Marc-Oliver Blockus Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
GABLER RESEARCH Basler Schriften zum Marketing Band 28 ...
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Marc-Oliver Blockus Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
GABLER RESEARCH Basler Schriften zum Marketing Band 28 Herausgegeben von Prof. Dr. Manfred Bruhn
Marc-Oliver Blockus
Komplexität in Dienstleistungsunternehmen Komplexitätsformen, Kosten- und Nutzenwirkungen, empirische Befunde und Managementimplikationen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Manfred Bruhn
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Basel, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Jutta Hinrichsen Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2559-6
Geleitwort des Herausgebers Komplexität ist ein alltäglicher Begriff. Die Formulierung, etwas sei komplex, wird beinahe inflationär verwendet, in der Regel, um Systeme, Situationen, Entscheidungen u.a.m. zu beschreiben, die in ihren Verflechtungen und Wirkungen kaum zu überblicken sind. Der Versuch, Komplexität zu analysieren, zu erfassen und damit steuerbar zu machen oder in angemessener Art bei Entscheidungen berücksichtigen zu können, wird durch eine Eigenschaft komplexer Systeme erschwert, die als „Grobkörnigkeit“ bezeichnet wird: Bei der detaillierten Analyse eines komplexen Betrachtungsgegenstands nimmt dessen Komplexität häufig weiter zu; die vom Betrachter wahrgenommene Komplexität einer Situation oder eines Systems ist abhängig von der Gliederungstiefe der Betrachtung. Unternehmen sind komplexe Systeme. Entsprechend wird in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Literatur das Thema Komplexität immer wieder und in unterschiedlichen Zusammenhängen aufgegriffen. Dabei scheint sich die schwierige (Be-) Greifbarkeit von Komplexität in einer lediglich punktuellen und häufig fragmentarischen Betrachtung niederzuschlagen. Insbesondere existieren nur wenige Arbeiten, die eine ganzheitliche Sicht der Unternehmenskomplexität einnehmen. Da die Interdependenz von Systemelementen ein wesentliches Charakteristikum komplexer Systeme ist, kann nur eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenskomplexität zielführend sein; durch den Fokus auf Problemausschnitte werden u.U. wichtige Interdependenzen durchtrennt und es wird eine Reduktion der Komplexität vorgenommen, die die Realität nicht adäquat wiedergibt. Auch offenbart die bestehende Diskussion nach wie vor eine Vielzahl an Problemen bei der Messung von Komplexität und ihren Wirkungen, von denen zudem überwiegend negative Kostenwirkungen, nur am Rande auch positive Nutzenwirkungen, thematisiert werden. Auffällig ist darüber hinaus die bisherige Vernachlässigung von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. Zwar wird die Komplexität der Dienstleistungen als Leistungsergebnis, nicht aber die der damit verbundenen Leistungspotenziale und -prozesse untersucht. Eine umfassende Arbeit zu verschiedenen Komplexitätsformen und ihren ökonomisch relevanten Wirkungen in Form von Kosten und Nutzen in Dienstleistungsunternehmen als ganzheitliches System besteht nicht. Vor diesem Hintergrund hat es sich der Verfasser der vorliegenden Arbeit zur Aufgabe gemacht, einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu entwickeln, der relevante Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen sowie die daraus resultierenden Komplexitätskosten und -nutzen in ihrer Gesamtheit abbildet. Darüber hinaus schlägt er einen Ansatz vor, der eine Bewertung der Komplexitätsformen anhand ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen ermöglicht.
VI
Geleitwort des Herausgebers
Den Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen entwickelt der Verfasser auf Basis der bestehenden Literatur zu Komplexität sowie Komplexitätskosten und ergänzt diese um eine Diskussion der in der Literatur bisher im Vergleich zur Komplexität an sich und den Kostenwirkungen vernachlässigten positiven Nutzenwirkungen der Komplexität. Dabei diskutiert er die Inhalte vor dem Hintergrund der leistungsspezifischen Besonderheiten, durch die Dienstleistungen gekennzeichnet sind, und definiert für die drei Dimensionen der Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse relevante Komplexitätsformen sowie Kosten- und Nutzenkategorien. Der Bezugsrahmen bildet die Grundlage für ein Komplexitätsbewertungsmodell, das die Ermittlung der Bedeutung und der Wirkungen der Komplexitätsformen und -treiber zum Gegenstand hat und Aussagen über die Relevanz verschiedener Kostenarten und Nutzenkategorien erlaubt. Die vorgeschlagene Messmethodik basiert auf dem Analytic Network Process (ANP), einem von dem Mathematiker T.L. Saaty zur Entscheidungsunterstützung entwickelten Ansatz. Aufgrund der Schwierigkeiten, die nach wie vor mit einer objektiven Messung von Komplexität und ihren Wirkungen bestehen, sieht das Komplexitätsbewertungsmodell eine Messung von Komplexitätswirkungen über subjektive Einschätzungen durch Unternehmensmitarbeiter vor und berücksichtigt so auch die Tatsache, dass ein Unternehmen, seine Prozesse und die angebotenen Dienstleistungen nicht nur objektiv komplex sind, sondern von verschiedenen Betrachtern als unterschiedlich komplex wahrgenommen werden. In einer ersten empirischen Anwendung wird anhand von Fallstudien mit sechs verschiedenen Dienstleistungsunternehmen aufgezeigt, welche Erkenntnisse über die Komplexität eines Dienstleistungsunternehmens aus dem Komplexitätsbewertungsmodell resultieren. Das Komplexitätsbewertungsmodell und die Erfahrungen aus der empirischen Anwendung werden abschließend in einen idealtypischen Managementprozess überführt, der zeigt, wie sich die Resultate des Ansatzes für das Komplexitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen nutzen lassen, ohne dass das Komplexitätsmanagement an seiner Eigenkomplexität scheitert. Der Verfasser leistet mit seiner Arbeit einen grundlegenden Beitrag zur expliziten Berücksichtigung sowie zum Management von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen und gibt neue Impulse für die betriebswirtschaftliche Auseinandersetzung mit der Komplexitätsthematik. Mit der Veröffentlichung dieser Arbeit ist die Hoffnung verbunden, dass ihre konzeptionellen sowie methodischen Ideen und Inhalte auf breites Interesse stoßen und als Basis für die weitere Diskussion über Komplexität sowie Komplexitätskosten und -nutzen in (Dienstleistungs-)Unternehmen dienen. Basel, im Juli 2010
Prof. Dr. Manfred Bruhn
Vorwort Komplexität ist ein faszinierendes Phänomen: alltäglich und in ihrer Bedeutung grundsätzlich jedem intuitiv verständlich; trotz ihrer Alltäglichkeit aber ungewöhnlich, undurchsichtig und mit der Tendenz, bei genauerer Betrachtung noch weniger greifbar zu werden. Gerade diese Eigenschaften haben mich dazu bewogen, mich näher mit dem Thema Unternehmenskomplexität zu befassen. Das Resultat, die vorliegende Arbeit, wurde im Februar 2010 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen. Damit geht ein anspruchsvoller Prozess zu Ende, bei dem mich viele Menschen tatkräftig unterstützt haben. Bei diesen will ich mich bedanken. Mein herzlicher Dank Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Manfred Bruhn, der mich bei der Promotion jederzeit unterstützt und mir durch vielfältige und herausfordernde Aufgaben, sein Vertrauen und die damit verbundenen Freiheiten die Möglichkeit geboten hat, mich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln. Herrn Prof. Dr. Karsten Hadwich für die Zweitbegutachtung der vorliegenden Arbeit und die gute Zusammenarbeit am Lehrstuhl in Basel, aus der ich ebenfalls fachlich und persönlich sehr viel mitnehmen konnte. Frau Rozann W. Saaty und Herrn Prof. Dr. Thomas Werani für ihre wertvollen Hinweise bei der Modellentwicklung. Den aktuellen und ehemaligen Kollegen am Lehrstuhl, insbesondere Eva Pfefferkorn, Dirk Steffen, Kristina Lasotta, Astrid Frommeyer, Dominik Georgi, Ivan Giangreco, Isabel Schmidt, Meike Straßer und Jürgen Schwarz: Euch danke ich für Eure Hilfe, Ideen und Anregungen zu meiner Dissertation und die Freundschaften, die sich in der gemeinsamen Lehrstuhlzeit entwickelt haben. Ihr habt sehr viel dazu beigetragen, dass mir die Zeit in Basel immer in guter Erinnerung bleiben wird. Meinen langjährigen und guten Freunden, v.a. Verena Vogel, Kristin Bub, Jens Katthagen, John Vetterli, Nina Fritsch, Sonja Herter und Susanne Golla: ganz besonders herzlichen Dank für Eure Freundschaft, dafür, dass ihr immer für mich da seid und natürlich ebenfalls für Eure Unterstützung bei der Dissertation. Meinen Eltern Eva und Willy Blockus und meiner Schwester Inga Blockus: Euch danke ich von ganzem Herzen für die bedingungslose Unterstützung in allen Lebensphasen.
VIII
Vorwort
Darüber hinaus danke ich jenen Personen, die mir die Durchführung der Fallstudien in ihren Unternehmen ermöglicht haben, und den jeweiligen Mitarbeitern, die sich die Zeit genommen haben, an der Befragung teilzunehmen. Dem Förderverein des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrums (WWZ) danke ich für die finanzielle Unterstützung meines Dissertationsvorhabens, dem Dissertationsfonds der Universität Basel für die Unterstützung bei der Veröffentlichung dieser Arbeit.
Basel, im Juli 2010
Marc-Oliver Blockus
Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Herausgebers .......................................................................
V
Vorwort.......................................................................................................... VII Abbildungsverzeichnis ................................................................................. XV Tabellenverzeichnis ...................................................................................... XVII Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. XXI 1 Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen ..............................................................
1
1.1
Komplexität als betriebswirtschaftliches Phänomen .......................
1
1.2
Spezifizierung des Begriffs der Komplexität .................................. 1.2.1 Problematik einer Definition von Komplexität ..................... 1.2.2 Konstitutive Merkmale der Komplexität .............................. 1.2.3 Bezugsobjekte der Komplexität ............................................ 1.2.4 Erscheinungsformen der Komplexität .................................. 1.2.4.1 Objektive Formen der Komplexität in Unternehmen ...................................................... 1.2.4.2 Subjektive Komplexität .......................................... 1.2.5 Wirkungen der Komplexität .................................................
4 4 6 10 14
Dienstleistungsspezifische Betrachtung der Komplexität ............... 1.3.1 Eigenschaften von Dienstleistungen und Komplexität ......... 1.3.2 Definition: Komplexität in Dienstleistungsunternehmen .........................................................................
27 27
1.3
1.4
16 22 24
30
Defizite der betriebswirtschaftlichen Literatur zum Umgang mit Komplexität ..............................................................................
31
1.5
Ziele und Forschungsfragen der Arbeit...........................................
35
1.6
Gang der Untersuchung ..................................................................
37
X
Inhaltsverzeichnis
2 Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen ..............................................................
41
2.1
Vorgehensweise ..............................................................................
41
2.2
Stand der Forschung zur Komplexität in Unternehmen .................. 2.2.1 Publikationen zu Komplexität bei Dienstleistungen ............. 2.2.2 Publikationen zu Komplexität und Komplexitätsmanagement in allgemeinem betriebswirtschaftlichem Zusammenhang ..................................................................... 2.2.3 Ansätze zur Messung von Komplexität ................................
41 42
2.3
2.4
Behandlung von Komplexitätskosten in der Literatur .................... 2.3.1 Konzeptionell ausgerichtete Publikationen zu Komplexitätskosten .......................................................... 2.3.2 Methodisch ausgerichtete Publikationen zu Komplexitätskosten ..........................................................
49 56 58 60 63
Behandlung von Komplexitätsnutzen in der Literatur .................... 2.4.1 Publikationen mit konzeptionellen Überlegungen zu Komplexitätsnutzen.......................................................... 2.4.2 Empirische Studien zu Komplexitätsnutzen ......................... 2.4.3 Methodenvorschläge zur Quantifizierung und Messung von Komplexitätsnutzen .................................
69 72
Fazit aus dem Literaturüberblick ....................................................
77
3 Konzeptioneller Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen ........................
79
2.5
69
75
3.1
Vorgehensweise ..............................................................................
79
3.2
Das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität ..............................................................................
81
3.3
Erscheinungsformen und Ausprägungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ....................................................... 3.3.1 Komplexität der Ergebnisdimension in Dienstleistungsunternehmen (Ergebniskomplexität) ........ 3.3.1.1 Leistungsprogrammkomplexität ............................. 3.3.1.2 Dienstleistungskomplexität ..................................... 3.3.1.3 Kundenstrukturkomplexität .................................... 3.3.2 Komplexität der Prozessdimension in Dienstleistungsunternehmen (Prozesskomplexität) ..........
90 93 93 94 96 98
Inhaltsverzeichnis 3.3.2.1 Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse ............................................... 3.3.2.2 Aufgabenkomplexität ............................................. 3.3.2.3 Komplexität des externen Faktors .......................... 3.3.3 Komplexität der Potenzialdimension in Dienstleistungsunternehmen (Potenzialkomplexität) ........ 3.3.3.1 Mitarbeiterkomplexität ........................................... 3.3.3.2 Standort- und Filialkomplexität .............................. 3.3.3.3 Materialkomplexität ................................................ 3.3.3.4 Technologische Komplexität .................................. 3.3.4 Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension von Dienstleistungsunternehmen .......................................... 3.4
3.5
3.6
Kostenwirkungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ....................................................... 3.4.1 Definition: Der Begriff der Komplexitätskosten in Dienstleistungsunternehmen ............................................. 3.4.2 Kategorisierung von Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................. 3.4.3 Zusammenhänge zwischen Komplexitätsformen und Komplexitätskostenarten................................................ Nutzenwirkungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ....................................................... 3.5.1 Definition: Der Begriff des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen ............................................. 3.5.2 Kategorisierung des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen ............................................. 3.5.2.1 Unternehmensbezogene Ziele und Komplexitätsnutzen ......................................... 3.5.2.2 Kundenbezogene Ziele und Komplexitätsnutzen ......................................... 3.5.3 Zusammenhänge zwischen Komplexitätsformen und Komplexitätsnutzen .......................................................
XI
98 104 109 112 113 115 117 118
120 125 126 129 138 141 141 144 146 148 152
Zusammenfassende Darstellung des Bezugsrahmens der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen ....................................................... 154
XII
Inhaltsverzeichnis
4 Analytic Network Process als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen .............................................................. 157 4.1
Vorgehensweise .............................................................................. 157
4.2
Konzeptionelle Grundlagen des Analytic Network Process ........... 157
4.3
Methodische Grundlagen des Analytic Network Process ............... 4.3.1 Annahmen des Analytic Network Process ............................ 4.3.2 Vorgehensweise des Analytic Network Process und des Supermatrix-Ansatzes .............................................. 4.3.3 Interpretation der ANP-Ergebnisse .......................................
161 161 164 179
4.4
Eignung des Analytic Network Process zur Analyse von Komplexitätswirkungen in Dienstleistungsunternehmen ......... 182
4.5
Aufbau eines Komplexitätsbewertungsmodells auf Basis des ANP .......................................................................... 186
5 Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells ........... 191 5.1
Vorgehensweise .............................................................................. 191
5.2
Erhebungskonzeption und Design der Untersuchung ..................... 5.2.1 Auswahl der Unternehmen und befragten Personen ............. 5.2.2 Anpassung des ANP-Modells für die Untersuchung ............ 5.2.3 Aufbau und Durchführung der Befragung ............................
5.3
Resultate der empirischen Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells .............................................. 5.3.1 Betrachtung der Konsistenzwerte und der Paarvergleichsurteile ................................................ 5.3.1.1 Analyse der Konsistenzwerte.................................. 5.3.1.2 Analyse der Paarvergleichsurteile........................... 5.3.2 Einfluss der Komplexitätsausprägungen auf die Höhe der Komplexität .................................................................... 5.3.3 Gegenseitige Einflüsse der betrachteten Komplexitätsformen ............................................................. 5.3.4 Kostenwirkungen der Komplexität ....................................... 5.3.4.1 Kostenwirkungen verschiedener Komplexitätsformen ............................................... 5.3.4.2 Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Komplexitätsformen ...............................................
191 191 192 196 199 200 201 202 207 213 215 215
221
Inhaltsverzeichnis 5.3.5 Nutzenwirkungen der Komplexität ....................................... 5.3.5.1 Direkte Nutzenwirkungen der Komplexitätsformen ......................................... 5.3.5.2 Indirekte Nutzenwirkungen der Komplexität ......... 5.3.5.3 Lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Komplexitätsformen ................................... 5.3.6 Relative Bedeutung der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie der Kostenarten und Nutzenkategorien ........................................................... 5.3.6.1 Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kosten- und Nutzenaspekten ......................... 5.3.6.2 Relative Bedeutung der Komplexitätskosten .......... 5.3.6.3 Relative Bedeutung der Nutzenkategorien ............. 5.3.6.4 Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen unter Berücksichtigung der Kosten- und Nutzenwirkungen ............................... 5.3.6.5 Sensitivitätsanalysen zu den relativen aggregierten Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen ..................................... 5.4
XIII 226 226 232
237
242 242 244 246
248
259
Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse und kritische Würdigung der Vorgehensweise ..................................................... 260
6 Implikationen für Praxis und Wissenschaft ......................................... 269 6.1
Implikationen für das Komplexitätsmanagement............................ 6.1.1 Komplexitätsgestaltung als Aufgabe des strategischen Managements ........................................................................ 6.1.2 Analysephase des Komplexitätsmanagements ...................... 6.1.2.1 Inhaltliche Gestaltungsparameter bei der Strukturierung der Problemstellung ............ 6.1.2.2 Methodische Gestaltungsparameter bei der Durchführung der Datenerhebung .............. 6.1.2.3 Aufbereitung der Ergebnisse .................................. 6.1.3 Planungsphase des Komplexitätsmanagements .................... 6.1.3.1 Festlegung von Zielen für das Komplexitätsmanagement ................................ 6.1.3.2 Strategische Optionen des Komplexitätsmanagements............................... 6.1.3.3 Auswahl von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements...............................
269 269 272 273 276 280 282 283 284 286
XIV
Inhaltsverzeichnis 6.1.4 Umsetzungsphase des Komplexitätsmanagements ............... 288 6.1.5 Kontrollphase des Komplexitätsmanagements ..................... 291
6.2
Implikationen für die wissenschaftliche Forschung ........................ 6.2.1 Konzeptioneller Forschungsbedarf ....................................... 6.2.2 Methodischer Forschungsbedarf ........................................... 6.2.3 Empirischer Forschungsbedarf .............................................
294 294 296 299
6.3
Fazit ................................................................................................ 300
Literaturverzeichnis ..................................................................................... 303 Anhang ........................................................................................................... 329
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Relevante Aspekte der Komplexität im betriebswirtschaftlichen Kontext ....................................
5
Bildung von Systemtypen auf Basis konstitutiver Merkmale von Komplexität ............................
8
Abbildung 3:
Bezugsrahmen der Arbeit ....................................................
36
Abbildung 4:
Gang der Untersuchung .......................................................
37
Abbildung 5:
Das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität .......................................
83
Vorgehensweise zur Identifikation der Komplexitätsformen und -ausprägungen in Dienstleistungsunternehmen ............................................
92
Abbildung 2:
Abbildung 6:
Abbildung 7:
Kausalmatrix der Interdependenzen zwischen Komplexitätsformen ............................................ 122
Abbildung 8:
Übersicht über Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 130
Abbildung 9:
Entwicklung der Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen auf Basis der Kategorisierung nach Wildemann ........................................ 132
Abbildung 10:
Überblick über Nutzenkategorien der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 145
Abbildung 11:
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kostenund Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen ....... 155
Abbildung 12:
Exemplarische Darstellung einer AHP-Hierarchie .............. 159
Abbildung 13:
Exemplarische Darstellung eines ANP-Netzwerks.............. 160
Abbildung 14:
Flussdiagramm des Analytic Network Process.................... 165
Abbildung 15:
Grobstruktur des Komplexitätsbewertungsmodells ............. 188
Abbildung 16:
Komplexitätsbewertungsmodell für die empirische Untersuchung (Teilmodell) .................................................. 197
Abbildung 17:
Exemplarische Darstellung von Streuung und geometrischem Mittel der Paarvergleichsurteile........... 206
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 18:
Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Gesamtauswertung) ..................................... 252
Abbildung 19:
Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Banken) ........................................ 256
Abbildung 20:
Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Versicherungen) ........................... 257
Abbildung 21:
Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Telekommunikation) .................... 259
Abbildung 22:
Sensitivitätsanalysen für die Gewichtung der Komplexitätskosten ....................................................... 261
Abbildung 23:
Managementprozess der Komplexitätsgestaltung................ 273
Abbildung 24:
Exemplarische Datenaufbereitung zur Identifikation der zentralen Stellhebel des Komplexitätsmanagements ..... 281
Abbildung 25:
Strategische Optionen des Komplexitätsmanagements in Dienstleistungsunternehmen ................................................ 285
Abbildung 26:
Modellstruktur zur Gewinnung allgemeiner Informationen sowie zur Beurteilung von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements ........................................... 288
Abbildung 27:
Strukturelle, systembezogene und kulturelle Umsetzung der Komplexitätsmanagementstrategie ................................ 289
Abbildung 28:
Beispiel für ein Kennzahlen- und Trackingsystem zum Komplexitätsbewertungsmodell .................................. 292
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Ausgewählte Auffassungen und Abgrenzungen des Komplexitätsbegriffs .....................................................
7
Tabelle 2:
Defizite der Literatur zum Komplexitätsmanagement .........
31
Tabelle 3:
Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexität ................
44
Tabelle 4:
Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexitätskosten ....
59
Tabelle 5:
Charakteristika und Kategorien von Komplexitätskosten ...
60
Tabelle 6:
Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexitätsnutzen....
71
Tabelle 7:
Ausprägungen der Leistungsprogrammkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................
94
Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................
95
Ausprägungen der Kundenstrukturkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................
97
Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10:
Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse in Dienstleistungsunternehmen.......... 100
Tabelle 11:
Begriffsverständnisse und Konzeptualisierungen der Aufgabenkomplexität .................................................... 105
Tabelle 12:
Ausprägungen der Aufgabenkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ................................................ 107
Tabelle 13:
Ausprägungen der Komplexität des externen Faktors in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 110
Tabelle 14:
Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 113
Tabelle 15:
Ausprägungen der Standort-/Filialkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 116
Tabelle 16:
Ausprägungen der Materialkomplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 117
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 17:
Ausprägungen der technologischen Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ............................................ 119
Tabelle 18:
Zusammenfassende Definitionen der Komplexitätskostenarten ............................................... 139
Tabelle 19:
Zusammenfassende Definitionen der Komplexitätsnutzenkategorien ...................................... 151
Tabelle 20:
Standardskala für Paarvergleichsurteile im ANP ................ 169
Tabelle 21:
Durchschnittliche Beurteilung der Ausprägung sowie der Kosten- und Nutzenwirkungen verschiedener Komplexitätsformen (Vorstudie) .................. 195
Tabelle 22:
Übersicht über die Konsistenzwerte (Einzel- und aggregierte Werte) .......................................... 203
Tabelle 23:
Durchschnittliche Spannweite und Standardabweichung der Antworten in den betrachteten Unternehmen ................ 204
Tabelle 24:
Anteil widersprüchlicher und widerspruchsfreier Paarvergleiche ..................................................................... 205
Tabelle 25:
Einfluss der Komplexitätsausprägungen auf die Komplexitätsformen (lokale Prioritäten) ................. 209
Tabelle 26:
Einflüsse zwischen den Komplexitätsformen (lokale Prioritäten) ............................................................... 214
Tabelle 27:
Einflüsse der Komplexitätsformen auf die Kostenarten der Komplexität (lokale Prioritäten) .................................... 217
Tabelle 28:
Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten (lokale Prioritäten) ............................................................... 222
Tabelle 29:
Direkte Nutzenwirkungen der Komplexität (lokale Prioritäten) ............................................................... 228
Tabelle 30:
Indirekte Nutzenwirkungen der Komplexität (lokale Prioritäten) ............................................................... 233
Tabelle 31:
Lokale Bedeutung der Nutzenkategorien auf Unternehmensebene (lokale Prioritäten) ....................... 238
Tabelle 32:
Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kostenaspekten (globale Prioritäten).......................... 243
Tabellenverzeichnis
XIX
Tabelle 33:
Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Nutzenaspekten (globale Prioritäten) ......................... 244
Tabelle 34:
Relative Bedeutung der Kostenarten der Komplexität (globale Prioritäten) ............................................................. 245
Tabelle 35:
Relative Bedeutung der Nutzenkategorien der Komplexität (globale Prioritäten) .................................. 247
Tabelle 36:
Gewichtungsfaktoren aus der Kontrollhierarchie für die globalen Prioritäten der Komplexitätsausprägungen ..... 250
Tabelle 37:
Ansatzpunkte für zukünftige Forschungsarbeiten ............... 294
Abkürzungsverzeichnis AHP
Analytic Hierarchy Process
ANP
Analytic Network Process
Ǥ Ǥ
Consistency Index
Ǥ Ǥ
Consistency Ratio
Ǥ Ǥ
Random Index
1
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
1.1
Komplexität als betriebswirtschaftliches Phänomen
Komplexität ist die Eigenschaft eines Systems, die sich ergibt aus der Anzahl und Vielfalt an Systemelementen, deren Verbindungen und Interdependenzen untereinander sowie der Veränderlichkeit dieser Elemente, Verbindungen und Interdependenzen.1 Eine Übertragung dieser allgemeinen, auf die Systemtheorie und Kybernetik zurückgehenden Begriffsbestimmung auf den betriebswirtschaftlichen Kontext lässt unmittelbar erkennen, dass Komplexität eine „allgegenwärtige Begleiterscheinung wirtschaftlichen Handelns“2 ist. Aufgrund funktionaler Differenzierung und arbeitsteiliger Organisation3 besteht ein Unternehmen aus einer u.U. großen und ständigen Veränderungen unterworfenen Vielzahl und Vielfalt an Elementen, wie z.B. Abteilungen, Standorten und Mitarbeitern, die über die zu erfüllenden Ziele und Aufgaben in interdependenter Verbindung stehen, und ist folglich komplex. Ein Unternehmen kann allerdings nicht für sich allein existieren4 und ist über verschiedene Märkte – z.B. Beschaffungs-, Finanz- und Absatzmärkte – in die Gesamtwirtschaft eingebunden. Diese stellt selbst ein komplexes System dar, das sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher, miteinander agierender Akteure zusammensetzt. Die allgemeine wirtschaftliche Situation ist dabei durch eine zunehmende Dynamik und eine hochgradige weltweite Vernetzung gekennzeichnet,5 die – wie die Entwicklungen der Finanzkrise und der globalen Wirtschaftskrise seit dem Jahr 2007 zeigen6 – aus Sicht einzelner Unternehmen schwierig zu überblicken und in ihren Wirkungsweisen kaum noch vorhersehbar sind. Durch 1 2 3 4 5 6
Vgl. McFarland 1969, S. 16; Baetge 1977, S. 510; Luhmann 1980, Sp. 1064f.; Bronner 1992, Sp. 1122. Reiß 1993b, S. 54. Vgl. auch Schwaninger 2004, S. 7. Vgl. zur Bedeutung von funktionaler Differenzierung und Arbeitsteilung für die Komplexität Willke 2006, S. 19ff. Vgl. Wöhe 2002, S. 9. Vgl. z.B. Probst/Gomez 1989a, S. 3; Krauer 1999, S. 125. Vgl. z.B. Tagesschau.de (Hrsg.) 2009.
2
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
den Versuch, durch Planung als ordnendes und gestaltendes Vorausdenken7 in dieser dynamischen und vernetzten Unternehmensumwelt zu bestehen, dabei den Anforderungen der Märkte und verschiedener Anspruchsgruppen gerecht zu werden und so die eigene Überlebensfähigkeit zu sichern8, sieht sich ein Unternehmen bzw. dessen Management mit äußerst komplexen Problemstellungen konfrontiert.9 Bereits Anfang der 1990er Jahre vertrat Reiß die Ansicht, dass das Komplexitätsphänomen „vom notwendigen Übel zum kritischen Erfolgsfaktor aufgestiegen“10 sei. Willke definiert den Komplexitätsbegriff als „den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes.“11 Diese Definition bringt zum Ausdruck, dass sich eine Entscheidung auf komplexe Weise im System „Unternehmen“ auswirkt, wobei die Menge und Verflechtung entscheidungsrelevanter Parameter und Wirkungsweisen für den Entscheider durch Unüberschaubarkeit gekennzeichnet ist.12 Eine Entscheidung führt zu unkontrollierten und unkalkulierbaren Wirkungen, die sich intransparent weiterentwickeln 7 8
9
10 11
12
Vgl. Adam 1997, S. 3. Häufig bleibt für den Fortbestand des Unternehmens keine andere Wahl, als sich an die dynamischen und vernetzten Marktbedingungen anzupassen und „mitzuspielen“. Bliss verdeutlicht dies anschaulich am Beispiel der Automobilindustrie in den 1990er Jahren, in der die Strategien der Internationalisierung und der Differenzierung des Angebots zu einer „obligaten und zentralen Überlebensfrage“ wurden (Bliss 2000, S. 14f.). Nach Luhmann bestehen für ein System zwei Möglichkeiten: entweder sich reaktiv an die durch andere Systeme geschaffenen Tatsachen anzupassen oder selbst Tatsachen zu schaffen, an die sich andere Systeme anpassen müssen. Diesbezüglich merkt er zur Rolle der Planung an: „Deshalb gewinnt der Gedanke der Planung an Attraktivität. Die Ausdifferenzierung von Planungseinheiten in Organisationsystemen ist aber zunächst keine Lösung des Problems der Komplexität, vielmehr nur eine Steigerung der Komplexität, weil im System dann neben allem anderen auch noch die Planung vorkommt. … Unter Komplexitätsgesichtspunkten kann … nur eine reflexive Planung in Betracht kommen, d.h. eine Planung, die einplant, daß sie die durch sie selbst erzeugten Probleme aufzufangen hat.“ (Luhmann 1980, Sp. 1069f.). Reiß 1993a, S. 5. Willke 2006, S. 23. Unter Vielschichtigkeit versteht Willke den Grad an funktionaler Differenzierung des Systems sowie die Zahl der Referenzebenen (Individuum, Gruppe, Organisation); der Begriff Vernetzung bezieht sich auf Art und Grad der wechselseitigen Abhängigkeiten im System; mit Folgelastigkeit wird die Zahl und Bedeutung der durch eine Entscheidung ausgelösten Kausalketten und Prozesse bezeichnet. Vgl. z.B. Probst/Gomez 1989a, S. 3; Stacey 1997, S. XXIII.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
3
und entsprechend nicht oder nicht ohne weiteres rückgängig zu machen sind.13 Zudem, und dies berücksichtigt die Definition von Willke nicht explizit, hat eine Entscheidung neben komplexen Wirkungen häufig auch Folgen für die Komplexität an sich: Gerade im betriebswirtschaftlichen Kontext haben viele der zu treffenden Entscheidungen Auswirkungen auf die Zahl der Systemelemente und/oder die Beziehungen zwischen diesen. Beispielsweise bringt die Entscheidung für eine höhere Kundenorientierung durch eine Ausweitung des Leistungsprogramms das Angebot weiterer Produkt- oder Dienstleistungsvarianten mit sich. Diese sind über die zu erreichenden Zielsetzungen und die zur Verfügung stehenden oder die zur Umsetzung der Entscheidung erforderlichen neuen Produktionsmittel (z.B. neue Anlagen oder zusätzliche Mitarbeiter) mit dem bestehenden Leistungsangebot verknüpft. Dem System „Unternehmen“ werden folglich weitere Elemente und Interdependenzen hinzugefügt und durch die Entscheidung auch die Komplexität an sich verändert.14 Die dargestellte Situation verdeutlicht die Relevanz des Komplexitätsthemas in der Betriebswirtschaftslehre. Die Existenz von Komplexität ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaft eine Gegebenheit, mit der die Akteure umzugehen haben. Sie kann jedoch zu Problemen führen, wenn sie in der Gesamtheit ihrer Auswirkungen nicht erkannt und nicht explizit bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wird. Hieraus leitet sich die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit Komplexität in der betriebswirtschaftlichen Forschung sowie eines bewussten Umgangs mit Komplexität in der unternehmerischen Praxis ab.
13 14
Vgl. Schulz 1994, S. 131; Bliss 2000, S. 2ff. Eine komplexitätssteigernde Wirkung können auch Maßnahmen haben, die zwar eigentlich eine Verringerung der Komplexitätsproblematik zum Ziel haben, aber eine so hohe Eigenkomplexität mit sich bringen, dass ihr eigentlicher Zweck konterkariert wird (vgl. z.B. zur Komplexität des Informationsmanagements Becker/Rosemann 1998, S. 112f.).
4
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
1.2
Spezifizierung des Begriffs der Komplexität
1.2.1
Problematik einer Definition von Komplexität
Die Allgegenwart von Komplexität spiegelt sich auch in der weit verbreiteten Verwendung des Begriffs wider.15 Der Begriff der Komplexität ist dabei allerdings „gleichzeitig inhaltsschwer aber auch seltsam unbestimmt“16 und wird sowohl in der Literatur als auch im Alltag oftmals verwendet, ohne seine Bedeutung zu reflektieren oder zu definieren.17 Komplexität ist ein Begriff, dessen „Definition ganz wesentlich mit zu den Problemen gehört, die er aufwirft“.18 Diese grundsätzliche Schwierigkeit zeigt sich in den beiden Extremen, denen sich viele Begriffsabgrenzungen zuordnen lassen: Einerseits wird Komplexität oftmals in enger Anlehnung an die Systemtheorie und die Kybernetik als eine Eigenschaft eines Systems definiert, die sich aus der Anzahl der Systemelemente, ihrer Relationen zueinander sowie der Dynamik der Elemente und Relationen ergibt.19 Auch wenn die zentrale Bedeutung des Kerns dieser Begriffsbestimmungen – die Anzahl an Elementen und die Verknüpfungen zwischen diesen – unbestritten ist, ist die Art der Definition für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Komplexität im betriebswirtschaftlichen Kontext in der Regel zu allgemein gehalten. Andererseits beschränken sich viele Definitionen zu stark auf (betriebswirtschaftliche) Teilprobleme und nehmen einseitige Schwerpunktbildungen vor, wodurch der jeweilige Betrachtungsgegenstand lediglich einen Realitätsausschnitt abbildet, wesentliche Interdependenzen „durchtrennt“ und entsprechend nicht alle entscheidungsrelevanten Konsequenzen berücksichtigt werden.20 Das Begriffsverständnis wird dabei situationsspezifisch so eng abgegrenzt, dass der Betrachtungsgegenstand nicht mehr als komplexe, sondern höchstens noch als schwierige oder komplizierte Fragestellung angesehen werden kann. Eine solche Beschränkung auf Ausschnit-
15 16 17 18 19
20
Vgl. Malik 2008, S. 167; Courtney et al. 2009, S. 64. Gomez 1999, S. 3. Vgl. Luhmann 1980, Sp. 1064; Grossmann 1992, S. 17. Nicolis/Prigogine 1987, S. 58; Nicolis/Prigogine 1989, S. 36. Vgl. beispielsweise Grossmann 1992, S. 17; Schwenk-Willi 2001, S. 16. Vgl. auch Abschnitt 1.1. Für einen Überblick über das Komplexitätsverständnis verschiedener Wissenschaftsdisziplinen vgl. Stüttgen 1999, S. 16ff. sowie Bandte 2007, S. 47ff. Vgl. Probst/Gomez 1989a, S. 4.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
5
te stellt eine der Hauptschwierigkeiten im Umgang mit Komplexität dar, da sie den tatsächlichen Gegebenheiten der unternehmerischen Praxis nicht gerecht wird.21 Gell-Mann ist der Ansicht, dass ein einziger Komplexitätsbegriff nicht ausreicht, um die Bedeutung des Phänomens angemessen wiederzugeben.22 Ein eindeutig definierter Komplexitätsbegriff ist allerdings die Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit Komplexität in Forschung und Praxis.23 Da die Zusammenfassung des Komplexitätsphänomens in einer präzisen Definition schwierig ist, wird im Folgenden zunächst eine Annäherung an den Komplexitätsbegriff anhand der Darstellung konstitutiver Merkmale sowie möglicher Bezugsobjekte vorgenommen. Darauf folgt eine Beschreibung von Erscheinungsformen und Wirkungen der Komplexität im betriebswirtschaftlichen Kontext (vgl. Abbildung 1). Konstitutive Merkmale der Komplexität: Vielzahl an Systembestandteilen/-elementen Vielfalt der Systembestandteile/-elemente Relationen/Interdependenzen im System bzw. des Systems zur Systemumwelt (Eigen-)Dynamik und Veränderlichkeit
Komplexität im betriebswirtschaftlichen Kontext
Bezugsobjekte der Komplexität: Abhängig von der Festlegung der Betrachtungsebene Definition der Systemzugehörigkeit/-grenzen Formen der Komplexität: Objektive Komplexität (Systembestandteile, Interdependenzen, Dynamik/Veränderlichkeit) Subjektive Komplexität (Wahrnehmung) Wirkungen der Komplexität: Ökonomische Wirkungen in Form von Komplexitätskosten Komplexitätsnutzen
Abbildung 1:
21 22 23
Relevante Aspekte der Komplexität im betriebswirtschaftlichen Kontext
Vgl. Gomez 1999, S. 6. Vgl. Gell-Mann 1998, S. 66. Vgl. Luczak/Fricker 1997, S. 316.
6
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
1.2.2
Konstitutive Merkmale der Komplexität
Eine erste Charakterisierung des Komplexitätsbegriffs ist über die konstitutiven Merkmale der Komplexität möglich. Komplexitätsdefinitionen bauen in der Regel – in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlichen Kombinationen – auf den Merkmalen der Vielzahl und der Vielfalt von Systemelementen, den Beziehungen (Relationen) zwischen diesen Elementen sowie der Veränderlichkeit der Elemente und Beziehungen (Relationen) auf.24 Während der Begriff der Vielzahl die reine Menge an Elementen und Beziehungen zum Ausdruck bringt, bezieht sich der Begriff Vielfalt auf die Verschiedenartigkeit der Elemente und Beziehungen innerhalb dieser Menge. Der Grad der Veränderlichkeit ergibt sich aus der Dynamik der Wirkungszusammenhänge im System sowie der Menge möglicher unterschiedlicher Zustände25 und Verhaltensmöglichkeiten der Systemelemente.26 Im Folgenden werden anhand dieser Merkmale exemplarisch verschiedene Auffassungen und Abgrenzungen des Komplexitätsbegriffs aufgezeigt (vgl. Tabelle 1). Klaus und Liebscher verwenden ein grundlegendes Begriffsverständnis der Komplexität, das lediglich die Vielzahl und Vielfalt an Elementen sowie deren Relationen berücksichtigt. Vergleichbar ist die Definition von Luhmann, nach dessen Auffassung die Zahl an Elementen, die Zahl der möglichen Beziehungen sowie die Verschiedenartigkeit dieser Beziehungen das Ausmaß der Komplexität bestimmen.27 Während Luhmann ausschließlich den Komplexitätsbegriff an sich beschreibt, grenzen Klaus und Liebscher Komplexität von Kompliziertheit ab: Die Kompliziertheit eines Systems hängt von der Menge unterschiedlicher Systemelemente ab, während die Komplexität sich aus den Relationen zwischen diesen Elementen ergibt.28
24 25
26
27 28
Vgl. auch Abschnitt 1.1, Fußnote 1 sowie Abschnitt 1.2.1, Fußnote 19. Die Anzahl unterschiedlicher Zustände eines Systems wird als dessen Varietät bezeichnet (vgl. Grossmann 1992, S. 25; Malik 2008, S. 168). Verschiedene Autoren definieren Komplexität als die Fähigkeit eines Systems, eine große Zahl an verschiedenen Zuständen annehmen zu können (vgl. z.B. Benett 1999, S. 11; Schwenk-Willi 2001, S. 16f.; Ulrich/Probst 2001, S. 59; Bleicher 2004, S. 37). Vgl. Grossmann 1992, S. 18. Die vielfältigen einem System gegebenen Handlungsalternativen werden als Kontingenz bezeichnet. Kontingenz liegt vor, wenn der Reaktionsspielraum nicht festgelegt, sondern offen, variabel und im Einzelfall entscheidbar ist (vgl. Willke 2006, S. 28ff. sowie die nachfolgenden Ausführungen zu Willkes Komplexitätsverständnis). Vgl. Luhmann 1980, Sp. 1064f. Vgl. Klaus/Liebscher 1976, S. 314f.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen Autor
Merkmale der Komplexität
Begriffsabgrenzungen
Klaus/Liebscher 1976
- Menge an unterschiedlichen Elementen - Menge an Relationen zwischen den Elementen
Kompliziertheit: Menge unterschiedlicher Elemente Komplexität: Menge (unterschiedlicher) Elemente und Relationen zwischen diesen
Luhmann 1980
- Zahl der Elemente - Zahl möglicher Beziehungen zwischen den Elementen - Verschiedenartigkeit der Beziehungen
Das Ausmaß der Komplexität ergibt sich aus den drei Merkmalen (keine Abgrenzung zu anderen Begriffen)
Ulrich/Probst 2001
- Anzahl und Verschiedenheit der Elemente - Anzahl und Verschiedenheit der Beziehungen zwischen den Elementen - Vielfalt der Verhaltensmöglichkeiten der Elemente - Veränderlichkeit der Wirkungsverläufe zwischen den Elementen
Einfaches System: geringe Zahl an Elementen/Beziehungen und geringe Dynamik/Veränderlichkeit Kompliziertes System: hohe Zahl an Elementen/Beziehungen und geringe Dynamik/Veränderlichkeit Relativ komplexes System: geringe Zahl an Elementen/Beziehungen und hohe Dynamik/Veränderlichkeit Äußerst komplexes System: hohe Zahl an Elementen/Beziehungen und hohe Dynamik/Veränderlichkeit
Willke 2006
- Menge an Systemelementen - Beziehungen/Zusammenwirken dieser Elemente - System-Umwelt-Relation - Vielfältige und interdependente Handlungsund Entscheidungsmöglichkeiten
Komplexität ergibt sich aus der Relation des Systems zu seiner relevanten Umwelt sowie vielfältigen und interdependenten Handlungsund Entscheidungsmöglichkeiten gegenüber dieser (keine Abgrenzung zu anderen Begriffen)
Tabelle 1:
7
Ausgewählte Auffassungen und Abgrenzungen des Komplexitätsbegriffs
Ähnlich unterscheiden anhand der Menge und Unterschiedlichkeit der Elemente und Interdependenzen Ulrich und Probst zunächst in einer statischen Sicht zwischen Einfachheit und Kompliziertheit.29 Einfache Systeme sind durch eine geringe Zahl und Vielfalt an Elementen mit wenigen Interdependenzen gekennzeichnet, während komplizierte Systeme aus einer großen Zahl und Vielfalt an Elementen und Interdependenzen bestehen. Allerdings weisen weder einfache noch komplizierte Systeme Eigendynamik auf, so dass die Verhaltensmöglichkeiten beschränkt und die erreichbaren Zustände des Systems determiniert und 29
Vgl. im Folgenden Ulrich/Probst 2001, S. 58ff. Eine vergleichbare Abgrenzung nehmen Gomez und Probst in Bezug auf Problemstellungen vor, mit denen Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen konfrontiert sind. Anhand der Vielzahl unterschiedlicher Einflussgrößen der Problemlösung sowie deren Dynamik unterscheiden die Autoren einfache, komplizierte und komplexe Problemstellungen (vgl. Gomez/ Probst 1997, S. 13ff.).
8
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
voraussagbar sind.30 Komplexität ergibt sich erst durch die Dynamik eines Systems, die zur Folge hat, dass das System auf denselben Input zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in Abhängigkeit seines zu einem Zeitpunkt gegebenen Zustands unterschiedlich reagiert.31 Die Autoren unterscheiden so insgesamt vier Systemtypen (vgl. Abbildung 2): Bei niedriger Anzahl und Vielfalt an Elementen und Relationen lassen sich einfache Systeme (geringe Eigendynamik) von relativ komplexen Systemen (hohe Eigendynamik) abgrenzen. Bei hoher Ausprägung auf der Dimension der Vielzahl und Vielfalt an Elementen und Relationen dagegen bestehen komplizierte Systeme (geringe Eigendynamik) und äußerst komplexe Systeme (hohe Eigendynamik).
Vielzahl/Vielfalt
hoch
Kompliziertes System Viele Elemente und Beziehungen Wenige Verhaltensmöglichkeiten Stabile Wirkungsverläuf e
Äußerst komplexes System Vielzahl von unterschiedlichen Elementen mit vielf ältigen Beziehungen Hohe Vielf alt an Verhaltensmöglichkeiten Veränderliche Wirkungsverläuf e
Einfaches System Wenige Elemente und Beziehungen Wenige Verhaltensmöglichkeiten Stabile Wirkungsverläuf e
Relativ komplexes System Wenige Elemente und Beziehungen Hohe Vielf alt an Verhaltensmöglichkeiten Veränderliche Wirkungsverläuf e
gering gering
Abbildung 2:
30
31
Veränderung/Eigendynamik
hoch
Bildung von Systemtypen auf Basis konstitutiver Merkmale von Komplexität (Quelle: in Anlehnung an Grossmann 1992, S. 19f.; Ulrich/Probst 2001, S. 61)
Dies trifft beispielsweise auf Maschinen oder fest definierte (Produktions-)Prozesse zu, die zwar auch aus einer Vielzahl an Elementen oder Prozessschritten bestehen können, deren Output oder Resultat als Reaktion auf einen bestimmten Input aber immer gleich ist. Vgl. auch Komorek 1991, S. 43.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
9
Willke vertritt die Ansicht, dass eine Komplexitätsdefinition über die Zahl und Unterschiedlichkeit der Systemelemente und deren Beziehungen zueinander zu kurz greift und ergänzt sein Begriffsverständnis der Komplexität um die Aspekte der Relation des betrachteten Systems zu seiner Systemumwelt sowie die Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten (Kontingenz) des Systems gegenüber dieser Umwelt.32 Systeme können nach seiner Auffassung „sinnvoll und umfassend nur unter Einbezug ihrer jeweiligen Umwelt(en) analysiert werden“.33 Komplexität charakterisiert nach Willke Entscheidungsprobleme, die durch die Anforderungen der Umwelt an ein System auftreten, und bezieht sich „immer auf eine System-Umwelt-Relation, in welcher der Beziehungs- und Möglichkeitsreichtum der Umwelt dem System zum Problem wird“.34 Aus Sicht eines Systems bedeutet der Handlungs- und Entscheidungsspielraum anderer Systeme Unsicherheit und Ungewissheit darüber, welche Handlungsalternativen letztendlich gewählt werden. Entscheidend ist der Bezugspunkt: Aus Sicht des betrachteten Systems „kennzeichnet … die Vielfalt möglicher Entscheidungen dessen Kontingenzspielraum. Die Vielfalt möglicher Umweltereignisse dagegen, die auf kontingenten Handlungsmöglichkeiten … der Umwelt beruht, erscheint aus Sicht des fokalen Systems als Komplexität seiner Umwelt.“35 Komplexität kennzeichnet nach Willke nur die Systeme, die vielfältige und interdependente Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gegenüber der Umwelt haben.36 Im betriebswirtschaftlichen Kontext zeigt sich, dass sämtliche der dargestellten Merkmale für die Charakterisierung der Komplexität von Bedeutung sind. Bereits die einleitende Skizzierung des Komplexitätsphänomens in Abschnitt 1.1 hat verdeutlicht, dass es sich sowohl bei der Gesamtwirtschaft als auch bei einem einzelnen Unternehmen um – in den Begrifflichkeiten von Ulrich und Probst – äußerst komplexe Systeme handelt. Die Vielzahl und Vielfalt an Systemelementen besteht z.B. in der Zahl der Unternehmen einer Gesamtwirtschaft oder innerhalb eines Unternehmens in der Zahl der Mitarbeiter, Standorte, Funktionen, Leistungen u.v.m. Interdependenzen zwischen diesen Systemelementen bestehen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene z.B. durch Kooperations- oder 32 33 34 35
36
Vgl. Willke 2006, S. 24f. Willke 2006, S. 25. Vgl. ähnlich auch Bronner 1992, Sp. 1122f. Willke 2006, S. 30. Vgl. Willke 2006, S. 33. Vgl. auch Fußnote 26. Auch bei geringer Komplexität kann die Kontingenz eines Systems hoch sein und vice versa. Die verschiedenen Systemzustände, die mit dem Begriff der Varietät bezeichnet werden (vgl. Fußnote 25), ergeben sich demnach u.a. aus der Kontingenz eines Systems. Vgl. Willke 2006, S. 25.
10
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Konkurrenzbeziehungen zwischen Unternehmen. Auch auf Unternehmensebene ergeben sich Interdependenzen, z.B. zwischen Abteilungen, Standorten und einzelnen Mitarbeitern, die gemeinsam auf den Fortbestand und Erfolg des Unternehmens hinarbeiten, oder zwischen verschiedenen Produkten und Dienstleistungen, die mit denselben knappen Ressourcen erstellt werden. Darüber hinaus haben wirtschaftliche Akteure – Unternehmen als Ganzes und deren Mitarbeiter im Einzelnen – eine Vielzahl von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, wodurch in der Summe das Verhalten der Systeme nicht oder nur bedingt vorhersagbar ist. Die gegebenen Handlungs- und Entscheidungsspielräume werden zudem im wirtschaftlichen Kontext bewusst genutzt, um Veränderungen im System herbeizuführen (z.B. Gründung neuer Unternehmen, Restrukturierung innerhalb eines Unternehmens). Teilweise wird auch die Unvorhersehbarkeit des Verhaltens bewusst angestrebt (z.B. im Bestreben eines Unternehmens, Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu erzielen). Damit ist auch die Veränderlichkeit und (Eigen-)Dynamik ein wesentlicher Tatbestand wirtschaftlichen Handelns und folglich im Begriffsverständnis der Komplexität zu berücksichtigen.
1.2.3
Bezugsobjekte der Komplexität
Der von Willke postulierte explizite Einbezug der Beziehungen eines Systems zu seiner Umwelt erfordert die Abgrenzung zwischen System und Systemumwelt und damit eine Konkretisierung des zu betrachtenden Bezugsobjekts der Komplexität.37 Diese Konkretisierung ist über zwei Aspekte möglich: die Festlegung der Betrachtungsebene sowie die Bestimmung der Systemzugehörigkeit und -grenzen. Darüber hinaus bestehen im Fall sozialer Systeme, zu denen ein Unternehmen als Organisation zu zählen ist,38 Besonderheiten bei der Abgrenzung des Bezugsobjekts, die nachfolgend ebenfalls diskutiert werden. Unter einem System ist grundsätzlich eine Ganzheit zu verstehen, die von anderen Systemen unterschieden werden kann und die aus mehreren ebenfalls unter-
37 38
Willke bezeichnet das im Mittelpunkt der Betrachtung stehende System als „fokales System“ (vgl. Willke 2006, S. 57). Vgl. Dunn 1998; Lay 2009, S. 35. Ein soziales System ist eine Gruppe von zwei oder mehr Personen, die sich selbst als Einheit begreifen und untereinander auf eine Art und Weise interagieren, die sich von den Interaktionen mit anderen Personen unterscheidet (in Anlehnung an Lundberg 1972, S. 53).
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
11
scheidbaren Teilen besteht.39 Den dieser Begriffserklärung inhärenten Betrachtungsebenen – Ebene des Systems und Ebene der Systembestandteile – fügt Schwaninger eine dritte Ebene hinzu. Er unterscheidet Supersysteme, Systeme und Subsysteme, wobei ein System in der Regel Teil eines umfassenderen Supersystems ist und selbst wiederum aus Subsystemen besteht.40 Für das Verständnis eines Systems ist es aus zwei Gründen notwendig, sich dieser Zusammenhänge von Systemen auf verschiedenen Betrachtungsebenen bewusst zu sein: Zum einen ist das Verhalten eines übergeordneten Systems Resultat des Zusammenwirkens der Teilsysteme oder Systemelemente41 und findet somit im Verhalten der Teilsysteme oder Systemelemente zumindest teilweise eine Erklärung. Beispielsweise sind u.a. das Verhalten und die Arbeitsweise der Mitarbeiter ausschlaggebend für den Erfolg eines Unternehmens. Zum anderen ist die vom Betrachter wahrgenommene Komplexität abhängig von der Gliederungstiefe (Grobkörnigkeit) der Betrachtung.42 So erscheint bei aggregierter Betrachtung eine Branche mit wenigen konkurrierenden Unternehmen als wenig komplex. Bei detaillierter Betrachtung dagegen können Verflechtungen zwischen den Unternehmen ersichtlich werden, die die wahrgenommene Komplexität deutlich erhöhen, wie z.B. Kooperationen in bestimmten Funktionsbereichen wie F&E oder Vertrieb.43 Aussagen über die Komplexität sind daher immer nur relativ zur Betrachtungsebene möglich. Die Systemzugehörigkeit eines Elements zu einem System (oder eines Systems zu einem Supersystem) ergibt sich aus dem Zusammenwirken, das aus der Vernetztheit der Systembestandteile auf der jeweiligen Betrachtungsebene resultiert. Die Bestandteile eines Systems sind so miteinander verbunden, „dass kein Teil unabhängig ist von andern Teilen“.44 Die Eigenschaften und das Verhalten eines aus mehreren Bestandteilen gebildeten Systems sind das Ergebnis aus dem
39 40 41 42 43
44
Vgl. Ulrich/Probst 2001, S. 31. Vgl. Schwaninger 1996, Sp. 1946. Vgl. Ulrich/Probst 2001, S. 34. Als Elemente werden Subsysteme bezeichnet, die nicht weiter unterteilt werden können oder sollen (vgl. Schwaninger 2004, S. 5). Vgl. Gell-Mann 1998, S. 68 sowie auch Luczak/Fricker 1997, S. 317f.; Kirchhof 2003, S. 14. Zu so genannten „multifaceted relationships“, bei denen Unternehmen gleichzeitig z.B. in einem Konkurrenz-, einem Kunden-Lieferanten- sowie einem partnerschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, vgl. auch Dowling 1995. Ulrich/Probst 2001, S. 34.
12
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Zusammenspiel der verschiedenen Systembestandteile,45 das folglich auf einen bestimmten Zweck oder ein Ziel des übergeordneten Systems ausgerichtet ist.46 Ein Element oder System, das nicht auf andere Systeme und somit auch nicht auf das Verhalten des übergeordneten Systems einwirkt, somit also von den Systembestandteilen isoliert ist,47 wird nicht als Bestandteil dieses übergeordneten Systems angesehen. Aus der Festlegung dessen, was zum System gehört und was nicht, resultiert für das betrachtete System eine Abgrenzung (Systemgrenze) zwischen einer Innenwelt und einer Außenwelt. Die Innenwelt umfasst alle Beziehungen zwischen den Bestandteilen des Systems, die Außenwelt die externen Relationen des Systems.48 Im Fall sozialer Systeme wie Unternehmen ergeben sich zwei Besonderheiten bei der Konkretisierung des Bezugsobjekts, die das Ausmaß der Komplexität beeinflussen und Aussagen über die Komplexität erschweren. Zum einen ist bei der Abgrenzung zwischen System und Systemumwelt zu berücksichtigen, dass Systemelemente je nach Problemstellung und Blickwinkel u.U. gleichzeitig Bestandteil des fokalen sowie anderer Systeme in der Systemumwelt sind, „denn sie gehören nie „mit Haut und Haaren“, sondern nur in bestimmten Hinsichten, mit bestimmten Rollen, Motiven und Aufmerksamkeiten dem System zu“.49 Am Beispiel eines Unternehmens ist dies der Fall, wenn ein Mitarbeiter ehrenamtlich
45
46 47
48
49
Die Eigenschaften eines Bestandteils ergeben sich u.a. aber auch aus dessen Zugehörigkeit zum System und der Funktion, die es im System erfüllt, da es durch das Zusammenwirken im System von anderen Systembestandteilen beeinflusst wird. Ulrich und Probst veranschaulichen dies am Beispiel eines Motors, der erst durch das Zusammenspiel mit z.B. Getriebe und Rädern seine Eigenschaft als Antriebsquelle eines PKW erhält (vgl. Ulrich/Probst 2001, S. 35). Vgl. auch Ulrich 2001, S. 144ff.; Burianek et al. 2007, S. 9. Eine hiermit zusammenhängende Unterscheidung ist die geschlossener und offener Systeme (vgl. von Bertalanffy 1971, S. 38ff.; Schwaninger 2004, S. 14), die nach Luhmann einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Systemtheorie darstellt (vgl. Luhmann 2006, S. 37). Während geschlossene Systeme in keiner Austauschbeziehung zu anderen Systemen stehen, werden offene Systeme von der Umwelt beeinflusst und wirken selbst wiederum auf die Umwelt ein (vgl. Ulrich/Probst 2001, S. 51f.). Luhmann vertritt die Auffassung, dass kein System ohne Umwelt bestehen kann (vgl. Luhmann 2006, S. 37). Vgl. Willke 2006, S. 58f. Willke unterscheidet dabei drei Arten externer Relationen: die des Systems zu anderen Teilsystemen eines gemeinsamen Supersystems, die des Systems zum Supersystem selbst sowie die indirekten Beziehungen des Systems zu anderen Systemen, mit denen das Supersystem in Verbindung steht. Willke 2006, S. 57.
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politisch oder gesellschaftlich aktiv ist und so in verschiedenen Situationen unterschiedliche Rollen auch in anderen Systemen – im Beispiel als Mitglied einer unternehmensexternen Anspruchsgruppe – einnimmt. Zum anderen wird die exakte Abgrenzung eines sozialen Systems durch die Koexistenz offizieller und inoffizieller Systeme erschwert.50 Während das offizielle soziale System, wie beispielsweise ein Unternehmen als Organisation, bewusst gestaltet wird hinsichtlich der Systembestandteile (z.B. Abteilungen und Mitarbeiter) und deren Verknüpfungen (z.B. formal festgelegte Prozesse oder Informationswege im Unternehmen), entsteht das inoffizielle soziale System (Schattensystem) informell und spontan aus der Eigendynamik des Systems. In Unternehmen bilden sich z.B. informelle Kommunikationswege zwischen Abteilungen oder Mitarbeitern heraus oder Mitarbeiter entwickeln Verhaltensweisen, die nicht primär dem Zweck des Systems, sondern individuellen Zielsetzungen dienen. Informelle Systeme bestehen allerdings nicht nur innerhalb des offiziellen Systems; aufgrund der unterschiedlichen Rollen, die Elemente in verschiedenen Systemen gleichzeitig einnehmen können, haben auch Systembestandteile eigene Umweltbezüge, die ebenfalls inoffiziellen Charakter einnehmen können.51 Wie die Ausführungen zur Betrachtungsebene und Systemzugehörigkeit verdeutlichen, ist die Konkretisierung eines Systems kontextabhängig.52 Daher ist in Abhängigkeit einer Problemstellung zu bestimmen, auf welcher Ebene System und Umwelt abzugrenzen sind und welche Bestandteile (Teilsysteme, Elemente) zum betrachteten System zählen. Für die Analyse eines Systems und seiner Wirkungszusammenhänge ist daher auch immer eine Bestimmung der Problemsituation entscheidend.53 Da in der Betriebswirtschaftslehre die analytische Durchdringung einer Unternehmung im Vordergrund steht,54 ist es konsequent, den Betrieb bzw. das Unternehmen als Bezugsobjekt in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.55 Von dieser Betrachtungsebene aus stellen die Branche, die Gesamtwirt50 51 52 53 54 55
Vgl. Stacey 1997, S. 3ff. Stacey spricht anstelle von sozialen Systemen von menschlichen Organisationssystemen bzw. menschlichen Netzwerken. Vgl. Willke 2006, S. 58. Vgl. Ulrich/Probst 2001, S. 36, 51; Willke 2006, S. 23, 57; in Bezug auf die Kontextabhängigkeit der Komplexitätsdefinition vgl. auch Gell-Mann 1998, S. 72f. Vgl. Probst/Gomez 1989a, S. 7. Vgl. Schumann/Meyer/Ströbele 2007, S. 3. Wöhe nennt den Betrieb, dem der Begriff Unternehmen subsumiert wird, eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, deren „Probleme und Sachverhalte zu komplex sind,
14
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
schaft und die Gesellschaft die Systemumwelt dar, von der sich das Unternehmen anhand seiner angestrebten Funktionserfüllung abgrenzt,56 mit der es aber sowohl auf der Input- (Material, Informationen u.a.m.) als auch der Outputseite (Produkte, Dienstleistungen, aber auch Umweltverschmutzung) in vielfältigen Interdependenzen (z.B. zu anderen Unternehmen oder Anspruchsgruppen wie der Öffentlichkeit und Kunden) steht.57 Das System Unternehmen wiederum besteht aus einer Menge an Teilsystemen wie z.B. Standorten, Funktionen, Abteilungen u.a.m., die über Prozesse in verschiedenen wechselseitigen Beziehungen (Interdependenzen) zueinander stehen und gemeinsam die Ziele des Unternehmens als Gesamtsystem anstreben. Die Teilsysteme lassen sich weiter differenzieren bis auf die Ebene einzelner Elemente, wie z.B. Mitarbeiter, einzelne Aktivitäten oder zu erfüllende Aufgaben.58 Das Unternehmen ist als soziales System einzuordnen, das aus einer Vielzahl an Personen besteht, deren Interaktionen untereinander sich anhand ihrer Ausrichtung an den spezifischen Zielen des Unternehmens von den Interaktionen gegenüber Dritten unterscheiden lassen. Schwierigkeiten bei der genauen Beschreibung des Systems „Unternehmen“ ergeben sich aus eventuell bestehenden Schattensystemen, z.B. in Form von im Unternehmen auftretenden Subkulturen, die nicht mit der offiziellen Unternehmenskultur konsistent sind, oder in Form von inoffiziellen und informellen internen und externen Beziehungen der Mitarbeiter oder Abteilungen, die zwar zum Funktionieren und Verhalten des Unternehmens beitragen, aber schwer erfassbar sind.
1.2.4
Erscheinungsformen der Komplexität
Komplexität in Unternehmen tritt in verschiedensten Formen und -ausprägungen in Erscheinung. In der Literatur wird in Abhängigkeit des jeweiligen Betrach-
56 57
58
als daß sie von einer einzigen wissenschaftlichen Disziplin erforscht werden könnten“ (vgl. Wöhe/Döring 2008, S. 2). Aufgrund der Kontextabhängigkeit des Komplexitätsphänomens kann es durchaus auch sinnvoll sein, ein Subsystem des Unternehmens als fokales System festzulegen (vgl. z.B. die Untersuchung von Auftragsabwicklungsprozessen bei Raufeisen 1997; Raufeisen 1999). Vgl. Bliss 2000, S. 129. Vgl. Schwaninger 1996, Sp. 1951; Willke 2006, S. 59. Zur Frage, inwieweit der Kunde – zumindest im Dienstleistungskontext der vorliegenden Arbeit – als Bestandteil des Systems Unternehmen anzusehen ist, vgl. auch Fußnote 123. Vgl. ähnlich auch Ulrich/Probst 2001, S. 31.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
15
tungsgegenstandes eine Vielzahl solcher Erscheinungsformen der Komplexität besprochen. Unterscheiden lassen sich dabei für ein Unternehmen als Bezugsobjekt im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang objektive Formen der Komplexität, die auf die Menge und Heterogenität an Elementen des Systems „Unternehmen“ sowie deren Interdependenzen und Veränderlichkeit zurückzuführen sind (vgl. nachfolgenden Abschnitt 1.2.4.1), sowie die subjektive Komplexität, die die von Personen wahrgenommene Komplexität widerspiegelt, die in oder mit dem System „Unternehmen“ interagieren (vgl. Abschnitt 1.2.4.2).59 Ein grundlegendes Problem bei der Beschreibung von Formen der Komplexität liegt in der Schwierigkeit der Differenzierung zwischen Komplexität und den für die Komplexität als ursächlich anzusehenden Komplexitätstreibern. Aufgrund der vielfältigen Interdependenzen, die ein Charakteristikum der Komplexität sind, treten zirkuläre Kausalitätsketten auf, die dazu führen, dass Komplexitätsphänomene häufig selbst wieder Komplexitätstreiber darstellen.60 So kann beispielsweise eine Aufgabe objektiv komplex sein und damit einen Einfluss auf die Höhe der subjektiv wahrgenommenen Komplexität haben. Umgekehrt kann die Komplexität der Aufgabe aber auch dadurch zunehmen, dass ein Mitarbeiter sie als komplex wahrnimmt, überfordert ist und unnötige Doppelarbeiten leistet oder die Aufgabe zur Sicherheit mit Feedbackschleifen zusätzlich „verkompliziert“. Daher ist bei jeder Erscheinungsform der Komplexität immer zu berück59
60
Für die Begriffe der objektiven und subjektiven Komplexität werden in der Literatur auch andere Formulierungen verwendet. Wildemann unterscheidet zwischen zum einen struktureller und informations-/kommunikationsbedingter sowie zum anderen individueller Komplexität (vgl. Wildemann 2008a, S. 368). Bliss nennt die objektive Komplexität intrinsisch, da diese eine dem System innewohnende Eigenschaft ist. Die bei einer Betrachtung des Systems beobachtete Komplexität nennt er extrinsisch, da sie zwar abhängig von der extern gewählten Betrachtungsebene (Grobkörnigkeit, vgl. auch Abschnitt 1.2.3) und damit relativ bzw. reflexiv ist, aber nicht subjektiv (vgl. Bliss 2000, S. 120f.). Kirchhof hält dem entgegen, dass die Unterscheidung zwischen in- und extrinsisch nur sinnvoll sei, solange der Betrachter nicht selbst Teil des Systems ist, da ansonsten die aus der wahrgenommenen Komplexität resultierenden Handlungen in das System einfließen (vgl. Kirchhof 2003, S. 12, dort insb. Fußnote 43). Dieser Auffassung wird hier gefolgt, da in Unternehmen die Handlungen von Führungskräften und Mitarbeitern u.a. durch deren Komplexitätswahrnehmung beeinflusst werden. Kirchhof selbst verwendet für die objektive Komplexität den Begriff strukturelle Komplexität, da diese aus der Struktur des Systems resultiert. Die subjektive Komplexität nennt er funktionale Komplexität, da diese sich aus aktiver Verrichtung (der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Funktion) i.S.v. Wahrnehmung, Entscheidung und Handlung ergibt (vgl. insb. Kirchhof 2003, S. 15, dort Fußnote 63). Vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 98.
16
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
sichtigen, dass sie zugleich Ursache anderer Komplexitätsformen sein kann.61 Im Folgenden wird daher nicht zwischen Komplexitätstreibern und Komplexität als deren Folge unterschieden, sondern allgemein von Komplexitätsformen und -ausprägungen gesprochen, der Begriff Komplexitätstreiber ist dazu synonym zu verstehen.
1.2.4.1 Objektive Formen der Komplexität in Unternehmen In Analogie zur Abgrenzung zwischen System und Umwelt besteht aus Unternehmenssicht eine erste Unterscheidung zwischen Formen der externen und internen Komplexität.62 Duncan definiert das externe Umfeld eines Unternehmens als die Gesamtheit der Faktoren, die das Unternehmen bei Entscheidungen berücksichtigt und unterteilt dieses Umfeld auf Basis von empirischen Erkenntnissen in die Bereiche Abnehmer, Zulieferer, Konkurrenz, Gesellschaft und Politik sowie Technologien.63 Die externe Komplexität, mit der ein Unternehmen konfrontiert wird, lässt sich entsprechend in diesen Bereichen identifizieren:64
61
62 63 64
65
Die Nachfragekomplexität umfasst z.B. Aspekte wie die Vielzahl, Vielfalt und Dynamik von Nachfragern, kundenseitigen Anforderungen und Nachfragemengen, kann darüber hinaus auch in der Unterschiedlichkeit verschiedener (Länder-)Märkte begründet sein.65
In der Literatur erfolgt daher auch häufig eine Darstellung der nachfolgend angesprochenen Komplexitätsformen als Komplexitätstreiber (vgl. z.B. Reiners/Sasse 1999, S. 225; Bliss 2000, S. 5ff.; Wildemann 2008a, S. 364ff.). Vgl. z.B. Picot/Freudenberg 1998, S. 70; Wildemann 2008a, S. 364ff. Im Marketingkontext vgl. z.B. Meffert 2000, S. 1033. Vgl. Duncan 1972, S. 314f. Bei den nachfolgenden Nennungen von Komplexitätsformen werden die in der Literatur diskutierten Formen so umfassend wie möglich dargestellt. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Komplexitätsphänomens sowie der Abhängigkeit vom Betrachtungsgegenstand wird dabei allerdings kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Vgl. Homburg 1998, S. 171; Wildemann 1999, S. 32; Bliss 2000, S. 5; Lasch/Gießmann 2009, S. 201. Homburg unterscheidet die Konstrukte der Marktkomplexität und der Marktdynamik, die nach dem Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit beide Aspekte der Komplexität sind. Die Marktkomplexität und -dynamik umfassen bei Homburg Indikatoren zur Nachfrage- und zur Wettbewerbssituation (vgl. Homburg 1998, S. 171).
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66 67 68 69 70 71
17
Zur externen Komplexität zählt bei Berücksichtigung aller relevanten Märkte66 auch die Beschaffungsmarktkomplexität, die sich aus der Struktur und Dynamik der Lieferantenmärkte, aber auch beispielsweise aus der Verfügbarkeit von Ressourcen und dem Wettbewerb um diese ergibt.67 Wettbewerbskomplexität besteht in der Intensität und Dynamik des Wettbewerbs, z.B. durch eine hohe Anzahl an konkurrierenden Unternehmen infolge der Deregulierung von Märkten und zunehmender Internationalisierungstendenzen.68 Darüber hinaus ist für eine Abbildung des Unternehmensumfelds auch die Komplexität des gesellschaftlichen Umfelds zu nennen. Diese kann sich z.B. in der Zahl und Vielfalt gesellschaftlicher Anspruchsgruppen (Verbände, Gemeinden, Umweltschutzvereine u.a.m.) oder in rechtlichen Anforderungen an das Unternehmen in den Ländern der Geschäftstätigkeit äußern. Der gesellschaftliche Wertewandel ist als dynamischer Komplexitätsaspekt des gesellschaftlichen Umfelds zu interpretieren.69 Die technologische Komplexität bezeichnet die technologischen Gegebenheiten des Unternehmensumfelds. Sie äußert sich z.B. in der Technologiedynamik – hierzu zählen z.B. schnelle Entwicklungen von Informations- und Kommunikationstechnologien und das Zusammenwachsen bisher getrennter Technologien70 –, aber auch in der Anzahl und Unterschiedlichkeit verwendeter oder verfügbarer Technologien.71
Die Berücksichtigung auch der Beschaffungsmärkte sowie gesellschaftlicher Anspruchsgruppen entspricht der Idee des „Total Marketing“ (vgl. Meffert 2000, S. 27). Vgl. z.B. Sharfman/Dean 1991, S. 683ff. und die dort zitierten Studien, die die Ressourcenverfügbarkeit als Bestandteil der Unternehmensumwelt konzeptualisieren. Vgl. Picot/Freudenberg 1998, S. 70; Bliss 2000, S. 5; ähnlich auch Homburg 1998, S.171. Vgl. z.B. Lasch/Gießmann 2009, S. 201. Vgl. Picot/Freudenberg 1998, S. 70; Bliss 2000, S. 5. Vgl. Scheiter/Scheel/Klink 2008, S. 3. Je nachdem, welche Technologie betrachtet wird, lässt sich die technologische Komplexität auch der Wettbewerbs- oder Nachfragekomplexität zuordnen. Handelt es sich beispielsweise um die Konvergenz von Technologien (vgl. z.B. Hug 1993, S. 46; Bliss 2000, S. 5), die das Zusammenwachsen bisher getrennter Märkte zur Folge hat (z.B. die Verschmelzung von Internet- und Kommunikationstechnologien sowie audiovisueller Unterhaltungsmedien), lässt sich die Dynamik als Aspekt der Nachfragekomplexität verstehen. Betrifft sie dagegen Entwicklungen im Bereich der Verfahrenstechnologie, die eine schnellere oder effizientere Produktion ermöglichen und damit die Grundlage für Wettbewerbsvorteile
18
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Unternehmensinterne Komplexität resultiert aus der Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Veränderlichkeit von Elementen auf verschiedenen Dimensionen.72 Die zentralen Formen bestehen dabei in der Organisations- und Prozesskomplexität, der Leistungsprogramm- und Produktkomplexität, der Ziel-, Aufgaben- und Koordinationskomplexität sowie der Kundenstrukturkomplexität:
72 73 74
75 76 77
Die Organisationskomplexität ergibt sich aus der Ausdifferenzierung im Unternehmen auf vier Dimensionen: der räumlichen, der hierarchischen, der funktionalen („departmentation“) sowie der fachlichen („role specialization“) Differenzierung.73 Dementsprechend lässt sich Organisationskomplexität über die Anzahl und Vielfalt an organisatorischen Elementen (Stellen, Abteilungen, Standorten, Hierarchieebenen u.a.m.) oder den Grad der Arbeits- oder Verantwortungsteilung definieren.74 Auch finden sich Begriffsauffassungen, die die Fragmentierung der Unternehmensprozesse, über die diese Einheiten zueinander in Verbindung stehen, in den Mittelpunkt stellen.75 In engem Zusammenhang zur Organisationskomplexität steht daher auch die Form der Prozesskomplexität. Ein beide Aspekte integrierendes Begriffsverständnis wendet Wildemann an, der sowohl die Aufbau- als auch die Ablauforganisation als Treiber der so genannten strukturellen Komplexität ansieht.76 Aus der Spezialisierung und Arbeitsteilung im Unternehmen, die sich in der Aufbauorganisation widerspiegelt, ergibt sich auch eine Fragmentierung der Prozesse, so dass diese sich aus einer Vielzahl von Prozesselementen und -schritten zusammensetzen und die Komplettbearbeitung der Prozesse durch einzelne Personen oder Abteilungen gering ausfällt. Zwischen den Bearbeitungsschritten entsteht eine Vielzahl von Schnittstellen.77
schaffen, kann die technologische Komplexität der Wettbewerbsdynamik zugerechnet werden. Vgl. z.B. Wildemann 2005, S. 34. Vgl. Damanpour 1996, S. 695f. Vgl. z.B. Kirchhof 2003, S. 40; Lasch/Gießmann 2009, S. 201. Vgl. zur Bedeutung der Hierarchieebenen für die organisatorische Komplexität Durand/Vargas 2003, S. 669 i.V.m. Greenwood/Deephouse/Li 2007, S. 225 und zur geografischen Ausbreitung mit verschiedenen Standorten Greenwood/Deephouse/Li 2007, S. 225. Vgl. z.B. Bliss 2000, S. 7. Vgl. Wildemann 1998, S. 50. Vgl. Raufeisen 1997, S. 126, 133f.; Bliss 2000, S. 7.
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78
79
80 81 82 83
19
Die Leistungsprogrammkomplexität kommt in der Breite und Tiefe des Leistungsprogramms zum Ausdruck.78 Die Breite des Angebots ergibt sich aus der Zahl der zur Befriedigung unterschiedlicher Kundenbedürfnisse angebotenen verschiedenen Leistungskategorien, die Tiefe des Angebots aus angebotenen Leistungsvarianten innerhalb dieser Kategorien.79 Eine besonders hohe Komplexität des Leistungsprogramms besteht beim Angebot individueller Produkte oder Dienstleistungen.
Die Produktkomplexität ergibt sich aus dem Produktkonzept und der darin festgelegten Anzahl und Unterschiedlichkeit der Produkteigenschaften sowie entsprechender Materialien, Teile und Module oder Komponenten.80 Die Dienstleistungskomplexität wird entsprechend bestimmt durch die Anzahl und Heterogenität verschiedener Teilleistungen sowie – aufgrund der Bedeutung menschlicher Arbeitskraft als Inputfaktor bei Dienstleistungen – der an der Leistungserbringung beteiligten Mitarbeiter.81
Mit der Zielkomplexität wird die i.d.R. unvermeidliche gleichzeitige Berücksichtigung mehrerer, teilweise konfligierender Ziele umschrieben,82 die auf Unternehmens-, Abteilungs- und auch Mitarbeiterebene anzutreffen ist. In Verbindung mit einer Mehrzahl alternativer Vorgehensweisen zur Erreichung dieser Ziele sowie Unsicherheit bezüglich der Zielerreichung ergibt sich die Aufgabenkomplexität.83 Nach Art der Tätigkeiten kann dabei unterschieden werden zwischen der Komplexität ausführender Tätigkeiten, z.B. im Rahmen der Leistungserstellung, und der Komplexität dispositiver Tätigkeiten der Leitung, Pla-
Vgl. Cummings 1991, S. 60; Schweikart 1997, S. 64; El Hage/Weigelt 2007, S. 18. In der Literatur wird auch der Begriff der Variantenkomplexität verwendet (vgl. z.B. Adam 1998, S. 36). Vgl. zur Breite und Tiefe des Leistungsprogramms Bruhn/Hadwich 2006, S. 23. Rathnow nennt zudem auch eine rein immaterielle Leistungsdifferenzierung, also beispielsweise das Angebot identischer Leistungen unter verschiedenen Markennamen, als Komplexitätsursache (vgl. Rathnow 1993, S. 8). Vgl. Child et al. 1991, S. 53ff.; Adam/Rollberg 1995, S. 667; Friedl 1999, S. 288; Bliss 2000, S. 6. Vgl. Kebbel 2000, S. 38f.; Homburg/Kebbel 2001, S. 480f. sowie auch Benkenstein/Güthoff 1996, S. 1500ff. Vgl. Adam 1998, S. 33ff. Vgl. Campbell 1988, S. 43.
20
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen nung, Organisation und Kontrolle der Abläufe.84 Die infolge der verschiedenen Komplexitätsformen im Unternehmen bestehende Komplexität dieser steuernden Tätigkeiten wird auch als Koordinationskomplexität bezeichnet.85
Aus den leistungsbezogenen Beziehungen des Unternehmens zu den Absatzmärkten ergibt sich mit der Kundenstrukturkomplexität eine weitere Form interner Komplexität. Diese besteht in der Anzahl und Unterschiedlichkeit – z.B. hinsichtlich der Bedürfnisse – bestehender Kundengruppen.86 Die Kundenstrukturkomplexität wird in der Literatur zwar explizit als interne Komplexitätsform genannt, allerdings zur externen Nachfragekomplexität nicht klar abgegrenzt. Während letztere die allgemeine Situation des Absatzmarktes umschreibt, bezieht sich erstere auf die bestehenden Kunden des betrachteten Unternehmens. Die Kundenstrukturkomplexität ist als interne Komplexitätsform einzuordnen, da es eine Entscheidung des Unternehmens ist, welche und wie viele Kundensegmente abgegrenzt und bearbeitet werden.87
Weitere in der Literatur diskutierte interne Komplexitätsformen, die als Folge der bereits genannten Formen interpretiert werden können, sind die Produktionsprogramm-, die interne technologische Komplexität sowie die Beschaffungskomplexität:
84 85 86 87 88
Die Produktionsprogrammkomplexität ist das Resultat der Leistungsprogramm- und Produktkomplexität in Verbindung mit der Wertschöpfungstiefe eines Unternehmens: Das Produktionsprogramm ist umso komplexer, je größer die Menge und Vielfalt der Produkte, Produktteile und -module, die das Unternehmen selbst erstellt.88
Vgl. zur Unterscheidung der dispositiven und der ausführenden Arbeit als betriebliche Produktionsfaktoren z.B. Wöhe/Döring 2008, S. 36. Vgl. zum Wandel der Koordinationsaufgabe infolge von Komplexität Adam 1998, S. 7ff. Vgl. Child et al. 1991, S. 53ff.; Adam 1998, S. 35f.; Bliss 2000, S. 6; Faller/Kracht 2006, S. 79; Wildemann 2008a, S. 365. Vgl. ausführlich zum Begriff der Kundenstrukturkomplexität sowie deren Abgrenzung Abschnitt 3.3.1.3. Vgl. Adam/Rollberg 1995, S. 667; Friedl 1999, S. 288; Bliss 2000, S. 6. Im Produktionsprogramm wird die Art und Menge der in einer bestimmten Periode zu erstellenden Produkte festgelegt (vgl. o.V. 2010e, S. 2449).
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
21
In der Kategorie der internen technologischen Komplexität lassen sich die im Unternehmen eingesetzten Technologien zusammenfassen. Die Komplexität der bei der Leistungserstellung eingesetzten Technologien – z.B. die Komplexität des Fertigungssystems – wird dabei als Folge der Variantenvielfalt (Leistungsprogrammkomplexität) angesehen.89 Zudem erfordert die arbeitsteilige Aufbau- und Ablauforganisation Abstimmungsbedarf zwischen Abteilungen und Mitarbeitern. Der hieraus entstehende Informations- und Kommunikationsbedarf wird durch entsprechende Technologien gedeckt. Die Komplexität des Technologieeinsatzes ergibt sich aus der zu bewältigenden Daten- und Informationsmenge, der Zahl und Heterogenität an erforderlichen und eingesetzten Technologien sowie Medienbrüchen und Schnittstellen zwischen verschiedenen Technologien und Systemen.90
In der Literatur wird in Zusammenhang mit der externen Beschaffungsmarktkomplexität allgemeiner auch von der Beschaffungskomplexität gesprochen, die neben der Anzahl an Lieferanten des Unternehmens auch durch die Beschaffungsstrategie, die Anzahl und Heterogenität der Beschaffungsgüter sowie durch interne Bedarfsschwankungen bestimmt wird.91 In Analogie zur Kundenstrukturkomplexität ist auch bezüglich der Beschaffungskomplexität eine Einordnung als interne Komplexitätsform sinnvoll, da die Art der Beschaffung (z.B. Single vs. Multiple Sourcing) eine Entscheidung des Unternehmens ist und von internen Faktoren determiniert wird.
Im Zusammenhang mit der Darstellung externer und interner Komplexität wird in der Literatur gelegentlich die Annahme getroffen, dass die externe Komplexität für Unternehmen eine feste Gegebenheit darstellt.92 Dieser Ansicht kann nicht grundsätzlich gefolgt werden, da Unternehmen in ihrer strategischen Ausrich89 90 91
92
Vgl. hierzu Adam 1998, S. 36f.; Adam/Johannwille 1998, S. 8. Vgl. Becker/Rosemann 1998, S. 112f.; Wildemann 2008a, S. 367f. Vgl. Wildemann 1999, S. 39ff.; Kirchhof 2003, S. 39; Lasch/Gießmann 2009, S. 201f. Die Komplexität der Lieferantenstruktur wird in der Literatur häufig nur ohne nähere Erläuterungen genannt (vgl. z.B. Reiners/Sasse 1999, S. 224f.; Faller/Kracht 2006, S. 79; indirekt über die Koordination der Beschaffung in Verbindung mit hoher Teilezahl auch Adam 1998, S. 36). Zur Lieferantenstruktur vgl. z.B. Müller/Riedel/Neumann 2008, S. 21 sowie zu deren Dynamik und Komplexität z.B. Möller 2002, S. 645; o.V. 2004, S. 33. Allgemein zur Komplexität in Supply Chains vgl. z.B. Geimer 2005; Klaus 2005; Rall et al. 2006. Vgl. z.B. Picot/Freudenberg 1998, S. 70.
22
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
tung häufig gerade versuchen, nicht lediglich auf die Marktgegebenheiten zu reagieren, sondern die Entwicklung der Märkte aktiv zu gestalten. Auch Darstellungen, die suggerieren, dass ein Einfluss lediglich von der externen Komplexität auf die interne Komplexität des Unternehmens ausgeht und nicht umgekehrt,93 sind folglich nicht zutreffend. Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten beeinflusst auch die Unternehmenskomplexität das Umfeld, da Unternehmen in Abhängigkeit ihrer Komplexität unterschiedliche Aktions- und Reaktionsspielräume aufweisen, was die Dynamik und damit die Komplexität der Märkte maßgeblich beeinflusst.94
1.2.4.2 Subjektive Komplexität Während die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen objektiven Formen der Komplexität primär objektbezogene Aspekte des Komplexitätsphänomens abbilden, bezieht die subjektive Komplexität die Perspektive der Personen mit ein, die sich mit der objektiven Komplexität auseinandersetzen. In einer subjektivistischen Definition können Systeme als „zusammenhängender Satz von Variablen im Geiste eines Beobachters“95 aufgefasst werden. Der Psychologe Dörner definiert entsprechend auch die Komplexität als subjektive Größe: Die Wahrnehmung, ob eine Situation komplex ist oder nicht, hängt von der Person ab, die mit der Situation konfrontiert wird. Die Höhe der wahrgenommenen Komplexität wird bestimmt von der Erfahrung und dem Wissen des jeweiligen Akteurs, so dass es „die eine“ Komplexität eines Systems nicht gibt, sondern Komplexität als Resultat der Beziehung zwischen System und Beobachter interpretiert werden kann.96 Komplexität ergibt sich somit nicht nur aus objektiven Eigenschaften, 93 94
95 96
Vgl. z.B. Reiners/Sasse 1999, S. 224. Wollin und Perry definieren Märkte als komplexe adaptive Systeme aus einer Vielzahl interdependenter Unternehmen und Akteure, die in den Markt und sein weiteres Umfeld eingreifen. In der Folge stellen sie fest: „[A]ny order emerges from their collective and individual interactions rather than being imposed externally” (Wollin/Perry 2004, S. 562). Schwaninger 1996, Sp. 1946; vgl. auch Weinberg 2001, S. 52ff. Vgl. Stüttgen 1999, S. 22; Dörner 2001, S. 61f.; Moldoveanu 2004, S. 11. Zur Subjektivität der Wahrnehmung vgl. auch Weinberg 2001, S. 51ff. Achrol und Stern stellen fest, dass auch Unternehmen die Unsicherheit ihres Umfelds unterschiedlich wahrnehmen (vgl. Achrol/Stern 1988, S. 37). Von Foerster veranschaulicht die Abhängigkeit der Wahrnehmung von Fähigkeiten und Wissen des Betrachters anhand der Zahlenreihen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9) und (8, 5, 4, 9, 1, 7, 6, 3, 2). Ohne das Wissen, dass die zweite Folge alphabetisch nach den zugehörigen Worten (eight, five, four usw.) sortiert ist, erscheint sie dem Betrachter als komplex (vgl. von Foerster 1977,
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23
sondern auch aus subjektiven Wahrnehmungen.97 Allerdings beschränkt sich die subjektive Komponente der Komplexität nicht nur auf die abstrakte Betrachtung eines Systems als Ganzes, sondern betrifft auch die Wahrnehmung einzelner Tätigkeiten und Aufgaben.98 Die Bedeutung der subjektiven Komplexität für betriebswirtschaftliche Fragestellungen ergibt sich aus der Tatsache, dass Entscheidungen im Unternehmen i.d.R. von einzelnen Personen oder Gruppen von Personen getroffen werden, die – da die in der klassischen Entscheidungstheorie getroffene Annahme vollständiger Informationen in der Realität selten erfüllt ist99 – als Entscheidungsgrundlage auf ihre Wahrnehmung und Einschätzung der Situation zurückgreifen (müssen). Zusätzlich zu diesem für komplexe Situationen typischen Mangel an Informationen unterliegen Entscheidungen einer eingeschränkten Informationsverarbeitungskapazität der Entscheider.100 In Abhängigkeit der Wahrnehmung der Ausgangslage – also der Problemstellung und deren komplexer Zusammenhänge und Auswirkungen – werden die involvierten Personen sich unterschiedlich verhalten (z.B. die Entscheidung vorschnell treffen oder verzögern, weitere Informationen sammeln101 u.a.m.) und nicht zwangsläufig eine optimale Entscheidung treffen. Die Wirkungen, die die subjektive Wahrnehmung der Kom-
97
98 99 100
101
S. 106ff.). Die Subjektivität von Komplexitätsdefinitionen bringt auch der PhysikNobelpreisträger Gell-Mann zum Ausdruck, der die Länge der Beschreibung eines Systems als ein mögliches Maß für dessen Komplexität ansieht. Diese Länge der Beschreibung hängt aber vom Beobachter – z.B. dessen verfügbarem Wortschatz – ab und „ist keine dem beschriebenen Objekt innewohnende Eigenschaft“ (Gell-Mann 1998, S. 72). Vgl. Bronner 1992, Sp. 1122. Otto unterscheidet zwischen dem Komplexitätsbeitrag eines Modells (Anzahl an Komponenten, deren Zustände und gegenseitige Beeinflussung) und dem Komplexitätsbeitrag des Betrachters (Fähigkeit des Betrachters, das Modell zu erfassen und zu verstehen; vgl. Otto 1995, S. 14). Vgl. Campbell 1988, S. 45. Vgl. Adam 1997, S. 34. Vgl. Malik 2008, S. 234. Reiß verwendet den Begriff der Komplexitätskompetenz, die die Fähigkeit des Umgangs mit Komplexität zum Ausdruck bringt, und stellt fest, dass die subjektive Komplexitätswahrnehmung im Extremfall auch die Leugnung von Komplexität umfasst. Nach Auffassung des Autors können diese Fähigkeiten als menschliche oder auch als maschinelle Kompetenzen auftreten (vgl. Reiß 1993b, S. 57). Krcmar unterscheidet zwischen objektivem Informationsbedarf, der für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist, und subjektivem Informationsbedarf aus Sicht des Aufgabenträgers, der seine Ursache z.B. in mangelnder Strukturiertheit der Aufgabe oder in persönlichen Faktoren des Aufgabenträgers hat (vgl. Krcmar 2003, S. 50ff.).
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Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
plexität mit sich bringen kann, umfassen entsprechend ein weites Spektrum von z.B. unverhältnismäßig hohem Aufwand der Informationsbeschaffung bis hin zu den Folgen einer größeren unternehmerischen Fehlentscheidung. Als Treiber der subjektiven Komplexität nennt Wildemann die Art der Tätigkeiten oder Problemstellungen sowie deren Neuigkeitsgrad in Verbindung mit Emotionen, der Motivation, dem Erinnerungsvermögen und dem Arbeitsklima.102 Wildemann thematisiert bezüglich der Art der Tätigkeit lediglich sehr allgemein den Zeitbedarf sowie den Neuigkeitsgrad der Aufgaben als relevante Wahrnehmungsdimensionen. Grundsätzlich ist aber anzunehmen, dass die verschiedenen Problemstellungen und Aufgaben im Unternehmen von sämtlichen Formen interner und externer Komplexität beeinflusst werden. Daher hängt die Qualität der Arbeitsleistung von der von Mitarbeitern wahrgenommenen Komplexität der jeweils für die Tätigkeit relevanten Komplexitätsformen sowie der Fähigkeit ab, mit dieser Komplexität umzugehen. Beispielsweise wird die Komplexität des Leistungsprogramms in Kombination mit der Fähigkeit eines Kundenkontaktmitarbeiters, diese zu erfassen und zu verstehen, einen Einfluss auf die Qualität der Kundenberatung haben. Neben der internen subjektiven Komplexität ist zudem die externe Wahrnehmung des Unternehmens bzw. dessen Komplexität von Relevanz. Beispielsweise bestimmt die Komplexitätswahrnehmung durch Kunden deren Verhalten.103 Gerade im Dienstleistungskontext nimmt der Kunde durch seine Einbindung in die Leistungserstellung häufig nicht nur das Endprodukt und dessen Komplexität wahr, sondern auch das Unternehmen, dessen Mitarbeiter und Prozesse, was einen wichtigen Faktor beim Ablauf und Gelingen der Dienstleistungsprozesse darstellen kann.
1.2.5
Wirkungen der Komplexität
Ihre betriebswirtschaftliche Relevanz erhält die Komplexität v.a. aufgrund der mit ihr verbundenen ökonomischen Wirkungen in Form von Kosten und Nutzen. Komplexitätskosten lassen sich definieren als der Faktorverbrauch, der infolge der Komplexität (z.B. Vielzahl und Vielfalt der Produkte oder Dienstleis-
102
103
Vgl. Wildemann 2008a, S. 368. Wildemann verwendet den Begriff der individuellen Komplexität (vgl. zu verschiedenen Begrifflichkeiten zur subjektiven Komplexität Fußnote 59). Vgl. hierzu z.B. die Arbeiten von Güthoff (1995) und Kebbel (2000).
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tungen sowie der hierfür erforderlichen Prozesse und Potenziale104) sowie bei der Steuerung und Lenkung eines komplexen Unternehmens entsteht.105 Diese Kosten sind gekennzeichnet durch folgende Charakteristika:106
104 105 106 107
Funktionsübergreifende Kostenwirkungen: Analog zu den Komplexitätswirkungen treten auch die Komplexitätskosten überall im Unternehmen auf und lassen sich nicht einer bestimmten Unternehmensfunktion zuordnen. Zugleich besteht i.d.R. das Problem des Auseinanderfallens von Komplexitätsverursachung und Kostenanfall (z.B. hat die Einführung einer neuen Leistungsvariante im Marketing Kostenwirkungen in der Beschaffung von Inputfaktoren für diese Leistung).
Zeitverzögerte Kostenwirkungen: Zunehmende Komplexität kann bis zu einem bestimmten Ausmaß durch die bestehenden personellen und technologischen Kapazitäten getragen werden. Somit treten u.U. Kostenwirkungen durch eine Kapazitätserweiterung – z.B. Einstellung weiterer Mitarbeiter im dispositiven Bereich oder die Einführung leistungsfähigerer EDV-Systeme – erst wesentlich später auf, als die Zunahme der Komplexität, die diese mit verursacht hat.107
Asymmetrisch dynamisches Verhalten: Die Kostenwirkungen von Komplexitätserhöhung und -reduktion sind häufig nicht symmetrisch, d.h., der Kostenanstieg durch die Erhöhung lässt sich nicht durch eine entsprechende Reduktion der Komplexität im gleichen Ausmaß rückgängig machen. Es tritt eine so genannte Kostenremanenz auf (z.B. wenn die Ausweitung des Leistungsprogramms zusätzliche Betriebsmittel, Technologien, Mitarbeiter u.a.m. erfordert, die bei einer Bereinigung der Angebotspalette weiterhin im Unternehmen verbleiben).
Vgl. Reiners/Sasse 1999, S. 223f.; ähnlich auch Adam/Rollberg 1995, S. 667; Adam 1998, S. 30. Vgl. Adam 2004, S. 22. Zu einer ausführlichen Diskussion des Begriffs der Komplexitätskosten vgl. Abschnitt 3.4.1. Vgl. Rathnow 1993, S. 23ff. Dies entspricht zudem dem so genannten sprungfixen Charakter der Komplexitätskosten: Komplexitätskosten steigen zum Teil nicht proportional zur Ursache, sondern erst beim Überschreiten einer bestimmten Komplexität, dann aber sprunghaft, an (vgl. z.B. Reiners/Sasse 1999, S. 226).
26
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
In der Folge erweisen sich Kostenwirkungen der Komplexität grundsätzlich als schwer zu erfassen, zu quantifizieren und einem Bezugsobjekt zuzuordnen.108 Dieses Problem zeigt sich auch in den begrenzten Möglichkeiten bestehender Ansätze der Kostenrechnung, das Komplexitätsphänomen und seine Kostenwirkungen abzubilden.109 In weiten Teilen der Literatur wird Komplexität ausschließlich mit Kosten in Verbindung gebracht. Entgegen der dadurch entstehenden Konnotation ist Komplexität nicht grundsätzlich negativ zu beurteilen.110 Ganz im Gegenteil ist in Unternehmen sogar eine Grundkomplexität erforderlich, um die Unternehmensziele überhaupt verfolgen zu können.111 Darüber hinaus beinhaltet Komplexität weitere Nutzenpotenziale, die den durch sie verursachten Kosten gegenüberzustellen sind.112 Vor allem der Komplexität des Leistungsprogramms werden positive Effekte zugesprochen. Beispielsweise ist der Nutzen der Produktvielfalt für den Kunden als Komplexitätsnutzen zu interpretieren.113 Aus Unternehmenssicht ist mit dieser Produktvielfalt Nutzen in Form einer hohen Marktabdeckung, gesteigerter Kundenzufriedenheit sowie der damit verbundenen Marktanteils- und Umsatzsicherung verbunden.114 Darüber hinaus werden ebenfalls in Zusammenhang mit der Leistungs- und Variantenvielfalt Effizienzsteigerungen – z.B. durch Mengeneffekte bei Faktorpreisen oder die bessere Auslastung bestehender Produktions- und Inputfaktoren – als Argument für eine höhere Sortimentskomplexität angeführt.115 Aber auch die Komplexität der unternehmensinternen Leistungspotenziale (z.B. Mitarbeiter, eingesetzte Technologien u.a.m.) birgt Nutzenpotenziale, z.B. in Form von Flexibilität.116 Aus den positiven und negativen Wirkungen der Komplexität ergibt sich für ein Unternehmen daher ein Kosten-Nutzen-Kalkül: Das theoretische Komplexitäts108
109 110 111 112 113 114 115 116
Vgl. Reiners/Sasse 1999, S. 226. Problematisch ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Abgrenzung der Komplexitätskosten von „normalen“ Kosten im Unternehmen (vgl. z.B. zur Problematik einer Abgrenzung der Komplexitäts- von den Produktionskosten Olbrich/Battenfeld 2005, S. 164ff.). Vgl. z.B. Schulz 1994, S. 133 sowie ausführlicher die Darstellung verschiedener Ansätze bei Adam/Johannwille 1998, S. 16ff.; Berens/Schmitting 1998, S. 99ff. Vgl. Rathnow 1993, S. 10. Vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 97. Vgl. Picot/Freudenberg 1998, S. 69. Vgl. z.B. Rathnow 1993, S. 11ff.; Riemenschneider 2006, S. 210f., 217ff. Vgl. z.B. Schweikart 1997, S. 76ff.; Bliss 2000, S. 11. Vgl. Schweikart 1997, S. 79f. Vgl. z.B. Eversheim/Schenke/Warnke 1998, S. 38f.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
27
optimum besteht dort, wo aus einer Erhöhung der Komplexität ein zusätzlicher Nutzen in gleicher Höhe resultiert.117 Steht den komplexitätsbedingten Kosten kein entsprechend hoher Komplexitätsnutzen gegenüber, gerät das Unternehmen dagegen in die so genannte Komplexitätsfalle.118 Für den Umgang mit Komplexität im Sinne eines Komplexitätsmanagements ist daher die „zutreffende Kenntnis der Kosten- und Nutzenwirkungen“119 dieser Komplexität Voraussetzung.
1.3
Dienstleistungsspezifische Betrachtung der Komplexität
1.3.1
Eigenschaften von Dienstleistungen und Komplexität
Für die vorliegende Arbeit werden Dienstleistungsunternehmen als Bezugsobjekt der Komplexität in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Dienstleistungen werden unterschiedlich definiert als Fähigkeit oder Potenzial zur Erbringung einer Dienstleistung, als Tätigkeit oder Prozess der Leistungserbringung oder als Ergebnis einer Tätigkeit.120 Nach Meffert und Bruhn handelt es sich bei diesen drei Aspekten allerdings um integrale Bestandteile von Dienstleistungen,121 so dass Dienstleistungen und somit auch das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität charakterisiert ist durch eine Potenzial-, eine Prozess- sowie durch eine Ergebnisdimension. Diesen Dimensionen lassen sich drei Eigenschaften zuordnen, die für Dienstleistungen typisch sind: die Leistungsfähigkeit des Dienstleistungsanbieters (Potenzialdimension), die Integration des externen Faktors in die Prozesse des Anbieters (Prozessdimension) 117
118 119 120
121
Vgl. Bohne 1998, S. 56f.; vgl. ähnlich z.B. in Bezug auf die optimale Produktvielfalt (Leistungsprogrammkomplexität) Rosenberg 2002, S. 227; Schuh 2005, S. 26 und in Bezug auf den optimalen Differenzierungsgrad der Marktbearbeitung Meffert 2000, S. 1039f. Vgl. Adam/Rollberg 1995, S. 668; Adam/Johannwille 1998, S. 5. Rathnow 1993, S. 47. Rathnow bezieht sich dabei nicht auf die Gestaltung der Komplexität allgemein, sondern auf den Teilaspekt der Gestaltung der Variantenvielfalt. Vgl. zu den verschiedenen Definitionsansätzen insb. Meffert/Bruhn 2009, S. 16ff., zudem auch Güthoff 1995, S. 3f. sowie die dort angegebene Literatur. Vgl. ausführlicher auch Abschnitt 3.2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. die Definition bei Meffert/Bruhn 2009, S. 19.
28
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
sowie die Immaterialität des Leistungsergebnisses (Ergebnisdimension).122 Diese drei Eigenschaften üben – wie im Folgenden exemplarisch aufgezeigt wird – einen Einfluss auf die Komplexität aus, der sich von anderen, z.B. materielle Güter produzierenden Unternehmen unterscheidet. Die Erbringung einer Dienstleistung erfolgt i.d.R. am oder gemeinsam mit dem Kunden, weshalb der Anbieter die Dienstleistung – im Gegensatz zu beispielsweise standardisierten Konsumgütern – nicht unabhängig vom Kunden vorab erstellen kann, sondern lediglich Leistungspotenziale zur Verfügung hält, die vom Kunden bei Bedarf genutzt werden (Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Dienstleistungsanbieters). Die Art und Menge der tatsächlich nachgefragten Dienstleistungen ist dem Anbieter a priori nicht oder nur eingeschränkt bekannt. Dies hat Auswirkungen auf die Komplexität des Anbieters. Beispielsweise ist – um zu einem bestimmten Zeitpunkt auf unterschiedliche Kundenwünsche eingehen zu können – eine relativ breite Palette an Potenzialfaktoren (Vielfalt) in ausreichender Menge (Vielzahl) bereitzustellen, oder aber es sind solche Potenzialfaktoren einzusetzen, die flexibel auf unterschiedliche Anforderungen in der Leistungserbringung reagieren können (Dynamik/Veränderlichkeit der Potenzialfaktoren). Erreicht wird dies bei personalintensiven Dienstleistungen durch eine Vielzahl hoch spezialisierter Mitarbeiter oder eine breit gefächerte Ausbildung einer geringeren Zahl an Mitarbeitern. Darüber hinaus entsteht Komplexität auch bei der zeitlichen und mengenmäßigen Koordination der Dienstleistungskapazität und -nachfrage. Die Integration externer Faktoren bezieht sich auf die Tatsache, dass Dienstleistungen i.d.R. gemeinsam mit dem Kunden (z.B. im Beratungsgespräch) oder am Kunden (z.B. bei medizinischen Untersuchungen oder einem Friseurbesuch) bzw. dessen Verfügungsobjekten (z.B. Pflege von Haustieren, Reparaturen am PKW, Sanierungen an Gebäuden) erbracht werden und diese daher in die Leistungsprozesse des Anbieters integriert werden.123 Die Integration externer Faktoren ist eine Ursache von Komplexität bei Dienstleistungsanbietern, da zum einen die Anzahl zu koordinierender Elemente in der Leistungserstellung steigt, zum 122 123
Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 32ff. sowie Abschnitt 3.2 der vorliegenden Arbeit. Dies ergibt im Dienstleistungskontext eine Besonderheit bei der Abgrenzung des zu betrachtenden Systems: Der Kunde wirkt an der Erbringung der Dienstleistung mit und ist neben den Mitarbeitern des Unternehmens, Know-how und ggf. weiteren materiellen Produktionsfaktoren der Leistungserstellung ein weiterer „Inputfaktor“. Ist das Ziel des betrachteten (Teil-)Systems die Leistungserbringung und wird die Systemgrenze über dieses Ziel definiert, kann der Kunde ebenfalls als Teil des Systems angesehen werden.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
29
anderen durch die Unterschiede, die zwischen den Kunden bestehen (Individualität), auch die Vielfalt der Einflussfaktoren in den Leistungserstellungsprozessen zunimmt. Auch hinsichtlich des Komplexitätsmerkmals der Dynamik und Veränderlichkeit kann die Integration des Kunden oder seiner Verfügungsobjekte eine Ursache für Komplexität darstellen, wenn die Leistungserstellung über einen längeren Zeitraum oder zu mehreren aufeinanderfolgenden Zeitpunkten stattfindet. Hierbei können sich beim Kunden im Zeitablauf Veränderungen ergeben und z.B. seine Möglichkeiten oder Bereitschaft schwanken, sich aktiv an der Leistungserstellung zu beteiligen (beispielsweise aus zeitlichen oder gesundheitlichen Gründen). Durch die eingeschränkten Möglichkeiten, frei über den externen Faktor verfügen zu können, ergibt sich für den Anbieter zudem wiederum Komplexität in der Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Die Immaterialität von Dienstleistungen hat zur Folge, dass nicht in einer höheren Anzahl auf Lager produziert werden kann (Nichtlagerfähigkeit). Für die Leistungserstellungsprozesse erfordert dies ein erhöhtes Maß an Flexibilität, da im Extremfall mit den bereitgestellten Potenzialfaktoren ständig wechselnde, individuelle Dienstleistungen mit „Losgrößen“ von jeweils nur einer Einheit erbracht werden, was häufige Wechsel in den Abläufen und entsprechenden Anpassungsaufwand nach sich zieht (z.B. die Umrüstung maschineller Potenzialfaktoren oder aber auch das erforderliche Umdenken der Mitarbeiter von Kunde zu Kunde). Neben der Nichtlagerfähigkeit bedingt die Immaterialität auch eine Nichttransportfähigkeit der Dienstleistungen, die ebenfalls komplexitätsbezogene Konsequenzen für den Anbieter hat. Beispielsweise ist für Dienstleistungen mit regelmäßigem Bedarf im Tagesablauf der Kunden eine entsprechend hohe Distributionsdichte mit vielen Filialen und Standorten erforderlich, was die Zahl der zu koordinierenden Elemente des Systems „Dienstleistungsanbieter“ erhöht. Diese Koordination ist dann besonders schwierig, wenn zudem Kunden Leistungen in unterschiedlichen Filialen und von verschiedenen Mitarbeitern in Anspruch nehmen, die Kenntnis der Kundenhistorie aber erforderlich ist, um die Leistung auf dem vom Kunden erwarteten Niveau zu erbringen. Auch können die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden von Standort zu Standort unterschiedlich sein (z.B. wird von Berufspendlern gegebenenfalls eine Bankfiliale in Bahnhofsnähe eher für das Tätigen von Überweisungen oder das Abheben von Bargeld genutzt, während dieselben Kunden in anderen Filialen Beratung zu verschiedenen Finanzthemen erwarten). Wird die Leistung am Ort des Kunden, beispielsweise am Arbeitsplatz oder am Wohnort, erbracht, spielt das Komplexitätsmerkmal der Veränderlichkeit und Dynamik eine bedeutende Rolle. Mitarbeiter haben in diesem Fall nicht nur z.B. ständig wechselnde Anfahrten zu berücksichtigen, auch die Rahmenbedingungen der Leistungserstellung sind von Kunde zu Kunde unterschiedlich.
