kooperieren, was die Perspektiven wechselseitig erweitern kann. Die Beiträge dieses Bandes geben an vielen Stellen Hinweise dafür, wie sinnvoll diese Kooperation gestaltet und ausgebaut werden könnte.
Theoretische Grundlagen
Louis Bosshart
Information und/oder Unterhaltung? 1
Begriffserklärungen
„Informationen sind, wir bleiben dabei, Unterschiede, die einen Unterschied machen.“ (Luhmann 1996: 100) Diese auf Gregory Bateson (1981) zurückgehende Definition des Konzeptes von Information als doppelte Differenz umfasst in knappster Form die konstituierenden Elemente von Information: Neuigkeit, Relevanz und Richtigkeit. Mit den Worten von Sascha Ott (2004) lautet dies: x „Eine Information muss unser Wissen vermehren oder, anders ausgedrückt, unsere Ungewissheit verringern.“ (2004: 42) Damit ist primär die Erweiterung von Wissen, also von Informationen über die Unterschiede in der Sequenz von mindestens zwei Ereignissen gemeint. x „Unter einer Information verstehen wir etwas, das nützlich für unser Handeln jetzt oder in naher Zukunft ist.“ (2004: 42) Damit ist die Anwendbarkeit, der lebensweltliche Nutzen, die Orientierungsfunktion, rsp. der Nutzwert von Informationen für Individuen, Gruppen oder Gesellschaften gemeint. x „Eine Information muss richtig sein, das heißt, sie muss eine zutreffende Aussage über einen Sachverhalt darstellen.“ (2004: 43) Das Neuigkeits-, Nützlichkeits- und Relevanzpotenzial von Informationen zum Zwecke der „Reduktion von Ungewissheit“ (Bonfadelli 2001: 22), zur Lösung von Problemen oder zur Beantwortung von Fragen (vgl. Ritchie 1991: 3) kann nur aktualisiert werden, wenn diese korrekt sind. Die Beschaffung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen ist die Basisfunktion der Massenmedien. „Informationen sind Bausteine unseres Weltwissens.“ (Thomas 1994: 66) Je komplexer eine Situation ist, desto größer ist die notwendige Menge von Informationen zum Ver-
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stehen und Meistern derselben. Je dynamischer eine Gesellschaft ist, desto größer ist die unabdingbare Menge von Informationen zur Regelung derselben. Klaus Merten spitzt die Zentralität von Information in der Massenkommunikation mit folgender Feststellung zu: „Des weiteren ist festzuhalten, dass alle Aussagetypen – entgegen dem herkömmlichen Alltagsverständnis und gleichgültig, ob informierend, meinungsbildend, belehrend oder unterhaltend – zunächst und vor allem anderen den Charakter von Information besitzen.“ (Merten 1999: 149)
Information bezieht sich auf Unterschiede zwischen Ereignissen (minimal zwei). Ihr Nutzwert definiert sich als Wissenszuwachs und Relevanz sowie Verlässlichkeit für die informationsverarbeitenden Individuen, Gruppen und Gesellschaften, bis hin zur Weltgesellschaft. Die zentrale Frage, die allerdings für die vorliegende Analyse nicht sehr bedeutsam ist, lautet, ob die Massenmedien unter Anwendung ihrer Selektionsprinzipien in der Lage sind, Individuen, Gruppen und Gesellschaften mit den zur Lösung ihrer Probleme notwendigen Informationen zu versehen. Unterhaltung andererseits ist in erster Linie ein Rezeptionsphänomen. Unterhaltung bedeutet (vgl. dazu Bosshart/Macconi 1998: 4f.) x Abkoppelung (Abwechslung, Entspannung) x Aktivierung (Anregung, Spaß, Spannung) x Stimmung (Atmosphäre, Freude, Genuss) Die zentrale Komponente von Unterhaltung beinhaltet Aktivierung und positive Valenz. Animierte, angenehme Zustände können verstanden werden als Vergnügen des Körpers und der Sinne, der Gefühle, des Intellektes oder des persönlichen Witzes, des Mitgefühls und der Spiritualität. Werner Früh fügt diesem Bündel von Erlebnisfeldern zwei sehr wichtige Bedingungen zum Erleben von Unterhaltung bei, das triadische Fitting und die Kontrolle: „Unterhaltung durch Fernsehen entsteht als angenehm erlebte Makroemotion im Zuge eines transaktionalen Informationsprozesses unter der Bedingung, dass bestimmte personale, mediale und situative bzw. gesellschaftliche Faktoren kompatibel sind und der Rezipient außerdem die Gewissheit hat, die Situation souverän zu kontrollieren.“ (Früh 2002: 240)
Unterhaltung ist so gesehen das Ergebnis der Verarbeitung eines Inputs, ein Erlebnis, das positiv, eben unterhaltend gedeutet wird. Erlebnisfakto-
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ren sind nach Maßgabe empirischer Publikumsforschung (Dehm/Storll 2003: 429): x Emotionalität (Spaß, Entspannung, Spannung, Abwechslung); x Orientierung (Anregung, neue Information, Lernmöglichkeiten, Gesprächsstoff); x Ausgleich (Beruhigung, Ablenkung); x Zeitvertreib (Gewohnheit, Vertreibung von Langeweile); x Soziales Erleben (Teilhabemöglichkeit, Gefühl der Zugehörigkeit).
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Das Verhältnis von Information und Unterhaltung
Über Jahrzehnte hinweg wurden in der öffentlichen Diskussion und in der Medien- und Kommunikationswissenschaft Information und Unterhaltung strikt getrennt. Die Gesellschaft distanzierte sich von der anrüchigen, unmoralischen, anspruchslosen, minderwertigen und verlockenden Unterhaltung. Sie wurde bewusst ausgegrenzt (vgl. Bausinger 1994). Die Fachdisziplin hat sie schlicht ignoriert. So konnte Harald Mendelsohn im Jahre 1966 feststellen: „Our ignorance of just what makes for the enjoyment of mass entertainment by individuals is simply monumental.“ (170) In der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft hat sich Unterhaltung als Forschungsobjekt erst in den 80erJahren des letzten Jahrhunderts etabliert (vgl. Bosshart 2006). Christina Holtz-Bacha hat in ihrem Artikel „Unterhaltung ernst nehmen“ klargelegt, „warum sich die Kommunikationswissenschaft um den Unterhaltungsjournalismus kümmern muss.“ (1989: 200-206) Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich erstens Information und Unterhaltung nicht strikt separieren lassen, sondern innig durchmischte Teile eines Ganzen sind und dass zweitens Unterhaltung in den Medien genauso wichtig ist wie Information. Es bleibt hier anzumerken, dass sich die oben angeführten TV-Erlebnisfaktoren von Dehm/Storll auf unterhaltsame und auf informative Fernsehprogramme gleichermaßen beziehen. So nehmen sie denn in einer jüngeren Publikation „Abschied von der Informations-Unterhaltungsdichotomie“. (2005, im Titel) Zuvor hat sich schon Joachim Westerbarkey davon verabschiedet. Er bekennt sich zur These, „dass die konventionellen Unterschei-
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dungen informativer, persuasiver und unterhaltender Kommunikation heute nicht mehr greifen.“ (2003:5) Für die Erkenntnis, dass Information und Unterhaltung einfach nicht trennbar sind, sprechen sich u.a. folgende Autorinnen und Autoren aus: x Leo Bogart hält in seinem Beitrag zum Sammelband von Percy H. Tannenbaum (The Entertainment Functions of Television, 1980) fest, dass Fernsehnachrichten alle Elemente von Dramen beinhalten. Sie sind spannend, überraschend, inszeniert und orchestriert. Sie sind nach heutiger Definition interessant und wichtig, also Infotainment. x Ursula Dehm (1984) kommt im Rahmen ihrer empirischen Untersuchung zur Fernsehunterhaltung zu folgendem Resultat: „Als konstituierende Elemente von Unterhaltung schlechthin können Spaß, Abwechslung von der Tageshetze und – wenn auch nicht in so starkem Masse – Genuss sowie das Erhalten neuer Informationen gelten.“ (Ebd.: 189) x Louis Bosshart (1984) erfährt bei seiner Befragung von 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung „Unterhaltung“ des Fernsehens DRS, dass für diese Information und Bildung (unterschwellig vermittelt) selbstverständlich Teil der Unterhaltung sind: „Ideale Unterhaltung vermag also mit einem dramaturgisch abwechslungsreichen, nie abfallenden (keine „Durchhänger“), wohl dosierten und in sich stimmigen Aufbau den Zuschauer in eine wohlige Atmosphäre zu versetzen, in der ihm ästhetische Genüsse wie auch Information in einer faszinierenden, humorvollen und spannenden Weise vermittelt werden. Auffallend bei einer solchen idealtypischen „Summa“ ist der Umstand, dass Unterhaltung, dergestalt angesehen, eigentlich nur als Mischform zwischen Unterhaltung und Information verstanden werden kann.“ (1984: 645f.)
Diese Aussage ist zwar über 20 Jahre alt. Sie hat aber noch heute ihre Gültigkeit! Die Vermengung von Information und Unterhaltung wird also durch Studien zu Inhalten, durch Studien unter Rezipienten und durch Studien zu Unterhaltungs-Kommunikatoren als Realität, rsp. Normalität bestätigt. Verschiedene weitere Autorinnen und Autoren konnten und können sich diesem Befund anschließen: x Elisabeth Klaus: „Unterhaltung und Information sind keine Gegensätze, sondern müssen vielmehr als zwei zusammengehörende Elemente im Journalismus neu bedacht werden […].“ (1996: 404) Die Autorin
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stellt auch klar eine „Einheit von Informations- und Unterhaltungsbedürfnis beim Publikum“ (ebd.: 413) fest. Nach Kaiser, Töpper und Mikos verläuft die Rezeption der Angebote des Kinderfernsehens ebenfalls quer über alle Kategorien hinweg. Für Kinder „spielt … die Differenz von Fiktion und Non-Fiktion sowie Information bzw. Bildung und Unterhaltung keine Rolle.“ (2006: 64) x Jürgen Wilke äußert sich wie folgt zur Funktionsverschränkung von Information und Unterhaltung: „Die Grenzen zwischen Information und anderen Funktionen der Massenmedien wie Service oder Unterhaltung sind fließend (wie auch zwischen Information und Meinung). Das kommt heute auch in dem gängig gewordenen Mischwort ‚Infotainment’ zum Ausdruck.“ (1999: 50) Das Fazit von Rudi Renger weist in dieselbe Richtung: „Information bleibt heute nur dann interessant, wenn sie unterhaltsam dargeboten wird.“ (2000: 308f.)
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Konsequenzen für die Medien und den Journalismus
In der Symbiose von Information und Unterhaltung verschwimmen letztlich auch die Grenzen zwischen Fiktion und Realität und damit mehrere Variablen, die bis dahin als gegensätzlich betrachtet wurden. Elisabeth Klaus bringt dies auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Das bedeutet, Information und Unterhaltung müssen als zwei verbundene Elemente auf allen Ebenen des journalistischen Handlungszusammenhang zusammengedacht werden, um eine folgenreiche Massenmedienkommunikation zu ermöglichen, die zugleich Verstand und Gefühl, Emotion und Intelligenz, Spiel und Ernst, Erfahrung und Abstraktion, Nähe und Distanz, Phantasie und Wirklichkeit anregt […].“ (1996: 414)
Wie dies in der Realität zusammenspielt, kann anhand einer Literaturübersicht von Ulrich Gleich (2001) illustriert werden. Er zeigt dort den Transfer von Unterhaltungsangeboten zur sozialen Orientierung von Individuen. Nach Maßgabe der in die Analyse einbezogenen Untersuchungen können Unterhaltungsangebote dem Erreichen u.a. folgender Ziele dienen: x Identitätsbildung; x Entwicklung des Selbstkonzeptes;
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x Hilfe zur Bewältigung von Problemen; x Realitätsorientierung; x Identifikation; x sozialer Vergleich; x para-soziale Interaktion; x Vorbilder für Konfliktlösungen. (Vgl. Gleich 2001: 524-528) Arbeiten zu Kultivierungseffekten, das heißt zum Einfluss massenmedial vermittelter Realitäten auf die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität sowie die Rolle der massenmedialen Vorgaben auf die lebensweltliche Orientierung von Individuen können diese Liste erweitern. Etwas abstrakter, aber nicht minder stimmig fällt die Gegenüberstellung von evolutionsrelevanten Anpassungsleistungen, rsp. Darstellungen in den Medien aus. Es sind dies in erster Linie die Reproduktion und das Überleben sowie deren Absicherung durch geeignete Maßnahmen (Kontrollen). Die folgende Abbildung zeigt, wie diese Anpassungsleistungen in der Medien-Unterhaltung und im Boulevard-Journalismus (einer besonders engen Verbindung von Information und Unterhaltung) aufgenommen, variiert, reflektiert oder einfach rapportiert werden. Anpassungsleistungen in der Evolution
Reproduktion
Kontrolle
Überleben
Motive der MedienUnterhaltung
Liebe
Sicherheit
Erfolg
Themen des BoulevardJournalismus
„Sex“, Affären
Katastrophen, Unfälle
Skandale, „crime“
Abbildung 1: Anpassungsleistungen in der Evolution und deren Darstellung in den Medien
Katastrophen und Unfälle stehen dabei als Synonym für absoluten Kontrollverlust. Kriminalität, also Verbrechen, bedeutet, dass Individuen oder Gruppen nicht willens sind, die durch Gesetze definierten kollektiven Überlebensstrategien zu respektieren und Normen verletzen, das heißt versuchen, sich einen Vorteil in Bezug auf den Zugang zu überle-
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benswichtigen Ressourcen wie Macht oder Besitz (vorab Geld, was wiederum Macht bedeutet) zu verschaffen. Aussagen wie Unterhaltung als „emotionale Planspiele“ (Schwab 2003: 310) oder „externalisierte innere Simulation“ (ebd.: 302) erhalten aus dieser Sicht ihren vollen Sinn, indem sie auf den spielerischen, unterhaltsamen Umgang mit realitäts-relevanten Phänomenen hinweisen. „Information ist relativ.“ (Ott 2004: 40), Unterhaltung auch. Unterhaltung ist insofern eine relative Größe, weil sie einen Nutzen meint, der im Vergleich zu Alternativen größer zu sein verspricht. Gesellschaften ihrerseits beeinflussen die Bereitstellung von sowie die Nachfrage nach Informationen und Unterhaltung und üben ebenfalls Einfluss auf die Herausbildung individueller und kollektiver Muster bei Angebot und Nachfrage aus. Relativ ist auch das Verhältnis von Information zu Unterhaltung und umgekehrt. Am stärksten, aber auch da nicht total separiert, sind sie, wenn man Information als Nachricht integriert in Kommunikationsprozesse (Bedeutungsvermittlung), deren Ziel Verständigung ist, während Unterhaltung als vergnügliche Kommunikation definiert wird, bei der der Inhalt von untergeordneter Bedeutung ist. „Mediennutz“ und „Medienlust“ sind nicht absolute Größen, sie stehen wie Information und Unterhaltung, wie Realität und Fiktion, wie primäre und sekundäre Realität oder wie Träume und „Als-ob-Welten“ (Stumm 1996: 111f.) in einer inneren Abhängigkeit zueinander, oder wie es Hans Thomas formuliert: „Im Leben bilden beide Pole zusammen ein Ganzes.“ (1994: 30) In der journalistischen Praxis wird das Zusammenspiel von Information und Unterhaltung in immer neuen Spielformen variiert. Wohl bleiben die Extreme Nachrichten und Phantasie. Sie sind aber nicht “chemisch“ rein. Wie Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg in ihrem ausgezeichneten Beitrag festhalten, selegiert und präsentiert Journalismus „Fakten, die unterhalten, und er liefert Fiktionen, die Wirklichkeit schaffen.“ (2002: 101). Man könnte die dramaturgisch aufgebauten, orchestrierten und inszenierten Fernsehnachrichten als „Mythen“ bezeichnen; „Mythen“ verstanden als einfache Geschichten, die auf einfache Art und Weise einem großen Publikum Phänomene menschlicher und gesellschaftlicher Existenz nahe bringen, erläutern und bewerten. Anders gesagt: „JournalistInnen konstruieren mit Hilfe von Fakten Geschichten
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über Wirklichkeit, die unterhalten, weil sie informativ sind und informativ sind, weil sie unterhalten.“ (Klaus/Lünenborg 2002: 111) Die folgende Abbildung listet Genres auf, die sich auf der Grenze bzw. auf der Schnittmenge zwischen Information und Unterhaltung angesiedelt haben und Realitätsorientierung in unterschiedlichen Graden mit bewusster Stimulation des Kommunikationsprozesses kombinieren. Die Reihenfolge der Genres ist ohne Bedeutung für eine etwaige Interpretation. Die Eckwerte definieren sich nach einer Meta-Analyse von Schmid und Wünsch (2001: 40-44) wie folgt: Information ist relevant, bedeutsam, folgenreich, aktuell, neu und neutral; Unterhaltung ist irrelevant und bedeutungslos.
Realitätsorientierung
Information: x x x x
Nachrichten Fakten Meldungen Relevanz
BOULE - VARD SPORT SOAPS DOKU - SOAPS DOKU - DRAMEN INFO - TAINMENT
REALITY - TELEVISION SOFT - NEWS NEW Anregung in der Form
JOURNALISM
Unterhaltung: x x x x
Fiktion Spiel Vergnügen Interessantheit
Abbildung 2: Information und Unterhaltung im Wechselspiel verschiedener Genres
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Schmid und Wünsch kommen nach der Durchsicht von 60 Artikeln allerdings zum Schluss, dass die empirische Forschung einem einheitlichen Begriffsverständnis noch weit entfernt sei. (ebd: 46) Eine Erklärung für den hohen Grad an Korrelation zwischen Fiktion und Realität (rsp. deren Abbildung in den Medien) liegt in der archetypischen Struktur, auf der reale und fiktionale Konflikte oder einfach Ereignisse basieren. Als Archetypen werden hier Urbilder von typischen Gestalten und Rollen verstanden, die in jedem Leben vorkommen und unsere Erlebnisschemata und Vorstellungsmuster individuell und kollektiv prägen. Beispiele: erfolgreiche Führer, aufopfernde Mütter, gute oder böse Menschen, starke Autoritäten, strahlende Helden (Sieger in Sportwettbewerben), grausame Bestien, etc. Archetypen als Elemente von Mythen umfassen Realität und Fiktion, Information und Unterhaltung. Nachrichtenwerte sind aus dieser Sicht auch Unterhaltungswerte. Unterhaltungsstoffe sind dort schon real, wo sie Konflikte zwischen Menschen zeigen, die in der Realität vorkommen können und so bei den Rezipienten Bezug auf Selbsterlebtes, Selbsterhofftes und Selbstbefürchtetes nehmen (vgl. Luhmann 1996: 109). Sie leben in hohem Maße von Referenzen zur Realität. In den Medien erzählte Geschichten sind nicht selten von realen Ereignissen inspiriert. Themen, Motive und Konflikte haben für die reale Realität und für Vorstellungen der Phantasie gleiche Wurzeln. In den Aussagen der Massenmedien werden reale und fiktionale inhaltliche Anteile stets neu gemischt. Reale Ereignisse geben Stoff ab für fiktionale Geschichten und umgekehrt. Übergänge von der realen Realität zur fiktionalen Realität, das Kreuzen der Grenzen ist möglich (vgl. Luhmann 1996: 99). Dazu noch ein Zitat: „Außerdem darf in der Unterhaltung, gerade wenn die Geschichte als fiktiv erzählt wird, nicht schlechthin alles fiktiv sein.“ (Ebd. 99) Mit den Worten von Alexander Görke heißt dies: „Der Reiz öffentlicher Kommunikation liegt im Zusammenspiel journalistischer Aktualitätskonstruktion und unterhaltender Möglichkeitskonstruktion.“ (2002: 71)
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Louis Bosshart
Realität (authentisch oder inszeniert)
Mischformen, Hybride
Fiktionalität / Fiktion
Information „Mediennutz“ Medienarbeit
Mischerleben x Nachrichtenwerte mit Unterhaltungswert x lebensweltliche Bedeutung der Unterhaltung
Unterhaltung „Medienlust“ Medienvergnügen
Abbildung 3: Die Vermischung von realen und fiktionalen Inhalten und fiktionalen Inhalten in den Massenmedien
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Fazit
In der Medien- und Kommunikationswissenschaft besteht also mittlerweile Konsens: Information und Unterhaltung bilden in der Produktion, im Produkt (vgl. dazu den Beitrag von Joachim Trebbe und Torsten Maurer in diesem Band) und in der Rezeption eine symbiotische Einheit. Ihre Anteile variieren. Sie variieren genauso wie die Anteile von Realität und Fiktion, von Kognition und Emotion, von Ernst und Scherz (vgl. Bosshart 1994: 39), von Distanz und Nähe sowie von Sicherheit und Risiko. Frank Schwab (2000: 46) stellt dazu für unsere Gesellschaft folgende Diagnose: „Zunehmend scheinen wir nicht nur auf dem Weg in eine Informationsgesellschaft, sondern vor allem auf dem Weg in eine Gesellschaft, die Information unterhaltend darstellt (Infotainment) oder unterhaltende Information (Entertainment) liefert.“ Im vorliegenden Artikel wurden einerseits Aussagen zusammengetragen, die den Konsens bestätigen. Andererseits wurden mit Bezug auf evolutionspsychologische Erkenntnisse die Gründe für die Symbiose von Information und Unterhaltung aufgezeigt. Zusammen konstruieren sie Wirklichkeiten (vgl. dazu Görke 2002: 66).
Information und/oder Unterhaltung?
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Werner Früh und Carsten Wünsch
Unterhaltung 1
Problembeschreibung
Der Begriff Unterhaltung ist ein Allerweltsbegriff und jeder glaubt zu wissen, was damit gemeint ist. Die häufige und dabei vieldeutige Begriffsverwendung hat Tradition. Das Konzept ‚Unterhaltung’ dürfte zu den ältesten wissenschaftlichen Konstrukten unseres Faches zählen. Stumm (1993) identifiziert „Unterhaltungstheoreme“ bereits in den zentralen Werken von Platon und Aristoteles. Vor über 300 Jahren setzte sich Tobias Peucer in seiner Dissertationsschrift „Über Zeitungsberichte“ an der Universität Leipzig mit „Nutzen und Unterhaltung“ als zwei disjunkten Funktionen von „Zeitungsberichten und Neuigkeitserzählungen“ auseinander (Peucer 1690). Seit den 1980er Jahren ist nun eine stärkere Beschäftigung der Wissenschaft mit Unterhaltung zu beobachten. Dies mag eine Vielzahl von Ursachen haben, wie z.B. die Einführung des dualen Rundfunksystems in Deutschland und anderen europäischen Staaten, einer damals zunehmend freizeitorientierten Gesellschaft und einer entsprechenden Wandlung des ‚Zeitgeistes’. Vor allem aber das Abklingen des sog. „cognitive turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften weitete den Blick in Theorie und empirischer Forschung. Dabei fiel auf, dass sich die Medienfunktionen ‚Information’ bzw. ‚Wissensvermittlung’ und ‚Unterhaltung’ gar nicht so strikt trennen ließen, wie dies bisher angenommen wurde. Am besten zum Ausdruck kommt dies durch Begriffsverschmelzungen wie Infotainment, Edutainment etc. Damit war zumindest eine der zentralen Aufgaben beschrieben: Es war zu ermitteln, ob mit Unterhaltungseffekten die Wissensvermittlung optimiert werden konnte („positives Infotainment“, Früh/Kuhlmann/Wirth 1996) und ob Wissenseffekte den Unterhaltungswert erhöhen können (z.B. Quizshows, im weite-
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Werner Früh/Carsten Wünsch
ren Sinne auch Reality-Shows etc.). Außerdem lag es nahe, als weiteres zentrales Problem die Auswirkungen der nunmehr übergroßen Vielfalt von Unterhaltungsangeboten auf Individuum und Gesellschaft wissenschaftlich zu untersuchen. Im deutschsprachigen Raum gab 1992 die gemeinsame Jahrestagung der deutschen und schweizerischen Fachgesellschaften in Fribourg zum Thema Unterhaltung („Medienlust und Mediennutz“) einen wichtigen Anstoß. In der amerikanischen und internationalen Forschung ging die Initiative für die zunehmende kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ‚Unterhaltung’ insbesondere von der regen Forschungs- und Publikationstätigkeit Dolf Zillmanns (und Kollegen) aus. Inzwischen lässt sich eine recht große Anzahl an Studien (vgl. Bosshart/Macconi 1998) und theoretischen Ansätzen ausmachen (vgl. Wünsch 2002). Auf der Jahrestagung 2004 der International Communication Association hob der damalige ICA-Präsident Jennings Bryant die Unterhaltungsforschung sogar in den Kreis der drei vermutlich relevantesten kommunikationswissenschaftlichen Forschungsbereiche der nächsten Jahre. Was aber ist nun eigentlich Unterhaltung? Trotz – oder gerade auf Grund – dieser so langen und zahlreichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen gibt es darauf derzeit keine befriedigende Antwort (Früh 2006). Nach wie vor scheint die größte Einigkeit in Bezug auf Unterhaltung in dessen Undefinierbarkeit zu liegen (Wünsch 2006). In den meisten Publikationen zum Thema Unterhaltung wird denn auch gar kein Definitionsversuch unternommen. In anderen wird implizit ein ganz bestimmtes Verständnis vorausgesetzt; und dort, wo eine Definition formuliert wird, deckt sie sich selten mit anderen Definitionen, da sie meist nur eine bestimmte Sichtweise von Unterhaltung repräsentiert (im Überblick z.B. Schmid/Wünsch 2001; Wünsch 2006). Da wäre zunächst die medienzentrierte Perspektive, die Unterhaltung als Merkmal von Medienangeboten sieht. Dabei wird eher pragmatisch von Rundfunkveranstaltern, Programmchefs, Filmautoren, Regisseuren oder Redaktionen von Programmzeitschriften ‚definiert’, was Unterhaltung, was ggf. ‚etwas’ Unterhaltung (z.B. in Form von Infotainment) ist und was nicht dazu gehört. Weniger pragmatisch (wenn auch von ihnen selbst als diskussionsbedürftig betrachtet – vgl. z.B. Weiß/Trebbe 2000) wird Unterhaltung von jenen Wissenschaftlern definiert, welche die
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Leistungen der Rundfunkanbieter im Sinne des Rundfunkauftrages systematisch klassifizieren und evaluieren sollen. Aber auch hier zeigen sich Differenzen: Weiß und Trebbe (2000) benennen drei inhaltsbezogene Kategorien: 1) Information, 2) fiktionale Unterhaltung und 3) nichtfiktionale Unterhaltung. Im Informationsangebot sind allerdings ebenfalls unterhaltende Elemente enthalten, nämlich dort, wo sich die Realitätsvermittlung auf nichtpolitische Themen bezieht („Unterhaltungspublizistik“). Krüger (z. B. 2001) unterscheidet hingegen acht Genres, wobei er als Kriterien eine Kombination von Inhalten und Funktionen benutzt. Zwei davon repräsentieren Unterhaltung, wobei Fiction und nonfiktionale Unterhaltung jedoch enger gefasst werden als bei Weiß und Trebbe. Ungeachtet der Unterschiede gehen alle implizit von den Intentionen der Journalisten aus. Diese produzieren Beiträge, von denen sie annehmen, dass sie das Publikum unterhalten werden. Dass dies jedoch nicht unbedingt eintreffen muss, liegt auf der Hand. Sie produzieren also nicht Unterhaltung, sondern nur Unterhaltungsangebote. Erst wenn sich die Zuschauer tatsächlich damit unterhalten, wird aus dem Unterhaltungsangebot Unterhaltung. Damit wird deutlich, dass das Kriterium für Unterhaltung in einer bestimmten Form des Erlebens zu suchen ist. In den diversen Unterhaltungstheorien geschieht dies in unterschiedlichem Maße. Anthropologische Ansätze sehen Unterhaltung als ein Wesensmerkmal des Menschen. Dazu gehören sowohl Theorien, die im Anschluss an Huizinga (1956) das Spielmotiv als ein menschliches Grundbedürfnis beschreiben, als auch Konzepte, die in den Inhalten, Themen und Stoffen von Medienunterhaltung die moderne Variante uralter Märchen, Mythen und Dramen sehen. Bosshart (1994, 2003) fasst sie entsprechend als archetypische Situationen des menschlichen Lebens auf (tronc commun), die Kultur übergreifend und geschichtslos als thematische Strukturen immer wiederkehren, wie etwa die Darstellung von Liebe, Erfolg und Gewalt. Aus einer kulturkritischen Perspektive sehen Horkheimer und Adorno (1947) die soziale Funktion von Unterhaltung. Als ein Produkt der Kulturindustrie diene sie der Zementierung etablierter Machtverhältnisse. Erreicht werde dies durch die (virtuelle) Flucht der Rezipienten in die Scheinwelt der Unterhaltung, in der sie von den ‚systembedingten’ Alltagssorgen abgelenkt werden.
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Bei der rezeptionszentrierten Perspektive dagegen wird Unterhaltung primär auf Seiten der Rezipienten gesehen. Einer dieser Erklärungsansätze beschreibt massenmediale Unterhaltung beispielsweise als eine besondere Form des Spiels (z.B. Vorderer 2001a, 2001b; Stephenson 1967, 1973), also als eine „nicht so gemeinte“ und intrinsisch motivierte Handlung (Huizinga 1956). Der Uses-and-Gratifications-Ansatz verortet Unterhaltung auf der Liste möglicher Motive für die Mediennutzung. Medien können ein ‚Unterhaltungsbedürfnis’ (potenziell) befriedigen und werden u.a. deshalb von den Menschen genutzt (Katz/Foulkes 1962). Dieses ‚Unterhaltungsbedürfnis’ wird mitunter weiter konkretisiert als ein Bedürfnis nach Flucht aus dem Alltag (Herzog 1944), dem Bedürfnis, die eigene Identität weiterzuentwickeln (‚Identitätsarbeit’, Vorderer 1996) oder dem Wunsch der sozialen Interaktion, welcher durch die Medien teilweise in Form parasozialer Interaktion (Horton/ Wohl 1956) erfüllt werden kann (z.B. Gleich 1997). Dehm (1984) erweitert dieses Konzept von ‚Unterhaltung als ein Bedürfnis’, indem sie (Medien-) Unterhaltung als eine spezifische Konstellation von bestimmten Medieninhalten und der rezipierenden Person beschreibt, in welcher dann gegebenenfalls ein ‚Unterhaltungsbedürfnis’ befriedigt wird. Noch stärker auf die Rezeption konzentrieren sich psychologisch orientierte Auseinandersetzungen mit Unterhaltung. Winterhoff-Spurk (2000) setzt Unterhaltung mit positiven Emotionen gleich. Berlyne (z.B. 1974) beschäftigt sich in seinem neugiertheoretischen Ansatz aus einer erregungspsychologischen Perspektive u.a. auch mit Unterhaltung. Er beschreibt sie als unspezifische Suche nach (u.a. massenmedialen) Umweltreizen, welche geeignet sind, eine Erregungshomöostase herzustellen. D.h. beispielsweise, dass sich gestresste Zuschauer auf die Suche nach beruhigenden, gelangweilte und müde Zuschauer nach anregenden Reizen machen. Dabei hebt Berlyne (1974: 253) bei den unterhaltungstauglichen Umweltreizen deren mediale Vermitteltheit hervor. Dies stelle für die Rezipienten eine Art „Sicherheitsventil“ dar, da die Reize und Informationen mit keinen unmittelbaren Konsequenzen verbunden sind. Ganz ähnlich argumentiert der derzeit bekannteste emotionspsychologische Ansatz, die Mood-Management-Theorie von Zillmann und Bryant (1985; Zillmann 1999). Sie unterstellt einen hedonistischen Rezipienten, der stets angenehme Stimmungen sucht und unangenehme beseiti-
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gen will. Dieses Streben nach Stimmungsoptimierung führt zu einer geeigneten Auswahl von Medienangeboten. Dabei benutzt der Rezipient seine Kenntnisse über das spezifische Unterhaltungspotenzial bestimmter Genres. Das Fernsehen ist zwar nicht die einzige, aber die bequemste Möglichkeit, Stimmungen zu optimieren. Die Richtung der Veränderung orientiert sich an einem (individuell) mittleren Erregungsniveau, das subjektiv als Optimum erlebt wird. Liegt das aktuelle Level darunter, sucht der Rezipient Anregung durch reizstarke Stimuli, liegt es darüber, präferiert er eher ruhigere Medienangebote. Keine dieser Theorien kann aber erklären, warum sich Rezipienten offenbar auch mit Inhalten gut unterhalten, die auf den ersten Blick überhaupt nicht mit positiven Emotionen und angenehmen Stimmungen verbunden sind (z.B. Melodramen, Horrorfilme). Oliver (1993) schlägt deshalb vor, die Emotionen und Stimmungen während der Rezeption nur als ein ‚Zwischenprodukt’ bei der Unterhaltungsgenese zu betrachten. Unterhaltung selbst entsteht erst durch eine ‚distanzierte’ positive Bewertung der unmittelbar erlebten Emotionen, z.B. im Sinne von „Ich finde es schön, auch einmal traurig zu sein“. Diese Ebene nennt Oliver Metaemotion. Performative Motivationsansätze gehen davon aus, dass die Motivation nicht vom Rezipienten eingebracht wird, sondern das Vergnügen aus der Tätigkeit selbst folgt. Csikszentmihalyi (z.B. 2000) analysiert die Gratifikatoren für Handlungen, deren einziger Zweck in der Tätigkeit selbst zu suchen ist. Wichtigste Merkmale von autotelischen oder flowErlebnissen sind ein ständiges und direktes Feedback und die vollständige Konzentration auf die Handlung. Dadurch verschmelzen Handlung und Bewusstsein derart, dass der Rezipient die dualistische Perspektive verliert und ganz in die handlungsinduzierte Welt ‚eintaucht’ (vgl. auch ähnliche Konzepte wie Immersion, Involvement, Presence, Transportation). Während der Fernsehrezeption kann ein solches Erleben, zumindest in einer einfachen Form, als sogenannter ‚Microflow’ entstehen. Fritz (1997) wendet dieses Konzept auch für interaktive Computerspiele an. Schon ein kurzer Blick auf die beschriebenen Theorien zeigt, dass sie erstens heterogen und zweitens auf spezifische Art sehr selektiv sind, da sie jeweils nur einzelne Aspekte des Gesamtphänomens beleuchten. Es ist also zunächst festzustellen, dass der Begriff Unterhaltung sehr unter-
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schiedlich verwendet wird. Selbstverständlich ist dies per se kein Negativum, weil man sich aus unterschiedlichen Perspektiven vielleicht jeweils nur für einzelne Aspekte besonders interessiert. Allerdings erschwert eine uneinheitliche Begriffsverwendung den theoretischen und empirischen Austausch zwischen den einzelnen Forschungsgebieten und somit auch einen kumulativen Wissensfortschritt. Im Interesse eines wissenschaftlichen Austauschs und letzten Endes auch der praktischen Verwertbarkeit ist also eine einheitliche Begriffsverwendung hilfreich. Wie kann man nun mit dem Problem der uneinheitlichen Begriffsverwendung umgehen? Eine erste, zumindest theoretisch denkbare Variante wäre, sich für eine der vielen Definitionen oder Theorien zu entscheiden und alle anderen für ‚falsch’ zu erklären. Dabei wäre jedoch absehbar, dass dies die wissenschaftliche Verständigung keineswegs verbessern, sondern im Gegenteil die Abgrenzung verstärken würde. Außerdem müsste als Grundlage einer solchen Entscheidung eine ‚übergeordnete’ Theorie vorliegen, welche die Überlegenheit der ausgewählten Theorie aufzeigen könnte. Dazu wäre es erforderlich, allgemein gültige, ‚objektive’ Gütekriterien zu verwenden. Es handelt sich also um keinen sehr realistischen Weg. Eine zweite Variante könnte darin bestehen, einfach alle vorhandenen Theorien in einer einzigen zusammenzufassen, sozusagen deren Summe als ‚Supertheorie’ zu verwenden. Das Vorgehen klingt zwar vielleicht ein wenig gangbarer, ist aber ebenfalls mit großen Problemen behaftet: (1) Auch hier wäre ein ‚übergeordneter’ theoretischer Rahmen nötig, welcher erklärt, wie diese vielen Konstruktbeschreibungen zusammengehören, wie sie ‚verknüpft’ und aufeinander bezogen werden können. (2) In einigen Punkten widersprechen sich die verschiedenen Sichtweisen. In diesen Punkten ist ebenfalls eine ‚übergeordnete’ theoretische Aussage oder ein Modell nötig, um in dieser ‚summarischen’ Theorie Widerspruchsfreiheit sicherzustellen. Um zwar nicht alle, aber wenigstens eine große Zahl dieser Probleme zu lösen und einen integrativen Rahmen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Unterhaltungsphänomen zur Verfügung zu stellen, welcher der wissenschaftlichen Vielfalt und dem heterogenen Stand der Forschung gerecht werden kann, hat Werner Früh die „Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie“ (TDU) vorgeschlagen. (Früh 2002,
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2003a, 2003b) Im Folgenden werden wir die zentralen Elemente dieser Theorie vorstellen. Die Ausführungen sollen dann anhand einiger empirischer Befunde zur TDU illustriert und untermauert werden.
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Die Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie (TDU)
Die TDU ist eine Rahmentheorie, welche auf der erkenntnistheoretisch fundierten, metatheoretischen Grundlage des dynamisch-transaktionalen Ansatzes (z.B. Früh/Schönbach 1982, Früh 1991) formuliert ist. Sie beschreibt auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau die wichtigsten Bausteine und den operativen Grundmechanismus, der die Zusammenhänge und Prozesse von Unterhaltung definiert und erklärt. Diese Rahmentheorie ist in manchen Teilen zunächst noch offen für konkrete Spezifizierungen, benennt jedoch die relevanten Strukturelemente wie zum Beispiel: Zwischen Faktor A und Faktor B gibt es einen Zusammenhang, der zu einem bekannten Resultat C führt. Der Zusammenhang lässt sich jedoch möglicherweise auf unterschiedliche Weise theoretisch modellieren bzw. er bedarf noch einer empirischen Konkretisierung. Durch diese theoretisch strukturierte, aber zugleich modellhaft offene Struktur entwickelt sie ihren integrativen Charakter. Deshalb ist sie prinzipiell in der Lage, andere Theorien als ‚Module’ zu integrieren und ‚sich selbst’ dadurch auszudifferenzieren. Diese Rahmentheorie beinhaltet sowohl Aussagen in Form empirisch zu prüfender ‚Basisannahmen’ als auch normativ gesetzte Prämissen. Eine prinzipielle Unvereinbarkeit (und damit fehlende Integrationsmöglichkeit) mit anderen Theorien besteht nur, wenn diese normativ gesetzten Prämissen verletzt bzw. nicht geteilt werden (Früh 2003a). Der Ausgangspunkt der Theorie und damit auch die erste Prämisse ist die Beschreibung von Unterhaltung als eine spezifische Form des Rezeptionserlebens. Angesichts der bisherigen Ausführungen könnte man diesem Vorgehen entgegenhalten, dass damit den vielen anderen Definitionen und Erklärungen lediglich eine weitere hinzugefügt werde, welche dazu noch aus journalistischer Sicht kaum hilfreich zu sein scheint. Schließlich hat journalistische Arbeit nur bedingt etwas mit Rezeption zu tun, denn sie produziert Unterhaltung als einen spezifisch gestalteten Medieninhalt. Die TDU hält dieser Argumentation entgegen, dass Jour-
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nalisten bzw. Kommunikatoren nicht Unterhaltung, sondern lediglich Unterhaltungsangebote produzieren. Erst wenn sich die Zuschauer tatsächlich damit unterhalten, wird aus dem Unterhaltungspotenzial Unterhaltung (selbst Journalisten, Regisseure, Showmaster und Marketingstrategen können sich irren!). Aus dieser Perspektive gibt es also kein ‚entweder-oder’ zwischen Unterhaltung als Medien- oder als Rezeptionskategorie. Es sind nur verschiedene Blickwinkel auf das für die Begriffsbestimmung schließlich ausschlaggebende Rezeptionsphänomen. Man darf sich hier allerdings nicht von der Terminologie verwirren lassen, die in den einzelnen sozialen Segmenten benutzt wird. Wir wissen, dass Reality-TV ebenso wie diverse Lebenshilfe-Talks (Thema etwa: Mein Partner wäscht sich nicht, was soll ich tun?) gerne zur Information gezählt werden, während der Polittalk von Sabine Christiansen bis vor kurzem formal zum Unterhaltungsangebot zählte, weil die (extern produzierte) Sendung der Redaktion Talk und Unterhaltung des NDR zugeordnet ist. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keinen erkennbaren Grund, dieses aus diversen und meist durchsichtigen Gründen inszenierte Verwirrspiel mitzuspielen. Bei der zweiten grundlegenden Annahme (Prämisse) der TDU handelt es sich um das Kriterium der positiven Valenz des Erlebens. Das Erleben ‚Unterhaltung’ stellt etwas tendenziell Angenehmes, positiv Bewertetes, ein gratifizierendes Phänomen dar. In diesem Punkt scheint auch unter den anderen Unterhaltungstheorien weitgehend Konsens zu bestehen (Bosshart/Macconi 1998). Aber es gibt dennoch im Detail Unterschiede. Mit der Angenehmheit, so wie sie die TDU verwendet, ist nicht nur der rein hedonistische, lustbetonte Bedeutungsaspekt gemeint. Darüber hinaus meint die TDU auch andere angenehme Empfindungen wie z.B. das schöne Gefühl, anlässlich eines insgesamt eher unangenehmen oder anstrengenden Themas etwas gelernt zu haben oder seine Zeit sinnvoll z.B. durch Zeitung lesen verbracht zu haben (Früh 2002; Früh/Wünsch/Klopp 2004). Die beiden bisher genannten Prämissen reichen noch nicht aus, um Unterhaltung von anderen Erlebensweisen unterscheiden zu können. Es fehlt noch ein Kriterium, das entscheidet, wann ein positives, angenehmes Erleben zu Unterhaltung ‚wird’ und wann es ‚nur’ ein (anderes) angenehmes Erleben ist. Was unterscheidet etwa die Freude nach bestan-
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denem Examen von Fernsehunterhaltung oder die Siegerfreude eines Olympioniken von der Freude, die ein Zuschauer beim Ansehen dieser olympischen Spiele im Fernsehen empfindet? Wenn es hier keinen Unterschied gäbe und Unterhaltung gleichbedeutend mit „positivem Erleben“ wäre, benötigten wir den Begriff gar nicht. Die TDU nennt hier das Kriterium der ‚Souveränität und Kontrolle’, welches Prüfling und Olympioniken fehlt, der Fernsehzuschauer (wenn er sich denn unterhält) jedoch besitzt (vgl. Früh 2002: 108ff., 147ff.; Früh/Wünsch/Klopp 2004). Souveränität bezieht sich hierbei vor allem auf die Dispositions- und Entscheidungsfreiheit des Rezipienten, während sich Kontrolle eher auf die Beherrschbarkeit und Überschaubarkeit der Konsequenzen der Rezeption bezieht. Beide Konstrukte sprechen zwar unterschiedliche Aspekte an, können aber für die Argumentation der TDU zusammengefasst werden. Beiden ist gemein, dass sie nicht als ‚objektive’ situative oder personale Merkmale verstanden werden, sondern Merkmale des subjektiven Erlebens sind. D.h. es kommt nicht auf die ‚tatsächliche’, durch die Situation vorgegebene Kontrolle und Souveränität an, sondern auf jene, welche der Rezipient empfindet. Diese wird zwar durch den situativen Kontext mitbestimmt, kann diesen Einfluss aber im Zweifelsfall auch negieren, indem bestimmte Restriktionen, welche der Souveränität und Kontrolle entgegenstehen, nicht registriert oder verdrängt werden. Unter Restriktionen sind hierbei tatsächlich alle Abhängigkeiten oder ‚Zumutungen’ in Form von Anforderungen, Beschränkungen, Zwängen, Notwendigkeiten etc. zu verstehen. Zum Beispiel stellt auch die Abhängigkeit von der Schwerkraft eine solche Restriktion oder Zumutung dar, welche zumindest in der Fantasie überwunden werden kann. Solche Restriktionen können z.B. durch Konsequenzen der Rezeption für den Alltag oder auf Grund internalisierter Werte und Normen und in der Fantasie durch jegliche Herausforderung physikalischer oder logischer Art gegeben sein. Die TDU beschreibt weiterhin innerhalb des Konzepts Souveränität und Kontrolle eine passiv-defensive und eine aktiv-initiative Dimension. Unterhaltung wird einerseits durch die gegebenen oder vom Rezipienten geschaffenen Freiräume innerhalb einer Situation (‚passive Souveränität’) und der Ausnutzung dieser Freiräume (‚aktive Souveränität’) ermöglicht.
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Dieses nun näher definierte Rezeptionserleben ‚Unterhaltung’ kann sich prinzipiell überall, zu jeder Zeit, bei allen Personen und jedem Stimulus, nicht nur bei sog. „Unterhaltungssendungen“, zeigen. Unterhaltung ist also keine bestimmte, allein gegenstandsabhängige Tätigkeit. Es handelt sich vielmehr um eine – wie es bereits genannt wurde (z.B. Schmidt 2003) – „generelle Kulturtechnik“. Bedingung für die Entstehung von Unterhaltung ist die Passung der relevanten Kontextvariablen. Gemeint sind damit Merkmale der Rezipienten, des situativen und gesellschaftlichen Kontextes und Merkmale des Stimulus bzw. Medieninhaltes. Das heißt, die TDU nennt hier keine absolut fixen Voraussetzungen, sondern eine variable Faktorenkonstellation, welche Unterhaltung hervorbringen kann. Diese Konstellation (Abbildung 1) wird als „triadisches Fitting“ bezeichnet. Erst wenn die drei Merkmalsdimensionen in einer konkreten Rezeptionssituation optimal in Bezug auf Unterhaltung zueinander passen, wird Unterhaltung ermöglicht. Diese Argumentation erklärt auch, warum ein Inhalt nicht per se unterhalten kann (und deswegen auch ein Label wie ‚Unterhaltungssendungen’ zunächst irreführend ist). Nur wenn die ‚richtige’ Sendung (z.B. ein Krimi) von der ‚richtigen’ Person (z.B. eine Krimifan) in der ‚richtigen’ Situation (z.B. in seiner Freizeit) rezipiert wird, kann Unterhaltung entstehen.
Abbildung 1: Triade
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Wenn die triadischen Bedingungen für Unterhaltungserleben gegeben sind, dann entsteht es als kognitiv-affektives Erleben auf der Makroebene. Die Prozesse während der Rezeption lassen sich als Informationsverarbeitungsprozesse beschreiben. Hierbei entwickelt der Zuschauer kontinuierlich ein mentales Situationsmodell zum dargestellten Sachverhalt, d.h. er entwirft ‚im Geiste’ ein Modell der präsentierten Situation. Man kann sich das hilfsweise vielleicht so vorstellen, dass er sich selbst Fragen stellt und hypothetisch beantwortet wie: Worum geht es hier? Wie werden sich die Dinge entwickeln? Wird es dramatisch, lustig, anstrengend, ernsthaft etc. zugehen? Während dieser Bedeutungselaboration finden integriert auch Bewertungen statt. Diese lassen sich in Anlehnung an die Osgoodsche Terminologie (z.B. Osgood/Succi/Tannenbaum 1957) auch als denotative und konnotative Interpretationsprozesse bezeichnen. Sie finden simultan, kontinuierlich und rezeptionsbegleitend statt. Dieser simultane Verbund denotativer Bedeutungen und Bewertungen führt dann in der Regel zu Emotionen. Gleichzeitig werden die bereits vorgestellten triadischen Bedingungsfaktoren ständig auf ihre Passung in Bezug auf Unterhaltung (oder ihre momentane Unterhaltungseignung) geprüft (Kontrollprozesse).
Abbildung 2: Informationsverarbeitungsprozess der Unterhaltungsrezeption
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Durch die transaktional gekoppelte (d.h. simultane und interaktive) Informations- und Emotionsverarbeitung werden die einzelnen kognitivaffektiven Wahrnehmungen auf der Mikroebene (z.B. einzelne Szenen, Handlungen, Einstellungen, Beiträge etc.) während der Rezeption nach und nach zu einer allgemeineren Makroemotion transformiert. Sie ist Bestandteil des stimulusbezogenen Situationsmodells. In dieser Modellierung lehnt sich die TDU an andere psycho-linguistische Theorien des Textverstehens an (z.B. van Dijk/Kintsch 1983; Johnson-Laird 1983; Schnotz 1988) und ergänzt sie durch die Integration der emotionalen Perspektive und der Kontrollprozesse. Menschen verarbeiten Textinformation (bzw. allgemein das Medienangebot) ‚automatisch’ so, dass sie nicht alle Informationen Wort für Wort memorieren müssen. Zudem wählen sie das aus ihrer Sicht Wichtigste so aus und integrieren es, dass daraus eine kohärente, subjektiv stimmige Bedeutungseinheit entsteht, die van Dijk allgemein ‚Makrostruktur’ nennt (van Dijk 1980: 41ff.). Er bezieht dieses Konstrukt auf das Generalthema von Texten, das als kohärente und verdichtete Bedeutungsstruktur bei der Lektüre entsteht. Es beschreibt somit den kognitiven (oder denotativen) Bestandteil des textbezogenen Situationsmodells. Dieses Konzept der Makrostruktur kann weitgehend auch auf die Emotionsrezeption übertragen werden (vgl. Früh 2002: 163 ff.). Personen rezipieren Schritt für Schritt die einzelnen Informationen des Medienbeitrages und formen schon sehr schnell eine globale Vorstellung seines Inhalts und Emotionsgehaltes (Wahrnehmungshypothese). In der Folge wird dann permanent geprüft, ob die weiteren Informationen auf der ‚Mikroebene’ zur Wahrnehmungshypothese passen. Dies lässt sich formal so darstellen, dass die bereits wahrgenommenen Emotionen auf der Mikroebene gemeinsam mit den Emotionserwartungen zu einem vorläufigen Gesamtbild kombiniert werden. Bei fortschreitender Rezeption wird der Anteil der Emotionserfahrungen immer größer, derjenige der Emotionserwartungen immer geringer. Die Emotionen auf der Mikroebene bleiben dabei jedoch nicht original erhalten, sondern gehen in verarbeiteter Form (selektiert, abstrahiert, elaboriert, integriert etc.) in die Makrostruktur ein. In Abbildung 3 ist ein solcher Informationsverarbeitungsprozess schematisch dargestellt.
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Abbildung 3: Unterhaltungserleben als Ergebnis eines Informationsverarbeitungsprozesses
Während auf der Mikroebene alle denkbaren spezifischen Emotionen positiver wie negativer Art erlebt werden können, findet das Unterhaltungserleben parallel dazu als tendenziell positive Emotion auf der Makroebene statt. Etwas anschaulicher lässt sich diese Informationsverarbeitung (an deren Ende Unterhaltungserleben steht) vielleicht mit Hilfe eines Rezipienten beschreiben, der beim Zappen bei einer Dokumentation über die politischen Zustände in einem asiatischem Land hängen bleibt. Da er dort in seiner Jugend einen schönen und erlebnisreichen Urlaub verbracht hat, erinnert er sich, während er die Bilder sieht, an viele Anekdoten dieses Urlaubs (Elaboration). Darüber hinaus erfährt er viel Wissenswertes, was eher beiläufige Erlebnisse jetzt in ganz neuem Licht erscheinen lässt. Dass in der Dokumentation auch sehr negative Dinge, wie Korruption und staatliche Willkür angesprochen werden, nimmt er nur am Rande wahr (Selektion). Dadurch wird für diesen Rezipienten aus der politischen Dokumentation mit teilweise sehr negativ konnotierten Inhalten eine anregende und angenehme ‚Reisereportage’, d.h. er interpretiert sie als eine Art Reisereportage, wohl wissend, dass es keine ist.
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In dieser Rezeptionssituation erlebt dieser Rezipient Unterhaltung. Beteiligt an der Entstehung des Unterhaltungserlebens waren Faktoren (1.) der Situation (Freizeit), (2.) der Person (seine Urlaubserinnerungen) und (3.) des Stimulus (Bilder aus der Urlaubsregion). Aber keiner dieser drei in sich relativ komplexen Faktoren könnte für sich allein Unterhaltung erklären, erst eine geeignete Passung macht dies möglich.
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Schlussfolgerungen
Was folgt nun aus einer solchen theoretischen Beschreibung für das Konstrukt Unterhaltung? 1. Die Verantwortlichen für die Medieninhalte, also die Programmanbieter und Journalisten, haben nur auf einen Teil der triadischen Konstellation, nämlich Inhalt und formale Gestaltung, einen Einfluss. Da sich Unterhaltungserleben aber im Zusammenspiel mit den beiden anderen Dimensionen (situativer bzw. gesellschaftlich-kultureller Kontext und personale Dispositionen der Rezipienten) entwickelt, ist die Steuerungsmöglichkeit für die Anbieterseite begrenzt. Wird eine entsprechende Steuerung angestrebt, so kann sie nur unter Berücksichtigung der Zielgruppe (bzw. deren personaler Merkmale) und der (vermuteten) Rezeptionssituation sowie dem kulturell-gesellschaftlichen Kontext (Werte, Normen, soziale Kontrolle, Strömungen des „Zeitgeistes“ etc.) erfolgen. Diese Überlegungen haben unter dem Stichwort „Zielgruppenorientierung“ schon lange und inzwischen ganz selbstverständlich Einzug in die Medienpraxis gehalten. Wir sehen aber noch zwei weitere wesentliche und nicht so offensichtliche Implikationen aus unserer theoretischen Beschreibung des Unterhaltungsphänomens: 2. Unterhaltung stellt kein kategoriales Merkmal dar, schon gar nicht lässt sie sich in ein dichotomes Verhältnis zu ‚Information’ setzen. Unterhaltung als Merkmal des Wahrnehmens und Erlebens ist in der Rezeption nahezu ständig gegeben, jedoch in unterschiedlichen Nuancen („Tönungen“) und in unterschiedlichem Ausmaß. Damit steht die TDU im Gegensatz zu der derzeit wohl geläufigsten Auffassung, nach der Unterhaltung ein dichotomes Merkmal darstellt: Entweder man unterhält sich oder man unterhält sich eben nicht. Gemäß der
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TDU stellt Unterhaltung lediglich einen variablen Erlebensanteil bei der Rezeption dar, der von null bis 100 Prozent variieren kann. Damit sind unterhaltende Anteile auch bei einem dominant anderen Rezeptionsfokus möglich, also z.B. auch beim Informieren, Lernen usf. Vermutlich kommt es auch eher selten vor, dass sich Rezipienten ausschließlich unterhalten. Damit ist das Unterhaltungskonzept der TDU auf alle Medienangebote und alle Rezeptionsformen anwendbar, auch auf solche, bei denen Unterhaltung nur am Rande auftaucht, wie etwa der Rezeption politischer Beiträge. 3. Die Verwendung des Unterhaltungsbegriffs zur Kategorisierung von Medieninhalten ist problematisch. Das Kommunikationsangebot kann bestenfalls ein Potenzial zur Unterhaltung besitzen. Ob es bei der Rezeption zur Geltung kommt, entscheiden eine ganze Reihe weiterer Faktoren. Aus dieser Sicht1 macht es dann wenig Sinn, eine bestimmte Sendung bereits nach der Produktion als ‚Unterhaltungssendung’ zu bezeichnen. Korrekt wäre es, von einem Unterhaltungsangebot zu sprechen, dessen Unterhaltungspotenzial2 empirisch ermittelt werden kann. Sicherlich bleibt es unbenommen, aus anderen wie z.B. pragmatischen Gründen, die produzierten Sendungen anhand äußerlich erkennbarer Beitragsmerkmale in Kategorien zu fassen und eine davon „Unterhaltung“ zu nennen. Allerdings kann dadurch das Missverständnis gefördert werden, diese Angebote seien allesamt unterhaltend und auf alle anderen Beiträge träfe dies nicht zu. Unter anderem aus diesem Grund kommt der Entwicklung eines praktikablen Messinstrumentes zur Erfassung des Unterhaltungserlebens eine bedeutende Rolle zu.
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Diese Schlussfolgerung resultiert aus der von uns begründeten und strikt verfolgten rezeptionsorientierten Perspektive. Es ist unbenommen, dieses Label z.B. zur Unternehmens- oder Programmorganisation zu verwenden. Das Vorgehen bei der Abschätzung des Unterhaltungspotenzials kann in Analogie zu dem von Früh (2001) verwendeten Verfahren zur Ermittlung des Gewaltpotenzials erfolgen.