30
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Wie diese Beispiele zeigen, wird Komplexität in Dienstleistungsbranchen maßgeblich durch die Besonderheiten der Leistungsart beeinflusst, weshalb Dienstleistungsunternehmen als Bezugsobjekt der Komplexität von wissenschaftlichem Interesse sind.
1.3.2
Definition: Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
In den vorangegangenen Abschnitten wurde eine allgemeine Charakterisierung des Komplexitätsphänomens anhand seiner konstitutiven Merkmale, anhand von grundlegenden Überlegungen zur Abgrenzung des Bezugsobjekts der Komplexität sowie anhand von möglichen Komplexitätsformen und -wirkungen vorgenommen. Daran anschließend erfolgte eine Skizzierung der Besonderheiten von Dienstleistungen sowie deren Komplexitätswirkungen, um die Relevanz komplexitätsbezogener Fragestellungen bei Dienstleistungen zu veranschaulichen. Bei der Untersuchung von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ist dabei insbesondere von Bedeutung, dass die drei Dienstleistungsdimensionen der Potenziale, Prozesse und Ergebnisse in enger inhaltlicher Verbindung zueinander stehen und nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Entsprechend ist eine fokussierte Untersuchung nur einer der Dimensionen nicht zweckmäßig, da damit komplexitätsrelevante Zusammenhänge unberücksichtigt blieben. Für die Bestimmung der Komplexität des Bezugsobjekts „Dienstleistungsunternehmen“ ist folglich eine integrierte Sicht der Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse erforderlich.124 Daher lässt sich für die Zwecke der vorliegenden Arbeit durch die Gegenüberstellung der Komplexitätsmerkmale und der Dimensionen von Dienstleistungen Komplexität in Dienstleistungsunternehmen wie folgt definieren: Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ist eine Eigenschaft des Systems „Dienstleistungsanbieter“, die sich widerspiegelt in der Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik der Dienstleistungpotenziale, -prozesse und -ergebnisse.
Komplexität tritt auch im System Dienstleistungsanbieter in verschiedensten Erscheinungsformen auf, wobei es in der Literatur an einer systematischen Erarbeitung von Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen bisher fehlt.125 Die 124 125
Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2, in dem das Dienstleistungsunternehmen als Bezugsobjekt der Komplexität hinsichtlich der drei Dienstleistungsdimensionen präzisiert wird. Vgl. hierzu auch den Stand der Forschung in Abschnitt 2.2.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
31
Übertragung der allgemein in der betriebswirtschaftlichen Literatur diskutierten Erscheinungsformen der Komplexität auf den Dienstleistungskontext – und damit eine Konkretisierung der hier vorgenommenen Definition des Komplexitätsbegriffs in Dienstleistungsunternehmen – ist daher ein Ziel dieser Arbeit.126
1.4
Defizite der betriebswirtschaftlichen Literatur zum Umgang mit Komplexität
Die Vielfalt an möglichen und sich gegenseitig beeinflussenden Erscheinungsformen der Komplexität sowie die aus diesen resultierenden ökonomischen Konsequenzen verdeutlichen die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Komplexitätsmanagements.127 Ein umfassendes Management der Komplexität hat dementsprechend die Gestaltung der Komplexität im Unternehmen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zum Inhalt, mit dem Ziel, ein ausgewogenes Verhältnis aus Komplexitätskosten und -nutzen sicherzustellen.128 Die bestehende Literatur zum Komplexitätsmanagement weist allerdings verschiedene Defizite in konzeptioneller, methodischer und empirischer Hinsicht auf, die im Folgenden skizziert werden (vgl. Tabelle 2). Konzeptionelle Defizite
Methodische Defizite
Empirische Defizite
(1) Widersprüchliche Aussagen zum Umgang mit Komplexität (2) Mangelnde Berücksichtigung der Spezifika von Dienstleistungsunternehmen
(3) Mangel an - Methodik zur objektiven Messung von Komplexität und Komplexitätstreibern - Ansätzen zur ganzheitlichen Bewertung von Komplexität auf Basis ihrer ökonomischen Auswirkungen129
(4) Mangel an empirischen Erkenntnissen zur relativen Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber im Unternehmen
Tabelle 2: 126 127 128
129
Defizite der Literatur zum Komplexitätsmanagement
Vgl. zu den Zielen der vorliegenden Arbeit Abschnitt 1.5, die Erarbeitung eines Bezugsrahmens der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen erfolgt in Abschnitt 3.3. Vgl. zur Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise auf die Komplexitätsthematik auch Abschnitt 2.2 und Fußnote 145. Ähnlich definiert Meyer das Komplexitätsmanagement als „die Anwendung der Erkenntnisse der Komplexitätsbetrachtung zur zielgerichteten Gestaltung der Komplexität unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Ziele.“ (Meyer 2007, S. 25). Mit der Formulierung „ganzheitliche Bewertung“ ist in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung von sowohl Kosten- als auch Nutzenwirkungen bei der Bewertung von Komplexität gemeint.
32
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
(1) Widersprüchliche Aussagen zum Umgang mit Komplexität In der betriebswirtschaftlichen Literatur lassen sich Publikationen zum Umgang mit Komplexität grob in zwei Gruppen unterteilen, hinter denen unterschiedliche Ansichten über den Umgang mit Komplexität stehen. Einige Autoren vertreten die Meinung, der richtige Umgang mit Komplexität sei, sie so weit wie möglich zu reduzieren und die Restkomplexität dann zu beherrschen.130 In anderen Publikationen wird dagegen die auf Ashbys „law of requisite variety“131 basierende Ansicht vertreten, dass zur Bewältigung einer komplexen Situation eine entsprechend hohe Komplexität des mit dieser Situation konfrontierten Systems erforderlich ist.132 Agiert beispielsweise ein Unternehmen in einem sehr dynamischen und damit komplexen Umfeld, ist es auf eine entsprechend hohe interne Komplexität, z.B. in Form flexibler Strukturen, angewiesen. Folgt man dieser Auffassung, ist nicht per se die Reduktion, sondern unter Umständen auch die Erhöhung von Komplexität – oder nach Reiß eine geeignete Kombination aus Vereinfachung und Anreicherung (Simplex-Complex-Mix)133 – Ziel des Komplexitätsmanagements. Kasper spricht in diesem Zusammenhang von „Management durch Komplexität“ anstelle eines „Managements von Komplexität“.134 Diese divergierenden Ansichten resultieren in widersprüchlichen Handlungsempfehlungen und Unsicherheit über den Umgang mit Komplexität,135 wodurch Unternehmen und deren Management „gewissermaßen zwischen „Reduzieren“, „Produzieren“ oder „Optimieren“ von Komplexität als Leitideen einer Komplexitätsbeherrschung“136 schwanken.
130
131 132
133 134 135 136
Vgl. z.B. Eversheim/Schenke/Warnke 1998, S. 30f.; Picot/Freudenberg 1998, S. 71; Nedeß/Jacob 2000, S. 106; Wildemann 2008b, S. 153ff.; ähnlich auch Adam/Johannwille 1998, S. 5f., die der Ansicht sind, dass das Erreichen eines optimalen Komplexitätsgrads i.d.R. mit einer Reduktion der Komplexität verbunden ist. Ashby 1964, S. 207. Vgl. z.B. Schwaninger 1997, S. 109f.; Berens/Schmitting 1998, S. 98; Maranville 1999, S. 288f.; Schwenk-Willi 2001, S. 21f.; Schwaninger 2006, S. 14ff.; Malik 2008, S. 173f. Vgl. Reiß 1992, S. 40. Kasper 2004, Sp. 620. Vgl. Luczak/Fricker 1997, S. 313. Reiß 1993a, S. 5.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
33
(2) Mangelnde Berücksichtigung der Dienstleistungsbranche in der betriebswirtschaftlichen Komplexitätsliteratur Die in Abschnitt 1.3.1 skizzierten Eigenschaften von Dienstleistungen stellen Rahmenbedingungen dar, die einen Einfluss auf die Art und das Ausmaß der Komplexität im Unternehmen haben. Wie beschrieben stellt beispielsweise die Integration externer Faktoren (Kunde oder dessen Verfügungsobjekte) in die Prozesse der Leistungserbringung sowie die damit verbundene Unsicherheit für das Dienstleistungsunternehmen einen Komplexitätstreiber dar, der in anderen Branchen nicht oder nur von untergeordneter Relevanz ist. Auch die Immaterialität von Dienstleistungen und die damit verbundene Nichttransportfähigkeit können zu vergleichsweise hoher Komplexität führen, wenn sie eine hohe Distributionsdichte und viele zu koordinierende Standorte und Filialen erforderlich machen. Daher ist es nicht sinnvoll, bestehende Ansätze des Komplexitätsmanagements undifferenziert auf Dienstleistungsunternehmen zu übertragen. Die Forschung zu Komplexität bei Dienstleistungen beschränkt sich bisher auf wenige ausgewählte Teilaspekte.137 Arbeiten, die sich umfassend mit verschiedenen möglichen Formen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen und ihren ökonomischen Wirkungen befassen, bestehen bisher nicht. Folglich ist in der Literatur ein Mangel an konzeptionellen Arbeiten darüber, worin Komplexität sowie deren Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen bestehen, festzustellen. (3) Unzureichende Messung von Komplexität bzw. Bewertung von Komplexitätstreibern Die beschriebenen divergierenden Ansichten über den richtigen Umgang mit Komplexität haben ihre Ursache zum Teil in Defiziten bei der Messung der Komplexität und der Bewertung verschiedener Komplexitätstreiber. Zwar bestehen in der Literatur konzeptionelle Arbeiten, die Komplexitätsformen und -treiber behandeln,138 eine Bewertung der Bedeutung, die diese Komplexitätsformen und -treiber im Unternehmen haben, wird dabei jedoch vernachlässigt oder erfolgt nur in stark vereinfachten Ansätzen.139 Für fundierte Handlungsempfehlungen sind Aussagen über die Bedeutung der verschiedenen Komplexitätsformen und -treiber allerdings elementar. Auch kostenrechnerische Ansätze, die die
137 138 139
Vgl. z.B. die Arbeiten von Güthoff 1995; Kebbel 2000; Skaggs/Huffman 2003 sowie ausführlicher Abschnitt 2.2.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. zu einem tabellarischen Überblick z.B. Meyer 2007, S. 181ff. Vgl. ausführlich Abschnitt 2.2.
34
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Identifikation von Komplexitätskosten zum Gegenstand haben, über die wiederum eine Beurteilung von Komplexitätsformen und -treibern möglich wäre, bieten nur eingeschränkt Ansatzpunkte für eine ganzheitliche Betrachtung der Komplexität in Unternehmen.140 Berens und Schmitting kommen zu dem Ergebnis, dass kostenrechnerische Ansätze ausschließlich als pragmatisch eingestuft werden können, aber nicht theoretisch zu rechtfertigen sind.141 Lasch und Gießmann stellen ein Forschungsdefizit bei der Bewertung von Komplexität bzw. deren Treibern fest und merken an, dass eine „methodengestützte und objektive Beurteilung der Komplexitätstreiber“142 interessant und hilfreich wäre. Im betriebswirtschaftlichen Kontext ist dabei eine Beurteilung anhand ökonomischer Wirkungen der Komplexität – d.h. anhand von Kosten und Nutzen, die aus ihr resultieren – sinnvoll, da diese die wirtschaftliche Relevanz der Komplexität begründen. (4) Mangel an empirischen Erkenntnissen zur Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber Mit dem methodischen Defizit an Ansätzen zur Messung und Bewertung von Komplexität und ihren Auswirkungen eng verbunden ist ein Mangel an empirischen Erkenntnissen, welche Bedeutung verschiedenen Komplexitätsformen und -treibern als Gegenstand und Ansatzpunkt des Komplexitätsmanagements zukommt. Eine konzeptionelle Erarbeitung von Komplexitätsformen bildet zwar insofern eine notwendige Grundlage, als sie das Verständnis und die Transparenz des Komplexitätsphänomens fördert und damit eine bessere intuitive Einschätzung möglicher Ansatzpunkte des Komplexitätsmanagements ermöglicht. Der empirischen Fundierung der Komplexität, ihrer Interdependenzen und Auswirkungen kommt jedoch in der betriebswirtschaftlichen Literatur wenig Beachtung zu.143 Zielgerichtete Entscheidungen über die Gestaltung der Komplexität erfordern allerdings empirische Erkenntnisse über die relative Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber, an denen es in der Literatur bisher fehlt.
140 141 142 143
Vgl. auch Meyer 2007, S. 62. Vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 108. Lasch/Gießmann 2009, S. 222. Vgl. auch Lasch/Gießmann 2009, S. 228.
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
1.5
35
Ziele und Forschungsfragen der Arbeit
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Defizite ist es Ziel der vorliegenden Arbeit, einen konzeptionellen, einen methodischen sowie einen empirischen Beitrag zum Thema Komplexität in Dienstleistungsunternehmen zu leisten. Folgende Forschungsfragen stehen dabei im Mittelpunkt der Untersuchung und bilden den in Abbildung 3 dargestellten Bezugsrahmen der Arbeit: (1) Konzeptionelle Durchdringung des Komplexitätsthemas 1-1:
In welchen Formen tritt Komplexität in Dienstleistungsunternehmen – gemäß der Definition in Abschnitt 1.3.2 – auf und welche Ausprägungen nehmen die verschiedenen Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen in Bezug auf die konstitutiven Merkmale von Komplexität an (Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik)?
1-2:
Was sind Komplexitätskosten in Dienstleistungsunternehmen (Definition) und welche Arten von Komplexitätskosten lassen sich unterscheiden?
1-3:
Was ist Komplexitätsnutzen in Dienstleistungsunternehmen (Definition) und worin sind die wesentlichen Nutzenkategorien zu sehen, die sich durch die Komplexität im Dienstleistungsunternehmen beeinflussen lassen?
(2) Methodischer Beitrag zur Messung von Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen 2-1:
Anhand welcher Methodik lässt sich die Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -ausprägungen erfassen sowie die Komplexität hinsichtlich ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen bewerten?
2-2:
Wie lässt sich die Methodik zur Erfassung und Bewertung der Komplexität für das Komplexitätsmanagement nutzen (Modellentwicklung)?
(3) Empirische Erkenntnisse zu Zusammenhängen und relativer Bedeutung von Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie Komplexitätskosten und -nutzen 3-1:
Welche Bedeutung haben verschiedene Ausprägungen der Komplexität für das Ausmaß der Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen?
36
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen 3-2:
Welche Interdependenzen (gegenseitige Ursache-Wirkungsbeziehungen) bestehen zwischen den verschiedenen Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen?
3-3:
Welche Komplexitätsformen und -ausprägungen haben den höchsten Einfluss auf die Komplexitätskosten sowie den Komplexitätsnutzen?
3-4:
Welche relative Bedeutung haben verschiedene Arten von Komplexitätskosten und Kategorien von Komplexitätsnutzen in Dienstleistungsunternehmen?
3-5:
Welche wissenschafts- und praxisbezogenen Implikationen ergeben sich aus den konzeptionellen, methodischen und empirischen Erkenntnissen der Arbeit?
1-1
Komplexität in Dienstleistungsunternehmen: Identifikation von Komplexitätsformen und -ausprägungen
1-2
Kostenwirkungen: Identifikation von Komplexitätskostenarten in Dienstleistungsunternehmen
1-3
Nutzenwirkungen: Identifikation von Komplexitätsnutzenkategorien in Dienstleistungsunternehmen
Empirische Erkenntnisse zu Zusammenhängen und Bedeutung von Komplexitätsformen, -ausprägungen, -kosten und -nutzen Nutzenkategorie ͳ
Kostenart ͳ
3-4
Kostenart ʹ
Nutzenkategorie ǤǤǤ
Kostenart ǤǤǤ
3-3
3-2
2-1
2-2
Komplexitätsform
Entwicklung eines Modells zur Erfassung und Bewertung von Komplexität, Komplexitätskosten und -nutzen
Abbildung 3:
beeinflussen … / sind zu bewerten bzgl. des Einflusses auf …
3-1
Ausprägungen Komplexitätsform
Ableitung von Implikationen für das Management von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen und die Forschung zur Komplexität
Bezugsrahmen der Arbeit
Komplexitätsform ǤǤǤ Komplexitätsform
Identifikation einer Methodik zur Erfassung und Bewertung von Komplexität, Komplexitätskosten und -nutzen
3-5
3-4
Nutzenkategorie ʹ
Ausprägungen Komplexitätsform
Ausprägungen Komplexitätsform ǤǤǤ
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
1.6
37
Gang der Untersuchung
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion des Komplexitätsthemas zu leisten, der die Komplexität und ihre Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen in den Mittelpunkt stellt. Gemäß den identifizierten Forschungsdefiziten und daraus abgeleiteten Forschungsfragen ist der Aufbau der vorliegenden Arbeit in drei Hauptteile gegliedert: einen konzeptionellen Teil (Kapitel 2 und 3), einen methodischen Teil (Kapitel 4) sowie einen empirischen Teil (Kapitel 5). Die Arbeit schließt mit Implikationen für das Komplexitätsmanagement und die weitere Forschung (Kapitel 6; vgl. Abbildung 4).
Einleitung: Problembeschreibung und -abgrenzung
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
1. Komplexitäts als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
Komplexität als betriebswirtschaftliches Phänomen Spezifizierung des Begriffs der Komplexität Dienstleistungsspezifische Betrachtung der Komplexität Defizite der betriebswirtschaftlichen Literatur zum Umgang mit Komplexität Ziele und Forschungsfragen der Arbeit Gang der Untersuchung
2. Stand der Forschung 2.1 Vorgehenszu Komplexität und weise ihren Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen Konzeptioneller Teil: Stand der Forschung, Entwicklung eines Bezugsrahmens der Komplexität und ihrer Wirkungen
3. Konzeptioneller Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen
3.1 Vorgehensweise
2.2 Stand der Forschung zu Komplexität in Unternehmen
2.3 Behandlung von Komplexitätskosten in der Literatur
3.2 Präzisierung des Systems „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität
3.3 Erscheinungsformen und Ausprägungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
2.4 Behandlung von Komplexitätsnutzen in der Literatur
2.5 Fazit aus dem Literaturüberblick
3.4 Kostenwirkungen der Komplexität 3.5 Nutzenwirkungen der Komplexität
3.6 Zusammenfassende Darstellung des Bezugsrahmens der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen
Methodischer Teil: Analytic Network Process, Entwicklung eines Komplexitätsbewertungsmodells
Empirischer Teil: Anwendung und Ergebnisse des Modells
4. ANP als Instrument 4.1 Vorgehens4.2 Konzur Analyse von weise zeptionelle Komplexität und Grundlagen ihren Wirkungen des ANP
5. Empirische Anwendung 5.1 Vorgehensdes Komplexitätsweise bewertungsmodells
Implikationen und Fazit
Abbildung 4:
6. Implikationen für Praxis und Wissenschaft
4.3 Methodische Grundlagen des ANP
5.2 Erhebungskonzeption und Design der Untersuchung
4.4 Eignung des ANP zur Analyse von Komplexitätswirkungen
5.3 Resultate der empirischen Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
4.5 Aufbau eines Komplexitätsbewertungsmodells auf Basis des ANP
5.4 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse, kritische Würdigung
6.1 Implikationen für das Komplexitätsmanagement 6.2 Implikationen für die wissenschaftliche Forschung 6.3 Fazit
Gang der Untersuchung
Der konzeptionelle Teil beginnt in Kapitel 2 mit einem Literaturüberblick über bestehende betriebswirtschaftliche Publikationen zu Komplexität – allgemein und im Dienstleistungsbereich (Abschnitt 2.2) – sowie zu Komplexitätskosten und -nutzen (Abschnitte 2.3 und 2.4). Ziel dieses Literaturüberblicks ist, die in Abschnitt 1.4 skizzierten Forschungsdefizite im Detail herauszuarbeiten
38
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
und in einem Fazit (Abschnitt 2.5) zu zeigen, inwiefern die bestehende Literatur als Grundlage für die vorliegende Arbeit genutzt werden kann. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wird in Kapitel 3 ein Bezugsrahmen der Komplexität, der Komplexitätskosten und des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen entwickelt, um das diesbezügliche Forschungsdefizit in der bestehenden Literatur auszugleichen. Nach einer kurzen Beschreibung der hierfür gewählten explorativen Vorgehensweise (Abschnitt 3.1) erfolgt in Abschnitt 3.2 die inhaltliche Konkretisierung des Systems „Dienstleistungsanbieter“ – dem Bezugsobjekt der Komplexität – hinsichtlich seiner Elemente und der für die vorliegende Arbeit gewählten Betrachtungsebene. Dieses System wird dann in Abschnitt 3.3 bezüglich relevanter Komplexitätsformen und -ausprägungen analysiert. Anschließend wird auf die ökonomisch relevanten Komplexitätswirkungen in Form von Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen eingegangen, indem in den Abschnitten 3.4 und 3.5 nach einer Abgrenzung und Definition der Begrifflichkeiten die Identifikation und Kategorisierung möglicher Kostenarten und Nutzenkategorien der Komplexität erfolgt. Die Entwicklung des Bezugsrahmens schließt mit einer zusammenfassenden Darstellung (Abschnitt 3.6). Der methodische Teil der Arbeit (Kapitel 4) hat zum Ziel, einen Beitrag zur Diskussion über die Messung und Bewertung von Komplexität in Unternehmen zu leisten. Hierzu wird der vom Mathematiker T.L. Saaty entwickelte Analytic Network Process (ANP) vorgestellt, der in der vorliegenden Arbeit als Instrument zur Analyse von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen herangezogen wird. Nach einer Beschreibung der konzeptionellen und methodischen Grundlagen des Ansatzes (Abschnitte 4.2 und 4.3) werden in Abschnitt 4.4 die Vorteile aufgezeigt, die der ANP bei der Analyse von Komplexität – insbesondere der Berücksichtigung der Interdependenzen sowie der Kosten- und Nutzenwirkungen – gegenüber bestehenden Ansätzen aufweist und so die Eignung des Ansatzes zur Untersuchung des Komplexitätsphänomens dargestellt. Der methodische Teil schließt in Abschnitt 4.5 mit der Entwicklung eines auf dem ANP basierenden Komplexitätsbewertungsmodells für den in Kapitel 3 erarbeiteten Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen. Im empirischen Teil der Arbeit (Kapitel 5) erfolgt eine praktische Anwendung dieses Komplexitätsbewertungsmodells anhand von Fallstudien aus den Dienstleistungsbranchen Banken, Versicherungen und Telekommunikation. Ziel von Kapitel 5 ist dabei, auf Basis einer Befragung ausgewählter Manager und Mitarbeiter mehrerer Unternehmen die Anwendbarkeit des entwickelten Modells zu überprüfen und erste empirische Erkenntnisse über Komplexität und ihre Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen zu generieren. Nach einer Be-
Komplexität als Problemstellung in Dienstleistungsunternehmen
39
schreibung der Vorgehensweise (Abschnitt 5.1) und des Untersuchungsaufbaus sowie der Anpassung des Komplexitätsbewertungsmodells für die Erhebung (Abschnitt 5.2) werden in Abschnitt 5.3 die empirischen Ergebnisse über die Bedeutung von Komplexitätsausprägungen, die Interdependenzen der untersuchten Komplexitätsformen, die Kosten- und Nutzenwirkungen sowie die relative Bedeutung der Kosten- und Nutzenkategorien dargestellt und die betrachteten Unternehmen und Branchen verglichen. Der empirische Teil schließt in Abschnitt 5.4 mit einer Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse und kritischen Würdigung der gewählten Vorgehensweise. Auf den Erkenntnissen und Erfahrungen der empirischen Anwendung aufbauend dient Kapitel 6 der Ableitung von Implikationen für das Komplexitätsmanagement (Abschnitt 6.1). Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf (Abschnitt 6.2) und einem kurzen Fazit (6.3).
2
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen
2.1
Vorgehensweise
Inhaltlicher Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind drei Themenschwerpunkte: die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen sowie die Komplexitätskosten und der Komplexitätsnutzen, die aus der Komplexität resultieren. Im folgenden Kapitel 2 wird ein Überblick über bestehende Publikationen zu diesen Themenbereichen gegeben. Dabei liegt der Fokus auf der Identifikation von inhaltlichen Beiträgen zu den in Abschnitt 1.4 skizzierten Defiziten, aus denen die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit abgeleitet wurden. Kapitel 2 schließt mit einem Fazit aus dem Literaturüberblick, das aufzeigt, wie die Erkenntnisse der bestehenden Literatur für die vorliegende Arbeit genutzt werden können. Die in Abschnitt 1.2.1 angesprochene weite Verbreitung des Komplexitätsbegriffs ist auch in der wissenschaftlichen Literatur gegenwärtig. Komplexität ist ein Phänomen, das in vielen verschiedenen Wissenschaftsbereichen behandelt wird.144 Da ein vollständiger Überblick über die Literatur im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit relevanten Forschungsbemühungen der betriebswirtschaftlichen Literatur.
2.2
Stand der Forschung zur Komplexität in Unternehmen
Tabelle 3 gibt einen Überblick über relevante Literatur zu Komplexität. Die angeführten Publikationen lassen sich in drei Gruppen unterteilen: erstens Arbeiten mit Bezug zu Dienstleistungen, die u.a. auch Komplexitätsaspekte behandeln; zweitens Arbeiten, die die Komplexität und das Komplexitätsmanagement in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, dabei aber keinen Bezug zu Dienstleistun-
144
Für einen Überblick vgl. z.B. Bandte 2007, S. 47ff.
42
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
gen aufweisen; sowie drittens Ansätze, die den Fokus speziell auf die Messung von Komplexität in Unternehmen legen. Die folgende Darstellung orientiert sich an diesen drei Gruppen von Publikationen. Dabei werden fünf Kriterien zur Beurteilung der Literatur herangezogen:
Dienstleistungsbezug: Hat die Studie Dienstleistungen oder Dienstleistungsunternehmen als Betrachtungsgegenstand?
Ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenskomplexität: Nimmt die Studie eine ganzheitliche Sichtweise des (Dienstleistungs-)Unternehmens ein oder wird nur ein Teilaspekt betrachtet und bleiben damit bestehende Interdependenzen unberücksichtigt?145
Methodenvorschlag zur Messung oder Bewertung von Komplexität: Wird in der Studie eine Methodik vorgeschlagen, die die Komplexität in ihren Interdependenzen misst oder anhand ihrer ökonomisch relevanten Wirkungen bewertet?
Erkenntnisse über die (relative) Bedeutung der Komplexität: Liefert die Studie empirische Erkenntnisse über die (relative) Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber?
Implikationen für das Komplexitätsmanagement: Werden in der Publikation fundierte Handlungsempfehlungen für die Steuerung der Komplexität abgeleitet?
2.2.1
Publikationen zu Komplexität bei Dienstleistungen
Wie die Übersicht in Tabelle 3 zeigt, liegen die Schwerpunkte der Behandlung von Komplexität bei Dienstleistungen auf komplexitätsbasierten Dienstleistungs-
145
Verschiedene Autoren betonen aufgrund der Interdependenzen des Komplexitätsphänomens die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise auf die Problematik (vgl. z.B. Bliss 2000, S. 14; Kirchhof 2003, S. 70ff.). Meyer stellt in der Literatur eine häufige Fokussierung auf bestimmte Betrachtungsobjekte fest, bei der wesentliche Interdependenzen durchtrennt werden (vgl. Meyer 2007, S. 117). Hierin sieht auch Malik ein Problem: „Die eigentliche Ursache der Komplexität liegt in der Interaktion einer großen Zahl von unterschiedlichen und weitgehend unabhängigen Variablen. Werden solche Sachverhalte bei dem Versuch, sie „wissenschaftlich“ zu analysieren, auf einige wenige, behaupteterweise typische Variablen reduziert, verlieren sie das Charakteristikum der Komplexität.“ (Malik 2008, S. 182).
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
43
typologisierungen bzw. -positionierungen sowie auf Untersuchungen zum Einfluss von Komplexität auf diverse Konstrukte in Dienstleistungsbranchen. Ansätze zur Typologisierung von Dienstleistungen anhand von Komplexitätsmerkmalen finden sich bei Benkenstein und Güthoff, Fröhling sowie Burianek et al. Die Typologisierung von Benkenstein und Güthoff erfolgt anhand von Leistungsmerkmalen der Dienstleistung, die aus der Systemtheorie abgeleitet werden,146 sowie Persönlichkeitsmerkmalen des Nachfragers, die auf käuferverhaltenstheoretischen Ansätzen zur Erklärung wahrgenommener Komplexität basieren.147 Gegenstand der Betrachtung und damit Bezugsobjekt der Komplexität ist ausschließlich die Komplexität der Dienstleistung, eine ganzheitliche Untersuchung der Komplexität des Dienstleistungsanbieters erfolgt nicht.148 Die Messung von Komplexität bzw. der zur Typologisierung herangezogenen Komplexitätsmerkmale wird nicht behandelt, weder in Form eines Methodenvorschlags, noch empirisch. Zwar behandelt die Arbeit von Güthoff, auf der die Typologisierung von Benkenstein und Güthoff aufbaut, die Qualitätswahrnehmung komplexer Dienstleistungen. Allerdings wird dabei ausschließlich die Qualitätswahrnehmung einer einzigen als komplex eingestuften Dienstleistung untersucht, ohne dass eine Variation der Komplexität oder ein Vergleich zur Wahrnehmung weiterer, nicht-komplexer Dienstleistungen vorgenommen wird. Somit ist keine Aussage über die Wirkung der Komplexität möglich.149
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Dabei handelt es sich um die Anzahl und Heterogenität der Teilleistungen einer Dienstleistung, die Multipersonalität bei der Leistungserbringung, die Länge der Leistungserstellung und die Individualität der Leistung (vgl. Benkenstein/Güthoff 1996, S. 1500ff.). Der Ansatz baut auf einer früheren Arbeit von Güthoff auf (vgl. Güthoff 1995, S. 29ff.). Die Persönlichkeitsmerkmale sind das wahrgenommene Risiko sowie das Involvement des Nachfragers (vgl. Benkenstein/Güthoff 1996, S. 1503ff.). In einer späteren Publikation der Autoren werden diese Persönlichkeitsmerkmale allerdings nicht mehr als Kennzeichen komplexer Dienstleistungen berücksichtigt (vgl. Benkenstein/Güthoff 1997, S. 81f.). Über die Merkmale der Multipersonalität und der Länge der Dienstleistungserstellung werden zwar auch die Potenziale und die Prozesse des Dienstleistungsanbieters tangiert, aber nicht umfassend und explizit einbezogen. Vgl. Güthoff 1995, S. 95ff. sowie Benkenstein/Güthoff 1997, S. 86ff.
Tabelle 3: Inhalt Charakterisierung und Positionierung von Dienstleistungen auf Basis der Prozesskomplexität Messung der Qualitätswahrnehmung bei komplexen Dienstleistungen Typologisierung von Dienstleistungen auf Basis von Komplexitätsmerkmalen Erarbeitung und exempl. Anwendung eines Konzepts zur Erfassung/Planung/Regelung von Unternehmenskomplexität Konzept zur Messung der Komplexität von Auftragsabwicklungsprozessen Entwicklung eines Ansatzes zur Reduktion der Unternehmenskomplexität, der verschiedene Komplexitätsformen und Methodiken integriert Untersuchung der Wirkung der wahrgenommenen Dienstleistungskomplexität auf die Qualitätswahrnehmung und Kundenbindung Typologisierung von Dienstleistungen u.a. auf Basis von Komplexitätsmerkmalen Entwicklung eines Planungskonzepts für ein ganzheitliches Komplexitätsmanagement Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Marketingstrategie und Komplexität der Dienstleistungserstellung Entwicklung eines Geschäftsprozesses „Komplexitätsmanagement“ in Produktionsbetrieben Typologisierung von hybriden Produkten auf Basis von Komplexitätsmerkmalen Untersuchung des moderierenden Effekts der Organisationskomplexität auf die Produktivität in Dienstleistungsunternehmen Untersuchung des moderierenden Effekts der Leistungskomplexität auf den Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit Konzeptioneller Vorschlag zur Bewertung von Komplexitätstreibern in der Beschaffungslogistik
Autor(en)
Shostack 1987
Güthoff 1995; Benkenstein/Güthoff 1997
Benkenstein/Güthoff 1996
Puhl 1999
Raufeisen 1997; 1999
Bliss 1998; 2000
Kebbel 2000; Homburg/Kebbel 2001
Fröhling 2001
Kirchhof 2003
Skaggs/Huffman 2003
Hanenkamp 2004
Burianek et al. 2007
Greenwood/Deephouse/Li 2007
Stock-Homburg 2007
Lasch/Gießmann 2009
Dienstleistungsbezug –
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Holistische Betrachtung der Komplexität –
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Methodik zur Messung von Komplexität x
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Erkenntnisse zu Komplexitätsformen/-treibern –
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Implikationen für das Komplexitätsmanagement –
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–
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Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexität (chronologisch) (Legende: x = gegeben; (x) = teilweise gegeben; – = nicht gegeben)
Der Ansatz von Benkenstein und Güthoff wurde von Fröhling erweitert. Dessen Ansatz hat ebenfalls eine Unterscheidung von Dienstleistungen zum Ziel. Hierfür
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
45
ergänzt der Autor weitere Leistungs- und Nutzenmerkmale von Dienstleistungen, die allerdings nicht explizit aus Komplexitätsaspekten abgeleitet werden,150 weshalb der Ansatz hinsichtlich der Komplexität von Dienstleistungen keine über die Arbeiten von Benkenstein und Güthoff hinausgehenden inhaltlichen Erkenntnisse liefert. Der Komplexitätsbezug nimmt durch die Ergänzung um allgemeine Leistungs- und Nutzenmerkmale sogar ab. Eine ganzheitliche Betrachtung der Komplexität des Dienstleistungsanbieters erfolgt nicht. Im Gegensatz zu Benkenstein und Güthoff nimmt Fröhling allerdings eine numerische Bewertung verschiedener Dienstleistungen hinsichtlich der betrachteten Merkmale vor151 und errechnet einfache Kennzahlen, wie z.B. Mittelwerte, Mediane und Standardabweichungen, sowie darauf basierend einen so genannten relativen Komplexitätsfaktor, der das Verhältnis aus durchschnittlichem Nutzen und durchschnittlicher Komplexität einer Dienstleistung wiedergibt. Auf Basis dieser einfachen Kennzahlen sind erste Aussagen über die relative Bedeutung der betrachteten Komplexitätsmerkmale (von Fröhling auch Komplexitätstreiber genannt) möglich. Diese beziehen sich allerdings nur auf die Leistungsgestaltung, da wie bei Benkenstein und Güthoff ausschließlich die Dienstleistungskomplexität und nicht die des Dienstleistungsunternehmens insgesamt betrachtet wird. Da zudem die betrachteten Nutzenmerkmale nicht und die Leistungsmerkmale nur teilweise auf Komplexitätsüberlegungen basieren, liefert der Ansatz keine Implikationen für die gezielte, ganzheitliche Steuerung der Komplexität des Dienstleistungsunternehmens.152 Eine Erweiterung erfährt der Typologisierungsansatz von Benkenstein und Güthoff auch bei Burianek et al., die ihn für den Spezialfall hybrider Produkte als Bündel aus materiellem Produkt und Dienstleistung anpassen, dabei aber – in Abgrenzung zu Fröhling – konsequent das Konstrukt der Komplexität zugrunde legen.153 Die Arbeit umfasst eine konzeptionelle Darstellung der für den Fall
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152
153
Vgl. Fröhling 2001, S. 11. Vgl. Fröhling 2001, S. 14ff. Die Bewertung erfolgt auf einer 5er-Skala (vgl. Fröhling 2001, Tabelle 1 auf S. 13 sowie die zugehörige Anmerkung 11). Auf welcher Datenbasis die Bewertung basiert, wird nicht erwähnt. Der Autor selbst nennt bei seinen beispielhaften Gestaltungsempfehlungen in Bezug auf die Komplexität ausschließlich die Reduktion, nicht aber die Komplexitätserhöhung als Maßnahme (vgl. Fröhling 2001, S. 17). Vgl. Burianek et al. 2007, S. 7ff. Bei den Komplexitätsmerkmalen hybrider Produkte handelt es sich demnach um die Art des Kundennutzens, den Umfang des Leistungsangebots, die Anzahl/Heterogenität der Teilleistungen, den Grad der technischen Integration, den Grad der Integration in die Wertschöpfungsdomäne des Kunden, den
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hybrider Produkte angemessenen Komplexitätsmerkmale. Wesentliche und sinnvolle Ergänzung zu den Merkmalen von Benkenstein und Güthoff ist dabei die Berücksichtigung der Dynamik oder Veränderlichkeit der Leistungserbringung im Zeitablauf, die z.B. aus Veränderungen beim Kunden oder technologischen Entwicklungen resultiert.154 Durch die Integration des externen Faktors in die Prozesse des Anbieters kommt diesem Aspekt im Dienstleistungskontext besondere Bedeutung zu. Burianek et al. betrachten allerdings wie Benkenstein/Güthoff und Fröhling ausschließlich die Komplexität des Leistungsangebots, eine ganzheitliche Sicht des Dienstleistungsunternehmens erfolgt nicht. Zudem zeigen sie keine Ansätze zur Messung und Bewertung der Komplexität oder ihrer Merkmale auf, so dass auch keine empirische Messung und Ableitung fundierter Handlungsimplikationen erfolgt.155 Einen komplexitätsbasierten Ansatz zur Positionierung von Dienstleistungen entwickelt Shostack. In dem konzeptionellen Beitrag charakterisiert die Autorin Dienstleistungsprozesse anhand ihrer Komplexität. Shostack zeigt auf, wie darauf aufbauend eine Positionierung von Dienstleistungen möglich ist und leitet aus Veränderungen der Komplexität strategische Positionierungsoptionen ab.156 Im Gegensatz zu den überwiegend auf die Dienstleistung als Prozessergebnis fokussierten Typologisierungsansätzen legt die Autorin den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Prozessdimension, nimmt dabei aber auch Bezug auf die damit verbundenen Leistungsergebnisse. Eine Messung der Komplexität sieht Shostack allerdings nicht vor, weshalb auch keine Aussagen über die Bedeutung verschiedener Aspekte der Komplexität getroffen werden können. Die abgeleiteten Strategien decken in der Folge exemplarisch sowohl die Erhöhung als auch die Re-
154 155
156
Grad der Individualisierung sowie die zeitliche Dynamik/Veränderlichkeit der Leistungserbringung (vgl. Burianek et al. 2007, S. 12ff.). Vgl. Burianek et al. 2007, S. 20ff. Die Autoren empfehlen allerdings eine empirische Überprüfung der Abhängigkeiten und Wechselwirkungen der identifizierten Komplexitätsmerkmale (vgl. Burianek et al. 2007, S. 23). Vgl. Shostack 1987, S. 35ff. Die Autorin unterscheidet zwischen Komplexität und Divergenz der Prozesse, wobei die Komplexität aus der Anzahl an Prozessschritten und deren Schwierigkeit resultiert, die Divergenz aus den in den Prozess eingebauten Freiheitsgraden bei der Ausführung (vgl. Shostack 1987, S. 35). Letztere sind allerdings als verschiedene mögliche Verknüpfungen zwischen möglichen Teilprozessen und Prozessschritten zu interpretieren und lassen sich somit ebenfalls dem Komplexitätsbegriff subsumieren.
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duktion der Komplexität ab, darüber hinausgehende konkrete Hinweise für das Komplexitätsmanagement ergeben sich aus der Arbeit aber nicht. Neben diesen Typologisierungs- und Positionierungsansätzen findet im Dienstleistungskontext Komplexität als Konstrukt in empirischen Studien Berücksichtigung. Für die vorliegende Arbeit sind dabei insbesondere die Studien von Kebbel, Skaggs und Huffman, Greenwood, Deephouse und Li sowie StockHomburg zu Aspekten der internen Komplexität von Interesse.157 Kebbel untersucht den Einfluss der von Kunden wahrgenommenen Dienstleistungskomplexität auf die Qualitätswahrnehmung und die Kundenbindung.158 Bei der Qualitätswahrnehmung unterscheidet die Autorin zwar explizit zwischen Potenzial-, Prozess- und Ergebnisqualität,159 die Analyse der Komplexität bzw. deren Wahrnehmung erfolgt jedoch nicht differenziert für das gesamte Dienstleistungsunternehmen, sondern bleibt auf die Dienstleistungskomplexität beschränkt.160 Eine Messung der Komplexität wird anhand einer von Kebbel entwickelten Messskala mit acht Items vorgenommen, die die Komplexitätsmerkmale der Vielzahl, Heterogenität und Interdependenz widerspiegeln. Der Einfluss der Komplexitäts- auf die Qualitätswahrnehmung wurde mittels Regressions- und Kausalanalysen untersucht. Die Regressions- resp. Pfadkoeffizienten zeigen differenziert die Einflussstärke der untersuchten Komplexitätsmerkmale und ermöglichen so Aussagen über die Wirkungen der Dienstleistungskomplexität. Da aber nur die Dienstleistungskomplexität betrachtet wird und neben der Qualität und der Kundenbindung keine weiteren ökonomisch relevanten Wirkungen der Komplexität in die Studie einbezogen werden, ist die Möglichkeit einer Ableitung von Aussagen für ein ganzheitliches Komplexitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen nicht gegeben.
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Die ebenfalls in den Dienstleistungskontext einzuordnende Studie von RuedaManzanares, Aragón-Correa und Sharma wird nicht behandelt, da sie Aspekte der externen Komplexität, der Unsicherheit sowie der Standortattraktivität infolge von z.B. niedrigen Steuern, stabiler Infrastruktur u.a.m. untersucht (vgl. Rueda-Manzanares/Aragón-Correa/Sharma 2008, S. 189f.). Vgl. Kebbel 2000, S. 4. Vgl. Kebbel 2000, S. 105ff. Vgl. Kebbel 2000, S. 38ff. Über die Anzahl und Heterogenität der Mitarbeiter findet zwar das Dienstleistungspotenzial ansatzweise Berücksichtigung, die Mitarbeiter werden von der Autorin allerdings als Teilelement der Dienstleistung interpretiert (vgl. zur Operationalisierung Kebbel 2000, S. 114ff.).
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Mit Aspekten der internen Komplexität von Dienstleistungsanbietern befassen sich auch Skaggs und Huffman in ihrer Studie zur Auswirkung der Marketingstrategie auf die Komplexität der Leistungserstellung. Das Konstrukt der Komplexität der Leistungserstellung wird anhand der Zahl unterschiedlicher Prozesse, der Interdependenzen zwischen diesen Prozessen sowie des Koordinationsaufwands im Unternehmen gemessen. Bei den untersuchten Strategieaspekten handelt es sich um den Individualisierungsgrad der Dienstleistungen, die Breite des Leistungsangebots sowie das Ausmaß der Integration externer Faktoren. Die Autoren berücksichtigen dabei allerdings nicht, dass es sich bei diesen Strategieaspekten selbst auch um Ausprägungen von Komplexität handelt,161 so dass implizit sowohl Aspekte der Prozess- als auch der Ergebniskomplexität von Dienstleistungsunternehmen in die Untersuchung eingehen. Aspekte der Potenzialkomplexität des Dienstleistungsunternehmens werden nicht untersucht. Bei einer Interpretation der Strategieaspekte als Komplexitätsausprägungen sind aus den empirischen Ergebnissen der durchgeführten Regressionsanalysen Hinweise auf die relative Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber ableitbar. Als unzureichend erweist sich allerdings die Regressionsanalyse, die lediglich einseitige Ursache-Wirkungs-Beziehungen untersucht und daher keine gegenseitigen Interdependenzen zwischen Komplexitätsformen und -treibern erfasst. Entsprechend sind Handlungsempfehlungen für ein ganzheitlich ausgerichtetes Komplexitätsmanagement nur eingeschränkt möglich. Greenwood, Deephouse und Li betrachten den moderierenden Effekt der Organisationskomplexität auf den Zusammenhang zwischen verschiedenen Eigentümerstrukturen und der Produktivität von Dienstleistungsunternehmen.162 Die Organisationskomplexität wird durch die geografische Ausbreitung der Standorte wiedergegeben, die Messung erfolgt über die Anzahl weltweiter Standorte.163 Somit erfolgt keine ganzheitliche und differenzierte Betrachtung verschiedener Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen. Die Studie liefert daher auch keine Erkenntnisse über die relative Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen. Aufgrund der ausschließlichen Berücksichtigung der Anzahl an
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Der Individualisierungsgrad und die Breite des Leistungsangebots betreffen beispielsweise die Komplexitätsmerkmale Veränderlichkeit bzw. Vielzahl und Vielfalt des Leistungsangebots. Durch die Integration externer Faktoren erhöht sich die Anzahl und Heterogenität der zu koordinierenden Elemente des Systems „Dienstleistungsanbieter“. Vgl. Greenwood/Deephouse/Li 2007, S. 219f., 227. Bei der betrachteten Dienstleistung handelt es sich um Managementberatungen. Vgl. Greenwood/Deephouse/Li 2007, S. 225, 228.
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Standorten als Komplexitätsmaß ist zudem kein Vergleich verschiedener Komplexitätstreiber möglich.164 Die Arbeit liefert in der Folge keine Ansatzpunkte für ein Komplexitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen. Stock-Homburg untersucht in ihrer Arbeit den moderierenden Effekt der Leistungskomplexität (von sowohl Produkten als auch Dienstleistungen) auf den Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit.165 Die Komplexität wird anhand einer Skala aus sechs Indikatoren erfasst, die die Vielzahl und Heterogenität der Teilleistungen sowie das Ausmaß widerspiegeln, zu dem die Leistung für den Kunden erklärungsbedürftig ist.166 Die kausalanalytische Untersuchung ergab allerdings keine signifikanten Ergebnisse für die Hypothese, dass sich der Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit bei höherer Komplexität verstärkt. Da keine Aussagen über den Einfluss einzelner Teilindikatoren der Leistungskomplexität gemacht und keine weiteren Komplexitätsformen betrachtet werden, ist auch keine Ableitung von differenzierten Aussagen für ein ganzheitliches Komplexitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen möglich. Als Zwischenfazit zeigt die Darstellung von Publikationen zu Komplexität in Dienstleistungsunternehmen Defizite insbesondere bei der ganzheitlichen Betrachtung von Komplexität sowie entsprechend bei Aussagen über die relative Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber. In der Folge mangelt es an Implikationen für ein umfassendes Komplexitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen.
2.2.2
Publikationen zu Komplexität und Komplexitätsmanagement in allgemeinem betriebswirtschaftlichem Zusammenhang
Ähnliche Defizite wie die vorgestellten dienstleistungsspezifischen Publikationen weist eine Reihe weiterer empirischer Studien auf, die Komplexität als Konstrukt in allgemeinem betriebswirtschaftlichem Zusammenhang berücksichtigen. Primär wird hierbei externe Komplexität als Einflussfaktor z.B. auf die 164
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Darüber hinaus ergab die Untersuchung der moderierenden Effekte der Organisationskomplexität keinen signifikanten Einfluss (vgl. Greenwood/Deephouse/Li 2007, S. 231). Vgl. Stock-Homburg 2007, S. 118f. Vgl. Stock-Homburg 2007, S. 181f.
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Marketingstrategie oder als Ursache von Unsicherheit für ein Unternehmen betrachtet.167 Andere Arbeiten sind auf eingeschränkte Teilfragestellungen wie z.B. einzelne Komplexitätsformen ausgerichtet.168 In Bezug auf die ganzheitliche Analyse und Messung der Unternehmenskomplexität leisten diese Publikationen keinen Beitrag. Eine ganzheitliche Sichtweise nehmen dagegen verschiedene Arbeiten zum Komplexitätsmanagement in Unternehmen ein, wobei teilweise auch Vorschläge zur Messung und Bewertung von Komplexität bzw. deren Treibern und Interdependenzen gemacht werden. Hierbei sind insbesondere die Arbeiten von Puhl, Bliss, Kirchhof und Hanenkamp von Relevanz, die im Folgenden dargestellt und kritisch gewürdigt werden.169 167
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169
Zu externer Komplexität als Ursache von Unsicherheit vgl. z.B. Duncan 1972; Downey/Hellriegel/Slocum Jr. 1975; Dess/Beard 1984; Achrol/Stern 1988; Sharfman/Dean 1991; Freel 2005. Zum Einfluss externer Komplexität auf die Marketingstrategie vgl. Neill/Rose 2006. Zum Einfluss externer Komplexität auf den Erfolg von Unternehmensgründungen vgl. Scheinker/Ehrmann 2006. Zum Zusammenhang zwischen externer Komplexität und dem Einfluss des Marketing im Unternehmen vgl. Homburg/Workman Jr/Krohmer 1999. Die externe Komplexität wird zudem bei Homburg als moderierende Variable des Zusammenhangs zwischen Kundennähe und Profitabilität berücksichtigt (vgl. Homburg 1998, S. 150ff., 164ff.). Da diese Arbeiten weder einen Dienstleistungsbezug aufweisen, noch eine ganzheitliche Sicht des Komplexitätsphänomens einnehmen, sind sie in Tabelle 3 nicht aufgeführt. Vgl. beispielsweise zur Komplexität des Leistungsprogramms Rathnow 1993; zu Aspekten der Organisationskomplexität Damanpour 1996; Moldoveanu/Bauer 2004; zur Untersuchung der Aufgabenkomplexität Man/Lam 2003; Park/Baker/Lee 2008. Auf diese Arbeiten wird in Zusammenhang mit Komplexitätskosten und -nutzen (Abschnitte 2.3 und 2.4) eingegangen, soweit sie einen entsprechenden konzeptionellen und/oder empirischen bzw. methodischen Beitrag zu diesen Themen leisten. Bei den hier betrachteten Ansätzen handelt es sich um umfassende Konzepte des Komplexitätsmanagements. Im Folgenden werden lediglich die Ausschnitte aus diesen Arbeiten thematisiert, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. Weitere Ansätze des Komplexitätsmanagements, die aber keine Gesamtsicht des Unternehmens einnehmen, sondern bestimmte Teilaspekte behandeln, werden im Folgenden nicht explizit angeführt (vgl. beispielsweise zum Komplexitätsmanagement durch Variantenmanagement und Prozessorganisation in der Investitionsgüterindustrie Benett 1999; zum Management der Komplexität des Leistungsspektrums Schwenk-Willi 2001; zum Komplexitätsmanagement in der Produktionslogistik Westphal 2001 oder in der Unternehmenslogistik allgemein Meyer 2007). Publikationen zu Konzepten und Strategien der Komplexitätsbewältigung, die zwar grundsätzlich das Unternehmen als Ganzes betrachten, aber ein Abstraktionsniveau wählen, das keine konkreten Implikationen für verschiedene Komplexitätsformen im Unternehmen erlaubt, werden eben-
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51
Eine holistische Betrachtung der Unternehmenskomplexität findet sich in der Arbeit von Puhl, der auf Basis eines Praxisbeispiels umfassende Listen mit Komplexitätsformen und -treibern (von Puhl Komplexitätsstrukturen aus Komplexitätsobjekten und -merkmalen genannt) erarbeitet.170 Diese sind zwar nicht originär auf Dienstleistungen ausgerichtet,171 decken aber die drei Bereiche der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension ab und bieten somit grundlegende Anhaltspunkte für die Identifikation von Komplexitätsformen und -treibern auch in Dienstleistungsunternehmen. Eine Beurteilung der Komplexitätstreiber sieht Puhl in seinem Ansatz in zwei Formen vor. Zum einen wird eine Bewertung der Interdependenzen zwischen Treibern anhand von Ursache-Wirkungs-Netzen und Wechselwirkungsmatrizen mittels einer einfachen Skala mit drei Intensitätsstufen vorgenommen.172 Aus diesen Bewertungen errechnet Puhl für jeden Treiber Aktivsummen, die das Ausmaß des Einflusses eines Treibers auf andere Komplexitätsaspekte widerspiegeln, und Passivsummen, die angeben, wie stark ein Aspekt von anderen beeinflusst wird. Bei dieser Bewertung handelt es sich allerdings um eine sehr einfach gehaltene, direkte und lediglich subjektive Einschätzung,173 die sich höchstens durch den Abgleich der Bewertungen mehrerer Personen „objektivieren“ ließe.174 Eine objektive, durch mathematische oder statistische Verfahren fundierte Bewertung erfolgt nicht. Zudem werden in der Wechselwirkungsmatrix
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173
174
falls nicht berücksichtigt (vgl. z.B. Grossmann 1992; Stüttgen 1999; Bleicher 2004, S. 50ff.; Malik 2008 sowie die verschiedenen Veröffentlichungen von Ulrich, Probst und Gomez zur auf Komplexitätsüberlegungen basierenden Idee des vernetzten, ganzheitlichen Denkens und Problemlösens, z.B. Probst/Gomez 1989a; Gomez/Probst 1997; Ulrich/Probst 2001). Vgl. Puhl 1999, S. 52f., 101 und den zugehörigen Anhang. Das Anwendungsbeispiel bei Puhl bezieht sich auf ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie (vgl. Puhl 1999, S. 98). Vgl. Puhl 1999, S. 55ff. Vgl. hierzu im Folgenden auch die Arbeiten des Biochemikers Vester, auf die diese Vorgehensweise zurückgeht (vgl. Vester/von Hesler 1988, S. 271ff.; Vester 1990, S. 36ff.; Vester 2000, S. 196ff.). Während Puhl die drei Intensitätsstufen mit den Werten 1, 3 und 5 skaliert, schlägt Vester eine Skala mit Werten von 0 bis 3 vor. Der Ansatz findet wiederholt Anwendung in der Literatur zum Komplexitätsmanagement (vgl. z.B. auch Ulrich/Probst 2001, S. 135ff.; Kirchhof 2003, S. 187ff.; Meyer 2007, S. 120ff.; Lasch/Gießmann 2009, S. 226). Puhl verwendet bewusst nur einfache, subjektive Messskalen (vgl. Puhl 1999, S. 42). Vester stellt fest, dass es sich bei dieser Form der Beurteilung lediglich um eine grobe Schätzung der Einflüsse handelt (vgl. Vester 1990, S. 36f.). Vgl. ähnlich Kirchhof 2003, S. 187.
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Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
nur die direkten Beeinflussungen und Abhängigkeiten zwischen Komplexitätstreibern erfasst. Indirekte, sich verstärkende Wirkungen entlang von (zirkulären) Kausalitätsketten gehen nicht in die Bewertung der Komplexitätstreiber ein. Die zweite Bewertung der Komplexität erfolgt in Anlehnung an die Vorgehensweise der Prozesskostenrechnung anhand einer Zuordnung von Kosten zu Komplexitätstreibern.175 Dabei schlüsselt Puhl allerdings die gesamten Prozesskosten anhand von Komplexitäts- anstelle von Prozesskennzahlen,176 was lediglich einer anderen Interpretation der Prozesskosten infolge anderer Bezugsobjekte entspricht.177 Dennoch sind auf Basis der beiden im Konzept von Puhl vorgesehenen Bewertungsvorgänge zumindest eingeschränkt Aussagen über die relative Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen möglich. Implikationen für ein Komplexitätsmanagement ergeben sich aufgrund der Betrachtung nur eines Unternehmensbeispiels jedoch lediglich einzelfallbezogen und nicht allgemeingültig. Für das Erreichen des von Puhl angestrebten Komplexitätsoptimums178 wäre zudem neben den Kostenwirkungen der Komplexität eine explizite Berücksichtigung von Nutzenwirkungen der Komplexität erforderlich. Ein vielzitierter Ansatz zum Komplexitätsmanagement stammt von Bliss, der ebenfalls eine ganzheitliche Sicht des Komplexitätsphänomens einnimmt und insbesondere grundlegend und umfassend mögliche Komplexitätsformen in Unternehmen identifiziert und abgrenzt.179 Dabei unterscheidet der Autor die drei Gruppen der exogenen Komplexität der Unternehmensumwelt, der korrelierten Unternehmenskomplexität sowie der autonomen Unternehmenskomplexität.180 Aufbauend auf systemtheoretischen und kybernetischen Überlegungen entwickelt Bliss „Strategien und Implementierungssequenzen“181 eines Komplexitätsmanagements, das – in vorgegebener Reihenfolge – (1) die Reduktion der autonomen, (2) der korrelierten Unternehmenskomplexität und (3) der wahrgenom175 176 177 178 179 180
181
Vgl. Puhl 1999, S. 69ff. Vgl. Puhl 1999, S. 99ff. Vgl. auch Lasch/Gießmann 2009, S. 209. Zu den Problemen von Ansätzen der Kostenrechnung mit der Abbildung von Komplexität vgl. auch Abschnitt 2.3.2. Vgl. Puhl 1999, S. 44. Vgl. auch die Beschreibung von Komplexitätsformen in Abschnitt 1.2.4. Vgl. Bliss 2000, S. 163f. Die Unternehmenskomplexität bezeichnet Bliss als endogene Komplexität. Die endogene korrelierte Komplexität (z.B. des Leistungsprogramms) hat nach Bliss ihre Ursache direkt in der exogenen Komplexität (z.B. in differenzierten Kundenanforderungen). Die endogene autonome Komplexität hat keine direkten unternehmensexternen Ursachen (z.B. die Gestaltung des Produktionsprogramms). Vgl. Bliss 2000, S. 170.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
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menen Marktkomplexität sowie (4) die Beherrschung der unvermeidlichen Restkomplexität vorsieht.182 Den Phasen dieses integrierten Ansatzes werden verschiedene Einzelansätze (z.B. Bereinigung des Kundenstamms, Standardisierung, Modularisierung, Outsourcing u.v.m.) zugeordnet und in ihren Interdependenzen dargestellt.183 Somit leistet die Arbeit insbesondere einen wertvollen Überblick über Komplexitätsformen und den integrierten Einsatz bestehender Ansätze der Komplexitätsreduktion. Auf eine Messung oder Bewertung der Komplexität z.B. anhand ihrer ökonomischen Wirkungen verzichtet Bliss allerdings. Deshalb lassen sich auch aus der Fallstudie, die die Umsetzung des Ansatzes anhand eines realen Beispiels aufzeigt,184 keine quantitativen Erkenntnisse über die Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -treiber ableiten. Die umfangreichen Implikationen für das Management der Komplexität basieren überwiegend auf konzeptionellen und theoretischen Überlegungen. Kirchhof entwickelt ebenfalls einen Ansatz für ein ganzheitliches Komplexitätsmanagement und integriert dabei unterschiedliche Einzelansätze in ein Gesamtkonzept.185 Kirchhof modelliert sehr detailliert und abstrakt, dadurch aber allgemeingültig, verschiedene Komplexitätsformen – vom Autor Konfigurationsmodelle genannt186 –, die ähnlich der bei Dienstleistung gebräuchlichen Dreiteilung (Potenziale, Prozesse und Ergebnisse) nach dem Input-ThroughputOutput-Prinzip strukturiert und abgeleitet werden.187 Das Gesamtmodell bildet zudem die gegenseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten zwischen den Komplexitätsformen ab. Über das Dienstleistungsmodell wird die Komplexität von Dienstleistungen zumindest als Teilaspekt berücksichtigt. Dabei wählt Kirchhof allerdings ein Abstraktionsniveau, das in seiner allgemeingültigen Form keine konkreten Hinweise auf dienstleistungsspezifische Besonderheiten des Komplexitätsphänomens ergibt. Im Unterschied zu den übrigen hier vorgestellten Ansätzen des Komplexitätsmanagements, die ausschließlich objektive Komplexitätsformen
182 183 184 185 186 187
Vgl. Bliss 2000, S. 196. Vgl. Bliss 2000, S. 208ff. Vgl. zu der Fallstudie Bliss 2000, S. 219ff. sowie auch Bliss 1998, S. 146ff. Vgl. Kirchhof 2003, S. 3. Vgl. Kirchhof 2003, S. 111ff. Vgl. Kirchhof 2003, S. 120. Die von Kirchhof entwickelten Konfigurationsmodelle, die die Komplexitätsformen widerspiegeln, sind: Zielgruppen-, Marken-, Funktions-, Dienstleistungs-, Produkt-Teile-, Prozess-, Technologie-, Faktor- und Akteurmodell. Die Modellierung erfolgt anhand der so genannten Entity-Relationship-Methode, die Systeme nach Objekten, Beziehungen und deren Eigenschaften strukturiert (vgl. Kirchhof 2003, S. 115).
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Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
betrachten, bezieht Kirchhof explizit die subjektive Komplexität in seinen Ansatz mit ein und betrachtet in dem so genannten Akteurmodell verschiedene beteiligte Personen, ihre Aufgaben und Entscheidungskompetenzen sowie die Menge und Art ihrer Interaktionsbeziehungen.188 Die die Komplexität abbildenden Konfigurationsmodelle bilden die Grundlage für die Abgrenzung des Systems, das bei der Untersuchung einer bestimmten Problemstellung zu berücksichtigen ist.189 Trotz des hohen Abstraktionsgrades sowie der sehr hohen Eigenkomplexität des Ansatzes190 bietet die Arbeit grundsätzlich Ansatzpunkte für die Identifikation von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. Eine Bewertung der Komplexität erfolgt bei Kirchhof in ähnlicher Weise wie bei Puhl auf Basis einer Einflussmatrix. Während Puhl dabei ausschließlich die Komplexitätstreiber betrachtet, integriert Kirchhof ergänzend weitere Faktoren, die das System und dessen Verhalten beeinflussen.191 Hierunter fallen auch Kosten- und Nutzenaspekte des Unternehmens,192 die zwar nicht explizit als Komplexitätskosten und -nutzen Berücksichtigung finden, durch die die Komplexitätstreiber aber zumindest implizit hinsichtlich ihres Einflusses auf ökonomische Größen beurteilt werden. Die Bewertung erfolgt auf einer Skala von 0 (keine Wirkung) bis 3 (starke Wirkung). Anhand ihrer Aktiv- und Passivsummen werden die in der Einflussmatrix betrachteten Faktoren in träge, reaktive, aktive und kritische Variablen unterteilt.193 Problematisch ist bei dieser Vorgehensweise, dass es sich zum einen um eine sehr einfach gehaltene Bewertungsmethode han-
188 189 190
191 192 193
Vgl. Kirchhof 2003, S. 153ff. Vgl. Kirchhof 2003, S. 180f. Vgl. beispielsweise Kirchhof 2003, S. 123ff. zur Komplexität der verschiedenen Konfigurationsmodelle sowie S. 163ff. zur Komplexität des Planungskonzepts, das aus 3 Phasen mit insgesamt 14 interdependenten Schritten besteht, die wiederum weiter ausdifferenziert werden. Vgl. zur Identifikation und Verdichtung der Einflussfaktoren Kirchhof 2003, S. 181ff. Vgl. Kirchhof 2003, S. 181 sowie die exemplarische Einflussmatrix auf S. 188. Vgl. Kirchhof 2003, S. 188f. Zu dieser Einteilung vgl. auch Gomez/Probst 1989, S. 28 sowie die weiteren Beiträge bei Probst/Gomez 1989b; vgl. zudem Grossmann 1992, S. 175; Ulrich/Probst 2001, S. 138f. Träge Elemente sind demnach solche mit geringer Aktiv- und Passivsumme; reaktive Elemente haben eine niedrige Aktiv- und eine hohe Passivsumme, aktive Elemente eine hohe Aktiv- sowie eine niedrige Passivsumme. Als kritische Elemente gelten diejenigen mit sowohl hoher Passiv- als auch Aktivsumme.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
55
delt.194 Zum anderen ist die Berücksichtigung von Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexität zwar grundsätzlich möglich,195 diese wird jedoch nicht systematisch vorgenommen. Die Bewertung der Interdependenzen zwischen verschiedenen Komplexitätsaspekten steht daher deutlich im Vordergrund. Eine empirische Anwendung des Ansatzes erfolgt nicht, weshalb die konkreten Implikationen zum Management der Komplexität konzeptioneller Art sind. Auch Hanenkamp nimmt bei seiner Entwicklung eines eigenständigen Geschäftsprozesses „Komplexitätsmanagement“ eine ganzheitliche Sichtweise auf die Unternehmenskomplexität ein, indem er einen generischen Leitfaden bzw. Fragenkatalog vorschlägt, der der Identifikation von Komplexitätstreibern in den Bereichen Input, Output, Personal und Organisation/Management dient.196 Die identifizierten Treiber werden dann hinsichtlich ihrer Relevanz bezüglich der Dimensionen Ressourcen, Prozesse und Produkte eingeordnet. Die Strukturierung weist Parallelen zur dienstleistungsspezifischen Unterscheidung von Potenzialen, Prozessen und Ergebnissen auf und bietet daher grundsätzlich Ansatzpunkte für die Identifikation von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. In Abhängigkeit ihrer Bedeutung erfolgt im Komplexitätsmanagementprozess von Hanenkamp eine qualitative und/oder quantitative Bewertung der Treiber. Für die qualitative Bewertung wird eine Interdependenzmatrix vorgeschlagen.197 Die darüber hinaus gehende quantitative Bewertung der Interdependenzen ist zwar für einen Teil der Komplexitätstreiber vorgesehen, dabei lässt der Autor aber of-
194
195
196 197
Vgl. zu dieser Einschätzung auch Ulrich/Probst 2001, S. 136 sowie die Anmerkungen zur Vorgehensweise von Puhl in diesem Abschnitt. Insbesondere indirekte Wirkungen zwischen den Treibern aufgrund von Wirkungsketten mit teilweise zirkulären Kausalitätsbeziehungen werden auch bei Kirchhof nicht berücksichtigt. Kirchhof bildet diese im Gegensatz zu Puhl zwar anhand von Feedbackdiagrammen ab (vgl. Kirchhof 2003, S. 182ff.), sie fließen aber bei der Bildung von Aktiv- und Passivsummen nicht in die Bewertung der Treiber mit ein. Dies ist nicht in allen betriebswirtschaftlichen Ansätzen zum Komplexitätsmanagement gegeben. Meyer, der auf die gleiche Methodik zur Bewertung von Komplexität zurückgreift, schließt eine Beurteilung anhand ökonomischer Wirkungen der Komplexität beispielsweise explizit aus (vgl. Meyer 2007, S. 62). Vgl. Hanenkamp 2004, S. 65ff. sowie den zugehörigen Anhang. Vgl. Hanenkamp 2004, S. 67f. Die Vorgehensweise ist der von Puhl ähnlich, allerdings erfolgt keine Bewertung anhand von numerischen Werten. Hanenkamp ergänzt die Matrix um ein Interdependenzlexikon, in dem die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ausführlich beschrieben werden.
56
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
fen, wie diese Bewertung zu erfolgen hat.198 Empirische Erkenntnisse über die Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen bzw. -treiber sind daher nicht gegeben. Auch entsprechend fundierte inhaltliche Implikationen für die Steuerung von Komplexität werden nicht abgeleitet.199 Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass die Ansätze zum Komplexitätsmanagement zwar einerseits eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenskomplexität vornehmen und damit zumindest auf allgemeinem betriebswirtschaftlichen Niveau eine wesentliche Lücke der dienstleistungsspezifischen Forschung schließen. Andererseits sind allerdings auch bei diesen Ansätzen nach wie vor Defizite hinsichtlich der Messung und Bewertung von Komplexität zu erkennen, die i.d.R. sehr einfach gehalten ist und folglich nur bedingt fundierte Aussagen über das gezielte Management der Komplexität erlaubt.
2.2.3
Ansätze zur Messung von Komplexität
Im Folgenden werden mit den Publikationen von Raufeisen sowie Lasch und Gießmann Arbeiten vorgestellt, die zwar keine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenskomplexität vornehmen, sich aber explizit mit dem Aspekt der Messung von Komplexität befassen. Raufeisen entwickelt einen Ansatz zur Messung der Komplexität von Auftragsabwicklungsprozessen.200 Die Messung erfolgt über ein umfangreiches Kennzahlensystem, das auf einer detaillierten Analyse des Prozesses sowie seiner einzelnen Tätigkeiten basiert. Dabei erfolgt zwar keine ganzheitliche Untersuchung des Unternehmens, innerhalb der Prozesskomplexität werden aber Komplexitätstreiber unterschieden, deren relative Bedeutung bestimmt werden kann.201 Eine Be198 199
200 201
Vgl. Hanenkamp 2004, S. 68f., 142f. Der Autor hält dabei die quantitative Bewertung sämtlicher Komplexitätstreiber für nicht handhabbar. Hanenkamp schlägt lediglich auf abstrakter Ebene eine Clusteranalyse zur Gruppierung ähnlicher Komplexitätstreiber vor. Für die Gruppen von Treibern sind dann geeignete Methoden zu deren Management zu identifizieren. Konkrete Aussagen über anwendbare oder geeignete Methoden werden in der Arbeit jedoch nicht vorgenommen (vgl. Hanenkamp 2004, S. 72ff. sowie auch Lasch/Gießmann 2009, S. 217). Vgl. Raufeisen 1999, S. 4, 17. Raufeisen unterscheidet die operative (tätigkeitsbezogene), die schnittstellenbezogene sowie die zeitorientierte Komplexität der betrachteten Prozesse (vgl. Raufeisen 1999, S. 100ff.). Über einen Komplexitätsindex ermittelt der Autor die Anteile dieser drei Teilaspekte an der Gesamtkomplexität (vgl. z.B. Raufeisen 1997, S. 135).
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
57
rücksichtigung von Kosten- und Nutzenaspekten erfolgt indirekt, da die auf der Komplexitätsmessung basierende Prozessgestaltung darauf abzielt, sämtliche nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten im Prozess zu eliminieren.202 Auch wenn Raufeisen selbst lediglich konzeptionell und punktuell Gestaltungsparameter der Optimierung der Komplexität diskutiert,203 sind auf Basis der Komplexitätsmaße grundsätzlich empirisch fundierte Aussagen für das Komplexitätsmanagement möglich. Problematisch ist an der Vorgehensweise allerdings der hohe Detaillierungsgrad, der z.B. die enumerative Erfassung aller wertschöpfenden und nichtwertschöpfenden Aktivitäten, aller Beziehungen im Prozess sowie die Bestimmung des Zeitbedarfs einzelner Tätigkeiten erfordert.204 Eine Anwendung des Ansatzes auf die Analyse der Komplexität eines Unternehmens als Gesamtsystem ist aufgrund des damit verbundenen Erhebungsaufwandes kaum möglich. Ein zweistufiger Ansatz, der explizit Kosten- und Nutzenwirkungen berücksichtigt, wird von Lasch und Gießmann für die Bewertung von Komplexitätstreibern in der Beschaffungslogistik vorgeschlagen.205 Die Autoren leiten in einem ersten Bewertungsschritt aus den logistischen Zielgrößen Kosten, Qualität, Zeit und Flexibilität Subziele als Beurteilungskriterien ab und nehmen eine Bewertung der Komplexitätstreiber anhand dieser Subziele vor. Lasch und Gießmann empfehlen eine Bewertung anhand des Konstantsummenverfahrens, d.h. die Verteilung einer festen Punktzahl auf die betrachteten Komplexitätstreiber, wodurch die Treiber integrativ und nicht unabhängig voneinander beurteilt werden. Durch Addition der Punkte über die verschiedenen Subziele ergibt sich die Bedeutung der Komplexitätstreiber für die logistischen Ziele. Der Subjektivität der Bewertung begegnen die Autoren durch eine Beurteilung der Komplexitätstreiber durch interdisziplinäre Teams. Im zweiten Schritt erfolgt eine Bewertung der Interdependenzen zwischen den Komplexitätstreibern wie bei Puhl und Kirchhof anhand einer Bewertungsmatrix und der Bildung von Aktiv- und Passivsummen.206 Je nach Einordnung in die Kategorien träger, reaktiver (bei Lasch und Gießmann passiv genannt), aktiver oder kritischer Treiber erhalten die Komplexitätstreiber ein auf den Interdependenzen basierendes numerisches Gesamturteil. Anschließend werden die Teilergebnisse – d.h. die numerischen Werte aus der Zielbeeinflussung sowie aus der Interdependenzbetrachtung – aufaddiert, wodurch eine
202 203 204 205 206
Vgl. Raufeisen 1997, S. 135 i.V.m. Raufeisen 1999, S. 100. Vgl. Raufeisen 1999, S. 219. Vgl. im Detail die Entwicklung der Komplexitätsmaße bei Raufeisen 1999, S. 117ff. Vgl. im Folgenden Lasch/Gießmann 2009, S. 223ff. Lasch und Gießmann verwenden allerdings lediglich eine Skala von 0 (kein Einfluss) bis 2 (großer Einfluss; vgl. Lasch/Gießmann 2009, S. 226).
58
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Rangreihung der Komplexitätstreiber nach ihrer Bedeutung für das Komplexitätsmanagement möglich ist. Während in der bewussten Berücksichtigung der Zielgrößen und damit der Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexität ein großer Vorteil des Ansatzes zu sehen ist, sind die Bewertungsvorgänge sowie die Summenbildung zur Ermittlung der Bedeutung der Komplexitätstreiber als pragmatische Lösung anzusehen, die eine methodisch fundierte Messung und entsprechende Ableitung von Gestaltungsimplikationen für das Komplexitätsmanagement nur bedingt ermöglicht. Insbesondere werden auch im Ansatz von Lasch und Gießmann lediglich die direkten Einflüsse und Abhängigkeiten der Komplexitätstreiber untereinander berücksichtigt.207 Als Zwischenfazit ergibt sich die Erkenntnis, dass die beiden vorgestellten Messansätze nur bedingt zweckmäßig sind, die Komplexität in Unternehmen zu erfassen. Der Ansatz von Raufeisen ist infolge seines hohen Detaillierungsgrads für die ganzheitliche Untersuchung der Unternehmenskomplexität nicht praktikabel. Die Vorgehensweise von Lasch und Gießmann berücksichtigt zwar explizit Kosten- und Nutzenaspekte der Komplexität, ist in ihrer Einfachheit aber nicht geeignet, die Komplexität in ihren Eigenschaften und insbesondere die interdependenten Wirkungszusammenhänge angemessen zu bewerten.
2.3
Behandlung von Komplexitätskosten in der Literatur
Neben den in Abschnitt 2.2 vorgestellten Arbeiten zu Komplexität bzw. deren Management besteht eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich mit den aus der Komplexität resultierenden Kosten befassen. Tabelle 4 gibt einen Überblick über relevante Publikationen zu diesem Teilaspekt der vorliegenden Arbeit. In der nachfolgenden Diskussion dieser Veröffentlichungen wird zwei Fragen nachgegangen:
207
Konzeptionelle und inhaltliche Erkenntnisse über Komplexitätskosten: Welchen inhaltlichen Beitrag leisten die Veröffentlichungen zum Themenbereich der Komplexitätskosten in Unternehmen?
Methodische Vorschläge zur Identifikation von Komplexitätskosten: Welche Vorgehensweisen werden vorgeschlagen, Komplexitätskosten in Unternehmen zu erfassen und zu messen?
Vgl. hierzu auch die kritische Würdigung der Vorgehensweise von Puhl und Kirchhof in Abschnitt 2.2.2.
Tabelle 4: Identifikation vielfaltsinduzierter Prozesse und deren Kostenverhalten Diskussion der Komplexität und ihrer Kostenwirkungen im Marketingkontext Diskussion der Abgrenzungsprobleme zwischen Komplexitäts- und Produktionskosten sowie Fallbeispiel zur Kalkulation der Kosten zusätzlicher Varianten auf Basis der Prozesskostenrechnung Vorschlag einer auf der dynamischen Investitionsrechnung/Kapitalwertmethode basierenden Wirtschaftlichkeitsbeurteilung von Maßnahmen des Variantenmanagements unter Berücksichtigung verschiedener Kostenwirkungen Diskussion der Abgrenzungsprobleme zwischen Komplexitäts- und Produktionskosten Ermittlung komplexitätskostenbereinigter Herstellkosten durch Abschätzung von Komplexitätskosten und Erstellung von mit diesen Komplexitätskosten bewerteten Stücklisten (Betrachtungsgegenstand: Variantenvielfalt, Automobilbranche)
Reiners/Sasse 1999
Meffert 2000
Battenfeld 2001
Rosenberg 2002
Olbrich/Battenfeld 2005
Tischendorf 2006; Hoffschult/Tischendorf 2007
Ergänzung der stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung um Elemente der Prozesskostenrechnung
Berens/Schmitting 1998
Berechnung von Komplexitätskosten anhand der Prozesskostenrechnung
Diskussion wesentlicher Eigenschaften von Komplexitätskosten
Adam 1998, 2004
Puhl 1999
Diskussion der Kostenwirkungen der Komplexität und umfassende Darstellung der Prozesskostenrechnung
Schweikart 1997
Entwicklung eines Ansatzes zur Identifikation und Zurechnung von Komplexitätskosten
Erarbeitung einer allgemeinen Gliederung von Komplexitätskosten sowie exemplarische Vergleichsrechnung der Zuschlagskalkulation und der Prozesskostenrechnung
Homburg/Daum 1997
Identifikation verschiedener Kostenarten der Komplexität
Erweiterte prozessorientiere Kalkulation auf Basis der Prozesskostenrechnung oder modifizierte flexible Grenzplankostenrechnung (Betrachtungsgegenstand: Variantenvielfalt)
Schulz 1994
Wildemann 1998, 2002, 2008a
Konzeptionelle Beschreibung möglicher Vielfaltskosten von Varianten und Vorschlag der Identifikation dieser Vielfaltskosten anhand des Activity-Based Costing
Rathnow 1993
Bohne 1998
Entwicklung einer Variantenkostenrechnung zur Analyse variantenabhängiger Kosten von Kostenstellen
Inhalt
Pfeiffer et al. 1992; von Goetze 1992
Autor(en)
Konzeptioneller Beitrag
x x –
– x x
–
x
x
x
–
x
(x)
–
x
x
x
x
x
– –
(x) x
x
x
x
x
Prozesskostenrechnung
x
x
x
x
–
Investitionsrechnung –
–
x
–
–
–
–
–
–
(x)
–
–
–
–
–
–
x
–
–
–
–
–
–
–
–
x
–
–
–
x
–
–
Sonstiger Methodenvorschlag
Methodischer Beitrag
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen 59
Die in Tabelle 4 angeführten Arbeiten werden im Folgenden – strukturiert nach ihrem inhaltlichen Fokus auf eine konzeptionelle Beschreibung versus methodische Erfassung von Komplexitätskosten – dargestellt und gewürdigt.
Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexitätskosten (chronologisch) (Legende: x = gegeben; (x) = teilweise gegeben; – = nicht gegeben)
60
2.3.1
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Konzeptionell ausgerichtete Publikationen zu Komplexitätskosten
Der konzeptionelle Beitrag der Literatur zum Thema Komplexitätskosten besteht primär in Überlegungen zu Eigenschaften von Komplexitätskosten und der Beschreibung dieser Kosten anhand entsprechender Kriterien. Wesentliche Kriterien sind dabei mögliche Kostenverläufe, die Zurechenbarkeit der Komplexitätskosten zu Bezugsobjekten sowie der Zeitpunkt, die Dauer und die Umkehrbarkeit des Kostenanfalls. Anhand dieser Kriterien grenzen die Autoren die in Tabelle 5 genannten Kategorien von Komplexitätskosten ab. Ein Defizit dieser sehr allgemein gehaltenen, deskriptiven Abhandlungen über Komplexitätskosten ist allerdings, dass sie keine Aussagen über den Inhalt der Komplexitätskosten erlauben, also darüber, welche Art von Kosten Komplexität in Unternehmen verursacht.
Kriterium
Kategorien
Autoren
Kostenverlauf
-
Adam 1998; Adam 2004; Reiners/Sasse 1999
unterproportional proportional überproportional
sprungfix zur Komplexitätsursache (z.B. Variantenzahl) Zurechenbarkeit der Kosten
Zeitpunkt des Kostenanfalls Beständigkeit/ Umkehrbarkeit
-
Dauer des Auftretens
-
Richtung der Kostenwirkung
-
Tabelle 5:
variantenspezifische Zusatzkosten
Schweikart 1997; Adam 1998; Bohne 1998
allgemeine Zusatzkosten direkte Komplexitätskosten Opportunitätskosten unmittelbar
Homburg/Daum 1997; Schweikart 1997; Bohne 1998 Adam 1998; Reiners/Sasse 1999
zeitlich verzögert reversibel
Rathnow 1993; Adam 1998; Adam 2004
irreversibel (Kostenremanenz bei Komplexitätsabbau)
laufend/dauerhaft
Rathnow 1993; Homburg/Daum 1997; Schweikart 1997; Reiners/Sasse 1999; Rosenberg 2002
Mehrkosten
Rosenberg 2002
einmalig
Minderkosten infolge einer Komplexitätsveränderung
Charakteristika und Kategorien von Komplexitätskosten
Ein Ansatz zur Bildung von Kostenarten der Komplexität nach deren Inhalt findet sich dagegen bei Wildemann, der „alle erforderlichen Vorgänge in An-
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
61
spruch genommener Haupt- und Teilprozesse ermittelt“208 und daraus insgesamt 16 Kostenarten der Komplexität, wie die Planungs- und Steuerungskosten, Koordinationskosten, Abstimmungskosten, Mehrkosten durch höhere Einstandspreise u.a.m., entwickelt.209 Wildemann listet diese Kostenarten allerdings ohne detaillierte Erklärungen auf, weshalb die gebildeten Kategorien zwar größtenteils plausibel, ihre genaue Bedeutung und eindeutige Abgrenzung210 dagegen nur bedingt nachvollziehbar ist. Dennoch bieten die Kategorien nach Wildemann Anregungsinformationen für die vorliegende Arbeit. Weitere Ansätze, die eine Kategorisierung von Kostenarten der Komplexität vornehmen, bestehen nicht. In der Literatur zu Komplexitätskosten sind i.d.R. lediglich exemplarische Aufzählungen vielfaltsinduzierter Kostenursachen im Unternehmen zu finden. Dabei werden basierend auf der Grundidee der Prozesskostenrechnung insbesondere komplexitätsbedingte Tätigkeiten betrachtet.211 Beispielsweise listet Rathnow Kostenquellen bei steigender Produktvielfalt auf, differenziert nach betrieblicher Funktion (z.B. zusätzliche Konstruktionszeichnungen in der Entwicklung, Lieferantensuche im Einkauf, aufwändige Preissetzung in Vertrieb/Marketing, Mitarbeiterschulungen im Kundendienst) sowie nach Phasen des Produktlebenszyklus (Entstehungsphase, Marktphase und Entsorgungsphase des Produkts).212 Ähnlich betrachtet Schulz den Kostenanfall entlang der Wertschöpfungskette und unterscheidet dabei zwischen direkten Komplexitätskosten und Opportunitätskosten der Komplexität.213 Weitere funktionsübergreifende Auflistungen finden sich bei Homburg und Daum sowie Meffert, der insbesondere die Auflistung von Rathnow um vielfaltsinduzierte Aspekte des Marketing ergänzt.214 Eine ausführliche Diskussion von Kostenwirkungen der
208 209 210
211 212 213 214
Vgl. Wildemann 2002, S. 184f. Vgl. Wildemann 1998, S. 53f.; 2002, S. 185; 2008a, S. 371f. sowie ausführlich auch Abschnitt 3.4.2. Die Eindeutigkeit, eine in der Kostenrechnung aufgestellte Anforderung an die Bildung von Kostenkategorien, verlangt, dass angefallene Kosten eindeutig nur einer der Kostenarten zugeordnet werden können (vgl. Fischbach 2004, S. 53). Die strikte Einhaltung dieser Anforderung ist allerdings kaum zu erreichen (vgl. Hohberger 2001, S. 55). Dennoch ist aus Gründen der inhaltlichen Aussagekraft eine zumindest ansatzweise überschneidungsfreie Kategorienbildung erstrebenswert. Vgl. z.B. Reiners/Sasse 1999, S. 228ff. Vgl. Rathnow 1993, S. 20ff. Vgl. Schulz 1994, S. 131f. Vgl. Homburg/Daum 1997, S. 151ff.; Meffert 2000, S. 1047f. Zu weiteren ähnlichen Auflistungen vgl. auch Schulte 1989, S. 61ff.; Fischer 1993, S. 29.
62
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Komplexität in verschiedenen Unternehmensbereichen nimmt zudem Schweikart vor.215 Über die Inhalte abgegrenzte Arten von Komplexitätskosten werden von diesen Autoren dabei allerdings nicht gebildet. Mit dieser deskriptiven Vorgehensweise bei der Identifikation von Komplexitätskosten sind im Wesentlichen drei Probleme verbunden. Erstens erfordert die Vorgehensweise ein sehr detailliertes Analyseniveau, das lediglich im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung erreichbar ist und einer vollständigen Erfassung aller Komplexitätskosten in ihren möglichen Erscheinungsformen entgegensteht.216 Zweitens ist es inhaltlich als problematisch anzusehen, dass mit dieser – bei einigen der Autoren explizit an die Prozesskostenrechnung angelehnten – Vorgehensweise nicht alle komplexitätsbedingten Tätigkeiten erfasst werden, sondern nur diejenigen, die regulär in den entsprechend definierten vielfaltsinduzierten Prozessen auftreten. Beispielsweise führt Meffert den Entwurf und Druck zusätzlicher Kundendienstunterlagen infolge einer erhöhten Produkt- und Variantenvielfalt an.217 Neben den daraus resultierenden Komplexitätskosten können aber weitere Kosten anfallen, die z.B. auf Überforderung oder Irritation der Kundendienstmitarbeiter zurückzuführen sind, die die Menge an Leistungsvarianten und zugehörigen Unterlagen nicht mehr überblicken. Dies können Kosten einer eigentlich nicht erforderlichen Informationsbeschaffung, Kosten durch Doppelarbeit oder entgehende Umsätze infolge schlechter Kundenberatung u.a.m. sein. Folglich entstehen Komplexitätskosten auch aus Abweichungen oder Rückschleifen in den definierten vielfaltsinduzierten Prozessen, die als Blindleistungen bezeichnet werden können.218 Das dritte Problem der Ansätze ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit die einseitige Ausrichtung auf produzierende Industrien. Eine Betrachtung von Dienstleistungen und deren Besonderheiten in Hinblick auf die Verursachung von Komplexitätskosten bleibt dabei aus. Dennoch bieten auch diese Veröffentlichungen wichtige Informationen für die Behandlung von Komplexitätskosten in der vorliegenden Arbeit.
215 216
217 218
Vgl. Schweikart 1997, S. 86ff. Bezeichnend ist dabei, dass auch die genannten Publikationen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben: Rathnow spricht von Beispielen für vielfaltsinduzierte Kostenwirkungen und nennt die Darstellung einen „kurzen Abriss der Kostenwirkungen“ (vgl. Rathnow 1993, S. 23); Meffert bezeichnet seine Auflistung als „exemplarisch“ (vgl. Meffert 2000, S. 1048). Reiners und Sasse führen lediglich „bedeutsame“ – und folglich nicht alle – vielfaltsinduzierte Prozesse auf (vgl. Reiners/Sasse 1999, S. 229). Auch ohne Vollständigkeit sind die Auflistungen dennoch bereits relativ umfangreich. Vgl. Meffert 2000, S. 1048. Vgl. Rall/Scheermesser/Dalhöfer 2007, S. 153.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
63
Einen weiteren interessanten konzeptionellen Beitrag leisten Olbrich und Battenfeld mit einer Diskussion der Abgrenzung zwischen Komplexitäts- und Produktionskosten. Dabei veranschaulichen sie anhand unterschiedlicher Szenarien, wie sich eine Erhöhung der Variantenzahl im Unternehmen auf die Kosten auswirken kann. Sie stellen fest, dass sich die zusätzlichen Kosten einer komplexitätserhöhenden Maßnahme nicht ohne weiteres in Produktions- und Komplexitätskosten aufspalten lassen und kommen zu dem Ergebnis, dass es sich bei Komplexitätskosten um ein gedankliches Konstrukt handelt, das zwar geeignet ist, betriebswirtschaftliche Phänomene zu beschreiben, das sich aber einer klaren Operationalisierung entzieht.219 Diese These wird untermauert durch die Schwierigkeiten, die sich bei der quantitativen Erfassung von Komplexitätskosten ergeben (vgl. hierzu den folgenden Abschnitt 2.3.2) und wirft die Frage auf, ob nicht eine qualitative Erfassung von Komplexitätskosten einer quantitativen, monetären Berechnung vorzuziehen ist. Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass konzeptionelle Beiträge zum Aspekt der Komplexitätskosten wichtige Informationen über die Eigenschaften und das Verhalten von Komplexitätskosten liefern, eine schlüssige inhaltliche Kategorisierung von Komplexitätskosten bisher aber fehlt. Auch besteht kein Ansatz, der eine klare Abgrenzung der Komplexitäts- von den sonstigen anfallenden Kosten ermöglicht.
2.3.2
Methodisch ausgerichtete Publikationen zu Komplexitätskosten
Der methodische Beitrag der Literatur zu den Kostenwirkungen der Komplexität besteht schwerpunktmäßig in der Diskussion von Möglichkeiten zur Erfassung und Messung von Komplexitätskosten anhand von Ansätzen der Kostenrechnung. Grundsätzlich wird dabei die Prozesskostenrechnung, die eine Zurechnung von Kosten auf Basis der Inanspruchnahme von Prozessen und Ressourcen anstrebt,220 als am ehesten geeignetes Verfahren der Erfassung bzw. korrekten Zuordnung der Komplexitätskosten angesehen.221 Ein früher Vorschlag in 219 220 221
Vgl. Battenfeld 2001, S. 139; Olbrich/Battenfeld 2005, S. 165. Vgl. zur Prozesskostenrechnung grundlegend z.B. Horváth/Mayer 1995, S. 61ff.; Männel 1995, S. 15ff.; Coenenberg 1999, S. 220ff.; Kajüter 2002, S. 264ff. Zu einem Vergleich und den Schwächen verschiedener Ansätze der Kostenrechnung sowie zu einer Begründung der Vorteilhaftigkeit der Prozesskostenrechnung vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 99ff. Ansätze zur Erfassung von Komplexitätskosten, die
64
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
diese Richtung stammt von Rathnow, der eine „zutreffende Kostenzuordnung“ von Kosten der Variantenvielfalt anhand des Activity-Based Costing propagiert.222 Konkreter identifizieren Reiners und Sasse verschiedene vielfaltsinduzierte Prozesse und charakterisieren diese anhand ihrer Bezugsgrößen (z.B. Anzahl der Varianten, Lieferpositionen oder Kunden) und Kostenwirkung (proportional, über- oder unterproportional, sprungfix) und sehen darin die Grundlage einer Quantifizierung von Komplexitätskosten auf Grundlage der Prozesskostenrechnung.223 Auch Homburg und Daum sowie Puhl schlagen eine weitgehend ohne Modifikationen angewandte Prozesskostenrechnung zur Erfassung von Komplexitätskosten vor; ein stark vereinfachtes, auf der Prozesskostenrechnung basierendes Fallbeispiel zur Kalkulation zusätzlicher Varianten gibt auch Battenfeld wieder.224 Andere Autoren folgen zwar ebenfalls mehr oder weniger bewusst den Grundgedanken und der Vorgehensweise der Prozesskostenrechnung, schlagen allerdings Anpassungen oder pragmatische, weniger aufwändige kostenrechnerische Alternativen vor, wie beispielsweise Pfeiffer et al. und von Goetze, Schulz, Berens und Schmitting sowie Tischendorf und Hoffschult. Ein Ansatz zur Bestimmung variantenspezifischer Kosten findet sich in den Veröffentlichungen von Pfeiffer et al. und von Goetze.225 Obwohl die Autoren nicht
222
223 224
225
nicht auf den Ideen der Prozesskostenrechnung basieren, werden im Folgenden nicht berücksichtigt (vgl. z.B. die Arbeiten von Lackes 1991; Bartuschat 1995). Vgl. Rathnow 1993, S. 53ff. Activity-Based Costing ist der in der englischsprachigen Literatur für die Prozesskostenrechnung gebräuchliche Begriff (vgl. Coenenberg 1999, S. 220). Vgl. Reiners/Sasse 1999, S. 228f. Vgl. Homburg/Daum 1997, S. 160ff.; Puhl 1999, S. 69ff.; Battenfeld 2001, S. 139ff. Schweikart diskutiert zwar ausführlich sowohl die Kostenwirkungen der Komplexität als auch die Prozesskostenrechnung und erwähnt die im Vergleich zu konventionellen Kostenrechnungsverfahren bessere Eignung der Prozesskostenrechnung zur Berücksichtigung der Leistungskomplexität, die von ihm vorgeschlagenen Ergänzungen der Prozesskostenrechnung beziehen sich allerdings auf seine Kritik an der einseitigen Ausrichtung der Prozesskostenrechnung am Unternehmen – wodurch die Kundenperspektive vernachlässigt wird – und haben nicht die Verbesserung der Erfassung von Komplexitätskosten zum Inhalt (vgl. Schweikart 1997, S. 183ff.). Die Autoren beziehen sich in ihrer Arbeit nicht auf die Prozesskostenrechnung, gehen aber im Wesentlichen ähnlich vor (vgl. zur Vorgehensweise Pfeiffer et al. 1992, S. 64ff.; von Goetze 1992, S. 107ff.; zur Einschätzung, dass die Autoren damit eine prozessorientierte Kalkulation vornehmen vgl. Faller/Kracht 2006, S. 87).
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
65
explizit die Aufdeckung von Komplexitätskosten bezwecken, wird in ihrer Variantenkostenrechnung dennoch eine die Komplexität der einzelnen Varianten sowie des Angebotsspektrums insgesamt berücksichtigende Zurechnung von Gemeinkosten angestrebt. Die Ermittlung der durch die Komplexität induzierten variantenspezifischen Kosten erfolgt anhand eines umfangreichen Checklisteninstrumentariums zur detaillierten Tätigkeitsanalyse der Gemeinkostenbereiche. Aufbauend auf den so identifizierten Kosten schlagen die Autoren für Funktionsbereiche mit hohem Anteil variantenspezifischer Kosten eine Verselbständigung („Divisionalisierung“) vor, so dass – wenn möglich – eine interne Verrechnung zu Marktpreisen erfolgen kann und somit die ursprünglich als Gemeinkosten ausgewiesenen Kosten als primäre Einzelkosten erfasst werden. Problematisch sind bei dem Ansatz allerdings zum einen die sehr detaillierte und mit hohem Aufwand verbundene Vorgehensweise und zum anderen Ungenauigkeiten bei der Schätzung der variantenspezifischen Kostenanteile im Gemeinkostenbereich.226 Einen Methodenvorschlag entwickelt auch Bohne in seiner Arbeit. In dem Analyseansatz zur „sowohl inhaltlich vollständigen als auch praktikablen Komplexitätskostenidentifizierung“227 wird grundsätzlich ebenfalls ähnlich der Prozesskostenrechnung vorgegangen,228 indem in Kostenstellen komplexitätsinduzierte Tätigkeiten identifiziert sowie Bezugsgrößen festlegt werden und anhand dieser Bezugsgrößen eine „Zurechnung des Ressourcenverzehrs auf Vielfaltsobjekte“229 erfolgt. Um die Komplexitätskosten zu bestimmen, sieht Bohne dabei in Anlehnung an eine „Zero-Base-Analyse“ die analytische Neuplanung des Kapazitätsbedarfs der Kostenstellen für den hypothetischen Fall ohne Komplexität vor.230 Hierfür ist die Definition eines Referenzprodukts ohne Varianten erforderlich. Die Differenz zwischen der so ermittelten Grundkapazität und der tatsächlichen Istkapazität weist Bohne als Gesamtniveau der Komplexitätskosten aus. Nach einer Bereinigung dieses Gesamtniveaus um Kapazitätsreserven, die der Autor als Komplexitätshandhabungspotenzial bezeichnet, werden Komplexitätskostensätze bestimmt und die Komplexitätskosten von Bezugsobjekten berechnet. 226 227 228
229 230
Vgl. Faller/Kracht 2006, S. 87f. Bohne 1998, S. 7. Vgl. zur Vorgehensweise Bohne 1998, S. 147ff. Der Autor verweist in Zusammenhang mit der Identifikation von Tätigkeiten und der Festlegung der Bezugsgrößen selbst auf die Anlehnung an die Prozesskostenrechnung, verdeutlicht aber auch die Unterschiede (vgl. Bohne 1998, S. 155f.). Bohne 1998, S. 156. Vgl. Bohne 1998, S. 157ff.
66
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Während dieser Ansatz zwar konzeptionell interessant und wertvoll ist, lässt die sehr detaillierte und umfangreiche Vorgehensweise die von Bohne selbst geforderte Praktikabilität fraglich erscheinen, insbesondere, wenn man zudem den vom Autor als erforderlich erachteten Betrachtungshorizont berücksichtigt, der neben allen Funktionalbereichen und der Fertigungsstruktur des Unternehmens auch unternehmensübergreifend die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen umfasst.231 Schulz vertritt die Ansicht, dass aufgrund der Vernetztheit von Bauteilen und Funktionen bei unmodifizierter Anwendung der Prozesskostenrechnung die tatsächlichen Kosten einer Variante unterschätzt werden.232 Daher schlägt er eine Erweiterung der Prozesskostenrechnung vor, die in einer Vorstufe „den Bezug zwischen der Produktkomplexität und den Kostenstellenkosten herstellt“.233 Schulz stellt allerdings ebenfalls den mit der prozesskostenbasierten Vorgehensweise verbundenen erheblichen Aufwand fest. Als alternative Näherungslösungen schlägt er zum einen den Benchmark aussagefähiger Kennzahlen (z.B. Umsatz- oder Kapitalrenditen) zwischen verschiedenen Unternehmen (z.B. mit unterschiedlich komplexem Leistungsprogramm) vor, um aus systematischen Abweichungen Rückschlüsse auf die Komplexitätskosten zu ziehen. Zum anderen ist eine näherungsweise Ermittlung von Komplexitätskosten möglich, indem anhand von branchenspezifischen Erfahrungswerten die Gemeinkosten in einen produktproportionalen sowie einen volumenabhängigen Anteil aufgespalten und die produktproportionalen Gemeinkosten über die Kostenstellen hinweg für die Bezugsgrößen „Variantenzahl“ und „Teilevielfalt“ aggregiert werden. Ein Vergleich mit vorhandenen Kalkulationssätzen zeigt dann das Ausmaß der Komplexitätskosten. Bei diesen beiden Alternativen zur prozesskostenbasierten Vorgehensweise betont Schulz allerdings einen Mangel an Genauigkeit. Berens und Schmitting schlagen ebenfalls eine Erweiterung der Prozesskostenrechnung in Form einer Kombination mit der stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung vor, die v.a. wesentliche Kosteninterdependenzen berücksichtigt und versucht, bezüglich der Kostenwirkungen an anderen Stellen im Unternehmen Transparenz zu schaffen.234 Dabei weisen die Autoren auf die eingeschränkte Aussagefähigkeit hin und verstehen die Informationen, die ihr An-
231 232 233 234
Vgl. Bohne 1998, S. 146. Vgl. hierzu und im Folgenden Schulz 1994, S. 134f. Schulz 1994, S. 134. Vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 103ff.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
67
satz liefert, nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage, sondern ausschließlich als Anregungsinformationen.235 Tischendorf und Hoffschult sehen die Prozesskostenrechnung als geeigneten Ansatz zur korrekten Zuordnung der Komplexitätskosten zu Komplexitätstreibern an und nehmen keine Anpassung des Ansatzes vor.236 Für den Fall, dass keine Prozesskostenrechnung besteht, schlagen sie eine „x% -Methode“ vor, bei der für einzelne Bauteile Komplexitätskosten abgeschätzt und zugeordnet werden, wodurch komplexitätskostenbereinigte Herstellkosten ermittelt werden können, die von den klassischen Herstellkosten abweichen, da die Verwendungshäufigkeit der Teile in die Kalkulation einfließt. Die Autoren schlagen diese Vorgehensweise als Alternative zur mit sehr hohem Aufwand verbundenen Prozesskostenrechnung vor. Nähere Angaben, wie die Komplexitätskosten geschätzt werden können, machen die Autoren allerdings nicht. Aufgrund der Langfristigkeit der Wirkungen von komplexitätsverändernden Maßnahmen legt Rosenberg seinem Ansatz nicht kostenrechnerische, sondern investitionstheoretische Überlegungen zugrunde und berechnet den Kapitalwert der über mehrere Perioden wirkenden Komplexitätsveränderung.237 Dabei stellt er komplexitätsinduzierte Erlös- und Kostenveränderungen gegenüber. Die Kosten differenziert er in Mehrkosten und Minderkosten (Kosteneinsparungen). Die Ermittlung der Kostenveränderungen – zumindest in Gemeinkostenbereichen – erfolgt dabei in Anlehnung an die Vorgehensweise der Prozesskostenrechnung und ist folglich ebenfalls mit hohem Aufwand verbunden.238 Aufgrund der zugrunde gelegten Kapitalwertmethode ist zudem eine Ermittlung der Werte für mehrere Perioden sowie die Bestimmung eines Kalkulationszinssatzes erforderlich. Die investitionstheoretische Vorgehensweise von Rosenberg erhält grundsätzlich Unterstützung von anderen Autoren. Beispielsweise halten auch Berens und Schmitting die Investitionsrechnung für „das theoretisch richtige Instrument zur Beurteilung von komplexitätsgestaltenden Handlungsalternativen“.239 Aufgrund von Abgrenzungs-, Zurechnungs- sowie Prognoseproblemen infolge der vielfältigen und hochgradig interdependenten Wirkungen einer kom235 236 237
238 239
Vgl. Berens/Schmitting 1998, S. 106. Vgl. Tischendorf 2006, S. 39; Hoffschult/Tischendorf 2007, S. 51. Vgl. im Folgenden Rosenberg 2002, S. 234ff. Zur Kritik, dass kostenrechnerische Verfahren – auch die Prozesskostenrechnung – lediglich kurzfristig ausgerichtet und damit nur bedingt geeignet sind, Komplexität abzubilden, vgl. auch Battenfeld 2001, S. 142. Vgl. Rosenberg 2002, S. 242f. Berens/Schmitting 1998, S. 108.
68
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
plexitätsverändernden Maßnahme sehen sie die Anwendung investitionstheoretischer Kalküle aber als „außerordentlich problematisch – wenn nicht gar unmöglich“240 sowie als sehr aufwändig an. Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass kostenrechnerische und investitionstheoretische Ansätze bisher keine befriedigenden Lösungen zur Erfassung und Messung von Komplexitätskosten bieten.241 Auch die auf der Prozesskostenrechnung basierenden Ansätze sind lediglich pragmatische Näherungslösungen, wobei selbst diese Näherung mit erheblichem Aufwand verbunden ist.242 Wildemann stellt fest, dass „Kostenwirkungen … der Komplexität … sich häufig nur ex post bestimmen“243 lassen. Ähnlich wie Berens und Schmitting sieht auch Adam die Ursache der schwierigen Erfassbarkeit von Komplexitätskosten in der Vielschichtigkeit des Komplexitätsphänomens und dem hohen Interdependenzgrad.244 Eine weitere Ursache ist darin zu sehen, dass ein Teil der Komplexitätskosten, wie z.B. die Opportunitätskosten,245 nicht quantifizierbar, sondern nur „qualitativ wahrnehmbar“246 ist. Die monetäre Messung von Komplexitätskosten ist mit Schwierigkeiten verbunden, da diese „nicht eindeutig bestimmbar sind und schwer bewertbare Kostenbestandteile beinhalten“.247
240 241 242 243 244 245
246 247
Berens/Schmitting 1998, S. 107. Vgl. zu dieser Ansicht auch Hagel III 1988, S. 2, dessen Einschätzung nach wie vor Gültigkeit zu besitzen scheint. Vgl. ähnlich auch Meyer 2007, S. 62. Wildemann 1998, S. 52. Vgl. Adam 1998, S. 47. Vgl. zu den Opportunitätskosten der Komplexität Abschnitt 2.3.1, Tabelle 5, sowie Homburg/Daum 1997, S. 155f. Vgl. ausführlich auch die Erarbeitung von Komplexitätskostenarten in Abschnitt 3.4 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Rall/Dalhöfer 2004, S. 627. Hohberger 2001, S. 29. Hohbergers Aussage bezieht sich auf die Bewertung von Transaktionskosten, die allerdings starke Parallelen zu Komplexitätskosten aufweisen: Als Einflussfaktoren der Höhe von Transaktionskosten gelten u.a. auch Unsicherheit und Komplexität (vgl. Hohberger 2001, S. 29f.). Verschiedene in Zusammenhang mit Komplexität genannte Kostenarten, wie u.a. die Planungs-, Koordinations-, Anpassungs- und Suchkosten nach Wildemann (vgl. Wildemann 2008a, S. 371) finden sich auch in der Literatur zu Transaktionskosten.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
2.4
69
Behandlung von Komplexitätsnutzen in der Literatur
In der betriebswirtschaftlichen Literatur zu Komplexität liegt der Schwerpunkt auf den bereits dargestellten Teilaspekten der Komplexität selbst sowie auf der Behandlung von Komplexitätskosten. Der Nutzen von Komplexität wird nur am Rande thematisiert. Dennoch finden sich in verschiedenen Publikationen Ausführungen oder zumindest Hinweise, in welcher Form Komplexität auch positive Konsequenzen für ein Unternehmen haben kann, wobei die Autoren diese positiven Konsequenzen nicht immer als Nutzen der Komplexität ausweisen, sondern beispielsweise auch als Motive oder Ursache des Komplexitätsaufbaus bzw. -anstiegs. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die Publikationen und die darin behandelten Inhalte, die im Folgenden näher dargestellt werden, um folgende Fragestellungen zu beantworten:
Konzeptionelle/inhaltliche sowie empirische Erkenntnisse über Komplexitätsnutzen: Welchen inhaltlichen – gegebenenfalls empirisch gestützten – Beitrag leisten die Publikationen zur Frage nach dem Komplexitätsnutzen in Unternehmen?
Methodische Vorschläge zur Quantifizierung von Komplexitätsnutzen: Welche Vorgehensweisen werden vorgeschlagen, Komplexitätsnutzen in Unternehmen zu erfassen und zu messen?
Die folgenden Ausführungen sind nach inhaltlichem Schwerpunkt der dargestellten Publikationen unterteilt in die Beschreibung von rein konzeptionellen Arbeiten, von Arbeiten, die inhaltliche Aussagen über den Nutzen der Komplexität zudem empirisch belegen, sowie von Veröffentlichungen, die eine Methodik zur Quantifizierung der Höhe des Komplexitätsnutzens vorschlagen.
2.4.1
Publikationen mit konzeptionellen Überlegungen zu Komplexitätsnutzen
In einigen der Publikationen, die bereits im Stand der Forschung zu den Kosten der Komplexität genannt wurden, findet am Rande auch der Nutzen der Komplexität Erwähnung. Primär wird dabei der Komplexität des Leistungsangebots
70
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Nutzen zugesprochen, wie beispielsweise bei Adam und Meffert.248 Dieser Nutzen wird in zusätzlichen Erlösen gesehen, z.B. infolge einer breiteren Marktabdeckung, wobei die Autoren – im Gegensatz zum i.d.R. postulierten überproportionalen Kostenverlauf – von einem nur unterproportionalen Anstieg der Erlöse ausgehen. Den Anstieg des Erlösniveaus durch vielfaltsbedingte Volumenausweitung und eine Anhebung der Preise diskutiert auch Bohne.249 Ähnlich betrachtet Rosenberg bei seiner Wirtschaftlichkeitsberechnung die Erlöswirkungen von Maßnahmen, die zur Veränderung der Komplexität des Leistungsangebots ergriffen werden.250 Diesen Publikationen ist gemein, dass sie ausschließlich die Komplexität des Leistungsergebnisses, d.h. die Leistungs- und Variantenvielfalt, betrachten. Rathnow bezieht sich bei der Diskussion des Nutzens ebenfalls auf die Variantenvielfalt und die damit verbundenen Erlöswirkungen, berücksichtigt dabei aber auch den erhöhten Kundennutzen als Ursache dieser Variantenvielfalt und bezieht so explizit vorökonomische Nutzenkategorien der Komplexität in seine Betrachtungen mit ein.251 Ähnlich sieht auch Bliss einen Beitrag der Komplexität zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und ergänzt zudem die Möglichkeiten für das Unternehmen, durch Variantenvielfalt den Zugang zu attraktiven Marktnischen zu erhalten sowie Flexibilität in der Reaktion auf veränderliche Wettbewerbs- oder Umweltzustände zu erzielen.252
248
249 250 251
252
Vgl. Adam 1998, S. 50; Meffert 2000, S. 1037ff.; Adam 2004, S. 25. Zu weiteren, allerdings nur sehr knappen Erwähnungen der Erlöswirkungen von Komplexität vgl. auch Adam/Rollberg 1995, S. 668; Adam/Johannwille 1998, S. 11f. Vgl. Bohne 1998, S. 41f. Vgl. Rosenberg 2002, S. 236. Vgl. Rathnow 1993, S. 11ff. Zu einer kritischeren Sicht der „Variantenvielfalt als Quelle der Nicht-Kundenorientierung“ vgl. Olbrich/Battenfeld 2005, S. 168f., die in z.B. Koordinationsproblemen und geringerer Flexibilität die Kehrseite des Kundennutzens der Vielfalt sehen. Vgl. Bliss 2000, S. 11.
Tabelle 6: Diskussion von unternehmensseitigen Motiven zum Komplexitätsaufbau
Kurze Diskussion von Volumenausweitung und höherem Preisniveau als Nutzen der Angebots- und Komponentenvielfalt Nennung möglicher Nutzenwirkungen der Komplexität Untersuchung der Wirkung der wahrgenommenen Dienstleistungskomplexität auf die Qualitätswahrnehmung und Kundenbindung Diskussion von Erlöswirkungen der Komplexität (Produkt- und Variantenvielfalt) Vorschlag einer auf der dynamischen Investitionsrechnung/Kapitalwertmethode basierenden Wirtschaftlichkeitsbeurteilung von Maßnahmen des Variantenmanagements unter Berücksichtigung der Erlöswirkungen Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Wunsch nach kognitiv anspruchsvollen Aufgaben, Aufgabenkomplexität und Arbeitszufriedenheit Konzeptualisierung und Operationalisierung des Kundennutzens aus der Produktvielfalt in der Kaufsituation Untersuchung des moderierenden Effekts der Leistungskomplexität auf den Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit Untersuchung der Wirkung der Aufgabenkomplexität auf den Gruppenzusammenhalt und die Arbeitsleistung von Teams
Bohne 1998
Bliss 2000
Kebbel 2000; Homburg/Kebbel 2001
Meffert 2000
Rosenberg 2002
Man/Lam 2003
Riemenschneider 2006
Stock-Homburg 2007
Park/Baker/Lee 2008
Maynard/Hakel 1997
Diskussion von Erlöswirkungen der Komplexität (Variantenzahl)
Untersuchung der Wirkung der objektiven und subjektiven Aufgabenkomplexität auf die Arbeitsleistung
Damanpour 1996
Adam 1998, 2004
Untersuchung von Einflussfaktoren auf den Zusammenhang zwischen Organisationskomplexität und Innovativität von Unternehmen
Rathnow 1993
Schweikart 1997
Inhalt Konzeptionelle Beschreibung des Nutzens von Variantenvielfalt sowie Vorschlag zur Quantifizierung des Nutzens verschiedener Produktmerkmale mittels Conjoint-Analyse
Autor(en)
Konzeptioneller Beitrag zu Nutzenwirkungen der Komplexität –
–
–
–
x
x
–
x
x
x
x
x
x
–
–
x
–
–
– –
x
x
x
–
Empirischer Beitrag zur Nutzenwirkung von Komplexität (insb. Konstruktmessung)
x
–
–
x
Methodenvorschlag zur Quantifizierung des Komplexitätsnutzens –
–
–
–
(x)
–
–
–
–
–
–
–
–
x
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen 71
Betriebswirtschaftliche Literatur zu Komplexitätsnutzen (chronologisch) (Legende: x = gegeben; (x) = teilweise gegeben; – = nicht gegeben)
72
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Eine ausführlichere Diskussion von Nutzenkategorien, die über den Kundennutzen und daraus resultierende Erlöswirkungen eines komplexen Leistungsangebots hinausgehen, nimmt Schweikart vor. Der Autor thematisiert verschiedene Ursachen bzw. Argumente für wachsende Sortimentskomplexität, die als unternehmensinterne Nutzenkategorien der Komplexität interpretiert werden können. Diese bestehen neben den bereits skizzierten Umsatz- und Marktsicherungsargumenten auch in Effizienzargumenten sowie in subjektiven Macht- und Risikobeweggründen von Entscheidungsträgern.253 Damit betrachtet er umfassend verschiedene interne Nutzenkategorien, nimmt allerdings wie die anderen Autoren eine einseitige Betrachtung ausschließlich der Sortimentskomplexität vor, bei der der Nutzen aus komplexen Potenzialen und Prozessen nur am Rande berücksichtigt wird. Als Zwischenfazit ist somit festzuhalten, dass in der Literatur verschiedene markt- und unternehmensgerichtete Aspekte des Nutzens der Komplexität konzeptionell diskutiert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Betrachtung von Erlöswirkungen der Variantenvielfalt liegt, ergänzt um ausgewählte weitere Beispiele vorökonomischer und unternehmensinterner Nutzenkategorien. Insgesamt fehlt es bisher an einem systematischen Überblick und einer umfassenden Kategorisierung möglicher Nutzenkategorien in einem allgemeinen betriebswirtschaftlichen ebenso wie in einem dienstleistungsspezifischen Kontext.
2.4.2
Empirische Studien zu Komplexitätsnutzen
Neben den dargestellten rein konzeptionellen Überlegungen zu möglichen Nutzenkategorien der Komplexität existieren Arbeiten, die verschiedene Komplexitätsformen in empirischen Untersuchungen berücksichtigen und dabei Wirkungen der Komplexität untersuchen, die sich als Nutzen der Komplexität interpretieren lassen. Diese Studien lassen sich unterscheiden in Untersuchungen zu
253
Vgl. Schweikart 1997, S. 71ff. Zu den Umsatz- und Marktsicherungsargumenten zählen z.B. die Erschließung von Marktnischen und -potenzialen, die Kundennähe durch Leistungsindividualisierung, ein innovatives Image durch häufige Weiterentwicklung des Sortiments und folglich in der Summe die Durchsetzung höherer Preise im Markt. Nutzen in Form von Effizienzsteigerung resultiert z.B. aus dem Image- oder Goodwilltransfer zwischen verschiedenen angebotenen Produkten, aus der Risikostreuung sowie dem akquisitorischen und preislichen Potenzial eines sich gegenseitig ergänzenden Leistungsangebots, aus Mengeneffekten bei Faktorpreisen sowie aus Synergieeffekten bei der Nutzung bestehender Ressourcen und Inputfaktoren.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
73
Komplexitätswirkungen beim Kunden und zu unternehmensinternen Komplexitätswirkungen. Eine Untersuchung von Komplexitätswirkungen beim Kunden nimmt Riemenschneider vor, der das Konstrukt „Nutzen der Produktvielfalt“ konzeptualisiert und operationalisiert.254 Auch wenn Riemenschneider nicht die Komplexität des Leistungsangebots eines Unternehmens betrachtet, sondern die Leistungsvielfalt einer Leistungskategorie insgesamt, d.h. die Menge an zur Verfügung stehenden Kaufalternativen in einem Geschäft,255 lassen sich aus der Studie interessante Anhaltspunkte für den Nutzen der Komplexität ableiten. Insbesondere zeigt sich, dass in der Kaufsituation neben den kognitiven Nutzenaspekten des Produktnutzens und der Bedürfnisbefriedigung auch affektiven Aspekten, wie positiven Emotionen, eine Bedeutung zukommt.256 Zudem bestätigt die Untersuchung den positiven Zusammenhang zwischen Nutzen der Vielfalt und Kaufabsicht.257 Somit unterstreicht die Studie die Relevanz vorökonomischer Wirkungen der Komplexitätswahrnehmung beim Kunden für die in der Literatur häufig genannten Erlössteigerungen der Komplexität. Kebbel untersucht mittels Regressions- und Kausalanalyse den Zusammenhang zwischen den Konstrukten der Komplexitäts- und der Qualitätswahrnehmung durch Kunden.258 Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Wirkungen: Während die Anzahl an Dienstleistungselementen einen positiven Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung hat, geht von der Heterogenität ein negativer Einfluss auf das Qualitätsurteil aus. Darüber hinaus wurde ein Zusammenhang zwischen Komplexität und Qualitätsunsicherheit festgestellt. Aufgrund der positiven Wirkung der Qualitätswahrnehmung sowie der negativen Wirkung der Qualitätsunsicherheit auf die Kundenbindung kommt in der Summe der Komplexitätswahrnehmung eine wesentliche Bedeutung zu. Zudem wurde der Einfluss der Komplexitätswahrnehmung (Anzahl, Heterogenität und Interdependenz der Dienstleistungselemente) auf die Wichtigkeit der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisqualität untersucht. Diese Analysen weisen – mit wenigen Ausnahmen – auf 254 255 256 257 258
Vgl. Riemenschneider 2006, S. 210f. zur Konzeptualisierung sowie S. 217ff. zur Operationalisierung. Vgl. Riemenschneider 2006, S. 11. Vgl. Riemenschneider 2006, S. 291f. Vgl. Riemenschneider 2006, S. 309. Vgl. zu den untersuchten Hypothesen Kebbel 2000, S. 74ff., zu den Ergebnissen der Regressionsanalysen S. 128ff. sowie zu den Ergebnissen der Kausalanalyse S. 152f. Vgl. auch Homburg/Kebbel 2001 sowie die Beschreibung dieser Untersuchungen in Abschnitt 2.2.1 der vorliegenden Arbeit.
74
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
signifikante positive Wirkungen der Komplexität auf die Wichtigkeit der Qualität hin. Grundsätzlich lässt sich entsprechend auch aus dieser Studie die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Komplexitätswahrnehmung als vorökonomische Zielgröße und mögliche Determinante der ökonomischen Ziele des Unternehmens ableiten. Interessante Anhaltspunkte zu möglichen unternehmensinternen Nutzenwirkungen der Komplexität ergeben Studien zu den Wirkungen der Aufgabenkomplexität. So konnten Maynard und Hakel zeigen, dass die wahrgenommene Aufgabenkomplexität die Motivation zur Aufgabenerfüllung steigert.259 Park, Baker und Lee kommen zu dem Ergebnis, dass die Zufriedenheit von Mitarbeitern bei hoher wahrgenommener Aufgabenkomplexität größer ist als die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit geringer wahrgenommener Aufgabenkomplexität.260 Man und Lam weisen in ihrer Untersuchung positive Effekte der Aufgabenkomplexität auf den Gruppenzusammenhalt und die Arbeitsleistung von Teams nach.261 Empirische Belege für die positive Wirkung der Mitarbeiterzufriedenheit auf die Kundenzufriedenheit und den ökonomischen Erfolg des Unternehmens liefert die Studie von Stock-Homburg.262 In der Gesamtsicht verdeutlichen diese Studien den Einfluss, den die Komplexität im Unternehmen auf die Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit und darüber auch auf die Kundenzufriedenheit haben kann. Entsprechend lassen sich auch die Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit als mögliche vorökonomische Nutzenkategorien der Komplexität auffassen. Darüber hinaus untersucht Stock-Homburg in ihrer Arbeit den moderierenden Effekt der Leistungskomplexität auf den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit. Die Analyse ergab, dass der Zusammenhang bei hoher Leistungskomplexität stärker ausgeprägt ist als bei geringer Komplexität, dieser Unterschied erwies sich allerdings als nicht signifikant.263 Dennoch ist die hinter 259
260 261 262
263
Vgl. Maynard/Hakel 1997, S. 324. Vgl. z.B. auch Efstathiou 2002, S. 76. Die Autorin argumentiert, dass bis zu einem gewissen Ausmaß ein Komplexitätsanstieg eine Aufgabe interessanter werden lässt und Mitarbeiterzufriedenheit hervorruft. Vgl. Park/Baker/Lee 2008, S. 113ff. Vgl. Man/Lam 2003, S. 991f. Vgl. zu den untersuchten Hypothesen Stock-Homburg 2007, S. 96ff. sowie zu deren Bestätigung S. 161f. Die Autorin untersucht dabei sowohl einen direkten Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit als auch einen indirekten Einfluss über die Qualität der Leistungen und des Interaktionsverhaltens. Die Bedeutung der Mitarbeitermotivation für die Kundenzufriedenheit und -bindung betonen beispielsweise auch Becker/Kaerkes 2006, S. 18f. Vgl. Stock-Homburg 2007, S. 184.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
75
diesem Effekt stehende Argumentation, dass dem Mitarbeiter bei komplexen Produkten und Dienstleistungen eine besondere Rolle zukommt, nicht von der Hand zu weisen. Auch dies unterstreicht die Berücksichtigung der Mitarbeiterzufriedenheit als zu berücksichtigende Wirkung der Komplexität. Mit der Innovativität von Unternehmen betrachtet Damanpour eine weitere mögliche unternehmensinterne Nutzenwirkung der Komplexität. Aufbauend auf Studien aus den 1970er und 1980er Jahren, die den Einfluss hoher Organisationskomplexität in Form von funktionaler Ausdifferenzierung und entsprechender Spezialisierung im Unternehmen auf die Ideengenerierung und Innovationskraft belegen, analysiert Damanpour, welche Rahmenbedingungen – wie beispielsweise die Unsicherheit des Unternehmensumfelds, die Unternehmensgröße u.a.m.264 – diesen Zusammenhang beeinflussen. Während die einzelnen Ergebnisse dieser Studie für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung sind, verdeutlicht die Studie von Damanpour dennoch, dass neben der häufig in den Mittelpunkt der Ausführungen zu Komplexitätsnutzen gestellten Produkt- oder Leistungsprogrammkomplexität auch interne Komplexitätsformen des Unternehmens Nutzen generieren können. Als Zwischenfazit zeigt sich hier, dass positive Wirkungen der Komplexität zum einen empirisch belegt sind, wenn auch lediglich fragmentarisch und bezogen auf einzelne Teilaspekte der Unternehmenskomplexität. Zum anderen verdeutlichen die verschiedenen Studien die gleichzeitige Bedeutung sowohl interner als auch externer vorökonomischer Nutzengrößen sowie die Möglichkeit, nicht nur mit der Komplexität des Leistungsangebots, sondern auch mit anderen Komplexitätsformen Nutzen zu generieren. Obwohl in den dargestellten Arbeiten keine umfassende und systematische Behandlung möglicher Nutzenkategorien erfolgt, ist ein wichtiger Beitrag dieser Studien v.a. in Anregungsinformationen darüber zu sehen, in welcher Form Komplexitätsnutzen in Unternehmen auftreten kann.
2.4.3
Methodenvorschläge zur Quantifizierung und Messung von Komplexitätsnutzen
Neben den im vorherigen Abschnitt dargestellten Studien, die empirisch die Wirkungen von Komplexität auf einzelne Nutzenkategorien analysieren, bestehen mit den Arbeiten von Rathnow sowie Rosenberg Ansätze, die eine direkte Quantifizierung des Nutzens zum Inhalt haben. 264
Vgl. zu den untersuchten Hypothesen Damanpour 1996, S. 696ff.
76
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
Rathnow schlägt zur Messung des Nutzens von Produktvarianten das multivariate Verfahren der Conjoint-Analyse vor, das zur Messung des vom Kunden wahrgenommenen Nutzens verschiedener Leistungsmerkmale sowie ergänzend als Basis für Marktsimulationen genutzt werden kann.265 Dabei merkt Rathnow selbst an, dass die praktische Durchführung sehr anspruchsvoll und zeitaufwändig ist und zudem nur eine beschränkte Anzahl an Merkmalen untersucht werden kann.266 Da der Ansatz entsprechend bereits bei der Untersuchung der Leistungsbzw. Leistungsprogrammkomplexität an Grenzen stößt, scheint er für die Messung des Komplexitätsnutzens bei ganzheitlicher Betrachtung der Unternehmenskomplexität, die Rathnow bewusst nicht vornimmt,267 nicht geeignet. In Rosenbergs Ansatz einer kapitalwertbasierten Bestimmung der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements erfolgt die quantitative Berücksichtigung des Nutzens in Form von Erlösveränderungen, die durch eine die Komplexität des Leistungsangebots verändernde Maßnahme verursacht werden.268 Die Bestimmung dieser Erlöswirkungen erfolgt anhand einer formal relativ einfach gehaltenen Berechnung der Deckungsbeitragsveränderung durch Multiplikation der Veränderung des Deckungsbeitrags mit der Veränderung der Absatzmenge. Trotz dieser formalen Einfachheit ist davon auszugehen, dass mit der Prognose der Deckungsbeitragsveränderungen für die zukünftigen Perioden des Betrachtungszeitraums Schwierigkeiten verbunden sind. Entsprechend leistet Rosenberg keinen wesentlichen methodischen Beitrag zur praktikablen Quantifizierung oder Messung des Komplexitätsnutzens. Als Zwischenfazit zeigen diese beiden Ansätze, dass der Quantifizierung von Komplexitätsnutzen bisher nur sehr eingeschränkt und inhaltlich auf die Wirkungen der Leistungs- bzw. Leistungsprogrammkomplexität fokussiert Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zudem weisen die beiden Ansätze Schwierigkeiten bei der Erhebung bzw. Datenbeschaffung auf. Insofern sind sie zur praktikablen Erfassung des Komplexitätsnutzens in Unternehmen nur als bedingt geeignet einzustufen. 265
266
267 268
Vgl. zu der vom Autor vorgeschlagenen Vorgehensweise Rathnow 1993, S. 66ff., zu Auswertungsmöglichkeiten (z.B. die Bestimmung der relativen Wichtigkeit der Leistungsmerkmale und die Simulation von Zusatzerlösen einer Variante) S. 75ff., zu Einsatzgebieten im Unternehmen S. 87ff. und Grenzen des Ansatzes S. 95ff. Vgl. Rathnow 1993, S. 67. Vgl. zur aus erhebungstechnischen Gründen erforderlichen Einschränkung zu untersuchender Eigenschaften und Ausprägungen auch Backhaus et al. 2008, S. 460f. Zu Möglichkeiten einer Reduktion des Erhebungsaufwands vgl. auch Tscheulin 1992, S. 33ff. Vgl. Rathnow 1993, S. 8f. Vgl. Rosenberg 2002, S. 236.
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
2.5
77
Fazit aus dem Literaturüberblick
Als Fazit aus dem Literaturüberblick lässt sich festhalten, dass die Literatur vielfältige Grundlagen für die Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen bietet. Im Einzelnen sind für den weiteren Gang der vorliegenden Arbeit folgende zentralen Aspekte festzuhalten. Trotz eines Mangels an umfassenden Untersuchungen der Komplexität im Dienstleistungskontext bieten bestehende betriebswirtschaftliche Publikationen zum Komplexitätsthema vielfältige Anhaltspunkte und Informationen, die im folgenden Kapitel 3 als Basis der Erarbeitung eines konzeptionellen Bezugsrahmens von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen herangezogen werden können. Insbesondere wird in der Literatur zum Komplexitätsmanagement wiederholt die Dreiteilung in Input, Throughput und Output bzw. Ressourcen, Prozesse und Ergebnisse zur Strukturierung des betrachteten Systems herangezogen. Aufgrund der Parallelen zur dienstleistungsspezifischen Unterscheidung von Potenzialen, Prozessen und Ergebnissen bietet sich an, auch das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität in der vorliegenden Arbeit entsprechend zu strukturieren. Um diese Struktur mit Inhalten zu füllen, lassen sich die bestehenden Publikationen zu möglichen Komplexitätsformen und -ausprägungen zusammenführen und auf den Dienstleistungskontext übertragen. Neben der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen wird der zu entwickelnde Bezugsrahmen der Komplexität auch deren ökonomisch relevante Wirkungen in Form von Komplexitätskosten und -nutzen umfassen. Da es in der bestehenden Literatur diesbezüglich bisher an einer schlüssigen, an der Art der anfallenden Kosten ausgerichteten Definition verschiedener Kostenarten der Komplexität fehlt, wird auf bestehenden konzeptionellen Arbeiten aufbauend eine Kategorisierung von Komplexitätskosten vorgenommen. Aufgrund des gleichermaßen bestehenden Mangels an einer systematischen Auseinandersetzung mit potenziellen Nutzenwirkungen der Komplexität wird analog eine Kategorisierung des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen durchgeführt. Auch hierzu liefert, wie der Literaturüberblick gezeigt hat, die bestehende Komplexitätsliteratur fragmentarisch Anhaltspunkte, die in Abstimmung mit möglichen unternehmens- und kundenbezogenen Zielen von Dienstleistungsunternehmen zu einer Systematik aus vorökonomischen und ökonomischen Nutzenkategorien der Komplexität zusammengeführt werden. Die Messung und Bewertung der Komplexität erfolgt bisher entweder nur sehr vereinfacht – anhand subjektiver Einschätzungen, einfacher Skalen und ohne Erfassung zirkulärer Wirkungsketten der Komplexität – oder zu detailliert, um für
78
Stand der Forschung zu Komplexität und ihren Wirkungen
eine umfassende Betrachtung der Unternehmenskomplexität in Frage zu kommen. Insbesondere fehlt es an einem Ansatz, der eine handhabbare und objektive Erfassung der Komplexität und ihrer Interdependenzen sowie eine Bewertung anhand ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen ermöglicht. Daher wird in Kapitel 4 mit dem Analytic Network Process (ANP) von Saaty ein Ansatz vorgestellt, mit dem die skizzierten Probleme der Erfassung von Komplexität und ihrer Wirkungen gelöst werden können und der verschiedene Vorteile besitzt, die für seine Anwendung auf die Komplexitätsthematik sprechen (vgl. zur Eignung des Ansatzes insbesondere Abschnitt 4.4). Mit der Beurteilung der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen anhand dieses Ansatzes wird in der vorliegenden Arbeit somit auch ein Beitrag zur Lösung der diesbezüglich bisher in der Literatur bestehenden Problembereiche geleistet.
3
Konzeptioneller Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen
3.1
Vorgehensweise
Ziel von Kapitel 3 ist – in Beantwortung von Forschungsfrage (1) – die Erarbeitung eines konzeptionellen Bezugsrahmens, der einen Überblick über die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen sowie deren Kosten- und Nutzenwirkungen gibt. Zu diesem Zweck wird in Abschnitt 3.2 zunächst das Bezugsobjekt der Komplexität, das System „Dienstleistungsanbieter“, präzisiert und damit die Betrachtungsebene und Gliederungstiefe für die vorliegende Arbeit festgelegt.269 Für das so abgegrenzte Bezugsobjekt wird dann in Abschnitt 3.3 untersucht, in welchen Formen und Ausprägungen Komplexität auftritt. Da „ein komplexes Phänomen durch Erhöhung des Auflösungsfokus – also durch „genaueres Hinsehen“ – in seiner Komplexität eher zunimmt“270, wird bei der Präzisierung des Bezugsobjekts und der Wahl der Gliederungstiefe insbesondere darauf geachtet, ein Aggregationsniveau zu finden, das zwar die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen in verschiedenen Facetten, gleichzeitig aber auch in allgemeingültiger Form, d.h. für verschiedene Dienstleistungsbranchen und -unternehmen abbildet. Ein höherer Detaillierungsgrad trägt nicht zwangsläufig zum besseren Verständnis des Komplexitätsphänomens bei, entsprechend detaillierte Ansätze des Komplexitätsmanagements weisen insbesondere Probleme bei der Praktikabilität auf. In den Abschnitten 3.4 und 3.5 wird dann der Frage nachgegangen, welche Kosten und welcher Nutzen aus der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen resultieren und eine Systematisierung von Komplexitätskostenarten und Komplexitätsnutzenkategorien vorgeschlagen. Bei der Entwicklung des Bezugsrahmens wurde explorativ vorgegangen. Explorative Analysen dienen der „Gewinnung erster Einsichten … bei neuartigen, 269
270
Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.2.3. Für eine Komplexitätsbetrachtung ist immer zunächst eine Entscheidung über das gewünschte Aggregationsniveau zu treffen (vgl. z.B. auch Kirchhof 2003, S. 169). Bliss 2000, S. IX.
80
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
komplexen und schlecht strukturierten Forschungsproblemen“.271 Die gewählte Vorgehensweise umfasst zwei teilweise parallel durchgeführte Schritte: Zum einen wurden auf Basis der relevanten Literatur sowie konzeptioneller Überlegungen mögliche Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie Kostenarten und Nutzenkategorien der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen erarbeitet. Zum anderen wurden diese literaturbasiert entwickelten Inhalte anhand qualitativer Experteninterviews evaluiert und hinsichtlich Vollständigkeit und Struktur überprüft, um die inhaltliche Validität des Bezugsrahmens sicherzustellen.272 Auswahlkriterium für die Gesprächspartner der Experteninterviews war ein dienstleistungsspezifischer Hintergrund der Personen.273 Um zudem verschiedene Perspektiven auf den Betrachtungsgegenstand sicherzustellen, wurden drei unterschiedliche Personengruppen berücksichtigt. Neben drei Unternehmensvertretern aus verschiedenen Dienstleistungsbranchen, die die Komplexitätsthematik aus ihrer beruflichen Praxis beurteilten, wurden zwei Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Dienstleistungsmanagement in die qualitative Studie einbezogen. Ergänzend wurde die unternehmensexterne Sicht von Konsumenten auf die Komplexität von Dienstleistungsanbietern integriert. Die Relevanz dieser Kundenperspektive ist im Dienstleistungskontext in der Integration des externen Faktors in die Prozesse der Leistungserstellung begründet. Trotz der systematischen Auswahl der Gesprächspartner entspricht die Stichprobe einem Convenience Sample, da die befragten Personen aus dem beruflichen Bekanntenkreis des Verfassers stammen.274 Mit den ausgewählten Personen wurde jeweils ein umfassendes Einzelinterview geführt, teilweise wurden die Befragten zusätzlich wiederholt zu einzelnen Aspekten zu Rate gezogen. Die Gespräche fanden zu unterschiedlichen Zeitpunkten
271
272 273
274
Fantapié Altobelli 2007, S. 23. Die Exploration beschreiben Hammann und Erichson als die „Suche nach Informationen zur Strukturierung und Formulierung eines Entscheidungsproblems“ (Hammann/Erichson 2000, S. 75). Zum Einbezug von Experten zur Sicherstellung der inhaltlichen Validität vgl. z.B. Rossiter 2002, S. 308, 332; Rossiter 2008, S. 380. Als Experten kommen nach Hammann und Erichson Personen mit fundiertem Fachwissen zum Untersuchungsgegenstand in Frage (vgl. Hammann/Erichson 2000, S. 480). Eine Liste der Gesprächspartner ist in Anhang 1 wiedergegeben. Bei einem Convenience Sample handelt es sich streng genommen um eine willkürliche Auswahl von Befragten, die mit geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand erreichbar sind (vgl. z.B. Böhler 2004, S. 135; Churchill Jr/Iacobucci 2005, S. 326f.; Fantapié Altobelli 2007, S. 186). Die Auswahl der Experten für die qualitativen Gespräche erfolgte in der vorliegenden Arbeit nicht willkürlich.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
81
während der Entwicklung des Bezugsrahmens statt, wodurch die Erkenntnisse früherer Gespräche bei der Durchführung späterer Interviews mit berücksichtigt werden konnten und der Entwicklungsprozess des Bezugsrahmens kontinuierlich durch Expertenmeinungen begleitet wurde. Die Gespräche erfolgten primär nichtstandardisiert.275 Aufgrund der erklärungsbedürftigen Inhalte wurden die Gespräche allerdings durch Unterlagen zu den Komplexitätsformen und -ausprägungen, den Kostenarten und Nutzenkategorien sowie den Wirkungsbeziehungen unterstützt, die den zum Gesprächstermin aktuellen Entwicklungsstand des Bezugsrahmens widerspiegelten und als Diskussionsgrundlage dienten. Die Erkenntnisse aus den qualitativen Gesprächen werden an dieser Stelle nicht gesondert dargestellt, sondern fließen in die nachfolgende Darstellung des Bezugsrahmens mit ein.
3.2
Das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität
Zur Konkretisierung des Bezugsobjekts der Komplexität wird das System „Dienstleistungsanbieter“ anhand der in der dienstleistungsbezogenen Literatur etablierten Unterscheidung in Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension der Dienstleistung strukturiert.276 Die drei Dimensionen basieren ursprünglich auf verschiedenen Definitionen des Dienstleistungsbegriffs,277 werden zudem aber auch als integrative Bestandteile eines umfassenden Dienstleistungsverständnisses aufgefasst, da sie jeweils wesentliche Merkmale von Dienstleistungen repräsentieren,278 deren Bedeutung gegebenenfalls in Abhängigkeit der konkreten Leistung variiert. Eine eindeutige Abgrenzung der drei Dimensionen ist nicht immer möglich, da ausgeprägte Interdependenzen zwischen ihnen bestehen. Dies betont die Notwendigkeit eines Dienstleistungsverständnisses, das sowohl das Potenzial als auch die Prozesse und Ergebnisse umfasst. Die Dimensionen stehen in engem Zusammenhang mit den charakteristischen Merkmalen von Dienstleistungen – Leistungsfähigkeit des Anbieters, Integration des externen Faktors und Immaterialität der Leistung –, die in der Literatur ebenfalls weite Verbreitung
275 276 277 278
Vgl. Fantapié Altobelli 2007, S. 36. Vgl. z.B. Meyer/Blümelhuber 1994, S. 7f.; Corsten/Gössinger 2004, S. 320. Vgl. Reckenfelderbäumer 1995, S. 10f. Vgl. Hilke 1989, S. 10f.
82
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
gefunden haben.279 Abbildung 5 gibt einen Überblick über die drei Dimensionen sowie die im Folgenden jeweils als relevant identifizierten inhaltlichen Aspekte, die das Bezugsobjekt der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen bilden. (1) Potenzialdimension Der Begriff der Potenzialdimension umschreibt die Ressourcen, die ein Anbieter bereithält, um die Dienstleistungsnachfrage bedienen zu können. In ihr spiegelt sich ein Begriffsverständnis wider, das die Dienstleistung als die Bereitschaft zur Erbringung einer Leistung auffasst.280 Das aus dieser Dimension abgeleitete Charakteristikum der Leistungsfähigkeit des Anbieters bezieht sich auf die Notwendigkeit des Unternehmens, Leistungspotenziale zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen einer Vorkombination werden dabei interne Produktionsfaktoren, wie z.B. Personal, Fähigkeiten, Ausstattung und Instrumente, zur Leistungsbereitschaft des Anbieters kombiniert.281 Die Leistungsbereitschaft bildet die Grundlage für die eigentliche Leistungserstellung für den Kunden (Endkombination). Bei den Potenzialfaktoren für Dienstleistungen handelt es sich grundsätzlich nicht um originäre, dienstleistungsspezifische Produktionsfaktoren, sondern um solche, die auch zur Herstellung materieller Güter eingesetzt werden.282 Daher haben die in der volks- und allgemeinen betriebswirtschaftlichen Literatur getroffenen Unterscheidungen der Faktoren Boden, Kapital, dispositive und ausführende Arbeit, Betriebsmittel und Werkstoffe auch für Dienstleistungen Gültigkeit.283 Darüber hinaus bestehen aber auch Kategorisierungen, die die Besonderheiten verschiedener Faktoren im Dienstleistungskontext betonen und dabei insbesondere die große Bandbreite möglicher materieller und immaterieller inter-
279
280 281 282 283
Vgl. hierzu Güthoff 1995, S. 3f. und im Folgenden zu den drei Dimensionen insb. Hilke 1989, S. 10ff.; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1994, S. 33ff.; Bruhn/Georgi 2006a, S. 39ff.; Bruhn/Georgi 2006b, S. 13ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 32ff. Ähnlich auch Bateson 1995, S. 10ff. Vgl. Meyer/Mattmüller 1987, S. 187; Hentschel 1992, S. 19f. Vgl. z.B. Altenburger 1980, S. 105ff; Corsten/Gössinger 2004, S. 319f.; Corsten/Gössinger 2007, S. 128. Vgl. Altenburger 1994, S. 159f. Vgl. zu den volkswirtschaftlichen und betrieblichen Produktionsfaktoren Wöhe 2002, S. 80f.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
83
ner Produktionsfaktoren demonstrieren, die in unterschiedlicher Kombination bei der Dienstleistungserstellung zum Einsatz kommen können.284
Dienstleistungsprozesse Supportprozesse; z.B. Gestaltung der Marketinginstrumente (Leistungs-, Kommunikations-, Preis- und Distributionspolitik), Prozesse der Potenzialbereitstellung, Prozesse des Kapazitätsmanagements
Dienstleistungspotenziale Mitarbeiter, Arbeitskraft Eingesetzte Technologien Tangibles Umfeld der Leistungserbringung
Abbildung 5:
Leistungsprozesse; autonome Prozesse im Unternehmen sowie integrative Prozesse im Kundenkontakt
Dienstleistungsergebnisse Leistungsprogramm Dienstleistung
Externer Faktor Kundenprozesse; vom Kunden erbrachte Teilleistungen
Kunde oder dessen Verfügungsobjekte
Das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität
Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit ist auf Potenzialebene allerdings keine abschließende und detaillierte Aufzählung der internen Potenzialfaktoren erforderlich, da die Komplexität der Potenzialdimension vielmehr aus der Gesamtheit – insbesondere aus der Menge und Heterogenität – der eingesetzten Potenziale resultiert. Daher ist eine relativ grobgliedrige, dafür aber auf die Untersuchung unterschiedlicher Dienstleistungen gleichermaßen anwendbare Systematisierung vorzuziehen, die dennoch die wesentlichen Charakteristika der Leistungsart berücksichtigt. Diese Anforderung erfüllt die dienstleistungsspezifische Kategorisierung von Bruhn und Georgi, die zwischen den drei für Dienstleistungen we-
284
Exemplarisch sei der sehr detaillierte Ansatz von Maleri genannt, der den drei Kategorien realer immaterieller, realer materieller sowie nominaler Potenzialfaktoren ein breites Spektrum verschiedenster Inputfaktoren subsumiert (vgl. Maleri 1997, S. 172ff.). Neben dieser und anderen allgemeinen Kategorisierungen bestehen in der Literatur auch dienstleistungsbranchenspezifische Ansätze zur Kategorisierung der Potenzialfaktoren (vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 35).
84
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
sentlichen Ressourcen der Mitarbeiter, der Technologien und der tangiblen Elemente differenzieren:285
Mitarbeiter bzw. deren Arbeitskraft sowohl dispositiver als auch ausführender Art; ferner in diesem Zusammenhang die Qualifikation der Mitarbeiter, die sich aus ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zusammensetzt.
Technologien, die in der Dienstleistungserstellung, als Teil der Dienstleistung und/oder im Unternehmen unterstützend zum Einsatz kommen.286
Tangible Dienstleistungselemente, die das physische Umfeld der Leistungserbringung umfassen. Hierunter sind Bestandteile des sicht- oder greifbaren Umfelds der Dienstleistungsinteraktion zu verstehen, zu denen der Dienstleistungsort (die Standorte bzw. Filialen, in denen der Kunde die Dienstleistung bezieht) sowie erforderliche Dienstleistungsmaterialien zählen (z.B. Informationsbroschüren oder Formulare).287
Den Mitarbeitern bzw. der menschlichen Arbeit sowie dem tangiblen Umfeld kommt dabei aufgrund der Integration des externen Faktors und des daraus resultierenden engen Kontakts zwischen Mitarbeiter und Kunde besondere Relevanz zu. Diese Ressourcen werden von Kunden direkt wahrgenommen und beeinflussen daher dessen Verhalten.288 Zudem ist der Einsatz von Technologien in vielen Dienstleistungsbranchen mittlerweile elementar, da er neben seiner unterstützenden Funktion in den Dienstleistungsprozessen (z.B. in Form von Informationsund Kommunikationssystemen) häufig auch integraler Bestandteil der Dienstleistung selbst geworden ist (z.B. im Online-Banking).289 Weitere interne Potenzialfaktoren sind zwar bei vielen Dienstleistungen unterstützend erforderlich, ihre relative Bedeutung im Vergleich zu den drei Kategorien nach Bruhn und Georgi aber tendenziell zu vernachlässigen.290 Daher werden im zu entwickeln285 286 287
288 289 290
Vgl. Bruhn/Georgi 2006a, S. 70. Vgl. Bruhn/Georgi 2006a, S. 290f. Vgl. Bruhn/Georgi 2006a, S. 286ff. Bruhn und Georgi grenzen zudem die Dienstleistungsumgebung ab, die z.B. die Nachbarschaft und Erreichbarkeit umfasst. Diese Aspekte sind für die Komplexität im Unternehmen von nachrangiger Bedeutung und werden daher in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt. Vgl. z.B. Bruhn/Georgi 2006b, S. 306ff. und 319ff. Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 34. Weitere Faktoren sind in Abhängigkeit der betrachteten Dienstleistung sehr unterschiedlich. Beispielsweise können dies bei Bank- oder Beratungsdienstleistungen An-
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
85
den Bezugsrahmen der Komplexität auf der Potenzialdimension der Dienstleistung die Mitarbeiter, die Technologien und die tangiblen Elemente unterschieden. (2) Prozessdimension Die Prozessdimension umfasst die zur Leistungserbringung erforderlichen Prozesse, in denen u.a. die Leistungspotenziale mit dem externen Faktor (also dem Kunden oder dessen Verfügungsobjekten) kombiniert werden. Dieser zweiten Dimension liegen Definitionen zugrunde, die den prozessualen Charakter der Dienstleistung als Tätigkeit oder Verrichtung an externen Inputfaktoren in den Vordergrund stellen.291 Nach dieser Auffassung „erwerben“ Kunden nicht die Dienstleistung als Ergebnis eines Prozesses, sondern den Prozess selbst.292 Die charakteristische Eigenschaft von Dienstleistungen, die mit der Prozessdimension in Verbindung gebracht wird, ist die Integration des externen Faktors in die Dienstleistungserstellung, d.h., dass der Kunde selbst oder seine Verfügungsobjekte in Prozesse des Anbieters eingebunden werden.293 Eine differenzierte Analyse von Dienstleistungsprozessen erfolgt in der Literatur auf Basis des Blueprinting, einer von Shostack konzipierten Methode zur holistischen Visualisierung der Leistungserbringung anhand von Flussdiagrammen.294 Im Blueprint werden die für die Leistungserstellung erforderlichen Prozesse und Tätigkeiten in ihrer Abfolge dargestellt und so die Input/Output-Strukturen der Leistungserbringung verdeutlicht.295 Auf diese Weise lassen sich neben Standardabläufen auch alternative, abweichende Prozessverläufe infolge von Entscheidungen im Prozess abbilden.296Aus dem Blueprint für eine Dienstleistung sind darüber hinaus die Kontaktpunkte (i.e. Schnittstellen zwischen Kunde und Dienstleistungsanbieter) sowie die „Integrationssequenzen“ des externen Faktors ersichtlich.297
291 292 293 294 295 296 297
schauungsmaterialien, Papier, Schreibutensilien oder bei einem Friseur Haarwaschmittel, verschiedene Schneidegeräte u.a.m. sein. Insofern sie für den Kunden in der Leistungserbringung wahrnehmbar sind, lassen sie sich allerdings auch den tangiblen Elementen in der Einteilung von Bruhn und Georgi zuordnen. Vgl. z.B. Schüller 1967, S. 19; Berekoven 1983, S. 23. Vgl. Skaggs/Huffman 2003, S. 776. Vgl. Bruhn/Hadwich 2006, S. 17; Meffert/Bruhn 2009, S. 42. Vgl. Shostack 1987, S. 35f.; Corsten 1998, S. 617; Stauss 2000, S. 327f. Vgl. Schweikart 1997, S. 196. Vgl. Weiber/Jacob 1995, S. 565; Schweikart 1997, S. 196f. Vgl. Corsten 1998, S. 617.
86
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Mehrere Autoren nutzen den Blueprint zudem, um verschiedene Prozesse voneinander abzugrenzen. So werden von reinen Kundenprozessen – diese umfassen Aktivitäten, die der Kunde vollständig selbst durchführt, wie z.B. die Zusammenstellung von persönlichen Unterlagen für ein Beratungsgespräch – diverse Unternehmensprozesse unterschieden, beispielsweise anhand der Wahrnehmbarkeit für den Kunden sowie der Nähe der Prozesse zur direkten Leistungserbringung (Onstage-, Backstage-, Support- und Managementprozesse).298 Diese können nach konkreten Inhalten weiter ausdifferenziert werden. Allerdings ist es für den Analysegegenstand der vorliegenden Arbeit nicht zielführend, eine möglichst detaillierte Erfassung und Umschreibung sämtlicher in Dienstleistungsunternehmen vorkommender Teilprozesse anzustreben, da dies in voller Konsequenz ohnehin nur auf Basis einer Einzelfallbetrachtung möglich wäre. Vielmehr ist für den Bezugsrahmen der Komplexität eine Kategorisierung von Dienstleistungsprozessen zweckmäßig, die deren zentrales Charakteristikum – die Integration des externen Faktors – zum Ausdruck bringt. Anhand des Ausmaßes, zu dem ein Kunde oder dessen Verfügungsobjekt an verschiedenen Prozessen beteiligt ist, lassen sich autonome von integrativen Prozessen abgrenzen299 und insgesamt folgende drei Prozesskategorien unterscheiden:
298
299 300
Prozesse mit unmittelbarem Leistungsbezug (Leistungsprozesse) sind die direkten Prozesse der Leistungserbringung. Diese erste Kategorie umfasst somit die integrativen Prozesse, an denen auch der Kunde beteiligt ist, und den Teil der autonomen Unternehmensprozesse, die in direktem Zusammenhang mit diesen integrativen Prozessen stehen. In der Unterscheidung der betrieblichen Produktionsfaktoren in dispositive und ausführende Arbeit sind diese Prozesse als die Gesamtheit der ausführenden Tätigkeiten zu verstehen.300
Unter den Prozessen mit mittelbarem Leistungsbezug (Supportprozesse) werden die sonstigen im Unternehmen erforderlichen Prozesse zusammengefasst, die für die unmittelbaren Leistungsprozesse notwen-
Vgl. Kingman-Brundage 1989, S. 31; Schweikart 1997, S. 197f., 208 sowie Fließ 2006, S. 64ff. Auf ähnliche Weise unterscheidet Reckenfelderbäumer Dienstleistungsprozesse mit direktem, indirektem und ohne Bezug zum Absatzobjekt. Prozesse mit direktem Bezug sind unmittelbare Bestandteile des Absatzobjekts (vgl. Reckenfelderbäumer 1995, S. 121ff.). Vgl. Reckenfelderbäumer 1995, S. 14f.; Corsten/Gössinger 2005, S. 154f. Unter diese Kategorie der Leistungsprozesse fallen die von verschiedenen Autoren aus dem Blueprint abgeleiteten Onstage- und Backstageprozesse (vgl. z.B. Schweikart 1997, S. 197f.; Fließ 2006, S. 64f.).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
87
dige Unterstützungs- und Vorleistungen erbringen.301 Zu diesen Prozessen zählen beispielsweise Prozesse der Bereitstellung von Dienstleistungsressourcen – also die Personal- und Materialbeschaffung –, das Kapazitätsmanagement, das die Abstimmung von Dienstleistungsangebot und -nachfrage zum Ziel hat,302 sowie die Prozesse der Dienstleistungsvermarktung.303 Letztere umfassen die im Marketing unterschiedenen vier Instrumentalbereiche der Leistungs-, Kommunikations-, Preis- und Distributionspolitik. In Abgrenzung zu den Leistungsprozessen schließen diese Supportprozesse alle dispositiven Tätigkeiten ein, die zur Erbringung der Leistung indirekt erforderlich sind.
Die autonomen Kundenprozesse sind Prozesse, die der Kunde selbständig auszuführen hat. Diese bilden das Residuum aus der Gesamtheit notwendiger und den vom Unternehmen – autonom und integrativ – erbrachten Leistungserstellungsprozessen. Ohne die Durchführung der autonomen Kundenprozesse ist eine Erbringung der Dienstleistung u.U. nicht möglich, weshalb sie einen wesentlichen Bestandteil der Leistungserstellung darstellen.304 Daher sind sie ebenfalls als Element des Dienstleistungsanbieters als Bezugsobjekt der Komplexität zu berücksichtigen.305
Eine Folge der Integrativität eines Teils der Prozesse ist die Tatsache, dass neben den unternehmensintern bereitgestellten Potenzialfaktoren auch externe (Produk301
302 303 304
305
Diese werden in der Literatur in beispielsweise Support-, Facility-, Management- und Preparationprozesse unterschieden (vgl. auch hierzu z.B. Schweikart 1997, S. 197f.; Fließ 2006, S. 64f.). Vgl. z.B. Bruhn/Georgi 2006a, S. 299ff.; Bruhn/Stauss 2009, S. 15. Vgl. Bruhn/Georgi 2006a, S. 69ff. Büttgen unterscheidet zwischen optionalen Leistungsbeiträgen des Kunden, die entweder vom Anbieter oder vom Kunden durchgeführt werden können, und obligatorischen Beiträgen des Kunden (vgl. Büttgen 2009, S. 66). Ein optionaler Beitrag kann beispielsweise im Waschen der Haare als Vorbereitung des Haareschneidens als eigentlicher Dienstleistung gesehen werden. Ein Beispiel für obligatorische autonome Kundenprozesse ist die Zusammenstellung von relevanten Unterlagen für die von einem Steuerberater angebotenen Dienstleistungen. Die Auffassung der autonomen Kundenprozesse als Bestandteil der Prozessdimension deckt sich auch mit dem in Abschnitt 1.2.3 angeführten Kriterium, das die Zugehörigkeit eines Elements zu einem System über das Zusammenwirken der Elemente auf ein gemeinsames Ziel hin definiert. Fasst man die Erbringung der Dienstleistung als solches Ziel auf, sind alle Prozesse, die auf dieses Ziel hinarbeiten, als Elemente des Systems „Dienstleistungsanbieter“ aufzufassen.
88
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
tions-)Faktoren in die Leistungserstellung einfließen.306 Diese externen Faktoren sind dadurch gekennzeichnet, dass sie für das Dienstleistungsunternehmen nicht frei disponibel sind, da sie zeitlich und rechtlich nur eingeschränkt in die Verfügungsgewalt des Dienstleistungsanbieters übergehen.307 Einzubeziehende externe Faktoren sind in Abhängigkeit der Dienstleistung:308
Personen: Der Kunde kann selbst aktiv oder passiv an der Leistungserstellung beteiligt sein und somit neben der aufgebrachten Zeit auch physische oder mentale Arbeitsleistungen einbringen.
Materielle Verfügungsobjekte: Diese umfassen mobiles (z.B. PKW) oder immobiles (z.B. Gebäude oder Gelände) Eigentum des Kunden, an dem die Dienstleistung erbracht wird.
Immaterielle Verfügungsobjekte: Hierunter fallen Rechte (z.B. Befugnisse), Nominalgüter (z.B. Geld) und/oder Informationen, die der Anbieter zur Ausübung einer Dienstleistung benötigt.
Diese externen Faktoren werden im Rahmen der integrativen Prozesse der Leistungserbringung, in der Literatur auch Endkombination genannt, mit den Leistungspotenzialen des Anbieters kombiniert.309 Wie bereits die autonomen Kundenprozesse sind die externen Faktoren zur Leistungserbringung zwingend erforderlich und daher im Bezugsobjekt der Dienstleistungskomplexität als Systembestandteil aufzufassen. Um die Allgemeingültigkeit des in dieser Arbeit entwickelten Bezugsrahmens für verschiedene Dienstleistungsbranchen sicherzustellen, soll auch bezüglich der externen Faktoren nicht im Detail unterschieden werden, um welche Art von Subjekt oder Objekt es sich handelt, das der Kunde in die Leistungserstellungsprozesse einbringt. Stattdessen wird der externe Faktor als solcher berücksichtigt und hinsichtlich der Komplexitätscharakteristika differenziert betrachtet. (3) Ergebnisdimension Die dritte Dimension, die Ergebnisdimension, bezieht sich auf das Ergebnis des Dienstleistungsprozesses. Dieser Dimension liegt das Dienstleistungsverständnis 306 307 308 309
Vgl. z.B. Kleinaltenkamp/Marra 1997, S. 56; Stuhlmann 1999, S. 26ff. Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1994, S. 37; Maleri 1997, S. 151; Meffert/Bruhn 2009, S. 42. Vgl. ausführlicher hierzu auch die Auflistungen möglicher externer Faktoren bei Kleinaltenkamp/Marra 1997, S. 56; Maleri 1997, S. 148ff.; Fließ 2006, S. 32. Vgl. Altenburger 1980, S. 105ff.; Corsten/Gössinger 2004, S. 319; Corsten/Gössinger 2005, S. 154.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
89
zugrunde, dass nur die Dienstleistung als Ergebnis eines Prozesses am Markt verwertbar und daher als Leistung einzustufen sei.310 Das Spektrum an unterschiedlichen Dienstleistungsergebnissen ist dabei sehr breit.311 Dies verdeutlicht beispielsweise die Klassifikation der Wirtschaftszweige des deutschen Statistischen Bundesamtes, in der eine Vielzahl von Dienstleistungskategorien – z.B. die Bereiche Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, Finanzen und Versicherungen, Kunst, Unterhaltung und Erholung, u.v.m. – mit jeweils mehreren Subkategorien genannt werden.312 Zudem ist die Abgrenzung zwischen Produkt und Dienstleistung fließend, da zum Teil Produkte auch in Verbindung mit Dienstleistungen angeboten werden313 und sich Anbieter aus dem produzierenden Gewerbe zunehmend selbst als Dienstleistungsanbieter definieren, die dem Kunden nicht ein Produkt, sondern die damit verbundene Problemlösung anbieten. Dabei herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Immaterialität eine charakteristische Eigenschaft von Dienstleistungen ist, da die Leistung nicht in der Herstellung eines physischen Objekts besteht, sondern allenfalls an einem Objekt vollzogen oder auf einem solchen gespeichert wird.314 Materielle Güter sind daher höchstens das Nebenprodukt einer immateriellen Verrichtung.315 Aus der Immaterialität leiten sich mit der Nichtlagerfähigkeit und der Nichttransportfähigkeit zwei akzessorische Merkmale von Dienstleistungen ab.316 Aufgrund der Nichtlagerfähigkeit ist eine vollständige Vorproduktion des Leistungsergebnisses nicht durchführbar, sondern nur die Vorkombination interner Faktoren zur Vorbereitung der eigentlichen Leistungserbringung.317 Auch ist eine Produktion auf Lager bzw. eine Bevorratung erstellter Leistungen nicht oder nur bedingt
310
311 312 313 314 315
316 317
Vgl. z.B. Maleri 1997, S. 4. Diese Ansicht ist allerdings nur bedingt haltbar, da bei einer Vielzahl von Dienstleistungen der Prozess selbst nutzenstiftend ist und daher als Absatzobjekt angesehen werden kann, z.B. bei Theateraufführungen oder Freizeitparks (vgl. z.B. Schweitzer 2005, S. 217). Vgl. Hilke 1989, S. 8f.; Bruhn/Hadwich 2006, S. 17; Meffert/Bruhn 2009, S. 4. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 2008, S. 360ff. Vgl. Bruhn/Hadwich 2006, S. 13ff. Hilke vertritt die Ansicht, dass es unmöglich ist, eine Sachleistung ganz ohne Dienstleistung abzusetzen (vgl. Hilke 1989, S. 8). Vgl. Knoblich/Oppermann 1996, S. 16; Maleri 1997, S. 103. Vargo und Lusch gehen in ihrer Service-Dominant Logic of Marketing davon aus, dass es sich bei sämtlichen Gütern im Grunde nur um den Distributionsmechanismus für die Bereitstellung einer Dienstleistung handelt (vgl. Vargo/Lusch 2004, S. 8f.). Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 44. Vgl. ähnlich auch Chase 1981, S. 702.
90
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
möglich. Die bereitgestellten Dienstleistungskapazitäten verfallen, wenn sie nicht zum Zeitpunkt der Leistungsbereitschaft von Kunden genutzt werden. Zudem impliziert die Nichttransportfähigkeit, dass entweder der Kunde an den Ort der Leistungserstellung (den Unternehmensstandort oder eine Filiale) zu kommen hat oder aber die Leistungserstellung am Ort des Kunden erfolgt, da es nicht möglich ist, die Leistung zu erstellen und dem Kunden zu liefern.318 Für die Untersuchung der Komplexität ist auch auf der Ergebnisdimension eine Differenzierung verschiedener möglicher Dienstleistungen von sekundärer Bedeutung, da die Komplexität des Ergebnisses aus allgemeinen Merkmalen wie z.B. der Vielzahl und Heterogenität des Leistungsprogramms oder einzelner Teilleistungen resultiert, die für unterschiedliche Dienstleistungen gleichermaßen Gültigkeit besitzen. Daher wird in der vorliegenden Arbeit auf eine Betrachtung konkreter Dienstleistungsergebnisse verzichtet. Stattdessen werden allgemein
die einzelnen angebotenen Dienstleistungen sowie
das Dienstleistungsprogramm als gesamte Angebotspalette
im System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt der Komplexität berücksichtigt.
3.3
Erscheinungsformen und Ausprägungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Das im vorherigen Abschnitt definierte System „Dienstleistungsanbieter“ stellt das Bezugsobjekt der Komplexität in der vorliegenden Arbeit dar. Für dieses System und seine drei Hauptbestandteile der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension wird nun im nächsten Schritt die Komplexität in Dienstleistungsun-
318
Vgl. auch Bateson 1995, S. 13f. Bateson argumentiert, dass bei vielen Dienstleistungen entsprechend jeder Standort oder Außendienstmitarbeiter, der die Leistung beim Kunden erbringt, eine eigene kleine „Fabrik“ ist. Hier zeigt sich auch der enge Zusammenhang zwischen den Dienstleistungsdimensionen: Die Immaterialität und Nichttransportfähigkeit erfordert u.U. eine hohe Filialdichte, was die Menge und damit die Komplexität der Dienstleistungspotenziale beeinflusst. Vgl. zur Potenzialkomplexität ausführlich Abschnitt 3.3.3.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
91
ternehmen erarbeitet.319 Die Potenzial-, Prozess- und Ergebniskomplexität werden durch die allgemeinen Komplexitätsmerkmale, d.h. durch
die Anzahl an Elementen,
die Vielfalt dieser Elemente, die in ihrer Heterogenität zum Ausdruck kommt,
die Dynamik, Veränderlichkeit und/oder Verhaltensspielräume der Elemente sowie
die Vernetzung, die zwischen diesen Elementen besteht,
determiniert. Die drei Dienstleistungsdimensionen werden daher im Folgenden näher betrachtet, um zu bestimmen, worin inhaltlich diese Anzahl, Heterogenität, mögliche Eigendynamiken und Vernetzungen bestehen. Grundsätzlich tritt Komplexität auch in Dienstleistungsunternehmen in den in Abschnitt 1.2.4.1 thematisierten objektiven internen Komplexitätsformen auf.320 Daher wird im Folgenden zur Bestimmung der Potenzial-, Prozess- und Ergebniskomplexität auch auf die dortigen Ausführungen zurückgegriffen. Zudem erlangt die in Abschnitt 1.2.4.2 dargestellte subjektive Komplexität im Kontext von Dienstleistungsunternehmen immer dann Bedeutung, wenn Personen involviert sind und deren Komplexitätswahrnehmung zu kosten- und nutzenwirksamen Verhaltensweisen führen kann. Dies ist primär bei der Prozessdimension der Fall, da hier die von Mitarbeitern durchzuführenden Tätigkeiten einzuordnen sind. Daher findet die subjektiv wahrgenommene Komplexität auf der Prozessdimension Berücksichtigung. Abbildung 6 stellt die Vorgehensweise im Überblick dar.
319
320
Vgl. zu einer ähnlichen Strukturierung des Unternehmens als Grundlage der Identifikation von Komplexität – allerdings nicht im Dienstleistungskontext – Benett 1999, S. 11; Reiners/Sasse 1999, S. 223f. Auch Kirchhof hält fest, dass Modelle, die ein Unternehmen nach dem Input-Throughput-Output-Prinzip anhand von Ressourcen, Prozessen und Produkten strukturieren, zur Abbildung von Komplexität geeignet sind (Kirchhof 2003, S. 120). Der Bezugsrahmen der Komplexität in der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf die interne Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. Die externe Komplexität der Nachfrage, des Wettbewerbs, der Beschaffungsmärkte und des gesellschaftlichen Umfelds sowie die allgemeinen technologischen Entwicklungen werden nicht betrachtet. Auch die primär an der Produktion materieller Güter ausgerichtete Produktionsprogrammkomplexität (vgl. Abschnitt 1.2.4.1) wird im Folgenden nicht weiter berücksichtigt (vgl. auch Fußnote 337).
92
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Komplexitätsformen (Abschnitt 1.2.4) Objektive Komplexität
Organisations-/Prozesskomplexität Leistungsprogrammkomplexität Produkt-/Dienstleistungskomplexität Ziel-, Aufgaben-/Koordinationskomplexität Kundenstrukturkomplexität Interne technologische Komplexität Subjektive Komplexität Wahrgenommene Komplexität durch die beteiligten Personen
Abbildung 6:
Bezugsobjekt der Komplexität: System „Dienstleistungsanbieter“ (Abschnitt 3.2) Potenzialdimension Prozessdimension Ergebnisdimension Formen und Ausprägungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen Konstitutive Merkmale der Komplexität (Abschnitt 1.2.2)
Vielzahl Vielfalt Dynamik, Veränderlichkeit Interdependenzen
Vorgehensweise zur Identifikation der Komplexitätsformen und -ausprägungen in Dienstleistungsunternehmen
In der Literatur wird häufig die Ansicht vertreten, dass die Gestaltung der Marktbearbeitung – quasi als Reaktion auf die Gegebenheiten der Absatzmärkte und der Wettbewerbssituation – die Schnittstelle bildet, über die externe Komplexität in das Unternehmen „hinein getragen“ wird.321 Folgt man dieser Argumentation, ist die Komplexität auf der Ergebnisdimension ursächlich für weitere unternehmensinterne Formen der Komplexität auf der Prozess- und Potenzialdimension.322 Die Erbringung eines breiten und heterogenen Leistungsangebots erfordert entsprechende Potenziale und Prozesse. Da somit die Ausprägungen der Potenzialkomplexität vielfach auf Aspekte der Ergebnis- und Prozesskomplexität zurückzuführen sind und die Darstellungen entsprechend inhaltlich aufeinander aufbauen, wird nachfolgend zunächst die Komplexität auf der Ergebnisdimension besprochen, bevor die Erarbeitung der Komplexität der Prozess- und der Potenzialdimension erfolgt.
321 322
Vgl. z.B. Köster 1998, S. 65; Reiners/Sasse 1999, S. 222; Bliss 2000, S. 163; Meffert 2000, S. 1033; Kirchhof 2003, S. 121; Murjahn 2004, S. 96ff. Vgl. zu möglichen Wirkungen auch in anderer Richtung Abschnitt 1.2.4.1 sowie Abschnitt 3.3.4.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.3.1
93
Komplexität der Ergebnisdimension in Dienstleistungsunternehmen (Ergebniskomplexität)
Auf der Ergebnisdimension wird gemäß der in Abschnitt 3.2 gewählten Strukturierung des Bezugsobjekts der Komplexität unterschieden zwischen einzelnen Leistungen und dem Leistungsprogramm, das das Leistungsangebot des Unternehmens als Ganzes beschreibt. Von den in Abschnitt 1.2.4 skizzierten in der Literatur diskutierten Komplexitätsformen sind die der Leistungsprogrammkomplexität und die der Produkt- bzw. Dienstleistungskomplexität von Bedeutung. In engem Zusammenhang mit der Leistungsprogramm- und der Dienstleistungskomplexität steht die Form der Kundenstrukturkomplexität, da diese die Art der Marktbearbeitung widerspiegelt und auf diese Weise als Schnittstelle zwischen den externen Marktanforderungen und der unternehmensinternen Komplexität fungiert.323 Aus diesen allgemein in der Literatur behandelten Komplexitätsformen ergeben sich für die Ergebnisdimension der Dienstleistung somit die drei Komplexitätsformen der Leistungsprogramm-, der Dienstleistungs- sowie der Kundenstrukturkomplexität, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden.
3.3.1.1 Leistungsprogrammkomplexität Die Komplexität des Leistungsprogramms wird bedingt durch dessen Zusammensetzung aus verschiedenen angebotenen Leistungen und weist bei Dienstleistungen keine wesentlichen Besonderheiten im Vergleich zu materiellen Produkten auf (vgl. zu einem Überblick über die Ausprägungen der Leistungsprogrammkomplexität Tabelle 7). Das Komplexitätsmerkmal der Vielzahl kommt in der Anzahl der angebotenen Leistungskategorien zum Ausdruck (Programmbreite), während die Vielfalt durch die angebotenen Leistungsvarianten bestimmt ist (Programmtiefe).324 Weitgehend unberücksichtigt bleiben bezüglich des Leistungsprogramms in der Komplexitätsliteratur allerdings die Aspekte der Veränderlichkeit und Interde-
323
324
Bliss nennt die Programmkomplexität, die Produktkomplexität und die Kundenstrukturkomplexität aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit den unternehmensexternen Komplexitätsformen auch korrelierte Komplexitätsformen (vgl. Bliss 2000, S. 6 sowie die Ausführungen in Abschnitt 2.2.2). Vgl. zur näheren Begriffsbestimmung die folgenden Ausführungen. Vgl. z.B. Cummings 1991, S. 60; Schweikart 1997, S. 62ff.; Bliss 2000, S. 6; Kirchhof 2003, S. 40.
94
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
pendenz:325 Komplexität resultiert aber auch aus der Veränderlichkeit in Form von Anpassungen des Leistungsprogramms, die z.B. infolge sich verändernder Marktstrukturen und Kundenanforderungen erforderlich sind. Solche Veränderungen des Angebots insgesamt können beispielsweise in Dienstleistungsinnovationen, -variationen oder -differenzierungen sowie Leistungseliminierungen bestehen.326 Daneben bestehen Interdependenzen zwischen verschiedenen Leistungskategorien oder -varianten infolge von Leistungsbündelungen, die entweder auf einen inhaltlich oder technologisch begründeten Zusammenhang zwischen verschiedenen Leistungen zurückzuführen sind – wie beispielsweise das Angebot digitaler Telefondienstleistungen durch einen Internet-Provider – oder aus Gründen der Vermarktung vorgenommen werden, indem den Kunden z.B. Preisvorteile beim Erwerb mehrerer Leistungen angeboten werden.327 Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Ausprägung
Leistungsprogrammkomplexität
Vielzahl
Anzahl angebotener Leistungskategorien
Vielfalt
Vielzahl der Leistungsvarianten je Leistungskategorie
Tabelle 7:
Veränderlichkeit
Anpassungen des Leistungsprogramms
Interdependenzen
Leistungsverbund/-bündelung zwischen angebotenen Leistungskategorien und -varianten
Ausprägungen der Leistungsprogrammkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
3.3.1.2 Dienstleistungskomplexität Während das Leistungsprogramm die geplanten, angebotenen Dienstleistungen widerspiegelt, ist unter der Dienstleistung an sich die tatsächlich erbrachte, u.U. vom eigentlich geplanten Angebot abweichende Leistung zu verstehen (beispielsweise durch kundenindividuelle Anpassungen). Die Komplexität einer Dienstleistung (vgl. Tabelle 8) ergibt sich insbesondere aus der Anzahl und Heterogenität an Teilleistungen.328 Die Heterogenität zeigt sich an dem von Güt-
325 326 327
328
Die Dynamik der Produktprogrammänderungen findet bei Lasch/Gießmann 2009, S. 201 zumindest Erwähnung. Vgl. zur Leistungsprogrammgestaltung Bruhn/Hadwich 2006, S. 195ff. Vgl. zu verschiedenen Formen der Leistungsbündelung bei Dienstleistungen z.B. Meffert/Bruhn 2009, S. 253. Zur Preisbündelung vgl. z.B. auch Homburg/Krohmer 2006, S. 730ff.; Diller 2008, S. 240ff.; Siems 2009, S. 211ff. Vgl. Güthoff 1995, S. 31ff.; Kebbel 2000, S. 38f.; Stock-Homburg 2007, S. 181f. Dies entspricht den in der Literatur zur Produktkomplexität genannten Aspekten der An-
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
95
hoff vorgenommenen Vergleich zwischen einem Krankenhausaufenthalt, der aus sehr heterogenen Teilleistungen von medizinischen Untersuchungen über das Krankenzimmer bis zur Verpflegung besteht, und dem Besuch eines Einkaufszentrums, das zwar aus mehreren Geschäften besteht, deren Verkaufsleistungen sich aber nicht wesentlich unterscheiden.329 Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Dienstleistungskomplexität
Vielzahl
Anzahl an Teilleistungen
Vielfalt
Heterogenität der Teilleistungen
Tabelle 8:
Ausprägung
Veränderlichkeit
Ausmaß an Leistungsindividualisierungen
Interdependenzen
Grad der Verknüpfung zwischen Teilleistungen
Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Das Komplexitätsmerkmal der Veränderlichkeit resultiert auf Ebene einzelner Dienstleistungen aus kundenindividuellen Anpassungen des Leistungsergebnisses.330 Berücksichtigt man zudem das Komplexitätsmerkmal der Vernetzung, ergibt sich Dienstleistungskomplexität auch aus möglichen Interdependenzen der verschiedenen Teilleistungen.331 So sind beispielsweise die verschiedenen Fahr-
329 330
331
zahl und Unterschiedlichkeit an Teilen, Modulen oder Komponenten und/oder Serviceleistungen (vgl. z.B. Adam/Rollberg 1995, S. 667; Bliss 2000, S. 6; Kirchhof 2003, S. 40). Die von Güthoff und Kebbel ebenfalls als für die kundenseitig wahrgenommene Komplexität relevant angesehene Anzahl und Heterogenität der beteiligten Mitarbeiter wird in dieser Arbeit nicht der Ergebniskomplexität zugeordnet, da es für das Leistungsergebnis an sich ceteris paribus (also z.B. bei gleicher Qualifikation und Freundlichkeit der Mitarbeiter) von nachrangiger Bedeutung ist, von wie vielen Mitarbeitern die Leistung erbracht wird. Stock-Homburg verwendet neben der Anzahl und Heterogenität der Teilleistungen zudem Indikatoren, die die Verständlichkeit der Leistungen für den Kunden, die Einfachheit der Qualitätsbeurteilung sowie Schwierigkeit beim Erkennen des Nutzens erfassen. Vgl. Güthoff 1995, S. 34. Vgl. Güthoff 1995, S. 31ff.; Schweikart 1997, S. 64; Kebbel 2000, S. 38f. Die Leistungsindividualisierung ließe sich auch der Leistungsprogrammkomplexität zuordnen, wenn man eine kundenindividuell erbrachte Dienstleistung als eigenständige Variante ansieht (vgl. ähnlich auch Schweikart 1997, S. 65f., der die Individualisierung der Prozesse als Aspekt der Sortimentskomplexität definiert, wobei allerdings die Unterscheidung zwischen Prozessen und Ergebnissen nicht berücksichtigt wird). Vgl. ähnlich auch Burianek et al. 2007, S. 16.
96
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
geschäfte eines Freizeitparks weitestgehend unabhängig voneinander, während die Teilleistungen eines Friseurs – Waschen, Schneiden, Föhnen, Stylen – in relativ engem Zusammenhang stehen. Interdependenzen können auch zwischen der Dienstleistung und den mit ihr verbundenen materiellen Produkten bestehen.
3.3.1.3 Kundenstrukturkomplexität Ein weiterer, der Ergebnisdimension zuzuordnender Aspekt ist die Zusammensetzung des Kundenstamms, die so genannte Kundenstrukturkomplexität. Die Abgrenzung der internen Kundenstrukturkomplexität zur externen Nachfragekomplexität als Aspekt der Marktkomplexität erfolgt in der Literatur sehr ungenau.332 Eine genaue Abgrenzung ist möglich anhand der Unterscheidung des Absatzmarktes als Ganzes und der vom betrachteten Unternehmen bearbeiteten Marktsegmente.333 Die Abgrenzung des relevanten Marktes, die Definition von Marktsegmenten in diesem Markt sowie die Auswahl zu bearbeitender Marktsegmente erfolgt i.d.R. unternehmensintern und mit dem Zweck, besser auf Kundenbedürfnisse eingehen zu können.334 Aus der Entscheidung, welche und wie viele Kundengruppen aktiv bearbeitet werden sollen, resultiert Komplexität. Entscheidet sich ein Anbieter für die fokussierte Ansprache lediglich einer Kundengruppe, ist die hieraus resultierende Komplexität – z.B. in den Vermarktungsaktivitäten, aber auch in den internen Prozessen der Leistungserbringung, wenn die fokussierte Marktbearbeitung mit einem entsprechend gering ausdifferenzierten Leistungsprogramm erfolgt – geringer als bei paralleler Bearbeitung mehrerer Kundengruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Die externe Nachfragekomplexität besteht dagegen in Entwicklungen des Gesamtmarktes, z.B. in saisonalen oder konjunkturellen Nachfrageschwankungen oder dem Zusammen332
333 334
Bliss definiert Nachfragekomplexität als autonome Individualisierung und Fragmentierung der Märkte mit der Folge kleinerer Zielgruppen mit veränderlichen Bedürfnissen (vgl. Bliss 2000, S. 5) und Kundenstrukturkomplexität als „Anzahl heterogener Kunden/Kundengruppen mit teilweise geringen Abnahmemengen“ (Bliss 2000, S. 6). Kirchhof versteht unter Nachfragekomplexität als Determinante der Marktkomplexität „die Unterschiedlichkeit der Märkte, der Kunden und Kundenpräferenzen“ (Kirchhof 2003, S. 39) und unter Kundenstrukturkomplexität die „Anzahl heterogener Kunden und Kundengruppen und die diesen zugeordneten Bedürfnisse und gewünschten Leistungsfunktionen“ (Kirchhof 2003, S. 40). Vgl. auch Child et al. 1991, S. 53ff. (insb. Exhibit III, S. 55), die in der Zahl der bedienten Kundensegmente einen Komplexitätstreiber sehen. Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 182ff. Zur Abgrenzung des relevanten Marktes sowie zur Marktsegmentierung vgl. auch Bruhn 2009a, S. 18ff., 58ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 111.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
97
wachsen von Märkten infolge technologischer Entwicklungen. Unter Kundenstrukturkomplexität ist daher die Komplexität der von dem Unternehmen bearbeiteten Kundengruppen zu verstehen. Zentrale Komplexitätsmerkmale sind dabei die Vielzahl und Vielfalt, die in der Anzahl an Kundengruppen sowie deren Heterogenität hinsichtlich der Bedürfnisse und gewünschten Leistungsfunktionen zum Ausdruck kommen (vgl. Tabelle 9).335 Somit sind die Vielzahl der bearbeiteten Kundengruppen und die Heterogenität der Bedürfnisse der Kundengruppen als Ausprägungen der Kundenstrukturkomplexität anzusehen. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Ausprägung
Kundenstrukturkomplexität
Vielzahl
Vielzahl an bearbeiteten Kundengruppen
Vielfalt
Heterogenität der Bedürfnisse der bearbeiteten Kundengruppen
Tabelle 9:
Veränderlichkeit
Anpassungen der Kundenstruktur/Marktbearbeitung
Interdependenzen
Rückkopplungen/Überschneidungen zwischen verschiedenen Markt- oder Kundensegmenten
Ausprägungen der Kundenstrukturkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Die Kundenstruktur ist primär Resultat interner Planungen der Marktbearbeitung und unterliegt daher zwar keiner Eigendynamik, wird aber in Reaktion auf die Dynamik der Absatzmärkte bewusst verändert. Werden beispielsweise neue Märkte oder Marktsegmente erschlossen, ergibt sich auch eine Verschiebung in der Kundenstruktur hin zu einem größeren Anteil neuer Kunden. Diese Veränderlichkeit ist daher ebenfalls als Aspekt der Kundenstrukturkomplexität zu berücksichtigen. Zudem können infolge einer ungenauen Abgrenzung der bearbeiteten Markt- und Kundensegmente Interdependenzen in Form von Rückkopplungen zwischen verschiedenen Kundengruppen auftreten.336 Hierzu zählen beispielsweise versehentliche Überschneidungen bei der Marktbearbeitung (z.B. der Kommunikationspolitik) oder auch Kannibalisierungseffekte zwischen verschiedenen angebotenen Leistungen (wenn für bestimmte Kundengruppen spezi-
335 336
Vgl. Bliss 2000, S. 6; Kirchhof 2003, S. 40. Ähnlich auch Schweikart 1997, S. 68; Adam 1998, S. 35. Vgl. ähnlich auch Olbrich/Battenfeld 2005, S. 168, die in einer nicht überschneidungsfreien Abgrenzung von Kundensegmenten die Ursache für Rivalitäten zwischen verschiedenen Vertriebseinheiten sehen.
98
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
ell konzipierte Dienstleistungen auch von Kunden anderer Segmente erworben werden und dies zu Lasten des Absatzes in diesem anderen Segment geht).
3.3.2
Komplexität der Prozessdimension in Dienstleistungsunternehmen (Prozesskomplexität)
Auf der Prozessdimension der Dienstleistung kommt zum Ausdruck, wie die Erbringung sämtlicher für die Dienstleistung erforderlicher Tätigkeiten erfolgt und wie dabei die verschiedenen Leistungspotenziale zur Erbringung des Leistungsergebnisses miteinander verknüpft sind. Als relevante Systembestandteile auf dieser Dimension wurden in Abschnitt 3.2 die Prozesse (Leistungs-, Supportund Kundenprozesse) sowie der zu integrierende externe Faktor definiert. Diese Systembestandteile sind im Folgenden hinsichtlich ihres Komplexitätsgehalts zu analysieren. Von den in der Literatur diskutierten Komplexitätsformen sind dabei die Prozesskomplexität – damit zusammenhängend auch die Aufgabenkomplexität – sowie Teilaspekte der Kundenstruktur- bzw. allgemein der Kundenkomplexität von Bedeutung.337 Hieraus lassen sich für das System „Dienstleistungsanbieter“ die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse, die Aufgabenkomplexität sowie die Komplexität des externen Faktors ableiten, deren Ausprägungen im Folgenden diskutiert werden.
3.3.2.1 Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse In den Prozessen des Dienstleistungsanbieters tritt Komplexität auf zwei Ebenen auf: auf aggregierter Ebene, die die Prozesse an sich umfasst, und auf Ebene einzelner Tätigkeiten, aus denen sich die Prozesse zusammensetzen. Auf der ersten Ebene ist die Ablaufstruktur in Form von Unternehmensprozessen (im Folgen-
337
Der Aspekt der Produktionsprogrammkomplexität, der sich aus der Art und Menge der zu erstellenden Produkte oder Produktbestandteile ergibt (vgl. Abschnitt 1.2.4.1), wird hier nicht gesondert behandelt, da die Produktion im Falle von Dienstleistungsunternehmen mit den Prozessen der Leistungserstellung gleichgesetzt werden kann, die auf der Prozessdimension ohnehin Berücksichtigung finden. Zudem ist der für die Produktionsprogrammkomplexität ausschlaggebende Faktor der Fertigungstiefe eines Unternehmens im Dienstleistungskontext von nachrangiger Bedeutung, da aufgrund der Immaterialität der Leistung eine Vorproduktion und damit die Auslagerung der Erstellung von Leistungsbestandteilen oder -modulen an Lieferanten i.d.R. nicht möglich ist; die Verlagerung von Teilprozessen an den Kunden (Externalisierungsstrategie, vgl. z.B. Corsten 2000) wird über die Kundenprozesse berücksichtigt.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
99
den als Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse338 bezeichnet), auf der zweiten Ebene die Aufgabenkomplexität bezüglich ihrer Ausprägungen in Dienstleistungsunternehmen zu untersuchen. Tabelle 10 gibt einen Überblick über die Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Die zweite Ebene der Aufgabenkomplexität wird im nachfolgenden Abschnitt 3.3.2.2 diskutiert. Auf aggregierter Ebene wurden in Abschnitt 3.2 bezüglich der Abläufe im Unternehmen Prozesse mit unmittelbarem und mittelbarem Leistungsbezug sowie Kundenprozesse als die drei für die vorliegende Arbeit relevanten Prozesskategorien festgelegt. In der Vielzahl der Prozesse dieser drei Kategorien besteht ein grundlegendes Element der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse in Dienstleistungsunternehmen.339 Lasch und Gießmann nennen als Aspekt der Prozesskomplexität lediglich die Anzahl nicht-wertschöpfender Prozesse.340 Damit wird allerdings eine Wertung vorgenommen, die vor dem Hintergrund des allgemeinen Komplexitätsbegriffs nicht nachvollziehbar ist. Sowohl wertschöpfende als auch nicht wertschöpfende Prozesse sind faktisch vorhanden und somit als Systembestandteile eines Unternehmens und als relevant für dessen Komplexität anzusehen.341 Daher ist die gesamte Vielzahl der Leistungs-, Sup-
338
339
340 341
Die Prozessdimension der Dienstleistung umfasst in dem für die vorliegende Arbeit definierten System „Dienstleistungsanbieter“ neben den Leistungs-, Support- und Kundenprozessen auch den externen Faktor. Im Folgenden wird daher unterschieden zwischen dem übergeordneten Begriff der Prozesskomplexität, der sich auf die Komplexität der Prozessdimension bezieht (und somit die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse sowie die des externen Faktors umfasst), und dem Begriff der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Vgl. auch Skaggs/Huffman 2003, S. 776, die die Zahl erforderlicher Prozesse als Ursache der Komplexität der Dienstleistungserstellung ansehen. Die Ergebnisse der Untersuchung von Skaggs und Huffman zeigen einen negativen Einfluss der Customer Coproduction (i.e. Kundenprozesse) auf die Komplexität des Anbieters (vgl. Skaggs/ Huffman 2003, S. 780). Allerdings wird die Komplexität in der Studie nur über die Anzahl und Interdependenz der internen Prozesse sowie den Koordinationsaufwand im Unternehmen gemessen. Der Koordinationsaufwand an der Schnittstelle zum Kunden, der mit steigender Anzahl an vom Kunden erbrachten Teilprozessen vermutlich zunimmt, wird nicht berücksichtigt. Vgl. Lasch/Gießmann 2009, S. 201, Abbildung 1. Eine über die Nennung in der Abbildung hinausgehende Erläuterung der Prozesskomplexität erfolgt nicht. Vgl. ähnlich auch Wildemann, der in Bezug auf Komplexitätskostenarten anführt, dass irrelevant sei, ob diese wertschöpfenden oder nicht wertschöpfenden Charakter aufweisen (vgl. Wildemann 2008a, S. 370).
100
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
port- und Kundenprozesse als Komplexitätsausprägung anzusehen (vgl. Tabelle 10). Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Ausprägung
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
Vielzahl
Vielzahl an erforderlichen Leistungs-, Supportund Kundenprozessen
Vielfalt
Heterogenität durch Freiheitsgrade/Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
Veränderlichkeit
Unvorhergesehene Prozessabweichungen/Unsicherheiten in den Leistungs-, Supportund Kundenprozessen
Interdependenzen
Menge an Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten/Filialen, Mitarbeitern, Leistungs-, Support- und Kundenprozessen (Kundenkontaktpunkte) sowie Technologien
Tabelle 10:
Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse in Dienstleistungsunternehmen
Die Vielfalt der Prozesse kommt nach Shostack in den prozessimmanenten Freiheitsgraden, der so genannten Divergenz, zum Ausdruck.342 Bei dieser Divergenz handelt es sich um beabsichtigte Wahlmöglichkeiten innerhalb eines Prozesses, die zur Folge haben, dass Prozesse, die grundsätzlich gleichen Inhalts sind, unterschiedlich ausgeführt werden können. Diese Divergenz bezieht sich folglich nicht auf die Unterschiedlichkeit zwischen Leistungs-, Support- und Kundenprozessen, sondern auf die potenzielle Heterogenität innerhalb jeder dieser Kategorien. Prozessdivergenz kann aus dem Angebot verschiedener Dienstleistungen, Dienstleistungsvarianten oder Teilleistungen sowie aus vorgesehenen Leistungsindividualisierungen resultieren, die zu unterschiedlichen Prozessverläufen führen. Teilweise wird für den Anbieter erst während der Leistungsprozesse ersichtlich, welche Leistung oder Leistungskomponenten der Kunde nachfragt, weshalb die Prozesse nicht vorab vollständig determiniert werden können.343 Dies impliziert zum einen Entscheidungsspielräume in den Kundenprozessen, da der Kunde Auswahlentscheidungen zwischen verschiedenen angebotenen (Teil-)Leistungen zu treffen hat.344 Zum anderen ist davon auszugehen,
342 343 344
Vgl. Shostack 1987, S. 35; Schweikart 1997, S. 196. Vgl. ähnlich auch Skaggs/Huffman 2003, S. 777. Als solcher Entscheidungsspielraum, der dem Kunden gegeben wird, ist auch der von Lasch und Gießmann genannte Aspekt des Grads der Mitbestimmung zu interpretieren, den die Autoren allerdings der Kundenstrukturkomplexität zuordnen (vgl. Lasch/ Gießmann 2009, S. 102). Diese Zuordnung ist bei der in dieser Arbeit zugrunde ge-
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
101
dass Mitarbeiter im Leistungsprozess Entscheidungen über die angemessenen Schritte und Tätigkeiten zu treffen haben, um die Leistung den Kundenwünschen entsprechend zu erbringen. Entsprechend ist die Heterogenität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse infolge beabsichtigter Freiheitsgrade oder Entscheidungsspielräume bei der Ausführung der Prozesse eine Ausprägung des Komplexitätsmerkmals der Prozessvielfalt in Dienstleistungsunternehmen. Von dieser beabsichtigten Divergenz der Prozesse grenzt Shostack ungeplante, von der Autorin als „versehentlich“ bezeichnete Prozessabweichungen ab.345 Diese lassen sich im Kontext von Dienstleistungsprozessen als die Eigendynamik bzw. Veränderlichkeit von Prozessen auffassen. Eine mögliche Ursache ist beispielsweise individuelles (Fehl-)Verhalten der Mitarbeiter aufgrund von Überforderung. Auch resultieren ungeplante Prozessabweichungen aus der Integration externer Faktoren. Da der Anbieter nicht frei über die involvierten externen Faktoren verfügen kann und diese zudem unvorhersehbaren qualitativen Schwankungen unterliegen können (z.B. unterschiedliche Vorkenntnisse verschiedener Kunden in einem Beratungsgespräch), bringt die Integration externer Faktoren in die Prozesse Unsicherheiten mit sich, die die Prozesskomplexität in Form einer ungeplanten Prozessdynamik oder -veränderung zusätzlich erhöhen und die Auswirkungen auf die Qualität der Ergebnisse haben.346 Solche Prozessabweichungen können grundsätzlich in allen drei betrachteten Prozesskategorien auftreten: Die Kunden- und Leistungsprozesse sind direkt betroffen, da sie von der Beschaffenheit und Leistung des externen Faktors abhängen sowie Unsicherheit bezüglich der Bedürfnisse des Kunden besteht, die u.U. eine spontane Anpassung der Prozesse erfordern.347 Aber auch auf Ebene der Supportprozesse kann beispielsweise das Kapazitätsmanagement, das die Abstimmung von Angebot und Nachfrage umfasst, durch unerwartete kundenseitige Einflüsse gestört werden. Das Komplexitätsmerkmal der Veränderlichkeit kommt somit in den Prozessen durch unvorhergesehene Prozessabweichungen in den Leistungs-, Support- und Kundenprozessen zum Ausdruck.
345 346 347
legten Definition der Kundenstrukturkomplexität nicht zweckmäßig. Eine Zuordnung des Mitbestimmungsgrads zur Komplexität des externen Faktors ist ebenfalls nicht sinnvoll, da es sich dabei nicht um eine Eigenschaft des Kunden handelt, sondern um eine vom Unternehmen eingeplante, beabsichtigte Flexibilität in den Prozessen. Vgl. Shostack 1987, S. 35. Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 185. Zum externen Faktor als Unsicherheitsfaktor in der Leistungserbringung vgl. auch Skaggs/Huffman 2003, S. 775f. Vgl. Rafiq/Ahmed 1998, S. 388.
102
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
In den Leistungs-, Support- und Kundenprozessen kommen darüber hinaus vielfältigste Interdependenzen im System „Dienstleistungsanbieter“ zum Ausdruck. Die Komplexität von Prozessen ist u.a. Resultat der arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung im Dienstleistungsunternehmen.348 Während bereits die Einteilung in Leistungs-, Support- und Kundenprozesse Arbeitsteilung impliziert, besteht bei detaillierter Betrachtung zudem ein einzelner Geschäftsprozess „aus einer zusammenhängenden abgeschlossenen Folge von Tätigkeiten (Aktivitäten), die zur Erfüllung einer betrieblichen Aufgabe notwendig sind“ und die „von Aufgabenträgern … geleistet“349 werden. Ähnlich verstehen Rall und Dalhöfer unter Geschäftsprozessen Systeme aus Mitarbeitern, die unter Verwendung von (informationstechnischen) Hilfsmitteln zielgerichtete Aufgaben ausführen.350 Auch bei den vom Dienstleistungsunternehmen erbrachten Leistungs- und Supportprozessen handelt es sich um die Aneinanderreihung verschiedener Tätigkeiten. Diese werden nicht zwingend von einer Person durchgeführt, sondern aufgrund der funktionsorientierten, arbeitsteiligen Organisation ebenfalls von mehreren Mitarbeitern oder Abteilungen, gegebenenfalls auch an unterschiedlichen Standorten oder in unterschiedlichen Filialen sowie unter Einsatz der verschiedenen erforderlichen Technologien geleistet.351 Auf der Prozessdimension kommen somit alle wesentlichen Interdependenzen im System „Dienstleistungsanbieter“ zum Ausdruck, da die Verknüpfung aller Elemente des Systems über die Prozesse erfolgt. Die Interdependenzen der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse beziehen somit nicht nur die Interdependenzen zwischen diesen drei Prozesskategorien, sondern auch die Interdependenzen der anderen Elemente (insbesondere die der Dienstleistungspotenziale Mitarbeiter, Organisationseinheiten – Abteilungen, Standorte, Filialen – und Technologien) des betrachteten Systems mit ein, da diese über die Prozesse miteinander in Verbindung stehen. Die aus der Fragmentierung der Prozesse und Aufteilung der Tätigkeiten auf verschiedene Elemente des Leistungspotenzials (Mitarbeiter, Abteilungen, Standorte) resultierende Komplexität äußert sich in der Anzahl an Schnittstellen, die
348
349 350 351
Brumberg spricht von einem positiven Zusammenhang zwischen der Spezialisierung im Unternehmen und der Komplexität (vgl. Brumberg 1994, S. 45). Raufeisen verwendet den Begriff Komplettbearbeitungsgrad: Je höher die Spezialisierung, desto geringer ist der Komplettbearbeitungsgrad der Prozesse (vgl. Raufeisen 1997, S. 134). Rosenkranz 2006, S. 3. Vgl. ausführlich auch Staud 2001, S. 5ff. Vgl. Rall/Dalhöfer 2004, S. 625. Auch die Kundenprozesse können aus mehreren Tätigkeiten bestehen, die u.U. auch von verschiedenen Personen ausgeführt werden, insbesondere im Business-toBusiness-Bereich (z.B. in der Beratungsbranche).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
103
auch in der Literatur als wesentliche Ursache von Komplexität angesehen wird.352 Schnittstellen treten dabei in unterschiedlicher Form auf. Raufeisen unterscheidet die abteilungsbezogene und die mitarbeiterbezogene Schnittstellendichte.353 Diese Unterscheidung ist zu ergänzen um Schnittstellen zwischen verschiedenen Standorten bzw. Filialen, die im Dienstleistungskontext als Potenzialfaktor von Bedeutung sind.354 Daher ist insgesamt jeweils die Anzahl an Schnittstellen zwischen den am Prozess beteiligten Abteilungen, Standorten/Filialen und Mitarbeitern zu berücksichtigen. Während diese die Fragmentierung innerhalb der Support- und Leistungsprozesse widerspiegeln, können Schnittstellen auch zwischen den betrachteten Prozessen auftreten, da diese nicht unabhängig voneinander ablaufen.355 Diesbezüglich lassen sich interne Schnittstellen zwischen den Leistungs- und Supportprozessen sowie die externen Schnittstellen zwischen Leistungs- und Kundenprozessen unterscheiden, die als Kundenkontaktpunkte bezeichnet werden.356 Bei Verwendung verschiedener unterstützender oder als Bestandteil der Dienstleistung eingesetzter Technologien357 treten u.U. Kompatibilitätsprobleme zwischen Technologien und Syste-
352
353 354 355 356
357
Vgl. Reiß 1992, S. 40f. Die Komplexität äußert sich darüber hinaus auch in der Anzahl an Prozessschritten und in der Anzahl der beteiligten Organisationseinheiten (Abteilungen, Standorte, Filialen) und Mitarbeiter. Diese Ausprägungen eignen sich allerdings nur eingeschränkt zur Beschreibung der Komplexität: Die reine Anzahl an Prozessschritten berücksichtig nicht, dass in einem Prozess mehrere Schritte – unabhängig davon, ob sie aufeinander folgen oder nicht – von einer Abteilung oder einem Mitarbeiter durchgeführt werden können, wodurch der Koordinationsaufwand an Schnittstellen und die Komplexität reduziert würde. Entsprechend ist auch die Anzahl an Abteilungen, Standorten oder Mitarbeitern allein nicht ausreichend, da auch bei einer geringen Zahl an beteiligten Abteilungen und Mitarbeitern die Zahl der Schnittstellen im Prozess – z.B. bei erforderlichen Feedback-Schleifen – groß sein kann (vgl. z.B. Raufeisen 1997, S. 130). Dabei muss aus sachlogischen Gründen die mitarbeiterbezogene größer oder gleich der abteilungsbezogenen Schnittstellendichte sein (vgl. Raufeisen 1997, S. 133). Vgl. hierzu die Ausführungen zur Komplexität auf der Potenzialdimension der Dienstleistung in Abschnitt 3.3.3. Vgl. auch Skaggs/Huffman 2003, S. 776, die die Interdependenzen zwischen den Prozessen als eine Ursache der Komplexität der Dienstleistungserstellung ansehen. An den Kundenkontaktpunkten trifft der Kunde mit den Potenzialen des Anbieters, d.h. mit den Mitarbeitern, dem tangiblen Umfeld und sonstigen Inputfaktoren zusammen (vgl. z.B. Fließ 2006, S. 82). Anhand des Ausmaßes an Kundenkontakt klassifiziert Chase verschiedene Dienstleistungen (vgl. Chase 1978, S. 138). Eingesetzte Technologien können sich inhaltlich oder bezüglich des Entwicklungsstands unterscheiden. Vgl. zu Ursachen und Gründen des parallelen oder kombinier-
104
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
men auf.358 Daher sind auch Schnittstellen zwischen verschiedenen Technologien als Aspekt der Prozesskomplexität anzusehen.
3.3.2.2 Aufgabenkomplexität Auf der zweiten Ebene, der Ebene der einzelnen Tätigkeiten innerhalb der Prozesse, tritt Komplexität in Form der Aufgabenkomplexität auf.359 Diese wird in der Literatur unterschiedlich entweder als psychologische Wahrnehmung, als Tatbestand aufgrund objektiver Merkmale der Aufgabe oder als Resultat aus der Interaktion zwischen Aufgaben- und Personencharakteristika aufgefasst.360 Bei Betrachtung eines Systems, in dem oder mit dem Personen agieren, ist die subjektive Komplexität immer zu beachten,361 da die subjektive Wahrnehmung der interagierenden Personen von wesentlicher Bedeutung für ihr Verhalten und damit für die Aufgabenerfüllung ist. Die Interaktion von Personen im betrachteten System „Dienstleistungsanbieter“ findet auf der Prozessdimension statt, weshalb im Folgenden neben der objektiven auch die subjektive Aufgabenkomplexität berücksichtigt wird. Bezüglich der objektiven Aufgabenkomplexität werden in der Literatur verschiedene Konzeptualisierungen vorgeschlagen, über die Tabelle 11 einen Überblick gibt. Die Konzeptualisierungen spiegeln im Wesentlichen mit der Vielzahl, Vielfalt, Veränderlichkeit und Interdependenz alle Merkmale der Komplexität
358
359
360 361
ten Einsatzes unterschiedlicher Technologien die Ausführungen zur technologischen Komplexität auf der Potenzialdimension in Abschnitt 3.3.3.4. Vgl. allgemein Kim/Wilemon 2003, S. 19. In Bezug auf informationstechnische Schnittstellenprobleme vgl. z.B. Becker/Rosemann 1998, S. 113. Ähnlich nennt Wildemann als informations- und kommunikationsbezogene Komplexitätstreiber einen Informations- und Kommunikationssystem-Missfit sowie Medienbrüche (vgl. Wildemann 2002, S. 184; 2008a, S. 365ff.). Adam unterscheidet Zielkomplexität – als Folge der gleichzeitigen Berücksichtigung mehrerer, teilweise konfligierender Zielsetzungen – und die Komplexität der Koordinationsaufgaben im Unternehmen (vgl. Adam 1998, S. 33ff. zur Zielkomplexität sowie S. 38ff. zur Koordinationskomplexität). Dabei argumentiert er, dass mit der Zahl der Zielsetzungen die Koordinationskomplexität zunimmt (vgl. Adam 1998, S. 34). Die Zahl an Zielen kann daher als Aspekt der Koordinationskomplexität aufgefasst werden. Da zudem Koordinationsaufgaben nur einen Teil des Aufgabenspektrums im Unternehmen wiedergeben, wird im Folgenden der allgemeinere Begriff der Aufgabenkomplexität verwendet. Vgl. Campbell 1988, S. 40. Vgl. Kirchhof 2003, S. 17.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
105
wider. Für die Erfassung der Aufgabenkomplexität im Rahmen der vorliegenden Arbeit eignen sie sich allerdings nur bedingt, da dies eine detaillierte Abgrenzung der verschiedenen anfallenden Tätigkeiten erfordern würde. Quelle
Begriffsverständnis/Konzeptualisierung
Schroder/Driver/Streufert 1975
Eigenschaften komplexer Aufgaben sind
-
die Menge der zu berücksichtigenden Informationen, die Diversität (Vielfältigkeit) dieser Informationen sowie die auf Veränderungen der Informationen zurückzuführende Unsicherheit.
Kohn/Schooler 1978
Anzahl zu treffender Entscheidungen unter Berücksichtigung möglicher Eventualitäten
Campbell/Gingrich 1986
Anzahl an zu erfüllenden interdependenten und konfligierenden Aufgabenelementen
Wood 1986
Aufgabenkomplexität setzt sich zusammen aus
Campbell 1988
der Strukturierung der Aufgabe in Form zeitlicher und sachlicher Zusammenhänge von Inputfaktoren und Tätigkeiten (Koordinationskomplexität), der Veränderlichkeit der Komponenten und der Strukturierung (dynamische Komplexität).
Aufgabenkomplexität resultiert aus
Byström/Järvelin 1995
der Existenz mehrerer anzustrebender Ergebnisse, der Existenz mehrerer möglicher Lösungswege, um ein angestrebtes Ergebnis zu erreichen, konfligierenden Beziehungen zwischen den Ergebnissen sowie Unsicherheit bezüglich der Zusammenhänge zwischen Lösungsweg und Ergebnis.
Aufgabenkomplexität ist das Ausmaß, zu dem die Aufgabe a priori unsicher ist in Bezug auf Ergebnis, Prozess und Informationsbedarf. Sie ergibt sich aus
Tabelle 11:
der Zahl unterschiedlicher Tätigkeiten und der Menge der zur Erfüllung der Aufgabe zu verarbeitenden Informationen (Komponentenkomplexität),
der Repetitivität sowie der Analysierbarkeit der Tätigkeit, der Zahl alternativer Lösungswege sowie dem Neuigkeitsgrad des Ergebnisses der Aufgabe.
Begriffsverständnisse und Konzeptualisierungen der Aufgabenkomplexität (chronologisch)
Die verschiedenen Begriffsverständnisse und Konzeptualisierungen weisen allerdings ein gemeinsames Merkmal auf: Die Aufgabenkomplexität ergibt sich grundsätzlich aus den Anforderungen, die bei der Aufgabenerfüllung an die aus-
106
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
führende Person gestellt werden. Bezüglich dieser Anforderungen werden allgemein kognitive Anforderungen362 sowie konkret Anforderungen an das Wissen und die Fähigkeiten der Person,363 Anforderungen an das Denk- und Urteilsvermögen364 sowie an den Informationsbedarf und die Informationsverarbeitungskapazität diskutiert.365 Dabei ist anzunehmen, dass diese Anforderungen sich aus dem Aufgabenumfeld ergeben, in das die Tätigkeit eingebettet ist.366 Für die Aufgaben der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse bildet das Gesamtsystem „Dienstleistungsanbieter“ das Aufgabenumfeld der Tätigkeiten. Entsprechend ist es die Berücksichtigung der verschiedenen Einflussfaktoren dieses Systems, die die Anzahl und Vielfalt an Anforderungen einer zu erfüllenden Aufgabe an die Mitarbeiter vorgeben.367 Auch die zu berücksichtigenden Interdependenzen im System stellen Anforderungen an die Tätigkeiten der Mitarbeiter.368 Indirekt sind damit also die verschiedenen anderen Komplexitätsformen auf Potenzial-, Prozess- und Ergebnisebene in ihren Ausprägungen ursächlich für die Vielzahl, Heterogenität, Veränderlichkeit und Vernetzung der Aufgaben und damit für die objektive Aufgabenkomplexität. Bei einer ganzheitlichen Systembetrachtung ist es zur Erfassung der Aufgabenkomplexität daher nicht erforderlich, die Aufgabenanforderungen inhaltlich gesondert zu konkretisieren, da diese sich durch die Komplexitätselemente im Modell ergeben. Daher wird die Aufgabenkomplexität über die Anzahl, die Heterogenität, die Veränderlichkeit sowie die Interdependenz der zu erledigenden Aufgaben erfasst (vgl. Tabelle 12). In der Literatur zur Aufgabenkomplexität wird von der dargestellten objektiven Aufgabenkomplexität eine subjektive Komplexität, d.h. die von der ausführenden Person wahrgenommene Komplexität, unterschieden.369 Die zentrale Aussage ist dabei, dass verschiedene Personen in Abhängigkeit ihres Hintergrunds und 362 363 364 365 366 367
368 369
Vgl. Campbell/Gingrich 1986, S. 163; Campbell 1988, S. 43 sowie auch Asare/ McDaniel 1996, S. 144, die auf die Definition von Campbell zurückgreifen. Vgl. Wood 1986, S. 66ff. für die von ihm unterschiedenen Formen der Komplexität. Vgl. Kohn/Schooler 1978, S. 30. Vgl. Campbell 1988, S. 44f.; Byström/Järvelin 1995, S. 194. Vgl. z.B. auch Karasek 1979, S. 287. Ähnlich argumentiert auch Adam, der in der Komplexität der Koordinationsaufgaben eine Folge anderer Komplexitätsformen, wie z.B. der Markt-, Ziel-, Kundenstruktur-, Varianten- und Teilekomplexität, sieht (vgl. Adam 1998, S. 33ff.). Vgl. ähnlich auch die Koordinationskomplexität nach Wood 1986, S. 68. Vgl. Earley 1985, S. 483, 488; Campbell/Gingrich 1986, S. 170; Campbell 1988, S. 48ff.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
107
ihrer Erfahrung das gleiche Ausmaß an objektiver Komplexität als unterschiedlich komplex wahrnehmen.370 Obwohl der subjektiven Aufgabenkomplexität große Bedeutung zugesprochen wird,371 findet sie in der Literatur im Vergleich zur objektiven Aufgabenkomplexität relativ wenig Beachtung.372 In ihrer empirischen Untersuchung kommen Maynard und Hakel aber zu dem Ergebnis, dass die wahrgenommene Aufgabenkomplexität weder unberücksichtigt bleiben, noch einfach als Synonym zur objektiven Aufgabenkomplexität verstanden werden darf, da neben einem direkten Einfluss der objektiven Aufgabenkomplexität auf die Aufgabenerfüllung auch ein indirekter Effekt über die subjektive Komplexität besteht.373 Darüber hinaus ist in Bezug auf die ökonomisch relevanten Wirkungen der Aufgabenkomplexität in Form von Kosten und Nutzen davon auszugehen, dass diese nicht ausschließlich infolge der objektiven Komplexität, sondern insbesondere auch infolge der Wahrnehmung und des entsprechenden Verhaltens der beteiligten Personen auftreten. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Ausprägung
Aufgabenkomplexität
Vielzahl
Aus der Komplexität des Dienstleistungsunternehmens resultierende Vielzahl zu erledigender Aufgaben
Vielfalt
Aus der Komplexität des Dienstleistungsunternehmens resultierende Heterogenität zu erledigender Aufgaben
Veränderlichkeit
Aus der Komplexität des Dienstleistungsunternehmens resultierende Veränderlichkeit zu erledigender Aufgaben
Interdependenzen
Aus der Komplexität des Dienstleistungsunternehmens resultierende Interdependenzen zu erledigender Aufgaben
Subjektiv wahrgenommene Aufgabenkomplexität
Wahrnehmung der objektiven Aufgabenkomplexität durch Mitarbeiter
Tabelle 12:
370
371 372 373
Ausprägungen der Aufgabenkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Vgl. Nadkarni/Gupta 2007, S. 503 sowie die Ausführungen zur subjektiven Komplexität in Abschnitt 1.2.4.2. Schroder, Driver und Streufert zeigen empirisch, wie unterschiedliche Fähigkeiten von Einzelpersonen und Gruppen die Komplexitätswahrnehmung und Informationsverarbeitung beeinflussen (vgl. Schroder/Driver/Streufert 1975, S. 184ff.). Vgl. Campbell 1988, S. 48f.; Park/Baker/Lee 2008, S. 115. Vgl. Maynard/Hakel 1997, S. 305. Vgl. Maynard/Hakel 1997, S. 320, 324.
108
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Eigenständige Konzeptualisierungen der subjektiven Aufgabenkomplexität sind in der Literatur kaum vorhanden.374 Die wahrgenommene Komplexität wird entweder anhand weniger Indikatoren direkt erhoben375 oder es werden Konzeptualisierungen der objektiven Aufgabenkomplexität auf die wahrgenommene Komplexität übertragen.376 Eine solche Differenzierung der subjektiven Aufgabenkomplexität anhand der Komplexitätsmerkmale Vielzahl, Vielfalt und Interdependenzen ist allerdings nicht sinnvoll, da die subjektive Aufgabenkomplexität zwar aus der Wahrnehmung dieser Komplexitätsmerkmale anderer Komplexitätsformen resultiert, die Wahrnehmung selbst aber nicht durch diese zu charakterisieren ist. Von den grundlegenden Komplexitätsmerkmalen ist lediglich die Veränderlichkeit der Wahrnehmung – z.B. durch eine Veränderung der Erfahrung oder des Wissensstandes der wahrnehmenden Person im Zeitablauf – als eigenständiges Merkmal der subjektiven Aufgabenkomplexität einzuordnen.377 Diese Veränderung ist jedoch nur in Längsschnittanalysen erfassbar. Campbell argumentiert, dass die subjektive Komplexität lediglich eine Reaktion auf die objektive Aufgabenkomplexität ist.378 Folgt man dieser Ansicht, ist eine eigenständige ausdifferenzierte Konzeptualisierung nicht zwingend erforderlich, sondern die subjektive Komplexität kann pauschal anhand der subjektiven Wahrnehmung der Aufgabenkomplexität erfasst werden. Im Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen erfolgt daher die Berücksichtigung der subjektiven Aufgabenkomplexität allgemein über die Wahrnehmung der Aufgabenkomplexität durch Mitarbeiter, ohne dabei eine weitere Unterscheidung nach Komplexitätsmerkmalen vorzunehmen.