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Anwendungen und Ausblick
Unterhaltung ist als spezifisches kognitiv-affektives Erleben nicht direkt beobachtbar und muss deshalb über Indikatoren erschlossen werden. Dies geschieht meist über die Selbstauskunft der Personen, seltener mittels Beobachtung von Mimik oder Gestik. Fragen wir einfach die Rezipienten, „Haben sie sich unterhalten?“, werden wir wahrscheinlich Antworten erhalten, welche sich auf ein Unterhaltungserleben beziehen. In diese Antwort wird aber auch aus Programmzeitschriften erlerntes Genrewissen einfließen. Und so werden die Befragten vielleicht das Unterhaltungserleben während einer politischen Dokumentation nicht als solches benennen, da sie ja keine „Unterhaltungssendung“ gesehen haben. Noch problematischer ist, dass wir nie genau wissen werden, worauf sich die Antwort im einzelnen Fall bezieht und ob alle Rezipienten dieselbe Vorstellung mit dem gesuchten Begriff „sich unterhalten“ verbinden. Deshalb ist dieser einfache Indikator nicht falsch, aber ungenau und unsicher. Wir haben deshalb ein differenzierteres Erhebungsinstrument vorgeschlagen (Früh, Wünsch, Klopp 2004). Es kann (1) Unterhaltung als spezifische positive Emotion von anderen positiven Emotionen unterscheiden, (2) Unterhaltung in beliebigen Kontexten (z.B. auch in sog. „nicht unterhaltenden Genres“) identifizieren und (3) den Unterhaltungsanteil am Rezeptionserleben als ein unabhängiges stetiges Merkmal graduell abbilden. Dieses Messinstrument operationalisiert die in der TDU genannten Merkmale des Unterhaltungserlebens: Es muss sich um eine Makroemotion handeln, [1] die zumindest einen kleinen positiven Valenzanteil besitzt und es muss [2] passive und [3] aktive Souveränität gegeben sein, um sicher zu stellen, dass der positive Valenzanteil auch „Unterhaltungsvalenz“ anzeigt. Die konkreten Ausprägungen werden retrospektiv in Form einer verbalen Selbstauskunft (schriftlicher Fragebogen) unmittelbar im Anschluss an die interessierende Rezeption erfasst. Dies erfolgt mit Hilfe einer Liste von neun Adjektiven und sieben Statements. Die Befragten müssen auf einer Ratingsskala beurteilen, wie stark diese Adjektive und Aussagen jeweils auf ihr Erleben während der Rezeption zutreffen. Die Antworten werden zu einem standardisierenden Index zusammengefasst. Dieser ›Unterhaltungsindex (UX100)‹ gibt dann in
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einem Wertebereich zwischen 0 und 100 an, wie stark sich ein Rezipient während der Rezeption unterhalten hat. In mehreren empirischen Studien (vgl. Früh/Wünsch/Klopp 2004: 529ff.) konnten wir dieses Messinstrument in verschiedenen Kontexten (Alltags- und Laborsituation, verschiedene Genres, wie z.B. Krimi, Nachrichten, Komödie, Dokumentation, Horror, …) erfolgreich anwenden und validieren. Am interessantesten waren die Befunde in Bezug auf das Unterhaltungspotenzial verschiedener Genres und konkreter Sendungen. In einer alltagsnahen Studie baten wir 53 Personen,3 den Fragebogen zur Erfassung des Unterhaltungserlebens auszufüllen, und zwar direkt, nachdem sie das nächste Mal ferngesehen hatten. Die Untersuchungsteilnehmer konnten selbst entscheiden, wann sie welche Sendungen anschauten. Insgesamt wurde das Unterhaltungserleben bei über 200 Sendungen beurteilt. Dabei zeigte sich zwar, dass Spielfilme ein sehr hohes Unterhaltungspotenzial (UX100=41,7) besitzen. Andererseits kann man aber angesichts der Ergebnisse den Nachrichten ein Unterhaltungspotenzial nicht absprechen (UX100=22,8). Bei einer Betrachtung auf der Ebene einzelner Sendungen wird dieser Befund untermauert. Obwohl im Durchschnitt die meisten Spielfilme unterhaltsamer erlebt werden als Nachrichten, erzielt dennoch z.B. die „Rundschau“ des Bayerischen Rundfunks höhere Werte (UX100=32,9) als der ‚Unterhaltungsklassiker’ James Bond (UX100=28,9). Außerdem wurden die beiden letzten Plätze in Bezug auf das Unterhaltungspotenzial nicht von Nachrichten, sondern von Spielfilmen belegt („Fearless – Jenseits der Angst“ [UX100=15,1] und „Mord auf Sendung“ [UX100=7,7]). Diese Ergebnisse unserer empirischen Analysen untermauern damit die Schlussfolgerungen unserer theoretischen Überlegungen: Der journalistische Informationsbereich und der showbusinesshafte „Unterhaltungssektor“ lassen sich nicht mehr so genau separieren wie bisher angenommen – wenn man den Unterhaltungsbegriff etwas anders fasst. Und sie sollten vielleicht auch gar nicht getrennt werden, weil erstens Unter3
Es handelte sich um eine Quotenstichprobe mit begrenzten Rekrutierungsmöglichkeiten aus dem Umfeld der Interviewer. Das Durchschnittsalter lag bei 42 Jahren, Frauen sind leicht überrepräsentiert (63 Prozent) und knapp die Hälfte der Probanden besitzt einen Hochschulabschluss oder Hochschulreife (44 Prozent).
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haltung als Erleben des Rezipienten einerseits und Showbusiness andererseits überhaupt nicht identisch sind, und zweitens weil diese Konzeptualisierung von Unterhaltung (die also nicht mit Showbusiness gleichgesetzt wird) in anderen funktionalen Zusammenhängen wie etwa Informations- oder Wissensvermittlung (Lernern, Bildung) effizienzsteigernd eingesetzt werden kann. Um diese Zusammenhänge gezielt zu erforschen, bedarf es allerdings eines präzisen und leistungsfähigen Unterhaltungskonzepts.
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Christian Wiesner
Nie fand ich einen geselligeren Gesellschafter als die Unterhaltung Eine Rekonstruktion der Bestimmungsversuche von Unterhaltung 1
Einleitung
Die Unterhaltungsforschung ist die Antwort. Was aber war die Frage? Wollen wir uns über Unterhaltung unterhalten oder Unterhaltung analysieren? Ist es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir die vielfältigen Unterhaltungen in Form von Bestimmungsversuchen beschreiben können? Der Mensch ist ein Wesen, das sich gar nicht nicht unterhalten kann. Jeder Hörer und Seher weiß sich durch Medienangebote selbst zu unterhalten. Ein Hinweis darauf, was einen selbst unterhält, ist durch das eigene Zeitungsleseverhalten leicht zu erhalten. Beginnt man mit dem Lesen bei der Sportberichterstattung oder doch bei der internationalen und nationalen Politikberichterstattung? Informieren und amüsieren wir uns (oder ärgern wir uns uns unterhaltend) bei bestimmten Nachrichten und Berichten? Konsumieren wir lustvoll und emotional oder nur informativ und kognitiv? Die Begrifflichkeit Unterhaltung wie auch die verwandten und angeheirateten Begriffe Entertainment, Edutainment, Infotainment, Infomotion, Infomercial, Politainment usw. sind sowohl im Bereich der Kommunikationswissenschaft als auch für den Journalismus mittlerweile zentrale Forschungskonstrukte (vgl. Schmid/Wünsch 2001, 32 f., Renger 2001, 94 f.; Renger 2006, 291). Vor allem da sich die Unterhaltung in den letzten Jahren „beträchtlich emanzipiert“ hat und sogar schon zu einem „be-
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Christian Wiesner
herrschenden Lebensgefühl“ (Früh 2003, 9) wurde. In den letzten Jahren entwickelt und nähert sich die Kommunikationswissenschaft in ihren Forschungsfeldern dem Bereich der Unterhaltung an und analysiert dieses immer noch unzureichend definierte Konstrukt aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei verstehen einige unter Unterhaltung im Journalismus eine ganz bestimmte publizistische Gattung und andere einfach nur alles, was sie vom Gedruckten, Gesendeten und/oder Gehörten nicht mögen (vgl. Stumm 1993, 73). Dabei ist Unterhaltung ein wahrlich schillerndes, jedoch auch seltsames Konstrukt. Fast jeder glaubt zu verstehen, was dieser Begriff bedeutet, bis der Versuch unternommen wird, Unterhaltung zu definieren. Spätestens dann behauptet praktisch niemand mehr, Unterhaltung umfassend beschreiben zu können. Dabei wäre es tautologisch so einfach, indem Unterhaltung einfach alles ist, was unterhält (vgl. Ernst 1971, 54; Maletzke 1995, 94). Doch Unterhaltung ist „nicht immer lustig. Nichts ist jedoch weniger lustig als der Versuch, sie zu definieren“ (Prager 1971, 5) und gerade deshalb fand ich nie einen geselligeren Gesellschafter als die Unterhaltung. Unterhaltung geht zurück auf die Substantivierung von unterhalten (mit dem Suffix „-ung“) und beschreibt zunächst a) das lebhafte Erzählen, Aufsagen, Vorführen und Mit-jemandem-Reden (gemeint ist die Form direkter mündlicher Kommunikation von einem WG-Küchengeschwätz bis zu einem sokratischen Gespräch) wie sich auch b) zu amüsieren, zerstreuen, vergnügen und sich angenehm die Zeit zu vertreiben. Wie bei allen Wörtern mit der Nachsilbe „-ung“ wird bereits sprachlich darauf hingewiesen, dass es sich nicht um einen abgeschlossenen Sachverhalt oder etwas Dinghaftes handelt, sondern vielmehr um einen Prozess. Die weiteren Betrachtungsmöglichkeiten werden in diesem Beitrag vernachlässigt, also Unterhaltung im Sinne des Jemandenunterstützens (z. B. Unterhalt bezahlen) sowie Unterhaltung als die Wartung, Aufrechter- und Instandhaltung eines Betriebes. (Vgl. dazu Bausinger 1994, 18 ff.; Schicha/Brosda 2002, 10 f.; Renger 2006, 290 ff.) Um nun zu einer allgemeinen Theorie der Unterhaltung zu kommen, stehen verschiedene Möglichkeiten und damit Chancen offen. Wir können zunächst das Publikum befragen oder beobachten und dabei feststellen, was als unterhaltsam erlebt wird. Damit ist es uns möglich Unterhal-
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tung zu beschreiben, leider nicht zu erklären (vgl. Früh 2003, 10 f.). Wir können ExpertInnen befragen, wobei die Meinungen sehr weit auseinander gehen und wir uns für jede Erkenntnis zehn neue Fragen einhandeln (vgl. Früh 2002, 10). Weiters können wir die vielfältigen und längst vorhandenen Theorien kombinieren und eine „Integrative Superunterhaltungstheorie“ erstellen, leider fehlen dazu sowohl gemeinsame Bezugsrahmen als auch gemeinsame Terminologien (vgl. Früh 2003, 10 f.). Deshalb sollten wir zunächst einen anderen Ausgangspunkt wählen und uns bei der Problemlösung damit begnügen, die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Unterhaltung zu bestimmen, um letztendlich zumindest in Unterhaltungen (hier als direkte Kommunikation gemeint) Gemeinsamkeiten bzw. Differenzen entwickeln zu können. Innerhalb des Unterhaltungsdiskurses lassen sich vor allem drei unterschiedliche Zugangsweisen feststellen, um sich dem Problem der Bestimmung von Unterhaltung zu nähern: Im Rahmen normativer Bestimmungsversuche wird die gute Unterhaltung von der schlechten getrennt bzw. definiert, ob überhaupt eine wünschenswerte Form von Unterhaltung existiert. Analytische Bestimmungsversuche versuchen mittels einer präzisen Begriffsanalyse die unterschiedlichen Implikationen des Unterhaltungsbegriffes zu klären sowie das unterschiedliche Verständnis von Unterhaltung für weitere Diskussionen transparent zu machen. Empirische Bestimmungsversuche zielen darauf ab, Unterhaltung mit geeigneten empirischen Instrumenten zu erfassen und in differenzierte Kennwerte zu bringen.
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Normative Bestimmungsversuche
Im Rahmen normativer Bestimmungsversuche wird Unterhaltung auf der Basis von Normen und Werten definiert, es geht dabei um die „gute“ und „schlechte“ oder die „positive“ und „negative“ Unterhaltung. Im Interesse stehen hierbei die höchste sowie die niedrigste Ausprägung von Unterhaltung, die ja entweder als binärer Code (Unterhaltung/Nichtunterhaltung) oder auch in unterschiedlichen Abstufungen auftreten kann (vgl. Mangold 2000, 119 ff.). Die normative Bestimmung von Unterhaltung ist durch empirisch zu ermittelnde Sachverhalte allein nicht zu bestimmen, denn dabei muss
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eine Entscheidung getroffen werden, was als unterhaltend betrachtet wird, und ob sowie welche Abstufungen der Unterhaltung existieren. In diese Entscheidungen fließen unausweichlich normative Vorstellungen über die Unterhaltung ein. Ob Information und Unterhaltung als Polaritäten gesehen werden bzw. die Festlegung des genauen Maßes, ob zu wenig oder zu viel Unterhaltung den Informationswert einer dargebotenen Information mindert (vgl. dazu Klaus/Lünenborg 2000, 188 ff.; Scholl 2000, 405 ff.; Lieb 2003, 25 ff.), wären beispielsweise normative Herangehensweisen. Die Quellen solcher normativer Setzungen können Traditionen und historisch-gesellschaftliche Werte, wissenschaftliche Theorien und Ansätze, allgemein- und sozialpolitische Überzeugungen, pädagogische Zielsetzungen, normative Menschenbildannahmen sowie globale (Ziel-) Vorstellungen über Gesellschaften und deren Entwicklung sein. Im Journalismus muss diese normative Auseinandersetzung mit der Unterhaltung im öffentlichen, politischen und fachinternen Raum geführt werden, da der Journalismus normativ gesehen eine kritisch-analytische und öffentliche Funktion wahrzunehmen hat. Solche normativen Bestimmungsversuche von Unterhaltung unter Berücksichtigung von historischen und empirischen Argumentationen sind damit ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil der öffentlichen und fachinternen Diskussion, um sich hinsichtlich „guter“ und „schlechter“, „erwünschter“ und „unerwünschter“ sowie „positiver“ und „negativer“ Unterhaltungen gewahr zu werden.
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Analytische Bestimmungsversuche
Im Rahmen der analytischen Bestimmungsversuche werden die in den Diskussionen verwendeten Begriffsvarianten von „Unterhaltung“ ins Blickfeld gerückt, damit diese näher untersucht sowie begrifflich klar differenziert werden können. Die analytische Klärung ist eine notwendige Voraussetzung, um eine öffentliche, politische und fachinterne Auseinandersetzung über Unterhaltung zu ermöglichen. Grundsätzlich können die analytischen Herangehensweisen in produktions-, produkt-, medium- sowie rezeptionsorientierte Begriffsklärungen als auch in variationsreiche Mischformen unterschieden werden.
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Stehen der unterhaltungsorientierte Sender, Produzent, die Organisation bzw. der Kommunikator der Unterhaltungsprodukte im Mittelpunkt des Interesses, dann lassen sich grundsätzlich bibliographische, demographische, medienorganisatorische wie auch medienökonomische Ansätze, Modelle und Theorien vorfinden. Bei produktorientierten Zugängen sind die Merkmale und Gestaltungsprinzipien von Unterhaltung wie auch wissenschaftliche Gattungslehren von zentraler Bedeutung. Bei der mediumorientierten Betrachtung von Unterhaltung wird danach gefragt, ob bestimmte Medien bzw. bestimmte technologische Merkmale eine erhöhte Unterhaltungswirkung besitzen. Die rezeptionsorientierte Herangehensweise beobachtet, beschreibt und analysiert wiederum die Bedürfnisse und das Konsumverhalten der Leser/Zuseher in den Forschungsfeldern Rezeption, Nutzung und Wirkung – dafür sind vor allem medienpsychologische und medienpädagogische Theorien, Modelle und Ansätze erforderlich. Die analytischen Bestimmungsversuche der Unterhaltung sind auch in den unterschiedlichen (inter- und transdisziplinären) Theorien, Ansätzen und Modellen über den Journalismus nach Löffelholz (2002, 2003) zu finden. Trotz aller Differenzen und Unterschiede in den existierenden Theorieansätzen dürfte ein allgemeiner Konsens auch darüber bestehen, dass Unterhaltung (ähnlich wie eine Emotion) sowohl einen Formaspekt als auch einen Funktionsaspekt innerhalb eines kulturell geschaffenen Kontextes besitzt (vgl. Holodynski/Friedlmeier 1999, 5 ff.). Somit lassen sich für die analytische Unterhaltungsforschung drei weitere Aspekte bestimmen: a) Strukturalistischer Aspekt Innerhalb des strukturalistischen Aspektes wird Unterhaltung als ein spezifischer Zustand betrachtet. Die wissenschaftliche Aufgabe besteht darin, diesen Zustand durch eindeutige und möglichst objektiv messbare Kriterien abzugrenzen und zu klassifizieren. Allgemein lässt sich sagen, dass Modelle, Ansätze und Theorien einer strukturalistischen Perspektive den Formaspekt unterhaltender Prozesse fokussieren. Jede Art von Unterhaltung sollte sich demnach (ähnlich wie Emotionen) durch eine spezifische Konfiguration von Körper-, Emotions-, Gefühls-, Ausdrucksund Erlebnisindikatoren beschreiben lassen (vgl. Schmidt-Atzert 1996, 20 ff.).
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b) Funktionalistischer Aspekt Unter einem funktionalistischen Aspekt wird die Unterhaltung nicht mehr als eine Konfiguration von Unterhaltungsformen definiert, sondern vielmehr über die Funktion, die die Unterhaltung im System der Tätigkeits-, Handlungs- und/oder Kommunikationsregulation mit seiner Umwelt einnimmt (vgl. Holodynski/Friedlmeier 1999, 8 ff.). c) Soziokultureller Aspekt Unter einem soziokulturellen Aspekt kann Unterhaltung in Kombination mit dem Menschen als kulturschaffendes Wesen mit kulturellen Errungenschaften betrachtet werden. Die Einbeziehung des kulturellen und sozialen Kontextes erweitert den wissenschaftlichen Blickwinkel und ermöglicht die Unterhaltung und ihre Regulationsformen aus gemeinsam konstruierten zwischenmenschlichen Interaktionen (bzw. Kommunikationen) zu begreifen (vgl. Ratner 1999, 244 ff.; Saarni 1999, 71 ff.). Die analytische Herangehensweise klärt die unterschiedlichen Begriffsgebräuche hinsichtlich verschiedener theoretischer Zugänge und macht auf nicht oder nur selten gesehene Implikationen aufmerksam. Wesentlich dabei ist, mögliche Missverständnisse zu identifizieren und vor sprachlichen oder theoretisch bedingten Denkfallen zu warnen und Scheinbegründungen und Scheindefinitionen aufzuzeigen. Eine wertvolle Zusammenstellung der Unterhaltung als Emotion, wie auch weitere anthropologische, motivationale und nicht-rezeptionsorientierte Ansätze liefert beispielsweise Wünsch (2002) in seinem Beitrag „Unterhaltungstheorien – ein systematischer Überblick“.
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Empirische Bestimmungsversuche
Die empirischen Bestimmungsversuche zielen vor allem darauf ab, die unterschiedlichen Unterhaltungsaspekte und deren Nutzung sowie Wirkungen durch Befragungen, Inhaltsanalysen, Beobachtungen und Experimente zu erfassen und diese mit den normativen und analytischtheoretischen Bestimmungsversuchen in Beziehung zu setzen. Mittels empirischer Bestimmungsversuche werden „wirkungsstarke“ und „wir-
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kungsschwache“, aber auch normativ als „gut“ oder „schlecht“ bezeichnete Unterhaltungselemente gesucht, bestimmt und unterschieden. Der Begriff der Unterhaltung bezieht sich dabei immer auf einen Teil der ganzheitlichen Beschaffenheit bzw. umfassenden Eigenschaft eines bestimmten Objektes, Produktes oder eines Erfahrungsfeldes bzw. einer Gestalt und wird damit auch zu einem Bestandteil der Qualität. Dazu ein Beispiel: Die persönliche Erfahrung, sich zu unterhalten, kann in Beschreibungen und Urteilen ausgedrückt werden, doch eine vollständige Kommunizierbarkeit einer solchen ganzheitlichen individuellen Erfahrung und deren Beurteilung sind nur bedingt möglich. Dennoch wird trotz der nicht vollständig gegebenen Kommunizierbarkeit der individuell unterhaltenden Erfahrungen immer über Unterhaltung kommuniziert. Daher ist eine Aufgliederung der umfassenden Erfahrungen in bestimmte empirisch prüfbare Dimensionen, Variablen und Kennwerte möglich, diese bilden jedoch niemals die persönliche Erfahrung vollständig ab, sondern dienen lediglich als Hilfestellung, um einen Austausch oder Vergleich von subjektiven Eindrücken und Urteilen als lebhaftes Gespräch über die Unterhaltung zu ermöglichen. Wesentlich bei der empirischen Herangehensweise ist die Auswahl des Bezugssystems bzw. der Bezugsnorm, denn bei den vergleichenden Bewertungen von Unterhaltungsdimensionen ist immer die mögliche Unterschiedlichkeit der Ausgangslagen mitzuberücksichtigen. Bei einem Vergleich von Unterhaltungsaspekten in Tageszeitungen kann zunächst ein Durchschnittswert aller untersuchten Printprodukte errechnet werden, wodurch später eine Einstufung vorgenommen und eine Verteilung von unterhaltenden Aspekten beschrieben werden kann (durchschnittsorientierte Bezugsnorm). Auch wäre es möglich, vorab Unterhaltungs- und Qualitätskriterien zu definieren und diese zu messen, um dann den Abstand zu den formulierten Zielkriterien als Grundlage für Beurteilungen zu verwenden (kriteriumsorientierte Bezugsnorm). Ebenfalls könnte der Vergleich zwischen Produkten gemieden werden, indem man z. B. bei einem Printprodukt allein die Unterhaltungsdimensionen und deren Entwicklungsprozesse beobachtet und analysiert (produktorientierte Bezugsnorm). Je nach dem ausgewählten Bezugssystem ergeben sich spezifische Informationen und damit auch unterschiedliche Betrachtungsweisen, Bewertungskriterien sowie Handlungsalternativen.
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Journalistik und Unterhaltung
Die Kommunikationswissenschaft und vor allem die Journalistik erhalten im Lehr- und Forschungsbereich durch ihre Beschäftigung mit der Unterhaltung neue und interessante Aufgaben. Die Journalistik besteht nach Renger/Wiesner (2006, 111) aus vier zentralen und zirkulären Modulen: a) die Praxis (oder journalistische Tätigkeit), b) die Grundlagen der Journalismusforschung (und ihre Methoden), c) Theorien, Modelle und Ansätze über den Journalismus sowie d) die journalismuswissenschaftliche Lehre. Innerhalb des ersten Moduls (Medienpraxis und journalistische Tätigkeit) wäre es sinnvoll, die Gestaltungsprinzipien von Unterhaltung bzw. unterhaltsamen Elementen zu kennen sowie anwenden zu können und einen kompetenten, praktischen Umgang damit zu lehren (vgl. Renger/Wiesner 2006, 111). Dabei besitzt der Gegenstand Unterhaltung auch ein operativ-normatives Problem, bei dem es um die Frage geht, wann und wo Unterhaltung ihren Platz hat oder allgemeiner, wie mediale Unterhaltung überhaupt stattfinden darf. Im zweiten Modul (Journalismusforschung und deren Methoden) könnte somit eine empirisch-analytische und kritisch-interpretierende Auseinandersetzung mit der Unterhaltung angeregt werden, um sich mit Rahmenbedingungen, Systemen, Prozessen, Inhalten und Wirkungen der öffentlichen Information und Kommunikation und damit mit Fragestellungen zu befassen, welche „für den Journalismus, das Mediensystem, die Medienkonsumenten, für die Medienpolitik, für die Mediendidaktik, die Öffentlichkeitsarbeit und die Werbung bedeutsam erscheinen“ (Renger/Wiesner 2006, 112). In den dritten Bereich (Theorien, Modelle und Ansätze über den Journalismus) sollte wiederum das Konstrukt der Unterhaltung aktiv integriert werden. Die bereits existierenden analytischen Bestimmungsversuche sollten in den bestehenden Journalistiktheorien und Journalistikansätzen (vgl. dazu Görke 2002; 2003; Löffelholz 2002; 2003) noch ausführlicher verankert werden, damit diese Zugänge „der Wissenschaft einerseits als Basis für Analysen, Prognosen, Technologien sowie zur Kritik dienen“ (vgl. Renger/Wiesner 2006, 113). Besonders innerhalb des vierten Moduls (Journalismuswissenschaftliche Lehre) ist das Konstrukt der Unterhaltung in den Bereichen Grundlagenwissen, Reflexionswissen, Berufswissen, Pla-
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nungswissen und als praktisches Anwendungswissen zu berücksichtigen (vgl. Renger/Wiesner 2006, 113 f.).
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Theoretische Anwendungen
Margreth Lünenborg
Unterhaltung als Journalismus – Journalismus als Unterhaltung Theoretische Überlegungen zur Überwindung einer unangemessenen Dichotomie 1
Einleitung
Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder präsentiert sich am Wahlabend nicht nur als Elefant im sprichwörtlichen Porzellanladen, sondern bietet mit seinem „Krawallauftritt“ in der Elefanten-Runde auch einen Unterhaltungswert, der die zahlreichen, bemüht ausgewogenen Gesprächsrunden des Wahlkampfs grau, zäh und langweilig aussehen lässt. Entgleiste Eigen-PR offenbart den Charakter eines Mannes schonungslos und lässt uns als Publikum teilhaben an dem unterhaltsamen Regieverlust von Journalismus. Angela Merkels Wandel von der schlecht frisierten, unfroh-verkrampften Kämpferin zur souveränen, frisch geföhnten Favoritin beschäftigt die politischen Medien über Wochen. Ob Coiffeur oder Designerin, wir als Publikum haben Anteil an dem Wunder, das aus dem hässlichen Entlein einen prachtvollen Schwan werden lässt, und reiben uns dabei verwundert die Augen über die ungeahnten Unterhaltungsleistungen, zu denen politischer Journalismus (auch) in Qualitätsmedien fähig ist. Offenkundig ist das Verhältnis von Information und Unterhaltung im Journalismus kein konfliktfreies, eindeutiges, unstrittiges. Journalismus zuständig für die Information, Unterhaltung als das seichte Andere der Medienindustrie – mit dieser simplen Polarisierung lässt sich offenkundig das komplexe Verhältnis von Journalismus, Unterhaltung und Politik
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nicht befriedigend erfassen. Deshalb folgen hier Überlegungen (1) zum aktuellen Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung, (2) zu der historischen Verbindung von Journalismus zwischen U- und E-Kultur, (3) zu einer handlungstheoretischen Bestimmung des Unterhaltungsbegriff, verbunden mit (4) einem kulturorientierten Verständnis von Journalismus und schließlich, anknüpfend an die Anfangsbeobachtungen (5) eine detailliertere Betrachtung des Dreiecks Unterhaltung, Journalismus und Politik.
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Journalismus und Unterhaltung – Beobachtungen zum aktuellen Verhältnis
Die dichotome Unterscheidung von Medienangeboten in Information und Unterhaltung hat eine lange Tradition (vgl. Klaus 1996). Sie fußt letztlich auf einer Idee, die der Tradition der Aufklärung verpflichtet ist. Demnach ist es die Information, die den aufgeklärten Staatsbürger befähigt, kompetent am gesellschaftlichen Geschehen teilzuhaben. Unterhaltung gilt demgegenüber als Flucht vor der Wirklichkeit, als Eskapismus. So polarisiert sich die ‚Informationsgesellschaft‘ gegenüber der ‚Spaßgesellschaft‘. Journalismus wird vor diesem Hintergrund in seinem Kern und seiner gesellschaftlichen Funktion als Information begriffen. Dieses Denken hat zwei Wurzeln. Einerseits liegt dieser Zuweisung eine recht simple organisationsbezogene Zuordnung zu Grunde. So unterscheiden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – insbesondere im Bereich des Fernsehens – die Hauptabteilungen Information und Unterhaltung. Die journalistischen Redaktionen sind dabei der Hauptabteilung Information zugerechnet. Diese Organisationsstruktur auf der Produktionsseite wird umstandslos auf das Produkt übertragen, so dass die in der Hauptabteilung Information produzierten Medientexte als ‚Information‘ bezeichnet werden. Wie problematisch diese zweigeteilte Struktur ist, wird an zwei Phänomenen sichtbar. Einerseits findet sich diese Zweiteilung bei privat-kommerziellen Fernsehsendern nicht wieder, obschon auch diese Unterhaltungs- und Informationsangebote produzieren. Hier scheint diese Unterscheidung jedoch nicht basal sinnstiftend zu sein. In ihrer stärkeren Orientierung auf das Publikum als Kundschaft erkennen
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die kommerziellen Anbieter die Differenz zwischen Information und Unterhaltung nicht als primär relevante Größe. Sichtbar wird daran, dass der Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung eine normative Setzung zu Grunde liegt. Informationsangeboten wird von den Programmverantwortlichen eine andere Bedeutung beigemessen als Unterhaltungsangeboten. Zudem fordern die immer zahlreicher werdenden Hybridgenres und Hybridformate das Strukturierungsvermögen der Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung heraus. So lässt sich am Beispiel der Docu-Soap zeigen, dass die redaktionelle Zuordnung – von außen willkürlich anmutend – mal dem Bereich Information (ZDF), mal dem Bereich Unterhaltung (WDR) und bei kommerziellen Fernsehsendern bspw. RTL II der Abteilung „Show und Magazine“ – also einem Zwitter aus Informations- und Unterhaltungsproduktion – zugeordnet ist. Schon auf dieser Organisationsebene wird also sichtbar, dass die Strukturierungskraft der Unterscheidung von Information und Unterhaltung durch medienpolitische Entwicklungen (duales Rundfunksystem) wie durch programmliche Veränderungen (Hybridisierung) an Bedeutung eingebüßt hat. Doch ein Rekurs allein auf die Organisationsebene wäre zu simpel. Die dichotome Unterscheidung von Unterhaltung und Information und die eindeutige Zuweisung von Journalismus zum Bereich der Information fußt vielmehr auf einer normativen Setzung, die Journalismus im Ensemble der Medienangebote eine spezifische Stellung beimisst. Zur Herstellung von Öffentlichkeit in der Demokratie gilt Information als unverzichtbar. Damit übt Journalismus eine öffentliche Aufgabe aus, die keinem anderen Element der Medienkommunikation zugebilligt wird. Journalismus als Bestandteil des „public knowledge projects“ (Corner 1991) hat in dieser exklusiven Zuweisung seinen Ursprung. Die gewollte Veschmelzung von Journalismus und Information und damit verbunden die Abgrenzung von der Unterhaltung – auch durch die Journalistik und Kommunikationswissenschaft – dient also der Sicherung von Privilegien, die dem Journalismus im Unterschied zu anderen Bereichen der massenmedialen Kommunikation zustehen. Nachfolgend wird das Verhältnis von Journalismus zu Information und Unterhaltung näher in den Blick genommen. Dazu erscheint es im
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ersten Schritt notwendig, die jeweils zeitgeschichtlich gebundene Deutungsmacht von Dichotomien in den Blick zu nehmen. So definiert sich Unterhaltung einerseits historisch im Gegensatz zur (wahren) Kunst, was im Begriffspaar der E- und U-Kultur zum Ausdruck kommt. Andererseits erweist sich mit Blick auf den Journalismus, wie oben beschrieben, das Begriffspaar von Information und Unterhaltung als konstitutiv. Basierend auf dieser Betrachtung wird anschließend gefragt, in welchem Maße Information und Unterhaltung für den Journalismus historisch konstitutiv waren und es aktuell sind. Dabei nutze ich das theoretische Gerüst der Cultural Studies, um den Unterhaltungsbegriff genauer zu fassen. Ein spezifischer Fokus wird schließlich auf Formen der politischen Kommunikation in Massenmedien gerichtet. Dieser Bereich gilt als das Herzstück journalistischer Informationsleistung. Für die demokratische Öffentlichkeit erscheint eben dieses Feld als unverzichtbar. Doch, so meine These, auch in diesem Herzstück journalistischer Leistung kann keine konsistente Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Information vollzogen werden kann. Politikwissenschaftlich fundierte Cultural Studies-Analysen machen vielmehr deutlich, dass Unterhaltung maßgeblich die öffentliche Kommunikation politischer Inhalte prägt. Damit wird deutlich, dass Information und Unterhaltung in der aktuellen Gesellschaft nicht als Gegensatzpaar zu fassen sind. Vielmehr handelt es sich – insbesondere unter Berücksichtigung der Rezeptionsperspektive – um komplementäre Bestandteile jeglicher massenmedialer Kommunikation. Dabei verschiebt sich die Gewichtung der informativen oder unterhaltungsorientierten Facette von Medienkommunikation je nach historischem Kontext.
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Zum historischen Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung
Unterhaltung lässt sich bestimmen als Kommunikationsweise, als Funktion der Massenmedien, als soziale Institution oder als ästhetische Kategorie (vgl. Hügel 2003: 74). Gilt sie in der Antike als unauflöslich verbunden mit der Funktion des Belehrens (Horaz: „Aut prodesse volunt aut
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delectare potae“), so dominiert heute eine antagonistische, allenfalls additive Auffassung der Funktionen. Sie kommt beispielhaft im Programmauftrag des ZDF von 1963 zum Ausdruck: „Das Programm soll umfassend informieren, anregend unterhalten und zur Bildung beitragen.“ In dieser Dreieinigkeit kommt dem Journalismus unzweideutig die Funktion der umfassenden Information zu. Doch diese Distanzierung des Journalismus von der Unterhaltung hat eine vergleichsweise kurze Geschichte. Betrachtet man die Unterhaltung in Abgrenzung zur Kultur, so verweist man damit auf die Dichotomie von E- und U-Kultur. Vor allem Pierre Bourdieu (1987) hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zuweisung zum einen oder anderen Bereich ein zentraler Bestandteil der Verhandlung kulturellen Kapitals in der Gesellschaft ist. Kulturelle Ausdrucksformen sind nicht „an sich“ wertvoll oder banal, schön oder allenfalls nett. Verneint man einen solchen Essenzialismus, so erkennt man, dass es sich um jeweils historisch gebundene Zuweisungen handelt, die erst in ihrer Differenz zueinander bestimmt werden können. Bourdieu verweist auf die lange Tradition von Antagonismen, die von Platon über Schopenhauer bis Kant reicht, und unterscheidet zwischen dem Schönen und dem Angenehmen, dem, was gefällt, und dem, was vergnügt (vgl. Bourdieu 1987: 756 ff). Laurence Grossberg führt weitergehend aus: „Die Konstruktion der Differenz zwischen E und U ist Schauplatz eines fortwährenden Ringens; Inhalt und Publikum eines jeden wechseln von einer historischen Periode zur nächsten, von einem geographischen Schauplatz zum anderen.“ (Grossberg 2003: 166) Während sich E-Kultur als Kunst zeitlos, den Begrenzungen von Zeit und Raum enthoben, präsentiert, gilt U-Kultur als flüchtige Modewelle, als vergängliche Erscheinung. Zudem ist die U-Kultur hochgradig durch ihre ökonomische Verfasstheit bestimmt. Sich einen Massenmarkt zu erschließen und sich auf diesem zu etablieren, das ist das ökonomisch definierte Erfolgskriterium für die U-Kultur. Die E-Kultur erscheint demgegenüber autonom gegenüber ökonomischen Imperativen. Das wahrhaft Gute, so die immanente Wertung, setzt sich jenseits von Marktkriterien durch. In einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Polarisierung plädiert Grossberg (2003: 167) dafür, E- und U-Kultur als je eigene Populärkulturen unterschiedlicher sozialer Milieus zu betrachten.
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Das Ringen um die Deutungshoheit ist seit dem 18. Jahrhundert in der Literaturwissenschaft besonders intensiv betrieben worden. Dichtung oder Schundliteratur, Erbauung oder Amüsement – das waren die dichotomen Qualitätsurteile, mit denen Texten Wert zugewiesen wurde. Die literarische Massenproduktion für ein Lesepublikum jenseits des Bürgertums – nicht aus innerer Berufung, sondern aus emotionalem oder materiellem Interesse – hatte kaum eine Chance auf Anerkennung. Im 19. Jahrhundert etablierte sich die Unterhaltungsliteratur zunehmend als eigenständige, wenn auch geringer geschätzte Form. „Sogar das Schreiben zum Gelderwerb wird akzeptiert.“ (Hügel 2003: 75) Genau an dieser Stelle ist die Geburtsstunde des Journalismus als populärem Massenphänomen zu sehen. Mit der Zeitschrift – insbesondere der Familienzeitschrift – steht ein Medium zur Verfügung, das „durch seinen Programmcharakter die Unterhaltungsliteratur von dem Vergleich mit der Kunst befreite“ (ebd.). Doch es ist nicht erst die „Gartenlaube“ (1853-1944), wie Hügel beschreibt, die als Familienzeitschrift dem heutigen Verständnis massenmedialer Unterhaltung entspricht. Elke Maar (1995) weist detailliert nach, dass bereits die Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts Unterhaltung als zentralen Bestandteil journalistischer Produktion etabliert hatten. Als „Bildung durch Unterhaltung“ beschreibt Maar programmatisch die Etablierung von „Infotainment in der Aufklärung“ zwischen 1748 und 1782. Mit diesen Zeitschriften galt es erstmalig, ein breites Publikum jenseits der gesellschaftlichen Elite für die Lektüre zu gewinnen. Dazu etablierten die Autoren und die unter männlichem Pseudonym publizierenden Autorinnen gezielt Genres, Themen und Stilmittel der Unterhaltung (vgl. dazu auch Klaus/Lünenborg 2000). Nicht das tagesaktuelle Geschehen, sondern die unterhaltsame Reflexion der Geschehnisse und ihrer Relevanz für den persönlichen Alltag standen im Mittelpunkt der Blätter. „Die Bedeutung der Moralischen Wochenschriften liegt also gerade in der Funktion, aufklärerisches Gedankengut zu popularisieren, um es auf diese Weise über die Gelehrtenstuben und Bibliotheken hinaus einem breiteren Publikum näher zu bringen.“ (Maar 1995: 14 f.) Der Preis dieser Popularisierung bestand von Anfang an in der Geringschätzung durch die E-Kultur. Für Gotthold Ephraim Lessing waren die Schriften banal und langweilig, galten „als schriftstellerisch und philosophisch minderwertige Elaborate“ (ebd.: 13). Unterhaltung
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gilt als minderwertig, beurteilt aus der Warte des Schriftstellers. Zugleich gilt genau dieses Kriterium der Unterhaltsamkeit als konstitutiv für den Journalismus. Journalismus ist – im Unterschied zur belletristischen Literatur – stets an ein Massenpublikum adressiert, muss dessen Massengeschmack treffen und bedienen. Die Veröffentlichung in deutscher, nicht länger in lateinischer Sprache dient der Öffnung und Erweiterung des Publikums, ermöglicht das Vordringen in breitere bürgerliche Kreise. In der Dualität von E- und U-Kultur ist Journalismus damit historisch als ‚Tagesschriftstellerei‘ und Schreiben für den Broterwerb eindeutig der U-Kultur zuzuordnen. Die Aktualitätsgebundenheit des journalistischen Schaffens lässt dieses minderwertig erscheinen im Vergleich zum zeitlosen, aktuelle Kontexte überschreitenden literarischen Werk. Auch die ökonomische Determiniertheit der U-Kultur charakterisiert den Journalismus im Vergleich zum literarischen Schaffen. Arbeitsteilige Produktion sowie eine strategische Orientierung am Publikums- und später am Anzeigenmarkt gehören zu den ökonomisch geprägten Kennzeichen der sich etablierenden Profession des Journalismus. Demgegenüber ist die literarische Produktion der E-Kultur geprägt vom individuellen Schaffen des Künstlers jenseits pragmatischer Überlegungen der Marktförmigkeit seines Produkts. Die Positionierung von Journalismus innerhalb der Gesellschaft ist in der Phase des Entstehens und der Etablierung professioneller Eigenständigkeit während des 18. und 19. Jahrhunderts vorrangig durch die Abgrenzung zur ‚Hochkultur‘ geprägt. Im 20. Jahrhundert verschiebt sich dieser Diskurs, indem die Dichotomie von E- und U-Kultur an Bedeutung verliert und sich statt dessen die Dichotomie von Information und Unterhaltung innerhalb des medialen Angebotes als bedeutungsprägend etabliert. Während also Journalismus in der Phase seiner professionellen Entstehung als minderwertig gegenüber Literatur, Kunst und Wissenschaft markiert war, verschiebt sich die Positionierung später grundlegend. Mit der Ausdifferenzierung massenmedialer Angebote durch das Entstehen elektronischer Medien und dem damit verbundenen Bedeutungszuwachs medialer Unterhaltungsangebote etabliert sich Journalismus als Instanz der Informationsproduktion. Damit grenzt sich Journalismus ab von Institutionen medialer Unterhaltungsproduktion. Er erlangt eine herausgehobene Position als Instanz
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zur Realisierung demokratischer Rechte der StaatsbürgerInnen. Diese mit gesellschaftlich relevanten Informationen zu versorgen, verleiht dem Journalismus innerhalb des Ensembles medialer Angebote eine privilegierte Stellung. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert beschreiben wir Journalismus als Bestandteil der U-Kultur im Gegensatz zur ‚echten‘ Kunst der E-Kultur. Im 20. Jahrhundert dagegen wird Journalismus positioniert als Instanz zur Bereitstellung gesellschaftlich relevanter Informationen im Gegensatz zur facettenreichen Präsentation von Unterhaltungsangeboten. An dieser Verschiebung der Dualitäten wird die je historisch und kulturell gebundene Konstruktion von Gegensatzpaaren unübersehbar. Neuere theoretische Erklärungsmodelle zur Bedeutung und Funktion von Unterhaltung in der medialen Kommunikation machen deutlich, dass Informations- und Unterhaltungsfunktionen im Rezeptionsprozess nicht voneinander zu trennen sind (vgl. Dehm/Storll 2003, Früh 2002, als Übersicht: Wünsch 2002). Die Dichotomie Information versus Unterhaltung basiert also auf einer intentionalen Kommunikatorperspektive. Im Gegensatz dazu erfolgt deshalb nachfolgend eine handlungstheoretisch fundierte Bestimmung von Unterhaltung. Sie bildet die Grundlage für eine Begriffsklärung aus der Perspektive der Cultural Studies.
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Eine handlungstheoretische Klärung des Unterhaltungsbegriffs
Ursula Dehm hat bereits 1984 mit ihrer Rezeptionsstudie zur Fernsehunterhaltung nachgewiesen, dass nur in einer kommunikator-orientierten Definition Unterhaltung eindeutig von Information abzugrenzen sei. Legt man eine rezipienten-orientierte Perspektive zu Grunde, so erweisen sich Information und Unterhaltung als komplementäre Bestandteile zahlreicher Fernsehangebote.
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„Das Publikum vollzieht die gängige Unterhaltungs-Informations-Dichotomie nicht nach. Daran hat sich auch im dualen System nichts geändert. Unterhaltung und Information werden in unterschiedlicher Gewichtung, jedoch von vielen gleichzeitig erlebt.“ (Dehm/Storll 2003: 425)
Dabei definiert sie Unterhaltung als eine „spezielle, von anderen zu unterscheidende Qualität einer Beziehung zwischen Personen und (Unterhaltungs-)Objekten.“ (Dehm 1984: 80, Hervorhebung i. O.) Gekennzeichnet ist diese Beziehung einerseits durch spezifische Eigenschaften der Personen, andererseits durch sozial und kulturell gebundene Merkmale der Gesellschaft. Damit lässt sich Unterhaltung nicht als statische Größe fassen. Was Unterhaltung ist, erweist sich im Prozess der Rezeption in Abhängigkeit von Text, Rezipient und Rezeptionskontext. Je nach Erwartungen am Wahlabend kann Schröders Auftritt in der Elefantenrunde als Information über den fortwährenden Machanspruch oder als unterhaltsame Entgleisung eines Medienprofis gesehen werden. Unterhaltung kennzeichnet eine spezifische Form der Interaktion zwischen Medientext und Rezipient. Diese existiert nicht unabhängig vom Medientext, wird aber durch diesen auch nicht eindeutig determiniert. Dehm und Storll (2003: 425) betonen dabei, dass Unterhaltungs- und Informationsleistungen den unterschiedlichen Medien keineswegs gleichwertig zugewiesen werden. Während dem Fernsehen primär der Unterhaltungsmodus zugeschrieben wird, gilt die Tageszeitung als Informationsmedium per se. Dabei leidet sie unter der Unterhaltungsabstinenz, die ihr anhaftet (vgl. Rager/Müller-Gerbes 1992). Ausgehend von diesem handlungstheoretisch fundierten Unterhaltungsbegriff bieten die Cultural Studies weitergehende Erkenntnisperspektiven, um das Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung aus einer Rezipientenperspektive näher zu beleuchten.
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Das Vergnügen im Blick der Cultural Studies
Ob sich die Unterhaltungs- und/oder Informationsleistung im Prozess der Rezeption realisiert, hängt nicht allein vom Medientext oder den Absichten der Kommunikatoren ab, sondern gleichermaßen vom Rezipienten, seinen Nutzungsmotiven, Nutzungsgewohnheiten und der spezifischen Nutzungssituation. So hat die Soap-Opera-Forschung gezeigt, dass mit
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der Rezeption von Daily Soaps vielfältige Vergnügen einher gehen (vgl. zur Übersicht: Klaus 1998: 321-373). Diese umfassen auch Rezeptionsleistungen, die traditionell Informationsangeboten zugewiesen werden. So findet ausgehend vom Medientext eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation statt, es setzt eine reflektierende Bearbeitung sozialer Themen und Konflikte ein, die in der Soap Opera angesprochen werden. Je alltagsnäher die in der Soap Opera behandelten Themen sind, desto mehr gewinnen diese Angebote Bedeutung als „Anknüpfungspunkte für eine soziale Orientierung“ (Gleich 2001: 526). Gleichzeitig wird auch der Rezeption von Nachrichtensendungen unterhaltende Funktion zugesprochen (vgl. Mangold 2000). So haben gewalt- und aggressionsgeladene Nachrichten emotionalisierende Effekte und wirken auf dieser Grundlage unterhaltend. Zugleich werden Formen des Reality TV, die sich vorrangig mit Gewalt und Unfällen beschäftigen (z.B. Notruf, Aktenzeichen XY), von jugendlichen Rezipienten als Informationsquelle bewertet (vgl. Gleich 2001). Gleichermaßen gelten Talkshows – unter ihnen in besonderer Weise Daily Talks – vor allem jugendlichen Fernsehzuschauern als authentische Quelle sozialer Informationen (vgl. PausHaase u.a. 1999). In dem beständigen Abgleich des eigenen Verhaltens mit jenem der Talkshow-Gäste findet eine vergnügliche Auseinandersetzung mit sozialen Rollen und Regeln statt. Information und Unterhaltung vermischen sich dabei beständig. Auf diese Weise wird sichtbar – und zu dieser Erkenntnis haben die Cultural Studies vielfältig beigetragen –, dass Unterhaltung als spezifische Form der Rezeption und Aneignung ganz unterschiedlicher Medientexte entstehen kann. Insbesondere John Fiske (1989) hat sich mit dem Vergnügen der Rezeption populärkultureller Texte beschäftigt. Er hebt dabei das Potenzial widerständiger Interpretationsweisen dominanter Diskurse hervor. Der polyseme Gehalt populärkultureller Texte ermöglicht vielfältige Deutungsweisen. Das Vergnügen im Rezeptionsprozess entsteht in besonderer Weise durch die Entwicklung eigenständiger, abweichender, die hegemoniale Ordnung bedrohender Deutungen. Es ist eine Lust der Subversion, des Ausbrechens aus der sozialen Ordnung, die hier zur Triebfeder des populärkulturellen Medienkonsums wird (vgl. Fiske 2001). Insbesondere die feministisch inspirierten Cultural Studies haben diese Aspekte in der Auseinandersetzung mit der Rezeption von Soap Ope-
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ras, Frauenzeitschriften oder Liebesromanen betont. Dabei gilt es gleichzeitig, vor einer Verklärung zu warnen: Das Rezeptionsvergnügen grundsätzlich als utopisches Potenzial, als befreiend, als widerständig, als potenziell feministisch zu bezeichnen, verkennt einerseits die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Produktions- und Rezeptionsseite. Andererseits verklärt dieses Vorgehen die Einzelhandlung der abweichenden Deutung zur standardmäßig vollzogenen Handlung der Mehrheit des Publikums. Formen der widerständigen Rezeption sollen hier deshalb nicht idealisiert oder zum Massenphänomen erklärt werden, sie machen jedoch deutlich, dass es eine unmittelbare Verbindung zwischen populärkulturellem Vergnügen und gesellschaftlichen Macht- und Hegemoniefragen gibt (vgl. O’Connor/Klaus 2000: 377f). Je stärker boulevardjournalistische Formate und Hybridgenres auf narrative und dramaturgische Strukturen populärkultureller Texte zurückgreifen, um so bedeutsamer werden diese Formen des Vergnügens auch bei der Rezeption journalistischer Angebote. Je weniger sich journalistische Angebote dieser Mittel bedient, desto mehr reduziert sich das Vergnügen des Lesens zwischen den Zeilen auf eine intellektuellanalytische Tätigkeit und verschließt sich damit einem beträchtlichen Teil des Publikums. Mit dieser Erkenntnis wird unübersehbar, dass sich Fragen des (subversiven) Vergnügens bei der Rezeption von Medientexten nicht allein auf fiktionale Medienangebote beschränken. Auch non-fiktionale Medienangebote beinhalten das polyseme Potenzial widerständiger Deutungsmuster, das zur Grundlage vergnüglicher Rezeptionserfahrungen werden kann. Das Entdecken eigenständiger, oppositioneller oder abweichender Lesarten von Texten gehört zu den frühen Erkenntnissen der Cultural Studies (vgl. Hall 1999, Morley 1999). Dass diese Deutungsmacht des Publikums über non-fiktionale Texte mit Gefühlen des Vergnügens verbunden sind, mithin zur Unterhaltung beiträgt, haben O’Connor/Klaus (2000: 373) mit dem Begriff „pleasure of meaning“ zum Ausdruck gebracht. Sie konstatieren jedoch zugleich, dass diesem Phänomen bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Zu sehr war der Blick fokussiert auf Aspekte der Aneignung relevanten Wissens durch die Bürger und Bürgerinnen mittels nonfiktionaler Medienangebote. Betrachtet man jedoch genau diese Mög-
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lichkeiten der Wissens- und Erfahrungsaneignung als (potenziell) widerständiges, kreatives Deutungshandeln, so sind Vergnügen und Macht, Unterhaltung und Wissen unmittelbar miteinander verbunden. Empirisch ist dieser Zusammenhang in neueren Rezeptionsstudien von Talkshows, insbesondere Daily Talks nachgewiesen worden. So wird dieses Genre von Jugendlichen als Informationsangebot bewertet, dabei changiert ihr eigenes Rezeptionsverhalten zwischen „Ironie und Involvement“ (Keuneke 2001). Das Genre ermöglicht also, gleichermaßen eine affirmative wie auch eine ironisch-distanzierte Haltung gegenüber den präsentierten Personen und Themen einzunehmen. Mit der Positionierung des eigenen Selbst gegenüber den medial präsentierten Rollenskripten erfolgt somit eine lustvoll-kreative Verhandlung von Deutungsmacht. Wem die trivial-alltäglichen Themen der Daily Talks zu wenig gesellschaftlich relevant erscheinen, der möge statt dessen sein eigenes Rezeptionsverhalten beim Late-Night-Talk Harald Schmidt beobachten. In vergleichbarer Weise bieten sich bei diesem Format vielfältige Möglichkeiten der identifizierenden oder ablehnenden, jedoch zumeist vergnüglichen Positionierung zu den Deutungsangeboten des Moderators (vgl. Lünenborg 2005: 139ff.). In den Studien zur Rezeption von Fernsehnachrichten sind diese Aspekte des Vergnügens bislang kaum berücksichtigt worden. Auch hier geht es um Identifikationsprozesse. Sie finden in der Regel auf einem abstrakteren Level statt und umfassen Formen der Definition von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit – Inklusion und Exklusion. Unübersehbar wird dieser Prozess bei der Rezeption von Boulevardjournalismus. Konstruktionen des „Wir“ und „Ihr“, die Differenzierung zwischen Machtvollen und Betroffenen gehört zum zentralen Bestand populärkultureller Diskurse (vgl. Langer 1998). Das Vergnügen der Rezeption dieser Texte besteht in der Mischung aus unmittelbaren Identifikationsangeboten auf der einen Seite. Auf der anderen Seite beinhalten die Texte Möglichkeiten der Dekonstruktion dieser Differenz zwischen „Wir“ und „Ihr“. Durch Stilmittel wie Übertreibungen oder extreme Stereotypisierungen werden solche abweichenden Deutungen nahe gelegt. Das Vergnügen der Rezeption und damit der unterhaltsame Wert dieser Texte ist verbunden mit der Möglichkeit der Ausübung von Deutungsmacht. Un-
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terhaltung und Ideologie sind keine voneinander zu trennende Dimensionen. Journalismus realisiert damit auch durch das Ausmaß an Unterhaltung, das er bietet, einen Beitrag zur Konstituierung gesellschaftlicher Identität als Bürger und Bürgerin. Unterhaltung ist somit nicht verzichtbares, gar störendes Beiwerk von Journalismus, sondern essenzieller Bestandteil. Zugehörigkeit zu Gruppen, (Sub)Kulturen, zur nationalstaatlichen wie zur Welt-Gesellschaft entsteht in der Verschränkung von Ideologie und Unterhaltung. Der schwedische Kommunikationswissenschaftler Mats Ekström beschreibt diese vielfältige Funktion von Journalismus pointiert: „If journalism [was] only or even primarily, communicated within the framework of the informative mode of communication, it would hardly have the audience it has today. Indeed, it would most probably be a rather marginal phenomenon. There is not enough information of urgent importance (for the audience, ML) to warrant daily consumption of journalism.“ (Ekström 2000: 489)
Ekström unterscheidet auf dieser Grundlage den informativen, narrativen und perfomativen Kommunikationsmodus als gleichwertige Bestandteile des aktuellen Journalismus (vgl. dazu weitergehend Lünenborg 2005: 146-167). Das Primat der Information im Journalismus beruht, wie oben dargestellt, auf der Funktionszuschreibung, Journalismus ermögliche in besonderer Weise Bürgern und Bürgerinnen das verantwortungsvolle Agieren in der Demokratie. Die öffentliche Aufgabe des Journalismus ist damit an das besondere Verhältnis von Politik und Journalismus gebunden. Hier liegt das Kerngeschäft des Journalismus; in diesem Bereich müssen sich seine spezifischen Privilegien legitimieren. Mögen auch Formen des Ratgeber- und Reisejournalismus unterhaltungsorientiert gestaltet sein, der Kern des journalistischen Tätigkeitsfeldes bleibt davon weitgehend ungerührt, so die normative Argumentation. Neuere Auseinandersetzungen in der Politikwissenschaft verschieben diese Sichtweise grundlegend. Sie fokussieren statt dessen das Verhältnis von Politik und Unterhaltung. Aus der Perspektive der Cultural Studies bedarf damit das Dreieck Journalismus – Politik – Unterhaltung einer besonderen Betrachtung.
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Politik – Journalismus – Unterhaltung: Unterhaltung als politische Kommunikation
Andreas Dörner (2001) hat für das gegenwärtige Verhältnis von Politik und Unterhaltung eine neue Wortkreuzung geschaffen: Politainment. „Politainment bezeichnet eine bestimmte Form der öffentlichen, massenmedial vermittelten Kommunikation, in der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnentwürfe im Modus der Unterhaltung zu einer neuen Realität des Politischen montiert werden.“ (Dörner 2001: 31)
Diese Wortkreuzung verbleibt – ähnlich wie schon früher der Begriff des Infotainment (vgl. Wittwen 1995) – bei der unspezifischen Beschreibung einer Gleichzeitigkeit von unterhaltender Politik und politischer Unterhaltung. Da hierbei Begriffe aus zwei gesellschaftlichen Sinnbezirken (oder, systemtheoretisch gesprochen: sozialen Systemen) – dem Mediensystem und der Politik – zusammenkommen, lässt sich das Ergebnis, Politainment, nicht auf ein Produkt, einen Medientext oder einen Entstehungsprozess beschränken. Politainment umfasst vielmehr prozessual die Entgrenzung zweier gesellschaftlicher Sinnbezirke. Es charakterisiert die Wandlung des Politischen in der Mediengesellschaft in seiner Bedeutung für politische Akteure ebenso wie für die sich als Publikum sowie als Wählerschaft konstituierende Öffentlichkeit. Dörner stellt damit das politisch Imaginäre gleichwertig neben das politisch Reale. Er fasst politische Kultur als ein semiotisches Konzept. „Politischer Sinn wird hier durch Symbole, Mythen und Rituale kommuniziert und tradiert, d.h. zeichenhaft auf Dauer gestellt.“ (Dörner 2000: 151) Dem politisch Imaginären kommt die Funktion zu, Entwürfe und Visionen des Politischen zu gestalten, die nicht real sind, gleichwohl beständig auf die reale politische Welt bezogen bleiben. Die aktuelle politische Kultur wird aus dieser Perspektive durch zweierlei Phänomene maßgeblich gestaltet. Einerseits prägen Formen des politischen Handelns, die an den Inszenierungs- und Kommunikationsregeln der Unterhaltungsindustrie ausgerichtet sind, den öffentlichen Diskurs. Ob Parteitag oder Wahlkampfdramaturgie – das physisch anwesende Publikum rückt in seiner Bedeutung in den Hintergrund gegenüber dem massenhaften Medienpublikum, für das das Ereignis in Szene gesetzt wird. Andererseits gewinnen Formen fiktionaler Medienangebote, die politische
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Themen, Figuren oder Narrationen aufgreifen, gleichwertig an Bedeutung bei der Gestaltung des politischen Diskurses. Die Unterscheidung zwischen Faktischem und Fiktionalem erscheint bei dieser Auseinandersetzung mit der Entwicklung politischer Kultur nicht länger sinnstrukturierend (vgl. dazu Lünenborg 2005: 168-200). Das Publikum ebenso wie die handelnden Akteure ist mit beiden Formen des Politainment vertraut, Wechselwirkungen sind dabei erwünscht und unvermeidlich. So nutzen Politikerinnen und Politiker das Repertoire populärkultureller Medienangebote, um ihre eigenen Auffassungen und stärker noch ihr Image massenmedial zu kommunizieren. Bundeskanzler Gerhard Schröder als Gast der Daily Soap Gute Zeiten, Schlechte Zeiten sowie der Samstagabend-Show Wetten Dass? oder FDP-Chef Guido Westerwelle als Besucher des Big Brother-Container stehen für diese Grenzüberschreitung zwischen Politik und Populärkultur (vgl. Brosda 2002, für weitere Beispiele aus der bundesdeutschen und der US-amerikanischen Politik vgl. Dörner 2001: 11-30 sowie Dörner 1998: 33-35). Zum selben Bereich gehört die Adaption von Inszenierungs- und Dramatisierungsregeln der Unterhaltungsindustrie für die Gestaltung politischer Ereignisse. Das politische Ereignis wird nach den Regeln der massenmedialen Unterhaltungsindustrie entworfen, gestaltet und performativ realisiert. Die andere Seite des Politainment besteht in der Kommunikation politischer Ideale, Helden oder historischer Ereignisse in fiktionalisierter Form in Medienangeboten der Unterhaltungsindustrie. Dieses Vorgehen ist ausführlich für die Thematisierung von Krieg in populärkulturellen Angeboten diskutiert worden. So ist in den USA die nachträgliche Auseinandersetzung mit dem Vietnam-Krieg maßgeblich durch ein Repertoire von Kinofilmen bestimmt worden (vgl. dazu ausführlich: Holert/Terkessidis 2002: 23-68). Auch im Anschluss an den dritten Golfkrieg entstanden populärkulturelle Erzählungen: Die „Jessica LynchShow“ (Osang 2003) stellt eine solche Form der Kommunikation politischer Kultur durch fiktionalisierte Medienangebote dar. Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass auch für den Bereich der politischen Kommunikation als normativem Kern journalistischer Kommunikation eine Trennung zwischen Information und Unterhaltung nicht überzeugen kann. Die Herstellung politischer Kultur ist aktuell nur im
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Zusammenwirken unterschiedlicher gesellschaftlicher Sinnbezirke zu beschreiben und zu erklären. Politische Kommunikation realisiert sich im Zusammenwirken von Politik, Unterhaltungsindustrie und Journalismus. Mit der Orientierung der Politik an Kommunikations- und Inszenierungsregeln der Unterhaltungsindustrie verliert Journalismus als Vermittler zwischen Politik und Öffentlichkeit an Relevanz. Nicht die nachrichtlich-neutrale Vermittlung von Informationen aus der Sphäre der Politik an das Publikum ist die zentrale oder gar alleinige Kommunikationsweise. An die Seite jener traditionellen journalistischen Kommunikationsform sind andere getreten. An Bedeutung gewinnen performative und narrative Formen der Kommunikation, die mittels PR von der Politik an die Öffentlichkeit kommuniziert werden.