374 375
376 377 378
Vgl. hierzu auch Maynard/Hakel 1997, S. 313. Early verwendet die drei Indikatoren „How complex was your task?“, „How complicated was the task of making class schedules?“ und „To what extent did the task of making schedules require you to coordinate many different things at the same time?” (vgl. Earley 1985, S. 483). Maynard und Hakel entwickeln eine Skala mit den vier Indikatoren „I found this job to be a complex task.“, „This task was mentally demanding.“, „This task required a lot of thought and problem-solving.” sowie „I found this to be a challenging task.” (vgl. Maynard/Hakel 1997, S. 313 sowie den im Anhang des Beitrags wiedergegebenen Fragebogen). Park, Baker und Lee greifen auf die Messitems von Maynard und Hakel zurück (vgl. Park/Baker/Lee 2008, S. 113). Vgl. z.B. die Verwendung der Konzeptualisierung von Wood in der Studie von Nadkarni und Gupta (vgl. Nadkarni/Gupta 2007, S. 502, 508ff.). Vgl. Park/Baker/Lee 2008, S. 115. Vgl. Campbell 1988, S. 48.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
109
3.3.2.3 Komplexität des externen Faktors Auf der Prozessdimension der Dienstleistung ist, wie in den Ausführungen zur Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse bereits deutlich wurde, die Einbindung des Kunden als externer Faktor zu berücksichtigen. Die Komplexität des externen Faktors ist im Dienstleistungskontext abzugrenzen von der Kundenstrukturkomplexität379, da diese sich auf grundlegend andere Weise im Dienstleistungsunternehmen auswirkt als die Einbindung von „konkreten“ Kunden in die Prozesse. Beispielsweise hat die Entscheidung für die Bearbeitung verschiedener Kundengruppen (i.e. Kundenstrukturkomplexität) Auswirkungen auf die Gestaltung und Komplexität des angebotenen Leistungsprogramms. Dagegen ist die Anzahl und Heterogenität von einzelnen Kunden oder deren Verfügungsobjekten (i.e. Komplexität des externen Faktors) von unmittelbarer Bedeutung für die Komplexität der Prozesse und Aufgaben der Leistungserstellung. Um diese unterschiedlichen Komplexitätswirkungen erfassen zu können, ist daher im System „Dienstleistungsanbieter“ eine separate Berücksichtigung der Komplexität des externen Faktors erforderlich.380 Die entsprechenden Komplexitätsausprägungen, die im Folgenden abgeleitet werden, sind in Tabelle 13 zusammengefasst. Bezüglich der zu integrierenden externen Faktoren bilden die Vielzahl und die Vielfalt externer Faktoren grundlegende Aspekte der Komplexität. Die Menge an Kunden beispielsweise hat Auswirkungen auf die Kapazitätsplanung sowie die Koordination von Angebot und Nachfrage in den Supportprozessen. Die Heterogenität verschiedener Kunden dagegen hat primär Einfluss auf die Leistungsprozesse und die Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter bei der Leistungserbringung: Je heterogener die Kunden in ihren Eigenschaften oder Bedürfnissen sind, desto
379 380
Vgl. zu Definition und Inhalt der Kundenstrukturkomplexität Abschnitt 3.3.1.3. Gemäß der Argumentation, dass immer dann, wenn Personen mit dem oder in dem betrachteten System interagieren, auch die subjektive Komplexität zu berücksichtigen ist (vgl. die einleitenden Erläuterungen zu Abschnitt 3.3), wäre im Zusammenhang mit der Komplexität des externen Faktors auch die subjektive Wahrnehmung durch den Kunden von Bedeutung. In den Expertengesprächen zur Validierung des Bezugsrahmens kam allerdings zur Diskussion, dass (a) zwar der externe Faktor als solcher, aber nicht dessen Wahrnehmung als Komplexitätsform im Dienstleistungsunternehmen anzusehen sei sowie dass (b) Überschneidungen mit den Nutzenkategorien bestehen, die u.a. psychologische Wirkungen beim Kunden umfassen (vgl. zu den Nutzenkategorien ausführlich Abschnitt 3.5). Daher wird die vom Kunden wahrgenommene subjektive Komplexität nicht im Zusammenhang mit der Komplexität des externen Faktors berücksichtigt.
110
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
höher sind die Anforderungen an die Flexibilität des Dienstleistungsanbieters und seiner Mitarbeiter, damit diese sich von Kunde zu Kunde auf die spezifische Situation einstellen können. Im Falle einer Erbringung der Dienstleistung am Ort des Kunden381 kommt der Heterogenität des externen Faktors eine besonders große Bedeutung zu, da dann nicht nur der Kunde selbst, sondern auch das Umfeld der Leistungserbringung ständig wechselt. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmal
Ausprägung
Komplexität des externen Faktors
Vielzahl
Vielzahl der in die Leistungserstellung zu integrierenden externen Faktoren/Kunden
Vielfalt
Heterogenität der in die Leistungserstellung zu integrierenden externen Faktoren/Kunden
Veränderlichkeit
Veränderlichkeit des externen Faktors/ Kunden bei der Leistungserstellung
Interdependenzen
Aktiver/passiver Informationsaustausch zwischen externen Faktoren/Kunden
Tabelle 13:
Ausprägungen der Komplexität des externen Faktors in Dienstleistungsunternehmen
Darüber hinaus spielt auch das Komplexitätsmerkmal der Veränderlichkeit des externen Faktors eine Rolle. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere die für Dienstleistungen typische Informationsasymmetrie zwischen Dienstleistungsunternehmen und Kunde.382 Aufgrund des häufig individuellen Charakters einer Dienstleistung ist der Anbieter auf spezifische Informationen des Kunden angewiesen, um die Leistung zu erbringen. Während der Leistungserbringung kann die Situation eintreten, dass der Anbieter Informationen erhält, die eine Anpassung der Aktivitäten oder Prozesse der Leistungserbringung erfordern (z.B. Informationen über frühere Erkrankungen eines Patienten oder über veränderte Präferenzen des Kunden).383 Auch unerwartete Verhaltensweisen des Kunden während der Leistungserstellung (z.B. die Weigerung des Kunden, eine Aufgabe durchzuführen oder vom Mitarbeiter durchführen zu lassen) sind als Ausprägung der Eigendynamik des externen Faktors anzusehen. In Dienstleistungsprozessen, die über einen längeren Zeitraum erfolgen, besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass der zu integrierende externe Faktor Schwankungen unterliegt. Dies kann 381 382 383
Vgl. Abschnitt 1.3.1. Vgl. z.B. Meffert/Bruhn 2009, S. 56ff. Hier wird insbesondere der Zusammenhang zwischen der Komplexität des externen Faktors und der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse deutlich: Ist die Veränderlichkeit der Kunden hoch und werden ihnen zudem noch Entscheidungsspielräume gegeben, fällt die Komplexitätswirkung entsprechend hoch aus.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
111
beispielsweise bei längerfristig angelegten medizinischen oder therapeutischen Dienstleistungen auftreten, bei denen der Patient von Sitzung zu Sitzung einen unterschiedlichen Gesundheitszustand aufweist. Aber auch bei Bank- oder Versicherungsdienstleistungen kann im Laufe der Geschäftsbeziehung Dynamik beim Kunden auftreten, z.B. in Form schwankender finanzieller Verhältnisse des Kunden oder veränderter Rahmenbedingungen bei den versicherten Subjekten oder Objekten. Daher ist die Veränderlichkeit des externen Faktors als Aspekt der Komplexität des externen Faktors zu berücksichtigen. Auch die Interdependenz als Merkmal der Komplexität ist auf Ebene der zu integrierenden externen Faktoren denkbar. Interdependenzen bestehen insbesondere in einem Informationsaustausch zwischen Kunden während der Leistungsprozesse oder unabhängig von einer konkreten Leistungserbringung. Bei der Leistungsinanspruchnahme kann es zu einer Interaktion zwischen mehreren Kunden kommen, in deren Rahmen die Kunden sich über die Leistung oder den Anbieter austauschen und die sich auf das Verhalten oder die Bedürfnisse des Kunden auswirkt. Aber auch ohne aktiven Austausch sind Interdependenzen zwischen Kunden möglich, wenn beispielsweise ein Kunde die für einen anderen Kunden erbrachte Leistung wahrnimmt und daraufhin seine Erwartungen oder Wünsche spontan ändert (z.B. sieht der Gast eines Restaurants am Nebentisch ein nach individuellen Wünschen eines anderen Gastes zubereitetes Gericht und bekommt dadurch die Anregung, selbst ein individuelles Gericht zu bestellen).384 Auch die Bereitschaft, im Rahmen der Leistungserstellung einen eigenen Beitrag zu leisten, kann durch den Kontakt zu anderen Kunden schwanken. Unabhängig von den konkreten Leistungsprozessen bestehen Interdependenzen zwischen Kunden ebenfalls in Form von positiver oder negativer Mund-zu-Mund-Kommunikation, die Auswirkungen auf die Einstellung und/oder das Verhalten der Kunden haben kann.385 Daher werden Interdependenzen in Form von aktivem oder passivem Informationsaustausch zwischen Kunden als Ausprägung der Komplexität des externen Faktors berücksichtigt.
384 385
Güthoff bezeichnet dieses „Zusammentreffen mit anderen Leistungsnachfragern“ als Multipersonalität in der Leistungsinanspruchnahme (vgl. Güthoff 1995, S. 32ff.). Weitere Interdependenzen sind denkbar z.B. infolge von Netzwerkeffekten (d.h., dass die Inanspruchnahme einer Leistung für einen Kunden attraktiver wird, je mehr andere Kunden die Leistung nutzen, vgl. z.B. Weber/Lissautzki 2006, S. 281) oder Verbundbeziehungen zwischen Kunden (z.B. bei einer netzwerkartigen Organisation mehrerer Kunden; vgl. z.B. Krafft/Albers 2000, S. 522). Bei solchen Interdependenzen handelt es sich allerdings primär um eine Besonderheit bestimmter Branchen (B2B-Bereich) bzw. Marktstadien (z.B. bei Technologien wie Internettelefonie).
112
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.3.3
Komplexität der Potenzialdimension in Dienstleistungsunternehmen (Potenzialkomplexität)
Der Komplexität der Potenzialfaktoren in Dienstleistungsunternehmen wurde bisher in der Literatur keine Beachtung geschenkt. Dabei kommt gerade den Leistungspotenzialen aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen eine hohe Bedeutung zu: Da Dienstleistungen nicht auf Vorrat produziert werden können, ist die Bereitstellung von Potenzialfaktoren in angemessener Menge, Heterogenität und Flexibilität erforderlich. Die Immaterialität erfordert je nach Dienstleistung u.U. eine hohe Distributionsdichte und entsprechende organisatorische Komplexität. Nicht zuletzt ist der Kontakt des Kunden zu den Potenzialen des Anbieters durch seine Integration in die Leistungserstellungsprozesse deutlich intensiver als dies bei Sachgütern i.d.R. der Fall ist. Auch in den allgemeinen betriebswirtschaftlichen Publikationen zum Komplexitätsmanagement finden sich nur vereinzelt und fragmentarisch Hinweise auf die Komplexität von Ressourcen oder Inputfaktoren, obwohl diese einen unmittelbaren Bezug zur Komplexität in Unternehmen haben.386 Allerdings weist die Potenzialdimension bei Dienstleistungen Parallelen und Zusammenhänge zu einigen der in Abschnitt 1.2.4.1 skizzierten Komplexitätsformen auf. Primär werden in der stark an materiellen Produkten ausgerichteten Komplexitätsliteratur die für die Produktion erforderlichen Teile, Module oder anderen Beschaffungsgüter thematisiert.387 Daneben sind für die Potenzialkomplexität bei Dienstleistungen aber auch Aspekte der internen technologischen Komplexität sowie der Organisationskomplexität von Bedeutung. Auf der Potenzialdimension wird nach der für die vorliegende Arbeit vorgenommenen Definition des Bezugsobjekts der Komplexität unterschieden zwischen den in der Leistungserbringung eingesetzten Mitarbeitern und Technologien sowie den tangiblen Dienstleistungselementen der Leistungserbringung (Standorte/Räumlichkeiten sowie zum Einsatz kommende Materialien).388 Entsprechend lassen sich die Komplexitätsformen der Mitarbeiterkomplexität, der Standort-/Filialkomplexität, der Materialkomplexität und der technologischen Komplexität abgrenzen, deren Ausprägungen in den folgenden Abschnitten diskutiert werden.
386 387 388
Vgl. Kirchhof 2003, S. 151. Vgl. z.B. Schweikart 1997, S. 70; Adam 1998, S. 36; Lasch/Gießmann 2009, S. 201f. Vgl. Abschnitt 3.2.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
113
3.3.3.1 Mitarbeiterkomplexität Stellt man den Potenzialfaktor „Mitarbeiter“ den Merkmalen der Komplexität gegenüber, ergibt sich Mitarbeiterkomplexität in Dienstleistungsunternehmen zunächst aus der Vielzahl und Vielfalt der für die Leistungserstellung benötigten Mitarbeiter (vgl. Tabelle 14). Als ursächlich hierfür können zum einen unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen von Kunden oder Kundengruppen (Kundenstrukturkomplexität), die entsprechende Heterogenität der zu erbringenden (Teil-)Dienstleistungen (Leistungsprogramm- und Dienstleistungskomplexität) sowie das Ausmaß der Arbeitsteilung und Spezialisierung im Dienstleistungsunternehmen (Organisationskomplexität) angesehen werden. Die Heterogenität der Mitarbeiter besteht dabei insbesondere in Form unterschiedlicher Qualifikationsniveaus und entsprechend unterschiedlicher Einsatzfähigkeit in den Leistungs- und Supportprozessen. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmale
Ausprägung
Mitarbeiterkomplexität
Vielzahl
Vielzahl der Mitarbeiter
Vielfalt
Heterogenität der Mitarbeiter
Veränderlichkeit
-
Tabelle 14:
Veränderlichkeit des Mitarbeiterstamms Geringe Flexibilität der Mitarbeiter
Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Das Komplexitätsmerkmal der Veränderlichkeit und Dynamik kommt bei Mitarbeitern und deren Arbeitskraft als Dienstleistungspotenzial in zwei Ausprägungen zum Tragen. Die erste Ausprägung bezieht sich auf den Mitarbeiterstamm als Ganzes. Veränderungen ergeben sich hier infolge von Anpassungen im Mitarbeiterstamm (Kündigungen, Neueinstellungen), sind aber auch in Form von Weiterbildungsmaßnahmen denkbar, die das für die Mitarbeiterheterogenität ausschlaggebende Qualifikationsniveau von Mitarbeitern beeinflussen. Auch sind Schwankungen in der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Mitarbeiter möglich, die infolge der vom Mitarbeiter wahrgenommenen Aufgabenkomplexität auftreten. Entsprechend handelt es sich bei dieser allgemeinen Dynamik und Veränderlichkeit im Mitarbeiterstamm um eine Ausprägung der Mitarbeiterkomplexität in Dienstleistungsunternehmen. Die zweite mit Veränderlichkeit und Dynamik zusammenhängende Ausprägung bezieht sich auf die Flexibilität der Mitarbeiter. Köster sieht in der Flexibilität von Ressourcen – z.B. um Engpässe auszugleichen oder auf Kundenwünsche zu
114
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
reagieren – einen Komplexitätsaspekt.389 Dieser Gedanke ist auf die Mitarbeiter als zentrale Ressource der Dienstleistungserbringung übertragbar.390 Gerade durch die Veränderlichkeit der Aufgaben, z.B. infolge der Integration des externen Faktors,391 kommt der Flexibilität der Mitarbeiter im Dienstleistungskontext eine hohe Bedeutung zu. Allerdings bedarf es hierbei einer genaueren Betrachtung der Komplexitätswirkungen von Mitarbeiterflexibilität. Die Immaterialität der Dienstleistung und die Integration des externen Faktors sowie die daraus resultierende Komplexität der Prozesse und Aufgaben erfordern entsprechende Fähigkeiten und Potenziale des Dienstleistungsunternehmens. Diese Fähigkeit des Dienstleistungsunternehmens, flexibel auf z.B. unterschiedliche Kundenanforderungen zu reagieren, lässt sich erreichen durch entweder heterogenes Personal mit einer Vielzahl hochspezialisierter Mitarbeiter für verschiedene Aufgaben („Spezialisten“), oder durch einen Mitarbeiterstamm, in dem die einzelnen Mitarbeiter möglichst umfassende Qualifikationen aufweisen („Generalisten“), was einen flexiblen Einsatz dieser Mitarbeiter erlaubt. Während im „Spezialisten“-Fall die erforderliche Menge und Heterogenität der Mitarbeiter und damit die Mitarbeiterkomplexität ceteris paribus hoch ist, fällt im „Generalisten“-Fall die erforderliche Mitarbeiterkomplexität relativ gering aus. Dies zeigt sich an einem theoretischen Beispiel: Erbringt ein Unternehmen eine aus fünf Teilleistungen bestehende Dienstleistung für nur einen Kunden, erfordert dies im einen Extrem bei hoher Spezialisierung fünf unterschiedliche Mitarbeiter.392 Im anderen Extrem ist dagegen nur ein Mitarbeiter erforderlich, der die Dienstleistung vollständig erbringen kann. Wird diese eine Dienstleistung darüber hinaus für mehrere Kunden gleichzeitig erbracht, sind zwar auch im Generalisten-Fall fünf Mitarbeiter erforderlich. Der Einsatz von Spezialisten führt dabei aber zu vergleichsweise hohem Koordinationsaufwand und wiederum zu höherer Komplexität durch Interdependenzen.
389
390 391 392
Vgl. Köster 1998, S. 29. Köster nennt die flexible Zuweisung von Ressourcen zu Prozessen einen Komplexitätstreiber. Für eine solche flexible Zuweisung ist Flexibilität der Ressourcen erforderlich. Die Arbeit von Köster bezieht sich auf Komplexität in der Industrie. Vgl. zur Veränderlichkeit als Aspekt der Aufgabenkomplexität Abschnitt 3.3.2.2. Die daraus resultierende Anzahl und Heterogenität der Mitarbeiter im Kundenkontakt hat zudem einen Einfluss auf die vom Kunden wahrgenommene Komplexität. Diesen Aspekt der Multipersonalität berücksichtigen auch Güthoff und Kebbel in ihren Arbeiten zur Qualitätswahrnehmung von Dienstleistungen (vgl. Güthoff 1995, S. 32f., 98; Kebbel 2000, S. 114f.).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
115
Folglich ist die Komplexität als höher einzustufen, je weniger flexibel die Mitarbeiter einsetzbar sind.393 Daher wird die geringe Flexibilität der Mitarbeiter als Ausprägung der Mitarbeiterkomplexität hinsichtlich des Komplexitätsmerkmals der Veränderlichkeit bzw. Dynamik festgehalten.394
3.3.3.2 Standort- und Filialkomplexität Die Potenzialkomplexität der tangiblen Dienstleistungselemente bezieht sich u.a. auf den Dienstleistungsort, d.h. die Standorte und Filialen des Dienstleistungsanbieters.395 Standort- und Filialkomplexität besteht diesbezüglich in erster Linie in der Vielzahl an Standorten bzw. Filialen (vgl. Tabelle 15). Der Aufbau mehrerer Standorte kann seine Ursache z.B. in einer funktionalen Gliederung im Unternehmen (Verwaltungsstandorte vs. Standorte der Leistungserbringung) oder in einer regionalen Aufteilung der Marktbearbeitung haben. Auch kann, z.B. bei Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, aufgrund der Immaterialität und Nichttransportfähigkeit der Leistung eine hohe Distributionsdichte in Form vieler Filialen erforderlich sein.396 Der Betrieb mehrerer Standorte oder Filialen resultiert in einer arbeitsteiligen Erbringung der Dienstleistung und Schnittstellen, die eine Koordination erforderlich machen. Entsprechend ist die Vielzahl an Standorten und Filialen als Aspekt der Potenzialkomplexität zu berücksichtigen. Mit der Vielfalt der Standorte oder Filialen kommt ein weiteres Komplexitätsmerkmal auf der Potenzialdimension der Dienstleistung zum Tragen. Obwohl grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Gestaltung verschiedener Orte der 393
394
395 396
Auf abstrakter Ebene veranschaulicht Gell-Mann diesen Sachverhalt anhand verschiedener Verbindungsmuster zwischen acht Punkten: Ein Muster A, in dem alle acht Punkte paarweise miteinander verknüpft sind, ist (z.B. in seiner Beschreibung) weniger komplex als ein Muster B, in dem zwar alle acht Punkte Verbindungen zu anderen Punkten aufweisen, aber keine vollständige Verknüpfung wie in Muster A besteht (vgl. Gell-Mann 1998, S. 70f.). Dieses Beispiel lässt sich auf die flexible Einsatzmöglichkeit der Mitarbeiter zu verschiedenen Aufgaben übertragen: Lassen sich Mitarbeiter gleichwertig allen möglichen Aufgaben zuteilen, ist der Koordinationsaufwand geringer, als wenn diese flexible Zuordnung nicht möglich ist. Das vierte Komplexitätsmerkmal, die Interdependenz, findet bereits über die zu koordinierenden Schnittstellen in den Prozessen des Dienstleistungsunternehmens Berücksichtigung (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2.1). Unter der Annahme, dass für das Unternehmen relevante Interdependenzen zwischen Mitarbeitern primär im Rahmen der Aufgabenerfüllung in den Dienstleistungsprozessen auftreten, ist eine gesonderte Berücksichtigung des Interdependenzaspekts auf der Potenzialdimension nicht erforderlich. Vgl. die Eingrenzung in Abschnitt 3.2. Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 337.
116
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Leistungserbringung relativ ähnlich ist – z.B. aufgrund von Vorgaben des Corporate Design –, ist Heterogenität zwischen oder innerhalb von Standorten oder Filialen dennoch denkbar, z.B. infolge einer differenzierten Marktbearbeitung.397 Ein anschauliches Beispiel für solche Heterogenität bieten Handelsunternehmen, die gleichzeitig verschiedene Betriebsformen und -typen unterhalten, wie beispielsweise im Fall des Schweizer Handelsunternehmens Coop, das neben Warenhäusern und unterschiedlich großen Supermärkten auch Fachmärkte (Bau+Hobby) und Tankstellenshops u.a.m. betreibt.398 Entsprechend handelt es sich bei der Heterogenität der Standorte und Filialen um einen relevanten Komplexitätsaspekt der Potenzialdimension bei Dienstleistungen. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmale
Ausprägung
Standort-/Filialkomplexität
Vielzahl
Vielzahl an Standorten und/oder Filialen
Vielfalt
Heterogenität der Standorte und/oder Filialen
Veränderlichkeit
Veränderlichkeit der Standorte und/oder Filialen
Tabelle 15:
Ausprägungen der Standort-/Filialkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Neben der Zahl und Heterogenität ist auch die Veränderlichkeit von Standorten oder Filialen von Bedeutung für die Potenzialkomplexität. Veränderlichkeit kann hier grundsätzlich in Form einer Erweiterung oder Verringerung der Filialdichte sowie in der Anpassung der Verantwortlichkeiten oder inhaltlichen Aufgaben eines Standorts oder einer Filiale auftreten (z.B. wenn bestimmte Dienstleistungen nicht an allen Standorten angeboten werden). Gerade das Angebot neuer Dienstleistungen oder die Reorganisation der Prozesse im Unternehmen kann solche Anpassungen auch auf der Potenzialdimension zur Folge haben, weshalb die Veränderlichkeit der Standorte und Filialen grundsätzlich ebenfalls als Aspekt der Komplexität der tangiblen Dienstleistungselemente in den Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen aufzunehmen ist.399
397
398
399
Ähnlich sprechen Olbrich und Battenfeld die Bildung unterschiedlicher Vertriebseinheiten zur gezielten Befriedigung der Bedürfnisse verschiedener Kundengruppen an (vgl. Olbrich/Battenfeld 2005, S. 168). Vgl. zur Begriffsabgrenzung sowie zu verschiedenen Betriebsformen und -typen insbesondere Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 570ff. sowie auch z.B. Homburg/Krohmer 2006, S. 1015ff.; Kotler/Keller/Bliemel 2007, S. 899ff. Die Interdependenzen zwischen Standorten und Filialen finden bereits über die Schnittstellen in den Prozessen Berücksichtigung (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2.1).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
117
3.3.3.3 Materialkomplexität Neben dem Ort der Leistungserbringung umfassen die tangiblen Dienstleistungselemente auch die Materialien, die bei der Leistungserbringung zum Einsatz kommen. Materialkomplexität resultiert aus der Menge und Unterschiedlichkeit der angebotenen Dienstleistungen bzw. möglicher Teilleistungen (Leistungsprogramm- und Dienstleistungskomplexität) und ist vergleichbar mit der in der Literatur vereinzelt bezüglich materieller Produkte thematisierten Teilekomplexität.400 Wesentlicher Unterschied zu materiellen Produkten ist allerdings die relative Bedeutung, da bei Dienstleistungen die Arbeitsleistung der Mitarbeiter den wesentlichen Inputfaktor darstellt und Dienstleistungsmaterialien größtenteils lediglich unterstützend zum Einsatz kommen.401 Bei unternehmensinterner Sicht haben sie aber dennoch Bedeutung für die Komplexität, da sie in einer dem Leistungsangebot entsprechenden Menge und Vielfalt bereitzustellen sind und sie einen Einfluss auf die von Mitarbeitern wahrgenommene Aufgabenkomplexität sowie auch die Kundenwahrnehmung haben. Daher sind die Vielzahl und die Heterogenität der unterstützenden Dienstleistungsmaterialien als Ausprägungen der Materialkomplexität in Dienstleistungsunternehmen zu berücksichtigen (vgl. Tabelle 16). Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmale
Ausprägung
Materialkomplexität
Vielzahl
Vielzahl unterstützender Dienstleistungsmaterialien
Vielfalt
Heterogenität unterstützender Dienstleistungsmaterialien
Veränderlichkeit
Veränderlichkeit unterstützender Dienstleistungsmaterialien
Tabelle 16:
Ausprägungen der Materialkomplexität in Dienstleistungsunternehmen
Veränderlichkeit der Materialien ist aufgrund des engen Zusammenhangs der Materialien mit den angebotenen Dienstleistungen ebenfalls in Abhängigkeit von Anpassungen des Leistungsprogramms gegeben. Daher ist in der Veränderlichkeit unterstützender Dienstleistungsmaterialien eine weitere Ausprägung der Materialkomplexität zu sehen.402 400 401 402
Vgl. auch Abschnitt 3.3.1 und insbesondere Fußnote 328. Vgl. Bruhn/Georgi 2006a, S. 288. Der Komplexitätsaspekt der Interdependenz wird nicht weiter berücksichtigt, da relevante Interdependenzen zwischen unterstützenden Materialien zwar denkbar sind – z.B. im Rahmen einer medizinischen Dienstleistung in Form von Wechselwirkungen zwischen verabreichten Medikamenten –, dies aber als Ausnahmefall in speziel-
118
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.3.3.4 Technologische Komplexität Der letzte Bereich der Potenzialkomplexität bei Dienstleistungen ist in der (internen) technologischen Komplexität403 zu sehen. Technologische Komplexität wird in der Literatur überwiegend produktbezogen und dabei in Zusammenhang mit der Komplexität von technologischen Produkten,404 der Komplexität der Produktion (Komplexität der Fertigungssysteme)405 sowie der Komplexität unterstützender Systeme (insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch Steuerungs- und Kontrollsysteme)406 thematisiert. Aufgrund der Immaterialität der Dienstleistung kommen Technologien primär im Prozess der Leistungserbringung zum Einsatz, sind aber nicht oder nur in Ausnahmefällen materieller Bestandteil eines Leistungsergebnisses. Folglich sind im Dienstleistungskontext insbesondere Technologien der Leistungserbringung (z.B. das Funknetz eines Mobilfunkanbieters, Onlinebanking-Technologien oder Selbstbedienungsterminals bei Banken) sowie unterstützende Technologien (z.B. CRM- und Datenbanksysteme) von Bedeutung. Auch technologische Komplexität ergibt sich u.a. aus der Vielzahl und Vielfalt eingesetzter Technologien.407 Diese Ausprägungen technologischer Komplexität
403
404
405 406 407
len Branchen einzustufen ist, in denen den Materialien – wie im Beispiel der Medikamente – auch eine wesentlich höhere Bedeutung zukommt. In der Regel bestehen Interdependenzen primär zwischen verschiedenen (Teil-)Dienstleistungen, auf die ggf. in unterstützenden Materialien wie Informationsmitteln hinzuweisen ist. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit Interdependenzen zwischen den Materialien selbst. Aufgrund der Eingrenzung des Betrachtungsgegenstands dieser Arbeit auf die interne Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ist die in Abschnitt 1.2.4.1 vorgenommene Unterscheidung zwischen der technologischen Komplexität des Unternehmensumfelds und der Komplexität der intern eingesetzten Technologien nicht von Bedeutung. Im Folgenden bezieht sich der Begriff der technologischen Komplexität ausschließlich auf die im Unternehmen zum Einsatz kommenden Technologien. Vgl. zur Komplexität technologischer Produkte bzw. von deren Entwicklung z.B. Kim/Wilemon 2003, S. 19; Schlick et al. 2007, S. 25. Nach Homburg und Faßnacht ergibt sich die technologische Komplexität aus den Produkteigenschaften (vgl. Homburg/Faßnacht 2001, S. 450). Auch Benett erwähnt die Anzahl an integrierten Technologien als Ausprägung der Produktkomplexität (vgl. Benett 1999, S. 13). Vgl. z.B. Adam 1998, S. 36f.; Bliss 2000, S. 7. Erwähnt wird die Fertigungs- oder Anlagenkomplexität auch bei Fischer/Röben 2003, S. 28; Lasch/Gießmann 2009, S. 201. Vgl. z.B. Kirchhof 2003, S. 40; Wildemann 2008a, S. 365ff. Granstrand und Oskarsson verwenden den Begriff der technologischen Diversität für die Breite der Technologiebasis des Unternehmens (vgl. Granstrand/Oskarsson 1994, S. 355).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
119
resultieren aus dem parallelen Einsatz von Technologien, die unterschiedliche Zwecke erfüllen, also z.B. interne Kommunikationssysteme und Kundendatenbanksysteme. Darüber hinaus kann technologische Vielzahl und Heterogenität aber auch die Folge eines kombinierten Einsatzes inhaltlich gleicher Technologien sein, wenn beispielsweise bestehende Systeme im Zeitablauf nicht vollständig ersetzt werden, sondern durch weitere Technologien, gegebenenfalls auf höherem technologischem Entwicklungsstand, ergänzt werden (z.B. verschiedene Datenbanksysteme, die nacheinander aufgrund gestiegener inhaltlicher oder mengenmäßiger Anforderungen implementiert wurden).408 Somit sind sowohl die Vielzahl eingesetzter Technologien als auch die Heterogenität eingesetzter Technologien – differenziert nach Technologien der Leistungserbringung und unterstützenden Technologien – als Komplexitätsausprägungen zu berücksichtigen. Komplexitätsform
Komplexitätsmerkmale
Ausprägung
Technologische Komplexität
Vielzahl
Vielzahl eingesetzter
Vielfalt
Technologien der Leistungserbringung unterstützender Technologien
Veränderlichkeit eingesetzter
Tabelle 17:
unterstützender Technologien
Heterogenität eingesetzter
Veränderlichkeit
Technologien der Leistungserbringung
Technologien der Leistungserbringung unterstützender Technologien
Ausprägungen der technologischen Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Wie diese Ausführungen bereits zeigen, ist neben der Vielzahl und Vielfalt auch die Veränderlichkeit und Dynamik ein relevanter Aspekt des Technologieeinsatzes im Unternehmen. Insbesondere Weiterentwicklungen des Leistungsangebots (und damit die Leistungsprogrammkomplexität), aber auch neue Möglichkeiten der technologischen Umsetzung dieser Angebote und der damit verbundenen Leistungs- und Supportprozesse bedingen entsprechende Änderungen bei den eingesetzten Technologien. Für ein vollständiges Bild der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen ist daher auch die Berücksichtigung dieser Veränderlichkeit eingesetzter Technologien der Leistungserbringung sowie unter-
408
Vgl. z.B. Granstrand 1998, S. 474; Fornahl/Stohr 2008, S. 632.
120
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
stützender Technologien als Ausprägung der technologischen Komplexität in Dienstleistungsunternehmen zu berücksichtigen.409
3.3.4
Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension von Dienstleistungsunternehmen
Bei der Erarbeitung der Komplexitätsformen für die Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension von Dienstleistungsunternehmen haben bereits verschiedene zur Argumentation herangezogene Beispiele verdeutlicht, dass zwischen den Komplexitätsformen ein hoher Grad an Vernetzung besteht, weshalb diese nicht isoliert voneinander betrachtet werden können.410 Bleicher stellt hierzu fest: „Keine Variable in einem System beeinflusst eine andere, ohne von ihr selbst beeinflusst zu werden.“411 Neben den als Komplexitätsausprägungen erfassten Interdependenzen innerhalb der verschiedenen Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen bilden die Komplexitätsformen und -ausprägungen selbst wiederum ein Ursache-Wirkungs-Netz, das in seiner Gesamtheit die Komplexität des Systems „Dienstleistungsanbieter“ widerspiegelt. Allerdings ist die Identifikation „kausaler Beziehungen … bei komplexen Sachverhalten besonders notwendig und zugleich besonders schwierig“,412 da in der Regel multikausale Beziehungen bestehen, bei denen nicht immer eindeutig ist, worin die Ursache und worin die Wirkung besteht und zudem mehrstufige und zirkuläre Wirkungsketten auftreten können. Puhl stellt fest, dass bei der Erfassung von Interdependenzen die unüberschaubare Vielzahl und Vielfältigkeit der zu berücksichtigenden Komplexitätsaspekte die zentrale Herausforderung darstellt.413 Wie verschiedene Abbildungen komplexer Entscheidungsprobleme an409
410 411 412 413
Mit der Vielzahl, Heterogenität und Veränderlichkeit der Technologien sind häufig Schnittstellen- und Kompatibilitätsprobleme verbunden, die eine Ausprägung des Interdependenzmerkmals der Komplexität darstellen. Auch bezüglich der eingesetzten Technologien wird dieser Aspekt der Interdependenz der Prozessdimension zugeordnet und Schnittstellen, an denen Kompatibilitätsprobleme auftreten, als Element der Prozesskomplexität aufgefasst (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2.1). Vgl. z.B. Puhl 1999, S. 53 sowie zur Notwendigkeit eines ganzheitlichen Denkens in komplexen Situationen Ulrich/Probst 2001 und Gomez/Probst 1997. Bleicher 2004, S. 52. Bronner 2004, S. 99. Vgl. Puhl 1999, S. 54.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
121
hand von Kausalnetzen in der Literatur zeigen, ist eine vollständige und detaillierte Erfassung sämtlicher Elemente und Interdependenzen i.d.R. nur für Problemausschnitte realistisch durchführbar.414 Die Menge zu identifizierender Wechselwirkungen hängt allerdings maßgeblich von der Betrachtungsebene ab. Interdependenzen lassen sich auf zwei Ebenen identifizieren: entweder auf detailliertem Niveau zwischen den einzelnen Komplexitätsausprägungen oder auf aggregiertem Niveau zwischen den Komplexitätsformen. Während auf Ebene der einzelnen Komplexitätsausprägungen eine vollständige Erfassung aller möglichen Wechselwirkungen bereits rein kombinatorisch Schwierigkeiten bereitet und gegebenenfalls höchstens bei einer Einzelfallbetrachtung durchführbar ist,415 sind auf Ebene der Komplexitätsformen Überlegungen zu Interdependenzen zwischen Potenzial-, Prozess- und Ergebniskomplexität handhabbar und inhaltlich dennoch sinnvoll. Bronner schlägt zur Identifikation von Interdependenzen die Methode der Kausal-(Netz-)Analyse vor, bei der in einer Matrix sämtliche betrachteten Variablen einander gegenübergestellt werden, somit grundsätzlich alle Variablen als potenzielle Ursachen und Wirkungen in Betracht kommen und für jede Variable überprüft wird, auf welche anderen Variablen sie Einfluss ausübt.416 Auf Basis der so identifizierten Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich die betrachteten Variablen in eine Graphendarstellung überführen, die die unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen abbildet.417 Diese Vorgehensweise ist auch als Basis für Überle414
415
416 417
Vgl. z.B. in nicht-betriebswirtschaftlichem Zusammenhang die Darstellungen bei Vester/von Hesler 1988, S. 249ff., in der betriebswirtschaftlichen Literatur die verschiedenen Teilmodelle der Komplexität (Konfigurationsmodelle) bei Kirchhof 2003, S. 123ff. sowie die vielfältigen Beispiele der Beiträge in Probst/Gomez 1989b. Für die in den Abschnitten 3.3.1 bis 3.3.3 identifizierten zehn Komplexitätsformen mit in der Summe 37 Ausprägungen ergeben sich für den theoretischen Fall, dass sich alle diese Ausprägungen gegenseitig beeinflussen, bei detaillierter Betrachtung 1332 mögliche Wirkungsbeziehungen. In den Expertengesprächen zur Validierung des Bezugsrahmens wurde versucht, auf Basis von Einflussmatrizen mögliche Interdependenzen in allgemeingültiger Form zu eruieren. Dies erwies sich als nicht durchführbar, da zu aufwändig. Vgl. Bronner 1999, S. 68ff.; Bronner 2004, S. 99ff. Zu eine Anwendung vgl. Schulenburg 2008, S. 288ff., 313ff. Zu einer ähnlichen Vorgehensweise vgl. z.B. die Kriterien- bzw. Einflussmatrizen bei Vester/von Hesler 1988, S. 44ff.;Vester 2000, S. 196ff. Vgl. zu betriebswirtschaftlichen Arbeiten, die die Vorgehensweise von Vester anwenden, auch Abschnitt 2.2.2 (insbesondere Fußnote 172). Vgl. auch die verschiedenen Beiträge in Probst/Gomez 1989b, die ihr Vorgehen auf der Netzplantechnik basieren.
122
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
gungen zu Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen sinnvoll. Dementsprechend sind in Abbildung 7 die Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen einander gegenübergestellt. Zwischen diesen Komplexitätsformen lassen sich drei Gruppen von Interdependenzen identifizieren (in Abbildung 7 durch die Ziffern 1 bis 3 gekennzeichnet).
Prozesskomplexität
Ergebniskomplexität
Technologische Komplexität
Materialkomplexität
Standort-/Filialkomplexität
Mitarbeiterkomplexität
Potenzialkomplexität
Komplexität des ext. Faktors
Aufgabenkomplexität
Komplexität der Leistungs-, Support-, Kundenprozesse
Prozesskomplexität
Kundenstrukturkomplexität
Dienstleistungskomplexität
... wird beeinflusst von:
Ergebniskomplexität
Leistungsprogrammkomplexität
Die Komplexitätsform ...
Leistungsprogrammkomplexität Dienstleistungskomplexität
d
c
c
e
d
c
e
e
d
Kundenstrukturkomplexität Komplexität der Leistungs-, Support-, Kundenprozesse Aufgabenkomplexität Komplexität des externen Faktors
Potenzialkomplexität
Mitarbeiterkomplexität Standort-/Filialkomplexität Materialkomplexität Technologische Komplexität
Abbildung 7:
Kausalmatrix der Interdependenzen zwischen Komplexitätsformen (Legende: c = primäre, d = sekundäre und e = tertiäre UrsacheWirkungs-Zusammenhänge)
Primäre Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (in Abbildung 7 mit der Ziffer 1 gekennzeichnet) entsprechen der in der Literatur verbreiteten Argumentation, dass die Ergebniskomplexität eines Unternehmens die Schnittstelle ist, über die externe Komplexität in das Unternehmen hineingetragen wird und somit die
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
123
Ergebniskomplexität ursächlich ist für die Prozess- und die Potenzialkomplexität.418 Je komplexer das Leistungsangebot des Dienstleistungsanbieters, desto komplexer sind i.d.R. die erforderlichen Prozesse sowie die zur Verfügung zu stellenden Potenzialfaktoren des Unternehmens. Sowohl die Komplexität des Leistungsprogramms als auch die der Dienstleistungen und der Kundenstruktur hat einen Einfluss auf die verschiedenen Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse, der Aufgabenkomplexität sowie der Komplexität des zu berücksichtigenden externen Faktors. Auch die Menge und Art erforderlicher Leistungspotenziale hängt von der Komplexität der angebotenen und tatsächlich erbrachten Dienstleistungen und der Gestaltung der Marktbearbeitung ab. Als sekundäre Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (mit der Ziffer 2 gekennzeichnet) lassen sich die Interdependenzen bezeichnen, die zwischen den verschiedenen Komplexitätsformen innerhalb der Ergebnis-, der Prozess- und der Potenzialkomplexität auftreten. So ist auf Ebene der Ergebnisdimension die Gestaltung der Marktbearbeitung (Kundenstrukturkomplexität) beispielsweise eine mögliche Ursache der Leistungsprogrammkomplexität. Umgekehrt kann aber auch die Breite und Tiefe des Leistungsprogramms ausschlaggebend sein für eine Veränderung der Marktbearbeitung, wenn mit den bestehenden Leistungen weitere Kundensegmente erschlossen werden sollen. Auf Ebene der Prozessdimension sind z.B. die Komplexität der Leistungs- und Supportprozesse sowie die Komplexität der zu integrierenden externen Faktoren mit ausschlaggebend für die Anforderungen, die im Rahmen der Aufgabenkomplexität an die Mitarbeiter gestellt werden. Auf der Potenzialdimension kann die Standort- und Filialkomplexität die Materialkomplexität erhöhen, wenn sie z.B. Anpassungen der Informationsbroschüren erfordert (Adressen, unterschiedliches Leistungsangebot an verschiedenen Standorten u.a.m.). Die technologische Komplexität beeinflusst dagegen auch die Mitarbeiterkomplexität, wenn die eingesetzten Technologien eine entsprechende Qualifikation der Mitarbeiter oder den Einsatz spezialisierter Mitarbeiter erfordern. Die dritte Gruppe möglicher Beziehungen, hier tertiäre Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge genannt (mit der Ziffer 3 gekennzeichnet), sind Wirkungen, die der Kausalitätskette der primären Wirkungen entgegen gerichtet verlaufen. Wirkungen von den Potenzialen auf die Prozesse sowie von den Potenzialen und Prozessen auf die Ergebnisse ergeben sich insbesondere im Dienstleistungskontext aus der engen inhaltlichen Verknüpfung dieser drei Dimensionen, da die
418
Vgl. die einleitenden Ausführungen zu Abschnitt 3.3.
124
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Erbringung des Leistungsergebnisses durch die verfügbaren Potenziale und Prozesse und die damit verbundene Komplexität überhaupt erst ermöglicht wird.419 Unmittelbar nachvollziehbar ist dabei beispielsweise, dass die Standort- und Filialkomplexität (Potenzialebene) Schnittstellen verursacht und somit Auswirkungen auf die Komplexität der Leistungs- und Supportprozesse (Prozessebene) hat. Die Mitarbeiterkomplexität (Potenzialebene) übt Einflüsse auf die Komplexität des externen Faktors (Prozessebene) aus, wenn beispielsweise ein häufiger Wechsel der Kundenkontaktmitarbeiter die Bereitschaft des Kunden reduziert, sich aktiv an der Leistungserbringung zu beteiligen (z.B. geringere Bereitschaft der Preisgabe von Informationen an einen weniger vertrauten Mitarbeiter). Das Angebot verschiedener technologiebasierter Dienstleistungen (Ergebnisebene) ist nur dann möglich, wenn die erforderlichen Technologien in ausreichender Menge (Potenzialebene) verfügbar sind. Zudem kann auch das Leistungsangebot ausgeweitet werden, um bestehende Leistungspotenziale besser auszunutzen, was ebenfalls als Einfluss der Potenzial- auf die Ergebniskomplexität einzuordnen ist. Wie diese Beispiele zu den drei Gruppen von Wirkungsbeziehungen verdeutlichen, existieren vielfältige gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen, und nicht nur einseitige Wirkungen z.B. der Ergebnisdimension auf die Prozess- und Potenzialdimension. Auch in der Komplexitätsliteratur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass prinzipiell vollständige Interdependenz besteht und sich sämtliche die Komplexität ausmachenden Systemelemente gegenseitig beeinflussen.420 Puhl argumentiert dabei, dass (a) nicht alle Interdependenzen aktiv sind, (b) weniger stark ausgeprägte Beziehungen nicht entscheidungsrelevant sind und daher vernachlässigt werden können und (c) vor dem Hintergrund einer konkreten Fragestellung eine Beschränkung auf problemrelevante Ausschnitte des Ursache-Wirkungs-Netzes möglich ist.421 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da eine auf diesen Überlegungen basierende Eliminierung potenzieller Wirkungszusammenhänge Probleme mit sich bringt: Zur Identifikation „inaktiver“ oder nur schwach ausgeprägter Beziehungen ist ohnehin eine Analyse aller Interdependenzen unver-
419
420 421
In diesem Sinne ist auch Kirchhof zu interpretieren, der bezüglich der Wirkungskette zwischen verschiedenen Teilmodellen der Unternehmenskomplexität schreibt: „Betrachtet man die Kausalitätskette bottom-up, so wird die Zuordnung bzw. Verwendung der einzelnen Elemente und Systeme eines Unternehmens deutlich, die zur Zielund Zweckerreichung des Unternehmens notwendig sind.“ (Kirchhof 2003, S. 122f.). Vgl. z.B. Calinescu et al. 1998, S. 724; Puhl 1999, S. 54 sowie die einleitend in diesem Abschnitt angeführte Einschätzung von Bleicher 2004, S. 52. Vgl. Puhl 1999, S. 54.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
125
meidlich. Zudem ist mit Puhls zweitem Argument (b) das Problem verbunden, dass einem bei isolierter Betrachtung schwachen Zusammenhang aufgrund von zirkulären Wirkungsbeziehungen in der Gesamtsicht eine wesentlich höhere Bedeutung zukommen kann und somit bei der von Puhl vorgeschlagenen Vernachlässigung wichtige Interdependenzen unberücksichtigt bleiben.422 Auch Argument (c) resultiert in einer Durchtrennung von bei Gesamtsicht u.U. wichtigen Interdependenzen. Folglich ist von einer bewussten Reduktion der möglichen Interdependenzen auf eine Auswahl plausibler oder als intensiv vermuteter Beziehungen abzusehen. In ihrer Gesamtheit bilden die Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen somit ein vollständig interdependentes Ursache-Wirkungs-Netz, in dem sich alle Komplexitätsformen – zumindest theoretisch – gegenseitig beeinflussen.
3.4
Kostenwirkungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Nachdem in Abschnitt 3.2 diskutiert wurde, wie das System „Dienstleistungsanbieter“ abzugrenzen ist und in Abschnitt 3.3 detailliert der Frage nachgegangen wurde, in welchen Formen und Ausprägungen Komplexität auf der Potenzial-, der Prozess- und der Ergebnisdimension des Dienstleistungsunternehmens auftritt, ist es Ziel dieses Abschnitts, die aus dieser Komplexität resultierenden Kosten als eine der beiden ökonomisch relevanten Auswirkungen der Komplexität zu konkretisieren. Nach einer einleitenden Bestimmung des Begriffs der Komplexitätskosten in Abschnitt 3.4.1 erfolgt in Abschnitt 3.4.2 eine Kategorisierung von Komplexitätskostenarten, bevor in Abschnitt 3.4.3 die Verbindung zwischen diesen Komplexitätskosten und den dafür ursächlichen Komplexitätsformen der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension diskutiert wird.
422
Zu einem anschaulichen Beispiel für solche der vordergründigen Plausibilität widersprechende Wirkungen infolge komplexer Zusammenhänge vgl. die ANP-Anwendung bei Dellmann/Diehm 2002, S. 256f.
126
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.4.1
Definition: Der Begriff der Komplexitätskosten in Dienstleistungsunternehmen
Bei dem Versuch, den Begriff der Komplexitätskosten zu präzisieren, ergeben sich ähnliche Schwierigkeiten wie auch bei der in Abschnitt 2.3.2 erläuterten Messung von Komplexitätskosten. In der Literatur wird häufig eine konkrete Definition, die über eine Charakterisierung möglicher Komplexitätskosten anhand verschiedener Kriterien423 hinausgeht, vermieden.424 Die folgende Diskussion weist zunächst auf Problembereiche des Komplexitätskostenbegriffs hin, bevor darauf aufbauend ein für die vorliegende Arbeit geeignetes Begriffsverständnis festgelegt wird. Kosten werden im Verständnis der betrieblichen Kostenrechnung als durch die Leistungserstellung verursachter bewerteter Verbrauch von Produktionsfaktoren (Güter und/oder Dienstleistungen) bezeichnet.425 Unter Komplexitätskosten lassen sich demnach die Kosten subsumieren, die den Verbrauch unternehmerischer Ressourcen infolge der Komplexität des Unternehmens widerspiegeln. Adam bezeichnet entsprechend die Kosten der Koordination eines komplexen Systems und damit die „Kosten des indirekten Bereichs zur Lenkung und Steuerung eines Unternehmens“426 als Komplexitätskosten. Da allerdings im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang eine Situation ohne Komplexität nicht vorstellbar ist, wären nach diesem Verständnis sämtliche Kosten der indirekten Bereiche mit Komplexitätskosten gleichzusetzen.427 Die allgemein gehaltene Begriffsauffassung von Adam greift folglich zu kurz und erfordert Einschränkungen. Um die Verallgemeinerung von Adam zu vermeiden, nehmen Olbrich und Battenfeld die Unterscheidung zwischen einer Ausgangskomplexität und einer Komplexitätsveränderung vor. Komplexitätskosten umfassen nach Auffassung 423 424 425 426 427
Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.3.1. Auch Bohne beschreibt die Begriffsdarstellung in der Literatur als weitgehend beispielhaft und fragmentarisch (vgl. Bohne 1998, S. 43). Vgl. z.B. Horváth/Brokemper 1998, S. 583; Coenenberg 1999, S. 39; Wöhe/Döring 2008, S. 695. Adam 2004, S. 22. Vgl. analog die Argumentation von Reiß 1993b, S. 55. Reiß bezieht seine Argumentation nicht auf den Begriff der Komplexitätskosten, sondern auf die Problematik einer Abgrenzung zwischen zu weit gefassten Verständnissen des Begriffs des Komplexitätsmanagements und der anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. Seine Argumentation weist Parallelen zu den Abgrenzungsproblemen der Komplexitätskosten auf.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
127
der Autoren die durch eine erhöhte Komplexität zusätzlich entstehenden Kosten.428 Ähnlich ermittelt Bohne die Komplexitätskosten auf Basis der Differenz zwischen tatsächlich bereitgestellter Ressourcenkapazität und einer Grundkapazität, die in einer Situation ohne oder zumindest geringer Komplexität erforderlich wäre.429 Auch Rosenberg untersucht die Kostenveränderung infolge einer Komplexitätsveränderung. Dabei berücksichtigen die Autoren aber nicht, dass die bestehende Ausgangskomplexität bereits zu laufenden Komplexitätskosten führen kann, wie die von verschiedenen Autoren vorgenommene Unterscheidung in einmalige und laufende Komplexitätskosten plausibel zeigt.430 Entsprechend bilden die über eine Komplexitätsveränderung oder eine Komplexitätsdifferenz definierten zusätzlichen Kosten nur einen Teil der Komplexitätskosten ab. Dennoch ist die zumindest gedankliche Unterscheidung zwischen den Kosten ohne bzw. bei geringer Komplexität und den durch die höhere Komplexität entstehenden zusätzlichen Kosten sinnvoll, um die Gleichsetzung von Komplexitätskosten mit den gesamten Gemeinkosten im Unternehmen zu vermeiden. Wie die Diskussion im Stand der Forschung gezeigt hat, ist im Zusammenhang mit Komplexitätskosten eine weitere Schwierigkeit darin zu sehen, dass die negativen Konsequenzen der Komplexität im Unternehmen nicht nur monetär quantifizierbare Größen umfassen. Folglich empfiehlt es sich, ein entsprechend weiter gefasstes Kostenverständnis auf die Komplexitätsthematik anzuwenden. Der Mathematiker Saaty versteht unter Kosten alle negativen Konsequenzen einer Entscheidung und vertritt damit ein Kostenverständnis, das nicht nur an messbaren Geldeinheiten ausgerichtet ist.431 Ähnliche Definitionen finden sich auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur. Beispielsweise beinhaltet eine Kostenkonzeption von Ewert und Wagenhofer sowohl monetäre als auch nichtmonetäre Größen.432 In gleicher Weise löst sich Dellmann vom klassischen
428 429 430 431
432
Vgl. Olbrich/Battenfeld 2005, S. 163. Vgl. Bohne 1998, S. 157ff. sowie die kurze Beschreibung des Ansatzes in Abschnitt 2.3.2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Tabelle 5 in Abschnitt 2.3.1. Vgl. Saaty 2001b, S. 93. Saaty ist der Entwickler des Analytic Network Process, der im weiteren Verlauf dieser Arbeit zur Bewertung von Komplexität und ihren Wirkungen herangezogen wird (vgl. ausführlich Kapitel 4). In unterschiedlichen Anwendungen des Ansatzes werden als Kostenaspekte z.B. auch Marktanteilsverluste (vgl. Saaty 2001b, S. 203), negative Berichte in der Presse und Imageprobleme bei Stakeholdern des Unternehmens (vgl. Farkasovsky/Greda 2006, S. 71f.) sowie auch Opportunitätskosten (vgl. Rackliffe/Thompson 2006, S. 137) berücksichtigt. Vgl. Ewert/Wagenhofer 2008, S. 38.
128
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Kostenverständnis, indem er den Begriff der Kostenintensität einführt und diese definiert als den Kosteneinfluss, den ein Element auf ein anderes Element ausübt.433 In dem von ihm entwickelten Netzwerk-Cluster-Kostenmodell der Kostenrechnung erfolgt die Zurechnung von Kosten z.B. auf Kostenträger oder Kostenstellen anhand dieser Kostenintensitäten. Dabei beschränkt er den Begriff der Kostenintensität nicht auf die Erfassung tangibler und quantifizierbarer Faktoren, sondern bezieht explizit die Möglichkeit der Berücksichtigung qualitativer, schwer messbarer Kriterien ein. Berücksichtigt man diese inhaltlich wichtigen Aspekte und erkennt die daraus resultierenden Schwierigkeiten einer eindeutigen (monetären) Quantifizierung von Komplexitätskosten an, ist ein Verständnis von Komplexitätskosten als gedankliches Konstrukt, wie es Olbrich und Battenfeld vorschlagen,434 einer eng an die kostenrechnerische Terminologie angelehnten Begriffsauffassung vorzuziehen. Für die vorliegende Arbeit lassen sich auf Basis dieser Überlegungen Komplexitätskosten unter Berücksichtigung der drei Dimensionen von Dienstleistungen wie folgt definieren: Komplexitätskosten in Dienstleistungsunternehmen sind alle ökonomisch relevanten negativen Wirkungen, die aus der Potenzial-, der Prozess- und der Ergebniskomplexität im Unternehmen resultieren.
Komplexitätskosten im Sinne dieser Definition sind somit als gedankliches Konstrukt aufzufassen. Komplexitätskosten treten zusätzlich – d.h., im Vergleich zu einer hypothetischen Situation ohne oder mit lediglich geringer Komplexität – auf und umfassen
433
434
sowohl Wirkungen, die direkt in Geldeinheiten erfassbar sind oder in monetäre Größen umgerechnet werden können (wie z.B. die für einen erhöhten Koordinationsbedarf benötigten personellen Ressourcen oder sonstige auf die Komplexität zurückzuführende erforderliche Leistungspotenziale),
als auch qualitative Wirkungen, die sich einer direkten (monetären) Bewertung entziehen und daher lediglich über subjektive Einschätzungen erfassbar sind (wie z.B. die Verwirrung von Kunden durch ein zu kom-
Vgl. zu dem Netzwerk-Cluster-Kostenmodell Dellmann 1998, S. 199ff.; Dellmann 1999b, S. 623ff. Zur Berücksichtigung „weicher“, qualitativer Kriterien vgl. insbesondere auch Dellmann 1999a, S. 1024. Vgl. Olbrich/Battenfeld 2005, S. 165 sowie auch Abschnitt 2.3.1.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
129
plexes Leistungsangebot oder die Überforderung von Mitarbeitern durch zu komplexe Tätigkeiten). Gegenstand des folgenden Abschnitts ist die Präzisierung dieser Wirkungen anhand einer Kategorisierung möglicher Komplexitätskostenarten.
3.4.2
Kategorisierung von Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Für das dieser Arbeit zugrunde liegende weit gefasste Begriffsverständnis der Komplexitätskosten ist die häufig in der Literatur anzutreffende Beschreibung der Kostenwirkungen anhand allgemeiner Kriterien – wie z.B. dem Kostenverlauf, dem Zeitpunkt des Kostenanfalls oder der Beständigkeit der Komplexitätskosten435 – nicht ausreichend. Auch wenn diese Kriterien eine sinnvolle Charakterisierung der Kostenwirkungen von Komplexität erlauben, ist zur Beurteilung von Komplexität anhand ihrer negativen Wirkungen dennoch eine zusätzliche inhaltliche Bestimmung möglicher Komplexitätskosten unerlässlich. Für die vorliegende Untersuchung ist von Bedeutung, in welcher Art Komplexitätskosten infolge der Potenzial-, Prozess- und Ergebniskomplexität in Dienstleistungsunternehmen auftreten. Daher wird in diesem Abschnitt erarbeitet, welche Kostenkategorien – im Folgenden in Anlehnung an die Begrifflichkeit der Kostenrechnung auch Kostenarten der Komplexität genannt436 – sich inhaltlich voneinander abgrenzen lassen. Trotz der Defizite, die die bestehende Literatur bezüglich einer systematischen inhaltlichen Definition verschiedener Komplexitätskostenarten aufweist, bieten die in Abschnitt 2.3 vorgestellten Publikationen wichtige Ansatzpunkte, da die vielfältigen in der Literatur exemplarisch aufgelisteten Kostenursachen (z.B. Tätigkeiten) und/oder Beispiele für Komplexitätskosten Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich als Grundlage der Kategorisierung von Komplexitätskosten nutzen lassen. Bei der Bildung der nachfolgend erläuterten Kostenkategorien dienten die
435 436
Vgl. hierzu Abschnitt 2.3.1. Kostenarten sind Kategorien von Kosten, die anhand von Merkmalsausprägungen eines Kriteriums gebildet werden. Die Kosten einer Kostenart weisen hinsichtlich des zugrunde gelegten Kriteriums die gleiche Merkmalsausprägung auf (vgl. Coenenberg 1999, S. 49ff.).
130
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Komplexitätskostenarten von Wildemann als Ausgangspunkt.437 Um diese Kostenarten auf heuristische Weise bezüglich ihrer Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit zu überprüfen,438 wurden ihnen die exemplarisch in anderen Publikationen genannten Kostenquellen gegenübergestellt und zugeordnet.439 Auf dieser Basis wurden anschließend anhand konzeptioneller Überlegungen für den Dienstleistungskontext die in Abbildung 8 wiedergegebenen sechs Komplexitätskostenarten in Dienstleistungsunternehmen definiert.440
Kostenarten der Komplexität
Komplexitätskosten der Planung
Komplexitätskosten der Koordination
Komplexitätskosten der Dokumentation
Abbildung 8:
437 438 439
440
Komplexitätskosten durch Abweichungen
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
Opportunitätskosten der Komplexität
Übersicht über Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Vgl. Wildemann 1998, S. 53f.; Wildemann 2002, S. 185; Wildemann 2008a, S. 371f. sowie die Auflistung in nachfolgender Abbildung 9. Dieser Schritt ist erforderlich, da Wildemann selbst keine näheren Erläuterungen zu den von ihm genannten Kostenarten der Komplexität vornimmt (vgl. Abschnitt 2.3.1). Hierbei wurden primär die Publikationen von Rathnow 1993, Schulz 1994, Homburg/Daum 1997, Schweikart 1997 und Meffert 2000 berücksichtigt. Die Autoren verwenden anstelle des Begriffs Kostenquelle auch andere Formulierungen, wie z.B. kostentreibende Auswirkungen der Komplexität oder vielfaltsinduzierte Tätigkeiten. Gemäß der in Abschnitt 3.4.1 vorgenommenen Definition des Komplexitätskostenbegriffs sind unter Komplexitätskosten im Folgenden immer die aus der Komplexität zusätzlich – in gedanklicher Abgrenzung zu einer Situation ohne oder mit geringer Komplexität – entstehenden Kosten zu verstehen, auch wenn dies nicht immer explizit durch entsprechende Formulierungen wie „aus der Komplexität resultierend“, „komplexitätsinduziert“ oder auch „komplexitätsbedingt“ verdeutlicht wird.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
131
Bei der gewählten Vorgehensweise ließen sich einige der von Wildemann gebildeten Kategorien bestätigen, während sich für andere – aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten – Umstrukturierungen und/oder Zusammenfassungen als zweckmäßig erwiesen. Die resultierenden sechs Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen werden im Folgenden hinsichtlich ihrer Inhalte und Abgrenzung erläutert, wobei auch auf die in Abbildung 9 dargestellte Zuordnung der ursprünglichen Kategorien von Wildemann eingegangen wird. Die in den nachfolgenden Ausführungen vorgenommene Nummerierung der Kostenarten von Wildemann dient der Orientierung und entspricht der Nummerierung in Abbildung 9. Die Komplexitätskosten der Planung basieren im Wesentlichen auf der von Wildemann genannten Kategorie der Planungs- und Steuerungskosten (10), für die sich in der Literatur zahlreiche Beispiele finden lassen. Aus der Zusammenfassung von Planung und Steuerung in einer Kategorie resultieren allerdings Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zur Kategorie der Koordinationskosten (2). Versteht man unter Planung die gedankliche Vorbereitung zielgerichteter Entscheidungen,441 ist diese inhaltlich von der Steuerung der Abläufe im Unternehmen abzugrenzen. Letztere hat die Abstimmung von Vorgängen und Tätigkeiten zum Inhalt und kann daher begrifflich mit Koordination gleichgesetzt werden. Ein präziseres Begriffsverständnis ist daher möglich, wenn die Planungskosten eine eigenständige Kategorie bilden und die Kosten der Steuerung der Koordination subsumiert werden. In einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit den Kosten der Planung steht die Wildemann-Kategorie der Entscheidungs- und Beschlusskosten (3), da die Fundierung von Entscheidungen Gegenstand der Planung ist.442 Dabei ist – zumindest auf dem Betrachtungsniveau der vorliegenden Arbeit – der komplexitätsbedingte Aufwand der Planung im Sinne einer vorausdenkenden Gestaltung der Potenziale, Prozesse und Ergebnisse von Interesse und weniger, ob diese gestalterische Aufgabe umfangreiche aufwändige Entscheidungsprozesse umfasst. Daher werden die Entscheidungs- und Beschlusskosten den Komplexitätskosten der Planung subsumiert. Abgrenzungsprobleme ergeben sich zudem zwischen Planungskosten sowie der Kategorie der Anpassungskosten (5), für die in der Literatur einige primär auf die Produktion bezogene Beispiele bestehen. Dabei lassen sich langfristige Anpassungen, z.B. bei den Leistungen oder den dafür erforderlichen Prozessen und 441 442
Vgl. Wöhe/Döring 2008, S. 81. Vgl. Adam 1997, S. 3ff.; Wöhe/Döring 2008, S. 81.
132
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
(1)
Kommunikations- und Informationsaustauschkosten
(2)
Koordinationskosten
(3)
Entscheidungs- und Beschlusskosten
(4)
Abstimmungskosten
(5)
Anpassungskosten
(6)
Doppelerfassungskosten
(7)
Suchkosten
(8)
Kosten der Verwechslung
(9)
qualitätsbezogene Abweichungskosten
(10) Planungs- und Steuerungskosten
Komplexitätskosten der Planung
Komplexitätskosten der Koordination
Komplexitätskosten der Dokumentation
Komplexitätskosten durch Abweichungen
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
(11) Datenpflege- und Systemkosten (12) Zusätzliche Kapitalbindungskosten (13) Kosten des Absentismus
Opportunitätskosten der Komplexität
Komplexitätskostenarten in Dienstleistungsunternehmen
Komplexitätskostenarten nach Wildemann (1998, 2002, 2008a)
Potenzialen, auch als Gegenstand der Planung im Sinne einer Gestaltung der Potenziale, Prozesse und Ergebnisse auffassen. Kurzfristig erforderliche Anpassungen – im Dienstleistungskontext z.B. infolge der Leistungsindividualisierung oder der Integration externer Faktoren – sind dagegen als Abweichungen zu interpretieren und werden daher den Abweichungskosten subsumiert.
entspricht (mit Anpassungen) wird subsumiert
Abbildung 9:
443
Entwicklung der Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen auf Basis der Kategorisierung nach Wildemann443
Von den 16 Kostenarten nach Wildemann gehen die in Abbildung 9 dargestellten 13 Kostenarten in die nachfolgenden Überlegungen ein. Die Kategorie der „nicht erforderlichen Mehrkosten der Wertschöpfung“ wird nicht berücksichtigt, da sie mangels näherer Erläuterungen als so allgemein gefasst zu verstehen ist, dass ihr grundsätzlich sämtliche Ineffizienzen im Unternehmen zuzuordnen wären. Aus inhaltlichen Überlegungen können zudem die „Lieferantenwechsel- und -pflegekosten“ und die „Mehrkosten durch höhere Einstandspreise“ vernachlässigt werden, wenn man davon ausgeht, dass Materialien und Vorerzeugnisse bei (persönlichen) Dienstleistungen im Verhältnis zum Potenzialfaktor Personal von nachrangiger Bedeutung sind.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
133
Die zweite Kostenart, die Komplexitätskosten der Koordination, ergibt sich – wie in Zusammenhang mit den Komplexitätskosten der Planung bereits erläutert – aus der Zusammenfassung der Koordinations- und der Steuerungskosten (2 und 10 nach Wildemann). Darüber hinaus lassen sich der Koordination auch die Kategorien der Kommunikations- und Informationsaustauschkosten (1) sowie der Abstimmungskosten (4) zuordnen. Die Bildung dieser Kostenarten ist aufgrund des Bedarfs an Kommunikation und Informationsaustausch an den vielzähligen Schnittstellen in Unternehmen – auch im Dienstleistungskontext – grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings bestehen dabei Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Komplexitätskosten der Koordination, da Inhalt der Koordination ja gerade die Abstimmung von Tätigkeiten oder Prozessen mit dem Ziel möglichst reibungsloser Abläufe ist. Die Koordination und Abstimmung der Abläufe erfordert dabei Kommunikation und Informationsaustausch zwischen den beteiligten Standorten, Abteilungen, Mitarbeitern und/oder Kunden. Daher werden die Kommunikations-, Informationsaustausch- und Abstimmungskosten der Kategorie der Koordinationskosten subsumiert. Die dritte Kostenkategorie, die Komplexitätskosten der Dokumentation, basiert auf Wildemanns Datenpflege- und Systemkosten (11). Während mangels näherer Erläuterungen nicht ersichtlich ist, was Wildemann unter Systemkosten versteht, enthalten andere Publikationen eine Reihe von Hinweisen zumindest auf die Existenz und Bedeutung der Datenpflege infolge hoher Komplexität. Allerdings resultiert Komplexität nicht nur in höherem Aufwand für die Datenpflege, sondern führt auch zu einem zusätzlichen Bedarf an Datenerfassung (z.B. die Erfassung der heterogenen Kundenbedürfnisse zur Individualisierung von Dienstleistungen, die Erfassung eben dieser Individualisierungen, die Dokumentation von Prozessen).444 Die Pflege der Daten ist daher um den vorgelagerten Aspekt der Datenerfassung zu ergänzen und beide Aspekte unter dem allgemeineren Begriff der Dokumentation zu berücksichtigen. Diesen Komplexitätskosten der Dokumentation lassen sich zudem die Doppelerfassungskosten (6) zuordnen. Diese können grundsätzlich auf zwei Arten interpretiert werden: erstens als mehrfach erforderliche Dokumentation ähnlicher Potenziale, Prozesse oder Leistungsvarianten, die ohne Variantenbildung oder bei identischen Prozessen bzw. eingesetzten Potenzialen nicht erforderlich wären; zweitens als Mehraufwand durch nicht erforderliche Doppelarbeiten, die aus der komplexitätsbedingten Unübersichtlichkeit resultieren (z.B. durch verschiedene 444
Auch Reckenfelderbäumer identifiziert die Dokumentation als aus der Integration externer Faktoren resultierenden Problembereich der Kostenrechnung in Dienstleistungsunternehmen (vgl. Reckenfelderbäumer 1998, S. 398).
134
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Mitarbeiter oder an verschiedenen Standorten mangels Abstimmung doppelt ausgeführte Tätigkeiten). Doppelerfassungskosten nach der ersten Interpretation sind den Dokumentationskosten zuzuordnen. Bei Doppelerfassungskosten nach der zweiten Interpretation handelt es sich dagegen um einen Aspekt der so genannten Opportunitätskosten der Komplexität (im Sinne einer nicht optimalen Nutzung der aufgewandten Arbeitszeit), auf die im Folgenden noch gesondert eingegangen wird. Die Komplexitätskosten durch Abweichungen ergeben sich aus der von Wildemann abgegrenzten Kategorie qualitätsbezogener Abweichungskosten (9). Für diese Kategorie bestehen in der Literatur verschiedene Beispiele, die z.B. auf die Fehleranfälligkeit infolge der Komplexität und entsprechende Fehlerkosten bzw. Aufwand für Qualitätssicherung hindeuten. Diese grundlegenden Aspekte sind auch in Dienstleistungsunternehmen von Bedeutung. Sehr ähnlich und daher schwer abzugrenzen sind von diesen qualitätsbezogenen Abweichungen allerdings die Kosten der Verwechslung (8): Hierunter fallen Aspekte wie die von Homburg und Daum sowie Meffert genannte Verwechslungsgefahr beim Einbau von Teilen in der Produktion,445 da es sich dabei um Fehler handelt, die letztendlich ebenfalls Qualitätsmängel bei der Leistung nach sich ziehen. Denkbar ist im Dienstleistungskontext die Verwechslung von Kundendaten (mit Konsequenzen unterschiedlichen Ausmaßes) oder von benötigten Geräten oder Materialien (z.B. bei ähnlichen Geräten oder Materialen, die für verschiedene Dienstleistungen zum Einsatz kommen). Die Kosten der Verwechslung werden daher den Komplexitätskosten durch Abweichungen zugeordnet. Hervorzuheben ist für den Dienstleistungskontext zudem, dass zusätzliche Kosten nicht nur aus qualitätsbezogenen Abweichungen, sondern insbesondere auch aus unvorhergesehenen Prozessabweichungen infolge der Integration des externen Faktors resultieren.446 Daher erscheint es sinnvoll, den Begriff der Abweichungskosten weiter zu fassen und neben den skizzierten qualitätsbezogenen auch prozessbezogene Abweichungen in das Begriffsverständnis aufzunehmen. Da diese Prozessabweichungen zudem u.U. Anpassungen der erbrachten Dienstleistung, der Prozesse oder sogar der Potenziale erfordern, sind entsprechende kurzfristige Anpassungen ebenfalls ein Teilaspekt der Komplexitätskosten durch Abweichungen (vgl. zur Unterscheidung und Zuordnung der Wildemann-Kategorie der Anpassungskosten (5) auch die Ausführungen zu den Komplexitätskosten der Planung).
445 446
Vgl. Homburg/Daum 1997, S. 151f.; Meffert 2000, S. 1048. Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 3.3.2.1.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
135
Als weitere Kostenart wird in der vorliegenden Arbeit die der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft unterschieden. Diese Kostenart geht zurück auf die zusätzlichen Kapitalbindungskosten (12) in der Kategorisierung von Wildemann, die in der Literatur durch verschiedene Beispiele Bestätigung finden, die sich allgemein auf hohe Kapazitäten, auf zusätzliche Bestände an Materialien, unfertigen Erzeugnissen und Ersatzteilen für verschiedene angebotene Varianten sowie auf Spezialwerkzeuge beziehen, deren Anschaffung und Bestand für verschiedene Leistungsvarianten zusätzlich erforderlich ist. Obwohl diese Beispiele stark produktionsbezogen sind, ist eine Parallele zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit in Form von verfügbaren Leistungspotenzialen in Dienstleistungsunternehmen erkennbar. Um das Leistungsangebot erbringen zu können, ist die Verfügbarkeit entsprechend komplexer Potenziale – z.B. in Form von Mitarbeitern, Materialien, Technologien, aber auch Standorten – in ausreichender Kapazität notwendig. Hierdurch entstehen komplexitätsbedingte Kostenbelastungen, die als Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft bezeichnet werden können.447 Ein wesentliches Merkmal der Leistungsbereitschaft ist, dass sie – im Gegensatz zu lagerfähigen Materialien oder unfertigen bzw. fertigen Erzeugnissen in produzierenden Branchen – verfällt, wenn sie nicht von Kunden zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit in Anspruch genommen wird (so genannte Leerkostenproblematik).448 Wird die Kapazität nicht genutzt, entsprechen die Kosten der Leistungsbereitschaft in vollem Umfang Leerkosten. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft in Dienstleistungsunternehmen. Einige der in der Literatur genannten Beispiele für Komplexitätskosten lassen sich keiner der Kategorien von Wildemann zuordnen. Bei diesen Kostenbeispielen handelt es sich primär um Aspekte, die in den entsprechenden Quellen als Opportunitätskosten der Komplexität bezeichnet werden.449 Diese Opportunitätskosten umfassen dabei zwei verschiedene Teilaspekte. Der erste Teilaspekt entspricht den Opportunitätskosten im Sinne der allgemeinen betriebswirtschaft447 448 449
Vgl. Reckenfelderbäumer 1995, S. 42, 200f. Vgl. Reckenfelderbäumer 1995, S. 42f.; Reckenfelderbäumer 1998, S. 399; Botta 2004, S. 809. Neben diesen Opportunitätskosten bestehen weitere Kostenbeispiele, die aufgrund mangelnder Präzisierung nicht zugeordnet werden konnten. Schulz nennt beispielsweise „steigende Marketingkosten“, die in dieser Pauschalität keiner Kostenart zugeordnet werden können (vgl. Schulz 1994, S. 132). Andere Beispiele wie die Kosten des innerbetrieblichen Materialtransports (vgl. z.B. Meffert 2000, S. 1047) sind für den Dienstleistungskontext ohne oder lediglich von nachrangiger Bedeutung, weshalb auf die Bildung ergänzender Kostenkategorien zu ihrer Erfassung verzichtet wird.
136
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
lichen Definition als entgangene Erträge oder Deckungsbeiträge.450 Komplexität kann auf unterschiedliche Weise zur Höhe solcher entgehenden Erlöse oder Deckungsbeiträge führen:
In der Komplexitätsliteratur finden sich Beispiele, die entgangene Deckungsbeiträge auf Kannibalisierungseffekte infolge der Variantenvielfalt zurückführen.451
Zu entgangenen Deckungsbeiträgen kann es zudem durch Fehlmengen oder Lieferverzögerungen kommen.452 Auch sind Kapazitätsengpässe, die zu einem „Wettbewerb“ verschiedener Dienstleistungen um knappe Kapazitäten führen, eine Ursache nicht realisierbarer Deckungsbeiträge.
Zudem kann die Komplexität des Unternehmens zur Verwirrung oder Verunsicherung von Konsumenten beitragen,453 die zu Konsumverzicht oder einer Abwanderung von Kunden zur Konkurrenz und damit zu entgehendem Umsatz führt. Gerade Dienstleistungen sind für Kunden aufgrund der Immaterialität und des hohen Anteils an Erfahrungsund Vertrauenseigenschaften häufig mit Unsicherheit verbunden.454
Ein zweiter Teilaspekt von Opportunitätskosten der Komplexität kommt im Begriffsverständnis von Homburg und Daum zum Ausdruck. Die Autoren definieren Opportunitätskosten der Komplexität als Kosten, die durch eine komplexitätsbedingt suboptimale Verwendung von Ressourcen im Unternehmen entstehen. Als Beispiel nennen sie Arbeitszeit, die zur Komplexitätsbewältigung verwendet wird, anderweitig aber sinnvoller eingesetzt werden könnte.455 Da bei Dienstleistungen häufig gerade die menschliche Arbeitskraft die zentrale Ressource darstellt, kommt diesen tätigkeitsbezogenen Opportunitätskosten der 450 451 452 453 454
455
Vgl. z.B. o.V. 2010d, S. 2270; Wöhe/Döring 2008, S. 922, 943. Vgl. Homburg/Daum 1997, S. 157; Reiners/Sasse 1999, S. 226; Schuh 2005, S. 46. Vgl. z.B. Schulz 1994, S. 132. Vgl. z.B. Olbrich/Battenfeld 2005, S. 168; Riemenschneider 2006, S. 211ff., 223f. Beim Kunden besteht Unsicherheit in Bezug auf die Durchführung der Leistungsprozesse, die er vorab nur eingeschränkt beurteilen kann (prozessbezogene Unsicherheiten), sowie hinsichtlich der Dienstleistungspotenziale, beispielsweise infolge von Leistungs- oder Verhaltensschwankungen der Mitarbeiter, mit denen der Kunde in Kontakt steht (potenzialbezogene Unsicherheiten), aber auch in Bezug auf das Leistungsergebnis (vgl. ähnlich Meffert/Bruhn 2009, S. 55f.). Vgl. zum Aspekt der Leistungsschwankungen z.B. auch Güthoff 1995, S. 32. Vgl. Homburg/Daum 1997, S. 155f.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
137
Komplexität eine hohe Bedeutung zu. Dabei ist allerdings eine explizite – wenn auch schwierige – Abgrenzung zu den für die vorliegende Arbeit definierten Komplexitätskosten der Koordination und Planung vorzunehmen, die ebenfalls zusätzlichen Arbeitsaufwand und Kosten infolge von Komplexität umfassen. Nicht alle komplexitätsbedingten Tätigkeiten sind als Opportunitätskosten einzustufen: Unter den tätigkeitsbezogenen Opportunitätskosten sind ausschließlich die Tätigkeiten zu verstehen, die bei einem gegebenen Komplexitätsgrad nicht erforderlich sind, die zu einer suboptimalen Verwendung im Sinne einer Verschwendung der Arbeitszeit und entsprechend geringerer Arbeitsproduktivität führen. Dies sind v.a. Tätigkeiten, die auf die Überforderung und/oder Irritation von Mitarbeitern zurückzuführen sind und somit einen Aufwand erzeugen, der über den für die gegebene Komplexität erforderlichen Koordinations-, Planungsund sonstigen Aufwand hinausgeht. Diese zweite Form von Opportunitätskosten tritt in verschiedenen Formen auf:
456 457 458
Zeitaufwand für unnötige Informationsbeschaffung, die aufgrund komplexitätsbedingter Unübersichtlichkeit auftritt und zu der auch die von Wildemann genannten Suchkosten (7) zu zählen sind, führt zu einer ineffizienten Verwendung der verfügbaren Arbeitszeit.
Auch Rückschleifen in den Prozessen – von Rall, Scheermesser und Dalhöfer als Blindleistungen bezeichnet456 – resultieren in nicht optimaler Nutzung der Arbeitszeit. Hierunter fallen Doppelerfassungskosten (6) im Sinne einer nicht erforderlichen Doppelarbeit.457
Daneben sind auch Wildemanns Kosten des Absentismus (13) diesen tätigkeitsbezogenen Opportunitätskosten der Komplexität zuzurechnen. Absentismus ist definiert als motivationsbedingte Fehlzeit von Mitarbeitern.458 Durch die Fehlzeit wird die Ressource Arbeitskraft nicht optimal im Sinne des Unternehmens genutzt. Ist der Absentismus auf Überforderung durch Komplexität zurückzuführen, sind die daraus resultierenden Kosten als Opportunitätskosten der Komplexität zu klassifizieren.
Vgl. Rall/Scheermesser/Dalhöfer 2007, S. 153. Vgl. zu dieser Interpretation der Doppelerfassungskosten die Ausführungen zu den Komplexitätskosten der Dokumentation. Vgl. o.V. 2010a, S. 32; o.V. 2010b, S. 1055.
138
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Auch kann bewusstes Fehlverhalten von Mitarbeitern, z.B. auch aufgrund von Überforderung, ursächlich für Opportunitätskosten sein.459
Nicht genutzte Lern- und Erfahrungskurveneffekte infolge wenig standardisierter und häufig wechselnder Tätigkeiten sind ebenfalls als Opportunitätskosten einzuordnen.460 Dem Unternehmen entgehen z.B. Steigerungen der Arbeitsproduktivität, die bei anderer Gestaltung der Prozesse oder Verteilung der Aufgaben zu erzielen wären. Daher können diese entgangenen Lerneffekte auch als Opportunitätskosten angesehen werden.
Tabelle 18 fasst die in diesem Abschnitt auf Basis der bestehenden Literatur abgegrenzten sechs Kostenarten der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen zusammen. Mit diesen Kategorien sind die infolge der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen anfallenden Kosten nach ihrem Inhalt erfasst, wobei versucht wurde, die Kostenarten möglichst überschneidungsfrei und entsprechend eindeutig zu definieren.461
3.4.3
Zusammenhänge zwischen Komplexitätsformen und Komplexitätskostenarten
In einem nächsten Schritt sind Überlegungen über die Zusammenhänge zwischen den in Abschnitt 3.3 auf der Potenzial-, der Prozess- und der Ergebnisdimension des Dienstleistungsunternehmens identifizierten Komplexitätsformen und den Kostenarten der Komplexität anzustellen. Es ist der Frage nachzugehen, welche Komplexitätsformen die Höhe der verschiedenen Komplexitätskostenarten beeinflussen. Auf die Komplexitätskosten der Planung geht grundsätzlich von allen Komplexitätsformen ein Einfluss aus, da die Aufgabe der langfristigen Gestaltung, die die Planung beinhaltet, sowohl die Dienstleistungsergebnisse, die Dienstleistungsprozesse als auch die dafür erforderlichen Dienstleistungspotenziale betrifft. Die Komplexität auf diesen drei Dimensionen erhöht den Planungsaufwand und resultiert entsprechend in Komplexitätskosten. 459 460 461
Vgl. z.B. Hohberger 2001, S. 10, 26ff. Hohberger bezeichnet die Kosten opportunistischen Verhaltens des Personals als Disincentivekosten. Vgl. Schulz 1994, S. 132. Schulz ordnet diesen Aspekt nicht den Opportunitätskosten, sondern den direkten Kosten der Komplexität zu. Vgl. zur Eindeutigkeit als Anforderung an Kostenarten Fußnote 210.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
139
Kostenart
Inhalt, Definition
Komplexitätskosten der Planung
Komplexitätskosten der Planung sind die aus der Komplexität resultierenden Kosten der langfristigen Gestaltung und Anpassung von Dienstleistungspotenzialen, -prozessen und -ergebnissen.
Komplexitätskosten der Koordination
Komplexitätskosten der Koordination sind die aufgrund der Potenzial-, Prozess- und Ergebniskomplexität entstehenden Kosten der operativen Steuerung und Abstimmung der Abläufe sowie der Kommunikation und des Informationsaustauschs, der für die Koordination erforderlich ist.
Komplexitätskosten der Dokumentation
Komplexitätskosten der Dokumentation sind die auf die Komplexität zurückzuführenden Kosten der Erfassung und Pflege von Daten über die Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse.
Komplexitätskosten durch Abweichung
Komplexitätskosten durch Abweichungen sind komplexitätsbedingt auftretende Kosten der Nachbesserung und Qualitätssicherung (z.B. infolge einer aus der Komplexität resultierenden höheren Fehlerquote in den Prozessen) und Kosten, die durch Prozessabweichungen auftreten (z.B. infolge der Integration des externen Faktors).
Komplexitätskosten derLeistungsbereitschaft
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft sind Kosten der bereitgehaltenen und u.U. nicht genutzten Leistungspotenziale (Leerkosten), die aufgrund der Prozess- und Ergebniskomplexität sowie der Aufrechterhaltung der Leistungsbereitschaft erforderlich sind.
Opportunitätskosten der Komplexität
Opportunitätskosten der Komplexität sind entgehende Umsätze/Deckungsbeiträge (leistungsbezogene Opportunitätskosten z.B. durch Kapazitätsengpässe, Fehlmengen oder Verwirrung der Kunden) sowie Kosten einer nicht optimalen Verwendung von Ressourcen (insb. der Arbeitszeit; tätigkeitsbezogene Opportunitätskosten), die infolge der Komplexität auftreten.
Tabelle 18:
Zusammenfassende Definitionen der Komplexitätskostenarten
Ebenso verhält es sich mit den Komplexitätskosten der Koordination: Auch wenn die Koordination primär in den Prozessen – speziell an den Schnittstellen, die eine Ausprägung der Prozesskomplexität sind – erforderlich ist, ist die Ursache für den Koordinationsaufwand auch in der Vielzahl, Vielfalt, Veränderlichkeit und Interdependenz der Leistungsergebnisse und der Leistungspotenziale zu sehen. Beispielsweise ist der Abstimmungsbedarf bei der Leistungserbringung umso höher, je vielzähliger und interdependenter die verschiedenen Teilleistungen einer Dienstleistung sind. Ebenso steigt der Koordinationsaufwand, je höher beispielsweise die Heterogenität und je geringer die Flexibilität der zur Leistungserbringung eingesetzten Mitarbeiter ausgeprägt sind. Folglich wird auch die Höhe dieser zusätzlichen Koordinationskosten durch die Komplexitätsformen aller drei Dienstleistungsdimensionen bestimmt. Gleiches gilt für die Komplexitätskosten der Dokumentation. Die Vielzahl, Vielfalt, Veränderlichkeit und Interdependenz erschwert die Erfassung und Pflege von Daten über die angebotenen – und z.B. bei Leistungsindividualisierungen davon abweichend tatsächlich erbrachten – Leistungen sowie über die dafür notwendigen Prozesse, Tätigkeiten und Leistungspotenziale. Auch die Menge, Heterogenität und Veränderlichkeit der in die Leistungserbringung zu integrierenden externen Faktoren bedingen höheren Dokumentationsbedarf und sind somit ausschlaggebend für die Höhe der Dokumentationskosten.
140
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Die Komplexitätskosten der Abweichung lassen sich ebenfalls auf alle drei Dienstleistungsdimensionen – und die entsprechenden Komplexitätsformen – zurückführen. Komplexitätsbedingte Abweichungen treten im Dienstleistungskontext primär in den Prozessen infolge der Integration des externen Faktors, also des Kunden oder dessen Verfügungsobjekts, auf. Darüber hinaus kann aber auch die Komplexität der Ergebnis- und der Potenzialdimension ursächlich sein für Abweichungen. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, dass ein Mitarbeiter in den Leistungserstellungsprozessen Fehler begeht, die auf die Unübersichtlichkeit des Leistungsprogramms zurückzuführen sind. Ebenso kann es aufgrund der Menge und Heterogenität der verfügbaren Leistungspotenziale zu einer fehlerhaften Einsatzplanung kommen, beispielsweise bei Mitarbeitern, so dass nicht die zu einem Zeitpunkt erforderlichen „richtigen“ (aus Kundensicht z.B. der gewohnte Kundenkontaktmitarbeiter) oder richtig qualifizierten Mitarbeiter verfügbar sind. Auch bei Technologien oder gegebenenfalls zum Einsatz kommenden sonstigen Materialien führen solche Verwechslungen zu komplexitätsbedingten Abweichungskosten. Auch die Opportunitätskosten der Komplexität können alle Komplexitätsformen als Ursache haben. Opportunitätskosten sind zum Beispiel Folge der Komplexität der Ergebnisdimension, wenn sie in Form entgangener Deckungsbeiträge durch Kannibalisierungseffekte zwischen Leistungsvarianten sowie durch Abwanderung von vom Leistungsangebot überforderten oder verwirrten Kunden auftreten. Darüber hinaus ergeben sich Opportunitätskosten aber auch aus komplexitätsbedingt nicht optimal verwendeten Ressourcen und können entsprechend also aus der Komplexität der Potenzialdimension entstehen (z.B. Verwendung der Arbeitszeit für nicht erforderliche Doppelarbeiten). Gleiches gilt für die Leistungs- und Supportprozesse sowie damit zusammenhängend für die einzelnen Aufgaben, die suboptimal gestaltet sein können, wodurch Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung ungenutzt bleiben. Opportunitätskosten entstehen auf der Prozessdimension auch infolge der Komplexität der externen Faktoren, wenn diese eine nicht optimale Einbindung von Kunden oder dessen Verfügungsobjekten in die Leistungserstellungsprozesse zur Folge hat (z.B. werden Aufgaben von Mitarbeitern durchgeführt, die der Kunde selbst hätte übernehmen können oder sollen). Prinzipiell besteht somit auch ein Einfluss der Prozesskomplexität auf die Opportunitätskosten der Komplexität. Die einzige Komplexitätskostenart, für die nicht die Komplexitätsformen aller drei Dienstleistungsdimensionen ursächlich sind, ist die der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft. Für diese Kostenart ist ausschließlich die Komplexität der Potenzialdimension ausschlaggebend. Zwar ist die Komplexität der Leistungspotenziale sicherlich abhängig von den Komplexitätsformen der Ergebnisund Prozessdimension. Die Kosten, die dadurch entstehen, dass die Potenziale für eine mögliche Nutzung durch den Kunden in ausreichender Menge und Viel-
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
141
falt vorgehalten werden, sind allerdings allein der Potenzial- und nicht der Ergebnis- und Prozessdimension zuzuordnen. Somit zeigt sich, dass auf die Komplexitätskostenarten – mit Ausnahme der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft – theoretisch ein Einfluss sämtlicher Komplexitätsformen möglich ist. Die Ausführungen verdeutlichen, dass mit den definierten Kostenarten der Komplexität Kostenwirkungen sämtlicher im Dienstleistungskontext identifizierten Komplexitätsformen berücksichtigt sind.
3.5
Nutzenwirkungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
Nach der Diskussion möglicher Kostenwirkungen als negative Konsequenz der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen wird in diesem Abschnitt der Komplexitätsnutzen als positive Wirkung betrachtet. Analog zum Aufbau der Ausführungen zu den Komplexitätskosten erfolgt zunächst eine Begriffsbestimmung, an die die Entwicklung einer Kategorisierung des Komplexitätsnutzens anschließt.
3.5.1
Definition: Der Begriff des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen
Als Nutzen wird allgemein die Fähigkeit eines Produkts, einer Leistung, einer Aktivität u.a.m. verstanden, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen.462 Aus Unternehmenssicht lässt sich der Nutzen eines Bezugsobjekts als dessen Beitrag zur Zielerreichung auffassen.463 Der Nutzen der Komplexität besteht folglich in Auswirkungen der Komplexität, die zur Erreichung der Ziele des Unternehmens beitragen.464 Ein umfassender und integrativer Bezugsrahmen, in welcher Form Komplexität zur Zielerreichung beiträgt, fehlt bisher allerdings genauso wie eine klare Definition des Begriffs Komplexitätsnutzen. Die mangelnde Auseinander-
462 463 464
Vgl. o.V. 2010c, S. 2229. Vgl. ähnlich in Bezug auf den Nutzen des Kundenbindungsmanagements Bruhn/Georgi 2009, S. 644. Vgl. allgemein zur Zweck- und Zielorientiertheit von komplexen Systemen Ulrich 2001, S. 144ff., 209ff. und S. 234ff. zur Zweck- und Zielorientiertheit von Unternehmen als offene soziale Systeme.
142
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
setzung mit den Nutzenwirkungen führt Rathnow auf eine im Vergleich zu Kostenwirkungen relativ schwierige Analyse und Steuerung des Nutzens zurück.465 Dieses Problem wird verstärkt durch eine inhaltlich nur auf wenige Aspekte beschränkte Darstellung des Komplexitätsnutzens in der bestehenden Diskussion. In der Literatur wird i.d.R. eine Einschränkung auf die Ergebniskomplexität und damit verbundene ökonomische marktbezogene Wirkungen wie den Umsatz vorgenommen.466 Wildemann vertritt die Ansicht, dass bei Komplexitätskosten eine Unterscheidung von kundennutzenbeeinflussenden und kundennutzenneutralen Kosten erforderlich ist.467 Mit dieser Ansicht übereinstimmend wird in der Literatur häufig der Kundennutzen als Ausgangspunkt der Argumentation zum Komplexitätsnutzen gewählt, mit der Begründung, dass zusätzliche Varianten oder Leistungsindividualisierungen angeboten werden, um zum einen neue Kundengruppen zu erschließen und zum anderen einen der Konkurrenz überlegenen Kundennutzen zu schaffen. Damit verbunden ist eine einseitige Betrachtung ausschließlich der Erlöswirkungen eines variantenreichen Leistungsprogramms (Ergebniskomplexität).468 Adam, der den Komplexitätsnutzen ebenfalls nur in Bezug auf Erlöswirkungen der Variantenzahl darstellt, nennt dieses Vorgehen allerdings eine eindimensionale Betrachtungsweise469 und stellt an anderer Stelle fest, dass zu anderen Aspekten der Komplexität analoge Überlegungen zu Nutzenwirkungen anzustellen sind.470 In diese Richtung geht die auf komplexitätstheoretischen Überlegungen471 basierende Diskussion des Nutzens verschiedener Komplexitätsformen im Unternehmen von Bliss.472 Dabei kommt allerdings auch er zu dem Ergebnis, dass lediglich die Formen der Ergebniskomplexität – also die Komplexität des Leistungsangebots und damit verbunden die Kundenstrukturkomplexität – Nutzenpotenzi465 466 467 468
469 470 471
472
Vgl. Rathnow 1993, S. 61. Rathnow bezieht sich allerdings nur auf den Nutzen der Variantenvielfalt. Vgl. den Stand der Forschung zu Aspekten des Komplexitätsnutzens in Abschnitt 2.4. Vgl. Wildemann 2008a, S. 369f. Vgl. z.B. Rathnow 1993, S. 11ff.; Meffert 2000, S. 1037ff. Für eine allgemeinere Betrachtung des Umsatzpotenzials bzw. Marktanteils sowie des Umsatzes vgl. Coenenberg/Prillmann 1995, S. 1235ff. Vgl. Adam 2004, S. 25. Vgl. Adam/Johannwille 1998, S. 11. Seine Argumentation zu Bestimmungsgrößen einer „guten Systemkomplexität“ baut Bliss auf Ashbys Gesetz der erforderlichen Varietät sowie Luhmanns Satz der erforderlichen Selektivität auf (vgl. Bliss 2000, S. 133ff.). Vgl. Bliss 2000, S. 163ff.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
143
ale aufweisen, da diese ihre Ursache in externen Marktanforderungen haben und daraus eine Berechtigung erhalten: Durch die differenzierte Marktbearbeitung in Reaktion auf die externen Anforderungen entsteht aus den Komplexitätsformen Nutzen für das Unternehmen.473 Dieser Argumentation zufolge haben andere interne Komplexitätsformen wie z.B. die Organisations- und die Prozesskomplexität keine unmittelbare Entsprechung in der Marktkomplexität474 und führen ausschließlich zu Kosten- und nicht zu Nutzenwirkungen. Gerade an dieser Argumentation zeigt sich aber, dass bei Betrachtung der Nutzenwirkungen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen eine Fokussierung auf die Komplexität der Ergebnisdimension zu kurz greift. Bliss nimmt eine rein produktbezogene Sichtweise ein, die nicht die Integration des externen Faktors als Besonderheit von Dienstleistungen berücksichtigt. Durch die Integration des Kunden kommt dieser aber mit den Leistungspotenzialen und -prozessen in Kontakt, wodurch auch die internen Komplexitätsformen auf Potenzial- und Prozessdimension Bedeutung bei der Erfüllung von Marktanforderungen, insbesondere den Kundenbedürfnissen, erhalten und somit das Potenzial haben, Nutzen zu generieren. Dies gilt insbesondere bei Dienstleistungen, bei denen der Nutzen für den Kunden aus der passiven (z.B. ein Theaterbesuch) oder aktiven Beteiligung (z.B. Herausforderung und Motivation bei der Mitarbeit in einem Beratungsprojekt) am Prozess der Leistungserbringung resultiert.475 Darüber hinaus verdeutlichen die im Stand der Forschung zitierten Studien476, dass der Nutzen nicht auf ökonomische Ziele (Erlöse) beschränkt ist, sondern in der Wirkungskette zwischen Aktivitäten des Unternehmens und ökonomischem Erfolg auch vorökonomische Ziele – psychologische und Verhaltensziele – betreffen kann.477 Dies berücksichtigt beispielsweise die Arbeit von Riemenschneider, in der verschiedene affektive und kognitive Facetten des Kundennutzens der
473 474 475 476 477
Bliss nennt diese Komplexitätsformen aufgrund des engen Zusammenhangs mit der externen Komplexität auch korrelierte interne Komplexität (vgl. Bliss 2000, S. 6). Diese internen Komplexitätsformen zählt Bliss entsprechend zur so genannten autonomen Unternehmenskomplexität (vgl. Bliss 2000, S. 6f.). Vgl. zu kundenseitigen Motiven der Kundenintegration z.B. Reichwald/Ihl/Seifert 2005, S. 275f. Vgl. Abschnitt 2.4. Vgl. zu Grundidee und Aufbau der Wirkungskette – ausgehend von Unternehmensaktivitäten über psychologische und Verhaltenswirkungen beim Kunden bis hin zu ökonomischen Wirkungen auf Unternehmensebene – z.B. Bruhn 2009b, S. 66f.
144
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Produktvielfalt untersucht werden.478 Zudem besteht Nutzen der Komplexität nicht ausschließlich in einem Beitrag zu kunden- und marktgerichteten Zielgrößen – z.B. die Kundenwahrnehmung eines umfassenden Leistungsangebots, Umsatzsteigerungen und Markterschließung bzw. -sicherung –, sondern ist grundsätzlich auch in Form eines Beitrags zu internen Zielgrößen denkbar, wie z.B. zur Motivation der Mitarbeiter oder der Nutzung von Synergieeffekten.479 Diese internen Wirkungen der Komplexität sind ebenfalls von Bedeutung für die Zielerreichung eines Unternehmens. Unter Berücksichtigung des allgemeinen Nutzenbegriffs, der Bedeutung sowohl der Ergebnis- als auch der Potenzial- und Prozessdimension sowie interner und externer vorökonomischer und ökonomischer Zielgrößen lässt sich der Begriff des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen daher folgendermaßen definieren: Komplexitätsnutzen in Dienstleistungsunternehmen ist der aus der Komplexität der Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse resultierende Beitrag zur Erreichung sowohl unternehmensinterner als auch markt- und kundenbezogener vorökonomischer und ökonomischer Ziele des Dienstleistungsunternehmens.
Die nachfolgende Erarbeitung von Kategorien des Komplexitätsnutzens dient der inhaltlichen Konkretisierung dieser Definition.
3.5.2
Kategorisierung des Komplexitätsnutzens in Dienstleistungsunternehmen
Zur Entwicklung eines Bezugsrahmens der Nutzenwirkungen von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen wird entsprechend der Definition auf das Zielsystem des Dienstleistungsanbieters zurückgegriffen.480 Dieses Zielsystem umfasst nach Meffert und Bruhn u.a. zwei zentrale Bereiche: kundengerichtete und 478
479 480
Vgl. Riemenschneider 2006, S. 210f., 290ff. Die auf Produkte bezogene Studie umfasst Spaß am Einkaufen und positive Emotionen als affektive sowie den antizipierten Produktnutzen, Erfolgsaussichten und Informationsmöglichkeiten als kognitive Aspekte des Nutzens der Produktvielfalt. Vgl. auch die Ausführungen im folgenden Abschnitt 3.5.2. Vgl. zu einer ähnlichen Vorgehensweise Lasch/Gießmann 2009, S. 223ff., die die Kriterien zur Bewertung von Komplexitätsursachen in der Beschaffungslogistik aus logistischen Zielgrößen ableiten.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
145
Nutzen der Komplexität
Verhaltenswirkungen
Synergieeffekte
Psychologische Wirkungen
Kundenbezogene Nutzenkategorien
Unternehmensbezogene Nutzenkategorien
unternehmensgerichtete Ziele.481 Die in der Definition des Komplexitätsnutzens berücksichtigte Unterscheidung in vorökonomische und ökonomische Ziele ist in dieser Aufteilung implizit enthalten. Auf Unternehmensebene werden primär ökonomische Zielgrößen verfolgt, zu deren Erreichung auf Kundenebene vorökonomische Ziele beitragen. Im Folgenden wird diskutiert, welche die zentralen von der Komplexität beeinflussten Aspekte dieses Zielsystems sind und worin folglich ein Zielerreichungsbeitrag der Komplexität besteht. Abbildung 10 gibt einen Überblick über die daraus resultierenden Nutzenkategorien der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen.
Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen der Komplexität)
Produktivitätseffekte
Wiederkauf-/CrossBuying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen der Komplexität)
Komplexitätsnutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen)
Umsatz
Höhere Zahlungsbereitschaft/geringere Preissensibilität neuer oder bestehender Kunden
Komplexitätsnutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen)
Abbildung 10: Überblick über Nutzenkategorien der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen
481
Vgl. Meffert/Bruhn 2009, S. 141ff. Eine dritte Kategorie besteht in mitarbeitergerichteten Zielen, die sich den unternehmensgerichteten Zielsetzungen subsumieren lassen, wenn Mitarbeiter als Teil des Systems „Unternehmen“ angesehen werden.
146
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.5.2.1 Unternehmensbezogene Ziele und Komplexitätsnutzen Auf Unternehmensebene ist ein Einfluss der Komplexität auf den Umsatz sowie auf Synergie- und Produktivitätseffekte möglich. Marktsicherungs- und Umsatzargumente werden häufig als Ursache und Begründung für eine Erhöhung der Ergebniskomplexität (durch eine Steigerung der Leistungsvielfalt und das Angebot von Leistungsindividualisierungen) angeführt.482 Durch die Leistungsvielfalt erfolgt eine bessere Anpassung an Kundenwünsche, was zwei Effekte mit sich bringt: Zum einen erhöht sich die Absatzmenge (Mengeneffekt), z.B. durch die Erschließung neuer oder die bessere Durchdringung bestehender Kundensegmente (beispielsweise in Form von Cross Buying bestehender Kunden, die verschiedene Dienstleistungen in Anspruch nehmen).483 Zum anderen besteht ein Preiseffekt, wenn es gelingt, aufgrund der besseren Erfüllung von Kundenwünschen eine höhere Preisbereitschaft zu generieren und höhere Preise durchzusetzen.484 Sowohl höhere Absatzmengen als auch -preise haben Einfluss auf den Umsatz. Damit ist – auch für Dienstleistungsunternehmen – der Umsatz eine Nutzenkategorie der Komplexität. Neben einer umsatzsteigernden Wirkung ist infolge der Komplexität zudem eine Effizienzsteigerung bei der Nutzung von bestehenden Ressourcen durch Synergie- und Produktivitätseffekte möglich, die ökonomische Ziele der Produkt- und Programmpolitik darstellen.485 Synergieeffekte entstehen, wenn bereitgestellte Leistungspotenziale und -prozesse, die noch nicht voll ausgelastet sind, oder bestehendes Know-how genutzt werden, um weitere Dienstleistungen oder Dienstleistungsvarianten anzubieten.486 Bohne nennt ungenutzte Kapazitätsreserven auch Komplexitätshandhabungspotenzial.487 Dabei handelt es sich um das nutzenseitige „Gegenstück“ des in der Komplexitätsliteratur thematisierten sprungfixen Charakters von Komplexitätskosten, der darauf beruht, dass ein Anstieg der Komplexität zunächst mit bestehenden Ressourcen – z.B. in indirekten Unternehmensbereichen durch Mitarbeiter, in der Leistungserbringung auch mit den 482 483
484 485 486
487
Vgl. zu dieser Einschätzung auch Schweikart 1997, S. 76. Vgl. Rathnow 1993, S. 13; Meffert 2000, S. 1037, 1041. Die Autoren sprechen nur die Erschließung neuer Kundengruppen an. Daneben ist aber auch eine Intensivierung des Absatzes in bestehenden Marktsegmenten denkbar (vgl. z.B. Bruhn 2009b, S. 192f.). Vgl. z.B. Rathnow 1993, S. 13; Schweikart 1997, S. 71. Vgl. Meffert 2000, S. 331. Vgl. Schweikart 1997, S. 79f. Schweikart nennt diese Nutzung von Synergien kosteninduzierte Economies of Scope. Hierzu zählt er auch sinkende Faktorpreise infolge von Mengeneffekten. Vgl. Bohne 1998, S. 157.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
147
eingesetzten Technologien – bewältigt werden kann, ab einem bestimmten Ausmaß aber eine Erhöhung der Kapazitäten erforderlich wird.488 Bis zu dieser notwendigen Kapazitätserhöhung ist allerdings eine bessere Ausnutzung bestehender Dienstleistungspotenziale und -prozesse möglich. Produktivitätseffekte entstehen durch Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie durch die damit einhergehenden Lerneffekte im Unternehmen.489 Die Produktivitätseffekte durch Spezialisierung und Lerneffekte sind umso größer, je spezialisierter die Aufgaben zur Erbringung der Dienstleistung durchgeführt werden. Dies erfordert allerdings die Bereitstellung einer breiten Palette spezialisierter Dienstleistungspotenziale (Mitarbeiter, Technologien, Materialien) sowie stark fragmentierte Prozesse mit vielen Schnittstellen. Durch die Komplexität der Potenziale und Prozesse lässt sich somit Nutzen in Form von Produktivitätssteigerungen generieren.490 Produktivitätseffekte lassen sich darüber hinaus aber auch über die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter erzielen.491 Zentraler Ansatzpunkt ist hierbei die Aufgabenkomplexität. Wie im Stand der Forschung bereits dargestellt, konnte empirisch gezeigt werden, dass die wahrgenommene Aufgabenkomplexität die Motivation zur Aufgabenerfüllung steigert492 und dass die Zufriedenheit von Mitarbeitern bei hoher wahrgenommener Aufgabenkomplexität größer ist als bei niedriger wahrgenommener Aufgabenkomplexität.493 Eine mögliche Erklärung für diese Effekte liefert die verhaltenswissenschaftliche Lambda-Hypothese, nach der die Komplexität eines Stimulus die Aktivierung und darüber die Leistung der stimulierten Person erhöht.494 Ab einem gewissen Aktivierungsniveau – im Kontext der vorliegenden Arbeit also z.B. eine zu hohe Aufgabenkomplexität – nimmt das Leistungsniveau allerdings wieder ab. Dennoch lässt sich bei entsprechender Gestaltung der Aufgaben eine Motivations- und Produktivitätssteigerung durch die Komplexität der Aufgaben erreichen. Auch eine Senkung von Fehlzeiten – als nutzenseitiger Gegenpol zu den komplexitätsbe488 489 490
491 492
493 494
Vgl. z.B. Adam 1998, S. 49; Meffert 2000, S. 1040; Meyer 2007, S. 32. Vgl. Picot/Freudenberg 1998, S. 70f. Der Nutzen durch Spezialisierung steht entsprechend den Kosten der Planung und Koordination der Potenziale und fragmentierten Prozesse gegenüber (vgl. z.B. Berens/Schmitting 1998, S. 98). Vgl. hierzu auch das Zielsystem von Meffert/Bruhn 2009, S. 145ff. Vgl. Maynard/Hakel 1997, S. 324. Vgl. z.B. auch Efstathiou 2002, S. 76. Die Autorin argumentiert, dass bis zu einem gewissen Ausmaß ein Komplexitätsanstieg eine Aufgabe interessanter werden lässt und Mitarbeiterzufriedenheit hervorruft. Vgl. Park/Baker/Lee 2008, S. 113ff. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 78.
148
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
dingten Opportunitätskosten durch Absentismus495 – kann als produktivere Nutzung der Personalkapazitäten aufgefasst werden.