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Fazit
Aus der Rezipientenperspektive sind – das lehren uns Befunde der Kommunikationswissenschaft – Information und Unterhaltung unauflöslich miteinander verbundene Bestandteile des Kommunikationsprozesses. Eine aus dem Produktionsbereich übertragene, trennscharfe Unterscheidung von Information und Unterhaltung erscheint damit auch für journalistische Angebote nicht angemessen. Betrachtet man das gesamte Repertoire journalistischer Genres, Inhalte und Angebote, so erweist sich Unterhaltung nicht als ‚verunreinigender‘ Störfaktor im Journalismus, sondern als integraler Bestandteil, der historisch erforderlich war, um Journalismus für ein Massenpublikum attraktiv zu machen. Das gilt auch für den normativen Kernbereich des Journalismus, die politische Berichterstattung. Betrachtet man heute die symbiotische Verzahnung von Unterhaltung und Politik, so lässt sich die Funktion von Journalismus nicht reduzieren auf die der Übermittlung von Informationen zum Zwecke der staatsbürgerlichen Aufklärung. Vielmehr liefert Journalismus mit und durch Unterhaltung im besten Falle jene Mischung aus Orientierung, Ablenkung, Analyse und Irritation, die ein Publikum jeden Tag aufs Neue neugierig auf das Neueste vom Tage sein lässt.
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Alexander Görke
Argwöhnisch beäugt Interrelationen zwischen Journalismus und Unterhaltung 1
Einleitung
Journalismus unterhaltsam und Unterhaltung informativ zu finden, dürfte in jedem Fall einfacher sein, als diese Beobachtungen in eine konsistente und trennscharfe theoretische Modellierung zu überführen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Unterhaltungserleben in einem sehr weiten Sinne als Kulturtechnik (vgl. Schmidt 2003: 326; Früh 2002; Früh/ Wünsch/Klopp 2004: 515) verstanden wird und man gleichzeitig nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass jede Kommunikation auch journalistisch sein kann. Ausgehend vom Journalismus hätte eine solche Perspektivierung nämlich nicht nur Unterhaltung von Kommunikation abzusetzen, sondern auch aufzuzeigen, wie sich unterhaltsame von weniger unterhaltsamerer journalistischer Kommunikation unterscheiden ließe (vgl. Klaus 1996; Renger 1999: 296) und wie sich obendrein die Unterhaltsamkeit journalistischer Angebote von derjenigen politischer, wissenschaftlicher oder gar wirtschaftlicher Kommunikationsofferten abgrenzen lässt. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Zuhilfenahme technischer Verbreitungsmedien als Grenzkriterium für soziale, physische oder psychische Phänomene (qua Exklusion nicht-medial vermittelter Kommunikation) – etwa durch die Modellierung einer Unterhaltungstheorie für TV- oder Printmedien – als nicht zwingend angesehen werden kann (vgl. hierzu Görke/Kohring 1997; Früh 2002; Kohring 2004: 192ff.). Durchaus vergleichbare Modellierungsprobleme treten auch auf, wenn, wie im vorliegenden Beitrag, Journalismus und Unterhaltung systemtheoretisch begründet – in einem vergleichsweise engen Sinne – als
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Alexander Görke
öffentliche Kommunikation verstanden werden. Eine solche Perspektivierung hat etwa zu zeigen, wie sich Unterhaltung von anderen Formen öffentlicher Kommunikation (z.B. Journalismus, Public Relations, Werbung) unterscheidet und wie es trotz dieser Differenzen zu Formen der Hybridisierung (z.B. Infotainment) kommen kann. Anders als andere Modellentwürfe, die sowohl Unterhaltung (vgl. Bosshart/HoffmannRiem 1994) als auch Journalismus (vgl. Rühl 1980; Blöbaum 1994, Luhmann 1996) verschiedentlich mit dem Begriff Öffentlichkeit verbinden, ist der Zugang im vorliegenden Beitrag jedoch kein journalismusoder unterhaltungstheoretischer. Die Frage, wie sich Journalismus und Unterhaltung von einander abgrenzen lassen und warum diese Grenzziehungen heutzutage kontingenter erscheinen als früher, wird vielmehr öffentlichkeitstheoretisch entwickelt, indem Öffentlichkeit als Funktionssystem beschrieben wird, das im Zeitverlauf verschiedene Leistungssysteme ausdifferenziert hat. Auf der Basis dieser Beobachtungen soll gezeigt werden, dass Hybridisierung keineswegs nur das System Journalismus betrifft und – insbesondere in evolutionärer Hinsicht – genauso wenig (vorschnell) als dysfunktional einzustufen ist.
2
Öffentlichkeit als Funktionssystem
Ausgangspunkt einer systemtheoretischen Analyse von Öffentlichkeit ist die Frage nach den (internen wie externen) Bedingungen der Möglichkeit öffentlicher Kommunikation. Darin wird deutlich, dass sich Struktur, Aufbau und Operationsweise eines gesellschaftlichen Teilsystems nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Umwelt betrachten lässt. In diesem Sinne ist moderne Öffentlichkeit unhintergehbar durch die Strukturen der modernen funktional differenzierten Gesellschaft geprägt. „Funktionale Differenzierung“, so Willke (1993: 55), „zersplittert die Gesellschaft in eine Vielzahl spezialisierter, partiell autonomer Teile, deren Eigendynamik und zentrifugale Tendenz das Problem der Einheit und Integration von Gesellschaft stellen.“ Dies gereicht der Gesellschaft jedoch nicht, wie man vermuten könnte, zum Nachteil, sondern begründet im Gegenteil ihre besondere Leistungsfähigkeit und Effizienz. Der funktional differenzierten Gesellschaft gelingt es so, ihre Kapazität, je neue und je unterschiedliche Kommunikation entstehen zu lassen
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und diese auch verarbeiten zu können, entscheidend zu vergrößern. „Durch Systemdifferenzierung wird“, wie Nassehi (1993: 257) treffend formuliert, „die Unmöglichkeit, dass Unterschiedliches gleichzeitig geschieht, quasi dadurch unterlaufen, dass die Gleichzeitigkeit verschiedener Systeme die Gleichzeitigkeit von Verschiedenem ermöglicht“ (vgl. Luhmann 1990a: 95 ff.).1 Gesellschaft ist demnach hochgradig komplex verfasst: nicht nur in der Sach- und Sozialdimension, sondern vor allem in der Zeitdimension. Bedenkt man zudem, dass sich zumindest in systemtheoretischer Hinsicht Gesellschaft immer nur kommunikativ ereignet und für jede Organisation bzw. Institution, die das Gemeinwesen symbolisiert, entsprechendes gilt, wird deutlich, dass wir es mit einer „Gesellschaft der Gegenwarten“ (Nassehi 2003: 188) zu tun haben. Mit der Gleichzeitigkeit von Verschiedenem ist zugleich jenes zentrale Strukturmerkmal der Moderne benannt, das die Zunahme gesellschaftlicher Komplexität für die Gesellschaft selbst zum Problem werden lässt: Funktionale Differenzierung steigert einerseits Interdependenzen und damit die Vernetzung des Gesamtsystems, da jedes Funktionssystem voraussetzen muss, dass andere Funktionen anderswo erfüllt werden. Diese Integration ist jedoch fragil, da sie mit dem Risiko des Redundanzverzichts belastet ist (vgl. Luhmann 1990b: 341). Das heißt, die funktional differenzierte Gesellschaft wird in einem Zug leistungsfähiger und störanfälliger. Auf genau dieses Problem reagiert die Gesellschaft auf die einzig ihr mögliche Weise: durch die Ausdifferenzierung eines weiteren Funktionssystems. Das damit skizzierte Bezugsproblem besteht in der Ermöglichung der Beobachtung von Grenzen. Dieses Bezugsproblem wird in der modernen Gesellschaft exklusiv vom Funktionssystem Öffentlichkeit bearbeitet. Öffentlichkeit als Funktionssystem entsteht demnach als Reaktion auf den durch funktionale Differenzierung aufgeworfenen Synchronisationsbedarf.2 Öffentlichkeit erfüllt eine Synchronisationsfunktion, indem sie 1
2
Die Folgen dieser anhaltenden Ausdifferenzierungsprozesse für die moderne Gesellschaft lassen sich stichwortartig als Multiperspektivität, Hyperkomplexität, Systemrelativität, Heterarchie, Kontingenz und Risiko bezeichnen (vgl. Fuchs 1992). Der hier vorgeschlagene funktionale Öffentlichkeitsbegriff steht in scharfem Gegensatz zum traditionellen Verständnis von Öffentlichkeit: Dieses amalgamiert Öffentlichkeit zum einen mit Staatlichkeit und zum anderen mit Vernünftigkeit. In diesem Verständnis ist der Staat das, worauf die öffentliche Meinungs- und Entscheidungs-
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Irritationsroutinen anderer Funktionssysteme momenthaft unterbricht, deren Grenzziehung fremdbeobachtet und diese wiederum mit der Kontingenz der eigenen Grenzziehung konfrontiert (vgl. Görke 1999: 287ff.). Den von Öffentlichkeit beobachteten Funktionssystemen werden auf diese Weise überraschende und außerplanmäßige Möglichkeiten der systeminternen Anschlusskommunikation eröffnet und zugemutet, die die auf diese Weise beobachten Systeme nicht selbst realisieren könnten. Öffentliche Kommunikation gewinnt ihre Identität mithin durch ein generalisiertes Sinn- und Kommunikationsmedium, das durch eine binäre Leitcodierung entfaltet wird, und nicht etwa durch den Umstand, dass sie durch technische Verbreitungsmedien ermöglicht werden (vgl. hierzu kritisch Görke/Kohring 1997). Ein Kennzeichnen dieser Konzeptualisierung von Öffentlichkeit als Funktionssystem (vgl. auch Kohring 1997, Hug 1997; Kohring 2004: 195ff.) kann folglich darin gesehen werden, dass sie sowohl für informelle Kommunikation (etwa im Verständnis von Merten 1999: 103ff.) als auch für medienvermittelte Kommunikation gilt und darüber hinaus unterschiedslos auch auf verschiedene technische Verbreitungsmedien angewandt werden kann (vgl. Merten 1999: 223ff.). Zwischen Print-, Hörfunk-, Fernseh- und Internetkommunikation zu unterscheiden macht in dieser Perspektive öffentlichkeitstheoretisch wenig Sinn. Sehr wohl sinnvoll kann es dagegen sein, die Art der technischen Vermittlung öffentlicher Kommunikation als selektive Größe im Kommunikationsprozess zu berücksichtigen. Ob öffentliche Kommunikationsofferten verfangen oder nicht, ob sie Anschlusskommunikation initiieren oder nicht, hängt entscheidend von der Identifizierbarkeit öffentlicher Kommunikation und nicht von der Art ihrer Mitteilung oder Verbreitung ab.
bildung vorgeblich abzielt, und Vernunft gilt als das, worauf die Öffentlichkeit sich beruft, um diese Meinung und Entscheidungen mit Gründen zu versorgen (vgl. Baecker 1996: 89).
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3
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Journalismus und Unterhaltung als Leistungssysteme
Funktionssysteme müssen, um ihre Funktion erfüllen zu können, weitere systeminterne Strukturierungen vornehmen. Ganz basal müssen Funktionssysteme in der Lage sein, Inklusionsprozesse erfolgreich organisieren zu können. Dies geschieht zuvorderst durch die Ausdifferenzierung von organisierten Leistungsrollen (Leistungssystemen) und Publikumsrollen, die passgenau auf das jeweilige generalisierte Kommunikationsmedium zugeschnitten sind. Im Folgenden soll die Verschränkung dieser beiden Inklusionsmechanismen aufgezeigt und auf die Binnendifferenzierung des Systems Öffentlichkeit bezogen werden, bevor dann in einem weiteren Schritt auf die Binnendifferenzierung der Leistungssysteme eingegangen werden wird. Im Funktionssystem Öffentlichkeit fungiert neben Journalismus auch Unterhaltung als Leistungssystem (vgl. Görke 2002). Luhmann (1996) zufolge lässt sich zudem auch PR/Werbung als Programmbereich öffentlicher Kommunikation bezeichnen.3 Anzumerken ist indes, dass sich – bei sonst großer Ähnlichkeit in der Argumentation – die einzelnen Beschreibungen des Funktionssystems Öffentlichkeit darin unterscheiden, ob sie neben dem Journalismus auch noch andere Leistungssysteme öffentlicher Kommunikation beschreiben. Kohring und Hug (1997) gehen beispielsweise nicht soweit, auch Unterhaltung als eigenständiges Leistungssystem zu beschreiben.4 Durch die Ausdifferenzierung der Leistungssysteme Journalismus und Unterhaltung wird öffentliche Kommunikation zunächst auf Dauer gestellt und somit die Wahrscheinlichkeit entscheidend erhöht, dass die Komplexitätsgewinne, die sich durch öffentliches bzw. journalistisches 3
4
Konkurrierende Modellentwürfe sehen hingegen Public Relations und Werbung als unterscheidbare soziale Kommunikationssysteme, denen teilweise – wenn auch nicht durchgängig – Funktions- bzw. Leistungssystemstatus zugeschrieben wird (vgl. hierzu etwa Ronneberger/Rühl 1992; Hoffjann 2001; Zurstiege 2002; Görke 2006) Diese Vereinnahmung des Öffentlichkeitsbegriffs für letztendlich journalistische Kommunikation ist jüngst von Malik (2004: 40) kritisiert worden: „Die Positionierung von Journalismus als einzigen Leistungssystem von Öffentlichkeit ist insofern problematisch, als dass öffentliche Kommunikation nicht exklusiv über Journalismus, sondern auch durch andere Formen medial vermittelter Kommunikation initiiert werden kann.“ Vergleiche für einen Versuch, neben Journalismus und Unterhaltung auch PR und Werbung im Funktionssystem Öffentlichkeit zu verorten, Görke (2007).
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Beobachten erzielen lassen, auch morgen noch Anschlusskommunikation motivieren können. Wäre dem nicht so, könnte die Funktion von Öffentlichkeit nur sporadisch bedient werden und alle Chancen und Risiken, die sich aus der mit öffentlicher Kommunikation verbundenen Operation der Öffnung (vgl. Baecker 1996) für andere Funktionsbereiche der Gesellschaft (Politik, Recht, Wissenschaft, Wirtschaft) systematisch ergeben, blieben dem Zufall überlassen. Wem diese Beschreibung zu technisch anmutet, der mag sich mit der Vorstellung eines Öffentlichkeitssystems behelfen, das ausschließlich durch dyadische und Gruppenkommunikationen konstituiert wird (vgl. Merten 1999: 118ff.). Dass ein derart rudimentäres Öffentlichkeitssystem gleichfalls in der Lage wäre, etwa Politik zu kontrollieren, über wirtschaftliche Krisen zu informieren und wissenschaftliche Neuerungen publik zu machen, erscheint punktuell durchaus möglich, gesamtgesellschaftlich aber prekär personenabhängig, hoch störanfällig und auf Dauer unwahrscheinlich. Ein rudimentäres Öffentlichkeitssystem ist in anderen Worten mit einer funktional differenzierten Gesellschaft überfordert, die längerfristige Handlungsketten der Planung und Organisation erforderlich macht und die von Öffentlichkeit mit einer gewissen Verlässlichkeit synchronisierende Irritationsimpulse erwarten können muss. Der Hinweis auf die prekäre Notwendigkeit der Generierung von Anschlusskommunikation – nicht nur seitens des Funktionssystems Öffentlichkeit – zeigt, dass öffentliche Kommunikation nicht als statisch, sondern als dynamisch und prozesshaft verstanden werden muss. Öffentliche Kommunikation gewinnt ihre Identität durch das generalisierte Kommunikationsmedium der Aktualität. Journalismus wird hierbei durch den Präferenzwert des Codes (+ aktuell), Unterhaltung durch den Reflexionswert öffentlicher Kommunikation ( aktuell) co-dirigiert (vgl. Tabelle 1). Dem unterliegt die Beobachtung, dass Codes zwar binär verfasst sind, aber eben nicht nur zwei Zustände zulassen. Die Codewerte sind somit nicht als absolute Setzungen zu verstehen, sondern als ein von Präferenz- und Reflektionswert begrenztes Kontinuum, dessen Spezifizierung im Einzelnen durch die Programmierung geleistet werden muss. Journalismus und Unterhaltung nutzen mit anderen Worten, ohne die Integrität des Codes zu verletzen, unterschiedliche Kontinuumsbereiche öffentlicher Kommunikation. Sowohl Journalismus als auch Unter-
Interrelationen zwischen Journalismus und Unterhaltung
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haltung fungieren demnach als Formgeber im Medium der Aktualität und werden gleichzeitig hinsichtlich der Einheit der Differenz (r aktuell) unterscheidbar. Der gesellschaftliche Synchronisationsbedarf, der zunächst die Ausdifferenzierung des Funktionssystems Öffentlichkeit ermöglicht hat, findet solchermaßen in der journalistischen Aktualitätskonstruktion und der an sie gebundenen unterhaltenden Möglichkeitskonstruktion seine professionelle Entsprechung (vgl. Görke 2002: 73 ff.). Indem Journalismus Aktualität konstruiert, synchronisiert er (Welt-) Gesellschaft: sachlich und sozial, vor allem aber temporal. Unterhaltung nutzt diese Reduktion der Komplexität zur eigensinnigen Produktion von Kommunikationsangeboten. Tabelle 1: Journalismus und Unterhaltung als öffentliche Subsysteme Code Programm
x x x x x
Journalismus + Aktualität Kopie/Varianz/Routinen Ordnungsprogramme Darstellungsprogramme Selektionsprogramme Prüfprogramme
Unterhaltung – Aktualität x Kopie/Varianz/Routinen x Genre/Gattungen x Narrationsprogramme x Präsentationsprogramme - Kamera/Licht - Schnitt/Montage - Ton/Sound - Spezialeffekte
Operatives Displacement
x Fokus: Information
x Fokus: Mitteilung
Funktion
(IIIIIM – IIIMMM) x Synchronisation (Aktualitätskonstruktion)
(MMMMMI – MMMIII) x Synchronisation (Möglichkeitskonstruktion)
Der Umstand, dass sich Systeme (öffentlicher Kommunikation) nur über Kommunikation von einander unterscheiden und sich auch nur durch Kommunikation selbsterhalten können, lenkt den Blick auf Prozesse und Strukturen, die die Annahmewahrscheinlichkeit funktions- und leistungssystemspezifischer Kommunikation, ihr Inklusionspotential, steigern. Aus Funktionssystemperspektive gilt daher: Mindestens genauso wichtig wie die Ausdifferenzierung mindestens einer Leistungsrollen ist die Ausbildung von mindestens einer Publikumsrolle.5 Die Publikums5
Erst „beide Rollen zusammen bilden die Totalität von funktionssystemspezifischen Inklusionsrollen.“ (Stäheli 2004: 179)
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rolle kann im Vergleich zur Leistungsrolle jedoch als vergleichsweise voraussetzungsarm eingestuft werden, da sie die allgemeinste Zugangsbedingung zum Funktionssystem darstellt. Dies führt uns zunächst zu der eigentümlich anmutenden Einsicht, dass die Leistungssysteme Journalismus und Unterhaltung allein nicht kommunizieren können und unterstreicht gleichzeitig den Stellenwert des Publikums für das Zustandekommen öffentlicher Kommunikation (vgl. Marcinkowski 1993: 78; Görke 1999: 309; Scholl 2004: 528ff.).6 In einem weiteren Schritt kann hierbei einkalkuliert werden, dass die jedem Funktionssystem eingeschriebene Universalitätsansprüche (vgl. Nassehi 2003; Görke 2005: 55ff.) sich sowohl auf die Leistungs- als auch auf die Publikumsrolle beziehen und sich nur dann – angesichts dynamischer Umweltbedingungen – aufrechterhalten lassen, wenn sich Leistungs- und Publikumsrollen wandeln: „Dieses Problem wird um so gravierender, wenn wir beachten, dass die Universalität eines Funktionssystems nicht ein einmal erreichter Zustand ist, sondern als Universalisierungsprozess zu verstehen ist – als ständige Ausweitung von Universalitätsstandards und als damit verbundene Re-Definition von Inklusionskriterien.“ (Stäheli 2004: 172) Mit Blick auf die Inklusionsinteressen des Funktionssystems lässt sich die Variabilität der Leistungs- und Publikumsrollen als Komplement der symbiotischen Mechanismen lesen, durch die im Rückgriff auf Körper die Durchsetzungsfähigkeit des Sinnmediums erhöht wird (vgl. Görke 1999: 318ff.). Während bei symbiotischen Mechanismen jedoch gleichsam der Zwangscharakter des sozialen Systems aufscheint, kommen hierbei die auf noch nicht inkludierte Kommunikationsadressen abzielenden Verführungskünste des Funktionssystems zum Tragen. Für die Binnendifferenzierung des Funktionssystems Öffentlichkeit darf somit angenommen werden, dass sich Unterhaltung und Journalismus hinsichtlich ihrer Publikumsrollen unterscheiden.7 Sozialverbindlichkeit, Faktizität, Relevanz, Neuigkeit (vgl. Weischenberg 1994; Malik 2004: 81f.) beschreiben in diesem Sinne Erwartungserwartungen des Publi6
7
Der von Klaus/Lünenborg (2000: 195f.) erhobene Vorwurf, speziell die systemtheoretische Journalismusforschung vernachlässige die Perspektive des Publikums, hätte sich angesichts der Literaturlage (von den Autorinnen selbst) schnell zu den Akten legen lassen. Hierzu tragen entscheidend auch die Unterschiede bei, die sich auf der Organisationsebene der beiden Leistungssysteme ergeben (vgl. Kap. 4).
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kums, die zwar (noch) für journalistische Anschlusskommunikation entscheidend sind (vgl. Scholl 2004), bei deren Nichteinhaltung eine auf Möglichkeitskonstruktion abzielende Unterhaltungskommunikation aber sehr wohl möglich bleibt. Unterschiede zwischen den Leistungssystemen Journalismus und Unterhaltung ergeben sich vor allem auf den Programmebenen der beiden Systeme. Als Programme werden diejenigen Unterscheidungen bezeichnet, die dem System eine Bestimmung (Spezifizierung) der Codewerte erlauben (vgl. Luhmann 1996: 129). Erst durch die Differenzierung von Code und Programm schafft sich das Funktionssystem die Möglichkeit, bei operationaler Geschlossenheit gleichzeitig auch offen für Irritationen zu sein (vgl. Luhmann 1988: 91). Es sind diese Unterschiede auf der Programmebene, die Luhmanns Rede von verschiedenen Programmbereichen (Nachricht/Bericht; Unterhaltung) befördert hat. Die Bezeichnung von Leistungssystemen meint im Prinzip etwas ähnliches, trägt jedoch stärker dem Umstand Rechnung, dass der selektive Zugriff auf unterschiedliche Programmbereiche prozesshaft Konsequenzen zeitigt, die über die Ausbildung und Verfestigung von Routinen allmählich zur Ausdifferenzierung von spezifischen Programmstrukturen und schließlich zu differenten Kommunikationssystemen führen.8 Journalistische und unterhaltende Kommunikation erfolgen demnach stets im Medium der Aktualität. Die Unterscheidungen, die für das System rAktualität spezifizieren, können und müssen sich jedoch verändern. Allgemein gilt: Je komplexer die Gesellschaft wird, desto komplexer werden die internen Entscheidungs- und Programmstrukturen des Journalismus und der Unterhaltung. Journalismus – und für Unterhaltung gilt im Prinzip Entsprechendes – verfügt über ein äußerst komplexes Repertoire an Unterscheidungen, die rAktualität spezifizieren können. Das heißt nicht, dass sämtliche zur Verfügung stehenden Differenzen auch immer von allen angewendet werden. Noch weniger ist damit gesagt, dass dies auch immer so bleiben muss. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in der Auswahl und Verknüpfung verschiedener Programmelemente Innovationschancen liegen, die die Leistungssysteme Journalismus und Unterhaltung gezielt zur (weiteren) Ausdifferenzierung nut8
Aus Ähnlichkeit wird so gesehen mit der Zeit Andersartigkeit und je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird der Nachweis der Gemeinsamkeiten.
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zen können. Kopie und Varianz sind diejenigen Mechanismen, die erklären können, wie sich innerhalb der Leistungssysteme mit der Zeit immer spezifischere Systemstrukturen und systeminterne Teilsystemprogramme ausdifferenzieren können.9 In diesem Sinne schreiben Kopie und Varianz die Systemgeschichten von Journalismus und Unterhaltung. Eine Folge dieses evolutionären Prozesses zeigt sich im Umstand, dass sich die Programmelemente der beiden Leistungssysteme schon heute beachtlich unterscheiden (vgl. Tabelle 1). Gemäß einem Vorschlag von Blöbaum kann im System Journalismus zwischen Ordnungs-, Darstellungs-, Informationssammlungs-, Selektions- und Prüfprogrammen unterschieden werden.10 Das Darstellungsprogramm umfasst verschiedene „Formen journalistischer Beiträge und Techniken der Präsentation von Inhalten“ (Blöbaum 2004: 209). Informationssammelprogramme stehen, so Blöbaum (2004: 209) für „die spezifischen Techniken des Journalismus, Informationen aktiv zu generieren“ und werden durch Prüfprogramme ergänzt, die sicherstellen sollen, dass die vermittelten Informationen korrekt sind. Selektionsprogramme schließlich geben an, nach welchen Kriterien Informationen ausgewählt und bearbeitet werden. Auf der Programmebene des Journalismus dominieren somit Entscheidungs- und Programmstrukturen, die sich auf die Selektion von Informationen konzentrieren (vgl. Görke 2002). Sucht man nach Funktionsäquivalenten auf der Programmebene des Leistungssystems Unterhaltung so lassen sich Narrations- und Präsentationsprogramme sowie Genre und Gattungsschemata benennen (vgl. Hickethier 1996: 42ff.; Borstnar/Pabst/Wulff 2002: 51ff.; Mikos 2003: 123 ff.), die ähnlich wie die journalistische Medienschemata (Berichterstattungsmuster, Darstellungsformen) die Produktions- und Rezeptionsweisen anleiten und so etwas wie Gesamtstrategien des Wirklichkeitsbezugs, der Darbietung sowie der Gestaltung von Unterhaltungsangeboten darstellen (vgl. Schmidt/Weischenberg 1994; Gehrau 2001; Pörksen 2004: 18f.). Im einen wie im anderen Fall reduzieren Schemata Komple9
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In diesem Sinnen sind die beschriebenen Systemstrukturen nicht nur als Handlungsvoraussetzungen, sondern auch als Handlungsfolgen vorzustellen (vgl. Raabe 2004: 121). Vergleiche hierzu auch eine leicht modifizierte Typisierung der journalistischen Programme bei Altmeppen (2004a: 425-427). Für einen Überblick über den Stand der Programmdiskussion vgl. Malik 2004: 57 ff.
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xität und erbringen gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zum Systemgedächtnis der Leistungssysteme. Schemata leisten „die Diskriminierung von Vergessen und Erinnern mit der Funktion, Spuren vergangener Operationen zu löschen und Kapazitäten freizumachen für neue Operationen unter veränderten Umständen.“ (Luhmann 2000: 158). Das Schema ist das, was hierbei der Löschung entgeht und den Rahmen für neues absteckt. „Es rechtfertigt sich nicht durch Ursprung, sondern durch Bewährung, durch Benutzung und vor allem dadurch, dass es verschiedene Beobachtungen verschiedener Beobachter zu integrieren vermag.“ (Luhmann 2000: 299) Wenn von Gesamtstrategien des Wirklichkeitsbezugs die Rede ist, schließt dies in systemischer Perspektive Werte, Besorgnisse, Ängste und Gefühle als Akzessoirs der Schemata mit ein (vgl. Luhmann 2000: 300). Auf der Programmebene der Unterhaltung dominieren somit Programmstrukturen, die vor allem für die Mitteilungskomponente von Kommunikation relevant sind (Kameraführung, Einstellungsgrößen, Blickperspektive, Licht, Ton, Sound, Musik, Spezialeffekte).
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Operatives Displacement
Die markanten Schwerpunktsetzungen auf den Programmebenen von Journalismus und Unterhaltung, die sich in unterschiedlichen Entscheidungs- und Programmstrukturen manifestieren, haben sich nicht zufällig ergeben, sondern wurden unter dem Druck sozialer Differenzierungsformen systematisch erzeugt. Dies hat damit zu tun, dass mit einer stärken Berücksichtigung auch des Reflexionswertes öffentlicher Kommunikation (– Aktualität), wie er durch eine synchronisierende Möglichkeitskonstruktion der Unterhaltungskommunikation einher geht, der Selektionsdruck auf das System vermindert wird. Im Vergleich zur journalistischen Aktualitätskonstruktion generiert die unterhaltende Möglichkeitskonstruktion in anderen Worten Wirklichkeitsentwürfe höherer Kontingenz. Gerade weil Unterhaltungskommunikation sich vergleichsweise wenig damit belasten muss, was sie mitteilt, kann sie sich stärker darauf konzentrieren, diese Informationsangebote variantenreich mitzuteilen. Operatives Displacement besagt in diesem Zusammenhang, dass „das Verhältnis der Komponenten (Mitteilung, Information, Verstehen) variabel, verschiebbar ist, dass Führungsverhältnisse gewechselt werden
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können, dass die Bedeutung einer Komponente zurückschraubbar ist.“ (Fuchs 1999: 81) Offenbar generiert unterhaltende Kommunikation – im Gegensatz zur journalistischen Kommunikation – ihren Eigenwert auch gerade dadurch, dass sie der Mitteilungskomponente eine höhere Bedeutung einschreibt als der Informationskomponente (vgl. Görke 2002). Die Verschiebung der Teilkomponenten von Kommunikation beeinflusst, so die Überlegung, auch, welche Programm- und Entscheidungsstrukturen auf der Programmebene des Systems Unterhaltung systemintern bevorzugt kopiert und variiert werden und welche unter dem Einfluss gesellschaftlicher Irritationen und Moden als unverzichtbar oder als disponibel gelten. Operatives Displacement ist damit einerseits ein wichtiger Baustein zur Erklärung der Ausdifferenzierungsprozesse sowohl hinsichtlich der Leistungsrollen als auch hinsichtlich der Publikumsrollen in den Systemen Journalismus und Unterhaltung. Andererseits würde man das Erklärungspotential dieser Theoriefigur wohl unterschätzen, wenn man es nur auf diese beiden – für Journalismus und Unterhaltung gewiss konstitutiven – Theorieelemente beschränken würde.
Unterhaltung
Journalismus
Nachrichtenjournalismus
VB1
„Unterhaltungsjournalismus“
VZ
VB2 Dokutainment
Fiktion
VB=1,2 = Binnenvarianz innerhalb des betreffenden Leistungssystem (1 = innerhalb von Journalismus; 2 = innerhalb von Unterhaltung)
VZ = Zwischenvarianz (zwischen Journalismus und Unterhaltung)
Abbildung 1: Ausdifferenzierung von Journalismus und Unterhaltung
Während bis dato die Differenz zwischen den Leistungssystemen Journalismus und Unterhaltung (VZ) beschrieben wurde, soll im Folgenden
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stärker die Binnendifferenz der beiden Systeme (VB1, VB2) analysiert werden (vgl. Abbildung 1). Wie bereits angedeutet, kann die Theoriefigur des operativen Displacements auch hier hilfreich sein, wenn man sie nicht vorschnell binär verkürzt. Um einen verkürzenden Schnellschluss würde es sich demnach handeln, wenn man die Fokussierung ausgewählter Kommunikationskomponenten (Information, Mitteilung) nur als ein einfaches Entweder-Oder (Informationsfokus oder Mitteilungsfokus) operationalisierte. Dies kann jedoch schon deshalb nicht aufgehen, weil jede Kommunikation ganz basal nicht ohne Informations- und Mitteilungsselektion auskommt. Wie stark der Fokus hierbei jedoch auf den einzelnen Teilkomponenten von Kommunikation liegt, dies kann variabel sein und in eine trennscharfe Begrifflichkeit überführt werden. Wenn also davon die Rede ist, dass sich unterhaltende und journalistische Kommunikation hinsichtlich der Fokussierung von Information und Mitteilung unterscheiden lassen, dann ist damit gemeint, dass sowohl der Informationsfokus (I) des Journalismus als auch der Mitteilungsfokus (M) der Unterhaltung mehr oder minder stark (schwach) ausgeprägt sein können. Dieses Konzept setzt mit anderen Worten operatives Displacement nicht absolut, sondern versteht es als graduell kontingent dimensioniert (vgl. Tabelle 1). Gemäß dieser Überlegung liegt Journalismus nicht ausschließlich dann vor, wenn der Informationsfokus extrem ausgeprägt ist (IIIIIM). Journalistische Kommunikation toleriert vielmehr auch moderate Ausprägungen des Informationsfokus (IIIIMM), die mit einem relativ höheren Anteil an mitteilungsfokussierenden Elementen kombiniert werden, bis hin zu Konstellationen, die eine annähernd gleichstarke Informations- und Mitteilungsfokussierung (IIIMMM) erlauben. Dementsprechend variabel bzw. graduell kontingent dimensioniert gestalten sich die Führungsverhältnisse von Informations- und Mitteilungsfokus (MMMMMI – MMMIII) auch im Bereich unterhaltender Kommunikation. Es ist in diesem Sinne durchaus plausibel anzunehmen, dass der Kommunikationskomponente Mitteilung etwa im Boulevardjournalismus eine größere Bedeutung zugeschrieben wird als im Nachrichtenjournalismus und dass sich auch die Unterhaltungsformen Dokutainment und Fiktion hinsichtlich variabler Führungsverhältnisse der Kommunikationskomponenten Information und Mitteilung unterscheiden lassen.
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Organisationen in Journalismus und Unterhaltung
Unterschiede zwischen den Leistungssystemen öffentlicher Kommunikation ergeben sich nicht nur auf der Programmebene, sondern folgerichtig auch auf der Meso-Ebene der Organisationen, die die unterschiedliche Programmierung von ±Aktualität umsetzen. Organisationen lassen sich allgemein definieren als „autopoietische Systeme auf der operativen Basis der Kommunikation von Entscheidungen“ (Luhmann 1997: 830). Organisationen, die sich innerhalb von Funktionssystemen herausbilden, übernehmen deren Funktionsprimate, das heißt, sie übernehmen den binären Code des jeweiligen Funktionssystems: „Ihren Eigenwert gewinnen und organisieren sie […] durch eine weitere Unterscheidung, nämlich die zwischen Programmen und Entscheidungen. Programme sind Erwartungen, die für mehr als nur eine Entscheidung gelten. Sie zwingen zugleich das Verhalten in die Form der Entscheidung, das Programm anzuwenden oder dies nicht zu tun.“ (Luhmann 1997: 842) Bei Organisationen öffentlicher Kommunikation (z. B. Redaktionen und Agenturen, Filmstudios) handelt es sich um Entscheidungen über die Selektion und Mitteilung aktueller Kommunikationsangebote, die sich beispielsweise aufgrund technischer Verbreitungsmedien ergeben. Sowohl journalistische als auch unterhaltende Organisationen fungieren als Formgeber im Medium der Aktualität, sie geben dem generalisierten Kommunikationsmedium seine konkrete thematische Form (vgl. Marcinkowski/Bruns 2004: 493f.; Görke 2002). Im Fall von Journalismus werden hierbei Entscheidungen kommuniziert, die auf die Aktualitätskonstruktion abzielen. Im Fall von Unterhaltung zielen die zu treffenden Entscheidungen auf handlungsentlastende Möglichkeitskonstruktion ab. Der Erfolg der Systemform Organisation gründet sich dabei auf die von ihnen vollzogene Operation der Öffnung und damit auf den Umstand, dass sie neben dem Kommunikationsmedium Aktualität auch andere Ansprüche berücksichtigen kann. Der Funktionsprimat der Organisationen kann in anderen Worten mit Zugeständnissen an andere Funktionen, zum Beispiel mit Wirtschaftlichkeitspostulaten (z. B. Produktionskosten, Gewinnmaximierung) oder rechtlichen Überlegungen (z.B. Wahrung von Persönlichkeitsrechten) kombiniert werden (vgl. Luhmann
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1997: 841f., Görke 2004a: 240ff.).11 Innerhalb der Organisation passiert zudem vieles, was man dort – angesichts des klassischen Postulates von vermeintlich klaren Organisationszielen – nicht zwingend vermuten würde: Flirts, Freundschaft, Feindschaft, Gleichgültigkeit, Empathie, Ignoranz, Klatsch, Gerüchte, Mobbing, Solidariatät etc. (vgl. Baecker 1999: 21)12 In diesem Sinne entgeht keine Organisation der Flexibilisierung der klaren Innen-Außen-Differenz: „Sie alle sind mit mehr oder weniger überschaubaren Mixes von Ordnung und Unordnung, Redundanz und Varietät, loser und fester Kopplung konfrontiert.“ (Baecker 1999: 25)13 Organisationen öffentlicher Kommunikation unterscheiden sich demnach – sowohl hinsichtlich ihrer Zwischenvarianz zwischen journalistischen und unterhaltungsproduzierenden Organisationen als auch hinsichtlich ihrer Binnenvarianz innerhalb beider Teilsysteme der Öffentlichkeit auf Grund dieser Mischungsverhältnisse und in der Bezugnahme auf die jeweilige Umwelt. Der Umstand, dass der Spagat zwischen Funktionsprimat einerseits und Konzessionen an Fremdfunktionen andererseits immer nur kontingent gelöst werden kann, macht verschiedene Organisationen sowohl innerhalb des Leistungssystems Journalismus (z.B. Redaktionen) als auch innerhalb des Leistungssystems Unterhaltung (z.B. verschiedene miteinander konkurrierende Filmstudios) vorstellbar und voneinander unterscheidbar. Anschaulich werden diese Unterschiede am Beispiel der verschiedenen Unterhaltungsprodukte, die sich auf diese Weise erzeugen lassen (z.B. Autorenfilm versus Hollywoodkino) oder am Beispiel der verschiedenen Netzwerke, die an der Unterhaltungsproduktion beteiligt sind. Redaktionen werden typisch eher journalistischen als wirtschaftlichen oder politischen Kommunikationsformen zugerech11
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Mit anderen Worten: Organisation ermöglicht Interdependenzen, die mit der selbstreferenziell geschlossenen Operationsweise der Funktionssysteme kompatibel sind (vgl. Luhmann 1997: 828f.). Baecker (1999: 25) macht darauf aufmerksam, dass diese Irritationspotentiale innerhalb der Organisation von der Organisationssoziologie heutzutage viel gelassener eingeschätzt und zudem in der Regel eher positiv als Bestandteil einer spezifischen Organisationskultur angesehen werden. Fast ist man geneigt, in den Organisationen jene Interpenetrationszonen zu sehen, die der Systemtheorie im Rahmen der Hybridisierungsdebatte gelegentlich angedient werden (vgl. Weber 2005).
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net. Gleichwohl ist offenkundig, dass diese Zurechnung theoretisch ergiebiger wird, wenn man berücksichtigt, dass eine Redaktion (z.B. der Spiegel) auch von Wirtschaftsprozessen (z.B. Anzeigenaufkommen), Rechtsangelegenheiten (z.B. Gegendarstellungen, Prozesse) irritiert wird und womöglich erst durch die organisationsförmige Bearbeitung dieser Prozesse ihre Spezifität und Identität gegenüber der Konkurrenz gewinnt. In diesem Sinne greifen eine differente Handhabung von Kopie und Varianz des (allgemeinen) journalistischen Programmrepertoires und die organisationsspezifischen Entscheidungsprogramme (inklusive der Berücksichtigung von Fremdansprüchen) in einander. Der Funktionsprimat hat für Organisationen einen vergleichsweise hohen – man könnte auch sagen – funktionalen Stellenwert: Er orientiert gewissermaßen die Organisation der Organisation. Der Funktionsprimat macht Vorgaben, welche Fremdansprüche an das System als eher (nicht) berechtigt, zweckdienlich und vorteilhaft anzusehen sind und welche organisationsfernen Irritationspotentiale gleichwohl (nicht oder nicht mehr) als integraler Bestandteil einer spezifischen Organisationskultur toleriert werden: „Die Organisation einer Organisation ist die Organisation einer Differenz. Und zwar geht es innerhalb von Organisationen um den Unterschied, der die Entscheidungsverfahren, Handlungsgewohnheiten, Abstimmungsmöglichkeiten und Konfliktgefahren von dem abgrenzt, was in der Organisation noch so geschieht.“ (Baecker 1999: 21) Auch in Organisationen geht es also um Differenzmanagement und – weiter gefasst – um die gleichzeitige Reduktion und Steigerung von Komplexität. Durch diesen Doppelprozess der Reduktion (von (Umweltkomplexität) und Steigerung von Systemkomplexität setzt sich das System von seiner Umwelt ab. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Welche Konsequenzen hat der Funktionsprimat öffentlicher Kommunikation für die Organisation von Journalismus einerseits und Unterhaltung andererseits? Nach allem, wie bisher argumentiert wurde, unterliegen Organisationen journalistischer und unterhaltender Kommunikation prinzipiell demselben Funktionsprimat. Sowohl Journalismus als auch Unterhaltung erbringen einen Beitrag zur Synchronisationsfunktion öffentlicher Kommunikation. Beide Leistungssysteme basieren auf einer Fremdbeobachtung von relevanten Systemgrenzen innerhalb der Gesellschaft. Da Un-
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terhaltungskommunikation hierbei jedoch stärker auch den Reflektionswert des Codes nutzt, produziert sie Kommunikationsofferten höherer Kontingenz (vgl. Görke 2002). Auch die Beobachtung der Unterhaltungskommunikation einer Gesellschaft ermöglicht mit anderen Worten Rückschlüsse darauf, was und wie diese Gesellschaft beobachtet, welche Themen sie beschäftigen und vor allem welchen Risiken und Chancen Aktualität zugeschrieben wird. Diese lassen sich jedoch – wiederum systemintern – ungleich leichter abweisen als etwa journalistische Angebote zum selben Thema, womit wir zum einen wieder bei der Differenz von Leistungs- und Publikumsrollen im Funktionssystem Öffentlichkeit wären. Hieraus lässt sich aber zum anderen auch ableiten, dass sich ein identischer Funktionsprimat mit Blick auf die Organisation von Organisation als mehr oder minder orientierungs- und disziplinierungskräftig erweisen kann. In diesem Verständnis macht der Funktionsprimat dem System Journalismus vergleichsweise strikte Organisationsvorgaben, während die Vorgaben für die Organisation der Organisation von Unterhaltungskommunikation ungleich flexibler ausfallen. Das hat zur Konsequenz, dass der Funktionsprimat in journalistischen Organisationen eine vergleichsweise rigide Abwehr der (potentiellen) Überfremdung des Systems durch Fremdansprüche sicherstellt, wohingegen sich die Gefahrenabwehr im Bereich unterhaltender Organisationen auf eine Art Anything-goes- oder auf eine (palliative) Umarmungsstrategie zu reduzieren scheint.14 14
Dies ist öffentlichkeitstheoretisch nicht unbedenklich. Merkwürdig ist indes vor allem, dass, wann immer in der Kommunikationswissenschaft, die Fremdsteuerung öffentlicher Kommunikation etwa durch Kommerzialisierung kritisiert wird, vor allem der Journalismus als bedroht wahrgenommen wird (vgl. etwa Altmeppen 2004b: 510ff.). Ein entsprechendes Problembewusstsein mit Blick auf die Kommerzialisierung der Unterhaltungsproduktion fehlt indes (fast) völlig (vgl. den Beitrag von Altmeppen in diesem Band), woran gewiss auch die gegenwärtige psychologische Neuausrichtung der Unterhaltungsforschung – unter weitgehender Ausblendung gesellschaftstheoretischer Fundamente – ihren Anteil hat (vgl. überblicksartig Wünsch 2002). Auch in der Medienwissenschaft wird es allerdings nicht selten geradezu als konsentiert unterstellt, dass Unterhaltungskommunikation seit je her durch und durch kommerziellen Interessen unterworfen sei: „Die Produktion und Verbreitung von Film stand von Beginn an unter ökonomischen Vorzeichen. Darum bildet das Ökonomische einen zweiten Rahmen, der in der Filmgeschichte reflektiert wird. […] Vor
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Im Gegensatz zu Unterhaltungsorganisationen unterliegen journalistische Organisationen folglich einem vergleichsweise ähnlichen Selektionszwang, aus dem in der Konkurrenzsituation ein ebenfalls vergleichsweise homogener Variationszwang erwächst (vgl. Görke 2002). Hieraus ergibt sich wiederum eine Neigung zu einer vergleichsweise kompakten, strikten Kopplung des Organisationsgeschehens. Hierzu trägt auch bei, dass sich speziell journalistische Organisationen systematisch der Beobachtung anderer journalistischer Organisationen aussetzen (vgl. Malik 2004).15 Journalistischen Organisationen geht es mithin um das Management von Komplexität. Demgegenüber sind Unterhaltungsorganisationen, deren Organisationsziele auf die systematische Möglichkeitskonstruktion im Medium der Aktualität ausgerichtet sind, weniger limitiert in der Wahl ihrer Organisationsform. Sie können auch auf flüchtigere, netzwerkartige Formen, mithin auf eine vergleichsweise lose (projektartige) Kopplung des Organisationsgeschehens setzen: „Netzwerke zwingen zur systematischen Beobachtung der Möglichkeit, dass jeder Kontakt zwischen zwei Organisationen [die etwa der Produktion von Unterhaltungsangeboten beteiligt sind, ag] im Prinzip jederzeit durch einen Kontakt mit einer anderen Organisation oder zwischen zwei anderen Organisationen substituiert werden kann.“ (Baecker 1999: 189) In diesem Sinne kann sich die Organisation von Unterhaltung vergleichsweise kontingent gestalten und sich – in Abgrenzung zum Journalismus – als Management durch Komplexität kennzeichnen lassen.
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allem in den USA bildeten sich große Studios als ökonomische Einheiten der Produktion heraus, die über ausreichend Kapital verfügten, das Risiko der Einzelfilmproduktion abzufedern, eine Belegschaft von technischen, bürokratischen und kreativen Mitarbeitern dauerhaft zu beschäftigen und schließlich eine Qualitätssicherung der Produkte zu gewährleisten, so dass sich das Kino schnell als wichtigster Ort eines industriell organisierten Freizeitvergnügens herausstellte.“ (Borstnar/Pabst/Wulff 2002: 194f., kursiv ag) Gerade in Krisensituationen kommen journalistische Organisationen nicht selten deshalb ins Schleudern, weil sich relevante Größen des organisatorischen Entscheidens der eigenen Kontrolle entziehen (vgl. Görke 2004b).
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Ausblick: Chancen und Risiken der Ausdifferenzierung
Öffentlichkeit, Journalismus und Unterhaltung systemtheoretisch zu analysieren, heißt zunächst, nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit dieses Kommunikationssystems zu fragen. Als Ermöglichungsgrund des Funktionssystems Öffentlichkeit wurde im vorliegenden Theorieentwurf der gesellschaftliche Synchronisationsbedarf beschrieben, welcher sich im Verlauf der Parzellierung der modernen Gesellschaft in Funktionssysteme ergibt. Das Bezugsproblem des Funktionssystems Öffentlichkeit besteht demnach in der Ermöglichung der Beobachtung folgenreicher Sinngrenzen in der Gesellschaft, die sich als Synchronisationsfunktion kennzeichnen lässt. Erst durch die Ausdifferenzierung von Leistungssystemen kann diese Synchronisationsfunktion öffentlicher Kommunikation auf Dauer erbracht werden. Öffentliche Kommunikation gewinnt ihre Identität durch das generalisierte Kommunikationsmedium der Aktualität. Sowohl Journalismus als auch Unterhaltung fungieren demnach als Formgeber im Medium der Aktualität und werden gleichzeitig hinsichtlich der Einheit der Differenz (r aktuell) unterscheidbar. Der gesellschaftliche Synchronisationsbedarf findet solchermaßen in der journalistischen Aktualitätskonstruktion und der an sie gebundenen unterhaltenden Möglichkeitskonstruktion seine professionelle Entsprechung. Das bereits früher angesprochene Problem, Unterhaltung stärker vom Kunstsystem abzugrenzen (vgl. Görke 2002: 89) muss (vorläufig) noch auf der Agenda bleiben. Die Leistungssysteme stehen in einem wechselseitigen SystemUmwelt-Verhältnis. Sie konstituieren für einander gleichsam eine Nahumwelt, die sich von der Fernumwelt des Funktionssystems Öffentlichkeit unterscheiden lässt. Dies ermöglicht zum einen eine Analyse der Systeme öffentlicher Kommunikation an Hand der Distinktion von Zwischenvarianz und Binnenvarianz und zum anderen eine Beschreibung derjenigen Bedingungen, unter denen es zu wechselseitigen Irritationen von Journalismus und Unterhaltung kommen kann, deren Folgen vielfach als Hybridisierung, Entgrenzung und Ausdifferenzierung beschreiben lassen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede von Journalismus und Unterhaltung benannt werden.
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Unterschiede zwischen Journalismus und Unterhaltung ergeben sich zunächst auf den Programmebenen der beiden Systeme. Beide Leistungssysteme verfügen über ein äußerst komplexes Repertoire an Unterscheidungen, die rAktualität spezifizieren können. Gleichwohl lassen sich auch markante Schwerpunktsetzungen erkennen. Während sich im System Journalismus Ordnungs-, Darstellungs-, Informationssammlungs-, Selektions- und Prüfprogramme unterscheiden lassen, verfügt das System Unterhaltung vor allem über Narrations- und Präsentationsprogramme sowie über Genre und Gattungsschemata. Diese Unterschiede haben sich unter dem Druck sozialer Differenzierungsformen systematisch herausgebildet und evolutionär verfestigt. Dies lässt sich mit der Theoriefigur des operativen Displacements gut beschreiben. Gewendet auf die Beschreibung der Binnenvarianzen von Journalismus und Unterhaltung, lässt sich – gerade mit einer extrem auf das kommunikative Prozessieren von Journalismus und Unterhaltung abstellenden systemtheoretischen Theorieperspektive – zeigen, dass operatives Displacement nicht absolut zu setzen ist, sondern als graduell kontingent dimensioniert verstanden kann. Journalismus liegt in diesem Sinne nicht ausschließlich dann vor, wenn der Informationsfokus extrem ausgeprägt ist. Damit wird lediglich gleichsam der Clusterkern des Systems Journalismus beschrieben (z.B. Nachrichtenjournalismus). In gradueller Entfernung vom Clusterkern – nicht zwingend „an den ‚schmutzigen’ Rändern des Berufsfeldes“ (Klaus 2003: 303) – toleriert das System auch moderate Ausprägungen des Informationsfokus (z.B. Boulevardjournalismus), die mit einem relativ höheren Anteil an mitteilungsfokussierenden Elementen kombiniert werden, bis hin zu Konstellationen in der Clusterperipherie, die mit einer annähernd gleichstarken Informations- und Mitteilungsfokussierung experimentieren. Die Unterschiede auf den Programmebenen von Journalismus und Unterhaltung münden schließlich auf der Meso-Ebene in Unterschieden der Organisation, die sich in den Leistungssystemen ausdifferenzieren. Hierbei kann zum einen gezeigt werden, wie eine differente Handhabung von Kopie und Varianz des allgemeinen Programmrepertoires (von Journalismus und Unterhaltung) und die organisationsspezifischen Entscheidungsprogramme (inklusive der Berücksichtigung von Fremdansprüchen) in einander greifen. Zum zweiten kann gezeigt werden, dass
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sich ein identischer Funktionsprimat auf journalistische und unterhaltende Organisationen ganz unterschiedlich auswirkt. Im einen Fall (Journalismus) erweist er sich als vergleichsweise orientierungs- und disziplinierungskräftig und erleichtert die Abwehr von überbordenden, die Systemintegrität gefährdenden Fremdeinflüsterungen und Steuerungsversuchen – im anderen Fall (Unterhaltung) tut er dies kaum (noch). Eine Entkopplung von Makro- und Mesoperspektive mit der Konsequenz einer alleinigen Fokussierung der Meso-Ebene, wie sie zuweilen aus strukturationstheoretischer Sicht vorgeschlagen wird, funktioniert, wie gezeigt, nicht, da dadurch die Unterscheidung von Programmen einerseits und Entscheidungen andererseits gleichsam halbiert würde. Wer immer dann in der Organisation Entscheidungen zu treffen hätte, wüsste gar nicht, auf welche systemspezifischen Problemlagen er diese Entscheidungen zu beziehen hätte. Jenseits der Theoriearbeit besteht, wie im Übrigen auch die Literaturlage deutlich macht, vor allem Bedarf an empirischen Studien zu Unterhaltungsorganisationen.16 Ein Vergleich von Journalismus und Unterhaltung lenkt den Blick auch auf vorgängige Ausdifferenzierung in den beiden Leistungssystemen. Kennzeichnend für die hier vorgeführte Argumentation ist die strikte Zusammenschau von Leistungs- und Publikumsrollen nicht nur mit Blick auf einen eingelebten Ist-Zustand, sondern insbesondere hinsichtlich des Wandels dieser die Anschlusswahrscheinlichkeit erhöhenden Strukturen. Erst wenn man die Ausdifferenzierung von Leistungsund Publikumsrollen als einem fortschreitenden Universalisierungsprozess folgend konzeptualisiert, lässt sich erahnen, was beispielsweise das System Journalismus dazu treibt, unterhaltende Programmstrukturen nicht nur zu beobachten, sondern eventuell zu adaptieren. Der Anreiz liegt – vereinfacht ausgedrückt – darin, auf diese Weise auch Publika für die Autopoiesis journalistischer Kommunikation einzufangen, deren Erwartungserwartungen eigentlich nicht auf den Anschluss an journalistische Kommunikationsofferten ausgerichtet sind. 16
Warum sollte die Unterhaltungsforschung an dieser Stelle nicht von der Journalistik profitieren, die bereits in den 1970er Jahren durch eine Reihe von Beobachtungsstudien den Grundstein für eine theoretisch wie empirisch äußerst fruchtbare Analyse der Entscheidungs- und Programmstrukturen journalistischer Redaktionen gelegt hat (vgl. Rühl 1979)?
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Hybridisierung – verstanden als begrifflicher Platzhalter – spielt so gesehen die Verführungskünste des Systems aus. Was damit nicht gewährleistet werden kann, sondern eines zeitaufwändigen (Evolutions-) Prozesses der systeminternen Variation, Selektion und Re-Stabilisierung bedarf, ist, dass diejenigen, die es auf diese Weise an das Gestade des Journalismus gespült hat, dort auch länger verweilen. Möglich und denkbar sind demnach auch Konstellationen (IIIMMM / MMMIII), die potentielle zwar in reale Publikumssegmente transformieren – aber eben nicht auf Dauer. Dies wirft Fragen auf: Was bringt all die Verführungskunst, wenn der Anschluss an journalistische Kommunikationsofferten gekündigt wird, sobald der Reiz des Neuen erlischt, im Extremfall innerhalb einer Sendung (z.B. Tag X. Terror gegen Deutschland – fiktiv, aber durchaus realistisch) permanent zwischen Unterhaltung und Journalismus zu oszillieren? Was bringt die Verführungskunst, wenn obendrein damit riskiert wird, dass sich nun jene, die vorher und nachher nicht für Unterhaltungsjournalismus zu gewinnen waren, mit Grausen abwenden? Eine Antwort darauf könnte in der Annahme eines wechselseitigen Steigerungs- und Stabilisierungsverhältnisses zwischen journalistischem Clusterkern und Clusterperipherie liegen. Folgt man dieser Überlegung wären buntes Treiben an der Clusterperipherie und Augenblicke gelegentlichen Oszillierens zwischen Journalismus und Unterhaltung unter Umständen geeignet, bei den Lesern, Hörern und Zuschauern wieder Wertschätzung für das zuweilen etwas trockene und spröde nachrichtenjournalistische Kerngeschäft zu wecken. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ausdifferenzierungsprozesse, die andere Beobachter zuweilen auch als Zerfransungen, Entgrenzungen oder Entdifferenzierungen bezeichnen mögen,17 wirkt die Rede vom Ende des Journalismus oder auch nur die Rede von einer (unterhaltungsvermittelten) Fremdsteuerung des Journalismus durch die Ökonomie etwas überzogen. Hierbei wird zum einen übersehen, dass es sich nicht um globale Steuerungsphänomene handelt, sondern um systemrelative 17
Ähnliche Problemdiagnosen werden ja für praktisch sämtliche Interrelationen zwischen den vier Erscheinungsformen öffentliche Kommunikation gestellt: also nicht nur zwischen Journalismus und Unterhaltung, sondern auch zwischen Journalismus und PR, Journalismus und Werbung, PR und Werbung, Werbung und Unterhaltung etc. (vgl. Weber 2005: 37ff.; Shrum 2003; Pörksen 2004: 26f.; Siegert/Brecheis 2005: 257ff.).
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Adaptionen unterhaltender Programmstrukturen, die vergleichsweise selektiv an unterschiedlichen Berichterstattungsmustern, Darstellungsformen und thematischen Schemata verschieden ansetzen. In Vergessenheit gerät zum zweiten, dass der Journalismus diese Adaptionen (auch) implementiert, um urjournalistische Probleme zu lösen. Durchaus anschließbar an die hier ausgeführte Argumentation hat jüngst Pöttker auf die potentielle Dysfunktionalität hochgeschätzter Trennungsgrundsätze im Journalismus hingewiesen.18 Am Beispiel bestimmter Themen führt Pöttker (2005: 130) aus: „Offensichtlich gibt es thematische Zonen, die durchaus öffentlichkeitsbedürftig sind, sich aber der journalistischen Recherche (weitgehend) verschließen und (fast) nur der Vorstellungskraft zugänglich sind, mit deren Hilfe sich die Faktenwahrnehmung an den Rändern dieser Zonen als plausibles Sinnverstehen erweitern lässt.“ (Pöttker 2005: 130) Hierbei muss man nicht an den lokaljournalistischen Terminjournalismus denken, man kann aber an das (durchaus auch lokaljournalistisch interessante) Feld der Krisen- und Risikokommunikation denken. Die Veränderungen, Erweiterungen und eventuellen Überdehnungen der Leistungs- und Publikumsrollen bleiben summa summarum für das System Journalismus unsicher und problematisch. Je nach dem, ob die in Rede stehenden Variationen von der eigenen oder einer fremden Organisation in Gang gesetzt und entschieden werden, lassen sich die Folgen mit Hilfe der Differenz Risiko/Gefahr beobachten. Journalismusjournalismus im Verständnis von Malik (2004) erbringt ganz wesentlich die Funktion, die für den Journalismus im besten Sinne riskanten Optionen zu thematisieren, abzuwägen und wenn notwendig kritisch zu reflektieren. Ein Stillstellen des Journalismus, ein Nicht-zur-Disposition-Stellen der Leistungs- und Publikumsrollen ist vor diesem Hintergrund nicht nur keine Alternative, sondern wäre im Gegenteil – wenn sie denn machbar wäre – die zuverlässigste Methode, dem Journalismus (mittelfristig) den Garaus zu machen. In diesem Sinne sind die beschriebenen Ausdifferenzierungsprozesse für den Journalismus einerseits gewiss mit Unsicherheiten und Problemen verbunden, andererseits halten sie ihn jung, neu18
„Überdehnung und Dogmatisierung können aus Trennungsgrundsätzen Kommunikationsbarrieren machen, die bestimmte Gegenstände und Vermittlungsweisen von der herzustellenden Öffentlichkeit ausschließen.“ (Pöttker 2005: 137)
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gierig, hungrig und dynamisch. Stillstellen lässt sich Journalismus realiter wohl nur in der Theorie und auch dieses Unterfangen muss sich dahingehend befragen lassen, ob dies letztlich zu Lasten des Journalismus oder zu Lasten der wissenschaftlichen Reflektionstheorie geschieht.