3.5.2.2 Kundenbezogene Ziele und Komplexitätsnutzen Aufgrund der weit verbreiteten Argumentation, dass die Marktbearbeitung die Schnittstelle zwischen externer und interner Komplexität des Unternehmens bildet, und der damit verbundenen Dominanz marktbezogener Argumente für eine unternehmensinterne Komplexitätserhöhung kommt kundenbezogenen Zielgrößen bei der Beurteilung von Komplexität eine besondere Bedeutung zu. Als mögliche Nutzenkategorien der Komplexität rücken daher Marketingziele des Dienstleistungsanbieters in den Mittelpunkt der Überlegungen. In Bezug auf den Kunden werden in der Marketingliteratur vielfältigste vorökonomische Ziele diskutiert, die sich am Kaufverhalten und dessen Einflussgrößen orientieren.496 Die vorökonomischen Ziele lassen sich dabei anhand einer Kausalitätskette strukturieren, die die Wirkungen zwischen Maßnahmen eines Unternehmens und dessen ökonomischem Erfolg abbildet. Diese Wirkungskette umfasst psychologische Wirkungen sowie Verhaltenswirkungen beim Kunden.497 Versteht man die Komplexität als die die Wirkungskette auslösende Maßnahme des Dienstleistungsanbieters, bilden die psychologischen Wirkungen dieser Komplexität beim Kunden sowie dessen daraus resultierendes Verhalten Nutzenkategorien der Komplexität. Als Ausganspunkt der psychologischen Wirkungen ist die Kundenwahrnehmung der Komplexität anzusehen. Empirische Erkenntnisse über die Wirkungen der Komplexitätswahrnehmung konnte Kebbel gewinnen, die einen überwiegend positiven Einfluss der wahrgenommenen Komplexität auf die Qualitätswahrnehmung von Dienstleistungen nachweist.498 Mit der wahrgenommenen Leis-
495 496
497 498
Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.4.2. Vgl. Bruhn 2009b, S. 68ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 142. Neben vorökonomischen Zielen werden auch ökonomische Ziele mit Kundenbezug diskutiert, wie beispielsweise Kundendeckungsbeiträge oder der Customer Lifetime Value, die allerdings für das hier gewählte Aggregationsniveau nicht relevant sind. Vgl. z.B. Bruhn 2009b, S. 66ff. sowie zur Strukturierung von Zielen anhand dieser Wirkungskette S. 102ff. Vgl. Kebbel 2000, S. 158ff.; Homburg/Kebbel 2001, S. 492ff. Resultat der Untersuchung ist u.a. ein positiver Einfluss der Anzahl an Dienstleistungselementen auf die wahrgenommene Potenzial-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie ein ebenfalls positiver Effekt der Heterogenität der Elemente auf die Ergebnisqualität. Vgl. auch Abschnitt 2.4.2 sowie zu Kritik an der Studie Abschnitt 2.2.1 dieser Arbeit.
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
149
tungsqualität betrachtet Kebbel allerdings nur einen Teilaspekt der Kundenwahrnehmung. Eine umfassendere psychologische Größe ist im wahrgenommenen Wert zu sehen, der sich von der Leistungsqualität dadurch unterscheidet, dass er neben dem Kundennutzen (i.e. der Leistung bzw. deren Qualität) auch den wahrgenommenen Aufwand des Kunden berücksichtigt (z.B. monetärer Aufwand oder Zeitaufwand für Informationsbeschaffung).499 Aufgrund des bei Dienstleistungen häufig relativ umfangreichen eigenen Beitrags, den der Kunde bei der Dienstleistungserbringung leisten muss (z.B. in Form von Zeitaufwand, wenn seine Anwesenheit erforderlich ist, oder in Form eines temporären Verzichts auf materielle oder nominale Güter, an denen Dienstleistungen erbracht werden), ist der wahrgenommene Wert im Kontext der vorliegenden Arbeit der wahrgenommenen Leistungsqualität als Zielgröße vorzuziehen. Gegenstand der Kundenwahrnehmung sind dabei grundsätzlich alle drei Dienstleistungsdimensionen, also sowohl die Potenziale als auch die Prozesse und Ergebnisse:500 Kunden werden mit dem Leistungsprogramm und einzelnen Dienstleistungen – in Verbindung mit den zugehörigen Kommunikationsmaßnahmen, dem Preissystem sowie den verfügbaren Vertriebsaktivitäten des Anbieters – konfrontiert. Darüber hinaus stehen sie aber durch die Integration in die Leistungserstellung in direktem Kontakt mit den Dienstleistungsprozessen und den hierfür erforderlichen Dienstleistungspotenzialen. Nutzen in Form eines wahrgenommenen Wertes der Komplexität ergibt sich daher ebenfalls aus der Komplexität der Potenzial-, der Prozess- und der Ergebnisdimension. Die Komplexität dieser drei Dimensionen ermöglicht insbesondere den hohen Anpassungsgrad an die Kundenbedürfnisse durch ein breites und tiefes Dienstleistungsangebot sowie Individualisierungsmöglichkeiten,501 woraus Komplexitätsnutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung entsteht. Eine dienstleistungsspezifische Besonderheit besteht bei dem aus der Potenzialund Prozesskomplexität entstehenden Nutzen. Aufgrund der Immaterialität der 499
500 501
Vgl. Zeithaml 1988, S. 14; Ravald/Grönroos 1996, S. 21f.; Sirdeshmukh/Singh/Sabol 2002, S. 21; Bruhn 2009b, S. 73f. Vgl. zudem auch die Arbeit von Riemenschneider, der den vom Kunden wahrgenommenen Wert der Produktvielfalt am Point of Sale ebenfalls über eine Nutzen- und eine Kostendimension konzeptualisiert. Letztere umfasst Aufwand und Anstrengungen, negative Emotionen/Verwirrung und Frustration sowie antizipierte Nachkaufdissonanzen (vgl. Riemenschneider 2006, S. 208ff.). In Analogie zur subjektiven Komplexität von Mitarbeitern kann diese Kundenwahrnehmung auch als subjektive Komplexität der Kunden bezeichnet werden. Vgl. Abschnitt 3.5.2.1 sowie auch den folgenden Abschnitt 3.5.3, in dem Überlegungen zu den Zusammenhängen zwischen den Komplexitätsformen und den Nutzenkategorien angestellt werden.
150
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
Dienstleistung ist es häufig für den Anbieter erforderlich, Leistungspotenziale vorzuhalten, die dann bei Bedarf von Kunden in Anspruch genommen werden (z.B. eine bestimmte Mitarbeiterkapazität an den Schaltern einer Bank). Die Menge, Heterogenität und Anpassungsmöglichkeiten der Dienstleistungspotenziale und -prozesse generieren einen Bereitstellungsnutzen für den Kunden in Form von Verfügbarkeit und Flexibilität.502 Entsprechend resultiert aus der Komplexität ein Komplexitätsnutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität der Leistungspotenziale und -prozesse. Letztendlich relevant – da direkt ursächlich für den Umsatz als ökonomischer Nutzen auf Unternehmensebene – ist die Verhaltenswirkung in Form des Kaufverhaltens von Kunden. Der zur Umsatzsteigerung beitragende Mengeneffekt, der mit der Komplexität erreicht werden kann, setzt sich zusammen aus Erstkäufen (bei der Erschließung neuer Kundensegmente oder Gewinnung neuer Kunden in bestehenden Segmenten) sowie Wiederkäufen und/oder Cross Buying bei bestehenden Kunden. Somit sind dem Umsatz zwei Verhaltensziele vorgeschaltet, die die Komplexität zu unterstützen hat: ein Kundenakquisitionsziel und ein Kundenbindungsziel. Der beabsichtigte Nutzen lässt sich analog als Kundenakquisitionsnutzen respektive Kundenbindungsnutzen der Komplexität bezeichnen. Neben dem Mengeneffekt ist eine Umsatzsteigerung zudem über einen ebenfalls den Verhaltenswirkungen zuzuordnenden Preiseffekt realisierbar.503 Eine erhöhte Preisbereitschaft kann sich einerseits aus der aus Potenzial- und Prozesskomplexität resultierenden Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters, andererseits 502
503
Zur Verfügbarkeit vgl. z.B. Meffert/Bruhn 2009, S. 37f. Der Bereitstellungsnutzen der Verfügbarkeit wird dem Kunden nach Auffassung der Autoren häufig nur in negativer Form bewusst, wenn es zu Kapazitätsengpässen kommt und die gewünschte Dienstleistung nicht verfügbar ist. Zur Flexibilität als Teilziel der Kundenorientierung im Unternehmen vgl. Homburg 1998, S. 76; Bruhn 2002, S. 39f. Berens und Schmitting stellen bezüglich der Ressourcen fest, dass häufig „versucht wird, Flexibilität durch Komplexität zu erkaufen“ (Berens/Schmitting 1998, S. 108). Reiß spricht in diesem Zusammenhang vom Komplexitätspotenzial, das das Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten und Qualifikationen, die Schnelligkeit von Anpassungsvorgängen, die Verfügbarkeit von Reserven u.a.m. umfasst und bedarfsgerecht, d.h. so zu gestalten ist, dass Anforderungen z.B. des Unternehmensumfelds (von Reiß Komplexitätsbedarf genannt) erfüllt werden können (vgl. Reiß 1993b, S. 57; Reiß 1993c, S. 133). Vgl. Rathnow 1993, S. 9, 13; Schweikart 1997, S. 77. Homburg und Bruhn ordnen die Preisbereitschaft in der Wirkungskette von psychologischen und Verhaltenswirkungen der Verhaltensebene zu und konzeptualisieren die Kundenbindung u.a. über das faktische Verhalten (Preiserhöhungsakzeptanz) und die Verhaltensabsicht (Preiserhöhungstoleranz; vgl. Homburg/Bruhn 2009, S. 8f.; ähnlich auch Jensen 2009, S. 575f.).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
151
aus der hohen Bedürfnisbefriedigung durch Leistungsvielfalt und -individualisierungsmöglichkeiten – also aus der Ergebniskomplexität – ergeben. Auch ist die Abschöpfung der Zahlungsbereitschaften von Kunden beispielsweise durch das Angebot von Leistungsbündeln möglich,504 für die ebenfalls Komplexität in Form eines entsprechend heterogenen Leistungsangebots erforderlich ist. Tabelle 19 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die Nutzenkategorien der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. Mit dieser Systematik sind die mit Komplexität in Dienstleistungsunternehmen erzielbaren Nutzenwirkungen interner und markt- bzw. kundengerichteter sowie vorökonomischer und ökonomischer Art berücksichtigt und ein umfassendes Bild des Komplexitätsnutzens gewährleistet. Nutzenkategorie
Inhalt, Definition
Komplexitätsnutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen)
Von Kunden wahrgenommener Wert, der aus der hohen Bedürfnisbefriedigung durch Leistungsvielfalt und -individualisierungsmöglichkeiten resultiert
Komplexitätsnutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität der Leistungspotenziale und -prozesse (Bereitstellungsnutzen)
Von Kunden wahrgenommener Wert, der aus der Verfügbarkeit und Flexibilität der Leistungspotenziale und -prozesse (Bereitstellungsnutzen) resultiert
Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen)
Erstkauf als Verhaltenswirkung infolge des von Kunden wahrgenommenen Wertes, der auf die Komplexität des Unternehmens zurückzuführen ist
Wiederkauf- und Cross-Buying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen)
Wiederkauf und Cross Buying als Verhaltenswirkung infolge des von Kunden wahrgenommenen Wertes, der auf die Komplexität des Unternehmens zurückzuführen ist
Zahlungsbereitschaft
Höhere Zahlungsbereitschaft oder geringere Preissensibilität infolge des von Kunden wahrgenommenen Wertes, der auf die Komplexität des Unternehmens zurückzuführen ist
Umsatz
Umsatzsteigerung durch Mengen- und/oder Preiseffekte, die auf die Komplexität und den daraus resultierenden von Kunden wahrgenommenen Wert zurückzuführen sind
Synergieeffekte
Bessere Auslastung von bestehenden Ressourcen, Know-how und Prozessen durch das Angebot einer breiten Palette an Leistungskategorien, -varianten oder -individualisierungen
Produktivitätseffekte
Steigerung der Produktivität durch Spezialisierung, Arbeitsteilung, Lerneffekte und/oder Mitarbeitermotivation
Tabelle 19:
504
Zusammenfassende Definitionen der Komplexitätsnutzenkategorien
Vgl. z.B. Diller 2009, S. 461f.
152
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
3.5.3
Zusammenhänge zwischen Komplexitätsformen und Komplexitätsnutzen
Für eine Beurteilung der Komplexitätsformen und -ausprägungen hinsichtlich ihrer Nutzenwirkungen ist eine inhaltliche Verknüpfung der Komplexitätsformen mit den Komplexitätsnutzenkategorien erforderlich, d.h., es sind Überlegungen darüber anzustellen, aus welchen Komplexitätsformen welcher Nutzen entsteht. Auch wenn diese sich zum Teil bereits unmittelbar aus der Ableitung und Definition der Nutzenkategorien im vorherigen Abschnitt ergeben, wird an dieser Stelle noch einmal explizit auf die Zusammenhänge eingegangen. Wie in Abbildung 10 des vorhergehenden Abschnitts dargestellt, wird den Nutzenkategorien, die im Umsatz resultieren, der Grundgedanke der Wirkungskette aus psychologischen und Verhaltenswirkungen beim Kunden zugrunde gelegt. Aufgrund dieser Strukturierung lässt sich die Gesamtheit der Nutzenkategorien in zwei Gruppen einteilen: Zur ersten Gruppe sind die Nutzenarten zu zählen, auf die ein direkter Einfluss der Komplexität des Unternehmens ausgeht. Dabei handelt es sich um die Synergie- und Produktivitätseffekte sowie die Wahrnehmungswirkungen beim Kunden. Die zweite Gruppe von Nutzenkategorien umfasst die indirekten Wirkungen der Komplexität. Dies sind zum einen die Verhaltenswirkungen beim Kunden, die aus den direkt beeinflussten Wahrnehmungskategorien resultieren, sowie zum anderen der aus dem Kundenverhalten entstehende Umsatz auf Unternehmensebene. Im Folgenden wird diskutiert, welchen direkten Einfluss die Komplexität auf die Nutzenkategorien der ersten Gruppe hat. Ein Einfluss auf den Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung geht primär von der Komplexität der Ergebnisdimension aus. Dieser Nutzen wird gerade durch eine segmentspezifische Marktbearbeitung (Kundenstrukturkomplexität), ein entsprechend breites und tiefes Leistungsangebot (Leistungsprogrammkomplexität) sowie Leistungsindividualisierungen (Dienstleistungskomplexität) vom Unternehmen angestrebt. Darüber hinaus besteht aber auch bei Potenzialen und Prozessen die Möglichkeit, Vielfalt und Individualisierung umzusetzen und so die Wahrnehmung des Kunden positiv zu beeinflussen. Beispielsweise ist es – je nach Dienstleistung und Bedeutung des Kunden – zumindest theoretisch möglich, kundenindividuelle Mitarbeiter oder Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen (z.B. erfolgt die Zubereitung von Teppan Yaki-Speisen in japanischen Restaurants direkt am Tisch des Gastes). Gerade bei Materialien oder technischen Geräten, die die Dienstleistungserbringung unterstützen, ist eine kundenindividuelle Anschaffung oder Bereitstellung durch den Anbieter denkbar. Auch besteht bezüglich der Leistungsprozesse die Möglichkeit, dem Kunden verschiedene Varianten anzubieten, aus denen er die für ihn geeignete
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
153
auswählen kann. Beispielhaft seien hier die verschiedenen von Banken angebotenen Möglichkeiten genannt, Transaktionen über Telefon, Online-Banking, am Schalter oder am Selbstbedienungsterminal durchzuführen. Auch kann dem Kunden die Wahlmöglichkeit zwischen einer Leistungserbringung am Unternehmensstandort oder am Ort des Kunden (Arbeits- oder Wohnort) gegeben werden (z.B. bei Beratungsgesprächen, aber auch bei Dienstleistungen an mobilen Verfügungsobjekten wie dem PKW des Kunden). Somit lässt sich der vom Kunden wahrgenommene Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung durch die Komplexität aller drei Dienstleistungsdimensionen beeinflussen. Ein anderes Bild ergibt sich bei dem Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen). Wie bei der Darstellung der Nutzenkategorien angedeutet, entsteht dieser Nutzen allein aus der Bereitstellung von Leistungspotenzialen und zeitlich sowie inhaltlich flexiblen Prozessen. So kann es einem Kunden beispielsweise unabhängig von der eigentlichen Dienstleistung einer Bank (den abzuwickelnden Transaktionen) wichtig sein, auch abends oder an Samstagen die Möglichkeit zu haben, seine Bankgeschäfte am Schalter erledigen zu können. Auch kann für einen Mobilfunkkunden die Netzverfügbarkeit das entscheidende Kriterium sein, während ihm die Komplexität des Leistungsangebots oder der Dienstleistung (z.B. neben der Telefonie das mobile Internet, SMS- oder MMS-Versand, u.a.m.) unwichtig ist. Der vom Kunden wahrgenommene Wert aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters ist entsprechend ausschließlich auf die Komplexität der bereitgestellten Potenziale und Prozesse zurückzuführen. Die Nutzung von Synergieeffekten ist grundsätzlich auf zwei Arten möglich. Die erste Alternative besteht in einer Veränderung der Komplexität auf der Ergebnisdimension, durch die eine bessere Nutzung gegebener Prozesse und Potenziale erreicht wird. So können bestehendes Know-how, bestehende Prozesse und Potenziale (z.B. Räumlichkeiten, Mitarbeiter) genutzt werden, um weitere Marktsegmente zu erschließen und/oder zusätzliche Leistungen oder Leistungsvarianten in das Angebot aufzunehmen. Die zweite Alternative umfasst die Erhöhung der Komplexität der Potenziale und Prozesse, z.B. über eine Variation der Vielfalt, Dynamik oder Interdependenz, um eine bessere Ausnutzung bei der Erbringung des gegebenen Leistungsangebots zu erreichen. Folglich lässt sich Komplexitätsnutzen in Form von Synergieeffekten durch die Komplexitätsformen auf Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension erzielen. Dagegen entstehen Produktivitätseffekte als Nutzen der Komplexität nur aus der Komplexität der Prozess- und der Potenzialdimension. Wie in Abschnitt 3.5.2.1 dargelegt, bestehen Produktivitätseffekte der Komplexität in Lerneffekten als Resultat der Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie in Motivationseffekten, die sich aus einem komplexen und damit anspruchsvollen Arbeitsumfeld erge-
154
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
ben. Die Komplexität der Ergebnisdimension hat keinen bzw. nur einen indirekten Effekt auf die Produktivität. In Bezug auf die Produktivitätssteigerung durch Motivation ist die Ergebniskomplexität ein Teilaspekt des anspruchsvollen Tätigkeitsbereichs von Mitarbeitern und kann sich somit auch auf dessen Motivation und Produktivität auswirken. Ein darüber hinaus gehender direkter Einfluss der Ergebniskomplexität auf die Produktivität besteht nicht.505 In Bezug auf Produktivitätseffekte durch Lerneffekte ist die Ergebniskomplexität sogar als kontraproduktiv anzusehen, da durch eine ausgeprägte Differenzierung der Marktbearbeitung i.V.m. entsprechend vielen Leistungskategorien und -varianten bzw. -individualisierungen die Aufgaben heterogener werden und damit die Erfahrungsund Lerneffekte bei einzelnen Aufgaben zwangsläufig abnehmen.506
3.6
Zusammenfassende Darstellung des Bezugsrahmens der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen
Ziel von Kapitel 3 war es, zur Beantwortung der Forschungsfrage (1) einen Bezugsrahmen zu entwickeln, der die Komplexität sowie ihre Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen umfassend abbildet. Hierzu wurden in Abschnitt 3.3 die im Dienstleistungskontext relevanten Komplexitätsformen, in Abschnitt 3.4 die möglichen Komplexitätskostenarten sowie in Abschnitt 3.5 die durch Komplexität beeinflussbaren Nutzenaspekte herausgearbeitet. Dabei wurden auch die Zusammenhänge zwischen den Komplexitätsformen, zwischen der Komplexität und den Kostenarten sowie zwischen der Komplexität und den Nutzenkategorien diskutiert. In Abbildung 11 ist der sich daraus zusammensetzende Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen im Gesamtzusammenhang dargestellt.507 505
506 507
Der indirekte Effekt über die Mitarbeitermotivation findet über die Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen der Ergebnisdimension und der Aufgabenkomplexität Berücksichtigung (vgl. Abschnitt 3.3.4). Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den verschiedenen Ursachen der Opportunitätskosten der Komplexität in Abschnitt 3.4.2. Auf die detaillierte Darstellung der einzelnen Ausprägungen der zehn Komplexitätsformen wird aus Gründen der Übersichtlichkeit in Abbildung 11 verzichtet (vgl. zu den Ausprägungen die jeweiligen Tabellen in Abschnitt 3.3). Gleiches gilt für differenzierte Darstellung der Einflüsse der Komplexitätsformen auf die verschiedenen Kostenarten und Nutzenkategorien (vgl. hierzu die Abschnitte 3.4.3 und 3.5.3).
Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen
155
Nutzen der Komplexität
Kostenarten der Komplexität
Produktivitätseffekte Komplexitätskosten der Planung
Komplexitätskosten der Koordination
Komplexitätskosten durch Abweichungen
Komplexitätskosten der Dokumentation
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
Synergieeffekte
Umsatz
Wiederkauf-/CrossBuying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen der Komplexität)
Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen der Komplexität)
Opportunitätskosten der Komplexität
Komplexitätsnutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen)
Leistungsprogrammkomplexität
beeinflussen …
Komplexitätsnutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen)
Komplexität der Leistungs-, Support-, Kundenprozesse
Dienstleistungskomplexität
Aufgabenkomplexität
Komplexität des externen Faktors
Kundenstrukturkomplexität
Mitarbeiterkomplexität
Technologische Komplexität
Standort-/Filialkomplexität
Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität
Höhere Zahlungsbereitschaft/geringere Preissensibilität neuer oder bestehender Kunden
...
Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Materialkomplexität
...
Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität
Abgeleitet aus den konstitutiven Merkmalen der Komplexität:
Vielzahl an Systembestandteilen Vielfalt der Systembestandteile Relationen/Interdependenzen dieser Systembestandteile (Eigen-)Dynamik und Veränderlichkeit
auf der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension des Dienstleistungsunternehmens
Abbildung 11: Bezugsrahmen der Komplexität und ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen
4
Analytic Network Process als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Kostenund Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen
4.1
Vorgehensweise
Wie der Literaturüberblick in Kapitel 2 gezeigt hat, weisen bestehende Publikationen zur Komplexität bzw. zum Komplexitätsmanagement Mängel bezüglich der Messung von Komplexität bzw. ihrer Bewertung anhand von Kosten- und Nutzenwirkungen auf. Ziel von Kapitel 4 ist es gemäß Forschungsfrage (2), ein Modell zur Bewertung von Komplexität zu entwickeln, das den identifizierten Schwächen bestehender Ansätze begegnet und insbesondere die vielfältigen Wirkungsbeziehungen der Komplexität berücksichtigt. Als Basis dieses Modells dient der Analytic Network Process (ANP). Nach einer kurzen Beschreibung der konzeptionellen Grundidee des Ansatzes (Abschnitt 4.2) werden in Abschnitt 4.3 die methodischen Grundlagen des ANP dargestellt, die zum Verständnis der darauffolgenden Diskussion der Eignung des Ansatzes für komplexitätsbezogene Fragestellungen (Abschnitt 4.4) sowie die Entwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells (Abschnitt 4.5) notwendig sind.
4.2
Konzeptionelle Grundlagen des Analytic Network Process
Der Analytic Network Process (ANP) basiert auf dem Analytic Hierarchy Process (AHP), einem Ansatz zur Lösung von Entscheidungsproblemen, der von dem Mathematiker Thomas L. Saaty in den 1970er Jahren entwickelt wurde.508 Originärer Zweck und Gemeinsamkeit der beiden Ansätze ist die analytische Entscheidungsunterstützung, die auf der Anwendung mathematischer, logischer Schlüsse auf numerische Werte basiert509 und bei komplexen Fragestellungen
508 509
Vgl. Saaty 1980; Wind/Saaty 1980, S. 641; Saaty 2001b, S. IX. Vgl. Zimmermann/Gutsche 1991, S. 65.
158
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
„die Findung einer rationalen und intuitionsunabhängigen Entscheidung“510 ermöglicht. Beide Ansätze zerlegen ein Entscheidungsproblem in eine Vielzahl von einzelnen Elementen bestehend aus Zielen, Entscheidungskriterien und -alternativen. Der Anwender des Ansatzes muss aufgrund dieser Zerlegung die Entscheidung nicht mehr unter simultaner Berücksichtigung sämtlicher entscheidungsrelevanter Kriterien und Alternativen treffen, sondern nimmt – basierend auf dem Trade-Off-Gedanken – eine Reihe von Paarvergleichen vor:511 Er beurteilt paarweise die möglichen Entscheidungsalternativen hinsichtlich ihrer Vorteilhaftigkeit in Bezug auf die Entscheidungskriterien und – auf Ebene der Entscheidungskriterien – ebenfalls in Paarvergleichen die Bedeutung eines Entscheidungskriteriums im Vergleich zu einem anderen Kriterium. Mit Hilfe des mathematischen Verfahrens, auf dem der ANP basiert, werden aus diesen einfachen Paarvergleichsurteilen die relativen Bedeutungen der verschiedenen Entscheidungskriterien sowie Prioritäten für die Entscheidungsalternativen berechnet. Dies ermöglicht es, die Alternativen nach ihrer Präferenzreihenfolge zu ordnen und eine optimale Entscheidung zu treffen.512 Der bereits aus der Namensgebung der Verfahren erkennbare zentrale Unterschied zwischen AHP und ANP liegt in der Art der Strukturierung der Entscheidungskriterien und -alternativen. Der AHP verwendet ausschließlich hierarchische Strukturen mit ݄ Ebenen ߴ , wobei auf oberster Ebene ߴଵ der Hierarchie das Entscheidungsziel, auf den mittleren Ebenen ߴଶ bis ߴିଵ die Entscheidungskriterien und gegebenenfalls -subkriterien und auf unterster Ebene ߴ die Entscheidungsalternativen angeordnet werden (vgl. Abbildung 12).513 Im AHP sind die Möglichkeiten, Abhängigkeiten zwischen den Elementen der Hierarchie abzubilden, stark eingeschränkt: Zum einen haben die Elemente einer Ebene voneinander unabhängig zu sein, d.h., die Kriterien einer Ebene oder die Alternativen auf unterster Ebene dürfen sich nicht gegenseitig beeinflussen. Zum anderen ist die Hierarchie durch eine lineare Top-Down-Struktur gekennzeichnet, d.h., die Elemente einer Ebene dürfen nur die Elemente der nächsthöheren Ebene beeinflussen und selbst nur von den Elementen der nächstniedrigeren Ebene beeinflusst werden.514 Beispielsweise wird die Bedeutung der Alternati510 511 512
513 514
Tscheulin 2000, S. 582. Vgl. Erdogmus/Kapanoglu/Koç 2005, S. 391. Zur relativen Bedeutung der Entscheidungskriterien vgl. z.B. Saaty/Vargas/Wendell 1983, S. 11; Belton/Stewart 2002, S. 157; Ahlert 2003, S. 35; Werani 2004, S. 103. Zur Rangreihung der Alternativen vgl. z.B. Olson/Courtney 1998, S. 144. Die Hierarchie besteht somit immer aus mindestens drei Ebenen. Vgl. Zimmermann/Gutsche 1991, S. 66.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
159
ven ausschließlich hinsichtlich der betrachteten Kriterien beurteilt. Dieser Struktur entgegen gerichtete Abhängigkeiten, die sich z.B. in einer unterschiedlich hohen Bedeutung der Kriterien in Abhängigkeit der betrachteten Alternative widerspiegeln, sind nicht vorgesehen. Hierarchieebenen:
Ԃͳ
Ԃ
ԂǦͳ
Ԃ
Ziel
Kriterium
Subkriterium ͳ
Kriterium
Subkriterium ʹ
Alternative
Subkriterium ͳ
Alternative
Subkriterium ʹ
Alternative
Abbildung 12: Exemplarische Darstellung einer AHP-Hierarchie (Quelle: Werani 2004, S. 87; Peters 2008, S. 467)
Der ANP dagegen verwendet zur Strukturierung des Entscheidungsproblems Netzwerke. Wie in Abbildung 13 dargestellt wird die übersichtliche, aber strikt hierarchische Anordnung von Ebenen und Einflüssen aufgelöst und durch Komponenten ܥ ersetzt, in denen die Entscheidungskriterien und Alternativen angeordnet werden.515 Im Gegensatz zum AHP erlaubt der ANP auf diese Weise, Interdependenzen und Rückkopplungen zwischen Alternativen und Entscheidungskriterien abzubilden516 und so eine stärkere Annäherung an reale Problemstellungen zu erreichen.517 Saaty hält die Ergebnisse des AHP aufgrund der Notwendigkeit einer hierarchischen Anordnung im Vergleich zum ANP für tendenziell subjektiv und vorbestimmt. In den flexibleren Möglichkeiten des ANP, Entscheidungsprobleme mit ihren Interdependenzen und Rückkopplungen zu modellieren und diese im zugrunde gelegten mathematischen Verfahren entspre-
515 516 517
Vgl. Saaty 2001b, S. 2, 83. Vgl. Saaty 2001b, S. 2. Vgl. Dellmann/Diehm 2002, S. 249.
160
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
chend zu berücksichtigen, ist der Vorteil des Ansatzes gegenüber dem AHP zu sehen.518
Komponente ʹ
Komponente ͵
mit Elementen ʹǤͳǡʹǤʹǡǥ
mit Elementen
͵Ǥͳ ǡ͵Ǥʹ ǡ͵Ǥ͵ ǡǥ
Komponente ͳ
Komponente Ͷ
mit Elementen
mit Elementen
ͶǤͳ ǡͶǤʹ ǡǥ
ͳǤͳǡͳǤʹ ǡͳǤ͵ǡǥ
AlternativenKomponente
Abbildung 13: Exemplarische Darstellung eines ANP-Netzwerks519 (Quelle: in Anlehnung an Saaty 2001b, S. 4; Peters 2008, S. 481)
Die Grenzen zwischen AHP und ANP sind allerdings fließend. Grundsätzlich handelt es sich beim ANP um eine Verallgemeinerung des AHP, die die strikte Anforderung nach hierarchischer Anordnung der Elemente relativiert, aber die Hierarchie als Struktur nicht generell ausschließt.520 Wenn es die reale Entscheidungssituation adäquat wiedergibt, kann eine Hierarchie aus Kriterien und Alter518
519
520
Vgl. Saaty 2001b, S. 181. Dem ANP liegt der so genannte Supermatrix-Ansatz zugrunde, durch den es möglich ist, sämtliche direkten und indirekten Einflüsse entlang der Pfade im Netzwerk zu erfassen (vgl. Peters 2008, S. 493 sowie Abschnitt 4.3.2). Die Einflüsse in der AHP-Hierarchie und Interdependenzen im ANP-Netzwerk werden durch gerichtete Kanten dargestellt. Gerichtete Kanten sind Pfeile von einer Komponente zu einer anderen bzw. im Falle innerer Abhängigkeiten im ANP zu sich selbst. Die Pfeilrichtung gibt in der grafischen Darstellung allerdings nicht die Richtung der Beeinflussung wieder, sondern die Richtung der Abhängigkeit. Zeigt beispielsweise eine gerichtete Kante von Komponente ܥଵ auf Komponente ܥଶ , bedeutet dies nicht, dass ܥଵ einen Einfluss auf ܥଶ ausübt, sondern dass ܥଵ von ܥଶ abhängt (vgl. Saaty 2001b, S. 180f.; Peters/Zelewski 2008a, S. 476 sowie ausführlicher Schritt 1 der ANP-Vorgehensweise in Abschnitt 4.3.2). Vgl. Saaty/Takizawa 1986, S. 230ff. Saaty unterscheidet mit z.B. Suparchie, Intarchie, Sinarchie und Hiernet verschiedene Formen von Hierarchien mit Rückkopplungen und hierarchisch angeordneten Netzwerken (vgl. Saaty 2001b, S. 89f.).
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
161
nativen durchaus sinnvoll sein.521 Der AHP ist folglich als Spezialfall des ANP anzusehen. Darüber hinaus können Netzwerke und Hierarchien verschiedene Teilaspekte eines Problems abbilden und so in einem Modell kombiniert werden.522 Auch die Vorgehensweise sowie die methodischen Grundlagen der beiden Ansätze sind weitgehend identisch.523 Aufgrund seiner allgemeineren Anwendbarkeit und der realitätsnahen Darstellung von Interdependenzen und Rückkopplungen, denen bei der Abbildung von Komplexität in der vorliegenden Arbeit eine wesentliche Rolle zukommt, wird im Folgenden die Beschreibung der methodischen Grundlagen des ANP in den Vordergrund gestellt.524
4.3
Methodische Grundlagen des Analytic Network Process
4.3.1
Annahmen des Analytic Network Process
Der ANP basiert auf vier Axiomen, die für den AHP entwickelt und für den ANP angepasst wurden und deren Kenntnis für die im weiteren Verlauf dargestellten Vorgehensweisen und mathematischen Grundlagen hilfreich ist:525
521
522 523
524 525
Peters stellt die Wahl zwischen ANP und AHP entsprechend in seinem Vorgehensmodell als einen Teilschritt dar, der auf die Dekomposition des Entscheidungsproblems in seine Elemente und die Identifikation der Art und Richtung der Interdependenzen zwischen den Elementen folgt (vgl. Peters 2008, S. 466ff.). Vgl. z.B. Saaty 2001b, S. 4f. Vgl. Werani 2004, S. 105; Peters 2008, S. 470. Der zentrale Unterschied besteht in der Art der Berechnung der Gesamtprioritäten für die betrachteten Alternativen. Die inhaltliche Bedeutung dieser Prioritäten ist aber bei beiden Ansätzen gleich (vgl. Werani 2004, S. 74). Auf die zentralen Unterschiede zwischen ANP und AHP wird an den gegebenen Stellen soweit erforderlich hingewiesen. Vgl. im Folgenden insbesondere Saaty 1986, S. 844ff.; Zimmermann/Gutsche 1991, S. 67ff.; Saaty 2001b, S. 127ff.; Werani 2004, S. 88ff.; Peters 2008, S. 469f. Andere Autoren nennen im Zusammenhang mit dem AHP – in Abweichung zu Saaty – fünf Axiome, wobei das abweichende Axiom die Unabhängigkeit zwischen den Entscheidungskriterien fordert, die bei Saaty in Axiom 3 zum Strukturierungsprinzip erfasst ist. Die Notwendigkeit, dies separat aufzuführen, resultiert aus einer stark vereinfachten Darstellung des dritten Axioms (vgl. z.B. Graf 1998, S. 153; Ahlert 2003, S. 41).
162
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
Axiom 1: Reziprozitätsbedingung Die einzelnen Paarvergleichsurteile, auf denen die Berechnungen des ANP basieren, werden in eine Matrix eingetragen. Axiom 1 verlangt, dass es sich bei dieser Evaluationsmatrix ܣum eine reziproke Matrix handelt. Für die Paarvergleiche bedeutet dies: Wenn ein Element ݅ als um den Faktor ݔbesser oder wichtiger als Element ݆ beurteilt wird, entspricht das Urteil für ݆ im Vergleich zu ݅ dem Reziprokwert ͳൗݔ. Der Entscheider muss in der Lage sein, seine Vergleichsurteile für die Beurteilungsobjekte auf einer entsprechend reziproken Skala anzugeben.526 Die Paarvergleichsurteile werden mit ܽǤ für die Elemente ݅ und ݆ aus der Menge ܤܯzu beurteilender Objekte (Kriterien oder Alternativen) bezeichnet, so dass Axiom 1 lautet:527 (4.1)
ܽǤ ൌ
ଵ ೕǤ
݅ǡ ݆߳ܤܯ
Axiom 2: Homogenitätsbedingung Die Homogenitätsbedingung stellt sicher, dass alle Elemente, die hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums paarweise beurteilt werden sollen,528 vergleichbar sind. Diese bezeichnet Saaty als essentiell für die Vergleichbarkeit von Beurteilungsobjekten.529 Ist der Unterschied zwischen zwei Beurteilungsobjekten zu groß, ist dem Beurteiler ein Vergleich nicht mehr möglich. Eine Teilmenge von Elementen des ANP-Netzwerks wird als ߩ-homogen und damit vergleichbar bezeichnet, wenn für die Paarvergleichsurteile gilt:530 (4.2)
526 527
528
529 530
ଵ ఘ
ܽǤ ߩ
Zur von Saaty vorgeschlagenen Beurteilungsskala vgl. Abschnitt 4.3.2. Auf mathematische Formeln und Zeichen wird im Folgenden nur zurückgegriffen, soweit dies dem Verständnis der verbalen Ausführungen dient und in vereinfachter Form möglich ist. Für eine umfassende Übersicht vgl. insbesondere Saaty 1986, S. 844ff.; Saaty 2001b, S. 127ff.; Peters 2008, S. 467ff. In einer AHP-Hierarchie handelt es sich hierbei immer um ein Kriterium auf der nächsthöheren Hierarchieebene. Im ANP-Netzwerk wird eine Teilmenge von Elementen im Hinblick auf ein anderes Element verglichen, das als Bezugs- oder Steuerungskriterium („governing criterion“) bezeichnet wird (vgl. Saaty 2001b, S. 6; Dellmann/ Diehm 2002, S. 250). Vgl. Saaty 1986, S. 846. Das Axiom wird daher auch als Vergleichbarkeitsanforderung bezeichnet (vgl. z.B. Ahlert 2003, S. 41). Vgl. Ahlert 2003, S. 41.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
163
Bei ߩ handelt es sich um eine positive reelle Zahl ߩ ͳ. Entsprechend darf im ANP ein Beurteilungsobjekt im Vergleich zu keinem anderen Objekt eine unendlich hohe Präferenz aufweisen, da sonst keine Wahlmöglichkeit und somit keine faktische Entscheidungssituation vorliegt:531 ܽ ് λ ݅ǡ ݆߳ܤܯ
(4.3)
Axiom 3: Strukturierungsprinzip Axiom 3 betrifft die Strukturierung des Entscheidungsproblems. Es verlangt in seiner ursprünglichen Formulierung für den AHP die strikte hierarchische Struktur, die durch drei Bedingungen sichergestellt wird. Diese Bedingungen lassen Abhängigkeiten zwischen den Ebenen nur in eine Richtung zu und schließen Abhängigkeiten innerhalb einer Hierarchieebene aus.532 Die Weiterentwicklung des AHP zum ANP kommt in der Verallgemeinerung dieses dritten Axioms zum Ausdruck. Für den ANP wird das hierarchische Strukturierungsprinzip durch Axiom 3' ersetzt, das Interdependenzen zwischen allen Entscheidungskriterien und -alternativen zulässt. Die Kriterien und Alternativen werden in Komponenten gruppiert. Interdependenzen sind sowohl innerhalb dieser Komponenten (so genannte innere Abhängigkeit) als auch zwischen den Komponenten (äußere Abhängigkeit) zulässig. Axiom 3' lautet:533 ܵ ist ein System aus den Komponenten ܥଵ ǡ ܥଶ ǡ ǥܥ . Für jedes ܥ besteht mindestens ein ܥ , für das eine der folgenden Bedingungen gilt: (a)
ܥ ist außenabhängig von ܥ
(b) ܥ ist außenabhängig von ୧ (c)
୧ und ୨ sind beide außenabhängig von der jeweils anderen Komponente
Durch diese Möglichkeit, alle betrachteten Entscheidungskriterien und -alternativen miteinander zu verknüpfen, erreicht der ANP die im Vergleich zum AHP hohe Flexibilität in der Abbildung von realen Entscheidungsproblemen.
531 532 533
Vgl. z.B. Zimmermann/Gutsche 1991, S. 67. Vgl. zur mathematischen Formulierung Saaty 1986, S. 846; Peters 2008, S. 470. Vgl. Saaty 2001b, S. 133; Werani 2004, S. 106.
164
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
Axiom 4: Vollständigkeitsbedingung Axiom 4 schließlich verlangt, dass im ANP-Modell alle entscheidungsrelevanten Kriterien und Alternativen berücksichtigt werden.534
4.3.2
Vorgehensweise des Analytic Network Process und des Supermatrix-Ansatzes
Die Anwendung des ANP umfasst die in Abbildung 14 dargestellten sieben Schritte, die im Folgenden erläutert werden.535 (1) Strukturierung der Problemstellung in einem Netzwerk Im ersten Schritt des ANP erfolgt zunächst die Dekomposition der zu untersuchenden Problemstellung in ihre relevanten Teilaspekte.536 Dieser Problemstrukturierung kommt eine zentrale Bedeutung zu, da von ihr die Aussagekraft des Ansatzes abhängt.537 Die Entscheidungsgrundlagen umfassen neben der genauen inhaltlichen Formulierung des zu lösenden Problems insbesondere die Festlegung der bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Kriterien sowie die Auswahl der in Frage kommenden Entscheidungsalternativen.538 Aufgrund des starken Problembezugs der Entscheidungsgrundlagen erfordert ihre Bestimmung spezifische Kenntnisse der Sachlage.539 Zudem ist aber auch ein gewisses Maß
534 535
536
537 538
539
Vgl. Zimmermann/Gutsche 1991, S. 69; Peters 2008, S. 470. Vgl. ähnlich Werani 2006, S. 338. Die Vorgehensweise im Rahmen des ANP entspricht grundsätzlich dem Ablauf des AHP (vgl. Werani 2004, S. 107; vgl. zum Prozess des AHP auch Zimmermann/Gutsche 1991, S. 69f.; Graf 1998, S. 148ff.; Dellmann 2000a, S. 16ff.; Tscheulin 2000, S. 590f.). Unterschiede ergeben sich aus dem ANP-typischen Supermatrix-Ansatz. Aufgrund der Entscheidungsunterstützung als originärer Zielsetzung des Ansatzes wird in der Literatur auch davon gesprochen, die relevanten Entscheidungsgrundlagen der Problemstellung zu definieren (vgl. Dellmann 2000a, S. 16). Vgl. Werani 2004, S. 111. Vgl. im Folgenden insb. Dellmann 2000a, S. 16f.; Meixner/Haas 2002, S. 34ff. Zu den relevanten Aspekten zählen auch mögliche die Entscheidung beeinflussende Rahmenbedingungen wie z.B. Zeithorizonte, Zukunftsszenarien oder Budgetrestriktionen. Ebenfalls von Bedeutung sind die Akteure der Entscheidungssituation, also die Entscheider und die von der Entscheidung betroffenen Personen (vgl. Dellmann 2000a, 16f.; Saaty 2004c, S. 353). Vgl. Dellmann 2000a, S. 17.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
165
an Kreativität notwendig, um z.B. „Art und Anzahl der Handlungsmöglichkeiten sinnvoll zu begrenzen, um die relevanten Umweltzustände und die Ziele klar zu umschreiben, um die zeitliche Struktur der Probleme zu erfassen, um Präferenzen und Wertvorstellungen betroffener Personen(-gruppen) zu integrieren“.540 Die Schwierigkeit bei diesem ersten Schritt des Verfahrens besteht darin, das Problem – wie in Axiom 4 gefordert – durch die Berücksichtigung aller relevanten Ziele, Kriterien und Alternativen möglichst genau abzubilden, dabei aber dennoch die Überschaubarkeit der Problemstellung zu gewährleisten.541
(1) Strukturierung der Problemstellung in einem Netzwerk
(2) Erhebung von Paarvergleichsurteilen für Komponenten und Elemente
(3) Berechnung von Prioritätenvektoren für die Evaluationsmatrizen
(4) Konsistenzprüfung der Bewertungen; Konsistenz akzeptabel?
nein
ja
(5) Bildung von Komponenteneinfluss- und ungewichteter Supermatrix
(6) Berechnung der potenzierten Supermatrix (Limitmatrix)
(7) Durchführung einer Sensitivitätsanalyse
Abbildung 14: Flussdiagramm des Analytic Network Process (Quelle: in Anlehnung an Werani 2006, S. 338)
Ist die Problemstellung in ihre Elemente zerlegt und sind alle relevanten Beurteilungsobjekte542 identifiziert, sind die Zusammenhänge, d.h. Abhängigkeiten und 540 541 542
Dellmann 2000a, S. 6. Vgl. Dellmann 2000a, S. 17; Werani 2004, S. 113. Peters verwendet für die Gesamtheit der Kriterien und Alternativen allgemein den Begriff Beurteilungsobjekte, da diese in einem späteren Schritt des ANP vom Anwender in Paarvergleichen zu beurteilen sind (vgl. Peters 2008, S. 470).
166
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
Einflüsse zwischen diesen Elementen zu ermitteln. Aus der Gesamtheit an Elementen und ihren Interdependenzen wird ein ANP-Netzwerk entwickelt, wie es exemplarisch in Abbildung 13 dargestellt ist.543 Elemente, die eine wesentliche gemeinsame Eigenschaft aufweisen, werden dabei in Komponenten ܥzusammengefasst.544 Die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Komponenten ergeben sich aus den Interdependenzen ihrer Elemente. Besteht z.B. ein Einfluss von Element ݀ଶǤଵ (Element 1 in Komponente ܥଶ ) auf Element ݀ଵǤଵ (Element 1 in Komponente ܥଵ ), wird dies im Netzwerk durch eine gerichtete Kante von ܥଵ auf ܥଶ dargestellt. Auf Komponentenebene wird von einer äußeren Abhängigkeit gesprochen (siehe auch die Ausführungen zu Axiom 3'). Bestehen Einflüsse zwischen Elementen innerhalb einer Komponente, ist eine Kante von der Komponente auf sich selbst gerichtet, wodurch so genannte innere Abhängigkeiten abgebildet werden.545 Darüber hinaus bietet der ANP die Möglichkeit, eine Kontrollhierarchie aus verschiedenen Kontrollkriterien zu konstruieren, wenn unterschiedliche positive und negative Aspekte der Problemstellung zu berücksichtigen sind.546 Entscheidungen lassen sich beispielsweise hinsichtlich ihrer Kosten, ihres Nutzens sowie ihrer Chancen und Risiken analysieren, die in ANP-Anwendungen als Kontrollkriterien – mit jeweils weiteren Subkontrollkriterien, falls die Problemstellung es erfordert – verwendet werden.547 Für jedes Kontrollkriterium wird ein separates
543
544
545
546
547
Vgl. Werani 2004, S. 113. Die Entscheidung über die Anwendung von AHP oder ANP basiert auf dieser Identifikation der Abhängigkeiten zwischen den Elementen. Erlauben die Beziehungen zwischen den Elementen eine hierarchische Anordnung der Beurteilungsobjekte, die die Bedingungen des Axioms 3 erfüllt, wird der AHP angewandt. I.d.R. wird in der Literatur entweder der Ablauf des AHP oder des ANP dargestellt. Peters integriert die Wahl zwischen den beiden Ansätzen als einen Teilschritt in sein beide Ansätze umfassendes Vorgehensmodell (vgl. Peters 2008, S. 463ff.). Vgl. Dellmann/Diehm 2002, S. 249. Saaty nennt als Basisanforderung der Zusammenfassung von Elementen zu Komponenten die Ähnlichkeit der Elemente (vgl. Saaty 2004b, S. 144). Komponenten werden miteinander verbunden, wenn mindestens ein Element der einen mit mindestens zwei Elementen der anderen Komponente verbunden ist (vgl. Saaty 2004b, S. 144). Vgl. Saaty 2004c, S. 349; Peters 2008, S. 478f. In der Literatur wird weitgehend einheitlich der Begriff der Kontrollhierarchie verwendet, obwohl die Kontrollkriterien und ggf. Subkontrollkriterien auch Abhängigkeiten aufweisen können, die eine Darstellung als Kontrollnetzwerk erfordern (vgl. Saaty 2001b, S. 91). Vgl. Saaty 2001b, S. 93. Aufgrund des hohen Erhebungsaufwands, der mit detaillierten Kontrollhierarchien mit Subkontrollkriterien einhergeht, werden in ANP-Anwen-
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
167
Subnetzwerk aus Elementen und Komponenten entwickelt. Jedes dieser Subnetzwerke muss dabei in einer Alternativenkomponente die identischen Alternativen des Entscheidungsproblems beinhalten.548 Auf Ebene der Kontrollhierarchie werden ebenfalls paarweise Vergleiche durchgeführt, um die relative Bedeutung der Kontrollkriterien zu bestimmen. Diese werden als Gewichte verwendet, um die in den Subnetzwerken bestimmten Prioritäten der betrachteten Alternativen zu aggregieren, wofür je nach Fragestellung unterschiedliche Formeln zur Anwendung kommen können.549 (2) Erhebung der Paarvergleichsurteile für Komponenten und Elemente Im zweiten Schritt der ANP-Vorgehensweise wird eine Bewertung der im ANPNetzwerk abgebildeten Interdependenzen anhand von Paarvergleichsurteilen550 zwischen den Elementen des Netzwerks vorgenommen. Die Paarvergleiche dienen der späteren Berechnung der Dominanz eines Elements über ein anderes Element in Form seiner relativen Wichtigkeit, Präferenz oder Wahrscheinlichkeit551 und damit der Ermittlung der Prioritäten für die Alternativen sowie der Bedeutungsgewichte für die Entscheidungskriterien. Saaty schlägt für die Beurteilung die in Tabelle 20 wiedergegebene neunstufige Standardskala vor.552 Anhand dieser so genannten Saaty-Skala wird eine quali-
548 549
550 551 552
dungen häufig auch nur die vier zentralen Kriterien Kosten, Nutzen, Chancen und Risiken verwendet (vgl. Saaty 2001b, S. 187). Vgl. Saaty 2003, S. 58. Vgl. Saaty 2001a; Saaty 2003, S. 104ff.; Saaty 2004c, S. 352. Vgl. hierzu auch die Anwendung des Ansatzes in Kapitel 5, bei der eine einfache Kontrollhierarchie mit den Kriterien Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen zum Einsatz kommt. Vgl. Axiom 1 in Abschnitt 4.3.1. Vgl. Saaty 2001b, S. 5ff.; Saaty 2003, S. 13. Die Skala wurde auf Basis von Überlegungen zur menschlichen Informationsverarbeitung entwickelt. Insbesondere geht Saaty davon aus, dass Individuen in ihrer Reaktion auf einen Stimulus zwischen den drei Kategorien „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ differenzieren und jede dieser Kategorien wiederum in drei Subkategorien untergliedern können, so dass sie die Reaktion insgesamt in neun Kategorien unterteilen (vgl. Saaty 1999, S. 7). Unterstützung erfährt diese Annahme auch durch psychologische Tests, die zeigen, dass eine solche Vorsortierung („chunking“) und mehrstufige Beurteilung von Stimuli die Informationsverarbeitungskapazität erhöht (vgl. z.B. Miller 1956, S. 95). Darüber hinaus leitet Saaty aus Beobachtungen und Studien zur menschlichen Fähigkeit, Unterschiede wahrzunehmen, die Forderung ab, dass der numerische Wert zwischen zwei Skalenwerten stets Eins betragen soll (vgl. Saaty 2001b, S. 314ff.).
168
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
tative Einschätzung der Elemente anhand numerischer Werte vorgenommen.553 Die zwischen den ganzzahligen Skalenwerten von 1 bis 9 liegenden Dezimalwerte bieten die Möglichkeit für Abstufungen, falls eine verfeinerte Beurteilung für den Vergleich zweier Elemente notwendig sein sollte.554 Eine Erweiterung der Skala auf Werte größer als 9 ist zwar aufgrund der menschlichen Informationsverarbeitungsfähigkeiten nach Saaty nicht erforderlich, grundsätzlich ist aber auch die Vergabe von Werten möglich, die über diese Skala hinausgehen.555 Auch wenn die 9er-Skala von Saaty ein Kritikpunkt an der AHP/ANP-Methodik ist,556 konnte ihre Eignung in verschiedenen Studien – und auch im Vergleich zu anderen Skalen – nachgewiesen werden.557 Die Saaty-Skala ist dabei als Ratio-Skala definiert,558 d.h., die Werte geben an, um welchen Faktor ein Element das Vergleichselement dominiert. Beispielsweise bedeutet das Urteil ܽǤ ൌ ͵ nicht lediglich, dass Element ݅ dem Element ݆ vorgezogen wird, sondern, dass Element ݅ als dreimal wichtiger oder besser eingeschätzt wird als Element ݆.559 Auf Basis dieser Werte ist es in dem Verfahren möglich, durch arithmetische Operationen eine Vielzahl einzelner Präferenzurteile mit hoher Präzision in einem Ergebnis zu synthetisieren.560
553
554 555 556 557 558 559 560
Vgl. Werani 2004, S. 91. Bei der Bewertung anhand der Saaty-Skala handelt es sich um eine Form der deterministischen, relativen Bewertung, da ein Vergleich zweier Elemente anhand eines einzigen Wertes erfolgt. In der Literatur wird zwischen relativer und absoluter Bewertung unterschieden, die je nach Art der verfügbaren Informationen zum Einsatz kommen. Zu den relativen Bewertungen zählt neben der SaatySkala die fuzzyfizierte relative Bewertung mit Intervallurteilen (vgl. Mikhailov 2002; Mikhailov/Singh 2003). Absolute Bewertungen verzichten auf die für AHP und ANP typischen Paarvergleiche. Als absolute Bewertungsarten werden die Bewertung mit Intensitäten (vgl. z.B. Saaty 2004a, S. 16ff.; Saaty 2006b, S. 558ff.; Saaty verwendet für diese Form der absoluten Bewertung den Begriff Rating), mit Nutzenfunktionen (vgl. Peters/Zelewski 2003a; Peters/Zelewski 2004) und die direkte Bewertung (vgl. Zelewski/Peters 2006) genannt. Die relative Bewertung eignet sich insbesondere für die Beurteilung qualitativer Kriterien (vgl. Dellmann/Diehm 2002, S. 251). Mit ihrem Einsatz zur Bewertung quantitativer Kriterien ist dagegen im Vergleich zu einer absoluten Beurteilung ein Informationsverlust verbunden (vgl. Peters 2008, S. 539ff.). Vgl. Saaty 2006a, S. 3f. Vgl. Harker/Vargas 1987, S. 1389ff.; Saaty 2003, S. 6; Peters 2008, S. 548. Vgl. z.B. Stewart 1992, S. 574. Vgl. Wind/Saaty 1980, S. 644; Harker/Vargas 1987, S. 1389; Weber 1993, S. 87f. Vgl. Harker/Vargas 1987, S. 1388; Olson/Courtney 1998, S. 145. Vgl. Schneeweiß 1991b, S. 160. Vgl. Saaty 2001b, S. 180.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen Werte für ࢇǤ
Definition
1
Gleiche Bedeutung oder Wichtigkeit der Elemente ݅ǡ ݆
3
Leicht höhere Bedeutung oder Wichtigkeit von ݅ im Vergleich zu ݆
5
Höhere Bedeutung oder Wichtigkeit von ݅ im Vergleich zu ݆
7
Sehr viel höhere Bedeutung oder Wichtigkeit von ݅ im Vergleich zu ݆
9
Extrem höhere Bedeutung oder Wichtigkeit von ݅ im Vergleich zu ݆
2, 4, 6, 8 sowie Dezimalwerte
Zwischenwerte zur Abstufung, wenn erforderlich
ͳൗ bis ͳൗ ʹ ͻ
Reziprokwerte für ܽǤ (höhere Bedeutung oder Wichtigkeit von ݆ im Vergleich zu ݅)
Tabelle 20:
169
Standardskala für Paarvergleichsurteile im ANP561 (Quelle: in Anlehnung an Dellmann/Diehm 2002, S. 251; Saaty 2003, S. 6)
Die Paarvergleiche ܽǤ zwischen den Elementen ݅ und ݆ werden in reziproke Evaluationsmatrizen ܣeingetragen, die die Grundlage der weiteren Berechnungen im ANP bilden:562
(4.4)
ܽଵǤଵ ڭ ۍ ێ ܣൌ ൣܽǤ ൧ ൌ ܽ ێǤଵ ڭ ێ ܽۏǤଵ mit
ܽ ڮଵǤ ڰ ڭ ܽ ڮǤ ڭ ڭ ܽ ڮǤ
ܽ ڮଵǤ ڭ ې ڭ ܽ ڮǤ ۑ ۑ ڰ ۑ ڭ ܽ ڮǤ ے
݅ൌ ͳǡ ǥ ǡ ݊ ݆ൌ ͳǡ ǥ ǡ ݊ǣܽǤ Ͳ ݅ൌ ݆ǣܽǤ ൌ ͳ ିଵ ݅ൌ ͳǡ ǥ ǡ ݊ ݆ൌ ͳǡ ǥ ǡ ݊ǣܽǤ ൌ ܽǤ
݊߳Գା 561
562
Vgl. zur Skala insbesondere auch Wind/Saaty 1980, S. 644; Saaty 2001b, S. 26; Saaty 2006a, S. 3; Saaty 2006b, S. 558f. sowie zu deutschsprachigen Übersetzungen in vom Anwendungszweck abhängigen Formulierungen z.B. Schneeweiß 1991a, S. 189; Weber 1993, S. 86; Tscheulin 2000, S. 593; Rosenkranz 2006, S. 270. Je nach Bewertungsproblem ist es zweckmäßig, die Formulierung anzupassen: Entscheidungskriterien werden hinsichtlich ihrer relativen Wichtigkeit beurteilt, bezüglich der Alternativen werden Präferenzen angegeben, bei der Beurteilung von Szenarien Eintrittswahrscheinlichkeiten (vgl. Saaty 2003, S. 18; Werani 2004, S. 94). Entsprechende Formulierungen sind mit der ANP-Software Super Decisions möglich (vgl. Adams/Creative Decisions Foundation 2009). Vgl. zu den mathematischen Darstellungen Peters/Zelewski 2008a, S. 476ff.
170
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
Im ANP sind Paarvergleichsurteile und -matrizen auf zwei Ebenen erforderlich, zum einen auf Komponenten- und zum anderen auf Elementeebene.563 Somit ist eine Evaluationsmatrix für jede Komponente und jedes Element ࢊ des Netzwerks zu erstellen:
Die Evaluationsmatrix für eine Komponente ܥenthält sämtliche paarweisen Vergleiche aller anderen mit ܥverknüpften Komponenten und gibt an, wie stark der Einfluss der Komponente ܥ im Vergleich zu dem der Komponente ܥ auf die betrachtete Komponente ܥist.
Die Evaluationsmatrix für ein betrachtetes Element ݀ enthält analog sämtliche paarweisen Vergleiche aller anderen mit dem Element verknüpften Elemente und zeigt, wie bedeutend der Einfluss des Elements ݅ im Vergleich zu Element ݆ auf das betrachtete Element ist.
Sind mit einer Komponente oder mit einem Element ݊ andere Komponenten resp. Elemente verbunden, ist eine Matrix mit ݊ሺ݊ െ ͳሻȀʹ Paarvergleichsurteilen auszufüllen.564 Während im AHP die Elemente einer Ebene infolge der strikt hierarchischen Beziehungen immer nur hinsichtlich der Elemente der nächsthöheren Ebene verglichen werden müssen, sind die anzustellenden Vergleiche im ANP aufgrund der möglichen Interdependenzen im Netzwerk vielfältiger.565 Grundsätzlich kommt jedes Element als Bezugskriterium in Frage. Für jedes Bezugskriterium ist eine paarweise Beurteilung der verbundenen anderen Elemente erforderlich. Dies gilt sowohl für innere Abhängigkeiten, d.h. für innerhalb einer Netzwerkkomponente verbundene Elemente, als auch für äußere Abhängigkeiten, wenn ein Element Bezugskriterium für die Elemente anderer Komponenten ist. (3) Berechnung von Prioritätenvektoren für die Evaluationsmatrizen Im nächsten Schritt werden die Evaluationsmatrizen zu Prioritätenvektoren verdichtet, deren Werte die relative Gewichtung der in der Evaluationsmatrix paar-
563 564
565
Vgl. Dellmann/Diehm 2002, S. 249f. Vgl. zur Bildung von Komponenten Schritt 1 der ANP-Vorgehensweise. Aufgrund der Reziprozitätsbedingung (vgl. Axiom 1 in Abschnitt 4.3.1) ist es nicht erforderlich, für sämtliche Felder einer ሺ݊ ൈ ݊ሻ-Matrix Paarvergleichsurteile zu erheben (vgl. z.B. Dellmann 2000a, S. 22). Die Werte auf der Diagonalen der Matrix betragen immer Eins (vgl. die Nebenbedingungen zu Gleichung (4.4)). Vgl. zur für den Supermatrix-Ansatz größeren Zahl erforderlicher Paarvergleiche auch Salo/Hämäläinen 1997, S. 316.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
171
weise verglichenen Elemente in Hinsicht auf das Bezugskriterium wiedergeben, für das die Evaluationsmatrix erstellt wurde.566 Die exakte Berechnung erfolgt auf Basis der Eigenwertmethode,567 die für die Evaluationsmatrix ܣden maximalen Eigenwert ߣ௫ und den zugehörigen Eigenvektor ermittelt.568 Die Vorgehensweise basiert auf folgenden Überlegungen: Wenn die Evaluationsmatrix ܣkonsistent ist, entspricht das Paarvergleichsurteil ܽǤ dem Verhältnis der Prioritäten für ݅ und ݆:569 (4.5)
ܽǤ ൌ
für alle ݅ǡ ݆ ൌ ͳǡ ʹǡ ǥ ǡ ݊
ೕ
Daraus ergibt sich (4.6)
ܽǤ ȉ
ೕ
ൌͳ
für alle ݅ǡ ݆ ൌ ͳǡ ʹǡ ǥ ǡ ݊
sowie (4.7)
σୀଵ ܽǤ ȉ
ೕ
ൌ݊
für alle ݅ǡ ݆ ൌ ͳǡ ʹǡ ǥ ǡ ݊
und (4.8)
σୀଵ ܽǤ ȉ ൌ ݊ ȉ
für alle ݅ǡ ݆ ൌ ͳǡ ʹǡ ǥ ǡ ݊
Gleichung (4.8) lautet in Matrixschreibweise:570 భ
(4.9)
566 567
568 569 570
ۍభ ێమ ێభ ڭێ ێ ۏభ
భ
ڮ
భ
ې
ଵ ଵ ଶ ۑۑ ڭଶ ȉ ൦ ڭ൪ ൌ ݊ ȉ ൦ ڭ൪ ۑڭ ڰ ڭ ۑ ڮ ڮے మ
ڰ
ڭ
Vgl. Werani 2004, S. 96. In der Literatur werden auch approximative Ansätze diskutiert, deren Vorteil in einem niedrigeren Arbeitsaufwand zu sehen ist. Diesem Vorteil steht allerdings eine im Vergleich zu den exakten Verfahren geringere Ergebnisqualität gegenüber (vgl. zu einer Darstellung und kritischen Würdigung der Ansätze Peters 2008, S. 503ff.). Vgl. Schneeweiß 1991a, S. 194; Meixner/Haas 2002, S. 148. Vgl. zur Konsistenz einer Evaluationsmatrix nachfolgenden Schritt 4 des ANP sowie dort insbesondere Gleichung (4.14). ൗ ൌ ͳ für ݅ ൌ ݆, d.h., die Werte auf der Diagonalen der Matrix betragen Eins, da ein Element im Vergleich zu sich selbst grundsätzlich nur als gleich bedeutend beurteilt werden kann (vgl. Meixner/Haas 2002, S. 141).
172
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
bzw. (4.10)
ܣȉൌ݊ȉ
Gleichung (4.10) ist eine so genannte Eigenwertgleichung mit als Eigenvektor zum Eigenwert ݊.571 Ist die Evaluationsmatrix nicht konsistent, so weichen die Werte ܽǤ vom tatsächlichen Verhältnis ൗ ab und der Eigenwert entspricht nicht ݊. Daher wird Gleichung (4.10) umformuliert:572 (4.11)
ܣȉൌߣȉ
Dieses Eigenwertproblem wird gelöst, indem der zum größten Eigenwert ߣ ൌ ߣ௫ ݊ gehörende Eigenvektor berechnet wird.573 Der Eigenvektor beinhaltet alle in den Paarvergleichen der Matrix enthaltenen Informationen über die gesuchten Prioritäten der Elemente.574 Die exakte Berechnung der lokalen Prioritäten erfolgt durch die Lösung der sich durch Umformung von (4.11) ergebenden Eigenwertgleichung (4.12): (4.12)
ሺ ܣെ ߣ ȉ ܫሻ ȉ ൌ Ͳ
Bei ܫhandelt es sich um eine ሺ݊ ൈ ݊ሻ-dimensionale Einheitsmatrix.575 Dieses Gleichungssystem besitzt eine nicht-triviale Lösung576, wenn die charakteristische Determinante ȁ ܣെ ߣ ȉ ܫȁ den Wert 0 annimmt, wobei es sich bei den Nullstellen dieser Determinante um die gesuchten Eigenwerte ߣ der Matrix ܣhandelt. Hat man auf diese Weise den maximalen Eigenwert ߣ௫ ermittelt, erhält man aus Gleichung (4.12) den zugehörigen Eigenvektor .577 571 572 573 574 575 576 577
Vgl. Schneeweiß 1991b, S. 166f. Eine konsistente Matrix kann mehrere Eigenwerte haben, der maximale Eigenwert entspricht allerdings der Dimension ݊ der Matrix. Vgl. Werani 2004, S. 97. Vgl. zur mathematischen Lösung des Problems ausführlich Saaty 1986, S. 847ff.; Schneeweiß 1991b, S. 167; Peters 2008, S. 509f., 521. Vgl. Ahlert 2003, S. 44. Vgl. Schneeweiß 1991b, S. 167. Von einer trivialen Lösung wird gesprochen, wenn alle Prioritäten des Eigenvektors den Wert Null annehmen (vgl. Tscheulin 2000, S. 585). Ein alternatives Verfahren zu dieser Auflösung der Eigenwertgleichung ist das Potenzverfahren, in der Literatur auch Powermethode genannt (vgl. z.B. Peters 2008, S. 510), bei dem die Evaluationsmatrix potenziert wird (vgl. Saaty 2001b, S. 55f.; Lusti 2002, S. 40f.). Aus der potenzierten Matrix ܣଶ wird ein Prioritätenvektor als erste Näherung ermittelt, indem die Matrixwerte je Zeile aufaddiert, die Zeilensummen dann durch die Summe der Zeilensummen dividiert und somit auf den Wert Eins
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
173
(4) Konsistenzprüfung der Bewertungen Bei der Beurteilung der Alternativen und Entscheidungskriterien können Inkonsistenzen auftreten. Beispielsweise sind die Urteile zwischen drei Elementen ݅ǡ ݆ und ݇ nur dann konsistent, wenn Element ݅ um den Faktor ݔwichtiger als Element ݆, Element ݆ um den Faktor ݕwichtiger als Element ݇ beurteilt wird und ݅ entsprechend um das Produkt aus ݔund ݕwichtiger als ݇ eingeschätzt wird. Eine Evaluationsmatrix ܣist folglich konsistent, wenn folgende Bedingung erfüllt ist:578 (4.13)
ܽǤ ൌ ܽǤ ȉ ܽǤ
für alle ݅ǡ ݆ǡ ݇ ൌ ͳǡ ʹǡ ǥ ǡ ݊
Der ANP verlangt zwar nicht, dass die in den Evaluationsmatrizen erfassten Urteile vollständig konsistent sind. Auf Basis der Prioritätenvektoren lässt sich allerdings prüfen, ob die Inkonsistenz der Evaluationsmatrix ein vertretbares Ausmaß überschreitet. Im Fall einer vollständig konsistenten Matrix ܣist der größte Eigenwert gleich der Dimension ݊ dieser Matrix (ߣ௫ ൌ ݊ሻ, während der größte Eigenwert inkonsistenter Matrizen größer als ݊ ist.579 Aus der Abweichung zwischen Eigenwert bei Inkonsistenz und idealem Eigenwert einer konsistenten Matrix konstruiert Saaty den Konsistenzindex ܥǤ ܫǤ (Consistency Index):580 (4.14)
ܥǤ ܫǤ ൌ
ఒೌೣ ି ିଵ
Je inkonsistenter die abgegebenen Paarvergleiche, desto größer ist dieser Konsistenzindex. Dabei berücksichtigt der der Normierung dienende Nenner ሺ݊ െ ͳሻ, dass es mit steigender Anzahl zu vergleichender Elemente und entsprechend großem ݊ schwieriger wird, konsistente Urteile abzugeben.581 Als Vergleichsmaßstab für den Konsistenzindex berechnet Saaty den Zufallsindex ܴǤ ܫǤ (Ran-
578 579 580 581
normiert werden (vgl. Lusti 2002, S. 41). Dieser Vektor wird verglichen mit dem aus der darauffolgenden Potenz ܣଷ berechneten Vektor; die Potenz wird so lange schrittweise erhöht, bis sich der Prioritätenvektor der (݇ ͳሻ-ten Potenz nicht oder nur marginal von dem Vektor der ݇-ten Potenz unterscheidet. Die Potenzmethode wird in der Literatur den exakten Verfahren zur Prioritätenberechnung zugerechnet, obwohl es sich streng genommen um eine Approximation handelt (vgl. Peters 2008, S. 510). Vgl. Peters/Zelewski 2003b, S. 1; Werani 2004, S. 96. Vgl. Zimmermann/Gutsche 1991, S. 59 sowie Fußnote 571. Vgl. Saaty 2001b, S. 56f. Vgl. Schneeweiß 1991a, S. 194; Werani 2004, S. 100.
174
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
dom Index). Bei diesem ܴǤ ܫǤ handelt es sich um den durchschnittlichen Konsistenzindex einer größeren Zahl an stichprobenweise generierten, reziproken Zufallsmatrizen mit Werten der Saaty-Skala.582 Aus ܥǤ ܫǤ und ܴǤ ܫǤ errechnet sich der Konsistenzwert ܥǤ ܴǤ (Consistency Ratio): (4.15)
ܥǤ ܴǤ ൌ
ǤூǤ ோǤூǤ
Saaty gibt als Richtwert für eine akzeptable Evaluationsmatrix bzw. einen akzeptablen aus der Matrix generierten Prioritätenvektor einen Konsistenzwert von ܥǤ ܴǤ ͲǡͳͲ an.583 Ist die Inkonsistenz einer Matrix zu hoch, ist es erforderlich, die Ursachen zu eruieren, die z.B. in einer Fehlspezifikation des Netzwerks und im Antwortverhalten, in Informationsdefiziten sowie einer Überforderung der Befragten liegen können.584 Der ܥǤ ܴǤ kann so als Basis für die sukzessive Verbesserung der Konsistenz einer Evaluationsmatrix durch die Revision der abgegebenen Urteile dienen.585 Inkonsistenzen lassen sich allerdings nicht grundsätzlich vermeiden, u.a. da sie sich auch aus der Begrenzung der Saaty-Skala auf einen Höchstwert von 9 ergeben.586 Zudem resultiert die Verbesserung des ܥǤ ܴǤ nicht in einer Verbesserung der ANP-Ergebnisse, sondern sagt lediglich aus, dass die Urteile in der Matrix logischer und weniger zufällig sind.587 Niedrige Inkonsistenzen sind zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für gute Ergebnisse,588 weshalb es nicht primäres Ziel sein darf, Inkonsistenzen vollständig zu vermeiden. 582
583
584 585
586 587 588
Vgl. Saaty 2001b, S. 57. Zu den von Saaty berechneten ܴǤ ܫǤ-Werten vgl. Peters 2008, S. 531. Je nach Berechnungsmethode weichen die ܴǤ ܫǤ-Werte anderer Autoren von diesen ab. Für eine kritische Diskussion vgl. Tummala/Ling 1998. Vgl. Saaty 2001b, S. 57. Andere Autoren halten Werte von bis zu 0,2 für ausreichend, vgl. z.B. Cox/Alwang/Johnson 2000, S. 152; Bodin/Gass 2003, S. 1491. Bodin und Gass sind der Ansicht, dass Werte größer 0,1 akzeptiert werden können, wenn sicher ist, dass die Paarvergleiche tatsächlich die Meinung des Befragten widerspiegeln und die Inkonsistenz nicht auf Fehlern beruht. Vgl. Schneeweiß 1991b, S. 161; Forman 1993, S. 22; Werani 2004, S. 101. Peters und Zelewski schlagen einen heuristischen Algorithmus zur Verbesserung der Konsistenz einer Matrix vor (vgl. Peters/Zelewski 2003b). Auch die ANP-Software Super Decisions ermittelt das Ausmaß der Inkonsistenz einer Evaluationsmatrix, zeigt dem Anwender den am wenigsten konsistenten Wert in der Matrix an und berechnet als Vorschlag den entsprechend konsistenten Wert (vgl. Adams/Creative Decisions Foundation 2009). Vgl. z.B. Harker/Vargas 1987, S. 1389f.; Peters 2008, S. 527. Vgl. Saaty 1977, S. 237. Vgl. Forman 1993, S. 22.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
175
(5) Bildung von Komponenteneinfluss- und ungewichteter Supermatrix Die in Schritt 3 berechneten lokalen Prioritäten werden für die weiteren Berechnungen in zwei Matrizen zusammengefasst: zum einen in der Komponenteneinflussmatrix, zum anderen in der ungewichteten Supermatrix.589 Die Komponenteneinflussmatrix ࡽ beinhaltet die Prioritätenvektoren ݍaus den Paarvergleichen auf Komponentenebene und gibt an, wie stark eine Komponente ܥ von den insgesamt ܤKomponenten des Netzwerks beeinflusst wird:590
(4.16)
ݍଵǤଵ ڭ ۍ ێ ܳ ൌ ݍ ێǤଵ ڭ ێ ݍۏǤଵ
ݍ ڮଵǤ ڰ ڭ ݍ ڮǤ ڭ ڭ ݍ ڮǤ
ݍ ڮଵǤ ڭ ې ڭ ݍ ڮǤ ۑ ۑ ڰ ۑ ڭ ݍ ڮǤ ے
Hat eine Komponente ݅ keinen Einfluss auf Komponente ݆, wird dies in der Matrix ܳ durch ݍǤ ൌ Ͳ repräsentiert.591 Ist ݅ dagegen die einzige der ܤKomponenten des Netzwerks mit einem Einfluss auf ݆, dann beträgt ݍǤ ൌ ͳ. Die Komponenteneinflussmatrix ist eine quadratische Matrix der Dimension ܤ, wobei ܤder Anzahl an Komponenten im Netzwerk entspricht. Die ungewichtete Supermatrix ࢃ repräsentiert die Einflüsse aller Modellelemente untereinander. Sie wird gebildet aus den Prioritätenvektoren, die aus den Paarvergleichsmatrizen für die einzelnen Netzwerkelemente ݀ errechnet wurden.592 Die ungewichtete Supermatrix ist eine Blockmatrix, die sich aus einer Vielzahl von Matrizen zusammensetzt:593
(4.17)
589 590
591 592 593
ܹଵǤଵ ܹଶǤଵ ܹൌ൦ ڭ ܹǤଵ
ܹଵǤଶ ܹଶǤଶ ڭ ڮ
ܹ ڮଵǤ ڭ ڭ ൪ ڰ ڭ ܹ ڮǤ
Vgl. im Folgenden Saaty 2001b, S. 86ff.; Peters/Zelewski 2008a, S. 476f. Für alle der nachfolgend dargestellten Matrizen gilt: Die Matrizen geben jeweils den Einfluss der durch die Matrixzeilen repräsentierten Komponenten (bzw. Elemente) auf die durch die Matrixspalten repräsentierten Komponenten (bzw. Elemente) an (vgl. Saaty 2004b, S. 133). Vgl. Niemira/Saaty 2004, S. 579. Dies gilt sowohl für innere als auch äußere Abhängigkeiten der Komponenten. Vgl. Saaty 2001b, S. 86. Vgl. Dellmann/Grünig 1999, S. 39ff.
176
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
Ist ܤdie Anzahl an Komponenten im Modell, besteht die ungewichtete Supermatrix aus insgesamt ܤଶ einzelnen Blöcken ܹǡ der Form
(4.18)
ݓǤଵǡǤଵ ۍ ݓǤ௦ǡǤଵ ܹǡ ൌ ڭ ێ ێ ݓۏǤ௦ ǡǤଵ
ݓǤଵǡǤଶ ݓǤଶǡǤଶ ڭ ڮ
ݓ ڮǤଵǡǤ௦ೕ ې ڭ ڭ ۑ ڰ ۑ ڭ ݓ ڮǤ௦ ǡǤ௦ೕ ے
Jede Spalte eines Blocks ܹǡ ist ein Prioritätenvektor, der aus einer Evaluationsmatrix berechnet wurde. In dieser Evaluationsmatrix wurden die insgesamt ݏ Elemente der Komponente ݅ im Hinblick auf ein Bezugselement der Komponente ݆ verglichen. Ein Block ܹଷǡହ gibt die Einflüsse von Komponente 3 auf Komponente 5 an. In diesem Block bedeutet z.B. ein Wert von ݓଷǤଶǡହǤଵ Ͳ, dass das Element ݀ଷǤଶ (Element 2 in Komponente 3) einen Einfluss auf Element ݀ହǤଵ hat (Element 1 in Komponente 5).594 Die Blöcke auf der Diagonalen der ungewichteten Supermatrix ܹ zeigen entsprechend die inneren Abhängigkeiten zwischen den Elementen einer Komponente an. Alle Blöcke, die nicht auf der Diagonalen liegen, geben dagegen äußere Abhängigkeiten zwischen den Elementen verschiedener Komponenten wieder. Ein Block ist eine Nullmatrix, wenn zwischen den Elementen von ܥ und den Elementen von ܥ keine Abhängigkeiten bestehen. Da ein einzelner Block ܹǤ sämtliche Elemente der jeweiligen Komponente umfasst und die ungewichtete Supermatrix aus Blöcken für alle Komponenten des Netzwerks besteht, entspricht die Zahl der Zeilen und Spalten der ungewichteten Supermatrix der Anzahl an Elementen des Netzwerks. (6) Berechnung der potenzierten Supermatrix (Limitmatrix) Zur Bestimmung der letztendlich interessierenden potenzierten Supermatrix sind mit einer Gewichtung, einer Normierung sowie der Potenzierung drei weitere Schritte erforderlich. Zunächst wird aus der ungewichteten Supermatrix ܹ die gewichtete unnormierte Supermatrix ࢁ࢛ ermittelt.595 Hierfür ist von Bedeutung, dass die Werte 594 595
Vgl. Peters/Zelewski 2008a, S. 477. Im AHP oder einem hierarchischen Modell als Spezialfall des ANP ist diese Gewichtung nicht erforderlich (vgl. Saaty 2003, S. 26). Die Gewichtung der Elemente kommt durch die verschiedenen Hierarchieebenen zum Ausdruck (vgl. Saaty 2001b, S. 181).
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
177
ݍǤ der Komponenteneinflussmatrix ܳ mit den Blöcken ܹǤ der ungewichteten Supermatrix ܹ korrespondieren. Beispielsweise spiegelt der Wert ݍଶǤଷ der Komponenteneinflussmatrix den Einfluss der Komponente 2 auf Komponente 3 wider, während in Block ܹଶǤଷ der ungewichteten Supermatrix die Einflüsse der einzelnen Elemente aus Komponente 2 auf die einzelnen Elemente der Komponente 3 aufgeführt sind. Die Gewichtung der Werte der Supermatrix erfolgt für jeden Block ܹǤ mit dem jeweils korrespondierenden Wert ݍǤ der Komponenteneinflussmatrix:596 (4.19)
௨ ݑǤ ൌ ܹǤ ȉ ݍǤ
Für die spätere Potenzierung der Supermatrix ist es erforderlich, dass die gewichtete Supermatrix spaltenstochastisch ist, d.h. ihre Elemente positiv sind und die Spaltensummen 1 betragen. Aufgrund der ausschließlich positiven Prioritäten der Evaluationsmatrizen ist die Nichtnegativitätsbedingung immer erfüllt. Da allerdings die einzelnen Prioritätenvektoren, aus denen sich die Blöcke der ungewichteten Supermatrix zusammensetzen, jeweils auf den Wert Eins normiert sind und jede Spalte der Supermatrix aus mehreren dieser normierten Prioritätenvektoren besteht, ist die Spaltensumme der unnormierten Supermatrix i.d.R. größer als Eins.597 Die Normierung der Matrix ܷ ௨ erfolgt z.B. durch Division der Elemente einer Spalte durch die jeweilige Spaltensumme.598 Ergebnis dieser Berechnungen ist die gewichtete normierte Supermatrix ࢁ. Diese Matrix ܷ erfasst allerdings lediglich die direkten Einflüsse zwischen den Elementen.599 Um auch die indirekten Einflüsse entlang verschiedener Wirkungsketten des Netzwerks zu berücksichtigen, wird die Matrix potenziert. Wirkt ein Element A auf ein Element B sowohl direkt als auch indirekt über ein drittes Element C, wird dieser indirekte Effekt über die Quadrierung der Matrix erfasst. Erfolgt der indirekte Effekt von A auf B nicht nur über C, sondern ein weiteres Element D, ist die dritte Potenz der Matrix zu ermitteln. Allgemein lassen sich so 596 597 598
599
Vgl. Niemira/Saaty 2004, S. 582; Peters/Zelewski 2008a, S. 477. Vgl. ausführlich Peters 2008, S. 489f. Vgl. Dellmann/Diehm 2002, S. 253; Sarkis/Sundarraj 2002, S. 243. Diese Vorgehensweise ist nur für die Spalten der Matrix ܷ ௨ möglich, in denen mindestens ein ௨ Element ݑǤ größer Null ist, da ansonsten durch eine Spaltensumme von Null dividiert werden müsste (vgl. Peters/Zelewski 2008a, S. 477). Alternativ kann die relative Wichtigkeit der verschiedenen Komponenten ermittelt und die jeweiligen Elemente der unnormierten Supermatrix mit diesen Gewichten multipliziert werden (vgl. Sarkis 2003, S. 403; Werani 2004, S. 108). Vgl. auch im Folgenden Saaty 2001b, S. 96, 343ff.
178
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
die Einflüsse entlang eines Pfades mit ݇ Elementen mit der ݇-ten Potenz der Matrix ܷ erfassen.600 Die Potenz ݖder Matrix ܷ wird daher im ANP so lange erhöht, bis die Matrizen ܷ ௭ gegen eine Matrix konvergieren, deren Spaltenvektoren alle die gleichen Werte beinhalten.601 Die Matrixpotenz kann weiter erhöht werden, um eine größere Genauigkeit dieser Werte zu erreichen.602 Die potenzierte Supermatrix ࡿ, im Folgenden Limitmatrix genannt, ergibt sich abschließend aus der erneuten Normierung der Spaltenvektoren. Die normierten Spaltenvektoren geben dann die globalen Prioritäten der Elemente des Netzwerks (d.h. sowohl der Entscheidungsalternativen als auch der -kriterien) wieder. Die Gesamtprioritäten für die im Netzwerk berücksichtigten Entscheidungsalternativen werden bestimmt, indem die globalen Prioritäten innerhalb der Alternativenkomponente nochmals normiert werden.603 (7) Durchführung einer Sensitivitätsanalyse Die Stabilität der errechneten Prioritäten für die betrachteten Entscheidungsalternativen wird abschließend mittels einer Sensitivitätsanalyse geprüft, die aufzeigt, welche Konsequenzen die Variation ausgewählter Parameter des Mo-
600 601
602
603
Vgl. Saaty 2004b, S. 133. Vgl. Sarkis 2003, S. 405; Niemira/Saaty 2004, S. 582; Werani 2004, S. 108. Die Autoren verwenden für die potenzierte Supermatrix den Begriff Limiting Matrix, der in der englischsprachigen Literatur neben den Begriffen Limit Supermatrix oder kurz Limitmatrix (vgl. z.B. Saaty 2003, S. 94; Saaty 2004b, S. 135) gebräuchlich ist. Vgl. Saaty 2001b, S. 112. Neben dieser eindeutigen Konvergenz der Folge von Matrizen ܷ ௭ gegen eine stationäre Matrix können zwei Sonderfälle auftreten. Zum einen existiert der Fall, dass die Folge der potenzierten Matrizen ܷ ௭ zwischen mehreren verschiedenen Formen zykliert. In diesem Fall wird eine Durchschnittsmatrix – die so genannte Cesàro-Summe – der Matrizen gebildet, zwischen denen die Folge zykliert. Darüber hinaus kann, wenn die zu potenzierende Matrix ܷ Nullvektoren enthält (wenn also das durch die Spalte repräsentierte Element des Netzwerks von keinem anderen Element beeinflusst wird), die Folge der Matrizen ܷ ௭ gegen die Nullmatrix konvergieren. In diesem Fall werden die Nullvektoren der Matrix ܷ durch die korrespondierenden Einheitsvektoren einer Einheitsmatrix der gleichen Dimension wie ܷ ersetzt und so ein fiktiver Einfluss des jeweiligen Elements auf sich selbst modelliert (vgl. zu diesen beiden Sonderfällen Peters 2008, S. 494ff.). Vgl. Blair et al. 2002, S. 83; Peters/Zelewski 2008a, S. 478.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
179
dells hat.604 Dabei werden durch kontinuierliche Veränderung der ermittelten Gewichte Grenzen bestimmt, bei denen sich die Präferenzreihenfolge der betrachteten Alternativen verändert.605 Liegen diese Grenzen nahe an den globalen Gewichten der Limitmatrix, ist das Ergebnis nicht robust.606 In diesem Fall wird in der Literatur vorgeschlagen, den Beurteilungsprozess zu wiederholen oder sogar die Problemdefinition und Modellbildung zu überprüfen,607 da die Gefahr besteht, dass bereits bei einer geringfügigen Veränderung der ursprünglichen Paarvergleichsurteile die mit der Anwendung des Ansatzes beabsichtigte Entscheidung zugunsten einer anderen Alternative fallen würde. Die Sensitivitätsanalyse ist daher von besonderer Bedeutung, wenn die Alternativen sich ausschließen und auf Basis der Ergebnisse die Entscheidung für nur eine der betrachteten Alternativen gefällt wird.
4.3.3
Interpretation der ANP-Ergebnisse
Bezüglich der Interpretation der Resultate des AHP sowie des ANP besteht keine eindeutige Meinung.608 Da es sich beim ANP um einen Ansatz zur Entscheidungsunterstützung handelt, liegt in der Literatur der Schwerpunkt auf der Darstellung und Interpretation der globalen Prioritäten der Entscheidungsalternativen, die der Limitmatrix zu entnehmen sind, und auf deren Basis Rangreihungen der Alternativen gebildet werden, die die Präferenzen des Entscheiders oder der befragten Personen widerspiegeln. Der Interpretation und Darstellung der aus den Paarvergleichsmatrizen berechneten lokalen Prioritäten der betrachteten Entscheidungskriterien und -alternativen, die in der ungewichteten Supermatrix wiedergegebenen werden, wird dagegen in der ANP-Literatur häufig wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht.609 Belton und Stewart verstehen die Priorität eines Kriteriums oder einer Alternative als die relative und durchschnittliche Bedeutung des Elements hinsichtlich 604
605 606 607 608 609
Vgl. Dellmann 2000a, S. 30; Dellmann/Diehm 2002, S. 252. Saltelli et al. definieren die Sensitivitätsanalyse als „[t]he study of how uncertainty in the output of a model (numerical or otherwise) can be apportioned to different sources of uncertainty in the model input.” (Saltelli et al. 2008, S. 1). Vgl. Weber 1993, S. 108; Meixner/Haas 2002, S. 173; Bodin/Gass 2003, S. 1490. Vgl. Lusti 2002, S. 24. Vgl. Meixner/Haas 2002, S. 173. Vgl. Werani 2004, S. 102f. Vgl. beispielsweise die Beiträge in Saaty/Vargas 2006.
180
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
eines übergeordneten Referenzkriteriums.610 Andere Autoren interpretieren die Prioritäten und Bedeutungsgewichte dagegen auch als die Höhe von Wirkungsbeziehungen oder als Einflussgewichte. So misst beispielsweise Ahlert anhand des AHP die Wirkungsbeziehungen zwischen Zielgrößen des Relationship Marketing.611 Dellmann entwickelt auf Basis des ANP ein Netzwerk-Cluster-Kostenmodell, das der innerbetrieblichen, interdependenten Kostenverrechnung dient.612 In diesem Modell bezeichnet er die lokalen Prioritäten als Kostenintensitäten, die „das Einflussgewicht, das ein Element ݆ auf ein Element ݅ in Bezug auf Kosten ausübt“613, wiedergeben. T. L. Saaty selbst formuliert: „The ANP is a theory of measurement generally applied to the dominance of influence among several … alternatives.”614 Weiterhin schreibt er: „In general, dominance means greater influence.“615 Die Ergebnisse des ANP geben somit die Verteilung des Einflusses zwischen den im Modell abgebildeten Teilaspekten einer Problemstellung wieder.616 Eine von R. Saaty für den ANP vorgeschlagene Frageformulierung lautet entsprechend: „Given a parent element and comparing elements A and B under it, which element has greater influence on the parent element?”617 Folgt man dieser Argumentation und der daraus abgeleiteten Frageformulierung, ist die Interpretation der ANP-Ergebnisse als Einflussgewichte die logische Konsequenz. Allerdings schließen sich die beiden Interpretationsmöglichkeiten der ANP-Resultate – als relative Bedeutung oder als Einflussgewicht eines Elements – nicht aus, sondern lassen sich parallel nutzen, um unterschiedliche Ergebnisse des Ansatzes darzustellen. Der ANP liefert Resultate auf zwei Ebenen: zum einen in Form der aus den Paarvergleichsmatrizen berechneten lokalen Prioritätenvektoren, die in der ungewichteten Supermatrix ausgegeben werden; zum anderen in Form der globalen Prioritäten der Limitmatrix. Die lokalen Prioritäten werden unmittelbar aus den von den Beurteilern oder befragten Personen abgegebenen Paarvergleichsurteilen ermittelt. Diese Paarvergleichsurteile haben einen eindeutigen Bezugspunkt, da immer zwei Elemente in Hinblick auf ein drittes Element verglichen werden. Wird für diese Paarvergleiche die von R. Saaty vorgeschlage610 611 612 613 614 615 616 617
Vgl. Belton 1986; Belton/Stewart 2002, S. 157; Werani 2004, S. 103. Vgl. Ahlert 2003, S. 57, 179ff. Vgl. Dellmann 1998, Dellmann 1999a, Dellmann 1999b. Dellmann 1998, S. 200. Vgl. auch Dellmann 1999a, S. 1023; Dellmann 1999b, S. 624. Saaty 2001b, S. 5. Saaty 2001b, S. 6. Vgl. Saaty 2003, S. iii. Saaty 2003, S. 41.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
181
ne Frageformulierung nach dem größeren Einfluss der Elemente verwendet, sind die Ergebnisse sinnvoll als Einflussgewichte zu interpretieren. Dagegen ist für die globalen Prioritäten der Limitmatrix eine Interpretation als Einflussgewichte schwierig. Die globale Priorität eines Elements berücksichtigt zwar sämtliche direkten und indirekten Wirkungen, die das Element im Netzwerk hat. Durch den fehlenden eindeutigen Bezugspunkt (Einfluss worauf?) fällt aber bei der globalen Priorität der Limitmatrix im Vergleich zur lokalen Priorität der ungewichteten Supermatrix die intuitive Interpretation als Einflussstärke schwer. Eingängiger erscheint dagegen ein Verständnis der globalen Prioritäten als relative Bedeutungen, die über ein Element aussagen, welchen Stellenwert ihm unter Berücksichtigung sämtlicher direkter und indirekter Wirkungen im betrachteten ANP-Netzwerk insgesamt zukommt. Durch die im ANP vorgenommene Normierung der Limitmatrix über alle betrachteten Netzwerkelemente wird bei dieser Interpretation die relative Bedeutung eines Elements im Vergleich zu allen anderen berücksichtigten Aspekten angegeben. Da das Netzwerk i.d.R. allerdings aus mehreren Komponenten besteht, in denen Elemente nach inhaltlichen Kriterien zusammengefasst werden, ist auch eine zusätzliche komponentenweise Normierung denkbar, die einen direkten Vergleich inhaltlich ähnlicher Netzwerkelemente ermöglicht.618 Somit wird für die vorliegende Arbeit bei der Ergebnisinterpretation eine Unterscheidung getroffen zwischen den lokalen Prioritäten der ungewichteten Supermatrix, die als Einflussgewichte der miteinander verglichenen Elemente auf das jeweilige Bezugsobjekt aufgefasst werden, und den globalen Prioritäten der Limitmatrix, die die relative Bedeutung der im ANP-Modell abgebildeten Elemente unter Berücksichtigung aller Interdependenzen wiedergeben.
618
Zu dieser komponentenweisen Normierung der Limitmatrix-Werte für die untersuchten Alternativen vgl. Peters/Zelewski 2008a, S. 478. Diese Normierung nimmt die ANP-Software automatisch vor, wenn man sich die globalen Prioritäten der Alternativen anzeigen lässt. Eine solche Normierung ist ebenfalls sinnvoll, wenn zusätzlich zur Bildung einer Präferenzreihenfolge der Alternativen auch Aussagen über die relative Bedeutung der berücksichtigten Entscheidungskriterien getroffen werden sollen.
182
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
4.4
Eignung des Analytic Network Process zur Analyse von Komplexitätswirkungen in Dienstleistungsunternehmen
Sowohl AHP als auch ANP wurden bereits auf eine Vielzahl unterschiedlichster Fragestellungen angewandt und können daher als etablierte Verfahren zur Lösung von Entscheidungsproblemen angesehen werden.619 Saaty sieht in Studien, in denen exemplarische Anwendungen (z.B. zu Marktanteilsprognosen, Wechselkursen, Wahlergebnissen und zum Ausgang von Sportereignissen) zu Ergebnissen führten, die die realen Gegebenheiten sehr präzise widerspiegelten, eine Validierung des AHP/ANP-Ansatzes.620 Der ANP weist dabei Eigenschaften auf, die seine Eignung für eine Anwendung auf die Untersuchung komplexitätsbezogener Fragestellungen begründen. Diese sind zum einen in konzeptionellen Parallelen zwischen der ANP-Methodik und Vorschlägen der Literatur zur Abbildung und Erfassung von Komplexität zu sehen. Zum anderen bietet der ANP verschiedene sinnvolle methodische Ergänzungen zu bestehenden Ansätzen der Bewertung von Komplexität und ihren Wirkungen. Konzeptionelle Parallelen bestehen zwischen der Abbildung von Komplexität in der Komplexitätsliteratur sowie der Strukturierung von Entscheidungsproblemen im ANP. Wie in Abschnitt 3.3.4 zu den Interdependenzen zwischen verschiedenen Komplexitätsformen dargestellt, greift Bronner zur Abbildung komplexer Situationen auf die Kausal-(Netz-)Analyse zurück, die zunächst die Zusammenhänge zwischen den relevanten Elementen einer komplexen Situation anhand von Interdependenztabellen eruiert und diese dann in eine Graphendar619
620
Peters und Zelewski nennen zahlreiche Anwendungen der Ansätze in den Bereichen Leistungsbeurteilung, Produktivitätsmessung sowie Effizienz- und Effektivitätsanalyse (vgl. Peters/Zelewski 2008b, S. 1040). Zu einem Überblick über die Anwendung des AHP im Marketing vgl. Wind/Saaty 1980; Tscheulin 2000, S. 604f.; Ahlert 2003, S. 53ff. ANP-Studien sind bisher im Vergleich zum AHP seltener (vgl. Erdogmus/Kapanoglu/Koç 2005, S. 392). Der Ansatz wurde aber ebenfalls bereits auf Fragestellungen des Marketing angewandt, z.B. zu Aspekten des Produktdesigns (vgl. Güngör 2006; Aya/Özdemir 2007). Zum Einsatz des ANP bei verschiedenen Problemstellungen des strategischen Managements vgl. z.B. Sarkis/Sundarraj 2002; Sarkis 2003; Bayazit/Karpak/Yagci 2006; Raisinghani/Meade/Schkade 2007; Sarkis/Talluri/Gunasekaran 2007; Yüksel/Dagdeviren 2007; Demirtas/Ustun 2009. Vgl. Saaty 2004b, S. 143ff., 156.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
183
stellung mit Interdependenzen und zirkulären Wirkungsketten überführt.621 Eine ähnliche Vorgehensweise wählt Vester, der Kriterien- und Einflussmatrizen bildet und komplexe Zusammenhänge anhand von Netzwerken darstellt.622 Auch in den verschiedenen Publikationen von Ulrich, Probst und Gomez wird der Komplexitätsanalyse die Netzplantechnik zugrunde gelegt, die anhand von Feedbackdiagrammen Interdependenzen abbildet.623 Im ANP ist die Strukturierung der relevanten Teilaspekte einer Problemstellung oder Entscheidungssituation auf identische Weise in Form von Netzwerken vorgesehen.624 Daher erscheint der Ansatz prädestiniert für eine Anwendung auf die Komplexitätsthematik. Wie im Stand der Forschung dargestellt, erfolgt in der bestehenden Literatur eine Bewertung der Komplexität und ihrer Treiber hinsichtlich ihrer Wirkungen nur stark vereinfacht anhand subjektiver Einschätzungen und einfacher Skalen.625 Zudem wird auch in Arbeiten, die auf die Vorgehensweise von Vester zurückgreifen, zwar häufig eine Darstellung der Komplexität in ihren Interdependenzen und zirkulären Wirkungsketten vorgenommen. Die Quantifizierung der Komplexitätswirkungen erfolgt aber i.d.R. nur anhand einer Berechnung von Aktiv- und Passivsummen, die in einfacher Form das Ausmaß angeben, zu dem ein Komplexitätstreiber Einflüsse ausübt und selbst von anderen Treibern beeinflusst wird. Die Interdependenzen und zirkulären Wirkungsketten werden damit aber nicht vollständig berücksichtigt. Hier bietet der ANP eine sinnvolle methodische Ergänzung zu bestehenden Vorgehensweisen, da der Ansatz nicht nur die – bei der auf Vester zurückgehenden Vorgehensweise ebenfalls erfassten – direkten Einflüsse eines Komplexitätstreibers einbezieht, sondern auch sämtliche indirekten Wirkungen.626 Erreicht wird dies durch die Potenzierung der Supermatrizen, 621 622 623 624 625 626
Vgl. Bronner 1999, S. 68ff.; Bronner 2004, S. 99ff. Vgl. Vester/von Hesler 1988, S. 44ff.; Vester 2000, S. 196ff. (siehe hierzu auch Fußnoten 172 und 417). Vgl. exemplarisch Ulrich/Probst 2001, S. 136 sowie die verschiedenen Beiträge in Probst/Gomez 1989b. Vgl. Abschnitt 4.3.2. Vgl. hierzu insbesondere die Darstellung der Ansätze von Puhl, Kirchhof in Abschnitt 2.2.2 sowie von Lasch und Gießmann in Abschnitt 2.2.3. Klein stellt diesbezüglich fest, dass komplexe Systeme durch eine „nicht lineare Transformation von In- in Outputfaktoren gekennzeichnet“ sind und „sich naturgemäß durch kausal begründete Modelle nicht ausreichend erfassen“ (Klein 2009, S. 66) lassen (vgl. zum nicht linearen Verhalten komplexer Systeme auch Anderson 1999, S. 216f.). Dementsprechend sind auch multivariate Analyseverfahren, in denen Wirkungsbeziehungen nur in eine Richtung modelliert werden können, nur eingeschränkt zur Analyse von Komplexität geeignet. So werden beispielsweise im Rahmen von
184
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
was einer Multiplikation der direkten Wirkungen entlang sämtlicher im Netzwerk abgebildeter Wirkungsketten entspricht. Durch die mathematisch fundierten Berechnungen des ANP werden zudem subjektive Einschätzungen bezüglich der Komplexität in rationale, intuitionsunabhängige Ergebnisse überführt und somit objektiviert.627 Ein weiterer methodischer Vorteil des ANP gegenüber den auf Vester zurückgehenden Bewertungsansätzen ist in der Art der Beurteilung zu sehen. Während eine direkte Beurteilung die Gefahr einer Überbewertung mancher oder im Extrem sogar sämtlicher Komplexitätsformen und -ausprägungen birgt, ist ein Beurteiler durch die für den ANP typischen Paarvergleichsurteile zu einer Abwägung zwischen verschiedenen Komplexitätsformen und -ausprägungen gezwungen. Bei einer direkten und absoluten Bewertung, z.B. auf einer Skala von 0 bis 3, kann der Beurteiler für alle Treiber den Wert 3 für „sehr wichtig“ oder „sehr hoher Einfluss“ angeben. Bei einer Erhebung über Paarvergleiche besteht diese Möglichkeit nicht. Im Extrem kann der Befragte im Vergleich urteilen, dass alle betrachteten Komplexitätsformen und -ausprägungen einen gleich hohen Einfluss ausüben (Wert 1 auf der Saaty-Skala). Berücksichtigt man zudem die ohnehin schwierige Beurteilung und Bewertung von Komplexität, ist die Frage zu stellen, ob eine direkte und absolute Bewertung, wie in den auf der Vorgehensweise von Vester aufbauenden Arbeiten vorgesehen, sinnvoll ist, oder ob einer befragten Person die relative, vergleichende Beurteilung auf Basis der Saaty-Skala leichter fällt. Eine solche relative Messung ist insbesondere dann geeignet, „wenn kein Maßsystem mit Maßeinheiten zur Messung eines Merkmals vorliegt“,628 was bei Komplexität und ihren Wirkungen zutreffend ist. Ohne an dieser Stelle eine abschließende Antwort auf die Frage geben zu können, welche der beiden Möglichkeiten vorzuziehen ist, ist zumindest anzumerken, dass im ANP beide Alternativen – sowohl die relative Bewertung anhand von Paarvergleichen als auch eine absolute Bewertung – um-
627 628
Kausalanalysen strukturen-prüfende Verfahren eingesetzt, für die vorab eine Bildung von Hypothesen über die Zusammenhänge sowie eine Einteilung abhängiger und unabhängiger Variablen erforderlich ist (vgl. Backhaus et al. 2008, S. 12). Aufgrund der Zirkularität von Komplexitätswirkungen ist diese Einteilung allerdings nicht eindeutig möglich. Zu weiteren Ansätzen der Messung von Komplexität und ihren Kosten- und Nutzenwirkungen sowie damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. auch den Literaturüberblick in Kapitel 2. Vgl. ähnlich Tscheulin 2000, S. 582. Dellmann 2000b, S. 357.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
185
setzbar sind und der Ansatz somit in Abhängigkeit der verfügbaren Informationen flexibel unterschiedliche Bewertungsmethoden zulässt. Problematisch an der relativen Bewertung in Form von Paarvergleichen ist allerdings der in Abhängigkeit von Modellumfang und -aufbau unter Umständen sehr hohe Erhebungsaufwand, der mit zunehmender Anzahl miteinander verknüpfter Modellelemente überproportional ansteigt.629 Eine große Anzahl an Paarvergleichen in unterschiedlichen Konstellationen – zudem in Verbindung mit der schwierigen Komplexitätsthematik – kann zu einer kognitiven Überforderung der Probanden führen. Während mit dem ANP folglich hohe Anforderungen an den einzelnen Befragten verbunden sind, zeichnet sich der Ansatz durch Flexibilität bezüglich der Stichprobengröße aus. In der ursprünglichen Bestimmung des ANP zur Entscheidungsunterstützung ist bereits eine Person ausreichend, wenn es sich dabei um den alleinigen Entscheider handelt.630 Die Auswertung der Paarvergleichsurteile mit der Software Super Decisions ist ebenfalls für einzelne Befragte durchführbar. Die Auswahl mehrerer Probanden zur Beurteilung der Komplexität kann daher an inhaltlichen Überlegungen ausgerichtet werden und die Befragung kann sich auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer Position und Erfahrung in der Lage sind, die Komplexität zu bewerten. Der ANP ist darüber hinaus insbesondere auch geeignet, den verschiedenen bestehenden Problembereichen mit der Erfassung von Komplexitätskosten zu begegnen. Der hohe Aufwand kostenrechnerischer und investitionstheoretischer Ansätze sowie die schwierige Bewertbarkeit von Komplexitätskosten infolge qualitativer, nicht-monetärer Kostenbestandteile lässt darauf schließen, dass eine qualitative Beurteilung der Kostenwirkungen der Komplexität einer quantitativen, monetären Erfassung vorzuziehen ist.631 Der ANP-Ansatz, auf dem auch das von Dellmann entwickelte Kostenrechnungsmodell basiert,632 ist in der Lage, auch qualitative Kostenaspekte zu berücksichtigen und umgeht die schwierige 629
630
631
632
Vgl. zur Berechnung der Anzahl an Paarvergleichsurteilen Schritt 2 der ANP-Vorgehensweise in Abschnitt 4.3.2 sowie zum Umfang des Komplexitätsbewertungsmodells in dieser Arbeit Abschnitt 5.2.2. Vgl. z.B. die AHP-Anwendung bei Wind/Saaty 1980, S. 649ff. Hier wurden die Paarvergleiche lediglich von einer Person, dem Geschäftsführer des Unternehmens, durchgeführt. Nach Lusti eignen sich Nutzwertanalysen, zu denen der AHP zählt, insbesondere für Problemstellungen, in denen qualitative, schwer quantifizierbare Kriterien von Bedeutung sind. Sie kommen auch bei der Beurteilung von Investitionsvarianten zum Einsatz, wenn der Anteil schlecht quantifizierbarer Kosten und Nutzen groß ist und die klassische Investitionsrechnung daher nicht geeignet ist (vgl. Lusti 2002, S. 16). Vgl. Dellmann 1998, Dellmann 1999a, Dellmann 1999b sowie Abschnitt 3.4.1.
186
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
monetäre Messung der Komplexitätskosten, indem Kostenintensitäten i.S.v. Kosteneinflussgewichten ermittelt werden.633 Analog dazu ermöglicht der ANP auch eine Berücksichtigung verschiedener qualitativer Nutzenkategorien der Komplexität. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, Anhaltspunkte über die Interdependenzen und die relativen Bedeutungen verschiedener Komplexitätstreiber und -ausprägungen sowie Komplexitätskostenarten und -nutzenkategorien in Dienstleistungsunternehmen zu gewinnen.634 Aufgrund der skizzierten Vorteile, die der ANP gegenüber bestehenden Ansätzen zur Bewertung von Komplexität aufweist, wird hierzu die ANP-Methodik eingesetzt. Anhand des im folgenden Abschnitt 4.5 aus dem Bezugsrahmen der Komplexität (Kapitel 3) entwickelten Komplexitätsbewertungsmodells lassen sich verschiedene empirische Erkenntnisse über die Bedeutung, die Interdependenz sowie die Kosten- und Nutzenwirkungen verschiedener Komplexitätsformen generieren (Kapitel 5).
4.5
Aufbau eines Komplexitätsbewertungsmodells auf Basis des ANP
Gemäß Schritt 1 der in Abschnitt 4.3.2 dargestellten ANP-Vorgehensweise ist für eine ANP-Anwendung zunächst eine detaillierte Analyse der zu untersuchenden Problemstellung und eine Festlegung aller relevanten Entscheidungsalternativen und Beurteilungskriterien erforderlich, aus denen das ANP-Netzwerk – im vorliegenden Fall das Komplexitätsbewertungsmodell – aufgebaut wird. Als Grundlage dient hierzu der in Kapitel 3 entwickelte Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen, in dem umfassend sämtliche potenziellen Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie deren Kosten- und Nutzenwirkungen definiert wurden. Dieser Bezugsrahmen ist in den für den ANP gebräuchlichen Netzwerkaufbau aus Komponenten und Elementen zu überführen. Die Festlegung, welche Aspekte des Bezugsrahmens als Beurteilungskriterien und welche als Entscheidungsalternativen einzuordnen sind, hängt von der mit der ANP-Anwendung verfolgten Zielsetzung ab. Im Rahmen der vorliegenden 633
634
Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.3.3. Wie die Ausführungen von Dellmann zeigen und auch andere Anwendungen des ANP demonstrieren, ist prinzipiell aber auch die Verwendung und Verrechnung quantitativer Kosteninformationen möglich, wenn diese vorliegen (vgl. zu Beispielen Dellmann 1999a, S. 1032ff.). Vgl. Abschnitt 1.5.
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
187
Arbeit ist das Ziel gemäß Forschungsfrage (3), allgemeine empirische Erkenntnisse über die Bedeutung verschiedener Komplexitätsausprägungen, Komplexitätsformen sowie Kategorien von Komplexitätskosten und -nutzen zu generieren.635 Die zentrale Fragestellung der ANP-Anwendung lautet daher: Welche relative Bedeutung haben verschiedene Komplexitätsausprägungen als Stellhebel des Komplexitätsmanagements unter Berücksichtigung ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen? Die im ANP zu beurteilenden Alternativen des Komplexitätsbewertungsmodells sind dementsprechend die insgesamt 37 Ausprägungen der Komplexitätsformen, die die konstitutiven Merkmale der Komplexität – Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik – widerspiegeln.636 Diese Komplexitätsausprägungen sind in der Darstellung der Grobstruktur des Komplexitätsbewertungsmodells in Abbildung 15 im unteren Teil des Modells, in der Alternativenkomponente ܥଵ , erfasst. Diese Alternativen werden beurteilt hinsichtlich ihres Einflusses auf die Höhe der zehn Komplexitätsformen, die somit Beurteilungskriterien darstellen und im Modell in Komponente ܥଶ zusammengefasst sind. Die in Abschnitt 3.3.4 thematisierte Interdependenz zwischen den Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen findet in diesem Teil des Komplexitätsbewertungsmodells Berücksichtigung und ist durch innere Abhängigkeiten der Komponente ܥଶ – dargestellt durch die gerichtete Kante der Komponente auf sich selbst – erfasst. Neben den Komplexitätsformen bilden die Komplexitätskostenarten sowie die Komplexitätsnutzenkategorien weitere Beurteilungskriterien des Komplexitätsbewertungsmodells. Diese sind dargestellt in jeweils einer eigenen Komponente (ܥଷ und ܥସ ). Die Detailzusammenhänge zwischen den Elementen von Komponente ܥଶ (den zehn Komplexitätsformen) und einerseits den Elementen von Komponente ܥଷ (den sechs Kostenarten) sowie andererseits den Elementen von Komponente ܥସ (den Nutzenkategorien) ergeben sich aus den in den Abschnitten 3.4.3 und 3.5.3 definierten Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexitätsformen. Zwischen den Komplexitätskostenarten selbst bestehen keine Abhängigkeiten. Die Wirkungsbeziehungen zwischen den verschiedenen Nutzenkategorien637 der Komplexität sind durch innere Abhängigkeiten der Komponente ܥସ im Modell berücksichtigt. Für die Bestimmung der relativen Bedeutung, die 635
636 637
Vgl. zu weiteren Anwendungsmöglichkeiten des Komplexitätsbewertungsmodells, z.B. der Untersuchung konkreter komplexitätsverändernder Maßnahmen im Unternehmen, auch Kapitel 6. Vgl. im Detail die Abschnitte 3.3.1 bis 3.3.3. Auf eine detaillierte Darstellung wird in Abbildung 15 aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Vgl. Abschnitt 3.5.2.
188
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
den verschiedenen betrachteten Kostenarten und Nutzenkategorien zukommt, ist zudem ein Vergleich der entsprechenden Elemente der Komponenten ܥଷ und ܥସ in Bezug auf die Komplexitätsformen in Komponente ܥଶ erforderlich, dargestellt durch die beidseitig gerichteten Kanten zwischen diesen Komponenten des Modells.
Kontrollhierarchie
Komponente : Kosten-Nutzen-Vergleich Ǥͳ : Kosten-Nutzen-Vergleich
Komponente ͷ: Komplexitätskosten und -nutzen (Kontrollkriterien) ͷǤͳ : Kosten der Komplexität
Komponente Ͷ: Komplexitätsnutzenkategorien
Komponente ʹ: Komplexitätsformen
Komponente ͳ: Komplexitätsausprägungen
Subnetzwerk zum Nutzenkriterium
Subnetzwerk zum Kostenkriterium
Komponente ͵: Komplexitätskostenarten
ͷǤʹ: Nutzen der Komplexität
Abbildung 15: Grobstruktur des Komplexitätsbewertungsmodells638
Um differenzierte Erkenntnisse über die Komplexitätsformen und -ausprägungen zu erhalten, ist darüber hinaus die Verwendung einer Kontrollhierarchie sinnvoll, die aus zwei Kontrollkriterien zu Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen besteht. Diese sind im oberen Teil der in Abbildung 15 dargestellten Modellstruktur abgebildet (Komponente ܥହ ). Somit besteht das Modell aus zwei Subnetzwerken: Das Subnetzwerk zum Kontrollkriterium Komplexitätskosten setzt sich zusammen aus den Komponenten ܥଵ (Komplexitätsausprägungen), ܥଶ (Komplexitätsformen) und ܥଷ (Komplexitätskostenarten), das Subnetzwerk zum Kontrollkriterium Komplexitätsnutzen aus den Komponenten ܥଵ (Komplexitätsausprägungen), ܥଶ (Komplexitätsformen) und ܥସ (Komplexitätsnutzenkategorien). Über den in der Kontrollhierarchie vorgenommenen Kosten-Nutzen638
In der für den ANP üblichen Darstellung, der hier gefolgt wird, kennzeichnet ein Pfeil zwischen zwei Komponenten nicht die Richtung des Einflusses, sondern die der Abhängigkeit (vgl. hierzu auch Fußnote 519 in Abschnitt 4.2).
ANP als Instrument zur Analyse von Komplexität und ihren Wirkungen
189
Vergleich wird ein Gewichtungsfaktor bestimmt, der der Aggregation der in den Subnetzwerken zu Kosten und Nutzen ermittelten Prioritäten der betrachteten Alternativen dient. Das in Abbildung 15 in seinem Gesamtaufbau dargestellte Komplexitätsbewertungsmodell bildet die Grundlage der empirischen Studie des nachfolgenden Kapitels 5.
5
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
5.1
Vorgehensweise
Inhalt von Kapitel 5 ist die empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells zur Untersuchung der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen.639 Damit werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen gemäß Forschungsfrage (2) Einsichten bezüglich der Eignung des ANP als Methodik zur Messung von Komplexität und ihren Wirkungen gewonnen werden. Zum anderen werden gemäß Forschungsfrage (3) empirische Erkenntnisse zur Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie deren Wirkungen generiert. Bisher wurde der ANP nicht für komplexitätsbezogene Fragestellungen herangezogen. Aufgrund der Neuartigkeit der Untersuchung wurde für die empirische Anwendung eine explorative Vorgehensweise gewählt, deren Ziel es ist, anhand von Fallstudien erste Einsichten in das Forschungsproblem zu generieren.640 In Abschnitt 5.2 wird zunächst der Aufbau der Untersuchung (Auswahl der Unternehmen und Befragten, Anpassung des Modells sowie die gewählte Vorgehensweise bei der Befragung) beschrieben, bevor in Abschnitt 5.3 die Ergebnisse dargestellt werden. Abschnitt 5.4 fasst die zentralen Erkenntnisse aus der empirischen Anwendung des Modells zusammen.
5.2
Erhebungskonzeption und Design der Untersuchung
5.2.1
Auswahl der Unternehmen und befragten Personen
Gemäß der explorativen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit werden im Rahmen einer Fallstudienanalyse ausgewählte Fälle hinsichtlich des Untersuchungs-
639 640
Die empirische Anwendung entspricht den Schritten 2 bis 7 der ANP-Vorgehensweise (vgl. Abschnitt 4.3.2). Vgl. Churchill Jr/Iacobucci 2005, S. 80; Fantapié Altobelli 2007, S. 23f.
192
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
gegenstandes analysiert, ohne Anspruch auf Repräsentativität der Ergebnisse zu erheben.641 Für die Untersuchung wurden insgesamt sechs Schweizer Unternehmen ausgewählt, jeweils zwei aus den Dienstleistungsbranchen Banken, Versicherungen und Telekommunikation. Dabei wurden je Branche Unternehmen einbezogen, die sich in Hinblick auf die Größe (Umsatz, Mitarbeiterzahl), die Breite des Leistungsangebots und die regionale Marktabdeckung unterscheiden, um zu überprüfen, inwieweit mit dem gewählten Ansatz eine Messung von Unterschieden in der Komplexität und ihren Wirkungen möglich ist, zudem aber auch Gemeinsamkeiten zu identifizieren sind, die auf allgemeingültige Muster und Aussagen über Komplexität in Dienstleistungsunternehmen hindeuten. Insgesamt wurden 21 Personen zu ihrer Einschätzung der Komplexitätswirkungen befragt, in jedem der ausgewählten Unternehmen zwischen zwei und fünf Personen. Bei der Auswahl der befragten Personen wurde darauf geachtet, dass sie aufgrund ihrer Position und/oder der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit in der Lage sind, die Komplexität des Unternehmens bzw. des betrachteten Unternehmensbereiches einzuschätzen. Es wurden Mitarbeiter in leitenden Positionen sowie Personen befragt, die im Unternehmen eine Schnittstellenfunktion einnehmen und entsprechend einen Überblick über das Leistungsangebot sowie die damit zusammenhängenden Potenziale und Prozesse haben.
5.2.2
Anpassung des ANP-Modells für die Untersuchung
Für das in Abschnitt 4.5 entwickelte Gesamtmodell mit zehn Komplexitätsformen sind im ANP in der Summe mehr als 600 Paarvergleiche erforderlich. Während eine Erhebung diesen Umfangs für eine Einzelfallbetrachtung – z.B. für die Untersuchung der Komplexitätswirkungen einer konkreten Entscheidung in einem Unternehmen – grundsätzlich durchführbar ist,642 war für die Zwecke der vorliegenden Arbeit eine Einschränkung nötig, die eine vergleichbare Erhebung bei den sechs ausgewählten Unternehmen ermöglicht. Die Anzahl der untersuchten Komplexitätsformen und die Zahl der einbezogenen Komplexitätskostenarten stellen im Modell die größten Einflussfaktoren auf die Menge an erforderlichen Paarvergleichen dar. Die Reduktion des Modells für die empirische Untersuchung erfolgte daher über diese beiden Modellbestandteile. 641 642
Vgl. Fantapié Altobelli 2007, S. 23f. Denkbar wäre beispielsweise eine sukzessive Erhebung der Paarvergleiche in mehreren zeitlich getrennten Erhebungsphasen. Für die vorliegende Studie war eine solche Vorgehensweise aufgrund der zeitlichen Verfügbarkeit der Probanden nicht möglich.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
193
Probeinterviews mit Fragebögen für verschieden umfangreiche Modellvarianten zeigten, dass in der Haupterhebung eine Untersuchung von drei der zehn Komplexitätsformen sowie drei der sechs Komplexitätskostenarten durchführbar ist.643 Für ein solches Teilmodell sind 67 Paarvergleiche erforderlich.644 Für die Auswahl der einzubeziehenden Komplexitätsformen wurde in einer Vorstudie erhoben, welche Bedeutung die verschiedenen Komplexitätsformen aufweisen und wie stark die Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexitätsformen eingeschätzt werden.645 Auf Basis der in Tabelle 21 wiedergegebenen Ergebnisse der Vorstudie wurden von den zehn möglichen Komplexitätsformen die Dienstleistungskomplexität, die Komplexität der Leistungs- Supportund Kundenprozesse sowie die Mitarbeiterkomplexität für die Hauptuntersuchung ausgewählt, da diese in der Vorstudie die höchsten Ausprägungen aufweisen. Die Auswahl ist sowohl aus konzeptionellen als auch aus inhaltlichen Gründen sinnvoll:
643
644
645
Aus konzeptioneller Sicht ist hervorzuheben, dass durch die drei gewählten Komplexitätsformen alle drei Dienstleistungsdimensionen Berücksichtigung finden: Durch die Dienstleistungskomplexität ist die
Zentrale Kriterien waren hierbei die Dauer der Erhebung und die Anforderungen an die Befragten. Nach Rücksprache mit den beteiligten Unternehmen wurde die maximale Dauer der Erhebung je befragter Person auf eine Stunde begrenzt, um eine Ermüdung und Überforderung der Probanden zu vermeiden. Zum Vergleich: Bei Untersuchung aller sechs Komplexitätskostenarten steigt die Zahl der Paarvergleiche auf 112 an. Eine Erhebung dieses Umfangs erwies sich in den Probeinterviews – auch aufgrund des teilweise hohen Erklärungsbedarfs zu den Inhalten der Studie – als nicht innerhalb einer Stunde durchführbar. Hierfür wurden Fragebögen an jeweils einen Mitarbeiter der an der Hauptbefragung beteiligten sechs Unternehmen sowie ergänzend zum Vergleich an acht Mitarbeiter weiterer Dienstleistungsunternehmen verschickt. Varianzanalysen ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen den Antworten der an der Hauptuntersuchung beteiligten Unternehmen und denen der übrigen Befragten, so dass der Auswahl der Komplexitätsformen die Aussagen aller 14 in der Vorstudie befragten Personen zugrunde gelegt wurden. Die Fragebögen dieser Vorstudie sind in Anhang 2 wiedergegeben. Nach der im Fragebogen enthaltenen Komplexitätsform der subjektiven Komplexitätswahrnehmung durch Kunden wurde zwar in dieser Vorstudie noch gefragt, infolge der Expertengespräche zur Validierung des in Kapitel 3 entwickelten Bezugsrahmens wurde diese allerdings aus dem Modell eliminiert, da Überschneidungen mit den Nutzenkategorien der Komplexität bestanden. Die Vorstudie ergab für diese subjektive Komplexitätswahrnehmung durch Kunden ebenfalls nur eine nachrangige Bedeutung (Rang 10 von 11 nach Höhe der Ausprägung).
194
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells Ergebnisdimension, durch die Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse die Prozessdimension und durch die Mitarbeiterkomplexität die Potenzialdimension erfasst. Bei den drei Komplexitätsformen handelt es sich zudem jeweils um die Komplexitätsform mit der höchsten Ausprägung innerhalb der entsprechenden Dienstleistungsdimension (vgl. Tabelle 21).
Aus inhaltlicher Sicht ist die Auswahl ebenfalls interessant, da die drei Komplexitätsformen in der Vorstudie unterschiedlich hinsichtlich ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen eingeschätzt wurden. So wird bezüglich der Mitarbeiterkomplexität – trotz der höchsten Komplexitätsausprägung – bei den Kosten- und Nutzenwirkungen eine eher nachrangige Bedeutung vermutet (jeweils Rang 8; vgl. Tabelle 21). Demgegenüber wird die ökonomische Relevanz der Dienstleistungskomplexität mit Rang 3 sowohl bei den Kosten- als auch bei den Nutzenwirkungen als relativ hoch eingeschätzt. Der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse wird hohe Kostenrelevanz, aber nur niedriger Nutzen zugesprochen.
Somit decken die Dienstleistungskomplexität, die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse sowie die Mitarbeiterkomplexität ein heterogenes Spektrum unterschiedlicher Konstellationen ab und bilden eine geeignete Auswahl für die in der vorliegenden Arbeit angestrebte erstmalige Messung der Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen anhand des ANP. Die Wahl der einzubeziehenden Komplexitätskostenarten wurde auf Basis von Informationen aus den Expertengesprächen getroffen.646 Übereinstimmend hielten die Gesprächspartner aus Dienstleistungsforschung und -praxis die Komplexitätskosten der Koordination für die besonders relevante Kostenart. Daneben wurde von den Experten die Bedeutung der Komplexitätskosten durch Abweichung (z.B. infolge der Integration des externen Faktors) und der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft (aufgrund der hohen Bedeutung der Dienstleistungspotenziale für die Leistungserbringung) hervorgehoben. Infolge der vorgenommenen Beschränkung auf drei Komplexitätsformen wird im Modell eine der untersuchten Kostenarten (die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft) lediglich von einer Komplexitätsform (der Mitarbeiterkomple-
646
Vgl. zu den durchgeführten Expertengesprächen Abschnitt 3.1.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
195
Ausprägung der Komplexitätsform; Skala: -3 (niedrig) bis +3 (hoch)
Standardabweichung
Rang (gesamt)
Rang (innerhalb der Dienstleistungsdimension)
Kostenwirkung der Komplexitätsform; Skala: 1 (niedrig) bis 7 (hoch)
Rang nach Kostenwirkung
Nutzenwirkung der Komplexitätsform; Skala: 1 (niedrig) bis 7 (hoch)
Rang nach Nutzenwirkung
xität) beeinflusst, weshalb ein Paarvergleich verschiedener Komplexitätsformen hinsichtlich ihres Einflusses auf diese Kosten nicht mehr möglich ist.
Leistungsprogrammkomplexität
1,50
1,45
5
2
5,79
1
5,57
2
Dienstleistungskomplexität
1,71
1,38
3
1
5,29
3
5,50
3
Kundenstrukturkomplexität
1,07
1,69
8
3
4,14
9
5,43
4
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
1,86
1,03
2
1
5,43
2
4,00
10
Aufgabenkomplexität
1,71
1,44
4
2
4,36
7
4,86
7
Komplexität des externen Faktors
1,21
1,85
7
3
5,00
4
6,00
1
Mitarbeiterkomplexität
2,07
1,07
1
1
4,14
8
4,29
8
Standort-/ Filialkomplexität
0,36
2,37
10
4
3,71
10
5,29
5
Materialkomplexität
1,29
1,94
6
2
4,43
6
5,14
6
Technologische Komplexität
1,07
2,37
9
3
4,92
5
4,21
9
Resultate der Vorstudie
Potenzialdimension
Prozessdimension
Ergebnisdimension
Komplexitätsform
Tabelle 21:
Durchschnittliche Beurteilung der Ausprägung sowie der Kosten- und Nutzenwirkungen verschiedener Komplexitätsformen (Vorstudie)
Daher erfolgt eine weitere Modellanpassung dahingehend, dass für die Erhebung alle untersuchten Kostenarten sowie alle vier direkt von der Komplexität beeinflussten Nutzenkategorien mit den drei betrachteten Komplexitätsformen verknüpft werden. Somit werden die Einflüsse der Dienstleistungs- und der Mitarbeiterkomplexität sowie der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse auf alle Kostenarten und alle direkt betroffenen Nutzenkategorien untersucht. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass sich die in den Abschnitten 3.4.3 und 3.5.3 konzeptionell erarbeiteten Zusammenhänge zwischen Komplexität und Kostenarten bzw. Nutzenkategorien – zumindest für die
196
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
betrachteten Komplexitätsformen – überprüfen lassen. In Abbildung 16 ist das für die empirische Untersuchung angepasste Teilmodell im Überblick dargestellt.647
5.2.3
Aufbau und Durchführung der Befragung
Als Grundlage der Berechnungen im ANP sind bei der in Abbildung 16 dargestellten Modellstruktur Paarvergleiche in insgesamt acht unterschiedlichen Konstellationen erforderlich (vgl. auch die Nummerierung der gerichteten Kanten in Abbildung 16). Hieraus leitet sich der Aufbau des Fragebogens ab,648 der sich aus folgenden acht Frageblöcken zusammensetzt:649
647
648 649
In Frageblock 1 wird erhoben, welchen relativen Einfluss die jeweils vier Komplexitätsausprägungen in Komponente ܥଵ auf die Höhe der Komplexitätsformen in Komponente ܥଶ ausüben.
Frageblock 2 hat die gegenseitigen Einflüsse der Komplexitätsformen zum Inhalt. Diese sind im Komplexitätsbewertungsmodell durch innere Abhängigkeiten der Komponente ܥଶ abgebildet.
In Frageblock 3 wird erfasst, welchen Einfluss die betrachteten Komplexitätsformen auf die Komplexitätskosten ausüben (Verbindung zwischen den Komponenten ܥଶ und ܥଷ ).
Die Darstellung orientiert sich an der Darstellungsweise der ANP-Software Super Decisions, in der die Komponenten mit den jeweils enthaltenen Elementen abgebildet werden. Die Verbindung zwischen zwei Komponenten zeigt an, dass mindestens ein Element der einen Komponente mit mindestens einem Element der anderen Komponente verbunden ist. Auf die Abbildung dieser einzelnen Verbindungen auf Ebene der Elemente (i.e. Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie Kostenarten und Nutzenkategorien) wird zugunsten der Übersichtlichkeit an dieser Stelle verzichtet. Die Detaildarstellung erfolgt jeweils in den folgenden Abschnitten. Der Fragebogen ist in Anhang 3 wiedergegeben. Auf eine paarweise Beurteilung der Netzwerkkomponenten wurde in der Befragung verzichtet. Dies hätte aufgrund der gewählten Modellstruktur z.B. einen Paarvergleich der Komponente „Komplexitätsformen“ mit der Komponente „Komplexitätsnutzenkategorien“ hinsichtlich des größeren Einflusses auf die Komponente „Nutzenkategorien“ erfordert, was inhaltlich nicht sinnvoll ist. Ohne die Bewertung auf Komponentenebene werden die verschiedenen Komponenten gleichgewichtet.
197
Komponente : Kosten-Nutzen-Vergleich Ǥͳ : Kosten-Nutzen-Vergleich
j Komponente ͷ: Komplexitätskosten und -nutzen (Kontrollkriterien) ͷǤͳ : Kosten der Komplexität
ͷǤʹ: Nutzen der Komplexität
Komponente ͵: Komplexitätskostenarten
Komponente Ͷ: Komplexitätsnutzenkategorien
͵Ǥͳ : Komplexitätskosten der Koordination ͵Ǥʹ: Komplexitätskosten durch Abweichung ͵Ǥ͵: Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
ͶǤͳ : Synergieeffekte ͶǤʹ: Produktivitätseffekte ͶǤ͵: Umsatz ͶǤͶ: Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen) ͶǤͷ: Wiederkauf- und Cross-Buying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen)
ͶǤ: Zahlungsbereitschaft
e f
ͶǤ: Komplexitätsnutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen)
ͶǤͺ: Komplexitätsnutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen)
g i
Komponente ʹ: Komplexitätsformen
h
ʹǤͳ : Dienstleistungskomplexität ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität
c
d
Komponente ͳ: Komplexitätsausprägungen (Alternativen) ͳǤͳǤͳ: Anzahl an Teilleistungen ͳǤͳǤʹ: Heterogenität der Teilleistungen ͳǤͳǤ͵ : Grad der inhaltlichen Verknüpfung/Abhängigkeit zwischen den Teilleistungen
ͳǤͳǤͶ : Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
ͳǤʹǤͳ: Anzahl erforderlicher Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
ͳǤʹǤʹ: Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse
ͳǤʹǤ͵ : Unvorhergesehene Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
ͳǤʹǤͶ : Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
ͳǤ͵Ǥͳ: Vielzahl der Mitarbeiter ͳǤ͵Ǥʹ: Heterogenität der Mitarbeiter ͳǤ͵Ǥ͵ : Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm
ͳǤ͵ǤͶ : Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
Abbildung 16: Komplexitätsbewertungsmodell für die empirische Untersuchung (Teilmodell)
Subnetzwerk zum Nutzenkriterium
Subnetzwerk zum Kostenkriterium
Kontrollhierarchie
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
198
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Die relative Bedeutung der Kostenarten für die Komplexitätsformen ist Gegenstand von Frageblock 4 (Komponenten ܥଶ und ܥଷ ).650
In Frageblock 5 wird nach den direkten Nutzenwirkungen der Komplexität gefragt, die in den Synergie- und Produktivitätseffekten sowie den psychologischen Wirkungskategorien beim Kunden bestehen (Verbindung zwischen den Komponenten ܥଶ und ܥସ ).651
Die indirekten Nutzenwirkungen der Komplexität – die Einflüsse der psychologischen auf die Verhaltenswirkungen sowie der Verhaltenswirkungen auf den Umsatz – sind Inhalt von Frageblock 6. Diese sind im Komplexitätsbewertungsmodell als innere Abhängigkeiten in der Netzwerkkomponente ܥସ abgebildet.
Die Beurteilung der relativen Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenwirkungen (Synergie- und Produktivitätseffekte sowie Umsatz) in Bezug auf die Komplexitätsformen erfolgt in Frageblock 7 (gerichtete Kante zwischen den Komponenten ܥସ und ܥଶ ).
Schließlich umfasst Frageblock 8 den Kosten-Nutzen-Vergleich in der Kontrollhierarchie des Modells, auf dessen Basis Gewichtungsfaktoren für die Ergebnisse aus den Subnetzwerken ermittelt werden (Verbindung zwischen den Komponenten ܥହ und ) ܥ.
Die Befragung wurde in Form persönlicher Interviews durchgeführt, um den Probanden bei Verständnisproblemen Hilfestellung leisten zu können. Einleitend wurde den Befragten für ein besseres Verständnis des Zusammenhangs das Komplexitätsbewertungsmodell sowie – anhand eines einfachen Beispiels – der ANP-Ansatz und die damit verbundenen Paarvergleiche vorgestellt. Zudem wurden die Befragten schrittweise durch den Fragebogen geführt und ihnen verbal und anhand unterstützender Modelldarstellungen die Inhalte der verschiedenen Frageblöcke erläutert. Der Fragebogen wurde dann von den Probanden selbst ausgefüllt. Die Aggregation der Daten für die Auswertung erfolgte anhand der Berechnung des geometrischen Mittelwerts der von den befragten Personen abgegebenen
650 651
Vgl. zu Frageblock 4 auch die einleitenden Ausführungen in Abschnitt 5.3.4.2. Vgl. zur Unterscheidung der Nutzenkategorien in direkte und indirekte Wirkungen Abschnitt 3.5.3.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
199
Paarvergleichsurteile.652 Auf Basis der geometrischen Mittelwerte wurden unternehmensspezifische Auswertungen sowie eine Gesamtauswertung (mit dem Mittelwert aller 21 Befragten) des Komplexitätsbewertungsmodells vorgenommen. Um einen Informationsverlust zu vermeiden, wurden die geometrischen Mittelwerte als exakte Werte mit Nachkommastellen und nicht als gerundete ganzzahlige Werte auf der Saaty-Skala eingegeben. Die Darstellung der auf diesen aggregierten Daten basierenden Ergebnisse ist Gegenstand der nachfolgenden Abschnitte.
5.3
Resultate der empirischen Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Im Folgenden werden die Ergebnisse der in den sechs Unternehmen durchgeführten Befragung (Hauptuntersuchung) vorgestellt. Zunächst erfolgt eine Betrachtung der von den befragten Personen abgegebenen Paarvergleichsurteile sowie der darauf basierenden Konsistenzwerte Ǥ ࡾǤ (Abschnitt 5.3.1), um mögliche Schwierigkeiten bei der Beantwortung des Fragebogens zu identifizieren. In Abschnitt 5.3.2 wird auf die untersuchten Komplexitätsausprägungen und ihren Einfluss auf die Komplexitätsformen eingegangen. Die drei in die Untersuchung einbezogenen Komplexitätsformen werden darauffolgend sowohl hinsichtlich ihrer gegenseitigen Einflüsse (Abschnitt 5.3.3) als auch bezüglich ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen (Abschnitte 5.3.4 und 5.3.5) beschrieben. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse schließt in Abschnitt 5.3.6 mit der Beschreibung der relativen Bedeutung der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie der Kostenarten und der Nutzenkategorien. Die zentralen Erkenntnisse aus der empirischen Anwendung werden in Abschnitt 5.4 kurz zusammengefasst. Der skizzierte Aufbau folgt damit der Unterscheidung zwischen den Einflüssen, den die betrachteten Elemente (z.B. eine Komplexitätsausprägung auf eine Komplexitätsform oder die Komplexitätsformen untereinander) ausüben, und der
652
Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass auch für die aggregierten Daten die Reziprozitätsbedingung erfüllt ist (vgl. Saaty 2001b, S. 61; Saaty 2006a, S. 23; vgl. auch Aczél/Saaty 1983; Aczél/Roberts 1989; Ossadnik 1998, S. 142; Werani 2004, S. 94; Erdogmus/Kapanoglu/Koç 2005, S. 395; Demirtas/Ustun 2009, S. 683; zu einem Rechenbeispiel, das die Erfüllung der Reziprozitätsbedingung durch das geometrische Mittel veranschaulicht, vgl. Meixner/Haas 2002, S. 228f.).
200
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
relativen Bedeutung, die den Elementen im Komplexitätsbewertungsmodell zukommt. Mit dem Einfluss eines Elements ist die aus der ungewichteten Supermatrix entnommene lokale Priorität dieses Elements gemeint, die den direkten Einfluss auf ein anderes Element angibt (Abschnitte 5.3.1 bis 5.3.5).653 Unter dem Begriff Bedeutung werden jeweils die globalen Prioritäten aus den Limitmatrizen der Subnetzwerke zu den Kontrollkriterien Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen dargestellt, die die Gesamtbedeutung des Elements unter Berücksichtigung sämtlicher direkter und indirekter Interdependenzen im Modell wiedergeben (Abschnitt 5.3.6). Zu sämtlichen Inhalten werden jeweils die Einzelresultate der in die Studie einbezogenen Unternehmen sowie die Ergebnisse einer Gesamtauswertung angeführt, in die alle befragten Personen integriert wurden.654
5.3.1
Betrachtung der Konsistenzwerte und der Paarvergleichsurteile
Vor der Darstellung der mittels der ANP-Software berechneten Ergebnisse ist es Ziel dieses Abschnitts, auf Basis der von den Befragten abgegebenen Paarvergleiche zu eruieren, ob Probleme bei der Beantwortung des Fragebogens bestehen. Hierzu sind zwei Betrachtungsweisen möglich: Zum einen lässt sich anhand der im ANP berechenbaren Konsistenzwerte Ǥ ࡾǤ zeigen, ob das Antwortverhalten der Befragten in sich logisch ist. Zum anderen kann ein Vergleich der von den Mitarbeitern eines Unternehmens abgegebenen Paarvergleichsurteile Anhaltspunkte darüber liefern, inwieweit es den Befragten möglich war, eine einheitliche Einschätzung bezüglich der Komplexität und ihrer Wirkungen im Unternehmen abzugeben.
653
654
Die einzige Ausnahme bilden die lokalen Prioritäten, die aus dem Vergleich der Kostenarten und der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Komplexitätsformen ermittelt wurden und die als lokale Bedeutung zu interpretieren sind (vgl. auch die Erklärungen in den entsprechenden Abschnitten 5.3.4.2 und 5.3.5.3). Die Gesamtauswertung basiert nicht auf einer Durchschnittsbildung der unternehmensspezifischen Einzelresultate, sondern auf einer separaten Auswertung des ANPModells, für die die Paarvergleichsurteile aller befragten Personen anhand des geometrischen Mittelwerts aggregiert wurden (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.2.3).
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
201
5.3.1.1 Analyse der Konsistenzwerte In der Befragung wurde darauf verzichtet, die Befragten auf Inkonsistenzen in ihren Antworten hinzuweisen. Auf diese Weise wurde zum einen ein bewusstes Antwortverhalten vermieden, das sich nicht an den jeweiligen Inhalten der Paarvergleiche, sondern an möglichst hoher Konsistenz der Antworten ausrichtet. Zum anderen liefern die Konsistenzwerte so Informationen über mögliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie deren Kosten- und Nutzenwirkungen. Wie in Schritt 4 der ANPVorgehensweise (vgl. Abschnitt 4.3.2) dargestellt, wird zudem durch die Verbesserung der Konsistenzwerte keine Verbesserung der Ergebnisse erreicht. Dementsprechend wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass ܥǤ ܴǤ-Werte von bis zu 0,2 akzeptabel sind, solange sichergestellt ist, dass die Paarvergleiche tatsächlich die Meinung des Befragten widerspiegeln und die Inkonsistenz nicht auf Fehlern beruht.655 In der Befragungssituation der vorliegenden Untersuchung zeigten die Befragten keine Anzeichen von Überforderung, weshalb davon ausgegangen wird, dass die gegebenen Antworten die tatsächliche Einschätzung der Probanden zu den abgefragten Inhalten wiedergeben. Die Konsistenzwerte, die für die einzelnen Paarvergleichsmatrizen, d.h. für jede Frage in der Erhebung, ermittelt werden, deuten nicht auf systematische Probleme bei der Beantwortung der Fragen hin. Von den in Tabelle 22 dargestellten Konsistenzwerten der einzelnen Befragten liegen knapp 60% unter dem in der Literatur als Akzeptanzschwelle genannten Wert von 0,2, rund 92% unter einem Wert von 0,5. Lediglich 29 Konsistenzwerte liegen über 0,5 und somit deutlich über dem geforderten Schwellenwert. Betrachtet man die Konsistenzwerte der in der Erhebung gestellten Fragen,656 zeigt sich, dass bei 15 der 17 Fragen mehr als die Hälfte der Probanden konsistent geantwortet hat. Lediglich bei zwei Frageblöcken hat mit 11 von 21 Personen geringfügig mehr als die Hälfte der Befragten inkonsistente Antworten gegeben. Bei keiner Frage ist der Anteil inkonsistenter Antworten auffällig hoch.
655 656
Vgl. Cox/Alwang/Johnson 2000, S. 152; Bodin/Gass 2003, S. 1491 sowie Fußnote 583. Die acht in Abschnitt 5.2.3 beschriebenen Frageblöcke des Fragebogens umfassen insgesamt 24 Fragen. Konsistenzwerte wurden für die 17 Fragen errechnet, die aus mehr als einem Paarvergleich bestehen. Die Fragen mit nur einem Paarvergleich weisen grundsätzlich einen Konsistenzwert von Null auf, da hier keine inkonsistenten Antworten möglich sind.
202
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Entsprechend sind keine systematischen Schwierigkeiten bei der Beantwortung einzelner Fragen zu erkennen. Auch die Analyse der Konsistenzwerte je befragter Person ergibt nur vereinzelt Auffälligkeiten. Lediglich acht der 21 Befragten haben mehr als die Hälfte der Fragen inkonsistent beantwortet (ܥǤ ܴǤ > 0,2). Von diesen acht Personen liegt bei sechs Probanden der über alle Fragen gebildete durchschnittliche Konsistenzwert zwischen 0,25 und 0,38 und damit nur geringfügig über dem Schwellenwert von 0,2. In den übrigen zwei Fällen weist der durchschnittliche Konsistenzwert mit 0,67 und 0,85 relativ hohe Werte auf. Mit diesen zwei Ausnahmen ist somit auch bei Betrachtung des Antwortverhaltens der einzelnen Befragten kein systematisches Problem bei der Beantwortung des Fragebogens ersichtlich. Zudem zeigt sich eine Verbesserung der Konsistenzwerte durch die Aggregation der Paarvergleiche anhand des geometrischen Mittelwerts, der den unternehmensspezifischen Auswertungen der Befragungsergebnisse zugrunde liegt. Bei Verwendung der aggregierten Daten liegen alle Konsistenzwerte von Versicherung B und Telekom B unter der Akzeptanzschwelle von 0,2. Bei Bank A, Bank B und Versicherung A überschreitet lediglich ein Konsistenzwert den Schwellenwert. Bei Telekom A liegen drei der 17 Werte geringfügig oberhalb der akzeptablen Grenze (vgl. Tabelle 22). Somit ist die den Auswertungen zugrunde liegende Datenbasis insgesamt als akzeptabel zu bewerten.
5.3.1.2 Analyse der Paarvergleichsurteile Zusätzlich zur Analyse der Konsistenzwerte ist eine Betrachtung der von den Befragten abgegebenen Paarvergleichsurteile sinnvoll, insbesondere um zu eruieren, inwieweit Abweichungen zwischen den Antworten der Mitarbeiter eines Unternehmens bestehen und wie einheitlich somit deren Einschätzung der Komplexität und ihrer Wirkungen ausfällt.
Tabelle 22:
-
2.3
-
-
-
-
-
6.3
-
-
-
-
-
-
Übersicht über die Konsistenzwerte (Einzel- und aggregierte Werte) (Legende: grau hervorgehoben sind ܥǤ ܴǤ-Werte > 0,2)
Ø
-
0.25 0.07 0.16
-
7.3
-
0.00 0.05 0.00
7.2
8
0.35 0.00 0.01
0.35 0.45 0.05
7.1
0.48 0.00 0.00
-
6.4
-
6.2
0.21 0.00 0.00
0.00 0.05 0.54
5.3
5.4
6.1
0.00 0.13 1.04
0.56 0.05 0.02
5.1
0.27 0.00 0.05
4.3
5.2
0.29 0.00 0.00
0.06 0.05 0.19
4.1
4.2
0.35 0.19 0.05
0.33 0.01 0.35
3.2
3.3
0.02 0.09 0.13
-
2.2
-
3.1
-
0.38 0.09 0.04
2.1
1.3
0.38 0.02 0.10
3
1.2
2
0.25 0.02 0.06
1 Gesamt
0.06
-
0.01
0.25
0.15
0.05
-
-
-
0.09
0.02
0.05
0.04
0.01
0.00
0.03
0.13
0.02
0.07
-
-
-
0.04
0.03
0.01
2
3
4
5
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0.11 0.25 0.67 0.38 0.31
-
0.28 0.19 0.16 0.00 0.28
0.00 0.01 0.05 0.00 0.00
0.00 0.25 1.18 0.35 0.28
0.05 0.02 0.18 1.70 0.28
-
-
-
0.01 0.13 0.12 0.35 0.28
0.13 0.28 0.21 0.42 0.35
0.05 0.26 0.35 0.28 0.00
0.05 0.19 0.05 0.28 0.28
0.01 0.03 0.18 0.35 1.22
0.05 0.28 0.02 0.35 0.28
0.05 0.19 0.33 0.21 0.00
0.21 0.09 0.21 0.42 0.28
0.05 0.27 3.25 0.35 0.00
0.13 0.16 3.01 0.28 0.28
-
-
-
0.49 0.16 1.36 0.19 1.02
0.18 0.12 0.36 0.44 0.13
0.08 1.64 0.42 0.38 0.22
1
Befragte Person
Befragte Person
1.1
FrageNr.
Bank B
Bank A
0.05
-
0.03
0.00
0.11
0.06
-
-
-
0.00
0.01
0.15
0.00
0.08
0.04
0.00
0.03
0.25
0.03
-
-
-
0.03
0.02
0.06
Gesamt
2
3
4
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0.42 0.28 0.16 0.03
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0.26 0.16 0.14 0.35
-
0.13 0.00 0.48 0.21
0.28 0.28 0.21 0.03
0.16 0.00 0.04 0.60
0.04 0.00 0.02 0.22
-
-
-
0.03 0.28 0.00 0.33
0.17 0.28 0.10 0.05
0.36 0.28 0.13 0.04
0.08
-
0.14
0.18
0.06
0.04
-
-
-
0.00
0.07
0.10
0.02
0.16
0.06
0.33 0.00 0.28 0.25
0.02
0.56 0.00 0.01 0.15
0.00
0.01
0.32
-
-
-
0.03
0.06
0.08
Gesamt
0.00 0.28 0.15 0.21
0.48 0.28 0.11 0.13
0.13 0.28 0.05 0.02
0.41 0.00 0.06 2.09
-
-
-
0.33 0.13 0.09 0.19
0.35 0.13 0.22 1.18
0.29 0.26 0.26 0.31
1
Befragte Person
Versicherung A
Versicherung B
2
3
4
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0.16 0.09 0.28 0.21
-
0.10 0.01 0.00 0.21
0.00 0.00 1.54 0.00
0.13 0.00 0.35 0.13
0.24 0.01 1.04 0.88
-
-
-
0.03 0.00 0.13 0.21
0.19 0.00 0.04 0.00
0.10 0.00 0.01 0.21
0.35 0.03 0.00 0.05
0.35 0.28 0.00 0.28
0.07 0.00 0.05 0.07
0.28 0.00 0.31 0.00
0.02 0.00 0.08 0.13
0.19 0.00 0.01 0.88
0.19 0.28 0.62 0.13
-
-
-
0.22 0.00 0.02 0.13
0.05 0.93 0.12 0.12
0.11 0.06 0.40 0.06
1
Befragte Person
0.05
-
0.03
0.08
0.11
0.11
-
-
-
0.00
0.02
0.00
0.05
0.02
0.00
0.00
0.05
0.11
0.00
-
-
-
0.02
0.13
0.07
Gesamt
Telekom A
2
3
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0.15 0.85 0.16
-
0.02 0.62 0.13
0.10 0.50 0.28
0.19 0.35 0.20
0.09 0.42 0.34
-
-
-
0.50 0.55 0.21
0.10 0.23 0.28
0.28 3.68 0.06
0.42 0.35 0.13
0.10 0.16 0.01
0.12 0.25 0.14
0.07 2.60 0.01
0.12 0.16 0.00
0.03 0.27 0.31
0.21 3.25 0.13
-
-
-
0.03 0.33 0.09
0.14 0.39 0.26
0.04 0.36 0.06
1
Befragte Person 1
2
-
-
-
0.09
-
0.04
0.21 0.06
-
0.28 0.00
0.28 0.00
0.18 0.04 0.03
0.01
-
-
-
0.18 0.10
-
-
-
0.01 0.08
0.00 0.00
0.22 0.35
0.42 0.00
0.04 0.08
0.04 0.00
0.50 0.02
0.28 0.00
0.18 0.00
0.28 0.16
-
-
-
0.32 0.09
0.16 0.11
0.13 0.07
0.09
-
-
-
0.02
0.01
0.23
0.28
0.04
0.02
0.13
0.00
0.17
0.26
-
-
-
0.03
0.09
0.06
Gesamt
Telekom B
0.05
-
0.09
0.07
0.01
0.00
-
-
-
0.01
0.00
0.00
0.12
0.00
0.01
0.18
0.07
0.04
0.00
-
-
-
0.14
0.06
0.05
Gesamt
Befragte Person
0.01
-
0.01
0.06
0.00
0.05
-
-
-
0.00
0.00
0.00
0.00
0.02
0.00
0.00
0.00
0.05
0.00
-
-
-
0.00
0.02
0.01
Gesamtauswertung (21 Befragte)
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells 203
204
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Der Fragebogen umfasst für jedes Unternehmen insgesamt 67 einzelne Paarvergleiche. Für die sechs Unternehmen ergeben sich somit in der Summe 402 Paarvergleiche, deren Beurteilung durch die pro Unternehmen befragten Personen verglichen werden kann. In Tabelle 23 sind mit der Spannweite und der Standardabweichung zwei Kennzahlen wiedergegeben, die die durchschnittliche Streuung der Antworten in den betrachteten Unternehmen aufzeigen. Die zu beobachtenden Spannweiten (Differenz zwischen höchstem und niedrigstem abgegebenem Paarvergleichsurteil) decken dabei das gesamte Spektrum an Möglichkeiten ab: Sowohl eine Spannweite von 0 (d.h., alle im Unternehmen Befragten haben auf der Saaty-Skala exakt den gleichen Wert angegeben; dieser Fall trat 11 mal auf) als auch von 16 (d.h., beide Extrema der Skala wurden angekreuzt; dieser Fall trat nur 1 mal auf) sind zu verzeichnen.657 Die durchschnittliche Spannweite beträgt 6,72; die niedrigste Spannweite weisen die Antworten der Mitarbeiter bei Telekom B (im Durchschnitt 3,63) auf, die höchste die der Befragten bei Bank B (im Durchschnitt 9,15). Immerhin liegt die Spannweite bei 31% der Paarvergleiche (126 von 402) zwischen 0 und 4, dagegen nur bei 6% (24 von 402) im anderen Extrem zwischen 12 und 16. Die Standardabweichung der Antworten reicht von 0 bis zu einem maximalen Wert von 8,49 und liegt im Durchschnitt über alle 402 Paarvergleiche bei 3,34. Die geringste Streuung der Antworten ist bei Telekom B (2,56) und Bank A (2,92) gegeben, die höchste bei Bank B (3,87) und Telekom A (4,42). Unternehmen
Bank A
Bank B
Versicherung A
Spannweite
5,45
9,15
7,78
6,04
8,28
3,63
6,72
Standardabweichung
2,92
3,87
3,54
2,73
4,42
2,56
3,34
Streuungsmaß
Tabelle 23:
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamtdurchschnitt
Durchschnittliche Spannweite und Standardabweichung der Antworten in den betrachteten Unternehmen
Problematisch ist die Streuung der Antworten insbesondere, wenn gegensätzliche Paarvergleichsurteile abgegeben werden, da dies bei der Bildung des geometrischen Mittelwerts zu einer Nivellierung der Antworten führen kann. Wider657
Bei der Berechnung der Streuungsmaße wurde berücksichtigt, dass die Saaty-Skala zwar von -9 bis +9 reicht, aber keine 0 und nur einmal den Wert 1 umfasst.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
205
spruchsfreie Antworten sind im Unternehmen gegeben, wenn die Antworten aller Mitarbeiter des Unternehmens auf der gleichen Seite der Saaty-Skala liegen (d.h., dass entweder das maximale oder das minimale Urteil bei 1 liegt). Entsprechende Analysen zeigen, dass der Anteil widersprüchlicher Antworten mit im Gesamtdurchschnitt 64,9% überwiegt (vgl. Tabelle 24). Der Anteil widerspruchsfreier Antworten liegt bei Bank B sogar bei lediglich 13,4%. Nur bei Telekom B überwiegt mit 79,1% der Anteil widerspruchsfreier Antworten, bei Versicherung B erreicht er mit 43,3% zumindest annähernd die Hälfte der 67 Paarvergleiche. Unternehmen
Bank A
Bank B
Versicherung A
Paarvergleiche mit max. Urteil = 1
12
3
8
15
7
26
71
Paarvergleiche mit min. Urteil = 1
10
6
8
14
5
27
70
Summe
22
9
16
29
12
53
141
Anteil widerspruchsfreier Antworten
32,8%
13,4%
23,9%
43,3%
17,9%
79,1%
35,1%
Anteil widersprüchlicher Antworten
67,2%
86,6%
76,1%
56,7%
82,1%
20,9%
64,9%
Kategorie
Tabelle 24:
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamtdurchschnitt
Anteil widersprüchlicher und widerspruchsfreier Paarvergleiche
Grafische Darstellungen des Antwortverhaltens zeigen, dass hierdurch aufgrund der geringen Fallzahl tatsächlich eine Nivellierung der Antworten auftritt. Allerdings verdeutlichen die Darstellungen auch, dass die Widersprüche häufig nur durch einzelne Befragte entstehen, dabei aber keine Probanden zu identifizieren sind, die im gesamten Fragebogen durchgängig entgegengesetzt zu den anderen Mitarbeitern desselben Unternehmens antworten. In der Regel sind im Antwortverhalten dagegen sogar Parallelen zwischen den Befragten zu erkennen, die darauf hindeuten, dass tendenziell ein einheitliches Bild der Komplexität und ihrer Wirkungen besteht und lediglich die Ausprägungen auf der Saaty-Skala unterschiedlich eingeschätzt werden. Abbildung 17 veranschaulicht diese Parallelen im Antwortverhalten, aber auch die Nivellierung der Antworten bei Bildung des geometrischen Mittelwerts (dargestellt durch die schwarzen Balken) am Beispiel der Frage 1.1 zur Beurteilung der Dienstleistungskomplexität bei einem der untersuchten Unternehmen (vgl. Anhang 4 zur exemplarischen Darstellung für alle Fragen und Paarvergleiche des Unternehmens).
206
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Spannweite
Standardabweichung
11
5,32
6
2,52
6
2,94
6
2,52
2
1,00
5
2,63
Abbildung 17: Exemplarische Darstellung von Streuung und geometrischem Mittel der Paarvergleichsurteile
Als Fazit aus der Analyse der abgegebenen Paarvergleiche ist festzuhalten, dass eine Erfassung der Komplexitätsformen und ihrer Wirkungen anhand des Komplexitätsbewertungsmodells und der für den ANP typischen Paarvergleiche grundsätzlich möglich ist. Anhand weiterer Studien ist allerdings zu überprüfen, inwieweit die zu beobachtenden Parallelen im Antwortverhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens auch in größeren Stichproben Bestand haben und in repräsentativen Messungen die Nivellierung der Antworten bei Bildung des geometrischen Mittels entsprechend geringer ausfällt, als dies in den Fallstudien der vorliegenden Arbeit der Fall ist. Bei geringer Stichprobengröße ist bei weiteren Studien u.U. eine andere Erhebungsform zu erwägen. Die Streuung der Antworten im Unternehmen und somit auch die Gefahr der Nivellierung lässt sich beispielsweise verringern, indem anstelle von Einzelinterviews eine Gruppendiskussion geführt wird, in der die Beteiligten sich auf einen Kompromiss zu einigen haben.658 Bei den im folgenden dargestellten Auswertungen wurden trotz der gegebenen Streuungen im Antwortverhalten sämtliche Befragte einbezogen, insbesondere, da erstens wie beschrieben keine Befragten identifiziert wurden, die durchgängig abweichend und gegensätzlich geurteilt haben und da zweitens die Konsistenz-
658
Vgl. zu dieser Vorgehensweise und damit verbundenen Problemen Ahlert 2003, S. 50f.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
207
werte, die auf Basis der insgesamt und unternehmensspezifisch gebildeten geometrischen Mittelwerte errechnet wurden, alle ein akzeptables Niveau aufweisen.
5.3.2
Einfluss der Komplexitätsausprägungen auf die Höhe der Komplexität
Die Einflüsse der Komplexitätsausprägungen auf die Höhe der jeweiligen Komplexitätsform sind in Tabelle 25 wiedergegeben.659 Die lokalen Prioritäten der Ausprägungen einer Komplexitätsform addieren sich jeweils zu Eins und bringen damit den relativen Einfluss zum Ausdruck, den die Ausprägungen auf die Höhe der Komplexität ausüben. (1) Dienstleistungskomplexität Für die Dienstleistungskomplexität zeigt sich über alle betrachteten Unternehmen ein weitgehend einheitliches Bild, das sich somit auch in den Ergebnissen der Gesamtauswertung widerspiegelt. Insbesondere die Komplexitätsmerkmale der Dynamik und Interdependenz spielen für die Dienstleistungskomplexität eine Rolle: Der höchste Einfluss wird insgesamt dem Grad der inhaltlichen Verknüpfung/Abhängigkeit verschiedener Teilleistungen zugesprochen, der in der Gesamtauswertung Rang 1 mit 41,2% unter den vier Komplexitätsausprägungen einnimmt. Den zweithöchsten Einfluss hat mit 28,6% das Ausmaß angebotener Leistungsindividualisierungen, gefolgt von der Heterogenität der Teilleistungen. Den niedrigsten Einfluss hat die Anzahl an Teilleistungen mit einem Gesamtanteil von 10,3%. Die Einflussstärken der Treiber weisen in den betrachteten Unternehmen eine sehr unterschiedliche Bandbreite auf. Insbesondere bei den Banken (12,1% bis 50,9% bei Bank A; 14,4% bis 51,4% bei Bank B) und den Telekommunikationsunternehmen (8,8% bis 46,8% bei Telekom A; 4,5% bis 54% bei Telekom B) ist die Streuung größer als bei den Versicherungen mit Werten von 8,8% bis 38,4% bei Versicherung A und 9,4% bis 37,5% bei Versicherung B. Der Einfluss bei 659
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen – teilweise sehr große – Unterschiede zwischen den Unternehmen, die eine unternehmensindividuelle Interpretation der Resultate nahe legen. Da es sich bei den untersuchten Komplexitätsformen, -ausprägungen und -wirkungen um unternehmensinterne Aspekte handelt, ist eine Interpretation aus externer Sicht schwierig. Dennoch wird bei besonderen Auffälligkeiten versucht, die ermittelten Werte auf Basis verfügbarer Informationen über das Unternehmen zu erklären.
208
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Versicherungen verteilt sich gleichmäßiger auf die vier Komplexitätsausprägungen als in den anderen beiden Branchen, in denen der stärkste Treiber allein jeweils bereits einen Einfluss von rund 50% ausmacht. Vergleicht man die Einflussstärken einzelner Treiber über die verschiedenen Unternehmen hinweg, zeigen sich auch hier größere Abweichungen, mit Ausnahme eines konstant geringen Einflusses der Anzahl an Teilleistungen. Die Heterogenität der Teilleistungen erreicht einen Maximalwert von 54% und sonstige Werte zwischen 13,5% und 19,9%. Auch der Einfluss der Abhängigkeiten zwischen den Teilleistungen (22,8%-51,4%) und der Leistungsindividualisierungen (18,7%-46,8%) fällt sehr unterschiedlich aus. Diese beiden Ausprägungen nehmen aber in allen Unternehmen – mit Ausnahme von Telekom B – Rang 1 und 2 unter den Treibern ein. Insgesamt sind bezüglich der Dienstleistungskomplexität bei Banken und Versicherungen klare Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen.660 Die Werte der Banken weichen nur geringfügig um 0,5 bis 2,3 Prozentpunkte voneinander ab, bei den Versicherungen betragen die Abweichungen zwischen 0,6 und 5,2 Prozentpunkte. Dagegen zeigen sich bei den Telekommunikationsunternehmen Differenzen von bis zu 40,5 Prozentpunkten. Unterschiede zwischen den Branchen zeigen sich beim Grad der Verknüpfung/Interdependenz der Teilleistungen, dem bei den Banken ein deutlich höherer Einfluss (rund 51%) zukommt als bei den Versicherungen mit 18% und 16,3%. Ähnlich beträgt der Einfluss der Individualisierungsmöglichkeiten bei den Banken 19% und 17,9%, bei den Versicherungen dagegen deutlich höhere 38,4% und 33,2%.
660
Im Folgenden wird zum Vergleich innerhalb der Branchen jeweils die Differenz zwischen den Werten der beiden Unternehmen herangezogen. Differenzen von unter 5 Prozentpunkten werden als geringfügige, Differenzen zwischen 5 und 15 Prozentpunkten als mittelmäßige und Differenzen von über 15 Prozentpunkten als starke Unterschiede eingestuft.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells Komponente ʹ: Komplexitätsformen
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität
ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
ͳǤͳǤͶ : Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
ͳǤͳǤͳ: Anzahl an Teilleistungen
der Teilleistungen
Mitarbeiter
ͳǤʹǤͶ : Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m. ͳǤʹǤ͵ : Unvorhergesehene Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
spielräume bei der Durchführung der Prozesse
Unternehmen Bank A
Veränderungen im Mitarbeiterstamm
Mitarbeiter
ͳǤʹǤʹ: Entscheidungs-
Betrachteter Einfluss:
ͳǤ͵Ǥ͵ : Dynamik und
ͳǤ͵Ǥʹ: Heterogenität der
ͳǤʹǤͳ: Anzahl erforderlicher Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
Komponente ͳ: Alternativen/Komplexitätsausprägungen
ͳǤ͵ǤͶ : Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
ͳǤ͵Ǥͳ: Vielzahl der
ͳǤͳǤ͵ : Grad der inhaltlichen Verknüpfung/ Abhängigkeit zw. den Teilleistungen
ͳǤͳǤʹ: Heterogenität
209
Versicherung A
Bank B
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Dienstleistungskomplexität: Anzahl an Teilleistungen
0,121
4
0,144
4
0,088
4
0,094
4
0,088
4
0,045
4
0,103
4
Heterogenität der Teilleistungen
0,180
3
0,163
3
0,171
3
0,199
3
0,135
3
0,540
1
0,200
3
Grad der inhaltlichen Verknüpfung/Abhängigkeit zw. den Teilleistungen
0,509
1
0,514
1
0,357
2
0,375
1
0,309
2
0,228
2
0,412
1
Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
0,190
2
0,179
2
0,384
1
0,332
2
0,468
1
0,187
3
0,286
2
Anzahl erforderlicher Prozesse
0,154
3
0,151
4
0,106
4
0,175
4
0,192
3
0,149
3
0,158
4
Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse
0,272
2
0,260
2
0,184
3
0,249
2
0,139
4
0,064
4
0,205
3
Unvorhergesehene Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
0,128
4
0,340
1
0,283
2
0,213
3
0,404
1
0,518
1
0,290
2
Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
0,446
1
0,249
3
0,427
1
0,363
1
0,265
2
0,268
2
0,347
1
Vielzahl der Mitarbeiter
0,157
4
0,150
4
0,126
4
0,116
4
0,131
4
0,110
4
0,139
4
Heterogenität der Mitarbeiter
0,359
1
0,192
3
0,278
2
0,307
2
0,215
3
0,230
2
0,265
3
Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm
0,202
3
0,319
2
0,469
1
0,320
1
0,360
1
0,175
3
0,322
1
Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
0,283
2
0,339
1
0,127
3
0,257
3
0,294
2
0,485
1
0,274
2
Prozesskomplexität:
Mitarbeiterkomplexität:
Tabelle 25:
661
Einfluss der Komplexitätsausprägungen auf die Komplexitätsformen (lokale Prioritäten)661
In der für den ANP üblichen Darstellung kennzeichnet ein Pfeil zwischen zwei Elementen nicht die Richtung des Einflusses, sondern die der Abhängigkeit (vgl. auch
210
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
(2) Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse Ein weniger eindeutiges Bild ergibt sich bei den Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse (im Folgenden auch Prozesskomplexität genannt662). Tendenziell zeigt sich bei der Gesamtauswertung aber auch für diese Komplexitätsform, dass die Anzahl (15,8%) und die Heterogenität der erforderlichen Prozesse (20,5%) einen geringeren Einfluss auf die Prozesskomplexität ausüben als die Prozessabweichungen und Unsicherheiten (29%) sowie die Fragmentierung der Prozesse durch Schnittstellen (34,7%). Wie auch bei der Dienstleistungskomplexität sind demnach die Komplexitätsmerkmale der Dynamik und der Interdependenz von hoher, die Vielzahl und die Heterogenität dagegen von nachrangiger Bedeutung. Unternehmensspezifisch sind bei der Komplexität der Prozesse verschiedene Abweichungen von dieser Gesamtrangfolge zu erkennen. Eine besonders auffällige Abweichung zeigt sich bei Bank A, bei der zwar ebenfalls die Schnittstellen den eindeutig größten Einfluss haben, unvorhergesehene Prozessabweichungen und Unsicherheiten in den Prozessen scheinen dagegen ein weniger großes Problem zu sein als bei den anderen Unternehmen. Die Einflussstärken verschiedener Treiber streuen je nach Unternehmen unterschiedlich stark. Bei Bank B (15,1%-34%) und Versicherung B (17,5%-36,3%) verteilen sich die Einflüsse relativ gleichmäßig über die vier Komplexitätsausprägungen. Dagegen zeigen sich bei den anderen Unternehmen deutliche Haupttreiber. Bei Bank A und Versicherung A sind dies die Schnittstellen (mit 44,6% resp. 42,7%), bei Telekom A und Telekom B unvorhergesehene Prozessabweichungen und Unsicherheiten in den Prozessen (mit 40,4% resp. 51,8%). Der Abstand zum jeweils zweitstärksten Treiber beträgt bei diesen Unternehmen zwischen 13,9 und 17,4, bei Telekom B sogar 25 Prozentpunkte.
662
Fußnote 519 in Abschnitt 4.2). In den Modellabbildungen dieses Abschnitts sind die Elemente grau hervorgehoben, von denen der Einfluss ausgeht und die entsprechend in der Befragung paarweise verglichen wurden (in Tabelle 25 die Komplexitätsausprägungen). Unter dem Begriff der Prozesskomplexität wird im Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen die Komplexität der Prozessdimension verstanden, die neben der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse auch die Aufgabenkomplexität sowie die Komplexität des externen Faktors umfasst (vgl. Abschnitt 3.3.2). Da diese beiden Komplexitätsformen in der empirischen Untersuchung nicht berücksichtigt wurden, wird in der folgenden Darstellung der empirischen Ergebnisse vereinfachend auch der Begriff Prozesskomplexität verwendet.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
211
Ein Vergleich der Einflussstärken einzelner Treiber über die verschiedenen Unternehmen hinweg zeigt tendenziell einheitliche Werte bei der Anzahl erforderlicher Prozesse (die Werte reichen von 10,6% bis 19,2%). Mittelgroße Unterschiede bestehen dagegen bei der Heterogenität der Prozesse durch Entscheidungsspielräume, die Werte zwischen 6,4% und 27,2% erreicht, sowie den Schnittstellen in den Prozessen (24,9% bis 44,6%). Deutlich stärker ausgeprägt sind dagegen die Schwankungen bei den unvorhergesehenen Prozessabweichungen und Unsicherheiten. Hier reicht der Einfluss von 12,8% bis 51,8%. Dabei sind wiederum vereinzelt Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen. Die Untersuchung der beiden Banken ergab eine hohe Ähnlichkeit bei der Anzahl an Prozessen (bei 15,4% und 15,1% eine Differenz von lediglich 0,3 Prozentpunkten) sowie der Heterogenität durch Entscheidungsspielräume (Differenz von 1,2), dagegen aber starke Unterschiede bezüglich der Prozessabweichungen und Unsicherheiten (21,2) sowie bezüglich der Schnittstellen in den Prozessen (19,7). In der Versicherungsbranche bewegen sich die Differenzen zwischen den Unternehmen mit Werten zwischen 6,4 und 7 in einem mittleren Bereich. Ähnlichkeiten zeigen auch die Ergebnisse der Telekommunikationsunternehmen, bei denen die Rangfolge der Treiber identisch ist: Die Differenz der Einflussstärken reicht von nur 0,3 Prozentpunkten bei den Schnittstellen bis zu 11,4 Prozentpunkten bei den Prozessabweichungen und Unsicherheiten und ist somit gering bis mittelmäßig ausgeprägt. Deutliche Unterschiede zwischen den Branchen sind anhand der Ergebnisse insgesamt nicht zu erkennen. (3) Mitarbeiterkomplexität Die Gesamtauswertung zum Einfluss der Komplexitätsausprägungen auf die Höhe der Mitarbeiterkomplexität bestätigt die relativ geringe Bedeutung der Komplexitätsmerkmale der Vielzahl und Vielfalt gegenüber der Veränderlichkeit und Dynamik als Komplexitätstreiber:663 Die Vielzahl der Mitarbeiter nimmt unter den vier Ausprägungen mit lediglich 13,9% den vierten Rang ein, die Heterogenität der Mitarbeiter mit einem annähernd doppelt so starken Einfluss auf die Höhe der Mitarbeiterkomplexität den dritten Rang. Allerding fällt der Abstand zu den beiden Komplexitätsausprägungen mit dem stärksten Einfluss sehr niedrig aus. Der geringen Flexibilität der Mitarbeiter wird ein Einfluss von 27,4%, 663
Die Interdependenz zwischen Mitarbeitern wurde im Bezugsrahmen der Komplexität als Komplexitätsausprägung der Prozesskomplexität zugeordnet und daher auch im Komplexitätsbewertungsmodell nicht gesondert berücksichtigt. Von den vier Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität wurden zwei aus dem Merkmal der Dynamik und Veränderlichkeit abgeleitet (vgl. Abschnitt 3.3.3.1 und Fußnote 394).
212
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
der Dynamik und den Veränderungen im Mitarbeiterstamm mit 32,2% der größte Einfluss zugesprochen. Die Einflussstärken verschiedener Treiber streuen in den betrachteten Unternehmen weniger stark als bei den anderen beiden Komplexitätsformen. Insbesondere bei den Banken sowie Versicherung B und Telekom A sind keine eindeutig dominanten Komplexitätstreiber zu erkennen. Die Einflussstärken bewegen sich – abgesehen von einem überall deutlich geringeren Einfluss der Mitarbeiterzahl – bei diesen Unternehmen relativ gleichmäßig zwischen ca. 20% und maximal 36%. Dagegen bildet die Dynamik und Veränderung im Mitarbeiterstamm bei Versicherung A mit 46,9% den eindeutig stärksten Treiber (im Vergleich zu 27,8% des zweitstärksten Treibers). Noch prägnanter ist die Dominanz der geringen Flexibilität der Mitarbeiter bei Telekom B mit 48,5% gegenüber dem zweitstärksten Treiber mit lediglich 23%. Vergleicht man die Einflussstärken einzelner Treiber über die verschiedenen Unternehmen hinweg, zeigt sich insbesondere bezüglich der Vielzahl an Mitarbeitern ein homogenes Bild. Die Resultate schwanken zwischen den Unternehmen lediglich zwischen 11% und 15,7%. Mittelmäßig ausgeprägte Unterschiede bestehen bei dem Einfluss der Heterogenität der Mitarbeiter mit Werten von 19,2% bis zu 35,9% bei den Banken, die übrigen Unternehmen liegen mit Werten von 20-30% zwischen diesen Extremen. Deutlichere Ausreißer sind bei den anderen beiden Komplexitätsausprägungen zu erkennen. Die Dynamik und Veränderlichkeit im Mitarbeiterstamm bewegt sich zwischen 17,5% und 46,9%. Ähnlich verhält es sich mit der geringen Flexibilität der Mitarbeiter, die mit Werten von 12,7% bis 48,5% ebenfalls eine große Bandbreite aufweist. Auch bei den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität sind vereinzelt Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen. Bei den Banken fallen die Werte zur Anzahl der Mitarbeiter mit einer Differenz von 0,7 annähernd gleich aus, während bei der Dynamik und Veränderlichkeit (Differenz: 11,7) sowie der geringen Flexibilität (Differenz: 5,6) mittlere und beim Einfluss der Heterogenität mit einer Differenz von 16,7 Prozentpunkten starke Unterschiede bestehen. Die Versicherungen zeigen mit Differenzen von 1,0 und 2,9 bei der Anzahl und Heterogenität der Mitarbeiter lediglich geringe, bei den anderen beiden Ausprägungen allerdings mit 13 und 14,9 mittlere Unterschiede. Die Telekommunikationsunternehmen ähneln sich ebenfalls bei den Werten der Anzahl und Heterogenität der Mitarbeiter (Differenzen von unter 5 Prozentpunkten), weisen dagegen bei den anderen beiden Aspekten mit nahezu 20 Prozentpunkten deutliche Unterschiede auf. Aufgrund dieser teils deutlichen Abweichungen innerhalb der Branchen sind klare Unterschiede zwischen den Branchen nicht erkennbar.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
213
Als Zwischenfazit aus der Untersuchung der Komplexitätsausprägungen lässt sich festhalten, dass die Komplexitätsmerkmale der Interdependenz und Dynamik den größten Einfluss auf alle drei betrachteten Komplexitätsformen ausüben, die Merkmale der Vielzahl und Vielfalt dagegen von geringerer Bedeutung sind. In der Stärke des Einflusses bestehen von Unternehmen zu Unternehmen teilweise deutliche Unterschiede. Mitunter lassen sich – trotz der eingangs geschilderten Unterschiedlichkeit der in die Studie einbezogenen Unternehmen – aber sowohl innerhalb als auch zwischen den Branchen Gemeinsamkeiten identifizieren, die auf allgemeingültige Aussagen bezüglich der Einflussgewichte verschiedener Komplexitätstreiber hindeuten.
5.3.3
Gegenseitige Einflüsse der betrachteten Komplexitätsformen
Die direkten Einflüsse, die die verschiedenen Komplexitätsformen aufeinander ausüben, sind in Tabelle 26 wiedergegeben. Hier zeigt sich, dass die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse in der Gesamtauswertung mit 68,4% einen mehr als doppelt so großen Einfluss auf die Dienstleistungskomplexität ausübt als die Mitarbeiterkomplexität mit 31,6%. Von dieser Dominanz der Prozesskomplexität weicht bei Betrachtung der einzelnen Unternehmen lediglich das Unternehmen Telekom A ab, bei dem die Mitarbeiterkomplexität mit 63,3% den größeren Einfluss auf die Dienstleistungskomplexität hat. Bei den anderen fünf Unternehmen spielt die Prozesskomplexität die bedeutendere Rolle, dies allerdings mit unterschiedlicher Stärke: Während bei Bank A der Einfluss von Prozess- und Mitarbeiterkomplexität mit 51,3% resp. 48,7% nahezu gleich ausfällt, bewegt sich das Verhältnis bei Bank B (73,5% vs. 26,5%) sowie Versicherung A (63,6% vs. 36,4%) auf ähnlichem Niveau wie bei der Gesamtauswertung. Die Dominanz der Prozesskomplexität ist bei Versicherung B und Telekom B mit jeweils rund 85% deutlich stärker ausgeprägt. Die Werte der beiden Banken und der beiden Versicherungen weichen jeweils um knapp über 20 Prozentpunkte voneinander ab, die der Telekommunikationsunternehmen sogar um beinahe 50 Prozentpunkte. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen bestehen daher keine, weshalb anhand der vorliegenden Datenbasis auch keine eindeutigen Unterschiede zwischen den Branchen erkennbar sind. Ein über alle Unternehmen hinweg einheitliches Bild zeigen die Ergebnisse zu den Einflüssen auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Diese wird in allen Unternehmen deutlich stärker von der Dienstleistungs- als von der Mitarbeiterkomplexität beeinflusst, wobei die Dominanz der
214
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Dienstleistungskomplexität auch hier von Unternehmen zu Unternehmen schwankt (zwischen 64,5% und 84,7%). Hier sind zudem deutliche Parallelen innerhalb der Branchen zu erkennen: Zwischen den Banken beträgt der Unterschied nur 0,3 Prozentpunkte, zwischen den Telekommunikationsunternehmen 3 Prozentpunkte. Bei den Versicherungen bestehen mittelmäßig ausgeprägte Differenzen in Höhe von 13,4 Prozentpunkten. Unterschiede zwischen den Branchen sind ebenfalls erkennbar. Der Einfluss der Dienstleistungskomplexität ist bei den Banken mit knapp unter 65% deutlich geringer als bei den Telekommunikationsunternehmen mit über 80%. Die Werte der betrachteten Versicherungen liegen mit 70,6% (Versicherung A) und 84% (Versicherung B) ebenfalls über denen der Banken.
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität
ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Komponente ʹ: Komplexitätsformen Unternehmen Betrachteter Einfluss:
Bank A
Versicherung A
Bank B
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Auf die Dienstleistungskomplexität: Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,513
1
0,735
1
0,636
1
0,846
1
0,367
2
0,855
1
0,684
1
Mitarbeiterkomplexität
0,487
2
0,265
2
0,364
2
0,154
2
0,633
1
0,145
2
0,316
2
Dienstleistungskomplexität
0,645
1
0,648
1
0,706
1
0,840
1
0,847
1
0,817
1
0,750
1
Mitarbeiterkomplexität
0,355
2
0,352
2
0,294
2
0,160
2
0,153
2
0,183
2
0,250
2
Dienstleistungskomplexität
0,519
1
0,389
2
0,717
1
0,414
2
0,343
2
0,274
2
0,457
2
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,481
2
0,611
1
0,283
2
0,586
1
0,657
1
0,726
1
0,543
1
Auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse:
Auf die Mitarbeiterkomplexität:
Tabelle 26:
Einflüsse zwischen den Komplexitätsformen (lokale Prioritäten)
Auf die Frage nach den Einflüssen auf die Mitarbeiterkomplexität geben die Befragungsergebnisse keine eindeutige Antwort. Die Auswertung über alle 21 befragten Personen deutet zwar mit 54,3% einen leicht stärkeren Einfluss der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse als der Dienstleistungskomplexität mit 45,7% an. Die unternehmensspezifischen Auswertungen zeigen allerdings, wie unterschiedlich diese Einflüsse eingeschätzt werden. Wäh-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
215
rend die Dienstleistungskomplexität bei Bank A mit 51,9% nur leicht überwiegt, ist ihr Einfluss bei Versicherung A mit 71,7% deutlich stärker ausgeprägt. Bei den anderen vier Unternehmen übt dagegen in Übereinstimmung mit der Gesamtsicht die Prozesskomplexität den größeren Einfluss aus, deren Dominanz von 58,6% bis zu 72,6% reicht. Eine Ähnlichkeit innerhalb der Branchen ist hier lediglich bei den Telekommunikationsunternehmen zu erkennen, da nur hier bei beiden Unternehmen der Prozesskomplexität der größere Einfluss beigemessen wird und der Unterschied mit 6,9 Prozentpunkten zudem nur mittelmäßig stark ausgeprägt ist. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass die Auswertungen bezüglich der Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Insgesamt zeigen die Resultate differenziert die in Abschnitt 3.3.4 exemplarisch skizzierten unterschiedlichen Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Komplexitätsformen verschiedener Dienstleistungsdimensionen auf.664 Dabei ist zu erkennen, dass bei den primären Wirkungen auf die Prozesskomplexität eindeutig die Dienstleistungskomplexität dominiert, während hinsichtlich der primären Wirkungen auf die Mitarbeiterkomplexität kein einheitliches Bild besteht. Die tertiäre Wirkung der Mitarbeiterkomplexität hat einen nachrangigen Einfluss sowohl auf die Prozess- als auch auf die Dienstleistungskomplexität.
5.3.4
Kostenwirkungen der Komplexität
5.3.4.1 Kostenwirkungen verschiedener Komplexitätsformen Die Ergebnisse der Auswertungen zu den Kostenwirkungen der Komplexitätsformen, die anhand des Vergleichs der drei Komplexitätsformen in Bezug auf jeweils eine der untersuchten Kostenarten ermittelt wurden, zeigt Tabelle 27.
664
In Abschnitt 3.3.4 wird zwischen primären, sekundären und tertiären Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den Komplexitätsformen unterschieden. Primäre Wirkungen sind in der empirischen Untersuchung die Einflüsse der Dienstleistungskomplexität auf die Prozess- und die Mitarbeiterkomplexität sowie die der Prozess- auf die Mitarbeiterkomplexität. Bei den tertiären Beziehungen handelt es sich um die entgegengesetzten Einflüsse. Zur Gruppe der sekundären Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Interdependenzen von Komplexitätsformen innerhalb einer Dienstleistungsdimension) sind keine Aussagen möglich, da je Dienstleistungsdimension nur eine Komplexitätsform in die Studie einbezogen wurde.
216
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
(1) Komplexitätskosten der Koordination Die Komplexitätskosten der Koordination werden bei Gesamtsicht insbesondere von der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse beeinflusst (42,7%). Der Dienstleistungskomplexität kommt mit 33,4% ein mittlerer Einfluss zu, während von der Mitarbeiterkomplexität auf die Koordinationskosten mit 23,8% eine im Verhältnis dazu geringe Wirkung ausgeht. Bei Betrachtung der einzelnen Unternehmen zeigen sich sowohl in der Rangfolge als auch bei der Einflussstärke deutliche Abweichungen von dieser Gesamtsicht. Eine mit der Gesamtsicht übereinstimmende Rangfolge der Komplexitätsformen besteht lediglich bei Versicherung A (mit 42%, 37,2% sowie 20,1%) sowie dem Unternehmen Telekom B, dessen Werte allerdings extremer ausfallen. Der Haupttreiber der Koordinationskosten ist hier mit 69,7% eindeutig die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Der Dienstleistungs- und der Mitarbeiterkomplexität kommen mit 19,3% resp. 11% vergleichsweise geringe Einflüsse zu. Bei den übrigen vier Unternehmen ist die Rangfolge der Komplexitätsformen jeweils unterschiedlich. Bei Bank A, Bank B sowie bei Telekom A sind dabei die Einflüsse relativ gleichmäßig auf die Komplexitätsformen verteilt und keine besonders stark ausgeprägten Kostentreiber zu identifizieren (Werte zwischen ca. 20% und 42%). Dagegen kommt bei Versicherung B sowohl der Dienstleistungskomplexität mit 49% als auch der Prozesskomplexität mit 41,7% ein relativ hoher Anteil zu, während die Mitarbeiterkomplexität lediglich 8,9% ausmacht. Ein Vergleich des Einflusses einzelner Komplexitätsformen in den verschiedenen Unternehmen zeigt dementsprechend eine relativ hohe Bandbreite unterschiedlicher Einflussstärken. Der Einfluss der Dienstleistungskomplexität schwankt zwischen 19,3% und 49,4%. Der Einfluss der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse reicht von 27,9% bis zu einem Spitzenwert von 69,7%. Bei der Mitarbeiterkomplexität bewegt sich die Einflussstärke zwischen sehr niedrigen 8,9% und relativ hohen 41,8%.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
217
Komponente ͵: Komplexitätskostenarten ͵Ǥʹ: Komplexitätskosten durch Abweichung
͵Ǥͳ: Komplexitätskosten der Koordination
͵Ǥ͵: Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Komponente ʹ: Komplexitätsformen Unternehmen Betrachteter Einfluss:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Auf die Komplexitätskosten der Koordination: Dienstleistungskomplexität
0,230
3
0,275
3
0,379
2
0,494
1
0,313
2
0,193
2
0,334
2
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,352
2
0,403
1
0,420
1
0,417
2
0,279
3
0,697
1
0,427
1
Mitarbeiterkomplexität
0,418
1
0,322
2
0,201
3
0,089
3
0,408
1
0,110
3
0,238
3
Dienstleistungskomplexität
0,305
3
0,243
3
0,230
2
0,413
2
0,655
1
0,333
2
0,351
2
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,313
2
0,418
1
0,568
1
0,439
1
0,249
2
0,602
1
0,444
1
Mitarbeiterkomplexität
0,382
1
0,339
2
0,202
3
0,148
3
0,096
3
0,065
3
0,205
3
Dienstleistungskomplexität
0,278
3
0,313
2
0,482
1
0,542
1
0,296
2
0,337
2
0,390
1
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,380
1
0,410
1
0,201
3
0,327
2
0,474
1
0,575
1
0,376
2
Mitarbeiterkomplexität
0,342
2
0,278
3
0,316
2
0,132
3
0,230
3
0,088
3
0,234
3
Auf die Komplexitätskosten durch Abweichung:
Auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft:
Tabelle 27:
Einflüsse der Komplexitätsformen auf die Kostenarten der Komplexität (lokale Prioritäten)
Parallelen innerhalb der Branchen sind bei den Banken zu beobachten, mit einer niedrigen Differenz bei der Dienstleistungs- (4,5 Prozentpunkte) und mittleren Differenzen bei der Prozess- und Mitarbeiterkomplexität (5,1 bzw. 9,6 Prozentpunkte). Auch bei den Versicherungen bewegen sich die Unterschiede in einem geringen bis mittleren Rahmen (zwischen 0,3 und 11,5 Prozentpunkte). Bei den Telekommunikationsunternehmen fallen die Differenzen dagegen nur bei der Dienstleistungskomplexität mittelmäßig aus, mit 29,8 und 41,8 Prozentpunkten sind die Unterschiede bei der Prozess- und Mitarbeiterkomplexität deutlich stär-
218
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
ker ausgeprägt. Systematische und deutliche Unterschiede zwischen den Branchen sind anhand der Ergebnisse nicht erkennbar. (2) Komplexitätskosten durch Abweichung Bei einer Gesamtauswertung aller 21 Probanden geht auf die Komplexitätskosten durch Abweichung der stärkste Einfluss von der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse (44,4%) aus, gefolgt von der Dienstleistungskomplexität mit 35,1% und der Mitarbeiterkomplexität mit 20,5%. Im Gegensatz zu den Koordinationskosten herrscht hier allerdings bei Betrachtung der Einflussstärken der drei Komplexitätsformen in den einzelnen Unternehmen mehr Einheitlichkeit. In der Hälfte der Unternehmen (Versicherung A, Versicherung B sowie Telekom B) bestätigt sich die Rangfolge der Komplexitätsformen, wobei die Höhe der Einflussstärke unterschiedlich ausfällt. Bei Versicherung A wird der Prozesskomplexität mit 56% der stärkste Einfluss zugesprochen (Dienstleistungskomplexität: 23%; Mitarbeiterkomplexität: 20,2%). Bei Versicherung B dagegen haben die Prozess- und die Dienstleistungskomplexität mit 43,9% resp. 41,3% einen relativ hohen, die Mitarbeiterkomplexität dagegen mit 14,8% einen deutlich niedrigeren Einfluss auf die Abweichungskosten. Die Streuung bei Telekom B ist noch prägnanter: Der Prozesskomplexität kommt ein Einfluss von 60,2%, der Dienstleistungskomplexität ein mittlerer Einfluss von 33,3% und der Dienstleistungskomplexität ein nachrangiger Einfluss von lediglich 6,5% zu. Ein ähnlich deutliches Ergebnis, allerdings in anderer Rangfolge, zeigt sich bei Telekom A mit der Dienstleistungskomplexität als eindeutig stärkstem Treiber (65,5%), gefolgt von der Prozesskomplexität mit 24,9% und der Mitarbeiterkomplexität mit nur 9,6%. Bank A und Bank B zeigen dagegen weniger starke Unterschiede in den Einflussstärken der Komplexität auf die Abweichungskosten (Bank A: 30,5% bis 38,2%; Bank B: 24,3% bis 41,8%). Auffällig ist bei Bank A allerdings, dass – anders als bei allen anderen Unternehmen – der Mitarbeiterkomplexität mit 38,2% der höchste Einfluss auf die Abweichungskosten zukommt. Interessant ist dieses Resultat insbesondere in Verbindung mit den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität. Hier erwies sich – ebenfalls in auffälliger Abweichung zu den anderen Unternehmen – die Heterogenität der Mitarbeiter als stärkster Komplexitätstreiber.665 Dies zeigt, dass nach Einschätzung der Befragten bei Bank A z.B. Qualitätsschwankungen oder Prozessabweichungen nicht nur aus der Komplexität der Dienstleistungen und Prozesse selbst, sondern insbesondere aus der Heterogenität der zur Leistungser-
665
Vgl. zu den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität Abschnitt 5.3.2.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
219
bringung erforderlichen Mitarbeiter resultieren. In den anderen Unternehmen sind Abweichungen dagegen eher auf Probleme bei den Dienstleistungen und Prozessen zurückzuführen. Vergleicht man die Einflüsse der einzelnen Komplexitätsformen auf die Abweichungskosten in den verschiedenen Unternehmen, zeigen sich wiederum große Schwankungen. Der Einfluss der Dienstleistungskomplexität reicht von 23% bis zu 65,5%, der Einfluss der Prozesskomplexität ähnlich von 24,9% bis 60,2%. Der Einfluss der Mitarbeiterkomplexität fällt zwar deutlich geringer aus, hat aber mit Werten zwischen 6,5% und 38,2% ebenfalls eine Spannweite von über 30 Prozentpunkten. Die Unterschiede sind dabei nicht nur zwischen den Unternehmen insgesamt, sondern auch innerhalb der Branchen zum Teil sehr groß. Lediglich bei den Wirkungen der Mitarbeiterkomplexität sind Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen. Die Differenz der Einflussstärke liegt bei den Banken und den Telekommunikationsanbietern unter 5 Prozentpunkten, bei den Versicherungen mit 5,4 knapp darüber. Ansonsten sind sämtliche Unterschiede mittelmäßig bis teilweise stark – mit Unterschieden zwischen den Unternehmen von über 30 Prozentpunkten – ausgeprägt. Somit sind klare Unterschiede zwischen den Branchen ebenfalls nur bei der Mitarbeiterkomplexität zu erkennen. Die Werte der Banken (38,2% und 33,9%) liegen deutlich über den Werten der Versicherungen (20,2% und 14,8%). Noch geringer fällt der Einfluss bei den Telekommunikationsunternehmen mit 9,6% und 6,5% aus. (3) Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft Überraschende Ergebnisse zeigen die Einflüsse der Komplexitätsformen auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft (im Folgenden auch kurz Bereitschaftskosten genannt). Die Gesamtauswertung zeigt für die Dienstleistungskomplexität mit 39% den größten Einfluss auf diese Kostenart, gefolgt von der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse mit 37,6%. Die Mitarbeiterkomplexität hat demnach mit 23,4% einen nur nachrangigen Einfluss. In den unternehmensspezifischen Auswertungen erreicht die Mitarbeiterkomplexität ihren höchsten Wert ebenfalls lediglich mit 34,2% und Rang 2 bei Bank A. Diese Resultate stehen im Gegensatz zu den konzeptionellen Überlegungen der Komplexitätswirkungen auf die Kosten der Leistungsbereitschaft.666 Die Argumentation, dass die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft lediglich infolge der Komplexität der Potenzialdimension auftreten, wird hier widerlegt
666
Vgl. hierzu Abschnitt 3.4.3.
220
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
durch den geringen Einfluss der Mitarbeiterkomplexität, die als einzige der drei betrachteten Komplexitätsformen der Potenzialdimension zuzuordnen ist.667 Eine mögliche Erklärung für dieses von den konzeptionellen Überlegungen abweichende Ergebnis ist, dass in den befragten Unternehmen andere Potenzialfaktoren (z.B. die Distributionsdichte mit vielen Filialen und Standorten oder – insbesondere bei den verhältnismäßig technologieintensiven Telekommunikationsdienstleistungen – die erforderlichen Systeme und Technologien) von größerer Bedeutung für die Leistungsbereitschaft der Unternehmen sind. Da diese anderen Potenzialfaktoren in der Erhebung nicht explizit berücksichtigt wurden, ist es denkbar, dass sich der diesen Potenzialfaktoren zukommende Einfluss auf die Prozess- und Dienstleistungskomplexität übertragen hat, die indirekt für die Leistungsbereitschaft und die damit verbundenen Kosten ursächlich sind. Ist dies der Fall, ist der in den Unternehmen identifizierte hohe Einfluss der Dienstleistungsund Prozesskomplexität eine indirekte Wirkung auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft. Für eine Bestätigung dieser Erklärung ist eine Erhebung des Gesamtmodells erforderlich, in der auch die Komplexität der anderen Potenzialfaktoren berücksichtigt wird. Unabhängig von dieser Auffälligkeit zeigen sich bei detaillierter Betrachtung der Einflüsse der drei Komplexitätsformen auf die Kosten der Leistungsbereitschaft leichte Unterschiede zwischen den Unternehmen. Bei sowohl Bank A als auch Bank B sind die Einflüsse relativ gleichmäßig auf die drei Komplexitätsformen verteilt (Bank A: zwischen 27,8% und 38%; Bank B: zwischen 27,8% und 41%). Bei den anderen Unternehmen sind dagegen deutlichere Treiber der Bereitschaftskosten auszumachen. Bei Versicherung A und Versicherung B ist dies mit 48,2% resp. 54,2% die Dienstleistungskomplexität, bei Telekom A und Telekom B dagegen mit 47,4% und 57,5% die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Die Einflüsse sind besonders ungleich verteilt bei Versicherung B (mit 32,7% bei der Prozess- und 13,2% bei der Mitarbeiterkomplexität) und Telekom B (33,7% für die Dienstleistungs- und 8,8% bei der Mitarbeiterkomplexität). Die Wirkung einzelner Komplexitätsformen auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft variiert ebenfalls stark von Unternehmen zu Unternehmen: Der Einfluss der Dienstleistungskomplexität bewegt sich zwischen 27,8% und 54,2%, der der Prozesskomplexität zwischen 20,1% und 57,5%. Die Wirkung 667
Vgl. Abschnitt 5.2.2 zur Begründung, warum in der Erhebung dennoch auch der Einfluss der anderen beiden untersuchten Komplexitätsformen auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft abgefragt wurde.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
221
der Mitarbeiterkomplexität liegt zwischen 8,8% und 34,2%. Im Gegensatz zu den anderen betrachteten Kostenarten sind hier allerdings stärkere Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen. Lediglich die Werte der Mitarbeiterkomplexität in der Versicherungsbranche weichen mit 18,4 Prozentpunkten stark voneinander ab, alle anderen Beobachtungen weisen Differenzen von unter 15 Prozentpunkten auf. Besonders ausgeprägt ist die Ähnlichkeit zwischen den Banken, bei denen die Differenzen unter 6,4 Prozentpunkten liegen. Entsprechend sind auch Unterschiede zwischen den Branchen zu erkennen. So ist der Einfluss der Dienstleistungskomplexität bei den beiden Versicherungen mit 48,2% und 54,2% deutlich größer als in den anderen beiden Branchen, in denen die Werte zwischen 27,8% und 33,7% liegen. Prägnant sind auch die unterschiedlichen Wirkungen der Prozesskomplexität, die bei den Telekommunikationsunternehmen (47,4% und 57,5%) höher ausfallen als bei den Banken (38% und 41%) und den Versicherungen (20,1% und 32,7%).
5.3.4.2 Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Komplexitätsformen Zusätzlich zu dem in Abschnitt 5.3.4.1 dargestellten Vergleich der drei Komplexitätsformen in Bezug auf jeweils eine Komplexitätskostenart wurden in der Befragung die drei Kostenarten in Bezug auf jede der Komplexitätsformen verglichen. Während im vorherigen Abschnitt die Fragestellung lautete, welche der Komplexitätsformen den höheren Einfluss auf z.B. die Kosten der Koordination ausübt, geben die folgenden Ergebnisse Antwort auf die Frage, ob eine Komplexitätsform einen höheren Einfluss auf z.B. die Koordinations- oder die Abweichungskosten hat. Die entsprechenden Paarvergleiche dienen der Ermittlung der relativen Bedeutung der verschiedenen Kostenarten. Da allerdings kein Einfluss von diesen Kostenwirkungen auf die Komplexitätsformen ausgeht, sind – als Ausnahme von der Interpretation der sonstigen lokalen Prioritäten als Einflüsse668 – die lokalen Prioritäten entsprechend als lokale Bedeutung der Kostenarten für die jeweils in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellte Komplexitätsform zu interpretieren.669 Die Ergebnisse sind in Tabelle 28 wiedergegeben.
668 669
Vgl. zur Unterscheidung zwischen Einflüssen und Bedeutungen der Komplexitätsformen und -ausprägungen die einleitenden Erklärungen zu Abschnitt 5.3. Vgl. auch Fußnote 653. Dieser Unterschied wurde im Fragebogen berücksichtigt, indem in Frageblock 4 nicht nach dem Einfluss, sondern nach der Bedeutung der Kostenarten für die jeweilige Komplexitätsform gefragt wurde (vgl. Anhang 3).
222
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Komponente ͵: Komplexitätskostenarten ͵Ǥʹ: Komplexitätskosten durch Abweichung
͵Ǥͳ: Komplexitätskosten der Koordination
͵Ǥ͵: Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Komponente ʹ: Komplexitätsformen Unternehmen Lokale Bedeutung für:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Die Dienstleistungskomplexität: Komplexitätskosten der Koordination
0,402
2
0,234
2
0,193
3
0,369
2
0,566
1
0,447
1
0,352
2
Komplexitätskosten durch Abweichung
0,116
3
0,546
1
0,268
2
0,154
3
0,178
3
0,335
2
0,268
3
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
0,483
1
0,220
3
0,539
1
0,477
1
0,256
2
0,218
3
0,380
1
Komplexitätskosten der Koordination
0,400
2
0,212
2
0,150
3
0,466
1
0,437
1
0,592
1
0,350
2
Komplexitätskosten durch Abweichung
0,104
3
0,595
1
0,434
1
0,118
3
0,208
3
0,240
2
0,287
3
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
0,496
1
0,193
3
0,416
2
0,415
2
0,355
2
0,168
3
0,362
1
Komplexitätskosten der Koordination
0,297
2
0,371
1
0,257
3
0,326
2
0,330
2
0,457
1
0,336
2
Komplexitätskosten durch Abweichung
0,143
3
0,291
3
0,277
2
0,232
3
0,160
3
0,107
3
0,213
3
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
0,560
1
0,338
2
0,466
1
0,442
1
0,510
1
0,436
2
0,452
1
Die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse:
Die Mitarbeiterkomplexität:
Tabelle 28:
Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten (lokale Prioritäten)
Auch hier zeigen die Analysen wieder ein auf den ersten Blick erstaunliches Ergebnis: Bei Gesamtsicht kommt den Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft in Bezug auf alle drei Komplexitätsformen die höchste Bedeutung zu, gefolgt von jeweils den Komplexitätskosten der Koordination auf Rang 2 und den Komplexitätskosten durch Abweichungen auf Rang 3. Allerdings sind die Bedeutungsunterschiede relativ gering. Die folgenden Detailbetrachtungen ergeben dagegen ein differenzierteres Bild der lokalen Bedeutung der Komplexitätskostenarten.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
223
(1) Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Dienstleistungskomplexität Ein Vergleich der Bedeutung der verschiedenen Kostenarten in den betrachteten Unternehmen verdeutlicht die Ungenauigkeit der Gesamtbetrachtung. Lediglich bei Bank A sowie Versicherung B ergaben die Auswertungen die gleiche Rangfolge der Kostenarten, dies allerdings mit stärkeren Unterschieden zwischen den Kostenarten. Bei Bank A haben die Bereitschafts- und Koordinationskosten mit 48,3% und 40,2% eine ähnliche und dabei deutlich höhere Bedeutung als die Abweichungskosten mit 11,6%. Bei Versicherung B machen die Kosten der Leistungsbereitschaft in Bezug auf die Dienstleistungskomplexität allein 47,7% aus, gefolgt von den Koordinationskosten mit 36,9% und den Abweichungskosten mit 15,4%. Ähnlich große Unterschiede zwischen den Kostenarten sind bei den anderen Unternehmen zu erkennen, wenn auch mit anderer Rangfolge. Die Bereitschaftskosten erreichen bei Versicherung A die höchste Bedeutung (53,9%), mit den Abweichungskosten auf Rang 2 (26,8%) und den Koordinationskosten auf Rang 3 (19,3%). Bei Bank B haben die Abweichungskosten die höchste Bedeutung (54,6% im Vergleich zu den Koordinationskosten mit 23,4% und den Bereitschaftskosten mit 22%). Der erste Rang wird bei Telekom A von den Koordinationskosten eingenommen (56,6%, mit 25,6% für die Bereitschaftsund 17,8% für die Abweichungskosten), ebenso wie bei Telekom B (44,7%, mit 33,5% für die Abweichungs- und 21,8% für die Bereitschaftskosten). Eine Betrachtung der unterschiedlichen Bedeutung einzelner Kostenarten zeigt ebenfalls deutliche Unterschiede. So reicht die Bedeutung der Koordinationskosten von 19,3% bis zu 56,6%. Die Werte der Abweichungskosten bewegen sich zwischen 11,6% und 54,6% und die der Bereitschaftskosten zwischen 21,8% und 53,9%. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind in der Konsequenz aus diesen breiten Streuungen nur in Einzelfällen zu beobachten: Lediglich die Bereitschaftskosten der beiden Telekommunikationsanbieter weisen mit einer Differenz von 3,8 Prozentpunkten eine vergleichbare Bedeutung für die Dienstleistungskomplexität auf. Auch sonst sind die Abweichungen zwischen den Telekommunikationsunternehmen geringer als die zwischen den Versicherungen (Differenzen von 6,2 bis 17,6 Prozentpunkten). Extrem ist dagegen der Unterschied zwischen den beiden Banken, hier liegt die geringste Differenz bei 16,8 (Koordinationskosten), die höchste bei 43 Prozentpunkten (Abweichungskosten). Ein klarer Unterschied zwischen den Branchen ist folglich nur in einem Fall gegeben: So liegen die Werte der Bereitschaftskosten in der Telekommunikationsbranche mit 21,8% und 25,6% deutlich niedriger als die der Versicherungen (53,9% und 47,7%). Darüber hinaus sind aufgrund der Streuung der Ergebnisse innerhalb der Branchen weitere Unterschiede nur zwischen Unternehmen, nicht aber auf Branchenebene zu identifizieren.
224
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
(2) Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse Interessant verhält sich die Verteilung der Bedeutung der verschiedenen Kostenarten in den Unternehmen in Bezug auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse. Auch hier weichen die Einzelergebnisse sowohl in der Höhe der Bedeutungen als auch in der Rangfolge deutlich von den Durchschnittswerten ab. Dabei sind zwei Gruppen von Unternehmen zu identifizieren. In der einen Gruppe (Bank B und Telekom B) ist jeweils eine besonders dominante Kostenart zu erkennen, während den anderen beiden Kostenarten eine deutlich geringere Wichtigkeit zukommt. Bei Bank B dominieren die Abweichungskosten mit 59,5% die Koordinations- und Bereitschaftskosten mit 21,2% bzw. 19,3%. Bei Telekom B liegen die Koordinationskosten mit 59,2% weit über den Abweichungskosten mit 24% und den Bereitschaftskosten mit 16,8%. Die zweite Gruppe dagegen ist durch jeweils zwei dominante Kostenarten gekennzeichnet. Bei Bank A und Versicherung B sind dies die Koordinations- und Bereitschaftskosten mit jeweils über 40%, die Abweichungskosten haben mit rund 10% nur eine nachrangige Bedeutung bezüglich der Prozesskomplexität. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Telekom A, allerdings haben die Abweichungskosten hier immerhin eine Bedeutung von 20,8%. Bei Versicherung A dominieren dagegen die Abweichungs- und Bereitschaftskosten (jeweils über 40%) die Koordinationskosten (15%). Unterschiede zeigt auch der Unternehmensvergleich der Bedeutungen einzelner Kostenarten für die Prozesskomplexität. Die Koordinationskosten schwanken zwischen 15% und 59,2%, die Abweichungskosten zwischen 10% und 59,5%. Die Bedeutung der Bereitschaftskosten reicht von 16,8% bis zu 49,6%. Zudem sind auch die Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen gering. Mit Ausnahme der Bereitschaftskosten bei den Versicherungen (Differenz von 0,1 Prozentpunkten) und den Abweichungskosten bei den Telekommunikationsanbietern (3,2 Prozentpunkte) sind die Differenzen als stark ausgeprägt einzustufen. Insbesondere die Werte der Banken zeigen große Abweichungen von bis zu 49,1 Prozentpunkten. Unterschiede zwischen den Branchen sind aus den Resultaten daher nicht abzuleiten. (3) Lokale Bedeutung der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität Ebenfalls aufschlussreich ist der Vergleich der Kostenarten in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität. Hier bestätigt die Einzelbetrachtung die bei Gesamtsicht festgestellte Wichtigkeit der Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft: Diesen kommt bei vier Unternehmen mit deutlichem Abstand die größte, in den anderen beiden Unternehmen knapp die zweithöchste Bedeutung zu. Diese Domi-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
225
nanz der Bereitschaftskosten in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität – im Vergleich zu dem davon abweichenden Bild bei den anderen Komplexitätsformen – unterstreicht die in Abschnitt 3.4.3 angestellten konzeptionellen Überlegungen zu den Kostenwirkungen der Potenzialkomplexität. Auch untermauern die Ergebnisse die im Abschnitt 5.3.4.1 (zu den Wirkungen der verschiedenen Komplexitätsformen auf die Kosten der Leistungsbereitschaft) formulierte Vermutung, dass die überraschenden Ergebnisse ihre Ursache in einem Mangel an Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Leistungspotenzialen haben, der auf die Beschränkung auf ausgewählte Komplexitätsformen zurückzuführen ist. Ein Vergleich der Kostenarten zeigt je nach Unternehmen sehr unterschiedliche Verteilungen der Wichtigkeit der Kostenarten. Bei Bank A dominieren die Bereitschaftskosten (56%), gefolgt von den Koordinationskosten mit 29,7%; den Abweichungskosten kommt in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität nur eine Bedeutung von 14,3% zu. Eine ähnliche Verteilung ist bei Telekom A zu erkennen (Bereitschaftskosten: 51%; Koordinationskosten: 33%; Abweichungskosten: 16%). Bei Versicherung A sind die Bereitschaftskosten mit 46,6% ebenfalls die dominante Kostenart, wohingegen den Koordinations- und Abweichungskosten mit 25,7% und 27,7% eine deutlich geringere Bedeutung zukommt. Bei Telekom B fallen die vergleichbar hohen Werte der Koordinations- und der Bereitschaftskosten (45,7% und 43,6%) auf, die die Abweichungskosten (10,7%) dominieren. Weniger ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen den Kostenarten bei Bank B (Koordinationskosten: 37,1%; Bereitschaftskosten: 33,8%; Abweichungskosten 29,1%) und Versicherung B (Bereitschaftskosten: 44,2%; Koordinationskosten: 32,6%; Abweichungskosten 23,2%). Ein einheitliches Bild zeigt sich beim Unternehmensvergleich der Bedeutungen einzelner Kostenarten für die Mitarbeiterkomplexität. Die Bedeutung der Bereitschaftskosten liegt in allen Unternehmen mit Werten zwischen 43,6% und 56% relativ hoch (mit Ausnahme der 33,8% bei Bank B). Die Bedeutung der Koordinationskosten für die Mitarbeiterkomplexität liegt in einem mittleren Bereich zwischen 25,7% und 37,1%, mit einem Ausreißer bei 45,7%. Die Bedeutung der Abweichungskosten ist dagegen gleichmäßig gering mit Werten zwischen 10,7% und einem Maximum von 29,1%. Entsprechend ausgeprägt sind auch die Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen, wobei insbesondere die niedrigen Differenzen zwischen den Versicherungsunternehmen von unter 6,9 Prozentpunkten auffallen. Auch in der Telekommunikationsbranche sind die Unterschiede mit Werten von 5,3 bis 12,7 Prozentpunkten nur mittleren Ausmaßes. Größer sind die Differenzen zwischen den Banken (7,4 bis 22,2 Prozentpunkte). Trotz der relativen Ähnlichkeit innerhalb der Branchen sind keine prägnanten Unterschiede zwischen den betrachteten Branchen auszumachen.
226
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Als Zwischenfazit lassen sich bezüglich der Kostenwirkungen der Komplexität zwei wesentliche Erkenntnisse festhalten. Zum einen zeigt der Vergleich der Komplexitätsformen hinsichtlich ihrer Kostenwirkungen, dass die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse sowie die Dienstleistungskomplexität die dominierenden Kostentreiber darstellen. Der Mitarbeiterkomplexität kommt ein geringer Anteil am Einfluss auf die betrachteten Kostenarten zu. Zum anderen verdeutlicht der Vergleich der Komplexitätskostenarten, dass die Kostenwirkungen der Komplexitätsformen von Unternehmen zu Unternehmen stark abweichen. Lediglich bei der Bedeutung der Kosten der Leistungsbereitschaft infolge der Mitarbeiterkomplexität bestehen – wie auf Basis der konzeptionellen Überlegungen zu den Kostenwirkungen zu erwarten – Ähnlichkeiten.
5.3.5
Nutzenwirkungen der Komplexität
5.3.5.1 Direkte Nutzenwirkungen der Komplexitätsformen Die nachfolgend beschriebenen Ergebnisse der Gesamt- sowie der unternehmensspezifischen Auswertungen zu den direkten Nutzenwirkungen, d.h. zu den Wirkungen der Komplexitätsformen auf die Erzielung von Synergie- und Produktivitätseffekten im Unternehmen sowie von positiven Wahrnehmungseffekten beim Kunden, sind in Tabelle 29 wiedergegeben. (1) Nutzung von Synergieeffekten Den größten Beitrag zur Nutzung von Synergieeffekten leistet bei Gesamtsicht aller Befragten deutlich die Dienstleistungskomplexität mit 46,7%, während den anderen beiden Komplexitätsformen mit 26,8% und 26,4% ein geringerer, aber nahezu gleich hoher Einfluss zukommt. Die Betrachtung der Wirkung der drei Komplexitätsformen in den einzelnen Unternehmen ergibt allerdings ein differenziertes Bild. Nur bei Bank B (Prozesskomplexität: 45,8%; Mitarbeiterkomplexität: 29,6%; Dienstleistungskomplexität: 24,5%) und Versicherung B (Dienstleistungskomplexität: 53,9%; Prozesskomplexität: 26,3%; Mitarbeiterkomplexität: 19,8%) dominiert jeweils eine Komplexitätsform deutlich die beiden anderen – ungefähr gleich bedeutsamen – Komplexitätsformen, allerdings in unterschiedlicher und von der Gesamtsicht abweichender Reihenfolge. Ansonsten sind insbesondere extremere Ausprägungen und deutlichere Unterschiede in der Einflussstärke festzustellen. Bei Telekom A generiert die Mitarbeiterkomplexität (45,3%) ähnlich hohe Synergieeffekte wie die Dienstleistungskomplexität (40,6%), der Prozesskomplexität kommen lediglich 14,1% zu. Bei den anderen Unternehmen ergab die Untersuchung stär-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
227
kere Unterschiede zwischen allen drei Komplexitätsformen: Bei Versicherung A und Telekom B erreicht die Dienstleistungskomplexität Werte von 63,7% resp. 65,2%, mit hohem Abstand zur Mitarbeiterkomplexität (24,7% resp. 20,5%) und der Prozesskomplexität (11,6% resp. 14,3%). Bei Bank A trägt die Prozesskomplexität am stärksten zur Nutzung von Synergieeffekten bei (48,5%), die Dienstleistungskomplexität in mittlerem Ausmaß (37,1%), die Mitarbeiterkomplexität hat mit 14,5% den niedrigsten Einfluss. Insgesamt zeigt sich also, dass jede der drei Komplexitätsformen eine Rolle bei der Nutzung von Synergieeffekten spielen kann, wobei die Stärke des Einflusses von Unternehmen zu Unternehmen variiert. Dies verdeutlicht der Vergleich der Einflussstärke der einzelnen Komplexitätsformen auf die Synergieeffekte in den verschiedenen Unternehmen. Die Werte der Dienstleistungskomplexität reichen von 24,5% bis 65%. Die Prozesskomplexität erreicht dagegen geringere Einflussstärken, die bei der Hälfte der Unternehmen zwischen 10% und 15% schwanken und bei den anderen drei Unternehmen bis zu 48,5% ausmachen. Die Einflussstärke der Mitarbeiterkomplexität bewegt sich in Relation zu den anderen beiden Komplexitätsformen in einem mittleren Bereich mit Werten von ca. 20% bis 30% und zwei Ausreißern i.H.v. 14,5% und 45,3%. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind dementsprechend nur vereinzelt zu erkennen. Insbesondere die Bedeutung der Prozesskomplexität bei den Banken fällt ähnlich aus (Differenz von 2,7 Prozentpunkten), ebenso die der Mitarbeiterkomplexität bei den Versicherungen (4,9) sowie der Prozesskomplexität bei den Telekommunikationsanbietern (0,2). Darüber hinaus weisen die sonstigen Werte bei den Banken und den Versicherungen mittlere Ähnlichkeiten auf, während die Unterschiede der Telekommunikationsunternehmen mit Differenzen von über 20 Prozentpunkten relativ stark ausfallen. Unterschiede zwischen den Branchen treten bei der Prozesskomplexität auf, die in beiden Banken den höchsten Beitrag zur Nutzung von Synergien leistet (48,5% und 45,8%), wobei die Werte prägnant höher ausfallen als in den anderen Branchen. Insbesondere in der Telekommunikationsbranche ist der Einfluss der Prozesskomplexität mit 14,1% und 14,3% vergleichsweise gering. Ansonsten sind in keiner Branche deutlich höhere oder geringere Bedeutungen der Komplexitätsformen als in anderen Branchen zu erkennen. (2) Nutzung von Produktivitätseffekten Während die Synergieeffekte bei Gesamtsicht am stärksten von der Dienstleistungskomplexität beeinflusst werden, lassen sich Produktivitätseffekte eher durch die Mitarbeiterkomplexität erzielen (47,3%). Die Prozesskomplexität (27%) und die Dienstleistungskomplexität (25,7%) haben einen geringeren Einfluss.