Literatur Altmeppen, Klaus Dieter (2004a): Entscheidungen und Koordinationen. Theorien zur Analyse von Basiskategorien journalistischen Handelns. In: Löffelholz, Martin (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 419-433 Altmeppen, Klaus Dieter (2004b): Funktionale Autonomie und organisationale Abhängigkeit. Theorien zur Analyse der Beziehungen von Journalismus und Ökonomie. In: Löffelholz, Martin (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 503-515 Baecker, Dirk (1996): Oszillierende Öffentlichkeit. In: Maresch, Rudolf (Hg.): Medien und Öffentlichkeit. Positionierungen, Symptome, Simulationsbrüche. München: Boer: 89-107 Baecker, Dirk (1999): Organisation als System. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen: Westdeutscher Verlag Blöbaum, Bernd (2004): Organisationen, Programme, Rollen. Die Struktur des Journalismus in systemtheoretischer Perspektive. In: Löffelholz, Martin (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 201-215 Borstnar, Nils/Eckhard Pabst/Hans J. Wulff (2002): Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft. Konstanz: UVK Bosshart, Louis/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.) (1994): Medienlust und Mediennutz. Unterhaltung als öffentliche Kommunikation. München: UVK Früh, Werner (2002): Unterhaltung durch das Fernsehen. Eine molare Theorie. Konstanz: UVK
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Siegfried Weischenberg
Genial daneben Warum Journalismus nicht (Gegen-)Teil von Unterhaltung ist 1
Einleitung
Der (deutschsprachigen) Journalismusforschung wird seit einiger Zeit vorgeworfen, sie sei nicht nur geschlechterblind, sondern auch unterhaltungsblind – wobei offenbar ein direkter Zusammenhang zwischen beidem gesehen wird. Aus diesem Vorwurf wird der Aufruf zu einem Paradigmenwechsel abgeleitet und dabei die Aufgabe der systemtheoretischen zu Gunsten einer kulturtheoretischen Perspektive angeregt (vgl. Klaus 1996; Klaus/Lünenborg 2000; Lünenborg 2005). Dies scheint angesichts der aktuellen ‚Wirklichkeit des Journalismus’ insofern plausibel zu sein, als Entgrenzungsprozesse ablaufen, welche die seit Ende des 19. Jahrhunderts beschreibbare Identität der Aussagenentstehung von Massenmedien zur Disposition stellen. Journalistische Nachrichten tauchen inzwischen immer häufiger an Orten und insbesondere in (TV-)Programmen auf, wo man sie nicht erwartet, und verschwinden dort, wo man mit ihnen rechnet (vgl. Zelizer 2004: 203). Dem Vorschlag einer ‚neuen Journalismusforschung’, die letztlich auf die Identifizierung eines ‚Systems Journalismus’ von vornherein verzichtet, steht die rigorose Distinktion zweier Systeme Journalismus und Unterhaltung gegenüber (vgl. Görke 2002). Auch dies scheint auf den ersten Blick einzuleuchten. Doch dieses eigene ‚System Unterhaltung’ droht nicht nur sozusagen an der Realität von ‚aktuellen’ Unterhaltungsprogrammen wie dem Dschungel-Camp und Big Brother zu scheitern.
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Journalismus ist also weder Teil noch Gegenteil von Unterhaltung; die beiden Begriffe sind systematisch nicht auf derselben Ebene angesiedelt. Diese These soll im Folgenden theoretisch expliziert und empirisch legitimiert werden.
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Perspektiven- und Paradigmenwechsel
Die Geschichte der Journalismusforschung verweist auf zyklische Perspektiven- und sogar Paradigmenwechsel zwischen normativen Ansätzen, kleinteilig-empirischen und großformatig-theoretischen Unternehmen. Im Moment haben wir wahrscheinlich eine Phase, die dem Letzteren entspricht. Dabei wird versucht, das Paradigma einer ‚neuen Journalismusforschung’ durchzusetzen, die so großformatig angelegt ist, dass sie fast alles (was Kommunikationswissenschaftler so treiben) zu inkludieren vermag. Dagegen lassen sich diverse Argumente vorbringen. Zunächst erscheint es allein aus professionell-wissenschaftlichen und organisatorisch-arbeitsteiligen Gründen nach wie vor vernünftig, ‚Journalismusforschung’ nicht zu entgrenzen. Vielmehr macht es weiterhin Sinn, eher rezeptions- oder eher produktionsbezogen zu beobachten und dann Journalismusforschung eher aus der Kommunikatorperspektive zu betreiben. Dies führt dann zu der Konsequenz, dass man mit Unterscheidungen operiert, die nicht beliebig umzustellen sind. Es gibt durchaus Versuche ‚Unterhaltung’ zu beobachten und zu beschreiben, die aus der Kommunikatorperspektive gewonnen wurden. Sie führen z. B. zu dem Identifizierungsmerkmal der Parallelität von stereotypem Inhalt und formaler Vielfalt. Niklas Luhmann – der Mann ohne Fernsehapparat – bezeichnete als zentrales Merkmal von Unterhaltung die „Auflösung einer selbsterzeugten Ungewissheit oder Spannung“. (Hagen [o. J., 2004]: 85) Dennoch aber erscheint es plausibel, Unterhaltung eher vom ‚Unterhaltungserleben’ her zu fassen (vgl. Früh 2005). Diese prinzipiell nahe liegende Rezipientenorientierung der Unterhaltungsforschung kann jedoch nicht bedeuten, die Journalismusforschung dieser Perspektive komplett unterzuordnen.
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Eine solide Verweigerung provoziert nun den pauschalen Vorwurf, die Journalismusforschung sei ‚unterhaltungsblind’. Er wird sozusagen mit den beobachtbaren Verhältnissen begründet, die insbesondere in den quantitativen Journalistenstudien geradezu willkürlich ausgeblendet würden – offenbar, weil die Forscher das falsche Bewusstsein hätten. Der Vorschlag einer ‚neuen Journalismusforschung’ verzichtet von vornherein auf die Identifizierung eines ‚Systems Journalismus’ und packt alles in die Unterhaltung – weil das Publikum es im Lichte seines gemessenen Rezeptionsverhaltens angeblich so will. Hier liegt aber wohl ein Kategorienfehler vor: Mediennutzung (vgl. Meyen 2005) ist ein subjektabhängiger Begriff und keine Kategorie zur Beschreibung des Angebots. Problematischer: Durch den Rekurs auf die (angeblichen) Wünsche des Publikums erhält die Unterhaltungsorientierung der Medien und des Journalismus eine deutlich affirmative Note (vgl. Klaus 1996; Lünenborg 2005). Eine ganz andere, nämlich kulturkritische Tonart wird von der (z. T. wissenschaftlichen) Medienkritik in verschiedenen Ländern angeschlagen. Sie richtet sich gegen die zunehmende Geringschätzung der ‚öffentlichen Aufgabe’ der Medien und die Emergenz eines „Market-Driven Journalism“ (McManus 1994), der die bewährten Nachrichten-Werte erodieren lasse (vgl. z. B. Bogart 1995; McChesney 1999). Den impliziten Vorwurf der Empirieferne, welcher der ‚alten Journalismusforschung’ gemacht wird, muss man gegen die Kritiker selbst richten. Ihre Kritik hätte – mit den Worten von Altmeppen und Quandt, „erst dann eine valide Berechtigung, wenn durch empirische Ergebnisse abgesichert ist, welche Arbeitsbereiche etwa von Unterhaltung tatsächlich dem Journalismus zuzuordnen sind“ (Altmeppen/Quandt 2002). Der Rekurs auf das Nutzungsverhalten (von Frauen) erscheint – jedenfalls im Rahmen der Journalismusforschung – nicht als ausreichender Beleg.
3
Identifizierungsprobleme und Vorschläge
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Journalismus kann theoretisch, empirisch und normativ erfolgen. Normativ sind die Identifzierungsprobleme offenbar am geringsten; nach wie vor werden z. B. in Gerichtsurteilen und Regulierungstexten Information und Unterhaltung
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deutlich getrennt und dem Journalismus eindeutig Leistungen für eine „politische Öffentlichkeit“ zugewiesen („Wächterrolle“, „Verbreitung von Informationen und Ideen“); ein besonders markantes Beispiel ist das ‚Caroline-Urteil’ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahre 2004 (www.journalist.de/dokumentationen – 10/04). Empirisch sind die Probleme (immer noch) lösbar, wie die Replikation der Studie „Journalismus in Deutschland“ im Jahre 2005 gezeigt hat (vgl. Weischenberg/Scholl/Malik 2006). Journalistische Medien lassen sich weiterhin identifizieren; journalistische Rollen lassen sich immer noch abgrenzen. Theoretisch erscheinen die Probleme z. T. etwas hoch gejazzt oder auch selbst erzeugt. Die hier gehandelten Entwürfe sind durchaus beeindruckend, wenn nicht sogar – theoriebautechnisch – genial. Sie liegen aber, wie noch zu zeigen sein wird, aus unterschiedlichen Gründen neben der Sache und erweisen sich als nicht hilfreich; sie sind also sozusagen ‚genial daneben’. Beim Vorschlag einer strikt systemtheoretischen Unterscheidung von Journalismus und Unterhaltung gegenüber wird der Code Aktualität mit seinem positiven Präferenzwert (Journalismus) und seinem negativen Referenzwert (Unterhaltung) aufgeteilt (vgl. Görke 2002: 74 ff.). Der Code ‚Aktualität‘ scheint dabei auf den ersten Blick zur operativen Schließung von Journalismus durchaus geeignet zu sein. Doch handelt man sich spätestens dann Probleme ein, wenn man ihn zur Abgrenzung gegenüber anderen Formen öffentlicher Kommunikation einsetzt. Michael Haller (2000: 119) hat hierzu Einwände vorgetragen, die formal-logisch scheinbar direkt auf die Systemtheorie rekurrieren. Nachvollziehbarer wäre es aber wohl, beim Terminus und seiner ‚praktischen Handhabung’ direkt anzusetzen. Dann zeigt sich, dass Aktualität letztlich kein plausibles Differenzkriterium ist. Aktuell kann das Thema eines Buches oder ein Fernsehprogramm sein, das nichts mit Journalismus zu tun hat. Auch Printmedien z. B. lassen sich mit dem Kriterium ‚Aktualität’ nicht hinreichend kategorisieren; an seine Seite treten hier (zur Abgrenzung der Tagespresse) Universalität, Periodizität und Publizität. Ein solches System Unterhaltung irgendwohin zwischen Journalismus, Kunst und Wissenschaft zu klemmen und mit dem Ballast Nicht-Aktualität zu versehen, führt also nicht zu tragfähigen Unterscheidungen.
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Zwar ist die vor allem von Klaus Merten (1977) vorgeschlagene ReFormulierung und Erweiterung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive in sich schlüssig (vgl. Weischenberg 2004a: 42 ff.), doch bleibt Aktualität, mit den Worten von Hannes Haas (1999: 318), „ein Begriff mit zwei potentiell widersprüchlichen Bedeutungen“ – wobei in der Praxis ‚Neuigkeit’ gegenüber ‚Relevanz’ deutlich dominiert. In einschlägigen Lehrbüchern (vgl. z. B. Schneider/Raue 2003: 65 f.) werden deshalb mit einer gewissen Hilflosigkeit diverse Aktualitäts-Dimensionen präsentiert: Tagesaktualität, latente Aktualität, fundamentale Aktualität, Scheinaktualität, Kalenderaktualität sowie selbst geschaffene Aktualität. Zum binären Code des Journalismus taugt – im Lichte solcher Erkenntnisse – die Distinktion aktuell/nicht-aktuell wohl doch nicht; mit einer gleichermaßen vagen wie engen Leitunterscheidung kann ein Funktionssystem nicht operieren.
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„E-Journalismus“ und „U-Journalismus“
Vor allem unter medienethischen Aspekten hat sich Michael Haller mit dem Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung beschäftigt. Wenn sich erweisen würde, dass moralische Prinzipien für Teile des Journalismus überhaupt keine Relevanz besäßen, entstünde eine schwer erträgliche Divergenz; diese Entwicklung beobachtet er seit Jahren mit offenkundiger Besorgnis. Heute sei „ausgerechnet jener Journalismus“ am meisten verbreitet, der mit informierenden Aussagen nichts zu tun habe: Animation, Spiel und Fiction dominierten die Massenkommunikation; oftmals träten sie „im Gewande tradierter Journalismusformen auf und tragen so zur heillosen Sinn-Verwirrung bei“ (Haller 1991: 199). Haller hat deshalb vorgeschlagen, nach dem Grad des Wirklichkeitsbezugs journalistischer Aussagen zwischen zwei Arten von Journalismus zu unterscheiden: „E-Journalismus“ und „U-Journalismus“ (ebd.). Doch mit dieser Dichotomisierung läuft man in dieselbe Falle wie jene, die (angeblich) mit der Journalismusforschung gegen die Journalismusforschung argumentieren, wenn sie – zumindest implizit – Massenmedien/Massenkommunikation mit Journalismus gleichsetzen (vgl. z. B. Klaus 1998). Das, was unter ‚U-Journalismus’ firmieren soll, ist entweder Journalismus oder etwas anderes (wie Literatur, Kunst oder Volks-
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musik); einen Teil davon mag man – gemäß der Organisationslogik öffentlich-rechtlicher Anstalten – in die Schublade ‚Unterhaltung’ packen oder nicht. Jedenfalls lässt sich, wie (empirisch) zu zeigen sein wird, Journalismus bis auf weiteres von anderen Sinn- und Handlungszusammenhängen hinreichend abgrenzen – bei Problemen an bestimmten Grenzstellen. Es gibt vieles im Journalismus, was man systemisch erklären kann. Über die Frage, ob die Systemtheorie damit das Zeug hat, zur ‚Supertheorie’ der Journalismusforschung zu werden, mag man weiter streiten. Vielleicht wäre es empfehlenswert, den Anspruch etwas niedriger zu hängen – so, wie es seinerzeit Robert King Merton mit Talcott Parsons strukturell-funktionaler Theorie gemacht hat, die dann als ‚funktionale Analyse’ auf Trinkstärke gebracht und von Charles R. Wright (1964: 98 ff.) in ein Inventar für Medienanalyse umgesetzt wurde. Andere Großtheorien mögen wiederum für bestimmte Bereiche des Journalismus größere Erklärungskraft besitzen als die Systemtheorie – z. B. Öffentlichkeitstheorien (vgl. Pöttker 2005) für einen normativen Zugriff.
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Die Ordnung der Bezugsebenen
Weder mit Hilfe von neuen Ansätzen noch mit neuen SystemKonfigurationen oder gar mit terminologischen Tricks scheint ein zentrales Problem zu bearbeiten zu sein: ob es sich bei aktuellen Entgrenzungsprozessen des Journalismus um Struktureigentümlichkeiten handelt, mit denen er durch erhöhte Komplexität auf neue Umweltherausforderungen reagiert, oder um Fehlentwicklungen, die (irgendwann) das System Journalismus insgesamt zur Disposition stellen. Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, die Bezugsebenen zu ordnen, die im Eifer des Gefechts durcheinander geraten sind; dazu muss zwischen der historischen, normativen, theoretischen und empirischen Perspektive unterschieden werden: x Historisch erweisen sich die beobachtbaren Erscheinungen keineswegs als neu, weil Teile des Journalismus immer schon (manifest oder latent) mit unterhaltenden Mitteln operiert haben. Traditionell will jeder Journalist (auch) unterhalten: durch Metaphern, Wortspiele,
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Zitate, Personalisierung. Prominenz dominierte als Nachrichtenfaktor, wie Jürgen Wilke (1984) gezeigt hat, in früheren Jahrhunderten womöglich noch stärker als heute. Andererseits erfolgte die Emergenz des Journalismus-Systems eindeutig auf der Basis der Genese eines Netzwerks zur Produktion und Distribution ‚moderner Nachrichten’. Journalismus gibt es, seit dauerhafte Bedürfnisse nach Nachrichten bestehen und seit eine (technische) Infrastruktur existiert, um diese zu bedienen. Seither gibt es auch hard news und soft news (‚Unterhaltungs-Nachrichten’). Wenn die Kommunikationswissenschaft nun ‚mehr Unterhaltung’ einfordert, rennt sie hier Türen ein, die seit Jahren sperrangelweit offen stehen. x Normativ ist die Unterhaltung keineswegs die ‚andere Seite’ des Journalismus, sondern eine Leistung, der gegenüber Information, Kritik, Kontrolle (wenn überhaupt) nachrangige Bedeutung zukommt; das erwähnte ‚Caroline-Urteil’ des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg, aber auch andere höchstrichterliche Entscheidungen bieten für diese offenbar nach wie vor durchsetzungsfähige Auffassung Anschauungsmaterial. Medien- und Journalismussysteme lassen sich im internationalen Vergleich mit Hilfe der unterschiedlichen Attribuierung von ‚Nachrichtenwert’ differenzieren; überall aber sind ‚Nachrichten’ die Währung, mit der sie operieren. x Aus theoretischer Perspektive muss gefragt werden, ob Unterhaltung tatsächlich der Rang einer zentralen Distinktion zukommt, und speziell aus systemtheoretischer Perspektive, ob man sich nicht durch die bisher gehandelten Vorschläge einer binären Codierung unnötige Unschärfen bei der Identifizierung von Journalismus eingehandelt hat. Funktionssysteme sind auf Grund ihrer Primärfunktion mit Hilfe einer Leitunterscheidung (Code) ausdifferenziert, wobei diese Unterscheidung ins System wieder eingeführt (‚re-entry’) und zur Strukturierung der eigenen Operationen verwendet wird. Binäre Codes sollen einen positiven (Präferenz-) Wert und einen negativen (Referenz-) Wert haben, der die Bedingungen reflektiert, unter denen der positive Wert eingesetzt werden kann – unter Ausschluss dritter Möglichkeiten. (Vgl. Luhmann, z. B. 1985) x Empirisch lassen sich mit Hilfe der Strukturen des Journalismus (Subsysteme wie z. B. Lokaljournalismus, Ressorts wie Sport, Be-
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richterstattungsmuster wie z. B. Informationsjournalismus, Darstellungsformen wie z. B. Feature) ausreichende Differenzierungen vornehmen und ggf. mit Hilfe von Zweitcodierungen beobachten. Dabei ist zu vermuten, dass eine stärkere Unterhaltungsorientierung in bestimmten Bereichen des Journalismus in besonderem Maße dem ökonomischen Zweitcode folgt.
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Die Wirklichkeit des Journalismus (Exkurs)
Wie lässt sich die Wirklichkeit auf der Basis vorliegender Daten beschreiben? Und: Auf welchen Unterscheidungen beruht diese Beschreibung? Die repräsentative DFG-Studie „Journalismus in Deutschland“ (JouriD) ließ hierzu schon Anfang der 90er Jahre für die Zukunft zunehmende Entgrenzungsprozesse (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 272) prognostizieren. Sie zeigte in vielfältigen Kontexten, dass das System Journalismus an den Rändern immer mehr an Trennschärfe verliert. Dies gilt inzwischen offensichtlich insbesondere in Hinblick auf Entwicklungen, welche mit den neuen Informationsangeboten im Internet zu tun haben; es gilt aber bis auf weiteres auch für die Medien, welche herkömmlich mit Journalismus in Verbindung gebracht werden. Bei Arbeitsmarktanalysen wurde deutlich, dass aufgrund von Funktions- und Strukturveränderungen zahlreiche neue Berufsbilder insbesondere an den Grenzen des Journalismus entstanden sind, also im Bereich der Informationsbeschaffung, zu der in erheblichem Maße die Public Relations beitragen. Darüber hinaus bedeuten für den Journalismus nun jene Perspektiven die größte Herausforderung, welche die Online-Kommunikation eröffnen. Sie provoziert neue Erzählformen in den Hypertext-Formaten und bedeutet allein deshalb auch die Herausbildung neuer journalistischer Talente wie etwa Weblogger. Dem ‚Journalismus im Übergang’ hat sich die Forschungsgruppe Journalistik (Hamburg/Münster) in den vergangenen Jahren im Rahmen des Projektes „Konturen aktueller Medienkommunikation“ (KaMkom) gewidmet, das gleichfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Es schloss an Beobachtungen an, welche die aktuelle
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Medienkommunikation am Ende von Entwicklungsprozessen bzw. am Beginn einer ‚neuen Ära’ (vgl. Weaver/Wilhoit 1996; Scholl/Weischenberg 1998: 261) sehen. Die Beobachtung des Journalismus zeigte dabei, dass eine differenztheoretische Perspektive hier immer noch tragfähig ist: Seine Verhältnisse können in Hinblick auf aktuelle und künftige Entwicklungen mit Hilfe von Unterscheidungen – Journalismus/PR, Information/Unterhaltung, klassische Medien/Online-Medien – beobachtet werden; Journalismus lässt sich somit weiterhin von anderen Medienaktivitäten funktional abgrenzen. Prozesse, welche die Konturen des Sinn- und Handlungszusammenhangs Journalismus bestimmen bzw. zu Konturverschiebungen führen können, spielen sich stets innerhalb des Systems ab. Analysen auf der Ebene des Mediensystems, der Medieninstitutionen, der Medienaussagen sowie der Medienakteure werden vor dem damit aufgespannten systemischen Rahmen kontextuell erklärbar und konsequent durchdekliniert. Auch wenn sich empirisch nicht alle Ebenen gleichzeitig untersuchen ließen, konnten die jeweiligen Systemkontexte auf diese Weise stets in die Studie einbezogen werden und mit Hilfe eines MultimethodenDesigns untersucht werden. Die Befunde liefern zwar kein eindeutiges Bild. Sie zeigen, dass sich der Journalismus (weiter) verändert – einerseits. Andererseits zeigen sie deutliche Trägheitsmomente zugunsten einer Erhaltung der journalistischen Primärfunktion und auch seiner wesentlichen Strukturen (Organisationsformen, Programme usw.). Mit anderen Worten: Die Identität des Journalismus, die uns vertraut ist, steht – bis auf weiteres – nicht zur Disposition; die Entgrenzungen halten sich in Grenzen. Seit der Durchführung des KaMkom-Projektes, das 2002 abgeschlossen wurde, hat sich die Situation auf den Medienmärkten erheblich verändert. Galt der Mediensektor damals als ‚Boom-Branche’, so war danach ‚Medienkrise’ das Etikett für die Kennzeichnung der Situation – in Deutschland und anderswo. Erstmals seit den 70er Jahren gibt es in Deutschland eine große Zahl von arbeitslosen Journalisten, wobei hier angesichts der traditionellen Kaschierung von Arbeitslosigkeit durch ‚freien Journalismus’ sogar von einer erheblichen Grauziffer ausgegangen werden kann. Damit nehmen Faktoren Einfluss auf die Entwicklung,
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die sich im Moment in Hinblick auf den Entgrenzungsdruck, den sie entwickeln, nur schwer systematisch – das heißt in Hinblick auf ihre strukturelle Dynamik – einordnen lassen. Im Rahmen von JouriD II wurden erneut die Orte erkundet, wo Journalismus stattfindet. Diese Identifizierung zeigte, dass es nach wie vor möglich ist (wenn auch in Grenzbereichen schwierig), theoriegeleitet ‚journalistische’ von ‚nicht-journalistischen’ Medien, Programmen und anderen Offerten zu unterscheiden – z. B. gegenüber Unterhaltungsmedien, Public Relations, technischen Fachmedien oder auch nichtjournalistischen Internet-Angeboten. Dies wurde im Einzelnen für knapp 3.000 Medien und Programmangebote in der Bundesrepublik durchexerziert. (Vgl. Weischenberg/Scholl/Malik 2006)
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Der Sinn des Journalismus
Unsere Journalismusforschung beginnt mit einer Setzung: Journalismus als Sinn- und Handlungszusammenhang zu verstehen, der sich von anderen sozialen Bereichen durch eine besondere Zuständigkeit abgrenzen lässt: Themen zu selektieren und zu präsentieren, die neu, relevant und faktisch sind. Diese Setzung kann man mit einem scheinbar kaltschnäuzigen Satz begründen; er beschließt einen Aufsatz von Manfred Rühl über „Des Journalismus vergangene Zukunft“ und steht in der Tradition der kühlen Luhmannschen Beobachtungsmaschinerie: „Den Journalismus durch eine spezifische Funktion sowie durch unterschiedliche Umweltreferenzen zu identifizieren, macht die Forschung unabhängig von der Idee, für den Journalismus eine paradiesische Vergangenheit oder eine apokalyptische Zukunft auszudenken.“ (Rühl 2000: 79) Diese Systemtheorie à la Rühl et al. hat den Journalismus entmythisiert – Hand in Hand mit Konzepten mittlerer Reichweite (Nachrichtenwert-Theorie, Gatekeeping, Objektivität als strategisches Ritual u. a. m.), die der alten Idealisierung des Journalismus durch die praktizistische Publizistikwissenschaft eine ‚neue Sachlichkeit’ entgegensetzen konnten. Haller (2000: 119) moniert, dass es sich bei den Kriterien Aktualität, Faktizität und Relevanz, die Journalismus – im Sinne einer Codierung –
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unterscheidbar machen, um „theoretisch ungeklärte, d.h. quasi ontologische Setzungen“ handele. Doch allein die Beschäftigung mit der gut entwickelten Nachrichten(wert)forschung belehrt einen hier eines Besseren. Berechtigt ist die Kritik insofern, als einige Begriffe (system-) theoretisch nicht hinreichend expliziert sind bzw. der Reformulierung bedürfen. Zu den zu diskutierenden Vorschlägen sollte gehören, ob nicht der Code ‚nachrichtlich/nicht-nachrichtlich’ gegenüber allen einschlägigen Vorschlägen Vorzüge aufweist: x Er entspricht systemtheoretischer Logik besser, weil er gleichermaßen die operative Schließung besorgt und als zentrales Selektionskriterium dient. x Er ist kommunikationswissenschaftlich anschlussfähig, x und – vor allem – er umfasst mit der Orientierung an Bedeutung und Publikumsinteresse (Nachrichtenwerte) gleichermaßen die Leistungen Information und Unterhaltung. Die Primärfunktion des Journalismus besteht darin, die permanente Selbstbeobachtung der Gesellschaft als Fremdbeobachtung zu organisieren (was sich übrigens durchaus auch normativ als ‚öffentliche Aufgabe’ unter den Bedingungen von Vielfalt und Unabhängigkeit begreifen ließe). Seine Identität gewinnt der Journalismus dabei nur durch Anschluss an Ereignisse, denen Nachrichtenwert attribuiert werden kann; alles, was im System abläuft, hat mit Nachrichten zu tun – nicht zufällig wird zumindest in den USA Journalismus weitgehend mit Nachrichtenproduktion gleichgesetzt, sind die Journalisten ‚news people’. Nachrichten sind der ‚journalistische Rohstoff’; mit Hilfe von Nachrichten geben die „Souffleure der Mediengesellschaft“ (Weischenberg/Scholl/Malik 2006) die Themen vor, nachdem diese vielfältige Selektionsprozesse ‚überstanden’ haben. „Wir finden […] in unserer täglichen Wirklichkeit gelöste Selektionsprobleme immer schon vor. Wir haben es nie mit der Welt im ganzen zu tun, sondern mit Nachrichten.“ (Luhmann 1981: 315) Dafür ist – immer noch – primär das Funktionssystem Journalismus zuständig. Es lässt sich über die Zuständigkeit für Nachrichten identifizieren. Die Emergenz dieses Systems erfolgte im Kontext der Entstehung von ‚modernen’ Nachrichten; die gemeinsame Basis waren soziale, poli-
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tische, ökonomische und technologische Wandlungsprozesse und Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Seither gibt es ein ‚Welt-Nachrichtensystem’, das auf regelhaften Prozessen bei der Wahrnehmung von Ereignissen und der Kollektion, Selektion, Produktion und Distribution von Nachrichten beruht. Die dabei zugrunde gelegten Regeln sind zum einen durch die Nachrichtenforschung gut beschreibbar; zum anderen haben sie sich – wie nichts anderes im Journalismus – als lehrbuchfähig erwiesen, inklusive der vertrauten ‚Unterhaltungsdarstellungsformen’, die im Journalismus selbstverständlich ihren Platz haben. (Vgl. Weischenberg 2001) Der Nachrichtenselektion liegen demnach – und dies ist auch in der praktischen Anwendung unstrittig – die beiden zentralen Faktoren Bedeutung und Publikumsinteresse zugrunde. Letzteres ist ein Kriterium, das traditionell (!) vieles von dem mit einschließt, was nun als ‚Unterhaltung’ in neuer theoretischer Pracht mit dem Anspruch eines Paradigmenwechsels präsentiert wird.
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Leitplanken des Journalismus
Ordnet man solche Überlegungen ein in das Kontextmodell zur Identifizierung (nicht zur Erklärung) von Journalismus, das makro-, meso- bzw. mikrotheoretisch differenziert zwischen Mediensystemen, Medieninstitutionen, Medienaussagen und Medienakteuren, so zeigen sich Konstellationen für jeweils mehr oder weniger stark informations- bzw. unterhaltungsorientierten Journalismus (vgl. z. B. Weischenberg 2002, 2004a; Gurevitch/Blumler 1981), die systematisch auszuarbeiten wären: x Mediensysteme: (Wirtschafts-)Liberalismus-Modell/Sozialverantwortungsmodell; x Medieninstitutionen: privat-kommerzielle Unternehmen/öffentlichrechtlicher Rundfunk, Qualitätsmedien/-programme, Boulevardmedien/-programme; x Medienaussagen: Berichterstattungsmuster: Informationsjournalismus/investigativer Journalismus/New Journalism; Publikum: Wähler, Konsument (Publikum)
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x Medienakteure und ihr Rollenselbstverständnis: Informator + Kritiker/Kontrolleur, Informator + Infotainer/Unterhalter. Der Journalismus kann uns nach wie vor nicht (ernsthaft) ein U für ein E vormachen oder gar seine Nachrichtenwerte von Relevanz auf ‚human touch’ umstellen, weil das Publikum sowieso aus allem Unterhaltung macht. Andererseits scheint analytisch (wie: systemtheoretisch) auch nichts gewonnen, wenn man künstlich Journalismus (nicht: Information) von Unterhaltung trennt. Journalismus bewegt sich in einem vorgegebenen Normenkontext; hier werden seine Bedingungen definiert oder seine Leistungen sogar unmöglich gemacht: Journalismus als autonomes Funktionssystem ist in autoritären Gesellschaften undenkbar und in Transformationsgesellschaften (vgl. Thomaß/Tzankoff 2001) nur schwer durchsetzbar, wie die Verhältnisse in einem Teil der Staaten der ehemaligen Sowjetunion zeigen. Gesellschafts- und Mediensysteme präformieren Spielräume für die Medienakteure, denen ein bestimmtes Rollenselbstverständnis nichts nützt, wenn es gar keine Pressefreiheit gibt – und die fehlt in vielen Teilen der Welt. (www.freedomhouse.org) Des Weiteren bewegen sich die Journalisten innerhalb der Leitplanken von Imperativen, Kontexten und Selbstbeschreibungen des Journalismus, die manches zulassen, aber nicht alles erlauben – schon gar nicht etwas, das dauerhaft auf Kosten der Identität des Systems geht. Dabei soll (die alte Einsicht) keineswegs bestritten werden: dass aufgrund der vorhandenen Bedürfnisstruktur des Publikums gerade unterhaltende Angebote – diesseits und jenseits der Grenze des Journalismus – wichtige Erfahrungen vermitteln und bestehende Einstellungen beeinflussen könnte (vgl. Weischenberg 1976: 55). Aus historischer, normativer, theoretischer und empirischer Perspektive gilt weiterhin, dass Journalismus (nur) durch Anschluss an Selektionen anhand von Nachrichtenwert identifizierbar ist. Der Journalismus, den es gibt, hat mit Nachrichten zu tun. Die ‚Wirklichkeit der Nachrichten’, die er konstruiert, mag heutzutage z. T. durchaus unterhaltsamer und auch fiktionaler daherkommen, als das früher der Fall war; dies nennt man ‚Boulevardisierung’. Allein die – eindeutig System bewahrend geführte – Diskussion über Fälschungen im Journalismus (vgl.
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Weischenberg 2004b) zeigt aber, dass nicht alles als erlaubt gilt, was gefällt. Auf der Grundlage solcher Überlegungen lassen sich dann auch Antworten auf die Frage nach Entgrenzungen des Journalismus bis hin zur Auflösung seiner Konturen finden.
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Differenzierung und Distinktion Journalismus, unterhaltender Journalismus, Unterhaltungsproduktion 1
Niveauideologie und Strukturmerkmale
Eine „bürgerliche Niveauideologie“ haben – schon 1974 – Langenbucher/Mahle (1974: 15) den Kritikern des Unterhaltungsjournalismus aufgrund ihrer abwertenden Qualifizierungen attestiert. Sie haben sich dann jedoch weniger mit diesem Beziehungsverhältnis beschäftigt, sondern die bislang einzige Untersuchung zu Unterhaltungsjournalisten in Deutschland vorgelegt – zehn Jahre vor dem Urknall, der 1984 die privat-kommerziellen Sender in die Wohnstuben brachte, deren Programme wiederum gut zwanzig Jahre später zu einer Inflation von Niveau- und Ideologiediskussionen über den Wert der Unterhaltung beitragen. Diese Diskussionen sind durch eine nahezu binäre Unterscheidung gekennzeichnet, bei der den positiv bewerteten Dimensionen wie Qualität, Seriosität, Information und Politikberichterstattung die negativ bewerteten Begriffe des Populären, des Boulevards, der Unterhaltung und des Klatsches gegenüberstellt (vgl. Renger 2000: 169) werden. Die Dichotomisierung beruht durchaus auch auf den Selbsteinschätzungen der Journalisten. Schon Langenbucher/Mahle (1974: 16) haben ein gebrochenes Selbstbewusstsein der Unterhaltungsjournalisten festgestellt. Mehr als zwanzig Jahre später gehört Unterhaltung zwar zu den Rollenverständnissen mit hoher Zustimmung bei den Zielen und sehr hoher Erfolgsquote in der Umsetzung (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 165), die Dichotomisierung in den Werturteilen jedoch ist eher gestiegen, vor allem in den Zuschreibungen der Beobachter zweiter Ordnung, der Kulturkritiker und Wissenschaftler (vgl. Renger 2000: 143). Es scheint Usus
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zu sein, Verfehlungen im politischen Journalismus zu kritisieren, den Unterhaltungsjournalismus aber häufig für eine Verfehlung an sich zu halten. Auch diese Einstellungen, das „Naserümpfen“ der kulturellen Elite, den erhobenen Zeigefinger der Kulturkritiker, haben Langenbucher/Mahle bereits 1974 mit deutlichen Worten kritisiert. Dabei weise doch gerade die Kritik daraufhin, dass es sich beim Unterhaltungsjournalismus offensichtlich um breitentaugliche Produkte handele, die eben deshalb Untersuchungsgegenstand der Medienforschung sein müssten. Dies würde von der gängigen Kritik jedoch ignoriert, so Langenbucher/Mahle (1974: 12-14), deren Einträge ins Stammbuch der Kritiker noch heute Gültigkeit haben: Die Kritik argumentiere selten mit konkreten Fakten, ihre Kritik sei grundsätzlich, mit einem irrationalen Kern rechts wie links. Ihre grundsätzlichen Fehler lägen in der Gleichsetzung von geistigem Tiefstand des Programms und dem Geschmack des Publikums, im falschen massenpsychologischen Erklärungskonzept, im Vorwurf der Manipulation und schließlich in den Wunschvorstellungen über die gesellschaftlichen Aufgaben der Presse. Formen bürgerlicher Niveauideologie haben sich offensichtlich über die Jahre gehalten, verleiten auch in der Journalismusforschung zu kräftigen Debatten (beispielsweise zwischen Armin Scholl einerseits und Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg andererseits, vgl. Klaus/Lünenborg 2000, Scholl 2000) und leben somit im neuen Gewand wieder auf, denn der Vorwurf lautet nun, die seriöse empirische Journalismusforschung fasse den Unterhaltungsjournalismus wenn überhaupt dann mit spitzen Fingern an: „Unterhaltungsjournalisten werden demzufolge auf Plätze an den unscharfen, ‚schmutzigen’ Rändern des Berufsfeldes verwiesen.“ (Klaus 2003: 303) Wie der Begriff der Unterhaltung bleibt in der Diskussion aber auch derjenige des Unterhaltungsjournalismus merkwürdig diffus (vgl. Klaus 2003: 207-308). Handelt es sich beim Unterhaltungsjournalismus um ein neues Genre oder um ein Berichterstattungsmuster? Unterscheidet sich das (politische) Infotainment vom Unterhaltungsjournalismus? Wäre Populärer Journalismus der treffendere Begriff (vgl. Renger 2000)? Findet Unterhaltungsjournalismus in bestimmten Ressorts und Programmbereichen stärker statt als in anderen? In welchen Redaktionen und Ressorts arbeiten Unterhaltungsjournalisten – in denjenigen, die primär un-
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terhaltende Angebote produzieren oder in Politik- und Sportredaktionen, in denen auch unterhaltend berichtet wird (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 173)? Ein Grund für die vielen Fragen liegt sicherlich darin, dass Untersuchungen über einzelne Journalismusbereiche, wie sie für den Unterhaltungsjournalismus durch Langenbucher/Mahle vorgelegt wurde, insgesamt selten geworden sind. Auch beispielsweise der Kultur- und der Lokaljournalismus sind empirisch vernachlässigte Handlungsfelder. Die ‚Wiederentdeckung’ der journalistischen Handlungsfelder ist empirische Herausforderung und theoretischer Anspruch gleichermaßen, wie die vorliegenden Arbeiten etwa zum Wissenschaftsjournalismus (vgl. Kohring 2005, Hömberg 1990) zeigen. Insgesamt aber hat sich die Journalismusforschung in den letzten Jahren empirisch nur sehr rudimentär mit einzelnen Handlungsfeldern beschäftigt. Das gilt auch für den Unterhaltungsjournalismus. Das hat zur Folge, dass Unterhaltung im Zusammenhang mit Journalismus in erster Linie von der Rezeptionsseite gedacht wird, die Frage, was Unterhaltung ist, wird mit den Ansprüchen an und den Wirkungen von Unterhaltung beantwortet. Die Produktionsseite der Unterhaltung kommt erst und auffälligerweise dann ins Spiel, wenn Differenzierungen notwendig sind, etwa die zwischen Unterhaltung und Infotainment. Infotainment wird beschrieben als Format, als Stilmittel, als Darstellungsform (vgl. Schicha/Brosda 2002: 12 ff.). Ähnlich verhält es sich mit der Boulevardisierung, die begrifflich einerseits mit der Entpolitisierung des Fernsehprogramms, andererseits mit einer konvergenten Entwicklung bei der Selektion und Präsentation verbunden wird: „Dabei übernehmen bis dato weniger kommerziell ausgerichtete Medien zeitverzögert Strukturen, Inhalte und Merkmale des Boulevardstils von privat-kommerziellen Anbietern, während sich der Prozess der Entpolitisierung und Vermischung von Information und Unterhaltung bei diesen weiterhin verstärkt.“ (Donsbach/Büttner 2005: 25). Insgesamt sorgt die Begriffsverwirrung für eine höchst unübersichtliche Situation. Mit Boulevardisierung, Popularisierung, Sensationalisierung, Infotainment und Unterhaltungsjournalismus werden inhaltliche Veränderungen der Themenselektion und Themengewichtung ebenso er-
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fasst wie entstehende Strukturen des Unterhaltungsjournalismus, beispielsweise in Form von Redaktionen für neue Programmformate. Während diese wenigen Hinweise auf notwendige Differenzierungen aufmerksam machen, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob nicht offensichtlich auch Distinktionen zu konstatieren sind. Weiß/Trebbe (2000) sowie Trebbe/Maurer (in diesem Band) haben aufgrund von Programmanalysen bereits die Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und Fernsehpublizistik eingeführt, eine Reaktion darauf, dass bestimmte Programminhalte sich eindeutig insbesondere von denen der Informationsschiene unterscheiden. Dabei handelt es sich in größerem Maßstab um Programme, die nicht von den Medienorganisationen selbst produziert werden, sondern um Auftrags- oder Fremdproduktionen oder um eingekaufte Inhalte (Finished Made for TV-Programme). Diese Überlegungen werden im vorliegenden Beitrag zum Ausgangspunkt genommen, ein Modell zu entwickeln, das zwischen dem Journalismus als Leistungssystem der Öffentlichkeit, dem unterhaltenden Journalismus als einem Darstellungsschemata/einer Berichterstattungsform des Journalismus und der Unterhaltung als einer Medienangebotsform unterscheidet. Grundlage des Modells sind Unterscheidungen auf der Akteurs- und Strukturebene, die anhand von Beobachtungen und vorliegender Ergebnisse zur Journalismusforschung und von Forschungen zur Unterhaltungsproduktion gezogen werden können. Der vorliegende Beitrag rekurriert somit auf die Produktionsebene und nimmt die Akteurskonstellationen und Strukturen der Produktion von Medienangeboten in den Fokus.
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Theoretischer Hintergrund
Auf die Strukturen und Akteurskonstellationen zu rekurrieren bedeutet, offen zu legen, was darunter verstanden wird. Dazu kann ein Blick in die in der Journalismusforschung seit einiger Zeit entstehenden Ansätze einer integrativen Sozialtheorie (vgl. Löffelholz 2001: 7) helfen, die Verbindungen zwischen Handlungs-, System- und Organisationstheorie herzustellen versuchen (vgl. zum Folgenden Altmeppen 2004 sowie Raabe 2005). Für einen intensiveren Blick auf insbesondere Strukturen stellen die Theorie sozialer Differenzierung sowie die Strukturationsthe-
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orie ein Begriffsinstrumentarium zur Verfügung, das geeignet erscheint, den Differenzierungen und Distinktionen in der Medienproduktion nachzuspüren. So lassen sich nach Giddens (1997) Strukturen definieren als Regeln und Ressourcen, wobei beide Begriffe einen deutlich größeren Bedeutungshorizont haben als in der alltagssprachlichen Anwendung. Institutionalisierte Regelwerke der Gesellschaft bauen auf Signifikation, Legitimation und Herrschaft auf und bilden somit Strukturierungsmodalitäten, die rekursiv miteinander verknüpft sind. Die Rekursivität liegt darin, dass Handeln Strukturen ermöglicht und beschränkt, Strukturen andererseits Handeln ermöglichen und restringieren. In der Dualität von Handeln und Struktur, in wechselseitiger Konstituierung wird soziales Handeln zum einen zur strukturabhängigen, zum anderen aber auch zur strukturbildenden Kategorie (vgl. auch in etwas anderer Diktion die Unterscheidung von handlungsdeterminierenden und handlungsabhängigen Strukturen bei Raabe 2005: 117 ff.). Strukturen ‚fallen demnach nicht vom Himmel‘, sondern sie konstituieren sich im Handeln, werden durch Handeln erst beobachtbar, sie sind Voraussetzung wie auch Ergebnis von Handlungen und sie werden durch Handlungen re-produziert, also aufrechterhalten, ebenso aber auch verändert, den situativen Gegebenheiten angepasst, dann aber auch erneut reproduziert und verändert. „Die Strukturierung sozialer Systeme zu analysieren bedeutet, zu untersuchen, wie diese in Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden“ (Giddens 1997: 77). Dabei stehen sich Handeln und Struktur nicht antagonistisch gegenüber, sondern bilden eine Dualität, bei der die institutionellen Ordnungen „sozialer Systeme sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken (sind), die sie rekursiv organisieren.“ (Giddens 1997: 77) Wenn Organisationen wie der Journalismus und die Medien Ziele für das Handeln ihrer Mitglieder formulieren, sind diese Ziele Bestandteil institutioneller Ordnungen (des Sollens, vgl. Schimank 1996: 247) und somit verbindlich für die Mitglieder. Wenn die Mitglieder der Organisation diese Ziele handelnd umsetzen, reproduzieren sie damit zugleich diese Bedingungen, die ihr Handeln ermöglichen oder restringieren. Der Prozess der Strukturierung enthält auch die Bedingungen für die Kontinuität oder Veränderung von Strukturen.
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Regeln sind untrennbar mit Handeln verbunden. Sie werden durch das Handeln produziert und reproduziert. Produziert in dem Sinne, dass beispielsweise die Zielformulierung einer journalistischen Organisation ihre Ausführungsbestimmungen zugleich mit einbezieht, also die Praktiken, die notwendig und ‚vorgeschrieben‘ sind, um das Ziel zu erreichen. Die Zielformulierung einer journalistischen Organisation ist aber nichts anderes als das ebenfalls rekursive, also strukturell angeleitete Handeln der Führung dieser Organisation, des Managements oder Eigentümers. In modernen Organisationen werden die „restringierenden und ermöglichenden Strukturen – Regeln und Ressourcen – reflexiv etabliert und durch Formalisierung festzuschreiben versucht.“ (Ortmann/Sydow/Windeler 1997: 319) Verpflichtungen, Erwartungen, Rechte und Ressourcen, die eine Organisationsführung in der Formalstruktur (Organigramm) mittels Positionen, Programmabteilungen, Direktionen, Ressorts und Redaktionen anlegt, sind selbst wiederum Folgen einer Strukturierung, mithin also einer Reproduktion der Strukturen und des Handelns auf der Ebene des Managements. Nimmt man nun an, dass diese Regeln im Sinne der Schimankschen Theorie sozialer Differenzierung (vgl. Schimank 1996) die Orientierungshorizonte bilden für das Agieren der Organisationsmitglieder, so avancieren die Orientierungshorizonte zu wesentlichen Faktoren bei der Differenzierung von Journalismus, Unterhaltungsjournalismus und Unterhaltung, denn beispielsweise die Ökonomisierung in Journalismus und Medien ist auf veränderte Ziele der Organisationen zurückzuführen, und mit der Veränderung der Organisationsziele ist zugleich auch eine Veränderung der Strukturen (im Sinne einer Regelveränderung) verbunden. Regeln sind der eine Faktor der Definition von Strukturen, Ressourcen der andere. Damit eine journalistische Organisation unterhaltende Berichterstattung betreiben kann, benötigt sie nicht nur die entsprechende Zielvorstellung, sondern auch adäquate Ressourcen. Erst die Kombination dieser beiden Faktoren schafft Struktur, denn der Rückgriff auf Ressourcen ist notwendig, um Regeln im Handeln auch umzusetzen. Die so verknüpften Regeln und Ressourcen bilden nach Giddens gemeinsam Sets von Strukturen (vgl. Giddens 1997: 86; für den Medienbereich: Altmeppen 2004). Für das Verständnis von Ressourcen zentral ist deren Unterscheidung in allokative und autoritative Ressourcen (vgl. Giddens
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1997: 86). Da Giddens die Strukturationstheorie vor allem als Machtund Herrschaftstheorie versteht, steht neben der Frage, wer sinnkonstituierende Regeln setzen kann, auch die Frage im Vordergrund, wer über die Verfügungsmacht von Ressourcen entscheiden kann. Dazu bezeichnen allokative Ressourcen die Verfügungsmacht über materielle Einheiten, autoritative Ressourcen die Verfügungsmacht über „Typen des Vermögens zur Umgestaltung, die Herrschaft über Personen oder Akteure generieren.“ (Giddens 1997: 86) Über diese Definition von Ressourcen sind die für die Medienproduktion notwendigen finanziellen Mittel, die Personalausstattung und die Technik (allokative Ressourcen) ebenso erfassbar wie Faktoren wie Zeit für Recherche, Zugang zu Quellen, die Reputation der journalistischen Organisation (autoritative Ressourcen). Der Launch von Zeitungen, häufig mit Re-Strukturierungen verbunden, kann als Paradebeispiel für die Dualität von Handeln und Struktur und das Zusammenspiel von Regeln und Ressourcen gelten, denn dahinter stehen modifizierte Organisationsziele, Eingriffe in die Organisations- und Arbeitsprogramme des Journalismus und Aushandlungs- und Durchsetzungsprozesse der neuen Strukturen. Aus den Kategorien, die die Theorie sozialer Differenzierung und die Strukturationstheorie bereitstellen, lässt sich ein Raster bilden, das für eine Differenzierung des unterhaltenden Journalismus innerhalb der Journalismuskonzeptionen ebenso tragfähig erscheint wie für eine Distinktion zwischen Journalismus und Unterhaltung. Die Kategorien sind die Akteure, die Orientierungshorizonte der Akteure sowie die Regeln und Ressourcen der jeweiligen Handlungsfelder. Dieses Raster soll in einem ersten Schritt für die Differenz von Journalismus und unterhaltendem Journalismus genutzt werden.
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Journalismus und Unterhaltungsjournalismus: Differenzierungen
Unterhaltung als eine „zentrale und integrale Funktion von Journalismus“ (Lünenborg 2004: 109) anzusehen, dürfte mittlerweile unstrittig sein, wie auch empirische Untersuchungen zu diesem Thema belegen. Schon die von Langenbucher/Mahle (1974) befragten Journalisten bestä-
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tigten die Bedeutung der Unterhaltungsfunktion, und in der ersten repräsentativen Journalistenerhebung rangierten Unterhaltung und Lifestyle im mittleren Zustimmungsbereich beim Rollenverständnis, während die Realisierungschancen (Handlungsrelevanz) sogar noch höher eingeschätzt wurden (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 165f.). Eine eigenständige Dimension (ermittelt mit einer Hauptkomponentenanalyse) konnten Scholl/Weischenberg (1998: 173) mit dem unterhaltenden Servicejournalismus ermitteln, der insbesondere im Zeitschriftenbereich und beim privaten Hörfunk zu finden ist. Problematisch bleibt allerdings, dass es bei der Frage, wo denn im Journalismus unterhalten wird, drunter und drüber geht. Klaus/Lünenborg (2002: 152) meinen, ein Dilemma der Journalistik darin zu sehen, „andere journalistische Bereiche, Formen und Ressorts irgendwie zur Kenntnis nehmen zu müssen.“ Sie verweisen damit auf strukturelle Perspektiven des Unterhaltungsjournalismus, reiben sich ansonsten aber sehr viel stärker an der – vermeintlich von der Journalistik betriebenen – Unterscheidung von Fakten (im vermeintlich wahren Journalismus) und Fiktionen als dem ungeliebten Anhängsel. Auch Reus (2002: 77 ff.) stellt diese Unterscheidung in den Mittelpunkt, zeigt aber mit guten Beispielen, dass Fiktionalisierung ein Stilmittel des Journalismus ist, was immerhin anschlussfähig ist zu den Analysen der politischen Kommunikation und ihren Erkenntnissen der Entertainisierung der Politik (vgl. Holtz-Bacha 2004: 26), des Politainments und der Politik im Unterhaltungsformat (vgl. Schicha/Brosda 2002). Im Großen und Ganzen verfolgen die einzelnen Analysen jedoch einen rezipientenorientierten Unterhaltungsbegriff (vgl. Lünenborg 2004: 109), mit all seinen ethischen, moralischen und normativen Wertsetzungen. Doch lassen sich auch auf der Angebotsebene Merkmale eines Unterhaltungsjournalismus finden, oder eines Populären Journalismus, wie Renger (2000) dieses Genre nennt. Diese Merkmale sind auf der Ebene der Produkte und der Produktionsunternehmen zu finden (vgl. Renger 2000: 161), wobei vor allem die Themen- und Inhaltsstruktur sowie die inhaltlich-formalen Darstellungsmittel hervorstechen, während die produzierenden Organisationen selbst, die den Populärjournalismus über ihre Zielsetzungen steuern, ebenso im Hintergrund bleiben wie Fragen zur journalistischen Arbeitsleistung (Recherche).
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Diese journalistischen Arbeitsleistungen werden auf struktureller Ebene vorrangig anhand der Organisations- und Arbeitsprogramme analysiert (vgl. Blöbaum 1994; Altmeppen 1999). Während mit den Organisationsprogrammen die organisationsförmigen Strukturen erfasst werden, bieten die Arbeitsprogramme ein Raster zur Beurteilung der journalistischen Arbeitsleistung hinsichtlich der Selektion von Themen, der Bündelung von Themen nach Ressorts, Programmabteilungen und Sendungen, der Darstellungsformen sowie der Bearbeitungsprogramme wie Recherche, Umschreiben und Gestaltung. Als Strukturmomente liegen die Programme des Journalismus nicht nur der Produktion, sondern auch der Rezeption der Medienangebote zugrunde, als „Berichterstattungsmuster und Genres geben (sie) Auskunft über die Kommunikationsabsichten und Kommunikationserwartungen im Bereich der Medienkommunikation“ (Weischenberg 1995: 124). Darstellungsformen zum Beispiel haben sowohl für den Journalismus wie für das Publikum eine orientierende Funktion. Mit der Auswahl an Darstellungsformen kann der Journalismus die Präsentation seiner Medienangebote hinsichtlich des Themas, der Themenvermittlung und der Spezifika des Mediums und der Rezipienten abstimmen. Die Rezipienten orientieren sich durch habitualisierte Selektion an den unterschiedlichen Darstellungsformen: Sie treffen ihre Wahl aufgrund der bekannten und gewohnten Muster der Berichterstattung. Mit den journalistischen Programmen steht den Journalisten gleichsam ein Regelwerk wie auch ein Ressourcenpool gegenüber, die nicht als determinierende Strukturen fungieren, sondern die variabel und elastisch sind, da sie durch Handeln produziert und reproduziert werden und somit schließlich zu institutionalisierten Elementen der journalistischen Arbeit gerinnen. Die Programme stellen jedoch keine rigiden Vorgaben dar, sondern sie bilden einen Korridor von Strukturen und Handlungsspielräumen. Innerhalb dieses Korridors sind Entwicklungen und Differenzierungen des Journalismus möglich, wie sie der Unterhaltungsjournalismus darstellt. Derartige Differenzierungen sind charakteristisch in der Geschichte des Journalismus und lassen sich auf mehreren Ebenen erfassen, die jeweils unterschiedliche Einflusssphären bilden. Fernsehjournalismus beispielsweise kann definiert werden als Leistungssystem, das informa-
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tive und relevante, zielgruppenspezifische Themen unter den strukturellen (regelgeleiteten und ressourcenbasierten) Bedingungen der Distributionsform Fernsehen selektiert, bearbeitet und zur Publikation zur Verfügung stellt (vgl. Altmeppen 2005: 77f.). In ähnlicher Form strukturieren andere Mediengattungen wie Print, Hörfunk und Online die journalistischen Leistungen. Auf der anderen Seite existiert eine Reihe von Journalismuskonzeptionen, die quer zu den Mediengattungen stehen. Konzepte wie der Lokaljournalismus, aber auch Reise- und Ratgeberjournalismus finden sich in allen Mediengattungen, so dass zur gattungsstrukturellen Differenzierung weitere Unterscheidungen hinzutreten wie etwa die Konzentration auf bestimmte Verbreitungsgebiete oder bestimmte Themen. Auch die Ressortgliederung ist in diesem Sinne eine gattungsübergreifende Struktur. Zu diesen Strukturen gehören schließlich auch die Berichterstattungsmuster wie informierender, investigativer oder anwaltschaftlicher Journalismus, die nicht an Mediengattungen, sehr wohl aber an die jeweiligen organisationalen Ziele gekoppelt sind. Mediengattungen, Verbreitungsgebiete, Themen und Berichterstattungsmuster bilden ein miteinander verflochtenes Netz von strukturellen Einflüssen, dessen Phänotyp immer nur empirisch zu ermitteln ist, da die jeweiligen Strukturmuster variabel sind und sich im Zeitverlauf verändern. Dieser strukturelle Wandel lässt sich – werden Strukturen als Regeln und Ressourcen definiert – im Hinblick auf Veränderungen im Regelwerk und der Ressourcenverteilung sowohl theoretisch fundieren wie auch empirisch erfassen. Unterhaltungsjournalismus wäre dann eine strukturell beobachtbare Differenzierung des Journalismus, die medienübergreifend stattfindet, die aber mediengattungsspezifische Ausprägungen annimmt. Unterhaltungsjournalismus ist geographisch nicht eingeengt, zeichnet sich aber sehr wohl durch spezifische Themenselektion aus (das Populäre, der Lifestyle), wobei die Themenselektion grundsätzlich einer Orientierung an Aktualität folgt. Bezüglich der Berichterstattungsmuster kann der Unterhaltungsjournalismus durchaus mit dem Stilmittel der Fiktionalisierung arbeiten (Metaphern, Dramaturgie, Ironie, künstliche Figuren und Situationen) (vgl. Reus 2002: 80) und somit auch mit „massenmedialen Erzählformen und narrativen Strukturen“ (Renger 2000: 259), die ja
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durchaus bereits in den Darstellungsformen der Reportage und des Features enthalten sind. Und auch bei der Operationalisierung von Infotainment werden veränderte Themen-, Akteurs-, Stil- und Formatmerkmale herangezogen, um Unterschiede zwischen Informations- und Unterhaltungssendungen zu markieren (vgl. Brants 2004: 97). Das häufig dichotom benutzte Begriffspaar Journalismus und Unterhaltung kann folglich in einem ersten Schritt differenziert werden in ein System Journalismus mit dem Konzept des unterhaltenden Journalismus als einem Querschnittsbereich. Die strukturelle Analyse eines unterhaltenden Journalismus erlaubt es, beobachtbaren Differenzierungen auf der Ebene der journalistischen Programme nachzugehen, wobei davon auszugehen ist, dass (auch) unterhaltender Journalismus unter der Prämisse der Produktion aktueller, relevanter und zielgruppenspezifischer Berichterstattungsangebote arbeitet. In einem weiteren Schritt ist nun die Distinktion zwischen Journalismus und Unterhaltung zu klären.