228
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Komponente Ͷ : Komplexitätsnutzenkategorien Unternehmensbezogene Nutzenkategorien
ͶǤͳ: Synergieeffekte
Kundenbezogene Nutzenkategorien (Psychologische Wirkungen)
ͶǤ: Nutzen aus der Leistungsvielfalt/ -individualisierung
ͶǤʹ: Produktivitätseffekte
ͶǤͺ: Nutzen aus der Verfügbarkeit/Flexibilität des Anbieters
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Komponente ʹ: Komplexitätsformen Unternehmen Betrachteter Einfluss:
Bank A
Versicherung A
Bank B
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Auf die Synergieeffekte: Dienstleistungskomplexität
0,371
2
0,245
3
0,637
1
0,539
1
0,406
2
0,652
1
0,467
1
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,485
1
0,458
1
0,116
3
0,263
2
0,141
3
0,143
3
0,264
3
Mitarbeiterkomplexität
0,145
3
0,296
2
0,247
2
0,198
3
0,453
1
0,205
2
0,268
2
Dienstleistungskomplexität
0,333
2
0,157
3
0,182
3
0,268
3
0,358
1
0,354
2
0,257
3
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,407
1
0,285
2
0,188
2
0,349
2
0,303
3
0,069
3
0,270
2
Mitarbeiterkomplexität
0,260
3
0,558
1
0,629
1
0,383
1
0,339
2
0,578
1
0,473
1
Dienstleistungskomplexität
0,502
1
0,429
2
0,709
1
0,707
1
0,528
1
0,459
2
0,585
1
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,205
3
0,077
3
0,080
3
0,164
2
0,215
3
0,063
3
0,124
3
Mitarbeiterkomplexität
0,293
2
0,494
1
0,211
2
0,129
3
0,257
2
0,478
1
0,291
2
Dienstleistungskomplexität
0,374
1
0,351
2
0,532
1
0,316
3
0,252
3
0,333
2
0,374
2
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,278
3
0,118
3
0,079
3
0,328
2
0,344
2
0,305
3
0,201
3
Mitarbeiterkomplexität
0,348
2
0,531
1
0,389
2
0,356
1
0,404
1
0,362
1
0,425
1
Auf die Produktivitätseffekte:
Auf den Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung:
Auf den Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters:
Tabelle 29:
Direkte Nutzenwirkungen der Komplexität (lokale Prioritäten)
Die Analyse der Wirkungen in den einzelnen Unternehmen zeigt allerdings wieder sehr unterschiedlich ausgeprägte Einflussstärken mit von der Gesamtsicht abweichenden Rangfolgen. Insbesondere fällt auf, dass bei Telekom A die Unter-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
229
schiede zwischen den drei Komplexitätsformen minimal sind (Dienstleistungskomplexität: 35,8%; Mitarbeiterkomplexität: 33,9%; Prozesskomplexität: 30,3%). Auch bei Versicherung B und Bank A sind keine Extremwerte zu erkennen (Versicherung B: Mitarbeiterkomplexität 38,3%, Prozesskomplexität 34,9%, Dienstleistungskomplexität 26,8%; Bank A: Prozesskomplexität 40,7%, Dienstleistungskomplexität 33,3%, Mitarbeiterkomplexität 26%). Ein dominanter Einfluss geht dagegen – in Übereinstimmung mit dem Gesamtergebnis – bei den anderen drei Unternehmen jeweils von der Mitarbeiterkomplexität aus: bei Bank B in Höhe von 55,8% gegenüber der Prozesskomplexität (28,5%) und der Dienstleistungskomplexität (15,7%); bei Versicherung A in Höhe von 62,9% im Vergleich zur Prozesskomplexität (18,8%) und zur Dienstleistungskomplexität (18,2%); bei Telekom B mit 57,8% gegenüber einem mittleren Einfluss von 35,4% der Dienstleistungskomplexität und einem mit 6,9% sehr schwachen Einfluss der Prozesskomplexität. Somit zeigt sich, dass alle drei Komplexitätsformen grundsätzlich das Potenzial zur Erzielung von Produktivitätseffekten aufweisen, diese allerdings je nach Unternehmen unterschiedlich stark genutzt werden. Die in einigen Unternehmen geringe Bedeutung der Dienstleistungskomplexität bestätigt zumindest teilweise die konzeptionellen Überlegungen aus Abschnitt 3.5.3, nach denen Produktivitätseffekte in erster Linie durch die Komplexitätsformen der Prozess- und der Potenzialdimension in Dienstleistungsunternehmen erzielt werden. Bezüglich der Einflussstärke der einzelnen Komplexitätsformen in den Unternehmen zeigt sich ein weniger klares Bild als bei den Synergieeffekten. Dennoch bewegen sich auch hier die Werte für die drei Komplexitätsformen in voneinander unterscheidbaren Bereichen. So reichen die Einflussstärken der Dienstleistungskomplexität schwerpunktmäßig von 26,8% bis 35,8%, mit lediglich zwei auffällig niedrigeren Werten von 15,7% und 18,2%. Die Streuung bei der Prozesskomplexität fällt höher aus und reicht von 6,9% bis zu 40,7%, wobei die meisten Werte sich in einem mittleren Bereich zwischen 18,8% und 34,9% bewegen. Bei der Mitarbeiterkomplexität lassen sich zwei Gruppen erkennen: Bei Bank A (26%), Versicherung B (38,3%) sowie Telekom A (33,9%) hat die Mitarbeiterkomplexität einen mittleren Einfluss auf die Produktivitätseffekte. Bei Bank B (55,8%), Versicherung A (62,9%) sowie Telekom B (57,8%) fällt der Einfluss dagegen wesentlich höher aus. Auffällig ist hierbei, dass es sich bei den Unternehmen der ersten Gruppe jeweils um das größere Unternehmen der drei Branchen handelt und sich die zweite Gruppe aus den kleineren Unternehmen zusammensetzt. Demnach sind insbesondere in kleineren Unternehmen durch die Mitarbeiterkomplexität Produktivitätssteigerungen zu erzielen. Inwieweit ein signifikanter Einfluss der Unternehmensgröße auf den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterkomplexität und Produktivitätseffekten besteht, ist in weiteren Studien zu überprüfen.
230
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Eindeutige Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen bestehen bei den Bedeutungen der Dienstleistungskomplexität in der Telekommunikationsbranche (Differenz von 0,4 Prozentpunkten). Ansonsten sind zwischen den Unternehmen einer Branche fast ausschließlich Differenzen von mehr als 15, teilweise sogar über 20 Prozentpunkten zu verzeichnen. Prägnante Unterschiede zwischen den Branchen sind insgesamt nicht zu erkennen. Lediglich in den Telekommunikationsunternehmen kommt der Dienstleistungskomplexität ein leicht höherer Einfluss zu als in den anderen Branchen. Deutliche Unterschiede zeigen sich aber nur bei Unternehmens-, nicht bei Branchenvergleichen. (3) Von Kunden wahrgenommener Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung Der von Kunden wahrgenommene Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung wird bei Gesamtsicht erwartungsgemäß am stärksten von der Dienstleistungskomplexität (58,5%) beeinflusst, die damit deutlich vor der Mitarbeiterkomplexität mit 29,1% und der Prozesskomplexität mit 12,4% liegt. Ein ähnlich klares Bild zeigt sich auch bei Betrachtung der einzelnen Unternehmen. Die Wirkung der drei Komplexitätsformen weist allerdings wieder unterschiedliche Verteilungen auf. Auffällig ist die Dominanz der Dienstleistungskomplexität bei Versicherung A (70,9% im Vergleich zu 21,1% bei der Mitarbeiterkomplexität und 8% bei der Prozesskomplexität) sowie Versicherung B (mit 70,7% gegenüber 16,4% der Prozess- und 12,9% der Mitarbeiterkomplexität). Bei Bank A und Telekom A dominiert ebenfalls die Dienstleistungskomplexität mit 50,2% resp. 52,8% die Kundenwahrnehmung, die Prozess- und die Mitarbeiterkomplexität nehmen mit Werten von 20-30% einen weniger hohen Stellenwert ein. Dagegen kommt bei Bank B und Telekom B sowohl der Dienstleistungs- als auch der Mitarbeiterkomplexität ein hoher Einfluss auf die Kundenwahrnehmung zu, wobei die Mitarbeiterkomplexität leicht überwiegt (Bank B: 49,4% vs. 42,9%; Telekom B: 47,8% vs. 45,9%). Die Prozesskomplexität hat in beiden Unternehmen einen geringen Einfluss auf die vom Kunden wahrgenommene Leistungsvielfalt und -individualisierung (Bank B: 7,7%; Telekom B: 6,3%). Die Einflussstärken der einzelnen Komplexitätsformen zeigen untereinander relativ deutliche Unterschiede. In Übereinstimmung mit der Gesamtsicht liegen die Werte der Dienstleistungskomplexität mit einem Minimum von 42,9% sowie einem Maximum von 70,9% deutlich über den Einflüssen der anderen Komplexitätsformen. Eine größere Streuung zeigt sich bei der Mitarbeiterkomplexität, deren Werte von 12,9% bis 49,4% reichen und damit überwiegend in einem mittleren Bereich liegen. Sowohl die eindeutig geringsten Werte als auch die geringste Streuung weisen die Einflussstärken bei der Prozesskomplexität auf, die sich zwischen 6,3% und 21,5% bewegen. Die Ergebnisse zeigen, dass die von Kun-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
231
den wahrgenommene Vielfalt und Individualisierung insbesondere durch das Leistungsergebnis, aber auch durch die Mitarbeiter, weniger dagegen von den Prozessen beeinflusst wird. Ansonsten sind nur wenige Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen. Allerdings fällt auf, dass die Werte der beiden Versicherungen die geringsten Unterschiede aufweisen (Differenzen zwischen 0,2 und 8,4 Prozentpunkten). Die Unterschiede zwischen den beiden Banken und den beiden Telekommunikationsunternehmen sind mit Differenzen von bis zu knapp über 20 Prozentpunkten stärker ausgeprägt. Unterschiede zwischen den Branchen bestehen beim Einfluss der Dienstleistungskomplexität, die in der Versicherungsbranche mit 70,7% und 70,9% deutlich über den Werten der Banken- und der Telekommunikationsbranche liegen (Werte zwischen 42,9% und 52,8%). Darüber hinaus weichen die Werte im direkten Vergleich innerhalb der Branchen nicht stark, aber dennoch erkennbar voneinander ab, so dass auch hier Unterschiede primär im direkten Unternehmensvergleich, nicht aber im Branchenvergleich ersichtlich werden. (4) Von Kunden wahrgenommener Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters Der vom Kunden wahrgenommene Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität wird – bei Gesamtsicht – ebenfalls am wenigsten durch die Prozesskomplexität beeinflusst, die mit 20,1% aber dennoch einen Einfluss ausübt. Im Unterschied zur Leistungsvielfalt und -individualisierung kommt bei der wahrgenommenen Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters allerdings der Mitarbeiterkomplexität mit 42,5% eine wichtigere Rolle zu als der Dienstleistungskomplexität mit 37,4%. Diese relativ hohe Bedeutung der Dienstleistungskomplexität widerlegt die konzeptionellen Überlegungen zu den Nutzenwirkungen der Komplexität aus Abschnitt 3.5.3, nach denen der Bereitstellungsnutzen aus der Komplexität der Dienstleistungspotenziale und -prozesse resultiert. Unter Umständen ist hier allerdings aufgrund der engen Verknüpfung von Potenzial, Prozess und Ergebnis eine separate Wahrnehmung und Beurteilung des Beanspruchungs- und des Bereitstellungsnutzens nicht eindeutig möglich. Betrachtet man die Wirkung der drei Komplexitätsformen im Detail, fällt in vier Unternehmen eine sehr gleichmäßige Verteilung der Einflüsse auf alle drei Komplexitätsformen auf: Besonders ähnlich fallen die Werte sowohl bei Telekom B (Mitarbeiterkomplexität: 36,2%; Dienstleistungskomplexität: 33,3%; Prozesskomplexität: 30,5%) als auch bei Versicherung B aus (Mitarbeiterkomplexität: 35,6%; Prozesskomplexität: 32,8%; Dienstleistungskomplexität: 31,6%). Darüber hinaus sind die Unterschiede zwischen den Komplexitätsformen bei Bank A (Dienstleistungskomplexität: 37,4%; Mitarbeiterkomplexität: 34,8%; Prozesskomplexität: 27,8%) sowie bei Telekom A (Mitarbeiterkomplexität:
232
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
40,4%; Prozesskomplexität: 34,4%; Dienstleistungskomplexität: 25,2%) relativ gering. Ein anderes Bild zeigt sich bei Bank B, bei der die Mitarbeiterkomplexität die Kundenwahrnehmung mit 53,1% am stärksten beeinflusst (gegenüber einer Einflussstärke der Dienstleistungskomplexität von 35,1% sowie der Prozesskomplexität von 11,8%). Bei Versicherung A übt die Dienstleistungskomplexität mit 53,2% den stärksten, die Mitarbeiterkomplexität einen mittleren (38,9%) und die Prozesskomplexität (7,9%) den geringsten Einfluss auf die vom Kunden wahrgenommene Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters aus. Infolge der geringen Unterschiede der Einflussstärke der einzelnen Komplexitätsformen innerhalb der Unternehmen fällt auch insgesamt die Schwankung der Einflüsse je Komplexitätsform gering aus. Die Werte der Dienstleistungskomplexität bewegen sich zwischen 25,2% und 37,4%, mit lediglich einem Ausreißer in Höhe von 53,2%. Auch die Ergebnisse zur Prozesskomplexität liegen in einem ähnlichen Bereich zwischen 27,8% und 34,4%, mit zwei Abweichungen von 11,8% und 7,9%. Die Einflussstärke der Mitarbeiterkomplexität variiert zwischen 34,8% und 40,4%, deutlich darüber liegt ausschließlich ein Wert in Höhe von 53,1%. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen weisen insbesondere die Telekommunikationsunternehmen mit Differenzen von 3,9 bis 8,1 Prozentpunkten auf. Dagegen sind bei den Banken die Werte zum Einfluss der Dienstleistungskomplexität sehr ähnlich (Differenz von 2,3), die anderen Werte mit Differenzen von 16 und 18,3 Prozentpunkten unterschiedlich. Ebenso erweisen sich bei den Versicherungen die Werte zur Mitarbeiterkomplexität als ähnlich (Differenz von 3,3), die anderen Werte mit Differenzen von über 20 Prozentpunkten aber als sehr unterschiedlich. Aufgrund dieser großen Streuung bei Banken und Versicherungen sind Unterschiede zwischen den Branchen nicht zu erkennen.
5.3.5.2 Indirekte Nutzenwirkungen der Komplexität Zwei der im vorherigen Abschnitt dargestellten direkten Nutzenwirkungen, der von Kunden wahrgenommene Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung sowie aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters, haben Wirkungen auf das Kaufverhalten und die Zahlungsbereitschaft der Kunden und somit auf die letztendlich für das Unternehmen relevante ökonomische Nutzenkategorie des Umsatzes. Die Einflussstärken der Kundenwahrnehmung auf das Verhalten sowie der Verhaltenswirkungen auf den Umsatz, die Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind, zeigt Tabelle 30 im Überblick. (1) Einfluss der psychologischen Wirkungen auf das Erstkaufverhalten Bezüglich des Erstkaufverhaltens der Kunden kommt bei Gesamtsicht dem Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen) mit 66,4% die stärkere Wirkung der beiden Wahrnehmungskategorien zu. Der
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
233
Einfluss des wahrgenommenen Nutzens aus der Verfügbarkeit (Bereitstellungsnutzen) liegt mit 33,6% niedriger.
Komponente Ͷ : Komplexitätsnutzenkategorien
ͶǤ͵: Umsatz
Unternehmensbezogene Nutzenkategorie
ͶǤͷ: Wiederkauf- /CrossBuying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen)
ͶǤͶ: Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen)
ͶǤ: Nutzen aus der Leistungsvielfalt/ -individualisierung
Bank A
Kundenbezogene Nutzenkategorien (Psychologische und Verhaltenswirkungen)
ͶǤͺ: Nutzen aus der Verfügbarkeit/Flexibilität des Anbieters
Unternehmen Betrachteter Einfluss:
ͶǤ: Zahlungsbereitschaft
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Auf das Erstkaufverhalten (Kundenakquisitionsnutzen): Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung
0,818
1
0,672
1
0,832
1
0,669
1
0,387
2
0,309
2
0,664
1
Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters
0,182
2
0,328
2
0,168
2
0,331
2
0,613
1
0,691
1
0,336
2
Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung
0,419
2
0,632
1
0,344
2
0,443
2
0,712
1
0,309
2
0,492
2
Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters
0,581
1
0,368
2
0,656
1
0,557
1
0,289
2
0,691
1
0,508
1
Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung
0,716
1
0,456
2
0,543
1
0,296
2
0,675
1
0,261
2
0,491
2
Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters
0,284
2
0,544
1
0,457
2
0,704
1
0,325
2
0,739
1
0,509
1
Erstkaufverhalten
0,216
3
0,338
2
0,141
3
0,222
2
0,070
3
0,450
1
0,215
3
Wiederkauf-/CrossBuying-Verhalten
0,437
1
0,482
1
0,457
1
0,599
1
0,594
1
0,339
2
0,516
1
Zahlungsbereitschaft
0,347
2
0,179
3
0,402
2
0,179
3
0,336
2
0,211
3
0,269
2
Auf das Wiederkauf-/ Cross-Buying-Verhalten (Kundenbindungsnutzen):
Auf die Zahlungsbereitschaft:
Auf den Umsatz:
Tabelle 30:
Indirekte Nutzenwirkungen der Komplexität (lokale Prioritäten)
Die Betrachtung der einzelnen Unternehmen zeigt nur vereinzelt ein deutlich von dieser Gesamtsicht abweichendes Bild. Während die Ergebnisse bei Bank B
234
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
und Versicherung B mit 67,2% resp. 66,9% für den Beanspruchungsnutzen nahezu identisch ausfallen, ist die Dominanz dieser Nutzenkategorie bei Bank A mit 81,8% sowie Versicherung A mit 83,2% noch ausgeprägter. Ein gegensätzliches Bild zeigt sich dagegen bei Telekom A und Telekom B: Hier dominiert im Gegensatz zu den anderen Unternehmen mit 61,3% resp. 69,1% der Bereitstellungsnutzen, also die andere psychologische Wirkungskategorie, das Erstkaufverhalten. Entsprechend sind hier mittelmäßige Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen insbesondere bei den Telekommunikationsunternehmen (Differenz von 7,8 Prozentpunkten) sowie bei den Banken (Differenz von 14,6) zu erkennen. Der Unterschied zwischen den Versicherungen ist mit einer Differenz von 16,3 Prozentpunkten allerdings nur wenig stärker ausgeprägt. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Branchen besteht zwischen der Telekommunikations- und den anderen beiden Branchen. Eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied ist die hohe Bedeutung der Verfügbarkeit bei mobilen Telekommunikationsleistungen (Netzabdeckung) sowie auch bei den von den Unternehmen angebotenen Internetdienstleistungen (Schnelligkeit und Verfügbarkeit des Netzzugangs). Bei den in der Studie untersuchten Versicherungen spielt dagegen eine permanente, rund um die Uhr gewährleistete Verfügbarkeit des Anbieters eine nachrangige Rolle, da ein Großteil der von den Versicherungen angebotenen Leistungen – z.B. Objekt-, Reise-, Rechtsschutz- und Lebensversicherungen – primär im Zeitpunkt eines Schadensfalles und selten kontinuierlich während der gesamten Vertragslaufzeit genutzt werden. Ein anderes Resultat wäre beispielsweise bei Krankenversicherungen zu erwarten, deren andauernde Verfügbarkeit u.U. für den Kunden eine größere Bedeutung hat. Auch im Bankenbereich ist nachvollziehbar, dass die Vielfalt und möglicherweise individuelle Anpassung der Leistungen eine größere Rolle spielt als die Verfügbarkeit (z.B. der Öffnungszeiten), die infolge technologischer Entwicklungen (rund um die Uhr zur Verfügung stehende Selbstbedienungsterminals sowie Online-Banking) ohnehin zunehmend gewährleistet ist. (2) Einfluss der psychologischen Wirkungen auf das Wiederkauf- und Cross-Buying-Verhalten Weniger eindeutig sind die Wirkungen der beiden Wahrnehmungskategorien auf das Wiederkauf-/Cross-Buying-Verhalten und damit die Kundenbindung. Bei Gesamtsicht kommt dem Bereitstellungs- und dem Beanspruchungsnutzen mit 50,8% bzw. 49,1% ein nahezu identischer Einfluss zu. Auf Unternehmensebene fallen die Ergebnisse allerdings differenzierter aus. Der Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität dominiert leicht bei Bank A (58,1%) und Versicherung B (55,7%), stärker bei Versicherung A (65,5%) und Telekom B (69,1%). Dagegen hat bei Bank B mit 63,2% sowie bei Telekom A mit
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
235
71,2% der Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung den größeren Einfluss auf die Kundenbindung. Die einzige eindeutige Ähnlichkeit innerhalb der Branchen zeigt sich bei den Versicherungsunternehmen mit einer Differenz von 9,9 Prozentpunkten. Dabei handelt es sich zudem um die einzige der drei Branchen, in der bei beiden Unternehmen einheitlich eine der psychologischen Wirkungen – der Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität – die Kundenbindung stärker beeinflusst. Interessant ist hier v.a. auch der Vergleich mit dem Erstkaufverhalten bei den Versicherungen, das stärker von der Leistungsvielfalt und -individualisierung beeinflusst wird. Möglicherweise kommt in der höheren Bedeutung der Verfügbarkeit und Flexibilität die Zufriedenheit von Kunden mit der Abwicklung von tatsächlich eingetretenen Schadensfällen zum Ausdruck. Darüber hinaus sind bezüglich des Kundenbindungsnutzens keine klaren Unterschiede zwischen den Branchen, sondern nur Unterschiede im Unternehmensvergleich erkennbar: Die Werte der Banken weichen um 21,3 Prozentpunkte, die der Telekommunikationsunternehmen um 40,3 Prozentpunkte voneinander ab. (3) Einfluss der psychologischen Wirkungen auf die Zahlungsbereitschaft Auch bei den Einflüssen der psychologischen Wirkungen auf die Zahlungsbereitschaft zeigt die Gesamtsicht keine Dominanz einer der Wahrnehmungskategorien. Der Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen) weist mit 50,9% einen quasi gleich hohen Einfluss auf wie der Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung mit 49,1% (Beanspruchungsnutzen). Eindeutiger sind aber auch hier die unternehmensspezifischen Ergebnisse. Der wahrgenommene Beanspruchungsnutzen hat bei Versicherung A mit 54,3% einen leicht größeren, bei Bank A (71,6%) sowie bei Telekom A (67,5%) einen deutlich größeren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Dagegen dominiert der Bereitstellungsnutzen bei Bank B mit 54,4% leicht, bei Versicherung B (70,4%) und Telekom B (73,9%) deutlich. In jeder Branche dominiert somit bei einem Unternehmen der Bereitstellungs-, bei dem jeweils anderen Unternehmen der Beanspruchungsnutzen, wobei der Unterschied zwischen den Versicherungen bei 24,7, bei den Banken bei 26 und bei den Telekommunikationsunternehmen bei 41,4 Prozentpunkten liegt. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind daher ebenso wenig erkennbar wie eindeutige Unterschiede zwischen den Branchen.
236
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
(4) Einfluss der Verhaltenswirkungen auf den Umsatz Der Umsatz als aus dem Verhalten resultierende Nutzenkategorie auf Unternehmensebene wird bei Gesamtsicht primär vom Wiederkauf- und Cross-BuyingVerhalten der Kunden beeinflusst (51,6%). Sowohl der Kundenakquisition als auch der Zahlungsbereitschaft kommt dennoch ein nicht zu vernachlässigender Einfluss in Höhe von 26,9% resp. 21,5% zu. Bei Betrachtung der einzelnen Unternehmen zeigen sich leichte Abweichungen von dieser Rangfolge, wobei aber die Kundenbindung mit nur einer Ausnahme immer den größten Einfluss hat. Nach der Kundenbindung (Bank A: 43,7%; Versicherung A: 45,7%; Telekom A: 59,4%) hat die Zahlungsbereitschaft den zweithöchsten (Bank A: 34,7%; Versicherung A: 40,2%; Telekom A: 33,6%), die Kundenakquisition dagegen den geringsten Einfluss (Bank A: 21,6%; Versicherung A: 14,1%; Telekom A: 7%). Auch bei Bank B (48,2%) und Versicherung B (59,9%) übt die Kundenbindung den höchsten Einfluss auf den Umsatz aus. Bei diesen Unternehmen folgt allerdings die Kundenakquisition mit 33,8% resp. 22,2%. Der Zahlungsbereitschaft kommt der geringste Einfluss zu (jeweils in identischer Höhe mit 17,9%). In Abweichung zu allen anderen Unternehmen hat bei Telekom B die Kundenakquisition mit 45% den größten Einfluss auf den Umsatz, gefolgt von der Kundenbindung mit 33,9% und der Zahlungsbereitschaft mit 21,1%. Eine Ursache hierfür wird das relativ kurze Bestehen des Unternehmens im Schweizer Markt sein, weshalb der Schwerpunkt der Marketingaktivitäten auf die Kundenakquisition und nicht auf die Kundenbindung gelegt wird. Für diese Annahme sprechen auch die Ergebnisse des etablierten Anbieters Telekom A: Hier kommt der Kundenakquisition mit 7% ein extrem niedriger Einfluss zu, während die Kundenbindung mit 59,4% einen hohen Wert erzielt. Ein Vergleich der Einflussstärken der drei Verhaltenswirkungen zeigt insgesamt eine deutliche Dominanz des Wiederkauf- und Cross-Buying-Verhaltens, dessen Werte sich zwischen 33,9% und 59,9% bewegen. Eine geringere Streuung bei zudem niedrigeren Werten weist die Zahlungsbereitschaft mit Einflussstärken zwischen 17,9% und maximal 40,2% auf. Die größte Streuung der Einflüsse ergibt sich beim Erstkaufverhalten, das zwischen 7% und einem Höchstwert von 45% variiert. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind dabei nur in Einzelfällen zu beobachten. Die größte Ähnlichkeit weisen die Werte des Wiederkauf- und Cross-Buying-Verhaltens der Banken mit einer Differenz von lediglich 4,5 Prozentpunkten auf. Auch die anderen Werte der Banken weichen weniger voneinander ab als die der Versicherungen (Differenzen von 8,1 bis 22,3 Prozentpunkten) und der Telekommunikationsanbieter (12,5 bis 38 Prozentpunkte). Insgesamt sind infolge dieser teils hohen Abweichungen keine eindeutigen Unterschiede zwischen den Branchen erkennbar.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
237
5.3.5.3 Lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Komplexitätsformen Um die relative Bedeutung der verschiedenen Nutzenkategorien zu ermitteln, werden im Komplexitätsbewertungsmodell auch die drei unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf jede der drei Komplexitätsformen verglichen.670 Da kein Einfluss von diesen Nutzenwirkungen auf die Komplexitätsformen ausgeht, sind die lokalen Prioritäten als lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien für die jeweils in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellte Komplexitätsform zu interpretieren.671 Die in Tabelle 31 abgebildeten Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt. (1) Lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Dienstleistungskomplexität Bei Gesamtsicht zeigt sich in Bezug auf die Dienstleistungskomplexität eine deutliche Rangfolge der Nutzenkategorien. Der Umsatz weist mit 42,9% die höchste Bedeutung auf, gefolgt von der Nutzung von Synergieeffekten (32,2%) sowie der Erzielung von Produktivitätseffekten (24,9%). Die gleiche Rangfolge weisen die Nutzenkategorien auch in drei der Unternehmen auf: Der Umsatz hat bei Versicherung B (53,5%), Telekom A (46,8%) sowie Telekom B (48,5%) die höchste Bedeutung, die Synergieeffekte erreichen den zweiten (Versicherung B: 32,7%; Telekom A: 28,7%; Telekom B: 42,1%) und die Produktivitätseffekte den letzten Rang (Versicherung B: 13,8%; Telekom A: 24,6%; Telekom B: 9,4%). Bei Bank B kommt ebenfalls dem Umsatz die höchste Bedeutung zu (42,3%), hier allerdings nur mit knappem Vorsprung zu den Produktivitätseffekten, die mit 37,5% wiederum als wichtiger eingeschätzt werden als die Synergieeffekte mit 20,2%. Ein anderes Bild ergibt sich bei Bank A. Hier dominieren eindeutig die Synergieeffekte mit 52,8%, eine geringere Bedeutung kommt dem Umsatz (25,6%) sowie den Produktivitätseffekten zu (21,6%). Bei Versicherung A schließlich sind nur relativ geringe Unterschiede zwischen den drei Nutzenkategorien zu erkennen. Die Produktivitätseffekte machen einen Anteil von 37,2%, der Umsatz von 34,6% und die Synergieeffekte von 28,3% aus.
670 671
Vgl. analog auch den Vergleich der Komplexitätskostenarten in Bezug auf die Komplexitätsformen in Abschnitt 5.3.4.2. Vgl. auch Fußnote 653 sowie die Erläuterungen in Abschnitt 5.3.4.2.
238
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Komponente Ͷ: Komplexitätsnutzenkategorien (Nutzen auf Unternehmensebene) ͶǤʹ: Produktivitätseffekte ͶǤͳ: Synergieeffekte
ͶǤ͵: Umsatz
ʹǤͳ: Dienstleistungskomplexität
ʹǤ͵: Mitarbeiterkomplexität ʹǤʹ: Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Komponente ʹ: Komplexitätsformen Unternehmen Lokale Bedeutung für:
Bank A
Versicherung A
Bank B
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Die Dienstleistungskomplexität: Synergieeffekte
0,528
1
0,202
3
0,283
3
0,327
2
0,287
2
0,421
2
0,322
2
Produktivitätseffekte
0,216
3
0,375
2
0,372
1
0,138
3
0,246
3
0,094
3
0,249
3
Umsatz
0,256
2
0,423
1
0,346
2
0,535
1
0,468
1
0,485
1
0,429
1
Synergieeffekte
0,493
1
0,269
3
0,182
2
0,178
3
0,337
2
0,466
1
0,291
2
Produktivitätseffekte
0,165
3
0,403
1
0,144
3
0,280
2
0,282
3
0,136
3
0,248
3
Umsatz
0,342
2
0,329
2
0,674
1
0,542
1
0,381
1
0,398
2
0,461
1
Synergieeffekte
0,207
3
0,251
3
0,213
3
0,371
2
0,246
3
0,135
3
0,247
3
Produktivitätseffekte
0,355
2
0,410
1
0,306
2
0,441
1
0,479
1
0,498
1
0,414
1
Umsatz
0,438
1
0,339
2
0,481
1
0,188
3
0,275
2
0,367
2
0,339
2
Die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse:
Die Mitarbeiterkomplexität:
Tabelle 31:
Lokale Bedeutung der Nutzenkategorien auf Unternehmensebene (lokale Prioritäten)
Vergleicht man die Bedeutung der drei Nutzenkategorien über die Unternehmen hinweg, kommt dem Umsatz, dessen Bedeutungsgewichte schwerpunktmäßig zwischen 42,3% und 53,5% liegen, ein höheres Gewicht zu als den anderen beiden Nutzenkategorien. Lediglich bei zwei Unternehmen weist der Umsatz mit 25,6% resp. 34,6% geringere Werte auf. Die Bedeutung der Synergieeffekte variiert primär zwischen 20,2% und 32,7%, mit zwei größeren Abweichungen in Höhe von 52,8% und 42,1%. Bei den Bedeutungen der Produktivitätseffekte ist dagegen kein Bereich erkennbar, in dem sich die Werte mehrheitlich bewegen. Hier ergeben sich zwei niedrige Werte (9,4% bei Telekom B und 13,8% bei Versicherung B), zwei mittlere (21,6% bei Bank A und 24,6% bei Telekom A) sowie zwei im Vergleich dazu höhere Werte (37,5% bei Bank B und 37,2% bei Versicherung A). Prägnante Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind nur verein-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
239
zelt erkennbar, z.B. in der Telekommunikationsbranche, in der die Bedeutung des Umsatzes bei beiden Unternehmen mit einer Differenz von 1,7 Prozentpunkten ähnlich hoch ist. Die Bedeutungsgewichte der anderen beiden Nutzenkategorien weichen allerdings stärker voneinander ab (13,4 und 15,2 Prozentpunkte). Die Versicherungen weisen bei den Synergieeffekten eine hohe Ähnlichkeit auf (Differenz: 4,4 Prozentpunkte), wobei die anderen Werte sich um rund 20 Prozentpunkte unterscheiden. Noch größer sind die Unterschiede zwischen den Banken mit Differenzen von bis zu 32,6 Prozentpunkten. Entsprechend sind keine eindeutigen Unterschiede zwischen den Branchen zu identifizieren. (2) Lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse In Bezug auf die Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse zeigt sich bei Gesamtsicht die gleiche Rangfolge wie bei der Dienstleistungskomplexität: Der Umsatz erreicht mit 46,6% die höchste Bedeutung, die Synergieeffekte mit 29,1% die zweithöchste und die Produktivitätseffekte mit 24,8% die geringste Bedeutung. Diese Reihenfolge der Nutzenkategorien bestätigt sich bei Betrachtung der Unternehmen nur bei Versicherung A und Telekom A. Bei Versicherung A fallen dabei die Unterschiede zwischen den Nutzenkategorien stärker aus: Der Umsatz dominiert deutlich mit 67,4% die Synergieeffekte mit 18,2% und die Produktivitätseffekte mit 14,4%. Weniger unterschiedlich ausgeprägt sind die Bedeutungen bei Telekom A mit 38,1% (Umsatz), 33,7% (Synergieeffekte) und 28,2% (Produktivitätseffekte). Neben diesen beiden Unternehmen erreicht der Umsatz zudem bei Versicherung B mit 54,2% Rang 1 vor den Produktivitäts- (28%) und den Synergieeffekten (17,8%). Dagegen haben bei Bank B die Produktivitätseffekte die höchste Bedeutung (40,3%), gefolgt vom Umsatz mit 32,9% und den Synergieeffekten mit 26,9%. Eine Abweichung von den anderen Unternehmen zeigt sich bei Bank A und Telekom B. Hier kommt den Synergieeffekten in Bezug auf die Prozesskomplexität die höchste Bedeutung zu (49,3% resp. 46,6%), gefolgt vom Umsatz (34,2% resp. 39,8%) und den Produktivitätseffekten (16,5% resp. 13,6%). Vergleicht man wiederum die Bedeutung der drei Nutzenkategorien untereinander, zeigt sich lediglich beim Umsatz ein verhältnismäßig klares Bild. Hier bewegen sich die Werte primär zwischen 32,9% und 39,8%, mit nur zwei abweichend höheren Werten (67,4% und 54,2%). Eine vergleichbar prägnante Bandbreite, in der die Bedeutungsgewichte liegen, ist weder bei den Synergie- noch bei den Produktivitätseffekten erkennbar. Bei den Synergieeffekten ergeben sich zwei Werte unter 20%, zwei in einem mittleren Bereich (26,9% und 33,7%) so-
240
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
wie zwei höhere Bedeutungen mit 46,6% und 49,3%. Ähnlich breit streuen die Werte der Produktivitätseffekte, mit drei Werten zwischen 13,6% und 16,5%, zwei mittleren Werten von rund 28% und einem Ausreißer bei 40,3%. Tendenziell sind dabei Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu beobachten, insbesondere in der Banken- und der Telekommunikationsbranche bei der Bedeutung des Umsatzes (Differenz von 1,3 Prozentpunkten zwischen den Banken und 1,7 Prozentpunkten zwischen den Telekommunikationsunternehmen) sowie in der Versicherungsbranche bei der Bedeutung der Synergieeffekte (Differenz von 0,4 Prozentpunkten). Während die Telekommunikations- und Versicherungsunternehmen sich in den anderen Werten zumindest mittelmäßig ähnlich sind, weisen die Banken bei der Bedeutung der Synergie- und Produktivitätseffekte mit über 20 Prozentpunkten große Unterschiede auf. Auch existieren Unterschiede zwischen den Branchen: Insbesondere erreicht der Umsatz bei den beiden Versicherungen mit Werten von 67,4% und 54,2% eine deutlich höhere Bedeutung als bei den Telekommunikationsanbietern, deren Werte mit 38,1% und 39,8% wiederum leicht über den Werten der beiden Banken liegen (34,2% sowie 32,9%). Zudem fällt bei den beiden Versicherungen die Bedeutung der Synergieeffekte mit 18,2% und 17,8% geringer aus als in den anderen Branchen. (3) Lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität In Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität kommt den Produktivitätseffekten – die hinsichtlich der beiden anderen Komplexitätsformen jeweils nur Rang 3 einnehmen – bei Gesamtsicht mit 41,4% die höchste Bedeutung zu. Der Umsatz erreicht mit 33,9% Rang 2, die Synergieeffekte haben mit 24,7% die geringste Bedeutung. Bei detaillierter Betrachtung der Unternehmen sind Abweichungen zu erkennen, wobei diese nicht so prägnant ausfallen wie bei den anderen Komplexitätsformen. Die bei Gesamtsicht ermittelte Rangfolge der Nutzenkategorien zeigt sich bei drei der Unternehmen: Bank B (Produktivitätseffekte: 45%; Umsatz: 33,9%; Synergieeffekte: 25,1%), Telekom A (Produktivitätseffekte: 47,9%; Umsatz: 27,5%; Synergieeffekte: 24,6%) und Telekom B (Produktivitätseffekte: 49,8%; Umsatz: 36,7%; Synergieeffekte: 13,5%). Ebenfalls die höchste Bedeutung haben die Produktivitätseffekte bei Versicherung B (44,1%), wobei bei diesem Unternehmen die Synergieeffekte in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität mit 37,1% wichtiger sind als der Umsatz mit 18,8%. Dagegen kommt bei Bank A und Versicherung A dem Umsatz (Bank A: 43,8%; Versicherung A: 48,1%) die höchste Bedeutung zu, gefolgt von Produktivitäts- (Bank A: 35,5%; Versicherung A: 30,6%) und Synergieeffekten (Bank A: 20,7%; Versicherung A: 21,3%).
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
241
Ein Vergleich der Bedeutung der drei Nutzenkategorien zeigt bei der dominanten Rolle der Produktivitätseffekte ein deutliches Bild. Die Werte bewegen sich überwiegend zwischen 41% und 49,8%, mit lediglich zwei abweichend niedrigeren Bedeutungsgewichten i.H.v. 35,5% und 30,6%. Tendenziell niedriger, allerdings mit einer größeren Streuung und ohne erkennbaren Schwerpunkt, fallen die Gewichte des Umsatzes aus (zwischen 18,8% und 48,1%). Dagegen liegen vier der sechs Werte zu den Synergieeffekten in einem engen Bereich zwischen 21,3% und 25,1%, mit einem davon abweichend niedrigeren Gewicht in Höhe von 13,5% und einem höheren Gewicht von 37,1%. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zeigen sich beim Vergleich der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität nur vereinzelt. Verhältnismäßig ähnlich sind sich insbesondere die Bedeutungen der Nutzenkategorien bei den untersuchten Banken mit Differenzen zwischen 4,4 (Synergieeffekte), 5,5 (Produktivitätseffekte) und 9,9 Prozentpunkten (Umsatz). Zudem kommt bei den Telekommunikationsunternehmen den Produktivitätseffekten eine vergleichbare Bedeutung zu (Differenz von nur 1,9 Prozentpunkten), die Gewichte der anderen beiden Nutzenkategorien unterscheiden sich dagegen stärker (mit Differenzen von ca. 10 Prozentpunkten). Eine weitere Ähnlichkeit ist bei den Synergieeffekten der Banken zu beobachten, die mit 20,7% und 25,1% einheitlich nur die dritthöchste Bedeutung erreichen. Bei den Versicherungen sind stärkere Abweichungen zu verzeichnen, mit Differenzen der Bedeutungsgewichte in Höhe von 13,5 bis zu 29,3 Prozentpunkten. Eindeutige Unterschiede zwischen den Branchen sind nicht erkennbar; Abweichungen offenbaren sich primär im Unternehmensvergleich. Als Zwischenfazit zu den Nutzenwirkungen der Komplexität lassen sich drei Erkenntnisse festhalten. Bei der Betrachtung der direkten Nutzenwirkungen der Komplexität fällt auf, dass insbesondere die Dienstleistungs- und die Mitarbeiterkomplexität einen Anteil an den Nutzenwirkungen der Komplexität haben. Eine Untersuchung der indirekten Nutzenwirkungen der Komplexität zeigt, dass beiden auf der Komplexität des Anbieters basierenden, vom Kunden wahrgenommenen Nutzenkategorien – die wahrgenommene Leistungsvielfalt und -individualisierung und die wahrgenommene Flexibilität und Verfügbarkeit des Anbieters – eine Rolle für das Erstkaufverhalten, das Wiederkauf- und CrossBuying-Verhalten sowie für die Zahlungsbereitschaft zukommt. Die lokale Bedeutung der unternehmensbezogenen Nutzenkategorien verdeutlicht zudem die Wichtigkeit des aus dem Erstkauf-, Wiederkaufverhalten und der Zahlungsbereitschaft resultierenden Umsatzes als Nutzenkategorie, wobei auch die Synergie- und Produktivitätseffekte als Nutzenwirkungen der Komplexität nicht zu vernachlässigen sind.
242
5.3.6
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Relative Bedeutung der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie der Kostenarten und Nutzenkategorien
Neben den in den Abschnitten 5.3.2 bis 5.3.5 diskutierten lokalen Prioritäten ermittelt der ANP globale Prioritäten, die die relative Bedeutung der im Komplexitätsbewertungsmodell abgebildeten Modellbestandteile angeben. Im Folgenden werden zunächst die Bedeutungen der Komplexitätsformen sowie der Kostenarten und Nutzenkategorien dargestellt, bevor abschließend die Bedeutung der Komplexitätsausprägungen als Stellhebel des Komplexitätsmanagements diskutiert wird.
5.3.6.1 Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kosten- und Nutzenaspekten Die drei betrachteten Komplexitätsformen – Dienstleistungskomplexität, Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse sowie Mitarbeiterkomplexität – sind im Komplexitätsbewertungsmodell Teil sowohl des Subnetzwerks zum Kontrollkriterium Komplexitätskosten als auch des Subnetzwerks zum Kontrollkriterium Komplexitätsnutzen. Entsprechend lassen sich aus den globalen Prioritäten der beiden Subnetzwerke für die Komplexitätsformen unterschiedliche relative Bedeutungen unter Kosten- und Nutzenaspekten bestimmen. Hierin besteht der zentrale Unterschied zu den bereits dargestellten lokalen Prioritäten – den direkten Einflüssen zwischen den Komplexitätsformen –, für die die Auswertungen keine nach Kosten und Nutzen differenzierten Ergebnisse liefern. (1) Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kostenaspekten Unter Kostengesichtspunkten zeigt sich bei der Gesamtauswertung, dass der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse mit 39,8% die höchste Bedeutung zukommt, gefolgt von der Dienstleistungskomplexität mit 37,8%. Die Mitarbeiterkomplexität spielt dagegen mit nur 22,4% eine im Vergleich dazu nachrangige Rolle (vgl. Tabelle 32). In diesen Werten spiegeln sich die Einflussstärken wider, die den verschiedenen Komplexitätsformen in Bezug auf die unterschiedlichen Kostenarten zukamen (vgl. Abschnitt 5.3.4.1). Auch hier zeigen sich bei Betrachtung der Unternehmen zum Teil deutliche Unterschiede. Auffällig sind insbesondere die Werte von Telekom B, Bank A und Versicherung B: Bei Telekom B dominiert unter Kostenaspekten die Prozesskomplexität mit einer relativen Bedeutung von 53,3% die Dienstleistungs- (35%) und die Mitarbeiterkomplexität (11,7%). Bei Bank A hat die Prozesskomplexität mit 34,6% nur eine geringfügig höhere Bedeutung als die Mitarbeiter- (33,3%) und die Dienstleistungskomplexität (32,1%). Dagegen haben bei Versicherung B
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
243
sowohl die Dienstleistungs- als auch die Prozesskomplexität eine hohe (45,9% resp. 41,5%), die Mitarbeiterkomplexität mit 12,6% nur eine geringe Bedeutung. In den anderen Unternehmen bewegt sich die Verteilung der Bedeutungsgewichte in unterschiedlichen Konstellationen ohne besondere Auffälligkeiten. Unternehmen Relative Bedeutung der:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Dienstleistungskomplexität
0,321
3
0,314
2
0,400
1
0,459
1
0,376
1
0,350
2
0,378
2
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,346
1
0,407
1
0,347
2
0,415
2
0,337
2
0,533
1
0,398
1
Mitarbeiterkomplexität
0,333
2
0,279
3
0,253
3
0,126
3
0,288
3
0,117
3
0,224
3
Tabelle 32:
Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kostenaspekten (globale Prioritäten)672
Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind insbesondere bei den Banken und den Versicherungen festzustellen: Die Unterschiede der Bedeutungen liegen zwischen den Banken unter 6,1 Prozentpunkten, bei den Versicherungen zwischen 5,9 und 12,7 Prozentpunkten. Bei Telekom A und Telekom B weist die Dienstleistungskomplexität eine vergleichbare Bedeutung auf (Differenz von 2,6), die Unterschiede bei Prozess- und Mitarbeiterkomplexität sind mit 19,6 und 17,1 Prozentpunkten stärker ausgeprägt. Unterschiede zwischen den Branchen zeigen die Analysen tendenziell zwischen Banken und Versicherungen bei der Bedeutung der Dienstleistungs- sowie der Mitarbeiterkomplexität: Während die Dienstleistungskomplexität bei den Versicherungen eine größere Bedeutung hat (40% und 45,9% bei den Versicherungen gegenüber 32,1% und 31,4% bei den Banken), ist bei den Banken die Mitarbeiterkomplexität mit 33,3% und 27,9% bedeutsamer als bei den Versicherungen mit 12,6% und 25,3%. (2) Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Nutzenaspekten Unter Nutzenaspekten ergibt sich ein anderes Bild: Hier hat bei Gesamtsicht die Dienstleistungskomplexität mit 39,9% die höchste Bedeutung, wohingegen die
672
In der Limitmatrix der Software Super Decisions werden die Ergebnisse nicht nach Komponenten normiert wiedergegeben. Um die relative Bedeutung der Komplexitätsformen (und im Folgenden auch der Kostenarten und Nutzenkategorien) zu bestimmen, wurden die jeweiligen in der Limitmatrix angegebenen globalen Prioritäten komponentenweise normiert, so dass sie in der Summe den Wert Eins (=100%) ergeben (vgl. zu dieser Vorgehensweise Peters/Zelewski 2008a, S. 478).
244
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Prozess- und die Mitarbeiterkomplexität mit 30,3% und 29,8% eine um rund 10 Prozentpunkte weniger wichtige Rolle spielen (vgl. Tabelle 33). Unternehmen Relative Bedeutung der:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Dienstleistungskomplexität
0,384
1
0,313
3
0,462
1
0,431
1
0,387
1
0,406
1
0,399
1
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
0,347
2
0,322
2
0,222
3
0,360
2
0,288
3
0,325
2
0,303
2
Mitarbeiterkomplexität
0,270
3
0,365
1
0,316
2
0,208
3
0,325
2
0,269
3
0,298
3
Tabelle 33:
Relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Nutzenaspekten (globale Prioritäten)
Abweichungen von dieser Gesamtauswertung bestehen bei unternehmensspezifischer Betrachtung primär in unterschiedlichen Rangfolgen. So liegt z.B. bei Bank B die Mitarbeiterkomplexität mit 36,5% auf Rang 1, während die bei Gesamtsicht dominierende Dienstleistungskomplexität mit 31,3% auf Rang 3 rangiert. Bei Telekom A und Versicherung A ist zwar wie bei der Gesamtauswertung die Dienstleistungskomplexität die bedeutendste Komplexitätsform, dabei erreicht die Mitarbeiterkomplexität aber zumindest Rang 2 noch vor der Prozesskomplexität. Bei den anderen Unternehmen bestehen weder hinsichtlich Rangfolge noch hinsichtlich der Höhe der Bedeutungsgewichte Auffälligkeiten. Insgesamt ist zu beobachten, dass die relativen Bedeutungen der Komplexitätsformen unter Nutzenaspekten weniger extrem streuen, als dies unter Kostenaspekten der Fall ist. Der unter Nutzengesichtspunkten über alle Bedeutungsgewichte gesehen niedrigste Wert liegt bei 20,8%, der höchste Wert bei 46,2%. Dagegen beträgt unter Kostenaspekten der geringste Wert 11,7%, der höchste Wert 53,3%. Aufgrund dieser insgesamt geringeren Schwankungen in der Höhe der Bedeutungen sind unter Nutzenaspekten in stärkerem Ausmaß Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen zu erkennen als unter Kostenaspekten. Besonders ausgeprägt sind die Ähnlichkeiten zwischen den Telekommunikationsunternehmen, bei denen die Differenzen der Bedeutungsgewichte alle unter 5,6 Prozentpunkten liegen. Bei den Banken und Versicherungen liegen diese mit Werten von 2,5 bis 9,5 bzw. 3,1 bis 13,8 Prozentpunkten geringfügig höher. Allerdings ähneln sich die Bedeutungen der Komplexitätsformen unter Nutzenaspekten nicht nur branchenintern, sondern auch branchenübergreifend. Große Unterschiede zwischen den Branchen sind folglich nicht zu erkennen.
5.3.6.2 Relative Bedeutung der Komplexitätskosten In Ergänzung zu den bereits dargestellten lokalen Prioritäten der Kostenarten, die die Bedeutung der Kostenarten in Bezug auf jeweils eine der Komplexitätsfor-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
245
men angeben, erlauben die globalen Prioritäten ein aggregiertes Gesamturteil über die relative Bedeutung der betrachteten Komplexitätskostenarten. Diese globalen Prioritäten der Komplexitätskostenarten, die in Tabelle 34 wiedergegeben sind, bestätigen bei Gesamtsicht die Rangfolge, die sich bereits bei den in Abschnitt 5.3.4.2 dargestellten lokalen Prioritäten in Bezug auf jeweils eine der Komplexitätsformen andeutete: Die höchste Bedeutung kommt den Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft zu (38,9%), die zweithöchste den Koordinationskosten (34,8%). Die Abweichungskosten haben mit 26,3% eine geringere Bedeutung. Unternehmen Relative Bedeutung der:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Komplexitätskosten der Koordination
0,366
2
0,263
2
0,194
3
0,404
2
0,455
1
0,525
1
0,348
2
Komplexitätskosten durch Abweichung
0,121
3
0,495
1
0,328
2
0,149
3
0,183
3
0,258
2
0,263
3
Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft
0,513
1
0,242
3
0,478
1
0,447
1
0,363
2
0,217
3
0,389
1
Tabelle 34:
Relative Bedeutung der Kostenarten der Komplexität (globale Prioritäten)
Die Einzelergebnisse zeigen, dass diese Gesamtwerte nur eingeschränkt die Situation in den einzelnen Unternehmen abbilden. In allen Unternehmen ist eine wesentlich größere Dominanz von ein oder zwei der Kostenarten festzustellen, als dies die Gesamtauswertung suggeriert. Bei Bank A sind dies die Bereitschaftskosten mit 51,3% gegenüber einer mittleren Bedeutung der Koordinationskosten mit 36,6% und einer vergleichsweise geringen Bedeutung der Abweichungskosten mit lediglich 12,1%. Ähnlich verteilt sich die Bedeutung auch bei Versicherung A und Telekom A. Bei Versicherung A haben ebenfalls die Bereitschaftskosten die höchste Bedeutung (37,8%), gefolgt von den Abweichungskosten mit 32,8% vor den Koordinationskosten mit 19,4%. Bei Telekom A nehmen davon abweichend die Koordinationskosten den ersten Rang ein (45,5%), mit den Bereitschaftskosten (36,6%) auf dem zweiten sowie den Abweichungskosten auf dem dritten Rang (18,3%). Bei Versicherung B haben die Koordinations(40,4%) und die Bereitschaftskosten (44,7%) einen deutlich höheren Stellenwert als die Abweichungskosten (14,9%). Dagegen dominieren bei Bank B die Abweichungskosten mit 49,5% die annähernd gleichbedeutenden Koordinationsund Bereitschaftskosten (26,3% resp. 24,2%). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Telekom B, hier allerdings mit der Dominanz der Koordinationskosten (52,5%) gegenüber den Abweichungs- und Bereitschaftskosten mit 25,8% resp. 21,7%. Insgesamt verdeutlichen diese Ergebnisse, wie die globalen Prioritäten in Ergänzung zu den lokalen, auf jeweils eine Komplexitätsform bezogenen Bedeutun-
246
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
gen, auch unternehmensspezifisch differenzierte Aussagen über die Bedeutung der betrachteten Komplexitätskostenarten ermöglichen. Die Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen fallen bei der globalen Bedeutung der Kostenarten gering aus. Lediglich die Kosten der Leistungsbereitschaft erreichen bei den Versicherungen mit einer Differenz von 3,1 Prozentpunkten eine im Unternehmensvergleich ähnlich hohe Bedeutung. Ansonsten liegen die Differenzen zwischen den Versicherungen mit 17,9 und 21 Prozentpunkten deutlich höher. Abweichungen mittleren Ausmaßes zeigen sich mit Werten von 7,5 bis 14,6 Prozentpunkten bei den Telekommunikationsanbietern. Relativ groß sind dagegen die Unterschiede in der Bankenbranche mit Differenzen in den Bedeutungen von bis zu 37,4 Prozentpunkten. Aufgrund der teils großen Unterschiede innerhalb der Branchen sind keine eindeutigen Unterschiede zwischen den Branchen zu erkennen. Allgemeingültige Aussagen über die Bedeutung von Komplexitätskostenarten in verschiedenen Branchen sind daher auf Basis der vorliegenden Ergebnisse nicht möglich.
5.3.6.3 Relative Bedeutung der Nutzenkategorien Analog zu den globalen Prioritäten der Kostenarten ermöglichen die globalen Prioritäten der Nutzenkategorien ein aggregiertes Gesamturteil über die relative Bedeutung der betrachteten Nutzenkategorien (vgl. Tabelle 35). Auf Ebene der kundenbezogenen psychologischen Wirkungen ergibt sich bei der Gesamtauswertung mit allen 21 Befragten eine annähernd gleiche Bedeutung des wahrgenommenen Nutzens aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung (Beanspruchungsnutzen, 52,9%) und des wahrgenommenen Nutzens aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters (Bereitstellungsnutzen, 47,1%). Ein ähnlich ausgewogenes Verhältnis, allerdings mit leicht höherer Bedeutung des Bereitstellungsnutzens, zeigt sich auf Unternehmensebene lediglich bei Versicherung A (50,8% vs. 49,2%) und Versicherung B (53,3% vs. 46,7%). Bei den übrigen Unternehmen ist der Bedeutungsunterschied dieser psychologischen Wirkungen deutlich größer. Der Bereitstellungsnutzen überwiegt bei Telekom B mit 70,1%, der Beanspruchungsnutzen dagegen bei Bank A mit 60,8%, bei Bank B mit 61,4% und bei Telekom A mit 67,7%. Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen sind hier bei den beiden Banken mit einer Differenz der Bedeutungsgewichte von 0,6 Prozentpunkten sowie bei den beiden Versicherungen mit einem Unterschied von 2,5 Prozentpunkten zu erkennen. Hier zeigt sich auch ein relativ deutlicher Unterschied zwischen den Branchen, da die Bedeutung des Nutzens aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung bei den Banken mit rund 60% höher ausfällt als bei den Versicherungen
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
247
mit unter 50%. Weitere Unterschiede sind aufgrund der unterschiedlichen Ergebnisse in der Telekommunikationsbranche nicht zu erkennen. Unternehmen Relative Bedeutung der:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Kundenbezogenen psychologischen Wirkungen: Nutzen aus der Leistungsvielfalt und -individualisierung
0,608
1
0,614
1
0,492
2
0,467
2
0,677
1
0,299
2
0,529
1
Nutzen aus der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters
0,392
2
0,386
2
0,508
1
0,533
1
0,323
2
0,701
1
0,471
2
Kundenbezogenen Verhaltenswirkungen: Erstkaufverhalten
0,216
3
0,338
2
0,141
3
0,222
2
0,070
3
0,450
1
0,215
3
Wiederkauf-/CrossBuying-Verhalten
0,437
1
0,482
1
0,457
1
0,599
1
0,594
1
0,339
2
0,516
1
Zahlungsbereitschaft
0,347
2
0,179
3
0,402
2
0,179
3
0,336
2
0,211
3
0,269
2
Synergieeffekte
0,429
1
0,241
3
0,238
3
0,282
2
0,288
3
0,359
2
0,290
3
Produktivitätseffekte
0,236
3
0,397
1
0,300
2
0,252
3
0,332
2
0,217
3
0,298
2
Umsatz
0,335
2
0,362
2
0,462
1
0,465
1
0,380
1
0,425
1
0,412
1
Unternehmensbezogenen Nutzenwirkungen:
Tabelle 35:
Relative Bedeutung der Nutzenkategorien der Komplexität (globale Prioritäten)673
Auf Ebene der unternehmensbezogenen Nutzenwirkungen ergeben die globalen Prioritäten bei Gesamtsicht eine Dominanz des Umsatzes mit 41,2% gegenüber den Produktivitätseffekten mit 29,8% und den Synergieeffekten mit 29%. 673
Zur Ermittlung dieser Werte auf Basis der Limitmatrix vgl. auch Fußnote 672. Im Fall der Nutzenwirkungen erfolgte die Normierung nicht komponentenweise (d.h. über alle Nutzenkategorien), sondern jeweils für die drei Ebenen der psychologischen, der Verhaltenswirkungen sowie der Wirkungen auf Unternehmensebene, da ein Vergleich der Wirkungen auf unterschiedlichen Ebenen inhaltlich nicht sinnvoll ist. Bezüglich der kundenbezogenen Verhaltenswirkungen ergeben sich keine Unterschiede zu den in Abschnitt 5.3.5.2 dargestellten lokalen Prioritäten. Der Grund hierfür liegt im Aufbau des Komplexitätsbewertungsmodells und den die Wirkungskette aus psychologischen und Wirkungen abbildenden inneren Abhängigkeiten der Komponente mit den Nutzenkategorien. In diesem Teil des Modells erfolgt keine nach Komplexitätsformen differenzierte Beurteilung der Wirkungen. Zudem werden die Verhaltenswirkungen ihrerseits nur in Bezug auf eine weitere Nutzenkategorie verglichen und es bestehen aufgrund der unterstellten Wirkungskette keine Rückwirkungen auf die Verhaltenswirkungen oder Interdependenzen zwischen den Verhaltenswirkungen.
248
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Auch hier zeigen die Einzelauswertungen teils deutliche Unterschiede in den betrachteten Unternehmen, wobei insbesondere die Differenzen zwischen den Rangfolgen der drei Nutzenkategorien größer ausfallen. In vier der Unternehmen kommt dem Umsatz insgesamt die höchste Bedeutung zu. Bei Versicherung A erreicht diese Nutzenkategorie einen Wert von 46,2% (gefolgt von den Produktivitätseffekten mit 30% und den Synergieeffekten mit 23,8%), bei Versicherung B ähnlich mit 46,5% (Rang 2: Synergieeffekte mit 28,2%, Rang 3: Produktivitätseffekte mit 25,2%). Leicht geringer fällt die Bedeutung des Umsatzes bei Telekom B mit 42,5% (gegenüber den Synergien mit 35,9% sowie den Produktivitätseffekten mit 21,7%) sowie bei Telekom A mit 38% aus (Produktivitätseffekte: 33,2%, Synergieeffekte: 28,8%). Die höchste Bedeutung bei Bank A hat dagegen die Nutzung von Synergieeffekten (42,9%), mit dem Umsatz auf Rang 2 (33,5%) und den Produktivitätseffekten auf Rang 3 (23,6%). Bei Bank B erreichen die Produktivitätseffekte mit 39,7% den höchsten Wert knapp vor dem Umsatz mit 36,2%. Die Synergieeffekte haben eine Bedeutung von 24,1%. Damit sind Ähnlichkeiten innerhalb der Branchen insbesondere bei den Versicherungen festzustellen. Hier weicht die Bedeutung des Umsatzes um lediglich 0,3 Prozentpunkte voneinander ab, die der Synergieeffekte um 4,4 und die der Produktivitätseffekte um 4,8 Prozentpunkte. Relativ ähnlich fallen auch die Werte der Telekommunikationsanbieter aus, die mit 4,5 bis 11,5 Prozentpunkten mittlere Abweichungen voneinander zeigen. Bei den Banken ist die relative Bedeutung des Umsatzes mit einer Differenz von 2,7 Prozentpunkten sehr ähnlich, die anderen Werte weichen jeweils um über 15 Prozentpunkte voneinander ab und sind als unterschiedlich einzustufen. Die mittleren bis starken Unterschiede innerhalb der Telekommunikations- bzw. Bankenbranche reichen bereits aus, um eindeutige Aussagen über Unterschiede zwischen den Branchen zu verhindern. Leichte Tendenzen sind allenfalls bei der Bedeutung des Umsatzes zu erkennen, die innerhalb der Branchen jeweils ähnlich hoch und bei den Banken mit 33,5% und 36,2% geringfügig niedriger ausfällt als bei den Telekommunikationsanbietern (38% und 42,5%). Bei den Versicherungen ist die Bedeutung des Umsatzes mit Werten von 46,2% und 46,5% am höchsten.
5.3.6.4 Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen unter Berücksichtigung der Kosten- und Nutzenwirkungen Primäres Ziel des ANP-Ansatzes ist, wie in Kapitel 4 dargestellt, die Ermittlung von Präferenzreihenfolgen für die zur Auswahl stehenden Alternativen einer Entscheidung. Im Komplexitätsbewertungsmodell stellen die Komplexitätsausprägungen die Alternativen dar. Diese Komplexitätsausprägungen sind die Stellhebel des Komplexitätsmanagements, an denen bei der Gestaltung der Komplexität anzusetzen ist. Ihrer relativen Bedeutung kommt somit im Komplexitätsbe-
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
249
wertungsmodell eine zentrale Rolle zu. Die in Abschnitt 5.3.2 dargestellten lokalen Prioritäten der Komplexitätsausprägungen zeigen die direkten Einflüsse der Komplexitätsausprägungen auf die jeweilige Komplexitätsform. In Ergänzung dazu bringen die auf den globalen Prioritäten der Limitmatrix basierenden relativen Bedeutungen den Stellenwert zum Ausdruck, der den Komplexitätsausprägungen unter Berücksichtigung sämtlicher direkter und indirekter Wirkungen im Komplexitätsbewertungsmodell zukommt. Sowohl im Subnetzwerk zum Kontrollkriterium Komplexitätskosten als auch im Subnetzwerk zum Kontrollkriterium Komplexitätsnutzen lassen sich aus der Limitmatrix Werte für die Komplexitätsausprägungen ablesen, die die relative Bedeutung der Stellhebel wiedergeben.674 Zur Bestimmung der aggregierten relativen Bedeutung der Komplexitätsausprägungen werden die entsprechenden Werte aus den Limitmatrizen der Subnetzwerke in der Kontrollhierarchie zusammengeführt. Die Kontrollhierarchie dient der Gewichtung der Werte aus 674
Die Prioritäten der Alternativen können anhand von zwei unterschiedlichen Verfahren gebildet werden: dem Ideal-Modus oder dem Distributiv-Modus (vgl. im Folgenden Millet/Saaty 2000, S. 207f.). Die Ideal-Werte geben die Bedeutung einer Alternative in Relation zu einem idealen Benchmark an. Als Benchmark wird im ANP diejenige Alternative mit der höchsten Priorität verwendet. Die in der Limitmatrix angegebenen Werte für die betrachteten Alternativen werden jeweils durch den Wert dieser idealen Alternative dividiert. Die Distributiv-Werte dagegen geben die relative Bedeutung einer Alternative im Vergleich zu allen betrachteten Alternativen an und werden ermittelt, indem der Limitmatrix-Wert jeder Alternative durch die Summe der Werte aller Alternativen dividiert wird. Die Verwendung des Distributiv-Modus wird empfohlen, wenn die Alternativen und damit auch die Höhe ihrer Bedeutung voneinander abhängig sind (vgl. Millet/Saaty 2000, S. 208), wovon aufgrund des hohen Interdependenzgrads des Komplexitätsphänomens im vorliegenden Fall auszugehen ist. Zudem befürwortet Saaty den Distributiv-Modus, wenn nicht nur die Alternative mit der höchsten Priorität, sondern auch nachrangige Alternativen als relevant angesehen werden (vgl. Saaty 2001b, S. 324). Auch dies ist im Komplexitätsbewertungsmodell der Fall, da bei der Veränderung der Komplexität nicht zwangsläufig nur der Stellhebel mit der höchsten Priorität zum Einsatz kommt (während z.B. bei einer Entscheidung über ein zu kaufendes Produkt die Wahl auf nur eine Alternative fällt). Der Ideal-Modus wurde von Saaty ursprünglich konzipiert, um das Problem der Rangvertauschung zu adressieren. Eine Rangvertauschung liegt vor, wenn sich die Präferenzrangfolge bestehender Alternativen ändert, sobald weitere Alternativen hinzukommen (vgl. Bodin/Gass 2003, S. 1494). Wie Peters anhand eines Beispiels zeigt, lassen sich diese Rangvertauschungen allerdings auch mit dem Ideal-Modus nicht vollständig vermeiden (vgl. Peters 2008, S. 516ff.). Forman argumentiert, dass Rangvertauschungen eine natürliche Erscheinung sind und daher ihr Auftreten in Saatys Methodik keinen Nachteil darstellt (vgl. Forman 1993, S. 20).
250
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
den Subnetzwerken. Die Gewichtungsfaktoren, die auf die im ANP übliche Weise als Prioritäten aus einem in der Befragung erhobenen Paarvergleich zwischen den Kontrollkriterien Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen berechnet werden, sind in Tabelle 36 dargestellt.675 Komponente : Kosten-Nutzen-Vergleich Ǥͳ: Kosten-Nutzen-Vergleich
ͷǤͳ: Kosten der Komplexität
ͷǤʹ: Nutzen der Komplexität
Komponente ͷ: Komplexitätskosten und -nutzen (Kontrollkriterien) Unternehmen Gewichtung von:
Bank A
Bank B
Versicherung A
Versicherung B
Telekom A
Telekom B
Gesamt
Kosten der Komplexität
0,591
1
0,304
2
0,403
2
0,362
2
0,628
1
0,833
1
0,475
2
Nutzen der Komplexität
0,409
2
0,696
1
0,597
1
0,638
1
0,372
2
0,167
2
0,525
1
Tabelle 36:
Gewichtungsfaktoren aus der Kontrollhierarchie für die globalen Prioritäten der Komplexitätsausprägungen
Hier zeigt sich, dass bei einer Gesamtauswertung unter Berücksichtigung aller 21 Befragten dem Nutzen der Komplexität mit 52,5% eine leicht höhere Bedeutung beigemessen wird als den Kosten. In den drei Unternehmen, in denen der Nutzen höher gewichtet wird, fällt der Unterschied noch deutlicher aus: Bei Versicherung A erreicht der Komplexitätsnutzen einen Wert von 59,7%, bei Versicherung B von 63,8% und bei Bank B sogar von 69,6%. Ähnlich deutlich wird allerdings in den anderen drei Unternehmen der Kostenaspekt stärker gewichtet. Bei Bank A kommt den Komplexitätskosten eine Bedeutung von 59,1%, bei Telekom A von 62,8% und bei Telekom B von 83,3% zu. Diese Gewichtungsfaktoren werden verwendet, um in der Kontrollhierarchie die in den Subnetzwerken ermittelten Werte anhand einer Formel zu aggregieren. Sind in der Kontrollhierarchie sowohl negative als auch positive Aspekte einer Fragestellung abgebildet – wie im Komplexitätsbewertungsmodell mit den Komplexitätskosten als negative und dem Komplexitätsnutzen als positive Wirkung 675
Vgl. Frageblock 8 des in Anhang 3 wiedergegebenen Fragebogens.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
251
der Komplexität –, empfiehlt sich die Anwendung einer Formel, die bei der Aggregation die nachteiligen Prioritäten aus dem Kostensubnetz von den vorteilhaften Prioritäten des Nutzensubnetzes subtrahiert.676 Die auf diese Weise ermittelten aggregierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen sind in den nachfolgenden Abbildungen 18 bis 21 wiedergegeben (hellgraue Balken). An den Werten lässt sich ablesen, welche Komplexitätsausprägungen eine stärkere Bedeutung für den Komplexitätsnutzen (positive Werte) und welche eine stärkere Bedeutung für die Komplexitätskosten haben (negative Werte). Die Interpretation der aus dieser Subtraktion der Kostenprioritäten von den Nutzenprioritäten resultierenden aggregierten Werte hängt von der zu beantwortenden Fragestellung ab: Ist die Frage, welche Komplexitätsausprägungen den höchsten Nutzen bei gleichzeitig geringen Kosten bringen, sind hohe positive und geringe negative aggregierte Bedeutungsgewichte vorzuziehen. Lautet die Frage dagegen, welche Komplexitätsausprägungen zu den höchsten Kosten bei vergleichsweise geringen Nutzenwirkungen führen, kennzeichnen hohe negative und geringe positive aggregierte Werte die wichtigsten Stellhebel. Im Folgenden werden die Ergebnisse unabhängig von dieser letztlich nur für konkrete Problemstellungen zu klärenden Unterscheidung diskutiert. In die aggregierten relativen Bedeutungen, die unter Berücksichtigung der Gewichtungsfaktoren ermittelt werden (die hellgrauen Balken der nachfolgenden Abbildungen), fließen unternehmensindividuelle Besonderheiten zweifach ein: zum einen über die Gewichtungsfaktoren, zum anderen über die von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlichen Alternativenprioritäten aus den Subnetzwerken. Ein direkter Vergleich zwischen den Ergebnissen verschiedener Unternehmen wird hierdurch erschwert. Um eine höhere Vergleichbarkeit zwischen den betrachteten Unternehmen zu erreichen, wurden die aggregierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen zusätzlich für eine Gleichgewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen ermittelt und so der Einfluss der unternehmensspezifischen Gewichtungsfaktoren eliminiert. Die Ergebnisse sind in den nachfolgenden Abbildungen durch dunkelgraue Balken dargestellt. Diese Werte zeigen somit die direkte Gegenüberstellung der Prioritäten aus den Kosten- und Nutzensubnetzwerken des Modells ohne eine Veränderung durch die unternehmensspezifischen Gewichtungsfaktoren. 676
Die so genannte „additive-negative formula“ wurde für das Komplexitätsbewertungsmodell von R. Saaty vorgeschlagen, die im Rahmen der Modellentwicklung als ANPExpertin hinzugezogen wurde. Die Formel, die in ihrer ursprünglichen Form die Ideal-Werte aggregiert, wurde für das Komplexitätsbewertungsmodell angepasst, so dass sie die Distributiv-Werte aus den Subnetzwerken zur Bestimmung der aggregierten relativen Bedeutung der Komplexitätsausprägungen heranzieht.
252
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Bei der in Abbildung 18 dargestellten Gesamtsicht ist zu erkennen, dass unter Nutzengesichtspunkten den Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität eine leicht höhere relative Bedeutung, den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität sogar eine deutlich höhere Bedeutung zukommt, als unter Kostengesichtspunkten.677 Bei den Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse dagegen überwiegen klar die Kostenaspekte. Aufgrund der bei Gesamtsicht nahezu gleich hohen Gewichtung der Komplexitätskosten und des Komplexitätsnutzens in der Kontrollhierarchie (47,5% vs. 52,5%) weichen die Ergebnisse, die diese Gewichtungsfaktoren berücksichtigen, nur geringfügig – und nur in der Höhe, nicht aber in der Richtung – von den Ergebnissen bei Gleichgewichtung ab.
Gesamtauswertung 20%
15%
10%
5%
Dienstleistungskomplexität Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse Mitarbeiterkomplexität
2.3%
Heterogenität der Teilleistungen Grad der inhaltlichen Verknüpfung/ Abhängigkeit zw. den Teilleistungen
7.9%
Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse
10.3%
Unvorherges. Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
15%
20%
5.5%
3.2%
Anzahl erforderlicher Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
Heterogenität der Mitarbeiter
10%
4.7%
Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
Vielzahl der Mitarbeiter
5% 1.2% 2.8%
Anzahl an Teilleistungen
Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
0%
14.5%
17.3%
11.2%
7.8%
4.3%
5.6%
8.0%
9.5% 5.4% 6.3% 10.3% 12.0% 12.4% 14.6% 10.6% 12.4%
Bei Gleichgewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen Bei Gewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen anhand der Werte aus der Kontrollhierarchie
Abbildung 18: Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Gesamtauswertung)
677
Die Werte sind normiert, so dass die Summe der Absolutwerte über alle Komplexitätsausprägungen 100% ergibt.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
253
Auf Ebene der einzelnen Ausprägungen zeigt Abbildung 18 bei der Dienstleistungskomplexität eine leicht höhere Bedeutung der Verknüpfungen zwischen den angebotenen Teilleistungen sowie des Ausmaßes an Leistungsindividualisierungen. Bei der Prozesskomplexität wird insbesondere die höhere Kostenrelevanz der Prozessabweichungen sowie der Schnittstellenproblematik deutlich. Bei der Mitarbeiterkomplexität, bei deren Ausprägungen die Nutzenaspekte die Kostenaspekte deutlich dominieren, spielt interessanterweise die Dynamik und Veränderlichkeit im Mitarbeiterstamm die größte Rolle, gefolgt von der Heterogenität sowie der geringen Flexibilität der Mitarbeiter. Insbesondere die hohe relative Bedeutung der Dynamik und Veränderlichkeit sowie der geringen Flexibilität der Mitarbeiter ist auffällig, da intuitiv zu vermuten wäre, dass diese Komplexitätsausprägungen primär Koordinations- und Planungsaufwand erzeugen und folglich die Kosten überwiegen. Hier zeigt sich allerdings das Zusammenspiel vier verschiedener Teilaspekte im Gesamtmodell: erstens der hohe Einfluss, den diese Ausprägungen auf die Höhe der Mitarbeiterkomplexität haben (vgl. Abschnitt 5.3.2); zweitens der im Vergleich zu den anderen beiden Komplexitätsformen geringe Einfluss der Mitarbeiterkomplexität auf die betrachteten Kostenarten (Abschnitt 5.3.4.1); drittens der relativ niedrige Einfluss, den die Mitarbeiterkomplexität auf die anderen beiden – kostenintensiveren – Komplexitätsformen ausübt (Abschnitt 5.3.3) und viertens die ebenfalls vergleichsweise hohe Bedeutung der Mitarbeiterkomplexität für den Komplexitätsnutzen (Abschnitt 5.3.5.1). Insgesamt ergibt sich somit eine hohe aggregierte relative Bedeutung dieser Komplexitätstreiber im Vergleich zu den anderen Komplexitätsausprägungen. Auch inhaltlich ist dieses Ergebnis – insbesondere die Dominanz der Nutzenwirkungen – plausibel: Zum einen kommt in der geringen Flexibilität der Mitarbeiter deren Spezialisierung zum Ausdruck, was Nutzenpotenziale birgt. Zum anderen entsteht die Veränderlichkeit und Dynamik im Mitarbeiterstamm nicht nur durch hohe Fluktuationen, sondern auch durch Maßnahmen der Personalentwicklung (z.B. durch Weiterbildungsmaßnahmen, Job Enrichment oder Job Rotation), und ist so ebenfalls geeignet, Nutzen zu generieren. Während die Gesamtsicht eine relativ klare Verteilung der Bedeutung auf die verschiedenen Komplexitätsausprägungen suggeriert, zeigt sich bei den unternehmensspezifischen Auswertungen, wie unterschiedlich die aggregierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen ausfallen können. Um die Unternehmen untereinander zu vergleichen, ist es zunächst sinnvoll, die Resultate bei Gleichgewichtung der Kosten- und Nutzenaspekte zu betrachten (dargestellt durch die dunkelgrauen Balken in den Abbildungen 19 bis 21). Hier ist insbesondere zu erkennen, dass im Gegensatz zur Gesamtauswertung nicht nur bei der Prozesskomplexität die Kosten überwiegen.
254
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Unter Kostengesichtspunkten kommt den Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität bei Versicherung B eine höhere Bedeutung zu, was in aggregierten Prioritäten von -1,6% bis -5,5% resultiert. Während bei Bank B die Werte aus den Kosten- und Nutzensubnetzwerken annähernd gleich hoch ausfallen und damit die gleichgewichtete Differenz nahe Null ist, haben bei Bank A (Werte zwischen 6% und 25,1%), Versicherung A (2,2% bis 9,5%) sowie Telekom A (1% bis 5,4%) und Telekom B (0,6% bis 7,3%) die Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität unter Nutzenaspekten eine höhere Bedeutung. Ähnlich deutlich wie bei Gesamtsicht fallen allerdings die Ergebnisse zu den Ausprägungen der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse aus. Lediglich bei Bank A erreichen diese unter Nutzenaspekten eine ähnlich hohe Bedeutung wie unter Kostenaspekten. Bei allen anderen Unternehmen überwiegen die Bedeutungen unter Kostenaspekten. Bei den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität dagegen fallen mit nur einer Ausnahme die Prioritäten aus dem Subnetzwerk zum Komplexitätsnutzen höher aus als die aus dem Subnetzwerk zu den Komplexitätskosten. Einzige Ausnahme bildet Bank A, bei der die Aggregation aus Kosten- und Nutzensubnetz negative relative Bedeutungen in Höhe von -7,8% bis zu -18,1% ergibt. Bei allen anderen Unternehmen resultieren aus der Aggregation positive Werte. Interessant ist die Veränderung, die die Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Gewichtungsfaktoren der Komplexitätskosten und des Komplexitätsnutzens bewirkt (hellgraue Balken in den folgenden Abbildungen). Bei Bank A führt die – im Vergleich zu anderen Unternehmen noch relativ ausgewogene – Gewichtung von 59,1% für die Komplexitätskosten gegenüber 40,9%678 für den Komplexitätsnutzen dazu, dass die Kostenrelevanz sämtlicher Komplexitätsausprägungen, also auch der bei Gleichgewichtung noch positiven Dienstleistungskomplexität, dominiert (vgl. Abbildung 19). Insbesondere die Heterogenität und die geringe Flexibilität der Mitarbeiter erweisen sich als die Stellhebel, die bei geringen Nutzenwirkungen am stärksten zu Kosten führen. Demgegenüber kommt den bei Gleichgewichtung von Kosten und Nutzen mit Werten bis zu 25,1% relativ wichtigen Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität bei stärkerer Gewichtung der Kostenaspekte nur noch eine nachrangige Bedeutung als Stellhebel zu. Die höchste Bedeutung erreicht hier der Grad der inhaltlichen Verknüpfung angebotener Teilleistungen mit -9,1%. Diese Verschiebung zeigt, dass eine Veränderung der Gewichtung von Kosten und Nutzen nicht nur eine
678
Vgl. Tabelle 36.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
255
gleichmäßige Beeinflussung der Bedeutungen aller Komplexitätsausprägungen verursacht, sondern auch zu einer „Umverteilung“ von Gewichten und so zu einer anderen Rangfolge der betrachteten Komplexitätsausprägungen führen kann. Interpretiert man die mit 59,1% höhere Gewichtung der Kostenaspekte bei Bank A dahingehend, dass die Komplexität mehr Kosten als Nutzen generiert und daher zu reduzieren ist, zeigen die aggregierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen, dass über die Verringerung der Heterogenität der Mitarbeiter, die Flexibilisierung des Mitarbeitereinsatzes sowie die Reduktion der Schnittstellen am ehesten eine Kostenreduktion zu erreichen ist. Ein zu Bank A gegensätzliches Bild ergibt sich bei Bank B infolge der mit 69,6% deutlich höheren Gewichtung des Komplexitätsnutzens gegenüber den Komplexitätskosten. Hier überwiegt bei allen zwölf Komplexitätsausprägungen die Nutzenseite (vgl. Abbildung 19). Besonders ausgeprägt sind die Werte bei den Aspekten der Mitarbeiterkomplexität.679 Auffällig ist zudem die mit 16% herausragende Bedeutung der inhaltlichen Verknüpfung zwischen verschiedenen angebotenen Teilleistungen. Diese Komplexitätsausprägung weist bei Gleichgewichtung der Kosten- und Nutzenaspekte ein ausgewogenes Verhältnis der Prioritäten aus den Subnetzwerken auf; aus der höheren Gewichtung der Nutzenwirkungen der Komplexität durch die Befragten ergibt sich eine markante Verschiebung in den aggregierten relativen Bedeutungen. Der hohe Einfluss, den diese Komplexitätsausprägung bei Bank B auf die Höhe der Dienstleistungskomplexität hat (vgl. Abschnitt 5.3.2), schlägt sich i.V.m. dem Einfluss der Dienstleistungskomplexität auf den Kundennutzen (vgl. Abschnitt 5.3.5.1) sowie der Bedeutung des daraus resultierenden Umsatzes (vgl. Abschnitt 5.3.5.3) letztendlich auch in der hohen aggregierten Priorität der Ausprägung nieder. Daneben haben bei den Ausprägungen der Prozesskomplexität die Prozessabweichungen und Unsicherheiten eine höhere Bedeutung als die Schnittstellen, die bei Gesamtsicht – und innerhalb der Bankenbranche auch bei Bank A – das wesentlich größere Gewicht aufweisen. Interpretiert man die höhere Gewichtung des Komplexitätsnutzens bei Bank B als noch nicht ausgeschöpftes Nutzenpotenzial der Komplexität, erweisen sich die Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität als dominante Stellhebel, während den Ausprägungen der Dienstleistungs- und Prozesskomplexität – mit Ausnahme der beschriebenen Interdependenz der Teilleistungen – eine vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt.
679
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Gesamtauswertung in diesem Abschnitt.
256
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Bank A 30%
20%
10%
Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Dienstleistungskomplexität
Anzahl an Teilleistungen
5.3%
Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse
9.4%
Unvorherges. Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
4.4%
Mitarbeiterkomplexität
Heterogenität der Mitarbeiter
Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
10%
0.1%
0.1%
10%
0.1%
7.4%
20%
4.5%
5.1%
0.3%
0.1%
0.2%
0% 0.1%
9.4%
0.3%
15.4%
16.0%
5.6%
3.9%
12.9%
16.8%
6.7%
8.7% 12.3%
7.8% 7.5%
Vielzahl der Mitarbeiter
Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm
20%
25.1%
3.4%
Anzahl erforderlicher Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
30%
8.9%
9.1%
Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
20%
6.0%
3.2%
Grad der inhaltlichen Verknüpfung/ Abhängigkeit zw. den Teilleistungen
Bank B
10%
2.2%
Heterogenität der Teilleistungen
Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
0%
6.4% 7.5% 6.5%
18.1% 17.1%
9.6% 8.3% 10.0% 9.6%
16.0% 13.8%
14.1% 13.5%
16.9% 14.6%
Bei Gleichgewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen Bei unternehmensspezifischer Gewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen
Abbildung 19: Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Banken)
Ein wiederum anderes Bild ergeben die gewichteten aggregierten Prioritäten bei Versicherung A (vgl. Abbildung 20). Hier führt die stärkere Gewichtung des Komplexitätsnutzens (59,7% gegenüber 40,3% für die Komplexitätskosten) nicht zu einer so gravierenden Veränderung der aggregierten Prioritäten, wie sie bei Bank B zu beobachten ist. Bei der Dienstleistungs- und der Mitarbeiterkomplexität überwiegt nach wie vor die Nutzen-, bei der Prozesskomplexität die Kostenseite. Bei diesem Unternehmen kommt allerdings den Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität, und hierbei insbesondere den Leistungsindividualisierungen (21,1%), eine hohe Bedeutung zu. Bei den Prozessen, bei denen die Gewichtung zu einer weitgehend ausgewogenen Kosten-Nutzen-Differenz führt, hat die Schnittstellenproblematik tendenziell die größte Bedeutung. Bei den Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität kommt der Dynamik und Veränderlichkeit im Mitarbeiterstamm sowie der Heterogenität eine hohe Bedeutung zu, während die geringe Flexibilität der Mitarbeiter eine nachrangige Rolle spielt. Bei Versicherung A fällt insgesamt eine höhere Bedeutung der Ausprägungen der Dienstleistungs- im Vergleich zur Mitarbeiterkomplexität auf, während bei anderen Unternehmen tendenziell die Mitarbeiterkomplexität überwiegt. Hierin kommt u.U. die geringe Größe des Unternehmens mit rund 20 Mitarbeitern zum Ausdruck,
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
257
durch die die Mitarbeiterkomplexität relativ zu den anderen Komplexitätsformen an Gewicht verliert. Auch bei Versicherung A lässt sich die höhere Gewichtung des Komplexitätsnutzens dahingehend interpretieren, dass mit der momentan gegebenen Komplexität mehr Nutzen als Kosten erzielt wird und u.U. daher eine Erhöhung der Komplexität zu erwägen ist. Dabei sind insbesondere die inhaltliche Verknüpfung der Leistungen, die Leistungsindividualisierungen sowie die Dynamik des Mitarbeiterstamms geeignet, um weiteren Nutzen zu generieren. Versicherung B
Versicherung A 30%
20%
10%
0%
Dienstleistungskomplexität Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
20%
4.2%
Heterogenität der Teilleistungen
Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
9.5%
Anzahl erforderlicher Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
9.2%
Unvorherges. Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
14.2%
21.3%
19.6%
5%
10%
5.8%
0.6%
7.1%
1.0%
3.2% 5.2%
20%
3.7%
7.9%
14.8%
13.1%
5.0%
7.2%
6.1%
12.1%
1.5%
15%
5.5%
21.1%
8.3%
10.4% 5.8% 3.7%
7.0% 11.6%
Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
0%
6.2%
5.3% 0.4%
Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse
Heterogenität der Mitarbeiter
5%
3.3%
9.4%
8.8%
Vielzahl der Mitarbeiter
10%
1.6%
Grad der inhaltlichen Verknüpfung/ Abhängigkeit zw. den Teilleistungen
Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
30% 15%
2.2% 4.9%
Anzahl an Teilleistungen
Mitarbeiterkomplexität
10%
11.9%
15.3%
9.7%
19.5%
3.2% 5.3%
10.1%
8.2%
16.0%
12.9%
Bei Gleichgewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen Bei unternehmensspezifischer Gewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen
Abbildung 20: Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Versicherungen)
Bei Versicherung B bewirkt die positive Gewichtung der Nutzenwirkungen der Komplexität (63,8% gegenüber 36,2% für die Komplexitätskosten) eine deutliche Verschiebung in den Prioritäten (vgl. Abbildung 20). Sowohl die Ausprägungen der Dienstleistungs- als auch die der Prozesskomplexität, die bei Gleichgewichtung negative Werte aufweisen, erzielen durch den Gewichtungsfaktor nun positive Werte, d.h., die Nutzenaspekte überwiegen. Darüber hinaus zeigt sich eine Umverteilung der Bedeutung zugunsten der Dienstleistungskomplexität: Die relative Bedeutung der Mitarbeiter- und der Prozesskomplexität wird geringer eingeschätzt als bei Gleichgewichtung, die der Dienstleistungskomplexität dagegen steigt leicht an. Insgesamt verteilt sich dadurch die Bedeutung gleichmäßiger
258
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
auf die zwölf Komplexitätsausprägungen als bei anderen Unternehmen. Soll – bei entsprechender Interpretation der mit 63,8% höheren Gewichtung des Komplexitätsnutzens durch die befragten Mitarbeiter – durch eine Steigerung der Komplexität zusätzlicher Nutzen generiert werden, lässt sich dies insbesondere über die Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität, aber auch über die Mitarbeiterkomplexität erreichen. Abbildung 21 zeigt die aggregierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen in den Telekommunikationsunternehmen. Hier ist bei Telekom A durch die höhere Gewichtung der Kosten (62,8% vs. 37,2% für den Komplexitätsnutzen) eine Verschiebung zu durchgängig negativen Werten zu verzeichnen, auch bei den bei Gleichgewichtung von Kosten und Nutzen positiven Ausprägungen der Dienstleistungs- und der Mitarbeiterkomplexität. Über alle Komplexitätsausprägungen hinweg kommt den Leistungsindividualisierungen mit -16,8% die höchste Priorität zu, gefolgt von den unvorhergesehenen Abweichungen und Unsicherheiten in den Prozessen. Eine vergleichsweise geringe Bedeutung haben die Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität, deren Werte sich zwischen -3,1% und -8,4% bewegen. Deutet die höhere Gewichtung der Kostenaspekte bei Telekom A auf zu hohe Komplexitätskosten und in der Folge die Notwendigkeit einer Komplexitätsreduktion hin, lässt sich diese vor allem über eine Senkung der angebotenen Leistungsindividualisierungen, die Reduktion der Interdependenz zwischen Teilleistungen sowie die Verringerung von Prozessabweichungen und -schnittstellen umsetzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Telekom B. Auch bei diesem Unternehmen bewirkt die mit 83,3% deutlich höhere Gewichtung der Kostenaspekte, dass selbst bei den Ausprägungen der Dienstleistungs- und der Mitarbeiterkomplexität, die bei Gleichgewichtung von Kosten und Nutzen noch Prioritäten mit positivem Vorzeichen aufweisen, letztendlich die Kostenwirkungen überwiegen. Die höchste Priorität haben mit -30,3% die Abweichungen und Unsicherheiten in den Prozessen, gefolgt von der bei anderen Unternehmen als nachrangig eingestuften Heterogenität der angebotenen Teilleistungen (-18,2%) sowie den Schnittstellen in den Prozessen (-15,7%). Aufgrund dieser hohen Bedeutung von drei Stellhebeln fallen die Gewichte der übrigen Komplexitätsausprägungen gering aus und bewegen sich alle unter -10%. Ist für die höhere Gewichtung der Kostenaspekte bei Telekom B eine Überkomplexität im Unternehmen ursächlich, stellen die bestehende Heterogenität der Teilleistungen sowie die unvorhergesehenen Prozessabweichungen bzw. Unsicherheiten und die Schnittstellen in den Prozessen die zentralen Stellhebel einer Komplexitätsreduktion dar.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
259
Telekom A 30%
20%
10%
Komplexität der Leistungs-, Supportund Kundenprozesse
Dienstleistungskomplexität
Anzahl an Teilleistungen
3.2%
Heterogenität der Teilleistungen
4.9%
Grad der inhaltlichen Verknüpfung/ Abhängigkeit zw. den Teilleistungen Ausmaß angebotener Möglichkeiten zu Leistungsindividualisierungen
Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten, Prozessen u.a.m.
Mitarbeiterkomplexität
Heterogenität der Mitarbeiter
Geringe Flexibilität des Mitarbeitereinsatzes
40%
30%
20%
10%
1.0%
1.5%
1.6%
0%
10%
20%
30%
0.6%
7.3%
18.2%
3.1%
7.7%
6.3%
9.6% 7.8%
2.5%
7.5% 8.7%
6.9% 5.7%
3.2% 3.8%
20.2% 16.5%
25.9% 30.3%
13.3% 10.8%
13.4% 15.7%
Vielzahl der Mitarbeiter
Dynamik und Veränderungen im Mitarbeiterstamm
20%
5.4%
16.8%
Entscheidungsspielräume bei der Durchführung der Prozesse Unvorherges. Prozessabweichungen/ Unsicherheiten in den Prozessen
10%
3.6%
11.1%
Anzahl erforderlicher Leistungs-, Support- und Kundenprozesse
Telekom B
0%
3.1%
5.0%
8.4%
6.9%
5.1%
0.9%
8.3%
4.0%
1.8% 13.8%
11.3%
1.4%
3.8%
8.4%
6.4%
17.7%
Bei Gleichgewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen Bei unternehmensspezifischer Gewichtung von Komplexitätskosten und -nutzen
Abbildung 21: Aggregierte relative Bedeutung der Komplexitätsausprägungen (Branche: Telekommunikation)
5.3.6.5 Sensitivitätsanalysen zu den relativen aggregierten Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen Generell erweisen sich die dargestellten aggregierten Bedeutungen der Komplexitätsausprägungen als relativ stabil. Die Sensitivitätsanalysen, bei denen die Gewichtung der Komplexitätskosten und -nutzen in der Kontrollhierarchie variiert wird, ergeben bei allen Unternehmen ein ähnliches Bild. Abbildung 22 zeigt für die sechs Unternehmen auf der Ordinate die Veränderung der Bedeutungsgewichte der einzelnen Komplexitätsausprägungen bei Variation des Gewichtungsfaktors für die Komplexitätskosten (auf der Abszisse). Die vertikale Linie markiert die in der Befragung empirisch ermittelte unternehmensspezifische Gewichtung (vgl. zu diesen Werten Tabelle 36). In den Bereichen mit deutlicher Dominanz eines der beiden Kontrollkriterien (jeweils im linken und rechten Bereich der Grafiken) ergeben sich bei Variation der Gewichtung von Kosten und Nutzen nur geringfügige Veränderungen der Prioritäten und der Rangfolge der Komplexitätsausprägungen. In einem mittleren Bereich, in dem Kosten und Nutzen ähnlich gewichtet werden, treten auch bei geringer Variation der Gewichtung stärkere Veränderungen der aggregierten re-
260
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
lativen Prioritäten sowie der auf Basis dieser Prioritäten gebildeten Rangfolge der betrachteten Komplexitätsausprägungen auf. In keinem der betrachteten Unternehmen liegt die empirisch ermittelte Gewichtung des Kontrollkriteriums in diesem mittleren Bereich. Darüber hinaus hat das Komplexitätsbewertungsmodell nicht das Ziel, eine der untersuchten Komplexitätsausprägungen auszuwählen, wie dies in klassischen Entscheidungssituationen, für die der ANP entwickelt wurde, der Fall ist (z.B. die Entscheidung für eine bestimmte Strategie oder ein zu erwerbendes Produkt). Daher ist für die ANP-Anwendung zur Beurteilung der Komplexität eine detaillierte Analyse, bei welcher Variation der Kontrollkriteriengewichtung die Komplexitätsausprägungen ihre Rangfolge verändern, nicht erforderlich.
5.4
Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse und kritische Würdigung der Vorgehensweise
Ziel von Kapitel 5 war es, zum einen Anhaltspunkte über die Eignung des auf dem ANP basierenden Komplexitätsbewertungsmodells zu erhalten (Forschungsfrage (2)) und zum anderen erste empirische Befunde bezüglich der Komplexität und ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen zu generieren (Forschungsfrage (3)). Als Fazit aus der empirischen Anwendung sind acht zentrale Erkenntnisse sowie damit zusammenhängend Kritikpunkte an der Vorgehensweise festzuhalten. (1) Eignung des ANP und des Komplexitätsbewertungsmodells zur Untersuchung komplexitätsbezogener Fragestellungen Die empirische Anwendung hat gezeigt, dass der ANP grundsätzlich geeignet ist, Komplexität und ihre Wirkungen empirisch zu erfassen und dass anhand des auf dem Ansatz basierenden Komplexitätsbewertungsmodells wichtige Informationen über das Komplexitätsphänomen gewonnen werden können. Insbesondere lassen sich differenzierte Resultate über die Bedeutung verschiedener Komplexitätstreiber sowie über die gegenseitige Beeinflussung und Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen ermitteln. Zudem können Aussagen über die Einflüsse der Komplexität auf Kosten und Nutzen getroffen werden.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Bank A
Bank B
0.4
0.25
261
0.2 0.3 0.15 0.2
0.1 0.05
0.1
0 0.1
0 0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.9
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.9
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.9
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.9
-0.05 -0.1
-0.1
-0.15 -0.2 -0.2 -0.3
-0.25
Versicherung A
Versicherung B 0.3
0.3
0.25 0.2 0.2 0.15
0.1
0.1 0 0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.9
0.05 0
-0.1
0.1 -0.05
-0.2
-0.1 -0.15
-0.3 -0.2 -0.4
-0.25
Telekom A
Telekom B
0.3
0.3
0.2
0.2
0.1
0.1
0
0 0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
0.1
0.9
-0.1
-0.1
-0.2
-0.2
-0.3
-0.3
-0.4
-0.4
Abbildung 22: Sensitivitätsanalysen für die Gewichtung der Komplexitätskosten
Kritisch anzumerken ist dabei, dass dem ANP seitens der Erhebung Grenzen in Bezug auf den Umfang der zu untersuchenden Inhalte gesetzt sind. Bereits die in der vorliegenden Studie durchgeführte Erhebung des Teilmodells ist mit hohem
262
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Aufwand verbunden. Die Durchführung von Studien anhand des Gesamtmodells mit allen Komplexitätsformen, Kostenarten und Nutzenkategorien ist einem Teilmodell vorzuziehen, insbesondere, da die Resultate des ANP-Ansatzes immer nur in Relation zu sämtlichen im Modell berücksichtigten Teilaspekten interpretierbar sind. Dies zeigen die Ergebnisse zu den Wirkungen der Komplexitätsformen auf die Komplexitätskosten der Leistungsbereitschaft in Abschnitt 5.3.4.1. Hier wurde ein auffällig hoher Einfluss nicht nur der Mitarbeiter-, sondern auch der Dienstleistungs- und Prozesskomplexität festgestellt, der u.U. darauf zurückzuführen ist, dass neben der Mitarbeiterkomplexität keine weiteren Formen der Potenzialkomplexität untersucht wurden, deren Einfluss sich in der Folge auf die Dienstleistungs- und Prozesskomplexität überträgt (z.B. ein bei Telekommunikationsunternehmen zu vermutender hoher Einfluss der technologischen Komplexität). Daher sollte das Modell die behandelte Fragestellung möglichst in all ihren Facetten erfassen, um aussagekräftige Resultate zu erzielen. Nicht zuletzt auch aufgrund der Interdependenzen verschiedener Komplexitätsformen sowie aufgrund der für Dienstleistungen typischen engen Verbindung zwischen den Dienstleistungspotenzialen, -prozessen und -ergebnissen, für die die Komplexitätsformen definiert wurden, ist eine Anwendung des Gesamtmodells die theoretisch richtige Vorgehensweise. Allerdings ist hierfür zu prüfen, wie sich der Erhebungsaufwand auf geeignete Weise reduzieren lässt und eine zuverlässige Messung auch des Gesamtmodells erfolgen kann, ohne die befragten Personen zu überfordern. Die in der vorliegenden Arbeit gewählte Vorgehensweise beschränkt sich auf die relative Bewertung der Komplexität anhand von Paarvergleichen. Der Versuch, den Erhebungsaufwand zu reduzieren, indem Teilaspekte des Modells absolut und/oder anhand quantitativer Informationen erhoben werden (z.B. die faktische Anzahl der vom Unternehmen angebotenen Teilleistungen), wurde nicht unternommen. (2) Eignung der relativen Bewertung durch Paarvergleiche sowie der Erhebung in Einzelinterviews Für die empirische Studie wurde die relative Bewertung der Komplexität anhand von Paarvergleichen auf der Saaty-Skala gewählt und die Erhebung in Einzelbefragungen durchgeführt. Die gewählte Bewertungsmethode führt, wie die Betrachtung der Paarvergleiche zeigt, zu differenzierten Urteilen bezüglich der untersuchten Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie Kostenarten und Nutzenkategorien. Auch wenn teilweise von verschiedenen Probanden widersprüchliche Antworten gegeben wurden, sind in der Regel Parallelen im Antwortverhalten zu erkennen, die darauf schließen lassen, dass eine objektive Beurteilung der Komplexität in den Unternehmen möglich ist. Die Konsistenzwerte, die angeben, inwieweit die abgegebenen Paarvergleichsurteile logisch sind, lassen ebenfalls auf die Eignung der relativen Bewertung schließen. 15 der 17 Fragen, für die
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
263
Konsistenzwerte berechnet werden können, wurden von den Befragten mehrheitlich konsistent beantwortet. Lediglich bei zwei Probanden liegt der durchschnittliche Konsistenzwert deutlich über dem in der Literatur genannten Akzeptanzwert von 0,2. Die Beurteilung der Komplexität anhand der für den ANP typischen relativen Bewertung ist folglich gut durchführbar. Kritisch anzumerken ist, dass neben der Betrachtung grafischer Darstellungen der Antworten sowie der Interpretation der Konsistenzwerte das Antwortverhalten nicht weiter untersucht wurde, was auf die mangelnde Verfügbarkeit entsprechender Gütekriterien im ANP zurückzuführen ist. Eine über den ANP hinausgehende Analyse mittels statistischer Verfahren war aufgrund des als Fallstudie konzipierten Untersuchungsaufbaus und der geringen Stichprobengröße je Unternehmen nicht möglich. Zudem besteht bei den Konsistenzwerten, wenn diese auch insgesamt akzeptabel sind, Verbesserungspotenzial. In der vorliegenden Arbeit wurde bewusst darauf verzichtet, die Probanden auf Inkonsistenzen hinzuweisen, um Verzerrungen und ein rein an der Konsistenz ausgerichtetes Antwortverhalten zu vermeiden. Durch Feedback zu hohen Inkonsistenzen und eine Anpassung der Antworten durch den Befragten hätte u.U. die Konsistenz der erhobenen Inputdaten weiter gesteigert werden können. Die Erhebung in Einzelinterviews erwies sich in den durchgeführten Fallstudien grundsätzlich als geeignet. Aufgrund der Neuartigkeit der Untersuchung und eines Mangels an Erfahrung hinsichtlich der Verständlichkeit und Beurteilbarkeit der Inhalte des Komplexitätsbewertungsmodells wurde in der vorliegenden Studie die Befragung in persönlichen Gesprächen durchgeführt und nur eine relativ geringe Stichprobengröße erreicht. Wie sich in den Befragungssituationen zeigte, ist bei entsprechender Veranschaulichung der Inhalte im Fragebogen auch eine schriftliche Befragung ohne Anwesenheit eines Interviewers möglich. Dies erlaubt Anwendungen des Komplexitätsbewertungsmodells in Studien mit größeren Stichproben. (3) Einflussgewichte der betrachteten Komplexitätsausprägungen auf die Höhe der Komplexität Die Höhe des Einflusses der verschiedenen Komplexitätsausprägungen auf die jeweilige Komplexitätsform fällt von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich aus (vgl. Abschnitt 5.3.2). Dabei zeigt sich aber mit relativer Deutlichkeit, dass bei allen betrachteten Komplexitätsformen die Ausprägungen, die aus den Komplexitätsmerkmalen der Interdependenz sowie der Dynamik und Veränderlichkeit abgeleitet wurden, einen höheren Einfluss auf die Komplexität ausüben als die Ausprägungen der Vielzahl und Heterogenität. Die Dominanz einzelner Treiber ist mitunter stark ausgeprägt, d.h., es lassen sich unternehmensspezifisch Haupttreiber identifizieren, deren Einfluss zum Teil vier- bis fünfmal höher ist als der Einfluss anderer Komplexitätsausprägungen.
264
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Darüber hinaus zeigen die aggregierten relativen Bedeutungen, wie unterschiedlich die Wichtigkeit der insgesamt zwölf untersuchten Komplexitätsausprägungen unter Berücksichtigung von Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexität ist (vgl. Abschnitt 5.3.6.4). Werden die Kosten- und Nutzenwirkungen gleich hoch gewichtet, überwiegen bei den Ausprägungen der Dienstleistungskomplexität i.d.R. die Nutzenwirkungen, bei den Ausprägungen der Prozesskomplexität dagegen die Kosten. Die Ausprägungen der Mitarbeiterkomplexität verursachen lediglich in einem Unternehmen höhere Kosten- als Nutzenwirkungen. Die unternehmensspezifische Gewichtung von Kosten und Nutzen ergibt hingegen unterschiedliche Konstellationen: In einigen Unternehmen dominieren durch die Gewichtung bei allen Komplexitätsausprägungen die Kosten, bei anderen dagegen durchgängig die Nutzenaspekte. Lediglich in einem Unternehmen zeigt sich, dass infolge der von den Mitarbeitern angegebenen höheren Gewichtung der Nutzenaspekte bei Dienstleistungs- und Mitarbeiterkomplexität der Nutzen, bei der Prozesskomplexität leicht die Kosten überwiegen. Diese Resultate verdeutlichen, dass eine differenzierte Analyse der Komplexität hinsichtlich ihrer sowohl Kosten- als auch Nutzenwirkungen zur richtigen Einschätzung der Komplexität absolut notwendig ist. Kritisch anzumerken ist, dass – infolge des gewählten Aggregationsniveaus und Modellaufbaus (vgl. auch Abschnitt 3.3.4) – keine Interdependenzen zwischen den Komplexitätstreibern untersucht werden und damit implizit unterstellt wird, die Komplexitätstreiber seien voneinander unabhängig. Zusammenhänge zwischen den Treibern werden lediglich indirekt über die im Modell abgebildeten Interdependenzen zwischen den übergeordneten Komplexitätsformen berücksichtigt. Eine Modellierung von Interdependenzen auf Ebene der Komplexitätstreiber ermöglicht detailliertere Erkenntnisse zu den Komplexitätswirkungen im Unternehmen, ist allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass der Erhebungsaufwand stark zunimmt. (4) Unternehmensspezifische Gewichtung von Komplexitätskosten und Komplexitätsnutzen als Beurteilungskriterien der Komplexität Bei drei der untersuchten Unternehmen wird dem Komplexitätsnutzen mit bis zu 70% eine höhere Bedeutung beigemessen als den Komplexitätskosten (vgl. Abschnitt 5.3.6.4). Auch dieses Ergebnis zeigt, dass im Komplexitätsmanagement sowohl die Option einer Komplexitätsreduktion – wenn die Komplexitätskosten größer sind als der -nutzen – als auch die Option einer Komplexitätserhöhung – wenn der Komplexitätsnutzen die -kosten übersteigt – in die Überlegungen zur Komplexitätsgestaltung einzubeziehen sind.