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Journalismus und Unterhaltung: Distinktionen
Ist alles, was Medien an Inhalten anbieten, ein Produkt der Arbeit von Journalisten? Dieser Eindruck könnte entstehen, folgt man den Diskussionen und Analysen über Journalismus und Unterhaltung, etwa in der politischen Kommunikation (vgl. die Beiträge in Schicha/Brosda 2002 und Nieland/Kamps 2004). Die politische Kommunikation im Zeitalter von Big Brother hat beispielsweise Brants (2004) einen Beitrag überschrieben und damit zwei Programmformate verschmolzen, die nur vordergründig konvergieren, denn Guido Westerwelle (FDP-Vorsitzender) im Big-Brother-Container adelt Big Brother so wenig zur politischen Berichterstattung wie dieses Ereignis die politische Kommunikation auf Unterhaltungseffekte reduziert. Brants hat aber die Probleme schwieriger Zuordnungen von Journalismus und Unterhaltung sehr anschaulich an einem Stoßseufzer eines BBC-Direktors illustriert, der vermerkt, dass die BBC-Mitarbeiter beim Betreten des Senders Schwierigkeiten haben mit der Frage, wo sie sich an diesem Tag zur Arbeit melden sollen, da die einst strikt getrennten Genres Drama, Dokumentation und Unterhaltung verschmolzen oder zu Hybridformen mutiert sind (vgl. Brants 2004: 9596).
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Damit hat Brants den Finger gleichsam auf die distinkten Strukturen wie auf die Akteure als zentralen Distinktionsmerkmalen zwischen Journalismus und Unterhaltung gelegt, denn der folgende Blick auf diese Distinktionen zeigt, dass Unterhaltungsproduktion aus der Arbeit einer Vielzahl von Akteuren entsteht, die nicht der journalistischen Profession zuzurechnen sind. Ferner sind für die Unterhaltungsproduktion strukturelle Merkmale kennzeichnend, die gemeinsam mit den Akteursunterschieden zu der These führen, dass zwischen Journalismus (auch unterhaltendem Journalismus) und Unterhaltungsproduktion eindeutige Distinktionsmerkmale bestehen. Die Merkmale sind in Tabelle 1 für den Journalismus und in Tabelle 2 für die Unterhaltung aufgeführt und dienen im Folgenden als Gegenüberstellung der beiden Bereiche, denn gerade eine solche Kontrastierung verdeutlicht die Distinktionen. 4.1 Distinktionen auf der Ebene der Orientierungshorizonte Orientierungshorizonte offerieren Wollensvorgaben, die als teilsystemische Handlungslogiken das Handeln von Akteuren leiten (vgl. Schimank 1996: 244 ff.). Orientierungshorizonte avancieren daher zu strukturprägenden Einflussarenen sowohl für die organisationalen Ordnungen wie auch für das aktuelle Handeln von Akteuren. Zwar fungieren sie als hochgradig generalisierte Deutungsmuster, wie es etwa für den Journalismus mit dem Code von aktuell/nicht-aktuell angenommen wird, jedoch sind die Orientierungshorizonte immer im Zusammenhang mit den institutionellen Ordnungen zu sehen. Das sind Regelwerke, die häufig auf der Mesoebene und somit von Organisationen formuliert werden. Dies heißt nichts anderes, als dass Organisationen zwar einem bestimmten Orientierungshorizont verpflichtet sind, sie aber unter diesem Schirm durchaus eigenständig und eigensinnig ihre Ziele formulieren können. Für journalistische Organisationen bedeutet dies, dass sie grundsätzlich auf einen gesellschaftlichen Auftrag orientiert sind, aber diese Orientierung – beispielsweise mit der Ausdifferenzierung des Unterhaltungsjournalismus – variieren und an organisationale Ziele wie den ökonomischen Erfolg anpassen können (vgl. Tabelle 1). So kann der Journalismus – systemtheoretisch gesprochen – die Selbstbeobachtung der Gesellschaft leisten bzw. – normativ – den Erwartungen von Information, Kritik/Kontrolle, Bildung und Unterhaltung entsprechen, zugleich aber
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Differenzierung und Distinktion
diese Orientierungen durch ökonomische Kriterien erweitern oder aufweichen. Tabelle 1: Strukturelle Differenzierungen des Journalismus Orientierungshorizonte
Strukturen: Regeln Strukturen: Ressourcen
Gesellschaftsorientierung
Handlungsfelder der aktuellen Informationsproduktion
Funktion
Ereignisorientierung
Arbeitsprogramme des Journalismus
Recherche
Input
Konsonanz und Permanenz der Organisation
Reputation
Aktualität (statt Planung)
Selektion
Rezipientenbeobachtung
Formate
Agenturen
Akteure Journalistinnen und Journalisten
Darüber hinaus lassen sich auf der Ebene der Orientierungshorizonte weitere Kriterien finden, die als generelle Deutungsmuster wirken. Im Journalismus sind dazu die Ereignisorientierung, die Fokussierung auf den Input und die Aktualität des Journalismus zu zählen, die als organisationsübergreifende Deutungsmuster wirken und deren Konturen vor allem im Vergleich zu den strukturellen Differenzierungen der Unterhaltungsproduktion deutlich hervortreten (vgl. Tabelle 2). So handeln Journalisten ereignisorientiert, da journalistisches Handeln in der Regel reaktiv erfolgt, Selektion und Recherche beginnen, wenn mögliche relevante Ereignisse geschehen sind. Damit ist Journalismus auf Input fokussiert und aktiviert seine Arbeitsprogramme (wie die Selektion, die Recherche, die Auswahl der Darstellungsformen) entlang des Inputs. Dieser Input wiederum entsteht aufgrund des Kriteriums
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der Aktualität. Schließlich betrachtet der Journalismus die Abnehmer seiner Güter als Rezipienten und betreibt daher Rezipientenforschung (Leserschaftsforschung, Qualitätsforschung). Eine Gegenüberstellung dieser journalistischen Orientierungshorizonte mit denjenigen der Unterhaltungsproduktion zeigt die gewichtigen Unterschiede auf. Unterhaltungsproduktion hat grundsätzlich eine Marktorientierung, da das Programm nicht anhand von Ereignissen ausgewählt wird, sondern anhand von Marktforschungsdaten, die eine optimale Verbreitung des Programms (Quote) absichern sollen. Unterhaltungsproduktion ist somit nicht ereignis-, sondern ergebnisorientiert. Den Maßstab für die Einführung neuer oder die Einstellung bestehender Unterhaltungsprodukte stellt der Markterfolg oder -misserfolg dar, dessen Ergebnis die weitere Planung und Ressourcenverteilung steuert. Mit dieser Fokussierung auf den Output gehen eingehende und differenzierte Planungsprozesse von der Konzeption bis zur Vermarktung der Unterhaltungsprodukte einher. Hierzu gehört als wichtige Institution, im Gegensatz zur Rezipientenbeobachtung, die Marktbeobachtung und Marktforschung (vgl. Siegert 2006). Journalismus und Unterhaltungsproduktion unterscheiden sich damit grundsätzlich auch in der Einschätzung der Rolle der Abnehmer ihrer Leistungen. Während der Journalismus Rezipienten beobachtet, betrachtet die Unterhaltungsproduktion ihre Abnehmer als Konsumenten oder Kunden, um über die Quote oder Auflage als Währungseinheit Werbeeinnahmen zu erzielen. 4.2 Distinktionen auf der Strukturebene: Regeln und Ressourcen Insgesamt verweisen die Kriterien auf der Ebene der Orientierungshorizonte darauf, dass Unterschiede zwischen Journalismus und Unterhaltung sich eben nicht nur auf der Programmebene ergeben, wie Görke (2002: 67) feststellt. Dort, bei den Strukturen, setzt sich fort, was die Orientierungshorizonte als institutionelle Ordnungen als Rahmen vorgeben. Auf der Mesoebene, dort wo die Organisationen beheimatet sind, 1
Diese Argumentation wird nicht dadurch entwertet, dass Journalismus durchaus auch geplant vorgeht, etwa beim Terminjournalismus, denn dieser wird bestimmt durch voraussehbare Ereignisse. Auch journalistische Leistungen wie etwa Dokumentationen, die geplant werden, bilden nicht mehr als Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Differenzierung und Distinktion
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sind weitere eindeutige Distinktionen zwischen Journalismus und Unterhaltungsproduktion festzumachen. Organisationen allerdings sind selbst als Struktur zu begreifen, denn die Formalstruktur (Organigramm) einer Organisation, die mittels Positionen, Programmabteilungen, Direktionen, Ressorts und Redaktionen definiert ist, sind ebenso handlungsbegrenzende wie ermöglichende Strukturen wie Verpflichtungen und Erwartungen der Organisationsmitglieder, und diese regelnden Verpflichtungen und Erwartungen sind wiederum geknüpft an Ressourcen, die zur Ausübung von Verpflichtungen notwendig sind. Organisation ist also selbst wiederum Ausgangspunkt und Folge einer Strukturierung, mithin also einer Reproduktion der Strukturen und des Handelns. Zu den wichtigsten Distinktionen zwischen Journalismus und Unterhaltungsproduktion gehören denn auch die organisationalen Regeln. So sind die Handlungsfelder der aktuellen Informationsproduktion durch Konsonanz und Permanenz der Organisation gekennzeichnet (vgl. Tabelle 1). Die Aufteilung in Redaktionen und Ressorts – und damit die Orientierung an Themen – sowie relativ permanente Rollenbeschreibungen verdeutlichen diese Konsonanz und Permanenz. Dazu gehört auch, dass journalistische Akteurskonstellationen wie die Redaktionen als sehr langfristige Konstellationen angesehen werden können, da sich die Akteure zeitlich permanent (tagtäglich) und örtlich konstant (in der Redaktion) treffen (In-house-Produktion). Handlungsfelder der Unterhaltungsproduktion dagegen weisen keine solche Konsonanz und Permanenz der Organisation auf. „Die Veränderung des Produktionsmodells von einer Konzentration auf „In-house“Produktion und Beschaffung von eher peripherem Content über den Markt (….) hin zur verteilten Produktion in Projektnetzwerken (….) stellt Fernsehsender und Produzenten vor ganz neue Aufgaben der Produktionskoordination.“ (Windeler 2004: 63) Unterhaltungsproduktion wird über Projektnetzwerke realisiert, bei denen Sender, Produzenten, Regisseure, Autoren sowie künstlerische und technische Mediendienstleister temporär und projektgebunden Medienangebote produzieren. Derart flexible Produktionsstrukturen können nicht auf konsentierte Arbeitsprogramme zurückgreifen, wie sie im Journalismus üblich sind. Die Selektions-, Themen-, Darstellungs- und Bearbeitungsprogramme des Journalismus regeln und ermöglichen den Produktionsprozess, in-
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dem sie Muster der Produktion bereitstellen, die auf die aktuelle Berichterstattung konzentriert sind. Die Aktualität ist ein zentrales Kriterium der Distinktion zwischen Journalismus und Unterhaltung, sie strukturiert die Produktionsrhythmen des Journalismus ganz entscheidend. Darüber hinaus geschieht Recherche nach einem ausgearbeiteten Regelwerk und fungiert zugleich als Ressource für die Gewinnung von Informationen. Als Zugangsschlüssel zu Quellen erweist sich dabei zugleich die Reputation der journalistischen Organisation als Ressource, auf die Journalisten ebenso zurückgreifen können wie auf die gesellschaftlich anerkannte Funktion ihres Berufes. Darüber hinaus sind natürlich die Nachrichtenagenturen eine zentrale Ressource des Journalismus, wobei die Agenturen selbst sich wiederum weiterer Ressourcen wie den Korrespondenten bedienen. Auf der anderen Seite ist Unterhaltung das spezielle Problem dieses Systems, dessen Lösungen beziehungsweise Lösungsversuche sind entsprechend strukturiert und organisiert (vgl. Dröge 2001: 99). Aufgrund der Profit- und Quotenorientierung sowie der Konzentration auf den Markt werden die Produktionsprozesse in der Unterhaltung sehr viel stärker über den Markt realisiert, der als Ressource für die Koordination der Netzwerke aus den unterschiedlichen beteiligten Organisationen und Einzelpersonen dient. Da darüber hinaus die Produktionsprozesse kaum standardisiert werden können, ist Vertrauen einer der wesentlichen Mechanismen der Zusammenarbeit. Die Sender haben in den Netzwerken eine herausgehobene Stellung, die sich aus ihrer Funktion als Auftraggeber und Finanzier ergibt. „Sie monitoren zudem als mächtigste Projektbeteiligte kontinuierlich das Projektgeschehen. Das durch Marktforschungen usw. gewonnene Wissen bringen sie als wohlgehütete Machtressource in die Verhandlungen und die Steuerung der Produktionsprozesse ein. Sendervertreter sind nämlich entweder direkt im Prozess der Leistungserstellung anwesend oder lassen sich täglich das Erstellte übermitteln.“ (Windeler 2004: 68) Gerade hierin drückt sich die Ergebnisorientierung der Unterhaltungsproduktion aus, denn nicht aktuelle Ereignisse, sondern eine vorab festgelegte Einschaltquote ist das Ziel der Produktion.
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Differenzierung und Distinktion
Tabelle 2: Strukturelle Differenzierungen der Unterhaltungsproduktion Orientierungshorizonte
Strukturen: Regeln
Strukturen: Ressourcen
Marktorientierung
Handlungsfelder der Unterhaltungsproduktion
Markt
Ergebnisorientierung
Flexible Organisationsmuster
Netzwerke
Output
Keine Konsonanz und Permanenz der Organisation
Vertrauen
Planung
Profit Quote
Marktbeobachtung
Formate
Akteure Medienschaffende (Koordinatoren, Produzenten, Regisseure)
4.3 Differenzierungen auf der Akteursebene Wenn, wie im vorhergehenden Kapitel deutlich wurde, längst nicht alle inhaltlichen Angebote der Medien, und insbesondere des Fernsehens, durch den Journalismus erstellt werden, dann stellt sich die Frage, wer die Akteure sind, die Unterhaltung produzieren. Festzumachen ist dies an den Berufen und Berufsgruppen, und das sind andere als die des Journalismus. Es sind Produzenten, Regisseure, Koordinatoren in den Sendern statt Korrespondenten, Reportern und Lokaljournalisten. Somit ist – analog zur Differenzierung von Journalismus und Unterhaltungsjournalismus und zur Distinktion von Journalismus und Unterhaltung – auch bei den Akteuren eine doppelte Sichtweise notwendig. Einerseits kann Unterhaltungsjournalismus – analog zur oben entfalteten Definition von Fernsehjournalismus – definiert werden als Handlungssystem, das aktuelle und relevante, zielgruppenspezifische Themen unter den strukturellen (regelgeleiteten und ressourcenbasierten) Bedingungen unterhalten-
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der Journalismusformate selektiert, bearbeitet und zur Publikation zur Verfügung stellt. Unterhaltungsjournalismus ist – wie beispielsweise Lokaljournalismus – eine Journalismuskonzeption, die mediengattungsübergreifend existiert und anhand (journalismus-)spezifischer Strukturen (wie Themen- und Selektionskriterien, Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster) analysiert werden kann. Unterhaltungsjournalismus ist, unter strukturellem Blickpunkt betrachtet, auch eine von historischen Bedingungen abhängige Journalismuskonzeption, die ebenso Konstanten aufweist wie Veränderungen. So haben ja bereits die von Langenbucher/Mahle (1974) befragten Journalisten ihre unterhaltende Funktion auf der Folie eines Informationsjournalismus gesehen, ein Befund, der durch die Daten von Scholl/Weischenberg (1998: 165) für die journalistische Generation fast zwanzig Jahre später bestätigt wird. Die unzweifelhaft größere Bedeutung unterhaltender journalistischer Formate ist aber vermutlich auch dem Umstand zuzuschreiben, dass die jüngere Generation der Journalisten ein gewandeltes Berufsverständnis mitbringt, denn „gerade was das Verständnis der strikten Trennung von ‚Fakten’ und ‚Fiktionen’ anbelangt, gälte es zu bedenken, dass die nachwachsende Generation journalistischer Akteure heute sozialisations- bzw. habitusbedingt möglicherweise ein ganz anderes Verhältnis zu Phänomenen der Virtualität und medialer Scheinwelten sowie einen eher spielerischen Umgang mit der Pluralität unterschiedlicher ‚Realitätsebenen’ entwickelt hat im Vergleich zu denen, die das journalistische Handwerk in einer anderen Zeit erlernt haben und unter völlig anderen (Medien-)Bedingungen aufgewachsen sind.“ (Raabe 2005: 193) Der Wandel des Journalismus beruht somit auf sich gegenseitig verstärkenden Kreisläufen: eine zunehmende strukturelle Integration unterhaltender Formate des Journalismus trifft auf eine in ihren Ansichten, Lebens- und Berufseinstellungen gewandelte Berufsgruppe, die wiederum Unterhaltung weit weniger als stigmatisierte Berufsanforderung begreift und somit die strukturelle Integration wenn nicht befördert, so doch gelassen betreibt (vgl. für den Hörfunk Altmeppen/Donges/Engels 1999). Für den Bereich der Unterhaltungsproduktion stehen nur wenige empirische Daten zur Verfügung, die über die dortigen Strukturen und die handelnden Beschäftigten Auskunft geben (vgl. Sydow/Windeler 2004,
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Kauschke/Klugius 2000, Karstens/Schütte 1999). Jedoch lassen sich aus diesen Arbeiten wie vereinzelten weiteren Darstellungen (vgl. Dickmeis 2002; Holtmann 1998; Röpcke 2004) zum einen die zuvor aufgezeigten strukturellen Unterschiede zwischen Unterhaltungsjournalismus und Unterhaltungsproduktion herausdestillieren. Zum anderen lässt sich feststellen, dass an der Unterhaltungsproduktion eine Vielzahl von Berufsgruppen und Berufen beteiligt ist, die keine Journalisten sind, wie etwa Autoren, Regisseure, technische und andere Mediendienstleister (vgl. für die Berufsgruppe der Produzenten Hachmeister 2003). Ein möglicher Bezug zum Journalismus ließe sich allenfalls durch diejenigen Personen in den Produktionsnetzwerken herstellen, die auf Seiten der Sender die Produktionsprozesse anstoßen, steuern und kontrollieren. Der Kreis dieser Personen, die in den Programmdirektionen der Sender angestellt sind, ist klein, die Aufgaben dieser Akteure, die als Medienschaffende bezeichnet werden können, liegen in koordinierenden Tätigkeiten der erfolgreichen Projektabwicklung, die Aufgaben orientieren sich nicht an Aktualität, sie werden geplant im Hinblick auf profitorientierte Ziele, was insgesamt zu ganz anderen Arbeitsinhalten und -prozessen führt als beim Journalismus. Während journalistische Produkte überwiegend inhouse von (mehr oder weniger) festangestellten Journalisten – als eindeutig identifizierbaren Akteuren – in permanenten, routinisiert strukturierten Produktionsprozessen hergestellt werden, arbeiten in der Unterhaltungsproduktion vielfältige, wechselnde Akteure temporär in neuen Organisationsformen wie etwa Netzwerken. Produzenten, Autoren, Dramaturgen, Techniker und Koordinatoren kommen jeweils für die Dauer der Produktion an unterschiedlichen Orten zusammen, um danach andere Projekte in Angriff zu nehmen. Der InhouseProduktion des Journalismus mit eingefahrenen Beschaffungsformen (wie Agenturen, Recherche) stehen in der Unterhaltungsproduktion distinkte Formen der Produktion und/oder Beschaffung von Inhalten gegenüber. Gegenüber der Ko-, Auftrags- oder Kaufproduktion nimmt die Eigenproduktion einen geringen Anteil ein (vgl. Weiß/Trebbe 2000: 29). Es existieren kaum empirische Daten über das Selbstverständnis dieser Gruppe von Medienschaffenden. Wenn nach dem Selbstverständnis von Unterhaltungsjournalisten gefragt wird – wie etwa bei der Befragung von Dröge (2001) –, dann wird nicht zwischen Unterhaltungsjournalis-
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mus und Unterhaltungsproduktion unterschieden. Daher muss bis zur empirischen Klärung offen bleiben, ob sich die Medienschaffenden dem Selbstbild nach den Journalisten zurechnen. Jenseits dieser Klärung zeigt jedoch die theoretisch-begriffliche Analyse der Strukturen, dass die Tätigkeiten der Medienschaffenden in der Unterhaltungsproduktion nicht den bislang geltenden Kriterien zur Definition von Journalismus entsprechen. Diesen Distinktionen kann die Kommunikations- und Medienwissenschaft Rechnung tragen, indem sie zu einem veränderten Begriff des Journalismus kommt, der die nicht-aktuelle, grundsätzlich anders strukturierte Produktion von Medienangeboten inkludiert. Oder sie folgt den Distinktionen der Medienproduktion und kommt zu einem neuen Begriff von Kommunikatoren, der nicht mehr mit Journalismus (und vielleicht Public Relations) allein assoziiert wird, sondern den strukturellen – und damit berufscharakteristischen – Veränderungen in den Medien Rechnung trägt. Diese Frage kann nur im wissenschaftlichen Diskurs beantwortet werden. Dabei könnte auch die bürgerliche Niveauideologie der Medienkritik wie der Kommunikations- und Medienwissenschaft auf den Prüfstand kommen, die dann nicht mehr all diejenigen Medienangebote mit journalistischen Leistungsanforderungen messen müsste (oder könnte), die diesen Leistungsanforderungen weder dem Selbstverständnis noch den strukturellen Gegebenheiten nach entsprechen (wollen).
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Klaus-Dieter Altmeppen
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Stefan Weinacht und Ralf Hohlfeld
Das Hofnarren-Komplott Deskriptiv-theoretische Herleitung von Entgrenzung und Selbstthematisierung im Journalismus 1
Einleitung
Für die Tatsache, dass der Journalismus seit jeher unterhaltende Elemente und Motive enthält, hat die historische Journalismusforschung zahlreiche Belege geliefert. Gemäß dem Horazschen „Prodesse et delectare“ ist eine gewisse Unterhaltungsorientierung zu allen Zeiten ein konstitutiver Bestandteil des Journalismus gewesen. Und dies nicht nur, weil seit jeher Fiktionalisierungen in allen journalistischen Darstellungsformen präsent sind, um zur Pointierung von Fakten beizutragen (vgl. Reus 2002: 83). Unterhaltende Elemente wurden auch schon für Themen, Inhalte und Funktionen der Moralischen Wochenschriften nachgewiesen (vgl. Maar 1995). Neben diesen Gesellschaftszeitschriften zählten die Literarischen Zeitschriften zu den Grundlagen des heutigen Zeitschriftenwesens, ebenso wie eine direkte Traditionslinie hergestellt werden kann zwischen den Abenteuer- und Entdeckungsgeschichten, die Ende des 18. Jahrhunderts im Sprechsaaltyp veröffentlicht wurden, und den Fortsetzungsromanen, die heute in fast allen Tageszeitungen gedruckt werden. Gleichwohl sind die Vermischungstendenzen, die seit etwa einem knappen Jahrzehnt in der Kommunikationswissenschaft als Entgrenzung des Journalismus beobachtet und diskutiert werden, von einer neuen Qualität. Die Ausfransung (vgl. Weischenberg 1998: 11; Scholl/Weischenberg 1998: 273; Loosen/Scholl 2002: 139f.) des Journalismus u.a. in Richtung Unterhaltung betrifft heute einerseits einzelne spezifische journalistische Gestaltungsweisen wie Darstellungsformen, Formate und Berichterstattungsmuster, hat andererseits aber auch die Herausbildung
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Stefan Weinacht/Ralf Hohlfeld
so genannter Hybridmedien zur Folge, die a priori als multifunktionale Medien der Massenkommunikation konzipiert sind. In diesem Beitrag wird die forcierte wechselseitige Durchdringung von Journalismus und Unterhaltung in allen Formen, Facetten und Differenzierungen beschrieben und eine daraus abgeleitete Typisierung von alten und neuen Mischformen verglichen mit der reflexiven und selbstthematisierenden Operationsweise von Journalismus und Massenmedien und ihren Ausprägungen auf der Formatebene. Denn parallel zur zunehmenden Entgrenzung ist eine zweite Entwicklung zu beobachten: Als soziale Systeme operieren Journalismus und Massenmedien zunehmend selbstbezüglich. Über eine streng systemtheoretisch-konstruktivistische Lesart à la „Journalismus macht aus allem Journalismus“ (Pörksen/Weischenberg 2000) hinaus bedeutet das, dass sich Medien mit Blick auf ihre Thematisierungsfunktion zunehmend auf Medien beziehen und vermehrt Ereignisse und Berichterstattungsobjekte innerhalb des eigenen Systems fokussieren (vgl. Siegert 2001a; Rössler 2001; Hohlfeld 2001). Spätestens seit der Einführung des privaten Rundfunks in Deutschland wird diese Tendenz mit der medienökonomischen Möglichkeit zur Nutzung synergetischer Werbestrategien in Verbindung gebracht und vor dem Hintergrund der inhaltlichen Meinungsvielfalt als Gefahr problematisiert (vgl. Jarren 1988: 92; KEK 2003: 36-41). Es wird ein deskriptiv-theoretischer Ansatz verfolgt, der aktuelle Phänomene der Medienkommunikation aus den beiden relevanten Kontexten „wechselseitige Durchdringung von Journalismus und Unterhaltung“ und „Formen medialer Selbstthematisierung“ theoretisch modelliert, miteinander vergleicht und zueinander in Beziehung setzt. Denn wenn, wie gezeigt werden soll, Selbstthematisierung in erster Linie dem Zweck der redaktionellen Selbstdarstellung dient, dann könnte eine der möglichen weiterreichenden Folgen dieser parallelen Trends eine schleichende „Propaganda durch Unterhaltung“ sein: Die Medien stellen ihre Eigeninteressen über den öffentlichen Auftrag und nutzen die Unterhaltung als Vehikel. Um derartige Strategien aufdecken zu können, wird ein Analyseschema entwickelt, das einer späteren systematisch-inhaltsanalytischen Validierung den Weg ebnet. Die theoretisch hergeleiteten Ergebnisse können aber zum Teil bereits mit empirischen Studien zum funktionalen und thematischen Umfeld selbstthematisierender Programmbe-
Das Hofnarren-Komplott
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standteile im Fernsehen gestützt werden (vgl. Rössler 2001: 67-70; Hohlfeld 2001).1 Als Conclusio werden abschließend einige Erklärungsansätze sowohl für die Selbstthematisierungstendenzen als auch für die Tendenzen der Entgrenzung jeweils auf der Makro-, Meso- und Mikroebene vorgestellt und wiederum miteinander verglichen. Hierbei hat sich die Mesoebene aus heuristischer Sicht bislang als vorteilhafte Dimension herauskristallisiert: Insbesondere die medienökonomischen Begründungen, die für beide Phänomene angeführt werden, wirken überzeugend. Da in jedem Fall eine enge Beziehung zwischen Entgrenzung und Selbstbezug aufgezeigt werden kann, wird hier argumentiert, dass der parallele Einsatz der beiden Gestaltungsmöglichkeiten als beabsichtigtes Hofnarren-Komplott gedeutet werden kann. Die Analyse selbstthematisierender Berichterstattung kann auf diese Weise wichtige Hinweise auf Differenzierungs- und Entgrenzungsprozesse geben, die den Journalismus künftig in seinem Kern betreffen.
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Entgrenzung
Dass es im Rahmen der Diskussion über Entgrenzungsphänomene nicht unproblematisch ist, Journalismus und Unterhaltung theoretisch auf einer Ebene in Verbindung zu bringen, wird zu Beginn dieses Kapitels dargestellt. Daraufhin wird die Wechselseitigkeit der Vermischungstendenzen betont, indem phänomenologisch aufgezeigt wird, dass nicht nur Unterhaltungsformen immer mehr Platz im Journalismus beanspruchen, sondern dass sich auch die Unterhaltung immer häufiger journalistischer Themen und Darstellungsformen bedient. Auf dieser Basis wird schließlich eine Typologie der Entgrenzung vorgestellt, deren Unterscheidungskriterien und Ausprägungen beschrieben werden. 1
Schon eine Programmanalyse, mit der die vier Vollprogramme ARD, ZDF, RTL und SAT.1 1992 auf Selbstthematisierungsmerkmale untersucht wurden, deutete an, dass die Selbstbezüge tendenziell im Bereich des Infotainment und der Soft News angesiedelt sind: 76 Prozent aller Selbstthematisierungen spielen sich im Bereich der eher weichen oder weichen Themen ab, nur ein knappes Viertel fand im Kontext eher harter und harter Themen statt (vgl. Hohlfeld 2000: 78).
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Stefan Weinacht/Ralf Hohlfeld
2.1 Distinktive Vorbemerkungen Das Verhältnis von Journalismus und Unterhaltung lässt sich in seinen Grundzügen bestimmen, wenn man die Funktionen in den Blick nimmt. Unterhaltung ist im Gegensatz zum Journalismus in erster Linie eine Rezeptionskategorie. Sie wird in der Kommunikationsforschung als Modus der Informationsverarbeitung durch den Rezipienten angesehen. Als Stilmittel können unterhaltsame Elemente die Rezeptionschance journalistischer Informationen erhöhen und deren Aufmerksamkeitswerte vergrößern (vgl. Brosius 1990; Schultheiss/Jenzowsky 2000). Unterhaltung dient aber aus Sicht der Cultural Studies nicht allein dem kurzweiligen Vergnügen und Amüsement, sondern schafft gleichsam Diskussion und Reflexion, wie es normativ und demokratietheoretisch auch dem Journalismus aufgetragen ist. Journalismus als gesellschaftlicher Informationslieferant und Themenmakler wird mit der öffentlichen Aufgabe von Presse und Medien synonym gesetzt und ist insofern eine (an Akteure gebundene) Produktionskategorie im Massenkommunikationsprozess. Entsprechend sind – analog zum vermeintlichen Gegensatzpaar Information und Unterhaltung (vgl. Klaus 1996) – auch Journalismus und Unterhaltung keine auf der selben Ebene zu verortenden klassischen Gegensätze, sondern unterschiedliche Formen öffentlicher Kommunikation, die sich hinsichtlich ihrer Leistungen und Funktionserwartungen teils ähneln, teils aber stark voneinander abweichen. Vergleichen lassen sich Journalismus und Unterhaltung als zweierlei Zugänge zur Wirklichkeit, als Modi der Realitätsvermittlung im Massenkommunikationsprozess. Doch auch wenn sich konzidieren lässt, dass Journalismus und Unterhaltung komplementäre Bestandteile der Wirklichkeitsauseinandersetzung sind (vgl. Klaus/ Lünenborg 2002: 157), müssen sich diese Komplemente funktional beschreiben lassen. Idealtypisch gilt Journalismus (= aktueller Informationsjournalismus) als faktenorientiert und berichterstattend, Unterhaltung (= Mediensparte) als fiktionalisierend oder inszenierend. Die historisch beobachteten Überlappungen fanden traditionell überwiegend in formaler Hinsicht statt. So gehört Elisabeth Klaus (vgl. 2003) zufolge die Unterhaltung als Präsentations-, Darstellungs- und Vermittlungsform in den Werkzeugkasten des Journalismus. Mit der von Blöbaum (2000: 181) beobachteten
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„Entgrenzung klassischer Darstellungsformen“ ist die unstrittige journalistische Leistung zu unterhalten gemeint. Guter Journalismus ist anregend und trägt zur subjektiv empfundenen Unterhaltung – hier im Sinne des Gegenteils von Langeweile – der Rezipienten bei. Als Inhalt, Arbeitsbereich und Ressort bleibt Unterhaltung in der dominierenden Auffassung der Journalismusforschung bis auf weiteres außen vor. Michael Haller (2001: 3) hat zu diesem Zweck die hilfreiche Unterscheidung zwischen unterhaltend (Form: sprachliche Verpackung, Präsentationsmodus) und Unterhaltung (Inhalt: Themen aus dem Boulevardbereich, Soft News, Human Interest) getroffen. In einer inhaltlichen und thematischen Grenzaufweichung werden demzufolge auch die größten Probleme gesehen, die den aktuellen Informationsjournalismus bedrängen und eventuell einen „Identitätsverlust“ nach sich ziehen (Blöbaum 2000: 180). Die Entgrenzung tritt der traditionellen Journalismusforschung als Normabweichung entgegen, die sich darin zeigt, dass Unterhaltung von (in der gesellschaftlichen Moderne errungenen) Informationsstandards entbindet. Das erzeugt Unbehagen. Was sich unbesehen solch normativer Erwägungen – und abseits der Problematik, dass Journalismus und Unterhaltung auf ganz unterschiedlichen Bezugsebenen verortet werden müssen – aber mit Sicherheit im Hinblick auf kommunikativen Wandel sagen lässt: Die (einstmals gegebene) Erwartungssicherheit hinsichtlich der Medienschemata – was ist ein genuin journalistisches Format, was ist ein Unterhaltungsformat? – hat infolge multipler inhaltlicher und formaler Mischformen drastisch abgenommen (vgl. Altmeppen/Quandt 2002: 47). Und genau dadurch gewinnt eine schleichende Organisations-Propaganda an Brisanz. Bevor eine Typisierung der Mischformen vorgenommen werden kann, sollen verschiedene Phänomene der Entgrenzung erläutert werden, die besonders augenfällig geworden sind. Die Entgrenzungsrichtung zwischen Journalismus und Unterhaltung verläuft dabei reziprok, d.h. es sind sowohl Tendenzen sichtbar, dass der Journalismus zur Unterhaltung hin ausfranst als auch Trends, die keinen Zweifel daran lassen, dass sich mediale Unterhaltung thematisch und formal des Informationsjournalismus’ bedient.
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2.2 Journalismus franst zur Unterhaltung aus Im Printjournalismus kann in den vergangenen Jahrzehnten eine graduelle und schrittweise Ergänzung des vorherrschenden BerichterstattungsParadigma Informationsjournalismus (Objektive Berichterstattung) beobachtet werden (vgl. Weischenberg 1995: 111-117; Hohlfeld 2003: 226). Als komplementäre Form journalistischer Wirklichkeitsauseinandersetzungen etablierte sich neben investigativem und Präzisionsjournalismus u.a. auch das so genannte weiche Berichterstattungsmuster Neuer Journalismus, das Mitte der Achtzigerjahre in Gestalt von BindestrichJournalismen wie Zeitgeist-Journalismus, Gonzo-Journalismus, PopJournalismus und Borderline-Journalismus auf den Plan trat (vgl. Bleicher/Pörksen 2004) und später auch unter dem Stichwort Junges bzw. Popfeuilleton Einzug in deutsche Qualitätsblätter hielt (vgl. Hohlfeld 2004: 342). Gemein ist diesen Journalismuskonzeptionen, die sich spätestens in den Neunzigerjahren institutionalisieren konnten, dass sie hinsichtlich der Thematisierungsfunktion gesellschaftlich konsentierte Relevanzkriterien zugunsten subjektiver Relevanzkriterien aufgeben bzw. diese ironisch variieren. Damit einher geht eine zunehmend engere Verbindung von Literatur und Journalismus (vgl. Blöbaum 2003; Bleicher/Pörksen 2004). Junge Journalisten wie Benjamin Lebert, Benjamin Stuckrad-Barre und Christian Kracht reüssieren seit einigen Jahren als Autoren belletristischer Unterhaltungsliteratur. Im Fall der Grenzaufweichung zwischen Popliteratur und Popjournalismus wird häufig das Vorleben als Journalist thematisiert, glorifiziert und stilisiert. Aber auch umgekehrt publizieren vermehrt Literaten in den Medien des aktuellen Informationsjournalismus, bevorzugt in den Wochenendbeilagen und Supplements überregionaler Tageszeitungen, so dass ein steter Austausch zwischen Akteuren und Institutionen des „großen printmedialen Infotainment-Kartells“ (Schütz 1992: 64) festzustellen ist. Im Bereich der elektronischen und audiovisuellen Medien zeigt sich die Entgrenzung durch eine zunehmende Hybridisierung, die als Anpassung auf veränderte Umweltreferenzen interpretiert wird (vgl. Meckel 1998: 210). Die Herausbildung von journalistischen Medienangeboten mit funktional hybridem Charakter wie Infotainment, Edutainment, Servotainment (auf Ressort- und Genreebene: Emotainment, Ökotainment, Timetainment, Dokutainment) wird als Ausdruck des Wandels medien-
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spezifischer Kommunikationsangebote der Postmoderne gedeutet. Vor allem die Arbeit von Fernsehjournalisten ist – im Zuge der kostenfixierten Aufmerksamkeitsökonomie – von technisch induzierten Visualisierungszwängen des Mediums determiniert. Wenn im dualen Fernsehsystem „immer neue ‚trendige’ Journalismen vom Fließband fallen“ (Görke 2000: 443), hat das in erster Linie damit zu tun, dass dort durch neue digitale Optionen Schnitt- und Bildmisch-Techniken eingesetzt werden, die nicht nur die Optik im Nachrichten- und Informationsjournalismus gravierend verändert, sondern infolgedessen auch dazu geführt haben, dass journalistische Beobachtungsprozesse bei der Informationsvermittlung nach veränderten Kriterien funktional neu bestimmt werden. Der Zugewinn an technikbedingter Dynamik beeinflusst am Ende nicht nur die Selektion von Bildern und Einstellungen, sondern auch von Inhalten und Themen, die stärker auf ihren Emotionalisierungswert als auf ihren Informationswert abgeklopft werden. Dass bei dieser Form der funktionalen Entgrenzung nicht von irreversibler Vermischung, sondern einer Rekombination von Differenziertem ausgegangen werden muss, belegt die personale Dimension hybrider Fernsehkommunikation. Zwar haben sich wie in den Fällen Günter Jauch, Reinhold Beckmann und Johannes B. Kerner diverse Rollenwechsel von journalistischen und Unterhaltungsakteuren vollzogen, so dass der Eindruck zunehmender Austauschbarkeit zwischen den Systemen entsteht, gleichwohl wird ständig in die andere Rolle rückgewechselt, so dass eine neue Spezies von „Multifunktionsmoderatoren“ bzw. „Multifunktionsjournalisten“ entstanden ist. 2.3 Unterhaltung franst zum Journalismus aus Dass Journalismus ein massenkompatibles Thema für fiktionale Unterhaltungsstoffe ist, hat sich durch eine beeindruckende Zahl von Journalistenspielfilmen und Journalistenromanen über viele Jahre angedeutet. Unterdessen hat auch das Fernsehen erkannt, dass sich mit Themen aus dem Journalistenleben und dem Journalismusmilieu Quote machen lässt. Sendungen wie „Extrablatt“, „Kir Royal“, „Anke“, „Mein Chef und Ich“ oder „Sex and the City“ belegen, dass nach Ärzteleben und Anwaltsmilieu unterdessen auch der Journalistenalltag serientauglich ist. Journalismus und Journalisten sind indes nicht nur ein stetig beliebter werden-
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des Thema der fiktionalen Unterhaltung, auch die nicht-fiktionale Unterhaltung hat den Journalismus (inhaltlich) als Sujet und (formal) als Schema entdeckt. Besonders Late Night Shows wie „Harald Schmidt“ und Fernsehparodien wie „TV Total“ nutzen (inhaltlich) journalistische Produkte, um Pointen zu landen und bedienen sich (formal) vermehrt journalistischer Darstellungsformen oder der aus dem Fernsehjournalismus bekannten Einspielfilme. Dabei greifen Medienvertreter auf den Fundus ihrer beruflichen Lebenswelt zurück: manchmal um Kritik zu üben, manchmal um vom Glaubwürdigkeitsbonus journalistischer Medienschemata zu profitieren und vermutlich meistens, weil hier die geistig wie materiell kostengünstigsten Produktionsmittel bereit stehen. Daneben haben sich Unterhaltungssendungen mit Ereignischarakter etabliert, die ausschließlich formale Journalismusfolien nutzen: In Produktionsreportagen wie „The Making of...“, aber auch hinsichtlich der vorgeblich aufarbeitenden Pseudo-Berichterstattung im Gefolge von Real-Life- und Extrem-TV-Formaten wie „Big Brother“, „Die Burg/ Alm“ und „Hilfe. Ich bin ein Star. Holt mich hier raus“ werden rund um das inszenierte Ereignis Berichterstattungsmetastasen freigesetzt, die ihrem Gegenstand durch eine Darstellung in journalistischer Anmutung gesellschaftliche Relevanz hinzufügen wollen. 2.4 Typologie der Entgrenzung Zur Sondierung des Feldes journalistisch-unterhaltender Mischformen ist es notwendig, ein idealtypisches Kontinuum zwischen Journalismus und Unterhaltung anzunehmen. Es ergeben sich zwischen den beiden idealtypischen Polen eines rein nachrichtlichen Informationsjournalismus und der reinen fiktionalen bzw. nonfiktionalen Unterhaltung fünf Formen, mit denen die derzeit sichtbaren Ausfransungs- bzw. Entgrenzungstendenzen beschrieben werden können.
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2.4.1
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Unterscheidungskriterien
Als Kriterien zur Differenzierung zwischen den gradualisierten Entgrenzungstypen dienen: x Journalistische Aufbereitung (Form) x Meinungsbildungsfunktion x objektive Betroffenheit x Fiktionalität x Ereignisinszenierung durch Medien (mit dem Ziel der Anschlusskommunikation) Mit journalistischer Aufbereitung (Machart) ist die Präsentations- und Darstellungsform gemeint. Es wird darunter die professionelle Anmutung verstanden. Genuine Genres wie der Bericht oder die Reportage werden als journalistische Medienschemata von Medienproduzenten eingesetzt und von den Medienpublika als solche rezipiert. Die Meinungsbildung ist eine konstitutive Medienfunktion. Massenmedien spielen eine entscheidende Rolle im Prozess der demokratischen Meinungs- und Willensbildung. Die Meinungsbildungsfunktion betrifft unter demokratietheoretischen Prämissen die Bewertung politischer Informationen und soll den mündigen Staatsbürger durch vollständige, vielfältige und austarierte Informationsvermittlung zum politischen Urteil befähigen. In der Medium-und-Faktor-Formel, die das Bundesverfassungsgericht dem Rundfunk zugewiesen hat, wird die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit in eine öffentliche Aufgabe vor allem der journalistischen Medien transformiert. Unter objektiver Betroffenheit werden Ereignisse und Themen verstanden, welche die formal-faktische Lebenssituation des Rezipienten betreffen, etwa Gesetzesänderungen, Gerichtsurteile oder politische Wahlen. Beim Kriterium der objektiven Betroffenheit handelt es sich demzufolge auch um die Betroffenheit der Rezipienten im Sinne der sozialen Reichweite öffentlicher Kommunikation – beurteilt aus der Wissenschaftsperspektive. Abgegrenzt wird diese soziale Betroffenheit von einer gefühlten, subjektiven Betroffenheit Einzelner, z.B. wenn Stars vor der Kamera in Tränen ausbrechen. Mit der objektiven Betroffenheit geht die Sozialverbindlichkeit journalistischer Kommunikation bzw. journalistischer Wirklichkeitsentwürfe (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 78) einher.
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Fiktionalität bedeutet, dass reale und nichtreale Dinge bzw. Sachverhalte (oder nur eines von beidem) als (potenzielle) Wirklichkeit dargestellt werden, ohne dass behauptet wird, sie seien wirklich. Auch wird keine feste Beziehung zu einem anderen realen Sachverhalt hergestellt. Es liegt eine nicht an reale Ereignismerkmale gebundene Form öffentlicher Kommunikation vor. Insofern definiert Fiktionalität Journalismus, dessen Bezugspunkt nachprüfbare Fakten mit Wirklichkeitsanspruch sind, ex negativo. Die angemessene Rezeption fiktionaler Werke setzt voraus, dass aufgrund einer unausgesprochenen „Übereinkunft'“ (eines Paktes zwischen Autor/Produzent und Leser) der Anspruch auf Verifizierbarkeit, der sonst an informative Texte zu richteten ist, suspendiert wird. Ereignisinszenierung durch Medien (mit dem Ziel der Anschlusskommunikation) ist ein Distinktionskriterium für Unterhaltung. Während (reiner Informations-)Journalismus Umweltereignisse beobachtet und darüber Bericht erstattet, kreiert und inszeniert Unterhaltungskommunikation selbst Ereignisse. Damit ist nicht gesagt, dass bestimmte Journalismusformen Ereignisse im Zuge der Berichterstattung nicht formal in Szene setzen würden, jedoch werden die Ereignisse nicht selbst geschaffen (vgl. Hohlfeld 2002: 108). Es handelt sich somit um eine Sonderform von Kepplingers inszenierten Ereignissen (vgl. Kepplinger 2001). 2.4.2
Ausprägungen
Mit Hilfe dieses Kriterienrasters lassen sich prinzipiell fünf Typen der Entgrenzung zwischen Journalismus und Unterhaltung dimensional unterscheiden (Abbildung 1).
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pseudojournalistische Unterhaltung
nonfiktional
fiktional
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X
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allgemeine Unterhaltung ohne Journalismusbezug
EventJournalismus
Journalismusbezogene Unterhaltung
UnterhaltungsJournalismus
Journalistische Aufbereitung Meinungsbildungsfunktion objektive Betroffenheit Fiktionalität Ereignisinszenierung durch Medien
Unterhaltungselemente im „reinen“ Journalismus
Reiner Informationsjournalismus
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Abbildung 1: Kategorisierung des Journalismus-Unterhaltungs-Kontinuums
Unterhaltungselemente im „reinen“ Journalismus Das unterhaltende Element im Informationsjournalismus ist gekennzeichnet als Inszenierungsstrategie mit dem Ziel, Publikumsaufmerksamkeit und Programmloyalität zu erreichen über Formen der Unterhaltung. Eine Möglichkeit hierfür stellt die positive oder negative Emotionalisierung der präsentierten Inhalte durch nachgestellte Spielszenen in journalistischen Berichten und Reportagen dar, beispielsweise der bekannt gewordene Kameraschwenk unter Wasser im Rahmen der Berichterstattung über den vermeintlich ausländerfeindlich motivierten Tod des sechsjährigen Joseph im Schwimmbad von Sebnitz. Ferner fallen auch filmische Inszenierungstechniken darunter, etwa Zeitraffer, Slow Motion, Reißschwenks, journalistische Darstellungsformen wie die Glosse, sprachliche Vergleiche, Analogien, Metaphern und andere optionale Stilmittel, die der journalistische Leistung zu unterhalten dienen. Die Formulierung „im reinen Informationsjournalismus“ ist notwendig, weil solche dem „Emotainment“ (Jogschies 2001) dienenden Unterhaltungs-
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element natürlich auch Bestandteil von Unterhaltungs- und Eventjournalismus sein können. Unterhaltungs-Journalismus Der Unterhaltungsjournalismus bestimmt sich primär nicht formal, sondern thematisch. Nach den Selektionskriterien des Unterhaltungsjournalismus stellen z.B. die Krawattengewohnheiten von Fernsehmoderatoren ein relevantes Thema dar. Die Themen werden nahezu ausschließlich aus dem Bereich von Soft News, Boulevard und Human Interest/Human Touch rekrutiert Zu den wesentlichen Ausprägungen zählen PeopleJournalismus (Prominenten- und Adelsberichterstattung), das Ressort Vermischtes, aber auch der literarische Journalismus. Überdies lagern auch seriöse Informationsmedien unterhaltungsjournalistische Ableger in eigene Bücher oder Supplements aus, wie z.B. das „SZ-Wochenende“ oder Trendressorts wie „Zeit-Leben“. Im Vergleich zum Informationsjournalismus fehlt dem Unterhaltungsjournalismus das Element der objektiven Betroffenheit der Rezipienten. Event-Journalismus Unter Event-Journalismus werden Journalismusformen verstanden, die Ereignisse inszenieren, durch ihr Wirken intentional gesellschaftspolitische Themen setzen bzw. Kampagnen initiieren. Dazu gehören die journalistischen Spielarten Kampagnenjournalismus, Aktionsjournalismus, Mitmachjournalismus, Doku Soaps und andere Dokutainment-Formate, aber auch tagesaktuelle nichtpolitische Talkshows. Sie verfügen zwar über eine journalistische Aufbereitung und können zur Meinungsbildung beitragen, aber es ermangelt ihnen im Gegensatz zum Informationsjournalismus der objektiven Betroffenheit. Im Pressebereich handelt es sich beispielsweise um publizistische Konflikte wie den Bubis-Walser-Streit oder die Schirrmacher-Walser-Auseinandersetzung, aber auch um Boulevard-Kampagnen á la „Sozialschmarotzer Florida-Rolf“.
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Pseudojournalistische Unterhaltung Die pseudojournalistische Unterhaltung ist eine Form medialer Berichterstattung, die nicht auf genuine Ereignisse zurück geht, sondern sich auf inszenierte Unterhaltungsereignisse (Pseudoereignisse) richtet, also auf Events, die von den Massenmedien selbst kreiert werden, sowie deren journalistische Anschlusskommunikation. Die Bezeichnung Pseudojournalismus soll verdeutlichen, dass sich diese Medienangebote vom Journalismus dadurch unterscheiden, dass sie gerade nicht über Ereignisse aus der Umwelt der Publizistik berichten. Im Unterschied zum Informationsjournalismus, der seine Umwelt beobachtet und die darin vorkommenden Ereignisse nach Aktualitäts- und Relevanzkriterien selektiert, ist der Pseudojournalismus Teil einer primär medialen Inszenierung. Diese ist ihrem Wesen nach kalkuliert und arrangiert. Die pseudo-journalistische Unterhaltung – beispielsweise das „Making-of...“ – ist sozusagen ein selbstgemachtes mediales Echo und damit Teil eines integrativen Konzeptes der Vermarktung. Ziel ist es, nicht nur die eigene Nachrichtenlage zu kontrollieren, sondern Anschlusskommunikation in anderen Medien anzustoßen (vgl. Hohlfeld 2003: 240). Mit anderen Worten: Pseudojournalistische Unterhaltung hilft der Inszenierung eines Unterhaltungsevents in das Gewand der Nachrichtenagenda. Ein vielsagendes Beispiel dafür bot eine Sonderausgabe der Talkshow Kerner, als nach der Schwarzwaldklinik-Neuauflage „The next generation“ im ZDF der Talkmaster Johannes B. Kerner direkt im Anschluss an die Ausstrahlung alle Schauspieler in seine Sendung einlud. Trotz journalistischer Aufbereitung trägt diese Mischform nicht zur Meinungsbildung bei und impliziert auch keine objektive Betroffenheit. Journalismus-bezogene Unterhaltung Bei der journalismusbezogenen Unterhaltung handelt es sich um eine Form der Unterhaltung, die Journalismus zum Thema hat: Stoffe oder Akteure stammen aus dem journalistischen Metier. Es kann sich dabei um fiktionale Unterhaltung (z.B. Journalistenfilme und Journalistenserien) oder nonfiktionale Unterhaltung (Journalismusparodie in der einer Kabarett- oder Comedy-Sendung) handeln. Die in Abbildung 2 visualisierte „Typologie der Entgrenzung“ enthält auf der x-Achse die bereits hergeleiteten Kategorien Unterhaltungsele-
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Produkt Form X Inhalt
Wochenendbeilagen/ Trendressorts PeopleJournalismus
X
Akteur X
Popjournalisten, Klatschreporter
Nichtpolitische Talkshows (Kerner) Kampagnenjournalismus
fiktional
Journalismusbezogene Unterhaltung nonfiktional
Pseudojournalistische Unterhaltung
Eventjournalismus
Unterhaltungsjournalismus
Unterhaltungselemente im Informations-Journalismus
mente im Informationsjournalismus, Unterhaltungsjournalismus, pseudojournalistische Unterhaltung und journalismusbezogene (fiktionale und nonfiktionale) Unterhaltung. Zur besseren Strukturierung für die empirische Operationalisierbarkeit werden zudem auf der y-Achse die beobachteten Entgrenzungstypen gemäß der inhaltsanalytischen Logik untergliedert in die drei Hauptebenen Produkte, Beiträge und Aussagen (letztere Elemente liegen unterhalb der Beitragsebene). Alle Zeilenkategorien sind adäquat differenziert in die Kategorien Form, Inhalt und Akteur, um die Vielfalt der tatsächlich realisierten Vermischungsmöglichkeiten zwischen Unterhaltung und Journalismus analytisch sauber greifen zu können.
Formate Making-of
SchwarzwaldklinikNeuauflage „The next generation“ bei Kerner Multi-FunktionsTalkshowmaster
X JournalismusParodien
TV-Serie über fiktive journalistische Arbeit
TV-Journalist als Gast in eigener Geburtstagssendung
fiktiver Journalist in TV-Serie
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Inhalt Akteur
Aussage Form Inhalt
Akteur
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Formal oder inhaltlich in sich abgeschlossene Einheiten Kolumne Artikel- oder JournalistiBeitrags-Serie sche X Symbolik in U-Formaten Softnews und Human-touchPublizistische PseudoBeiträge mit Szenen mit Themen mit Publicityfunktion Konflikte ereignis JournalisJournalis(z.B. Hochadel) musbezug musbezug Kollege als Literat als Multi-FunktionsTVfiktiver zentraler Journalist Talkshowmaster Journalist Journalist in Informant als Gast mit Nebenrolle eigenem Showteil Aussagen-Elemente unterhalb der Beitragsebene (Attraktoren) Sprachliche Elemente wie Imitation eines Vergleiche, Analogien, investigativen Duktus’ X Metaphern gespielte ThematisieAppelle an ThematisieAussage mit Pointe im rung von Institutionen; rung der JournalisInfomagazin Skurrilem Bezugnahme Anschlussmusbezug auf prominenmöglichkeit durch fikte Thesen aus tive Figur anderen Medien jeder Journalisten Multi-FunktionsJournalist Fiktiver Journalist aus dem Talkshowmaster als u.v.a.MedienverUnterhaltungsTeilnehmer treter als ressort bei WOKu.v.a.WM Akteur Glosse
Abbildung 2: Typologie der Entgrenzung
Die so entstandene Matrix wurde – wie auch die weiter unten folgende Typologie der Selbstthematisierung – nicht willkürlich gefüllt. Die Eintragungen sind auf der Produktebene das Ergebnis von Literaturrecherche und Sichtung von Programmzeitschriften. Auf der Beitrags- und Aussagenebene wurde in Form von nicht-standardisierten Untersuchungen des TV-Programms recherchiert. Dabei wurden in Nachrichtensendungen Unterhaltungselemente im Informationsjournalismus gesucht. In Morning-Shows wurde der Unterhaltungsjournalismus beobachtet. LateNight-Formate – hier Raab und Schmidt – waren für die Beobachtung des Eventjournalismus ebenso prädestiniert wie das Vorabendprogramm für die pseudojournalistische Unterhaltung. Schließlich wurde in ausgewählten Serien und Spielfilmen Formen der journalismusbezogenen Unterhaltung gesucht. Dem hohen Differenzierungsgrad ist geschuldet, dass einzelne Felder per definitionem nicht besetzt sein können. So kann ein Unterhaltungselement wie der Kameraschwenk oder eine Metapher kein Produkt dar-
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stellen. Und da sich die journalismusbezogene Unterhaltung von allen anderen Mischformen dergestalt unterscheidet, dass sie sich nicht der journalistischen Aufbereitung bedient, kann sie dieses rein formale Kriterium auch auf keiner Ebene erfüllen. Die entsprechenden Felder sind durch ein X gekennzeichnet. 2.5 Befunde zur Entgrenzung Als übergeordneter vorläufiger Befund lässt sich die reziproke Entgrenzung von Journalismus und Unterhaltung auf allen Gattungs-, Genreund Thema-Ebenen der öffentlichen Kommunikation konstatieren. Sowohl auf der Produktebene der Medienangebote als auch auf der journalistischen Beitragsebene und Aussagenebene sind zahlreiche Ausprägungen vorhanden, die in allen Mediengattungen zu finden sind. Die Entgrenzung hat die schon lange diagnostizierte Herausbildung von funktional rekombinierten Hybridmedien zufolge, aber sie verästelt sich bis in die kleinsten Elemente des Journalismus. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Entgrenzungsphänomene auf allen Ebenen öffentlicher Kommunikation x nicht mediengattungsgebunden sind, sondern sich in allen Presse- und elektronischen Medien wiederfinden (allerdings strahlt die Dominanz des „Unterhaltungsmediums Fernsehen“ auf alle Massenmedien ab); x nicht genregebunden sind, sondern sich prinzipiell auf alle Darstellungsformen erstrecken; x bilateral verlaufen: Unterhaltung wird in großen Teilen formal (Anmutung) und thematisch journalistischer; Journalismus wird zunehmend unterhaltsam präsentiert und fokussiert vermehrt Thematiken aus dem Unterhaltungsbereich; x dazu geführt hat, dass die Validierung medialer Information und somit die Erwartungssicherheit hinsichtlich der Medienschemata abgenommen hat und voraussichtlich weiter abnehmen wird; x zur Ausbildung von Formaten sui generis geführt hat: Insbesondere Pseudojournalismus bzw. pseudojournalistische Unterhaltung verlinkt Unterhaltung und Journalismus, indem inszenierte (Pseudo)-Ereignisse von den Massenmedien selbstreferenziell beobachtet und vermittelt werden.
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3
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Selbstbezug
Im folgenden Teil wird analog zu den Entgrenzungsphänomenen die Thematisierung von Medien in Medien beschrieben. Dabei folgt einer übergeordneten Typologie der Selbstthematisierung eine genauere Betrachtung der Selbstbezüge in Mischformen von Journalismus und Unterhaltung. Schließlich werden die Ergebnisse des Vergleichs der beiden Phänomene Entgrenzung und Selbstbezug interpretiert und daraus Hypothesen für weiterführende empirische Untersuchungen abgeleitet. Im Interesse einer weitreichend anwendbaren Typologie liegt den Ausführungen ein möglichst umfassendes Verständnis von Selbstthematisierung zu Grunde. Der Begriff steht deshalb für jede Thematisierung von Massenmedien in Massenmedien. Synonym wird der Begriff Selbstbezug verwendet. Im semantischen Feld rund um diese Oberbegriffe werden Selbstreflexion, Medienjournalismus, Journalismusjournalismus, Medienkritik und Selbstverweis (à la Eigen- und Fremdwerbung) verortet, die sich auf ausgewählte Gegenstände oder Intentionen beziehen.2 3.1 Dimensionen der Selbstthematisierung Die folgende Systematik baut auf der weit verbreiteten Beschreibung selbstthematisierender Phänomene von Gabriele Siegert auf (vgl. Siegert: 2001a, 208-213). Ihre heuristisch Gewinn bringende Zusammenstellung wird neu geordnet, erweitert und differenziert mit dem Ziel, alle Formen der Thematisierung von Medien in Medien inhaltsanalytisch fassbar zu machen. Dafür wird aus methodischen Gründen eine Eingrenzung auf die Betrachtung von codierbaren Medieninhalten getroffen. Vorgelagerte Organisationsformen wie das Medien-Marketing einschließlich der PR von Medienunternehmen und damit verbundene theoretische Aspekte wie das Agenda-Building sind daher genauso wenig Gegenstand der Betrachtung wie nachgelagert-rückwirkende Phänomene, etwa die Koorientierung. Im Zentrum steht mithin die von Rössler 2
Vermieden werden die Begriffe Selbstreferenz/Selbstreferenzialität, weil sie aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive der Systemtheorie zugeordnet werden, deren Grundlagen für das vorliegende Forschungsinteresse zu einschränkend wirken.
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formulierte Frage: „Wer thematisiert wen – und warum?“ (Rössler 2001) Hinzuzufügen bleibt nur mehr das „wie?“ Nach Siegert kann diese Frage untersucht werden anhand von Thematisierungsplattform (wer?), Thematisierungsobjekt (wen?) sowie Thematisierungsaspekt, Thematisierungsgrad und Thematisierungsebene (wie?) (vgl. Siegert 2001a: 209-210). Gemäß dem inhaltsanalytischen Schema kommen als Thematisierungsplattformen x alle Massenmedien (z.B. das Fernsehen), x deren Produktteile (z.B. einzelne Sendungen), x deren Beiträge (z.B. einzelne MAZen) und x deren Beitragsbestandteile (z.B. einzelne Aussagen von Interviewpartnern) in Frage. Darin können (abweichend von Siegert, aber der inhaltsanalytischen Logik folgend) Thematisierungsobjekte auf drei Ebenen zum Gegenstand werden: x auf der Makroebene das Mediensystem, meist vorzufinden in Form allgemeiner Verweise à la „wie die Medien berichteten“, x auf der Mesoebene einzelne Medienorganisationen (einschließlich der vorgelagerten Stufen der Nachrichtenproduktion, also Nachrichtenagenturen und PR, sowie der Aufsichtsorgane), x und auf der Mikroebene die Medienakteure (alle Medienvertreter nach dem Berufsbild des DJV, mediale Prominenz und Informanten), Medienprodukte (einschließlich Objekten der Berichterstattung) und Mediennutzer. Das Verhältnis zwischen Plattform und Objekt kann beschrieben werden durch die Kategorie Thematisierungsrichtung. Auf der Basis von Siegert kann diese differenziert werden in zwei Dimensionen: eine mediale und eine zeitliche. Hinsichtlich des medialen Verhältnisses zwischen Plattform und Objekt herrscht in der Literatur ein Durcheinander: Einst hatte Decker unterschieden zwischen intra- und intermediärer Beziehung (vgl. Decker 1974: 163) Bei Rössler wird intermedial als „Cross Media Thematisierung“ verstanden (Rössler 2001: 62). Dagegen definiert Siegert „cross medial“ als „unter einem Konzerndach angesiedelt“ (Siegert 2001b: 52). Die wörtliche Übersetzung ließe eine gegenseitige Thematisierung, also mindestens zwei Nennungen im selben Sinnzusammen-
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hang, erwarten (KEK 2003: 39). Sperrig, aber sauber gilt hier folgende Unterscheidung: x „Selbstthematisierend“ steht für die engste Beziehungsmöglichkeit, wenn Plattform und Objekt identisch sind (z.B. Tagesschau-Sprecher sagt: „Wie in der Tagesschau berichtet“). x „Intramedial“ steht für die Beziehung innerhalb einer Mediengattung, wobei anhand der wirtschaftlichen Verflechtung weiter unterschieden wird zwischen x „intern-intramedial“ (z.B. „Tagesschau“ verweist innerhalb des ARDVerbunds auf „Monitor“) und x „extern-intramedial“ (z.B. „Tagesschau“ verweist auf RTL-Recherchen). x „Intermedial“ steht für eine Beziehung über Gattungsgrenzen hinweg, wobei analog unterschieden wird zwischen x „intern-intermedial“ (z.B. RTL-News verweisen innerhalb des Bertelsmann-Verbunds auf den Gruner+Jahr-Titel „Stern“) und x „extern-intermedial“ (z.B. „RTL-Aktuell“ verweist auf den SpringerTitel „Bild“). x „Gesamtmedial“ steht für alle unspezifischen Verweise auf „die Medien“ und eine x „intern- oder extern-crossmediale“ Thematisierung liegt nur im Falle einer gegenseitigen Erwähnung im identischen Sinnzusammenhang vor. Wesentlich einfacher zu greifen ist die zeitliche Richtung. Sie kann x in die Vergangenheit, x aktuell oder x in die Zukunft gerichtet sein, jeweils in Abhängigkeit vom Veröffentlichungszeitpunkt. Mit Hilfe dieser Kategorien können die Fragen „wer?“ und „wen?“ einschließlich der Beziehung zwischen Plattform und Objekt gefasst werden. Die folgenden Kategorien beschreiben das „wie?“. In Anlehnung an die „Themenstruktur“ von Krüger/Müller-Sachse (1999: 71-75) sollen mit dem Ziel der Vergleichbarkeit hoch differenzierter Inhaltsanalysen folgende Thematisierungsaspekte unterschieden werden: Medienpolitik, Medienrecht, Medienwirtschaft, Medienrezeption, Medienwirkungen, Medienforschung, Zuschauer/Quoten, Medien-
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prominenz, Programme, Produktion, Werbung, PR/Promotion, Medientechnik, Programmservice, Mediengeschichte, Medienausbildung, Sonstiges. Bis zu fünf Thematisierungsebenen können in audio-visuellen Medien genutzt werden, um selbstthematisierende Aussagen zu machen. Diese sind: x gesprochen-textlich (z.B. Moderator kündigt den nächsten Beitrag an), x geschrieben-textlich (z.B. Bildlaufleiste kündigt die folgende Sendung an), x symbolhaft/bildlich (z.B. Sendungslogo schmückt den Bühnenhintergrund), x im Ton (z.B. eine Glosse startet mit der Melodie der Sendung mit der Maus) oder x eine Person (z.B. im Publikum sitzt ein Comedian, dessen neue Sendung demnächst startet). Hinzu kommt der Thematisierungsgrad, bei dem zwischen x expliziten und x impliziten Aussagen unterschieden werden kann. Ob es sich bei einer Aussage um eine explizite oder eine implizite handelt, hängt vom Aufgreifkriterium ab. Nimmt man hierfür z.B. sämtliche mögliche Thematisierungsobjekte, so gilt für alle Thematisierungsebenen, dass Adaptionen (beispielsweise dem Corporate Design geschuldete Anpassungen von Schrifteinblendungen an das Ausgangslogo eine Senders/Mediums), sowie Be- und Umschreibungen (etwa „das Springer-Blatt“, „der Spielfilm-Kanal“) als implizit erfasst werden.
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Die Dimensionen der Selbstthematisierung werden in folgender Übersicht zusammengefasst dargestellt: Wer? Ressort, Beitrag, Aussage Sendung, Film Szene thematisiert wen? „die Medien“, Medienorganisation Produkt, Mediensystem Akteur, Nutzer in welchem Verhältnis? selbstintramedial: intermedial: cross- gesamtbezüglich intern/extern intern/extern medial medial vergangenheitsbezogen aktuell zukunftsbezogen und wie? Medienpolitik, Medienrecht, Medienwirtschaft, Medienrezeption, Medienwirkungen, Medienforschung, Zuschauer/ Quoten, Medienprominenz, Programme, Produktion, Werbung, PR/Promotion, Medientechnik, Programmservice, Mediengeschichte, Medienausbildung gesprochen- geschrieben- symbolhaft/ im Ton Person textlich textlich bildlich explizit implizit
ThematisieMedium rungsplattform Thematisierungsobjekt Thematisierungsrichtung Thematisierungsaspekt
Thematisierungsebene Thematisierungsgrad Abbildung 3: Dimensionen der Selbstthematisierung
Schließlich wäre wünschenswert, im Sinne von Rösslers Fragestellung auch das „warum?“ zu klären. Die Antwort kann Thematisierungsintention genannt werden. Hierfür kämen zunächst die nahe liegenden Motivationen in Frage: x Unterhaltung x Information x Meinungsbildung x Kritik und Kontrolle x Wirtschaftliche Eigeninteressen (u.a. Audience-Flow, Kostenersparnis sowie alle Spielarten der Unternehmens-Kommunikationspolitik wie Cross-Promotion, Eigen-PR) oder allgemeine Funktionen und Leistungen der Medien, wie sie beispielsweise von Bonfadelli zusammengetragen worden sind (Bonfadelli
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2002: 31): „a) Wertvermittlung (...), b) Multiplikatorfunktion, c) Authentizitätsfunktion als Inszenierung von Pseudo-Realität (...), e) Statuszuschreibung als Verleihen von sozialem Prestige und f) Legitimationsfunktion für Normen und Werte, aber auch Dysfunktionen wie g) Banalisierung (…) und Entertainisierung (...), h) Narkotisierung und Wertezerfall (…) oder i) Beschleunigung (…).“3 3.2 Typologie der Selbstthematisierung Diese Kategorisierung bildet das Gerüst der Typologie, in deren Zentrum die Thematisierungsplattformen stehen. Diese werden nun weiter differenziert. Auf der Basis der oben beschriebenen Gruppierung von Plattformen auf der Ebene des Mediums, der Produktteile, der Beiträge und der einzelnen Aussagen wird mit dem Ziel einer Analogie zur Typologie der Entgrenzung vor Augen zunächst unterschieden zwischen x „Medium-gewordener Selbstthematisierung“ für alle eigenständigen Medien mit Medienbezug (z.B. die Kundenzeitschrift eines Fernsehsenders), x „Struktur-gewordener Selbstthematisierung“ für alle Produktteile in Massenmedien (Sendungen, Ressorts oder Artikelserien, Filme), die als Hauptthema einen Medienbezug aufweisen (z.B. die Mediensendung „Zapp“ im NDR), x „Thema-gewordener Selbstthematisierung“ für alle TV-Beiträge, Artikel, Filmsequenzen mit dominantem Medienbezug (z.B. ein „Monitor“-Beitrag über die Rolle der Medien im Wahlkampf) und x der Selbstthematisierung auf Aussagenebene, die hier „AdabeiSelbstthematisierung“ genannt wird (in Bezug auf die im süddeutschen Raum bekannten Adabeis: Personen, die bei gesellschaftlichen Anlässen „auch mit dabei“ sind, ohne eigene Impulse zu setzen. Im vorliegenden Kontext zählen dazu etwa Quellenangaben). Eine vollständige Typologie der Plattformen selbstthematisierender Medieninhalte umfasst neben dem Redaktionellen (Information und Unter3
Antworten auf dies Fragen sind allein durch inhaltsanalytische Codierungen der „rohen“ Medienprodukte nicht zu erwarten, sondern nur durch zusätzliche Befragungsstudien sowie hermeneutisch-interpretatorische Verfahren zu erhalten.
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Das Hofnarren-Komplott
haltung) auch alle werberischen sowie produktbedingten Thematisierungsformen. Die folgende Matrix nennt einige Beispiele. Information Medium Programmzeitschriften Produktteil Mediensendungen Beitrag Metakommunikation Aussage Zitat-Zweitverwertung
Unterhaltung
produktbedingte Thematisierung
Werbung
Medium-gewordener Selbstthematisierung Fan-Magazine Suchmaschinen Kundenzeitschriften Struktur-gewordener Selbstthematisierung JubiläumsPressespiegel Verkaufsausgaben sendungen Thema-gewordener Selbstthematisierung Out-Takes Überleitungen Trailer Adabei- Selbstthematisierung Anspielungen Redaktionelle (produktbezogen) Verweise
Bildlaufleisten (programmbezogen)
Abbildung 4: Gesamt-Typologie der Selbstthematisierung in Massenmedien
Dabei wird die Metakommunikation im Sinne Essers verstanden als „the news media’s selfreferential reflections on the nature of the interplay between political public relations and political journalism“ (Esser/Reinemann/Fan 2001: 16). Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass ein Zitat an sich nicht unbedingt eine Selbstthematisierung darstellt, sondern erst wenn es mit Verweis auf eine mediale Quelle zweitverwertet wird.4 Für die vorliegende Fragestellung sind die Zeilen Produktteil, Beitrag und Aussage sowie die Spalten Information und Unterhaltung interessant. Sie sollen weiter differenziert werden. Dafür werden entsprechend 4
Dass auch Adabei-Selbstthematisierungen im Rahmen von Bildlaufleisten einen besonderen Reiz haben können, sei an folgendem Beispiel aufgezeigt: Am 17. Januar 2005 zeigte das ZDF den Spielfilm „Irren ist sexy“ zwischen 20.15 und 21.45 Uhr. Darin gab es eine Szene, in der SIE beim Frauenarzt fragt: „Ich kann also Kinder kriegen?“ und der Arzt antwortet: „Von mir aus 300.“ In diesem Moment blendete das ZDF folgende Bildlaufleiste ein: „Wieso gibt es in Deutschland so wenige Kinder? Erfahren Sie es im ‚heute journal’.“ Das „heute journal“ war die unmittelbar nachfolgende Sendung um 21.45 Uhr. Ein Schelm, wer da nicht an den Informationsauftrag denkt.
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der Entgrenzungs-Typologie die redaktionellen Phänomene den fünf Mischformen zwischen reinem Informationsjournalismus und allgemeiner Unterhaltung zugeordnet (Spalten). Außerdem wird auf der Produkt-, Beitrags- und Aussagenebene jeweils unterschieden zwischen der Selbstthematisierung durch die Adaption journalistischer Präsentationsformen (Form), durch journalismusbezogene Inhalte (Inhalt) und Akteure aus dem Medienbetrieb, die auch bei nicht primär journalismusbezogenen Inhalten einen Bezug zum Journalismus herstellen (Akteur). Somit handelt es sich in zweifacher Hinsicht um eine spezielle Typologie der Selbstthematisierung: Sie umfasst erstens ausschließlich redaktionelle Phänomene und zweitens lediglich Ausprägungen, die das „Selbst“ durch eine Thematisierung des Journalismus erfüllen. Eine allumfassende Typologie beinhaltet auch werberische und produktbedingte Thematisierungen sowie jedweden Medien-, also nicht nur den Journalismusbezug (bspw. Jubiläum der Litfasssäule). Auch in der folgenden Abbildung werden der Übersichtlichkeit wegen nur einzelne Beispieltypen genannt. Zur Erläuterung einige Beispiele: Unter Mehrfachverwertungsformate fallen sämtliche „Best of…“-Sendungen, aber auch Formate rund um Werbeclips wie „die Witzigsten Werbespots der Welt“ in Sat.1 oder „Werbung! Das beste aus aller Welt“ und „Reklame! Top 10“ bei kabel eins. Die monothematische Aufbereitung von Events der Medienbranche umfasst sowohl Bambi-Verleihungen als auch Wok-WMs und wird in einer vollständigen Typologie begleitet durch monothematische Aufbereitungen von Themen der Medienbranche, die etwa in Form von Talkshows zum Thema Rundfunk-Gebühr im Programm auffindbar sind. Die Mulitfunktions-Journalisten als Moderatoren stehen für das selbstthematisierende Phänomen, dass einzelne Sendergesichter wie derzeit Günther Jauch, Reinhold Beckmann oder Johannes B. Kerner unabhängig vom Gegenstand Sendungen „wegmoderieren“ mit dem übergeordneten Ziel, durch Personalisierung das Senderimage zu profilieren. Die journalistische Symbolik in Unterhaltungsformaten steht für jene Aneignung des Journalismus durch die Unterhaltung, die beispielsweise in Straßenumfragen durch Comedians wie Elton im Programm von ProSieben zum Ausdruck kommt: Das Ziel ist die pure Unterhaltung, das Mittel zum Gag liegt in der missbräuchlichen Aneignung journalistischer Insignien mit hohem Glaubwürdigkeitsstatus. Die sehr allgemein gehaltenen Bei-
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träge mit Medienbezug liegen vor, wenn beispielsweise der Inspektor im Krimi eine Szene lang von skandalwütigen Journalisten an der Arbeit gehindert wird. Ein Paradebeispiel für die mediale Prominenz in journalistischen Rollen stellt die Komödiantin Anke Engelke dar, wenn sie im Auftrag ihres Haus-Hof-und-Entertainment-Senders vom roten Teppich der Oskar-Verleihung berichtet. Schließlich können einzelne Aussagen einen Medienbezug ausmachen, auch wenn sie „und viele andere“ (u.v.a.) Aussagen nicht einmal im Range einer Nebenrolle zum Gesamtprodukt beitragen. Sie werden genutzt, um den Heavy-User zu erfreuen.5 Worauf es bei dieser Abbildung in erster Linie ankommt, ist die Felderbelegung an sich. Zuerst fallen die zahlreichen Überschneidungen der gewählten Beispiele mit jenen der Entgrenzungstypologie auf. Beide Phänomene finden häufig denselben Ausdruck; sind also eng miteinander verknüpft. Die – wie weiter oben bereits erläutert – mit „X“ gekennzeichneten Felder sind per definitionem nicht ausfüllbar. Die meisten Felder sind belegt mit je einem griffigen Beispiel, hinter dem in der Regel weitere gleichgelagerte Fälle stehen. Medien nutzen also bereits nicht nur fast alle Mischformen zwischen Unterhaltung und Journalismus, um sich selbst zu thematisieren; diese Mischformen mit Selbstbezug finden sich zudem auch in allen Mediengattungen, von der Tageszeitung bis zum Fernsehen. Insbesondere dort nutzen sie die „kleinen“ Einheiten, also die Beitragsebene und die einzelnen Aussagen. Daneben gibt es ferner drei Felder, für die weder in der Literatur noch in den beobachteten Medien Beispiele gefunden wurden. Dabei ist auffällig, dass die Thematisierung auf der Produktebene, also die Entwicklung eigener Medienformate, noch nicht ausgereizt ist. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Befund?
5
So hat sich der TV-Moderator und Lindenstraßendarsteller Georg Uecker als Gast in der Rate-Sendung „Genial daneben“ angesichts einer kniffligen Frage gewünscht „Ach hätt’ ich doch nen Knopf im Ohr“. Uecker war zu diesem Zeitpunkt hauptberuflich Moderator der Sendung „Schillerstraße“, in der er Improvisations-Schauspielern Regieanweisungen gab – über einen Knopf im Ohr. Beide Sendungen wurden übrigens von demselben Sender Sat.1 ausgestrahlt.
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Produkt X Inhalt X
Akteur X
Eigene Medienerfahrungen
Akteur
Monothematische Aufbereitung von Events der Medienbranche
Multifunktions-Journalisten als Moderatoren
Beitrag
Inhalt
fiktional
Journalismusbezogene Unterhaltung nonfiktional
Struktur-gewordene Selbstthematisierung
Form
Form
Pseudojournalistische Unterhaltung
Eventjournalismus
Unterhaltungsjournalismus
Unterhaltungselemente im „reinen“ Journalismus
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Mehrfachverwertungsformate Making-of/ Wir über uns
Journalismusparodien
TV-Serie über fiktive journalistische Arbeit
Mediale Prominenz in journalistischen Rollen
Geburtstagssendungen für TVJournalisten
TV-Serie über fiktiven Journalisten
X
Thema-gewordene Selbstthematisierung LifestyleKolumnen und Verwendung von Werbeclaims Medien Vor- und Nachkritik
Reporter als alleiniger Nahost-Experte
Publizistische Konflikte
Journalistische Symbolik in UFormaten
Fragen zu Medienprodukten in Quizund Gewinnspielsendungen Mediale Prominenz in journalistischen Rollen
Nachrichten über PseudoEreignisse aus der Medienwelt
X
Beiträge mit Journalismusb ezug
Szenen mit Journalismusbezug
TV-Journalist als Gast mit eigenem Showteil
Fiktiver Journalist in Nebenrolle
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Das Hofnarren-Komplott Aussage Form Inhalt
Akteur
Adabei-Selbstthematisierung Mitmach-Aufrufe zu Gewinnspielen, Einsendungen von Fragen, Wetten etc… Aussage mit Journalismusbezug Zweitals u.v.a.-Thema durch reale Person verwertung von Zitaten Journalist als u.v.a. O-TonGeber am Katastrophenort
Journalist als u.v.a.Informant in einem Portrait
Journalist als u.v.a.-Promi bei MedienEvent
Journalist als Teil einer Medienparodie
X
Journalist als u.v.a-Teilnehmer bei WOK-WM
Aussage mit Journalismusbezug durch fiktive Figur Fiktiver Medienvertreter als u.v.a.Akteur
Abbildung 5: Typologie der Selbstthematisierung innerhalb der Mischformen von Journalismus und Unterhaltung
3.3 Befunde zum Selbstbezug Für die Praxis bedeutet dies, dass es noch Kreativ-Potenzial in der Entwicklung von Formaten gibt, die auf Formen der journalistischen Darstellung fußen. Vorläufig relevanter aber ist die Erkenntnis für die Forschung: Untersuchungen der Selbstthematisierung müssen sich von der ausschließlichen Fokussierung auf den Medienjournalismus der Medienseiten lösen. Die Analyse von Krüger und Müller-Sachse des Querschnittsressorts „Medien“ hat es bereits angedeutet: Medienkritik, redaktionelle Medienwerbung und vor allem Medienpädagogik finden vermutlich sogar überwiegend jenseits des Medienjournalismus statt. Außerdem zeigt die Typologie, dass Medien in allen möglichen unterhaltsamen Medienformaten thematisiert werden. Somit dürfte sich das Bild von den Medien in der Gesellschaft nicht allein aus der Primärrezeption, sondern darüber hinaus zu einem Gutteil aus den vielfältigen medienvermittelten Quellen der Mediendarstellung speisen. Und wenn die entertainment educationForschung nicht grundlegend irrt, dann schafft eine unterhaltsame Verpackung Aufmerksamkeit, die künftige Zuwendung ermöglicht, wodurch letztlich Lerneffekte ausgelöst werden (vgl. Singhal/Rogers 2002). Demnach könnte - aus dieser prä-empirischen Perspektive gesprochen – ein systematischer Fehler in den Studien stecken, die alleine über das Informationsangebot eines eng definierten Medienjournalismus auf den Wissensstand der Bevölkerung zum Thema Medien schließen und dessen Zustand kritisieren.
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Außerdem können auf Basis dieser Typologie einige Thesen aufgestellt werden. Sie sind gegliedert nach ihrem theoretischen Hintergrund: x Medienpsychologische Perspektive: Da einerseits eine zu offensichtliche Selbstdarstellung in Deutschland verpönt ist, aber andererseits die eigene (berufliche) Lebenswelt der Medienmacher im Ideenwettbewerb eine sehr starke Inspirationsquelle ist, gibt es „unauffällige“ Formen der Selbstthematisierung in großer Vielfalt. x Mediensoziologische Perspektive 1: Die Mannigfaltigkeit der Angebote spricht dafür, dass sich das Bild von den Medien bei den Rezipienten in Mosaikmanier generiert, wobei unterhaltende und inszenierte Darstellungen häufig mit einfließen. x Mediensoziologische Perspektive 2: Da – in Anlehnung an die Kultivationsthese – das Bild von den Medien über zahlreiche Kommunikationskanäle vermittelt wird, müssen Heavy-User eine Omnipräsenz der Medien und starken Medieneinfluss in allen Lebensbereichen annehmen. x Medienpädagogische Perspektive: In Anlehnung an die Kritik der Selbstkritik (vgl. Weiß 2005; Hallenberger/Nieland 2005) ist eine kritisch-differenzierende Auseinandersetzung mit Medien eher unwahrscheinlich, wenn sich das Gesamtbild derart kleinteilig zusammensetzt. x Medienrechtliche Perspektive: Vor dem Hintergrund des Trennungsgrundsatzes von Redaktionellem und Werbung verletzen viele Formen der Selbstthematisierung den Pressekodex, Ziffer 7 und entsprechen der in §2 Abs. 2 Satz 6 des Rundfunkstaatsvertrags von 1991 festgehaltenen Definition von Schleichwerbung, welche durch §7 Abs. 6 verboten ist. x Medienökonomische Perspektive 1: Implizite Formen der Selbstthematisierung zielen in werbewirksamer Absicht auf die Programmloyalität der In-Group. x Medienökonomische Perspektive 2: Viele Entscheidungen zur werberischen Selbstthematisierung im Redaktionellen werden nicht auf der Ebene der Blattmacher und Programmverantwortlichen getroffen, sondern im Sinne des vorauseilenden Gehorsams durch redaktionelles Fußvolk bis hin zum Gagschreiber. Dafür spricht, dass die absolute
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Mehrzahl der Thematisierungen nicht in der Programmstruktur verankert ist. x Medienökonomische Perspektive 3: Ausgehend vom Journalisten als Homo Oeconomicus wägt der einzelne Entscheidungsträger (Redakteur) bei inhaltlich ungesicherten Informationen aus der Medienbranche ab zwischen der Kosten- und Nutzen-Struktur einer weiteren Informations-Recherche zur Bestätigung der Information und einer Verpackung in unterhaltendem Kontext. Neben den zeitlichen und finanziellen Kosten sind dabei die Imagekosten der „Nestbeschmutzung“ zu berücksichtigen. Deshalb sind unterhaltende Darstellungen so vielfältig. Insbesondere die letzte Hypothese baut bereits auf einen mittlerweile weit verbreiteten Erklärungsansatz zur Entstehung selbstthematisierender Formen. Diese werden im folgenden Kapitel umfassender betrachtet.
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Erklärungsansätze
Der systematisierend-phänomenologische Vergleich von Entgrenzung und Selbstbezug hat zahlreiche Überschneidungen offen legt. Diese Übereinstimmungen könnten aber Zufall sein. Durch eine Gegenüberstellung der in der Literatur beschriebenen Erklärungsansätze für die beiden Phänomene wird diesem Zweifel nachgegangen. Dabei werden zunächst die Erklärungsansätze für die Entgrenzung, dann jene Begründungen für den Selbstbezug behandelt. In beiden Unterkapiteln verläuft die Darstellung entlang des Makro-Meso-Mikro-Schemas. Abschließend werden die Erklärmodelle tabellarisch gegenübergestellt, um einen Befund zu erhalten. 4.1 Erklärungen für die Entgrenzung 4.1.1
Gründe für die Entgrenzung auf der Makroebene
Gesellschaftlicher Wertewandel: In der postmodernen Gesellschaft ist ein Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten wie Disziplin, Gehorsam, Leistung, Ordnung, Pflichterfüllung und Selbstbeherrschung hin zu individuellen Selbstentfaltungswerten wie Kreativität, Ungebundenheit und
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Selbstständigkeit festzustellen (vgl. Klages 1985). Das Streben nach immateriellen Werten der Selbstverwirklichung führte neben einer Hinwendung zum Individualismus vor allem zur Ausbreitung einer hedonistischen Grundorientierung, in der Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung und das Ausleben emotionaler Bedürfnisse das Leben weiter Bevölkerungskreise dominieren. Diese Grundorientierungen schlagen sich vermehrt in äquivalenten Publikumsbedürfnissen nach Unterhaltung nieder, die von den Medien befriedigt werden müssen. Das Primat der Information in den Massenmedien muss durch die starke Unterhaltungsorientierung zwangsläufig relativiert werden. Parallel zur Individualisierung wird eine Pluralisierung der Lebensstile in einer Multioptionsgesellschaft konstatiert. Auch diese trägt dazu bei, dass das traditionelle „Information-versus-Unterhaltung-Modell“ ad acta gelegt und zugunsten verstärkter funktionaler Hybride aufgegeben werden muss. Zudem geben Individualisierung und Hedonismus, die meist durch den Trendbegriff Spaßgesellschaft gebündelt werden, einen fruchtbaren Nährboden für einen subjektiven Journalismus ab, der zum einen die thematischen Grenzen in Richtung Unterhaltung verschoben und zum anderen den Nachrichtenwert neu bemessen hat (vgl. Hohlfeld 2004: 349). Abnehmende Wichtigkeit von Distinktionskriterien: Internationale und globale Einflüsse, aber auch die Aufhebung von Dichotomien in postmodernen Diskursen verändern klassische (deutsche) Distinktionen (vgl. Klaus 2003). So hat die Fragmentierung der Moderne auch dazu geführt, dass die strikte Trennung von Hoch- und Populärkultur, aber natürlich auch die normative Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung allmählich aufgehoben wurde. Damit werden vermehrt auch Ereignisse und Themen aus der Alltags- und Populärkultur berichterstattungsfähig, die zuvor das herkömmliche Relevanzniveau und die Selektionskriterien für journalistische Kommunikation verfehlt hatten (vgl. Hohlfeld 2004: 343). Fehlendes Regulativ: Wer kontrolliert die Vermengung von Journalismus und Unterhaltung? Es existiert keine Einrichtung, die eventuelle Dysfunktionen beobachtet und sanktioniert, etwa eine KEE – eine Kommission zur Ermittlung der Entgrenzung im Journalismus. Wäre eine derartige Institution wünschenswert? Viele Vermengungsformen dürften zum Wohle des Publikums eingeführt worden sein, wie etwa die
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unterhaltenden Elemente zur Auflockerung des reinen Informationsjournalismus’. Andere Formen können als bewusste Irreführung ausgelegt werden, etwa von Passanten, die vor laufender Kamera zu Interviewpartnern von Comedians wurden, weil Ihnen ein U für ein J vorgemacht wurde. Jenseits der Schrankenprüfung gemäß der allgemeinen Gesetze, der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre gibt es für derartige Fälle keine Rechtsgrundlage. 4.1.2
Gründe für die Entgrenzung auf der Mesoebene
Unterhaltsamkeit als wesentlicher Profil-Faktor im Nachrichtenmarkt: Die Positionierung im Nachrichtenmarketing ist bei unveränderlicher Konstanz der Ware Information, die jeder Sender anzubieten gezwungen ist, das oberste Erfolgskriterium im Nachrichtengeschäft (vgl. Huth/ Sielker 1988: 456). Aus einem Pool von Elementen des Unterhaltsamen entwickeln alle journalistischen Massenmedien unabhängig von ihrer Organisationsform ein mehr oder weniger festes Set an Gestaltungselementen, das zur Positionierung und zum Nachrichtenmarketing beiträgt. Je mehr Medien Nachrichten anbieten, desto ausdifferenzierter das Ensemble unterhaltsamer Gestaltungsmerkmale, desto komplexer die Vermischung von Information und Unterhaltung. Kostensenkung durch Faction: Die wechselseitige Entgrenzung von Fakten und Fiktionen führt zum Verschmelzen beider Grundorientierungen in neue Programmformate, die mit dem Begriff „Faction“ bezeichnet werden. Sowohl für „Eyewittness Programs“, Reality-TV, Real-PeopleSoaps, Real-Life-Formate aber auch für die Doku-Soap gilt: Die Wirklichkeit erzählen zu lassen, ist ein preiswertes Programm (vgl. Schorr 1996). Gleichzeitig sind alle hybriden „Tainmentformate“ anschlussfähig für reine Unterhaltung und Information. Glaubwürdigkeitsbonus: Journalismus imitierende Unterhaltung profitiert von höherer Glaubwürdigkeit der Information. Unterhaltung imitiert deshalb häufig Journalismus, wird von der Anmutung her „journalistischer“: Sie profitiert bei dieser Imitation von der höheren Authentizität und Glaubwürdigkeit journalistischer bzw. Informations-Medienschemata, die ihnen wie im Falle des Reality-TV von den Rezipienten als Schlüssel-Attribute zugeschrieben werden (vgl. Früh/Kuhlmann/Wirth 1996: 448).
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Audience-Flow: Die funktionale Entgrenzung bzw. Hybridisierung verstärkt aus Sicht der Medienorganisation den Audience-Flow, weil durch das gleichzeitige Bedienen multipler Publikumsbedürfnisse Brüche im Programm verhindert werden. Sendungen, die nur in funktionaler Reinform ausgestrahlt werden, haben aus Sendersicht das Manko, dass nach Beendigung stets neue Zuschauerschaften aufgebaut werden müssen. Multifunktional angelegte Programme haben eine größere Chance, die Zuschauer mitzunehmen. Das Mood-Management der Rezipienten als wichtiger Bedingungsfaktor der Medienzuwendung muss in der Unübersichtlichkeit der Informationsgesellschaft von jedem Medium in Betracht gezogen und berücksichtigt werden. Monofunktionale Medienangebote sind angesichts multipler Gratifikationserwartungen unterkomplex (vgl. Bosshart 1984: 644). Verhinderung des reinen Unterhaltungsslaloms: Insbesondere aus Sicht der öffentlich-rechtlich organisierten Medieninstitutionen muss durch die Beschaffenheit der journalistischen Medienangebote verhindert werden, dass es zum ausschließlichen Unterhaltungsslalom kommt. Die Publika – vor allem Vielseher im Fernsehbereich –, die ständig auf der Suche nach Unterhaltung sind, werden wie im Falle des Reality-TV, aber auch bei Doku-Soaps, Talk-Shows etc. durch den Einsatz von unterhaltsamen Gestaltungsmitteln gebunden, sie kommen damit in den doppelten Rezeptionsgenuss. 4.1.3
Gründe für die Entgrenzung auf der Mikroebene
Striktere Anwendung der persönlichen Kosten-Nutzen-Analyse: Nach dem neoklassischen ökonomischem Ansatz können veränderte Berufspraktiken von Journalisten – bei Konstanz der Präferenzstrukturen – u.a. mit einer Veränderung von Kosten bzw. Preisen der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe gegenüber den Kosten bzw. Preisen eines mehr an Unterhaltung und privatem Nutzwert orientierten Journalismus erklärt werden. Die Kosten eines Aufklärungsjournalismus steigen relativ, während seine Bezahlung relativ abnimmt; für den Unterhaltungs- und Nutzwertjournalismus gilt eine Umkehrung der Beziehung zwischen Kosten und Bezahlung (vgl. Heinrich 2001). Aufmerksamkeitsökonomie: Gemäß der Ökonomie der Aufmerksamkeit nach Franck (1998) gilt diese heute als unwiderstehlichste aller Dro-
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gen. Prominenz und Publicity werden in der Mediengesellschaft wichtiger als Macht und Reichtum. Auf der anderen Seite erhöhen Aufmerksamkeitswerte, die durch Emotionalisierung forciert werden, die Rezeptionschancen für alle Formen öffentlicher Kommunikation. Unterhaltung lässt durch Emotionalisierungsstrategien wie Musik, Bilder und Texte journalistische Informationen positiver und interessanter erscheinen (vgl. Brosius 1990). Der Mangel in Hinblick auf die Ressource Zeit zwingt das Individuum in einer überkomplexen Welt zur permanenten Kosten/NutzenRechnung: Gerade Freizeit gilt als Sozialkapital, das nur „sinnvoll“ gemindert werden sollte. Deshalb überwiegt auf Rezipientenseite das Kalkül, umweltrelevante Informationen in möglichst knapper Zeit aufzunehmen. Dabei gilt: Information lässt sich schneller aufnehmen, wenn sie über unterhaltsame Elemente transportiert wird. Die Stand-up-Pointen von Harald Schmidt, in denen tagesaktuelle Ereignisse angesprochen werden, dauern drei Minuten, die Tagesthemen dagegen dreißig. 4.2 Erklärungen für die Selbstthematisierung Die folgende Zusammenstellung beschränkt sich auf Erklärungsansätze, die im Sinne der weiter oben beschriebenen Typologie allgemeingültig sind. Daher werden Erklärungen, deren Reichweite nicht über die medienjournalistischen (siehe dazu: Malik 2004; Fengler 2002) und produktbedingten oder werberischen Formen (siehe dazu: Park 2004; Siegert/Pühringer 2001) hinausreicht, nicht dargestellt. 4.2.1
Gründe für den Selbstbezug auf Makroebene
Inter-Media-Agenda-Setting: Viele Formen der Selbstthematisierung sind zunächst einmal nichts anderes als die Folgen des Automatismus im System des Inter-Media-Agenda-Settings: Formate, die ob ihres Erfolges kopiert werden, Rechercheergebnisse, die weitere Recherchen auslösen, Themen, die an etablierte Themen anschließen. Relevanzspirale der Kanonisierung: „Medien beeinflussen wesentlich das, was als Bestandteil kollektiven kulturellen Wissens aufgenommen wird, über was man im Alltagsleben nicht hinweggehen kann.“ (Siegert 2001b: 57) Die Unterstellbarkeit medial vermittelten Wissens ist ein
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wirkungsmächtiger gesellschaftlicher Faktor (vgl. Marcinkowski 1993: 56), den sich Medien hinsichtlich ihrer Thematisierungsleistung zunutze machen. Selbstthematisierung bewirkt dabei eine Veranschaulichung der gesellschaftlichen Relevanz von Medien. Jede weitere Einheit Selbstbezüglichkeit verdrängt bei gleich bleibendem Platz ein anderes Thema. Da mehr Angebot mehr Aufmerksamkeit generiert, die mehr Auseinandersetzung mit einem Thema nach sich zieht, werden auch die Medienmacher als Mediennutzer (Reinemann 2003) das Thema Medien weiter bemühen. Die Relevanzspirale wird nach oben hin enger, denn sie löst sich von den vermuteten Erwartungshaltungen der Leser, und wägt zunehmend den Gewinn durch die Verankerung als Teil des kollektiven Wissens gegen den möglichen Schaden des Systems durch neue negative Informationen ab, wodurch der Grenznutzen abnimmt. Systemerhaltung: Daran anknüpfend kann Chois systemtheoretische Begründung für den Medienjournalismus als Selbstreferenzialität eines autopoietischen Systems uneingeschränkt für alle Formen der Selbstthematisierung verallgemeinert werden: Der Selbstbezug trägt zur „Stabilität und Transparenz“ (Choi 1999: 3) des Mediensystems gegenüber internen wie externen Publika bei. Medien erlangen Definitionsmacht über die medial erzeugte Wirklichkeit (vgl. Hohlfeld 2003: 243). Sie streben nach Autonomiegewinn, indem sie Eigensinn und eine spezifische Handlungslogik entwickeln (vgl. Hohlfeld 2005: 190). Alle Formen von Selbstthematisierung sind Ausdruck der eigensinnigen Operationsweise. Die medial erzeugte Wirklichkeit kann durch solche Thematisierungen im Sinne der Relevanz des eigenen Mediums beeinflusst werden. Medien verkünden so ihre eigene Bedeutsamkeit und gesellschaftliche Unentbehrlichkeit. Schwaches Regulativ: Durch jede Form der Information über Medien erfüllen die Medien ihre demokratie- und kommunikationstheoretische Aufgabe, „Funktionen, Arbeitsweisen und Wirkungsmöglichkeiten der Medien sowie der in ihnen tätigen Vermittler von Kommunikation darzustellen; diesen Bereich und seine Beziehungen zur Umwelt transparent zu machen; das tatsächliche Funktionieren der Massenmedien an den gesellschaftlichen Anforderungen zu messen, so dass der Rezipient als Kommunikationspartner jene kennenlernen und beurteilen kann“ (Decker 1974: 163). Gleichwohl ist die Existenz einer „fünften Gewalt“ in
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der Literatur umstritten: Sie wurde bislang zumeist in den Reihen des Medienjournalismus vermutet und dort gilt insbesondere die kritische Information als der “blinde Fleck” des Journalismus. Aber “who is watching the watchdog” dann? Welche anderen Akteure und Institutionen haben die Chance, alternative Meinungen über die Medien zu deren Selbstbildern oder redigierten Fremdbildern massenwirksam unter den Nutzern zu verbreiten? (Ruß-Mohl 1997; Quast 1998; Haller 2003; Krüger/Müller-Sachse 1999: 112; Bergsdorf 2000; Weßler1997: 19) Fest steht somit nur: Wer massenmediale Medienkritik für möglich hält, kritisiert ihre Zahnlosigkeit in der Praxis. Neuere Phänomene wie die watchblogs, also private und nicht institutionalisierte, online verbreitete Berichte über journalistische Arbeiten und Verfehlungen können sich in den kommenden Jahren zu einem beachtenswerten Regulativ entwickeln. Vorerst aber wird gerade die Selbstthematisierung noch nicht systematisch kontrolliert oder gar sanktioniert. 4.2.2
Gründe für den Selbstbezug auf Mesoebene
Explizite Positionierungs-Strategien: Gerade die Selbstthematisierung im engsten Sinne kann als Teil der Kommunikationspolitik eines Medienunternehmens eingesetzt werden (vgl. Heinrich 1999: 422). Darüber hinaus können auch die Thematisierung der Konkurrenz mit negativer Bewertung oder in unvorteilhaftem Kontext sowie die Ignoranz, also die NichtThematisierung derselben einen Beitrag insbesondere zum Gesamtmarketing leisten. Insgesamt trägt der Selbstbezug insbesondere zur Medienmarken-Bildung und zum Medienmarken-Management bei (vgl. Siegert 2001c). Kostensenkung durch Mehrfachverwertungs-Strategien: Selbstbezüglichkeit durch Wiederholung einzelner Informationen, Beiträge oder ganzer Produktteile senkt die Kosten für Medienunternehmen auf dreierlei Wegen: 1) Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Senderechteund Lizenz-Handels für die Wirtschaftlichkeit von Medienunternehmen wird beispielsweise die Bildauswahl audiovisueller Medien vom Vorhandensein von Eigen- und Fremdrechten beeinflusst. Dies gilt sowohl für die intern-intramediale Zweitverwertung als auch für den internintramedialen Einsatz. 2) Mehrfachverwertungen sind von nicht zu unterschätzender externer Wirkung: Formate erfahren mehr Aufmerksam-
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keit und die Anschlusskommunikation im Mediensystem wie auch außerhalb wird wahrscheinlicher (vgl. Hohlfeld 1999; Loosen 2001). Letztlich können so Kosten für Werbemaßnahmen gespart werden. 3) Aus der Perspektive des Controllings werden Recherchekosten gesenkt, wenn eine (Nachrichten-)Selektion zweiter Wahl stattfindet: Die journalistische Leistung verlagert sich für viele Journalisten weg von der investigativen Neurecherche hin zur Selektion, Zusammenfassung, Verknüpfung und Kommentierung der von anderen (Medien) recherchierten Daten. Auch diese Form der Selbstthematisierung ist nur begrenzt einsetzbar: Werden Erwartungshaltungen des Publikums oder Rollenerwartungen der journalistischen Mitarbeiter enttäuscht, entstehen Folgekosten, die gegen die Kostenersparnis aufgewogen werden müssen. Glaubwürdigkeitsbonus: Im Anschluss an die Glaubwürdigkeitsforschung stellt Rössler die These auf, „dass Medienreferenzen in redaktionellen Zusammenhängen gezielt eingesetzt werden, um die Glaubwürdigkeit des eigenen Angebots bei den Rezipienten zu steigern.“ Er fügt hinzu, „dies dürfte mittels Selbstthematisierungen im engeren Sinne kaum erreichbar sein.“ (Rössler 2001: 70) In dieser These stecken zwei Dimensionen: erstens die Glaubwürdigkeitszuschreibungen der Mediennutzer und zweitens die Annahmen über diese, die bei den Journalisten vorliegen. Der Zusammenhang zwischen Selbstthematisierung und relativer Glaubwürdigkeit im Urteil der Nutzer ist empirisch noch nicht untersucht. Aber für die Annahme eines Glaubwürdigkeitsbonus seitens der Journalisten spricht die Verbindung zweier Erhebungen: Die von Reinemann beschriebenen Medienimages unter Medienmachern (2003: 251269) zeigen auffällige Überschneidungen mit den Ergebnissen des Zitate-Rankings vom Media Tenor. Da die Journalisten also beispielsweise „Bild“ und „Spiegel“ für die wichtigsten deutschen Medien im Bereich der Politikberichterstattung halten, verweisen sie besonders häufig auf deren Veröffentlichungen, was dafür spricht, dass sie annehmen, durch diese Verweise die Glaubwürdigkeit der eigenen Berichterstattung erhöhen zu können. Audience-Flow: Selbstbezüge fördern die Publikumsbindung, weil sie den Rezipienten entweder eine Gratifikation verschaffen durch die Aktivierung deren Vorwissens oder ihnen signalisieren, sie hätten etwas ver-
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passt. Der „Stay tuned“-Effekt der Selbstthematisierung wird somit nicht nur durch explizite Eigenwerbung erfüllt. Relevanzzuweisung: Neben dem „Stay tuned“-Effekt, der auf den momentanen Audience-Flow zielt, können die Medien das Publikum durch Selbstbezüge auch über längere Zeitintervalle an ihr Programm binden. Dies ist durch werbepsychologische Erkenntnisse begründbar: Demnach führen zahlreiche Wiederholungen derselben Botschaft (z.B. Verweise auf ein anderes Programmangebot des Senders in Trailern, Überleitungen und Adabei-Selbstthematisierungen) bei geringem Involvement zu Überzeugungsänderungen (z.B. diese Sendung muss ich gesehen haben). Dabei ist die bloße Zahl der Informationen – unabhängig von deren Qualität – ausschlaggebend. Je öfter also ein Medienunternehmen in seinem Gesamtangebot auf ein zukünftig veröffentlichtes Angebot hinweist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Rezipienten diesem Relevanz zuweisen, indem sie z.B. diesen Spielfilm für sehenswert halten (im Überblick: Moser 1990: 80-83). Mit diesem Ansatz können auch die ansonsten dem menschlichen Geist schwer erklärbaren „Hintergrundberichte“ zu Medienevents wie den derzeitigen Real-LifeFormaten auf Almen und Burgen plausibel erscheinen. Reduktion von Komplexität: Durch das Erkennbarmachen und wiederholte Hinweisen auf Programmhöhepunkte und besondere publizistische Leistungen wird Komplexität reduziert. Selbstthematisierung ermöglicht Orientierung im unüberschaubaren Medienangebot (vgl. Bleicher 1994: 161; Siegert 2001b: 57). Cross-Promotion, Eigen-PR: Die erwähnte Sorge, Selbstthematisierung könne die Meinungsvielfalt im Bezug auf das Medienangebot ausdünnen, bewegt die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) insbesondere im Falle diagonaler Verbindungen zwischen Medienorganisationen, weil ihnen „die Möglichkeit zur Steigerung des Einflusses auf die Meinungsbildung durch multimediale Meinungsmacht und Cross-Promotion” gegeben ist. Diversifizierte Konzerne besitzen die Möglichkeit, „ihren publizistischen Einfluss und ihre wirtschaftliche Stärke zu steigern“ (KEK 2003: 287, 293 und 291 unter Verweis auf Sjurts 2002: 259). Diese Warnung bezieht sich ausdrücklich auf Cross-Promotion im klassischen Sinne, also durch Formen der Werbung. Aber dieselben Verbundvorteile könnten auch zur redaktionellen
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Überkreuz-Thematisierung der Unternehmen und Produkte, die zu einer Senderfamilie gehören, genutzt werden (vgl. Baerns 2004; Grabner 2000). „Synergetische Berichterstattung beschäftigt sich mit Produkten oder Unternehmen des eigenen Konzerns – jedoch außerhalb der Organisationseinheit, der die eigene Redaktion unmittelbar angehört: Hier ist die Manipulationsmöglichkeit besonders groß, weil das Publikum die bestehenden Konzernverflechtungen meist nicht durchschaut.” (RußMohl 2000: 33-34) Ein aktuelles Beispiel für die Brisanz dieses Arguments lieferte im Sommer 2005 die weit reichende Diskussion um die geplante Übernahme der ProSiebenSat.1-Gruppe durch den SpringerVerlag. Auf der Mesoebene liefert dieselbe Argumentationskette aus der Perspektive von Medienunternehmen betrachtet ausreichend Anlass, um die Selbstthematisierung zu instrumentalisieren. 4.2.3
Gründe für den Selbstbezug auf Mikroebene
Alltagshandlung: Ein Aspekt der Mediennutzung durch Medienmacher (vgl. Reinemann 2003) liegt in der „professionell bedingten Selbstbeobachtung der Medien im Rahmen der Recherche“, die von Weischenberg „basale operative Selbstreferenz“ genannt wird. (Choi 1999: VII) Im Gesamtkontext ist dies eine im Sinne der Koorientierung nützliche und daher selbstverständliche Arbeitshandlung im journalistischen Alltag: „Etwa zwei Drittel aller Journalisten orientieren sich bei ihrer Recherche an anderen Medien.” (Weischenberg/Löffelholz/Scholl 1994: 163) Und jeder zweite österreichische Journalist gibt an, die Berichterstattung des Konkurrenzmediums nehme Einfluss auf die eigene journalistische Arbeit (vgl. Weber 2000: 132). Produktaufwertung: Außerdem ist davon auszugehen, dass sich jeder Medienschaffende vom Element der Selbstthematisierung eine Aufwertung des von ihm geschaffenen Produkts verspricht, sei es, weil ihm ein besonders guter Gag zu einem aktuellen Ereignis aus dem Medienzirkus eingefallen ist oder weil er sein Werk durch den Glaubwürdigkeitsbonus einer journalistischen Quelle bzw. einer journalistischen Darstellungsform aufwerten will. Kosten-Nutzen-Analyse der Journalisten: In der Literatur dominiert die Annahme einer Unvereinbarkeit von ökonomischer und publizistischer Rationalität (vgl. Kreitling 1997: 132; Weischenberg 1998: 220;
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Turow 1994; Ruß-Mohl/Fengler 2002: 183-185). Einzig Karmasin versucht einen möglichen Interessenausgleich durch ein Stakeholder-Modell zu begründen (vgl. Karmasin 2000: 205). Daran anknüpfend wird hier von einer situationsabhängigen Abwägung durch den einzelnen Entscheidungsträger ausgegangen, dem die Detailkompetenz im Tagesgeschäft obliegt. Dabei spricht bereits auf den ersten Blick viel für Selbstthematisierungen: Eine weitere Einheit Information aus der Medienwelt ist billiger als eine weitere Einheit Information aus anderen Lebensbereichen, weil a) überdurchschnittlich viele Informationen aus und über die Medien im Rahmen der Alltagshandlungen von Medienakteuren wahrgenommen werden und b) für weiterführende Informationen die Informationskanäle vorhanden sind und automatisch genutzt werden. Dass die Medien dennoch nicht ausschließlich sich selbst thematisieren, liegt nicht nur an der öffentlichen Aufgabe der Medien, dem Selbstverständnis der Journalisten und dem unternehmerischen Interesse, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen, sondern auch an den Abwägungen des „Journalisten als aufgeklärtem Homo oeconomicus“. Das von Fengler/ Ruß-Mohl (2003) vorgelegte Konzept basiert zwar auf Befragungen von Medienjournalisten, kann aber in weiten Teilen auf jede Entscheidung zur Selbstthematisierung übertragen werden. Bei aller berechtigten Kritik am zu Grunde liegenden Rational Choice-Ansatz kann nicht bestritten werden, dass der mediale Entscheidungsträger die Interessen der von seiner Veröffentlichung Betroffenen sowie aller unter Umständen betroffenen Marktteilnehmer (bis hin zu potenziellen Arbeitgebern) hinsichtlich der ihm selbst daraus entstehenden Kosten oder des für ihn zu erwartenden Nutzens abwägt. Aufmerksamkeitsökonomie: Neben den systembezogenen KostenNutzen-Abwägungen sollten Individualinteressen nicht vernachlässigt werden. Adaptiert man den Entwurf einer Aufmerksamkeitsökonomie (vgl. Franck 1998) der medialen Prominenz für die Motivationslage von Medienschaffenden, so eröffnet die Thematisierung von Medien dem einzelnen Entscheidungsträger die Möglichkeit, a) durch einen (tendenziell informationslastigen) Beitrag mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der eigenen Institution Aufmerksamkeit zu generieren, die neben dem Wert ihrer selbst beispielsweise Karriere-Vorteile bringen kann, und b) (bei eher unterhaltenden Inhalten) den Glanz der Medien-Prominenz
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(des Berichterstattungsobjekts) zu antizipieren, der im Kollegenkreis wie im privaten Umfeld auf den Medienschaffenden abfällt. Publikationschancen: Im Rahmen der Produktion gibt es gerade für freie Journalisten zwei Wege, ihre Publikationschancen zu erhöhen, indem sie a) schneller produzieren als die Konkurrenz, was durch einen geringeren Aufwand bei der Produktion möglich wird, wenn Materialien mehrfach verwendet werden und b) indem die Produktion von vornherein auf eine crossmediale Verwertung angelegt wird nach dem Motto „Ein Termin, möglichst viele Abnehmer.“ Beide Wege führen zur Mehrfachverwertung von Informationen oder Materialien, mithin zu Formen des impliziten Selbstbezugs oder auch Formen der expliziten Selbstthematisierung, wenn auf die jeweils andere Aussendung verwiesen wird. 4.3 Gemeinsame Erklärungsansätze und Befunde Aus der Gegenüberstellung der Gründe für die beiden beobachteten Phänomene lassen sich zahlreiche Gemeinsamkeiten erschließen. Bei bis zu fünfzehn Erklärungen pro untersuchtem Phänomen liegt in fast der Hälfte aller Fälle eine Übereinstimmung vor (siehe Abb. 6). So spricht aus der Perspektive des Individuums sowohl das Ergebnis einer KostenNutzen-Analyse als auch der besondere Mehrwert einer aufmerksamkeitsökonomischen Überlegung für die Abweichung von der reinen Journalistik-Lehre. Drittens ermöglichen beide Phänomene aus der Meso-Perspektive eine Optimierung des Audience-Flow, was heute für jeden Programmmacher zweifelsohne ein starkes Argument ist. Viertens bieten beide Gestaltungsmerkmale die Möglichkeit zur Kostensenkung, weil sie die Mehrfachnutzung und Variation von einmal produzierten Beiträgen in immer neue Produkte als Grundcharakteristik aufweisen. Dasselbe gilt für die inhaltliche Mehrfachverwertung. Denkt man in diesem Zusammenhang an die vom Handel mit Übertragungsrechten geprägte Sportberichterstattung beispielsweise über die Formel 1 bei RTL oder derzeit bei den öffentlich-rechtlichen über Fußballgroßereignisse, so wird deutlich, dass fünftens beide Techniken die Möglichkeit zur Profilbildung für Medienunternehmen oder deren Produkte eröffnen. Und sechstens sind sowohl Entgrenzung als auch Selbstbezug nur möglich, weil auf der Makroebene die Sanktionsmöglichkeiten – wenn überhaupt – nur schwach ausgeprägt sind.
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Entgrenzung/Hybridisierung Selbstthematisierung Makro Gesellschaftlicher Wertewandel Inter-Media-Agenda-Setting Relevanzspirale der Kanonisierung Systemerhaltung Definitionsmacht über die medial Aufhebung von Dichotomien erzeugte Wirklichkeit Fehlendes Regulativ Schwaches Regulativ Explizite Positionierungsstrategie Meso Profil-Faktor Kostensenkung durch materielle und Kostensenkung durch Faction inhaltliche Mehrfachverwertung Glaubwürdigkeitsbonus Glaubwürdigkeitsbonus Audience-Flow Audience-Flow Relevanzzuweisung Reduktion von Komplexität Verhinderung des reinen Cross-Promotion, Eigen-PR Unterhaltungsslaloms Ergebnis von Alltagshandlung Mikro Produktaufwertung Kosten-Nutzen-Analyse Kosten-Nutzen-Analyse Aufmerksamkeitsökonomie Aufmerksamkeitsökonomie Mangel der Ressource Zeit Publikationschancen Abbildung 6: Erklärungsansätze für Entgrenzung und Selbstbezug in der Gegenüberstellung
Als Befund bleibt festzuhalten, dass auch eine Zusammenschau der in der Literatur diskutierten Erklärungen für die Phänomene Entgrenzung und Selbstbezug eine weit reichende Ähnlichkeit offenbart. Dabei fällt auf, dass insbesondere die Erklärungsansätze auf der Mesoebene zahlreich sind. Dies könnte erkenntnistheoretisch durch die Auswahl der recherchierten Quellen erklärt werden, was allerdings implizit eine entweder unvollständige oder aber eine hypothesengeleitete Forschung unterstellen würde. Beides soll nicht für das bewusst ergebnisoffen gehaltene Vorgehen bei diesem Projekt in Anspruch genommen werden. Auf den Punkt gebracht: Beide Phänomene sind vor allem auf der Mesoebene instrumentalisierbar, und bei genauerer Betrachtung der
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Argumente kommen sie zuallererst dem Interesse der im wirtschaftlichen Wettbewerb stehenden Organisationen auf dem Medienmarkt entgegen. Daher liegt der Verdacht nahe, dass im Falle von Entgrenzung und Selbstbezug die Eigeninteressen der Medienunternehmen ausschlaggebend sind. Damit kann die eingangs angesprochene kommunikationsund demokratietheoretische Problematik der Selbstthematisierung ein weiteres Mal belegt und auch auf Entgrenzungsphänomene übertragen werden. Schließlich sprechen die typischen Eigenschaften beider Phänomene aus der Perspektive der Medienunternehmen für eine zunehmend stärkere Vernetzung des medialen Gesamtangebots, die wiederum aus der Perspektive der Wissenschaft genau an diesen beiden Phänomenen besonders gut beobachtet werden kann.
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Fazit
Es wurden zwei operationalisierbare Typologien vorgelegt und auf induktivem Wege zahlreiche Hypothesen für eine künftige empirische Untersuchung abgeleitet, der nur mehr die Variablendefinition zum fertigen Codebuch fehlt. Anhand des Vergleichs dieser Typologien wurde eine enge Verknüpfung der beiden Phänomene Entgrenzung und Selbstbezug aufgezeigt. Dabei hat sich im einzelnen gezeigt, dass Entgrenzungsphänomene auf allen inhaltlichen Ebenen der öffentlichen Kommunikation zu finden sind und dass diese Vielfalt an Mischformen zwischen Unterhaltung und Journalismus bereits weit reichend von den Medien genutzt wird, um sich selbst zu thematisieren. Eine Gegenüberstellung der Erklärungsansätze für Entgrenzung und Selbstbezug hat gezeigt, dass insbesondere im Bereich der medienökonomischen Ansätze zahlreiche Übereinstimmungen zu finden sind. Angesichts des beachtlichen, durch die entertainment-education-Forschung untersuchten Lerneffekts von Informationen, die unterhaltend verpackt sind, ist den Medienunternehmen somit ein Instrument für die Marken- und Meinungsbildung an die Hand gegeben. Erfolgt die Selbstthematisierung überwiegend „verpackt“ in unterhaltendem Umfeld, so dürfte der erwünschte Effekt auf die Einstellung möglich sein: Mach’
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einen Spaß über das Missgeschick im Programm des Konkurrenzsenders, und das Publikum merkt sich: Der andere Sender arbeitet schlecht. Deshalb schicken insbesondere die TV-Sender ihre modernen Hofnarren in die Arena, auf dass die Comedians und Moderatoren vom Schlage eines Stefan Raab in Beiträgen und einzelnen Statements (Aussagen) die Konkurrenz „derblecken“ und den eigenen Hof unter dem Strich belobigen, bisweilen aber auch zur Belustigung des Volkes „durch die Blume“ kritisieren. Gemäß dieser Argumentation kann die gleichzeitige Nutzung von Entgrenzungs- und Selbstthematisierungsphänomenen als „HofnarrenKomplott“ bezeichnet werden. Diese Münze hat aus normativer Sicht zwei Seiten. Auf der einen war es einst am Hofe lediglich dem Hofnarren erlaubt, den Herrscher zu kritisieren. In diesem Sinne eröffnet die Tendenz zur Verquickung von Entgrenzung und Selbstbezug die Möglichkeit, im unterhaltenden Rahmen jene Medienkritik zu platzieren, die gewünscht, aber bislang in den Überlieferungen der Hofschreiber nur spärlich zu finden war. Darüber hinaus kann das Hofnarrentum zu mehr Transparenz des gesellschaftlich zunehmend bedeutenden Subsystems Medien führen, weil der Hofnarr naturgemäß seinem Publikum gefallen will, weshalb er verstanden werden muss, was Vorwissen voraussetzt. Darum wird der Hofnarr im Zuge seiner amüsanten Anmerkungen auch Produktionsweisen oder Zusammenhänge zwischen Personen und Organisationen erklären. Auf der anderen Seite steht das Komplott: Kein Hofnarr wird den Bogen überspannen und die übergeordneten Interessen seines Herrschers gefährden. Vielmehr liegt es in seinem ureigenen Interesse, am Ende des Tages dem gesamten Hofstaate etwas Gutes getan zu haben. Wendet er sich also an externe Publika, wird er auf die ihm eigene Weise dem Hofe seinen Dienst erweisen. Er wird den Eindruck vermitteln, er kritisiere harsch. In Wirklichkeit aber wird er sein Publikum an der Nase herumführen und unter dem Strich sogar werben, indem er die Aufmerksamkeit auf die guten Seiten im Schlechten lenkt und die wichtigen Dinge so lange besingt, bis das Publikum applaudiert. Dabei wirkt das Hofnarrenkostüm wie eine Tarnkappe: Ist doch alles bloß Spaß. Der Rezipient stellt deshalb nichts in Frage, die Werbung kann ihre volle Wirkung entfalten. Das Hofnarren-Komplott legt insofern eine grundsätzliche Sorge nahe: Es ist wahrscheinlich, dass Medien mit der inhaltlichen Entgrenzung
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des Journalismus zur Unterhaltung und mit der in weiten Teilen parallel verlaufenden Selbstthematisierung Instrumentarien entwickelt haben, die sie nun intensiv für ihre Eigeninteressen nutzen können. Eigeninteressen aber gehen nicht uneingeschränkt mit der öffentlichen Aufgabe der Massenmedien d’accord. Deshalb sollte das Kombinationsthema Entgrenzung und Selbstbezug anhand der hier vorgestellten Hypothesen empirisch untersucht werden.