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
265
(5) Interdependenzen zwischen den Komplexitätsformen und relative Bedeutung der Komplexitätsformen unter Kosten- und Nutzenaspekten Bezüglich der gegenseitigen Einflüsse, die die betrachteten Komplexitätsformen aufeinander ausüben, ergibt die Untersuchung zwar unternehmensspezifisch unterschiedlich hohe Einflussgewichte für die einzelnen Komplexitätsformen (vgl. Abschnitt 5.3.3). Dennoch erlauben die Resultate Tendenzaussagen: Die Prozesskomplexität wird durchgängig stärker von der Dienstleistungs- als von der Mitarbeiterkomplexität beeinflusst. Die Dienstleistungskomplexität hängt umgekehrt stärker von der Prozess- als von der Mitarbeiterkomplexität ab. Schließlich wird in vier der Unternehmen die Mitarbeiterkomplexität stärker von der Komplexität der Prozesse als von der der Dienstleistungen beeinflusst. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass allgemeingültige Wirkungsmuster zwischen verschiedenen Komplexitätsformen in Dienstleistungsunternehmen bestehen. Anhand von repräsentativen Untersuchungen, die sämtliche Komplexitätsformen einbeziehen, sind diese Wirkungsweisen im Detail zu identifizieren und hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit und Stabilität zu überprüfen. Tendenzaussagen sind im Unternehmensvergleich zudem bezüglich der globalen Bedeutung der Komplexitätsformen möglich (vgl. Abschnitt 5.3.6.1). Unter Kostengesichtspunkten kommt durchgängig der Dienstleistungs- und der Prozesskomplexität die höchste Bedeutung zu, wohingegen die Mitarbeiterkomplexität als nachrangig eingeschätzt wird. Unter Nutzenaspekten dagegen dominiert relativ eindeutig die Dienstleistungskomplexität, aber auch der Mitarbeiterkomplexität werden zumindest vereinzelt größere Nutzenpotenziale zugesprochen. Aufschlussreich ist auch ein direkter Vergleich der globalen Bedeutungen zwischen Kosten und Nutzen in einzelnen Unternehmen. Hier sind teils deutliche Unterschiede zu erkennen, wie beispielsweise bei der Bedeutung der Prozesskomplexität bei Telekom B (unter Kostenaspekten: 53,3%, unter Nutzenaspekten: 32,5%). Hieraus lassen sich unternehmensspezifisch Ansatzpunkte für das gezielte Management der Komplexität unter Kosten- und Nutzengesichtspunkten ableiten. Zudem unterstreicht auch die unterschiedliche Bedeutung einzelner Komplexitätsformen unter Kosten- und Nutzenaspekten die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung der Komplexitätswirkungen. (6) Kostenwirkungen der Komplexität und relative Bedeutung verschiedener Komplexitätskostenarten Die Resultate des Komplexitätsbewertungsmodells weisen differenziert die Einflüsse der Komplexitätsformen auf die Koordinations- und die Abweichungskosten sowie auf die Kosten der Leistungsbereitschaft aus (vgl. Abschnitt 5.3.4.1). In Übereinstimmung mit der hohen globalen Bedeutung von Dienstleistungsund Prozesskomplexität unter Kostenaspekten zeigt sich auch bei differenzierter
266
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
Betrachtung, dass diese beiden Komplexitätsformen tendenziell einen größeren Einfluss auf die Kostenarten ausüben als die Mitarbeiterkomplexität. Vereinzelt ist aber auch eine Dominanz der Mitarbeiterkomplexität zu beobachten, und dies nicht nur in Bezug auf die Kosten der Leistungsbereitschaft, sondern auch in Bezug auf die Koordinations- und Abweichungskosten. Die überraschend hohen und den konzeptionellen Überlegungen entgegenstehenden Einflüsse, die die Dienstleistungs- und die Prozesskomplexität auf die Kosten der Leistungsbereitschaft haben, sind in weiteren Studien näher zu analysieren. Dabei ist zu prüfen, ob diese Einflüsse auch bei Anwendung des Gesamtmodells, d.h. unter Berücksichtigung sämtlicher Komplexitätsformen, Bestand haben oder es bei der hier durchgeführten Anwendung eines Teilmodells zu Verzerrungen im Ergebnis kommt. Das Komplexitätsbewertungsmodell zeigt zudem, dass in Abhängigkeit des Unternehmens verschiedene Komplexitätskostenarten von vorrangiger Bedeutung sind (vgl. Abschnitt 5.3.6.2). In drei der Unternehmen dominieren die Kosten der Leistungsbereitschaft, in zwei Unternehmen die Koordinationskosten sowie in einem Unternehmen die Abweichungskosten. Dabei kommt der dominanten Kostenart jeweils eine relative Bedeutung von bis zu 50% zu. Auch hier liefern die Resultate wichtige Informationen für Ansatzpunkte eines gezielten Komplexitätsmanagements. (7) Nutzenwirkungen der Komplexität und relative Bedeutung verschiedener Nutzenkategorien Auch bei Betrachtung der Nutzenwirkungen der Komplexität zeigt sich, dass je nach Nutzenkategorie unterschiedliche Komplexitätsformen dominieren (vgl. Abschnitt 5.3.5.1). Beispielsweise hat die Dienstleistungskomplexität einen vergleichsweise großen Einfluss auf die Nutzung von Synergieeffekten sowie auf die vom Kunden wahrgenommene Leistungsvielfalt und -individualisierung. Dagegen erweist sich die Mitarbeiterkomplexität tendenziell als geeignet zur Erzielung von Produktivitätseffekten und einer positiven Kundenwahrnehmung bezüglich der Verfügbarkeit und Flexibilität des Anbieters. Die Prozesskomplexität hat durchgängig einen geringen Einfluss auf die untersuchten Nutzenkategorien. Grundsätzlich zeigt das Komplexitätsbewertungsmodell aber auch, dass die Nutzenwirkungen der Komplexität sehr unternehmensabhängig sind. Dennoch sind in den Ergebnissen zur relativen Bedeutung der Nutzenkategorien vereinzelt Parallelen zu erkennen (vgl. Abschnitt 5.3.6.3). Dies ist zum einen auf Ebene der kundenbezogenen Verhaltenswirkungen der Fall, bei denen weitgehend einheitlich der Kundenbindungsnutzen die größte Bedeutung einnimmt, die Wichtigkeit des Kundenakquisitionsnutzens und der Zahlungsbereitschaft dagegen von Unternehmen zu Unternehmen schwankt. Zum anderen erweist sich auf
Empirische Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells
267
Ebene der unternehmensbezogenen Nutzenwirkungen der Umsatz als die dominante Nutzenkategorie. (8) Komplexität und ihre Wirkungen im Unternehmensvergleich Insgesamt deuten die Resultate der Fallstudien darauf hin, dass trotz verschiedener erkennbarer Parallelen die unternehmensspezifischen Besonderheiten des Komplexitätsphänomens relativ groß sind. Dies zeigt zum einen der Vergleich der unternehmensspezifischen Auswertungen mit der Gesamtauswertung, die auf Basis der Urteile aller 21 Befragten vorgenommen wurde. Die Einzelergebnisse der Unternehmen weichen teilweise sehr deutlich von den Gesamtergebnissen ab. Zum anderen betragen die in den vorhergehenden Abschnitten dargestellten Unterschiede zwischen den jeweils zwei Unternehmen einer Branche im Durchschnitt über alle Auswertungen bei den Banken 12,9 Prozentpunkte, bei den Versicherungen 11,9 und bei den Telekommunikationsunternehmen 15,5 Prozentpunkte. Dabei sind die Unterschiede zwar bei immerhin rund einem Viertel der Resultate als gering (Differenzen zwischen den Unternehmen von weniger als 5 Prozentpunkten), bei mehr als einem Drittel der Resultate aber als relativ groß einzustufen (mit Unterschieden von mehr als 15 Prozentpunkten). Auf Basis der Fallstudien sind folglich sowohl Gemeinsamkeiten innerhalb der Branchen als auch Unterschiede zwischen den Branchen zu erkennen. Eine statistische Überprüfung dieser Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurde in der vorliegenden Arbeit aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht vorgenommen. Inwieweit sich die Unternehmens- und Branchenunterschiede als statistisch signifikant erweisen, bleibt daher in umfangreicheren und repräsentativen Studien zu analysieren. Die in der Erhebung abgegebenen Paarvergleichsurteile lassen sich nicht nur aggregiert, sondern auch personenspezifisch auswerten. Bei größeren Stichproben ist es daher möglich, die ANP-Resultate als Grundlage für weiterführende statistische Untersuchungen einzusetzen. Anhand des ANP und des Komplexitätsbewertungsmodells können aufschlussreiche Informationen über die Komplexität und ihre Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen generiert werden. Die Allgemeingültigkeit der im Rahmen der vorliegenden Arbeit gewonnenen Resultate ist anhand weiterer Studien zu überprüfen. Unternehmensspezifisch bieten die dargestellten Analysen allerdings vielfältige Ansatzpunkte für die Erarbeitung von Strategien und Maßnahmen zur Gestaltung der Komplexität.
6
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Aus den Erfahrungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit bei der konzeptionellen Erarbeitung des Bezugsrahmens, bei der Entwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells sowie bei der empirischen Untersuchung gesammelt wurden, werden im Folgenden praxisbezogene Implikationen für das Komplexitätsmanagement (Abschnitt 6.1) sowie wissenschaftsbezogene Implikationen für weitere Forschungsvorhaben (Abschnitt 6.2) abgeleitet. Die Arbeit schließt in Abschnitt 6.3 mit einem kurzen Fazit.
6.1
Implikationen für das Komplexitätsmanagement
6.1.1
Komplexitätsgestaltung als Aufgabe des strategischen Managements
Wie aufbauend auf den empirischen Ergebnissen des Kapitels 5 in den Unternehmen die Komplexität zukünftig zu gestalten ist, hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab. Diese Rahmenbedingungen des Komplexitätsmanagements werden insbesondere von der Marktsituation, mit der ein Unternehmen konfrontiert ist, und von der daraus resultierenden strategischen Ausrichtung des Unternehmens geprägt. Ist das Unternehmensumfeld beispielsweise durch hohe Dynamik gekennzeichnet und verfolgt ein Unternehmen in diesem Umfeld eine proaktive, wettbewerbsstellende Strategie,680 ist ausgehend von der bestehenden Komplexität u.U. eine weitere Komplexitätserhöhung erforderlich, um die für die verfolgte Strategie notwendige Flexibilität zu erreichen. Ist die Strategie eines Unternehmens dagegen in einem stagnierenden Marktsegment auf die Abschöpfung der Deckungsbeiträge und langfristig auf den Rückzug aus dem Segment ausgerichtet, kann eine Verringerung der Komplexität sinnvoll sein, um Kosten zu reduzieren. Daher sind inhaltliche Aussagen darüber, welche Komplexitätsformen und -ausprägungen auf welche Art zu verändern sind, nur unternehmensspezifisch und vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation möglich. Umso wichtiger ist infolgedessen allerdings ein allgemeingültiger Leitfaden,
680
Vgl. zu verschiedenen konkurrenzgerichteten Strategien Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 308ff.
270
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
der als Strukturierungshilfe Antwort auf die Frage gibt, wie das Komplexitätsmanagement zu gestalten ist. Ein solcher Leitfaden wird in den folgenden Abschnitten entwickelt, wobei insbesondere die Einbindung des Komplexitätsbewertungsmodells als Informationsgrundlage des Komplexitätsmanagements und damit verbundene Gestaltungsparameter und Verwendungsmöglichkeiten thematisiert werden. Gegenstand des Komplexitätsmanagements ist gemäß dem auf dem KostenNutzen-Kalkül basierenden theoretischen Komplexitätsoptimum681 die Gestaltung von Komplexität unter Berücksichtigung ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen. Legt man dem Begriffsverständnis des Komplexitätsmanagements den entscheidungsorientierten Managementansatz mit den Phasen der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle zugrunde,682 lässt sich das Komplexitätsmanagement folgendermaßen definieren: Komplexitätsmanagement ist die kontinuierliche Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle von Maßnahmen der Komplexitätsgestaltung, die zur Erreichung der strategischen Ziele des Unternehmens zum Einsatz kommen.
Zwei zentrale Aspekte dieser Definition sind hervorzuheben: die erforderliche Kontinuität des Komplexitätsmanagements und dessen Verortung auf Ebene des strategischen Managements. (1) Kontinuität des Komplexitätsmanagements Da Komplexität eine permanente Begleiterscheinung wirtschaftlichen Handelns ist, hat auch das Komplexitätsmanagement kontinuierlich zu erfolgen. Ein temporäres, punktuell eingesetztes Komplexitätsmanagement, z.B. als einmaliges oder in größeren Zeitabständen wiederholtes Projekt zur umfassend angelegten Optimierung der Unternehmenskomplexität, ist ebenfalls denkbar. Allerdings besteht aufgrund der Eigendynamik des Komplexitätsphänomens dabei die Gefahr, ungewollte Entwicklungen nicht rechtzeitig zu erkennen. Daher ist es sinnvoll, Komplexitätsmanagement als andauernden Prozess aufzufassen. Die Phasen der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle eines kontinuierlichen Komplexitätsmanagements sind als Regelkreis mit Feedback zu verstehen: Die im Laufe des Prozesses aus der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle der Komplexität gewonnenen Erkenntnisse sind Inputdaten für die nachfolgenden Analyse681 682
Vgl. hierzu Abschnitt 1.2.5. Vgl. zum entscheidungsorientierten Managementansatz z.B. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 37; Bruhn 2009b, S. 91.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
271
und Planungsphasen, mit denen ein erneutes Durchlaufen des Regelkreises initiiert wird.683 (2) Verortung des Komplexitätsmanagements im strategischen Management Wie die in Abschnitt 6.1.3.3 folgenden Ausführungen zum Instrumentarium des Komplexitätsmanagements und die in diesem Abschnitt einleitend skizzierte Abhängigkeit der Komplexitätsgestaltung von der strategischen Ausrichtung des Unternehmens verdeutlichen, ist das Komplexitätsmanagement keine isolierte und unabhängige Gestaltungsaufgabe. Vielmehr ist es in das strategische Management des Unternehmens und seiner verschiedenen Bereiche und Funktionen einzubetten. Durch die Verortung des Komplexitätsmanagements auf Ebene des strategischen Managements wird auch der Langfristigkeit der Wirkungen komplexitätsverändernder Maßnahmen Rechnung getragen. Zweck des Komplexitätsmanagements kann im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang dabei nur sein, einen Beitrag zur Zielerreichung des Unternehmens zu leisten. Ein solcher Zielerreichungsbeitrag ist je nach der Bedeutung, die dem Komplexitätsmanagement beigemessen wird, auf zwei verschiedene Arten möglich. Zum einen kann Komplexität bewusst als Mittel eingesetzt werden, um bestimmte Ziele umzusetzen (wie z.B. die Flexibilität in der Reaktion auf Kundenwünsche durch eine entsprechende Menge und Heterogenität, Qualifikation oder Einsatzplanung der Mitarbeiter). Zum anderen besteht die Möglichkeit, Komplexität und ihre Wirkungen als Nebenbedingung bei unternehmerischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Ziel dieser zweiten Variante ist insbesondere die Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Komplexitätswirkungen und damit eine bessere Fundierung von Entscheidungen im Unternehmen. Während das Komplexitätsmanagement im ersten Fall eine aktive gestaltende Rolle einnimmt, kommt ihm im zweiten Fall eine unterstützende Funktion zu. Bei der Gestaltung des Komplexitätsmanagements besteht eine zentrale Schwierigkeit darin, den Mittelweg zwischen Detaillierungsgrad und Praktikabilität zu finden: Einerseits ist eine möglichst genaue Abbildung und Erfassung der Komplexität im Unternehmen wünschenswert, um alle relevanten Interdependenzen und Wirkungen zu berücksichtigen; andererseits ist auch die Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit des Komplexitätsmanagements sicherzustellen. Nach Bliss ist eine fundamentale Eigenschaft des Komplexitätsphänomens, dass sich seine 683
Für dieses Verständnis des Managementprozesses als Regelkreis mit Feedback wird auch der auf Berkwitt zurückgehende Begriff des Closed-Loop-Managements verwendet (vgl. Berkwitt 1969, S. 44).
272
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Komplexität erhöht, je genauer man es betrachtet.684 Auch für das Komplexitätsmanagement hat diese Eigenschaft Gültigkeit: Je detaillierter die Betrachtung, desto höher die Eigenkomplexität des Komplexitätsmanagements und desto geringer dessen Praktikabilität und Umsetzbarkeit. Diese Gratwanderung ist im Komplexitätsmanagementprozess, auf dessen Phasen der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle im Folgenden eingegangen wird, immer zu berücksichtigen. Abbildung 23 gibt einen Überblick über die nachfolgend dargestellten Phasen des Komplexitätsmanagementprozesses.
6.1.2
Analysephase des Komplexitätsmanagements
Die erste Phase eines am entscheidungsorientierten Managementprozess ausgerichteten Komplexitätsmanagements umfasst die Analyse der Komplexitätssituation im Dienstleistungsunternehmen. Gegenstand dieser Analysephase ist die Schaffung einer Informationsgrundlage für die nachfolgende Planung und Umsetzung von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements, die zur Zielerreichung des Unternehmens beitragen. Darüber hinaus dient die Analysephase der Generierung von Ist-Daten zur Komplexität und ihren Wirkungen im Unternehmen, die eine kontinuierliche Beobachtung von Veränderungen ermöglichen und nach der Umsetzung der Maßnahmen als Kontrollgrößen dienen. Dem Komplexitätsbewertungsmodell kommt in dieser ersten Phase eine zentrale Bedeutung zu, da seine Entwicklung bzw. Anpassung für eine unternehmensspezifische Anwendung zum einen eine umfassende Auseinandersetzung mit der Komplexität und ihren Wirkungen im Unternehmen fördert und es zum anderen quantitative Informationen zu den Wirkungsweisen und zur Bedeutung von Stellhebeln der Komplexität im Unternehmen liefert, die für die weiteren Phasen des Prozesses erforderlich sind. Die Analyse anhand des Komplexitätsbewertungsmodells vollzieht sich der ANP-Vorgehensweise entsprechend in mehreren Schritten (vgl. Abschnitt 4.3.2). Für eine unternehmensspezifische Anwendung sind allerdings verschiedene Entscheidungen bezüglich der ersten beiden Schritte der ANP-Vorgehensweise, der Strukturierung der Problemstellung sowie der Erhebung der Paarvergleiche, zu treffen. Diesen beiden Schritten ist besondere Beachtung zu schenken, da der
684
Vgl. Bliss 2000, S. IX.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
273
Aussagegehalt der Ergebnisse der ANP-Anwendung maßgeblich von der Qualität der inhaltlichen Vorarbeit bei der Modellentwicklung sowie der Auswahl einer geeigneten Vorgehensweise bei der Datenerhebung abhängt. Inhaltliche Gestaltungsparameter Wahl der zentralen Fragestellung des Komplexitätsbewertungsmodells Auswahl der unternehmensspezifisch relevanten Komplexitätsformen Unternehmensspezifische Anpassung/Konkretisierung der Komplexitätsausprägungen Ableitung der relevanten Beurteilungskriterien der Komplexität (Kosten, Nutzen, Chancen, Risiken der Komplexität) Entscheidung bezüglich des Detaillierungsgrads Analysephase
Methodische Gestaltungsparameter Festlegung der einzusetzenden Bewertungsart (absolute/relative Bewertung) Auswahl geeigneter Probanden und/oder Bildung interdisziplinärer Teams zur Beurteilung der Komplexität Wahl der Erhebungsform Einzelbefragung Gruppeninterviews Iterative Vorgehensweise
Planungsphase
Umsetzungsphase
Kontrollphase
Festlegung von Zielgrößen und -niveaus Planung von Komplexitätsstrategien Planung von operativen Maßnahmen der Komplexitätsgestaltung Schaffung der Voraussetzungen zum richtigen Umgang mit Komplexität durch geeignete Strukturen Systeme Unternehmenskultur Entwicklung eines Kennzahlen- und Tracking-Systems zur kontinuierlichen Kontrolle der Maßnahmen, Komplexitätswirkungen und Zielerreichung Gewinnung von Informationen für nachfolgende Planungsperioden Sicherstellung eines nachhaltigen Wissenszuwachses über die Komplexität im Unternehmen
Abbildung 23: Managementprozess der Komplexitätsgestaltung
6.1.2.1 Inhaltliche Gestaltungsparameter bei der Strukturierung der Problemstellung Bei der Entwicklung eines situativ angepassten Komplexitätsbewertungsmodells ist zunächst zu entscheiden, welche Fragestellung mit dem Komplexitätsbewertungsmodell behandelt werden soll, welche Komplexitätsformen und -ausprä-
274
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
gungen zu untersuchen und welche Kriterien zur Beurteilung der Komplexität im konkreten Fall heranzuziehen sind. Aufgrund der Einbindung in das strategische Management ist zunächst festzulegen, worin der Beitrag des Komplexitätsmanagements zu den Zielen des Unternehmens bestehen soll. Aus den Zielen des strategischen Managements ist die zentrale Fragestellung des Komplexitätsbewertungsmodells und damit dessen inhaltliche Ausrichtung abzuleiten. Das Komplexitätsbewertungsmodell ist dabei sehr flexibel einsetzbar. Beispielsweise kann die zentrale Fragestellung allgemein formuliert werden, um wie in der vorliegenden Arbeit grundlegende Informationen über die Interdependenzen und Bedeutung verschiedener Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie über deren Kosten- und Nutzenwirkungen im Unternehmen zu erhalten. Auf Basis dieser Informationen lässt sich dann eine geeignete Strategie für die Gestaltung der Komplexität ableiten. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, bereits auf übergeordneter Ebene formulierte Strategien – z.B. über Veränderungen des Dienstleistungsangebots, der Dienstleistungsprozesse oder der Dienstleistungspotenziale – hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Komplexität sowie auf Komplexitätskosten und -nutzen zu untersuchen. In diesem Fall sind zusätzlich die konkreten, bei der Strategiewahl zur Auswahl stehenden Entscheidungsalternativen zu definieren und im Komplexitätsbewertungsmodell zu berücksichtigen. Ist die zentrale Fragestellung der ANP-Anwendung definiert, ist eine für den Unternehmenskontext zutreffende Auswahl zu untersuchender Komplexitätsformen zu treffen, da je nach Situation u.U. einzelne der in Abschnitt 3.3 definierten zehn Komplexitätsformen nicht von Bedeutung sind. Werden Dienstleistungen beispielsweise vollkommen standardisiert ausgeführt (z.B. die PKW-Reinigung anhand von Selbstbedienungs-Waschstraßen) ist es nicht erforderlich, die Komplexität des externen Faktors zu berücksichtigen. Erbringt ein Unternehmen seine Dienstleistungen überwiegend oder ausschließlich an Standorten des Kunden, ist die Komplexität der eigenen Standorte und Filialen für die Leistungserbringung nicht von Bedeutung. Darüber hinaus ist auch die Notwendigkeit einer unternehmensspezifischen Anpassung und Konkretisierung der Komplexitätsausprägungen zu überprüfen, die in Abschnitt 3.3 in generischer Form für die Komplexitätsformen definiert wurden. So kann es beispielsweise in einem Unternehmen mit stark funktional ausdifferenzierten und fragmentierten Prozessen sinnvoll sein, verschiedene Schnittstellen – in der vorliegenden Arbeit pauschal als eine Komplexitätsausprägung berücksichtigt – detailliert zu erfassen und zwischen z.B. internen Schnittstellen (zwischen Mitarbeitern oder Abteilungen) und externen Schnittstellen (Kundenkontaktpunkte) zu unterscheiden. Bei technologiebasierten Dienstleistungen ist zudem die gesonderte Betrachtung von Schnittstellen zwi-
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
275
schen verschiedenen Technologien und Systemen zweckmäßig, an denen es zu Kompatibilitätsproblemen kommen kann. Aber auch andere Komplexitätsformen sind beliebig detailliert erfassbar. Die Ausprägungen der Leistungsprogrammund Dienstleistungskomplexität lassen sich beispielsweise anhand der faktisch vom Unternehmen angebotenen und erbrachten Dienstleistungsvarianten und deren Teilleistungen konkretisieren. Eine Anpassung des Komplexitätsbewertungsmodells ist auch auf Ebene der Beurteilungskriterien zu prüfen, die zur Bewertung der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie gegebenenfalls konkreter Entscheidungsalternativen herangezogen werden. Hier bestehen insbesondere zwei Möglichkeiten:
Ergänzung um unternehmensspezifische Beurteilungskriterien: In der vorliegenden Arbeit wurden allgemeine komplexitätsrelevante Kostenarten sowie mögliche Nutzenkategorien als Beurteilungskriterien der Komplexität definiert. Hier ist eine unternehmensspezifische Anpassung oder Ergänzung sinnvoll, die die strategischen Zielsetzungen des Unternehmens berücksichtigt. Auf diese Weise wird eine Verknüpfung mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und somit eine zielführende Einbettung des Komplexitätsmanagements in das strategische Management erreicht. So ist beispielsweise denkbar, die Komplexitätskostenarten in Verbindung zu bringen mit Gemeinkostenblöcken des Unternehmens und im Modell von den Befragten auch die Bedeutung der Komplexitätskosten im Gesamtzusammenhang der Gemeinkosten beurteilen zu lassen. Auch können die Nutzenkategorien vor dem Hintergrund marktbezogener Zielgrößen konkretisiert und beispielsweise mit Zielen zur Kundenzufriedenheit oder auch bestehenden Zielen zu Kundenbindung und Kundenakquisition verbunden werden.
Ergänzung um Chancen- und Risikoaspekte: Aufgrund der langfristigen Orientierung des strategischen Managements und strategischer Entscheidungen ist u.U. eine Beurteilung der Komplexitätsformen oder komplexitätsverändernder Entscheidungen nicht nur unter Kosten- und Nutzengesichtspunkten, sondern auch auf Basis von Kriterien sinnvoll, die die langfristigen Chancen und Risiken der Komplexität abbilden. So kann beispielsweise die Vereinfachung der Marktbearbeitung (i.e. Reduktion der Kundenstrukturkomplexität) i.V.m. einer Reduktion des angebotenen Leistungsspektrums (Reduktion der Leistungsprogrammkomplexität) unter Kostenaspekten kurzfristig sinnvoll erscheinen, bei Berücksichtigung langfristiger Aspekte aber Risiken bergen (z.B. Abwanderung von Kunden infolge geringerer Bedürfnisbefriedigung). Für die Chancen und Risiken der Komplexität ist die Kontrollhierarchie des
276
Implikationen für Praxis und Wissenschaft Modells um zwei weitere Kontrollkriterien zu ergänzen und es sind geeignete Subnetzwerke zu entwickeln.
Bei diesen inhaltlichen Entscheidungstatbeständen, die die Erfassung und Strukturierung der zu untersuchenden Problemstellung betreffen, ist die in Abschnitt 6.1 thematisierte Problematik des geeigneten Detaillierungsgrads zu berücksichtigen. Gerade hier zeigt sich aber auch der Vorteil des Komplexitätsbewertungsmodells. Aufgrund seiner hohen Flexibilität ist der ANP geeignet, das Komplexitätsphänomen je nach Fragestellung auf unterschiedlich aggregiertem Niveau zu betrachten. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, die Gliederungstiefe der Betrachtung (Grobkörnigkeit)685 zu verringern, indem nur die Komplexitätsformen, nicht aber deren einzelne Ausprägungen untersucht werden. Dagegen ist eine Erhöhung der Betrachtungstiefe zu erreichen, indem Interdependenzen nicht zwischen den aggregierten Komplexitätsformen, sondern zwischen den einzelnen Komplexitätsausprägungen modelliert und untersucht werden; auch lassen sich im Modell die Kosten- und Nutzenwirkungen dieser Komplexitätsausprägungen direkt abbilden (anstelle des für die empirische Studie der vorliegenden Arbeit gewählten Zwischenschaltens der Komplexitätsformen). Auf diese Weise ergibt die Anwendung zwar keine Informationen über die Bedeutung der Komplexitätsformen, es werden aber detaillierte Ergebnisse zu den Interdependenzen zwischen den Komplexitätsausprägungen sowie zu deren ökonomisch relevanten Wirkungen erzielt. Auch eine Kombination ist denkbar: Komplexitätsformen, die direkt von einer Entscheidung betroffen sind (z.B. die Leistungsprogramm- und Dienstleistungskomplexität bei strategischen Entscheidungen über eine Veränderung des Leistungsangebots), werden detailliert in die Untersuchung einbezogen, wohingegen indirekt betroffene Komplexitätsformen nur in aggregierter Form Berücksichtigung finden.
6.1.2.2 Methodische Gestaltungsparameter bei der Durchführung der Datenerhebung Neben den inhaltlichen Aspekten sind bei der Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells in der Analysephase des Komplexitätsmanagements zudem verschiedene methodische Fragen zu klären. Hierunter fallen die Auswahl der Bewertungsart, die Identifikation und Auswahl geeigneter Probanden sowie die Entscheidung über die Form der Erhebung. Bezüglich der Bewertungsart ist zu entscheiden, inwieweit neben der in der vorliegenden Arbeit angewandten relativen Bewertung anhand von Paarvergleichen 685
Vgl. hierzu Abschnitt 1.2.3.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
277
auch eine absolute Bewertung eingesetzt werden kann.686 Die absolute Bewertung empfiehlt sich bei den im Modell abgebildeten Teilaspekten, für die quantitative Daten vorliegen oder zu vertretbarem Aufwand erhältlich sind. Sind solche quantitativen Informationen verfügbar und wird dennoch die relative Bewertungsart gewählt, ist damit ein Informationsverlust verbunden.687 Allerdings schließen sich absolute und relative Bewertung nicht gegenseitig aus, sondern lassen sich parallel für unterschiedliche Teilaspekte des Modells einsetzen.688 Ein Vorteil dieses kombinierten Einsatzes liegt darin, dass die relative Bewertung anhand von Paarvergleichen nur noch für einen Teil des Komplexitätsbewertungsmodells erforderlich ist und sich damit der Erhebungsaufwand reduziert. Wie der Stand der Forschung in Kapitel 2 zeigt, besteht zur absoluten Messung von Unternehmenskomplexität – insbesondere aufgrund der mit Komplexität verbundenen Interdependenzproblematik – bisher kein zufriedenstellender Ansatz. Gleiches gilt für die Quantifizierung von Komplexitätskosten, die sich insbesondere aufgrund qualitativer Kostenbestandteile nur schwer objektiv in Geldeinheiten erfassen lassen. Entsprechend empfiehlt sich hier die Anwendung der relativen Bewertung anhand von Paarvergleichen. Bei anderen Modellbestandteilen, wie beispielsweise den Nutzenkategorien oder den zu untersuchenden Komplexitätsausprägungen und Entscheidungsalternativen, besteht dagegen die Möglichkeit einer absoluten Bewertung. Beispielsweise ist zu überlegen, ob die kundenbezogenen Nutzenwirkungen der Komplexität kausalanalytisch untersucht und die Ergebnisse in das Komplexitätsbewertungsmodell integriert werden können. Bei entsprechend hoher inhaltlicher Detaillierung und Konkretisierung des Modells lassen sich darüber hinaus auch die Komplexitätsausprägungen quantifizieren. So ist beispielsweise zu prüfen, ob die Ausprägungen, die das Komplexitätsmerkmal der Vielzahl widerspiegeln, anhand konkreter Zahlen in das Modell aufgenommen werden können (z.B. die faktische Anzahl der Leistungsvarianten oder der erforderlichen Prozesse). Auch lässt sich u.U. die Heterogenität verschiedener Elemente des Systems „Dienstleistungsanbieter“ anhand von Distanzmaßen erfassen. Sind für den Untersuchungskontext auf ähnliche Weise auch absolute Maße für die Komplexitätsmerkmale der Interdependenz und Dynamik identifizierbar, reduziert sich der Erhebungsaufwand in Form von Paarvergleichen erheblich.
686 687 688
Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.3.2, insbesondere Fußnote 553. Vgl. Peters 2008, S. 533. Vgl. Dellmann 2000a, S. 37.
278
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Für die Teile des Komplexitätsbewertungsmodells, die infolge der Entscheidung zur Bewertungsart anhand einer relativen Bewertung zu messen sind, ist eine Erhebung der Paarvergleichsurteile durchzuführen. Hierfür ist zunächst eine Auswahl geeigneter Probanden zu treffen, d.h., es ist festzulegen, durch wie viele und welche Personen im Unternehmen die Beurteilung der Sachverhalte vorgenommen wird. In bestehenden ANP-Anwendungen werden keine Angaben darüber gemacht, wie viele Befragte für zuverlässige Resultate erforderlich sind. In der ursprünglichen Bestimmung des ANP zur Entscheidungsunterstützung ist bereits eine Person ausreichend, wenn es sich dabei um den alleinigen Entscheider handelt.689 Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es dagegen sinnvoll, die Planung und Umsetzung von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements auf eine breitere Datenbasis zu stellen. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass die ausgewählten Personen aufgrund ihrer Position und/oder Dauer der Unternehmenszugehörigkeit in der Lage sind, die Komplexität und ihre Wirkungen einzuschätzen. Da die wenigsten Personen in einem Unternehmen entsprechend tiefe Einblicke in sämtliche unternehmerischen Funktionen und Bereiche haben, erscheint es ratsam, zur Erhebung der Paarvergleiche ein interdisziplinäres Team zusammenzustellen.690 Darüber hinaus ist eine Entscheidung bezüglich der Erhebungsform zu treffen. Wie die Untersuchung der erhobenen Paarvergleichsurteile sowie der daraus ermittelten Konsistenzwerte gezeigt hat,691 ist eine Einzelbefragung dabei grundsätzlich möglich. Diese hat den Vorteil, dass die befragten Personen in ihrem Urteil nicht von der Meinung anderer Beteiligter beeinflusst werden. Allerdings kann eine Einzelbefragung zu gegensätzlichen Antworten führen, woraus bei Aggregation der Paarvergleiche anhand des geometrischen Mittelwerts eine Nivellierung der Inputdaten resultiert. Tritt dieser Fall ein, ist zu prüfen, ob durch die Einzelbefragung weiterer Personen die Streuung der abgegebenen Urteile verringert werden kann. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Paarvergleiche in Gruppeninterviews zu erheben, in denen sich die Beteiligten für jeden Paarvergleich auf einen Wert einigen. Der Gefahr einer Dominanz der Diskussion und des Ergebnisses durch einzelne Personen ist dabei durch geeignete Moderationstechniken zu begeg689 690
691
Vgl. z.B. die AHP-Anwendung bei Wind/Saaty 1980, S. 649ff. Hier wurden die Paarvergleiche lediglich vom Geschäftsführer des Unternehmens durchgeführt. Vgl. auch Lasch/Gießmann 2009, S. 225. Lasch und Gießmann sind allgemein der Auffassung, dass sich die Subjektivität der Komplexitätsbeurteilung durch eine Bewertung in interdisziplinär zusammengesetzten Teams reduzieren lässt. Vgl. Abschnitt 5.3.1.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
279
nen.692 Generell ist mit der Durchführung von Gruppeninterviews allerdings ein sehr hoher Aufwand verbunden, da jeder Paarvergleich einzeln zur Diskussion zu stellen ist. Auch wird mit dieser Vorgehensweise das Risiko einer Nivellierung der Ergebnisse nicht vollständig vermieden, wenn die Diskussion dazu führt, dass die Beteiligten sich als Kompromiss bei den Paarvergleichen auf mittlere Werte der Saaty-Skala einigen. Sowohl bei Durchführung einer Einzelbefragung als auch bei Gruppeninterviews lässt sich zur Verbesserung der Antworten eine iterative Vorgehensweise in Anlehnung an die Delphi-Methode einsetzen.693 Hierbei werden die Resultate einer ersten Erhebung (Mittelwert und Streuungsmaße) den befragten Personen in einer zweiten und gegebenenfalls dritten Befragung oder Gruppendiskussion zur Überprüfung und Revision vorgelegt.694 Bei Einzelbefragungen werden Personen, deren Antworten deutlich von denen der anderen Befragten abweichen, zudem um eine Begründung ihrer Urteile gebeten.695 Zusätzlich zu Mittelwert und Streuungsmaßen könnten bei einer Einzelbefragung den Befragten auch die Paarvergleichsurteile der anderen Probanden vorgelegt werden, um die gedankliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Urteil anzuregen. Durch die wiederholte Beschäftigung mit den Inhalten lässt sich die bei einer lediglich einmaligen Befragung gegebene breite Streuung der Antworten reduzieren.696 In einer ANPAnwendung ist diese iterative Vorgehensweise insbesondere auch dann sinnvoll, wenn die Inkonsistenzen der Paarvergleiche zu hoch ausfallen und daher eine Überarbeitung der ursprünglichen Beurteilung notwendig erscheint.
692 693 694
695 696
Vgl. Meixner/Haas 2002, S. 222. Vgl. zur Delphi-Methode Hammann/Erichson 2000, S. 481; Fantapié Altobelli 2007, S. 388ff. Bezüglich der optimalen Anzahl an Iterationen besteht keine eindeutige Meinung, es werden allerdings zwischen zwei und vier Erhebungsrunden als ausreichend angesehen (vgl. Häder/Häder 1998, S. 19ff.). Zum Antwortverhalten und zu Meinungsänderungen in den Erhebungsrunden vgl. Häder/Rexroth 1998. Vgl. Fantapié Altobelli 2007, S. 390. Auch die Ergebnisse der iterativen Vorgehensweise können grundsätzlich gegen einen Durchschnittswert konvergieren, der der Nivellierung durch Mittelwertbildung gleich kommt. Bei einer einmaligen Befragung und Mittelwertbildung ergibt sich die Nivellierung bei gegensätzlichen Antworten aber zwangsläufig, während bei der iterativen Vorgehensweise zumindest die Möglichkeit besteht, dass sich ein anderes Urteil und im Idealfall der theoretisch „wahre Wert“ durchsetzt.
280
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
6.1.2.3 Aufbereitung der Ergebnisse Nach Klärung der inhaltlichen und methodischen Entscheidungstatbestände wird die Erhebung durchgeführt und die Daten mittels ANP-Software ausgewertet. Für die Entwicklung von Strategien sind die Ergebnisse in geeigneter Form aufzubereiten. Abbildung 24 zeigt eine Struktur, die die ANP-Resultate für das Kostensubnetzwerk des Komplexitätsbewertungsmodells aus verschiedenen Blickwinkeln aufbereitet wiedergibt.697 Im unteren Teil der Abbildung sind die Komplexitätsausprägungen erfasst, angeordnet nach den Komplexitätsformen sowie nach den konstitutiven Merkmalen der Komplexität (Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik). Die im ANP berechneten globalen Prioritäten dieser Ausprägungen sind auf den Wert Eins normiert, so dass sie die Stellhebel aller Komplexitätsformen in Relation setzen. Durch die Normierung der Prioritäten je Komplexitätsform erhält man zusätzlich die Bedeutung der verschiedenen Ausprägungen für die jeweilige Komplexitätsform (wie in Abbildung 24 in den mit durchgehenden Linien gerahmten Kästchen dargestellt; die Bedeutungen der vier Komplexitätsausprägungen ergeben in der Summe jeweils den Wert Eins). Für die Leistungsprogrammkomplexität hat demnach unter Kostenaspekten die Interdependenz (Leistungsverbund) mit 40% die höchste Bedeutung. Darüber hinaus kann auch die Bedeutung der Ausprägungen für die konstitutiven Komplexitätsmerkmale von Interesse sein. Um diese zu ermitteln, werden die ursprünglichen Prioritäten der Komplexitätsausprägungen bezüglich des Komplexitätsmerkmals normiert, aus dem sie abgeleitet wurden (in Abbildung 24 in den gestrichelten Kästchen angegeben). Auf diese Weise lässt sich die relative Bedeutung der vier Komplexitätsmerkmale bestimmen. Im Zahlenbeispiel der Abbildung kommt dem Merkmal der Interdependenz mit 32% die größte Bedeutung zu. Über die Komplexitätsformen hinweg hat dabei die Interdependenz der Standorte/Filialen mit 16% die höchste Bedeutung.
697
Die Daten in Abbildung 24 sind fiktiv und dienen lediglich der Veranschaulichung. Eine identische Ergebnisübersicht lässt sich für das Subnetzwerk zum Komplexitätsnutzen sowie gegebenenfalls weiteren Kontrollkriterien wie Chancen und Risiken der Komplexität erstellen.
0,21
0,22
0,32
0,25
Vielzahl
Vielfalt
Interdependenz
Dynamik/Veränderlichkeit
Bedeutung der Komplexitätsmerkmale:
Komplexitätsausprägungen
Relative Bedeutung (innerhalb der Dienstleistungsdimension):
Relative Bedeutung (insgesamt):
0,2 0,08
0,3 0,12
0,3 0,09
0,4 0,13
0,3 0,14
0,2 0,09
0,2 0,10
0,1 0,05
0,3
0,08
0,2
0,13
0,4
0,05
0,1
0,14
0,3
0,04
0,1
0,13
0,4
0,09
0,2
0,14
0,1
0,08
0,2
0,13
0,4
0,14
0,3
0,05
0,3
Legende:
0,12
0,3
0,06
0,2
0,09
0,2
0,14
0,1
0,16
0,4
0,03
0,1
0,18
0,4
0,05
0,4
0,2
0,08
0,2
0,16
0,5
0,05
0,1
0,10
0,28
Abbildung 24: Exemplarische Datenaufbereitung zur Identifikation der zentralen Stellhebel des Komplexitätsmanagements (Kostensubnetzwerk) 0,1
0,16
0,4
0,13
0,4
0,05
0,1
0,05
Bedeutung für das Komplexitätsmerkmal
Bedeutung für die Komplexitätsform
0,08
0,2
0,03
0,1
0,14
0,3
0,19
0,17
0,50
0,06
0,31
0,21
Leistungsprogrammkomplexität
0,50
0,13
Dienstleistungskomplexität
0,13
0,08
Kundenstrukturkomplexität
0,25
0,25
Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse 0,63
0,10
Aufgabenkomplexität
0,19
0,05
0,03
0,01
0,09
0,05
Komplexität des externen Faktors
Komplexitätsformen
0,18
Mitarbeiterkomplexität
0,40
Potenzialdimension
Materialkomplexität
0,42
Prozessdimension
Standort-/Filialkomplexität
Relative Bedeutung:
Ergebnisdimension
Technologische Komplexität
Dienstleistungsdimension
Implikationen für Praxis und Wissenschaft 281
282
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Im mittleren Bereich der Abbildung sind die im ANP ermittelten und normierten relativen Bedeutungen der Komplexitätsformen wiedergegeben. Die Werte zur „relativen Bedeutung (insgesamt)“ geben die Bedeutungsgewichte im Verhältnis zu allen Komplexitätsformen wieder (in der Summe = 1); ergänzend wurden anhand der Beispielwerte in Abbildung 24 die relativen Bedeutungen der Komplexitätsformen innerhalb der jeweiligen Dienstleistungsdimension (Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension) ermittelt. Im Zahlenbeispiel für das Subnetzwerk zu den Komplexitätskosten hat folglich unter Kostenaspekten die Leistungsprogrammkomplexität insgesamt eine Bedeutung von 21%. Innerhalb der Ergebnisdimension, zu der die Komplexitätsform zählt, kommt ihr eine Bedeutung von 50% zu. Im oberen Teil der Abbildung sind darüber hinaus die aggregierten Bedeutungen der drei Dienstleistungsdimensionen angegeben, die sich durch einfache Summierung der relativen Bedeutungen der jeweiligen Komplexitätsformen ergeben. Somit kommt der Ergebnisdimension im Beispiel insgesamt eine relative Bedeutung in Höhe von 42% zu. Zusätzlich lassen sich als unterstützende Informationen auch die lokalen Prioritäten, die die direkten Einflüsse der Komplexitätsausprägungen und -formen angeben, sowie die Bedeutungsgewichte der Kosten- und Nutzenkategorien aufbereiten. In Abhängigkeit der übergeordneten Zielsetzungen, zu denen das Komplexitätsmanagement einen Beitrag leisten soll, werden auf Basis dieser Informationen in der folgenden Phase des Managementprozesses Strategien und Maßnahmen des Komplexitätsmanagements festgelegt.
6.1.3
Planungsphase des Komplexitätsmanagements
Aufbauend auf den Resultaten der ANP-Anwendung in der Analysephase ist es Gegenstand der Planungsphase, Zielsetzungen für das Komplexitätsmanagement zu definieren sowie Strategien und Maßnahmen festzulegen, um diese Zielsetzungen zu erreichen. Dem Komplexitätsbewertungsmodell kommt auch in dieser zweiten Phase eine hohe Bedeutung zu, da die zur Bewertung der Komplexität herangezogenen Kriterien (Kosten und Nutzen der Komplexität) für die Zieldefinition des Komplexitätsmanagements genutzt werden können sowie die globalen Prioritäten der Komplexitätsausprägungen die Wichtigkeit verschiedener Stellhebel des Komplexitätsmanagements angeben und somit die Informationsgrundlage für die Festlegung einer Strategie und die Planung konkreter Maßnahmen bilden. In der Marketingliteratur wird in der Planungsphase des Managementprozesses zwischen der Zielfestlegung, der Strategieplanung sowie der darauf aufbauenden
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
283
Planung von operativen Maßnahmen unterschieden.698 Dieser Aufteilung wird für die Planungsphase des Komplexitätsmanagementprozesses gefolgt.
6.1.3.1 Festlegung von Zielen für das Komplexitätsmanagement Das Komplexitätsbewertungsmodell nimmt keine direkte Messung des Ausmaßes der Komplexität oder der Höhe von Komplexitätskosten und -nutzen vor. Daher ist es nicht möglich, auf Basis der ANP-Resultate der Analysephase bezüglich dieser Modellgrößen direkte Ziele abzuleiten, die beispielsweise die Reduktion oder Erhöhung einer Komplexitätsform um einen bestimmten Grad oder Prozentsatz in der Planungsperiode fordern. Allerdings werden die Komplexitätswirkungen entweder aus dem Zielsystem des Unternehmens abgeleitet (wie im Fall der in der vorliegenden Arbeit zur Bewertung der Komplexität herangezogenen Nutzenkategorien)699 oder bei der unternehmensspezifischen Modellanpassung mit diesem verknüpft, um die Einbettung des Komplexitätsmanagements in das strategische Management zu gewährleisten.700 Entsprechend sind die betroffenen Größen des übergeordneten Zielsystems als indirekte Zielgrößen des Komplexitätsmanagements aufzufassen. In dem Komplexitätsbewertungsmodell, das der empirischen Untersuchung in Kapitel 5 zugrunde liegt, lassen sich entsprechend Kostenziele und Nutzenziele bestimmen. Werden – wie in der Analysephase beschrieben – zudem ergänzend Chancen und Risiken der Komplexität berücksichtigt, sind entsprechende Ziele zur Vermeidung von Risiken und Nutzung von Chancen zu formulieren. Sämtliche Ziele sind hinsichtlich Zielinhalt, -ausmaß und -zeitbezug exakt festzulegen.701 Die Resultate des Komplexitätsbewertungsmodells zeigen auf, anhand welcher Stellhebel ein Beitrag zur Erreichung dieser Ziele möglich ist. Erfolgt beispielsweise – wie im Zusammenhang mit der unternehmensspezifischen Anpassung des Modells in der Analysephase skizziert – auf übergeordneter Ebene eine Verknüpfung der Komplexitätskosten mit den Gemeinkosten des Unternehmens, lässt sich ermitteln, welche Stellhebel einen Beitrag zur Reduktion dieser Gemeinkosten leisten (z.B. über eine Reduktion der Komplexitätskosten der Koor698
699 700 701
Vgl. z.B. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 20ff.; Hadwich 2003, S. 191ff.; Frommeyer 2005, S. 183ff.; Bruhn 2009b, S. 92; Pfefferkorn 2009, S. 296ff.; Eichen 2010, S. 287ff. Vgl. hierzu Abschnitt 3.5. Vgl. Abschnitt 6.1.2. Vgl. Adam 1997, S. 100; ähnlich auch Bruhn 2009a, S. 27.
284
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
dination oder der Planung). Für die fiktiven Daten des Kostensubnetzwerks in Abbildung 24 zeigt sich, dass eine Kostenreduktion primär über die Veränderung der Ergebniskomplexität (42%) und der Prozesskomplexität (40%) erzielt werden kann oder – bei Betrachtung der Komplexitätsmerkmale – prioritär beim Interdependenzgrad im Unternehmen (32%) anzusetzen ist. Anhand der lokalen Prioritäten, die die verschiedenen Einflussgewichte zwischen den betrachteten Komplexitätsausprägungen und -formen angeben, lässt sich zudem im Detail nachvollziehen, auf welche Weise die Stellhebel ihre Wirkungen entfalten. Analog lassen sich Stellhebel in den Subnetzwerken der anderen Kontrollkriterien zu Nutzen sowie gegebenenfalls Chancen und Risiken identifizieren. Auch eine simultane Berücksichtigung von Kosten-, Nutzen-, Chancen- und Risikozielen ist möglich. Hierfür ist in der Kontrollhierarchie eine geeignete Formel zur Aggregation der Einzelergebnisse zu Kosten, Nutzen, Chancen und Risiken auszuwählen.702
6.1.3.2 Strategische Optionen des Komplexitätsmanagements Im Komplexitätsmanagement bestehen verschiedene Optionen einer Gestaltung der Komplexität. Unterscheiden lassen sich generische Komplexitätsstrategien sowie Strategieoptionen, bei denen in der inhaltlichen Ausrichtung verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden (vgl. Abbildung 25). Bezüglich der generischen Komplexitätsstrategien sind zunächst die – zumindest theoretisch denkbaren – Reinformen einer Komplexitätsreduktionsstrategie und einer Komplexitätserhöhungsstrategie zu nennen. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Komplexitätsphänomens ist allerdings anzunehmen, dass eine Hybridstrategie, die sowohl Aspekte der Komplexitätsreduktion als auch der Komplexitätserhöhung gleichermaßen umfasst, eine praxisrelevante Zwischenlösung darstellt, um sich dem am Kosten-Nutzen-Kalkül ausgerichteten optimalen Komplexitätsgrad anzunähern. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, bestimmte Komplexitätsformen, die einen besonders hohen Einfluss auf die Kosten haben, zu reduzieren, gleichzeitig andere Komplexitätsformen zur Steigerung des Kundennutzens zu erhöhen. Daher ist eine Konkretisierung der generischen Strategien anhand möglicher zu gestaltender Inhalte erforderlich. Hier bietet zunächst die inhaltliche Ausrichtung an den Dienstleistungsdimensionen und deren Komplexitätsformen einen 702
In die Software Super Decisions sind verschiedene additive und multiplikative Formeln integriert, die aber auch manuell an die Anwendungsbedürfnisse angepasst werden können. Zu möglichen Formeln vgl. z.B. Saaty 2001a; Saaty 2003, S. 104ff.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
285
Ansatzpunkt. In Abhängigkeit der übergeordneten Ziele ist eine Schwerpunktsetzung auf eine Strategie zur Veränderung der Ergebniskomplexität, der Prozesskomplexität oder der Potenzialkomplexität möglich. Die in der Analysephase aufbereiteten Ergebnisse leisten bei der Schwerpunktsetzung Hilfestellung. So legen die fiktiven Werte in Abbildung 24 zur Kostensenkung eine Reduktion der Ergebnis- und der Prozesskomplexität nahe. Dabei kommt im Detail insbesondere der Leistungsprogrammkomplexität mit 21% sowie der Komplexität der Leistungs-, Support- und Kundenprozesse mit 25% eine im Vergleich zu anderen Komplexitätsformen hohe Bedeutung zu. Innerhalb der Leistungsprogrammkomplexität leistet die Senkung der Interdependenzen (40%) sowie der Dynamik/ Veränderlichkeit (30%) im Leistungsprogramm den höchsten Beitrag zur Kostenreduktion.
Generische Strategieoptionen
Komplexitätserhöhung
Strategieausrichtung an den Dienstleistungsdimensionen
Komplexitätsreduktion
Hybridstrategie
Strategieausrichtung an den Komplexitätsmerkmalen
Ergebnisdimension
Prozessdimension
Potenzialdimension
Vielzahl
Vielfalt
Interdependenz Dynamik/ Veränderlichkeit
Abbildung 25: Strategische Optionen des Komplexitätsmanagements in Dienstleistungsunternehmen
Daneben ist auch eine Ausrichtung der Strategie an den Komplexitätsmerkmalen möglich. So kann die Strategie gezielt an der Reduktion oder Erhöhung der Vielzahl und Heterogenität an Elementen im System ansetzen und/oder systematisch die Veränderung des Interdependenzgrads sowie der Dynamik und Veränderlichkeit im Unternehmen anstreben. Wird beispielsweise die Veränderlichkeitsrate im Unternehmen als zu kostenintensiv angesehen (z.B. infolge hoher Mitarbeiterfluktuation), kann eine Stabilisierungsstrategie darauf ausgerichtet sein, die Dynamik bewusst zu senken. Im Zahlenbeispiel der Abbildung 24
286
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
kommt der Dynamik und Veränderlichkeit unter Kostenaspekten eine Bedeutung von 25% zu. Im Einzelnen erweisen sich hierbei die Dynamik im Mitarbeiterstamm (16%), die technologische Dynamik (14%) sowie die Veränderlichkeit im Leistungsprogramm (12%) als die zentralen Stellhebel. Aber auch die bewusste Steigerung der Dynamik und Veränderlichkeit im Unternehmen kann eine strategische Option darstellen, beispielsweise um den Mitarbeitern ein anspruchsvolles Tätigkeitsumfeld (Aufgabenkomplexität) zu bieten oder die Kreativität und Innovationskraft des Unternehmens zu steigern (z.B. durch einen konstant hohen Anteil neuer Mitarbeiter im Unternehmen, die neue Sichtweisen und Problemlösungskompetenzen in das Unternehmen bringen). Werden in das Komplexitätsbewertungsmodell entsprechende Nutzen- oder Chancenkriterien integriert, sind die zentralen Stellhebel den ANP-Ergebnissen des zugehörigen Subnetzwerks zu entnehmen. Bei den verschiedenen strategischen Optionen handelt es sich nicht um unabhängig voneinander bestehende oder sich ausschließende Alternativen. Ganz im Gegenteil ist gerade bei der Gestaltung von Komplexität immer die hohe Interdependenz zwischen den Komplexitätsformen und -ausprägungen zu bedenken. Jede Veränderung – egal ob zur Komplexitätserhöhung oder -senkung – einer Dienstleistungsdimension oder Komplexitätsform bringt zwangsläufig auch eine Veränderung bei den entsprechenden Komplexitätsmerkmalen der Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik mit sich und vice versa. Auch sind andere Komplexitätsformen von einer solchen Veränderung betroffen (beispielsweise die Materialkomplexität infolge einer Veränderung des Leistungsangebots). Daher geben die Strategieoptionen lediglich wieder, an welcher Stelle in diesem komplexen Gefüge angesetzt wird. Grundsätzlich hat die Planung einer Komplexitätsstrategie aber, wie in Abbildung 25 durch die Knotenpunkte angedeutet, immer unter ganzheitlicher Berücksichtigung aller Dienstleistungsdimensionen, Komplexitätsformen, -ausprägungen und -merkmale zu erfolgen. Hierbei leisten die Informationen des Komplexitätsbewertungsmodells zu den einzelnen Einflüssen zwischen Komplexitätsformen und -ausprägungen Hilfestellung.
6.1.3.3 Auswahl von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements Ein genau definierter Maßnahmenkatalog des Komplexitätsmanagements besteht nicht und ist in eindeutiger Form auch kaum vorstellbar. Vielmehr kommen als Maßnahmen der Komplexitätsgestaltung grundsätzlich alle Instrumente in Frage, die eine Veränderung der Komplexität im Unternehmen zur Folge ha-
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
287
ben.703 So sind z.B. sämtliche Maßnahmen des Produkt- und Servicemanagements, die einen Einfluss auf die Vielzahl, Vielfalt, Interdependenz und Dynamik des Leistungsprogramms haben, geeignet, die entsprechende Komplexität zu verändern.704 Gleiches gilt für Instrumente des Personalmanagements in Bezug auf die Mitarbeiterkomplexität.705 Somit handelt es sich bei den Maßnahmen des Komplexitätsmanagements nicht um ein originäres, ausschließlich oder ursprünglich auf die Gestaltung der Komplexität ausgerichtetes Instrumentarium. Mit Komplexitätsbezug werden in der Literatur verschiedene Einzelansätze diskutiert, die die Gestaltung einzelner Komplexitätsformen in den Mittelpunkt stellen (z.B. produktbezogen: Programmbereinigung, Modularisierung, Verlagerung des Variantenbestimmungszeitpunkts; auf Absatz- und Beschaffungsmärkte bezogen: Kundenbereinigung, Single Sourcing; personal- und organisationsbezogen: vertikale und horizontale Integration oder Segmentierung, Empowerment u.a.m.).706 Zur Beurteilung verschiedener Maßnahmen ist eine Modifikation des Komplexitätsbewertungsmodells möglich. Das Modell wird, wie in Abbildung 26 skizziert, um eine weitere Ebene und die Komponente ܥ ergänzt. Die in Komponente ܥ erfassten Maßnahmen werden dann hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Komplexitätsausprägungen beurteilt (anhand absoluter Werte oder in Form von Paarvergleichen) und so in das Modell eingebunden.707 Auch auf Ebene der Maßnahmen des Komplexitätsmanagements ist die gegenseitige Abhängigkeit der Komplexitätsformen und damit auch die Interdependenz der Wirkungen einzelner Maßnahmen zur Gestaltung der Komplexität zu beachten. Maßnahmen wirken sich „nicht nur auf die primär fokussierte Komplexitätsursache, sondern indirekt auch auf weitere Komplexitätstreiber aus.“708 Durch die Modifikation des Komplexitätsbewertungsmodells lässt sich 703 704 705 706 707
708
Vgl. ähnlich – allerdings nur bezüglich möglicher Ansätze zur Komplexitätsreduktion – Bliss 2000, S. 204. Vgl. zu den gestalterischen Optionen des Produkt- und Servicemanagements Bruhn/ Hadwich 2006. Vgl. zum Personalmanagement umfassend Stock-Homburg 2008. Vgl. insbesondere Bliss 2000, S. 196ff. sowie ähnlich auch Kirchhof 2003, S. 205ff. Hängt zudem die Bedeutung oder der Einfluss der Komplexitätsformen und -ausprägungen von den zur Auswahl stehenden Alternativen ab, ist auch eine Beurteilung der Komplexitätsformen und -ausprägungen hinsichtlich der Alternativen erforderlich (vgl. Werani 2004, S. 226; vgl. zur Berücksichtigung von unabhängigen Alternativen auch Peters 2008, S. 501f., 671ff.). Lasch/Gießmann 2009, S. 225.
288
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Kontrollhierarchie
Komponente : Kosten-Nutzen-Vergleich Ǥͳ : Kosten-Nutzen-Vergleich
ͷǤͳ : Kosten der Komplexität
Subnetzwerk zum Kostenkriterium
Komponente ͵: Komplexitätskostenarten
ͷǤʹ: Nutzen der Komplexität
Komponente Ͷ: Komplexitätsnutzenkategorien
Komponente ʹ: Komplexitätsformen
Komponente ͳ: Komplexitätsausprägungen
Komponente : Alternative oder kombinierte Maßnahmen des Komplexitätsmanagements z.B. Maßnahmen zur Veränderung - des Dienstleistungsergebnisses - der Dienstleistungsprozesse - der Dienstleistungspotenziale
oder ... - der Vielzahl - der Vielfalt - des Interdependenzgrads - der Dynamik/Veränderlichkeit
Beurteilung von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements
Komponente ͷ: Komplexitätskosten und -nutzen (Kontrollkriterien)
Subnetzwerk zum Nutzenkriterium
Gewinnung allgemeiner Informationen
anhand der globalen Prioritäten eine Präferenzreihenfolge für die alternativen Maßnahmen bestimmen, die die Interdependenz der verschiedenen Komplexitätsformen und -ausprägungen berücksichtigt. Aus den einzelnen Einflussgewichten der Komplexitätsformen und -ausprägungen (den lokalen Prioritäten) lässt sich das Zustandekommen dieser Präferenzreihenfolge im Detail ablesen.
im Dienstleistungsunternehmen
Abbildung 26: Modellstruktur zur Gewinnung allgemeiner Informationen sowie zur Beurteilung von Maßnahmen des Komplexitätsmanagements
6.1.4
Umsetzungsphase des Komplexitätsmanagements
Ziel der Umsetzungsphase des Komplexitätsmanagements ist die Implementierung von Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der komplexitätsbezogenen Zielsetzungen. In der Umsetzungsphase sind die Voraussetzungen für den richtigen Umgang mit Komplexität in Form von Strukturen, Systemen und einer entsprechenden Unternehmenskultur zu schaffen (vgl. Abbildung 27).
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Struktur
System
289
Analyse, Planung und Kontrolle des Komplexitätsmanagements auf Ebene der Unternehmensführung Umsetzung der Strategien in den betroffenen Unternehmensbereichen durch funktionsübergreifende Zusammenarbeit
Etablierung leistungsfähiger Datenverarbeitungs-, Informationsund Kommunikationssysteme zur Schaffung von Transparenz bezüglich der Komplexität und ihrer Wirkungen
Schaffung von Komplexitätskompetenz in Form von Kultur
Kenntnis und Verständnis der Strategien und Maßnahmen des Komplexitätsmanagements (interne Kommunikation) Fähigkeit und Bereitschaft zur Umsetzung der Strategien und Maßnahmen des Komplexitätsmanagements (personalpolitische Maßnahmen)
Abbildung 27: Strukturelle, systembezogene und kulturelle Umsetzung der Komplexitätsmanagementstrategie
Die institutionelle Implementierung709 der Komplexitätsstrategien befasst sich mit der Schaffung geeigneter Strukturen und Systeme. In Bezug auf die Strukturen zum Umgang mit Komplexität ist festzuhalten, dass dem Komplexitätsmanagement grundsätzlich eine Querschnittsfunktion zukommt. Dies zeigen die Ausführungen zu den Maßnahmen des Komplexitätsmanagements, die theoretisch sämtliche Funktionen und Bereiche des Unternehmens betreffen können. Eine organisatorische Aufhängung des Komplexitätsmanagements in einer „Komplexitätsmanagementabteilung“ ist aufgrund der vielfältigen Interdependenzen und Wirkungsweisen im gesamten Unternehmen nicht zweckmäßig. In zentralisierter Form können lediglich die Analyse, die Planung und die abschließende Kontrolle des Komplexitätsmanagements durchgeführt werden. Umso wichtiger ist daher allerdings die in Abschnitt 6.1 thematisierte Verortung dieser drei Teilbereiche des Komplexitätsmanagements auf übergeordneter Ebene in der Unternehmensführung. Die Umsetzung der Strategien und Maßnahmen sollte dagegen in den betroffenen Unternehmensbereichen und – um den Interdependenzen des Komplexitätsphänomens gerecht zu werden – in funktionsübergreifender Zusammenarbeit erfolgen.
709
Vgl. zu verschiedenen Ebenen der Implementierung Bruhn 2009b, S. 223ff.
290
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Um sowohl die übergeordnete Analyse, Planung und Kontrolle als auch die funktionsübergreifende Strategie- und Maßnahmenumsetzung zu ermöglichen, ist die Etablierung von ausreichend leistungsfähigen Datenverarbeitungs-, Informations- und Kommunikationssystemen erforderlich. Diese Systeme haben in der Lage zu sein, die Komplexität und ihre Wirkungen im Unternehmen zu erfassen und in allen Phasen des Komplexitätsmanagementprozesses die benötigten Informationen bereitzustellen. Bei der Gestaltung dieser Systeme ist insbesondere darauf zu achten, dass die beabsichtigte Unterstützung des Komplexitätsmanagements nicht durch eine zu hohe Eigenkomplexität der Systeme konterkariert wird.710 Gegenstand der personellen Implementierung711 des Komplexitätsmanagements ist darüber hinaus die Schaffung einer Unternehmenskultur, die den richtigen Umgang mit Komplexität fördert. Die Unternehmenskultur umfasst die von Mitarbeitern geteilten Denk- und Verhaltensmuster, die deren Entscheidungen und Handeln beeinflussen.712 Die Implementierung einer Strategie erfordert bei den Mitarbeitern die Kenntnis und das Verständnis der Strategie sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zu deren Umsetzung.713 Die personelle Komponente der Umsetzungsphase betrifft somit die subjektive Komplexität im Unternehmen, d.h. die Komplexitätswahrnehmung und das daraus resultierende Verhalten der Mitarbeiter. Fehlen den Mitarbeitern die notwendigen Fähigkeiten zum Umgang mit Komplexität, kann es im Extrem zu einer Leugnung der Komplexität und somit zur vollständigen Nichtbeachtung ihrer Auswirkungen kommen.714 Zentrales Umsetzungsziel des Komplexitätsmanagements ist daher die Schaffung von Komplexitätskompetenz in Form von Kenntnis und Verständnis der Strategie sowie Fähigkeit und Bereitschaft zu deren Umsetzung. Dem Komplexitätsbewertungsmodell kommt dabei eine kommunikative Funktion zu. Zur Sicherstellung der unternehmensweiten Umsetzung von Strategien und Maßnahmen ist bei den Mitarbeitern Transparenz bezüglich der Komplexität und ihrer Wirkungen im Unternehmen zu schaffen. Bei der Durchführung der Fallstudien in der vorliegenden Arbeit hat sich bereits in der Befragungssituation gezeigt, wie die Beschäftigung mit der Komplexitätsthematik eine Veränderung im Komplexitätsbewusstsein hervorruft. Im Komplexitätsmanage-
710 711 712 713 714
Vgl. Becker/Rosemann 1998, S. 112. Vgl. Bruhn 2009b, S. 224. Vgl. Heinen/Dill 1990, S. 17. Vgl. Kolks 1990, S. 111; Raps 2004, S. 169f., 216. Vgl. Reiß 1993b, S. 57.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
291
ment ist diese Wahrnehmungsveränderung und damit die Kenntnis und das Verständnis für komplexitätsbezogene Fragestellungen systematisch herbeizuführen. Darüber hinaus sind zur Vervollständigung der Komplexitätskompetenz auch personalpolitische Maßnahmen, wie z.B. Weiterbildungen, einzusetzen, die die Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbeiter zum Umgang mit Komplexität fördern (z.B. in Form von Fach- und Methodenkompetenz).
6.1.5
Kontrollphase des Komplexitätsmanagements
Der Regelkreis des Managementprozesses schließt sich mit der Kontrollphase. Gegenstand der Kontrollphase ist die Überprüfung der gesetzten Ziele sowie die langfristige Beobachtung der Komplexität und ihrer Wirkungen im Rahmen eines Tracking-Systems. Das Komplexitätsmanagement kann nur dann langfristig erfolgreich zu den Zielen des Unternehmens beitragen, wenn seine Strategien und Maßnahmen regelmäßig kontrolliert und gegebenenfalls Anpassungen vorgenommen werden, um Fehlentwicklungen entgegenzusteuern. Die erstmalige Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells liefert dem Unternehmen vielfältige Informationen über die Treiber und Wirkungen der Komplexität im Unternehmen. Aber erst die über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholte Messung gibt Aufschluss über die tatsächliche Wirksamkeit des Komplexitätsmanagements. Hierzu ist ein auf dem Komplexitätsbewertungsmodell basierendes Kennzahlensystem zu entwickeln.715 Der Aufbau eines solchen Kennzahlensystems lässt sich direkt aus der Struktur des Komplexitätsbewertungsmodells übernehmen. Dabei sollte das System sämtliche im Komplexitätsbewertungsmodell erfassten Komplexitätsformen und -ausprägungen umfassen und ihre Bedeutung (globale Prioritäten im Modell) angeben. Auch die einzelnen Wirkungsbeziehungen zwischen den Modellelementen sind zu erfassen (lokale Prioritäten im Modell). Die Informationen zu den Komplexitätswirkungen sind analog aufzubereiten. Darüber hinaus sind in das Kennzahlensystem Angaben zu Inhalt, Ausmaß und Zeitbezug der angestrebten Ziele sowie zu den Maßnahmen zu integrieren, die zur Gestaltung der Komplexität ergriffen wurden. So sind alle relevanten Informationen zusammengestellt, die für eine regelmäßige Kontrolle der Komplexität und ihrer Wirkungen erforderlich sind. In Abbildung 28 ist exemplarisch der Aufbau eines Ausschnitts aus einem möglichen Kennzahlensystem dargestellt. 715
Vgl. zur Forderung nach einem komplexitätsbezogenen Kennzahlensystem auch Lasch/Gießmann 2009, S. 228.
292
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Legende:
Zielgröße
KA = Komplexitätsausprägung KF = Komplexitätsform
t1
t2
t3
Soll Ist
Einfluss Æ
Einfluss Æ
t0
t0
t1
t2
t1
t2
Einfluss Æ t0
t1
t2
Bedeutung KF
Bedeutung KF
t0
t0
t1
t2
t1
t2
Einfluss Æ t0
Einfluss ǤͳÆ t0
t1
t1
t2
Einfluss ǤʹÆ
t2
t0
Bedeutung KA Ǥͳ
Bedeutung KA Ǥʹ
t0
t0
t1
t2
t1
t1
t2
t2
Maßnahme in t0
Maßnahme in t1
Inhalt
Inhalt
Ausmaß
Ausmaß
Abbildung 28: Beispiel für ein Kennzahlen- und Trackingsystem zum Komplexitätsbewertungsmodell (Ausschnitt)
Die Systematik erlaubt die Erfassung von sowohl der Bedeutung der Komplexitätsformen und -ausprägungen als auch der Einflussgewichte zwischen diesen. Die Werte werden jeweils zum Ende der Planungsperioden anhand des Komplexitätsbewertungsmodells erhoben. Durch die wiederholte Messung ist es möglich, Veränderungen der Bedeutungen oder Einflussgewichte aufzudecken, die infolge der ergriffenen Maßnahmen auftreten. Ungewollte oder unerwartet starke Veränderungen sind vor dem Hintergrund der Maßnahmen und Ziele zu analysieren und bei der Zielfestlegung und Maßnahmenplanung nachfolgender Planungsperioden zu berücksichtigen. Bei der Analyse der Veränderung ist auch
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
293
kritisch zu hinterfragen, ob die Veränderung auf die ergriffene Maßnahme zurückzuführen oder ein Resultat der Eigendynamik im System ist. Darüber hinaus bildet das Kennzahlensystem die mit dem Komplexitätsmanagement verfolgten Zielsetzungen ab, die entweder die im Komplexitätsbewertungsmodell enthaltenen Komplexitätswirkungen – soweit quantifizierbar – oder übergeordnete messbare Zielgrößen widerspiegeln, mit denen die Komplexitätsformen und -wirkungen verknüpft wurden. Der Soll-Wert für ݐଵ wird aus den übergeordneten Zielen abgeleitet, zu denen das Komplexitätsmanagement beitragen soll. Beispielsweise wird aus dem übergeordneten Ziel „Erhöhung der Kundenbindung um ݔΨ“ für das Komplexitätsmanagement das Ziel „Verringerung der Konsumentenverwirrung, die aus der Komplexität des Leistungsangebot resultiert, um den Faktor ݕbis ݐଵ “ abgeleitet. Der in ݐଵ gemessene Ist-Wert der Zielgröße zeigt im Vergleich zum Soll-Wert den Zielerreichungsgrad. Aus dem Zielerreichungsgrad sind Aussagen über die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen abzuleiten und bei den nachfolgenden Planungen zu berücksichtigen. Schließlich sind in dem Kennzahlensystem auch die Maßnahmen zur Veränderung der Komplexität erfasst. Die Maßnahme im Zeitpunkt ݐ basiert auf dem für ݐଵ festgelegten Ziel und den Bedeutungen und Einflussgewichten, die den Komplexitätsformen und -ausprägungen in ݐ in Bezug auf dieses Ziel zukommt. Die Maßnahme (z.B. Bereinigung des Leistungsprogramms) selbst wirkt wiederum auf die Komplexitätsausprägungen (z.B. Zahl und Heterogenität der angebotenen Leistungsvarianten), darüber auf die Komplexitätsformen (die Leistungsprogrammkomplexität) und so letztendlich auf die Zielgröße (die Verringerung der Konsumentenverwirrung). Die Planung der Maßnahme in der Folgeperiode ݐଵ erfolgt auf Basis (a) der gewonnenen Erkenntnisse zur Wirksamkeit der in ݐ ergriffenen Maßnahmen, (b) der aktuellen, in ݐଵ gemessenen Bedeutungen und Einflussgewichte der Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie (c) der Zielvorgaben für ݐଶ . Insgesamt ermöglicht das in Abbildung 28 skizzierte Kennzahlen- und TrackingSystem eine umfassende und kontinuierliche Kontrolle der anhand des Komplexitätsbewertungsmodells ermittelten Resultate. Durch eine regelmäßige Erfassung der Informationen wird das frühzeitige Erkennen von Fehlentwicklungen erreicht. Die Erkenntnisse, die aus dem Kennzahlensystem gewonnen werden, fließen zudem wie dargestellt in die nachfolgenden Analysen und Planungen des Komplexitätsmanagements ein. Mittel- bis langfristig trägt das Kennzahlen- und Tracking-System so auch zu einem nachhaltigen Erkenntnisgewinn und Wissenszuwachs über die Komplexität und ihre Wirkungen im Unternehmen bei.
294
6.2
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Implikationen für die wissenschaftliche Forschung
Aus der vorliegenden Arbeit lassen sich neben den Implikationen für das Komplexitätsmanagement auch Ansatzpunkte für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Komplexität in Dienstleistungsunternehmen identifizieren. Konzeptionelle Forschungsarbeiten können auf dem in dieser Arbeit entwickelten Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen aufbauen. Methodischer Forschungsbedarf zeigt sich bezüglich des Komplexitätsbewertungsmodells und der Anwendung des ANP auf komplexitätsbezogene Fragestellungen. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf in Form weiterer empirischer Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells (vgl. Tabelle 37). Forschungsschwerpunkt
Zukünftiger Forschungsbedarf
konzeptionell
(1) Variation des Detaillierungsgrads (Grobkörnigkeit) und Differenzierung nach Dienstleistungsbranchen (2) Funktionsspezifische Erweiterung des Bezugsrahmens (3) Erweiterung des Bezugsrahmens um Formen der externen Komplexität
methodisch
(4) Weiterentwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells (5) Entwicklung von Gütekriterien zur Beurteilung der Ergebnisse (6) Forschung zu geeigneten Erhebungsmethoden
empirisch
(7) Breite empirische Untersuchung der Komplexität und ihrer Wirkungen (8) Längsschnittanalysen zur Entwicklung der Komplexität
Tabelle 37:
6.2.1
Ansatzpunkte für zukünftige Forschungsarbeiten
Konzeptioneller Forschungsbedarf
Wie in Abschnitt 1.2.3 grundlegend beschrieben, ist für komplexitätsbezogene Fragestellungen eine genaue Definition des Bezugsobjekts der Komplexität erforderlich. Entsprechend wurde auch für die vorliegende Arbeit eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen. Dies lässt Spielraum für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Bezugsrahmens der Komplexität, z.B. über eine Variation des Detaillierungsgrads in Verbindung mit einer branchenspezifischen Differenzierung, über eine funktionsspezifische Erweiterung des Bezugsrahmens oder über den Einbezug weiterer Komplexitätsformen. (1) Variation des Detaillierungsgrads (Grobkörnigkeit) und Differenzierung nach Dienstleistungsbranchen In der vorliegenden Arbeit wurde allgemein das System „Dienstleistungsanbieter“ als Bezugsobjekt in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt und ein De-
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
295
taillierungsgrad gewählt, der eine allgemeingültige und gleichermaßen auf verschiedene Dienstleistungsbranchen anwendbare Definition potenzieller Komplexitätsformen im Unternehmen ermöglicht. Die Betrachtungsebene kann allerdings variiert und damit der Bezugsrahmen verfeinert werden. Während beispielsweise in der vorliegenden Arbeit die Leistungs-, Support- und Kundenprozesse aggregiert in ihrer Vielzahl, Vielfalt, Veränderlichkeit und Interdependenz berücksichtigt wurden, ist eine weitere Differenzierung nach konkreten (Teil-) Prozessen möglich. Auch die im Bezugsrahmen dieser Arbeit aggregiert erfassten Schnittstellen im System lassen sich weiter differenzieren nach internen Schnittstellen zwischen Abteilungen, Standorten oder auch verschiedenen Technologien und externen Schnittstellen zum Kunden (Kundenkontaktpunkte). Einen Mehrwert bringt die Erhöhung des Detaillierungsgrads dabei insbesondere in Zusammenhang mit einer Differenzierung des Bezugsrahmens für verschiedene Dienstleistungsbranchen. Durch diese Kombination lassen sich weitere Erkenntnisse über dienstleistungsspezifische Komplexitätsursachen, -formen und -wirkungen generieren, die ein tieferes Verständnis des Komplexitätsphänomens ermöglichen. (2) Funktionsspezifische Erweiterung des Bezugsrahmens Zur Strukturierung des Systems „Dienstleistungsanbieter“ wurde in der vorliegenden Arbeit die Dreiteilung in Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse gewählt. Für diese drei Dimensionen erfolgte die Definition von Komplexitätsformen. Eine Erweiterung des so entwickelten Bezugsrahmens ist hinsichtlich betrieblicher Funktionsbereiche denkbar, um neben der „Art der Komplexitätswirkungen“ (Komplexitätsformen sowie deren Kosten- und Nutzenwirkungen) auch Anhaltspunkte über den „Ort der Komplexitätswirkungen“ zu gewinnen. Eine solche Erweiterung des Bezugsrahmens ermöglicht oder erfordert eventuell sogar die funktionsspezifische Ergänzung der Komplexitätsformen (z.B. Beschaffungskomplexität, Marketingkomplexität oder Vertriebskomplexität). Die Integration betrieblicher Funktionen in das Komplexitätsbewertungsmodell vereinfacht auch die Verknüpfung der Komplexität mit quantifizierbaren Zielgrößen im Unternehmen. Wird im Komplexitätsbewertungsmodell beispielsweise erfasst, welche relative Bedeutung die Komplexitätskostenarten in verschiedenen Unternehmensbereichen oder -funktionen haben, können diesen relativen Bedeutungen die in der Kostenstellenrechnung ermittelten monetären
296
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
Kosten der Bereiche gegenübergestellt werden.716 Lassen sich dem Unternehmensbereich zudem auch Nutzenwirkungen zuordnen, ist ein Kosten-NutzenKalkül des Komplexitätsmanagements auch bereichsspezifisch möglich. (3) Erweiterung des Bezugsrahmens um Formen der externen Komplexität Im Bezugsrahmen der Komplexität in Dienstleistungsunternehmen wurde der Fokus auf die internen Komplexitätsformen gelegt. Unternehmensexterne Einflüsse werden lediglich in Form des Kunden als externer Faktor berücksichtigt, der in die Prozesse der Leistungserstellung integriert wird. Darüber hinaus hat die Kundenstrukturkomplexität zumindest einen direkten Bezug zur Nachfragekomplexität, wenn sich das Unternehmen für eine differenzierte Marktbearbeitung gemäß heterogener Kundenwünsche entscheidet. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Komplexität des Unternehmensumfelds – der Absatz- und Beschaffungsmärkte, des gesellschaftlichen/politischen Umfelds u.a.m. – die interne Komplexität maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus wird umgekehrt auch das Unternehmen versuchen, Einfluss auf die externe Komplexität auszuüben. Eine Erweiterung des Bezugsrahmens um Formen der externen Komplexität und dabei insbesondere die Identifikation der Interdependenzen zwischen externen und internen Komplexitätsformen bietet somit weitere Ansatzpunkte für zukünftige konzeptionelle Forschungsarbeiten zur Komplexität in der Dienstleistungsbranche.
6.2.2
Methodischer Forschungsbedarf
In der vorliegenden Arbeit konnten auf Basis des ANP empirische Erkenntnisse über die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen generiert und ihre unterschiedlichen Wirkungen auf Komplexitätskosten und -nutzen verdeutlicht werden. Die hierbei gewählte Vorgehensweise ist zukünftig hinsichtlich ihres Weiterentwicklungspotenzials zu überprüfen. Methodischer Forschungsbedarf besteht in Bezug auf die Inhalte und die Struktur des Komplexitätsbewertungsmodells, hinsichtlich der Entwicklung von Gütekriterien zur Beurteilung der Ergebnisse sowie bei der Erhebungsmethodik.
716
In der Kostenstellenrechnung erfolgt eine „Verrechnung der Kostenarten auf die Orte ihrer Entstehung“ (Coenenberg 1999, S. 74). Die Bildung von Kostenstellen orientiert sich z.B. an funktionalen oder räumlichen Kriterien sowie auch an Verantwortungsbereichen im Unternehmen (vgl. Niethammer 1992, S. 407; Fischbach 2004, S. 89).
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
297
(4) Weiterentwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells Methodische Forschungsarbeiten zur Weiterentwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells sind zum einen hinsichtlich der Inhalte, zum anderen auch hinsichtlich der Struktur des Modells zweckmäßig. In inhaltlicher Hinsicht sind Überlegungen anzustellen, wie die Umsetzung der in Abschnitt 6.2.1 thematisierten konzeptionellen Erweiterungen des Bezugsrahmens der Komplexität im Komplexitätsbewertungsmodell erfolgen kann. Von zentraler Bedeutung, insbesondere auch für praktische Anwendungen des Komplexitätsbewertungsmodells, ist hierbei die Verknüpfung der Modellgrößen mit ökonomischen Ziel- und Erfolgsgrößen der Unternehmensführung. Gelingt es, diese Verbindung herzustellen, ist eine monetäre Quantifizierung sowohl positiver als auch negativer Komplexitätswirkungen und eine entsprechende Fundierung von Strategien und Maßnahmen des Komplexitätsmanagements möglich. Dies würde einen wesentlichen Fortschritt in der betriebswirtschaftlichen Auseinandersetzung mit Komplexität und ihren Wirkungen bedeuten. In struktureller Hinsicht haben sich zukünftige Forschungsarbeiten primär mit der Gestaltung der Subnetzwerke des Komplexitätsbewertungsmodells zu beschäftigen. In der vorliegenden Arbeit wurden die Interdependenzen, die für das Komplexitätsphänomen typisch sind, zwischen den Komplexitätsformen modelliert. Eine Alternative hierzu besteht in der Modellierung der gegenseitigen Einflüsse auf Ebene der einzelnen Komplexitätsausprägungen. Diese Alternative hat den Vorteil, dass sie die Ableitung differenzierterer Erkenntnisse über die Wirkungsweisen der Komplexität erlaubt. Das zentrale Problem ist dabei allerdings die kombinatorische Menge an möglichen Interdependenzen im Modell: Bei den in der vorliegenden Arbeit für die zehn Komplexitätsformen definierten 37 Komplexitätsausprägungen ergeben sich 1332 potenzielle Wirkungsbeziehungen.717 Hinzu kommt, dass in der Folge auch die Wirkungen der Komplexitätsausprägungen auf die Kosten- und Nutzenkategorien im Detail abzubilden sind. Hier ist im Rahmen methodischer Forschungsarbeiten eine Vorgehensweise zu erarbeiten, wie eine fundierte und möglichst exakte Bestimmung der tatsächlich bestehenden oder der für eine Untersuchung relevanten Interdependenzen erreicht werden kann. Inwieweit der Vorteil differenzierterer Ergebnisse den zusätzlichen Aufwand bei der Modellbildung und Erhebung rechtfertigt, ist auf Basis von Vergleichsstudien zu eruieren.
717
Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.3.4.
298
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
(5) Entwicklung von Gütekriterien zur Beurteilung der Ergebnisse Ein wesentliches Defizit des ANP ist der Mangel an Gütekriterien zur Beurteilung der Qualität der ermittelten Ergebnisse. Evaluationskriterien, die über die Konsistenzwerte und die primär an grafischen Darstellungen ausgerichtete Sensitivitätsanalyse hinausgehen, bietet der Ansatz nicht. Gängige Gütekriterien zur Beurteilung von Messinstrumenten sind die Validität (Gültigkeit) und die Reliabilität (Zuverlässigkeit) der Messung.718 Während zumindest die inhaltliche Validität des Komplexitätsbewertungsmodells durch den Einbezug von Experten bei der Modellentwicklung weitgehend sichergestellt werden kann (Expertenvalidität), gestaltet sich die Überprüfung der Reliabilität schwieriger. Eine Überprüfung durch mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Messungen (Wiederholungsreliabilität) kann bei zu kurzem zeitlichen Abstand der Erhebungen aufgrund des Erinnerungsvermögens der Befragten, bei zu langem Zeitabstand dagegen durch die Dynamik und Veränderlichkeit des Komplexitätsphänomens verfälscht werden. Der Vergleich paralleler Messungen, die mit unterschiedlichen Messinstrumenten durchgeführt werden (Paralleltestreliabilität), ist infolge eines Mangels an Alternativen zum Komplexitätsbewertungsmodell nicht durchführbar. Vielversprechend erscheinen dagegen Gütekriterien zur Objektivität, die angeben, ob die Messwerte personenunabhängig zustande kommen.719 Eine Erhebung des Komplexitätsbewertungsmodells bei mehreren Mitarbeitern des Unternehmens ermöglicht einen Vergleich der abgegebenen Paarvergleichsurteile sowie – bei personenindividueller Auswertung des Modells – der lokalen und globalen Prioritäten. Hier sollten weitere Forschungsarbeiten ansetzen und insbesondere klären, anhand welcher statistischer Methoden und Kennzahlen die Ähnlichkeit der verschiedenen individuellen Antworten und Ergebnisse gemessen und damit die Objektivität der Komplexitätsmessung im Komplexitätsbewertungsmodell belegt werden kann. (6) Forschung zu geeigneten Erhebungsmethoden Wie in Abschnitt 5.4 dargestellt, sind die Resultate des ANP-Ansatzes immer nur in Relation zu sämtlichen im Modell berücksichtigten Aspekten der Problemstellung interpretierbar, weshalb die theoretisch richtige Vorgehensweise bei der Analyse von Komplexität nur in einer Anwendung des gesamten Komplexitätsmodells mit allen Komplexitätsformen bestehen kann. Allerdings zeigt bereits die Anwendung des Teilmodells in Kapitel 5, dass die Untersuchung mehrerer
718 719
Vgl. hierzu und im Folgenden Hammann/Erichson 2000, S. 92ff. Vgl. Fantapié Altobelli 2007, S. 166.
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
299
Komplexitätsformen und ihrer Wirkungen mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Die Umsetzung der in Abschnitt 6.2 vorgeschlagenen Ergänzungen und Modifikationen des Modells verstärken diese Problematik zusätzlich. Ein zentraler methodischer Forschungsbedarf besteht folglich in der Identifikation oder Entwicklung geeigneter Vorgehensweisen zur Reduktion des Erhebungsaufwands. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, in der zukünftigen Forschung anhand von vergleichenden empirischen Untersuchungen alternative Erhebungsmethoden hinsichtlich ihrer Eignung zur Messung von Komplexität zu überprüfen. Im Rahmen der Analysephase des Komplexitätsmanagements (vgl. Abschnitt 6.1.2.2) wurden Einzelbefragungen und Gruppeninterviews sowie ergänzend eine iterative Vorgehensweise bei der Erhebung diskutiert. Welche Vor- und Nachteile diese Möglichkeiten in Bezug auf die Durchführung sowie auf die Ergebnisqualität aufweisen, ist in zukünftigen Studien zu eruieren.
6.2.3
Empirischer Forschungsbedarf
Neben dem konzeptionellen und methodischen Forschungsbedarf besteht zudem ein empirischer Forschungsbedarf hinsichtlich der Überprüfung und Ergänzung der auf Basis des Komplexitätsbewertungsmodells generierten empirischen Erkenntnisse. (7) Breite empirische Untersuchung der Komplexität und ihrer Wirkungen Aufgrund des inhaltlichen und methodischen Neuigkeitsgrads der vorliegenden Studie wurde bei der empirischen Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells eine explorative Vorgehensweise gewählt, die auf Basis von Fallstudien erste Erkenntnisse über die Komplexität und ihre Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen liefert. In jedem Unternehmen wurden zwischen zwei und fünf, insgesamt 21 Personen befragt. Die Resultate zeigen zwar grundsätzlich die Eignung des Komplexitätsbewertungsmodells auf. Auch ergaben die Auswertungen Parallelen innerhalb der betrachteten Branchen sowie teilweise deutliche Unterschiede zwischen den Branchen. Über die unternehmensindividuellen Bedeutungen und Einflussgewichte hinaus erlauben die Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahl allerdings nur Tendenzaussagen bezüglich der Relevanz der betrachteten Komplexitätsformen und -wirkungen. Zukünftiger Forschungsbedarf besteht folglich hinsichtlich breit angelegter empirischer Untersuchungen auf Basis des Komplexitätsbewertungsmodells, die allgemeingültige und repräsentative Ergebnisse generieren und so eine Überprüfung der in der vorliegenden Arbeit gewonnenen ersten Einsichten in die Thematik ermöglichen.
300
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
(8) Längsschnittanalysen zur Entwicklung der Komplexität In den Managementimplikationen (vgl. Abschnitt 6.1.1) wurde die Wichtigkeit des kontinuierlichen Komplexitätsmanagements in Form eines andauernden Regelkreises aus Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle hervorgehoben. Für die Festlegung, wie häufig die Kontrolle und die darauf aufbauende erneute Analyse und Planung erforderlich sind, sind Informationen über die Veränderlichkeit der Komplexität von Bedeutung. Sind die Bedeutungen und Einflussgewichte verschiedener Komplexitätsformen und -ausprägungen im Zeitablauf relativ konstant, ist die Anwendung des Komplexitätsbewertungsmodells in geringer Frequenz ausreichend. Ein weiteres bedeutsames Forschungsfeld besteht daher in der langfristig angelegten Untersuchung der Veränderung von Komplexität in Dienstleistungsunternehmen. Während in den Fallstudien der vorliegenden Arbeit lediglich eine statische Zeitpunktbetrachtung vorgenommen wird, lassen sich über Längsschnittanalysen dynamische Aspekte der Komplexität erfassen und so weitere wichtige Erkenntnisse über die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen gewinnen.
6.3
Fazit
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Feststellung, dass Komplexität eine zentrale Herausforderung für das Management von Unternehmen darstellt, eine umfassende Betrachtung des Komplexitätsphänomens im Kontext von Dienstleistungsunternehmen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung allerdings bisher fehlt. Mit der vorliegenden Arbeit wird diese Lücke in konzeptioneller, methodischer und empirischer Hinsicht geschlossen und damit ein wichtiger Beitrag sowohl zur dienstleistungs- als auch zur komplexitätsbezogenen Forschung erbracht. Der konzeptionelle Beitrag dieser Arbeit besteht in der Entwicklung eines umfassenden Bezugsrahmens der Komplexität sowie ihrer Wirkungen in Dienstleistungsunternehmen. Konzeptionelle Arbeiten zur Komplexität in allgemeinem betriebswirtschaftlichem Zusammenhang wurden auf den Dienstleistungskontext übertragen und dabei den Besonderheiten von Dienstleistungen als Komplexitätsursache Rechnung getragen. Da sich die betriebswirtschaftliche Relevanz der Komplexität aus ihren Kosten- und Nutzenwirkungen ergibt, erfolgte zudem eine dienstleistungsspezifische Diskussion und Definition möglicher Komplexitätskostenarten und Komplexitätsnutzenkategorien. Aufgrund des in der bestehenden Literatur festzustellenden Mangels an geeigneten Methoden zur Messung von Komplexität und ihren Wirkungen wurde darauf-
Implikationen für Praxis und Wissenschaft
301
hin mit dem ANP ein Ansatz vorgestellt, dessen Eignung für die Untersuchung komplexitätsbezogener Fragestellungen sich aus seiner Flexibilität bei der Abbildung realer Sachverhalte ergibt. Auf Basis des ANP wurde ein Modell entwickelt, das eine Beurteilung von Komplexitätsformen und -ausprägungen hinsichtlich ihrer Kosten- und Nutzenwirkungen und unter Berücksichtigung der Interdependenz zwischen verschiedenen Komplexitätsformen ermöglicht. In Fallstudien mit sechs Unternehmen aus drei Dienstleistungsbranchen konnten anhand dieses Modells erste empirische Erkenntnisse über die Bedeutung und Interdependenz verschiedener Komplexitätsformen und -ausprägungen sowie deren Kosten- und Nutzenwirkungen gewonnen werden. Aus den Erfahrungen, die bei der Erarbeitung des Bezugsrahmens, bei der Entwicklung des Komplexitätsbewertungsmodells sowie bei dessen Anwendung gesammelt wurden, ließen sich zum einen praxisbezogene Implikationen für das Management der Komplexität, zum anderen wissenschaftsbezogene Implikationen zu weiterem Forschungsbedarf ableiten. Insbesondere die wissenschaftsbezogenen Implikationen zeigen, dass bezüglich der Durchdringung des Komplexitätsphänomens nach wie vor eine Vielzahl offener Fragen besteht. Die weitere Forschung zur Beantwortung dieser Fragestellungen lässt auch zukünftig wichtige Erkenntnisse über die Komplexität in Dienstleistungsunternehmen erwarten.
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Anhang Anhang 1:
Liste der befragten Experten ......................................
330
Anhang 2:
Fragebögen der Vorstudie zur Auswahl der zu untersuchenden Komplexitätsformen..............
331
Teil 1: Ausprägung der Komplexitätsformen ............
331
Teil 2: Einschätzung der Kosten- und Nutzenwirkungen der Komplexitätsformen ...............
333
Anhang 3:
Fragebogen der Hauptuntersuchung ..........................
335
Anhang 4:
Verteilung, Standardabweichung und geometrisches Mittel der Paarvergleiche (am Beispiel von Versicherung B) .............................
349
330
Anhang
Anhang 1: Liste der befragten Experten Bei der Entwicklung des Bezugsrahmens der Komplexität sowie ihrer Kostenund Nutzenwirkungen in Dienstleistungsunternehmen wurden folgende Personen als Experten hinzugezogen: Datum und Ort der Gespräche
Befragte Person
Unternehmen
Funktion
Prof. Dr. Dominik Georgi
Frankfurt School of Finance & Management, Deutsche Bank Professur für Retail Banking und Dienstleistungsmanagement
Lehrstuhlinhaber
16.07.2009, telefonisch
Prof. Dr. Karsten Hadwich
Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement
Lehrstuhlinhaber
29.05.2009 und 26.06.2009, Basel
Dr. Kristina Lasotta
Zurich Financial Services
Manager Brand Research
03.07.2009, Basel
Dr. Eva Pfefferkorn
Universität Basel, Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
10.07.2009, Basel
Dr. Dirk Steffen
DHL Express (Switzerland)
Business Development Manager, verantwortlich für Prozessoptimierungen auf Basis von Six Sigma
03.06.2009, Basel
(Anonym)
Unternehmen der Logistikbranche
Produktmanager
06.07.2009, Basel
Zum Verfahren des Analytic Network Process (ANP) und zur Evaluation des ANP-Modells zur Bewertung von Komplexität und ihren Wirkungen wurden folgende Experten konsultiert: Datum und Ort der Gespräche
Befragte Person
Unternehmen
Funktion
Rozann W. Saaty
Creative Decisions Foundation sowie RWS Publications, Pittsburgh, USA
Vice President of the Creative Decisions Foundation, Mitentwicklerin der ANPSoftware Super Decisions (gemeinsam mit W. J. Adams)
per Email
a.o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Werani
Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Handel, Absatz und Marketing
Stellvertretender Institutsvorstand
21.07.2009, telefonisch sowie per Email
Anhang
331
Anhang 2: Fragebögen der Vorstudie zur Auswahl der zu untersuchenden Komplexitätsformen Teil 1: Ausprägung der Komplexitätsformen Nachfolgend werden 11 verschiedene Komplexitätsformen beschrieben. Die Beschreibung - auf der linken Seite steht für eine geringe Ausprägung der Komplexitätsform, - auf der rechten Seite steht für eine hohe Ausprägung der Komplexitätsform. Wie würden Sie Ihr Unternehmen hinsichtlich der Ausprägung der Komplexitätsformen einschätzen? Geben Sie Ihre Einschätzung bitte auf der Skala von -3 bis +3 an, wobei -3 für eine geringe Ausprägung der Komplexität und +3 für eine hohe Ausprägung der Komplexität steht. -3
Leistungsprogrammkomplexität
Unser Leistungsprogramm besteht aus relativ wenigen Leistungen/Leistungsvarianten und wird nur selten verändert.
-2
-1
0
1
2
3 Unser Leistungsprogramm bietet sehr viele Leistungen und Leistungsvarianten und verändert sich laufend durch z.B. Leistungsinnovationen und -eliminationen.
Unsere Dienstleistungen sind sehr einfach und setzen sich aus nur wenigen Teilleistungen Dienstleistungszusammen. Kundenindividuelle komplexität Anpassungen von Leistungen sind nicht oder nur in Ausnahmefällen vorgesehen.
Unsere Dienstleistungen sind sehr komplex und bestehen aus vielen interdependenten Teilleistungen. Zudem bieten wir Kunden viele Möglichkeiten kundenindividueller Leistungsanpassungen.
Kundenstrukturkomplexität
Unsere Marktbearbeitung ist einfach gehalten: Wir bedienen nur wenige Kundensegmente und die Bedürfnisse unserer Kunden sind recht ähnlich.
Unsere Marktbearbeitung ist sehr komplex: Wir bedienen sehr viele Kundensegmente mit sehr unterschiedlichen Kundenbedürfnissen.
Prozesskomplexität
Für die Erbringung unserer Leistungen benötigen wir nur relativ wenige, hoch standardisierte Prozesse. Prozessabweichungen sind eher die Ausnahme. Schnittstellen zwischen Prozessen, Abteilungen, Standorten etc. sind unproblematisch.
Hinter unseren Leistungen stecken sehr viele, sehr unterschiedliche Prozesse. Prozessabweichungen treten regelmäßig auf. Die Prozessabläufe sind durch viele Schnittstellen zwischen z.B. Prozessen, Abteilungen, Standorten etc. gekennzeichnet.
Aufgabenkomplexität
Unsere Mitarbeiter sind bei der Leistungserbringung mit standardisierten Aufgaben konfrontiert. Flexibilität ist nicht erforderlich. Die Tätigkeiten sind nicht besonders komplex oder anspruchsvoll.
(Fortsetzung auf der folgenden Seite)
Unsere Mitarbeiter werden ständig mit anderen Aufgaben und Inhalten konfrontiert, auf die sie flexibel reagieren müssen. Entsprechend werden die Tätigkeiten von den Mitarbeitern als sehr komplex und anspruchsvoll wahrgenommen.
332
Anhang
Komplexität des externen Faktors
Das Ausmaß, zu dem Kunden aktiv an der Leistungserbringung beteiligt sind, ist bei uns relativ gering. Veränderungen beim Kunden (persönlich, beruflich etc.) haben keinen wesentlichen Einfluss auf die Dienstleistung.
Bei uns leisten Kunden einen großen aktiven Beitrag zur Erbringung der Dienstleistung. Die Mitarbeiter haben sich daher an die Bedürfnisse verschiedener Kunden anzupassen. Auch haben Veränderungen beim Kunden (persönlich, beruflich etc.) einen großen Einfluss auf die Dienstleistung.
subj. Komplexitätswahrnehmung durch Kunden
Kunden nehmen unser Leistungsangebot, unsere Strukturen und Prozesse, mit denen sie in Berührung kommen, nicht als komplex wahr.
Unsere Kunden nehmen unser Leistungsangebot und die Strukturen und Prozesse, mit denen sie in Berührung kommen, als sehr komplex wahr.
Zur Erbringung unserer Dienstleistungen benötigen wir keine breite Palette an speziell geschulten/ausgebildeten MitarbeiterMitarbeitern. Auch wird von komplexität unseren Mitarbeitern kein ungewöhnlich hohes Maß an Flexibilität verlangt. Die Fluktuation im Mitarbeiterstamm ist niedrig.
Unser Leistungsangebot erfordert eine Vielzahl unterschiedlich geschulter/ausgebildeter Mitarbeiter. Die Kundenbedürfnisse verlangen zudem ein hohes Maß an Flexibilität. Die Fluktuation im Mitarbeiterstamm ist relativ hoch.
Standort-/ Filialkomplexität
Für die Erbringung unserer Leistungen ist keine besonders hohe Filial- oder Standortdichte erforderlich.
Um unsere Leistungen an den Kunden zu bringen, benötigen wir ein dichtes Filialnetz, mit - je nach Region oder Kundensegment teilweise sehr unterschiedlichen Standorten. Unser Filialnetz wird regelmäßig erweitert oder an Marktbedürfnisse angepasst.
Materialkomplexität
Unser Leistungsangebot ist nicht physisch greifbar und/oder relativ selbsterklärend. Wir benötigen daher kaum unterstützende Materialien bei der Leistungserbringung.
Unser Leistungsangebot erfordert eine Vielzahl verschiedener unterstützender Materialien (z.B. Informationsbroschüren o.ä.).
Technologien, die für die Dienstleistungen selbst oder unterstützend erforderlich sind (z.B. Datenbanken, Informations- und Technologische Kommunikationstechnologien), sind in unserem Unternehmen Komplexität von nachrangiger Bedeutung. Kompatibilitätsprobleme zwischen verschiedenen Technologien treten selten auf.
Der Einsatz vieler verschiedener Technologien ist für die Erbringung unserer Dienstleistungen unvermeidlich. Damit verbunden sind auch häufig Kompatibilitätsprobleme zwischen den Technologien.
Anhang
333
Teil 2: Einschätzung der Kosten- und Nutzewirkungen der Komplexitätsformen Wie würden Sie die Kosten- und Nutzenwirkungen der verschiedenen Komplexitätsformen in Ihrem Unternehmen einschätzen? Geben Sie Ihre Einschätzung für die folgenden Aussagen bitte auf einer Skala von 1-7 ab, wobei - der Wert 1 für "stimme überhaupt nicht zu" - der Wert 7 für "stimme voll und ganz zu" steht. (Für die inhaltliche Bedeutung der Komplexitätsformen vgl. die Formulierungen im Teil 1 des Fragebogens) stim m e überhaupt nicht zu
Die Komplexität unseres Leistungsprogramms ...
Die Komplexität unserer verschiedenen einzelnen Dienstleistungen ...
stim m e voll und ganz zu
1
2
3
4
5
6
7
hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (Kundennutzen, Synergieeffekte o.ä.) verursacht hohe Kosten (z.B. Koordination, Planung, Anpassungen bei Leistungsindividualisierungen o.ä.)
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (Kundennutzen, Synergien o.ä.)
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
verursacht hohe Kosten (z.B. Planung, Dokumentation o.ä.)
Die differenzierte Marktverursacht hohe Kosten (z.B. der bearbeitung (KundenstrukturPlanung, "Doppelarbeit" o.ä.) komplexität) ... hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. hohe Anpassung unserer Leistungen an Kundenbedürfnisse o.ä.) Die Komplexität unserer verursacht hohe Kosten (z.B. der internen Prozesse ... Planung, Dokumentation o.ä.) hat hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. durch Flexibilität) Die Komplexität der Aufverursacht hohe Kosten (z.B. durch gaben, mit denen unsere MitDoppelarbeit, Überforderung o.ä.) arbeiter konfrontiert sind, ... hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. in Form von Mitarbeitermotivation durch ein anspruchsvolles Aufgabenumfeld)
(Fortsetzung auf der folgenden Seite)
334 Die Berücksichtigung von Kundenwünschen oder -eigenschaften bei der Leistungserbringung (Komplexität des externen Faktors) ... Die subjektive Komplexitätswahrnehmung durch Kunden ...
Anhang
verursacht hohe Kosten (z.B. Koordination/Absprachen mit dem Kunden, Dokumentation o.ä.)
1
2
3
4
5
6
7
hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. Lerneffekte, Kundennähe)
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
verursacht hohe Kosten (z.B. Planung, Dokumentation o.ä.) hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. positives Image als Anbieter eines breiten Leistungsangebots, als kompetenter Anbieter o.ä.)
Die Anzahl, Unterschiedlichkeit unserer Mitarbeiter und die Veränderlichkeit unseres Mitarbeiterstamms (Mitarbeiterkomplexität) ...
Die Komplexität unseres Standort-/Filialnetzes ...
verursacht hohe Kosten (z.B. Planung, Koordination o.ä.) hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. Flexibilität in der Leistungserbringung) verursacht hohe Kosten (z.B. Planung, Koordination, Redundanzen o.ä.) hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. Kundenutzen durch "regionale" Nähe zum Kunden)
Die Menge an unterschiedlichen Materialien, die zur Erbringung unserer Leistungen erforderlich sind, ...
verursacht hohe Kosten (z.B. der Planung, Anpassung o.ä.) hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. Informationen und Unterlagen für Kunden)
Die Menge und Unterschiedverursacht hohe Kosten (z.B. lichkeit der bei uns Koordination, Kompatibilitätsprobleme o.ä.) eingesetzten Technologien ... hat einen hohen Nutzen für unser Unternehmen (z.B. Flexibilität in der Leistungserbringung)
Anhang
Anhang 3: Fragebogen der Hauptuntersuchung
335
336
Anhang
Anhang
337
338
Anhang
Anhang
339
340
Anhang
Anhang
341
342
Anhang
Anhang
343
344
Anhang
Anhang
345
346
Anhang
Anhang
347
348
Anhang
Anhang
349
Anhang 4: Verteilung, Standardabweichung und geometrisches Mittel der Paarvergleiche (am Beispiel von Versicherung B)
Spannweite
Standardabweichung
11
5,32
6
2,52
6
2,94
6
2,52
2
1,00
5
2,63
Spannweite
Standardabweichung
10
4,57
10
4,51
6
2,50
7
3,50
11
4,65
10
4,27
350
Anhang
Spannweite
Standardabweichung
4
1,73
4
1,83
13
5,35
11
5,19
5
2,22
11
4,83
Spannweite
Standardabweichung
1
0,58
Spannweite
Standardabweichung
6
2,75
Spannweite
Standardabweichung
5
2,22
Spannweite
Standardabweichung
10
4,80
4
1,83
1
0,58
Spannweite
Standardabweichung
8
3,30
8
3,59
2
0,96
Anhang
351
Spannweite
Standardabweichung
8
3,40
5
2,16
3
1,26
Spannweite
Standardabweichung
4
2,00
8
3,77
2
0,96
Spannweite
Standardabweichung
1
0,50
4
1,71
1
0,50
Spannweite
Standardabweichung
11
4,97
11
4,79
5
2,45
Spannweite
Standardabweichung
10
4,43
6
2,50
9
3,92
Spannweite
Standardabweichung
6
2,65
6
2,87
8
3,70
352
Anhang
Spannweite
Standardabweichung
6
2,65
2
0,96
4
2,00
Spannweite
Standardabweichung
7
2,87
8
3,70
5
2,16
Spannweite
Standardabweichung
10
4,55
Spannweite
Standardabweichung
7
3,30
Spannweite
Standardabweichung
3
1,50
Spannweite
Standardabweichung
7
3,16
7
2,94
5
2,16
Anhang
353
Spannweite
Standardabweichung
3
1,29
2
1,00
4
1,71
Spannweite
Standardabweichung
1
0,50
3
1,50
7
3,50
Spannweite
Standardabweichung
6
2,87
4
1,71
6
2,52
Spannweite
Standardabweichung
7
3,37