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Joachim Trebbe und Torsten Maurer
„Unterhaltungspublizistik“ Journalistische Gratwanderungen zwischen Fernsehinformation und Fernsehunterhaltung 1
Einführung
Im Folgenden werden Überlegungen zur Abgrenzung von Information und Unterhaltung in deutschen Fernsehprogrammen angestellt. Im Mittelpunkt des Beitrages wird dabei weder die mutmaßlich unterhaltende oder informierende Intention des Journalisten noch die Funktion des Medieninhalts für den Rezipienten stehen. Im Mittelpunkt des Beitrags steht vielmehr der Medieninhalt selbst, und zwar aus einer normativanalytischen Leistungsperspektive. In diesem Zusammenhang wird auf zwei scheinbar gegenläufige Trends hingewiesen, die für die Identifikation und Deskription von Information im Fernsehen wichtig sind. Auf der einen Seite lässt sich ein Trend zur Profilierung der deutschen Fernsehvollprogramme innerhalb von unternehmerisch verflochtenen Programmfamilien feststellen. Auf der anderen Seite finden sich immer mehr programminterne Hybridformate, die auf den ersten Blick nicht (mehr) eindeutig den informierenden oder unterhaltenden Programmsparten zuzuordnen sind, weil sie zum Teil fernsehjournalistisch vermittelte Ereignisse und Sachverhalte und zum Teil Showelemente mit Unterhaltungscharakter enthalten. Der Beitrag beschäftigt sich im Kern mit der Frage, ob es für eine empirisch-analytische Abbildung von Programmstrukturen und Programminhalten vor dem Hintergrund normativer Regelungen notwendig ist, Programmelemente eindeutig dem einen oder anderen staatsvertraglich geforderten Segment des Leistungsspektrums zuzuordnen. In diesem Zusammenhang soll anhand empirischer Daten zur Programmsituation
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Joachim Trebbe/Torsten Maurer
auf dem bundesweiten Fernsehmarkt ausgelotet werden, welche Möglichkeiten der Kategorisierung und Analyse für Programminhalte auf der Grenzlinie zwischen Information und Unterhaltung bestehen und wie diese für die Beschreibung von Konvergenz- und Divergenzphänomenen genutzt werden können.
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Problemstellung
Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) werden seit 1998 regelmäßig die acht in Deutschland bundesweit lizenzierten Fernsehvollprogramme inhaltsanalytisch untersucht, um einen Überblick über die Programminhalte und die Programmentwicklungen auf dem nationalen Fernsehmarkt zu erhalten.1 Wesentlicher Hintergrund für die Kategorien, nach denen die Programme beschrieben werden (sollen), sind die Landesmediengesetze der Bundesländer sowie der Rundfunkstaatsvertrag (RStV). Dabei werden – etwa im Rundfunkstaatsvertrag – besondere Ansprüche an die Inhalte von Fernsehvollprogrammen gestellt (§2 Begriffsbestimmungen und §41 Programmgrundsätze, RStV 2005). Danach gilt für diesen Programmtyp im Gegensatz zum Spartenprogramm das Vielfaltsgebot mit wesentlichen Anteilen an Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung im ausgestrahlten Programm. In juristischer Diktion handelt es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe, die sich – wenn überhaupt – nur zum Teil einer empirischen Operationalisierung und Überprüfung unterziehen lassen. Das ist unmittelbar einsichtig: Hier wird zwar ein wesentlicher Anteil gesetzlich bindend vorgeschrieben, allerdings nicht quantifiziert. Welchen Umfang ein wesentlicher Teil, etwa im Vergleich zu anderen Programmelementen, haben muss, wird nicht erläutert. Aus empirisch-analytischer Sicht ist aber ein anderes Defizit der juristischen Terminologie viel schwieriger zu überwinden: Es fehlt eine explizite, empirisch brauchbare Definition des Informations- bzw. Unterhaltungsbegriffes (vgl. Starck/Hein 1994). Dennoch sind die Begriffe Information und Unterhaltung zwei wesentliche Pole, zwischen denen sich Programminhalte verorten lassen müssen, 1
Die Studie wird durch die GöfaK Medienforschung Potsdam unter der Leitung von Hans-Jürgen Weiß durchgeführt.
„Unterhaltungspublizistik“
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wenn sie vor dem Hintergrund normativer Anforderungen beurteilt, d.h. in ihrer Qualität beschrieben werden sollen (vgl. Weiß 1994). Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt, der aus der Bedeutung des Fernsehens für die Informationsfreiheit und die freie Meinungsbildung resultiert. Fernsehinformation ist vor diesem Hintergrund bedeutender für die gesellschaftliche Kommunikation als Fernsehunterhaltung und wird demzufolge aus dieser im ursprünglichen Wortsinne „normativen“ Perspektive als qualitativ höherwertig angesehen als andere Programmbestandteile. Diese Schlussfolgerung ist entscheidend für die Perspektive der im Folgenden beschriebenen Analysen zur Unterhaltung im Fernsehen: Die Blickrichtung geht vom Informationspol aus. Mit anderen Worten: Im Mittelpunkt steht die Frage danach, welche Programmelemente im Fernsehen dem Leistungssegment der Information eindeutig zugeordnet werden können, welche ggf. Überschneidungen mit dem Unterhaltungssegment aufweisen und welche eindeutig unterhaltenden Charakter haben. Das ist insbesondere bedeutsam für den Fernsehjournalismus, denn hier soll im Folgenden untersucht werden, welche fernsehjournalistisch produzierten Programmelemente – auch als Teil der Berichterstattung – unterhaltenden Charakter haben. Die umgekehrte Blickrichtung, vom Unterhaltungspol aus gesehen, d.h. inwieweit gesellschaftlich relevante Informationsthemen in nicht journalistisch produzierten, fiktionalen oder non-fiktionalen Programmangeboten thematisiert werden, wird dagegen im Folgenden nicht aufgegriffen werden.
3
Theorie
In der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion und Forschung zur Unterhaltung im Fernsehen ist die Rezeptionsperspektive vorherrschend (vgl. Wünsch 2002). Medieninhalte werden in diesem Kontext meist als Potentiale für das im Nutzungs-, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess zustande kommende Unterhaltungserleben aufgefasst (vgl. Früh 2003, 52). Gleiches gilt für theoretisch-normative Überlegungen zur Information, besonders zur politischen Information im Fernsehen. Sie enthält danach vor allem die Chance für den Rezipienten, sich am demokratischen Prozess der gesellschaftlichen Information und freien Meinungsbildung zu beteiligen (vgl. Weiß/Trebbe 1994, 23). Aus dieser
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theoretischen Perspektive muss man beiden Angebotstypen die Möglichkeit zugestehen, die jeweils andere Funktion – zumindest zum Teil – ebenfalls zu erfüllen. So können Informationsangebote unterhalten und Unterhaltungsangebote informieren, auch wenn bestimmte Konstellationen (im Sinne einer Entsprechung von Angebotspotential und Angebotsfunktion) wahrscheinlicher sind als andere (vgl. Brosius 2003, 77). Im Kontext der normativ-analytischen Programmforschung kommt dem Postulat der Unterhaltungs- und Informationspotentiale eine zweifache Bedeutung zu (vgl. Weiß 1994). Erstens lässt sich dieser Gedanke auf den Zusammenhang von Programmstrukturen und Programminhalten übertragen: Je mehr Programmplätze innerhalb des Programmablaufs für informierende (oder unterhaltende) Sendungen formatiert werden, je höher ist die Chance, dass sich die entsprechenden Inhalte im Gesamtprogramm identifizieren lassen. Und zweitens können unterschiedliche Basiselemente von Fernsehprogrammen postuliert werden, die größere oder kleinere Informations- (und Unterhaltungs-)potentiale beinhalten. Dies wiederum geschieht sowohl auf der Ebene der Programmsparten bzw. Sendungsgattungen als auch auf der Ebene der inhaltlich-thematischen Beiträge. Eine solche Einbeziehung der Beitragsebene ist deshalb zwingend notwendig, da es neben Programmangeboten, die (1) sich (weitgehend) eindeutig der Unterhaltungsleistung auf der Sendungsebene verorten lassen, auch Angebote gibt, die (2) potentiell Informationen enthalten, diese jedoch eher unterhaltenden Charakter haben – eine Unterscheidung, auf die wir anschließend noch eingehen werden. (1) Zu dem Typ von Programmangeboten, die sich auf der Sendungsebene der Unterhaltung zurechnen lassen, sind sowohl fiktionale als auch non-fiktionale Sendungen zu zählen. Bei den fiktionalen Unterhaltungssendungen handelt es sich um Spielfilme, Fernsehserien, Zeichentrickserien etc. Zu den non-fiktionalen Unterhaltungsangeboten gehören neben Spiel-, Quiz- oder Comedy-Shows beispielsweise Reality-Shows. Eine Klassifizierung solcher Angebote als Unterhaltung schon auf der Sendungsebene führt mit sich, dass ein theoretisch durchaus denkbares Informationspotential unberücksichtigt bleibt. Im Sinne einer informierenden, meinungsbildenden Realitätsvermittlung nach den Intentionen von
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Mediengesetzgebung und Rundfunkstaatsvertrag erscheint die Vernachlässigung auf dieses Potential jedoch durchaus schlüssig. (2) Als Fernsehpublizistik werden alle Sendungsgattungen bezeichnet, in denen die fernsehjournalistische Realitätsvermittlung im Vordergrund steht. Schon diese erste Grenzziehung ist theoretisch erheblich leichter als empirisch – wir werden unten darauf noch zurückkommen. Das Informationspotential der Fernsehpublizistik wird durch das theoretische Modell der Themenrelevanz weiter differenziert. Für alle fernsehpublizistischen Sendungen und Beiträge werden dabei vier Themenfelder unterschieden. Eindeutig als Kern der fernsehjournalistischen Informationsleistung zuzuordnen ist Themengruppe 1 der gesellschaftlich kontroversen Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (etwa im Sinne von §31 Abs. 4 LMG NRW). Themengruppe 2 enthält Themen aus allen möglichen gesellschaftlichen Subsystemen, wie Kirche, Bildung und Wissenschaft, die (noch) nicht Gegenstand einer gesellschaftlichen Kontroverse sind. In Themengruppe 3 werden Lebensweltthemen verortet, die der sozialen Orientierung des Publikums in der Alltagswelt dienen können, etwa Ratgeber, Urlaub und Freizeitgestaltung. Besonders diese Themengruppe enthält das stärkste Beratungspotential, das neben Information, Unterhaltung und Bildung ein Bestandteil der gesetzlichen Anforderungen an Rundfunkvollprogramme ist (vgl. § 2, Abs. 2, Satz 1 RStV). Das Themensegment, welches das ausgewogenste Verhältnis zwischen Informations- und Unterhaltungspotential im fernsehpublizistischen Segment enthält, wird im theoretischen Modell der ALM-Studie als Unterhaltungspublizistik bezeichnet. Damit sind alle Sachthemen und thematisierten Ereignisse gemeint, die sich erstens nicht in eine der ersten drei gesellschaftlich oder individuell relevanten Themensegmente einordnen lassen und zweitens entweder der Zerstreuung des Publikums dienen können (Adel, Prominenz, Stars und Sternchen) oder zu den Spannung und Angst erzeugenden Themen wie Katastrophen, Unfälle und Verbrechen zählen. Natürlich sind diese auch als Human Touch bezeichneten Themen auch Informationen im Sinne von Neuigkeiten und nicht-fiktionaler Realitätsvermittlung. Aus einer normativen Perspektive kann man ihnen jedoch eine gesellschaftlich und individuell geringere Relevanz beimes-
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sen und ein stärkeres Unterhaltungspotential unterstellen. Letztlich wird so das Unterhaltungspotential der Human Touch-Berichterstattung nicht im Hinblick auf positive oder negative Themen und Ereignisse unterschieden (vgl. Früh 2002, 123). Unterhaltung im fernsehpublizistischen Segment ist danach vor allem durch eine mangelnde gesellschaftliche Relevanz gekennzeichnet. Damit ist im Übrigen noch nichts über die Motivation, Rezeption oder Wirkung für solche Inhalte ausgesagt. In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zum Sport im Fernsehen (vgl. Stiehler 2002): Nach dem eben beschriebenen Relevanzkriterium kann man die Sportberichterstattung ebenfalls dem Segment der Unterhaltungspublizistik zurechnen. Im theoretischen und empirischen Modell geschieht dies zunächst nicht, da es sich um ein eigenständiges, homogenes Themengebiet handelt. Unterhaltungs- und informationstheoretisch erfüllt es jedoch alle unterhaltungspublizistischen Zuordnungskriterien. Abschließend bleibt festzuhalten, dass nach dem theoretischen Modell der ALM-Studie Unterhaltung im Fernsehen aus drei wesentlichen Elementen besteht: (1) fiktionale Unterhaltung durch Filme und Serien, (2) non-fiktionale Unterhaltung durch Shows und Spiele und (3) die fernsehpublizistische Thematisierung von Human Touch-Themen. Dabei stellt letztere den Übergangsbereich zwischen Information und Unterhaltung im Fernsehen dar und kann prinzipiell beiden Leistungssegmenten zugeordnet werden. Information im Fernsehen besteht danach sowohl aus den drei Themengruppen der (1) gesellschaftlich kontroversen Themen, der (2) gesellschaftlich relevanten, aber nicht kontroversen Themen und der (3) Berichterstattung über die private Lebenswelt des Publikums als auch aus der oben genannten Berichterstattung über Human TouchThemen, der (4) Unterhaltungspublizistik.
4
Konzeption und Methode
Seit 1998 werden die acht deutschen Fernsehvollprogramme ARD, ZDF, RTL, SAT.1, ProSieben, VOX, RTL II und Kabel eins im Zeitraum einer natürlichen Woche im Frühjahr und im Herbst jeden Jahres aufgezeichnet, archiviert und einer inhaltsanalytischen Codierung unterzogen. Die Details der Stichprobenkonzeption und der zweistufigen Inhaltsanalyse
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sind inzwischen mehrfach beschrieben, dokumentiert und unter medienbzw. forschungspolitischen Gesichtspunkten diskutiert worden (vgl. Trebbe 2004, Weiß/Trebbe 2001, Krüger 2001). Deshalb werden wir uns im Folgenden auf eine Darstellung der Identifikation des unterhaltungspublizistischen Segments im fernsehpublizistischen Sektor konzentrieren, um deutlich zu machen, wie dieses Segment identifiziert und klassifiziert wird. Als Fernsehpublizistik werden Sendungen bezeichnet, die entweder der fernsehjournalistischen Berichterstattung oder anderen Formen der publizistischen Realitätsvermittlung zugeordnet werden können. Sendungsgattungen in diesem Feld sind vor allem Nachrichten, Magazinsendungen und Dokumentationen, aber auch Talk- und Interviewformate. Die Zuordnung zur Fernsehpublizistik erfolgt im Rahmen der ALM-Studie auf der Ebene von Einzelsendungen, also Programmelementen, die als formal gestaltete und betitelte Einheit in der Programmstruktur angekündigt und identifizierbar sind. Eine inhaltlich-thematische Klassifizierung ist damit noch nicht verbunden. Allen in diesem Sektor identifizierten und kategorisierten Sendungen wird lediglich die Chance für die Thematisierung der im theoretischen Teil beschriebenen Inhaltstypen (Themengruppen 1 bis 4) zugeschrieben. Der Begriff der Fernsehpublizistik wird nicht mit dem Informationsbegriff gleichgesetzt. Es ist nach dem theoretischen Modell der ALM-Studie empirisch nicht möglich, auf der Ebene von fernsehpublizistischen Sendungen pauschal über Informations- und Unterhaltungsleistungen zu unterscheiden. Die Themenrelevanz wird erst im zweiten Untersuchungsschritt durch die Themenanalyse der Beiträge identifiziert. Dafür steht ein differenziertes Codierschema zur Verfügung, das nach einer Basiscodierung mit Filterfunktion je Themengruppe bis zu 30 Einzelcodes vorsieht (vgl. Trebbe 2004, D125-D132):
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Politische und andere gesellschaftlich kontroverse Themen Politik (und Verwaltung) VT11 Wirtschaft VT12 Gesellschaft VT13 Sachthemen Gesellschaftliches Leben/gesellschaftliche Subsysteme VT21 Mensch/Welt/Natur VT22 Human Touch-Themen Zerstreuungsthemen VT31 Angstthemen VT32 Lebensweltthemen Verbraucher-/Konsumenten-/Anwenderthemen VT41 Physis- und Psychethemen VT42
50
Sportthemen
VT50
60
Servicethemen
VT60
11 12 13 21 22 31 32
Die Themencodierung ist abhängig von der Art und Weise der journalistischen Aufbereitung eines Beitrages. Nach dem Erhebungsmodell der ALM-Studie gibt es zwar bestimmte Eigenschaften eines Sachverhaltes oder eines Ereignisses, die eine bestimmte Themencodierung wahrscheinlicher machen, etwa die Codierung „Politik“, wenn der deutsche Außenminister ein relevanter Akteur des Beitrags ist. Es kann sich aber ebenso um einen Themenbeitrag aus der Themengruppe „Sachthemen“ handeln (z.B. die Jugendkultur in den 1970er Jahren), eine Human Touch-Geschichte (die n-te Scheidung) oder ein Lebensweltthema (Stress und Sport) etc. Als Unterhaltungspublizistik werden alle Themenbeiträge codiert, die aus mindestens einem der folgenden zwei Blickwinkel der Human Touch-Berichterstattung zugeordnet werden können. (1) Zu den Zerstreuungsthemen gehören solche Beiträge, die sich mit Prominenz, Lifestyle, Kuriositäten und Normalbürgern beschäftigen:
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VT31 Zerstreuungsthemen 0 Übergreifend, quer 1 Personality 1: Prominenz 2 Personality 2: Normalbürger in besonderen Themenbezügen 3 Lifestyle, Zeitgeist 4 Sexualität, Erotik 5 Tiergeschichten 6 Kuriositäten allgemein, Besonderes 9 Sonstiges
(2) Zu den Angstthemen werden Beiträge gezählt, wenn sie Kriminalität, Unfälle und Katastrophen thematisieren: VT32 Angstthemen 0 Übergreifend, quer 1 Kriminalität, Verbrechen 2 Unfälle 3 Katastrophen 9 Sonstiges
Die Summe der unter (1) und (2) zusammengefassten Themenbeiträge bildet dann im Rahmen der Analyse das Inhaltselement der Unterhaltungspublizistik als Teil der Fernsehpublizistik, das aus einer normativen Perspektive die geringste Themenrelevanz für die gesellschaftliche Informations- und Meinungsbildung aufweist.2 Die gestufte Konzeption der Inhaltsanalyse erlaubt dann im Rahmen der Datenanalyse die Fusion der zwei Untersuchungsschritte. Auf der einen Seite können Sendungen aus den Sektoren der fiktionalen und der non-fiktionalen Unterhaltung dem Unterhaltungssegment zugerechnet werden, während auf der anderen Seite Sendungsteile, nämlich Themenbeiträge, aus den fernsehpublizistischen Sendungen herausgerechnet werden können und entweder als Unterhaltungs- oder als Informations2
Die Codierung solcher Inhalte ist mit großem Aufwand bei der Bewältigung von Reliabilitätsproblemen verbunden. Die entsprechenden Verfahren werden in den Stichprobenberichten für die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten unter http://www.alm.de (Medienforschung) in regelmäßigen Abständen dokumentiert.
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programm betrachtet werden können. Diese Konzeption erlaubt es, die Frage nach Information oder Unterhaltung der Human Touch-Berichterstattung zunächst unbeantwortet zu lassen und je nach Analyseperspektive zu entscheiden oder besser: zur Diskussion zu stellen. Im Folgenden werden wir nach einem kurzen Blick auf die quantitativen Ausmaße von Unterhaltung, Fernsehpublizistik und Unterhaltungspublizistik die thematische Zusammensetzung, die Verteilung auf bestimmte Sendungsformate und die Themenschwerpunkte der Unterhaltungspublizistik empirisch darstellen.
5
Ergebnisse
Im Zusammenhang dieses Beitrags stellt die Gewichtung der Unterhaltungspublizistik innerhalb der gesamten Programmstruktur nur ein Randaspekt dar.3 So sei eingangs nur kurz der relative Anteil der Unterhaltungspublizistik erwähnt, die auf der Ebene der Themenbeiträge innerhalb der Fernsehpublizistik gemessen wird und die entsprechend der zuvor dargestellten Analyselogik sowohl der fernsehjournalistischen Thematisierungsleistung als auch dem Unterhaltungspotential eines Programms zugerechnet werden kann. Der Gesamtüberblick im Bezugsrahmen eines durchschnittlichen Sendetages (vgl. Tabelle 1) zeigt den unterschiedlichen quantitativen Umfang des unterhaltungspublizistischen Segmentes in den untersuchten Programmen und damit auch den unterschiedlichen Stellenwert der unterhaltenden Informationsthemen innerhalb der Programmfamilien. In Extremfällen sind es 20 (SAT.1) bzw. 23 Prozent (RTL), die einerseits der Fernsehpublizistik zugerechnet werden könnten und andererseits zusammen mit fiktionalen und non-fiktionalen Sendungen einen Unterhaltungsanteil von 60 bzw. 61 Prozent der Gesamtsendezeit in den Programmen von SAT.1 bzw. RTL ausmachen würden.
3
Für einen Gesamtüberblick vgl. Weiß/Trebbe 2000, Trebbe 2004, Trebbe 2005.
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Tabelle 1:
Unterhaltung und Information in Fernsehvollprogrammen im Frühjahr 20041 (Quelle: Trebbe 2004: 57)
Programminhalte2 RTL SAT.1 ARD ZDF Pro7 VOX RTL II Fiktionale 29+1 34+2 36+1 30+3 36+2 45-1 48-6 Unterhaltung3 Non-fiktionale 9+1 6-3 6+1 4-1 11+2 < 1-2 12+3 Unterhaltung Unterhaltungs23-2 20 0 10+2 10-1 10-7 8+4 9-1 publizistik4 Sach- und 6 0 14+1 20+4 19+3 13 0 10+4 6+2 Lebensweltthemen Kontroverse Themen 30 17-6 20-3 1-1 20 10 5-2 Restliches 28 31 17 16 23 32 20 Programm5 Gesamt 100 100 100 100 100 100 100
K1 63 0 10 10 80 10 26 100
(1) Prozentuierungsbasis: 24 Stunden pro Tag (3 - 3 Uhr). Stichproben: 2 Kalenderwochen im Jahr 2003, 1 Kalenderwoche im Frühjahr 2004. (2) Hochgestellte Zahlen mit Vorzeichen: Veränderung im Vergleich zum Jahr 2003. (3) inkl. fiktionaler Unterhaltung für Kinder (4) Unterhaltungspublizistik = Berichterstattung zu Human Touch-Themen (Prominente, Stars, Sex and Crime). (5) In der Zeile enthalten sind sowohl sonstige Themenbeiträge der Fernsehpublizistik, Sport als auch Werbung, Trailer, Programmüberbrückungen etc.
Für die Fragestellung dieses Beitrags ist jedoch vorwiegend von Interesse, welchen Stellenwert die Unterhaltungspublizistik im Kontext der gesamten fernsehpublizistischen Thematisierungsleistung aufweist (vgl. Abbildung 1). Bei RTL und SAT.1 sind Unterhaltungsthemen das Hauptsegment der gesamten Fernsehpublizistik. Zum Beispiel RTL: Von etwa 9 Stunden, die an einem durchschnittlichen Sendetag mit fernsehjournalistischen Inhalten ausgefüllt sind, sind etwa 5 ½ Stunden dem Themensektor Human Touch zurechenbar. D.h. mehr als die Hälfte der fernsehpublizistischen Sendezeit ist unter Relevanzgesichtspunkten sowohl dem Unterhaltungs- als auch dem Informationssektor zuzuordnen. Im Vergleich aller untersuchten Programme untereinander fällt vor allem Kabel eins
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aus dem Rahmen. Sowohl die gesamte Fernsehpublizistik (weniger als drei Stunden täglich) als auch die unterhaltungspublizistischen Themen (weniger als eine halbe Stunde täglich) sind hier im Vergleich der Programme mit dem geringsten Zeitumfang ausgestattet. Dieses Ergebnis verwundert nicht, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass bei Kabel eins der Anteil der fiktionalen Unterhaltungssendungen seit mehreren Jahren relativ konstant über der 60-Prozentmarke liegt und damit sehr wenig Spielraum für andere Programmelemente bleibt. 14:00 13:00 12:00 11:00 10:00 9:00 8:00 7:00 6:00 5:00 4:00 3:00 2:00 1:00 0:00
Restliche Fernsehpublizistik Angstthemen Zerstreuungsthemen
RTL
SAT.1
ARD ProSieben ZDF
RTL II
VOX
Kabel 1
Abbildung 1: Der Umfang der Unterhaltungspublizistik im Frühjahr 2004 (in Stunden:Minuten pro 24-Stunden-Tag)
Im Übrigen lässt sich, was den Umfang der Unterhaltungspublizistik in absoluten Zahlen, also der Dauer in Stunden und Minuten je Sendetag betrifft, zunächst keine Systemgrenze zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen feststellen. Zwar wird die Rangreihe von RTL und SAT.1 angeführt, dann folgt jedoch schon das erste Programm der ARD, vor ProSieben und dem ZDF. Die Position der zwei öffentlichrechtlichen Programme ist damit im Hinblick auf den quantitativen Um-
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fang der Unterhaltungspublizistik an einem durchschnittlichen Sendetag weitaus weniger eindeutig als die Position der Einzelprogramme einer Senderfamilie. Besonders in der Gruppe der ProSiebenSat.1 Media AG nimmt der Stellenwert der Unterhaltungspublizistik von Kabel eins (weniger als 30 Minuten) über ProSieben (zweieinhalb Stunden) bis zu SAT.1 (etwa 5 Stunden) linear zu. Wechselt man den Bezugsrahmen und fokussiert stärker auf die fernsehjournalistische Leistung der Programme, indem man den fernsehpublizistischen Output der Gesamtstichprobe pro Programm auf 100 Prozent setzt, zeigt sich ein etwas verändertes Bild (vgl. Abbildung 2). 100
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Restliche Fernsehpublizistik Angstthemen
70
Zerstreuungsthemen
90
60 50
16
22
40
12
4
30 20
46
4 3
39
32
10
29
25
17
2 1 15
0 RTL
SAT.1
RTL II
VOX
ProSieben ARD
ZDF
8
Kabel 1
Abbildung 2: Der Anteil der Unterhaltungspublizistik an der Fernsehpublizistik im Frühjahr 2004 (in Prozent, bezogen auf den 24-Stunden-Tag)
Der Befund für RTL und SAT.1 bleibt natürlich bestehen. Fernsehpublizistik heißt für diese Programme in erster Linie Unterhaltungspublizistik. Darüber hinaus lassen sich vor allem zwei Befunde konstatieren. Erstens ist aus dieser Perspektive die Gewichtung, die die öffentlichrechtlichen Programme vornehmen, schon eindeutig von den privaten Programmen zu unterscheiden (einmal abgesehen von Kabel eins). Wäh-
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rend bei den privaten Programmen zwischen einem Viertel und mehr als der Hälfte der journalistischen Leistung in Unterhaltungsthemen investiert wird, liegt dieser Wert bei ARD und ZDF unter einem Fünftel der fernsehpublizistischen Sendezeit. Und zweitens ist innerhalb der Themenbeiträge zu Human Touch-Themen in allen Programmen ein eindeutiger Schwerpunkt auf Ereignisse, Akteure und Sachverhalte festzustellen, die in der ALM-Studie als Zerstreuungsthemen bezeichnet werden. Unterhaltungsthemen im Sinne der leichten Information über Prominente, Stars und Sternchen dominieren also. Lediglich die Programme von RTL, SAT.1 und RTL II beinhalten mit 16, 22 bzw. 12 Prozent einen deutlichen Anteil an Beiträgen über Unfälle, Katastrophen und Kriminalität. Den Zusammenhang zwischen Sendungsgattung und Unterhaltungspotential zeigt Abbildung 3, hier für die zwei Vollprogramme ARD/Das Erste und RTL. Im Hinblick auf Talkformate und Nachrichtensendungen sind sich die Programme relativ ähnlich: Talkformate sind am stärksten, Nachrichtenformate am schwächsten durch unterhaltungspublizistische Themen dominiert. In den Nachrichtensendungen beider Programme liegt der Anteilswert für Unterhaltungspublizistik unter der 10-Prozentmarke; in den Talkformaten zum Teil deutlich über der Zwei-DrittelMarke. Besonders auffällig ist dagegen die unterschiedliche Ausgestaltung von Magazinen und Dokumentationssendungen. Bei RTL dominieren eindeutig die unterhaltungspublizistischen Themen diese Formate. Bei den nicht täglichen Magazinen und den Reportagesendungen liegen sie sogar deutlich über der 50-Prozentmarke, während die entsprechenden Formate bei der ARD einen unterhaltungspublizistischen Anteil in der Nähe von 10 Prozent aufweisen. 4
4
Der dargestellte Vergleich zeigt im Übrigen deutlich die „Fehlerquoten“ auf, die eine pauschale Kategorisierung von Sendungen – ohne Analyse der Beiträge – mit sich bringen würde.
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„Unterhaltungspublizistik“ 100 90
Restliche Fernsehpublizistik
80
Angstthemen
70
Zerstreuungsthemen
60 50 40 30 20 10 0 RTL
ARD
Talk
RTL
ARD
Tägl. Magazine
RTL
ARD
Sonst. Magazine
RTL
ARD
Doku./Reportag.
RTL
ARD
Nachrichten
Abbildung 3: Der Anteil der Unterhaltungspublizistik an einzelnen Sendungsgattungen (in Prozent, bezogen auf den Umfang der jeweiligen Gattung)
Wie stark der Interpretationsspielraum insbesondere in den vermeintlichen Informationsformaten Nachrichten und Magazine durch die Programmanbieter genutzt wird, zeigt ein Ausschnitt aus den in der ALMStudie laufend erstellten Sendungslisten (vgl. Abbildung 4). Der Ausschnitt zeigt die Themenquoten, die von einigen fernsehpublizistischen Einzelsendungen im Programm von RTL II erreicht werden. Im Verwertungskontext der ALM-Studie ist hier vor allem interessant, dass die Nachrichten (RTL II News) nicht durch politische, gesellschaftlichkontroverse Themen (26 Prozent bzw. 37 Prozent in der Spätausgabe) dominiert werden - deutlich mehr als die Hälfte der Beiträge der RTL II News behandelt Ereignisse und Sachverhalte, die aus den anderen Themengruppen stammen.
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Abbildung 4: Unterhaltung und Information in Fernsehvollprogrammen im Frühjahr 2004 (Quelle: Trebbe 2004, D87-104)
Unterhaltungsthemen stellen in den Nachrichtensendungen von RTL II etwa ein Viertel der verfügbaren Sendezeit. In Magazinsendungen schwankt der Höchstwert zwischen zwei Drittel und 100 Prozent. Bei – den meist monothematischen – Reportagen und Dokumentationssendungen hängt dieser Wert naturgemäß vom bearbeiteten Thema in der Untersuchungswoche ab, diese oszillieren zwischen nicht-kontroversen Sachthemen und unterhaltungspublizistischen Beiträgen. Abschließend noch ein Blick auf die quantitative Entwicklung der Unterhaltungspublizistik im Fernsehen (vgl. Abbildung 5): Für die zwei reichweitenstärksten privaten Anbieter auf der einen und die zwei öffentlich-rechtlichen Programme auf der anderen Seite lassen sich in der mittelfristigen Betrachtung zwei Korridore identifizieren. Für RTL und SAT.1 liegt dieser Korridor in den Jahren von 1998 bis 2004 zwischen 3 und 7 Stunden, für ARD und ZDF zwischen eineinhalb und etwas mehr als drei Stunden.
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7:00
6:00 5:00
RTL SAT.1 ARD ZDF
4:00
3:00
2:00 1:00
0:00 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Abbildung 5: Die Entwicklung der Unterhaltungspublizistik von 1998 bis 2004 (in Stunden:Minuten, pro 24-Stunden-Tag)
Insgesamt ist nach einem Boom der unterhaltungspublizistischen Themen um das Jahr 2000 herum eine Stabilisierung der Unterhaltungsquoten innerhalb der Fernsehpublizistik sichtbar, wobei sich die jeweiligen Konkurrenten im gleichen Systemzusammenhang stärker einander angleichen als über die Systemgrenze hinweg. Im Frühjahr 2004 lagen ARD und ZDF mit einem absoluten Umfang von jeweils etwas weniger als zweieinhalb Stunden eines durchschnittlichen Sendetages ebenso nah beieinander wie RTL und SAT.1, die beide in der Nähe der FünfStundenmarke zu finden waren. Der Boom bzw. der Ausbau der Unterhaltungsthemen im fernsehjournalistischen Programmsegment ist offenbar vorbei, auch wenn jetzt die Konsolidierung auf hohem Niveau stattfindet.
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Fazit
Aus der normativ-analytischen Perspektive der ALM-Studie wurde ein theoretisches Modell zur differenzierten Messung von Information und Unterhaltung in fernsehpublizistischen Programmsparten entwickelt. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung sind die gesetzlichen Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages und der Landesmediengesetze. Davon ausgehend steht vor allem die gesellschaftliche Relevanz der fernsehpublizistischen Thematisierungsleistungen im Mittelpunkt des Interesses. Unterhaltungsangebote innerhalb derjenigen Programmsparten, die häufig pauschal und vorschnell als Informationsformate aufgefasst werden (Nachrichten, Magazine, Dokumentationen und Talkformate), lassen sich demnach durch die Zuweisung von Relevanzkriterien identifizieren. Die fernsehjournalistische Aufbereitung von Sachverhalten, Ereignissen und Akteursverhalten aus den Bereichen Prominenz, Klatsch und Tratsch, Stars und Sternchen, Normalbürger (Zerstreuungsthemen) bzw. Unfälle, Katastrophen und Kriminalität (Angstthemen) wird im Kontext der Studie als Unterhaltungspublizistik bezeichnet. Dieses auch als Human Touch bezeichnete Themensegment stellt einen Übergangsbereich zwischen Information und Unterhaltung dar. Im Vergleich zu anderen Themengruppen (Politik, Gesellschaft, Lebenswelt) weist dieser Übergangsbereich die geringste gesellschaftliche Relevanz auf, auch wenn er unter formalen Gesichtspunkten eine fernsehjournalistische Thematisierungsleistung darstellt. In der ALM-Studie wird dieser Übergangsbereich identifiziert und quantifiziert. Die Zuordnung zum Informations- oder Unterhaltungssektor bleibt dabei bewusst offen. Durch das Erhebungsmodell wird nicht entschieden, welche Sendungsgattungen und Einzelsendungen zu den informativen Programmsparten und welche zu den unterhaltenden gehören. Die Thematisierungsleistung innerhalb der fernsehpublizistischen Programmsparten wird vielmehr gemessen und als Zwischensegment gekennzeichnet. Dieses Vorgehen ermöglicht – jedenfalls in den hier beschriebenen Untersuchungszeiträumen 1998 bis 2004 – im Wesentlichen drei empirische Befunde. Erstens sind unterhaltungspublizistische Beiträge ein wesentlicher Bestandteil der fernsehjournalistischen Thematisierungsleistung der privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehvollprogramme.
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RTL und SAT.1 bestreiten mehr als die Hälfte ihrer täglichen Sendezeit für Fernsehpublizistik mit der Berichterstattung über Human TouchThemen. Aber auch bei ARD und ZDF haben sie einen erheblichen Stellenwert. Zweitens werden immer mehr Sendungsformate entwickelt, die nicht mehr eindeutig durch Informations- und Unterhaltungsthemen dominiert sind. Selbst Nachrichtensendungen – wie im Fall der RTL II News – sind nicht mehr eindeutig dem politischen bzw. gesellschaftlich-kontroversen Themensegment zuzuordnen. Und drittens scheint eine weitere Steigerung des quantitativen Umfangs der Unterhaltungspublizistik nach einer Ausweitung bis zum Jahr 2000 und einer Konsolidierung auf unterschiedlichem Niveau für öffentlich-rechtliche und private Programme unwahrscheinlich. Die Bedeutung der Unterhaltung in fernsehjournalistischen Sendungen bleibt konstant, aber sie wächst nicht mehr.
Literatur Brosius, Hans-Bernd (2003): Unterhaltung als isoliertes Medienverhalten. Psychologische und kommunikationswissenschaftliche Perspektiven. In: Früh, Werner/Hans-Jörg Stiehler (Hg.): Theorie der Unterhaltung. Ein interdisziplinärer Diskurs. Köln: Halem: 74-88 Früh, Werner (2002): Unterhaltung durch das Fernsehen. Eine molare Theorie. Konstanz: UVK Früh, Werner (2003): Theorien. Theoretische Modelle und Rahmentheorien. Eine Einleitung. In: Früh, Werner/Hans-Jörg Stiehler (Hg.): Theorie der Unterhaltung. Ein interdisziplinärer Diskurs. Köln: Halem: 9-56 Früh, Werner/Hans-Jörg Stiehler (Hg.) (2003): Theorie der Unterhaltung. Ein interdisziplinärer Diskurs. Köln: Halem Krüger, Udo Michael (2001): Das Problem bleibt das Problem. Replik zum Beitrag von Hans-Jürgen Weiß und Joachim Trebbe. In: Wirth, Werner/Edmund Lauf (Hg.): Inhaltsanalyse. Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln: : 72-81
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Wirth, Werner/Edmund Lauf (Hg.) (2001): Inhaltsanalyse. Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln: Halem Wünsch, Carsten (2002): Unterhaltungstheorien. Ein systematischer Überblick. In: Früh, Werner (Hg.): Unterhaltung durch das Fernsehen. Eine molare Theorie. Konstanz: UVK: 15-48
Empirische Umsetzungen
Rudi Renger und Christian Wiesner
Politik zum Lachen ‚Feel Good’-Faktoren in der Politikberichterstattung österreichischer Tageszeitungen 1
Einleitung
Im März 2006 sicherte eine Entscheidung der britischen Kulturministerin Tessa Jowell, die jährliche Lizenzgebühr für alle fernsehwilligen Haushalte zumindest für weitere zehn Jahre zu erhalten, mittelfristig das finanzielle Wohl der traditionsreichen öffentlich-rechtlichen BBC. Im Gegenzug ließ die Politikerin jedoch den Fernsehchefs ausrichten: „Die BBC sollte den Spaß weiterhin ernst nehmen, all ihre Dienste mit Unterhaltsamem aufpeppen.“ (zit. n. Hermann 2006: 29) Kritiker und Insider vermuteten hinter diesem Ratschlag aber weniger Jowells Lust am Vergnüglichen, sondern ein Zurecht-Stutzen von (womöglich regierungskritischer) Information, wenn nicht gar ein „dumbing down“ (Hermann 2006: 29) – einen Persilschein für die Produktion von immer blödsinnigeren TV-Inhalten. Der Zusammenhang von Politikberichterstattung und Unterhaltung wurde schon relativ früh vom Boulevardjournalismus erkannt. So wurde etwa über die Wiener Gemeindepolitik von der österreichischen „Kronen Zeitung“ vor 1918 nur dann geschrieben, „wenn diese ‚nicht gar zu langweilig’ verlief oder es eine ‚Hetz’ [= einen Spaß] zu vermerken gab“ (Renger 2000a: 120). Es war später aber vor allem die Fernsehindustrie, die nachhaltig erkannte, dass auch politische Medieninhalte vom Publikum (aber auch von den Journalisten/innen selbst) als unterhaltend empfunden und dadurch vermutlich auch effektiver rezipiert werden können. Ein fast schon ‚klassisches’ Beispiel dafür sind etwa die mittlerweile unverzichtbaren TV-Diskussionen von Spitzenkandidat/innen in der
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Rudi Renger/Christian Wiesner
Endphase von Wahlkämpfen (vgl. Renger 2000a: 302). Unterhaltung in Politikberichterstattung wird in diesem Zusammenhang von wissenschaftlicher Seite gerne eine positive, pädagogisch motivierte Bildungsfunktion gegen die Politikverdrossenheit zugesprochen. Dazu zwei Beispiele: Christina Holtz-Bacha hebt in einem Aufsatz zur politischen Sozialisation durch unterhaltende Medieninhalte eine Gegentendenz zur Depolitisierung der Öffentlichkeit hervor: „Denn verpackt in unterhaltende Angebote vermögen politische Inhalte die Selektions- und Abwehrbarrieren von politisch Desinteressierten zu überwinden und erreichen damit auch solche Leute, die normalerweise den eindeutig politischen Programmen lieber aus dem Weg gehen.“ (Holtz-Bacha 1988: 495) Und Werner Früh sieht in unterhaltender Politikinformation ein wichtiges Moment zur Erhöhung von Publikumsattraktivität und Verständlichkeit: „Wichtige politische und sonstige Informationen, die nur wenige interessieren oder von kaum jemandem verstanden werden, sollen durch unterhaltsame Aufbereitung plötzlich so attraktiv werden, dass sie auch noch mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommen und dadurch besser verstanden werden.“ (Früh 2003: 9) Heute wissen wir: Unterhaltung ist weitgehend selbstbestimmt, sie kann weder von der ‚Senderseite’ eingefordert oder erzwungen werden noch als notwendige Pflichtroutine ablaufen (vgl. Früh 2003: 21). Ulrich Saxer hat vor mehr 30 Jahren schon mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass publizistische Unterhaltung ohnehin vom Publikum auf seine Weise definiert würde und die Leser/innen, Hörer/innen und Zuseher/innen sowohl bei Unterhaltungssendungen wie auch Programmen mit informativen Elementen Vergnügen finden würden (vgl. Saxer 1974: 77ff.). Weil Spaß, Vergnügen und Unterhaltung Aufmerksamkeit erregen und aufrecht erhalten können, fungieren sie quasi als Adressmodus, als ‚lustiger’ Mechanismus, der den Zugang zum vielschichtigen Gewebe des Journalismus fördern und spezifische Rezeptionsbedingungen organisieren kann (vgl. Langer 1998: 159). Nachrichten erhalten durch einen ‚Schuss’ Unterhaltung in jedem Fall eine bestimmte narrative Qualität. Information und Unterhaltung sind deshalb alles andere als Gegensätze und schließen einander nicht aus. Ursula Dehm hat das 1984 in ihrer oft zitierten Studie zur Fernsehunterhaltung als eine der ersten untermau-
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ert: Nicht-unterhaltende Sendeinhalte lösten bei den damals befragten Rezipient/innen Unlust, Ärgergefühle, Langeweile, ein Gefühl von Zeitverschwendung und Ablehnung aus, es wurden Merkmalszuweisungen wie kompliziert, traurig oder eintönig genannt. Hingegen wurden unterhaltende Sendungen als verständlich, interessant, lustig und abwechslungsreich charakterisiert (vgl. Dehm 1984: 181ff.).
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Kundenfreundliche Politikberichterstattung
Ob der Mensch allerdings „überhaupt etwas will, wenn er unterhalten sein will, ist nicht so sicher. Ein wenig sicherer ist, dass viele wollen, dass wir uns unterhalten – beileibe nicht nur die sogenannte Unterhaltungsindustrie, sondern Politiker/innen und Wirtschaftskapitäne gleichermaßen“ (Sommer 2005: 25), ebenso aber auch Verleger/innen, Herausgeber/innen, Sendedirektor/innen, Chefredakteur/innen und Journalist/innen. Politikberichterstattung bzw. Politikjournalismus kann in diesem Zusammenhang allgemein als ein wesentliches Bindeglied im Beziehungsgefüge der politischen Kommunikation zwischen Politikern und Öffentlichkeit verortet werden. Unterschiedliche Ziele der politischen Akteure werden via Politiknachrichten den unterschiedlichen Kommunikationserwartungen der Medien rezipierenden Bürger/innen gegenübergestellt (vgl. Weischenberg 1990: 113). Trifft nun die Politik in Form von politischer Berichterstattung auf unterhaltungsjournalistische Formatisierung, so zeigt sich darin eine eher neuere Variante im alten Wechselspiel von Politik und Medien. Zum einen übernimmt Politik selbst gewisse verkaufs- bzw. rezipientenorientierte Motive der Medien und macht sich zuweilen nicht ungerne zum ‚Journalisten-Kumpel’, zum anderen wird das politische Handeln und Geschehen vom Journalismus bewusst popularisiert. Hier muss nun der Begriff des „Politainments“ ins Spiel kommen.
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Politainment als neue Realität des Politischen
Das Phänomen des „Politainments“ wurde von Andreas Dörner (2001) für die wissenschaftliche Analyse aufbereitet. In seinen Worten bezeich-
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Rudi Renger/Christian Wiesner
net es „eine bestimmte Form der öffentlichen, massenmedial vermittelten Kommunikation, in der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnentwürfe im Modus der Unterhaltung zu einer neuen Realität des Politischen montiert werden“ (Dörner 2001: 31). Dörner meint hier aber weniger einen konsumententauglichen Politikjournalismus mit Unterhaltungselementen, sondern vielmehr spielt sich Politainment in seiner Sichtweise auf zwei Ebenen ab: (a) Unterhaltende Politik: Hier greifen die „Politprofis selbst in den Fundus der Unterhaltungsbranche, um sich in einem günstigen Licht zu positionieren“ (Dörner 2001: 32) – Beispiel: besonders ‚volksnahes’ Verhalten und Handeln zu Wahlkampfzeiten. (b) Politische Unterhaltung: Gezielt werden politische Themen, Ereignisse, Personen etc. von der Medien- und Entertainmentindustrie genutzt, um Medienangebote attraktiver und damit Quoten bringend zu machen – Beispiel: der Auftritt eines Ministers in einer Game Show (vgl. Dörner 2001: 32). Politik im Unterhaltungsformat hält – Dörner (2001: 33f; 61f.) folgend – für die Akteure eine Reihe von Vorteilen parat: Politainment x verleiht abstrakter Politik wieder Gestalt (Inszenierung von ‚Normalität’) x betreibt Agenda-Setting x popularisiert politische Werte x vermittelt Identifikationsangebote für die Alltagswelt x prägt maßgeblich das Politikbild von Wähler/innen und Mediennutzer/innen x eröffnet einen emotional-unterhaltenden Zugang zur politischen Welt x produziert ideologisierte und fiktionalisierte „Als-ob-Welten“ „Lachen kann man über alles, aber das ist auch schon das Problem“, merkt Uwe Heldt (1990: 11) kritisch an, und das trifft auch für das Beziehungsgeflecht Politik und Unterhaltung zu. Zwar leistet Politainment eine Reduktion der komplexen politischen Sachverhalte und veranschaulicht dadurch die Welt der Politik auch für den Laien. Politische Positionen und Programminhalte, aber auch kontinuierlich auftretende Konfliktlinien und Konfrontationen werden durch die simplifizierte Darstellung im Modus des „Feel good“ (vgl. Dörner 2001: 62ff.) auf ein (narratives) Niveau von Anekdotensammlungen sowie der Privatisierung und Personalisierung des Politischen heruntergebrochen. Unterhaltsame Politikbe-
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richterstattung ist schließlich das journalistische Endprodukt aus der Symbiose zwischen Medienmachern und politischen Akteuren, das auf Unternehmensseite Zuschauergruppen und auf Politikerseite Wählergruppen erschließen helfen soll. Das Banner der Quotensteigerung schwebt über den einen wie den anderen. Politainment wird im Folgenden in einem breiteren Kontext erfasst und als spezifische journalistische Spielart von Infotainment verstanden – die Perspektive von Dörner (2001) damit weiterentwickelt. Die Vermutung einer scheinbar zunehmenden Verschmelzung zwischen Politik und Unterhaltungskultur, also die Kopplung von Politik und Entertainment bzw. die Vermischung von politischer und unterhaltender Kommunikation im österreichischen Journalismus war Ausgangspunkt der Untersuchung. Nicht zuletzt schließt Dörner seine Diskussion von Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft mit einem ‚Aufruf’ zur empirischen Analyse: „Die genaue Bilanz über Vor- und Nachteile des gegenwärtigen Politainment lässt sich jedenfalls weder aus der Perspektive geschichtsphilosophischer Höhenflüge noch aus der Distanz intellektualistischer Kulturkritik, sondern nur aus der konkreten Auseinandersetzung mit den unterhaltungskulturellen Objekten gewinnen“ (Dörner 2001: 244).
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Basisannahmen
Die hier dargestellte explorative Untersuchung der Politikberichterstattung in acht ausgewählten österreichischen Tageszeitungen soll den Qualitäts-, Unterhaltungsjournalismus und den unterhaltenden Journalismus sowie deren Funktionen und Leistungen, die Berichterstattungs- und Darstellungsmuster analysieren, unterhaltende Elemente in Nachrichtenformaten identifizieren sowie komparatistische Schlüsse ziehen. Die Studie soll einen ersten Überblick über mögliche relevante Erhebungsfaktoren geben und bestimmte Tendenzen aufzeigen. Journalist/innen haben im Fall politischer Berichterstattung die Möglichkeit, sachliche Information durch unterhaltsame Elemente, emotive Reizwörter, Metaphern, metaphorische Vergleiche, Metonymie, subjek-
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Rudi Renger/Christian Wiesner
tive Eigenbewertungen etc.1 sowie durch die Verständlichkeit der Berichterstattung zu beeinflussen. Dabei wird besonders der Sprache der Boulevardzeitungen die metaphorische und metonymische Verwendung von Wörtern und Sätzen unterstellt, da diese die Sprache auflockern, sie punktuell bildhaft akzentuieren und beim Kommunikationsprozess stark „an die gemeinsame Erfahrung von Empfänger und Sender“ appellieren (Stierle 1975: 156). Texte und die darin dargestellten Sachverhalte werden mit unterhaltsamen Elementen emotionalisiert und damit verkürzt, verallgemeinert und vereinfacht, sodass Leser unzulänglich quantitativ und qualitativ präzisierte Informationen und Meinungen vermittelt bekommen (vgl. Reger 1974b: 315ff.). Die Folge des Fehlens der Trennung von Nachricht und wertender und/oder unterhaltender Meinung, von sachlicher und unterhaltender Information könnte dazu führen, dass die Rezipient/innen die jeweilige Sachlage nicht mehr unvoreingenommen erkennen. Rezipient/innen könnten demnach die unterhaltenden Elemente und ihre Konnotationen in den Informationen akzeptieren und damit in eine bestimmte Richtung beeinflusst bzw. manipuliert werden (vgl. Huber 1994: 103ff.). Die Sachlichkeit einer Berichterstattung kann durch verschiedene Verfahren von Objektivitätsanalysen bestimmt werden. Mit Hilfe dieser Analysen wird überprüft, „inwieweit Aussagen des Kommunikators mit der sozialen Wirklichkeit oder mit Aussagen über diese kongruent sind“ (Merten 1995: 222). Dabei fordert das erste Postulat der Objektivitätsnorm die meinungsfreie und bewertungsfreie Formulierung von Nachrichten und Berichten als tatsachenbetonte (referierende) journalistische Darstellungsformen (vgl. Huber 1994: 171ff., Mast 2000: 215ff.). Das zweite Postulat fordert, dass Informationen den Rezipient/innen keine einseitige Bewertung im Sinne der im Kommentar als meinungsbetonte journalistische Darstellungsform geäußerten Auffassung nahe gelegt werden soll. Demnach sollen keine unterhaltsamen Elemente in den traditionellen journalistischen Darstellungsformen Nachricht und Bericht verwendet werden, damit keine einseitige (auch keine unterhaltende oder 1
Zur bildlichen Sprache zählen Metapher, Alltagsmetapher, Gelegenheitsmetapher, Allegorie, Metonymie, Periphrase, Kenning, Katachrese, Topos/Topoi, Tropos/Trope, Gleichnis, Parabel sowie Farbbeschreibungen (vgl. Ahlke/Hinkel 1999: 5 ff.; Harjung 2000: 296ff.).
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emotive) Bewertung durch die Journalist/innen den Rezipient/innen vermittelt wird. Oberste Norm ist die unbeeinflussende Informationsvermittlung, damit sich die Rezipient/innen selbst eine Meinung und Wertung bilden sowie aus den sachlichen Informationen individuell auch unterhaltende Elemente (beispielsweise Abneigung, Zustimmung, Unbehagen, Freude, Schadenfreude etc.) herausfiltern können. Als ein weiteres Merkmal des boulevardjournalistischen Schreibstils gilt auch die Vereinfachung, die sich vor allem in der Verständlichkeit beispielsweise bei der Verwendung des Einfachsatzes zeigt. Einfachsätze bestehen meistens aus kurzen Redeinheiten, die inhaltlich leicht zu verstehen sowie gedächtnispsychologisch schnell aufzufassen sind, ein hastiges Lesen erlauben, Unruhe erzeugen und die Spannung forcieren (vgl. Mittelberg 1967: 192f.).
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Forschungsinteresse und Hypothesen
Die Forschungsfragen und Hypothesen der Untersuchung beziehen sich dabei auf Annäherungen bzw. Schnittmengen zwischen Information und Unterhaltung sowohl im Qualitätsjournalismus als auch im „middle market“, dem populären Journalismus (Renger 2000a), und im Boulevardjournalismus. Auf Grund der vorgestellten Annahmen müssten der Objektivitätsindex nach Merten (1995: 27ff.), die Verständlichkeitswerte nach Flesch (1951: 6f.) sowie der Unterhaltungsfaktor nach Renger/ Wiesner (2005) in einem integrierten Modell empirisch analytisch zusammenhängen. Die allgemeine Unterschiedshypothese der vorliegenden Untersuchung lautet: a) Die acht österreichischen Tageszeitungen unterscheiden sich zunächst hinsichtlich ihres Unterhaltungsfaktors, ihres Objektivitätsindex und ihrer Verständlichkeitswerte. Auf Grund der Unterschiede lassen sich Eigenarten der acht österreichischen Tageszeitungen erkennen. Die Zusammenhangshypothesen der Untersuchung lauten:
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b) Je geringer der Unterhaltungsfaktor in der politischen Nachrichtenberichterstattung ist, desto geringer ist der Objektivitätsindex.2 Die Verwendung von wenigen unterhaltenden Wörtern müsste zu einer höheren Objektivität, also zu einer sachlicheren Politikberichterstattung führen. c) Je höher der Unterhaltungsfaktor in der politischen Nachrichtenberichterstattung ist, desto geringer sind die Verständlichkeitswerte3. Die Verwendung von unterhaltsamen Wörtern müsste zu kürzeren Sätzen bei der Politikberichterstattung (Einfachsätze) führen.
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Die Studie im Überblick
6.1 Das Untersuchungsdesign Die politische Berichterstattung wird exemplarisch in acht österreichischen Tageszeitungen (Der Standard, Die Presse, Kurier, Oberösterreichische Nachrichten, Salzburger Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten, Kleine Zeitung und Neue Kronen Zeitung), welche 88,4% der Reichweite in Österreich abdecken, empirisch-analytisch untersucht. Die acht österreichischen Tageszeitungen werden auf Basis eines mehrstufigen Auswahlverfahrens an sieben aufeinanderfolgenden Wochentagen (ohne Sonntagsausgaben) vom 8. bis 13. November 2004 hinsichtlich ihrer Politikberichterstattung auf der Text-, Satz- und Wortebene quantitativ und qualitativ analysiert. In Tabelle 1 kann für jede der acht österreichischen Tageszeitungen die Reichweite – insgesamt wie auch getrennt für männliche und weibliche Leser – abgelesen werden. Weiters beschreibt die Tabelle die Stichprobengröße (n) im Untersuchungszeitraum vom 8. bis 13. November 2004, aufgeteilt in die beiden journalistischen Darstellungsformen Nachricht und Bericht. Auffallend ist die große Streuung der politischen Nachritenberichterstattung in den österreichischen Tageszeitungen. 2 3
Ein niedriger Objektivitätsindex zeigt hohe Objektivität an. Geringe Werte auf dem Verständlichkeitsindex bedeuten hohe Verständlichkeit bzw. Lesbarkeit.
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Politik zum Lachen
Während die Kronen Zeitung in einer Erhebungswoche nur 44 Artikel mit tatsachenbetonter (referierender) Darstellungsform im Bereich Politik aufweist, können bei drei Tageszeitungen (Kurier, Die Presse, Der Standard) mehr als 150 Artikeln dieser Darstellungsform gezählt werden. Tabelle 1: Die untersuchten österreichischen Tageszeitungen (Stand 2004) Zeitung
Reichweite in %
männliche weibliche Leser Leser in % in % 45,4 42,1
Kronen Zeitung
43,7
Kleine Zeitung
12,2
12,4
Kurier
10,3
Der Standard Oberösterreichische Nachrichten Die Presse Salzburger Nachrichten Vorarlberger Nachrichten Summe
Nachrichten
Berichte Gesamt n
n
16
28
44
12,1
51
49
100
11,5
9,2
72
79
151
5,4
6,1
4,7
66
112
178
5,5
5,6
5,3
76
44
120
4,4
5,3
3,6
65
108
173
3,9
4,3
3,6
56
56
112
3,0
3,3
2,8
60
41
101
462
517
979
Quelle der Reichweite und Leser: Verein Arbeitsgemeinschaft Media-Analysen 2004
6.2 Die Textanalysen Der Objektivitätsindex nach Merten (1995: 26ff.) prüft die objektive Darstellung einer tatsachenbetonten Nachricht oder eines Berichts. Dabei lässt sich ein Objektivitätsindex aus der Maxime „facts are sacred but comment is free“ des Journalismus ableiten (vgl. Merten 1995: 27). Die acht österreichischen Tageszeitungen sollten im Bereich der referierenden journalistischen Darstellungsformen Nachricht und Bericht die Trennung von Nachricht und Meinung bei politischer Berichterstattung respektieren und anwenden. In einem Nachrichtenartikel sind demnach nur zitierte, aber keine eigenen Bewertungen zulässig. Der erweiterte Objektivitätsindex nach Renger/Wiesner (2005) lässt sich aus dem Verhältnis aller Eigenbewertungen (Be) und Mischformen (Bef) zu der
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Rudi Renger/Christian Wiesner
Summe von allen Eigenbewertungen, allen Mischformen (Bef) und allen Fremdbewertungen (Bf) - also alle Wertungen (Z) - bilden. Mischformen beinhalten sowohl Eigenbewertungen der Journalist/innen wie auch Fremdaussagen (meist in Form von Zitierungen). Jeder einzelne Satz in den Artikeln wird nach den Kategorien „Eigenbewertung“, „Fremdbewertung“, „Mischform“ oder „rein deskriptiv-informative Aussage“ beurteilt. Mit dem Auswertungsergebnis wird der Objektivitätsindex bestimmt. Der Objektivitätsindex variiert dabei in den Grenzen von 0 bis +1: Je größer der Index, desto weniger objektiv ist die politische Berichterstattung.
Objektivitätsindex =
Ȉ Be + Bef Ȉ Be + Bef --------------------- = -----------------Ȉ Bf + Be + Bef ȈZ
Der Frage nach der Messbarkeit von Verständlichkeit bzw. Lesbarkeit gehen Wissenschafter/innen bereits seit Jahrzehnten nach. Die einfache Verständlichkeitsanalyse nach Flesch (1951: 6f.; dazu auch Merten 1995) prüft auf der syntaktischen Ebene die Verständlichkeit (Lesbarkeit) eines Inhalts, indem sie die durchschnittliche Zahl von Worten pro Satz bestimmt und mit experimentell gewonnenen Grad der Verständlichkeit vergleicht. Dabei kann auch die Streuung der Zahl der Worte pro Satz berücksichtigt werden. Wenn Streuungswerte in einer Zeitung häufiger und vor allem extrem auftreten, dann bestehen erhebliche Unterschiede in der Satzlänge innerhalb einer Zeitung, was einerseits auf viele verschiedene Autoren bzw. Journalist/innen hindeutet, andererseits auch auf einen heterogenen und unterschiedlichen Schreibgebrauch hinweisen könnte. Die Verständlichkeit, als formal-deskriptive Analyseeinheit, sollte dabei nicht mit einem diagnostischen Analyseansatz, also dem Verstehen von Texten, verwechselt werden.
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Tabelle 2: Verständlichkeitsanalyse Mittlere Zahl der Wörter pro Satz 08 11 14 17 21 25 29
Grad der Verständlichkeit sehr einfach einfach ziemlich einfach durchschnittlich ziemlich schwierig schwierig sehr schwierig
Quelle: Merten 1995: 26
Das zentrale Forschungsinteresse gilt der Unterhaltung in den mit tatsachenbetonten (referierenden) Darstellungsformen Nachricht und Bericht in der Politikberichterstattung. Die Unterhaltungsanalyse nach Renger/ Wiesner (2005) prüft die unterhaltende Darstellung einer tatsachenbetonten Nachricht oder eines Berichtes. Der Unterhaltungsfaktor lässt sich aus dem Verhältnis aller unterhaltenden Wörter4 (uW) zu der Summe von allen Wörtern eines Nachrichtenartikels (aW) bilden. Ȉ uW Unterhaltungsfaktor = ----------Ȉ aW Der Faktor variiert in den Grenzen von 0 bis +1: Je kleiner der Faktor, desto weniger unterhaltend ist die Berichterstattung, also die Anzahl von unterhaltenden Wörtern in einer Nachricht oder einem Bericht. Die Grenze des Faktors +1 ist dabei rein theoretisch zu sehen, da dies bedeu4
Folgende Wörter, Metaphern etc. wurden beispielsweise in den referierenden Darstellungsformen Nachricht und Bericht in der Politikberichterstattung als unterhaltend bewertet: auffrisiert, austrokofferwürdig, vergrassert, eine flotte Milliarde Schilling, Körberlgeld, die Keule packen, Weltmeister in der Frühverrentung, verscherbeln, abgeadelt, windelwechselnde Kochlöffelschwinger, gefrotzelt, geangelt, den Schwanz einziehen, islamische Hassprediger, unnötig wie einen Kropf, Meister des parlamentarischen Nahkampfes, Tartarenmeldungen machen blitzartig die Runde, unter den Tisch kehren, horrende Rechnung, Mogelpackung, zum Gralshüter stilisieren, Sturm im Wasserglas, eine handvoll Altpolitiker, Luxusweibchen, wähnt sich im falschen Film, Schutzmantelmadonna, Selbstbeweihräucherung, giften, Glimmstängel, bestialische Besessenheit etc.
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ten würde, dass eine Nachricht oder ein Bericht nur aus unterhaltenden Elementen besteht. In der journalistischen Praxis kann davon ausgegangen werden, dass ein Wert von 0,25 (ein Viertel der verwendeten Wörter sind unterhaltend) bereits auf eine sehr unterhaltsame Berichterstattung schließen lässt. Damit nutzt der Unterhaltungsfaktor, anders als der Objektivitätsindex, den oberen Bereich bis zur Grenze +1 kaum, was bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden muss. Um die Verlässlichkeit der Textanalysen zu prüfen, wurden alle erhobenen Variablen in dieser explorativen Studie einer Reliabilitätsprüfung unterzogen. Als Kriterium für die Intercoderreliabiliät (rc) wurde der Quotient aus der Zahl der Übereinstimmungen und der Gesamtzahl der Codierungen verwendet. Im Bereich der Analyse der unterhaltenden Elemente wurde ein guter durchschnittlicher Reliabilitätskoeffizient (rc = 0,74) erzielt, bei den Verständlichkeitswerten, die sich aus der Anzahl der Wörter pro Satz ergeben, war das hohe Niveau der Übereinstimmung zu erwarten (rc = 0,91), die Codierübereinstimmung beim Objektivitätsindex (rc = 0,83) war wesentlich höher als erwartet und damit sehr zufrieden stellend. 6.3 Die Ergebnisse: Politainment ist genre-unabhängig … Die drei Tageszeitungen Kurier, Der Standard und Kronen Zeitung lassen sich durch einen geringen Unterhaltungsfaktor sowohl bei der referierenden Darstellungsform Nachricht als auch beim Bericht charakterisieren (also die Verwendung von wenig unterhaltsamen Elementen), die drei Tageszeitungen Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung und Die Presse durch eine mittlere Ausprägung sowie die Oberösterreichischen und Vorarlberger Nachrichten durch einen hohen Anteil an unterhaltsamen Wörtern, der bei Berichten mehr als zwanzig Prozent ausmacht (siehe Abbildung 1).
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Abbildung 1: Unterhaltungsfaktor und Objektivitätsindex der acht österreichischen Tageszeitungen im Vergleich
Die Grafik zeigt die Ausprägung des Unterhaltungsfaktors und des Objektivitätsindex in Kombination, da beide in den Grenzen von 0 bis +1 variiert. Interessant erscheint dabei, dass beispielsweise die Kronen Zeitung einen geringen Unterhaltungswert jedoch einen hohen Objektivitätsindex (und damit eine geringe Objektivität) hat. Bei der Tageszeitung Kurier sind sowohl der Unterhaltungsfaktors als auch der Objektivitätsindex eher gering ausgeprägt, wodurch auf hohe Objektivität und auf eine geringe Anzahl von Unterhaltungselemente in der Politikberichterstattung geschlossen werden kann. Der Standard zeichnet sich einerseits durch einen geringen Anteil an unterhaltenden Wörtern (niedriger Un-
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terhaltungsfaktor) aus, andererseits weisen seine Objektivitätswerte nur Mittelmaß auf. Die Salzburger Nachrichten hingegen weisen eine hohe Objektivität auf (geringer Objektivitätsindex), die unterhaltsamen Elemente sind von mittlerer Ausprägung. Die Presse sowie die Kleine Zeitung zeichnen sich bei beiden Kriterien nur durch ein Mittelmaß aus, die Oberösterreichischen Nachrichten und Vorarlberger Nachrichten nehmen bei den beiden Konstrukten Objektivität und messbare Anzahl von Unterhaltungselementen die Schlussplätze der acht österreichischen Tageszeitungen ein.
7
Mehrebenenanalytische Betrachtung
Die Mehrebenenanalyse ist eine wesentliche Erweiterung der Regressionsanalyse und eine Methode zur Auswertung von Datensätzen, die eine hierarchische Datenstruktur aufweisen (vgl. Schwetz 2003: 237ff.). Das Charakteristikum von Mehrebenenanalysen besteht darin, dass Objekte auf verschiedenen Ebenen simultan zum Gegenstand der Untersuchung werden (vgl. Ditton 1998: 12). Diese explorative Studie stellt ein einfaches 2-Ebenen-Problem dar, wobei Datenträger auf einer untergeordneten Ebene (Artikel) Einheiten auf einer übergeordneten Analyseebene (Tageszeitungen) zugeordnet und gleichzeitig verrechnet werden. 7.1 Unterhaltungsfaktor und Objektivitätsindex Bei der mehrebenenanalytischen Betrachtung des Unterhaltungsfaktors und des Objektivitätsindex der politischen Gesamtberichterstattung zeigt sich durchwegs ein positiver Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten: Ein positiver Zusammenhang bedeutet: Je geringer der Unterhaltungsfaktor, desto besser die Objektivität. Ein positiver Zusammenhang ist bei den Tageszeitungen Kurier (rho = 0,577; p < 0,01), Kleinen Zeitung (rho = 0,526; p < 0,01), Kronen Zeitung (rho = 0,439; p < 0,01), Die Presse (rho = 0,215; p < 0,01), Salzburger Nachrichten (rho = 0,202; p < 0,05) und Der Standard (rho = 0,160; p < 0,05) signifikant5 feststellbar, der Unterhaltungsfaktor hat 5
Die Korrelationskoeffizienten wurden nach Spearman berechnet.
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demnach einen starken Einfluss auf den Objektivitätsindex. Bei diesen Tageszeitungen sinkt die Objektivität (hoher Objektivitätsindex) durch den Anteil der unterhaltsamen Wörter. Tendenziell positive Zusammenhänge lassen sich auch bei den Oberösterreichischen Nachrichten und Vorarlberger Nachrichten identifizieren.
Abbildung 2: Unterhaltung und Objektivität
Die Korrelationskoeffizienten drücken den Einfluss des Unterhaltungsfaktors auf den Objektivitätsindex aus, was der Steilheit der einzelnen Gradienten in der Grafik entspricht. Je steiler ein Gradient bei der grafischen Darstellung, desto höher der Einfluss des Unterhaltungsfaktors auf den Objektivitätsindex (siehe Abbildung 2). Der Einfluss der unterhal-
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tenden Elemente auf die Objektivität ist bei den Tageszeitungen Kurier, Kleinen Zeitung, Kronen Zeitung, Die Presse am größten, bei den Oberösterreichischen Nachrichten und Vorarlberger Nachrichten beeinflusst die Anzahl der Unterhaltungswörter die Objektivität der Berichterstattung kaum. Die Länge der Gradienten gibt Auskunft über die Streuung des Unterhaltungsfaktors der einzelnen Tageszeitungen. Je länger ein Gradient ist, desto heterogener ist die Berichterstattung der einzelnen Tageszeitungen hinsichtlich des Einsatzes von unterhaltenden Wörtern bzw. Metaphern. Kurze Gradienten weisen auf homogene und konstante Verwendung unterhaltsamer Elemente pro Artikel hin, was auf einen professionellen Einsatz von Unterhaltungselementen als Leseanreiz bzw. anregende Zusätze hinweisen könnte. Lange Gradienten weisen auf heterogene Verwendung unterhaltsamer Wörter hin, was auf viele unterschiedliche Autor/innen bzw. unterschiedliche Schreibstile hindeuten könnte wie auch auf eine scheinbare ad hoc Verwendung von Unterhaltungswörter. Die Streuung der unterhaltenden Elemente ist vor allem bei Der Standard und der Kronen Zeitung am kleinsten, was eben auf einen durchwegs homogenen Schreibstil innerhalb dieser Tageszeitungen hindeutet. Die Höhe der Gradienten auf der Y-Achse gibt den durchschnittlichen Objektivitätsindex der Artikeln in den einzelnen Tageszeitungen an, also je höher der Gradient auf der Y-Achse liegt, desto niedriger ist die durchschnittliche Objektivität der Artikel in den einzelnen Tageszeitungen. Der grafischen Darstellung ist zu entnehmen, dass die Salzburger Nachrichten, Kurier und die Kleine Zeitung die beste objektive politische Gesamtberichterstattung leisten. Die Oberösterreichischen Nachrichten, die Kronen Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten schneiden hinsichtlich der Objektivität in der Gesamtberichterstattung eher schlecht ab. Das Mittelfeld teilen sich Der Standard und Die Presse. 7.2 Unterhaltungsfaktor und Verständlichkeit Kurier, Kleine Zeitung und Die Presse weisen eine signifikant einfachere Verständlichkeit (ziemlich einfach) in der politischen Gesamtberichterstattung auf als Der Standard und tendenziell auch als die Salzburger Nachrichten (beide durchschnittlich). Die Kronen Zeitung, die Oberös-
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terreichischen Nachrichten, die Vorarlberger Nachrichten und die Salzburger Nachrichten weisen ebenfalls eine ziemlich einfache Verständlichkeit auf, unterscheiden sich jedoch von keiner Tageszeitung signifikant. Demnach ist die Anzahl der Wörter pro Satz (Verständlichkeit) bei allen acht österreichischen Tageszeitungen als eher einfach bis durchschnittlich einzustufen. Bei der mehrebenenanalytischen Betrachtung des Unterhaltungsfaktors und der Verständlichkeitswerte bei der gesamten Politikberichterstattung (siehe Abbildung 3) zeigen sich vor allem negative Zusammenhänge zwischen diesen beiden Konstrukten. Ein negativer Zusammenhang bedeutet: Je höher der Unterhaltungsfaktor, desto einfacher ist die Verständlichkeit (geringe Anzahl von Wörtern in einem Satz). Der negative Zusammenhang lässt sich bei sieben österreichischen Tageszeitungen Oberösterreichische Nachrichten, Kleine Zeitung, Die Presse, Kronen Zeitung, Der Standard, Salzburger Nachrichten und Kurier grafisch nachweisen, nur beim Kurier ist der negative Zusammenhang zwischen Unterhaltungsfaktor und Verständlichkeit auch signifikant (rho = 0,185; p < 0,05). Bei den Vorarlberger Nachrichten hängt die Anzahl der unterhaltenden Elementen positiv mit der Verständlichkeit zusammen, also je mehr unterhaltende Wörter, desto höher die Anzahl der Wörter pro Satz. Einen besonders starken Einfluss auf die Verständlichkeit hat der Anteil der unterhaltsamen Elemente bei den Salzburger Nachrichten und Der Standard, da dort die Gradienten am steilsten sind. Die Streuung der unterhaltenden Wörter in Beziehung mit der Verständlichkeit ist bei der Kronen Zeitung am geringsten, was auf eine homogene Verwendung von unterhaltenden Elementen sowie auch auf eine stabile Satzlänge innerhalb der Tageszeitung hinweist. Kurier und Kleine Zeitung weisen ebenfalls eine geringe Streuung auf. Eine große Streuung sind bei Salzburger Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten und Oberösterreichische Nachrichten vorzufinden, was auf eine heterogene Verwendung von unterhaltsamen Elementen sowie auf sehr unterschiedliche Satzlängen hindeutet.
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Abbildung 3: Unterhaltung und Verständlichkeit
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Resümee
Die allgemeine Unterschiedshypothese dieser Untersuchung konnte teilweise bestätigt werden, denn zwischen den acht österreichischen Tageszeitungen ließen sich vor allem hinsichtlich des Unterhaltungsfaktors und des Objektivitätsindex bedeutsame, bei den Verständlichkeitswerten (Anzahl von Wörtern pro Satz) jedoch nur marginale Unterschiede nachweisen. Durch den Grad der Differenzierung können diese unterschiedlichen „Journalismen“ (Renger 2001, 73) auch in einem erweiter-
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ten Modell (Abbildung 4) eingeordnet werden (vgl. dazu auch Renger 2000b, 25). Unterschiedliche „Blattstile“ (Style Guide) von Tageszeitungen lassen sich meist durch die relativ gleich bleibende Verwendung von unterhaltsamen Elemente sowie der Trennung zwischen Nachricht und Meinung in der Politikberichterstattung erkennen.
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Politainment und unterschiedlichen Journalismen
Die erste Zusammenhangshypothese hat sich in dieser explorativen Untersuchung vorläufig ebenfalls bestätigt, die Anzahl der unterhaltsamen Elemente hat bei der politischen Berichterstattung einen erheblichen Einfluss auf die Objektivität. Die Zahl der unterhaltsamen Wörter steigt demnach mit der Anzahl der Eigenbewertung der Journalist/innen. Auch die mehrebenanalytische Betrachtung zeigt, dass bei einem einfachen Erklärungsmodell der Objektivitätsindex signifikant mit dem Unterhaltungsfaktor auf der Aggregatsebene der Tageszeitungen zusammenhängt. Denn der Objektivitätsindex kann auf Zeitungsebene 50 % der Varianz des Unterhaltungsfaktors aufklären (Unterhaltungsfaktor = Objektivitätsindex + Residuum).
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Rudi Renger/Christian Wiesner
Die zweite Zusammenhangshypothese hat sich ebenso tendenziell bewährt, denn die Verwendung von unterhaltsamen Wörtern führt bei sieben österreichischen Tageszeitungen tatsächlich eher zu kürzeren Sätzen bei der Politikberichterstattung und stützt damit die These der emotional-verkürzten Einfachsätze von Reger (1974b). Weiters ist eine Tendenz zum Einheitsjournalismus im Bereich der Verständlichkeit dadurch festzustellen, dass die Zahl der Worte pro Satz in den untersuchten Tageszeitungen einander sehr ähnelt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Unterhaltung in journalistischer Politikberichterstattung offenbar zu einem gewissen Teil genreunabhängig ist, d.h. Boulevardzeitungen oder populärjournalistische Blätter nicht per se unterhaltsamer als qualitätsjournalistische Produkte sind. Um diese explorativen Ergebnisse bestätigen zu können, wäre eine breiter angelegte Studie wünschenswert, die noch weitere System- und Strukturfaktoren wie auch die Einstellungen und Meinungen der politisch berichtenden Journalist/innen (in Österreich) in Form einer differenzierteren Analyse im Bereich Politainment bzw. unterhaltsamer Politikberichterstattung berücksichtigt.
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Rudi Renger/Christian Wiesner
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Thomas Schierl
Prominenz als Medieninhalt Eine Untersuchung zur kommunikativen und ökonomischen Bedeutung der Prominenzberichterstattung. In Zeiten steigenden medialen Wettbewerbs gilt zunehmend „content is king“. Inhalte sollen möglichst wenig Kosten verursachen und müssen attraktiv sein. Im folgenden Beitrag, der einen Werkstattbericht im Zusammenhang einer größeren Studie zum Thema Medienprominenz darstellt, soll sowohl die kommunikative als auch die ökonomische Bedeutung von Prominenz als Medieninhalt skizziert und erste Untersuchungsergebnisse einer Längsschnittstudie zur Veränderung von Prominenzberichterstattung vorgestellt werden.
1
Die kommunikative Relevanz von Prominenz als Medieninhalt
Dem Mensch ist der Mensch als sozialem Wesen von herausragender Bedeutung. Soziales Handeln kann nur dann zielorientiert erfolgreich sein, wenn Menschen ihre soziale Umwelt beobachten und aus ihren Beobachtungen die richtigen, handlungsrelevanten Schlüsse ziehen. Nicht ausreichende oder falsch interpretierte Beobachtung zieht eventuell tief greifende Folgen nach sich, die von ineffektiver Zielerreichung bis hin zu sozialer Isolation reichen können. Da der individuelle Horizont möglicher primärer Erfahrung von Wirklichkeit stark begrenzt ist, nutzen Menschen Massenmedien zur Beobachtung von Menschen und Gesellschaft. Dazu passt, dass Menschen bevorzugt Menschen – also
256
Thomas Schierl
individuelle Einzelschicksale – beobachten und andererseits der Journalismus aufgrund begrenzter zeitlicher Ressourcen in erster Linie pars pro toto über Einzelschicksale berichtet bzw. versucht, allgemeine Aussagen anhand von Einzelbeobachtungen zu plausibilisieren. Die journalistische wie die allgemein mediale Bedeutung von konkreten Personen und speziell Promienten lassen sich als Consensus omnium der Nachrichtenwert-Theorie bezeichnen. In der Rückschau listen, bereits bei Lippmann beginnend, praktisch alle relevanten Nachrichtenfaktoren-Kataloge Faktoren auf, die mit Begriffen wie Prominenz, Personalisierung, bekannte Personen oder Elite bezeichnet werden (vgl. Staab 1990). Aber auch empirische Untersuchungen zeigen die besondere Bedeutung der Nachrichtenfaktoren Personalisierung bzw. persönlicher Einfluss (vgl. z.B. Kepplinger/Rouwen 2000). Es stellt sich die Frage, warum dieses Interesse an der Beobachtung gerade von Prominenten in einem solchen besonderen Maß besteht. Diese dürfte sich ganz allgemein damit beantworten lassen, dass Prominente im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend bzw. hervorgetreten (lat. prominere) sind. Dadurch, dass sie aus der Menge hervorgetreten sind, produzieren sie einen wahrnehmbaren Unterschied (a difference that makes a difference) und sind auch im Weiteren leichter zu beobachten. Unabhängig von dieser Beobachtbarkeit einer Differenz ist davon auszugehen, dass die Beobachtung von Prominenten über die Medien den Rezipienten spezifische Gratifikationen in Form von Orientierung, Identifikation, Transzendenz, Unterhaltung und Integration versprechen. Dies soll näher erläutert werden: 1. Orientierung: Menschen orientieren sich an anderen Menschen, um soziale Isolation zu vermeiden. Prominente haben einen besonderen Beobachtungswert, weil spezifische auf das somit beobachtenswerte Handeln von Prominenten bezogene Gründe zu diesem Hervorragen aus der Masse geführt haben. Prominente stellen also Akteure dar, an denen sich, positiv wie durchaus auch negativ, beispielhaft realisierte Verhaltensoptionen und ihre Konsequenzen beobachten lassen. Prominente nutzen Medien zur Selbstbeobachtung und in dem Wissen, nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich beobachtet zu werden, ist das öffentliche und mediale Handeln Prominenter von diesem Wissen geprägt und kontrolliert. Somit können Prominente als be-
Prominenz als Medieninhalt
257
sondere sozietale Orientierungspunkte (immer positiv wie auch negativ) für Meinungsbildung und gesellschaftliche wie im weiteren Sinn kulturelle Trends gesehen werden. 2. Identifikation: Menschen benötigen Identifikationsfiguren, die ihnen im positiven wie im negativen Sinn zur Selbstfindung dienen. Mit der zunehmenden Individualisierung in der postmodernen Gesellschaft (z.B. Zerfall der klassischen Familienstrukturen, Veränderung der Rollenverteilung von Mann und Frau etc.) wächst der Bedarf an geeigneten Identifikationsmustern und differenzierenden Lebensstilentwürfen, die Prominente in einer Vielzahl und aufgrund ihrer exponierten und herausragenden Lebensweise geradezu signalhaft bieten können. 3. Transzendenz: Menschliche Existenz ist geprägt durch die Paradoxie der Kontingenz. Das Leben präsentiert sich als permanentes „Auchanders-möglich-sein“, da zu jedem Zeitpunkt unterschiedliche Handlungsoptionen bestehen, aber auf der anderen Seite wiederum auch als „Immer-nur-so-sein“, da immer nur jeweils ein Leben und kein paralleles gelebt werden kann. Jede gewählte Option schließt wiederum andere aus: die Entwicklung von Lebensabläufen ist gekennzeichnet durch dezidierte Pfadabhängigkeiten. Das Leben erscheint dem Alltagsverstand als unidirektional und irreversibel und Handlungsentscheidungen somit bedeutungsschwer. Diesem Druck der Einmaligkeit des Lebensverlaufs lässt sich mit Hilfe der Beobachtung von Prominenten und ihren Lebensgeschichten entfliehen – Lebensgeschichten die sich, im Sinne Max Frischs Figur des Gantenbeins, „anprobieren lassen wie Kleider“ (Frisch 1976: 20). Durch die Beobachtung von Prominenz kann der Beobachter notwendiges Konsumkapital für ein fiktionales Ausleben optionaler Lebensentwürfe bilden. 4. Unterhaltung: Ein sehr basales Bedürfnis ist Unterhaltung, verstanden als eine Erregung, die eine lange Weile kurzweilig erscheinen lässt und als eine positive Emotion wahrgenommen wird. Klatsch – und Prominentenberichterstattung hat häufig etwas von Klatsch und Tratsch – verbindet Information und Unterhaltung und lässt sich, so der KlatschKolumnist Michael Graeter, als „Urkommunikation“ oder auch als „Urbedürfnis“ (Neue Revue-Chef Peter Bartels) ansehen (vgl. Schwab 2001). Bereits in dörflichen Gemeinschaften war der Klatsch ein beliebtes Mittel des Informationsaustauschs. Neues von Personen, die dem
258
Thomas Schierl
Informationsempfänger direkt oder indirekt bekannt sind, aus scheinbar erster Hand, waren schon immer von Brisanz und hohem Interesse, wobei Geschichten die die dem Alltäglichen Fernen (also Prominente) betreffen, oftmals unterhaltender sind als die der Alltäglichen (z.B. des eigenen Nachbarn). 5. Integration: Über Prominente – also herausragende Persönlichkeiten der Gesellschaft – via Massenkommunikation aufgebautes Wissen sichert in hohem Maße gesellschaftlich integrierende Anschlusskommunikation. Hierbei sind deutliche Netzwerk-Effekte zu beobachten, insofern als mit steigender Zahl der Mitglieder einer Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppe, die eine prominente Person X kennen und als relevant einordnen, die Bildung von Konsumkapital (in Form von spezifischem Wissen über diese Person x) lohnt, da mit diesem dann mittels Anschlusskommunikation Integration produziert werden kann. Ausgehend von einer Vielzahl – die oben aufgeführten stellen sicherlich nur eine Auswahl dar – möglicher Gratifikationen, die eine Beobachtung von Prominenz vermitteln kann, und deren recht grundlegenden Bedeutung, kann man unterstellen, dass es eindeutig ein Bedürfnis gibt, Prominenz zu beobachten, ökonomisch ausgedrückt: Es besteht Nachfrage nach Prominenzberichterstattung im Markt.
2
Die medienökonomische Bedeutung von Prominenz als Medieninhalt
Seine hohe medienökonomische Bedeutung hat Prominenz erst in stark kommerzialisierten Mediensystemen – in Deutschland ab den 1980er Jahren – erlangen können. Ihrem eigentlichen Verständnis und ihrer Produktionslogik nach beobachten Medien die Gesellschaft sowie deren Teilbereiche, um aus diesen Beobachtungen gesellschaftlich relevante institutionen- und personenbezogene Nachrichten und Informationen zu produzieren. Gesellschaftliche Teilbereiche wie Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport und Kunst wiederum bieten den Medien ihrerseits auch Informationen aus ihrem Bereich und über ihre Akteure an. Die Medien greifen diese auf, um ihre Ressorts mit Inhalten zu füllen. Mit dieser Produktion von Nachrichten, sofern sie mit Personen verbunden ist, ent-
Prominenz als Medieninhalt
259
steht – zunächst als Externalität – Prominenz, indem über spezifische Personen berichtet wird. Prominente und Persönlichkeiten allgemein waren zwar, wie schon oben erwähnt, auch in weniger stark kommerzialisierten Mediensystemen ein wichtiger Nachrichtenfaktor. Was sich allerdings geändert hat, ist der mittlerweile erreichte Stellenwert des Nachrichtenfaktors Prominenz/Personalisierung innerhalb der Nachrichtenwerte-Hierarchie. Der Nachrichtenwert ergibt sich aus dem gemeinsamen Wert der unterschiedlichen, die Nachricht kennzeichnenden, jeweils unterschiedlich wertigen Nachrichtenfaktoren. Nur selten wird der Nachrichtenwert durch lediglich einen einzigen Faktor bestimmt. Vielmehr ergibt die Summe verschiedener Nachrichtenfaktoren die Bedeutung oder den Wert einer Nachricht. So war auch der Nachrichtenfaktor Prominenz in seinem Nachrichtenwert ursprünglich in der Regel an ein nachrichtenwertiges Ereignis gebunden. Aufgrund der hohen ökonomischen Verwertbarkeit in einem von hohem Wettbewerb gekennzeichneten Mediensystem entwickelt sich Prominenz inzwischen zu einem immer wichtigeren und eigenständigen Nachrichtenfaktor – und zwar unabhängig von einem nachrichtenwertigen Ereignis. Die ökonomische Bedeutung des Medieninhaltes Prominenz liegt darin begründet, dass sich dieser günstig und schnell produzieren lässt. Aufgrund des steigenden Wettbewerbs im Medienmarkt, müssen Medienanbieter zunehmend ihre Effizienz steigern. Um zu überleben, wird die Erhöhung der Effizienz zwangsläufig auch in der Medieninhaltsproduktion notwendig. Die Verwertung von Prominenz als Medieninhalt bietet sich in doppeltem Maße zur Erhöhung der Effizienz in der Inputproduktion an. So lässt sich auf der einen Seite die allokative Effizienz der Unternehmung erhöhen, da sich ein weit reichendes Bedürfnis bei den Rezipienten unterstellen lässt. Auf der anderen Seite kann mit Prominenzberichterstattung auch die produktive Effizienz verbessert werden, da vor allem von Ereignissen losgelöste Prominenzberichterstattung nur mit relativ niedrigen Produktionskosten und nicht mit Rechtekosten verbunden ist.1 Im Gegenteil, vielfach bieten sich vor allem potentielle 1
Inwieweit dies so bleiben wird, ist angesichts des sog. „Caroline-Urteils“, in dem der Privatsphäre von Prominenten ein höherer Schutz zugesprochen wird, zumindest ungewiss.
260
Thomas Schierl
Prominente und „Wannabes“ (vgl. Frank/Cook 1995) nicht nur, wie meistenteils auch Prominente, kostenlos als Inhalt von Berichterstattung an, sondern diese sind darüber hinaus bereit, in ihre Prominenz zu investieren. Potenzielle Prominente unterstützen die Produktion und mediale Verwertung von Prominenz, weil sie eine eigene über diese Berichterstattung erlangte Prominenz wiederum in anderen Zusammenhängen weiter kommerziell verwerten können. Zusammengefasst lässt sich von den folgenden Veränderungen im Bereich der Prominenzpresse ausgehen: x Wertsteigerung: Prominenz hat einen Eigenwert entwickelt, der zunehmend losgelöst von relevanten Ereignissen in der journalistischen Produktion verwertet wird. x Ausdifferenzierung: Aufgrund des ausdifferenzierten Medienmarktes musste zunehmend auch der Medieninhalt Prominenz den Ansprüchen der unterschiedlichen Zielgruppen der einzelnen Medienangebote entsprechend ausdifferenziert werden. Medien wollen den günstig zu produzierenden Medieninhalt Prominenz anbieten, müssen sich aber andererseits im Markt differenzieren. Sie sind somit gezwungen, ihr Angebot eines „more of the same“ durch spezifische Prominente zu kaschieren bzw. oberflächlich zu differenzieren. Dies hat zur Folge, dass 1.) nicht mehr nur auf echte, also A-Prominenz fokussiert wird, sondern immer mehr B- bzw. C-Prominenz und „wannabes“ Inhalt der Berichterstattung werden, darüber hinaus, dass 2.) Prominente nicht mehr nur aus den klassischen Bereichen Film, Kultur usw. rekrutiert werden, sondern zunehmend aus ganz unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern wie zum Beispiel Sport und Wirtschaft. x Gezielte Produktion: Aufgrund des steigenden Bedarfs an Prominenz können sich Anbieter nicht mehr mit der Berichterstattung über als Externalität entstandene Prominenz begnügen, sondern produzieren selbst ganz gezielt Prominenz, indem sie die Bekanntheit bestimmter Personen durch verstärkte Berichterstattung künstlich, d.h. nicht in Zusammenhang mit einem bestimmten relevanten Ereignis, erhöhen. Eine weitere inzwischen häufiger genutzte Option der Produktion von Prominenz ist die strategisch geplante Eigenproduktion in Form von Castingshows. Diese ermöglicht vertikal wie horizontal integrierten
Prominenz als Medieninhalt
261
Medienunternehmen eine konsequente und breite Verwertung des Produktes Prominenz. x Veränderte Produktlebenszyklen: Zusammenhängend mit dem großen Bedarf an zielgruppengerechter sowie auch „neuer“ Prominenz werden potentielle Prominente, wie z.B. junge Talente und „wannabes“ möglichst schnell zu Prominenz aufgebaut. Durch diesen strategischen Hype von Personen, können diese sehr schnell eine QuasiProminenz erlangen, die dann von Medien möglichst umgehend konsequent verwertet wird. Diese umfassende Verwertung führt aber in der Folge, oftmals aufgrund eines Mangels an nachrichtenwertiger Substanz, zu einem schnellen Nachlassen der medialen Attraktivität der mit Prominenz versehenen Person. Dies bedeutet, dass sich der Produktlebenszyklus strategisch aufgebauter Prominenter zunehmend verkürzt. Dieser verkürzte Zyklus ist aber aus Sicht der Medien weniger problematisch, da permanent neue Produkte aufgebaut werden und somit ständig die Aufmerksamkeit erhaltende „Innovationen“ in den Markt eingeführt werden. A-Prominente, die wiederum ein dezidiertes Interesse an einer möglichst langfristigen Verwertbarkeit ihrer Prominenz haben, werden somit eine schnelle und umfängliche Verwertung ihrer Prominenz zu vermeiden suchen. Tendenziell wird sich somit eine A-Prominenz mehr und mehr einer allzu umfassenden Berichterstattung entziehen, weshalb die Berichterstattung verstärkt auf B- und C-Prominenz zurückgreifen wird.
3
Veränderungen im Markt
Aufgrund der oben besprochenen Vielzahl und der Bedeutung der durch Prominenzberichterstattung vermittelten Gratifikationen kann man davon ausgehen, dass es eine große Nachfrage und in Reaktion darauf ein dementsprechend großes Angebot an Prominenzberichterstattung gibt. Betrachtet man die Ergebnisse der aktuellen Marktmediastudie Typologie der Wünsche 2004, dann zeigt sich, dass ein nicht unerheblicher Anteil von Zeitschriftenlesern ein sehr starkes Interesse an Berichterstattung über Prominenz und menschliche Schicksale hat (vgl. Tabelle 1).
262
Thomas Schierl
Tabelle 1: Interesse an Prominenzberichterstattung.„Ich persönlich bin in Zeitschriften an diesen Themenbereichen sehr interessiert“ Reportage bzw. Interview mit Prominenten
18,0 %
Berichte über Königshäuser, Adel
13,6 %
Menschen und ihre Schicksale
26,9 %
Quelle: TDW 2004. Basis Erwachsene, 14 Jahre und älter.
Dass Medienunternehmen diesen Markt als lukrativ erkannt haben, zeigen aktuelle Beobachtungen des Marktes. Der Burda Verlag hat eine spezielle Burda People Group2 installiert, die inzwischen den höchsten Ertrag des Verlags bringt. Die Bunte, als klassisches People Magazin, konnte beispielsweise von 1998 bis 2003, einer Zeit, in der andere Medien sämtlich Anteile verloren, ihren Anzeigenumsatz um 48% steigern. Daneben wurden 2004 und 2005 auch von anderen Verlagen mehrere neue Prominenztitel in den Markt eingeführt.3 Folgende Annahmen lassen sich über die Entwicklung des Prominenzpresse-Marktes formulieren: (1) Die Bedeutung der Prominenzpresse hat sich langsam aber stetig entwickelt. Gerade in den letzten Dekaden, so steht zu vermuten, war das Wachstum überproportional. (2) Das Angebot an Prominenztiteln hat sich notwendigerweise in einem ständig wachsenden Markt den unterschiedlichen Ansprüchen der Zielgruppen entsprechend in verschiedene Segmente ausdifferenziert. (3) Die Nachfrage nach People Press Produkten (Reichweite) ist seit den 1970er Jahren ständig angestiegen4. 2
3
4
Unter dem Namen „Burda People Group“ sind die Zeitschriften Bunte und Instyle sowie die Onlinekommunikation und mobile Mediendienste umfassende StarnetOne und BunteTV (nach unbefriedigendem Erfolg im Hessischen Rundfunk momentan nur in Planung) zusammengefasst. Neben der Celebrity (ein kompletter Relaunch der Joy Celebrity, Auflage 200.000) wurden 2005 die Zeitschriften IN (Klambt Verlag) mit einer Startauflage von 650.000 sowie Park Avenue (Gruner&Jahr) mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren gelauncht. Zusätzlich erscheint nun beim Jahreszeiten Verlag halbjährlich Zuhause Wohnen Celebrity Living, ebenfalls mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren. Die Betrachtung der Reichweite ab den 1970er Jahren wurde durch die Zugänglichkeit zu den notwendigen Daten bestimmt.
263
Prominenz als Medieninhalt
Diese Annahmen wurden anhand einer Analyse der Anzahl der Titel sowie der Auflagen und Reichweiten überprüft. Betrachtet man die Anzahl der Zeitschriftentitel in Deutschland, die einen Mindestanteil an Prominenzberichterstattung von 20 Prozent aufweisen, so zeigt sich, dass diese kontinuierlich von anfänglich 6 auf inzwischen 35 Titel angewachsen ist (vgl. Abbildung 1).
40
35
Anzahl der Titel
30
25
20
15
10
5
0 1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 1: Entwicklung (gesamt) der Titelanzahl Zeitschriften mit Schwerpunkt Prominenz (Quelle: VDZ)
Betrachtet man die unterschiedlichen Titel so lassen sich drei Kategorien festmachen. Die erste Kategorie bilden die Yellow Press-Titel, die eher eine ältere Zielgruppe bedienen und niedrigpreisig (bis 1,50 Euro) konzipiert sind. Die zweite Kategorie umfasst die klassische, höherwertige People Press im mittleren Preissegment (bis 2,60 Euro), die dritte Kategorie die modernen, eher an ein jüngeres Publikum adressierten und höherpreisigen (über 2,70 Euro) Lifestyle Magazine. Beobachtet man die einzelnen Marktzutritte, so zeigt sich, dass der Markt sich mit Yellow Press-Titeln etabliert und dann kontinuierlich wächst. Die beiden anderen Kategorien sind anfangs mit Ausnahme von Bunte und Neue Revue,
264
Thomas Schierl
die allerdings in ihrer Anfangszeit noch einem anderem Blattkonzept folgten, kaum vertreten. Ab Anfang der 1990er Jahre sind eine ganze Reihe von neuen Markteintritten zu beobachten und nun auch in allen 3 Segmenten (vgl. Abbildung 2).
40
Anzahl Lifestyle
35 Anzahl People
30 25
Anzahl Yellow Press
20 15 10 5 0 1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr Abbildung 2: Entwicklung Anzahl der Titel 1940–2000 nach Segmenten (Quelle: VDZ)
Aber auch die Nachfrage ist mit dem Angebot gewachsen. Betrachtet man die Reichweite der einzelnen Titel, so zeigt sich, dass laut MediaAnalyse (MA) die kumulierte Reichweite der Titel von 1972 an tendenziell immer weiter ansteigt (vgl. Abbildung 3).
Prominenz als Medieninhalt
265
60
50
in Mio.
40
30
20
10
0 MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA MA 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04
Abbildung 3: Kumulative Reichweite (MA) Zeitschriften Schwerpunkt Prominenz (1972 – 2004) (Quelle: MA 1972-2004, eigene Berechnung)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Annahmen bestätigt wurden, das heißt, das Angebot an Zeitschriften mit einem hohen Anteil an Prominenzberichterstattung ist kontinuierlich innerhalb der letzten 60 Jahre gewachsen, dabei hat sich das Angebot deutlich nach Zielgruppen in Qualität und Preisgestaltung ausdifferenziert. Gleichzeitig ist aber auch die Nachfrage nach Prominenzberichterstattung in ähnlichem Umfang wie das Angebot gestiegen.
4
Veränderungen der Inhalte
Neben einer Veränderung des Angebotes an Zeitschriften mit einem hohen Anteil an Prominenzberichterstattung folgt aus dem vorgestellten Modell auch eine Veränderung der Inhalte und Darstellung von Prominenz. Diese Veränderungen werden am Institut für Sportpublizistik der DSHS momentan mittels einer sehr umfangreichen Längsschnittstudie inhaltsanalytisch untersucht. Insgesamt sollen die jeweils beiden größten Zeitschriften der Kategorien Yellow Press, klassische People Press und Lifestyle Magazine seit 1953 bzw. ab ihrem jeweiligen Markteintritt
266
Thomas Schierl
untersucht werden. Inzwischen liegen erste Daten zu der Zeitschrift Bunte sowie zum Der Spiegel, der als politisches Magazin so etwas wie eine Benchmark darstellt5, vor, so dass hier in Form eines Werkstattberichtes erste Zwischenergebnisse vorgestellt werden sollen.6 Prominente werden innerhalb dieser Untersuchung nach Luhmann als Personen definiert, deren Bekanntsein als bekannt vorausgesetzt werden kann (vgl. Marcinkowski 2002) und eben in der Berichterstattung als bekannt vorausgesetzt werden, da die Unterstellbarkeit des Bekanntseins erwarten lässt, dass diese Personen als Themen der Kommunikation nicht abgelehnt werden. In der ersten Hypothese, die aus den dem Projekt zugrunde liegenden theoretischen Überlegungen folgt, wird davon ausgegangen, dass nicht nur die Zahl der Medien mit Prominenzberichterstattung steigt, sondern auch innerhalb der einzelnen Titel mehr über Prominente berichtet wird. Dabei lässt sich vermuten, dass der Anstieg im Jahre 1983 gegenüber dem Jahr 1973 relativ gering ausfällt und erst mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Mediensystems, auch einhergehend mit der Dualisierung des Rundfunks, zwischen 1993 und 2003 eine deutliche Zunahme zu registrieren sein wird. Betrachtet man die jeweilige Zahl der Artikel, die Prominenz thematisieren, dann kann diese grundlegende Annahme eindeutig bestätigt werden (vgl. Abbildung 4).
5
6
Anhand der Daten des Spiegel soll untersucht werden, wie Prominente in einem klassischen Nachrichtenmagazin dargestellt werden, um bewerten zu können, inwieweit es sich bei den festgestellten Veränderungen in der Prominenzberichterstattung überhaupt um spezifische Veränderungen dieser Berichterstattung und eben nicht um solcher ganz allgemeiner Art handelt. Steckbrief der Untersuchung: Frequenzanalyse; Untersuchungszeiträume: 1973, 1983, 1993, 2003; Zufallsauswahl von jeweils 6 Ausgaben von Bunte und Spiegel pro Untersuchungszeitraum. Erhebungseinheit: Artikel; Zahl der untersuchten Artikel: insgesamt 8537 (Bunte 3566; Spiegel 4971), davon Artikel, die Prominente thematisieren: 3515 (Bunte 1420; Spiegel 2095 )
267
Prominenz als Medieninhalt
60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Anteil der Artikel mit Prominenz in %
1973
1983
1993
2003
34,2%
33,3%
44,5%
53,0%
Abbildung 4: Anteil der Artikel mit Prominenz in %
Die Vermutung, dass sich dieser Anstieg an dargestellter Prominenz in erster Linie auf die Bunte beziehen würde und der Anteil an ProminenzArtikeln in Der Spiegel, wenn überhaupt, nur sehr gering ansteigen würde, kann nicht belegt werden. Lediglich im Jahr 1983 ging der Anteil an Prominenten gegenüber 1973 zurück, danach stieg der Anteil in vergleichbarem Maße wie bei der Bunte (vgl. Abbildung 5). Ähnliches zeigt sich auch in Bezug auf die jeweilige Zahl thematisierter Prominenter pro Artikel. Die durchschnittliche Zahl erwähnter Prominenter stieg über den untersuchten Zeitraum in den beiden untersuchten Zeitschriften kontinuierlich, ab 1993 wieder verstärkt, an (vgl. Abbildung 6).
268
Thomas Schierl
60% 50% 40% 30% 20% Bunte Spiegel
10% 0%
1973
1983
1993
2003
Bunte
25,2%
31,7%
47,7%
54,1%
Spiegel
40,5%
34,5%
42,8%
52,0%
Abbildung 5: Anteil der Artikel mit Prominenz nach Medium
3,5
Mittelwert
3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0
1973
1983
1993
2003
1,8
2,0
2,4
3,0
Abbildung 6: Durchschnittliche Anzahl der Prominenten pro Artikel (Einzelpersonen)
269
Prominenz als Medieninhalt
Mittelwert
3,5 3,0 2,5 2,0 1,5
s
1,0 0,5 0,0
1973
1983
1993
2003
Bunte
1,1
1,5
2,2
2,8
Spiegel
2,3
2,5
2,5
3,1
Abbildung 7: Durchschnittliche Anzahl der Prominenten pro Artikel nach Medium (Einzelpersonen)
Die Hypothese, dass dieser Anstieg an erwähnten Prominenten pro Artikel in der Zeitschrift Der Spiegel unterdurchschnittlich verlaufen würde, kann ebenfalls nicht bestätigt werden. Zwar verlief der Anstieg nur von 1993 auf 2003 vergleichbar stark wie in der Bunte, allerdings war die durchschnittliche Zahl der Prominenten pro Artikel von Anfang an bei dem Nachrichtenmagazin sehr viel höher als bei dem Prominentenmagazin (vgl. Abbildung 7). Ausgehend von der Grundannahme einer Ausdifferenzierung der Medienprominenz lässt sich weiter vermuten, dass Prominente verstärkt in verschiedenen Tätigkeitsbereichen dargestellt werden, die außerhalb ihres genuinen Tätigkeitsbereiches liegen. Durch eine solche horizontale Ausweitung kann der Mediencontent Prominenz mit der gleichen Anzahl an Personen signifikant gesteigert werden. Durch eine solche Erschließung verschiedener Bereiche können Prominente leicht von dem einen zum anderen Bereich „medial transferiert“ werden. Ein anschauliches Beispiel stellt hier der Fußballspieler David Beckham dar, der an einem Tag gleichzeitig als Fußballer im Sportteil, auf den Panorama-Seiten als Ehemann eines Popstars und im Feuilletonteil als Modell thematisiert
270
Thomas Schierl
werden kann. Beckham wird in diesem Fall nicht nur für Sport-, sondern auch für Modeinteressierte bedeutend. Auch diese Hypothese kann durch die Ergebnisse tendenziell bestätigt werden. Wie Abbildung 8 zeigt, wird über Prominente zunehmend außerhalb ihres genuinen Tätigkeits- bzw. Leitungsfeldes berichtet.
100% 95% 90% 85% 80% 75% 70%
1973
1983
1993
2003
91,6%
88,1%
87,4%
84,1%
Abbildung 8: Anteil der Prominenz in ihrem Leistungsfeld
Entsprechend der wachsenden Bedeutung des Mediencontents Prominenz erscheint auch eine Veränderung der Qualität von Prominenzberichterstattung sehr wahrscheinlich. Aufgrund des hohen Bedarfs und der möglicherweise stärkeren Zurückhaltung der A-Prominenz in Bezug auf die Offenbarung ihres Privatlebens lässt sich vermuten, dass die Berichterstattung zunehmend prognostisch wird. Schnappschüsse ohne tieferen Hintergrund werden interpretiert und zu möglichen Geschichten ausgebaut.
271
Prominenz als Medieninhalt
100% 11,7
90%
7,6 15,8 22,1
80% 70% 60% 61,5
50%
79,1
90,6 67,0
ausgeglichen ereignisbezogen prognostisch/spekulativ
40% 30% 20% 22,7
10%
10,9
9,2 1,8
0% 1973
1983
1993
2003
Abbildung 9: Art der Berichterstattung in Artikeln mit Prominenz (Bunte)
Diese Annahme kann wie Abbildung 9 zeigt, allerdings nicht bestätigt werden. Der Anteil an prognostischer Berichterstattung wechselt über die Messzeitpunkte ohne klar erkennbare Tendenz. Da sich Fotografie und Bildverarbeitung über die Jahre technisch ständig weiter entwickelt haben, hat sich die Bildqualität in der Pressefotografie ständig verbessert. Die avancierte digitale Fototechnik garantiert inzwischen selbst bei wenig professionellem Gebrauch technisch perfekte Bilder. Somit kann unterstellt werden, dass sich die professionelle Qualität der Bilder in Der Spiegel ständig verbessert hat und unprofessionelle, also technisch nicht perfekte Fotografien, immer mehr die Ausnahme darstellen. Etwas anders stellt sich die Situation in der Bunte dar. Im Bereich der Prominenzberichterstattung ergeben sich nämlich zunehmend das Problem der Glaubwürdigkeit sowie der Verdacht mangelnder Authentizität. Aber Klatsch und Tratsch, und darum geht es oftmals bei Prominenzberichterstattung, leben davon, dass scheinbar heimlich und geheim Gehaltenes aber wirklich Geschehenes enthüllt wird. Mögliche Strategien der Inszenierung einer nachgefragten Authentizität
272
Thomas Schierl
liegen in der Nutzung von Gestaltungsmitteln wie Verwischungen, Grobkörnigkeit oder Unschärfen sowie Authentizitätsmarkierungen, beispielsweise Time Codes (vgl. Schierl 2003).
95
Prozent
90
85
80
75
70 Bunte Spiegel
1973
1983
1993
2003
84,2 83,9
90,4 86,3
92 90,5
78,7 91,2
Abbildung 10: Anteil professioneller Bilder
Man kann davon ausgehen, dass die technisch professionelle Qualität der Bilder beider untersuchter Zeitschriften bis in die 1990er Jahre steigt und bei der Bunte die technische Qualität dann absinkt, um so eine immer stärker nachgefragte Authentizität vorzutäuschen, ein subjektives Authentizitätsgefühl zu vermitteln. Diese Hypothese kann, wie Abbildung 10 zeigt, durch die Ergebnisse sehr deutlich bestätigt werden. Während bereits 1983 wie auch 1993 über 90 Prozent der Bilder professionell einzustufen waren, lag die Zahl der professionellen Kriterien genügenden Bilder nur noch bei unter 80 Prozent. Medien wie Menschen wollen Aufmerksamkeit produzieren. Medienunternehmen versuchen für ihre Produkte Aufmerksamkeit zu produzieren und Prominente, um von Journalisten und Blattmachern wahrgenommen und so Inhalt der Berichterstattung zu werden.
273
Prominenz als Medieninhalt
Ein recht verlässliches und probates Mittel der Aufmerksamkeitserregung sind erotische Reize (vgl. Schierl 2001: 107ff.). Insofern ist davon auszugehen, dass Medien stärker Fotos nach erotischen Reizen, die Prominente bewusst oder nicht bewusst offerieren, selektieren, um so Aufmerksamkeit bei Ihren Rezipienten zu produzieren und in der Folge Prominente in verstärktem Maße erotische Reize anbieten werden, um so die Chance medialer Beachtung zu erhöhen. Betrachtet man die in Abbildung 11 dargestellten Ergebnisse, so zeigt sich, dass diese Annahme voll bestätigt werden kann. Exakt ein Viertel der untersuchten Fotos zeigten vordergründig erotisch inszenierte Prominente. Dies bedeutet eine Steigerung um deutlich mehr als das Dreifache gegenüber dem Messzeitpunkt 1983. 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
1973
1983
1993
2003
10,0%
7,4%
15,0%
25,0%
Abbildung 11: Anteil erotischer Bilder mit Prominenz in der Bunten
Auf der Suche nach Prominenz als Medieninhalt werden mehr und mehr auch durch eine berufsbedingte mediale Präsenz bekannte Personen aus der Medienbranche, wie z.B. Moderatoren und Journalisten, zu Prominenten, die sich medial weiterverarbeiten lassen. Einer solchen Prominenzierung von Medienpersönlichkeiten wird durch zunehmende cross-
274
Thomas Schierl
mediale Verwertungstrategien integrierter Medienkonzerne7 Vorschub geleistet. Dieser Entwicklung Rechnung tragend kann man davon ausgehen, dass sich der Anteil von Moderatoren und Journalisten als Inhalt der Prominenzberichterstattung erhöht hat, was durch die Ergebnisse der Studie bestätigt wird. Während der Anteil von Moderatoren und Journalisten in der Berichterstattung des Jahres 2003 beim Spiegel nur leicht gegenüber den früheren Messzeitpunkten gewachsen ist, zeigt sich bei der Bunte ein kontinuierliches Wachstum dieses Anteils, der sich gegenüber 1973 mehr als verdreifacht hat.
Anteil in %
8 7 6 5 4 3 2 1 0
1973
1983
1993
2003
Bunte
2,4
4,4
6,0
7,5
Spiegel
4,0
3,2
3,6
4,8
Abbildung 12: Anteil der Prominenten des Berufsfeldes Moderator/Journalist nach Medium
7
So werden beispielsweise Moderatoren/Journalisten aus einem Unternehmensprodukt in anderen Produkten des Unternehmens, beispielsweise als Experte oder Talkgast, präsentiert, wobei man dort dann wieder auf das andere Produkt verweist.
Prominenz als Medieninhalt
5
275
Fazit
Sowohl die Analyse der Marktdaten wie auch die durchgeführte Inhaltsanalyse zeigen deutliche Veränderungen im Bereich der Prominenzberichterstattung. Betrachtet man den Markt der Zeitschriftentitel mit dominanter Prominenzberichterstattung, so zeigt sich, dass dieser besonders in der letzten Dekade stark gewachsen ist (viele Marktzutritte; Ansteigen der kumulativen Reichweite dieser Titel) und sich ausdifferenziert hat (Ausbildung unterschiedlicher Segmente). Zusammenhängend mit dieser wachsenden ökonomischen Bedeutung des Mediencontents Prominenz, hat sich die Prominenzberichterstattung quantitativ wie qualitativ deutlich verändert. So hat sich beispielsweise in der Bunte die Zahl der Artikel, in denen Prominente thematisiert werden, gegenüber 1973 verdoppelt. Darüber hinaus wird der Medieninhalt Prominenz, dies zeigt die Inhaltsanalyse, zunehmend professionell und strategisch produziert bzw. verwertet. Prominenzberichterstattung ist ein wichtiger Markt, der vermutlich an Bedeutung weiter zunehmen wird. Aufgrund dieser Bedeutung ist zukünftig ein ähnlicher Wandel wie im Programmsegment Sport denkbar: Der Programminhalt Sport zeichnete sich bis Anfang der 1980er Jahre durch hohe Nachfrage (hohe Reichweiten) und niedrige Rechte- und Produktionskosten aus Sicht der Medien als besonders attraktiver Content aus. Hohe Reichweiten müssen aber inzwischen, aufgrund der teilweise exorbitanten Rechtekosten, teuer erkauft werden. Wenn AProminenz ihre Rechte zunehmend erkämpft (siehe Caroline Urteil) und geltend macht, wären ähnliche Veränderungen auch im Bereich der Prominenzberichterstattung möglich. Ein anschauliches Beispiel für eine mögliche Entwicklung ist hier die Vermarktung des Ehepaars Beckham: Für die Exklusivrechte an den Hochzeitsfotos des Paares bezahlte die Boulevardzeitung „OK“ insgesamt 1,7 Mio. Euro.
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Thomas Schierl
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Autorin und Autoren Altmeppen, Klaus-Dieter, PD Dr. habil., Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, TU Ilmenau, Postfach 10 05 65, 98684 Ilmenau; Telefon: 03677/69-4669; Fax: 03677/69-4695; E-Mail:
[email protected] Blöbaum, Bernd, Prof. Dr., Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster, Bispinghof 9-14, 48143 Münster; Telefon: 0251/8323004; Fax: 0251/8328394; E-Mail:
[email protected] Bosshart, Louis, Prof. Dr., Fachbereich Medien- und Kommunikationswissenschaft, Université Fribourg, Boulevard de Pérolles 90, CH-1700 Fribourg; Telefon: 0041-(0)26/3008383; Fax: 0041-(0)26/3009762; E-Mail:
[email protected] Früh, Werner, Prof. Dr., Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Leipzig, Burgstraße 21, 04109 Leipzig; Telefon: 0341/9735741; Fax: 0341/9735719; E-Mail:
[email protected] Görke, Alexander, Dr. phil., Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster, Bispinghof 9-14, 48143 Münster; Telefon: 0251/8321307; Fax: 0251/8328394; E-Mail:
[email protected] Hohlfeld, Ralf, Prof. i.K. Dr., Institut für Journalistik, Katholische Universität Eichstätt, Ostenstraße 25, 85072 Eichstätt, Telefon: 08421/931561; Fax: 08421/931786; E-Mail:
[email protected] Lünenborg, Margreth, PD Dr., Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin, Malteserstraße 74-100, 12249 Berlin; Telefon: 030/83870471; Fax: 030/83870739; E-Mail:
[email protected] Maurer, Thorsten, Dr. phil., Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin, Malteserstraße 74-100, 12249 Berlin; Telefon: 030/83870332; Fax: 030/83870726; E-Mail:
[email protected] 278
Autorin und Autoren
Renger, Rudi, Prof. Dr., Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Salzburg, Rudolfskai 42, A-5020 Salzburg; Telefon: 0043-(0)662/80444151; Fax: 0043-(0)662/80444190; E-Mail:
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[email protected] Scholl, Armin, PD Dr., Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster, Bispinghof 9-14, 48143 Münster; Telefon: 0251/8321305; Fax: 0251/8328394; E-Mail:
[email protected] Trebbe, Joachim, Prof. Dr., Fachbereich Medien- und Kommunikationswissenschaft, Université Fribourg, Boulevard de Pérolles 90, CH-1700 Fribourg; Telefon: 0041-(0)26/300 8396; Fax: 0041-(0)26/300 9727; E-Mail:
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